Schuldrecht [10. völlig neu bearb. Aufl.] 9783110918168, 9783899491487, 9783899491470

In the 10th edition, Wolfgang Fikentscher and Andreas Heinemann together provide for the first time the revision of the

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German Pages 928 Year 2006

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Der Allgemeine Teil des Schuldrechts (Die allgemeinen Lehren)
1. Abschnitt. Begriffe, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses
2. Abschnitt. Begründung des Schuldverhältnisses
3. Abschnitt. Inhalt des Schuldverhältnisses
4. Abschnitt. Beendigung von Schuldverhältnissen
5. Abschnitt. Leistungsstörungen
6. Abschnitt. Übertragung der Forderung und Schuldübernahme
7. Abschnitt. Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten
Der Besondere Teil des Schuldrechts (Die einzelnen Schuldverhältnisse)
8. Abschnitt. Einleitung
9. Abschnitt. Veräußerungsverträge
10. Abschnitt. Gebrauchsüberlassungsverträge
11. Abschnitt. Schuldverhältnisse über Tätigkeiten
12. Abschnitt. Schuldrechtliche Personenvereinigungen
13. Abschnitt. Besondere Versprechen
14. Abschnitt. Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick
15. Abschnitt. Ungerechtfertigte Bereicherung
16. Abschnitt. Unerlaubte Handlung
17. Abschnitt. Räumlich und zeitliche Bezüge des Schuldrechts
Anhang
Verzeichnis der Gesetzesstellen
Sachregister
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Schuldrecht [10. völlig neu bearb. Aufl.]
 9783110918168, 9783899491487, 9783899491470

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de Gruyter Lehrbuch

Schuldrecht von

Wolfgang Fikentscher und Andreas Heinemann 10., völlig neu bearbeitete Auflage

De Gruyter Recht · Berlin

Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Fikentscher, LL.M. (Michigan), em. o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Professor Dr. Andreas Heinemann, Dipl.-Ök., Universitätsprofessor an der Universität Lausanne, Schweiz.

∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Broschierte Ausgabe: ISBN-13: 978-3-89949-147-0 ISBN-10: 3-89949-147-5 Gebundene Bibliotheksausgabe: ISBN-13: 978-3-89949-148-7 ISBN-10: 3-89949-148-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© Copyright 2006 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D - 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck und Bindearbeiten: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH, Bad Langensalza Umschlaggestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin

Vorwort zur 10. Auflage Dem angesichts des Umfangs verunsicherten Betrachter sei versichert: In diesem Band befinden sich zwei Bücher! Schon seit langer Zeit werden der Allgemeine und der Besondere Teil des Schuldrechts üblicherweise getrennt dargestellt. Trotz ständiger Zunahme des Stoffes wird hier dieser Versuchung widerstanden: Das Anliegen dieses Lehrbuchs besteht unverändert darin, hinter der Fülle der Einzelheiten die übergreifenden Zusammenhänge hervortreten zu lassen. Die Vernetzung zwischen Schuldrecht AT und BT ist durch die Schuldrechtsmodernisierung noch enger geworden. An der integrierten Darstellung des Schuldrechts wird deshalb festgehalten. Ebenfalls beibehalten ist die schon seit der ersten Auflage (1965) erkennbare wirtschaftsrechtliche Ausrichtung mancher Problembehandlung. Das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat eine vollständige Neubearbeitung erforderlich gemacht (für die erstmals Andreas Heinemann am Lehrbuch mitgewirkt hat). Die Reform beschränkt sich nicht auf eine Neukonzeption des allgemeinen Leistungsstörungs- und des Kauf- und Werkvertragsrechts, sondern wirkt sich auf das Gesamtgebiet des Schuldrechts aus. In den neun Jahren, die seit der letzten Auflage verstrichen sind, gab es außerdem eine Vielzahl weiterer Entwicklungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre. Die Neuauflage trägt dem Rechnung. Dem steigenden Komplexitätsgrad wird dadurch gegengesteuert, dass noch größerer Wert auf die praktische Anwendung des Erlernten gelegt wird. Zahlreiche Beispielsfälle wurden zu diesem Zweck hinzugefügt. Die Autoren danken herzlich allen Kollegen und Freunden, die sich um das Werk verdient gemacht haben. Dem Bereicherungsrecht liegt – in weitergeführter Fassung – die Neubearbeitung zugrunde, welche Herr Prof. Dr. Josef Drexl für die 8. Auflage (1992) verfasst hat. Für die 10. Auflage haben eigenständige Entwürfe vorgelegt Frau Julia Jankowski (Dienstvertrag), Herr Dr. Daniel Unland (Miete, Pacht) und Herr Dr. Nils Neumann (Darlehen). Für die Korrektur des Manuskripts, die außerordentlich aufwändige Neuanfertigung der Register und ihre ständige Diskussionsbereitschaft danken wir Frau Dr. Anna-Elisabeth Köster und den Herren Peter Rheinländer, Tim Kaufhold und Mark Lerach. Die Darstellung befindet sich auf dem Stand Ende Juni 2006. Angesichts der tiefgreifenden Änderungen war eine Aufrechterhaltung der alten Randnummerierung nicht möglich. Für Hinweise und Kritik sind die Verfasser stets dankbar und verbinden dies mit der Bitte um weitere kritische Unterstützung. München und Lausanne, im August 2006 Wolfgang Fikentscher, Andreas Heinemann

V

Aus dem Vorwort zur 7. Auflage Unangetastet blieb die didaktische Zielrichtung des Werkes, über die das nachstehend teilweise abgedruckte Vorwort zur 1. Auflage (1964) nähere Auskunft gibt. Es erweist sich, daß das systematische Lehrbuch, entgegen manchen Vorhersagen, wieder zunehmend Gebrauch und Anerkennung findet. Das ist bemerkenswert, weil sich der Stil der Vorlesung an den meisten juristischen Fakultäten in den letzten Jahren – erfreulicherweise und entgegen den skeptischen Bemerkungen im Vorwort zur 1. Auflage – erheblich geändert hat. Die einzelnen Stoffbereiche werden den Studienanfängern nicht mehr unverbunden nebeneinander vorgetragen, sondern Dozent und Hörer erarbeiten gemeinsam ein zusammenhängendes Gebiet, etwa in einem „Grundkurs Zivilrecht“, zu dem dann mit zentraler Bedeutung das Schuldrecht gehört. Die früher getrennt neben den Vorlesungen laufenden praktischen Übungen werden in die „Kurse“ integriert, so daß vielfach der „Grundkursschein“ den „Anfängerschein“ ersetzt. In diesem „Rechtsunterricht“ kommt dem Lehrbuch eine das Lehrgespräch unterstützende und zusammenfassende Aufgabe zu. Es dient dabei nicht nur der Wiederholung und Vertiefung, sondern wird mit Gewinn auch schon für die Vorbereitung auf den vom Dozenten in „Arbeitsplänen“ oder ähnlichen Ankündigungen zu behandelnden Stoff benutzt. Den mündlichen Vortrag im Hörsaal begleiten dann häufig Falloder Entscheidungssammlungen. Die beiden Sammlungen schuldrechtlicher Entscheidungen (ESJ Schuldrecht I Allgemeiner Teil und ESJ Schuldrecht II Besonderer Teil, 2. Aufl. München 1976, Verlag C. H. Beck), auf die in diesem Lehrbuch (seit der 7. Auflage) Bezug genommen wird, sollen diesem Bedarf entgegenkommen (vgl. dazu meinen Beitrag „Rechtsunterricht mit Entscheidungssammlungen“ in der Festschrift für Eduard Kern, Tübingen 1968, 139). Die Technik der Fallösung für den Übungsteil des „Grundkurses“ vermittelt, ebenfalls in Ergänzung zu diesem Lehrbuch, das „Schuldrechtspraktikum“ in der Sammlung Göschen (Verlag W. de Gruyter). Lehrbuch, Entscheidungssammlung und Praktikum wollen also ein sowohl in seinen Teilen getrennt als auch in zusammenhängender Benutzung verwendbares, modernen Anforderungen des Lehrens und Lernens gerecht werdendes Unterrichtswerk sein. Offensichtlich ist wegen dieser heute weithin üblich gewordenen komplexen Darstellungsweise in „Kursen“ und ähnlichen Veranstaltungen das systematische Lehrbuch noch wichtiger als früher geworden. Denn während der Aufbau der monologischen Vorlesung alten Stils dem eines Lehrbuchs weitgehend entsprach, so daß der Studierende eigentlich nur ein System kennenlernte, das ihm auf doppelte Weise – mündlich und gedruckt – vermittelt wurde, muß er sich heute aus dem Material des „Kurses“ sein eigenes System aufbauen. Das systematische Lehrbuch soll dabei als Anregung und Vorlage dienen, und es gewinnt dadurch eine selbständige, aktivierende Bedeutung verglichen mit den Zeiten, in denen es im Verhältnis zur Vorlesung nur Wiederholung und Vertiefung sein konnte. Das Lehrbuch hat also die Reform nicht nur „überlebt“. Es trägt auf die genannte Weise zu ihrem Gelingen bei. München, im November 1984

VII

Aus dem Vorwort zur 1. Auflage Die wesentliche Schwierigkeit der Vorlesungen über das Schuldrecht liegt im Umfang des Stoffes. Dabei ist es nicht nur und nicht einmal in erster Linie die große Zahl der Einzelheiten, die Lehrer und Lernenden zu schaffen machen, sondern der Überblick über das Ganze. Auf welche Fälle z. B. der Treu-und-Glauben-Satz des § 242 oder die Generalklausel des Bereicherungsrechts in § 812 I 1 anzuwenden ist, auf welche nicht, läßt sich nicht aus einer noch so gründlichen Kenntnis der Einzelheiten, sondern nur aus einem Verständnis des Zusammenhangs erfassen. Die vorliegende Darstellung des Schuldrechts will vor allem ein Leitfaden zum Lernen sein. Zu den beiden Vorlesungen über den Allgemeinen und Besonderen Teil des Schuldrechts soll das Buch dem Studierenden die für seine Ausbildung und sein rechtliches Verstehen nötigen Grundkenntnisse der Schuldrechtsprobleme vermitteln. Die Methode der Darlegung weicht vom Üblichen ab. Sie ist ausgerichtet am nichtstreitigen Gutachten, an der juristischen Technik also, die vom Kandidaten im ersten Examen erwartet wird. Auf die Gliederung wirkt sich das vor allem beim Leistungsinhalt und bei den Leistungsstörungen aus. Man wird dieses Vorgehen damit rechtfertigen müssen, daß die Universität in praktisch-methodischer Hinsicht dem Studierenden bislang manches schuldig bleibt. Münster/Westfalen, im November 1964

IX

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung

V XIII XXXVII

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1

Der Allgemeine Teil des Schuldrechts (Die allgemeinen Lehren) 1. Abschnitt. Begriffe, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses . . 1. Unterabschnitt: Das Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterabschnitt: Arten der Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterabschnitt: Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt. Begründung des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 3. Abschnitt. Inhalt des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abschnitt. Beendigung von Schuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . 5. Abschnitt. Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterabschnitt. Tatbestände und Rechtsfolgen der Leistungsstörungen 2. Unterabschnitt. Rücktritt, Widerruf, Kündigung . . . . . . . . . . . . 3. Unterabschnitt. Die zusätzlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Abschnitt. Übertragung der Forderung und Schuldübernahme . . . . . . 7. Abschnitt. Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

17 17 35 43 48 88 161 179 196 268

. . . 293 . . . 348 . . . 371

Der Besondere Teil des Schuldrechts (Die einzelnen Schuldverhältnisse) 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Abschnitt. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt. Veräußerungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt. Gebrauchsüberlassungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt. Schuldverhältnisse über Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt. Schuldrechtliche Personenvereinigungen . . . . . . . . . . . . Abschnitt. Besondere Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt. Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Abschnitt. Ungerechtfertigte Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Abschnitt. Unerlaubte Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Abschnitt. Räumlich und zeitliche Bezüge des Schuldrechts . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

385 391 489 561 649 666

. . . .

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689 703 749 834

Anhang Verzeichnis der Gesetzesstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865

XI

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §1

§2

§3

§4

Rechtstechnische Aufgabe, Begriff, Stellung, rechtspolitische und rechtsdogmatische Grundgedanken des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtstechnische Aufgabe des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellung des Schuldrechts im Rahmen der Rechtsordnung . . . . . . IV. Rechtspolitische und rechtsdogmatische Grundgedanken des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das heutige Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schuldrechtsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . V. Europäisches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Materialien und Texte zur Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lehrbücher und Grundrisse (zugleich Zitierweise) . . . . . . . . . . . 3. Kommentare (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fallsammlungen. Übungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entscheidungssammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plan der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 1 1 3 5 7 7 7 8 9 10 11 11 12 13 14 14 14 14

Der Allgemeine Teil des Schuldrechts (Die allgemeinen Lehren) 1. Abschnitt Begriffe, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses 1. Unterabschnitt: Das Schuldverhältnis §5

Das Schuldverhältnis in der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die inhaltliche Aufgabe des Schuldverhältnisses in der Rechtsordnung 1. Grund und Folge des Schuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestandsschutz und Freiheitsschutz als Teile des bürgerlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die primäre Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Schadensersatzpflicht als sekundäre Leistungspflicht . . . . . II. Die methodische Stellung des Schuldverhältnisses in der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 17 18 18 19 19

XIII

Inhaltsverzeichnis

§6

§7

§8

Begriff des Schuldverhältnisses. Gefälligkeitsverhältnisse. Schulden und Haften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiede zu anderen Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . 3. Unterschied zu Gefälligkeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . 4. Schulden und Haften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kollision von Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Terminologie der Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . Die Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff. Verhalten oder Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tun oder Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einteilung der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bestimmbarkeit des Leistungsinhalts . . . . . . . . . . . . . . 6. Nichtvermögenswerte Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . 7. Einmalige, mehrteilige, dauernde und wiederholte Leistungen. „Sukzessivlieferungsverträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wirtschaftliche Bedeutung des Schuldverhältnisses . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . .

20 20 21 21 23 23 24 24 24 25 25 31 31 31

. . . . . .

32 34

. . . . . .

. . . . . .

35 35 36 39 41 41

Verpflichtung und Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relative Wirkung der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderungen wirken relativ, dingliche Rechte wirken absolut . . . . 2. Fünf Beispiele sollen das verdeutlichen . . . . . . . . . . . . . . . Unvollkommene Verbindlichkeiten und verbindlichkeitsähnliche Tatbestände I. Unvollkommene Verbindlichkeiten („Naturalobligationen“) . . . . . 1. Nicht durchsetzbare Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfüllbare Nichtforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbindlichkeitsähnliche Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nicht rückforderbare Anstandszuwendungen . . . . . . . . . . . . 2. Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 44 44 45 46 47 47 47 47 47 48 48

2. Unterabschnitt: Arten der Schuldverhältnisse §9

§ 10 § 11 § 12

Arten der Schuldverhältnisse: Beteiligung am Schuldverhältnis. Gegenseitiger Vertrag (Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verschiedene Einteilungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . II. Die Beteiligung am Schuldverhältnis. Gegenseitiger Vertrag Fortsetzung: Typische und atypische Schuldverhältnisse . . . . . Fortsetzung: Konsensual- und Realverträge . . . . . . . . . . . . Fortsetzung: Kausale und abstrakte Schuldverhältnisse . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

3. Unterabschnitt: Abgrenzungen § 13 § 14 § 15

2. Abschnitt Begründung des Schuldverhältnisses § 16 § 17

XIV

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die Entstehungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 49

Inhaltsverzeichnis

I. II. III. IV.

§ 18 § 19

§ 20

§ 21 § 22 § 23 § 24

Schuldverhältnis aus Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schuldverhältnisse aus Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die sogenannten fehlerhaften Vertragsverhältnisse („faktische Verträge“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung durch Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten („culpa in contrahendo“; „bürgerlichrechtliche Prospekthaftung“; „nachwirkende Treuepflichten“) . . I. Das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung . . . . . . . . . . . . . II. Entstehung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses, Pflichtverletzung und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz von Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum . . . . . . . 2. Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund . . . . 3. Verschulden der Vertragsunwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verschulden bei Vertragswirksamkeit (Rückgängigmachung inhaltlich nachteiliger Verträge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nachvertragliche Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorvertragliches Schuldverhältnis und Dritte. Eigenhaftung des Abschlussgehilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bürgerlichrechtliche Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verjährung von Ansprüchen aus Vertragsanbahnung . . . . . . . . . VII. Inhalt des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungsrecht und Schuldrecht. Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen . I. Das Schuldrecht als Teil der grundgesetzlichen Wirtschaftsordnung . II. Die für das Schuldrecht bedeutsamen Freiheitsgrundrechte . . . . . . III. Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abschlussfreiheit, Freiheit der Partnerwahl und ihre Schranken . . . V. Inhaltsfreiheit, Typenfreiheit und Schranken . . . . . . . . . . . . . . VI. Vertragsfreiheit und wirtschaftliche Macht . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verfassungskonforme Vertragsgestaltung? . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die salvatorische Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorvertrag und andere vorläufige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Andere vorläufige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Draufgabe und Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Draufgabe, §§ 336–338 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsstrafe, §§ 339–345 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 50 50 55 57 57 58 60 60 61 61 62 63 64 65 65 66 67 68 69 70 70 72 74 76 77 77 81 82 83 84 86 86 86

3. Abschnitt Inhalt des Schuldverhältnisses § 25

Bestimmung des Leistungsinhaltes im Allgemeinen. Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schuldverhältnisse aus Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88 88 90

XV

Inhaltsverzeichnis

III. IV. V. VI.

§ 26

§ 27

§ 28

XVI

Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwingendes Gesetzesrecht (ius cogens) . . . . . . . . . . . . . . . . . Der rechtsgeschäftliche Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe für die Verwendung von AGB . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff. Abgrenzung von der Individualabrede . . . . . . . . . . . 3. Der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle (§ 310) . . . . . . . 4. Einbeziehung der AGB in den Vertrag, § 305 II, III . . . . . . . . 5. Überraschende Klauseln, § 305c I . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Auslegung. Unklarheitenregel. Anfechtung von AGB . . . . . . . 7. Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die §§ 307–309 . . . . . . . . 9. Umgehungsverbot, § 306a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Folgen von Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit von AGB zwischen den Parteien für den Vertrag im Übrigen, § 306 . . . . . 11. Die Unterlassungs- und Widerrufsansprüche. Verfahrensfragen (UKlaG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. AGB außerhalb der AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Treu und Glauben, § 242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Nachgiebiges Gesetzesrecht (ius dispositivum) . . . . . . . . . . . . . IX. Nachträgliche Bestimmung des Leistungsinhaltes durch Partei, Dritten, Taxe oder Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Prüfungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Treu und Glauben. Die Bedeutung des § 242 . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Funktionenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Konkretisierungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeiner Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodische Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die grundsätzliche und die weiteren Bedeutungen des § 242 . . . 4. Der Maßstab der Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflichtbefreiende Vertrauensumstände (des Schuldners) . . . . . . 6. Pflichtenbegründende Vertrauensumstände (des Gläubigers) . . . IV. § 242 als Maßstab für die Gesetzesauslegung? . . . . . . . . . . . . . V. Vertragliche Anpassungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich und Spezialregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . Gattungsschuld. Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis (Relative Unbestimmtheit der Leistung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Besonderheiten des Schuldinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gattungsschuld, Stückzahl, Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . III. Die rechtliche Bedeutung der Gattungsschuld (§§ 243, 300 II, 524 II, 2182 f) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wichtige Hinweise für die Prüfung im Gutachten . . . . . . . . . . .

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§ 29 § 30 § 31 § 32 § 33

§ 34 § 35 § 36

§ 37

V. Wahlschuld, Ersetzungsbefugnis, Abfindungsbefugnis und Anspruchsmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geldschulden und Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufwendungsersatz und Wegnahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechnungslegung, Herausgabe von Gegenstandsbegriffen. Auskunft und Versicherung an Eides statt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss der Rechtshängigkeit auf den Herausgabeanspruch und Vorlegung von Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruches bezüglich bestimmter Gegenstände, § 292 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorlegung von Sachen, §§ 809–811 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das besondere Schuldverhältnis der Vorlegung von Sachen gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Für die Vorlegung von Urkunden gilt § 810 . . . . . . . . . . . . Zeit der Leistung. Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches über Zeit und Ort im Schuldverhältnis . . . . . . . . II. Bestimmung der Leistungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ort der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestimmung des Leistungsorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Holschulden, Bringschulden, Schickschulden . . . . . . . . . . . . . Leistung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ablösungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag zugunsten Dritter. Verträge mit Schutzwirkung für Dritte. Versprechen zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Anwendungsbereich des Vertrages zugunsten Dritter . . . . . . . 1. Kein abstrakter Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung von Forderungen, Übertragung von Forderungen, Begründung und Übertragung absoluter Rechte zugunsten Dritter. Verpflichtung zulasten Dritter? Leistungsstörungen. Bereicherungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erfüllungsübernahme, § 329 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtslage des Dritten, §§ 333–335 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Formbedürftigkeit des Vertrags zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . VII. Verträge mit Schutzwirkung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Versprechen zugunsten Dritter auf den Todesfall . . . . . . . . . . .

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4. Abschnitt Beendigung von Schuldverhältnissen § 38

Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übersicht über das Erlöschen von Schuldverhältnissen . . . . . . . . II. Die Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XVII

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§ 39

§ 40

III. Erfüllung unter Vorbehalt der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . IV. Quittung und Schuldschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zur bargeldlosen Zahlung als Erfüllung . . . . . . . . . . . . . Erfüllungsersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leistung an Erfüllungs statt, §§ 364 I, 365 . . . . . . . . . . . . II. Hinterlegung, §§ 372–386 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufrechnung, §§ 387–396 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erlass, § 397 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sonstige Erlöschensgründe, insb. die Konfusion . . . . . . . . . Inhaltsänderung, Schuldersetzung, Vergleich (Gleichzeitige Beendigung und Begründung von Schuldverhältnissen) . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhaltsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schuldersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich, § 779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe und Arten der Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kennzeichnung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1. 1. 2002 . . . . . II. Der Umbau des allgemeinen Leistungsstörungsrechts durch die Schuldrechtsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Arten der Leistungsstörungen im Einzelnen (Übersicht über die Begriffe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Pflichtverletzung (§§ 280ff, 323ff) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unmöglichkeit ( §§ 275, 283, 311a, 326) . . . . . . . . . . . . 3. Der Verzug (§§ 280 II, 286–288, 293–304) . . . . . . . . . . . . . IV. Gliederung des Folgenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179 180

5. Abschnitt Leistungsstörungen § 41 § 42

180 183 187 187 188 195 195

1. Unterabschnitt Tatbestände und Rechtsfolgen der Leistungsstörungen § 43

Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausschluss der Leistungspflicht (§ 275) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Physische und juristische Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Zweckstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Faktische Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Persönliche Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung von § 275 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Leistungsgefahr; Gegenleistungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . III. Schadensersatz, Ersatz vergeblicher Aufwendungen und Herausgabe von Ersatzvorteilen („stellvertretendes commodum“) . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensersatz bei anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311 a II) . . .

XVIII

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196 196 197 197 198 199 201 202 203

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204 204 205

Inhaltsverzeichnis

§ 44

§ 45

§ 46

3. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit (§§ 280 I, III, 283 S. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284) . . . . . . . . . . . . . 5. Herausgabe der Ersatzvorteile („Surrogate“), § 285 . . . . . . . . IV. Das Schicksal der Gegenleistung im gegenseitigen Vertrag . . . . . . 1. Befreiung von der Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Befreiung von der Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . 3. Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abschließende Bemerkung zur Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Regelungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen des Schuldnerverzugs, § 286 . . . . . . . . . . . . . 1. Fälligkeit, Möglichkeit und Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . 2. Mahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beginn und Ende des Verzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Folgen des Verzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ersatz des Verzögerungsschadens, §§ 280 I, II; 286 . . . . . . . . . 2. Haftungserweiterung, § 287 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzugszinsen, § 288 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt 1 . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entbehrlichkeit der Fristsetzung, § 281 II; Abmahnung, § 281 III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Teilleistung und Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abgrenzung der verschiedenen Schadensersatzarten . . . . . . . . . . 1. Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verzögerungsschaden und einfacher Schadensersatz . . . . . . . 3. Verzögerungsschaden und Schadensersatz statt der Leistung . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rücktritt, § 323 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relatives Fixgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rücktritt und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen des Gläubigerverzugs, §§ 293–299 . . . . . . . . . . III. Folgen des Gläubigerverzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die nicht den §§ 300–304 geregelten Rechtsfolgen . . . . . . . . . 2. Weitere Rechtsfolgen; das Verhältnis von Gläubiger- und Schuldnerverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gläubigerverzug im Prozess wegen Leistungen aus gegenseitigen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlechtleistung; andere Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XIX

Inhaltsverzeichnis

§ 47

2. Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt 2 (Vertragsinteresse, Äquivalenzinteresse, BGH früher: Erfüllungsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfacher Schadensersatz für Mangelfolgeschäden, § 280 I . . . . 4. Rücktritt, § 323 I Alt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verletzung von Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfacher Schadensersatz für Begleitschäden, § 280 I (Integritätsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, III, 282 (Äquivalenzinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rücktritt, § 324 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung: Schadensersatz gem. den §§ 280ff, 311 a II . . . . Einrede des nicht erfüllten Vertrages und das Zurückbehaltungsrecht . . . . I. Die Einreden der § 320–322 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255 256 258 258 258 258 262 263 264 265 265 266

2. Unterabschnitt Rücktritt, Widerruf, Kündigung § 48

§ 49

§ 50

XX

Rücktritt (§§ 346 ff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragliches Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschluss des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abgrenzung des Rücktrittsrechts von anderen Rechtsinstituten . II. Voraussetzungen des Rücktritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirkungen des Rücktritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche auf Wertersatz, Herausgabe der Surrogate und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anspruch des Schuldners auf Verwendungsersatz . . . . . . . . . IV. Besondere Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen . . . . . . . . . . . I. Verbraucherschutz im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgaben im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmer und Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besondere Vertriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haustürgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fernabsatzverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Elektronischer Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abweichende Vereinbarungen; Umgehung . . . . . . . . . . . . . III. Allgemeine Ausgestaltung (§§ 355 ff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerrufsrecht (§ 355) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückgaberecht (§ 356) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbundene Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund (§ 314)

268 269 269 269 270 271 271 272 272 272 276 277 277 277 277 278 279 279 281 283 286 286 286 289 290 290 291 291 291

Inhaltsverzeichnis

3. Unterabschnitt Die zusätzlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs § 51

§ 52

§ 53

§ 54

§ 55

§ 56

§ 57

Theorie der Schadenszurechnung in Grundzügen . . . . . . . . . . I. Der Gedankengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die „klassische“ Theorie des Schadensersatzes . . . . . . . . III. Weiterentwicklung der Schadensersatzlehre nach 1950 . . . 1. Verletzungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Geschädigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schadensart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffe und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Äquivalenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Adäquanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bloßes Wahrscheinlichkeitsurteil. Geeignetheit . . . . . . . . V. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wesen der Rechtswidrigkeit. Tun und Unterlassen. Unrechtsindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsgüterlehre als Kern der Lehre von der Rechtswidrigkeit Vertretenmüssen, insbesondere Verschulden . . . . . . . . . . . . . I. Der Verschuldensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verschuldensfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schuldform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftung ohne Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Entschuldigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für fremdes Verschulden (der Erfüllungsgehilfe). Eigenhaftung des Gehilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Erfüllungsgehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigenhaftung des Gehilfen (als „Sachwalter“) . . . . . . . . Umfang und Art des Schadensersatzes (Lehre vom Interesse) . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Grundsatz der Naturalrestitution . . . . . . . . . . 2. Geldersatz in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . 3. Immaterielle Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Interesse (die Schadensberechnung) . . . . . . . . . . . 1. Der Verletzungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Folgeschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Abtretung, §§ 398–411 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Voraussetzungen der Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Rechtsfolgen der Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechte des Zessionars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechte des Schuldners, Schuldnerschutz, § 404 ff . . . . . . . . III. Der gesetzliche Forderungsübergang; § 412. Forderungsübergang kraft Hoheitsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übertragung anderer Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderformen der Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fiduziarische Zession (Treuhandgläubigerschaft) und Einziehungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffe, Bedeutung und Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollisionen mit Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kollision mit Abtretungsverboten in Kundenverträgen . . . . . . Schuldübernahme und Verwandtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übersicht über die Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . II. Zustandekommen der privaten Schuldübernahme . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen der privaten Schuldübernahme . . . . . . . . . . . . . . IV. Vertragsübernahme und Vertragsbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . .

348 351 351 351 351 355 355 356

IV. V. VI. VII.

3. Schadensberechnung bei vertraglicher Haftung 4. Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . Die sog. „überholende Kausalität“ . . . . . . . . . Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten . . Vorteilsausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . Schadensminderung durch Mitverschulden . . . .

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6. Abschnitt Übertragung der Forderung und Schuldübernahme § 58 § 59

§ 60

§ 61

359 359 359 360 364 364 365 366 366 367 368 369 370

7. Abschnitt Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten § 62 § 63 § 64

§ 65

XXII

Übersicht. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilschuldverhältnis (reale Teilung von Berechtigung und Verpflichtung) Gesamtschuldverhältnis (Gesamtberechtigung, Gesamtverpflichtung) . I. Gesamtgläubigerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regressansprüche und Regresshindernisse . . . . . . . . . . . . . Bruchteils- und Gesamthandsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bruchteilsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesamthandsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesamthandsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesamthandschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Besondere Teil des Schuldrechts (Die einzelnen Schuldverhältnisse) 8. Abschnitt Einleitung § 66 § 67

Überblick über das besondere Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragsverbindungen und gemischte Verträge . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragsverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gemischte Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typische Verträge mit untergeordneten andersartigen Leistungen 2. Kombinationsverträge (Typenbindungsverträge) . . . . . . . . III. Doppeltypische Verträge (Zwitterverträge) . . . . . . . . . . . . . . IV. Verträge mit Typenvermengung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Abschnitt Veräußerungsverträge § 68 § 69

§ 70

§ 71

Umgestaltung des Kaufrechts durch Verbrauchsgüterkauf – Richtlinie und Schuldrechtsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kauf. Begriff, Abschluss, Pflichten im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Kauf als Verpflichtungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kaufgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kaufpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Vertragspflichten im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Handelskauf (§§ 373–382 HBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefahrtragung. Verwendung, Nutzungen, Lasten, Zinsen, Kosten . . . . . I. Die Gefahrenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Sachgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Leistungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Gegenleistungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sonderregeln beim Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Nutzungen und Lasten. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nutzungen und Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwendungen, Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Incoterms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nachgiebiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachmängelgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leistungsstörungen beim Kauf im Allgemeinen . . . . . . . . . . . II. Einfluss des Gemeinschaftsrechts: Richtlinienkonforme Auslegung? . III. Übersicht zur Sachmängelgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechte des Käufers nach Gefahrübergang . . . . . . . . . . . . 2. Recht des Käufers vor Gefahrübergang . . . . . . . . . . . . . 3. Der maßgebliche Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begriff des Sachmangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarte Beschaffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIII

Inhaltsverzeichnis

§ 72

§ 73

2. Eignung zur nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung . . 3. Eignung zur gewöhnlichen Verwendung . . . . . . . . . . . . . 4. Werbeangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Montagemängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aliud-Lieferung und Qualitätsabweichung . . . . . . . . . . . . 7. Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechte des Käufers im Gewährleistungsfall . . . . . . . . . . . . . 1. Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Minderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schadensersatz und Ersatz der vergeblichen Aufwendungen . . 5. Verhältnis zwischen den einzelnen Käuferrechten . . . . . . . . VI. Ausschluss der Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis bei Vertragsschluss 2. Vertraglicher Haftungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kenntnis des Mangels bei Annahme der Sache . . . . . . . . . VII. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Verhältnis der Sachmängelgewährleistung zu anderen Rechten . . . 1. Auslegungs-, Dissens- und Anfechtungsregeln . . . . . . . . . . 2. Einrede des nicht erfüllten Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verletzung vorvertraglicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verletzung vertragsbegleitender Schutz- und Verhaltenspflichten 5. Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ungerechtfertigte Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ansprüche aus unerlaubter Handlung . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmängelgewährleistung. Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines, insbesondere der Sachkauf . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Rechtsmangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten der Rechtsmängelgewährleistung . . . . . . . . 4. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsmängelhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unternehmenskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verträge über Computersoftware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Arten des Kaufs. Internationales Kaufrecht . . . . . . . . . . . I. Kauf nach Probe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kauf auf Probe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wiederkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Vorkaufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verkauf im Wege der Zwangsvollsteckung . . . . . . . . . . . . . . VI. Internationaler Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinheitlichung des materiellen Kaufrechts . . . . . . . . . . 2. Inhalt des UN-Kaufrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

§ 74

§ 75

§ 76

Verbrauchsgüterkauf. Teilzeit – Wohnrechteverträge I. Verbrauchsgüterkauf . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . 3. Regress des Letztverkäufers . . . . . . . . II. Abzahlungskauf . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teilzeit-Wohnrechteverträge (§§ 481ff) . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . Verkauf unter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . I. Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schuldrechtliche Wirkungen . . . . . . . . . IV. Sachenrechtliche Wirkungen . . . . . . . . . V. Erweiterungen des Eigentumsvorbehalts . . . 1. Verlängerter Eigentumsvorbehalt (VEV) . 2. Weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt . . . 3. Kontokorrentvorbehalt . . . . . . . . . . 4. Konzernvorbehalt . . . . . . . . . . . . . Tausch. Schenkung. Schenkungsversprechen . . . . I. Tausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schenkung, Schenkungsversprechen . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Realschenkung (Handschenkung) . . 3. Das Schenkungsversprechen . . . . . . . 4. Besonderheiten des Schenkungsrechts . .

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Miete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründung des Mietverhältnisses . . . . . . . . . 1. Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Miethöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechte des Mieters – Pflichten des Vermieters . . . 1. Überlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs . 4. Erfüllungsanspruch und Gewährleistungsrechte V. Rechte des Vermieters – Pflichten des Mieters . . . 1. Miete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Obhuts- und Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . 3. Einhaltung des vertragsmäßigen Gebrauchs . . 4. Schönheitsreparaturen . . . . . . . . . . . . .

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10. Abschnitt Gebrauchsüberlassungsverträge § 77

XXV

Inhaltsverzeichnis

§ 78

§ 79

§ 80

§ 81

5. Sonstige Reparaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Duldungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sicherung der Rechte des Vermieters . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermieterpfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kaution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Wechsel der Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wechsel des Vermieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wechsel des Mieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Dritte im Mietverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz des Mieters gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . 2. Untermiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzwirkung des Mietvertrags zugunsten Dritter . . . . . IX. Beendigung des Mietverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ordentliche Kündigung – Kündigungsschutz des Wohnungsmieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Außerordentliche befristete Kündigung . . . . . . . . . . . 5. Außerordentliche fristlose Kündigung . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regelung der verschiedenen Pachtverträge . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Pacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pacht eines Grundstücks mit Inventar . . . . . . . . . . . . 3. Landpacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pachtverträge außerhalb des BGB . . . . . . . . . . . . . . Leasing, insbesondere der Finanzierungsleasingvertrag . . . . . . . . . I. Begriff und wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis des Finanzierungsleasings zu anderen Leasingformen. Das rechtliche „Leitbild“: Miete oder Kauf ? . . . . . . . . . . . III. Arten des Finanzierungsleasings . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsquellen des Finanzierungsleasings . . . . . . . . . . . . . V. Leistungsstörungen und sonstige Störungen . . . . . . . . . . . Leihe. Sachdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Wesen der Leihe . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten der Leihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge . . . . . . . . I. Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Wesen des Darlehens . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten des Darlehens . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Darlehen im Bankwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sparverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Laufende Konten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Personalkredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXVI

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Inhaltsverzeichnis

4. Immobiliardarlehensvertrag . . . . . . . . . . . . 5. Andere Darlehensarten . . . . . . . . . . . . . . . III. Verbraucherdarlehensvertrag . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung und Regelungszweck . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen an Vertragsform- und -inhalt . . . 4. Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verbundene Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonstige Besonderheiten des Verbraucherdarlehens 7. Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Finanzierungshilfen, insb. Teilzahlungsgeschäfte . . . . 1. Entgeltlicher Zahlungsaufschub . . . . . . . . . . 2. Finanzierungsleasingvertrag . . . . . . . . . . . . 3. Teilzahlungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ratenlieferungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formerfordernis und Widerrufsrecht . . . . . . . .

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Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienstvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Systematik und gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abgrenzung des Dienstvertrages von anderen Vertragstypen . . . . . 1. Abgrenzung zum Werkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zu weiteren Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . V. Zustandekommen des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Form und Abschlussverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einigung über Dienstleistung und Vergütung . . . . . . . . . . . 3. Mängel des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Pflichten des Dienstschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptleistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten des Dienstschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen der Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Dienstverpflichteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Pflichten des Dienstberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergütungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütungspflicht ohne Dienstleistung („Lohn ohne Arbeit“) . . 3. Nebenpflichten des Dienstberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen der Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Dienstberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

561 563 564 564 565 565 566 567 567 568 570 571 571 572 572 574 574

11. Abschnitt Schuldverhältnisse über Tätigkeiten § 82 § 83

576 577 584 584 584 588 589

XXVII

Inhaltsverzeichnis

§ 84

§ 85

§ 86

§ 87

VIII. Beendigung des Dienstverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsende durch Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsende durch Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Beendigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen der Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Pflichten des Unternehmers und des Bestellers . . . . . . . . . . . . 1. Pflichten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten des Bestellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mängelgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstvornahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Minderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schadensersatz und Ersatz vergeblicher Aufwendungen . . . . . 7. Verhältnis zwischen den Bestellerrechten . . . . . . . . . . . . . 8. Ausschluss der Mängelgewährleistungsrechte . . . . . . . . . . 9. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eigentumslage und Gefahrtragung, §§ 644–646, 950 . . . . . . . . . V. Unternehmerpfandrecht, Bauhandwerkerhypothek und Bauhandwerkersicherung, §§ 647, 648, 648a . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vorzeitige Beendigung des Werkvertrages . . . . . . . . . . . . . . 1. Kündigungsrecht des Bestellers, § 649 . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenanschlag, § 650 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Werklieferungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reisevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffe und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechte und Pflichten; Reisemangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mängelgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abhilfe, Minderung, Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zu anderen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vertragliche Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschlussfrist, Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftrag. Geschäftsbesorgung. Raterteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geschäftsbesorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Raterteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Besondere Geschäftsbesorgungsverträge des Bankrechts . . . . . . Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Bedeutung. Arten und Abgrenzungen . . . . . . . . . . II. Echte Geschäftsführung ohne Auftrag (Fremdgeschäftsführung mit Fremdgeschäftsführungswillen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . 2. Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . .

XXVIII

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Inhaltsverzeichnis

§ 88

§ 89

§ 90

§ 91

III. Fremdgeschäftsführung mit Eigengeschäftsführungswillen (unechte GoA i.w. S.: vermeintliche und unechte GoA i.e.S.) . . . . . . . . . 1. Vermeintliche Geschäftsführung ohne Auftrag, § 687 I . . . . . 2. Unechte Geschäftsführung ohne Auftrag, § 687 II . . . . . . . . IV. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Geschäftsführung ohne Auftrag – auf einen Blick – . . . . . . . . . Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten des Maklervertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Darlehensvermittlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Ehemaklerlohn, § 656 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslobung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Preisausschreiben, § 661 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gewinnzusagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Besonderheiten der Verwahrung . . . . . . . . . . . . . III. Die Summenverwahrung (unregelmäßige Verwahrung, depositum irregulare), § 700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einbringung von Sachen bei Gastwirten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Garantiehaftung des Gastwirts . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Gastwirtepfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12. Abschnitt Schuldrechtliche Personenvereinigungen § 92

§ 93

Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zuordnung des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . VI. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gewinnverteilung, Auflösung und Beendigung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Gesellschafterwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aufnahme eines neuen Gesellschafters . . . . . . . 2. Ausscheiden eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . 3. Übertragung der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . IX. Allgemeine Leistungsstörungen im Gesellschaftsverhältnis Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anteile, Nutzung, Verwaltung, Verfügung . . . . . . . . . III. Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXIX

Inhaltsverzeichnis

13. Abschnitt Besondere Versprechen § 94 § 95 § 96

Leibrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spiel, Wette, Differenzgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sichernde Versprechen (Bürgschaft, Garantie, Versicherungsvertrag, Sicherungsabrede, Sicherungstreuhand) . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bürgschaftsvertrag. Form. Sittenwidrigkeit . . . . . . . . 2. Bürgenschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rückgriff und Befreiungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besondere Arten der Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Patronatserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Garantievertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hauptarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsquellen des Versicherungsrechts . . . . . . . . . . . 4. Treu und Glauben im Versicherungsverhältnis . . . . . . . IV. Sicherungsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sicherungstreuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Interner Ausgleich bei mehreren Sicherungsgebern . . . . . . § 97 Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 98 Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . § 99 Anweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 100 Schuldverschreibung auf den Inhaber . . . . . . . . . . . . . . . . .

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14. Abschnitt Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick § 101 Gemeinsame Grundlagen und Unterscheidung von ungerechtfertigter Bereicherung und unerlaubter Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stellung im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Unrecht der ungerechtfertigten Bereicherung und das Unrecht der unerlaubten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die verschiedenen Schuldinhalte der Bereicherungsansprüche einerseits und der Deliktsansprüche andererseits . . . . . . . . . . . . 2. Eine Folgerung: Die unterschiedliche Bedeutung von „Unrecht“ in den Gebieten der ungerechtfertigten Bereicherung und der unerlaubten Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die rechtstechnische Durchführung des Bestands- und Freiheitsschutzes durch Zuerkennung absoluter und relativer Rechte sowie durch Schutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXX

689 689 691 691 691 693 702 703

Inhaltsverzeichnis

15. Abschnitt Ungerechtfertigte Bereicherung § 102 Grundgedanken und gesetzlicher Aufbau des Bereicherungsrechts . . . . . . I. Grundzüge des Bereicherungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundgedanken der gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . 2. Die bereicherungsrechtlichen Theorien . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Einteilung der Bereicherungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . 1. Der gesetzliche Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Systematik der Bereicherungsansprüche . . . . . . . . . . . . § 103 Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen . . . I. Die Leistungskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen des Anspruchs nach § 812 I 1 Alt. 1 („indebiti“) 2. Die Voraussetzungen des Anspruchs nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 813 I 1 3. Voraussetzungen des Anspruchs nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 812 II . . 4. Die condictio ob causam finitam bei späterem Wegfall des Rechtsgrundes § 812 I 2 Alt. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die condictio ob rem = condictio causa data causa non secuta bei Nichterreichen des bezweckten Erfolges, § 812 I 2 Alt. 2 . . . . . 6. Die condictio ob iniustam vel turpem causam wegen gesetzes- oder sittenwidrigen Leistungsempfangs, § 817 S. 1, 819 II . . . . . . . . II. Die Nichtleistungskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Eingriffskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rückgriffskondiktion als Fall der Drittvermögenskondiktion 3. Die Drittempfängerkondiktion als Fall der Drittvermögenskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Verwendungskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Durchgriffskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die allgemeine Vermögenskondiktion (offene Nichtleistungskondiktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 104 Rechtsfolgen des Bereicherungsanspruchs. Der Gegenstand der Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Herausgabe des Erlangten, §§ 812 I 1, 818 I . . . . . . . . . . . . . . . II. Nutzungen, § 818 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das aufgrund eines Rechts Erlangte, § 818 I . . . . . . . . . . . . . . IV. Das als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung Erlangte, § 818 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wertersatz, wenn der Bereicherte das Erlangte wegen seiner Beschaffenheit oder aus einem sonstigen Grund nicht oder nicht mehr herausgeben kann, § 818 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Begrenzung des Anspruchs durch Wegfall der Bereicherung, § 818 III 1. Die grundsätzliche Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem der Ersparnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Problem der aufgedrängten Bereicherung . . . . . . . . . . . 4. Die Saldotheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufwendungen des Bereicherungsschuldners auf die herauszugebende Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die verschärfte Haftung nach Rechtshängigkeit und bei Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes, §§ 818 IV, 819, 820, 292, 987 ff . . .

703 704 704 704 705 705 706 708 709 709 714 715 715 716 718 721 721 727 731 732 733 737 739 739 740 740 740 740 741 742 742 743 743 745 745

XXXI

Inhaltsverzeichnis

§ 105 Fortsetzung: Der Verpflichtete. Die Bereicherungseinrede. Konkurrenzen I. Der Verpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bereicherungseinrede, § 821 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

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747 747 747 747 747

§ 106 Übersicht. Der Handlungsbegriff. Verhältnis zu den vertraglichen Ansprüchen, zur ungerechtfertigten Bereicherung und zum EigentümerBesitzer-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

749

16. Abschnitt Unerlaubte Handlung

1. Unterabschnitt Die Tatbestände der unerlaubten Handlung I. Die Verletzungshandlung A. Die Verschuldenshaftung 1. Die allgemeinen Deliktstatbestände § 107 Eingriffsdelikte, 823 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingriffe in absolute Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Körper, Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigentum, insb. Sacheinwirkung, „Fresserfälle“ und Eingriffe in die Gebrauchsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonstige Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Keine „sonstigen Rechte“ sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eingriffe in Rahmenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Recht am Unternehmen. Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht 2. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eingriffe durch Verletzung einer Verkehrspflicht . . . . . . . . . . . . IV. Produzentenhaftung (einschl. Produkthaftungsgesetz) . . . . . . . . . 1. Terminologie und Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftliche Bedeutung und rechtliche Einordnung . . . . . . 3. Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausreißer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sogenannte „weiterfressende Schäden“ . . . . . . . . . . . . . . 7. Anspruchsberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Haftungsmilderung und -ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Freizeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Ansprüche neben § 823 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG) . . . . . . 14. Prüfungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXII

757 759 760 760 762 762 764 766 766 767 775 778 781 781 781 783 784 785 786 786 787 787 788 788 789 789 792

Inhaltsverzeichnis

§ 108 Schutzgesetze, 823 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wesen und Bedeutung der deliktischen Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Weg vom Schutzgesetz zur Schadensersatznorm . . . . . . . III. Besondere Fragen der Schutzdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . § 109 Sittenwidrige Vermögensschädigung, 826 . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Voraussetzungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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792

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792 794 795 796 796 797 798

§ 110 Kreditgefährdung, Verletzung der Geschlechtsehre, Gebäudehaftung, Amtspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kredit- und Erwerbsgefährdung, § 824 . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestimmung zu sexuellen Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . III. Haftung für die von Gebäuden ausgehenden Schäden, §§ 836–838 IV. Amtshaftung, § 839; Art 34 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.Eigenhaftung und Staatshaftung im hoheitlichen Bereich . . . . . . . . . I. Voraussetzungen der Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Welche Körperschaft haftet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rückgriff gegen den Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.Eigenhaftung und Staatshaftung im nichthoheitlichen Bereich . . . . . . I. Eigenhaftung des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatshaftung im nichthoheitlichen Bereich . . . . . . . . . . . .

799 799 800 800 800 801 802 804 805 805 805 805 805 806

2. Die besonderen Deliktstatbestände

3. Haftung für unerlaubte Handlung anderer § 111 Verrichtungsgehilfe, Haftung in Großbetrieben, Haftung für Aufsichtsbedürftige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Haftung für Verrichtungsgehilfen, § 831 . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Voraussetzungen der Haftung für den Verrichtungsgehilfen II. Haftung der Unternehmer bestimmter Anlagen und Großbetriebe ohne Verschulden für Aufsichtspersonen, §§ 2, 3 HaftpflG . . . . . III. Haftung für Aufsichtsbedürftige, § 832 . . . . . . . . . . . . . . . . § 112 Mehrere Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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807 807 807 809

. . .

812 812 813

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816 818 818 820 821 821

B. Die Gefährdungshaftung § 113 Tierhaftung, Verkehrshaftpflichtgesetze; Kfz-Haftung, Energiehaftung, Haftung für Gewässerschäden, Arzneimittelhaftung, Ersatzpflicht aus Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Tierhalterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verkehrshaftpflichtgesetze. Kfz-Haftung . . . . . . . . . . . III. Die Energiehaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftung für Gewässerschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umwelthaftungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXXIII

Inhaltsverzeichnis

VI. Arzneimittelhaftung und Gentechnikrecht . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ersatzpflicht aus Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . .

823 823

C. Die Billigkeitshaftung § 114

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

823

II. Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen § 115 Schaden, Verursachung, Rechtswidrigkeit, Verschulden I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verursachung (Kausalität) . . . . . . . . . . . . IV. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schuld (soweit Verschuldenshaftung besteht) . .

. . . . . .

824 825 825 825 826 826

§ 116 Erlaubte, aber zu Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtende Eingriffe in fremde Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

827

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2. Unterabschnitt

3. Unterabschnitt § 117 Die Rechtsfolgen unerlaubter und erlaubter, aber zu Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtender Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten bei Sachentziehungen und -beschädigungen . . . III. Besonderheiten bei Personenverletzungen . . . . . . . . . . . . . IV. Ansprüche mittelbar Geschädigter . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Immaterieller Schaden („Schmerzensgeld“) . . . . . . . . . . . . VI. Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Aufrechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

829 829 829 830 830 830 831 831 832

§ 118 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch. Gruppenklage, Verbandsklage . .

832

4. Unterabschnitt

17. Abschnitt Räumliche und zeitliche Bezüge des Schuldrechts § 119 Der räumliche Bezug des Schuldrechts: Hauptprobleme des deutschen internationalen Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsquellen des IPR, insbesondere das Schuldrecht betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinheitlichung des materiellen Kaufrechts . . . . . . . . 3. Verbraucherschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Andere Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXIV

. . . . . .

834 834

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834 835 835 835 835

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Inhaltsverzeichnis

II. Das auf Verträge anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustandekommen des Vertrages und materielle Wirksamkeit . . . 2. Bestimmung des auf den Vertrag anzuwendenden Rechts durch Parteiwillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Engste Verbindung des Vertrags mit dem Recht eines Staates . . . 4. Erfüllungsort als Notanker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonderanknüpfungen nach Art. 29 und 30 EGBGB . . . . . . . . 6. Zwingende Vorschriften im Sinne von Art. 34 EGBGB . . . . . . 7. Inhalt, Erlöschen, Leistungsstörungen und Beweisprobleme . . . 8. Übertragung der Forderung. Gesetzlicher Forderungsübergang . 9. Rück- und Weiterverweisung. Rechtsspaltung . . . . . . . . . . . III. Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ungerechtfertigte Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leistungskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nichtleistungskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Unerlaubte Handlung und Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . § 120 Der zeitliche Bezug des Schuldrechts: Zur Geschichte des deutschen Schuldrechts. Reformvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Römisch- und deutschrechtliche Wurzeln des Schuldrechts. Zusammenhang mit dem Rechtsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Primat des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vertragsfreiheit, Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bemerkungen und Literaturhinweise zur neueren Systemgeschichte . VI. Schuldrecht im Einigungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Entwicklung des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schuldrechtsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

835 835 836 837 837 837 838 838 838 838 839 839 839 839 839 841 841 842 842 843 845 845 845 845 846

Anhang Verzeichnis der Gesetzesstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

847 865

XXXV

Abkürzungsverzeichnis (Die abgekürzt zitierte Schuldrechtsliteratur findet sich in § 3) a. M. a. A. a. E. a. F. aaO ABGB ABl abl. Abt. AbzG AcP ADSp AEG AG AG AGB AGBG AHGB AIZ AJCL AJP/PJA AK AktG allg. M. Alt. AMG Ang. Anm. AnwBl. AO AÖR AP APR ArbuR ArchBürgR arg. ARS Art.

anderer Meinung anderer Ansicht; oder: am Anfang am Ende alter Fassung am angeführten Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt ablehnend Abteilung Gesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte v. 16.5.1894 Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Allgemeines Eisenbahngesetz Aktiengesellschaft Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (Vorgänger des HGB) Allgemeine Immobilienzeitung American Journal of Comparative Law Aktuelle Juristische Praxis Alternativkommentar Aktiengesetz allgemeine Meinung Alternative Arzneimittelgesetz Angaben Anmerkung Anwaltsblatt, Nachrichten für die Mitglieder des deutschen Anwaltsvereins Abgabenordnung Archiv für öffentliches Recht Arbeitsrechtliche Praxis Allgemeines Persönlichkeitsrecht Arbeit und Recht Archiv für bürgerliches Recht Argument aus Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte Artikel

XXXVII

Abkürzungsverzeichnis

ArztR AT AtomG Aufl. AuR AuslInvestmG AWD

Arztrecht Allgemeiner Teil Atomgesetz Auflage Arbeit und Recht Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters

BAG BayObLG BAnz. BauR BB BBauG Bd. BBeamtG BBiG Beih. best. betr. BetrVerfG BeurkG BFH BFHE BG BGB BGB-InfoV BGBl. BGE BGH BGHSt. BGHZ BImSchG BjagdG BörsG BPersVG BRAO BT BT-Drs. BürgR BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVG bzw.

Bundesarbeitsgericht Bayrisches Oberstes Landesgericht Bundesanzeiger Baurecht Der Betriebsberater Bundesbaugesetz Band Bundesbeamtengesetz Berufsbildungsgesetz Beiheft bestätigt betreffend Betriebsverfassungsgesetz vom 11.10.1952 Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch BGB-Informationsverordnung Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesgerichts (Schweiz) Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Strafsachen Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen Bundesimmissionsschutzgesetz Bundesjagdgesetz Börsengesetz Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesrechtsanwaltsordnung Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bürgerliches Recht Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgericht, Entscheidungen Bundesverwaltungsgericht Bundesverwaltungsgericht, Entscheidungen Betriebsverfassungsgesetz beziehungsweise

c. i. c.

culpa in contrahendo

XXXVIII

Abkürzungsverzeichnis

c. c. CISG CR

Code Civil UN-Kaufrecht Computer und Recht

D d. h. DAR DArbR DB DEMV dergl. ders. DGWR DiskE Diss. DJ DJT DJZ DNotZ DÖV DR DRiZ DRWiss. DStR dt. DtZ DVBl. DVO

Digesten das heißt Deutsches Autorecht Deutsches Arbeitsrecht Der Betrieb Deutscher Einheitsmietvertrag dergleichen derselbe Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht Diskussionsentwurf Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Deutsche Notarzeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtswissenschaft Deutsches Steuerrecht deutsch Deutsch-deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung

EEA EFZG EG EGBGB EhrenbergsHb. Einf. Einl. EinlPrALR

Einheitliche Europäische Akte Entgeltfortzahlungsgesetz Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Ehrenbergs Handbuch Einführung Einleitung Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Enneccerus/Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bde I/1 (15. Bearbeitung 1959); I/2 (15. Bearbeitung 1960) Energiewirtschaftsgesetz Erbbaurechtsverordnung Entscheidungssammlung für junge Juristen Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Europarecht Römisches EG-Übereinkommen über das auf schuldrechtliche Geschäfte anzuwendende Recht Europawahlgesetz

Enn./Nipp. EnWiG ErbbauVO ESJ EuGH EuGVÜ EuR EuSchVÜ EuWG

XXXIX

Abkürzungsverzeichnis

EuZW EVO EWiR EWIV

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Eisenbahnverkehrsordnung Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessengemeinschaft

f ff FamRZ

für folgende fortfolgende Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht (Zeitschr.) FernUSG Fernunterrichtsschutzgesetz FG Festgabe Fikentscher, Fikentscher, Wolfgang, Die Geschäftsgrundlage als Frage Geschäftsgrundlage des Vertragsrisikos, 1970 Fikentscher, Fikentscher, Wolfgang, Methoden des Rechts in vergleichender Methoden Darstellung, Bde I–V (1975–77) Fikentscher, Modes of Thought, A Study in the Anthropology of Law and Modes of Thought Religion (1995) Fikentscher, Fikentscher, Wolfgang, Wirtschaftsrecht, Bde I, II (1983) Wirtschaftsrecht FLF Finanzierung, Leasing, Factoring Flume AT Flume, Werner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bde I/1 (1977); I/2 (1983); II (1965, 3. Aufl. 1979) Fn Fußnote FS Festschrift GBO GbR GebrMG gem. GenG GenTG GenTSV GewO GG GKG GmbH GmbHG GOA GoA GPR GPSG GrdstVG Gruchot GrundE GRUR GS GüKG

XL

Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz Gemäß Genossenschaftsgesetz Gentechnikgesetz Gentechniksicherheitsverordnung Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gebührenordnung der Architekten Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Gesetz über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte (Geräte- und Produktsicherheitsgesetz) Grundstückverkehrsgesetz Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Das Grundeigentum (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Güterkraftverkehrsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

GVG GWB GZS

Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Großer Senat in Zivilsachen

h. L. h. M. HaftPflG Halbs. HandwO HausratsV HausTWG HdWbdR, HdwbRW HGB Hirths Ann. HK HOAI HöfeO Hrsg.

herrschende Lehre herrschende Meinung Haftpflichtgesetz Halbsatz Handwerksordnung Hausratsverordnung Haustürwiderrufsgesetz Handwörterbuch der Rechtswissenschaft

i. H. v. i. d. F. i. d. R. i. e. S. IG i. S. d. i. S. v. i. ü. i.V. m. i. w. S. IherJb. insb. InsO IPR IPRax

in Höhe von in der Fassung in der Regel im engeren Sinne Interessengemeinschaft im Sinne des im Sinne von im übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts insbesondere Insolvenzordnung Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts

JA JbAKDR JBl. JR JugendarbeitsschutzG Jura JurAnal. JurBl.= JBl JurFak. JuS Justizbl. JW

Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht Juristische Blätter (Österreich) Juristische Rundschau Jugendarbeitsschutzgesetz Juristische Ausbildung Juristische Analysen Juristische Blätter, s.o. Juristische Fakultät Juristische Schulung Justizblatt Juristische Wochenschrift

Handelsgesetzbuch Hirths Annalen Handkommentar Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Höfeordnung Herausgeber

XLI

Abkürzungsverzeichnis

JZ

Juristenzeitung

KAGG KO KOM krit. KTS KUG

Kapitalanlagegesellschaften-Gesetz Konkursordnung Kommissionsdokument(e) kritisch Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (Kunsturheberrechtsgesetz) Kraftverkehrsordnung für den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen

KVO LAG LG LM LQR LuftVG LZ

Landesarbeitsgericht Landgericht Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Law Quarterly Review Luftverkehrsgesetz Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

m. m. w. A. m. w. N. MarkenG MDR MDStV MedR MHG Mitt. MPI MSchG MünchKomm/MüKo MutterschG/MuSchG MuW m. w. N.

mit mit weiteren Angaben mit weiteren Nachweisen Markengesetz Monatsschrift für Deutsches Recht Mediendienste-Staatsvertrag Medizinrecht Art. 3 des WoRKSchG Mitteilungen Max-Planck-Institut Mieterschutzgesetz Münchener Kommentar Mutterschutzgesetz Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen

n. F. NachwG NJW NJW-RR Nr. NZA NZV

neue Fassung Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport Nummer Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Versicherungsrecht

o. o. A. o. ä. obj.

oben ohne Angabe des Verfassers oder ähnliches objektiv

XLII

Abkürzungsverzeichnis

OGH OGHZ OHG ÖJZ OLG OR ÖZBl.

Oberster Gerichtshof für die Britische Besatzungszone Oberster Gerichtshof für die Britische Besatzungszone, Entscheidungen offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Obligationenrecht (Schweiz) Österreichisches Zentralblatt für die juristische Praxis

PatG PaPkG PersBefG PflVersG PHG PrALR Prot. pVV

Patentgesetz Preisangaben- und Preisklauselgesetz Personenbeförderungsgesetz Pflichtversicherungsgesetz Produkthaftungsgesetz Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Protokoll positive Vertragsverletzung

R RabelsZ

Richtlinie Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Reichsabgabenordnung Reichsarbeitsgericht Recht am Unternehmen Recht der Arbeit Rivista di Diritto Commerciale Recht der Jugend Randnummer Recht der Wirtschaft Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar Reichsgericht, Entscheidungen in Strafsachen Reichsgericht, Entscheidungen in Zivilsachen Reichshaftpflichtgesetz (jetzt: HaftPflG) Richtlinie Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Reichsleistungsgesetz Reichsoberhandelsgericht Rechtsreport Rechtssache Rechtsprechung Rechtstheorie (Zeitschrift) Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Rechtsvergleichendes Handwörterbuch Reichsversicherungsordnung

RAbgO RAG RaU RdA RDirComm RdJ Rdn. RdW RG RGBl. RGRK RGSt. RGZ RHpflG RiLi RIW/AWD RLG ROHG RR Rs. Rspr. Rth RVG RvglHWB RVO

XLIII

Abkürzungsverzeichnis

s. S. s. o. s. u. SAE SavZ rom. Abt. ScheckG SchwerbehG SeuffA SeuffBl. SGB SJZ Slg. SMG SozArbR SozPr. st. Rspr. StGB StPO str. StVG StVO StVZO subj.

siehe Seite siehe oben siehe unten Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Savigny-Zeitschrift, romanistische Abteilung Scheckgesetz Schwerbehindertengesetz Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Landen Seufferts Blätter für Rechtsanwendung Sozialgesetzbuch Süddeutsche Juristenzeitung Sammlung Schuldrechtsmodernisierungsgesetz Zeitschrift für Sozial- und Arbeitsrecht (öst.) Soziale Praxis ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch Strafprozessordnung strittig Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung subjektiv

TDG TVG Tz TzBfG

Teledienstgesetz Tarifvertragsgesetz Textzahl Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge

u. u. a. u. ä. u. ä. m. ueH u. U. UFITA UklaG UmweltHG UrhG usf. usw. UWG

und/unten unter anderem und ähnliches und ähnliches mehr unerlaubte Handlungen unter Umständen Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Unterlassungsklagengesetz Umwelthaftungsgesetz Urheberrechtsgesetz und so fort und so weiter Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

v. VerbrkrG VerglO VerlG

vom, von Verbraucherkreditgesetz Vergleichsordnung Gesetz über das Verlagsrecht

XLIV

Abkürzungsverzeichnis

VersPrax VersR VerwR VEV vgl. VO VOB/A Vorb./Vorbem. VP VRS VVG VwVfG WährG WarnRspr., RG Warn. WBl

Versicherungspraxis Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland verlängerter Eigentumsvorbehalt vergleiche Verordnung Verdingungsordnung für Bauleisten Teil A Vorbemerkung Verkehrspflicht Verkehrsrechts-Sammlung Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsverfahrensgesetz Währungsgesetz Warneyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

WM (oder WPM) WoVermG WobauG WoBindG WoRKSchG WpHG WPR WpÜG WRV WuW

Wirtschaftsrechtliche Blätter (Beilage zu den Juristischen Blättern = JBl) Wechselgesetz Wohnungseigentumsgesetz Wasserhaushaltsgesetz Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts Wirtschaftsrechtliche Beratung Gesetzblatt der Verwaltung des vereinigten Wirtschaftsgebietes Wertpapier-Mitteilungen Wohnvermittlungsgesetz Wohnungsbaugesetz, Wohnungsbindungsgesetz 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht Wertpapiererwerbs- und -übernahmegesetz Weimarer Reichsverfassung Wirtschaft und Wettbewerb

z. B. ZADR, ZAKDR ZBJV ZblHR ZEuP ZfA ZfRvgl ZfVerkR ZfVersW ZGB ZGR ZHR

zum Beispiel Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift des bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für das Verkehrsrecht Zeitschrift für Versicherungswissenschaft Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht

WechselG WEG WHG WiStrG WiB WiGBl.

XLV

Abkürzungsverzeichnis

Ziff. ZIP ZMR ZÖsterrR ZPO ZR ZRP ZSchweizR ZStW zust. zutr. ZVG ZZP

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Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (früher: und Insolvenzpraxis) Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für Österreichisches Recht Zivilprozessordnung Zivilrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft zustimmend zutreffend Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Zivilprozess

Einleitung §1 Rechtstechnische Aufgabe, Begriff, Stellung, rechtspolitische und rechtsdogmatische Grundgedanken des Schuldrechts I. Rechtstechnische Aufgabe des Schuldrechts A verlangt etwas von B. Der Jurist soll herausfinden, ob A im Recht ist. Rechtstechnisch drückt man das so aus: Es ist zu prüfen, ob A gegen B einen Anspruch hat, und wenn ja, worauf (z. B. auf eine Geldsumme) und woraus. Wer gegen wen, worauf und woraus, das sind die vier Gesichtspunkte, die bei jedem geltend gemachten Anspruch zu prüfen sind. Auf dem Gebiet des Privatrechts besteht die Hauptarbeit des Juristen in der Prüfung von Ansprüchen. Schuldrecht kommt ins Spiel bei der Prüfung des „woraus“. „Woraus“ bedeutet: Aus welcher Vorschrift des Rechts? Alle geltend gemachten Ansprüche bedürfen einer rechtlichen Grundlage. Ohne sie dürfen Ansprüche nicht zugesprochen werden. Derartige von der Rechtsordnung bereitgestellte Vorschriften zur Gewährung von Ansprüchen nennt man „Anspruchsgrundlagen“, „Anspruchsnormen“ oder einfach „Ansprüche“. Anspruchsnormen finden sich über das ganze Recht verstreut. Um sie aufzusuchen, geht der Jurist bei der Lösung jeden Falles zunächst von der Rechtsfolge der Ansprüche aus. Gewährt sie dem A, was er von B will? Dabei prüft man in Gedanken alle Rechtsgebiete durch: Das Privatrecht, das Strafrecht, das öffentliche Recht; innerhalb des Privatrechts das Zivilrecht und die übrigen Gebiete des Privatrechts (z. B. Handelsrecht); innerhalb des Zivilrechts die im BGB geregelten und die nicht im BGB geregelten Materien; und schließlich im BGB dessen fünf Bücher, von denen das zweite, das „Schuldrecht“, besonders viele und bedeutsame Anspruchsnormen (z. B. § 280 I, II – Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung) und deren in sog. Zusatznormen geregelten Voraussetzungen (z. B. § 286 – Voraussetzungen des Verzugs) enthält.1 Somit ist das Schuldrecht eine besonders wichtige Quelle für die Beurteilung geltend gemachter Ansprüche.

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II. Begriff des Schuldrechts 1. Das Schuldrecht ist ein Teil der Privatrechtsordnung. Es ist das Recht der Beziehungen zwischen Personen, kraft deren der eine (Gläubiger, Berechtigter) von dem anderen (Schuldner, Verpflichteter) eine Leistung verlangen kann, die im Allgemeinen dem rechtsgeschäftlich-wirtschaftlichen Lebensbereich zugehört.

1 Außer Anspruchs- und Zusatznormen gibt es im Recht noch Definitionsnormen (z. B. § 90) und rein rechtstechnische Normen (wie z. B. Verweisungen).

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§ 1 II

Einleitung

2. Etwas schuldig sein heißt: Einem andern etwas geben müssen, was ihm nach den Regeln des Rechts zusteht. In diesem Sinne ist das gesamte Recht Schuld-Recht; denn das Recht hat dafür zu sorgen, dass jedem das Seine zukommt. Das Schuldrecht im eigentlichen Sinne ist aber nur ein kleiner, wenn auch besonders wichtiger Teil der Gesamtrechtsordnung. Nur mit dem Schuldrecht im eigentlichen Sinne beschäftigt sich dieses Buch. 3. Das Schuldrecht regelt die Beziehungen von Person zu Person, z. B. zwischen Käufer und Verkäufer, Mieter und Vermieter, Gesellschafter und Mitgesellschafter, Dienstverpflichtetem und Dienstherrn. Im Unterschied dazu ordnet das Sachenrecht die Rechtsbeziehungen zwischen einer Person und einer Sache. Rechtsbeziehungen zu einer anderen Person entstehen dort in der Regel nicht unmittelbar, sondern mittelbar auf dem Umweg über eine Sache, z. B. in §§ 985ff.2 Sachenrechte sind absoluter Natur, d. h., sie entfalten ihre Wirkungen gegen jedermann. So kann der Eigentümer von jedem Besitzer die Rückgabe der Sache und von jedem Störer die Beseitigung der Störung seines Eigentums verlangen, 985, 1004. Schuldrechtliche Beziehungen sind dagegen relativ, d. h., sie wirken nur zwischen Gläubiger und Schuldner, 241. Sachenrechte sind also stärker und umfassender wirksam als Schuldrechte. Ein Unternehmer, der seinem Konkurrenten Arbeitnehmer abwirbt, indem er ihnen höheren Lohn bietet, verletzt nicht die Dienstverträge dieser Arbeitnehmer mit dem Konkurrenten, 611 ff.3 – Nimmt dagegen der Unternehmer seinem Konkurrenten unerlaubt Maschinen weg, so verletzt er das Eigentumsrecht des Konkurrenten, 985, 992, 823 ff.

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4. Der wichtigste Begriff des Schuldrechts ist das Schuldverhältnis (im engeren Sinne). Es besteht in einer Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner auf eine Leistung, 241 I 1.4 Die geschuldete Leistung ist meist wirtschaftlicher Art, wobei häufig (aber nicht immer) ein Rechtsgeschäft zur Erbringung der Leistung nötig ist: z. B. Darlehensrückzahlung, 488 I 2; der Käufer schuldet die Zahlung des Kaufpreises, 433 II; der Verkäufer die Übereignung einer Sache, 433 I; der Schädiger die Zahlung von Schadenersatz, 823 ff; der Gesellschafter die Leistung von Beiträgen, 705.

Es handelt sich also um Vorgänge des Wirtschafts- und Geschäftslebens, die das Schuldrecht regelt. Auch in anderen Rechtsgebieten finden sich Ansprüche wirtschaftlicher Art: Schadensersatzanspruch des Anfechtungsgegners, 122; Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung zur Verwirklichung des Hypothekenrechts, 1147; Anspruch des Ehegatten auf Familienunterhalt, 1360; Herausgabeanspruch des wahren gegen den falschen Erben, 2018.

Doch liegt das Schwergewicht der Ansprüche des täglichen Wirtschaftslebens eindeutig im Schuldrecht. Ansprüche auf Zahlungen, z. B. §§ 433 II, 488 I 2; auf Warenlieferungen, z. B. § 433 I 1.

Manchmal wird auch nur eine tatsächliche Handlung geschuldet. Beseitigung eines Sachmangels beim Werkvertrag, 634 Nr. 1, 635; Leistung von Diensten beim Dienstvertrag, 611; auch die im Schuldrecht so häufig geschuldeten Besitzeinräumungen und Besitzübergaben sind als solche keine Rechtsgeschäfte: Einräumung z. B. bei Miete, 535; Rückgabe der entliehenen oder verwahrten Sache, 604, 695.

2 §§ ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des BGB. Die §§-Zeichen finden sich nur im fortlaufenden Text, nicht dagegen am Satzende, wo sie als Beleg für das Gesagte dienen. 3 Näher zur Relativität einer Forderung, zum Vertragsbruch und der Verleitung dazu unten in § 14. 4 Näher zur Terminologie des Schuldverhältnisses unten § 6.

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Aufgabe, Begriff, Stellung, Grundgedanken

§ 1 III

III. Stellung des Schuldrechts im Rahmen der Rechtsordnung 1. Von den fünf Büchern des BGB umspannt das Schuldrecht sachlich die meisten Lebensbereiche. Das Schuldrecht stellt die Rechtsregeln bereit, die zum Austausch von Vermögensgegenständen und zum Ausgleich von Benachteiligungen und Schäden benötigt werden. Das Schuldrecht dient also, neben allgemeinen Ordnungsinteressen, zur Befriedigung persönlicher Interessen in der Welt der Güter und des Geldes. Das Sachenrecht regelt die Rechte der Person an den sie umgebenden Sachen, das Familienrecht die Beziehungen zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern, das Erbrecht die Folgen des Todes einer Person. Der allgemeine Teil des BGB enthält „vor die Klammer gezogene“ Regeln für das Schuld-, Sachen-, Familien- und Erbrecht, ferner das Personenrecht. Dabei liegt das Gemeinsame und Kennzeichnende des Schuldrechts vor allem in der Rechtsfolge: Dem schuldrechtlichen Anspruch. Woraus sich ein solcher Anspruch ergibt, wird im Schuldrecht einzeln bestimmt, dazu u. § 17. Neben der Entstehung gehören Inhalt, Veränderung, Untergang und Störung dieser Ansprüche in den Bereich des Schuldrechts.

2. Die Beziehungen des Schuldrechts zu den anderen Rechtsgebieten lassen sich wie folgt kennzeichnen: a) Das Verhältnis zum Allgemeinen Teil des BGB besteht darin, dass die Tatbestandsvoraussetzungen schuldrechtlicher Ansprüche fast immer von Regeln des Allgemeinen Teils beeinflusst werden. Für die vier möglichen Arten der Anspruchsbeeinflussung je ein Beispiel: Vertragsabschluss, 145ff (Anspruchsbegründung); Einfluss der Minderjährigkeit auf einen Vertrag, 107 ff (Anspruchshinderung); Verjährung eines Kaufpreisanspruchs, 433 II, 194, 195 (Leistungsverweigerungsrecht, 214); Vernichtung eines Kaufvertrags durch Irrtumsanfechtung, 433, 119, 142 (Anspruchsvernichtung). b) Damit Sachenrechte (z. B. Eigentum, Hypothek) begründet oder von einer Person auf eine andere bleibend übertragen werden können, bedarf es in der Regel zuvor schuldrechtlicher Verpflichtungen (vgl. § 433 und § 929). Zwar sind sachenrechtliche Verfügungen vermöge ihrer abstrakten Natur auch ohne vorangegangene schuldrechtliche Verpflichtung wirksam. Doch ist derjenige, an den ohne schuldrechtliche Verpflichtung verfügt wird, in der Regel um das erworbene Sachenrecht ungerechtfertigt bereichert und zur Rückübertragung verpflichtet, 812 I 1.5 Während also das Sachenrecht die endgültige Zuordnung einer Sache in den Vermögensbereich einer Person regelt, bereitet das Schuldrecht diese Zuordnung durch Verpflichtungsgeschäfte vor und rechtfertigt sie für Gegenwart und Zukunft. Eine Forderung kann ein Recht „auf“ eine Sache geben (z. B. § 433 I 1). Ein dingliches Recht ist ein Recht „an“ einer Sache. Das Verpflichtungsgeschäft ist zugleich der Rechtsgrund (causa) im Sinne der §§ 812 ff für die sachenrechtliche Güterverschiebung. Sachenrechtliche und schuldrechtliche Ansprüche können in der Regel nebeneinander geltend gemacht werden (h. M., s. aber u. Rdn. 1545ff): Der Verleiher verlangt nach Ablauf der Leihe vom Entleiher die verliehene Sache nach § 604 I und § 985 zurück. Man hat versucht, die scharfe begriffliche Trennung zu überbrücken, die nach geltendem Recht zwischen den absoluten, d. h. gegen alle wirkenden Sachenrechten, und den relativen, d. h. in ihrer Wirkung auf Gläubiger und Schuldner beschränkten Forderungsrechten besteht, vgl. Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, 1951; Heck, § 112; Löning, Die Grundstücksmiete als dingliches Recht, 1930; Canaris, FS Flume, Bd. I, 1978, 371; Weitnauer, (II.) FS Larenz, 1983, 705. Ähnliche Bemühungen zielen darauf ab, die Grenzen zwischen Forderungs- und dinglichen Rechten anders zu ziehen: Wieacker, Die Forderung als Mittel und Gegenstand der Vermögenszuordnung,

5 Näheres zu den rechtsgrundlosen Verfügungen unten § 102.

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§ 1 III

Einleitung

DRW 1941, 49; ders., Zum System des deutschen Vermögensrechts, 1941; ders., AcP 148 (1943) 57. Aber das Gesetz hat Gründe, diesen Unterschied zu machen. Zahlreiche Rechtseinrichtungen, z. B. der Eigentumsvorbehalt, die Hypothek, das Pfandrecht und viele andere Sicherungsrechte lassen sich gerade wegen der Trennung dinglicher und obligatorischer Rechte leichter deuten und handhaben. Der rechtspolitisch erforderliche Schutz des Mieters gegenüber dem Eigentümer lässt sich schuldvertraglich verwirklichen und bedarf keiner „Verdinglichung“, vgl. dazu MünchKomm/Schilling Einl. vor § 535 Rdn. 6 f; Canaris, aaO, 393 ff; Weitnauer, aaO, 711f; Otte, FS Wieacker, 1978, 463 ff. Eigenartige Schnittpunkte des Schuld- und Sachenrechts sind: Die „Verdinglichung“ obligatorischer Ansprüche in §§ 546 II, 604 IV, 566; die dingliche Sicherung obligatorischer Ansprüche durch die Vormerkung in §§ 883 und 1098 II, ferner durch einstweilige Verfügung, 935 ZPO i. V. m. 136 BGB; die Einwirkung Dritter auf eine Forderung gem. §§ 407, 408, 793 I 2, 807, 808 BGB (Verkehrsschutz); der Schutz des mittelbaren Besitzers gem. § 771 ZPO bei beweglichen Sachen; die übrigen Fälle dinglichen Schutzes obligatorischer Rechte durch Besitzvorschriften, 1007, 823 I. Es handelt sich um fünf verschiedenartige Gruppen von Sondervorschriften, die einer Verallgemeinerung de lege lata nicht ohne weiteres zugänglich sind. So wäre es insb. verfehlt, aus diesen Bestimmungen herauszulesen, die schuldrechtliche Forderung gewähre ein Herrschaftsrecht an der Person des Schuldners, an den Handlungen des Schuldners oder am Leistungsgegenstand, oder ein Abwehrrecht gegen Dritte (ius ad rem des Pr. ALR). Doch folgt aus diesen Bestimmungen immerhin, dass die Innehabung einer Forderung (Gläubigerschaft) in einem gewissen Umfang deliktischen Schutz genießen muss, bestr.; vgl. z. B. MünchKomm/Kramer, Einl. vor § 241, Rdn. 26 und zum Streitstand Enneccerus/Lehmann § 1 II 1; Larenz I § 2 II; ferner Diederichsen, Das Recht zum Besitz aus Schuldverhältnissen, sowie unten Rdn. 1570 und Literatur-Angaben zu § 14.

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c) Auch das Familienrecht kennt Forderungsrechte, insb. Unterhaltsansprüche, 1360 ff, 1601 ff, 1754; Auseinandersetzungsansprüche, 1476, 1497; Zugewinnausgleich, 1378. Sie entspringen besonderen Familienbindungen, nicht allgemeinen Schuldbindungen. d) Ähnlich liegt es im Erbrecht. Dort finden sich Forderungsrechte, die ebensogut im Schuldrecht geregelt sein könnten, z. B. das Vermächtnis, 2147, 2174; Anspruch des wahren gegen den falschen Erben, 2018ff. Aber sachlich gehören diese Ansprüche zu den Regeln über das Schicksal des Vermögens im Todesfalle. Zu b)–d): Gewisse allgemeine Grundsätze des Schuldrechts beanspruchen aber auch in anderen Teilen der Rechtsordnung Beachtung. Die Geltung dieser allgemeinen Schuldrechtsgrundsätze im Sachen-, Familien- und Erbrecht ist aber teilweise unsicher. Der Satz von Treu und Glauben (242) gilt stets, er verdient allgemeine Achtung. Ebenso gilt Verzugsrecht in § 990 II, Zessionsrecht in § 931 und § 986. Im Sachenrecht unanwendbar ist § 285 auf den Eigentumsherausgabeanspruch; BGH NJW 68, 788 Anm. Reinicke; unten Rdn. 444. Im Familienrecht und Erbrecht sind Schuldrechtsgrundsätze überall anzuwenden, wo Vermögensinteressen auf dem Spiel stehen: Beispiele oben c) und d); nicht aber im persönlichen Bereich, z. B. 1353 I, 1632. e) Das Handelsrecht ist das Sonderrecht des Kaufmanns und als solches im Wesentlichen ein speziell geregelter Teil des Schuldrechts. Die Trennung hat historische Gründe und ist rechtspolitisch de lege ferenda nicht mehr vertretbar. Wo in einer Handelsrechtsfrage das HGB keine Sonderregelung enthält, gilt bürgerliches Recht (daher der Ausdruck „Sonderrecht“). Im Gutachten sind also beide Rechtsmassen zu berücksichtigen und entsprechend dem Sonderrechtscharakter darzustellen! Die handelsrechtlichen Besonderheiten, insb. im Recht der Handelsgeschäfte, werden daher im Folgenden jeweils angedeutet. Allgemein lassen sich die Besonderheiten des Handelsrechts gegenüber dem Schuldrecht auf drei Kategorien zurückführen: Der Handelsverkehr verlangt im Verhältnis zum bürgerlichen Recht (1) Spezialisierungen, die (a) entweder Vereinfachungen (Standardisierungen) oder (b) nähere Ausgestaltungen (Komplizierungen) bedeuten. Auch bedarf der Verkehr unter Kaufleuten weithin (2) anderer Risikoverteilungen, als das BGB sie vorsieht. Da durch (1) und (2) ein neuer Rechtskörper neben dem bürgerlichen Recht entsteht, braucht das Handelsrecht eine dritte Art von Normen, die sich mit der (3) Abgrenzung der Geltungsbereiche von bürgerlichem und Handelsrecht beschäftigen; zum Handelsrecht und zu seinem Verhältnis zum Zivilrecht vgl. insb. Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts,

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Aufgabe, Begriff, Stellung, Grundgedanken

§ 1 IV

1965; Schmidt, K., Das HGB und die Gegenwartsaufgaben des Handelsrechts, 1982; Bucher, FS Meier-Hayoz, 1972, 1; Wahl, FS Hefermehl, 1976, 1; Müller-Freienfels, FS v. Caemmerer, 1978, 583; Schwark, in Kindermann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, 11; Lehmann, M., Bürgerliches Recht und Handelsrecht, 1983; Schmidt, Karsten, Handelsrecht, § 1 II 1; Heinemann, FS Fikentscher, 1998, 349. f) Das Arbeitsrecht ist das Sonderrecht der in sozial abhängiger Stellung zu Dienstleistungen verpflichteten Personen und ihrer Dienstherren. Es ist darum ein Sonderbereich zum Recht des Dienstvertrags, 611ff. Die Trennung vom allgemeinen bürgerlichen Recht ist wegen der vielfach kollektivrechtlichen Besonderheiten des Arbeitsrechts (Tarifvertrag, Betriebsverfassung) berechtigt. g) Das Wirtschaftsrecht ist das Sonderrecht der „Wirtschaftspersonen“, ein Ausdruck, mit dem man die Träger von Rechten und Pflichten wirtschaftsrechtlicher Rechtsverhältnisse bezeichnen kann. Auch das Wirtschaftsrecht baut maßgeblich auf dem Schuldrecht auf (insb. Kauf- und Gesellschaftsrecht); näher Fikentscher, Wirtschaftsrecht § 1. h) Das Wertpapierrecht ist die Weiterentwicklung der in §§ 780, 781, 783ff, 793ff geregelten schuldrechtlichen Papiere (vgl. auch das Legitimationspapier Quittung, 368 ff). Im Wertpapierrecht gelten viele sachenrechtliche Grundsätze (z. B. verbreitet der Gutglaubensschutz). Es ist eine schwierige, auf der Grenze von Schuld- und Sachenrecht stehende Materie. i) Auch im öffentlichen Recht können schuldrechtliche Normen eine Rolle spielen. Die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Grundsätze ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, vgl. § 62 VwVfG. Grundsätzlich können diese herangezogen werden, wenn die öffentlich-rechtlichen Normen, insbesondere das VwVfG, die AO und das SGB, Lücken enthalten. Es ist jedoch immer die Eigenart des öffentlichen Rechts zu berücksichtigen. Beispielsweise kann der Vorrang öffentlicher Interessen und das Gebot der Rechtssicherheit dazu führen, dass der Grundsatz von Treu und Glauben, der im öffentlichen Recht entsprechend angewandt werden kann, zurücktreten muss, vgl. Forsthoff VerwR, § 9, 173; Wolff/Bachof, VerwR § 41 I c 2; BVerwG NJW 1974, 1260; 1974, 2250. Die Aufrechnungsvorschriften des BGB sind – soweit sie sich nicht auf bürgerlich-rechtliche Besonderheiten beziehen (§§ 393–395) – auch im Bereich des öffentlichen Rechtes anwendbar, BVerwGE 66, 218; dazu Schmidt, W., JuS 84, 28. Verträge sind dann dem öffentlichen Recht zuzurechnen, wenn sie einen der öffentlich-rechtlichen Regelung unterworfenen Sachverhalt betreffen und eine von der gesetzlichen Ordnung abweichende Verteilung öffentlich-rechtlicher Lasten und Pflichten vorsehen, 54 VwVfG; s. u. Rdn. 85; BGHZ 35, 69 im Anschluss an BGHZ 32, 214 und 34, 88. Nach BGHZ 4, 192, 195 ist die Beweislastumkehr bei Unmöglichkeit auf das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis entsprechend anzuwenden.

IV. Rechtspolitische und rechtsdogmatische Grundgedanken des Schuldrechts 1. Für die Personen im Rechtssinne stellt das Schuldrecht die Regeln bereit, mit deren Hilfe sie in eigener Verantwortung ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse decken und dabei über die Gradskala ihrer Bedürfnisse frei entscheiden können. Durch diese Betonung der Selbstverantwortlichkeit birgt das Schuldrecht einen sittlichen Gehalt, der nicht unterschätzt werden sollte. Ohne das Schuldrecht wäre eine Güterverteilung und -verschiebung unter Staatsbürgern und zwischen Staat und Bürgern nur durch den Einsatz einer alles vorausdenkenden Planungs- und Verteilungsbehörde denkbar. Marxistische Wirtschaftsordnungen haben dies versucht und sind damit gescheitert. 2. Unter den rechtsdogmatischen Grundgedanken des deutschen Schuldrechts sind hervorzuheben: a) Gläubiger und Schuldner sollen grundsätzlich rechtlich und wirtschaftlich in gleichem Maß geschützt werden. Das Gesetz ergreift für keinen der beiden Partei, vgl. 254, 264, 274, 320, 322, 348, 387, 426, 705, 706, 723, 742 (anders J. W. Hedemann, Das bürgerliche Recht und die neue Zeit, 8 f, der im BGB eine allgemein schuldnerfreundliche Haltung zu erkennen glaubt). Der Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 gilt auch zu Lasten des Gläubigers (allgemeine Meinung): Der Schuldner muss nach Treu und Glauben leisten, der Gläubiger darf nur nach Treu und Glauben fordern. Dage-

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§ 1 IV

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Einleitung

gen ist vom Schuldrecht zu fordern, dass es den typischerweise Schwächeren (Schuldner oder Gläubiger) zu schützen hat.6 b) Der Schuldner muss also die Leistung so erbringen, und der Gläubiger darf sie nur so fordern, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es verlangen, 242. Darauf baut sich der Grundsatz der Angemessenheit (Philipp Heck) auf, der besagt, dass das Schuldrecht bestrebt ist, allen Beteiligten unter Berücksichtigung der häufig gegenläufigen Interessen das ihnen Gebührende in angemessener Weise zukommen zu lassen. c) Forderungsrechte wirken relativ. Sie berechtigen nur den Gläubiger. Sie binden nur den Schuldner. Für Dritte sind sie unbeachtlich (Ausnahmen 546 II, 566 ff, 604 IV, 826), näheres dazu unten § 14. Die Forderung ist auf eine Leistung gerichtet. Sie muss sachlich begrenzt und bestimmbar sein, unten Rdn. 45. d) Schulden sind grundsätzlich Holschulden, d. h., der Gläubiger muss sich die Leistung abholen, 269. Ausnahmen müssen vereinbart werden oder aus den Umständen hervorgehen. Außerdem kennt das Gesetz Ausnahmen: 261, 270, 447, 697, 700, 811; 36 VVG; Art. 4, 38, 75, 77 WechselG; 28, 29 ScheckG. e) Es gibt Verträge zugunsten, nicht aber zu Lasten Dritter, 328ff (sonst könnte man sich schnell seiner Schulden entledigen!). Freilich entzieht jeder Vertrag die durch ihn Gebundenen dem Markt: Lukes, Der Kartellvertrag, das Kartell als Vertrag mit Außenwirkung, 1959; Martens, AcP 177 (1977) 113, 164 ff („Lastwirkungen gegenüber Dritten“). Doch sind dies faktische Drittbelastungen, auf denen die Auslesefunktion des Wettbewerbs beruht. f) Man kann sich seinem Gläubiger nicht ohne dessen Zustimmung entziehen, wohl aber seinem Schuldner. Das bedeutet: Forderungen sind ohne Zustimmung des Schuldners abtretbar, 398 ff. Aber Schulden können nur unter Mitwirkung des Gläubigers übernommen werden, 414 ff. g) Grundsätzlich sind die Staatsbürger frei, ob und wozu sie sich verpflichten wollen, 311 I BGB, Art. 2 I GG (Grundsatz der Vertragsfreiheit). Es herrscht unter den Vertragsformen kein Typenzwang. Im Sachenrecht gilt dagegen ein numerus clausus der dinglichen Rechte. h) Nur in seltenen Ausnahmefällen greift der Staat korrigierend in ein schon bestehendes vertragliches Schuldverhältnis ein, 343. i) Schuldverträge sind grundsätzlich formfrei (Ausnahmen z. B. 311b I, III, 518, 550). j) Wenn nichts Besonderes vereinbart ist, sind Schuldverträge entgeltlich, 433, 516, 518, 535, 598, 612, 632, 653, 662, 689. k) Ein bloß rechtswidriger Eingriff führt nur zur Beseitigungs- oder Unterlassungsklage, 12, 862 I, 1004. Dagegen verlangt ein Schadensersatzanspruch grundsätzlich Verschulden des Schädigers, 823 ff (Verschuldensgrundsatz, Ausnahme z. B. § 833 S. 1). Doch haben Haftungen ohne Verschulden außerhalb des BGB, besonders bei Unfällen, erhebliche praktische Bedeutung erlangt, dazu unten §§ 111, 113. l) Nicht jede Schädigung gibt ein Recht auf Unterlassung oder Schadensersatz (es gilt nicht nur der Grundsatz des neminem laedere). Nur unter zusätzlichen Voraussetzungen sind diese Ansprüche gegeben (Rechtsgutverletzung 823 I, Schutzgutverletzung 823 II, sittenwidrige Schädigung 826, unlautere Wettbewerbshandlungen 3 UWG, Amtspflichtverletzung 839 u. a.). Dagegen gilt für ungerechtfertigte Bereicherungen eine Generalklausel, 812 I 1. m) Auch der Gedanke des Verkehrsschutzes ist im Schuldrecht stellenweise verwirklicht, wenngleich schwächer als im Sachenrecht (gutgläubiger Erwerb) und im Allgemeinen Teil (Scheinvollmacht). Grundsätzlich wirken Forderungen eben nur zwischen Gläubiger und Schuldner. Das Problem, wie der Rechtsverkehr auf Kosten eines Berechtigten geschützt werden soll, stellt sich daher nicht mit gleichem Gewicht. Forderungen können grundsätzlich nicht gutgläubig erworben werden. Hier gilt der Satz: nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet. Dem Gedanken des Verkehrsschutzes entspringen aber die §§ 370, 405, 793, 794, 796. Verkehrsfeindlich sind dagegen die meisten

6 Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975; v. Hippel, Der Schutz des Schwächeren, 1982, Lieb, AcP 178 (1978) 196; Höhn, Die Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; Fikentscher, Vertrag und wirtschaftliche Macht, FS Hefermehl, 1971, 41; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982.

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Rechtsquellen

§ 2 II

Bestimmungen des sog. Schuldnerschutzes bei der Übertragung von Forderungen: 407, 408, 409–411, nicht dagegen 808 I 1. n) Es gibt allgemeine Schuldrechtsregeln, 241–432, und besondere „einzelne“ Schuldverhältnisse, 433–853. Doch liegt das Schwergewicht des vertraglichen Schuldrechts auf dem Kauf, 433–479. Er ist der Prototyp aller Verträge. Neben den einzelnen vertraglichen Schuldverhältnissen stehen Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung, 677 ff, 812ff, 823ff.

§2 Rechtsquellen I. Vorbemerkung Das heutige Schuldrechtssystem geht in seinen Anfängen auf das Schema personae – res – actiones des nachklassischen römischen Rechts zurück (Gaius, Institutiones). Aus den „actiones“ entwickelten sich mit Erkenntnis des Unterschiedes von materiellem und Verfahrensrecht die „obligationes“: Die Naturrechtler unterschieden innerhalb der obligationes: contractus (Verträge), quasi contractus (ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag), delicta (vorsätzliche unerlaubte Handlungen) und quasi delicta (Fahrlässigkeitsdelikte und Tatbestände der Gefährdungshaftung). Diese Einteilung findet sich daher später z. B. bei Pothier, Savigny und auch noch bei Windscheid, der ihr aber keine große Bedeutung mehr beimisst. Der Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Teil des Schuldrechts ist begrifflich so alt wie die Unterscheidung von obligatio und contractus. Die Ausbildung des Allgemeinen Teils des Schuldrechts in heute geläufiger Form erfolgte in spät-naturrechtlicher Zeit, dann vor allem bei den Anhängern der historischen Rechtsschule (Hofacker; Hugo; Heise, der als erster die Fünfgliederung Allgemeiner Teil, Sachen-, Schuld-, Familien- und Erbrecht verwendet; Puchta; Savigny). Erstmals im BGB wurde das Schuldrecht vor das Sachenrecht gestellt. Im Ganzen nahm die Bedeutung des Schuldrechts in Rechtslehre und Praxis mit zunehmender Industrialisierung und der Ausbreitung der Verkehrswirtschaft seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ständig zu, während das ursprünglich breiter behandelte Sachenrecht relativ an Gewicht verlor.1

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II. Das heutige Schuldrecht 1. Es ist stofflich zum größten Teil im 2. Buch des BGB enthalten. Die ersten sieben Abschnitte des 2. Buches (241–432) behandeln allgemeine Fragen des Schuldverhältnisses. Der umfangreiche 8. Abschnitt regelt die 27 „einzelnen Schuldverhältnisse“: Kauf, Darlehen, unerlaubte Handlungen usw. Man nennt ihn den Besonderen Teil des Schuldrechts (433–853), er betrifft die konkreten Lebensvorgänge, seine innere Struktur ist unten in § 66 besprochen. Mehrere Dutzend Änderungsgesetze haben das Schuldrecht des BGB seit 1900 geändert. Das wichtigste ist das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (SMG), das am 1. 1. 2002 in Kraft getreten ist (s. sogleich unter III.). 2. Schuldrechtliche Nebenvorschriften (Schuldrecht außerhalb des BGB) finden sich zum Allgemeinen Teil des Schuldrechts in geringerer, zum Besonderen Teil in großer Zahl. Nachstehend werden nur die wichtigsten, zum Teil auch nur in Gruppen, genannt. 1 Andreas B. Schwarz, Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, SavZ, röm. Abt. 42 (1921) 578; Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Schuldrecht 1, 1978, 19.

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§ 2 III

Einleitung

a) Zum Allgemeinen Teil des Schuldrechts – Aus dem EGBGB: Art. 27 ff (Internationales Privatrecht). Ferner Art. 77–81, 93, 96–107 (Vorbehaltsklauseln bei einzelnen Schuldverhältnissen). – Hinterlegungsordnung vom 10. 3. 1937, RGBl. I 285 (Verfahrensrechtliche Ergänzung zu §§ 372ff). – Beurkundungsgesetz vom 28. 8. 1969, BGBl. I 1513. – Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-Informationspflichten-Verordnung – BGB-InfoV) i. d. F. v. 5. 8. 2002, BGBl. I 3002. – Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz – UklaG) i.d. F. v. 27. 8. 2002, BGBl. I 3422. b) Zum Besonderen Teil des Schuldrechts Zahlreiche Sondergesetze wurden durch das SMG in das BGB integriert. Es verbleiben: – Regelungen im Mietwesen sind sehr zahlreich. Näher unten Rdn. 983. – Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. 5. 1908, RGBl. 263; unten Rdn. 1363ff. – Produkthaftungsgesetz vom 15. 12. 1989, BGBl. I 2198. S. u. Rdn. 1621 ff. – Geräte- und Produktsicherheitsgesetz v. 6. 1. 2004, BGBl. I 2. – Umwelthaftungsgesetz vom 10. 12. 1990, BGBl. I 2634. S. u. Rdn. 1696ff. – Atomgesetz i. d. F. v. 15. 7. 1985 BGBl. I 1565; Wasserhaushaltsgesetz i. d.F. v. 19. 8. 2002 BGBl. I 3245 (zu den beiden letztgenannten siehe unten Rdn. 1693ff). Die Gruppe der Haftpflichtgesetze, insb. das Haftpflichtgesetz vom 4. 1. 1978, BGBl. I 145, sowie das Straßenverkehrsgesetz i. d.F. v. 5. 3. 2003, BGBl. I 310 ergänzt die §§ 823 ff insb. durch Regelung von Tatbeständen der Gefährdungshaftung. Dazu unten Rdn. 1684ff. c) Keine Rechtsquellen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen. Ihre rechtliche Beurteilung unterlag früher dem AGBG. Diese Vorschriften finden sich seit dem SMG im BGB (305 ff). d) Zum Einigungsvertrag und seinen schuldrechtlichen Bestimmungen s. Rdn. 1406 der 8. Aufl.

III. Schuldrechtsmodernisierung S. die Literatur unter § 3 2 c), sowie: Ayad, DB 2001, 2697; Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213; Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2281; Dauner-Lieb, JZ 2001, 8; dies., DStR 2001, 1572; Ernst, ZRP 2001, 1; Heldrich, NJW 2001, 2521; Honsell, JZ 2001, 18; Knütel, NJW 2001, 2519; Krebs, DB 2000, Beilage 14; Lando, RabelsZ 67 (2003) 231; Lorenz, S., NJW 2005, 1889; Morin, ZSR 2005, 349 (Vergleich mit der Schweiz); Motsch, NJ 2002, 1; Pick, ZIP 2001, 1173; Schmidt-Räntsch, ZIP 2000, 1639; Schröder/ Thiessen, JZ 2002, 325; Schulze/Ebers, JuS 2004, 265, 366, 462; Schwab, M., JuS 2002, 1; von Westphalen, BB 2005, 1; Wetzel, ZRP 2001, 117; Wilhelm, JZ 2001, 861; Zimmermann, JZ 2001, 171.

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Am 1. 1. 2002 ist das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (SMG) in Kraft getreten. Es hat zu umfassenden Änderungen in den Grundstrukturen des deutschen Schuldrechts geführt. Auslöser der Reform war die Pflicht zur Umsetzung einiger EG-Richtlinien. Die wichtigste war die EG-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, welche die EG-Mitgliedstaaten zur teilweisen Harmonisierung ihres Kaufrechts verpflichtet.2 Der deutsche Gesetzgeber hätte hierauf mit punktuellen Änderungen reagieren können, zog aber eine „große Lösung“ vor: Durch das SMG wurden das Verjährungs-, Leistungsstörungs-, Rücktritts-, Kauf-, Darlehens- und Werkvertragsrechts erheblich geändert, im Gesetz nicht geregelte Rechtsinstitute kodifiziert, sowie zahlreiche Einzelgesetze in das BGB integriert. Die Reform stand unter erheblichem Zeitdruck: Vom ersten Diskussionsentwurf aus dem Bundesjustizministerium (August 2000) bis zur Veröffentlichung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Bundesgesetzblatt (November 2001) lagen nur 15 Monate. Allerdings hatten Vorarbeiten schon früher angesetzt. Seit Ende der 1970er Jahre hatte man angesichts zahlreicher Gesetzeslücken und gravierender Ungereimt-

2 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter v. 25. 5. 1999 (ABl. L 171/12).

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Rechtsquellen

§ 2 IV

heiten über eine Reform des deutschen Verjährungs- und Schuldrechts nachgedacht. Die Überlegungen fanden ihren vorläufigen Höhepunkt 1991/92 mit dem Abschlussbericht der Schuldrechtskommission.3 Dieser wurde zwar überwiegend freundlich aufgenommen,4 zog aber keine politischen Initiativen nach sich. Das sollte sich erst unter dem Einfluss der europäischen Vorgaben ändern.5 Das SMG hat dem deutschen Schuldrecht ein neues Gesicht gegeben. Der Einfluss der EG-Richtlinien sowie das Gewicht rechtsvergleichender Ausführungen zum ausländischen und zum UN-Kaufrecht erlauben die Rede von einer Europäisierung und Internationalisierung des deutschen Schuldrechts. Auf die Änderungen durch das SMG im Einzelnen wird im jeweiligen Sachzusammenhang zurückzukommen sein.6

IV. Der Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung (1996); Canaris, FS Bydlinski (2002) 47; ders., in Bauer/Czybulka/Kahl/Voßkuhle, (Hrsg.) Umwelt, Wirtschaft und Recht (2002) 30; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999); Gebauer/Wiedmann, (Hrsg.) Zivilrecht unter europäischem Einfluß (2005); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999); ders., NJW 2000, 14; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht (2004); Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht (2005); Langenbucher, (Hrsg.) Europarechtliche Bezüge des Privatrechts (2005); Leible, Wege zu einem Europäischen Privatrecht (2005); Möllers, JZ 2002, 121; Müller-Graff, Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht – Gemeinschaftsprivatrecht, 2. Aufl. (1991); Palm, ZRP 2001, 431; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2003); ders., System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003; Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. 2, 2001; Schulze/Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001); Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996); Unberath, ZEuP 2005, 5.

Zahlreiche EG-Richtlinien betreffen das Schuldrecht und haben das nationale Recht nachhaltig geprägt. Die Mitgliedstaaten sind zur Umsetzung der EG-Richtlinien verpflichtet, Art. 249 III EG. Die Richtlinien enthalten regelmäßig Klauseln, wonach die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung auf die entsprechende Richtlinie hinweisen müssen. So erklärt es sich, dass das BGB zahlreiche amtliche Anmerkungen enthält, welche auf die zugrunde liegenden EG-Richtlinien hinweisen (s. die Anmerkungen zu §§ 241 a, 247, 275, 286, 288, 305 ff, 312 ff, 323, 346ff, 355 ff, 433 ff, 481 ff, 488ff, 611ff, 651, 651 aff, 675ff, 676h). Diese Hinweise erleichtern dem Rechtsanwender die Aufgabe: Nationales Recht, das in Ausführung einer EG-Richtlinie erlassen worden ist (oder das auch nur in den Anwendungsbereich einer solchen Richtlinie fällt), ist richtlinienkonform auszulegen. Das bedeutet, dass sich die Auslegung nationalen Rechts soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss.7

3 Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts (1992). 4 Vgl. den Beschluss des 60. Deutschen Juristentags 1994: „Die geplante Schuldrechtsreform ist grundsätzlich wünschenswert“ (zitiert nach Schulze/Schulte-Nölke Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. V). 5 Vgl. Schäfer/Pfeiffer ZIP 1999, 1829 (1837): „Kommt Richtlinie, kommt Rat für die Schuldrechtsreform“. 6 Dabei wird der Rechtszustand vor dem SMG nur insoweit skizziert, als es für das Verständnis des geltenden Rechts unabdingbar ist. Im Übrigen wird auf die 9. Aufl. dieses Lehrbuchs verwiesen. 7 S. z. B. EuGH, 13. 11. 1990, Rs. C-106/89 – Marleasing, Slg. 1990, I-4135 Tz 8.

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§2 V

13

Einleitung

Das Gebot richtlinienkonformer Auslegung hat erhebliche Auswirkungen auf die Methodenlehre: Das Auslegungspotential ist soweit auszuschöpfen, wie es „Wortlaut und Zweck“ der Richtlinie verlangen. Ist auch auf diesem Weg kein richtlinienkonformer Zustand herzustellen, ist zu unterscheiden. Der Bürger kann sich (nach Ablauf der Umsetzungsfrist) gegenüber staatlichen Stellen auf Bestimmungen einer Richtlinie berufen, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen (unmittelbare Wirkung im Vertikalverhältnis). Dies gilt aber nicht im Verhältnis zwischen Privatpersonen (keine unmittelbare Drittwirkung von Richtlinien): Der Grundsatz der Rechtssicherheit verhindert, dass nicht umgesetzte Richtlinien Verpflichtungen für Einzelne schaffen. Allerdings reicht es hierfür nach der Rechtsprechung des EuGH nicht aus, dass die Anwendung der Richtlinie „bloße negative Auswirkungen auf die Rechte Dritter [hat], selbst wenn sie gewiss sind.“ 8 Sogar im Horizontalverhältnis (also im Verhältnis zwischen Privatpersonen) haben Richtlinien deshalb erhebliche Auswirkungen.9 Der Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts beschränkt sich nicht auf die Wirkung von Richtlinien. EG-Verordnungen gelten unmittelbar, selbstverständlich auch im Verhältnis zwischen Privaten, Art. 249 II EG. Auch EG-Primärrecht (also z. B. der EG-Vertrag selbst) kann zwischen Privaten wirken. Das gilt einerseits für Vorschriften, die auf Wirkung zwischen Privaten gerichtet sind, wie z. B. die Art. 81 und 82 EG (europäisches Kartellrecht) 10 oder Art. 141 EG (gleiches Entgelt für Mann und Frau).11 Aber auch die Grundfreiheiten des EG-Vertrags (freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital) sind von Bedeutung. Zwar richten sich die Grundfreiheiten an die Mitgliedstaaten; eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten zwischen Privaten wird überwiegend abgelehnt. Durch den Einfluss auf die nationale Gesetzgebung können die Grundfreiheiten aber Wirkungen zwischen Privaten erzeugen.12

V. Europäisches Privatrecht von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Bd. 1 (1996), Bd. 2 (1999); Basedow, JuS 2004, 89; Canaris, in: Basedow (Hrsg.) Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht (2000) 5; Joerges, FS Heldrich (2005) 205; Kadner Graziano, Gemeineuropäisches Internationales Privatrecht (2002); Kötz, JZ 2002, 257; Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht I (1996); Lando et al. Principles of European Contract Law, Part I and II (2000); Part III (2003) – deutsche Fassung bei von Bar/Zimmermann, Grundregeln des europäischen Vertragsrechts, Teile I und II (2002), Teil III (2005); Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 2. Aufl. (2003); Schmidt-Kessel, GPR 2005, 2; SchulteNölke, JZ 2001, 917; Study Group on a European Civil Code Principles of European Law (Zahlreiche Bände, 2005 ff); Sturm, JZ 2001, 1097; Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts (2003); ders., ZEuP 2003, 714; Zimmermann, The Law of Obligations (1990); ders., (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts (2003); ders., (Hrsg.) Grundstrukturen eines europäischen Bereicherungsrechts (2005).

8 S. z. B. EuGH, 7. 1. 2004, Rs. C-201/02 – Delena Wells, Tz 56 f. 9 Vgl. Bieber/Epiney/Haag Die Europäische Union, 6. Aufl. (2005) Rdn. 69: „im Ergebnis in vielen Fällen eine horizontale Wirkung auch von Richtlinien“. Besteht keine ausreichende Wirkung im Horizontalverhältnis, kommen Staatshaftungsansprüche gegen den säumigen Mitgliedstaat in Betracht, EuGH, 19. 11. 1991, Verb Rs. C-6/90 u. a. – Francovich, Slg. 1991, I-5357. 10 S. Art. 81 II EG und allgemein EuGH, 20. 9. 2001, C-453/99 – Courage, Slg. 2001, I-6297. 11 EuGH, 8. 4. 1976, Rs. 43/75 – Defrenne II, Slg. 1976, 455. 12 Z. B. im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, s. EuGH, 31. 10. 1974, Rs. 15/74 – Centrafarm/ Sterling Drug, Slg. 1974, 1147 Tz 10.

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Schrifttum

§3 1

Auch wenn das europäische Gemeinschaftsrecht starken Einfluss auf die nationalen Zivilrechtsordnungen in den EG-Mitgliedstaaten ausübt, und auch wenn sich der nationale Gesetzgeber immer mehr von internationalen Vorgaben und rechtsvergleichenden Überlegungen leiten lassen (wie z. B. der deutsche Gesetzgeber bei der Schuldrechtsmodernisierung), behalten die nationalen Privatrechtsordnungen doch ihre Identität und ihre zahlreichen Unterschiede. Verschiedene Initiativen, die unter dem Stichwort „Europäisches Privatrecht“ zusammengefasst werden können, haben es sich zum Ziel gesetzt, gemeinsame europäische Grundsätze zumindest für das Vertrags- und Deliktsrecht zu erarbeiten. Beispielhaft kann die Lando-Kommission genannt werden, welche „Grundregeln des europäischen Vertragsrechts“ (Principles of European Contract Law) vorgelegt hat.13 Auf lange Frist sollen diese Vorschläge zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch führen. Weniger weitgehend ist der Aktionsplan, den die Europäische Kommission vorgelegt hat. Er zielt auf die Verbesserung der bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Regeln ab. Ein „Gemeinsamer Referenzrahmen“ soll ausgearbeitet werden. Außerdem soll untersucht werden, ob ein nicht sektorspezifisches „optionelles Instrument“ ratsam wäre, womit ein einheitliches europäisches Vertragsgesetz gemeint ist.14 Ob in absehbarer Zeit einheitliche europäische Regeln zu erwarten sind, und welchen Verbindlichkeitsgrad diese Regeln aufweisen werden, ist momentan offen. Es wäre vorstellbar, dass ein europäisches Vertragsrecht am Anfang stünde, dessen Geltung die Parteien vereinbaren könnten („opt in“-Lösung; in dieser Beziehung ähnlich den UNIDROIT Principles).15

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§3 Schrifttum 1. Materialien und Texte zur Gesetzgebung

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a) Zum BGB Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, 1978 ff; Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Amtl. Ausgabe, 5 Bde., 1888; Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 5 Bde., 1899 (Neudruck 1978); Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 6 Bde., 1897/99; Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 1980ff. b) Zur Schuldrechtsmodernisierung Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, 3 Bände, 1981/83; Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002; SchmidtRäntsch/Maifeld/Meier-Göring, Das neue Schuldrecht, 2002. 13 Einführung bei Zimmermann Jura 2005, 289, 441. 14 Europäische Kommission Ein kohärentes Europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan, KOM (2003) 68 endg; Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands, KOM(2004) 651 endg. S. hierzu von Bar/Schulte-Nölke ZRP 2005, 165. 15 Principles of International Commercial Contracts (in der Version von 2004); abrufbar unter: http://www.unidroit.org. S. hierzu Zimmermann ZEuP 2005, 264.

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§3 2

16

Einleitung

2. Lehrbücher und Grundrisse (zugleich Zitierweise) a) Ältere Werke Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969; Cosack/Mitteis, Lehrbuch des deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Allgemeiner Teil und Schuldrecht, 8. Aufl. 1927; Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 1 und 2, Recht der Schuldverhältnisse, 1902; Dernburg, Die Schuldverhältnisse nach dem Rechte des Deutschen Reichs und Preußens, 4. Aufl. herausgeg. von Raape, Bd. 1, Allgemeine Lehren, 1909; Bd. II, Einzelne Obligationen, 1915; Ennecerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Aufl. 1958; Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. 1960; ders., Schuldrecht, Bd. I, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1970; Bd. II, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1971; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. I, Allgemeiner Teil und Recht der Schuldverhältnisse, 12. Aufl. 1903; Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929; Hedemann, Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 3. Aufl. 1949; Henle, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, Schuldrecht, 1934; Jung, Bürgerliches Recht, in: Stammler, Das gesamte deutsche Recht, Bd. I, 1931; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. II/1, Schuldrecht, 1906; Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, Neudruck 1974; Lehrbuch des Besonderen Schuldrechts, 1934; Krückmann, Institutionen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 5. Aufl. 1929; Larenz, Vertrag und Unrecht, Bd. I, 1936; Bd. II, 1937; Lehmann, R., Das Recht der Schuldverhältnisse I, Allgemeiner Teil, 1947; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des BGB, 1929; Besonderes Schuldrecht des BGB, 1931; Loewenwarter, Wegweiser durch das BGB, 18. Aufl., unter Mitwirkung von Bohnenberg, 1952; Siber, Schuldrecht, 1931; Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, 1897; Stoll/Feigentrager, Vertrag und Unrecht, 4. Aufl. 1944. b) Neuere Werke (Auswahl) Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 31. Aufl. 2006; dies., Besonderes Schuldrecht, 31. Aufl. 2006; Buck-Heeb, Examens-Repetitorium Besonderes Schuldrecht 2, 2004; Däubler, BGB kompakt, 2. Aufl. 2003; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 4. Aufl. 2002; Eckert, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2003; ders., Schuldrecht – Besonderer Teil, 2. Aufl. 2005; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl. 2005; ders., BGB-Schuldrecht, Besonderer Teil, 10. Aufl. 2003; Esser/Eike Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, Allgemeiner Teil, Teilband 1, Entstehung, Inhalt und Beendigung von Schuldverhältnissen, 8. Aufl. 1995; Teilband 2, Durchführungshindernisse und Vertragshaftung, Schadensausgleich und Mehrseitigkeit beim Schuldverhältnis, 8. Aufl. 2000; Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. II, Besonderer Teil, Teilband 1, 8. Aufl. 1995, Teilband 2, 8. Aufl. 2000; Gernhuber (Hrsg.), Die Erfüllung und ihre Surrogate (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 3), 2. Aufl. 1994; ders., Das Schuldverhältnis (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 8), 1989; Gitter (Hrsg.), Gebrauchsüberlassungsverträge (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 7), 1988; Grunewald, Bürgerliches Recht, 7. Aufl. 2006; Gursky, Schuldrecht, Besonderer Teil, 5. Aufl. 2005; Hirsch, Allgemeines Schuldrecht, 5. Aufl. 2004; Huber, U. (Hrsg.), Leistungsstörungen (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 9/1 und 9/2), 1999; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2. Aufl. 1996; Kittner, Schuldrecht, 3. Aufl. 2003; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 10. Aufl. 2005; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988; Lange/Schiemann, Schadensersatz (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 1), 3. Aufl. 2003; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. I: Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 1987; ders., Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II/1: Besonderer Teil/1. Halbband, 13. Aufl. 1986 (zit.: Larenz I, bzw. Larenz II/1); Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II/2: Besonderer Teil/2. Halbband, 13. Aufl. 1994 (zit.: Larenz/Canaris II/2); Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2006; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. I: Leasing und Factoring, 1991; Bd. II: Franchising, Knowhow-Verträge, Management und Consultingverträge, 1992; Bd. III: Computerverträge, Kreditbotenverträge und sonstige moderne Vertragstypen, 1993; Medicus, Bürgerliches Recht, 20. Aufl. 2004; ders., Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, 6. Aufl. 2004; ders., Allgemeiner Teil des BGB, 8. Aufl. 2002; ders., Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, 16. Aufl. 2005; ders., Schuldrecht II, Besonderer Teil, 13. Aufl. 2006; Musielak, Grundkurs BGB, 9. Aufl. 2005; K. W. Nörr/Scheyhing/Pöggeler (Hrsg.), Sukzessionen (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 2), 2. Aufl. 1999; Oechsler, Schuldrecht Besonderer Teil – Vertragsrecht, 2003 (zit: Vertragsrecht); Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse,

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Schrifttum

§3 3

2. Aufl. 2004; Peifer, Schuldrecht – Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2005; Petersen, Examens-Repetitorium Allgemeines Schuldrecht, 2. Aufl. 2005; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004; Reuter/ Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 4), 1983; Schellhammer, Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen samt BGB Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2003; Schlechtriem/ Schmidt-Kessel, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2005; Schlechtriem, Schuldrecht, Besonderer Teil, 6. Aufl. 2003; Schmidt, E., Das Schuldverhältnis, 2004; Schmidt, E./Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, 6. Aufl. 2002; Schmidt, K., Handelsrecht, 5. Aufl. 1999; ders., Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 16. Aufl. 2005; Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2003; Selb (Hrsg.), Mehrheit von Gläubigern und Schuldnern (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 5), 1984; Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 2005, S. 117–875; Tonner, Schuldrecht – Vertragliche Schuldverhältnisse, 2005; Walter, Kaufrecht (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 6), 1987; Westermann, H. P., Grundbegriffe des BGB, 2004; Westermann, H. P./Bydlinski/Weber, BGB – Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2003; Wörlen, Schuldrecht AT, 7. Aufl. 2005; ders., Schuldrecht BT, 7. Aufl. 2005; Wolf, Ernst, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I Allgemeiner Teil; Bd. II, Besonderer Teil, beide 1978; Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1990. c) Speziell zur Schuldrechtsmodernisierung Cekovic-Vuletic, Haftung wegen Unmöglichkeit nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, 2003; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht, 2002; Dauner-Lieb/Konzen/ Schmidt, Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002; Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001; Fingerhut/ Kroh, Das neue Schuldrecht in der Unternehmenspraxis, 2002; Gündling, Modernisiertes Privatrecht und öffentliches Recht, 2006; Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland, Das neue Schuldrecht, 2002; Helms/Neumann/Caspers/Sailer/Schmidt-Kessel (Hrsg.), Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2001 – Das neue Schuldrecht, 2001; Henssler/von Westphalen (Hrsg.), Praxis der Schuldrechtsreform, 2. Aufl. 2003; Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 2002; Koller/Roth/Zimmermann, Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002, 2002; Kohte/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann, Das neue Schuldrecht – Kompaktkommentar, 2003; Lorenz, E. (Hrsg.), Karlsruher Forum 2002: Schuldrechtsmodernisierung, 2003; Lorenz, S./Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002; Lorenz, S., Neues Leistungsstörungs- und Kaufrecht: Eine Zwischenbilanz, 2004; Marx/Wenglorz, Schuldrechtsreform 2002, 2001; Olzen/Wank, Die Schuldrechtsreform, 2002; Pfeiffer, Neues Schuldrecht – Gesetzessynopse mit Kurzerläuterung, 2002; Schimmel/Buhlmann (Hrsg.), Frankfurter Handbuch zum neuen Schuldrecht, 2002; Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht, 2. Aufl. 2005; Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001; Schwab/Witt, Examenswissen zum neuen Schuldrecht, 2. Aufl. 2003; Westermann (Hrsg.), Das Schuldrecht 2002, 2002; von Westphalen/Meier-Göring, Neues Schuldrecht – Streit- und Zweifelsfragen, Lösungsvorschläge, 2004.

3. Kommentare (Auswahl)

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a) Ältere Werke Alternativkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II, Allgemeines Schuldrecht, 1980; Bd. III, Besonderes Schuldrecht, 1979 (zit.: AK/Bearbeiter); BGB-RGRK, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Mitgliedern des BGH (früher: Reichsgerichtsräte-Kommentar), Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 12. Aufl. 1974ff (zit.: RGRK/Bearbeiter); Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 5. Aufl. 1928; Bd. II, 1929; Planck, Kommentar zum BGB, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 4. Aufl., 1. Hälfte, Allgemeiner Teil, 1914 (zit.: Planck/Siber), 2. Hälfte, Besonderer Teil, 1928. b) Neuere Werke AnwaltKommentar BGB, 2004/2005; Bamberger/Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2003; Erman, Bürgerliches Gesetzbuch – Handkommentar, 11. Aufl. 2004; Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003ff; Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch – Kommentar, 11. Aufl. 2004; juris PraxisKommentar BGB, 2. Aufl. 2004/2005; Kropholler, Studienkommentar BGB, 9. Aufl. 2006; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2000ff; Palandt, Bürgerliches Gesetz-

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§4

Einleitung

buch, 65. Aufl. 2006; Schulze u. a., Bürgerliches Gesetzbuch – Handkommentar, 4. Aufl. 2005 (zit.: Hk-BGB); Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 12. Aufl. 1987 ff, 13. Aufl. 1999 ff; Staudinger, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. 1993 ff (zit.: Staud/Bearbeiter).

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4. Fallsammlungen. Übungsliteratur C. Becker, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2002; Braun, Der Zivilrechtsfall, 3. Aufl. 2006; Dauner-Lieb/Arnold/Dötsch, Fälle zum neuen Schuldrecht, 2002; Diederichsen/Wagner, Die BGB-Klausur, 9. Aufl. 1998; dies., Die Anfängerübung im Bürgerlichen Recht, 3. Aufl. 1996; Dörner, Schuldrecht 2 – Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Aufl. 2002; Eckert/Hattenhauer, 75 Klausuren aus dem BGB, 11. Aufl. 2003; Fezer, Klausurenkurs zum Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2003; ders., Klausurenkurs zum Schuldrecht Besonderer Teil, 5. Aufl. 2003; Fikentscher, Schuldrechtspraktikum, 1972 (enthält eine Anleitung zur Lösung schuldrechtlicher Fälle, Schwerpunkte und Übersichten zum Schuldrecht, und 325 Beispielsfälle, die bis zur 2. Aufl. in diesem Lehrbuch enthalten waren); Fritzsche, Fälle zum Schuldrecht I, 2. Aufl. 2005; Gursky, 20 Probleme aus dem BGB Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2004; Heinemann u. a., Übungen im Bürgerlichen Recht, 2006 (im Erscheinen); Höland/Lode/ Meyer, Fälle mit Lösungen aus dem Schuldrecht, 2004; Ihering/Kipp, Zivilrechtsfälle ohne Entscheidungen, 12. Aufl. 1913; G. A. Kaiser, Bürgerliches Recht, 10. Aufl. 2005; Köhler/S. Lorenz, Prüfe Dein Wissen, Schuldrecht I, 19. Aufl. 2005; Schuldrecht II, 17. Aufl. 2004; Kornblum, Fälle zum Allgemeinen Schuldrecht, 6. Aufl. 2005; Kornblum/Schünemann, Privatrecht in der Zwischenprüfung, 9. Aufl. 2004; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 2. Aufl. 1997; Marburger, 20 Probleme aus dem BGB – Schuldrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1998; ders., 20 Probleme aus dem BGB – Schuldrecht Besonderer Teil, 5. Aufl. 1998; Martinek, Grundlagen-Fälle zum BGB, 2000; Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 4. Aufl. 2003; Medicus/Halter, Entscheidungen zum Bürgerlichen Recht, 4. Aufl. 2005; Olzen/Wank, Zivilrechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, 4. Aufl. 2003; Petersen, Die mündliche Prüfung im ersten juristischen Staatsexamen – Zivilrechtliche Prüfungsgespräche, 2005; Quittnat, Der Privatrechtsfall, 6. Aufl. 2005; Schwab/Löhnig, Falltraining im Zivilrecht, 2. Aufl. 2005; Tiedtke/Schmitt, 40 Probleme aus dem Kaufrecht, 2005; Werner, Fälle mit Lösungen für Anfänger im Bürgerlichen Recht, 11. Aufl. 2004; Werner/Saenger, Fälle mit Lösungen für Fortgeschrittene im Bürgerlichen Recht, 2. Aufl. 2004; Wieling/Finkenauer, Fälle zum Besonderen Schuldrecht, 5. Aufl. 2004; Wörlen, Anleitung zur Lösung von Zivilrechtsfällen, 7. Aufl. 2004; ders., Zivilrecht – 1000 Fragen und Antworten, 5. Aufl. 2004.

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5. Entscheidungssammlungen Fikentscher, ESJ Schuldrecht, ausgewählte Entscheidungen mit erl. Anmerkungen, Bd. I, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1977 (enthält 63 Entscheidungen zum Allgemeinen Schuldrecht); Bd. II, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1977 (enthält 72 Entscheidungen zum Besonderen Schuldrecht); Schack/Ackmann, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Bürgerlichen Recht, 100 Entscheidungen mit Anregungen zur Vertiefung für Studium und Examen, 5. Aufl. 2004.

6. Methodik (s. u. § 5 II vor 1).

§4 Plan der Darstellung 20

Die Gliederung versucht, wo dies möglich ist, den Gedankengang des unstreitigen Gutachtens bei der Lösung eines Schuldrechtsfalles widerzuspiegeln. Die Darstellung folgt der traditionellen Einteilung in ein Allgemeines und ein Besonderes Schuldrecht. Im Allgemeinen Teil behandelt ein erster Abschnitt Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses. Dabei geht es um die Bereitstel-

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Plan der Darstellung

§4

lung des begrifflichen Instrumentariums, aber auch der wirtschaftlichen Grundvorstellungen, auf die es im Folgenden ankommt (§§ 5–15). Dann folgt, so wie das bei der Lösung eines Schuldrechtsfalles stets zu geschehen hat, eine Untersuchung der Gründe, aus denen ein Schuldverhältnis entstehen kann (§§ 16–24). Nachdem feststeht, dass ein Schuldverhältnis entstanden ist, muss sein Inhalt geprüft werden (§§ 25–37). Es geht hierbei um den Leistungsinhalt, die Bedeutung des Satzes von Treu und Glauben, sowie um die einzelnen Leistungsmodalitäten. Nach Entstehung und Inhalt ist die Abwicklung, und dabei zunächst das ordnungsgemäße Erlöschen eines Schuldverhältnisses zu untersuchen (§§ 38– 40). Steht fest, dass nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde, ist im Gutachten zu fragen, ob eine Leistungsstörung vorliegt, also ein Tatbestand außergewöhnlicher Abwicklung eines Schuldverhältnisses (§§ 41–57). Vorab müssen in diesem Bereich die verschiedenen Tatbestände und Rechtsfolgen der Leistungsstörungen behandelt werden (§§ 43–50). Danach wird die besonders wichtige Rechtsfolge des Schadensersatzes noch einmal aufgegriffen; die dabei zum Tatbestand einer Leistungsstörung hinzutretenden Voraussetzungen und die Rechtsfolgen eines Schadensersatzanspruchs sind im Einzelnen darzustellen (§§ 51–57). In diesen Zusammenhang gehört auch die Lehre von der Haftung für Erfüllungsgehilfen und vom Inhalt des Ersatzanspruchs (§§ 56, 57). Nachdem in dieser Weise ein Schuldverhältnis zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner von seiner Entstehung über seinen Inhalt bis zur normalen oder außergewöhnlichen Abwicklung behandelt ist, bedarf es der Erweiterung durch Einführung neuer Gläubiger und Schuldner anstelle der alten. Es handelt sich um die Forderungsabtretung und die Schuldübernahme (§§ 58–61). Noch weiter greift die Lehre von der gleichzeitigen Beteiligung mehrerer Gläubiger oder Schuldner an einem Schuldverhältnis (§§ 62–65): Ein entstandenes, inhaltlich festgelegtes, normal oder gestört abgewickeltes Schuldverhältnis, möglicherweise abgetreten oder übernommen, kann auf der Aktivund/oder auf der Passivseite mehreren zustehen. – Damit ist der Bereich des allgemeinen Schuldrechts abgesteckt. Der daran anschließende Besondere Teil des Schuldrechts mit der Darstellung der einzelnen konkreten Schuldverhältnisse (Kauf, Darlehen, Dienstvertrag, unerlaubte Handlung usw.) bedarf einer eigenen systematischen Erläuterung (§ 66). Die einzelnen Typen werden nicht nach dem Schwergewicht ihrer praktischen Häufigkeit, sondern nach ihrer Bedeutung für die Ausbildung besprochen, wobei Kauf, ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung in erster Reihe stehen (§§ 67–118). Den Abschluss bildet je ein Überblick über das internationale Schuldrecht (§ 119) und die Dogmengeschichte des Schuldrechts (§ 120).

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Der Allgemeine Teil des Schuldrechts (Die allgemeinen Lehren) 1. Abschnitt

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses 1. Unterabschnitt: Das Schuldverhältnis §5 Das Schuldverhältnis in der Rechtsordnung Achterberg, N., Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, 1982; AK/Dubischar, vor §§ 241ff, Rdn. 1ff; Becken, W. G., Gegenopfer und Opferverwehrung, 1958; Blomeyer, Arwed, AcP 154, 527; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Dubischar, JuS 78, 300; Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, 1951; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3. Aufl. 1974; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 207 ff; ders., Wirtschaftsrecht 1983, § 22 VII 1b; ders., FS Lukes 1989, 375 ff, 388–392; Gierke, Julius v., ZHR 111, 3 ff; Gierke, Otto v., Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 2. Aufl. 1948; Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, 1977; Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000; Hippel, Fritz v., Zum Aufbau und Sinnwandel unseres Privatrechts, 1957; Horstmann, Untersuchungen über die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Normen auf dingliche Ansprüche, 1938; Ihering, Das Schuldmoment im röm. Recht, Gießen 1867, S. 4 ff; Kübler, Über die praktischen Aufgaben zeitgemäßer Privatrechtstheorie, 1975; Larenz, JZ 62, 105; Lorenz, JZ 61, 433; Mayer-Maly, Vertrag und Einigung, FS Nipperdey 1965, Bd. I S. 509; ders., FS Wilburg 1965, 129; Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz, 1978; Raiser, Ludwig, Die Aufgabe des Privatrechts, 1977; Reinhardt, FS Schmidt-Rimpler 1957, 115; Steindorff, FS L. Raiser 1974, 621 ff; Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974; ders., Zum System des deutschen Vermögensrechts, 1941; Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung nach österreichischem und deutschem Recht, 1934; Willoweit, Abgrenzung und rechtliche Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 1969.

I. Die inhaltliche Aufgabe des Schuldverhältnisses in der Rechtsordnung 1. Grund und Folge des Schuldens a) Die herrschende Lehre sieht als gemeinsames Merkmal aller Schuldverhältnisse, und damit als Grund für die Berechtigung, von einem „Schuldrecht“ zu sprechen, nur die einheitliche Rechtsfolge an: den schuldrechtlichen Anspruch im Sinne von § 241 I 1 („Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern“). Ein gemeinsamer Grundgedanke des Schuldrechts auf der Seite des Tatbestandes wird geleugnet: Weder wirtschaftliche noch sonstige Lebensvorgänge, die das Schuldrecht regele, seien einheitlich. b) Das Ob und Wie des Schuldens muss dabei stets zugleich betrachtet werden. Die Leistung ist nicht irgendwie, sondern immer in bestimmter Art und Weise geschuldet. Es genügt nicht, dass man dem Gläubiger den geschuldeten Gegenstand vor die Füße wirft. Man muss ihn ihm aushändigen,

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§5 I3

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es gebieten, 242, d. h. in anständiger und üblicher Weise. Bestandteil jeder Leistungspflicht ist also immer auch eine Wohlverhaltenspflicht. Ihre Verletzung hat grundsätzlich die gleichen Folgen wie die Verletzung einer rein gegenständlich aufgefassten Leistungspflicht. Zu dem „etwas“, das der Schuldner schuldet, gehört daher immer ein „Ob“ und ein „Wie“ der Leistung. Man kann von einer jeder schuldrechtlichen Pflicht zugehörigen Verhaltensnorm im weiteren Sinne sprechen. Das gilt für alle Schuldverhältnisse, für vertragliche und gesetzliche. Diese Wohlverhaltenspflicht zählt zum Inhalt der geschuldeten Leistung (u. § 7; anders Larenz I, § 2 I; Canaris, Vertrauenshaftung).

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2. Bestandsschutz und Freiheitsschutz als Teile des bürgerlichen Rechtsschutzes Heißt somit „schulden“, im Sinne eines Schuldverhältnisses, etwas, dessen Vorenthaltung Unrecht wäre, in anständiger und üblicher Weise gewähren, zurückgewähren oder ersetzen müssen, so stellt sich als nächstes die Frage nach dem Inhalt dieser Schuldpflichten.1 a) Das Recht weist den Personen Güter zu grundsätzlich alleiniger Nutzung und Verwertung zu. Hierin liegt die eine Hauptaufgabe des bürgerlichen Rechtes: „Bestandsschutz“; Beispiele: Eigentum, gewerblicher Rechtsschutz, Vertragsrechte. b) Die andere, gleichwertige, in gewissem Sinne aber entgegengesetzte Aufgabe des bürgerlichen Rechts ist, ein System von Regeln zur Verfügung zu stellen, das den Erwerb der Güter durch Personen und damit auch den Wechsel der Güter von Person zu Person ermöglicht: „Freiheitsschutz“, „Erwerbsschutz“; Beispiele: Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Recht des unlauteren Wettbewerbs. c) Zu den rechtlich geschützten Gütern gehört nicht nur, was man bereits von Rechts wegen hat, sondern – jedenfalls in unserer Rechtskultur – auch schon das, was einem rechtlich bindend versprochen worden ist. Im Vordergrund der vertraglichen Haftung steht daher im deutschen Recht der Erfüllungsanspruch (pacta sunt servanda). Nur wenn die Erfüllung nicht mehr möglich ist, muss Ersatz geleistet werden, weil die Lage die gleiche ist, wie wenn ein zu Unrecht vorenthaltenes Gut oder eine zu Unrecht vorenthaltene Freiheitsgewährung nicht mehr als solche gewährt werden kann (dazu sogleich 3.), sondern ersatzweise abgegolten werden muss (dazu sogleich 4.).

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3. Die primäre Leistungspflicht a) Im Bereich des Schutzes zugeordneter Güter bewirkt die „primäre“ Schuldpflicht, dass ein Gut, das sich in einer Herrschaftsgewalt befindet, in die es nicht gehört, demjenigen störungsfrei überlassen werden muss, dem es von Rechts wegen zusteht. Hierher gehören vor allem die bereicherungsrechtlichen Herausgabeansprüche, 812 ff, die dafür sorgen, dass Güter, die ohne Rechtsgrund in einen fremden Rechtskreis gelangt sind (z. B. Übereignung ohne wirksamen Vertrag), in den richtigen Rechtskreis zurückzugewähren sind. Zu erwähnen sind auch die negatorischen Klagen, die bloße Güterstörungen verhindern helfen (dazu unten § 118). Auch der Vertragserfüllungsanspruch zählt nach den Ausführungen oben 1 und 2 hierher, weil das Versprochene vom Recht schon dem Versprechensempfänger als Wert zugerechnet wird. Ferner ist der Anspruch aus § 677 auf ordentliche Durchführung einer Geschäftsführung ohne Auftrag zu nennen, wo das Gesetz in Ermangelung vertraglichen Willens Leistung und Leistungsentschädigung vertragsähnlich festsetzen muss, besonders in § 683. Prototypen dieser einfachen Schuldpflicht zur Gütergewährung (da Vorenthaltung Unrecht wäre) sind aber Bereicherung und Vertragserfüllung. Beim Bereicherungsanspruch besteht die Besonderheit, dass an die Stelle des zu gewährenden Gegenstandes sein Wert oder sogar das Entgelt treten kann, 818 II.

1 Zum Folgenden ausführlich Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 1.

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Das Schuldverhältnis in der Rechtsordnung

§ 5 II

b) Im Bereich der Freiheit, Güter zu erwerben, ist der bürgerlich-rechtliche Schutz dogmatisch weniger entwickelt und im Einzelnen streitig. Wer die Wettbewerbsfreiheit eines anderen in bestimmter Weise beeinträchtigt, muss dies nach den Regeln des GWB i.V. m. § 33 GWB; §§ 823 II, 1004 BGB unterlassen. Die AGB-Kontrolle schützt Inhalts- und Abschlussfreiheit in anderer Weise. Hierdurch nicht erfasste Freiheitsbeschränkungen sind der allgemeinen Beurteilung gem. §§ 823 I, 1004 BGB zugänglich (Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht).2 Aber nicht nur die wirtschaftliche Betätigungsund Bedarfsdeckungsfreiheit als solche ist nach diesen Vorschriften gegen ungebührliche Beschränkungen gesichert, auch das „Wie“ der Ausübung eigener Freiheit zu Lasten anderer unterliegt im wettbewerblichen Bereich den Schranken des UWG, im außerwettbewerblichen denen der §§ 823ff BGB. Ihrem Wesen nach sind diese Klagen negatorisch.3

4. Die Schadensersatzpflicht als sekundäre Leistungspflicht

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Kann, will oder soll der Schuldner aus irgendeinem Grund die Leistung nicht direkt (restitutorisch) erbringen, ordnet das Recht häufig eine Ersatzleistung an, den Schadensersatz. Die Betrachtungsweise ist dann die, dass der Schuldner in die Güter oder Freiheiten des Gläubigers handelnd und mit an sich irreparablem Erfolg eingegriffen hat. Dafür muss er den Gläubiger wirtschaftlich entschädigen. Hierfür stellt das Recht zusätzliche Verhaltensnormen auf, die z. B. regelmäßig Verschulden fordern.4 Das Anspruchsziel ist nicht – primär – die Überlassung eines Rechtsguts an den Inhaber des Rechtskreises, dem es zusteht, sondern – sekundär – Ersatz.

II. Die methodische Stellung des Schuldverhältnisses in der Rechtsordnung Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 4. Aufl. 1998; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. Aufl. 2005 (hrsg. v. Würtenberger und D. Otto); Fikentscher, Methoden des Rechts, 5 Bde., 1975–77; insb. § 29; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Studienausgabe), 3. Aufl. 1995; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999; Raisch, Juristische Methoden, 1995; Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2005; Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, 1998; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 9. Aufl. 2005. Das Schuldverhältnis ist der Kernbegriff des Schuldrechts. Mit den anderen Grundbegriffen unseres Rechts ist das Schuldverhältnis in bestimmter Weise verbunden. Es lässt sich aus dem objektiven Recht in folgender Weise ableiten: 1. Das objektive Recht ist gleichbedeutend mit der Rechtsordnung, in der die Angehörigen eines Staates leben. Das objektive Recht besteht aus Rechtssätzen. Gewährt ein (vollständiger oder unvollständiger) Rechtssatz des Privatrechts einer Person eine geschützte Stellung im Verhältnis zu einer anderen Person oder einem Gegenstand, so spricht man von einem subjektiven privaten Recht, sofern der Schutz der Stellung vom Willen der geschützten Person abhängt (über die Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit, die den subjektiven Rechten gleichgestellt werden, unten § 107 I). Beruht das subjektive Privatrecht auf einem vollständigen Rechtssatz (der das Gebot enthält), so spricht man von einem Anspruch oder von einer Anspruchsnorm (Beispiele: 433 II, 604 I, 812 I, 823 I; Gegenbeispiel: 903 – Eigentum –, ein auf gebotslosem Rechtssatz beruhendes subjektives Privatrecht). Die Anspruchsnorm ist der zentrale Begriff für die Fall-Lösung.

2 Näher Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 I 2. 3 Zu den sich daraus ergebenden Sanktionen s. u. § 101. 4 Ähnlich wie hier zwischen „primären“ Leistungspflichten (als Pflichten, zu Unrecht Vorenthaltenes dem richtigen Rechtskreis zukommen zu lassen) und „sekundären“ Ersatzpflichten (als den wirtschaftlichen Entschädigungen, wenn Leistungspflichten verletzt werden) unterschieden wird, trennt Larenz I § 1 I, primäre und sekundäre Leistungspflichten. Aber Larenz’ Leistungsbegriff ist ein anderer (s. u. § 7, 3).

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§6 1

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

2. Für das Schuldrecht haben vor allem die Ansprüche Bedeutung. Ansprüche auf Leistung heißen Leistungsrechte. Sie richten sich gegen einen bestimmten Schuldner auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen (194, 241 I). Es gibt schuldrechtliche (241 I) sowie dingliche (z. B. 985, 1004, 1007, 1134, 1179), familienrechtliche (z. B. 1353 I), erbrechtliche (z. B. 2018), öffentlich-rechtliche u. a. Leistungsrechte. Die schuldrechtlichen Leistungsrechte nennt das Gesetz Forderungen oder Forderungsrechte (z. B. 387, 398). Die Forderung ist der Grundbegriff des Schuldrechts. So spricht § 398 für die Regelfälle von der Übertragung der Forderung, erst § 413 erklärt die vorstehenden Vorschriften auf die Übertragung anderer Rechte für anwendbar. Gleichbedeutend mit Anspruch auf schuldrechtliche Leistung = Forderungsrecht = Forderung ist endlich auch der Ausdruck „Schuldverhältnis“ (im engeren Sinn). § 241 I verwendet das Wort „Schuldverhältnis“ gleichbedeutend mit Forderung. 3. Darüber hinaus wird aber der Ausdruck „Schuldverhältnis“ in einem weiteren Sinn verwendet, z. B. in der Überschrift vor § 241 „Recht der Schuldverhältnisse“. Hier bedeutet Schuldverhältnis das gesamte Rechtsverhältnis zwischen einem Schuldner und einem Gläubiger, aus dem einzelne Forderungen = Schuldverhältnisse im engeren Sinn fließen. Der Kaufvertrag (§§ 433–479), das Dienstverhältnis §§ 611–630), der Auftrag (§§ 662–674) sind solche Schuldverhältnisse im weiteren Sinne. Schuldverhältnisse im engeren Sinne (Forderungen), die aus diesen Schuldverhältnissen im weiteren Sinne fließen, sind z. B. der Kaufpreisanspruch (433 II), der Dienstlohnanspruch (611) und der Anspruch auf Auskunft (666).

§6 Begriff des Schuldverhältnisses. Gefälligkeitsverhältnisse. Schulden und Haften Bartholomeyczik, Das Gegengewichtsprinzip und die Funktionsfähigkeit des Austauschvertrags in der modernen Rechtsentwicklung, in: Das Gegengewichtsprinzip in der Wirtschaftsordnung, Bd. 3, 1966, 9; Bekker, IherJb. 49, 1; Binder, J., IherJb 77, 75; de Boor, Die Kollision von Forderungsrechten, 1928; Bruns, FS Zepos, Bd. I, 1973, 69 ff; Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt, 1934; Eichler, AcP 162, 401; Fedder, Schuld und Haftung, 1942; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989; Gierke, Otto v., Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht, 1910; Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900; Herholz, AcP 130, 257; Lent, AcP 152, 401; ders., Die Gesetzeskonkurrenz im bürgerlichen Recht und Zivilprozeß, Bd. I, 1912; Medicus, JuS 77, 225ff; MünchKomm/Kramer, Bd. 2 a; Schuldrecht-AT, Einl.; Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis, 1952; Okuda, AcP 164, 536; Reichel, IherJb 59, 409; Ruhig, Die Nebenpflichten im Schuldrecht, Diss. Hamburg, 1968; Schmidt, Reiner, Die Obliegenheiten, 1953; Schreiber, Schuld und Haftung, 1914; Schwerin, Schuld und Haftung im geltenden Recht, 1911; Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis, 1903; Strohal, Schuldpflicht und Haftung, FS Binding, 1914, 3; Weitnauer, FS Hefermehl, 1976, 467 ff; Wolf, Ernst, FS Herrfahrdt, 1961, 197 ff; Zachmann, Die Kollision der Forderungsrechte, 1976; Zepos, AcP 155, 486.

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1. Definition des Schuldverhältnisses Das Schuldverhältnis ist ein Rechtsverhältnis, in dem sich zwei oder mehr Personen in der Weise gegenüberstehen, dass sie einander zu einer Leistung verpflichtet sind. Hingewiesen wurde bereits (§ 5 a. E.) auf den Doppelsinn des Wortes Schuldverhältnis. Das Schuldverhältnis im engeren Sinn ist gleichbedeutend mit dem Recht auf eine Leistung (Forderung, 241 I), das Schuldverhältnis im weiteren Sinne bezeichnet das gesamte Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen zwei oder mehr Personen nach Art eines der sog. „einzelnen Schuldverhältnisse“ der §§ 433–853, z. B. Kauf, Miete, Darlehen. Ein Schuldverhältnis im weiteren Sinne kann Entstehungsursache für viele Schuldverhältnisse im engeren Sinn sein.

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Begriff des Schuldverhältnisses

§6 3

Beispiele: Aus Kauf (433 ff) hat der Verkäufer gegen den Käufer die Forderung auf Zahlung des Preises; der Käufer hat umgekehrt Anspruch auf Lieferung der Kaufsache, 433 I. Der Beauftragte ist zur Ausführung des Auftrages verpflichtet, 662, und hat das Recht auf Ersatz der Auslagen, 670. In der Gesellschaft ist jeder Gesellschafter jedem Mitgesellschafter gegenüber berechtigt und verpflichtet, daran mitzuwirken, dass der Gesellschaftszweck erfüllt wird (Beispiel eines mehrseitigen Schuldverhältnisses), 705. – Wenn also das Gesetz den Ausdruck Schuldverhältnis verwendet, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, was gemeint ist (BGHZ 10, 395: § 362 verwendet den engeren Begriff des Schuldverhältnisses).

2. Unterschiede zu anderen Rechtsverhältnissen

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Von anderen Rechtsverhältnissen unterscheiden sich Schuldverhältnisse in mehrfacher Hinsicht: a) Von allen Rechtsverhältnissen, die nicht subjektive Rechte enthalten, unterscheiden sich Schuldverhältnisse durch die in ihnen enthaltene Rechtsmacht, deren Verwirklichung in das Belieben des Gläubigers gestellt ist. Diese Rechtsmacht besteht weder in einem Herrschaftsrecht über die Person des Schuldners noch über eine Leistungshandlung des Schuldners (Savigny, Obligationenrecht I, 4), noch über den Leistungsgegenstand (falls eine gegenständliche Leistung geschuldet ist), näher Larenz I § 2 II. Die dem Schuldverhältnis innewohnende Rechtsmacht bedeutet vielmehr, dass die Leistung des Schuldners dem Vermögen des Gläubigers durch eine zweiseitige Bindung zugewiesen wird. Der Gläubiger vermehrt dadurch den Kreis seiner Güter. Drei Machtbestandteile enthält diese Zuweisung: Das Forderndürfen, das Behaltendürfen und das notfalls zwangsweise Beitreibendürfen der Leistung.1 b) Von Herrschaftsrechten unterscheiden sich Schuldverhältnisse durch ihre Zweiseitigkeit, ihren sog. relativen Charakter (u. § 14), Herrschaftsrechte (Eigentum, Pfandrecht, Patentrecht) wirken zugunsten des Inhabers gegen jedermann, Schuldrechte nur für den Gläubiger und nur gegen den Schuldner. c) Von Gestaltungsrechten unterscheiden sich Schuldverhältnisse sehr wesentlich. Schuldverhältnisse begründen Rechte und Pflichten; Gestaltungsrechte (Kündigung, Anfechtung, Rücktritt u. a.) gestalten die Rechtslage durch einseitige Erklärung um. Die Kündigung beendet z. B. ein Dienstverhältnis, 620; eine Anfechtung beseitigt einen Kaufvertrag rückwirkend, 123, 433, 142. Zum Rücktritt siehe unten § 48.

3. Unterschied zu Gefälligkeitsverhältnissen

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Haberkorn, Haftungsausschlüsse bei Gefälligkeitsfahrten, DAutR 66, 150; Hippel, E. v., FS F. v. Hippel, 1967, 233 ff; Hoffmann, AcP 167, 394; Kornblum, JuS 76, 571; Kost, Die Gefälligkeit im Privatrecht, 1973; Pallmann, Rechtsfolgen aus Gefälligkeitsverhältnissen, Diss. Regensburg 1971; Plander, AcP 176, 424; Schmidt, G., NJW 65, 2189; Schwerdtner, NJW 71, 1673.

a) Schuldverhältnisse gehören der Rechtssphäre an, Gefälligkeiten dem rechtsfreien Bereich des täglichen Lebens. Schuldverhältnisse binden und verpflichten, Gefälligkeiten nicht. Wer seinem Freund aus Gefälligkeit den Rasen mäht oder ihn ein Stück auf dem Spaziergang begleitet, steht in keinem Schuldverhältnis. Er kann jederzeit damit aufhören, ohne vertragsbrüchig zu werden, er kann keine geschuldete Leistung „stören“ (Leistungsstörung), er kann insoweit weder vorsätzlich noch fahrlässig handeln. Es fehlt der vertragliche Bindungswille. (Für Ratschläge und Empfehlungen siehe § 675 II und u. § 86 mit den dortigen Angaben.) Besonders schwierig ist die Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und Auftrag, der Rechtsbindungswillen voraussetzt. Viele Besorgungen im täglichen Leben sind Gefälligkeitsverhältnisse ohne rechtliche Bindung und Wirkung. Zum Auftragsvertrag (§ 662) gehört dagegen der rechtlich bindend gemeinte Wille des 1 Näher Staudinger/J. Schmidt, Einl. § 241 Rdn. 83ff; Larenz I § 2 II; Medicus I § 3.

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§6 3

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

Beauftragten, den Auftrag durchzuführen, aber auch der rechtliche erhebliche Wille des Auftraggebers, die Bindung des Beauftragten anzunehmen und seinerseits die Pflichten eines Auftraggebers zu übernehmen. Entscheidend sind die Verkehrsauffassung und die Umstände des Einzelfalles. – Jemand verspricht, Mitreisende zu wecken. Er vergisst es, der Mitreisende fährt übers Ziel hinaus. Ein Geschäftstermin wird versäumt. – Nachbarin verspricht, abends nach den Kindern zu schauen. Sie versäumt es, worauf eines der Kinder erkrankt, weil es nicht richtig zugedeckt war. – Ein Freund verspricht, einen Brief einzuwerfen, vergisst es aber. Ein Geschäftabschluss unterbleibt dadurch. In diesen drei Fällen dürfte es am Verpflichtungswillen fehlen. Ein Auftragsvertrag (§ 662) liegt daher nicht vor. Es bleibt bei der deliktischen Haftung, 823ff. Reine Vermögensschäden werden daher regelmäßig nicht ersetzt (826, vgl. den ersten und dritten Fall; im zweiten dagegen 823 I, II?). Wirtschaftlich betrachtet findet sich der Auftrag darum häufig bei Dienstleistungen für andere, die aus irgendeinem Grunde unentgeltlich sein sollen, sei es wegen der Vertrauensstellung der Parteien zueinander, sei es wegen der geringfügigen oder persönlichen Art des Geschäfts: Nachbarin soll während der Sommerferien 4 Wochen lang Zimmerblumen gießen, unterlässt es aber. Ein Geschäftskollege soll Auskünfte von einer Behörde einholen.

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b) Es ist aber stets getrennt zu untersuchen, ob nur für die Hauptleistung oder auch für die dabei zu erfüllenden Schutz- und Obhutspflichten (§ 241 II) ein Verpflichtungswille fehlt. Auch bei Gefälligkeiten, deren Hauptleistung nach dem Willen der Beteiligten ohne Rechtsanspruch erbracht wird, können vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen.2 Beispiele: Der Jagdgast steht mit dem Jagdherrn bezüglich des Jagens grundsätzlich in einem Gefälligkeitsverhältnis. Veranstaltet aber der Jagdherr die Treibjagd fahrlässig so, dass der Gast angeschossen wird, besteht vertragliche Haftung wegen Verletzung einer übernommenen Schutzpflicht, was z. B. wegen § 278 wichtig ist, wenn ein Gehilfe des Jagdherrn statt seiner fahrlässig handelt. Dagegen hat der Gast keinen vertraglichen Anspruch, zu Schuss zu kommen oder gar, etwas zu treffen. Auch ist nicht etwa der Jagdgast „beauftragt“ zu jagen, auch der Jagdherr nicht, an der Jagd mitzuwirken, vgl. RGZ 128, 42 = ESJ 1. – Der Cocktailgast gibt seinen Mantel dem Diener des Gastgebers, der ihn in der Garderobe so fahrlässig verwahrt, dass er gestohlen wird. Mangels eines Verpflichtungswillens fehlt es in diesen Fällen am Erfüllungsanspruch auf die Hauptleistung (den Cocktail), nicht aber an vertraglichen Schutzpflichten („Nebenpflichten“, dazu unten § 7). Eine Verletzung dieser Pflichten ist für den geschädigten Gefälligkeitsadressaten häufig von viel größerer wirtschaftlicher Bedeutung.

c) Welche dieser drei Kategorien – Rechtsgeschäft, Gefälligkeit oder Gefälligkeit mit rechtsgeschäftlicher Nebenpflicht – vorliegt, ergibt die Auslegung anhand der üblichen Auslegungskriterien (§§ 133, 157), bei der zu fragen ist, ob die Beteiligten ihr Verhalten dem Recht unterstellen wollten. Das ist beim Versprechen, dem Freund den Rasen zu mähen, ebenso wenig der Fall wie bei einer Spaziergangbegleitung. In solchen Fällen fehlt es an einem Vertrag. Aber aus der Unentgeltlichkeit der Leistung allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Gefälligkeitshandlung und nicht eine rechtsgeschäftliche Leistung vorliegt, da das Gesetz auch unentgeltliche Verträge kennt, z. B. Leihe, 598; Schenkung, 516; Auftrag, 662; unentgeltliche Verwahrung, 688, 690. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Indizien für das Bestehen von rechtlichen Schutzpflichten bei unentgeltlichen Leistungen sind: Wert einer anvertrauten Sache, wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, Interesse des Begünstigten, Interesse des Leistenden.3 2 Anders Schwerdtner, NJW 71, 1673, der § 242 heranzieht; ähnlich BGH NJW 74, 1705. 3 Zum ganzen BGHZ 21, 102; in der Begründung abweichend Flume AT § 7, 5–7; Esser/Weyers, § 35 I 1c.

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Begriff des Schuldverhältnisses

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d) Das Bestehen eines reinen Gefälligkeitsverhältnisses schließt außervertragliche Haftung nicht aus; s. o. die Beispiele zu b). Wird in Ausführung einer Gefälligkeit eine unerlaubte Handlung begangen, so haftet der Täter nach §§ 823ff. Eine Milderung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit tritt in Analogie zu §§ 521, 599, 680 nur in Fällen echter Hilfeleistung ein (ähnlich Larenz I, § 31 III). Der BGH lässt den Haftungsmaßstab vergleichbarer Rechtsverhältnisse entscheiden, BGHZ 21, 110. – Darüber hinaus ist vertraglicher Haftungsverzicht im Rahmen des § 276 III möglich, aber nicht zu unterstellen. Wer einen „Anhalter“ im Auto oder sonst jemand zu einer „Gefälligkeitsfahrt“ mitnimmt, haftet also grundsätzlich auch für leichte Fahrlässigkeit. Bei entgeltlicher, geschäftsmäßiger Personenbeförderung kann die Haftung nach § 7 StVG für Personenschäden nicht beschränkt werden, 8a StVG. Im Übrigen sind auch die Grundsätze zum „Handeln auf eigene Gefahr“ zu berücksichtigen.4 4. Schulden und Haften

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Schulden heißt: Leisten müssen; Haften bedeutet: Zugriffsobjekt in der Zwangsvollstreckung sein. Weder der tägliche Sprachgebrauch noch das Gesetz halten sich immer an diese Grundbedeutungen. In §§ 840 I, 1108 ist z. B. von „haften“ die Rede und „schulden“ gemeint. Normalerweise haftet der Schuldner mit seinem ganzen Vermögen (Ausnahme z. B. 1975 ff). Auch der Bürge schuldet, 765 I. Er haftet dem Gläubiger mit seinem Vermögen. Häufig ist die zusätzliche, sichernde Haftung einer Sache für eine Schuld, z. B. 1147, 1235 I. Insoweit ist Haftung für fremde Schuld möglich. Bei der Hypothek schuldet der persönliche Schuldner die Rückzahlung des Darlehens an den Hypothekengläubiger, und das Grundstück des Eigentümers haftet dem Hypothekengläubiger zur Sicherung des Darlehens, 1147 (Eigentümer und persönlicher Schuldner können, brauchen aber nicht dieselbe Person zu sein).

5. Kollision von Forderungen

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Gegen einen Schuldner können beliebig viele Forderungen bestehen. Die Forderungen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Nur in einzelnen Fällen ordnet das Gesetz eine Reihenfolge der Befriedigung an: z. B. 264, 366, 519, 774, 1143, 1609. Für alle Schulden haftet der Schuldner bis zur vollen Höhe jeder Forderung mit seinem Vermögen. Reicht dieses nicht aus, so wird derjenige Gläubiger, der eher vollstreckt, voll befriedigt. Die zu spät Kommenden erhalten weniger oder nichts (Grundsatz der Priorität). Im Falle der Zahlungseinstellung (bei juristischen Personen im Falle der Überschuldung) kann der Schuldner Insolvenz anmelden (juristische Personen sind zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet, vgl. § 42 II), §§ 13, 16, 17 InsO. In der Insolvenz gilt abweichend von der oben geschilderten Einzelzwangsvollstreckung der Grundsatz der anteilmäßigen Befriedigung aller Gläubiger (par conditio concurrentium).5 Der Schuldner haftet zeitlich nicht unbegrenzt. Das (zum 1. 1. 1999 eingeführte) Institut der Restschuldbefreiung ermöglicht es ihm unter bestimmten Voraussetzungen, nach einer Wohlverhaltenszeit von sechs Jahren von seinen Schulden loszukommen, 286 ff InsO. Für Verbraucher gelten dabei besondere Verfahrensvorschriften, 304 ff InsO. Vor 1999 galt für rechtskräftig festgestellte Ansprüche eine Verjährungsfrist von 30 Jahren.

4 Zum „Handeln auf eigene Gefahr“ siehe unten § 54 III 7: Es kann unter mehreren Gesichtspunkten zum Haftungsausschluss führen. 5 Probleme der Forderungskollision sind zu unterscheiden von der Möglichkeit einer Anspruchskonkurrenz: Ein Begehren kann sich auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützen, z. B. auf Vertrag und Delikt.

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§7 1

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Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

6. Terminologie der Schuldverhältnisse a) Der aus dem Schuldverhältnis Berechtigte heißt Gläubiger, der Verpflichtete Schuldner. Gläubiger und Schuldner müssen bei Entstehung der Verbindlichkeit ihrer Person nach bestimmt oder zumindest durch deutliche Kennzeichen bestimmbar sein, sonst kommt die Verbindlichkeit nicht zustande (Hedemann, 17). Beispiele nur bestimmbarer Gläubiger: 657, 661, 331 bei Lebensversicherung; Art. 11 WechselG. Beispiele nur bestimmbarer Schuldner: Art. 15 I, 31f WechselG. Beim Schenkungsversprechen z. B. gibt es nur einen Gläubiger und einen Schuldner. Bei Kauf und Auftrag ist jede Partei Gläubiger und Schuldner des anderen, aber jeweils bezüglich verschiedener Leistungen. Bei der Gesellschaft ist jeder Gläubiger und Schuldner des anderen, und die Leistungen sind häufig gleicher Art. b) Der Gläubiger nennt sein Recht die Forderung (Anspruch auf Leistung, Forderungsrecht. Schuldverhältnis im engeren Sinn); der Schuldner seine Pflicht die Schuld (Verbindlichkeit, Obligation). Beides ist dasselbe, einmal vom Standpunkt des Gläubigers, ein andermal von dem des Schuldners aus betrachtet. c) Das, was gefordert und geschuldet wird, ist die Leistung. Daneben sieht das Gesetz seit dem SMG ausdrücklich die Existenz von Schutzpflichten vor, 241 II. Die verschiedenen Pflichttypen und ihr Verhältnis zueinander bedürfen im Folgenden näherer Erörterung.

§7 Die Leistung Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989; Bydlinski, Zulässigkeit und Schranken „ewiger“ und extrem langdauernder Vertragsbindung, 1991; Canaris, JZ 1965, 475; ders., Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971); ders., Festgabe 50 Jahre BGH (2000), S. 129; Frost, „Vorvertragliche“ und „vertragliche“ Schutzpflichten (1981); Fuchs-Wissemann, Die Abgrenzung des Rahmenvertrages vom Sukzessivlieferungsvertrag, Diss. Marburg 1979; Grunewald, ZIP 1994, 1162; Hassold, G., Die Leistung im Dreipersonenverhältnis, 1981; Henke, H.-E., Die Leistung, 1991; Hueck, A., Der Sukzessivlieferungsvertrag, 1918; Huber, Ulrich, FS v. Caemmerer 1978, 837ff; Köhler, AcP 190 (1990) 496 (Unterlassenspflichten); Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag (1981); Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten (2000); ders., Schutzpflichten, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht (2002) § 3 Rdn. 2 ff; Kuhlmann, Leistungspflichten und Schutzpflichten (2001); Lehmann, Heinrich, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, 1906; Lesser, Der Inhalt der Leistungspflicht, 1909; Madaus, Jura 2004, 289; Meier, Klaus, Ökologische Aspekte des Schuldvertragsrechts, 1995 (u. a. zu § 138 BGB); Stoll, Heinrich, Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936; Wieacker, FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 783.

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1. Begriff. Verhalten oder Erfolg Die Leistung ist, was der Gläubiger vom Schuldner verlangt und der Schuldner dem Gläubiger zu gewähren hat. Sie ist der gegenständliche Ausdruck für den Inhalt des Schuldverhältnisses. Die Bestimmung der Leistung, d. h. dessen, was konkret in einem Schuldverhältnis geschuldet ist, ist darum eine der praktisch bedeutsamsten Fragen des Schuldrechts. Zu dieser Frage unten §§ 25 bis 37. Hier dagegen geht es um die Eigenschaften der geschuldeten Leistung im Allgemeinen. Ob mit der Leistung ein Leistungsverhalten des Schuldners oder ein Leistungserfolg geschuldet ist, ist seit langem streitig. Auf einen verhaltensbezogenen Leistungsbegriff deuten §§ 241, 320ff, 293ff, auf einen erfolgsbezogenen insbesondere § 362 („an den Gläubiger bewirkt“) hin.1 Die Frage lässt 1 Zum Streitstand Wieacker, FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 801 ff; MüKo/Kramer § 241 Rdn. 7f.

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Die Leistung

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sich nicht einheitlich entscheiden. Je nach Sinn und Zweck der Verbindlichkeit ist ein Mehr oder Weniger an Verhalten und Erfolg geschuldet.2 So schuldet der Arzt nach § 611 nur den Dienst an der Gesundheit, nicht die Gesundheit selbst, der Schneider aber nach § 631 den fertigen Anzug (näher unten § 83). Drei Dinge sind zu unterscheiden: (1) Wozu ist der Schuldner verpflichtet? (2) muss er außerdem noch einstehen (z. B. nach §§ 276, 287 S. 2, 848)? (3). Was befreit den Schuldner (z. B. im Sinne des § 362, des § 275, der Lehre von der Zweckstörung, dazu unten Rdn. 393ff). Zum Leistungsbegriff gehören (1) und (2), nicht (3). Zwischen Verpflichtetsein und Einstehenmüssen muss im Hinblick auf den Haftungs- (insb. Verschuldens-)maßstab unterschieden werden. Dazu unten § 55. Für den Begriff der geschuldeten Leistung hier zu trennen, wäre spitzfindig und würde das Erfolgselement im Leistungsbegriff verkennen.

2. Tun oder Unterlassen

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Der Verkäufer schuldet ein Tun, nämlich die Übergabe der Sache und die Eigentumsverschaffung an ihr, 433 I 1. Gleichzeitig schuldet er ein Unterlassen, nämlich die Unterlassung aller Handlungen, die den Erfolg des Kaufvertrags wider Treu und Glauben vereiteln können. Diese Unterlassungspflicht steht zwar nicht in § 433, doch ergibt sie sich aus § 242, der für alle Schuldverhältnisse gilt (näher § 26 unten). Das Tun ist in diesem Falle Hauptpflicht, das Unterlassen Nebenpflicht. Es kann auch umgekehrt liegen: Ein Handelsvertreter verpflichtet sich ausdrücklich, der ihn beschäftigenden Firma keine Konkurrenz zu machen und im Zuwiderhandlungsfalle die Geschäftspapiere vorzulegen. In jedem Falle zählen Tun und Unterlassen zur Leistung. Der Schuldbegriff des § 241 I 2 setzt also ein pflichtgemäßes Verhalten des Schuldners (Leistungsverhalten) voraus. Im Leistungsverhalten erschöpft sich die Schuld jedoch nicht. Das Leistungsverhalten muss also zum Leistungserfolg, der Befriedigung des Gläubigerinteresses durch den Schuldner führen. Der Leistungserfolg kann aber oft nur durch Mitwirkung des Gläubigers eintreten, z. B. des Käufers, der die verkaufte Sache in Besitz nimmt und die Annahme zur Eigentumsübertragung erklärt. Wirkt der Gläubiger nicht mit, gerät er in Gläubigerverzug, 293 ff; dazu unten § 45. Zur Leistung durch Dritte s. u. § 36.

3. Einteilung der Pflichten a) Primäre und sekundäre Leistungspflichten

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Von primären Leistungspflichten ist dann die Rede, wenn es um den ursprünglichen Zweck des Schuldverhältnisses geht. Im Kaufvertrag schuldet der Verkäufer primär Übereignung und Übergabe der Sache (§ 433 I 1), der Werkunternehmer schuldet primär Herstellung des versprochenen Werks (§ 631 I), beide schulden daneben (und ebenfalls primär) alles, was zur Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Leistung erforderlich ist. Erst wenn es zu einer Abweichung vom Pflichtenprogramm kommt (Pflichtverletzung z. B. durch Unmöglichkeit, Verzögerung oder Schlechtleistung), werden sekundäre Pflichten ausgelöst, z. B. zur Leistung von Schadensersatz. Solche sekundären Ansprüche können den primären Leistungsanspruch vollständig ersetzen (z. B. „Schadensersatz statt der Leistung“ i. S. v. § 280 III). Sie können aber auch neben den primären Leistungsanspruch treten (z. B. „Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung“ i. S.v. § 280 II). b) Hauptleistungs- und Nebenleistungspflichten

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Die primären Leistungspflichten lassen sich in Hauptleistungs- und Nebenleistungspflichten unterteilen. Hauptleistungspflichten beziehen sich auf die vertragstypischen, essentiellen Pflichten des Schuldners, während es sich bei den Nebenleistungspflichten

2 BGHZ 12, 267ff; 40, 326 ff.

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§7 3

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

um die akzidentellen Pflichten handelt.3 Beim Kauf ist die Hauptleistungspflicht des Verkäufers die Übereignung und Übergabe der Sache (§ 433 I 1), beim Werkvertrag die Herstellung des versprochenen Werks durch den Unternehmer (§ 631 I). Zur Hauptleistungspflicht gehört auch die mangelfreie Erbringung der Leistung (§§ 433 I 2, 633 I). Nebenleistungspflicht ist demgegenüber alles, was zur Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Leistung erforderlich ist (z. B. Aufklärungs- und Hinweispflichten, Hinzufügung von Bedienungsanleitungen, geeignete Verpackung, etc). Die Nebenleistungspflichten ergänzen somit die Hauptleistungspflicht. Sie ergeben sich nur ganz vereinzelt aus dem Gesetz (s. §§ 402, 666).4 Die Unterscheidung von Hauptleistungs- und Nebenleistungspflichten hat nicht zwangsläufig etwas mit dem Gegenseitigkeitsverhältnis im Synallagma zu tun (näher hierzu unten Rdn. 53 ff). Die Terminologie ist allerdings uneinheitlich.5 Um hier zu keiner uferlosen Aufsplitterung der Begriffe zu kommen, sollten als Hauptleistungspflichten nur synallagmatische Pflichten bezeichnet werden. Selbstverständlich können die Parteien typische Nebenleistungspflichten durch Vereinbarung zur Hauptleistungspflicht aufwerten. Es handelt sich dann nicht um „geborene“, sondern um „gekorene“ Hauptleistungspflichten. Beispiel: Die Abnahmepflicht des Käufers nach § 433 II Alt 2 ist grundsätzlich Nebenleistungspflicht. Die Parteien können die Abnahme aber ausdrücklich oder konkludent zur Hauptleistungspflicht aufwerten. Daran wird der Verkäufer ein Interesse haben, wenn er die verkaufte Sache möglichst schnell loswerden möchte (verderbliche oder sperrige Waren), oder wenn komplexere Abnahmehandlungen des Käufers erforderlich sind (Verkauf von Möbeln zur Montage).

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c) Schutzpflichten Die h. M. hat den Haupt- und Nebenleistungspflichten weitere Nebenpflichten zur Seite gestellt. Die Terminologie war nicht einheitlich. Hierzu wurden Schutzpflichten (Stoll, Canaris) oder weitere Verhaltenspflichten (Larenz) gezählt. Eine eigene Fallgruppe solcher Nebenpflichten wäre bei Heranziehung eines weiten Leistungsbegriffs nicht erforderlich gewesen.6 Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat sich die Lehre von den Schutzpflichten durch die Anfügung von § 241 II jedoch zu eigen gemacht.7 Sie soll im Folgenden deshalb zugrunde gelegt werden. Gem. § 241 II kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Solche Schutzpflichten schützen i.d. R. nicht das Leistungs-, sondern das Integritätsinteresse: Nicht die Erbringung der geschuldeten Leistung, sondern der Schutz der gegenwärtigen Güterlage ist das Ziel der Schutzpflichten. Beispiel: Bei der Auslieferung der gekauften Waschmaschine stößt Verkäufer V eine Fensterscheibe im Haus des Käufers K ein. – Da die Waschmaschine unversehrt bleibt, wird nicht das Leistungsinteresse des K berührt, sondern das Interesse an der Unversehrtheit seines Hauses. K hat gegen V einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 I, 241 II. 3 MüKo/Kramer § 241 Rdn. 18. 4 Durch die Schuldrechtsmodernisierung wurde die Zahl weiter reduziert: § 444 a. F. (Pflicht zur Auskunft und zur Urkundenherausgabe beim Kauf) wurde mit dem Argument gestrichen, daß die punktuelle Positivierung von Nebenleistungspflichten angesichts der Gesamtzahl der in Frage kommenden Nebenpflichten nicht sinnvoll sei, s. GesBegr BT-Drs 14/6040, 203. 5 S. Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 206f. 6 9. Aufl. Rdn. 31. 7 S. das ausdrückliche Bekenntnis zu den Schutzpflichten in GesBegr BT-Drs 14/6040, 125.

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Die Leistung

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Der Gesetzgeber hat in § 241 II den Inhalt der Schutzpflichten nicht festgelegt. Da nach dieser Vorschrift das Schuldverhältnis solche Schutzpflichten enthalten „kann“, also nicht enthalten muss, ist Existenz und Umfang der Schutzpflichten in jedem einzelnen Fall auf der Grundlage des Inhalts des Rechtsgeschäfts zu begründen. Je größer die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gegenseite, das in Anspruch genommene Vertrauen oder die Gefährlichkeit des Geschäfts ist, desto intensiver wird das Geflecht der Schutzpflichten sein. Ganz vereinzelt hat der Gesetzgeber einzelne Schutzpflichten ausdrücklich angeordnet, so z. B. in § 618 für den Dienstvertrag. Häufig bestehen neben dem Anspruch aus Schutzpflichtverletzung deliktische Ansprüche (im Beispielsfall aus § 823 I wegen Eigentumsverletzung). Beide Ansprüche stehen selbständig nebeneinander (Anspruchskonkurrenz). Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Anspruchsarten besteht darin, dass auf den Anspruch aus Schutzpflichtverletzung die Regeln über Sonderverbindungen Anwendung finden. So hat man bei Bestehen einer Sonderverbindung für Erfüllungsgehilfen gem. § 278 ohne Entlastungsmöglichkeit einzustehen. Im Deliktsrecht besteht zwar auch eine Einstandspflicht für Verrichtungsgehilfen gem. § 831. Der Geschäftsherr kann sich hier aber gem. § 831 I 2 exkulpieren. Außerdem bestehen deliktische Ansprüche nur bei der Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter (§ 823 I), der Verletzung von Schutzgesetzen (§ 823 II) oder der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826). Nach § 241 II werden demgegenüber nicht nur Rechte und Rechtsgüter, sondern auch ganz allgemein die Interessen des anderen Teils geschützt. Die Schutzpflichten führen also – im Vergleich zum Deliktsrecht – zu einer Intensivierung der Haftung. Die Haftungsverschärfung beruht darauf, dass die Parteien in einer Sonderverbindung in näheren Kontakt zueinander treten, gesteigertes Vertrauen in Anspruch nehmen, sowie ihre Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Einwirkung des anderen Teils aussetzen (vgl. § 311 II).8

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§ 241 II bezieht die Rechte, Rechtsgüter und die Interessen des anderen Teils in die Schutzpflicht ein. Durch den Begriff des Interesses wird auch das Vermögen als solches in den Schutzbereich einbezogen.9 Hier liegt ein entscheidender Unterschied zum Deliktsrecht: Das Vermögen ist kein „sonstiges Recht“ i. S. v. § 823 I; reine Vermögensschäden werden deshalb nur bei Bestehen eines Schutzgesetzes (§ 823 II) oder gegen sittenwidrige vorsätzliche Schädigungen (§ 826) geschützt (s. u. § 107). Der Begriff des „Interesses“ in § 241 II geht sogar noch einen Schritt weiter. Auch Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit werden erfasst,10 selbst wenn keine Vermögenseinbuße erfolgt. Kauft jemand beispielsweise aufgrund falscher Aufklärung eine Eigentumswohnung, die zwar ihr Geld wert ist, die der Käufer bei korrekter Aufklärung aber dennoch nicht erworben hätte, liegt keine Verletzung des Vermögens, wohl aber der Entscheidungsfreiheit vor. Die Rechtsprechung vor der Schuldrechtsmodernisierung lehnte in diesen Fällen einen Schadensersatzanspruch ab (näher hierzu unten Rdn. 96).11

Umstritten ist die dogmatische Grundlage der Schutzpflichten. Beruhen sie auf Vertrag oder Gesetz, oder wie ist ihr Geltungsgrund näher zu fassen? Soweit Schutzpflich-

8 S. hierzu Krebs Schutzpflichten, in Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht § 3 Rdn. 22ff. 9 GesBegr BT-Drs 14/6040, 126; anders allerdings S. 125, wo das Vermögen den „Rechtsgütern“ zugeordnet wird. 10 GesBegr BT-Drs 14/6040, 126. S. hierzu Canaris JZ 2001, 499 (519 Fn. 182), ders., AcP 200 (2000) 273 (304ff), auf den die Einfügung des „Interesses“ zurückgeht. Kritisch Lieb in Dauner-Lieb/ Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht § 3 Rdn. 39. 11 BGH NJW 1998, 302 (304), s. aber auch BGH NJW 2001, 436 (438), wo diese Frage offengelassen wird.

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§7 3

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Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

ten bereits vor Vertragsschluss entstehen (§ 311 II), kann es sich nur um eine gesetzliche Haftung handeln. Andererseits können Schutzpflichten auch vertraglich vereinbart werden. Beauftragt man beispielsweise ein Sicherheitsunternehmen mit der Bewachung des Unternehmens, wird die Schutzpflicht zur primären Leistungspflicht. Canaris hat die These vom einheitlichen gesetzlichen Schuldverhältnis aufgestellt. Danach haben alle – nicht vertraglich vereinbarten – Schutzpflichten einen gesetzlichen Geltungsgrund. Sie beginnen mit der Aufnahme geschäftlichen Kontakts und bestehen nach Vertragsschluss und u. U. auch nach Erfüllung fort.12 Selbst nach Vertragsschluss handelt es sich bei Schutzpflichten nach dieser Auffassung um Verpflichtungen aus Gesetz und nicht aus Vertrag. Allerdings sind sie nicht deliktischer Natur, sondern eine „dritte Spur zwischen Delikts- und Vertragshaftung“.13 Nach anderer Auffassung schlagen die Schutzpflichten mit Vertragsschluss in vertragliche Pflichten um (Umschlagtheorie).14 Diese Auffassung erscheint sachgerechter. Die Statuierung vorvertraglicher Pflichten in § 311 II hat eine Ausdehnung des Vertragsrechts auf die Zeit vor Vertragsschluss zum Ziel, und nicht umgekehrt die Erstreckung der vorvertraglichen Regeln auf den Vertrag. Außerdem ergibt sich die nähere Ausgestaltung der Schutzpflichten gem. § 241 II aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses. Wenn die Konkretisierung der Schutzpflichten nach Vertragsschluss ganz von den Umständen des einzelnen Vertrags abhängt, erscheint es widersprüchlich, weiterhin von einem gesetzlichen Geltungsgrund auszugehen.15 Es ist streitig, ob Schutzpflichten selbständig einklagbar sind, oder ob lediglich Schadensersatz im Fall ihrer Verletzung verlangt werden kann.16 Die selbständige Klagbarkeit sollte im Prinzip zugelassen werden, da nicht einzusehen ist, warum der Gläubiger Verletzungen wehrlos hinnehmen und auf Schadensersatz im Sinne eines „Dulde und liquidiere“ beschränkt sein sollte. Allerdings gelten die allgemeinen Voraussetzungen. Geht es im Kern um Unterlassungsansprüche – nämlich um die Unterlassung der Verletzung eines in § 241 II aufgeführten Rechts, Rechtsguts oder Interesses –, ist wie bei § 1004 I 2 als Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs zu fordern, dass eine Beeinträchtigung hinreichend konkret bevorsteht. Die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung reicht nicht aus.17 Ist die betreffende Schutzpflicht spezialgesetzlich niedergelegt, besteht an der selbständigen Geltendmachung kein Zweifel. So ist die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht (§ 618) nichts „Sekundäres“: Ihre Beachtung kann selbständig eingefordert werden; eine Beschränkung auf bloßen Schadensersatz würde der hohen Bedeutung dieser Pflicht nicht gerecht.

12 13 14 15

Canaris JZ 1965, 475 (479). Canaris (II.) FS Larenz (1983) 27 (84 ff). S. hierzu MüKo/Kramer Einl. vor § 241 Rdn. 82; vgl. auch Medicus Schuldrecht I Rdn. 112, 416. In diesem Sinn auch GesBegr BT-Drs 14/6040, 163: „Das Schuldverhältnis entsteht durch den Beginn der Vertragsverhandlungen. Es endet, wenn es zur Beendigung der Verhandlungen kommt oder wenn der Vertrag, über den verhandelt worden ist, zustande kommt. Dann bestehen vertragliche Pflichten.“ 16 Zum Streitstand s. MüKo/G. Roth § 241 Rdn. 113; Krebs Sonderverbindung (2000) 547ff. 17 Weitergehend Krebs (oben Fn. 10 Rdn. 34), der ein besonderes Präventionsinteresse, nämlich Unzumutbarkeit des Zuwartens verlangt, welches bei Verletzung von Rechtsgütern i. S. v. § 823 I aber der Fall sein soll.

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Die Leistung

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d) Weitere Nebenpflichten Außer den Schutzpflichten existieren weitere Nebenpflichten, die sich aus dem Schuldverhältnis ergeben können. Hierzu zählen: 18

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– Gegenwärtige und nachwirkende Leistungstreuepflichten (Vertragstreue, Erhaltung und Obhut des Vertragsgegenstands; Verpackung); – Mitwirkungspflichten (Vertragsdurchführung, Einholung von Genehmigungen, Auskunft und Rechenschaft); – Sicherung des Leistungserfolgs (Wettbewerbsverbote, Bereithalten von Ersatzteilen); – Aufklärungspflichten (Beratung, Warnung, Untersuchung); – Unterlassungspflichten (Geheimhaltung)

Die Terminologie ist sehr uneinheitlich. Teilweise werden unter den Begriff der Nebenpflicht nur die unselbständigen Nebenpflichten gefasst, also solche, die nicht mit Leistungsklagen, sondern nur mit Schadensersatzansprüchen sanktioniert werden können.19 Die selbständigen Pflichten werden demgegenüber unter den Begriff der Nebenleistungspflicht gefasst (s. o. Rdn. 36). Wie die Ausführungen zu den Schutzpflichten ergeben haben, ist eine solche Kategorisierung nicht sinnvoll, da die selbständige Klagbarkeit einer Nebenpflicht von der konkreten Situation und den Vereinbarungen der Parteien abhängt. Von den obigen Pflichten werden beispielsweise die Pflichten zur Leistungstreue und zur Aufklärung i. d.R. als unselbständig eingeordnet, die Pflichten zur Mitwirkung und zur Sicherung des Leistungserfolgs hingegen als selbständig.20 Andererseits kann sich aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses immer ein anderes ergeben.

Vorzugswürdig ist deshalb eine Grundunterteilung der Pflichten nach ihrem Zweck. Unterstützt die jeweilige Pflicht das Leistungsinteresse, handelt es sich um eine Nebenleistungspflicht. Dient sie dem Schutz des Integritätsinteresses, liegt eine Schutzpflicht vor. Die Nebenleistungspflichten folgen aus § 242, die Schutzpflichten sind in § 241 II verortet (soweit keine speziellen Vorschriften existieren). Die Selbständigkeit der Geltendmachung lässt sich aus dieser Unterteilung nicht ablesen, sondern muss jeweils gesondert untersucht werden. Im Kaufvertrag existieren – je nach den Umständen des konkreten Vertrags – „Pflichten zur Verpackung, Versendung oder Versicherung der Ware, Pflichten zur Aufklärung, Beratung, Warnung und Bedienungsanleitung, Mitwirkungspflichten und Pflichten zum Bereithalten von Ersatzteilen“.21 Soweit diese Pflichten das Leistungsinteresse schützen, werden sie hier Nebenleistungspflichten genannt. Es wäre nicht sinnvoll, für die Einstufung als Nebenleistungspflicht oder als Nebenpflicht auf die selbständige Geltendmachung abzustellen, da diese Beurteilung je nach Vertrag zu einer anderen Beurteilung führen kann. Außerdem würde eine solche Aufgliederung das einheitliche Paket von Nebenpflichten sachwidrig aufspalten.

Allerdings können Nebenpflichten bisweilen zugleich Nebenleistungs- und Schutzpflichten sein. Wird beispielsweise beim Verkauf einer gefährlichen Maschine nicht ausreichend beraten, gewarnt und auch keine Bedienungsanleitung mitgegeben, so kann dies dazu führen, dass der Käufer die Maschine nicht bestimmungsgemäß nutzen kann (Leistungsinteresse). Durch die unsachgemäße Inbetriebnahme kann der Käufer verletzt werden oder Schaden an seinem sonstigen Eigentum erleiden (Integritätsinteresse).

18 19 20 21

S. die Übersicht bei Bamberger/Roth/Grüneberg § 241 Rdn. 46 ff. MüKo/Kramer § 241 Rdn. 21. S. o. Fn. 18. GesBegr BT-Drs 14/6040, 203.

29

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§7 3

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

Liegt eine solche Doppelfunktionalität der Nebenpflichten im Einzelfall vor, handelt es sich zugleich um Nebenleistungs- und Schutzpflichten. Überschneidungen beider Pflichtengruppen treten auch auf im Fall von Mangelfolgeschäden (Verletzung anderer Rechtsgüter des Gläubigers aufgrund mangelhafter Leistung): In erster Linie liegt die Verletzung einer Leistungspflicht vor (nämlich der Pflicht zur mangelfreien Leistung).22 Daneben kann aber auch eine Schutzpflicht verletzt sein (Pflicht zur Rücksicht auf das beschädigte Rechtsgut).23 In der Regel sind die aus beiden Pflichtverletzungen resultierenden Ansprüche inhaltsgleich. Der Anspruch wegen Schutzpflichtverletzung wird dann verdrängt (str).24 Die Qualifizierung als Leistungspflicht- oder Schutzpflichtverletzung hat Einfluss auf die Verjährung: Mangelbedingte Pflichtverletzungen verjähren in der kurzen Frist der §§ 438, 634a, andere Pflichtverletzungen unterliegen der Regelverjährung, §§ 195, 199. Der hier vertretene Standpunkt führt also zur kurzen Verjährung von Schadensersatzansprüchen für Mangelfolgeschäden.25 Einteilung der Pflichten

Schutzpflichten, § 241 II

Je nach Typus des Schuldverhältnisses

Dienen der Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Hauptleistung (dem Leistungsinteresse).

Verpflichten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils (Integritätsinteresse).

Hauptpflichten

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        

Nebenleistungspflichten, § 242

      

Hauptleistungspflichten

Nebenpflichten

e) Abschließende Bemerkung Die Einteilung der Pflichten dient nicht nur der gedanklichen Durchdringung, sondern führt zu rechtlichen Konsequenzen. Fasst man unter den Begriff der Hauptleistungspflicht wie hier die synallagmatischen Pflichten (s. o. Rdn. 36), so fällt nur diese Pflichtengruppe unter die §§ 320–322, 326. Für die Verletzung von Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten kommt nicht § 320, sondern ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 273 in Frage. Auf die Verletzung von Haupt- und Nebenleistungspflichten sind die §§ 281, 323 anwendbar, auf die Verletzung von Schutzpflichten dagegen die §§ 280 I, 282, 324. – Nicht jedes Schuldverhältnis beinhaltet alle drei Pflichtenkategorien. So bestehen in vorvertraglichen Schuldverhältnissen gem. § 311 II nur Schutzpflich22 S. auch GesBegr BT-Drs 14/6040, 135, wonach unter den sonstigen Pflichten i. S. v. § 282 (und damit auch i. S.v. § 241 II) „nur die nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten zu verstehen sind“. 23 Canaris ZIP 2003, 321 (324). 24 Erman/B. Grunewald Vor § 437 Rdn. 12; S. Lorenz NJW 2002, 2497 (2500); MüKo/Ernst § 280 Rdn. 54; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 136: „teleologisch bedingte Subsidiarität“. A. A. Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62 (70), Schwab/Witt Einführung in das neue Schuldrecht (2002) S. 19: Der Ersatz von Mangelfolgeschäden sei auf eine Schutzpflichtverletzung zu stützen. 25 Für eine analoge Anwendung von § 438 Müller/Hempel AcP 205 (2005) 246 (259f).

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Die Leistung

§7 6

ten, genauso wie bei Ansprüchen nach § 311 III aus einem Schuldverhältnis zu nicht am Vertrag beteiligten Dritten. Man spricht hier von gesetzlichen Schuldverhältnissen ohne primäre Leistungspflicht.26 4. Obliegenheiten

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Die Leistung besteht also möglicherweise aus einem Bündel von Pflichten, Tuns- und Unterlassungspflichten, Hauptleistungs-, Nebenleistungs- und Schutzpflichten. Die getrennte Betrachtung der einzelnen Leistungsbestandteile ist vor allem für den Erfüllungsanspruch, die Frage der Gegenseitigkeit, der Berechtigung beim Vertrag zugunsten Dritter und für die Leistungsstörungen von Bedeutung. Insgesamt bildet das Pflichtenbündel „die Leistung“. Nicht zu den Schuldpflichten und damit nicht zur Leistung zählen die Obliegenheiten. Eine Obliegenheit ist eine Verhaltensaufforderung, die das Recht einem Rechtssubjekt (also im Schuldrecht dem Schuldner oder auch häufig dem Gläubiger) in dessen Interesse und im Interesse eines anderen auferlegt, ohne dass der andere von dem mit der Obliegenheit Belasteten ein entsprechendes Verhalten fordern kann. Kommt allerdings der Obliegenheitsbelastete der Erwartung nicht nach, treffen ihn Rechtsnachteile (z. B. Beteiligung an der Schadenstragung, 254 I; die Folgen des Gläubigerverzugs, 293–304).27 Eine Obliegenheit kann aber durch Parteiwillen oder nach § 242 zur Pflicht und damit zum Leistungsbestandteil werden. Dann führt ihre Verletzung zu den üblichen Rechten, so im Erg. richtig BGHZ 11, 83 für § 642.28

5. Bestimmbarkeit des Leistungsinhalts

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Die Leistung muss bestimmt oder zumindest bestimmbar sein (denn sie soll regelmäßig einklagbar und vollstreckbar sein). Da die Leistung das ist, was der Schuldner dem Gläubiger zu gewähren hat, müssen drei Dinge zumindest bestimmbar sein: Der Gläubiger, der Schuldner und der Leistungsinhalt. Der missratene, volljährige Sohn verpflichtet sich schriftlich gegenüber dem Vater, in Zukunft anständig zu leben. Der Liebhaber verspricht urkundlich seiner Geliebten, sie nicht länger mit Eifersuchtsszenen zu belästigen. Solche Versprechen sind löblich, aber rechtlich unbeachtlich (selbst wenn sie rechtlich bindend gemeint sind), weil ihnen die Bestimmbarkeit fehlt. Es handelt sich um einen Nichtigkeitsgrund, den das Gesetz nicht ausdrücklich enthält und der unabhängig neben § 138 steht. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist verwandt, aber nicht identisch mit der sachlichen Begrenztheit aller schuldrechtlichen Leistungen (im Unterschied z. B. zu familienrechtlichen Gemeinschaftspflichten, etwa der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft, 1353).

6. Nichtvermögenswerte Leistungen

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Die Leistung muss nach herrschender Meinung einen Vorteil für den Gläubiger bedeuten, d. h., ihm Nachteiliges kann nicht Inhalt einer Leistung sein. Wertet man dabei Vor- und Nachteil objektiv, so kann man dem nicht zustimmen. Ein Vertrag bindet die Parteien auch dann, wenn er dem Gläubiger objektiv Nachteile bringt. Aber auch subjektiv aufgefasst bleibt der Satz der herrschenden Meinung zweifelhaft. Ein Gläubiger kann sich nicht auf Nichtigkeit eines Vertrags mit der Begründung berufen, er habe sich von vornherein keinen Vorteil von dem Geschäft versprochen. Zu prüfen bleibt aber stets, ob in diesem Fall überhaupt ein ernstlich gemeintes Versprechen vorliegt, § 118. 26 Larenz Schuldrecht I § 9. 27 Näher Reimer Schmidt, passim; Staudinger/J. Schmidt, Einl. zu §§ 241ff Rdn. 221ff. 28 Zur Abgrenzung der Obliegenheit von der Last unten Rdn. 70.

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§7 7

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

Richtig ist, dass die Leistung jedenfalls nicht Geldwert zu haben braucht. Auch ein Vertrag über eine Ehrenerklärung ist wirksam. Unser Recht kennt (im Unterschied zu manchen anderen historischen und geltenden fremden Rechten) neben der Vollstreckung wegen einer Geldforderung (§§ 803–882 a ZPO) auch die Vollstreckung zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen und zur Herausgabe von Sachen (§§ 883 bis 898 ZPO). Hieraus folgt, dass man sich grundsätzlich zu jeder auch nicht vermögenswerten Leistung verpflichten kann. Grenzen werden hier allerdings häufiger durch § 138 gezogen.

7. Einmalige, mehrteilige, dauernde und wiederholte Leistungen. „Sukzessivlieferungsverträge“ 47

Die Leistung kann einmalig, in mehreren Teilen (Raten) oder dauernd zu erbringen sein. a) Beim Kauf ist grundsätzlich einmalige Übergabe und Eigentumsverschaffung geschuldet, § 433 I 1. b) Eine Ware ist in 10 gleichen Partien zu je 1000 kg im Monat verkauft worden. Die Leistung beginnt am 1. 1. und endet am 1. 10. Man spricht von einem Raten- oder Teillieferungsvertrag. Der hauptsächliche Unterschied zu einem Vertrag über einmalige Leistung besteht in der Wegbedingung des (nachgiebigen) § 266, der dem Schuldner das Recht zu Teilleistungen grundsätzlich verbietet. Im Übrigen ist auch der Ratenlieferungsvertrag ein einheitlicher Vertrag, bei dem lediglich die Leistung in mehreren Teilen zu erbringen ist. Für Ratenlieferungsverträge vermeide man zweckmäßig den Ausdruck „Sukzessivlieferungsvertrag“, der ein Dauerschuldverhältnis bezeichnet (die Terminologie ist unsicher!, dazu unten c). Der Ratenlieferungsvertrag ist im Gesetz nicht systematisch geregelt. Lediglich § 505 enthält eine verbraucherschützende Vorschrift über das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Ratenlieferungsverträgen (s. u. Rdn. 1114f). Liegt in Bezug auf eine Teillieferung eine Leistungsstörung vor (z. B. ein Mangel, Verzug oder Unmöglichkeit), gelten die Regeln über die Teilstörung. Der Schuldner bleibt zur Leistung der anderen Teillieferungen verpflichtet. Der Gläubiger hat zunächst einmal lediglich Ansprüche in Bezug auf die gestörte Teilleistung. Der Gläubiger kann nur dann vom ganzen Vertrag, d. h. auch mit Wirkung für die vergangenen und zukünftigen Teilleistungen zurücktreten (oder „großen“ Schadensersatz fordern), wenn er an der Lieferung der anderen Teilleistungen kein Interesse hat (zur Teilunmöglichkeit s. u. Rdn. 379 f, 448). Dies wird nur ausnahmsweise der Fall sein. Beispiel: K kauft ein 24-bändiges Lexikon, pro Monat soll ein Band geliefert werden. Wegen mangelnden wirtschaftlichen Erfolgs bricht der Verlag das Lexikonprojekt bei Band zwölf ab. K kann vom ganzen Vertrag, also auch mit Wirkung für die bereits gelieferten Bände, zurücktreten, da er an einem unvollständigen Lexikon kein objektives Interesse hat (s. auch AG Köln, NJW 2004, 3342: Ein Band eines juristischen Kommentars bleibt aus; der Käufer kann vom gesamten Vertrag zurücktreten).

In der Regel wird lediglich eine Auflösung des Ratenlieferungsvertrags für die Zukunft analog § 314 möglich sein. Der Ratenlieferungsvertrag ist zwar kein eigentliches Dauerschuldverhältnis, sondern lediglich eine Streckung der Leistungserbringung in der Zeit (deshalb nur analoge Anwendung von § 314). Da die Vertragspartner für längere Zeit zusammenarbeiten müssen, ist eine Anwendung von § 314 aber geboten.29 Eine Kündigung ist nach umfassender Interessenabwägung dann möglich, wenn die Fortsetzung der Teillieferungen einer Partei nicht zumutbar ist. Eine Abmahnung analog § 314 II ist 29 S. Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht (2002) Rdn. 250.

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Die Leistung

§7 7

erforderlich (auch hier hat der Schuldner also eine zweite Chance!). Die Teillieferungen der Vergangenheit werden von der Kündigung nicht berührt. c) Dauernde Leistung ist bei Dauerschuldverhältnissen geschuldet: Die Gebrauchsgewährung bei Miete, Pacht, Darlehen und Leihe, die Verwahrungspflicht bei der Verwahrung, die Pflichten im Dienstvertrag, die des Beauftragten, des Geschäftsbesorgers (§ 675 I), die der Gesellschafter, die einzelnen Warenposten beim Sukzessivlieferungsvertrag. Der Sukzessivlieferungsvertrag unterscheidet sich vom Teillieferungsvertrag dadurch, dass er dauernd läuft, während der Teillieferungsvertrag eine bestimmte, begrenzte Zahl von Teilleistungen vorsieht. Beim Sukzessivlieferungsvertrag fehlt die Vorstellung der Teilung einer von vornherein mengenmäßig genau festgelegten Leistung. Vielmehr sollen fortlaufend Leistungen erbracht werden.30 Sukzessivlieferungsverträge laufen daher häufig auf unbestimmte Zeit. Doch steht ein ins Auge gefasster endgültiger Schlusstermin nicht entgegen. Die einzelnen abschnittsweise erbrachten Leistungen sind keine Teilleistungen i.S.v. § 266, sondern Erfüllung dessen, was der Schuldner zur Zeit schuldet.31 Man unterscheidet Sukzessivlieferungsverträge mit gleichbleibend großen Leistungen („echte“, z. B. Autor liefert aufgrund eines Rahmenvertrags jeden Monat das Manuskript für ein Unterhaltungsheft) und solche mit sich wandelnden Leistungen nach Maßgabe eines vom Käufer gemeldeten Bedarfs („Bedarfsdeckungs“-, „Bezugsverträge“; z. B. Bierbezugsverträge der Gastwirte, just in time-Zulieferverträge). Sukzessivlieferungsverträge sind Dauerschuldverhältnisse. Haben sie eine kaufrechtliche Grundlage, sind sie von den oben geschilderten Teillieferungsverträgen bisweilen nur schwer zu unterscheiden. Abruf nach Bedarf und längere Laufzeit sprechen für das Vorliegen eines Dauerschuldverhältnisses. Vereinzelt sieht das Gesetz übergreifende Regeln für Dauerschuldverhältnisse vor (vgl. §§ 308 Nr. 3, 309 Nr. 1 und 9, 313 III 2 und besonders die Kündigungsvorschrift des § 314). Ansonsten ist sorgfältig zu konstruieren. Bei Sukzessivlieferungsverträgen ist stets zwischen den einzelnen Lieferungen und Leistungen einerseits und dem Rahmenvertrag andererseits zu unterscheiden. Bei den einzelnen Lieferungen und Leistungen handelt es sich um eigene Verträge (z. B. Kauf- oder Werkverträge), auf welche die §§ 280ff, 320 ff (ggf. über den Verweis in den §§ 437, 634) unmittelbar anwendbar sind. Tritt für einen dieser Einzelverträge eine Leistungsstörung ein, können die hieraus folgenden Rechte nur in Bezug auf den Einzelvertrag geltend gemacht werden. Hinsichtlich des Rahmenvertrags ist nur die Kündigung mit Wirkung für die Zukunft möglich. Eine Leistungsstörung im Einzelvertrag berechtigt nicht zur Auflösung vergangener Einzelverträge. Für einzelne Dauerschuldverhältnisse sieht das Gesetz ordentliche oder außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten vor, s. z. B. für das Darlehen die §§ 489, 490, für die Miete die §§ 542, 543, 568 ff, oder für den Dienstvertrag die §§ 620ff. (Missverständlich ist das Wort Kündigung in § 649: Der Werkvertrag ist im Allgemeinen kein Dauerschuldverhältnis. Kündigung meint hier: Vertragsaufsage im Allgemeinen, nicht: Beendigung für die Zukunft.) Wo weder das Gesetz eine Kündigung vorsieht noch der Vertrag, (wie häufig bei den dem Kaufrecht unterliegenden Sukzessivlieferungsverträgen), ist eine Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 314 möglich. Entscheidend ist, ob die Leistungsstörung (die unverschuldet sein kann) dem Gläubiger ein Festhalten am

30 Vgl. § 309 Nr. 9: In Halbs. 1 sind mit der „regelmäßigen Lieferung von Waren“ die Sukzessivlieferungsverträge gemeint, während sich in Halbs. 2 die „Lieferung als zusammengehörig verkaufter Sachen“ auf den Teillieferungsvertrag bezieht. 31 A. Hueck Der Sukzessivlieferungsvertrag (1918) 16.

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§8

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Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

Rahmenvertrag unzumutbar macht. Die Kündigung ist ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist möglich. Gem. § 314 II hat aber bei Pflichtverletzungen i. d. R. eine Fristsetzung oder eine Abmahnung vorauszugehen. Die Schadensersatzregeln bleiben gem. § 314 IV anwendbar (näher zur Kündigung aus wichtigem Grund unten § 50 II). d) Versorgungsverträge über Strom, Gas und Wasser wurden früher als Wiederkehrschuldverhältnisse qualifiziert: Unter dieser Rechtsfigur wurde ein Schuldverhältnis verstanden, das sich regelmäßig (z. B. an jedem Monatsersten) selbsttätig erneuert. Diese Konstruktion hatte insolvenzrechtliche Gründe: Verlangte der Konkursverwalter Weiterbelieferung, wären bei Annahme eines einheitlichen Vertrags nach der alten Konkursordnung sämtliche Forderungen der Versorgungsunternehmen, also auch solche für Leistungen der Vergangenheit, privilegierte Masseforderungen geworden. Dieses Problem wurde durch die Insolvenzordnung von 1994 gelöst: Gem. den §§ 103, 105 InsO bleiben die Forderungen für Teilleistungen in der Vergangenheit einfache Insolvenzforderungen. Lediglich die Leistungen, welche der Insolvenzverwalter für die Zukunft in Anspruch nimmt, erlangen den Status von Masseverbindlichkeiten (§ 55 I Nr. 2 InsO). Die Figur des Wiederkehrschuldverhältnisses wird deshalb nicht mehr benötigt. Auch die Versorgungsverträge sind als Sukzessivlieferungsverträge einzustufen. e) Von den beschriebenen Ratenlieferungs- und Dauerschuldverhältnissen ist der Fall zu unterscheiden, dass eine Mehrzahl gleichartiger Verträge über eine sachlich zusammenhängende Leistung geschlossen wird. Dann gilt für jeden Vertrag eine eigene Beurteilung, wobei die §§ 139, 158 ff oder auch § 242 einen Zusammenhang herstellen können.

§8 Die wirtschaftliche Bedeutung der Schuldverhältnisse 50

1. Dem Schuldrecht kommt von allen fünf Büchern des BGB die relativ größte wirtschaftliche Bedeutung zu. Freilich ist es das Zusammenwirken aller bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen und darüber hinaus anderer Bereiche, im Besonderen des Handels- und Wirtschaftsrechts, das letzten Endes einen geregelten Ablauf des Wirtschaftslebens sicherstellt. Aber das Schuldrecht mit seinen allgemeinen Regeln und besonderen Rechtsverhältnissen bildet den Schwerpunkt der wirtschaftlich erheblichen Rechtsbestimmungen. Auf die nachstehend genannten wirtschaftlichen Bereiche erstreckt sich das Recht der Schuldverhältnisse im Besonderen: a) Vorbereitung und Begründung sachenrechtlicher Verfügungen Wer ein Pfund Äpfel auf dem Markt kauft, wird dadurch Eigentümer der Äpfel, dass ihm soviel Äpfel (einzeln) übereignet werden, wie das Pfund Äpfel enthält, 929. Der Verkäufer wird umgekehrt nach § 929 Eigentümer der Geldscheine und Münzen, die zur Bezahlung aufgewendet werden. Jedesmal handelt es sich um sachenrechtliche Vorgänge, nämlich um Verfügungen über das Eigentum an beweglichen Sachen. Der Kaufvertrag bereitet die Verfügungen schuldrechtlich vor, indem er die Pflichten dazu begründet. Dadurch rechtfertigt er die Verfügungen (812 I 1). b) Gebrauchsüberlassungsverträge Wirtschaftlich wichtig sind die Gebrauchsüberlassungen für das Zur-Miete-Wohnen, für die Auto- und Gerätevermietung, für kurzfristige Überlassung von Sachen aller Art (Leihe), für das Kreditwesen (Darlehen, Sicherungsübereignung) und für die Landwirtschaft und Gewerbetreibende (Pacht).

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Arten der Schuldverhältnisse: Gegenseitiger Vertrag

§9 I

c) Dienstleistungen Da die meisten Menschen Lohn- oder Gehaltsempfänger sind, und auch die anderen ihren Lebensunterhalt meist durch Arbeit für andere verdienen, liegt die Bedeutung dieser Schuldverhältnisse auf der Hand. Als Sonderrecht hierzu hat sich das Arbeitsrecht entwickelt. d) Rechtsgemeinschaften Als vierter Bereich sind Gesellschaft und Gemeinschaft zu nennen, von denen vor allem die Gesellschaft für das Wirtschaftsleben unentbehrlich ist. Der weitaus überwiegende Teil des Wirtschaftsvermögens ist Eigentum von Gesellschaften, nicht von Einzelpersonen. Auch hier besteht ergänzend ein besonderes Rechtsgebiet, das Gesellschaftsrecht. e) Bank- und Kapitalmarktrecht; Versicherungswesen Hierher zählen Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis, das Differenzgeschäft (Spiel), Bürgschaft, Anweisung und Inhaberschuldverschreibung. Als Sondergebiet ist das Wertpapierrecht zu erwähnen. f) Ungerechtfertigte Bereicherung. GoA. Unerlaubte Handlungen (= Delikte) 2. Daneben zu nennen sind noch drei wichtige Lebensbereiche, wo Schuldverhältnisse nicht rechtsgeschäftlich, sondern nur kraft Gesetzes und ohne einen darauf gerichteten Willen der Beteiligten entstehen. Der eine Fall ist die ungerechtfertigte Bereicherung, eine Gruppe von Ansprüchen, die bei unbegründeten Güterverschiebungen eingreifen. Auch die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) dient dem Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebung. Sie ist ihrem Wesen nach ein subjektiviertes Bereicherungsrecht. Der dritte Bereich gesetzlicher Schuldverhältnisse sind die unerlaubten Handlungen. Es handelt sich um Ansprüche, die schuldhaftes oder aus einer Gefährdung herrührendes Unrecht wieder gutmachen sollen.

2. Unterabschnitt: Arten der Schuldverhältnisse §9 Arten der Schuldverhältnisse: Beteiligung am Schuldverhältnis. Gegenseitiger Vertrag (Überblick) Adler, Leistungsverweigerung nach § 320, FS Zitelmann, 1913, 1; Brox, Die Einrede des nichterfüllten Vertrages beim Kauf, 1948; Bydlinski, FS A. Steinwenter, 1958, 140; van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, 1968; Ernst, Die Einrede des nichterfüllten Vertrags, 2000; ders., AcP 199 (1999) 485; Gernhuber, FS Larenz 1973, 455; ders., FS L. Raiser, 1974, 57; Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, 1912; Oesterle, Die Leistung Zug um Zug, 1980; Rittner, FS Heinr. Lange, 1970, 213; Schmidt-Rimpler, Die Gegenseitigkeit bei einseitig bedingten Verträgen, 1968; Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, 1975.

I. Verschiedene Einteilungsgesichtspunkte Man teilt die Schuldverhältnisse nach verschiedenen Gesichtspunkten ein: Nach der Art der Beteiligung daran (u. II), nach Maßgabe der Typenlehre (u. § 10), nach Art der zu ihrer Entstehung führenden Erklärungen (u. § 11) und nach dem Grad ihrer Abstraktion von einem wirtschaftlichen Grund ihres Bestehens (u. § 12). Zur Einteilung der Schuldverhältnisse nach Art der geschuldeten Leistung siehe oben § 7.

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§ 9 II

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

II. Die Beteiligung am Schuldverhältnis. Gegenseitiger Vertrag 52

Die nachfolgenden Einteilungen betrachten die Art der Beteiligung von Schuldner und Gläubiger an Begründung und Pflichtenverteilung der Schuldverhältnisse. Es handelt sich um die am häufigsten verwendeten Einteilungsweisen. Wird im Gutachten nach Ansprüchen gefragt, kann man nach Maßgabe dieser Einteilungen vorgehen, um nichts zu übersehen. Die Einteilungen 1. und 2. betreffen die Art der Entstehung, die Einteilungen 3. und 4. das Pflichtenverhältnis, die Einteilung 5. bezieht sich auf den Vertragszweck von Schuldverhältnissen.

1. Man unterscheidet Schuldverhältnisse aus Gesetz und aus Rechtsgeschäft. Aus Gesetz, d. h. ohne rechtsgeschäftlichen Willen der Beteiligten, entstehen Schuldverhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag (677ff), ungerechtfertigter Bereicherung (812 ff) und unerlaubter Handlung (823 ff). Die meisten anderen Schuldverhältnisse setzen Rechtsgeschäfte voraus. Siehe dazu im Einzelnen unten § 16 (Begründung von Schuldverhältnissen). Praktisch bedeutsam ist daneben das gesetzliche Leistungsverhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer (985 ff), zwischen wahrem Erben und Erbschaftsbesitzer (2018ff) und aufgrund von familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen (1601 ff). Die soeben genannten sechs Gruppen sind die wichtigsten „Ansprüche aus Gesetz“.

2. Bei den Schuldverhältnissen aus Rechtsgeschäft unterscheidet man einseitig und zwei- oder mehrseitig begründete. Sinn dieser Unterscheidung ist es, festzustellen, ob nur ein Beteiligter (nämlich der Schuldner) eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt oder ob auch der Gläubiger mitwirkt. Einseitig begründet ist nur das Schuldverhältnis der Auslobung (657 ff). Alle übrigen Schuldverhältnisse sind zwei- oder mehrseitig begründet. Das gilt nach der herrschenden (durch Rechtsscheingrundsätze modifizierten) Vertragstheorie auch für die Inhaberschuldverschreibung (793) und die anderen skripturrechtlichen Wertpapiere. Die so genannte Kreationstheorie vertritt hier den Standpunkt der einseitigen Begründung. Andere nicht im Schuldrecht geregelte, einseitig begründete rechtsgeschäftliche Verhältnisse im BGB sind z. B. das Stiftungsgeschäft (83 I) und das Vermächtnis (2174).

3. Der Vertrag ist ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft. Zwei- oder mehrseitig begründete Schuldverhältnisse heißen schuldrechtliche Verträge. Es gibt auch sachen-, familien-, erbrechtliche Verträge, ferner öffentlich-rechtliche Verträge. Die schuldrechtlichen Verträge teilt man ein in einseitig und zwei- oder mehrseitig verpflichtende Verträge (contractus unilaterales; bi-, multilaterales). Die einseitig verpflichtenden Verträge haben nur einen Anspruch, d. h. also einen Schuldner und einen Gläubiger. Bei den zwei- oder mehrseitigen Verträgen ist jeder des anderen Schuldner und Gläubiger. Von den typischen Verträgen (dazu unten §§ 10 und 67) ist einseitig verpflichtend nur das Schenkungsversprechen (518). Alle übrigen schuldrechtlichen Vertragstypen sind zwei- oder mehrseitig verpflichtend (z. B. Auftrag, Leihe, Kauf, Miete). Es ist also darauf zu achten, ob sich die Ein- oder Mehrseitigkeit auf die Begründung bezieht (oben 2.) oder auf die Verpflichtung (oben 3.).

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4. Bei den zwei- oder mehrseitig verpflichtenden Verträgen ist die Einteilung in die gewöhnlichen zwei- oder mehrseitig verpflichtenden und in die gegenseitigen Verträge besonders wichtig. Man nennt die gewöhnlichen zwei- oder mehrseitigen verpflichtenden Verträge auch die „unvollkommen zwei- oder mehrseitigen“ (contractus bilaterales iniquales), z. B. Auftrag, Leihe. Die gegenseitigen Verträge heißen auch synallagmatische Verträge (contractus bilaterales aequales), z. B. Kauf, Miete. Gewöhnlichen zwei- oder mehrseitig verpflichtenden und gegenseitigen Verträgen ist gemeinsam, dass die Beteiligten einander im Schuldverhältnis gleichzeitig oder in zeit-

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Arten der Schuldverhältnisse: Gegenseitiger Vertrag

§ 9 II

licher Abfolge als Schuldner und Gläubiger gegenübertreten. Der Unterschied zwischen beiden Vertragsarten liegt in dem (zum Inhalt eines Rechtsgeschäfts erhobenen) Motivationsverhältnis, in dem die wechselseitige Verpflichtung und Berechtigung steht. Bei gewöhnlichen zwei- oder mehrseitig verpflichtenden Verträgen ergibt sich die wechselseitige Schuldner- und Gläubigerstellung als Folgeerscheinung im Ablauf des Schuldverhältnisses. So schuldet beim Auftrag zunächst der Beauftragte nach § 662 die unentgeltliche, ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags, dann aber ist ihm der Auftraggeber nach § 670 zum Ersatz von Aufwendungen verpflichtet, die der Beauftragte für erforderlich halten durfte. Bei der Leihe folgt auf die Gebrauchsgestattung durch den Verleiher die Rückgabepflicht des Entleihers, 598, 604.

In gegenseitigen Verträgen ist das Verhältnis der wechselseitigen Verpflichtung und Berechtigung nach dem Willen der Parteien von vornherein wesentlich enger. Hier wird die Verpflichtung zur Leistung nur deshalb eingegangen, weil sich der Gegner zu einer Gegenleistung verpflichtet. Die eine Pflicht besteht um der Gegenpflicht willen (sog. Synallagma). Beim Kauf wird die Lieferung der Ware nur deshalb zugesagt, weil ein Preis als Gegenleistung versprochen wird. Die Wohnung wird beim Mietvertrag nur darum vermietet, weil sich der Mieter zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet. Das verzinsliche Darlehen wird um der Zinsen willen gewährt, und der Darlehensnehmer ist bereit, die Zinsen zu zahlen, weil ihm die Darlehenssumme (Valuta) zur Verfügung gestellt wird. Die Geschäftsbesorgung (§ 675) erfolgt „für Geld“. – Nur für Pflichten, die in diesem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, gelten die §§ 320ff über gegenseitige Verträge (s.o. Rdn. 43).1 Diese Vorschriften ziehen die rechtlichen Folgerungen aus dem „do ut des“ der gegenseitigen Verträge. Gegenseitige Verträge weisen hinsichtlich ihrer Entstehung keine Besonderheit gegenüber anderen Verträgen auf: Auch sie setzen die Annahme eines noch wirksamen Angebots voraus, 145 ff (genetische Abhängigkeit der Verpflichtungserklärungen, genetisches Synallagma). Gegenseitige Verträge zeigen aber in ihrem Bestande sehr wesentliche Besonderheiten gegenüber anderen Verträgen. Das ist leicht einzusehen, wenn man sich als ihr Wesen vergegenwärtigt, dass bei ihnen eine Verpflichtung um einer Gegenverpflichtung willen eingegangen worden ist. Die Nicht- oder Schlechterfüllung der einen Pflicht muss sich notwendig auf die Gegenpflicht rechtlich auswirken, wenn man Rücksicht auf die Parteivorstellungen bei Vertragsschluss nimmt (funktionelle Abhängigkeit der Verpflichtungserklärungen im gegenseitigen Vertrag, funktionelles Synallagma).2 a) Einrede des nichterfüllten Vertrags, 320 I

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Man kann seine Leistung so lange zurückhalten, bis der Vertragspartner sie bewirkt. Man braucht also nur Zug um Zug zu leisten und braucht dem Partner keinen Kredit zu geben. Das Gesetz erwartet von keiner Vertragspartei eine Vorleistung. Kreditgebung wird niemandem zugemutet. Wer vorleistet, tut dies auf eigenes Risiko. Eine Einschränkung bei teilweiser Anleistung eines wesentlichen Teils enthält § 320 II.

1 Die §§ 320 ff gelten also nicht für Pflichten, die zwar bei der Durchführung gegenseitiger Verträge vorkommen, dem Gegenseitigkeitsverhältnis aber nicht unterliegen: So die Rückgabepflicht aus Miete (§ 546); die Rückzahlungspflicht beim verzinslichen Darlehen (§ 488) u. dergl. 2 Dazu v. d. Daele, 24; MünchKomm/Emmerich, vor § 320 Rdn. 13 ff. Diese Besonderheiten der gegenseitigen Verträge sind geregelt in §§ 320–326. Da es sich um Tatbestände der Nicht- oder Schlechterfüllung einer Vertragspflicht handelt, gehört die Behandlung dieses Stoffes überwiegend zu den Leistungsstörungen, unten §§ 43–47. Hier soll nur eine Übersicht gegeben werden.

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§ 9 II

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

b) Verurteilung zur Leistung Zug-um-Zug, 322 I Wenn nun keiner als erster mit der Leistung herausrücken will, muss geklagt werden. In Fortsetzung des Zug-um-Zug-Gedankens des § 320 sagt § 322 I, dass im gegenseitigen Vertrag auch die Verurteilung zur Leistung nur Zug um Zug gegen Gewährung der Gegenleistung erfolgt. Schickt der Käufer dem Verkäufer den Gerichtsvollzieher ins Haus, so muss er diesem den Kaufpreis mitgeben. Sonst wird der Gerichtsvollzieher nicht tätig, 726 II, 756 ZPO. Statt dem Gerichtsvollzieher die Gegenleistung mitzugeben, kann man, wenn die Voraussetzungen dazu vorliegen, auch im Leistungsurteil den Annahmeverzug des Schuldners der Leistung und Gläubigers der Gegenleistung feststellen lassen, 298. § 274 II gilt entsprechend (arg. § 320 I 3; vgl. auch § 322 III). Dieser Weg erleichtert dem Gläubiger die Rechtsverfolgung. Das Urteil ist eine öffentliche Urkunde, 756, 415 ZPO. Ist eine Ausfertigung des Urteils zugestellt, kann der Gerichtsvollzieher mit der Vollstreckung beginnen. § 322 II gehört zur Lehre des Gläubigerverzugs, unten § 45. – Zug-um-Zug-Urteile müssen genau gefasst sein, sonst sind sie fehlerhaft, BGHZ 45, 287. Zum Verhältnis zwischen § 320 und §§ 273, 274 unten Rdn. 527.

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c) Unsicherheitseinrede, 321 Als seltener Einzelfall der sonst im Gesetz nicht allgemein enthaltenen clausula rebus sic stantibus (Einrede der veränderten Umstände) schreibt § 321 vor, dass sich der eine Teil, wenn er aufgrund besonderer Abrede vorleistungspflichtig ist, durch die Unsicherheitseinrede nachträglich von seiner Vorleistungspflicht befreien kann. (Andere Fälle der clausula rebus sic stantibus: § 490 I, 779). Seit der Schuldrechtsmodernisierung hat der Vorleistungspflichtige ein Leistungsverweigerungsrecht nicht nur dann, wenn sich die Vermögensverhältnisse des anderen Teils nach Vertragsschluss tatsächlich verschlechtern. Es reicht vielmehr bereits aus, dass erst nach Abschluss des Vertrags erkennbar wird, dass der Anspruch auf die Gegenleistung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Teils gefährdet wird. Hierunter fallen auch diejenigen Fälle, in denen sich die Vermögensverhältnisse des anderen Teils nicht geändert haben, die Risikolage aber erst nach Vertragsschluss bekannt wird. Relevant sind hier allerdings nur solche Risiken, die der Vorleistungspflichtige nicht bereits durch eine sorgfältige Prüfung vor Vertragsschluss erkennen konnte. Neben der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse erfasst § 321 ganz allgemein alle Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit, also auch solche, die nicht im Vermögen des anderen Teils, sondern in objektiven Gefährdungen der Leistungsfähigkeit wurzeln. Hierzu gehören beispielsweise Fälle höherer Gewalt, Probleme bei Zulieferern oder krankheitsbedingte Ausfälle.3 – § 321 II räumt dem Vorleistungspflichtigen in diesen Fällen außerdem das Recht ein, unter Setzung einer angemessenen Frist vom anderen Teil Zug um Zug (nach dessen Wahl) die Gegenleistung oder aber Sicherheitsleistung zu verlangen. Hierdurch sollen Schwebezustände vermieden werden, die entstehen können, wenn der Vorleistungsberechtigte weder die ihm obliegende Leistung erbringt noch Sicherheit leistet. Unter den Voraussetzungen von § 321 II 2, 3 kann der Vorleistungspflichtige in diesen Fällen vom Vertrag zurücktreten.4

d) §§ 320–326 für synallagmatische Haupt- und Nebenpflichten Hervorzuheben ist, dass die Besonderheiten der §§ 320–326 für Haupt- und Nebenpflichten aus gegenseitigen Verträgen gelten, wenn nichts anderes vereinbart ist. Nebenpflichten stehen also nicht denknotwendig außerhalb des Synallagmas. Oft werden allerdings Nebenpflichten nach dem Willen der Parteien nicht in das Synallagma ein3 GesBegr BT-Drs 14/6040, S. 179. 4 Die Regelung lehnt sich ausdrücklich an Art. 83 II des schweizerischen Obligationsrechts an, s. GesBegr BT-Drs 14/6040, S. 179 f.

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Fortsetzung: Typische und atypische Schuldverhältnisse

§ 10

bezogen sein. Ist die Nebenpflicht synallagmatisch, kann ihretwegen die Einrede nach § 320 erhoben werden; wird nur die Nebenpflicht nicht erfüllt, gilt § 320 II. Ein Beispiel für eine synallagmatische Nebenpflicht ist die Pflicht zur Bereitstellung einer Gebrauchsanweisung beim Kauf einer Spezialmaschine (vgl. auch unten Rdn. 811). Für § 323 I ist es ausreichend, dass überhaupt ein synallagmatischer Vertrag vorliegt. Ob die nicht (oder nicht vertragsgemäß) erbrachte Leistung im Gegenseitigkeitsverhältnis steht, ist unerheblich (str., s. u. Rdn. 486). 5. Man kann die gegenseitigen Verträge weiter einteilen in Austausch- und Gesellschaftsverträge. Durch Austauschverträge (Kauf, Miete, Versprechen eines verzinslichen Darlehens u. a.) verfolgen die Parteien wirtschaftlich entgegengesetzte Zwecke (z. B. Bedarfsdeckung, Versilberung). In Gesellschaftsverträgen verbindet die Beteiligten ein gemeinsamer wirtschaftlicher Zweck, der Gesellschaftszweck (affectio societatis), 705 ff; 105 ff HGB; dazu im Einzelnen unten § 92. Die Anwendbarkeit der §§ 320ff auf Gesellschaftsverträge ist sehr streitig, unten Rdn. 1340.

§ 10 Fortsetzung: Typische und atypische Schuldverhältnisse Charmatz, Zur Geschichte und Konstruktion der Vertragstypen im Schuldrecht mit besonderer Berücksichtigung der gemischten Verträge, Brünn 1937; Hoeniger, Die gemischten Verträge in ihren Grundformen 1910; Jung, IherJb. 69, 61; Kramer, E. A., Hrsg., Neue Vertragsformen der Wirtschaft; Leasing, Factoring, Franchising, 1985 (mit reicher Lit.); Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971; Schluep, W., Innominatverträge, Schweizerisches Privatrecht VII/2, 1979, 764 ff; Schreiber, IherJb. 60, 106; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, 2001; Wolff, Ernst, FS Hans Lewald, 1953, 633; s. a. § 67 unten.

1. Typisch werden Schuldverhältnisse genannt, die im Gesetz besonders geregelt sind, z. B. Kauf, Miete, Dienstvertrag, Verwahrung, Auslobung, unerlaubte Handlungen. Man spricht, wenn es sich dabei um Verträge handelt, von „Vertragstypen“. Die meisten sind im 8. Abschnitt des 2. Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten; einige gehören dem Allgemeinen Schuldrecht an (z. B. Schuldübernahme, 414f; Vertragsstrafe, 339). Außerhalb des BGB finden sich Vertragstypen vor allem bei den arbeitsrechtlichen Vorschriften des HGB und der GewO. Ein wichtiger, außerhalb des BGB, nämlich im VVG geregelter typischer Vertrag ist der Versicherungsvertrag (näher u. § 96 III). Die Auswahl der typischen Schuldverhältnisse obliegt dem Gesetzgeber. Die Tradition spielt dabei die Hauptrolle, vor allem die des römischen und gemeinen deutschen Rechts, z. B. bei Kauf, Miete, Dienstvertrag, Werkvertrag, ungerechtfertiger Bereicherung. Andere Schuldverhältnisse, wie z. B. die Inhaberschuldverschreibung, haben keine römisch-rechtliche Wurzel. – „Atypisch“ ist ein Vertrag also wegen fehlender gesetzlicher Ausformung. 2. Bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen gibt es nur die typischen: Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigte Bereicherung, unerlaubte Handlungen. Eine Ausdehnung ihrer Zahl kraft Parteivereinbarung ist begrifflich ausgeschlossen. Es besteht ein numerus clausus der gesetzlichen Schuldverhältnisse wie bei den Sachenrechten.

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Entsprechendes gilt für einseitig begründete Schuldverhältnisse (Auslobung), vgl. 311 I.

3. Verträge können atypisch sein: Den Parteien steht es frei, neue Vertragsarten- und -inhalte zu erfinden. Das folgt aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, 311 I; Art. 2 I GG. Häufiger vorkommende atypische Verträge sind:

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§ 10

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

a) Der Garantievertrag. Durch ihn verspricht eine Partei der anderen, für einen bestimmten Erfolg unbedingt einstehen zu wollen. Näher unten § 96 II; ESJ 3. b) Die Sicherungsabrede (Sicherungsvertrag). Sie ist die schuldrechtliche Grundlage für die Überlassung von Sicherheiten (wie Wechsel, Sicherungshalber zedierte Forderungen, Sicherungseigentum, Grundpfandrechte, insb. Grundschulden). Dazu unten § 96 IV, und, zur Sicherungszession, Rdn. 740. c) Die Sicherungstreuhand. Sie ist mit der Sicherungsabrede verwandt und dadurch gekennzeichnet, dass ein Treuhandverhältnis hinzutritt, dazu unten Rdn. 1371. Die Verwaltungstreuhand zählt zu § 675, unten Rdn. 1254. d) Die kumulative Schuldübernahme (Schuldmitübernahme, Schuldbeitritt). Das Gesetz regelt in §§ 414 ff die privative Schuldübernahme, durch die an die Stelle eines Schuldners ein anderer tritt, ohne dass der alte Schuldner weiterhaftet. Bei der kumulativen Schuldübernahme tritt dagegen ein neuer Schuldner neben den alten Schuldner, der weiter zur Leistung verpflichtet bleibt. Dazu unten Rdn. 753; ESJ 62. e) Der Trödelvertrag. Jemand verspricht die Bemühung (ohne Einstehen für Erfolg), eine Sache im eigenen Namen für Rechnung eines Auftraggebers zu einem Mindestpreis zu verkaufen mit der Maßgabe, dass, wenn der Verkauf gelingt, ein etwaiger Mehrerlös nicht an den Auftraggeber abgeführt zu werden braucht. Misslingt die Bemühung, darf die Sache an den Auftraggeber zurückgegeben werden. Zum verwandten Kommissionsgeschäft s. §§ 383ff HGB. f) Der Leasing-Vertrag. Zu dieser Sonderentwicklung bei den Gebrauchsüberlassungen s. u. § 79. g) Der Factoring-Vertrag. Er dient u. a. der Erleichterung des Forderungseinzugs, s. u. § 60 II. h) Der Franchising-Vertrag im Warenvertrieb; hierzu z. B. Forkel, ZHR 153 (1989) 511; Martinek, Moderne Vertragstypen II: Franchising, 1992; Fikentscher, Wirtschaftsrecht I (1983) 276, 625; II (1983) 308. Es handelt sich um einen aus verschiedenen Elementen (Dauerbelieferung, Schutzrechtsüberlassung, Geschäftsbesorgung usw.) bestehenden Vertrag des Wirtschaftsrechts, BGHZ 128, 156.

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4. Atypisch sind alle Vertragsverbindungen und gemischten Verträge, wie z. B. Beherbergungs-, Schiffsreise- und Internatsvertrag, Vorführungsverträge (Kino, Theater, Kabarrett). Bei ihnen werden aufgrund von Parteivereinbarungen mehrere Vertragstypen in lockerer oder fester Form zu neuen atypischen Verträgen zusammengefügt. Der Vertrag mit einer Schiffsagentur über eine Mittelmeer-Ferienreise mit voller Verpflegung enthält z. B. Elemente des Beförderungs-(Werk-), Dienst-, Miet- und Kaufrechts. Näher dazu unten § 67. Der Reiseveranstaltungsvertrag ist 1979 durch Einfügung der §§ 651a f f „typisiert“ worden, s. u. § 85. 5. Reformvorschläge. Die gesetzliche Normierung einer Reihe von atypischen Schuldverträgen, für die sich in der Praxis besondere Regeln durchgesetzt haben, war Gegenstand zahlreicher Überlegungen.1 Zur Diskussion standen vor allem folgende Vertragstypen: Heimvertrag 2, medizinischer Behandlungsvertrag 3, entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag 4, Giroverhältnis 5, Bankvertrag 6 und Energieversorgungsvertrag.7 Das ÜberweisungsG von 1999 hat u. a. den Überweisungs-, Zahlungs- und Girovertrag gebracht, 676a ff. Bei der Einführung neuer Vertragstypen ist Vorsicht geboten, da die

1 Vgl. hierzu Schmude, Gutachten, I, Vf; Schwark, JZ 81, 741, 746ff; Wolf, A., AcP 182, 80, 94 ff und ausführlicher unten § 120. 2 Vgl. Igl, Gutachten, I, 951 ff. 3 Vgl. Deutsch/Geiger, Gutachten, II, 1049ff; Schwark, JZ 81, 747. 4 Vgl. Musielak, Gutachten, II, 1209 ff. 5 Vgl. Häuser, Gutachten, II, 1317 ff. 6 Vgl. Schwark, JZ 81, 747 7 Vgl. Schwark, ebenda.

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Fortsetzung: Kausale und abstrakte Schuldverhältnisse

§ 12

Gefahr einer Überlastung des Gesetzestexts besteht. Das BGB würde dadurch an Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit (beides grundsätzliche Vorteile eines Kodex) verlieren.8

§ 11 Fortsetzung: Konsensual- und Realverträge Boehmer, ArchBürgR 38, 314; Haase, JR 75, 317; Kaser, Das Römische Privatrecht I, 2. Aufl. 1971, §§ 124–127; Schmidt, K., JuS 76, 709. 1. Verträge kommen nach heutiger Auffassung allein durch die Willenseinigung der Vertragsparteien zustande: Angebot und Annahme begründen den Vertrag, 145ff (Konsensualprinzip). Wo keine besondere Form vorgeschrieben ist (anders z. B. § 311 b I) genügt formloser, d. h. mündlicher Vertragsschluss. Alle Verträge sind daher Konsensualverträge. 2. In nur scheinbarem Widerspruch dazu steht die Formulierung von § 516 (Realschenkung) und § 688 (Verwahrung). Dort wird scheinbar zur Wirksamkeit des Vertrags selbst die bereichernde Zuwendung bzw. die Übergabe der zu verwahrenden Sache, also jeweils eine reale Handlung verlangt. Bei Realschenkung und Verwahrung steht das BGB historisch sicherlich auf dem Standpunkt des Realvertrags, ohne dass das jedoch die moderne Auslegung bindet, Palandt/Heinrichs, Überbl. v. § 311 Rdn. 3; Schmidt, K., anders noch BGH NJW 75, 443. Im folgenden wird daher unter Realvertrag ein Konsensualvertrag verstanden, bei dem die für den Vertragsschluss erforderliche Willenserklärung mindestens einer Partei typischerweise (aber nicht notwendig) durch eine Handlung schlüssig erklärt wird. Unberührt bleibt das Formproblem bei der Schenkung, wo die tatsächliche Zuwendung die Beurkundung ersetzt (und umgekehrt).

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§ 12 Fortsetzung: Kausale und abstrakte Schuldverhältnisse Cohn, AcP 135, 67; Jahr, SZRA 80, 141; Kiefner, Ranieri, Luig und Müller-Freienfels, in: Coing/ Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. II, 1977; Klinke, Causa und genetisches Synallagma, 1982; Kühler, Feststellung und Garantie, 1967; Mayer-Maly, FS Wilburg, 1975, 243; Rother, AcP 169, 1; Söllner, SZRA 77, 182; v. Tuhr, FS Schultze, 1903, 25; Westermann, H. P., Die causa im französischen und deutschen Zivilrecht, 1967.

1. „Abstrakt“ besagt im Recht – in allgemeiner Bedeutung –, dass ein Rechtsgeschäft von der Wirksamkeit eines andern nicht abhängt, so dass Einwendungen aus dem einen keine Konsequenzen für das andere haben. Der Gegensatz „kausal-abstrakt“ wird im Zivilrecht in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, die miteinander wenig zu tun haben. Zweckmäßig fragt man stets: Abstrakt wovon? 2. So ist die Vollmacht gemäß § 164 abstrakt vom Innenverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem, das in einem Auftrag, einem Dienstvertrag, einer Geschäftsbesorgung u. a. bestehen kann. (Eine Durchbrechung dieser Abstraktion findet sich aber in § 168 S. 1, eine weitere in § 714.) Die Übereignung (925, 929) ist abstrakt vom zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft, z. B. von einem Kauf oder einer Schenkung.

8 Zur Kodifikation in der heutigen Zeit u. a. Kindermann, Rth. 79, 357, 365ff.

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§ 12

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

In diesen Fällen bedeutet die Abstraktion vor allem, dass Mängel des zugrunde liegenden Kausalgeschäfts das abstrakte Geschäft grundsätzlich nicht beeinflussen. Der Abstraktionsgrundsatz ist in diesen Fällen vorwiegend rechtstechnischer Art.

3. Eine andere Zielrichtung hat der Abstraktionsgrundsatz bei sog. abstrakten Schuldverträgen. Das Gesetz kennt nur wenige: Schuldversprechen, 780; Schuldanerkenntnis, 781; Anweisung im Leistungs-, nicht aber im Deckungs- und Valutaverhältnis, 783 f, 787, 788–790; Inhaberschuldverschreibung, 793f; abstrakt sind auch Wechsel und Scheck, ferner alle schuldrechtlichen Verfügungen, wie z. B. Erlass, Forderungsabtretung, Aufrechnung, Schuldumschaffung (Novation). Alle übrigen Schuldverträge sind kausal. Im Vordergrund steht hier das Interesse der Parteien (vor allem des Gläubigers), die Begründung oder Beendigung einer Forderung unabhängig zu machen von schuldnerischen Einwendungen aus vorangegangenen Geschäften. Der Darlehensgläubiger, der sich zur Sicherung seines Anspruchs aus § 488 I 2 zusätzlich noch ein abstraktes Schuldanerkenntnis, eine Anweisung oder einen Wechsel geben lässt, will verhindern, dass der Schuldner Mängel des Darlehensvertrags (z. B. einen Dissens) einem Dritten entgegenhält, an den der Gläubiger etwa den Wechsel weiter überträgt: Eine abstrakte Forderung ist leichter übertragbar, weil der neue Gläubiger nicht mit Einwendungen aus dem Grundverhältnis zu rechnen braucht („Umlauffähigkeit“). Hinzu kommt, auch für den Erstgläubiger, eine günstige Umkehr der Beweislast. Abstrakte Forderungen sind einwendungsärmer als kausale, sie sind daher für den Gläubiger sicherer und für Abtretungen, d. h. für den allgemeinen Rechtsverkehr geeigneter. Hieran kann auch der kreditsuchende Schuldner ein Interesse haben (Wechsel!). Abstraktion im Sinne abstrakter Schuldverträge bedeutet also auch Befreiung von Einwendungen aus Mängeln zugrunde liegender Geschäfte, aber nicht in erster Linie aus rechtstechnischen Gründen, sondern aus Gründen der Verwertbarkeit von Forderungen. 4. Abstrakt und kausal sind relative Begriffe. So kann eine Darlehensforderung aus § 488 I 2 den Rechtsgrund für ein abstraktes Schuldanerkenntnis bilden. Wird bezahlt, dann ist das Schuldanerkenntnis der Rechtsgrund für die abstrakte Übereignung des Geldes. Hier wirkt ein abstraktes Geschäft als causa für ein weiteres abstraktes Geschäft. – „Abstrakt“ Erhaltenes kann Gegenstand eines Bereicherungsanspruchs sein, 812ff. War also das Darlehen unwirksam, ist das abstrakte Schuldanerkenntnis „kondizierbar“, 812 II. Ist es kondiziert, kann das Geld als ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangt werden, 812 I 2 (1), 818 II.

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5. Eine Leistung kann als ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangt („kondiziert“) werden, wenn sie ohne Rechtsgrund (causa) erfolgte, 812 ff (unten § 101 ff). Rechtsgrund können vertragliche oder gesetzliche Schuldverhältnisse sein, z. B. ein Kaufvertrag (433) für die Übereignung der Ware und auch des Geldes (929), eine Schadensersatzschuld aus § 823 für die Überweisung des als Ersatz geschuldeten Betrags (364 I). Rechtsgrund kann aber auch die vertraglose Verabredung einer causa (Kausalabrede) sein, z. B. die Einigung über eine Erbeinsetzung, BGHZ 44, 321. Bindungen kommen durch solche Kausalabreden nicht zustande, trotzdem liefern sie Rechtsgründe. Auch die Handschenkung (516) gehört im Grunde hierher, ebenso das abgestimmte Verhalten i. S. v. § 1 GWB und Art. 81 EG. Dagegen ist nicht schon jede Einigung causa (Mayer-Maly, FS Nipperdey Bd. I, 1965, 509). Sich-Vertragen bedeutet, entgegen dem Wortsinn, noch keinen (bindenden) Vertrag und noch keine Kausalabrede. Es muss die Einigung auf einen Leistungsgrund vorliegen, damit ein Rechtsgrund im Sinne des Bereicherungsrechts gegeben ist.

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Verpflichtung und Verfügung

§ 13

3. Unterabschnitt: Abgrenzungen § 13 Verpflichtung und Verfügung Battes, AcP 178, 337; Doris, Die rechtsgeschäftliche Ermächtigung bei Vornahme von Verfügungs-, Verpflichtungs- und Erwerbsgeschäften, 1974; Dreyfus, Die Verfügung im BGB, 1911; Grigoleit, AcP 199 (1999) 379; Kegel, FS Mann, 1977, 57ff; Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996; v. Tuhr, AcP 117, 193; Wilhelm, in: Coing/Wilhelm, aaO (§ 13), 213.

1. Bei den wirtschaftlichen Aufgaben, die das Schuldrecht zu erfüllen hat, war oben § 8 an erster Stelle von der Vorbereitung von Vermögensverschiebungen, und zwar endgültiger Vermögensverschiebungen, die Rede. Schuldrechtliche Verpflichtungen dienen also dazu, Verfügungen über Sachen und Rechte vorzubereiten und zu rechtfertigen. 2. Man muss sich einen solchen typischen Erwerbsvorgang in vier Phasen vorstellen: Ein Käufer kommt in den Läden, um ein Buch zu kaufen. Dann ist in der ersten Phase der Verkäufer V Eigentümer des Buches und der Käufer K Eigentümer seines Geldes (Scheine und Münzen), 903. Die zweite Phase besteht darin, dass V und K einen Kaufvertrag schließen, 433, 145 ff. Die dadurch hervorgerufenen Pflichten ändern aber die Eigentumslage in keiner Weise. Zu ihren Eigentumsrechten haben V und K nur schuldrechtliche Ansprüche aus § 433 I 1 bzw. II hinzuerworben. K kann jetzt von V das Buch und V von K den Kaufpreis verlangen. V ist noch Eigentümer des Buches, K des Geldes. In der dritten Phase geschieht sowohl auf seiten des Käufers als auch auf seiten des Verkäufers ein Doppeltes. Der Käufer einigt sich mit dem Verkäufer über den Eigentumsübergang am Buch, und der Verkäufer übergibt es ihm, 929. Hierdurch verfügt der Verkäufer über sein (dingliches) Eigentumsrecht am Buch. Die Veräußerung eines Rechts ist also eine Verfügung über dieses Recht. Der Erwerb eines Rechts ist keine Verfügung. – Umgekehrt verfügt der Käufer über sein (dingliches) Eigentumsrecht an seinen Geldscheinen und -münzen, indem er sich mit dem Verkäufer über den Eigentumsübergang bezüglich jeder Münze und jedes Scheines einigt und ihm die Scheine und Münzen übergibt, 929. Verkäufer und Käufer treffen aber mit diesen ihren Verfügungen je eine weitere Verfügung. Durch die Leistung des Buches geht nämlich der Anspruch des Käufers aus § 433 I 1, durch die Leistung des Geldes der Anspruch des Verkäufers aus § 433 II unter, 362 (Erfüllung), und zwar auf rechtsgeschäftliche Weise. Jede Seite begibt sich also ihres Anspruchs dadurch, dass sie die rechtsgeschäftliche Leistung der anderen Seite als Erfüllung annimmt. Auch hierin liegt eine Verfügung über jeden dieser obligatorischen Ansprüche. Denn die Ansprüche werden durch Erfüllung zum Erlöschen gebracht, ebenso wie gleichzeitig durch die Übereignungen das Eigentum des Verkäufers am Buch und das des Käufers an den Scheinen und Münzen zum Erlöschen gebracht wird; ein Recht zum Erlöschen bringen heißt aber: darüber verfügen. Verkäufer und Käufer tätigen also in der dritten Phase je zwei Verfügungen. In der vierten Phase ist der Käufer Eigentümer des Buches und der Verkäufer Eigentümer des Geldes. Ihr Eigentum ist unangreifbar mit dem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, 812, weil für die Übereignungen Ansprüche aus § 433 I und II als Rechtsgründe vorlagen. So wirken die zum Erlöschen gebrachten obligatorischen Ansprüche als Rechtsgründe (causa) im Sinne der §§ 812ff in alle Ewigkeit weiter. Wäre der Kauf z. B. wegen Dissenses nichtig, so hätten Käufer und Verkäufer gegeneinander Ansprüche aus § 812 I 1, die auf Rückübereignung (nicht bloß Rückgabe) gerichtet sind, 929. Denn das Erlangte ist zurückzugewähren. 3. Die geschilderten 4 Phasen können sich zeitlich nacheinander abwickeln. Bei größeren Geschäften wird das häufig sein. Bei Handgeschäften dagegen fallen die Vorgänge in der 2. und 3. Phase zeitlich zusammen. Trotzdem bleiben die einzelnen Phasen rechtlich geschieden (Trennungsprinzip, abstrakte Übereignung). Was im Beispiel an der Veräußerung einer beweglichen Sache gezeigt wurde, gilt entsprechend für Grundstücksübertragungen, Forderungsübertragungen. Sacheinlagen in Gesellschaften usw. (Abstraktionsprinzip).

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§ 14 1

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Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

4. Folgende Grundsätze lassen sich demnach aufstellen: a) Eine Verpflichtung ist ein (auf Rechtsgeschäft oder Gesetz beruhendes) rechtliches Band zwischen Gläubiger und Schuldner, kraft dessen der Gläubiger vom Schuldner eine Leistung verlangen kann. b) Eine Verfügung ist ein Rechtsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar übertragen, belastet, aufgehoben oder inhaltlich geändert wird (wichtig!). c) Ein Verpflichtungsgeschäft lässt Rechte entstehen, ein Verfügungsgeschäft wirkt auf bestehende Rechte ein. d) Eine Verpflichtung bewirkt beim Schuldner eine Vermehrung der Passiva, beim Gläubiger eine Vermehrung der Aktiva, niemals aber eine Verminderung der Aktiva. Eine Verfügung bewirkt beim Verfügenden eine Verminderung oder inhaltliche Veränderung der Aktiva, beim Verfügungsempfänger (falls ein solcher vorhanden ist) eine Vermehrung der Aktiva, niemals aber eine Vermehrung oder Verminderung der Passiva. (Zu beachten ist immer, dass sich im Synallagma zwei Verpflichtungen und zwei Verfügungen gegenüberstehen). e) Zur Vermeidung von Bereicherungsansprüchen (812 ff) bedarf jede Verfügung des Rechtsgrundes einer bestehenden oder erfüllten Verpflichtung. Die Verfügungen tragen demnach die causa nicht in sich; sie sind abstrakt (oben § 12). Dagegen beinhalten die meisten Verpflichtungen selbst den Rechtsgrund und sind deswegen kausal. Es gibt aber auch abstrakte Verpflichtungsgeschäfte, wie z. B. das Schuldversprechen und das Schuldanerkenntnis (§§ 780 ff), die Annahme der Anweisung (§ 784) und die Begebung von Inhaberpapieren (§§ 793ff). f) Im Schuldrecht überwiegen die Verpflichtungen, im Sachenrecht die Verfügungen. Schuldrechtliche Verfügungen enthalten die §§ 398, 414, 387, 397, 779 (letzteres str.). g) Erfüllungen (362) sind nur Verfügungen über den zu erfüllenden Anspruch, wenn es zur Erfüllung eines Rechtsgeschäfts bedarf (z. B. beim Kauf auf beiden Seiten, nicht dagegen z. B. beim Dienstvertrag auf seiten des Dienstverpflichteten); dazu unten § 38 II.

§ 14 Relative Wirkung der Forderung S. u. Rdn. 1570; weiter Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, 1975; Coester-Waltjen, Jura 1999, 656; Denck, JuS 81, 9; ders., Rechtstheorie 81, 331; Dimopoulos-Vosikis, AcP 167, 515; Dubischar, Über die Grundlage der schulsystematischen Zweiteilung der Rechte in sog. absolute und relative, Diss. Tübingen, 1961; Henke, H.-E., Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1989; Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, 1967; Krasser, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971; Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte, 1970; Martens, AcP 177, 113 ff; Medicus, JuS 74, 613; Neuner, JZ 1999, 126; Peters, AcP 180, 329; Rehbein, Die Verletzung von Forderungsrechten durch Dritte, Diss. Freiburg, 1968; Spielbüchler, Der Dritte im Schuldverhältnis, 1973.

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1. Forderungen wirken relativ, dingliche Rechte wirken absolut. Was ist die Bedeutung dieses Unterschiedes? Dingliche Rechte sind Herrschaftsrechte. Das Eigentum z. B. gibt dem Eigentümer die grundsätzlich unbeschränkte Herrschaft über eine Sache. Diese Herrschaft behauptet sich gegenüber jedermann, 903, ja sie besteht grundsätzlich ohne Rücksicht auf das Vorhandensein anderer Personen. Daraus folgt: Wer dem Eigentümer die Sache wegnimmt, beschädigt, sein Eigentum an der Sache

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Relative Wirkung der Forderung

§ 14 1

bestreitet oder sonstwie stört, ist den Ansprüchen aus §§ 985 ff, 823 I, 1004 ausgesetzt und danach zur Rückgabe, zum Schadensersatz, zur Unterlassung der Störung verpflichtet. Diese Ansprüche wirken gegen jeden, der sich mit fremdem Eigentum zu schaffen macht.

Ganz anders die Forderungen. Sie bestehen grundsätzlich nur für den Gläubiger und nur gegen den Schuldner. Dritte Personen sind am Schuldverhältnis nicht beteiligt, sie brauchen es nicht zu beachten und können keine Vorteile daraus für sich herleiten.1 2. Fünf Beispiele sollen das verdeutlichen:

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a) Beschränkung des Gläubigers beim Leistungsanspruch auf seinen Schuldner V verkauft sein Auto zuerst an K1, ohne es ihm zu übereignen, danach verkauft und übereignet er es an K2. Beide Kaufverträge sind wirksam, denn man kann, weil Verpflichtungen die dingliche Rechtslage nicht berühren (oben § 13), eine Sache beliebig oft verkaufen, vermieten, verpachten usw. K1 hat wegen der relativen Wirkung seiner Forderung Ansprüche nur gegen V, nicht gegen K2, der nun das Auto besitzt. Da V das Auto durch sein Verschulden nicht mehr liefern kann, verwandelt sich der Leistungsanspruch des K1 in einen Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 283 (verschuldetes nachträgliches Unvermögen). An K2 kann sich K1 nicht halten; das gekaufte Auto erhält K1 also nicht.

b) Beschränkung des Gläubigers bei der Leistungsstörung auf seinen Schuldner Frau F kauft beim Einzelhändler E ein Bügeleisen, das, wie sich herausstellt, an einem wesentlichen Konstruktionsfehler leidet. Mit ihren Gewährleistungsansprüchen wegen Sachmängeln (437, 434) kann sich Frau F nur an E, nicht an den Hersteller H halten, dessen Konstrukteure den Fehler verschuldeten. Denn ihre Rechte aus dem Kauf richten sich nur gegen den E. E muss, wenn Frau F ihn in Anspruch nimmt, seinen Rückgriff gegen H richten. Ist noch ein Großhändler G eingeschaltet, der H’s Produkte an die Einzelhändler verteilt, haftet G dem E und H dem G. Ein direkter Weg vom Verbraucher zum Hersteller besteht im Rahmen der Vertragshaftung nicht (Relativität der Forderungen), anders nur bei der Haftung aus unerlaubter Handlung: Zur sog. Produzentenhaftung unten Rdn. 615 und Rdn.1599ff.

c) Beschränkung des Schuldners auf seinen Gläubiger S schuldet 1000,– dem G, zahlt aber auf Bitten von Frau G an diese, damit G das Geld nicht vertrinkt. Frau G hatte keine Vollmacht für G. S befreit sich nicht, denn er kann nur an den Gläubiger G erfüllen, 362. G kann von S noch einmal 1000,– fordern, wenn seine Frau ihm das Geld vorenthält. Gegen Frau G hat S einen Bereicherungsanspruch, 812 I 2 (2). § 814 schließt nur den Bereicherungsanspruch wegen Zahlung einer Nichtschuld (812 I 1) aus, den § 812 I 2 (2) verdrängt.

d) Unbeachtlichkeit des Schuldverhältnisses für Dritte: Zession G1 hat eine Forderung gegen S, die er an G2 abtritt, 398, ohne S zu benachrichtigen. Danach kassiert er die Forderung bei S, dem er die Abtretung verschweigt. Nach dem oben zu c) Gesagten müsste S noch einmal an G2 zahlen. Um den Schuldner in solchen Fällen zu schützen, sieht § 407 I ausnahmsweise befreiende Zahlung vor, wenn der Schuldner an den ihm allein bekannten (Alt-) Gläubiger zahlt. Hiernach würde G2 leer ausgehen. G2 kann sich aber nach § 816 II und aus verletztem Vertrag an G1 halten (culpa post pactum perfectum). Der Anerkennung der Gläubigerschaft als sonstigem absolutem Recht im Sinne des § 823 I bedarf es nicht (anders Larenz I § 2 II. Dazu unten Rdn. 731).

1 Das common law spricht von „privity of contracts“.

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§ 15

Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses

e) Unbeachtlichkeit des Schuldverhältnisses für Dritte: Abwerbung

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Gastwirt W bezieht aufgrund eines 20 Jahre laufenden Vertrages Bier von der Brauerei B. Nach Ablauf von 10 Jahren geht W zur Konkurrenzbrauerei K über. Wegen Vertragsbruchs kann sich B an W halten, nicht aber an K, da die Konkurrenzbrauerei den bestehenden Liefervertrag nicht zu beachten braucht. Nur bei sittenwidriger Verleitung zum Vertragsbruch oder sonstigem unlauterem Wettbewerb haftet K der B aus §§ 826; 3 UWG, nicht aber schon bei bloßer Ausnutzung fremden Vertragsbruchs (sehr str.). 3. Nur scheinbar gibt es Ausnahmen, in denen ein Schuldverhältnis für oder gegen Dritte wirkt: Berechtigender Vertrag zugunsten Dritter 328 I; direkte Ansprüche gegen Dritte bei Miete und Leihe, 546 II, 604 IV (analog nach h. M. auch für Verwahrung); Drittschadensersatz (s. u. Rdn. 611ff). Aber auch in § 328 I entscheidet das schuldrechtliche Band zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger, §§ 546 II und 604 IV sind gesetzliche Pflichten, und Drittschadensersatz ist nur eine besondere Berechnungsart für einen bestehenden Ersatzanspruch. 4. Zwischen der Relativität von Schuldverhältnissen, dem Abstraktionsgrundsatz bei der Übereignung und den Regeln des gutgläubigen Erwerbs bestehen Zusammenhänge, die kennzeichnend für jede Rechtsordnung sind. Wenn A an B eine Sache verkauft, ohne sie zu übereignen, und danach dieselbe Sache an C verkauft und übereignet, wird C Eigentümer. B kann sich wegen der Relativität seines Kaufanspruchs nur an A, nicht an C halten. Nach französischem Recht, das das Eigentum durch Kauf übergehen lässt, würde erst B Eigentümer, aber C würde, wenn er A für den Eigentümer hält, das Eigentum gutgläubig erwerben, Artt. 711, 1138, 1141, 1583, 2279 c. c.; B würde das Eigentum wieder verlieren. Das Ergebnis ist also das gleiche wie im deutschen Recht: Wer den Besitz bekommt und vertraut, gewinnt. Wer nur vertraut, muss die Enttäuschung seines Vertrauens büßen. B muss sich wegen seiner Schadensersatzforderung nach beiden Rechten an A halten. Die Relativität der Schuldverhältnisse ist also Ausdruck der Zweiseitigkeit von Vertrauensbeziehungen. Im Konflikt mit dem Schutz des redlichen Rechtsverkehrs ist die Relativität der Schuldverhältnisse mittelbar ein Teil des allgemeinen Prinzips: Beatus possidens, vgl. §§ 932ff, 817 S. 2. 5. Obwohl Schuldverhältnisse nur die Parteien binden, haben sie „Außenwirkungen“, s. o. Rdn. 7 a. E. Sie schränken die Relativität ein. Eine umfassende Lehre der schuldrechtlichen Außenwirkungen fehlt noch.2

§ 15 Unvollkommene Verbindlichkeiten und verbindlichkeitsähnliche Tatbestände

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Canaris, AcP 165, 1; M. Fuchs, FS Medicus, 1999, S. 123; Götz, JuS 61, 56; Klingmüller, Die Lehre von den natürlichen Verbindlichkeiten, 1905; Larenz, I § 12 IId; Mahler, Die natürlichen Verbindlichkeiten des BGB, 1909; Neumann, Der vertragliche Ausschluß der Klagbarkeit eines privatrechtlichen Anspruchs, Diss. München 1967; Reichel, Unklagbare Ansprüche, 1911; ders., IherJb. 59, 457; Reuß, AcP 154, 485; Rotondi, RDirComm 75, 213; Schmidt, Reimer, Die Obliegenheiten, 1953 (dazu Esser, AcP 159, 49); K. Schreiber, Jura 1998, 270; Siber, IherJb. 70, 276. Zum Wesen der Forderung gehört regelmäßig ihre Durchsetzbarkeit: Der Staat stellt seine Gerichte und Vollstreckungsbehörden dem Gläubiger zur Verfügung, wenn der Schuldner nicht leisten will oder kann. Streitig ist allerdings, ob die Durchsetzbarkeit vertraglich ausgeschlossen werden kann. Mit der h. M. muss dies zugelassen werden, wenn die Parteien über die Forderung verfügen und insbesondere sie erlassen können (so beim sog. pactum de non petendo). Nicht jede Forderung 2 Einige Ansätze aus verschiedener Richtung: v. Ihering, IherJb, 10, 245; A. Hueck, IherJb. 73, 33; Lukes, Der Kartellvertrag, das Kartell als Vertrag mit Außenwirkungen, 1959, insb. 22; ders., FS A. Hueck, 1959, 459; Martens, AcP 177 (1977) 113, 164 ff.

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Unvollkommene Verbindlichkeiten und verbindlichkeitsähnliche Tatbestände

§ 15 II 1

richtet sich auf Erfüllung, so z. B. nicht die Nebenpflichten auf Auskunft und auf Unterlassung der Vertragszweckgefährdung (dazu oben Rdn. 41), vgl. auch 374 II, 536 c. Im Falle der Verletzung solcher Forderungen entstehen aber Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung. Deshalb handelt es sich auch hierbei um vollkommene, vollgültige Forderungen, die den Schuldner binden. Wegen dieses den Schuldner bindenden Charakters der Forderung spricht man auch von Verbindlichkeit. Dabei ändert man den Blickwinkel und betrachtet die Forderung vom Standpunkt des Schuldners aus, gegen den sich die Forderung richtet. Es gibt aber Verbindlichkeiten, die nicht eingefordert werden können (unvollkommene Verbindlichkeiten, unten I.). Ferner finden sich rechtserhebliche Tatbestände, die keine Verbindlichkeiten darstellen, ihnen aber ähneln (unten II.).

I. Unvollkommene Verbindlichkeiten („Naturalobligationen“) 1. Nicht durchsetzbare Forderungen Bei ihnen kann die geschuldete Leistung gefordert, aber nicht erzwungen werden. Eine Verbindlichkeit besteht und kann erfüllt, gegebenenfalls auch gesichert, aufgerechnet usw. werden. a) Verjährte Forderungen sind vollständige, erfüllbare Forderungen, doch sind sie nicht durchsetzbar, wenn der Schuldner die Einrede der Verjährung erhebt, 214–216. Der Gläubiger soll die Rechtsverfolgung nicht über Gebühr verzögern, und der Schuldner soll nach Ablauf einer gewissen Zeit vor nicht mehr erwarteten Forderungen geschützt sein. b) Aus dem Verlöbnis kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden, 1297 I. Der sittliche Gehalt der Ehe widerspricht der Durchsetzbarkeit des Verlöbnisanspruchs. c) Ausfallforderungen nach rechtskräftig bestätigtem Insolvenzplan sind zum Schutz des Schuldners nicht durchsetzbar, 254 InsO. Das Gleiche gilt für die Restschuldbefreiung, 301 InsO.

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2. Erfüllbare Nichtforderungen

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Die geschuldete Leistung kann nicht gefordert, aber erfüllt und dann nicht deswegen zurückgefordert werden, weil kein Forderungsrecht bestand. Das Gesetz spricht in diesen Fällen vom Fehlen einer „Verbindlichkeit“. In Wahrheit liegt wegen der Erfüllungsmöglichkeit eine Verbindlichkeit vor, doch fehlt ihr das Forderungsrecht, d. h. die Fähigkeit, eingeklagt, gesichert, aufgerechnet usw. zu werden. Lediglich die Erfüllungsmöglichkeit besteht (Blomeyer, „haftungslose Schuld“; s. aber oben Rdn. 30). a) Verbindlichkeiten aus Spiel, Wette und nicht staatlich genehmigter Lotterie können nicht eingefordert, sondern nur freiwillig erfüllt werden, 762, 763; ESJ 4. Die Rechtsordnung billigt solche Verbindlichkeiten nicht, doch wäre eine Rückforderung von bereits Geleistetem auch in diesen Fällen nicht anständig (in pari turpitudine melior est conditio possidentis, s. auch § 817 S. 2). Sondervorschriften gelten aufgrund der §§ 37 d ff WpHG für Finanztermingeschäfte. b) Entsprechend kann ein Ehevermittlungslohn nicht eingefordert, nur erfüllt werden, 656. Die Kunden dieses Gewerbes sollen nach Ansicht des Gesetzgebers auf Vorleistung verwiesen werden.

II. Verbindlichkeitsähnliche Tatbestände Bei den nachstehenden Tatbeständen liegen keine Verbindlichkeiten vor, auch keine unvollkommenen. Es handelt sich um Rechtslagen, die mit Verbindlichkeiten eine jeweils sehr verschiedene Verwandtschaft aufweisen.

1. Nicht rückforderbare Anstandszuwendungen Was aus sittlicher Pflicht oder wegen einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht oder als Ausstattung geleistet wird, ohne dass eine Rechtspflicht zur Leistung besteht, kann aus Gründen des Anstands nicht zurückgefordert werden, 814, 1624. Auf Ausstattungen findet teilweise Schenkungsrecht Anwendung.

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§ 16

Begründung des Schuldverhältnisses

2. Lasten Lasten sind Tätigkeiten, die man zwar nicht von Rechts wegen vornehmen muss, deren Nichtbefolgung aber Rechtsnachteile mit sich bringt (Beispiele: 377 HGB; 33ff VVG).

3. Obliegenheiten Zu Obliegenheiten ist man von Rechts wegen verpflichtet, z. B. zu Anzeigen, Mitteilungen und Auskünften gem. § 6 VVG, ohne deren Beachtung man den Versicherungsanspruch verliert, BGHZ 1, 168; 24, 382; BGH VersR 59, 233. Wie bei der Last tritt durch Nichtbefolgung ein Rechtsnachteil ein. Gleichwohl kann Erfüllung nicht erzwungen und Schadensersatz nicht verlangt werden. Deshalb zählt eine Obliegenheit auch nicht zum Leistungsinhalt, s. o. Rdn. 44. Dennoch setzt die Haftungsminderung durch mitwirkendes Verschulden nach § 254 logisch eine „Sorgfaltspflicht gegen sich selbst“ voraus, die zwar keine Leistungspflicht im Schuldrechtssinne, wohl aber eine Obliegenheit im eigenen und im Schuldnerinteresse ist.

2. Abschnitt

Begründung des Schuldverhältnisses § 16 Vorbemerkung 71

1. Die Fragen der Begründung eines Schuldverhältnisses sind nicht nur theoretischer Natur, sondern von unmittelbarer Bedeutung für die Lösung eines Rechtsfalles. Fast jeder Rechtsfall wirft nach Schilderung eines historischen Sachverhalts die Frage nach den Ansprüchen auf, die den Beteiligten untereinander zustehen. 2. Die meisten zivilrechtlichen Ansprüche beruhen auf Schuldverhältnissen (schuldrechtliche Ansprüche). Daneben gibt es die sog. dinglichen Ansprüche, die ein dingliches Recht verwirklichen (Medicus, BürgR, Rdn. 436). Ansprüche können sich entweder aus Rechtsgeschäft oder Gesetz ergeben. Statt vom „Rechtsgeschäft“ wird teilweise vom „Vertrag“ gesprochen. Dies ist jedoch nicht genau, denn es gibt einige Fälle rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse, die nicht auf Verträgen gründen (z. B. Auslobung, vgl. dazu auch oben Rdn. 52). Statt bloß vom „Gesetz“ zu sprechen, müsste es heißen „lediglich auf Gesetz“, denn dass Rechtsgeschäfte die Quelle von Schuldverhältnissen sind, steht auch im Gesetz, § 311 I. (§ 311 I kann bei der Fallbearbeitung als Rechtsgrundlage für atypische Verträge [o. § 10] zitiert werden; genau genommen ist § 311 I allerdings keine Anspruchsnorm, sondern nur eine Ermächtigungsnorm für die Parteien, einen [atypischen] Vertrag abzuschließen [Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, Teil I 5 d)] und dadurch Ansprüche zu begründen; bei typischen Verträgen erfolgt nur die Nennung der jeweiligen Anspruchsnorm, z. B. § 433 II; stets verfehlt ist es, § 241 als Anspruchsnorm oder Teil davon zu zitieren.)

Mit diesen Präzisierungen ist die Formel „Ansprüche beruhen auf Rechtsgeschäft oder Gesetz“ brauchbar und prägnant. Im Fall des „Rechtsgeschäfts“ ist es menschlicher Wille, verbunden mit seiner rechtlichen Anerkennung, der zu rechtlicher Bindung führt, in dem des „Gesetzes“ tritt die Bindung ohne einen darauf gerichteten Willen, lediglich kraft gesetzlicher Vorschrift ein.

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Überblick über die Entstehungsarten

§ 17 II

§ 17 Überblick über die Entstehungsarten Bärmann, Typisierte Zivilrechtsordnung der Daseinsvorsorge, 1948; Eltzbacher, Das rechtswirksame Verhalten, 1903; Hildebrand, Erklärungshaftung, 1931; Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, 1996; Manhart, Über die Entstehung der Forderung, Diss. München 1973; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939; MünchKomm/Kramer, Einl. vor § 241; Willoweit, Abgrenzung und rechtliche Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 1969. Außerdem die u. vor III zur „Vertrauenshaftung“ und vor IV zu den „faktischen Verträgen“ und weiter die vor §§ 18, 19 und 20 zitierte Literatur.

I. Schuldverhältnis aus Rechtsgeschäft 1. Einseitige Rechtsgeschäfte, die Schuldverhältnisse begründen, sind selten: Im Schuldrecht findet sich nur die Auslobung, § 657, im BGB ferner das Stiftungsgeschäft (§§ 80, 82) und das Vermächtnis (§ 2174). Im Übrigen kann man sich nicht einseitig zu etwas verpflichten (über die umstrittenen Fälle siehe oben § 9 II). Wer einem anderen 100,– verspricht, schuldet sie ihm erst, wenn der andere das Versprechen formgerecht (§ 518) angenommen hat. Dann liegt ein zweiseitiges Rechtsgeschäft vor (Vertrag). 2. Vertragliche Schuldverhältnisse stehen im Vordergrund. Ihre Begründung ist gesondert zu besprechen (unten §§ 18ff). Wird im Fall nach Ansprüchen gefragt, so ist zu prüfen, aus welchem Vertrag die Ansprüche entstanden sein können. 3. In Notzeiten oder Notfällen bedient sich der Gesetzgeber gelegentlich zwangsweise den Parteien auferlegter „vertraglicher“ Schuldverhältnisse. Das ist vor allem dann erforderlich, wenn sich ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Partnern eingestellt hat, das auf andere Weise vorerst nicht beseitigt werden kann (diktierte Verträge). Das Bewirtschaftungsrecht der Kriegs- und Nachkriegszeit kannte diktierte Verträge in großer Zahl. In diesen Fällen wird den Parteien durch behördlichen Ausspruch ein privater Vertrag mit einem von Gesetz und Behörde festgestellten Inhalt auferlegt. Zu diesem sog. „Kontrahierungszwang“ s. u. Rdn. 112 f.

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II. Schuldverhältnisse aus Gesetz Man kann im Schuldrecht drei wichtige Gruppen unterscheiden, die ergänzt werden durch die Ansprüche aus dem sachenrechtlichen Eigentümer-BesitzerVerhältnis und eine Kategorie der „sonstigen“ wichtigen Ansprüche aus Gesetz. Ist nach Ansprüchen gefragt, sind in aller Regel nach den Schuldverhältnissen „aus Rechtsgeschäft“ zumindest diese fünf wichtigen Anspruchsgruppen „aus Gesetz“ durchzuprüfen. 1. Haftung aus Verschulden bei Vertragsanbahnung (Culpa in contrahendo), 280 I, 311 II, 241 II Das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung („culpa in contrahendo“) kann als ein „gesetzliches“ bezeichnet werden, steht aber mit dem Vertrag in enger Beziehung. Näher u. § 19. 2. Schuldverhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677–687 3. Dingliche Ansprüche, insbesondere Leistungsverhältnisse aus den Beziehungen zwischen Eigentümer und Besitzer einer Sache, §§ 985–1007 Man kann darüber streiten, ob es sich bei diesen Ansprüchen um schuldrechtliche Ansprüche handelt, die im Sachenrecht geregelt sind, oder um sachenrechtliche Leistungsansprüche. Das letztere ist richtig, vgl. oben Rdn. 4. Der Streit hat z. B. für § 285 Bedeutung: § 285 ist auf sachenrechtliche Ansprüche nicht anwendbar, Rdn. 444.

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§ 17 IV

Begründung des Schuldverhältnisses

Wichtig ist, dass diese Anspruche neben denen aus Rechtsgeschäft, und zum Teil auch neben denen aus unerlaubter Handlung und ungerechtfertigter Bereicherung geltend gemacht werden können, 992, 993. Sie müssen daher bei Erstellung eines Gutachtens stets mit in Erwägung gezogen werden. Die Erörterung der Ansprüche gehört ins Sachenrecht. Zu den Konkurrenzen unten Rdn. 1548ff. 4. Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung („zurechenbare Schädigung“), §§ 823– 853, mit den Sondergesetzen, insb. aus Gefährdungshaftung und Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812–822 5. Sonstige Schuldverhältnisse aus Gesetz (Beispiele) a) Gastwirtschaftung, §§ 701 ff; b) Bruchteilsgemeinschaft, §§ 741 ff; c) Pflicht zur Vorlegung von Sachen, §§ 809ff; d) nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, § 242; e) gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Finder und Verlierer, §§ 965 ff; f) Aufgrund Pfandrechts, §§ 1215 ff; g) Aufgrund Nießbrauchs, §§ 1030 ff; h) Familienrechtliche Unterhaltspflichten, §§ 1601 ff; i) Zwischen Vormund und Mündel, §§ 1793 ff; j) bei Vermögensverwaltungen, § 1985; k) Zwischen Erben und Erbschaftsbesitzer, §§ 2018ff; l) Erbengemeinschaft, §§ 2032 ff.

III. Vertrauenshaftung Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 507; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989, 47–51; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; ders., 2. FS Larenz, 1983, 27; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, 1950; Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, 1987; Morin, La responsabilité fondée sur la confiance, 2002 (zum schweizerischen Recht); Schwark, Jura 85, 343.

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Als allgemeiner Haftungsgrund des Privatrechts wird in Rechtsprechung und Literatur oft auf den Gesichtspunkt des Vertrauens eines Geschäftspartners verwiesen. Dieser Gedanke wurde besonders von Ballerstedt 1 herausgearbeitet und im Anschluss daran von Canaris 2 in grundlegender Weise entfaltet. Der Vertrauensschutz erfüllt eine Ergänzungsfunktion, indem er rechtsgeschäftliche Bindungen dort ergänzt, „wo die Rechtsgeschäftslehre Schutzlücken offen lässt“.3 Auf die Vertrauenshaftung als allgemeinen Haftungsgrund wird bei den einzelnen Anspruchsgrundlagen, insbesondere bei der Haftung aus Verschulden bei Vertragsanbahnung, zurückzukommen sein. Erwähnenswert ist als Teil der Vertrauenshaftung die sog. Rechtsscheinhaftung 4, die z. B. § 15 HGB regelt. Das Vertrauen auf einen rechtlich anerkannten Rechtsschein wird geschützt. Fraglich ist allerdings, ob die Vertrauenshaftung über ihre Funktion als allgemeiner Haftungsgrund hinaus ein allgemeines gesetzliches Schuldverhältnis begründet. Dies wird hier abgelehnt, s. u. Rdn. 201.

IV. Die so genannten fehlerhaften Vertragsverhältnisse („faktische Verträge“) Bärmann, Typisierte Zivilrechtsordnung der Daseinsvorsorge, 1948; Betti, FS Lehmann, Bd. 1, 1965, 253; Börner, FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 185; Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 1960; Dölle, ZStW 103, 67; Erman, NJW 65, 421; Esser, AcP 157 (1959), 86; Flume, FS DJT, Bd. I, 1960, 183; ders., AcP 161 (1962), 52; Gudian, JZ 67, 303; Hahn, Vergütungsansprüche für Dienstleistungen bei fehlender vertraglicher Grundlage, 2004, S. 135 ff; Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse, 1941; Janke-Weddige, BB 85, 758; Kaduk, JR 68, 1; Kellmann, NJW 71, 265; Köhler, JZ 81, 1 2 3 4

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Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 506. Canaris, Vertrauenshaftung. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. Baumbach/Duden/Hopt, HGB § 5 Anm. 2; BGH NJW 90, 2678; BGH WM 90, 638 m. Anm. Röver, JA 90, 350.

Überblick über die Entstehungsarten

§ 17 IV

464; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981; Larenz, NJW 56, 1897; ders., DRiZ 58, 245; Lehmann, H., IherJb. 90, 131; ders., NJW 58, 1; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979; MayerMaly, FS Wilburg, 1965, 129; ders., FS Nipperdey (aaO), 509; Nikisch, FS Dölle, Bd. I, 1963, 79; Nipperdey, MDR 57, 129; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, 1966; Raiser, L., JZ 58, 1; ders., FS DJT, Bd. I, 1960, 101; Sack, RdA 1975, 171; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002; Schmidt, Karsten, AcP 186 (1986), 421; ders., JuS 90, 517; Siebert, Faktische Vertragsverhältnisse, 1958; Simitis, S., Die faktischen Vertragsverhältnisse, 1957; Ulmer, P., FS Flume, Bd. I, 1978, S. 301; Walker, Der Vollzug der Arbeitgebernachfolge mit einem vermeintlichen Erben, 1985; ders., JA 85, 138; Wieacker, JZ 57, 61; ders., OLG Celle, 1961, 263; Wiesner, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, 1980.

1. Einige Fallgruppen stehen zwischen der Zweiteilung von Schuldverhältnissen aus Rechtsgeschäft und Gesetz. Es handelt sich um Fälle, die als faktische Vertragsverhältnisse (so zuerst Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse) oder besser als Vertragsverhältnisse auf fehlerhafter Vertragsgrundlage bezeichnet werden. Nach der von Gerhard Haupt begründeten Lehre sind faktische Vertragsverhältnisse Verträge, die ohne Vorliegen von Willenserklärungen nur auf der Grundlage von tatsächlichem Verhalten zustande kommen. Die moderne Lehre spricht demgegenüber von Vertragsverhältnissen auf fehlerhafter Vertragsgrundlage, weil sie daran festhält, dass fehlerhafte Vertragsverhältnisse nicht als bestehende Vertragsverhältnisse verstanden werden können. Trotz nicht wirksamer Rechtsgeschäfte können in einem der anerkannten Fälle fehlerhafter Vertragsverhältnisse aber vertragliche Rechtsfolgen eintreten.

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In systematischer Hinsicht hat man versucht, neben Schuldverhältnissen aus Rechtsgeschäft und aus Gesetz eine dritte Art festzustellen, die man „Schuldverhältnisse aus rechtlich relevantem Verhalten“ oder „rechtlich wirksamem Verhalten“ nannte. Dieser Weg ist wenig erfolgversprechend, da auch die §§ 812 ff, 823 ff rechtlich wirksames Verhalten regeln und eine überzeugende Abgrenzung daher nicht möglich erscheint. Auch eine Theorie, die als einheitliches Prinzip der Fälle der fehlerhaften Vertragsverhältnisse und anderer Fälle rechtsgeschäftsbezogenen Verhaltens (z. B. der Haftung des Sachwalters; dazu u. Rdn. 100) eine Selbstbindung ohne Vertrag annimmt und damit eine dritte Entstehungsform für Schuldverhältnisse, die des Quasikontrakts, annimmt (Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag), ist abzulehnen. Die Fälle können als Formen gesetzlicher Schuldverhältnisse ausreichend erklärt werden.

Es bleibt somit nur diese Alternative: Entweder muss man zur Erfassung der sog. faktischen Vertragsverhältnisse als Verträge den klassischen willensgetragenen Vertragsbegriff zu einem objektiven, willensunabhängigen Vertragsbegriff erweitern (Betti, anders wiederum Bärmann), oder es liegen im Bereich der sog. faktischen Vertragsverhältnisse Gesetzeslücken innerhalb der gesetzlichen Schuldverhältnisse vor. Da man den willensgetragenen Vertragsbegriff als eine der entscheidenden Errungenschaften des modernen Privatrechts nicht ohne Not fallen lassen sollte (L. Raiser), ist der zweite Weg der Suche und der Schließung von Gesetzeslücken im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse vorzuziehen. Da eine gesetzliche Regelung der fehlerhaften Vertragsverhältnisse nicht besteht, sind durch Rechtsfortbildung eigene Regeln zu entwickeln. In diese Richtung scheint die herrschende Meinung zu gehen. Vorab ist aber zu prüfen, wie weit sich die diskutierten Fallgruppen nach bewährten Regeln des Zivilrechts lösen lassen, ohne auf die Theorie der Lückenfüllung zurückgreifen zu müssen. Hiernach wird im Folgenden verfahren.

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§ 17 IV 2

Begründung des Schuldverhältnisses

2. Fallgruppen und Behandlung fehlerhafter Vertragsverhältnisse a) Fehlerhafte Dauerschuldverhältnisse 5 77

Bei fehlerhaften Arbeits- 6 und Gesellschaftsverhältnissen ist eine Rückabwicklung nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung, §§ 812ff, schwierig, wenn das Verhältnis einige Zeit bestanden hat. Die einzelnen Leistungen und Vermögensverschiebungen lassen sich oft nicht mehr genau feststellen. Außerdem haben Vertragspartner und Gläubiger auf den Bestand des Vertragsverhältnisses vertraut. Aufgrund dieser Erwägungen ist in Rechtsprechung und Lehre der Grundsatz anerkannt, dass bei fehlerhaften Arbeits- und Gesellschaftsverträgen Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe nur für die Zukunft geltend gemacht werden können. Die Einwendungen wirken gem. § 242 nur ex nunc. Dies setzt zweierlei voraus: einmal muss überhaupt eine – wenn auch unwirksame – vertragliche Grundlage bestehen, da den Vertragsparteien nicht vollkommen ungewollte Rechtsfolgen aufgedrängt werden dürfen. Andererseits muss der fehlerhafte Vertrag in Vollzug gesetzt worden sein. Der Grundsatz der ex nunc-Wirkung von Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen wird durchbrochen, wenn ein beschränkt Geschäftsfähiger an dem Verhältnis beteiligt 7 ist oder ein sonst überwiegendes Interesse der Allgemeinheit oder Einzelner vorliegt. Dann sind Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe uneingeschränkt anwendbar. Teilweise wird erwogen, diese Regeln auch auf fehlerhafte Miet- und Pachtverhältnisse anzuwenden. Diese Frage ist allerdings noch ungeklärt. Jedenfalls gehören diese Verhältnisse nicht zu den anerkannten Fällen der fehlerhaften Vertragsverhältnisse mit besonderen Fehlerfolgen.8 b) Daseinsvorsorgeverträge

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Schwierigkeiten macht die Behandlung von Massenverträgen der Daseinsvorsorge, soweit eine privatrechtliche Ausgestaltung vorliegt. Da in den Bereichen des Transports, der Nachrichtenübermittlung, der Gas-, Wasser- und Stromversorgung und des Verkehrs oft keine ausdrücklichen Willenserklärungen abgegeben werden, wurde früher zur Begründung von Erfüllungsansprüchen sog. sozialtypisches Verhalten angenommen.9 Drei Beispielsfälle können die Anwendung der Figur des sozialtypischen Verhaltens veranschaulichen: – Anschluss an das Gas-, Wasser- und Stromnetz, ohne dass zwischen dem Benutzer und der Versorgungsanstalt ausdrückliche Erklärungen ausgetauscht werden.10

5 Jauernig/Jauernig, vor § 145 Anm. 5; Medicus AT, Rdn. 253ff; ders., BürgR, Rdn. 189 ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 1980, § 3 I 2b. 6 Auf Dienstverhältnisse werden die Regeln des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses angewendet soweit dies der Schutzzweck gebietet, insb. wenn eine Anstellung vorliegt Palandt/Weidenkaff, § 611 Rdn. 20. 7 Zum Minderjährigenschutz Schmidt, Karsten, AcP 186 (1986), 421; ders., JuS 90, 517. 8 Für Anwendung der Regeln der fehlerhaften Dauerschuldverhältnisse die 8. Aufl. S. 54; dagegen Palandt/Heinrichs, vor § 145 Rdn. 29. 9 Begründet hat diese Lehre Larenz, vgl. ders., AT, 6. Aufl. 1983, § 28 II; der sie wieder aufgegeben hat, AT, 7. Aufl. 1989, § 28 II; umfassend Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 117–122. 10 RGZ 111, 310; BGHZ 23, 175; BGH NJW-RR 87, 938; LG Berlin, JZ 73, 217 m. Anm. Beuthien; OLG Frankfurt NJW-RR 89, 889.

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Überblick über die Entstehungsarten

§ 17 IV 2

– Parken auf gebührenpflichtigem Parkplatz, wobei der Parkende dem Wächter sagt, er lehne die Bewachung ab und zähle daher nicht.11 – Benutzung von Straßenbahn, Eisenbahn, Omnibus, ohne dass mit dem Schaffner Worte gewechselt werden.12

In diesen Fällen wurde von einer Literaturmeinung und der Rechtsprechung ein Vertragschluss durch die bloße Inanspruchnahme der Leistung, durch sozialtypisches Verhalten befürwortet. Es wurde damit stets das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts angenommen. Dagegen sprechen jedoch eine Reihe von Bedenken. Vor allem wird durch die Annahme sozialtypischen Verhaltens das Prinzip verletzt, dass beschränkt Geschäftsfähige auch dort geschützt sind, wo der Rechtsverkehr darunter leidet.13 Außerdem lassen sich die Fragen des Zustandekommens und des Bereicherungsausgleichs von Verträgen im Massenverkehr nach den bekannten Grundsätzen des Zivilrechts lösen. Die Ausgangsfrage muss bleiben, ob nicht durch zugegangene, ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärungen ein Vertrag zustande gekommen ist. Eine stillschweigende Willenserklärung liegt vor, wenn wortlos Fahrscheine entwertet oder Autos zum Parken aufgestellt werden. Man kann dies durchaus damit begründen, dass es sich um sozialtypische Verhaltensformen handelt. Dabei ist nur zu beachten, dass Sozialtypik – entgegen der ursprünglichen Zielrichtung der Lehre vom sozialtypischen Verhalten – keine Rechtsquelle, sondern ein Auslegungskriterium ist. Als Auslegungskriterium besagt die Sozialtypik, dass massenhaft abgegebene Erklärungen verkehrsfreundlich zu beurteilen sind. – Ausdrückliche und stillschweigende Annahmeerklärungen brauchen nicht zuzugehen, wenn das nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende darauf verzichtet, § 151. Schließt sich jemand stillschweigend an ein Versorgungsnetz an, ist grundsätzlich Verzicht der Versorgungsanstalt auf eine den Anschluss begleitende Erklärung anzunehmen für den Fall, dass der übliche Fomularweg nicht eingehalten wird. Problematisch sind die Fälle der Inanspruchnahme einer Leistung unter ausdrücklicher Betonung, man wolle keinen Vertrag schließen („Protestationsfälle“). So lag es im geschilderten Parkplatzfall, bei dem der Parkende dem Wächter sagte, er lehne die Bewachung ab und zahle daher nicht.14 Nach der Lehre vom sozialtypischen Verhalten wird hier vom erklärten Willen abgesehen und allein durch das Verhalten ein Vertrag begründet. Richtig ist demgegenüber, mit der anerkannten Regel der „protestatio facto contraria non valet“ zu arbeiten, diese Regel allerdings auf die Fälle des Massenverkehrs zu beschränken.15 In Anlehnung an den Rechtsgedanken der §§ 612, 632, 653, 689, wonach eine einseitige Erklärung in bestimmten Fällen eine Vergütungspflicht nicht ausschließen kann, wird im Massenverkehr die Vergütungspflicht nicht durch Widerspruch ausgeschlossen. Der Handelnde muss sich am objektiven Erklärungswert seiner Inanspruchnahme, die verkehrsfreundlich als stillschweigende Willenserklärung ausgelegt werden kann (s. o.), festhalten lassen. Zwischen den Parteien kommt demnach ein 11 12 13 14 15

BGHZ 21, 319 (333) = ESJ 5. LG Bremen, NJW 66, 2360 m. abl. Anm. Medicus, NJW 67, 354. Darüber setzt sich LG Bremen, NJW 66, 2360 (s. vor Anm.) hinweg. BGHZ 21, 319 (333). Die in der 7. Auflage, S. 57f, vertretene Unterscheidung zwischen protestatio declarationi contraria und echter protestatio facto contraria wird aufgegeben; Köhler, JZ 81, 464 lehnt das Zustandekommen eines Vertrages in jedem Fall ab, um eine Aushöhlung der Privatautonomie zu vermeiden, und löst die Fälle stets nach Bereicherungs- und Deliktsrecht.

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§ 17 IV 2

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Begründung des Schuldverhältnisses

wirksames Rechtsgeschäft zustande. Die Geltendmachung von Willensmängeln ist bei Geschäften des Massenverkehrs bei dieser rechtsgeschäftlichen Lösung zwar grundsätzlich zulässig, allerdings ist die Irrtumsanfechtung gem. § 119 ausgeschlossen, weil die „verständige Würdigung“ verkehrsfreundlich vorzunehmen ist und i. d.R. § 242 entgegensteht.16 Kein Vertrag kommt dagegen zustande, wenn ein Benutzer eine für ihn nicht bereitgestellte Leitung anzapft. Auch beim „Schwarzfahren“ kann keine Willenserklärung des Schwarzfahrers angenommen werden. Das bürgerliche Recht macht aus Unrechtshandlungen kein Recht. Nach der Lehre vom vertragstypischen Verhalten handeln dagegen der Schwarzfahrer und Leitungsanzapfer sozialtypisch mit der Folge, dass es Schwarzfahren und Leitungsanzapfen nicht mehr gibt. Man stelle sich die Überraschung eines routinierten Schwarzfahrers oder Leitungsanzapfers vor, wenn ihm gesagt wird, er stehe in einem rechtlich anerkannten Vertragsverhältnis. Das erhöhte Beförderungsentgeld, das der Schwarzfahrer (unabhängig von strafrechtlicher Verfolgung, 265 a StGB) zu entrichten hat, beruht nicht auf Vertrag, sondern auf Gesetz, nämlich z. B. § 9 der VO über die allgemeine Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr (BGBl. 1970 I 230 mit späteren Änderungen) oder § 12 Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO, i. d. F. vom 30. 4. 1999, BGBl. I 784 mit späteren Änderungen). – Weiterhin kann das Zustandekommen eines Vertrages an der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Benutzers scheitern, da die Schutzvorschriften zugunsten beschränkt Geschäftsfähiger nach der hier vertretenen rechtsgeschäftlichen Lösung zu beachten sind. Wenn ein Vertrag nicht zustande kommt, kann das Erlangte grundsätzlich über einen Anspruch aus allgemeiner Eingriffskondiktion (§ 812 I 1 Fall 2) herausverlangt werden. Soweit der die Leistung Beanspruchende die Leistung nicht wieder in natura herausgeben kann, besteht gem. § 818 II ein Wertersatzanspruch. Dabei ist zu beachten, dass die Werthaftung des § 818 II in ihrem üblichen Sinne (Verkehrswert) nicht passt. Das, was bei Zustandekommen eines Vertrages geschuldet wäre, wäre der Gegenwert, das Entgelt. Man kann diesen Gegenwert als Unterfall des Wertes im Sinne des § 818 II auffassen. Dann kommt es zum Wertersatz schon bei direkter Anwendung von § 818 II durch bloße Auslegung. Genauer ist, eine Normlücke in § 818 II anzuerkennen, soweit es um die Entgelthaftung bei der allgemeinen Eingriffskondiktion geht. Dann ist § 818 II analog anzuwenden und danach der Wert des Erlangten zu ersetzen.17 Da der die Leistung Beanspruchende den Mangel des rechtlichen Grundes kennt, haftet er nach §§ 819 I, 818 IV nach den allgemeinen Vorschriften. Ein Wegfall der Bereicherung gem. § 818 III scheidet dann aus. – Schadensersatzansprüche nach Deliktsrecht (§§ 823 I, 823 II 1 i.V. m. § 123 StGB usw.) können im Einzelfall bestehen. Dagegen scheidet ein Herausgabeanspruch nach §§ 687 II, 681 S. 2, 667 aus, da bei solchen Eingriffen in fremde Rechtskreise schon nicht die Behandlung eines fremden Geschäfts als eigenes vorliegt. c) Neben den beiden erörterten Fallgruppen faktischer Vertragsverhältnisse gibt es weitere Fälle, in denen Vertragsansprüche ohne das Vorliegen eines Vertrages erwogen worden sind. Auch die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss, die unten § 19 besprochen wird, zählt zu diesen Fällen.18 16 Vgl. Palandt/Heinrichs, vor § 145 Rdn. 26 zu Willensmängeln. 17 Zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten Medicus, BürgR, Rdn. 719. 18 Zu den Spezialfällen der faktischen Hofübergabe- und Erbverträge vgl. 7. Aufl. S. 55; BGHZ 87, 237; 119, 387 (formlose Vereinbarung reicht aus); s. auch Medicus, BürgR, Rdn. 181, 186, 192.

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Entstehung durch Vertrag

§ 18

§ 18 Entstehung durch Vertrag Bailas, Das Problem der Vertragsschließung und der vertragsbegründende Akt, 1962; Drobnig, FS Riesenfeld, 1983, 31; Graue, Vertragsschluß durch Konsens? in: Rechtsgeltung und Konsens, 1976, 105; Hart, Die AG 84, 66; Hönn, JuS 90, 953; Köhler, AcP 182 (1982), 126; Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, 1972; Manigk, IherJb. 75, 127; Mayer-Maly, FS Wilburg, 1965, 129; ders., FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 509; ders., FS Seidl, 1975, 118; ders., Die Bedeutung des Konsenses in privatrechtsgeschäftlicher Sicht, in: Rechtsgeltung und Konsens (aaO), 91; Paefgen, Bildschirmtext aus zivilrechtlicher Sicht: Die elektronische Anbahnung und Abwicklung von Verträgen, 1988; ders., JuS 88, 592; Schmid, W., Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, 1983; Tosch, Entwicklung und Auflösung der Lehre vom Vertrag, 1980; Titze, Die Lehre vom Mißverständnis, 1910; Wilburg, AcP 163 (1963), 346.

1. Von den im vorgehenden § 17 besprochenen Begründungsarten eines Schuldverhältnisses bedarf die durch Vertrag noch näherer Betrachtung. Das Gesetz selbst räumt der vertraglichen gegenüber der einseitigen Begründung von Schuldverhältnissen den Vorrang ein, § 311 I. Danach ist zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt (so – die Begründung betreffend – bei der Auslobung, § 657, und – die Inhaltsänderung betreffend – bei Leistungsstörungen, s. u. §§ 41 ff). 2. Das Gleiche gilt, ohne dass das Gesetz es sagt, für die Aufhebung eines Schuldverhältnisses. Die Parteien eines vertraglichen Schuldverhältnisses können es jederzeit vertraglich ändern oder aufheben, so, als ob es nie oder so, dass es nur eine Weile bestanden hat (liberatorischer Vertrag, actus contrarius). Aufhebungsverträge sind bei Gesellschafts- und Dienstverträgen nicht selten. Von Kündigung spricht man technisch nur, wenn Gesellschafts- oder Dienstvertrag durch einseitige Erklärung gelöst werden. Kündigungsmöglichkeiten müssen vertraglich oder gesetzlich vorgesehen sein, Aufhebungsverträge nicht.1 Ermächtigungsnorm 2 für einen Aufhebungsvertrag ist § 311 I analog. 3. Ein Vertrag kommt zustande durch zwei oder mehrere sich inhaltlich deckende, aufeinander Bezug nehmende Willenserklärungen, die von einem Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und Rechtsbindungswillen (zur Dreiteilung des subjektiven Tatbestands der Willenserklärung Palandt/Heinrichs, vor § 116 Rdn. 1) getragen sind, §§ 145ff. Für Einzelheiten ist auf den Allgemeinen Teil zu verweisen; vgl. auch Fikentscher, Schuldrechtspraktikum, 87 ff. 4. Versendet ein Unternehmer unbestellte Waren in der Hoffnung, dass sie beim Kunden auf Interesse stoßen, kommt ein Vertrag nur zustande, wenn der Kunde das in der Zusendung der Waren liegende Angebot annimmt. Wie aus § 241 a folgt (der in Umsetzung der Fernabsatz-RiLi im Jahr 2000 in das BGB eingefügt wurde), sind an das Vorliegen einer Annahmeerklärung hohe Anforderungen zu stellen. Bloßes Schweigen des Kunden ist schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht als Annahme zu werten. Eine Annahme liegt beispielsweise vor, wenn der Kunde die beigefügte Rechnung bezahlt. Wie verhält es sich aber, wenn der Kunde die unbestellte Ware benutzt, z. B. das zugesandte Kleidungsstück trägt oder das Buch liest? Nach den allgemeinen Vor-

1 Zur allgemeinen Kündigungsmöglichkeit bei Dauerschuldverhältnissen s. u. Rdn. 573f. 2 Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, Teil I 5 d); es empfiehlt sich aber, § 311 I als „Anspruchsnorm“ zu zitieren und auf diese Auslegung von § 311 I hinzuweisen.

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§ 18

Begründung des Schuldverhältnisses

schriften über Willenserklärungen läge hierin in der Regel eine konkludente Annahmeerklärung, Zugang wäre gem. § 151 nicht erforderlich, da der Unternehmer hierauf verzichtet hat. Nach dem Wortlaut von § 241a I ändert sich an der Anwendung der allgemeinen Regeln eigentlich nichts, da sich hier nur die Selbstverständlichkeit findet, dass durch die bloße Lieferung unbestellter Leistungen Ansprüche nicht begründet werden. Aus der ratio der Norm, die den Verbraucher von jedweder Gegenleistung in Bezug auf unbestellte Leistungen freistellen möchte, folgt aber, dass ein Vertrag nicht konkludent durch Benutzung zustande kommen kann.3 § 241 a I ist freilich nicht auf vertragliche Ansprüche beschränkt, sondern bezieht sich auf alle, also auch auf gesetzliche Ansprüche. Der Verbraucher kann deshalb die Ware benutzen, beschädigen oder wegwerfen, ohne dass er Ansprüchen aus GoA, Bereicherungs- oder Deliktsrecht ausgesetzt ist. Zur Rücksendung der Ware ist er nicht verpflichtet. Nach h. M. ist auch der Anspruch aus § 985 ausgeschlossen, so dass der Unternehmer die unbestellte Ware nicht zurückverlangen kann.4 Teilweise wird vertreten, dass der Verbraucher sogar den Erlös behalten darf, den er aus einer Weiterveräußerung der zugesandten Ware erzielt.5 Argumentiert wird mit dem Strafcharakter von § 241a, der eine zivilrechtliche Sanktion für Verstöße gegen Wettbewerbsrecht enthalte (die Zusendung unbestellter Ware verstößt in der Regel gegen § 3 UWG!).6 Die zugrunde liegende FernabsatzRiLi verlangt in Art. 9 aber lediglich, dass der „Verbraucher von jedweder Gegenleistung“ zu befreien ist.7 Hieraus folgt keine Notwendigkeit, in das deutsche Zivilrecht systemfremde pönale Elemente einzuführen. Dem Unternehmer steht deshalb der Anspruch aus § 985 auf Herausgabe der zugesandten Ware zu, wenn hierdurch keine schutzwürdigen Interessen des Verbrauchers verletzt werden. Der Unternehmer hat in diesem Fall die Ware beim Verbraucher abzuholen. Ebenso bleibt dem Unternehmer der Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses erhalten.8 § 241 a ist nicht nur auf die Lieferung von Sachen, sondern auf alle unbestellten „Leistungen“, also auch auf Dienstleistungen anwendbar. Dazu gehört beispielsweise die ungewollte Herstellung von Internetverbindungen über besonders teure Mehrwertdiensterufnummern („Internet-Dialer“).9 Nach § 241 III liegt eine unbestellte Leistung nicht vor, wenn statt einer bestellten eine gleichwertige Leistung angeboten wird und ein Hinweis auf die Unverbindlichkeit des Angebots und die Kostenlosigkeit der Rücksendung erfolgt. Für Irrläufer und Irrtümer s. § 241a II, welcher die gesetzlichen Ansprüche aufrechterhält, wenn der Emp-

3 MüKo/Kramer, § 241 a Rdn. 3; Palandt/Heinrichs, § 241a Rdn. 6. 4 S. Lorenz, JuS 2000, 833 (841); Wendehorst, DStR 2000, 1311 (1316f); weitere Nachweise bei Mitsch, ZIP 2005, 1017 Fn. 4. 5 Link, NJW 2003, 2811: Ausschluss der Ansprüche aus § 816 I, bzw. §§ 687 II, 681 S. 2, 667. 6 Deshalb ist nach differenzierender Ansicht der Ausschluss von § 985 auf die Fälle zu beschränken, in denen tatsächlich ein Verstoß gegen Wettbewerbsrecht vorliegt, so z. B. Berger, JuS 2001, 649 (652); Looschelders, SchR AT Rdn. 107; Palandt/Heinrichs, § 241 a Rdn. 4. 7 Zu weitgehend die deutsche Gesetzesbegründung, die aus Art. 9 der Richtlinie ableitet, die Freistellung auch auf die Rückgabeverpflichtung zu erstrecken, s. BT-Drs 14/2658, 23 f („es erscheint angebracht, diese Freistellung auch auf die Rückgabeverpflichtung zu erstrecken“). 8 Für eine restriktive Auslegung des § 241 a auch Casper ZIP 2000, 1602 (1606 f); Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 104. Anders hingegen die h. M., s. außer den in Fn. 3 und 4 genannten z. B. Dornheim Sanktionen und ihre Rechtsfolgen im BGB unter besonderer Berücksichtigung des § 241 a (2005); Schwarz/Pohlmann, Jura 2001, 361; Sosnitza, BB 2000, 2317 (2322). 9 Lienhard, NJW 2003, 3592.

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Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten

§ 19 I

fänger im Einzelfall nicht schutzwürdig ist, weil er den Missgriff erkannt hat oder hätte erkennen können. 5. Dass Verträge binden, beruht auf der unserer Rechtskultur eigenen Überzeugung, dass schon

das ernst gemeinte Versprechen, zunächst vorbereitend und später rechtfertigend, die Leistung dem Rechtskreis des Versprechensempfängers zuordnet. Andere Rechtskulturen honorieren das bloße Versprechen nicht in gleicher Weise (z. B. manche buddhistische) oder verstehen aufgrund einer abweichenden Zeitvorstellung unter „Versprechen“ etwas anderes. Der Grad der Bindung an ein Versprechen hängt vom jeweiligen Treuverständnis einer Rechtskultur ab. Die jeweilige Rechtskultur entscheidet darüber, ob der Inhalt des Versprechens mehr am Willen oder mehr an der Erklärung des Versprechenden gemessen wird.10 6. Zu erwähnen ist noch die Einteilung in privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Verträge. Als öffentlich-rechtlich wird ein Vertrag bezeichnet, wenn das durch ihn begründete Rechtsverhältnis dem öffentlichen Recht angehört, s. dazu § 54 VwVfG.11 Er kann auch zwischen Privaten geschlossen werden, z. B. im Wegerecht. Obwohl hinsichtlich ihres Inhalts vor allem dem öffentlichen Recht unterstehend, gelten auch für sie bürgerlich-rechtliche, vor allem schuldrechtliche Grundsätze, vgl. §§ 59 I u. 62 S. 2 i. V. m. 12 VwVfG.12

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§ 19 Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten („culpa in contrahendo“; „bürgerlichrechtliche Prospekthaftung“; „nachwirkende Treuepflichten“) Grundlegend Rudolf von Ihering, IherJb 4 (1861), 1. Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluss (1989); Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971); ders., NJW 1964, 1987; ders., JZ 1965, 475; ders., (II.) FS Larenz (1983) 27; ders., ZHR 163 (1999) 206; ders., in: 50 Jahre BGH (2000), Bd. I, 129; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001); ders., AcP 200 (2000), 91; ders., in: Schulze/Schulte-Nölke (2001) 243; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo (2001); Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung (1997); ders., NJW 1999, 900; ders., WM 2001, 597; ders., in: Schulze/Schulte-Nölke (2001) 269; Häublein, NJW 2003, 388; Lieb, FS Medicus (1999) 337; ders., in: Dauner-Lieb/Heidel/ Lepa/Ring Das Neue Schuldrecht (2002) § 3 Rdn. 35 ff; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997); ders., ZIP 1998, 1053; Kaiser, JZ 1997, 448; Köndgen, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001) 231; Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis (1987); ders., FS Steindorff (1990) 725; Mertens, AcP 203 (2003) 818; Möllers/Leisch, JZ 2000, 1085; Nickel, Die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo (2004); Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten (2002); Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht (2003).

I. Das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung Wer zu erkennen gibt, dass er mit einem anderen einen Vertrag abschließen möchte, tritt aus dem allgemeinen Kreis der deliktsrechtlichen Sorgfaltspflichten, die jedermann geschuldet sind, heraus und schafft für den als möglichen Vertragspartner Angespro10 Zum Standpunkt des BGB (modifizierte Erklärungstheorie) s. Flume, § 4; Lehmann/Hübner, § 24 IV; Larenz/Wolf, AT § 24 IV; zum Vergleich der Rechtskulturen Fikentscher, Methoden; ders., Synepeik und eine synepeische Definition des Rechts, in: Fikentscher/Franke/Köhler, Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, 1980, 53. 11 Wann dies der Fall ist, ist im Einzelnen streitig; eine Übersicht bei MünchKomm/Kramer, vor § 145 Rdn. 37f. 12 Gündling, Modernisiertes Privatrecht und Öffentliches Recht, 2006; Meyer, NJW 77, 1705.

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§ 19 II

Begründung des Schuldverhältnisses

chenen zusätzliche Risiken. Eine vertragliche Haftung kann dabei, solange der Vertrag noch nicht zustande gekommen ist, nicht in Betracht kommen. Andererseits reicht die deliktsrechtliche Haftung wegen des angestrebten Vertrags nicht aus. Rudolf von Ihering hat deshalb 1861 das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo, bzw. „c.i. c.“ entwickelt, das gewohnheitsrechtliche Geltung erlangte.1 Der Gesetzgeber hat im Zug der Schuldrechtsmodernisierung das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung in § 311 II und III kodifiziert. Dies entspricht dem Anliegen, für die „zentralen Rechtsinstitute des deutschen Zivilrechts“ eine ausdrückliche Regelung ins BGB aufzunehmen.2 § 311 II und III regelt lediglich, wodurch das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung entsteht, nämlich Absatz 2 für das Verhältnis zwischen den Geschäftspartnern und Absatz 3 im Verhältnis zu Dritten. Welchen Inhalt das Schuldverhältnis hat, ergibt sich aus dem Verweis auf § 241 II, also auf die Existenz besonderer Schutzpflichten (s. hierzu bereits oben Rdn. 37ff). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll durch die Kodifizierung keine Regelung in allen Einzelheiten erfolgen. Die Ausdifferenzierung des Pflichtenkanons bleibt vielmehr der Rechtsprechung vorbehalten.3 In weitem Umfang wird hierbei auf die bereits entwickelten Fallgruppen zurückzugreifen sein. Für ein „zentrales Rechtsinstitut des deutschen Zivilrechts“ hätte man sich eine eigenständige Regelung gewünscht. Die Kodifizierung an versteckter Stelle in § 311 II und III i. V. m. § 241 II beruht auf der Überlegung, dass das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung im Vorfeld eines Vertrags entsteht. Der Gesetzgeber wählte deshalb den direkten Anschluss an das in § 311 I geregelte Vertragsprinzip.

II. Entstehung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses, Pflichtverletzung und Rechtsnatur 87

Gem. § 311 II entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), durch Vertragsanbahnung (Nr. 2) oder durch ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3). Vertragsverhandlungen sind eine besondere, fortgeschrittene Form der Vertragsanbahnung. Insofern ist Nr. 2 der Grundtatbestand und Nr. 1 der praktisch besonders wichtige Spezialfall.4 Nr. 1 liegt vor ab dem Beginn der Vertragsverhandlungen. Unverbindliche Gespräche reichen aus, außer wenn es um eine zu allgemeine Erörterung der jeweiligen Interessenlage geht.5 Um eine Vertragsanbahnung i. S. v. Nr. 2 handelt es sich dagegen vor der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, z. B. wenn ein Unternehmer seine Produkte bewirbt oder zwecks Kontaktaufnahme seine Geschäftsräume öffnet, um potentielle Kunden zu gewinnen.6 Zusätzlich ist nach Nr. 2 die Gewährung einer Einwirkungsmöglichkeit, bzw. die Anvertrauung der eigenen Rechte, Rechtsgüter oder Interessen erforderlich.7 Eine besondere Willensrichtung ist hierfür nicht erforderlich; es reicht die rein faktische Schaffung einer Ein1 Allerdings enthielt bereits das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794 in I 5 § 284 eine entsprechende Regelung. 2 GesBegr BT-Drs 14/6040, 162. 3 Ebd. 4 Bamberger/Roth/Grüneberg § 311 Rdn. 44. 5 Bamberger/Roth/Grüneberg § 311 Rdn. 45. 6 Vgl. M. Lehmann Vertragsanbahnung durch Werbung (1981). 7 Es ist streitig, ob dieses Merkmal auch in Nr. 1 zugrunde zu legen ist, so Lieb in Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht § 3 Rdn. 37. Dagegen zu Recht Bamberger/Roth/ Grüneberg § 311 Rdn. 44. Allerdings steigt die Intensität der Sorgfaltspflichten mit der Intensität der jeweiligen Einwirkungsmöglichkeit.

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Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten

§ 19 II

wirkungsmöglichkeit. Keine Vertragsanbahnung liegt vor, wenn für eine Seite von vornherein ein Vertragsabschluss nicht in Frage kommt. Beispiel: M betritt das Kaufhaus des K, um sich einmal umzuschauen. Zu Vertragsverhandlungen ist es noch nicht gekommen (deshalb nicht Nr. 1), aber eine Vertragsanbahnung i. S. v. Nr. 2 liegt vor: Der Besuch erfolgt „im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung“, eine besondere Wahrscheinlichkeit des Vertragsschlusses ist hierfür nicht erforderlich. Außerdem hat M durch das Betreten des Kaufhauses seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Einwirkung des K ausgesetzt. – Betritt M dagegen den Kaufhauseingang lediglich, um sich vor einem Regenschauer zu schützen, entsteht kein vorvertragliches Schuldverhältnis.

Nach § 311 II Nr. 3 reicht auch ein ähnlicher geschäftlicher Kontakt aus. Hierbei handelt es sich um einen unklar definierten Auffangtatbestand, der eher in negativer als in positiver Hinsicht präzisiert werden kann. Bloß „sozialer Kontakt“ reicht hierfür nicht aus. Unter Nr. 3 fallen beispielsweise Gefälligkeitsverhältnisse mit rechtsgeschäftlichem Charakter ohne primäre Leistungspflicht oder Auskunftsfälle, falls kein eigener Auskunftsvertrag abgeschlossen wurde.8 Werden Pflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis in zu vertretender Weise verletzt, hat der andere einen Schadensersatzanspruch. Anspruchsgrundlage sind die §§ 280 I, 311 II oder III, 241 II. Nach Einfügung der rechtlichen Regelung besteht also kein ungeschriebener Anspruch „aus c. i. c.“ mehr. Es ist zu unterscheiden nach den verschiedenen Sorgfaltspflichten, die durch den Vertragsanbahnenden verletzt werden können. Gem. § 241 II kann sich die Pflichtverletzung gegen die Rechte, Rechtsgüter oder auch die Interessen des anderen Teils wenden. Auf die unterschiedlichen Sorgfaltspflichten ist sogleich (unter III) einzugehen. Schuldverhältnisse können nur aus Rechtsgeschäft oder aus Gesetz entstehen, oben § 17. Man schuldet, weil man sich aus Rechtsgeschäft verpflichtet hat, oder weil man etwas bekommen hat, was einem nicht zusteht (§§ 677 ff, 812 ff), oder weil man einen Schaden tragen muss, für den man verantwortlich ist (§§ 823 ff). Die Haftung aus §§ 280 I, 311 II, III, 241 II ist unabhängig davon, ob ein Vertrag zwischen den Parteien wirksam zustande kommt. Es kann sich deshalb nicht um ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis, sondern nur um ein gesetzliches handeln. Wegen der zusätzlichen Risiken (s. o. Rdn. 38) sind auf dieses gesetzliche Schuldverhältnis aber die vertraglichen Regeln anwendbar, z. B. Haftung für Erfüllungsgehilfen gem. § 278.

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Geschäftsunfähige haften nach § 105 nicht; beschränkt Geschäftsfähige haften nach den §§ 107, 108 nur, wenn der gesetzliche Vertreter mit der Aufnahme des geschäftlichen Kontakts einverstanden war. Dagegen können beschränkt Geschäftsfähige Ansprüche wegen Verletzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses haben, da diese lediglich rechtlich vorteilhaft sind (§ 107).9

Insgesamt lässt sich die Haftung aus vorvertraglichem Schuldverhältnis als eine gesetzliche Haftung nach vertragsähnlichen Grundsätzen beschreiben. Fraglich ist, ob das vorvertragliche Schuldverhältnis neben dem später zustande kommenden Vertrag weiterbesteht, ob es ein den Vertrag gewissermaßen vorbereitendes, begleitendes und überdauerndes gesetzliches Schuldverhältnis der Begleitpflichten aus Treu und Glauben (§ 242) gibt.10 Diese scheinbar einfache Konstruktion ist jedoch abzulehnen, weil ein geschlossener Vertrag die Pflichtenlage entscheidend ändert (s. o. Rdn. 39). Rechtstechnisch kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass vor Vertrags-

8 Canaris JZ 2001, 499 (520). 9 BGH NJW 1973, 1791; anders Canaris NJW 1964, 1987 und Larenz I, § 9 I 5. 10 So Canaris JZ 1965, 475; hierzu Medicus Bürgerliches Recht Rdn. 203.

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§ 19 III 1

Begründung des Schuldverhältnisses

schluss Ansprüche aus §§ 280 I, 311 II, III, 241 II bestehen, während für Pflichtverletzungen nach Vertragsschluss der Verweis auf § 311 II, III entfällt.

III. Fallgruppen 91

Die Sorgfaltspflichten, deren Verletzung zu einer Haftung aus §§ 280 I, 311 II, III, 241 II führt, lassen sich nicht erschöpfend aufzählen. Es gibt aber eine Reihe von Fallgruppen, die von Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet wurden und die heute zur Anwendung der Regeln der culpa in contrahendo zuziehen sind. 1. Schutz von Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum

Die Vertragsanbahnung begründet Schutzpflichten für Körper und Eigentum der Beteiligten, §§ 311 II, III, 241 II (s. bereits oben Rdn. 33 ff). Der Ladeninhaber muss für sichere Bedienung seiner Kunden sorgen, gleichgültig, ob es zu einem Vertragsschluss kommt oder nicht. Löst sich eine Deckenlampe, stürzt ein Warenstapel um, und verletzt sich der Kunde, so haftet der Ladeninhaber für Verschulden seiner Angestellten gem. § 278. Beispiele: Eine Kundin wird im Laden vor Vertragsschluss von einer umfallenden Linoleumrolle getroffen. Der Kaufmann haftet für den Personenschaden gem. §§ 280 I, 311 II, 241 II. Das Verschulden seiner Mitarbeiter wird ihm gem. § 278 zugerechnet (also im Gegensatz zu § 831 ohne Exkulpationsmöglichkeit).11 – Der Kaufinteressent beschädigt bei einer Probefahrt das Auto, für das er sich interessiert.12 – Eine vor Erteilung des Reparaturauftrags übergebene Sache wird beschädigt.13

Gem. § 311 III 1 können auch Dritte in das vorvertragliche Schuldverhältnis einbezogen sein, also solche Personen, die von vornherein nicht Vertragspartner werden sollten, zu einer Partei aber in einem besonderen Näheverhältnis stehen (s. näher unten § 37). Auch solche Dritte können eigene, vorvertragliche Schadensersatzansprüche haben. Beispiel: Die minderjährige Tochter begleitet ihre Mutter beim Einkaufen und rutscht auf einem Gemüseblatt aus. Obwohl die Tochter keinen Vertrag schließen wollte, hat sie einen Anspruch gegen den Ladenbetreiber gem. §§ 280 I, 311 III 1, 241 II. Für das Verschulden von Angestellten hat der Unternehmer wiederum nach § 278 einzustehen.14

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Die Schutzpflichten beziehen sich auf Körper und Eigentum, die gleichzeitig geschützte Rechtsgüter in § 823 I darstellen. Bei einer Verletzung der Schutzpflichten entsteht also nicht nur ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 311 II, III, 241 II wegen Verschuldens bei Vertragsanbahnung, sondern auch ein deliktischer nach § 823 I. Der vertragsähnliche Anspruch hat zwei große Vorteile: Eine der Exkulpationsmöglichkeit für Verrichtungsgehilfen nach § 831 I 2 entsprechende Befreiung ist in § 278 nicht vorgesehen; außerdem besteht ein umfassender Schutz von allgemeinen Vermögensinteressen. Der früher bestehende Unterschied in der Verjährung wurde durch die Schuldrechtsmodernisierung beseitigt: Sowohl der vertragsähnliche als auch der deliktische Anspruch verjähren in der regelmäßigen Verjährungsfrist der §§ 195, 199. Steht die Pflichtverletzung hingegen im Zusammenhang mit dem Mangel einer Sache oder eines herzustellenden Werks, gilt für den Anspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Pflich-

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So der klassische Linoleumrollenfall RGZ 78, 239 = ESJ 6. BGH NJW 1968, 1472. BGH NJW 1977, 376. So der klassische Gemüseblattfall BGHZ 66, 51.

Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten

§ 19 III 3

ten (nicht aber für den deliktischen Anspruch) die kurze Verjährung der §§ 438, 634a. Es ist jedoch jeweils sorgfältig zu prüfen, ob die Pflichtverletzung mit der Beschaffenheit der Sache zusammenhängt (dann kurze Verjährung), oder auf der Verletzung sonstiger Nebenpflichten beruht (dann die regelmäßige Verjährung, s. u. Rdn. 903 ff). 2. Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund Grundsätzlich haben Vertragsanbahnende die Freiheit, einen Vertrag abzuschließen oder nicht abzuschließen, also die sog. Abschlussfreiheit (vgl. u. Rdn. 112f). Hierzu gehört auch die Freiheit, Vertragshandlungen grundlos abzubrechen. Hat eine Partei Aufwendungen in der Hoffnung getätigt, es werde ein Vertrag zustande kommen, handelt sie dabei grundsätzlich auf eigenes Risiko. Nach Rechtsprechung und h. L. besteht von diesem Grundsatz eine Ausnahme für den Fall, dass Vertrauen auf das Zustandekommen eines Vertrags erweckt wurde, der Vertragsschluss nach den Verhandlungen als sicher anzunehmen war, dies kausal für Vermögensdispositionen der anderen Seite wurde und ein Abbruch der Vertragsverhandlungen ohne sachlichen („triftigen“) Grund erfolgte.15 An das Vorliegen eines triftigen Grundes dürfen keine hohen Anforderungen gestellt werden. So reicht es beispielsweise aus, dass sich anderweitig ein günstigeres Angebot ergibt. Macht ein Verbraucher von seinem Widerrufsrecht nach § 355 Gebrauch, so stellt dies keine Pflichtverletzung dar.16 Besonders problematisch ist die Annahme einer Schadensersatzpflicht bei formbedürftigen Verträgen, da die Formvorschriften oft die Parteien vor Übereilung schützen sollen (s. u. Rdn. 124) und somit die Entscheidung bis zum Schluss offen stehen soll. Die Rechtsprechung nimmt in diesen Fällen nur ganz ausnahmsweise, nämlich nur bei schwerwiegenden Treueverstößen, insbesondere Vorsatz, die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen an.17 Dem ist beizupflichten. Unter den hohen Voraussetzungen, unter denen sich eine Partei ausnahmsweise nicht auf Formnichtigkeit berufen kann,18 muss auch ein Schadensersatzanspruch möglich sein.

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3. Verschulden der Vertragsunwirksamkeit Grundsätzlich muss sich jede Partei selbst informieren, ob Unwirksamkeitsgründe existieren, z. B. ob ein gesetzliches Verbot entgegensteht oder spezielle Formvorschriften zu beachten sind. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass ein Unwirksamkeitsgrund aus der Sphäre einer Partei stammt. Diese kann sich in einem solchen Fall wegen Verursachung der Unwirksamkeit oder wegen mangelnder Aufklärung über das Wirksamkeitshindernis schadensersatzpflichtig machen. Gleichgestellt sind Fälle, in denen wegen schuldhaft unklarer Ausdrucksweise ein Vertrag wegen Dissenses in Wirklichkeit nicht zustande kommt.19 Gesetzliche Anwendungsfälle sind die §§ 122 und 179.

15 BGHZ 71, 395; 76, 349; 92, 175; Fikentscher FS Gernhuber (1993) 121. Ablehnend Medicus Schuldrecht I Rdn. 106 f, der die Abschlußfreiheit durch diese Fallgruppe nicht einschränken möchte und an der Notwendigkeit eines Vertragsschlusses festhält. 16 BGHZ 131, 1. 17 BGH NJW 1996, 1884 (1885). 18 S. hierzu Larenz/Wolf AT § 27 Rdn. 69 ff. 19 RGZ 104, 265 „Weinsteinsäurefall“: Beide Parteien wollten in Wirklichkeit das fragliche Produkt verkaufen.

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§ 19 III 4

Begründung des Schuldverhältnisses

4. Verschulden bei Vertragswirksamkeit (Rückgängigmachung inhaltlich nachteiliger Verträge) 95

Gem. § 123 kann im Fall arglistiger Täuschung (oder widerrechtlicher Drohung) die manipulierte Willenserklärung angefochten werden. Ist diese Regelung abschließend, oder kann auch unterhalb dieser Schwelle, nämlich bei bloß fahrlässiger Täuschung Schadensersatz wegen der Verletzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses verlangt werden? Wenn ohne die fahrlässige Täuschung der Vertrag nicht geschlossen worden wäre, käme man über den Schadensersatzanspruch zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Anfechtung, nämlich zur Rückgängigmachung des Vertrags. Beispiel: V verkauft K 40 Prozent seiner Anteile an der G-GmbH. „Versehentlich“ vergisst er zu erwähnen, dass die Gesellschaft in den letzten Wochen in eine erhebliche wirtschaftliche Schieflage geraten ist, so dass auch eine Insolvenz nicht mehr auszuschließen ist. – Wie so oft in der Praxis scheidet eine Anfechtung nach § 123 aus, da Arglist nicht nachgewiesen werden kann. Kann K dennoch wegen fahrlässiger Täuschung Rückgängigmachung des nachteiligen Geschäfts gem. den §§ 280 I, 311 II, 241 II verlangen?

Rechtsprechung und die ganz überwiegende Lehre bejahen Schadensersatzansprüche bei fahrlässiger Täuschung.20 Teilweise werden aber Korrekturen vorgenommen, um Wertungswidersprüche zu § 123 zu vermeiden. Schließlich kann die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. § 124 nur binnen Jahresfrist nach Entdeckung erfolgen. Sollen Schadensersatzansprüche wegen bloß fahrlässiger Täuschung länger durchsetzbar sein (nämlich Verjährung gem. §§ 195, 199 in drei Jahren)? Teilweise wird deshalb eine analoge Anwendung von § 124 auf den vorvertraglichen Schadensersatzanspruch befürwortet.21 Ein anderer Vorschlag geht dahin, bereits im Rahmen des geltenden Rechts die Anfechtung nach § 123 auf die Irreführung durch fahrlässige, vorvertragliche Informationspflichtverletzung zu erweitern und hierauf dann folgerichtig § 124 anzuwenden. Eine schadensrechtliche Rückabwicklung nach diesem Zeitpunkt wäre ausgeschlossen.22 Dagegen lassen Rechtsprechung und h. L. den schadensrechtlichen Vertragsaufhebungsanspruch mit den Anfechtungsregeln frei konkurrieren und belassen es bei den unterschiedlichen zeitlichen Vorgaben.23 Hierfür spricht, dass Anfechtung und vorvertraglicher Schadensersatz unterschiedlichen Regeln folgen, die notwendigerweise zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Hieraus resultierende Spannungen sind hinzunehmen, zumal nicht einsichtig ist, warum das Opfer einer Informationspflichtverletzung schlechter stehen sollte als das Opfer sonstiger vorvertraglicher Pflichtverletzungen. Im Beispielsfall kann K von V Rückgängigmachung des Kaufvertrags gem. §§ 280 I, 311 II, 241 II verlangen. Auch wenn Verkäufer und Käufer naturgemäß entgegengesetzte Interessen haben, besteht für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten konnte.24 Dies ist

20 S. die Monographien von Fleischer Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001); Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung (1997); S. Lorenz Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997). Zurückhaltend demgegenüber Medicus Bürgerliches Recht Rdn. 150. 21 Canaris AcP 200 (2000) 273 (319). MüKo/Kramer § 123 Rdn. 35: § 124 für die vorsätzliche, § 121 für die fahrlässige Täuschung. 22 Grigoleit Vorvertragliche Informationshaftung (1997) 137 ff. 23 S. Lorenz (oben Fn. 20) 332 ff; Palandt/Heinrichs § 311 Rdn. 24. 24 BGH NJW 2001, 2163 (2164).

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Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten

§ 19 III 5

angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens der Fall. Nach der hier vertretenen Auffassung unterliegt der Schadensersatzanspruch auch nicht der Jahresfrist analog § 124.

Umstritten ist, ob der Anspruch auf Vertragsaufhebung einen Vermögensschaden auf Seiten des Getäuschten voraussetzt.25 Wenn man mit dem Begriff der „Interessen“ i. S. v. § 241 II auch die Entscheidungsfreiheit erfasst sieht (wovon hier ausgegangen wird, s. o. Rdn. 38), ist es folgerichtig, auf das Vorliegen eines Vermögensschadens zu verzichten und bereits die Belastung mit dem so nicht gewollten Vertrag als Schaden anzusehen. Im Bereich der Mängelgewährleistung (z. B. im Kauf- und Werkvertragsrecht) bestehen spezielle Vorschriften, welche durch eine Schadensersatzhaftung für Verletzung von Informationspflichten nicht überspielt werden dürfen. So existieren kurze Verjährungsfristen (§§ 438, 634a), Anspruchsausschluss bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis (§§ 442, 640 II), und es gilt der Grundsatz vom Vorrang der Nacherfüllung. Deshalb wird in der Regel formuliert, dass Ansprüche „aus c.i.c.“ im Geltungsbereich der Gewährleistungsvorschriften ausscheiden.26 Wenn man bedenkt, dass nach der Schuldrechtsmodernisierung der Anspruch „aus c. i. c.“ ein Anspruch aus § 280 I (i.V. m. §§ 311 II, III, 241 II) ist, und diese Anspruchsgrundlage in den §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4 genannt wird, so wird deutlich, dass es nicht um die Frage geht, wann ein solcher Anspruch verdrängt wird, sondern vielmehr um das Problem, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch aus § 280 I unter die §§ 437, 634 und damit unter die übrigen Gewährleistungsvorschriften fällt. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Pflichtverletzung auf einen mangelbegründenden Umstand bezieht (Sach- und Rechtsmangel, z. B. §§ 434, 435, 633).27

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Beispiel: V klärt K nicht darüber auf, dass es sich bei dem verkauften Wagen um ein Unfallfahrzeug handelt. – V hat eine Informationspflicht schuldhaft verletzt, da die Unfalleigenschaft eines Kfz ungefragt offenbart werden muss. Die Ansprüche K gegen V aus §§ 280 I, 311 II, 241 II schlagen mit Vertragsschluss in vertragliche Ansprüche um (zur Umschlagtheorie s. o. Rdn. 35) und unterliegen der kurzen Verjährung in § 438 I Nr. 3, da es sich um einen mangelbegründenden Umstand handelt.

Diese Grundsätze gelten auch im Fall der arglistigen Täuschung (str.).28 Wenn es nicht um mangelbegründende Umstände geht, ist der Anspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 II ohne die gewährleistungsrechtlichen Modifikationen, also insbesondere ohne die kurze Verjährung anwendbar. Im Einzelfall bestehen erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten (zum Kaufrecht s. unten Rdn. 903 ff). 5. Nachvertragliche Sorgfaltspflichten Auch bei einem abgewickelten Vertrag können noch Sorgfaltspflichten zwischen den Parteien bestehen. Die Parteien eines abgewickelten Vertrags sind einander nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verpflichtet, das durch den Vertrag Erhaltene nicht nachträglich zu gefährden. Bei Verletzung nachvertraglicher Sorgfaltspflichten spricht man von der culpa post pactum perfectum (oder culpa post pactum fini25 So die Rechtsprechung (zum alten Recht), z. B. BGH NJW 1998, 302; a. A. Canaris AcP 200 (2000) 273 (314); Fleischer AcP 200 (2000) 91; Grigoleit NJW 1999, 900 (901 f); S. Lorenz (oben Fn. 20) 387 ff. 26 S. z. B. S. Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht (2002) Rdn. 576; Palandt/Heinrichs § 311 Rdn. 25, 29. 27 Häublein NJW 2003, 388 ff. 28 Zum Streitstand s. Palandt/Heinrichs § 311 Rdn. 26; Petersen Allgemeines Schuldrecht Rdn. 100.

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§ 19 IV

Begründung des Schuldverhältnisses

tum). Verletzungen der nachvertraglichen Sorgfaltspflicht werden vom Tatbestand des § 280 I ohne weiteres erfasst.29 Beispiele: Der Verkäufer eines Unternehmens darf dem Käufer für eine Übergangszeit keinen Wettbewerb machen, damit dieser den Kundenstamm zu sich hinüberziehen kann.30 – Beim Verkauf eines Grundstücks kann es eine Pflichtverletzung darstellen, wenn der Verkäufer das Restgrundstück bebaut.31

IV. Vorvertragliches Schuldverhältnis und Dritte. Eigenhaftung des Abschlussgehilfen 99

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1. Die Haftung aus Vertragsanbahnung besteht im Grundsatz nur zwischen denjenigen, die Partei des Vertrags werden sollen. Zunehmend hat der BGH aber auch Dritte einbezogen, die zu keinem Zeitpunkt Vertragspartei werden sollten. Zu unterscheiden ist die Einbeziehung Dritter auf der Aktivseite (also als Begünstigte) und auf der Passivseite (also als Verpflichtete). Was die Zuerkennung von Ansprüchen auf der Aktivseite betrifft, so wurde der minderjährigen Tochter, die ihre Mutter ohne jede Kaufabsicht in einen Selbstbedienungsladen begleitet hat und dort auf einem Gemüseblatt ausgerutscht ist, ein eigener Anspruch gegen den Ladeninhaber gewährt (s. o. Rdn. 91). Dieser Entwicklung ist zuzustimmen, weil sie einen konsequenten weiteren Schritt der Lehre von den Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte in den vorvertraglichen Bereich darstellt. Die gesetzliche Grundlage für Ansprüche des Dritten ist nach richtiger Ansicht § 311 III 1 (s. u. Rdn. 305). 2. Dritte können im Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung auch selber Ansprüchen ausgesetzt sein. Gem. § 311 III 2 kommt es zur Haftung Dritter insbesondere dann, wenn diese in besonderem Maß Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst haben. Diese durch die Schuldrechtsmodernisierung aufgenommene Regelung knüpft an eine ständige Rechtsprechung des BGH an, der im Anschluss an Ballerstedt die eigenständige Haftung Dritter angeordnet hatte, wenn diese als Vertreter oder „Sachwalter“ entweder ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Vertragsschluss haben oder aber ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen haben.32 Für das eigene wirtschaftliche Interesse reichen mittelbare Vorteile nicht aus, z. B. die Provision, die aus einem Geschäftsabschluss resultiert. Das besondere persönliche Vertrauen muss über dasjenige hinausgehen, was von einem kompetenten Vertreter ohnehin erwartet wird. Beispiele: Ein Ehegatte führt das Geschäft des anderen wie sein eigenes (eigenes wirtschaftliches Interesse). Der verhandelnde Dritte erklärt, er „verbürge“ sich für die Seriosität des Geschäfts (besonderes persönliches Vertrauen). – Gegenbeispiele: Vertreter V wird durch eine Provision am Erfolg des Geschäfts beteiligt (kein eigenes wirtschaftliches Interesse am Geschäft). – Vertreter V weist bei den Vertragsverhandlungen auf seine besondere Sachkunde hin (keine Inanspruchnahme eines besonderen persönlichen Vertrauens).

29 Eingehend Bodewig Jura 2005, 505; das Problem nachvertraglicher Sorgfaltspflichten wird verneint bei v. Bar, AcP 179 (1979) 452. Zur Lehre vom einheitlichen gesetzlichen Schuldverhältnis s. bereits oben Rdn. 39. 30 RGZ 117, 176 (180). 31 RGZ 161, 330 (338). 32 BGHZ 14, 313; 88, 68; Ballerstedt AcP 151 (1950/51) 501.

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Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten

§ 19 VI

§ 311 III 2 spricht nur den Gesichtspunkt des besonderen persönlichen Vertrauens an. Wie aus dem Wort „insbesondere“ folgt, ist dies aber nicht als abschließende Aufzählung zu verstehen. Die Grundsätze über die Haftung aufgrund eines eigenen wirtschaftlichen Interesses bestehen fort. Insgesamt lässt sich in der Rechtsprechung eine Tendenz feststellen, an das Vorliegen beider Kriterien strenge Maßstäbe anzulegen.33 – Bevor außer- und vorvertragliche Ansprüche auf der Grundlage von § 311 III 2 geprüft werden, ist allerdings immer darauf zu achten, ob nicht vorgelagerte vertragliche Ansprüche bestehen, wie z. B. aus einem Beratungsvertrag oder aus Eigenhaftung durch Schuldbeitritt, Bürgschaft oder Garantie.

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V. Bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung Vor allem im Bereich der Publikumsgesellschaften, also Personengesellschaften mit einer Vielzahl von Gesellschaftern, hat die Rechtsprechung eine allgemeine bürgerlichrechtliche Prospekthaftung entwickelt. Danach haften die Geschäftsführer, Gründer und Initiatoren von Anlagegesellschaften (oder Bauherrenmodellen), wenn schuldhaft falsche Prospektangaben den Erwerber zum Vertragsschluss bestimmen. Der Anspruch geht auf Herstellung des Zustands der bestehen würde, wenn der Prospekt richtig und vollständig gewesen wäre. Da der Anleger dann im Zweifel nicht der Anlagegesellschaft beigetreten wäre, geht der Anspruch in der Regel auf Vertragsaufhebung und Rückzahlung der Beteiligung. Zusätzlich zur Prospekthaftung kann Sachwalterhaftung gem. den §§ 280 I, 311 II, III, 241 II eingreifen, wenn ein Vertreter oder Sachwalter besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat. Im Anwendungsbereich der kapitalmarktrechtlichen Prospekthaftung ist die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung allerdings ausgeschlossen, s. §§ 45–49 BörsG, 20 KAGG, 12 AuslInvestmG.

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VI. Verjährung von Ansprüchen aus Vertragsanbahnung Für Ansprüche aus den §§ 280 I, 311 II, III, 241 II gilt die allgemeine Verjährungsfrist der §§ 195, 199, also im Prinzip drei Jahre seit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von Anspruch und Schuldner Kenntnis hat, bzw. sich grob fahrlässig der Kenntnis verschlossen hat. Die früher vertretene Auffassung, dass die (damals kürzere) deliktische Verjährung auf c.i.c.-Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum (Fallgruppe oben unter III 1.) anzuwenden sei, ist überholt, da sowohl die vertraglichen als auch die deliktischen Schadensersatzansprüche nun einheitlich nach den §§ 195, 199 verjähren. Nach der hier vertretenen Auffassung sind auch in der Fallgruppe „Verschulden bei Vertragswirksamkeit“ (oben III 4.) keine verjährungsrechtlichen Anpassungen im Hinblick auf § 124 geboten (s. o. Rdn. 95). Bestehen Schadensersatzansprüche wegen „Abbruchs von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund“ (Fallgruppe oben unter III 2.), greift die für den angestrebten Vertrag geltende Verjährungsfrist ein (soweit kürzer als die allgemeine Verjährung), da die Befriedungsfunktion auch für den vorvertraglichen Schadensersatzanspruch gilt.34 Bezieht sich – im Kauf-, Miet- oder Werkvertrag – die vorvertragliche Pflichtverletzung auf einen Mangel, gelten die kurzen gewährleistungsrechtlichen Verjährungsfristen (s. o. Rdn. 92). Was schließlich die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung betrifft, so verjähren die Ansprüche gegen die Gründer oder Ini33 BGH NJW-RR 1991, 1241; 1991, 1313; 1992, 605. 34 Bamberger/Roth/Grüneberg § 280 Rdn. 61.

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§ 19 VII

Begründung des Schuldverhältnisses

tiatoren von Publikumsgesellschaften grundsätzlich analog den Vorschriften der besonderen kapitalmarktrechtlichen Prospekthaftung (§§ 20 VKAGG, 12 V AuslInvestmG), d. h. in sechs Monaten ab Kenntnis, spätestens in drei Jahren.35

VII. Inhalt des Schadensersatzanspruchs 104

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Schadensersatzansprüche wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten unterliegen, was die Rechtsfolgen angeht, den allgemeinen Regeln, also den §§ 249 ff. Der Geschädigte kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne das schädigende Ereignis stehen würde. In der Regel geht der Anspruch auf das negative Interesse: Der Geschädigte ist so zu stellen, als ob er sich niemals auf die Vertragsverhandlungen eingelassen hätte. Im Gegensatz zu den §§ 122 I, 179 II ist dieser Anspruch nicht durch das positive Interesse begrenzt. Denn da der Vertrag noch nicht geschlossen war, als die Schädigung erfolgte, hatte der Geschädigte seinen – billigerweise liquidierbaren – Risikoumfang noch nicht durch ein positives Vertragsinteresse begrenzt.36 Die Begrenzung auf das positive Interesse in den §§ 122 I, 179 II ist vorgesehen, weil der Geschädigte durch die Anfechtung oder die Unwirksamkeit des Vertrags kein Geschäft machen soll. Sonst bekäme der Geschädigte Aufwendungen ersetzt, die über das hinausgehen, was er an dem Vertrag verdient hätte, was also – objektiv betrachtet – freiwilliger und unnützer Aufwand war. Hier zeigt sich dass die Haftung aus vorvertraglichem Schuldverhältnis nur vertragsähnlich ist, im Übrigen aber Parallelen zur Deliktshaftung aufweist. Auch die Deliktshaftung (Haftung aus Gesetz) kennt keine Begrenzung durch ein vertragliches Erfüllungsinteresse. Darum wurde oben (Rdn. 72) von einem gesetzlichen Schuldverhältnis gesprochen, das vertragsähnlich zu behandeln ist. Daraus folgt auch, dass der Schadensersatzanspruch bei Mitverschulden des Geschädigten nicht etwa analog §§ 122 II, 179 III 1 ausgeschlossen ist, sondern die flexible Schadensverteilung des § 254 gilt. Für die oben aufgeschlüsselten Fallgruppen bedeutet dies: Wird eine Schutzpflicht verletzt (oben III 1.), kann Ersatz des vollen Integritätsinteresses verlangt werden, also beispielsweise Ersatz der Arzt- oder Reparaturkosten. Werden Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund abgebrochen (oben III 2.), kann nicht etwa das positive Interesse, also der mit dem Vertragsschluss erstrebte Gewinn, sondern ebenfalls nur das negative Interesse, also z. B. die im Hinblick auf den Vertragsschluss getätigten Aufwendungen verlangt werden. Das gleiche gilt, wenn eine Partei die Unwirksamkeit des Vertrags zu verantworten hat (oben III 3.). Geht eine Partei wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten durch die andere Partei einen inhaltlich nachteiligen Vertrag ein (oben III 4.), hat die geschädigte Partei einen Anspruch auf Vertragsaufhebung und Rückabwicklung der ausgetauschten Leistungen, wenn der Vertrag ohne die Irreführung nicht zustande gekommen wäre. Der Satz, dass der Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten nur auf das negative Interesse geht, ist allerdings nur eine grobe Merkregel. Wenn zur Herstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, die Zuerkennung des positiven Interesses erforderlich ist, ist auch dieses vom Anspruch aus

35 BGHZ 83, 222; BGH NJW 2001, 1203: Im Gegensatz hierzu gilt für Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Bauherrenmodellen die regelmäßige Verjährungsfrist der §§ 195, 199, bzw. die besondere Verjährungsfrist für werkvertragsrechtliche Mängelansprüche des § 634a. 36 H. M.; RGZ 151, 359; BGH NJW 2001, 2875 (2876).

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Verfassungsrecht und Schuldrecht

§ 20

den §§ 280 I, 311 II, III, 249 ff umfasst.37 Wenn beispielsweise nachweisbar ist, dass die Vertragspartner ohne die Pflichtverletzung statt des abgeschlossenen Vertrags einen anderen, für den Geschädigten günstigeren Vertrag abgeschlossen hätten, kann der Geschädigte den Gewinn aus diesem günstigeren Geschäft – also das positive Interesse – verlangen.38 Ebenso kann der Teilnehmer an einem öffentlichen Vergabeverfahren Ersatz des positiven Interesses verlangen, wenn er durch den Verstoß gegen die Vergaberegeln benachteiligt wird und nachweisen kann, dass er bei Einhaltung der Vorschriften den Auftrag hätte erhalten müssen.39

§ 20 Verfassungsrecht und Schuldrecht. Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen Adomeit, Gestaltungsrechte – Rechtsgeschäfte – Ansprüche. Zur Stellung der Privatautonomie im Rechtssystem, 1969; v. Bar, RabelsZ 59 (1995) 203; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999; Bydlinski, F., Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967; ders., AcP 180 (1980), 1; ders., JZ 80, 378; ders., FS Klecatsky, 1980, 129; Canaris, AcP 184 (1984), 201; ders., AcP 185 (1985), 9; ders., JZ 87, 993; ders., JuS 89, 161; ders., Grundrechte und Privatrecht, 1999; Diederichsen, Jura 1997, 57; ders., AcP 198 (1998) 171; Dilcher, NJW 60, 1040; ders., AcP 164 (1964), 1; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers 1998, § 6; Dürig, FS Nawiasky, 1956, 157; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958; Flume, FS DJT Bd. I, 1960, 135; Grimm, in: Birtsch (Hrsg.), Grundrechte und Freiheitsrechte im Wandel der Gesellschaft und Geschichte, 1981, 359; Grunewald, AcP 182 (1982), 181; Hackl, Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang, 1980; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988; Hippel, Fritz v., Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936; Hönn, Jura 84, 57; ders., JuS 90, 953; Huber, Hans, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, 1966; Huber, Ulrich, Jura 1970, 784; Kilian, AcP 180 (1980), 47; ders., ZHR 142 (1978), 453; Kitagawa, (II.) FS Larenz, 1983, 329; Kramer, E. A., Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, 1974; Lammel, AcP 189 (1989), 244; Laufke, FS H. Lehmann, Bd. I, 1956, 145; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960; Looschelders, VersR 1999, 141; Luig, FS Coing, 1982, 171; Lukes, BB 86, 2074; Manigk, Die Privatautonomie, 1935; Merz, Privatautonomie heute, 1970; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920; ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl. 1965; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag 1997; Raiser, Ludwig, FS DJT, Bd. I, 1960, 101; ders., Kontrahierungszwang im Monopolrecht, Kartelle und Monopole im modernen Recht, Bd. II, 1961, 532; ders., JZ 1958, 1; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978; Reimer, Die Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht, 1958; Reinhardt, FS Schmidt-Rimpler, 1957, 115; Reuter, AcP 189 (1989), 199; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, 1974; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130; ders., FS L. Raiser, 1974, 3;

37 Emmerich Das Recht der Leistungsstörungen § 8 II; S. Lorenz NJW 1999, 1001, der – ausgehend vom Grundsatz der Naturalrestitution – zu Recht betont, daß der Vorrang des negativen Interesses im Zusammenhang mit der c. i. c. lediglich ein faktischer, aber kein normativer Vorrang ist; eingehend Nickel Die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo (2004). 38 BGH NJW 1998, 2900; NJW 2001, 2875. 39 BGH NJW 2002, 2558 (2559) m. w. N. Die spezielle Anspruchsgrundlage des § 126 S. 1 GWB für den Ersatz des Vertrauensschadens bei Vergabefehlern steht nach dem ausdrücklichen Vorbehalt in S. 2 der Vorschrift weiterreichenden Ansprüchen nicht entgegen.

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§ 20 I

Begründung des Schuldverhältnisses

Schmidt, Jürgen, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, 1985; ders., FS Lukes, 1989, 793; Schwabe, J., AcP 185 (1985), 1; Wolf, Manfred, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, 1970; ders., Die Privatautonomie, in: Emmerich, Grundlagen, 20 ff; ders., JZ 76, 41; Zöllner, AcP 176, 221; Zweigert, Verbotene Geschäfte, FS Riese, 1964, 213.

I. Das Schuldrecht als Teil der grundgesetzlichen Wirtschaftsordnung 107

Das Grundgesetz schreibt weder eine völlig freie (liberalistische) Marktwirtschaft vor, noch eine Planwirtschaft (Zentralverwaltungswirtschaft). Die Verfassung ist allerdings nicht in dem Sinne wirtschaftspolitisch neutral, dass sie zu den grundlegenden Fragen einer Wirtschaftsordnung nichts enthält. Vielmehr bekennt sich das Grundgesetz zu einer Reihe ausdrücklich aufgezählter, mehr oder weniger weitgespannter persönlicher Freiheits- und Gleichheitsrechte, die nur unter bestimmten, weitgehend vom Grundgesetz vorgesehenen Voraussetzungen durch staatlichen Eingriff eingeschränkt werden können. Darüber hinaus ist die Wirkung dieser Freiheitsrechte auch zwischen Privatpersonen zum Teil anerkannt. Da das Grundgesetz den individuellen Freiheitsrechten bewusst Grundsätze der sozialen Verbundenheit, insbesondere die Staatszielbestimmung des Sozialstaats in Art. 20 I GG und die Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 II GG, entgegensetzt, ist es gerechtfertigt, von einer Verankerung der sozialen Marktwirtschaft im Grundgesetz in einem weitverstandenen Sinn zu sprechen. Damit ist freilich weder für noch gegen ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Programm Stellung genommen, noch lässt sich anhand des Grundgesetzes dazu Stellung nehmen. In der folgenden Skizze interessieren die für das Schuldrecht des BGB bedeutsamen Freiheitsgrundrechte, insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit. Dabei muss für die erforderliche Vertiefung auf verfassungsrechtliches Schrifttum verwiesen werden.

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Die Grundrechte wirken in erster Linie als Abwehrrechte, die der Bürger dem Staat entgegensetzen kann. Daneben ist aber auch eine mittelbare Drittwirkung anerkannt, d. h. keine direkte, wohl aber eine indirekte Wirkung der Grundrechte zwischen Privaten. Dies geschieht in erster Linie über die Ausfüllung der Generalklauseln. Begriffe wie die „guten Sitten“ in §§ 138, 826 sind unter Heranziehung der Grundrechte auszufüllen. Für die Generalklausel des ordre public im Internationalen Privatrecht wurde die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte vom Gesetzgeber festgeschrieben, Art. 6 S. 2 EGBGB. Grundlegend ist die Lüth-Entscheidung des BVerfG (E 7, 198). So kann der Boykott-Aufruf des Hamburger Senatsdirektors Lüth gegen den Veil Harlan-Film „Unsterbliche Geliebte“ nicht als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i. S. v. § 826 angesehen werden, da der Aufruf von der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit gedeckt ist. Nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit ist dagegen ein Boykott geschützt, der nicht durch geistige Auseinandersetzung, sondern durch den Einsatz wirtschaftlicher Machtmittel durchgesetzt werden soll (BVerfGE 25, 256 – Blinkfüer).

Zu einer Drittwirkung von Grundrechten kommt es im Ergebnis auch dann, wenn sie vom Gesetzgeber gesetzlich angeordnet wird. Ein Beispiel sind die EG-Antidiskriminierungs-Richtlinien, welche auf die Anwendung des Gleichheitssatzes zwischen Privaten abzielen und für bestimmte Regelungsbereiche Diskriminierungen wegen Rasse, ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung, Geschlecht, sexueller Identität, Behinderung oder Alter verbieten.1 Sobald der Gesetzgeber die Richtlinien in nationales Recht umgesetzt hat, gilt das Diskriminierungsverbot unmittelbar zwischen den Bürgern, und nicht mehr nur mittelbar durch die Ausstrahlung auf die zivilrechtlichen Generalklauseln. Der deutsche Gesetzgeber ist säumig.2 Es ist umstritten, ob die Um-

1 RiLi 2000/43/EG; 2000/78/EG; 2002/73/EG; 2004/113/EG. 2 Und wurde hierfür vom EuGH verurteilt, s. EuGH, 28. 4. 2005, Rs. C-329/04 – Kommission/ Deutschland.

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Verfassungsrecht und Schuldrecht

§ 20 II

setzung der betreffenden Richtlinien sich auf das gemeinschaftsrechtlich Vorgegebene beschränken oder darüber hinausgehen soll.3

II. Die für das Schuldrecht bedeutsamen Freiheitsgrundrechte Unter den Freiheitsrechten ist besonders die freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 I GG hervorzuheben. Seit dem Elfes-Urteil des BVerfG (BVerfGE 6, 32) ist anerkannt, dass Art. 2 I GG die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet. Art. 2 I GG dient damit als so genanntes Auffanggrundrecht, durch das jegliches menschliches Verhalten geschützt wird, das nicht in den Schutzbereich eines speziellen Freiheitsgrundrechts fällt. Als notwendige Ergänzung des allgemeinen Auffanggrundrechts wird auf der Grundlage von Art. 1 I, 2 I GG ein allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkannt. Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit sind gerechtfertigt, wenn sie die Voraussetzungen einer Schranke der Schrankentrias des Art. 2 I GG (verfassungsmäßige Ordnung, Rechte anderer, Sittengesetz) erfüllen. Im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit werden bestimmte spezielle Freiheiten geschützt, die sich als Fallgruppen herausgebildet haben. Einer der wichtigsten Fälle ist die Privatautonomie, die sich wiederum in der Vertragsfreiheit 4 konkretisiert (Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 2 I Rdn. 48; Pietzker, FS Bachof 1984, 131 ff, 148). Die Vertragsfreiheit ist unentbehrlicher Bestandteil einer sozialen Marktwirtschaft. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Vertragsfreiheit siehe oben § 1 III, zum Rechtsbegriff und zur rechtlichen Bedeutung der Vertragsfreiheit siehe unten III. Eine andere Freiheit, die Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG ist und die für das Schuldrecht Bedeutung hat, ist nach der hier vertretenen Auffassung das Recht auf freie wirtschaftliche Betätigung und Bedarfsdeckung (Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht, Gewerbefreiheit im weiteren Sinne).5 Während die Vertragsfreiheit jedermann begünstigt, spielt die allgemeine Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung und Bedarfsdeckung nur im wirtschaftlichen Bereich eine Rolle.

Zwischen der Vertragsfreiheit und dem Recht auf wirtschaftliche Betätigung können Konflikte entstehen, die dann also Konflikte innerhalb der allg. Handlungsfreiheit sind. Soweit Eingriffe des Staates vorliegen, ist vorrangig auf eine Verletzung des wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts abzustellen (soweit es mit der hier vertretenen Meinung angenommen wird), da es in Bezug auf die Vertragsfreiheit die speziellere Ausformung der allgemeinen Handlungsfreiheit ist. Durch Ausübung der Vertragsfreiheit kommen Verträge und damit vertragliche Rechte zustande. Durch die Ausübung der allgemeinen Unternehmerfreiheit werden Unternehmen begründet, Vermögen und Eigentum gebildet. Auf diese Weise entstehen Rechtsgüter, die als solche wiederum zivilrechtlich und grundgesetzlich (besonders nach Art. 14 GG) geschützt sind. Zu diesem Spannungsverhältnis zwischen den Freiheiten einerseits und den geschützten Einzelrechtsgütern andererseits ist im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung und der unerlaubten Handlungen (unten § 101) noch einiges zu sagen.

3 S. Armbrüster ZRP 2005, 41; Korell, Jura 2006, 1; Picker JZ 2003, 540; Riesenhuber/Franck JZ 2004, 529. 4 BVerfGE 8, 274; 12, 347; BGHZ 70, 324. 5 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 I 2; zum Verhältnis von Art. 2 I, 12 und 14 ebenda, § 20 V 3–6; die Entfaltungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet wird auch von der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, vgl. BVerfGE 10, 89, 99; 29, 267; 32, 311 ff, 316; 50, 366; BVerwG 30, 198.

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III. Vertragsfreiheit 110

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1. Durch Verankerung der Vertragsfreiheit in der Rechtsordnung überlässt der Staat die Regelungen der speziellen Bedürfnisse der Einzelnen den Beteiligten selbst. Die Vertragsfreiheit ist die Freiheit, Verträge zu schließen und dadurch andere und auch sich selbst rechtlich zu binden. Der Vertragsschluss ist rechtsschöpferische Tätigkeit, durch die kein objektives, weil kein allgemein verbindliches Recht entsteht, wohl aber subjektive Rechte geschaffen werden. Der Staat stellt Gerichte zur Verfügung, welche die Verträge im Prozess- und Vollstreckungswege notfalls zwangsweise durchsetzen.

2. Wie bereits ausgeführt, ist die Vertragsfreiheit eine Konkretisierung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG. § 311 I enthält demgegenüber keine Gewährleistung der Vertragsfreiheit, sondern setzt sie voraus. Dennoch wird § 311 I oft als Stütze der Vertragsfreiheit herangezogen. Die Vertragsfreiheit ist nach Art. 2 I GG beschränkt durch die Sittenordnung, die Rechte anderer und die verfassungsmäßige Ordnung. Unter verfassungsmäßiger Ordnung sind nach allgemeiner Auffassung alle verfassungsmäßigen Rechtsvorschriften zu verstehen. Diese die Vertragsfreiheit begrenzenden Vorschriften müssen allerdings ihrerseits dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d. h. geeignet, erforderlich und angemessen sein, einen legitimen Zweck zu verfolgen.6 Beispielsweise sind die zwingenden Vorschriften zugunsten des Dienstverpflichteten (§§ 617–619) und des „sozialen Mietrechts“ Einschränkungen der Vertragsfreiheit, aber Teil der verfassungsmäßigen Ordnung und verhältnismäßig zur Erreichung sozialer Zwecke. Ob alle Fälle des gesetzlichen Abschlusszwangs heute noch durch die Verfassung gedeckt sind, ist fraglich. Im Zweifel ist nicht dem direkten gesetzlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit, sondern einer wirtschaftspolitischen Maßnahme der Vorzug zu geben, die ausgeglichene Marktverhältnisse herstellt oder wenigstens anstrebt,7 denn es gibt keinen sozialeren Verteiler der knappen Güter als einen funktionierenden Markt. 3. Die Vertragsfreiheit, die ein Unterfall der allgemeinen Handlungsfreiheit ist, kann wiederum in speziellere Freiheiten unterteilt werden: die Abschlussfreiheit, nämlich das „Ob überhaupt“ und die Freiheit der Partnerwahl, die Inhaltsfreiheit (einschließlich Typenfreiheit) und die Formfreiheit (Medicus I, § 10 I). Daneben existiert die Freiheit der Rechtswahl, die sog. „Parteiautonomie“: Die Parteien können das für ihre Vertragsbeziehungen maßgebliche Recht selbst bestimmen, z. B. die Anwendbarkeit französischen Rechts vereinbaren, Art. 27 EGBGB. S. hierzu unten § 119.

IV. Abschlussfreiheit, Freiheit der Partnerwahl und ihre Schranken 112

1. Die Vertragsfreiheit bedeutet zunächst, dass jeder frei entscheiden kann, ob er Verträge schließt (Abschlussfreiheit des „Ob“) und mit wem er dies tut (Freiheit der Partnerwahl).

6 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Anbieter von Postdienstleistungen nach Art. 2 I Rdn. 61, 63; Schmidt-Bleibtreu, B./Klein, F., Kommentar zum GG, 8. Aufl. 1995, Art. 2 Rdn. 14; BVerfGE 8, 274; 78, 320; 84, 372. 7 Medicus I, § 10 III (Rdn. 74) bezweifelt die Nutzbarkeit des Gleichgewichtsgedankens. Daran ist zutreffend, dass nicht jede Ungleichgewichtslage zu einer richterlichen Vertragskorrektur führen darf. Dies wäre das Ende der freien Marktwirtschaft als des offenen Dialogs über Werte. Im BGB ist dieser Dialog im § 119 II verankert: Preis-, Kalkulations- und Wertirrtümer berechtigen als bloße Motivirrtümer nicht zur Anfechtung.

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2. Diese Freiheiten sind beschränkt, wenn ausnahmsweise eine Abschlusspflicht besteht. Die Abschlusspflicht wird auch Kontrahierungszwang genannt.8 Der Abschlusszwang kann unmittelbarer oder mittelbarer Natur sein, je nachdem, ob eine Vorschrift ausdrücklich eine Abschlusspflicht vorsieht oder sich der Abschlusszwang mittelbar aus einer Schadensersatzpflicht ergibt. a) Unmittelbarem Abschlusszwang unterliegen vor allem Versorgungsunternehmen wie Bahn, öffentliche Verkehrsunternehmen (Straßenbahn, Omnibus), Post und Elektrizitäts- und Wasserwerke. Für das Transportrecht findet sich der Kontrahierungszwang in § 10 AEG, § 22 PersBefG, § 21 II LuftVG. Weiterhin trifft die Anbieter von Postdienstleistungen nach § 3 Postdienstleistungsverordnung (PDLV) und Unternehmen der Energieversorgung nach § 18 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) eine Abschlusspflicht. Weitere Fälle sind geregelt in § 5 II PflVersG (Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung) und §§ 78a BetrVG, 9 BPersVG, vgl. auch § 71 SGB IX (Abschlusszwang mit Arbeitnehmern), § 24 PatG (Zwangslizenz, BGHZ 131, 247). – Einschneidend sind auch kapitalmarktrechtliche Pflichten: Wer 30 Prozent der Stimmrechte einer börsennotierten Gesellschaft erlangt, ist dazu verpflichtet, ein öffentliches Kaufangebot über alle Anteile an der Gesellschaft zu machen, 35 ff, 29 II WpÜG. b) Mittelbarer Abschlusszwang kann sich aus Vorschriften des deutschen oder europäischen Kartellrechts ergeben. Nach dem Diskriminierungsverbot des § 20 I GWB sind marktbeherrschende Unternehmen, Kartelle und preisbindende Unternehmen gehalten, andere Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, nicht unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund gegenüber gleichartigen Unternehmen unterschiedlich zu behandeln. Unternehmen, die eine besonders wichtige Stellung im Markte haben, sollen also diese Stellung nicht dazu missbrauchen, Marktverschiebungen auf der Marktgegenseite hervorzurufen. Gleiches gilt nach § 20 II GWB, wenn für einen Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder Leistungen eine derartige Abhängigkeit von einem Unternehmen besteht, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht vorhanden sind. So darf der Hersteller einer bekannten Ski-Marke Billig-Händler nicht von der Belieferung ausschließen.9 Bei Verletzung der Diskriminierungsverbote nach § 20 I, II GWB sowie der Missbrauchsverbote nach § 19 GWB, Art. 82 EG kann nach § 33 GWB Schadensersatz verlangt werden. Als Schadensersatz kann auch Abschluss von Verträgen verlangt werden; es herrscht dann Abschlusszwang.10 – Verbände dürfen nach § 20 VI GWB bei der Aufnahme neuer Mitglieder nicht diskriminieren; es besteht insoweit Aufnahmezwang.

c) Wenn kein unmittelbarer Abschlusszwang nach Spezialvorschriften oder mittelbarer Abschlusszwang nach Kartellrecht besteht, kann sich ein mittelbarer Kontrahierungszwang auch aus § 826 ergeben, wenn einem anderen durch die Weigerung des Vertragsabschlusses in sittenwidriger Weise vorsätzlich Schaden zugefügt wird. Sittenwidrigkeit der Weigerung wird angenommen, wenn der Inhaber einer Monopolstellung die Allgemeinheit mit im weitesten Sinne lebenswichtigen Gütern 11 versorgt. Sittenwidrigkeit ist auch dann anzunehmen, wenn eine Leistung allgemein angeboten wird, aber 8 Zum Kontrahierungszwang s. Nipperdey, H. C., Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920; Bydlinski, F., AcP 180 (1980), 1; ders., JZ 80, 378; Kilian, AcP 180 (1980), 47; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999. 9 BGH NJW 1976, 801 – Rossignol –; vgl. auch BGH GRUR 2004, 966; hierzu Heinemann, ZWeR 2005, 198. 10 Ausführlicher Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 IX 4; Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung, 2002, S. 495 ff. 11 Zu den lebenswichtigen Gütern gehört beispielsweise auch der Theaterbesuch für einen Theaterkritiker, vgl. RGZ 133, 388 – Theaterkritiker – = ESJ 7.

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Einzelnen vorenthalten wird, ohne dass zumutbare Ausweichmöglichkeiten für den Nachfrager bestehen. So fügt der Landarzt, der nachts gerufen wird, dem Kranken sittenwidrig und vorsätzlich Schaden zu, wenn er sich aus einem nichtigen Grund weigert, den Kranken aufzusuchen. Ein Fall des Aufnahmezwangs nach § 826 ist auch die Aufnahmepflicht für Vereine mit Monopolstellung.12 d) Kontrahierungszwang stellt die vertragliche Bindung im Sinne des „Ob“ und des „mit wem“ her, schränkt also die Abschlussfreiheit in ihren beiden Formen ein. Damit liegt aber noch kein Vertragsinhalt vor. Einigen sich die Parteien nicht auf einen solchen, muss ihnen ein Inhalt vorgeschrieben werden. Dies sind dann so genannte diktierte Verträge.13 Hierbei kommt ein Vertragsinhalt ohne Willenserklärung der Beteiligten durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt zustande. Der diktierte Vertrag war ein Instrument der Zwangsbewirtschaftung. Heute gibt es nur noch wenige Vorschriften, die zur Begründung eines diktierten Vertrages ermächtigen. Zu nennen sind § 97 II BauGB und § 5 HausratsVO. Die Wiedereinführung weitgehender Bewirtschaftung im Notfalle ist in den ,,Sicherstellungsgesetzen“ (Notstandsgesetzen) vorgesehen.14 3. Die Abschlussfreiheit ist gegen bestimmte Selbstbeschränkungen nach dem Recht der Wettbewerbsbeschränkungen geschützt. Seit dem 1. 7. 2005 enthält das GWB hierzu keine Spezialvorschriften mehr. Anwendbar ist § 1 GWB in Verbindung mit der Ausnahmevorschrift des § 2 GWB, der auf die EG-Gruppenfreistellungsverordnungen verweist. Von besonderer Bedeutung ist die EG-Gruppenfreistellungsverordnung über Vertikalvereinbarungen.15

V. Inhaltsfreiheit, Typenfreiheit und Schranken 114

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1. Im Schuldrecht herrscht auch inhaltlich Vertragsfreiheit, d. h. die Parteien können sich grundsätzlich Verträge beliebigen Inhalts ausdenken. Dazu zählt auch die Freiheit, sich Vertragstypen zu wählen. Dagegen werden das Sachenrecht, das Familienrecht und das Erbrecht vom Typenzwang (numerus clausus) bestimmt, was bedeutet, dass der Kreis der vom Gesetz zur Verfügung gestellten Sachenrechte durch Privatautonomie nicht zu erweitern ist. 2. Die Inhaltsfreiheit unterliegt folgenden Schranken: a) Zwei Spezialfälle regeln § 311b II und IV. Nach § 311b II ist ein Vertrag nichtig, durch den sich der eine Teil verpflichtet, sein künftiges Vermögen oder einen Bruchteil davon zu übertragen oder mit einem Nießbrauch zu belasten. Dagegen sind Verträge, in denen man sich verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen zu übertragen, wirksam. § 311b IV bestimmt, dass ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten nichtig ist. b) Für Arbeitsverträge können sich Beschränkungen aus Tarifverträgen ergeben. Dies sind Normenverträge aufgrund einer den Sozialpartnern vom Staat gewährten Autonomie. In ihrem normativen Teil, der vom schuldrechtlichen Teil zu unterscheiden ist, können nach §§ 1 I TVG; 3 BetrVG Rechtsnormen über Abschluss, Inhalt und 12 13 14 15

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BGHZ 63, 282 – Rad- und Kraftfahrerbund –. Den Begriff prägte H. C. Nipperdey (s. o. Fn. 8). Z. B. § 10 ArbeitssicherstellungsG, Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 24 II 7. Verordnung (EG) Nr. 2790/99 der Kommission vom 22. 12. 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. L 336/21). S. hierzu beispielsweise Heinemann, Jura 2003, 649 (655).

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Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie Regelungen zu betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen enthalten sein. Solche Regelungen des normativen Teils wirken gem. § 4 TVG im Geltungsbereich des Tarifvertrags unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse ein: Der Arbeitsvertrag wird inhaltlich so ausgestaltet, wie es im normativen Teil des Tarifvertrags geregelt ist. c) Eine wichtige Schranke der Inhaltsfreiheit sind zwingende Vorschriften. Der zwingende Charakter einer Norm kann ausdrücklich bestimmt sein (vgl. nur §§ 248 I, 276 III, 444, 475, 619, 651m, 676c III), oder er kann sich aus dem Zweck der Norm ergeben. Zwingender Natur aufgrund des Normzwecks sind beispielsweise die Formvorschriften, die dem Übereilungsschutz dienen (Medicus I, § 12 II 2a). Zwingendes Recht bewirkt auch für eine Vielzahl von Geschäften der numerus clausus der Sachenrechte. Man kann z. B. nicht ein Pfandrecht mit neuartigem schuldrechtlichen Inhalt bestellen (BGHZ 23, 293). Eine Vereinbarung, die eine zwingende Vorschrift nicht beachtet, ist nach § 134 nichtig. Im Zweifel bewirkt dies nach § 139 die Nichtigkeit des gesamten Vertrages.16 d) Nach § 134 sind weiterhin nichtig Verträge, die gegen Verbotsgesetze verstoßen, soweit nach dem Zweck der Verbotsvorschrift Nichtigkeit eintreten soll. § 134 begründet nach h. L. als Auslegungsregel eine Vermutung für die Nichtigkeit bei Gesetzesverstoß, soweit bei der Auslegung einer Vorschrift Zweifel bleiben.17 Der Begriff des Gesetzes ist in Art. 2 EGBGB gesetzlich festgelegt als jede Rechtsnorm, umfasst also Gesetze im formellen und materiellen Sinne. Die in Frage kommenden Verbote sind vielfältig. Devisen- und Bewirtschaftungsvorschriften können Verbote nach § 134 sein. Für weitere Einzelfälle ist auf die Literatur zum Allgemeinen Teil und die Kommentarliteratur zu verweisen.18 e) Für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) brachte das AGBG von 1976 weitere Schranken der Inhaltsfreiheit. Die Vorschriften wurden durch das SMG in das BGB integriert und finden sich seit dem 1. 1. 2002 in den §§ 305ff. AGB sind vorformulierte Vertragsinhalte, auf die im Einzelvertrag verwiesen wird. Nach der Generalklausel des § 307 I sind AGB unwirksam, wenn sie das Gesetz einseitig zuungunsten des Vertragspartners abbedingen oder ihn wider Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (im Einzelnen unten § 25 VI). f) § 138 I, II enthält eine allgemeine Schranke der Inhaltsfreiheit. Nach § 138 I sind Verträge nichtig, die gegen die guten Sitten verstoßen, § 138 II verbietet Wucher. Nach § 139 erstreckt sich die Nichtigkeit grundsätzlich auf das Rechtsgeschäft im Ganzen. Sittenwidrig ist z. B. ein Vertrag, in dem die wirtschaftliche Freiheit des anderen Teils so sehr beschränkt wird, dass dieser seine freie Selbstbestimmung verliert („Knebelungsvertrag“). – Auch die Ehegatten sind in der Ausgestaltung eines Ehevertrags im Hinblick auf eine spätere Scheidung nicht gänzlich frei. Die Lasten dürfen nicht völlig einseitig einem der Ehegatten zugewiesen werden. Anderenfalls sind die betreffenden Bestimmungen gem. § 138 nichtig, oder sie können gem. § 242 nicht ausgeübt werden (BGH NJW 2004, 930). Für die vielfältigen Einzelfälle muss wiederum auf die Literatur zum Allgemeinen Teil und die Kommentarliteratur verwiesen werden.19

16 Beispiel für nur teilweise Nichtigkeit in BGHZ 40, 239. 17 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, 1983, S. 15; Palandt/Heinrichs, § 134 Rdn. 7; anders Jauernig/Jauernig, § 134 Rdn. 8 und wohl auch BGHZ 45, 326. 18 Überblick bei Staudinger/Sack, § 134 Rdn. 194 ff. 19 Überblick z. B. bei Staudinger/Sack, § 138 Rdn. 227 ff.

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g) Eine Begrenzung erfährt die Inhaltsfreiheit – wie bereits die Abschlussfreiheit (s. o. IV 2d) – durch die Ermächtigungen für diktierte Verträge. Solche diktierten Verträge sind nicht zu verwechseln mit dem Zustandekommen von Verträgen unter dem Einfluss von Tarifverträgen oder AGB, da das Zustandekommen des diktierten Vertrags keine Willenserklärungen voraussetzt. h) Eine Einschränkung der Inhaltsfreiheit, die zugleich eine Einschränkung der Abschlussfreiheit sein kann, ist das Erfordernis öffentlich-rechtlicher Genehmigungen von privatrechtlichen Verträgen. Folgende Beispiele sind wichtig: Nach § 2 des GrundstücksverkehrsG bedarf die Veräußerung eines land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücks der Genehmigung. Die Genehmigungsbehörde bestimmt nach § 3 GrundstücksverkehrsG das Landesrecht. Wertsicherungsklauseln müssen gem. § 2 PaPkG von der zuständigen Stelle genehmigt werden.20 Daneben haben die Genehmigungserfordernisse für Ausfuhrverträge nach dem AußenwirtschaftsG Bedeutung erlangt. 3. Kartellrecht schränkt die Inhaltsfreiheit ein. So dürfen Wettbewerber beispielsweise nicht die Preise absprechen. Die Preisbindung der zweiten Hand, also z. B. zwischen Produzent und Händler ist ebenfalls verboten.21

VI. Vertragsfreiheit und wirtschaftliche Macht Biedenkopf, Vertragl. Wettbewerbsbeschränkung u. Wirtschaftsverfassung, 1958; ders., FS Böhm, 1965, 113; ders., FS Coing, Bd. II, 1982, 21; Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958; ders., in: Fikentscher/Hoffmann/Kugler, Rechtsfragen der Planifikation, 1966, 81ff; ders., Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1971; ders., Als-Ob-Wettbewerb und Mißbrauchsbegriff, 1971; ders., FS Hefermehl, 1971, 41; ders., Wirtschaftliche Gerechtigkeit und kulturelle Gerechtigkeit, 1997; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, 1968; Hager, in: Zum Deutschen und Internationalen Schuldrecht, 1983, 51; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; ders., JZ 83, 677; Kronstein, Die abhängige juristische Person, 1931; ders., Recht der internationalen Kartelle, 1967; Luig, FS Coing, 1982, 171; Merz, Privatautonomie heute, Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970; Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235; v. Ohlshausen, ZHR 146, 259; Raiser, L., JZ 58, 1; ders., JZ 61, 465; ders., in: Summum ius summa iniuria, 1963, 145; Ramm, Vertragsfreiheit – Instrument der Ausbeutung?, Gerechtigkeit i. d. Industriegesellschaft, 1972, 39; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982; Steglich, Ungleichheit als Kriterium zur Beurteilung neuer Zivilrechtsprechung, Diss. Kiel 1983; Steindorff, FS L. Raiser, 1974, 621; Ulmer, P., AcP 174 (1974), 167; Wellenhofer-Klein, ZIP 1997, 774; Westermann, H. P., Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970; ders., AcP 178 (1978), 150; Wolf, Manfred, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970; ders., FS L. Raiser (aaO), 597.

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1. Die Vertragsfreiheit geht davon aus, dass die Parteien im Zweifel am besten wissen, welche Opfer und Risiken sie auf sich nehmen sollen, um ein von ihnen angestrebtes Ziel auf rechtsgeschäftlichem Wege zu erreichen. Der ausgehandelte Vertrag trägt durch die auf beiden Seiten eingesetzte Privatautonomie zunächst einmal die Vermutung des gerechten Interessenausgleichs in sich. Das trifft aber nur zu, wenn die Ausgangspositionen der Vertragsschließenden grundsätzlich ebenbürtig waren. Durch persönlichen Einfluss (,,undue influence“) oder durch wirtschaftliches Übergewicht kann ein gerechter Ausgleich in schwächerem oder stärkeren Maß verhindert werden. Stets kann es aber nur darum gehen, ungewöhnlich starke Belastungen zu vermeiden, die die

20 Vgl. unten Rdn. 263. 21 Dazu die Lehrbücher und Kommentare zum GWB, z. B. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 VII.

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vom Zivilrecht gezogenen Grenzen (§§ 123, 138, 242, c. i. c. u. a.) verletzen.22 Es gibt keinen „verfassungsrechtlichen Nichtigkeitsgrund mangelnder Vertragsparität“.23 Dem Einfluss wirtschaftlicher Macht auf Verträge widmet sich ein umfangreiches Schrifttum. Arbeitsrecht und Recht der AGB bilden dabei gesondert zu besprechende Fragenkreise. Zur Frage der Einschränkung der Vertragsfreiheit unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Macht im Allgemeinen werden zumindest vier Auffassungen vertreten: 2. a) Wolf setzt sich, z. T. in Anlehnung an die amerikanische Rechtsprechung zum „misuse of bargaining power“, für eine rechtsgeschäftliche Kontrolle ein, die zur Notwendigkeit einer Vertragsanpassung führt, wenn die wirtschaftliche Ausgangslage den Vertragsschluss in einer für eine Partei unzumutbaren Weise beeinflusst hat. b) Eine andere Auffassung spricht von Anpassung oder Unwirksamkeit des Vertrags, wenn die wirtschaftliche Vormacht einer Seite die andere Seite daran gehindert hat, den Risikorahmen des Vertrags so abzustecken, wie es unter Wettbewerbsbedingungen möglich gewesen wäre, oder wenn sich bei Durchführung des Vertrags ein Risiko verwirklicht, das bei Aushandlung des Vertrags unter Wettbewerbsbedingungen nicht in den Vertrag einbezogen worden wäre, so Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 79 ff; s. a. Ulmer, P., AcP 174 (1974), 167. c) Eine dritte Theorie wählt für gravierende Fälle den deliktischen Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Partei, und zwar durch Zuerkennung eines subjektiven Freiheitsrechts im Sinne des § 823 Abs. 1. In Deutschland wird sie vertreten von Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, 207 ff; ders., Vertrag und wirtschaftliche Macht, FS Hefermehl, 1971, 41 ff; ders., Wirtschaftsrecht, § 22 I 2 und Scholz, ZHR 132, 97 ff, 105 ff; ders., Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971. Auch die Schweizer Tradition entspricht dem: Kummer, Anwendungsbereich und Schutzgut der privatrechtlichen Rechtssätze gegen unlauteren und freiheitsbeschränkenden Wettbewerb, 1960. d) Schließlich entscheidet sich eine große Gruppe von Autoren für die Anwendbarkeit von § 823 Abs. 2 zum Schutze gegen Marktmacht. Der Ton wird dabei einmal mehr auf die ordoliberale Konzeption einer Wettbewerbsordnung gelegt, so – mit unterschiedlichen Standpunkten im Einzelnen – Böhm, Biedenkopf, Koch und Mestmäcker, zum andern mehr auf die Institutionenlehre (der Wettbewerb als Institution), so vor allem L. Raiser. 3. Die Theorien stehen in keinem unbedingten Gegensatz zueinander und kommen im Wesentlichen zu gleichen Ergebnissen. Gegen die Auffassung von Wolf spricht, dass nach seiner Ansicht der Einfluss wirtschaftlicher Macht auf den Vertrag abstrakt geprüft werden muss, auch wenn er sich nicht im Einzelfall nachteilig auswirkt. Wolf kann erst bei der „Anpassung“ dem Einzelfall gerecht werden. Es ist wohl besser, auf die Verwirklichung eines nachteiligen Risikos oder auch einen entstandenen Schaden abzustellen, wie die drei letztgenannten Theorien es tun. Ob man den Weg über § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 geht, hängt von der Einschätzung der Subjektivität des Freiheitsschutzes ab und ist praktisch Überzeugungssache. Wer § 823 Abs. 1 bejaht, lässt den Anspruch nach Abs. 2 konkurrierend zu, da fast allgemein vertreten wird, dass der Wettbewerb zumindest auch Institutionenschutz genießt, vgl. aber Würdinger WuW 53, 721. Der Hauptnachteil aller Lösungen über § 823 Abs. 2 ist das Angewiesensein auf die Existenz und den positiven Wortlaut eines in Betracht kommenden Schutzgesetzes (der Schutzgesetzcharakter von § 19 GWB ist seit der 6. GWB-Novelle von 1998 allerdings anerkannt; so bereits Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 IX 2 g). Alle Lücken und Unvollkommenheiten der schutzgewährenden Norm belasten dann auch die Vertragskorrektur. Das kann sehr unbefriedigend sein und spricht für § 823 Abs. 1. Die Kumulation von Vertrags- und Deliktsrecht ist auch in diesen Fällen sinnvoll, da der deliktsrechtliche Schutz gegen Wirtschaftsmacht nur verhältnismäßig allgemein wirken kann, im Falle eines Vertragsschlusses dagegen wesentlich genauer Privatautonomie und Machtkorrektur miteinander abgewogen werden können, dazu im Einzelnen Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 79 f; ders., Wirtschaftsrecht, § 1 I 8; § 22 IX 2d. Im Einzelnen ist zu bestimmen, wieweit eine Partei unbeeinflusster-

22 Medicus I Rdn. 74, s. a. oben Rdn. 110, bei Anm. 7. 23 Adomeit, NJW 1994, 2467.

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weise von ihrer Autonomie Gebrauch gemacht hätte. Insoweit muss sie auch die damit verbundenen Risiken tragen. Die deliktsrechtlichen Lösungen dürfen dann zu keinem anderen Ergebnis kommen. Legitim eingegangene Vertragsrisiken definieren also insoweit den nach § 823 zu ersetzenden Schaden, wodurch eine wirksame Konkretisierung des umstrittenen Begriffs des „Als-ob-Wettbewerbs“ als Grundlage deliktischer Vertragsanpassung im Kartellrecht erzielt wird.

VII. Verfassungskonforme Vertragsgestaltung? 120

Die „klassischen“ Themen auf dem Grenzgebiet von Vertrags- und Verfassungsrecht waren bisher die verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit (oben II.) und die Frage nach dem Verhältnis von Vertragsfreiheit und wirtschaftlicher Macht, vor allem im Zusammenhang mit Kartellrecht und allgemeiner Wirtschaftsverfassung (oben VI.). Namentlich die Fälle von Bürgschaftserklärungen durch Kinder und andere Abhängige (s. u. Rdn. 1351) sowie von vorformulierten „formelhaften“ Notarverträgen (BGHZ 74, 204; 108, 164; s. a. 101, 350; Medicus I Rdn. 92) haben daneben eine noch weiterreichende dritte Problematik gestellt, die sich als ,,Vertragsgrenzen durch Verfassungsrecht“, verfassungskonforme Vertragsauslegung oder – allgemeiner – verfassungskonforme Vertragsgestaltung bezeichnen lässt.24 Es geht dabei um eine neue Variante der Drittwirkungsthematik (s. Rdn. 1638). Im Schrifttum halten sich die Befürworter eines – noch näher zu bestimmenden – verfassungsrechtlichen Einflusses auf Verträge (Canaris, Hager, Singer, Fastrich) die Waage mit ablehnenden Stimmen, die sich auf die ja ebenfalls verfassungsrechtlich niedergelegte Privatautonomie berufen (Zöllner, anders Adomeit, zur Vorsicht mahnend auch Medicus), wobei jede Klassifizierung nur unter Vorbehalt möglich ist. Ebenso wenig wie es einen verfassungsrechtlichen Nichtigkeitsgrund der mangelnden Vertragsparität gibt (Adomeit), darf man von einer verfassungskonformen Vertragsauslegung reden. Verträge unterliegen kraft der Privatautonomie einem Fehlkalkulationsrisiko, das auch auf Wissen und Intelligenz sowie persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit der Parteien grundsätzlich keine Rücksicht nimmt, arg. § 119 II. Der Grund dafür liegt in der sozialen Aufgabe des (funktionierenden) Marktes, die benötigten Güter so billig und schnell wie möglich an den Ort des Bedarfs zu befördern, eine Aufgabe, die nur mit dergestalt risikobehaftet ausgehandelten Verträgen gelöst werden kann. Aber es gibt Grenzen, die sich von Wertungen ableiten, die auch in die Verfassung Eingang gefunden haben und deshalb unter Berufung auf die Verfassung ins Feld geführt werden können. Diese „letzten Grenzen“ nur im Vollstreckungsrecht zu suchen (Medicus AT Rdn. 706d), ist deshalb zu eng (s. a. BVerfGE 89, 214 [1993] = NJW 1994, 36; ähnlich BVerfG NJW 1994, 2749). Als „Zwischenkontrolle“, freilich nicht als Letztbegründung, ist das unserer Verfassung zugrunde liegende Men24 Adomeit, NJW 1994, 2467; Albers-Frenzel, Die Mithaftung naher Angehöriger für Kredite des Hauptschuldners, 1996; Canaris, AcP 184 (1984) 201; ders., JZ 1978, 994; ders., FS Lerche 1993, 873; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1982; ders., FS Kissel 1994, 193–212 (Menschenbild); Hager, J., JZ 1994, 373; Hesse, K., Verfassungs- und Privatrecht, 1988; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; Honsell, H., AcP 186 (1986) 115; Medicus, AT Rdn. 706d; ders., AcP 192 (1992) 35; ders., SchR I Rdn. 74, 92; ders., BürgR Rdn. 253, 253a; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997; Preis/Rolfs, DB 1994, 261; Püls, J., Parteiautonomie, 1995; Rittner, FS Müller-Freienfels 1986, 509; ders., AcP 198 (1988) 126; Singer, R., JZ 1995, 1133; Zöllner, AcP 196 (1990) 1; BGH BB 1997, 597; BGH ZIP 1997, 923; – Zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung, die notwendig anderen Regeln folgt, z. B. Medicus AT Rdn. 310.

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schenbild als Argument gegen zuweitgehende Übervorteilungen brauchbar (Fastrich, anders Zöllner). Die Grenzen, die das Zivilrecht selbst zieht (§§ 123, 134, 138, 242; AGB-Kontrolle; Haustür- und Fernabsatzgeschäfte; und sonstiger spezieller Verbraucherschutz), sind in erster Linie zu beachten (richtig Medicus aaO), und z. B. mit § 138 I sollte nicht zu zurückhaltend verfahren werden. Bei der Anwendung dieser oft weit gefassten Bestimmungen ist auf verfassungsrechtliche Wertungen zurückzugreifen. Zwei Voraussetzungen müssen allerdings zusammentreffen: Wo gröblich gegen solche Verfassungswerte verstoßen wird und wo außerdem aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen Privatautonomie in der Sache nicht besteht (Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen bei Kindern oder Auszubildenden, oder von wirtschaftlichen marktuntypischen Zwangslagen – undue influence, s. u. Rdn. 1351), darf das Recht dem Verfassungsbrecher auch im Zivilrecht seine Hand nicht leihen.

VIII. Die salvatorische Klausel Kohler, DNotZ 61, 195; Pierer v. Esch, Teilnichtige Rechtsgeschäfte, 1968; H. Westermann, FS Ph. Möhring zum 75. Geburtstag, 1975, 135. Oft bestimmen die Parteien, dass, wenn ein Teil des Vertrags aus irgendeinem Grund unwirksam sein sollte, die übrigen Bestimmungen des Vertrags trotzdem gelten sollen (salvatorische Klausel). Die Wirkung der Klausel hängt von ihrer Auslegung im Einzelfall ab. Entweder ist gemeint, dass der restliche Vertrag gelten, aber keine Lückenfüllung angestrebt werden soll. Oder die Parteien wollten sich dazu verpflichten, Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, die durch die Unwirksamkeit entstandene Vertragslücke nach Möglichkeit zu schließen (Westermann: „Ersetzungsklausel“). Dagegen kann aus einer salvatorischen Klausel grundsätzlich kein Bestimmungsrecht i. S. d. §§ 315–319 herausgelesen werden. Überflüssig sind salvatorische Klauseln nicht (a. A. Pierer v. Esch).

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§ 21 Form des Vertrags Bernard, Formbedürftige Rechtsgeschäfte, 1979; Boehmer, G., Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Bd. II, 2. Teil, 1951; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Daniels, Verträge mit Bezug auf den Nachlaß eines noch lebenden Dritten, 1973; Gernhuber, FS Schmidt-Rimpler, 1957, 151; Hähnchen, NJW 2001, 2831; Häsemeyer, Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, 1971, 1; ders., JuS 80, 1; Hippel, Fritz von, Formalismus und Rechtsdogmatik, 1935; Knieper, MDR 70, 979; Lorenz W., AcP 156 (1956), 381; ders., JuS 66, 428; Merz, AcP 163 (1983), 306; Reinicke, Rechtsfolgen formwidrig abgeschlossener Verträge, 1969; Roth, G., JuS 81, 250; Scheuerle, AcP 172 (1972), 396; Schwanecke, NJW 84, 1583; Seibert, JZ 81, 380; Singer, WM 83, 254; Steindorff, ZHW 66, 21; Wagner, AcP 172 (1972), 452; Westerhoff, AcP 184 (1984), 341.

1. Ein Fall der Vertragsfreiheit ist die Formfreiheit (s. o. Rdn. 110 f): Grundsätzlich können Verträge formfrei, d.h. in mündlicher Form geschlossen werden. Die grundsätzliche Formfreiheit ist bei bestimmten Geschäften und in gewissen Kreisen nicht hinreichend bekannt. So besteht gelegentlich der Irrtum, was nicht schriftlich oder gar notariell vereinbart wurde, sei nicht wirksam. Rechtlich ist jedoch festzuhalten, dass die in den §§ 126–129 vorgesehenen Formen, d. h. die schriftliche, elektronische, Textform, öffentlich beglaubigte, notariell beurkundete Form oder die Form des gerichtlichen Vergleichs, vom Gesetz im Einzelfall vorgesehen oder vertraglich vereinbart sein muss. 2. Die Parteien können eine bestimmte Form ausdrücklich oder stillschweigend vereinbaren. Ist die gewillkürte Form nicht beachtet worden, so ist durch Auslegung zu

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ermitteln, ob der Vertrag nichtig sein soll, ob also die Einhaltung der Form Gültigkeitsvoraussetzung ist. Soweit die Auslegung kein klares Ergebnis liefert, gilt nach der Auslegungsregel § 125 S. 2, dass ein Rechtsgeschäft „im Zweifel“ nichtig ist, dessen rechtsgeschäftlich vereinbarte Form nicht eingehalten wurde. Nach der Auslegungsregel § 154 II ist der Vertrag bei vereinbarter Beurkundung nicht geschlossen, bis die Form erfüllt ist. § 154 II ist analog auch auf eine gewillkürte Schriftform (§§ 127, 126) und eine gewillkürte besondere Form (Druck, gesiegelte Urkunde, doppelte Unterschrift) anzuwenden.1 Das Verhältnis zwischen § 125 S. 2 und § 154 II ist nicht klar. Da § 125 S. 2 die endgültige Rechtsfolge der Nichtigkeit ausspricht, ist davon auszugehen, dass § 154 II die vorrangige Vermutung enthält, wann ein Vertrag geschlossen ist.2 3. Sieht das Gesetz ausnahmsweise Formvorschriften vor, so kann das verschiedene Gründe haben, die einzeln oder gemeinsam, und in jeweils verschieden starkem Grade gegeben sein können. Formvorschriften können den Interessen der Parteien dienen, und zwar dem Zweck der Beweissicherung oder dem Schutz des sich Erklärenden vor Übereilung. Außerdem kann eine Form die Information Dritter oder öffentliche Interessen (insbesondere die Kontrolle) verfolgen (vgl. Medicus AT, Rdn. 614). Es ist notwendig, sich bei jeder gesetzlichen Formvorschrift zu fragen, welcher Zweck zutrifft und, falls mehrere betroffen sind, welcher im Vordergrund steht. Die Auslegung der Erklärung und die Entscheidung, ob die gewählte Form ausreicht, ferner ob und wodurch ein Formmangel geheilt werden kann, hängen davon ab.

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4. In besonderen Schuldrecht (433–853) gibt es einige Formvorschriften, die bei dem betreffenden Schuldverhältnis zu besprechen sind, z. B. § 518 (Schenkungsversprechen); § 550 (Wohnraummiete); § 766 (Bürgschaft); § 781 (Schuldanerkenntnis); § 783 (Anweisung). In all diesen Fällen steht der Gesichtspunkt des Schutzes vor Übereilung wegen wirtschaftlicher Gefährlichkeit des Geschäfts an erster Stelle. Außerdem enthalten in besonderem Maße das Sachen-, Familien- und Erbrecht Formvorschriften.

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5. Im allgemeinen Schuldrecht ist § 311b hervorzuheben, der für drei unterschiedliche Fälle die notarielle Beurkundung vorsieht. Weitaus am wichtigsten ist § 311b I. Nach § 311b I 1 bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung. Der Beweiszweck und der Gedanke des Schutzes vor Übereilung tragen diese Vorschrift (sind aber nicht tatbestandliche Voraussetzungen, BGHZ 16, 335). a) Die Vorschrift betrifft nur das Verpflichtungsgeschäft, also den Grundstückskaufvertrag (433), nicht das Verfügungsgeschäft, durch das die Verpflichtung aus § 433 I erfüllt wird. Das Verfügungsgeschäft, das den Eigentumsübergang bewirkt, besteht aus dinglicher Einigung und Eintragung im Grundbuch, § 873 I 1. Die dingliche Einigung heißt bei Grundstücksveräußerungen Auflassung und bedarf nach § 925 der gleichzeitigen Erklärung vor dem Notar. Die Erklärung einer Auflassung soll nur entgegengenommen werden, wenn die nach § 311b I 1 erforderliche Urkunde über den Kaufvertrag vorgelegt oder gleichzeitig errichtet wird, 925a. Diese Vorschrift fordert – in für das BGB einmaliger Weise – eine gleichzeitige Beachtung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft (zur Unterscheidung siehe oben § 14), um die Beachtung der Formvorschrift des § 311b I 1 durchzusetzen. Für die Auflassung ist keine Schriftlichkeit oder gar notarielle Beur-

1 „Oberschriften“ enthalten keine Echtheitsvermutung, BGH DB 1991, 331. 2 Medicus AT, Rdn. 640; anders die 7. Aufl. dieses Lehrbuchs, § 22 3; nach Palandt/Heinrichs, § 154 Rdn. 4 ist eine Unterscheidung nicht möglich; es handelt sich um Parallelvorschriften.

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kundung nach § 128 erforderlich, sondern nach § 125 nur die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile bei Abgabe der Einigungserklärung. Dennoch ist die Verbindung der Kaufmit der Auflassungserklärung in einer (einzigen) Urkunde sehr häufig und geschieht in Anwendung von § 925a. Vom Laien wird eine solche Verbindung als selbstverständlich empfunden, weil ihm der Unterschied zwischen Verpflichtung und Verfügung nicht einleuchtet. Meist werden in eben derselben Urkunde die zusätzlich erforderlichen Erklärungen nach § 13 (Antrag) und § 19 GBO (Eintragsbewilligung) mit aufgenommen. Das Recht der Grundstücksveräußerung besteht also aus dem geschilderten Zusammenspiel folgender Vorschriften: §§ 311b I 1, 433 (Kauf); 873, 925, 925a BGB (Übereignung); §§ 13, 19, 20, 29 (Schriftform als Verfahrensvorschrift), 39, 40 GBO; § 925 verlangt über § 128 hinaus gleichzeitige Anwesenheit beider Teile, andererseits aber nur die Abgabe der Erklärung, weil Beurkundung der Auflassung nicht vorgeschrieben ist. b) § 311b I 1 betrifft Verpflichtungsverträge über Eigentum an Grundstücken, ideelle Anteile (Miteigentumsanteile) an Grundstücken und die grundstücksgleichen Rechte des Erbbaurechts (§ 11 II ErbbauVO) und des Wohnungseigentums (§ 4 III WEG). Nicht erfasst wird die Verpflichtung zur Übertragung von sonstigen dinglichen Rechten an einem Grundstück.3 c) § 311b I 1 betrifft nur die Verpflichtung zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück, nicht etwa die Verpflichtung zur Belastung oder zur Eigentumsaufgabe (Dereliktion) eines Grundstücks. Seit dem 1. 7. 73 ist auch die einseitige vertragliche Verpflichtung, ein Grundstück zu erwerben, beurkundungspflichtig. Zuvor bedurfte nur die Veräußerungspflicht der Beurkundung. In der Praxis nutzten vor allem Baugesellschaften diese Gesetzeslücke dazu, sich von einer Verkaufspflicht freizuhalten, den Baubewerber dagegen durch einseitige nur schriftliche Ankaufsverpflichtung zu binden. Die Rechtsprechung vermochte diesem Mangel nicht abzuhelfen. Die Beurkundungspflicht bezieht sich auf den ganzen Vertrag. Dazu gehören alle Vereinbarungen, aus denen sich nach dem Willen der Parteien das Verpflichtungsgeschäft zusammensetzt. Man muss also darauf achten, dass bei einem Grundstückskauf alle für die Parteien wesentlichen Punkte in den beurkundeten Text aufgenommen werden (BGH NJW 79, 1496). Das gilt nicht nur für den einzelnen Grundstückserwerbsvertrag, sondern im Falle der Vertragsverbindung (unten Rdn. 794) für das gesamte Vertragswerk (RGZ 79, 434). Dabei wird eine Vertragsverbindung durch den inneren, rechtlichen Zusammenhang von Rechtsgeschäften herbeigeführt (BGH NJW 2000, 951). Besondere Schriftstücke werden nur wirksamer Vertragsbestandteil, wenn sie (vgl. § 9 I 2 BeurkG) mitbeurkundet werden. Eine Grenze des Umfangs der Beurkundungspflicht stellen Auslegungshilfen dar. Die Auslegung und damit verbunden die Heranziehung von außerhalb der Urkunde liegenden Umständen ist möglich. Zur Absicherung ist aber die Mitbeurkundung zu empfehlen. Dem Formzwang des § 311b I 1 unterfällt nicht nur der Verpflichtungsvertrag selbst. In analoger Anwendung von § 311b I 1 fallen auch Rechtsgeschäfte unter den Formzwang, die mittelbar eine Bindung des Verpflichteten herbeiführen. Nach der Rechtsprechung gehört besonders die unwiderrufliche Vollmacht zum Verkauf eines Grundstücks dazu, obwohl sie nach § 167 II grundsätzlich keiner Form bedarf (RGZ 104, 236; 108, 126). Auch Vorverträge unterliegen dem Formzwang, da sie eine Bindung herbeiführen. Grundsätzlich formbedürftig nach § 311b I 1 sind auch Vertragsänderungen. Ausnahmen werden gemacht für Vereinbarungen, die der Vertragsabwicklung und -durch3 Vgl. z. B. für die (dingliche) Übertragung der Hypothek §§ 1153 ff.

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führung dienen.4 Ebenso sind formfrei Änderungsverträge, die nicht zu einer Verschärfung der Übereignungspflicht führen.5 Nach der Rechtsprechung fällt darunter allerdings nur die Fristverlängerung für ein vertragliches Rücktrittsrecht (BGHZ 66, 270). Die Aufhebung eines formbedürftigen Vertrages ist formbedürftig, wenn der Kaufvertrag durch Auflassung und Eintragung vollzogen ist (§ 311b I 2!), weil dann die Aufhebung eine Rückübereignungspflicht des Erwerbers begründet (RGZ 60, 400, allg. M.). Desgleichen ist die Aufhebung beurkundungsbedürftig, wenn nur die Auflassung, aber noch nicht die Eintragung vorliegt, sofern der Auflassungsempfänger die Eintragung beantragt hat oder zu seinen Gunsten eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist, BGHZ 83, 399. d) Wird die Form des § 311b I 1 verletzt, ist das Rechtsgeschäft nach § 125 S. 1 grundsätzlich nichtig. Die Nichtigkeit betrifft den Vertrag in vollem Umfang. Zu unterscheiden ist beim Fall des teilweisen Scheinkaufs, in dem ein Teil des Grundstückskaufs der Form des § 311b I 1 entspricht, ein anderer Teil (insbesondere der tatsächliche Kaufpreis) aber bewusst nur schriftlich oder mündlich vereinbart wird. Der nicht formgerechte Teil ist nach § 125 S. 1, der formgerechte als Scheingeschäft nach § 117 I nichtig.6 e) Nichtigkeit erfordert gem. § 141 I grundsätzlich die formgerechte Neuvornahme. Nach der Ausnahme in § 311b I 2 ist die Nichtigkeit dagegen heilbar: Heilung tritt ein bei Auflassung und Eintragung im Grundbuch. Der dingliche Vollzug des Kaufs schafft eine Rechtslage, die aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit nicht wieder rückgängig gemacht werden soll. Ein Heilungswille ist nicht erforderlich, die Heilung tritt ex lege ein. Hieraus leitet ein Teil der Lehre eine ex-tunc-Wirkung der Heilung ab. Es besteht aber kein triftiger Grund, vom Wortlaut des Gesetzes („wird … wirksam“) abzuweichen, der eine Heilung mit Wirkung ex nunc – von der Eintragung im Grundbuch an – vorschreibt. Das Gesetz will lediglich den Bereicherungsanspruch ausschließen; dazu genügt die Heilung ex nunc. Das hat die wichtige Folge, dass bis zum Zeitpunkt der Heilung kein Auflassungsanspruch besteht und eine Auflassungsvormerkung aufgrund ihrer Akzessorietät (§ 883 I 1) nicht wirksam ist (BGHZ 54, 56). Die Heilungswirkung tritt auch bei gutgläubigem Grundstückserwerb vom Nichtberechtigten ein (BGHZ 47, 271). Die Heilung umfasst, was leicht übersehen wird, den Vertrag in vollem Umfang, also einschließlich aller schriftlichen oder mündlichen Nebenabreden, soweit sie im Zusammenhang mit dem Verpflichtungsgeschäft stehen und für beide Parteien vertragswesentlich sind.7 Das ist wichtig für die Fälle des teilweisen Scheinkaufs (s. oben d): Die Heilung ist vollständig, und zwar auch bezüglich des mündlich vereinbarten Preises. Die Heilung tritt nicht für andere Wirksamkeitshindernisse ein.8 So ist ein geheiltes Geschäft nicht genehmigt, wenn eine Genehmigung (z. B. § 1821 I Nr. 4) zum Kaufvertrag fehlt. Wird nur ein Teil der Kaufvereinbarung genehmigt, fehlt die Genehmigung des ganzen Vertrags. Der Fall einer nur teilweisen Genehmigung kann eintreten, wenn die Parteien nicht alles, was sie vereinbaren, in die Urkunde aufnehmen, so dass die Genehmigungsbehörde, der die Urkunde vorliegt, nicht den ganzen Vertrag genehmigen kann. 4 BGH NJW 88, 3263; zweifelnd Medicus I, Rdn. 101, da Vertragsänderungen stets die Vertragspflichten betreffen. 5 Palandt/Heinrichs § 311b Rdn. 42; a. A. MünchKomm/Kanzleiter § 311b Rdn. 57. 6 RGZ 78, 119; BGH NJW 80, 451 (st. Rspr.). 7 BGH NJW 74, 136; 78, 1577. 8 OHGZ 1, 327; BGH DNotZ 69, 350.

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Vorvertrag und andere vorläufige Verträge

§ 22

Es kommen Fälle vor, in denen die Auflassung zusammen mit einem formnichtigen Veräußerungsvertrag in der gleichen Urkunde erklärt wird. Dann ist die Auflassung grundsätzlich nicht formungültig, wenn die Erfordernisse von § 925 eingehalten sind. Die Heilung durch Eintragung kann der Veräußerer dann nur verhindern, indem er im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO auf seinen Antrag hin ein Erwerbsverbot erwirkt. Die dennoch erfolgte Eintragung ist dann dem Veräußerer gegenüber analog §§ 136, 135 relativ unwirksam.9 6. Die beiden anderen erwähnten Formvorschriften finden sich in § 311b III und V. Nach § 311b III bedarf ein Vertrag der notariellen Beurkundung, durch den sich ein Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen oder einen Bruchteil des gegenwärtigen Vermögens zu übertragen oder mit einem Nießbrauch zu belasten. In § 311b III gilt (im Gegensatz zu dem 1999 aufgehobenen § 419 a. F.) die Gesamttheorie, nicht die Einzeltheorie. Die Vorschrift ist nur anwendbar, wenn jemand sein „Hab und Gut“, sein „Vermögen“ als solches bezeichnet, oder einen Bruchteil davon veräußern will. Verpflichtet sich jemand zur Übertragung einzelner Vermögensgegenstände (z. B. Haus, Hof, Grundstücke), die zusammen sein Vermögen ausmachen, bedarf es der Form des § 311b III nicht, da der Schuldner sich durch die Aufzählung der Bedeutung seines Schritts bewusst werden muss, RGZ 94, 315; BGHZ 25, 1. Dann aber ist, soweit Grundstücke betroffen sind, § 311b I zu beachten. Als Formvorschrift des allgemeinen Schuldrechts verlangt § 311b V 2 für einen Vertrag unter künftigen gesetzlichen Erben über ihre Erb- und Pflichtteile die notarielle Beurkundung (BGHZ 26, 320; OGHZ 2, 114, 175). 7. Bei Verletzung einer gesetzlichen Formvorschrift tritt nach § 125 S. 1 grundsätzlich Nichtigkeit ein. Die Berufung auf einen Formmangel kann aber ausnahmsweise nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte (§ 242) unzulässig sein. Die Unzulässigkeit der Berufung auf den Formmangel nimmt die Rechtsprechung an, wenn die Nichtigkeit des Geschäfts zu schlechthin untragbaren Rechtsfolgen für die betroffene Partei führt.10

§ 22 Vorvertrag und andere vorläufige Verträge Baur, J., Vertragliche Anpassungsregelungen, 1983; Brandi-Dohrn, Der urheberrechtliche Optionsvertrag, 1967; Brüggemann, JR 68, 201; Casper, Der Optionsvertrag, 2005; v. Einem, Die Rechtsnatur der Option, 1974; Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, 1988; Fikentscher, W., Lizenzoption, Anbietungspflicht, Vertragserweiterung – Ein Beitrag zur Lehre von den Neuverhandlungspflichten, FS Gernhuber, 1993, 121; Georgiades, FS Larenz, 1973, 409; Henn, Patent- und Know-How-Lizenzvertrag, 5. Aufl. 2003; Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965; Hertel, BB 83, 1824; Horn, AcP 181 (1981) 255; ders., NJW 1985, 1123; Köhler, Jura 79, 465; Larenz, DB 1955, 209; Lorenz, FS Dölle, 1963, Bd. I, 103; Lutter, Letter of Intent, 3. Aufl. 1998; Ritzinger, NJW 90, 1201; Roth, Der Vorvertrag, 1928; Schmalzel, AcP 164 (1964), 446; Singer, JR 83, 356 (betr. Vorausleistungen); Steindorff, BB 83, 1127; ders., ZHR 148 (1984) 271; Wabnitz, Der Vorvertrag in rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender Betrachtung, Diss. Münster 1962; Weber, Martin, JuS 90, 249; Weimar, JR 67, 456.

9 RGZ 117, 290; 120, 118; Jauering/Stadler § 311b Rdn. 38, 41. 10 BGH NJW 1989, 167; vgl. zu einzelnen Fallgruppen und Kritik an der Rechtsprechung Jauernig § 125 Anm. 7; Medicus, BürgR, Rdn. 181–185; Palandt/Heinrichs § 125 Rdn. 16–27 und die Literatur zum Allgemeinen Teil; weiterhin unten Rdn. 218; s. auch 7. Aufl. dieses Lehrbuchs, § 22, 11 (ausführlich).

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§ 22 I

Begründung des Schuldverhältnisses

I. Vorbemerkung 131

1. Im Anschluss an die in diesem Kapitel bisher behandelten allgemeinen Fragen, die sich bei der Begründung von Schuldverhältnissen ergeben, bedürfen im Folgenden noch einige besondere Vertragsarten und Vertragsbestandteile der Erörterung, die bei der Begründung von Schuldverhältnissen eine Rolle spielen: Vorvertrag, Rahmenvertrag, Draufgabe und Vertragsstrafe. 2. Ein Vorvertrag ist ein schuldrechtlicher Vertrag, durch den sich die Vertragschließenden verpflichten, einen anderen Vertrag (den Hauptvertrag) zu schließen. Der Vorvertrag will den Hauptvertrag, sowohl was seinen Abschluss als auch was seinen Inhalt anlangt, vorbereiten. Die Vorvertragsparteien versprechen einander, später – etwa nach Klärung weiterer sachlicher Voraussetzungen – einen Hauptvertrag einzugehen. Der Vorvertrag ist Ausdruck des Bindungswillens vor abschließender Klärung aller Vertragspunkte; vgl. BGH WM 73, 67; NJW 80, 1578. 3. Gleichwohl ist er nach allg. M. aufgrund der Vertragsfreiheit (Art. 2 I GG, indirekt auch § 311 I) zulässig. Der Vorvertrag ist zu unterscheiden von dem eine Verfügung vorbereitenden Verpflichtungsgeschäft (RGZ 48, 135; BGH NJW 62, 1813; oben § 13) und mit dem gem. §§ 158–163 bedingten oder unter einer Zeitbestimmung stehenden Vertrag. Soweit unklar ist, ob ein Vor- oder ein (Haupt-)Vertrag vorliegt, gilt als Auslegungsregel, dass grundsätzlich der Abschluss eines Hauptvertrages anzunehmen ist (BGH NJW 80, 1578).

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4. Der Vorvertrag bietet regelmäßig zwei Rechtsprobleme, das der Form und das der Bestimmtheit. a) Sind für den Hauptvertrag zwingend Formen (z. B. § 311b I) vorgeschrieben (oben § 21), darf keine Umgehung auf dem Weg über den Vorvertrag zugelassen werden. Da der Vorvertrag bereits eine bedingte Veräußerungspflicht begründet, sind bei ihm dieselben Formvorschriften einzuhalten, die beim Hauptvertrag zur Anwendung kommen (BGHZ 61, 48; 97, 154 f; st. Rspr.). So ist ein Vorvertrag über eine Grundstücksveräußerung nach § 311b I 1 formgebunden, wenn die Bindung des Veräußerers versprochen und nur noch die genaue Höhe des Kaufpreises offengelassen wird. b) Der Vorvertrag begründet für die Parteien eine Verpflichtung zum Abschluss eines Vertrages. Die Pflicht wird durch Abschluss des Hauptvertrages von den Parteien erfüllt. Einem Erfüllungsverlangen kann nur entsprochen werden, wenn der Inhalt des Hauptvertrages im Vorvertrag bereits hinreichend bestimmt worden ist. Die Vereinbarung: „Wir wollen ein Unternehmen gründen“, genügt nicht. Zweck, Sitz und Rechtsform der Gesellschaft sind noch offen. Ist die durch den Vorvertrag begründete Abschlusspflicht nicht hinreichend bestimmt oder durch Auslegung des Vorvertrages bestimmbar, dann ist die Pflicht unwirksam und im Zweifel nach § 139 der ganze Vorvertrag. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit des Vorvertrages zu stellen sind, entscheiden die Umstände des Falles unter Berücksichtigung der Parteiinteressen.1 Ein Indiz für einen hinreichend bestimmten Vorvertrag ist die Möglichkeit, aus seinem Inhalt einen Klageantrag auf Abschluss eines bestimmten Vertrages zu formulieren. c) Besteht, z. B. mangels Bestimmtheit, kein Erfüllungsanspruch aus Vorvertrag, kommen Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II) wegen treuwidrigen Verhaltens bei den Vertragsverhandlungen in Betracht. Auch ein Fehlverhalten des Klägers ist dabei zu berücksichtigen, § 254 I.

1 BGH LM § 705 Nr. 3; WM 76, 180; Schmidt, Karsten, JuS 76, 709 (zu BGH NJW 75, 443).

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Vorvertrag und andere vorläufige Verträge

§ 22 II A 2

II. Andere vorläufige Verträge Wirtschaftlich verfolgen die Parteien mit dem Vorvertrag ein beiderseitiges Interesse, sich vorläufig an etwas zu binden, unter Vorbehalt oder unter zeitlicher Verschiebung der späteren endgültigen Regelung. Der Vorvertrag ist zur Regelung einer derartigen Interessenlage nur eine Möglichkeit unter vielen. Die wichtigeren vorläufigen Verträge sind die folgenden:

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A. Vorläufige Verträge mit aufgeschobenem Hauptvertrag 1. Bezüglich des Hauptvertrages bindende vorläufige Verträge a) Zwei- oder mehrseitig bindend sind insb. die nachstehend genannten Vereinbarungen: aa) In erster Linie zu nennen ist der Vorvertrag (oben I.). Es entstehen grundsätzlich gegeneinander gerichtete Ansprüche auf Abschluss des Hauptvertrags. bb) Bei vereinbarten Neuverhandlungspflichten bestehen Ansprüche, entweder einen Vertrag völlig neu zu verhandeln oder ihn zu ergänzen (die Übergänge sind fließend). cc) Daneben besteht die vereinbarte Anpassungspflicht, die einen Vertrag veränderten Umständen anpassen soll (dieser Anlass fehlt u. U. bei den Vorverträgen und Neuverhandlungspflichten). b) einseitig bindende Verträge: aa) Die Anbietungspflicht (engl. right of first refusal). Die Parteien vereinbaren, dass, wenn die eine z. B. verkauft, das erste Angebot der anderen Partei zu machen ist. Diese kann annehmen oder nicht. Erst mit der Annahme kommt der Hauptvertrag zustande. bb) Die Option. Der einen Partei wird ein Gestaltungsrecht eingeräumt, durch einseitige, empfangsbedürftige Erklärung an die andere Partei einen Vertrag zu vorfixierten Bedingungen zustande zu bringen. Drei Unterfälle sind bedeutsam: aaa) Das Ankaufsrecht (gesetzlich nicht besonders geregelt, § 311 I). Beispiel: A darf von einem bestimmten Zeitpunkt an binnen einer Frist erklären, ein Grundstück von B zu kaufen. Der Kaufvertrag kommt durch die Erklärung unmittelbar zustande. Die Begründung des Ankaufsrechts bedarf, da es B bindet, der Form des § 311b I 1; keiner Form bedarf dagegen die Erklärung des A.2 Der Kaufpreis wird zumeist vorweg ausbedungen (anders dagegen beim Vorkaufsrecht, § 464 II, das allerdings auch zu einem festen Kaufpreis vereinbart werden kann). Man kann als Zeitpunkt, zu dem das Ankaufsrecht ausgeübt werden darf, auch einen Verkaufsfall der Sache nehmen, auf die sich das Ankaufsrecht richtet. Dann ist die Wirkung praktisch ein Vorkaufsrecht zum vorher bestimmten Preis, ohne dass jedoch die Einzelheiten der §§ 463 ff gelten. Ein Ankaufsrecht auf den Todesfall des B ist zulässig und keine Umgehung des § 925 II, da es nur obligatorisch wirkt. Vormerkung ist daher zweckmäßig, § 883. Die Erklärung des A, kaufen zu wollen, bringt den Kaufvertrag mit den Erben des B nach dessen Tod zustande; B’s Erben sind zur Auflassung verpflichtet. bbb) Das Wiederkaufsrecht, 456 ff (unten § 73 III). Es ist ein durch Ausübung des Wiederkaufs(Gestaltungs-)rechts aufschiebend bedingter (Rück-)Kauf (str.). ccc) Die „reine Option“ (das Optionsrecht, manchmal auch „bindendes Angebot als einseitige Willenserklärung“ genannt, so Henn). Sie ist kein Vertrag, sondern die Annahme eines Angebots mit verlängerter Annahmefrist, §§ 145, 148. Bei Grundstückserwerb gilt die Form des § 311b I 1 sowohl für die Angebots- wie für Options(Annahme)erklärung, RGZ 169, 65; BGH LM § 433 Nr. 16 Bl. 3; NJW 75, 1170 (mit anderer Terminologie). Die „reine Option“ kann auch darauf gerichtet sein, einen Vorvertrag zustande zu bringen oder Neuverhandlungs- oder Anpassungspflichten auszulösen (oben 1. a)).

2. Bezüglich des Hauptvertrages nicht bindende vorläufige Verträge a) Besichtigungsvertrag. Beispiel: A bittet den Buchhändler B, ihm ein bestimmtes Buch zur Ansicht zu überlassen. A ist aus dem Besichtigungsvertrag zu vertraglicher Sorgfalt, aber nicht zum Kauf verpflichtet. Auch sein Schweigen bindet ihn nicht. 2 So ausdrücklich BGH LM § 433 Nr. 16 Bl. 3 (dazu BGHZ 71, 280). Für die Formbedürftigkeit der Erklärung des Ankaufenden dagegen Georgiades, FS Larenz, 1973, 425 ff.

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134

§ 23

Begründung des Schuldverhältnisses

b) Kauf auf Probe, § 454 f (unten § 73 II). Beispiel: Teppichhändler T lässt bei K eine Perserbrücke „bis auf weiteres“ zur Besichtigung liegen. Schweigt K auf eine fristsetzende Anfrage nach § 455, ist K gebunden. Unterschied zum Besichtigungsvertrag: Schweigen soll nach Vorstellung der Parteien zur Bindung führen (selten). c) Die sog. „bloße Verhandlungspflicht“, also die Pflicht, in Verhandlungen einzutreten, ohne dass Pflichten bestehen, einen Hauptvertrag zustande zu bringen (Unterschied zu oben 1. a)).

B. Hauptverträge mit vorläufigem Charakter 135

1. Rücktrittsvorbehalt, §§ 346 ff (unten § 48). 2. Umtauschvorbehalt, § 311 I. Es ist ein Rücktrittsvorbehalt, und zwar je nach Parteivereinbarung, unter Vereinbarung: a) entweder der Möglichkeit, die Erfüllungsleistung unter Aufrechterhaltung des alten Vertrags durch eine andere zu ersetzen, oder b) eines Vorvertrags über einen später zu schließenden zweiten Hauptvertrag (im Laden das Übliche, da evtl. Zuzahlung vereinbart).

C. Vorrechtsverträge Von A und B zu unterscheiden sind Vorrechtsverträge nach Art des Vorkaufsrechts (§§ 463 ff, 1094 ff), des Vormietrechts, usw. Bei ihnen erhält ein Dritter das Recht, in einen Vertrag unter anderem „einzusteigen“ (näher u. § 73 IV). Das Vorkaufsrecht ist ein durch Verkauf und Ausübung doppelt (aufschiebend) bedingter Kauf und keine Anbietungspflicht oder Option (h. M.).

§ 23 Rahmenvertrag Fuchs-Wissemann, Die Abgrenzung des Rahmenvertrages vom Sukzessivlieferungsvertrag, Diss. Marburg 1979; Horn, Gutachten I, S. 563; Schmidt, Karsten, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 20 I 2.

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1. Zu unterscheiden vom Vorvertrag ist der Rahmenvertrag. Als Vertragsart ist der Rahmenvertrag bisher kaum behandelt.1 Er ist gesetzlich nicht geregelt, jedoch aufgrund der Vertragsfreiheit zulässig. Er hat mit dem Vorvertrag gemeinsam, dass auch er den Abschluss weiterer Verträge (meist mehrerer) ins Auge fasst, die man Einzelverträge nennen kann. Im Unterschied zum Vorvertrag enthält der Rahmenvertrag aber keine Abschlusspflicht der Beteiligten. Er ist auch kein vorläufiger Vertrag, sondern soll endgültig bestehen und dabei den Rahmen für später abzuschließende Einzelverträge stecken. Nur wenn später Verträge zwischen den Parteien des Rahmenvertrags oder zwischen einer Partei des Rahmenvertrags und Dritten oder überhaupt zwischen Dritten zustande kommen, sollen diese Einzelverträge einen bestimmten, vom Rahmenvertrag festgelegten Inhalt haben. Enthält der Rahmenvertrag auch eine Abschlusspflicht, ist er zugleich Vorvertrag. Von den Raten-, Dauer- und Wiederkehrschuldverhältnissen (oben § 7, 7) unterscheidet sich der Rahmenvertrag dadurch, dass er nicht notwendig eine die Summe der Teilleistungen umfassende Leistungspflicht enthält, sondern oft nur die Bedingungen festlegt für den Fall des Abschlusses von Einzelverträgen.

1 Vgl. aber Jauernig/Stadler, § 311 Rdn. 22; K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 20 I 2; Ulmer, E., Kontokorrent, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch, S. 194 ff; Saxinger, A., Zulieferverträge im deutschen Recht, 1993.

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Rahmenvertrag

§ 23

Von Normenverträgen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, nicht aber die sog. Normverträge des Verlagsrechts, da sie keine unmittelbare normative Wirkung auf Einzelverträge entfalten, Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, vor §§ 28 ff Rdn. 6 f) unterscheiden sich Rahmenverträge durch das Fehlen staatlich delegierter Normsetzungsbefugnis, die Normenverträgen die direkte und unmittelbare Wirkung ihrer Normen auf die Einzelvertragsverhältnisse (z. B. Arbeitsverträge) verleiht. Vom Rahmenvertrag zu unterscheiden ist auch das Rahmenangebot. Bei ihm fehlt die Annahme des Rahmenvertrags durch die eine Seite. Aufgrund eines dauernd offenstehenden, die Bedingungen (Preislisten, Tarife) festlegenden Angebots werden Einzelschuldverhältnisse geschlossen. Ein Beispiel sind die Inserat-Einschaltungsverträge der Werbungtreibenden und Werbeagenturen/Werbungsmittler mit den Vorlagen und anderen „Medien“ auf der Basis von deren Preislisten. Statt eines Rahmenangebots kann es sich auch um eine bloße invitatio ad offerendum unter Angabe von Rahmenbedingungen handeln. 2. Zur Illustration einige Beispiele für Rahmenverträge. Nach § 305 III können (unter Beachtung der Erfordernisse von § 305 II) Rahmenverträge über die Geltung von AGB geschlossen werden.2 Oft besteht der Sinn von Rahmenverträgen gerade darin, die Geltung von AGB für alle künftigen Einzelverträge festzulegen. Die AGB gelten dann für die Einzelgeschäfte ohne eine erneute Bezugnahme auf sie. – A und B vereinbaren ein mehrjähriges Lieferprogramm, in dem die Bedingungen der Einzelbezugsverträge weitgehend im Voraus festgelegt werden. – Ein Verein schließt mit einem Verlag einen Vertrag über eine vom Verein herausgegebene Schriftenreihe, in dem die Bedingungen festgelegt werden, zu denen der Verlag mit den einzelnen Autoren die Verlagsverträge abschließen wird. – Eine Urheberrechtsverwertungsgesellschaft legt mit einer Organisation von Schallplattenproduzenten die Bedingungen für die Inanspruchnahme der Urheberrechte fest, sog. „Gesamtvertrag“ i. S. v. § 12 UrheberrechtswahrnehmungsG. – Beispiele für Rahmenverträge sind außerdem der Leasingrahmenvertrag 3 und der Eigenhändlervertrag.4 – Besonders Wiederkehrschuldverhältnisse (oben § 7, 7d) in der Energieversorgungswirtschaft setzen in aller Regel einen Rahmenvertrag voraus, unter dessen Bedingungen die einzelnen wiederkehrenden Schuldverhältnisse abgeschlossen werden.5 Ein im BGB geregelter Rahmenvertrag ist der Girovertrag, 676 f.

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3. Ein Rahmenvertrag wirft regelmäßig zwei Rechtsfragen auf, die der Form und die des Umfangs der bindenden Kraft für die Einzelverträge.

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a) Die Formfragen des Rahmenvertrags sind nicht anders zu behandeln als die anderer Verträge. Rahmenverträge sind formpflichtig, soweit sie selbst und ohne Konkretisierung durch den Einzelvertrag eine Bindung herbeiführen, die formbedürftig ist. b) Wenn die Einzelverträge zwischen den Parteien des Rahmenvertrags geschlossen werden, sind die im Rahmenvertrag abgesprochenen Bedingungen für den Einzelvertrag bindend. Ein einseitiges Loskommen von diesen Rahmenbedingungen ist nur nach allgemeinen Regeln (Anfechtung, Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund nach § 314 usw.) möglich. Dazu unten § 50. Wenn aber im Rahmenvertrag Bedingungen für Einzelverträge ausgehandelt werden, die zwischen einer Partei des Rahmenvertrags und Dritten oder überhaupt zwischen Dritten zustande kommen sollen, ist die Frage der bindenden Wirkung für und gegen diese Dritten recht zweifelhaft. Die Schwierigkeit liegt darin, dass Verträge zu Lasten Dritter überhaupt nicht möglich sind, so dass nachteilige Bedingungen des Rahmenvertrags Dritten nur dann entgegengehalten werden können, wenn sich die Dritten im Einzelvertrag mit diesen Bedingungen (durch ausdrückliche oder stillschweigende Bezugnahme auf den Rahmenvertrag) einverstanden erklärt haben. Günstige Bedingungen können, auch ohne Bezugnahme im Einzelvertrag, als berechtigende oder ermächtigende Vertragsklauseln zugunsten Dritter aufgefasst werden (dazu unten Rdn. 291 f). Das Problem liegt in der Bewertung der Günstigkeit, wobei nur die Beurteilung der Umstände des Einzelfalles unter besonderer Berücksichtigung der Interessen des Dritten entscheiden kann. 2 3 4 5

Vgl. BGH NJW-RR 87, 112. BGH NJW-RR 87, 306. BGH NJW 82, 2432. Für Erzeugeranlieferungen in der Landwirtschaft (Molkerei) Fikentscher/Hoffmann, Anm. zu BGH v. 2. 4. 64, Z. f. d. ges. Genossenschaftswesen 66, 178.

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§ 24 II

Begründung des Schuldverhältnisses

§ 24 Draufgabe und Vertragsstrafe I. Draufgabe, §§ 336–338

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Kipp, Theodor, Rechtswahrnehmung und Reurecht, FG Koch 1903, 110; Kunze, Wesen u. Bedeutung der Arrha, 1904; Liebs, Reurecht des Käufers „an der Haustür“? 1970; Mann, Handgeld, Rvgl. Hwb. 4, 208. 1. Die Draufgabe ist eine Leistung des einen Vertragschließenden an den anderen Vertragschließenden aus Anlass des Abschlusses des Vertrags. Welche zusätzlichen Funktionen die Draufgabe im Einzelnen auch haben mag, sie ist stets ein Zeichen zum Beweis des zustande gekommenen Vertrags, § 336 I. Der Gegenbeweis ist aber zulässig. Andere Ausdrücke für die Draufgabe sind: Arrha (altgriechisch), Handgeld, Angeld, Mietstaler. Die Draufgabe ist selten, doch findet sie sich im haus- und landwirtschaftlichen Dienstwesen. Nach den rechtlichen Funktionen lassen sich vier Arten der Draufgabe unterscheiden. 2. a) Draufgabe als verlorene Zugabe (arrha confirmatoria). Sie ist bloß Beweiszeichen und gilt als verloren, auch wenn der Vertrag scheitert. b) Draufgabe als nicht verlorene Zugabe. Sie ist die einzige vom BGB in den §§ 336–338 geregelte Form. Sie ist auf die Leistung des Gebers anzurechnen, § 337 I, und im Falle der Wiederaufhebung des Vertrags zurückzugeben, § 337 II. Ferner hat sie vertragssichernde Funktion und ist insoweit der Vertragsstrafe verwandt, § 338. Deswegen lassen sich einzelne Vorschriften des Vertragsstrafrechts (unten § 24 II), insb. § 343, auf die Draufgabe entsprechend anwenden, vgl. Medicus I, § 38 II 4 m. w. N. c) Draufgabe als Sicherung eines Vorvertrags (arrha pacto imperfecto data). Wer den Hauptvertrag zu schließen sich grundlos weigert, verliert die Draufgabe (in §§ 336–338 nicht geregelt). d) Draufgabe als Reugeld. Der Geber darf unter Verzicht auf die Draufgabe vom Vertrag zurücktreten, §§ 336 II, 346 ff, 353. Reugeld bedeutet danach: Der Rücktritt ist unwirksam, wenn nicht das Reugeld vor oder bei seiner Erklärung entrichtet wird und der andere Teil den Rücktritt deshalb unverzüglich zurückweist. Doch kann das Reugeld dann noch die Rücktrittserklärung wirksam machen, wenn es unverzüglich nach der Zurückweisung gezahlt wird, § 353. Ist das Reugeld schon vorher (als Draufgabe) gezahlt, ist der Rücktritt im Zweifel jederzeit möglich, wobei das Reugeld verfällt, es sei denn, es besteht ein gesetzliches Rücktrittsrecht, RG JW 13, 518. Die Draufgabe ist im Zweifel nicht als Reugeld anzusehen, ein Rücktrittsrecht also nicht gegeben, § 336 II.

II. Vertragsstrafe, §§ 339–345 Beuthien, FS Larenz, 1973, 459; Bötticher, ZfA 70, 3; Canaris, NJW 74, 521; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004; Fischer, Vertragsstrafe und vertragliche Schadensersatzpauschalierung, 1981; Gottwald, FS Zöllner, 2000, 379; Großfeld, Die Privatstrafe, 1961; Hess, C., Die Vertragsstrafe, 1993; Kapellmann/Langen, BB 87, 560; Knütel, AcP 175 (1975), 44; Köhler, FS Gernhuber, 1993, 207; ders., GRUR 1994, 260; Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, 1972; ders., ZIP 86, 817; van Look, Vereinsstrafen als Vertragsstrafen, 1990; Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe 1957; Nees, WRP 83, 200; Oberhauser, Vertragsstrafe – ihre Durchsetzung und Abwehr, 1993; Oertmann, Recht 1913, 186; Reich, NJW 80, 1570; Reifner, BB 85, 87; Reinicke/Tiedtke, DB 83, 1639; C. Schäfer, AcP 202 (2002) 397; K. Schmidt, FS Heinrichs, 1998, 529; Schwerdtner, FS Hilger/Stumpf, 1983, 631; Sossna, Die Geschichte der Begrenzung von Vertragsstrafen, 1993; Tilp, Jura 2001, 441; Weitnauer, FS Reinhardt, 1972, 179.

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1. Die Vertragsstrafe ist ein ähnliches Mittel zur Sicherung des Vertrages wie die vom Gesetzgeber geregelte Draufgabe, jedoch nicht im Zusammenhang mit der Eingehung, sondern mit der Durchführung des Vertrages. Sie ist praktisch viel wichtiger. Die Vertragsstrafe berührt den Vertragsinhalt und stellt im Grunde ein besonderes Schuldverhältnis dar, das im Besonderen Teil des Schuldrechts geregelt sein könnte und nur wegen äußerlicher Ähnlichkeiten im Gesetz zusammen mit der Draufgabe erwähnt ist.

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Draufgabe und Vertragsstrafe

§ 24 II

2. Zweck der Festsetzung einer Vertragsstrafe ist es, den Schuldner zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten anzuhalten. Die Vertragsstrafe soll als Druckmittel die Störung der Hauptverbindlichkeit verhindern. Sie ist von der rechtlich durchsetzbaren Hauptverbindlichkeit abhängig und wird insoweit als unselbständig („akzessorisch“) bezeichnet. Neben dieser Präventivfunktion, von der das Gesetz in den §§ 339 ff ausgeht, beeinflusst die Vertragsstrafeklausel zwar u. U. auch das Schadensersatzinteresse des Gläubigers für den Fall der Leistungsstörung; dabei handelt es sich aber um eine rein wirtschaftliche Auswirkung der Vertragsstrafe, die nichts an deren rechtlichem Charakter als Druckmittel ändert.1 So ist die Verwirklichung der Vertragsstrafe auch gerade von der Entstehung eines Schadens unabhängig, hat also der Idee nach keinerlei Ausgleichsfunktion. Auf dieser Grundlage lassen sich Grenz- und Zweifelsfälle entscheiden: a) Sofern eine zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Vertragsstrafeklausel nach ihrem erkennbaren Hauptzweck Ausgleichsfunktion haben soll, ist darin – unabhängig von der gewählten Bezeichnung (BGHZ 49, 89) – in der Regel keine Vertragsstrafe, sondern die Vereinbarung einer Schadensersatzpauschale zu sehen. Der pauschalierte Schadensersatz soll für den Gläubiger den Nachweis des Schadenseintritts und Schadensumfangs ersetzen. Für die Abgrenzung zur Vertragsstrafe ist maßgeblich, dass die Schadensersatzpauschale die Entstehung eines Schadens als bestehend voraussetzt (die Vertragsstrafe dagegen von einem Schaden unabhängig ist) und sich an der im Einzelfall typischen Schadenshöhe orientiert.2 Maßstab für die Überprüfung von Schadensersatzpauschalen können daher nur die allgemeinen gesetzlichen Grenzen (§§ 309 Nr. 5, 134, 138, 242) sowie schadensrechtliche Grundsätze – insbesondere die Vorteilsausgleichung (unten Rdn. 703), nicht aber die §§ 339 ff sein. b) Verfallklauseln (bzw. Verwirklichungsklauseln) – bei Verletzung der ihm obliegenden Verbindlichkeiten erleidet der Schuldner eine Rechtseinbuße – sind wie Vertragsstrafeklauseln zu behandeln; die §§ 339 ff gelten entsprechend. Vgl. BGH NJW 60, 1568 = ESJ 8; 72, 1893. Schranken für solche Klauseln ergeben sich u. U. aus §§ 498, 1229 und § 6 VVG.3 c) Die sog. selbständige Vertragsstrafe ist ein Strafversprechen für die Enttäuschung eines zugesagten, rechtlich aber nicht erzwingbaren Verhaltens (so die Verpflichtung zur Gratifikationsrückzahlung im Falle der – rechtlich zulässigen – Kündigung).4 Der Unterschied zur unselbständigen Vertragsstrafe besteht demnach im Fehlen der Akzessorietät zur Hauptverbindlichkeit (vgl. § 343 II). 3. Praktische Bedeutung erlangt die Vertragsstrafe vor allem zur Sicherung termingebundener Geschäfte oder starker wirtschaftlicher Interessen. Sie findet sich z. B. häufig im Bauwesen: Der Bauunternehmer verspricht die Herstellung eines Bauwerks bis zu einem bestimmten Tag und eine Vertragsstrafe für jeden Tag der Fristüberschreitung. Auch zur Sicherung der Mitgliederpflichten eines Kartells wird regelmäßig die Vertragsstrafe verwandt.5 Aufgrund der Vertragsfreiheit können Vertragsstrafevereinba1 So Lindacher 57 ff; Medicus I, § 39 12. Anders die h. M., nach der die Vertragsstrafe auch der Erleichterung des Schadensausgleichs für den Gläubiger durch Fixierung eines Mindestschadens dient, vgl. BGHZ 63, 259; BGH LM § 339 Nr. 19; Jauernig/Stadler, § 339 Rdn. 3. 2 Vgl. BGHZ 49, 84/89; 131, 356. 3 Letzteres ist streitig vgl. Lindacher, JuS 75, 289 ff; Klein, BB 80, 391 ff. 4 OLG Düsseldorf DB 72, 181; Bötticher, ZfA 70, 19; anders die st. Rspr. des BAG, vgl. Palandt/ Weidenkaff, § 611 Rdn. 81 ff. 5 Die Vereinsstrafe gehört systematisch zum Vereinsrecht, vgl. Medicus I, § 39 I 3; ders., BGB AT,

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§ 25 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

rungen abweichend von der gesetzlichen Regelung in §§ 339 ff gestaltet werden. § 344 ist allerdings zwingend. 4. Nach § 339 ist die Vertragsstrafe verwirkt, wenn der Versprechende in Verzug gerät, im Falle einer versprochenen Unterlassung mit der Zuwiderhandlung. Auch im zweiten Fall ist Verschulden Voraussetzung, § 286 IV analog. Aus den in §§ 340 bis 345 geregelten Einzelheiten sind die Beweislastregel des § 345 und die richterliche Herabsetzungsmöglichkeit des § 343 erwähnenswert. Der Schuldner ist insoweit gegen missbräuchlich zu hoch angesetzte Vertragsstrafen geschützt. Die Herabsetzungsmöglichkeit gilt nicht für Kaufleute, § 348 HGB. Eine Vertragsstrafe für den Fall der Nichterfüllung verdrängt i. d. R. den Erfüllungs-, nicht aber den Schadensersatzanspruch, § 340.6 Eine Vertragsstrafe für den Fall der nicht gehörigen, insbesondere nicht rechtzeitigen Erfüllung lässt den Erfüllungsanspruch unberührt; der Gläubiger muss sich dann bei Annahme der Erfüllung das Recht aus der Vertragsstrafe vorbehalten, sonst verliert er es, § 341. Sondervorschriften für Vertragsstrafen und Schadenspauschalierungsklauseln enthalten § 309 Nr. 6 und 5 (für Vertragsstrafen oder Schadenspauschalierungsklauseln in AGB); §§ 555, 1297 II; 75c, d HGB (für Vertragsstrafen beim Wettbewerbsverbot des Handlungsgehilfen); § 12 II Nr. 2 BBiG; § 2 V Nr. 1 FernUSG; § 4 Wo VermG.7 5. Vereinzelt wird die Vertragsstrafe als Möglichkeit zur zivilrechtlichen Sanktionierung des Warenhausdiebstahls angesehen. Bei den oft in den Verkaufsräumen ausgehängten Hinweisschildern – wonach jeder ergriffene Ladendieb eine bestimmte Summe zu zahlen hat – handelt es sich zwar wegen des in erster Linie verfolgten Präventivzwecks um eine Vertragsstrafenklausel;8 wirksam wird diese aber erst, wenn sie Vertragsinhalt geworden ist, der Dieb also „nebenbei“ auch etwas gekauft hat (Arzt, JuS 74, 696). Es geht zu weit, dem (Nur-)Ladendieb eine konkludente Erklärung des Inhalts anzulasten, dass er die Vertragsstrafenklausel akzeptiert (vgl. Wollschläger, NJW 76, 12; a. A. Canaris, NJW 74, 521 ff). Auch die Lösung derartiger Fälle über die Lehre vom sozialtypischen Verhalten erscheint wegen der damit verbundenen Negierung des Willensmoments bedenklich.9

3. Abschnitt

Inhalt des Schuldverhältnisses § 25 Bestimmung des Leistungsinhalts im allgemeinen. Allgemeine Geschäftsbedingungen Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989; Henke, H.-E., Die Leistung, 1991; Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I 1996.

I. Übersicht 143

1. Der 1. Abschnitt behandelte den Begriff, der 2. die Begründung des Schuldverhältnisses. Im gegenwärtigen 3. Abschnitt (§§ 25–37) geht es um den Inhalt des Schuldver-

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Rdn. 1120 ff; Larenz, GS Dietz, 1973, 45 ff; die Betriebsstrafen zählen zum Arbeitsrecht, Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, § 18 X. § 340 ist – gegen die h. M. – nicht ohne weiteres dispositiv, vgl. BGHZ 63, 256. Im übrigen würde für eine Vereinbarung in AGB, daß Vertragsstrafe und Schadensersatz nebeneinander in voller Höhe zu entrichten sind, § 307 eingreifen mit der Folge, dass die Vereinbarung unwirksam ist. Zu diesen gesetzlichen Grenzen der Inhaltsfreiheit hinsichtlich der Vertragsstrafe und der Schadenspauschalierung s. insb. Fischer, aaO, 92 ff, 182 ff. AG Schöneberg NJW 74, 1823; vorsichtiger BGHZ 75, 230; dazu Zimmermann, JZ 81, 86; Pecher, JuS 81, 645. Vgl. oben Rdn. 75. Zur schadensrechtlichen Problematik des Ladendiebstahls unten Rdn. 695.

Bestimmung des Leistungsinhalts

§ 25 I

hältnisses, im folgenden 4. um seine ordnungsgemäße Beendigung. Das Schicksal eines normalen, ungestörten Schuldverhältnisses soll auf diese Weise in zeitlicher Folge und unabhängig vom Aufbau des Gesetzes beschrieben werden. Mit den Störungen eines Schuldverhältnisses beschäftigt sich der 5. Abschnitt ,,Leistungsstörungen“. An dieser Stelle muss demnach die Frage stehen: Wie bestimmt sich die Leistung, das also, was geschuldet wird? Die Leistung ist dabei als Inbegriff alles dessen zu verstehen, was aufgrund eines Schuldverhältnisses geschuldet ist, s. § 7 oben. Die „Leistung“ schließt also Haupt- und Nebenleistung ein. „Leistung“ bedeutet sowohl das, was gegenständlich zu leisten ist (z. B. die gekaufte Sache), als auch zugleich alle Aufklärungs-, Obhuts-, Sorgfalts- und Mitteilungspflichten (z. B. ordnungsgemäße Verpackung, ordnungsgemäße Versendung, ausreichende Gebrauchsanweisung); zu den abweichenden Theorien oben § 7. 2. Im Gutachten verläuft der Gedankengang ebenso: Zunächst ist zu prüfen, ob ein Schuldverhältnis begründet worden ist (oben §§ 16–24). Dann ist der Inhalt des Schuldverhältnisses zu bestimmen, damit ermittelt wird, was der eine dem anderen schuldet. (Zu den Schranken der Inhaltsfreiheit s. o. Rdn. 117 ff). Danach ist zu fragen, ob das Schuldverhältnis ordnungsgemäß beendet wurde. Erst dann ist auf Leistungsstörungen einzugehen. 3. Bei der Inhaltsbestimmung der Schuldverhältnisse lassen sich zwei Grundtendenzen unterscheiden: Die eine stellt den subjektiven Willen der Beteiligten in den Vordergrund, die andere gewährt dem Schuldverhältnis ein gewisses objektives Eigenleben (vor allem Larenz, Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 1930). Diese Tendenzen stellen nur die Fortsetzung der Gedanken dar, die der Bindungswirkung der Verträge zugrunde liegen (Rdn. 22). Da der grundsätzliche Primat des Willens im Vertragsrecht kaum bestreitbar ist, werden diese Theorien nur in Grenzbereichen praktisch wirksam. So spielen sie eine Rolle bei der ergänzenden (besser: erläuternden) Vertragsauslegung (Rdn. 158), bei der Geschäftsgrundlage (§ 27) und der Zweckerreichung (Rdn. 393 ff). Dort ist auf die hier nur anzudeutende „subjektive“ und „objektive Vertragstheorie“ einzugehen. Mit dem Aufbau des Gutachtens hat das nichts zu tun, aber der geschuldete Leistungsinhalt kann davon abhängen. 4. Der Inhalt eines Schuldverhältnisses ist begrifflich zu trennen von den Motiven, welche die Parteien bei Eingehung des Schuldverhältnisses haben. Die Motive bleiben einseitig, sie werden nicht Vertragsinhalt. Werden sie durch Parteivereinbarung zum Vertragsinhalt erhoben, verlieren sie ihren Charakter als Motiv. Wer einen Verlobungsring kauft, kann ihn nicht zurückgeben, weil aus der geplanten Verlobung nichts wird (Motiv), es sei denn, er hat beim Kauf das Zustandekommen des Verlöbnisses zur Bedingung für den Kauf gemacht (Vertragsinhalt). Wer ein Auto kauft, kann den Vertrag nicht hinfällig machen, weil er tags darauf in einem Preisausschreiben eins gewinnt. Nur Inhaltsirrtümer berechtigen zur Anfechtung, 119 I (1), nicht Motivirrtümer, es sei denn, sie betreffen verkehrswesentliche Personen- oder Sacheigenschaften, 119 II. Doch können besonders wichtige und in bestimmter Weise herausgehobene Motive als Vertrauensumstände über § 242 zu einer Lösung vom Schuldverhältnis führen, unten Rdn. 209 ff. § 313 bezeichnet diesen Teil der Motive als „Geschäftsgrundlage“. Zu unterscheiden vom Motiv im Sinne einer Zwecksetzung ist der „Rechtszweck“ oder „Zweck“ eines Vertrages. Das Synallagma selbst kann als Zweckstruktur gesehen werden 1, dessen Grund in der allgemeinen Finalität menschlichen Handelns liegt.2 Die Parteien wollen Verträge nur unter bestimmten Umständen und zu bestimmten Zwecken abschließen. Diese Zwecke bestimmen die Geltungsgrenzen und den Haftungsrahmen des Vertrags.3 Abzulehnen ist ein objektiver Geschäftszweck, den die objektive Vertragslehre (Larenz, Esser) in den Vertrag hineinliest. Die Übersicht auf den Seiten 92 und 93 deutet die Unterschiede von Vertragsinhalt, „Geschäftsgrundlage“ und Motiven an.

1 Hierzu näher Klinke, Causa und genetisches Synallagma, 1982, S. 19 ff. 2 Klinke aaO; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 23 ff. 3 Näher sogleich.

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Inhalt des Schuldverhältnisses

5. Von diesem Gegensatz Motiv (im Sinne von Zweckvorstellung) – Vertragsinhalt zu unterscheiden ist eine ganz andere Bedeutung des Wortes „Rechtszweck“ oder „Zweck“. Jeder Vertrag unterliegt einer doppelten Begrenzung: Seinen „Geltungsgrenzen“ und seinen „Haftungsgrenzen“, vgl. dazu auch unten Rdn. 1545. a) Seine „Geltungsgrenzen“ überschreitet ein Vertrag, wenn die Parteien redlicherweise sagen würden: Unter diesen Umständen sollte der Vertrag nicht gelten, diesen Zwecken sollte der Vertrag nicht dienen. Dies ist der Bereich des zum Vertragsinhalt erhobenen Zwecks oder, wie die Anhänger einer objektiven Vertragstheorie (Larenz, Esser) sagen, des „Geschäftszwecks“. Der Vertrag trägt aber keinen objektiven Geschäftszweck in sich (so die in diesem Buch vertretene subjektive Vertragstheorie, unten Rdn. 158, 202 ff, 393ff). Wohl aber befinden die Parteien über die Geltungsgrenzen ihres Vertrags. Zum Tragen kommen diese Geltungsgrenzen in den Lehren von der Erfüllung und von der Leistungsbefreiung; die Fälle der Anfechtung (§§ 119 ff), der §§ 134, 138 und der „Geschäftsgrundlage“ zählen also auch dazu, unten §§ 26, 27. Orchideenzüchter A kauft von B eine Orchidee zu 5,–. Beide wissen nicht, dass es sich um eine sehr seltene und wertvolle brasilianische Orchidee handelt, die 1500,– wert ist. Jetzt erfährt B davon. B kann wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Sache (wertbildender Faktor; reiner Wert- oder Preisirrtum würde nicht ausreichen) nach § 119 II anfechten. Die Geltungsgrenzen des Vertrags sind überschritten. Beim „Geschäftszweck“ (im Sinne Essers) geht es also darum, ob Umstände, die in der Person eines oder beider Partner liegen können oder nicht, kraft gesetzlicher Anordnung (insofern „objektiv“) eine Geltungsgrenze darstellen. b) Die „Haftungsgrenzen“ eines Vertrages bestimmen, wieweit eine Partei, falls der Vertrag gilt, mit dem Risiko der Inanspruchnahme infolge vertraglicher Bindung belastet wird. Einschlägig ist das Recht der Leistungsstörungen. Kaktuszüchter A kauft von B einen Kaktus im Wert von 5,–. Der Kaktus ist verlaust, und die sich schnell vermehrenden Läuse vernichten A’s Kakteenzucht im Wert von 15 000,–. B haftet aus §§ 437 Nr. 3, 280 I grundsätzlich auf 15 000,– (unten Rdn. 873). Beachte aber § 254! Das Beispiel zeigt, wie weitgehend Gesetz und Rechtsprechung die Haftungsgrenzen des Vertrags ziehen. Das eigentliche Erfüllungsrisiko (5,–) bildet keineswegs eine Begrenzung für das vertragliche Haftungsrisiko! Haftungsbegrenzungen können aber vereinbart werden; so häufig durch AGB (unten VI). 6. Der Begriff des Rechtsgrundes causa, der dem „Geschäftszweck“ oft an die Seite gestellt wird, ist also vieldeutig. Er bezeichnet mindestens dreierlei: die Abgrenzung des Vertragsinhalts von den Motiven (Motiv = „einseitiger Geschäftszweck“ = causa), die Geltungsgrenzen („gemeinsamer Geschäftszweck“) und die Haftungsgrenzen (Einwendungen gegen zu weite Haftung aus dem „Zweck“ des Vertrags). Die Verwendung für den erstgenannten Zweck ist verfehlt, denn eine Enttäuschung in den Motiven führt gerade nicht zum Wegfall des Vertrags. Für die beiden anderen Zwecke leistet der causa-Begriff viel, nämlich eine übergeordnete Vorstellung von den insgesamt gegen eine vertragliche Verbindlichkeit vorbringbaren Einwendungen. „Kausal“ bedeutet insoweit: Angreifbar mit Einwendungen, die zum Wegfall oder zur Beschränkung der Leistungspflicht führen. „Abstrakt“ ist das Gegenteil: Unangreifbar durch Einwendungen (vgl. §§ 780, 781). Begrenzte Abstraktion ist dabei ebenso möglich wie mehrstufige „Kausalität“ und „Abstraktion“, näher oben § 12 u. unten § 98.

II. Schuldverhältnisse aus Gesetz 149

Hier bestimmt das Gesetz selbst den Inhalt der Leistungspflicht, vgl. 823 ff, 677 ff, 741 ff. Zu berücksichtigen sind die anerkannten Regeln der Gesetzesauslegung, zunächst die Auslegung, die das Gesetz sich selbst gibt – Legalinterpretation – (z. B. 823 I, 276 II: Fahrlässigkeit), danach die wissenschaftliche Auslegung. Deren wichtigste Methoden sind: die philologische, die logische, die systematische, die historische und die teleologische Interpretation (siehe dazu die Lehrbücher des Allgemeinen Teils des BGB). Auch in gesetzlichen Schuldverhältnissen gilt, sobald sie einmal entstanden sind, § 242, was sich für die unerlaubten Handlungen, die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag schon aus der systematischen Stellung ergibt.

90

Bestimmung des Leistungsinhalts

§ 25 V

III. Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäft Ihr Inhalt wird ermittelt nach folgender Rangordnung, die zugleich die Reihenfolge für die Prüfung im Gutachten festlegt: 1. Zwingendes Gesetzesrecht (ius cogens), dazu IV; 2. Der rechtsgeschäftliche Wille der am Schuldverhältnis Beteiligten, dazu V und, die ebenfalls zum rechtsgeschäftlichen Willen gehörigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) betreffend, VI; 3. Treu und Glauben im Verkehr (§ 242), dazu VII, und näher § 26; 4. Nachgiebiges Gesetzesrecht (ius dispositivum), dazu VIII; 5. Bestimmte Hilfsregeln (Bestimmung des Leistungsinhalts durch Partei, Gläubiger der Gegenleistung, dritte Personen, Taxe, Richter), dazu IX. Ein Prüfungsschema folgt am Schluss, X; zu den Begriffen siehe umseitige Übersicht.

150

151

IV. Zwingendes Gesetzesrecht (ius cogens) Es gilt in rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnissen stets, wenn aufgrund der Parteivereinbarungen das Schuldverhältnis zustande gekommen ist, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob ein auf den Inhalt des Schuldverhältnisses bezogener entgegenstehender Wille der Parteien vorliegt oder nicht. Selbstverständlich können die Parteien zwingende Gesetzesbestimmungen inhaltlich in ihren Vertrag aufnehmen. Das hat dann nur die Bedeutung einer Wiedergabe des Gesetzestextes. Die rechtsgeschäftliche Vereinbarung beschränkt sich also auf das „Ob“ des Vertrags. Sein Inhalt wird, soweit ius cogens besteht, vom Gesetz allein, ohne und sogar gegen den Parteiwillen normiert.

152

Beispiele: §§ 276 III, 617, 618, 619; Tarifvertragsbestimmungen als Mindestnormen, § 4 III TVG.

Zwingendes Gesetzesrecht ist im Bereich des Schuldrechts selten, die Parteiautonomie herrscht vor. In den letzten Jahren wurde jedoch unter dem Aspekt des Schutzes des Schwächeren – Stichwort Verbraucherschutz – eine Vielzahl zwingender Normen erlassen, so z. B. bei den besonderen Vertriebsformen (§§ 312 ff), dem Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff) oder im Miet- oder Reisevertragsrecht. Im Verbraucherschutzrecht sind Normen häufig nicht vollständig zwingend, sondern lediglich „halbzwingend“, d. h. es kann von den betreffenden Vorschriften zwar zum Nachteil des Unternehmers, nicht aber zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden, selbst wenn sich dieser einverstanden erklärt (s. z. B. §§ 312 f S. 1, 475), s. u. § 49. Wenn der zwingende Charakter nicht im Gesetz ausdrücklich festgehalten ist, ist es Auslegungsfrage, ob ein Rechtssatz zwingend ist, vgl. das „kann nicht“ in § 276 III. Für zwingenden Charakter sprechen die Ausdrücke „kann nicht“, „darf nicht“, „muss“ sowie unabhängig vom Wortlaut die Schutzbedürftigkeit des von dem betreffenden Rechtssatz Begünstigten, z. B. in § 624. Für nachgiebigen Charakter spricht im Zweifel eine gleiche Macht- und Risikolage der Beteiligten. Steht nur eine Einzelbestimmung des Vertrages zwingendem Gesetzesrecht entgegen, so gilt nicht § 139, sondern es tritt an deren Stelle die zwingende gesetzliche Regelung (BGHZ 40, 235, 238 f).

V. Der rechtsgeschäftliche Wille 1. Das Schwergewicht bei der Ermittlung des Leistungsinhalts liegt auf dem rechtsgeschäftlichen Willen des oder aller am Schuldverhältnis Beteiligten. Wozu sie sich verpflichten wollten, ist grundsätzlich maßgebend. Alle übrigen Bestimmungskriterien sind Hilfen, Ergänzungen und Korrekturen.

91

153

§ 25 V

Inhalt des Schuldverhältnisses

Begriffe bei Vertragsschluss, Irrtum, Geschäftsgrundlage und persönlicher Vertrauensgrundlage, Zweckverfehlung.* Die Prüfung im Gutachten erfolgt im Allgemeinen von rechts nach links Kein Vertragsinhalt Rechtsgrundlagen

242

119

Motive = Geltungsunerhebliche Zwecksetzungen Nicht Inhalt des Rechtsgeschäfts und für Rechtsgeschäft unerheblich …

Beispielsfälle**

16,11

Nicht Inhalt des Rechtsgeschäfts, aber ausnahmsweise für Rechtsgeschäft erheblich, nämlich:

3. 2078

15

1. Gesetzl. Fälle ausnahmsweise erheblicher Motivirrtümer (119 II)

2. Vertrags- oder Vertragsgrundlage b) Geschäftsgrundlage

a) persönliche Vertrauensgrundlage

14,11

13,12

b) 2. Alt. (sachen)

11

a) 1. Alt. (Personen)

10

* Übersicht zu Rdn. 151. ** Vgl. dazu die frühere Fassung dieser Übersicht in Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1970, 30; ders., Schuldrechtspraktikum, 1972, 90; die Beispielsfälle finden sich im „Schuldrechtspraktikum“, die Erläuterungen zu den Risikobegriffen in der „Geschäftsgrundlage“.

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Bestimmung des Leistungsinhalts

II

§ 25 V

Auslegung des Vertragsrisikos (133, 157)

Vertragsinhalt 119 I (1)

Geschäftswille (geltungserhebliche Zwecksetzungen) Sachzwecke (vertraglicher Bindungswille Risikorahmen) besondere (im Einzelvertrag)

122 analog?

Erklärung

sachtypische vergekehrs- setzestytypische pische

9b

9a

c

8 b

a

7

objektivierte Erklärung

Handlungs-

Erklärungs-

bewille wusstsein

bewille wusstsein (potentielles Erklärungsbewusstsein genügt)

      

bei Zuwendungen einschließlich vertragscharakt. Geschäftszweck (causa acquirendi, causa nur geltungserheblich, donandi oder soweit sie Risikorahmen Sicherungsabstecken zweck (a, b)); er ist beiden Parteien gemeinsam und besteht aus: 1. Formalem Bindungswillen 2. Gleichbehandlungsabrede der jeweiligen Vertragsrisiken (c). 9c

119 I (2)

6

5

4

3

wichtig für Vertragsschluss, §§ 145, 146;154, 155 (Dissens); Prüfung: 1. Einzelerklärungen 2. Kongruenz 3. Sinndeutung der kongruenten Erklärungen 2

1

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§ 25 V

154

155

Inhalt des Schuldverhältnisses

2. Die Frage, was die Parteien mit ihrem Schuldverhältnis gewollt haben, ist ein Teilproblem aus der Lehre von den Willenserklärungen. Insoweit ist auf das Schrifttum zum Allgemeinen Teil des BGB zu verweisen. Die Fragen, was eine Willenserklärung ist und wie der Inhalt eines Vertrags ermittelt werden soll, sind verwandt, aber nicht identisch. Die erste ist rein dogmatisch-konstruktiver, die zweite auch praktisch-empirischer Natur. Dies bedingt, dass zur Beantwortung der zweiten Frage (bei der Bestimmung des Leistungsinhalts) bei der äußeren, empirisch-feststellbaren Erklärung angesetzt werden muss, ehe die dogmatische Wertung beginnen kann. Das bedeutet aber noch nicht, dass dem Begriff der Willenserklärung der Wille als Wesenskern abgesprochen werden kann. 3. Hieraus folgt, dass für den gegenwärtigen Zweck als erste die Frage gestellt werden muss: Was haben die Parteien erklärt? Was ist – rein äußerlich gesehen – vereinbart worden? Es ist also vom Wortlaut des Vertrags auszugehen, auf den sich die Parteien geeinigt haben. a) Dann gilt es, den entscheidenden Schritt zu tun, den vom blanken Wortlaut zum rechtsgeschäftlichen Willen. Gelegentlich ist er dem objektiv urteilenden Betrachter – auf ihn kommt es an – deutlich. Oft aber bedarf es der Auslegung. Sie fragt nach dem wahren Willen und haftet nicht am Wortlaut, 133. Die Regeln für die Auslegung von Willenserklärungen sind ähnlich, aber nicht gleich denen für die Auslegung des Gesetzes (oben Rdn. 149). Die im Folgenden zu besprechenden Unterschiede sind sämtlich darauf zurückzuführen, dass das Gesetz objektives Recht schafft, der Vertrag aber nur subjektive Rechte zwischen den Parteien. Der Vertrag führt also kein von den Willenserklärungen der Betroffenen unabhängiges Eigenleben, selbst da, wo es um die ,,Haftungsgrenzen“ (oben Rdn. 147) geht, weil auch sie auf einer Zurechnung an die vertraglich – und in soweit verantwortlich – aneinander Gebundenen beruhen. Der Vertrag braucht grundsätzlich nicht mehr Interessen gerecht zu werden als denen der Sich-Erklärenden, und nicht mehr Bedürfnisse zu befriedigen als die der Parteien (grundlegend anders Larenz I § 6 I, abgeschwächt allerdings seit der 13. Aufl.). Freilich sind objektive Gesichtspunkte bei der Auslegung zu berücksichtigen, aber das geschieht vor allem im Interesse der Vertragsparteien, 157. b) Damit ist zugleich eine Stellung bezogen im Streit zwischen der Willens- und der Erklärungstheorie. Die Willenstheorie sagt: Es gilt das Gewollte, auch dann, wenn die Erklärung den Willen nur unvollkommen oder falsch wiedergibt. Die Erklärungstheorie lässt das Erklärte gelten. Weicht der Wille ab, so kann das allenfalls zu nachträglichen Änderungen (z. B. Anfechtung) führen. Das BGB nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein.4 § 133 spricht für die Willenstheorie. Die §§ 118, 157 und das Recht der Anfechtung, das der nachträglichen Beseitigung zunächst gültiger Erklärungen gilt, sprechen für die Erklärungstheorie. Man kann also streiten, ob das BGB eine durch Willenselemente abgeschwächte Erklärungstheorie oder eine Willenstheorie mit Zugeständnissen an den Erklärungswert vertritt. Gewichtet man die Gesetzesäußerungen, kommt § 133 die zentrale Bedeutung zu. Man kann also sagen: Das BGB vertritt die Willenstheorie, ergänzt durch eine Vielzahl von Vertrauensschutzregeln, die in die Richtung der Erklärungstheorie deuten. Dass man für die Ermittlung des Vertragsinhalts

4 Zur Erklärungsfahrlässigkeit BGHZ 91, 324, kritisch Ahrens, JZ 84, 986; Emmerich, JuS 84, 971; Canaris, NJW 84, 2279; Brehmer, JuS 86, 440; richtiger Ansicht nach ist sie abzulehnen, da sie mit der Struktur der §§ 104 ff nur schwer vereinbar ist.

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Bestimmung des Leistungsinhalts

§ 25 V

zunächst einmal vom Erklärten auszugehen hat, steht damit nicht in Widerspruch, sondern entspricht sowohl dem berechtigten Schutzinteresse des Rechtsverkehrs als auch einem praktisch-empirischen Ansatz. 4. Danach gilt für die Feststellung des Schuldinhalts folgende Stufenleiter: a) Zunächst ist zu fragen: Was wurde vereinbart? Maßgebend ist der objektive Sinn der Erklärungen (in Verträgen: soweit sie sich decken), wie er sich einem Außenstehenden, vernünftig Urteilenden darstellt, 157. Das umfasst drei Denkschritte: (1) Was ist der objektive Sinn der einzelnen Erklärungen? (2) Wie weit decken sie sich? Und (3): Welchen Erklärungswert haben die sich deckenden Erklärungen (zur Sinnermittlung dieser Erklärungskongruenz dienen die Einzelerklärungen wiederum als empirisches Material)? Dabei kann man jeweils das ausdrücklich und das stillschweigend Erklärte unterscheiden.

156

Die Mutter, die sich für ihren missratenen Sohn verbürgen will, händigt dem von dem Sohn Bestohlenen einen Zettel aus, auf den sie schreibt: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich ziehe es meinem Sohn vom Vermögen ab. Unterschrift.“ Der Bestohlene sagt dazu nur: „Gut, dann werde ich Ihren Sohn nicht anzeigen.“

b) Nach der Feststellung des Wortsinns ist zu fragen, was die Parteien in Wahrheit mit ihren Erklärungen gewollt haben. Denn nach § 133 ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Erst durch die Ermittlung des in der Erklärung zutage tretenden Willens wird eine Erklärung zur Willenserklärung im Sinne des Gesetzes. Das Dreierschema von oben Rdn. 156 wiederholt sich.

157

In der Erklärung der Mutter des missratenen Sohnes liegt der Wille, sich gemäß §§ 765 ff für seine Schuld an den Bestohlenen zu verbürgen. Der Bestohlene nimmt das Angebot an. Die Erklärungen decken sich inhaltlich, also kommt ein Bürgschaftsvertrag zustande.

c) Als Drittes ist zu fragen, ob sich aus den Umständen, unter denen die Willenserklärungen abgegeben wurden, etwas für ihren Sinn und Inhalt ergibt. Es handelt sich um eine Korrektur der Willensermittlung im Sinne einer Anpassung an das objektiv Übliche. Maßstab ist dabei § 157, der die Frage so stellt: Wie sind die Willenserklärungen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu verstehen? § 157 gilt vor allem (nicht nur) für Verträge. Das ist berechtigt, weil ein Vertragspartner sich regelmäßig am Verkehrswert einer gegnerischen Willenserklärung orientiert. d) Neben der eigentlichen Vertragsauslegung ist heute die sog. ergänzende Vertragsauslegung weithin anerkannt. Sie soll Lücken eines nach §§ 154, 155 wirksam geschlossenen Vertrags schließen. Die „Lücke“ kann unter Anwendung der drei Ermittlungshilfen, oben Rdn. 156, festgestellt werden; zum Begriff der Lücke BGHZ 40, 91. Streitig ist, nach welchen Maßstäben die Lücke zu schließen ist. BGHZ 96, 313, 320 geht, ähnlich wie Henckel (AcP 159 [1960], 106, 117), von einem hypothetischen Parteiwillen als „Interessenabwägung auf objektivierter Grundlage“ aus. Larenz (NJW 63, 737, 739) gelangt mit seiner Lehre vom Vertragsgegenstand zu ähnlichen Ergebnissen. Dies ist nicht unbedenklich, da damit der Vertrag als objektiviertes, von den Parteien abstrahiertes Ganzes gesehen wird und der „hypothetische Parteiwille“ mehr mit Üblichkeitsund Billigkeitskriterien als mit dem festzustellenden Willen der Parteien zu tun hat. Die ergänzende Vertragsauslegung vermengt dann unzulässig, was die Parteien wollten und was sie sich nach Treu und Glauben schuldig sind. Daher ist eine auf der objektiven Vertragstheorie fußende ergänzende Vertragsauslegung im Sinne eines „Weiterdenkens“ des Parteiwillens nach objektiven Kriterien der Üblichkeit und Billigkeit abzulehnen, Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 34, Anm. 102. Richtigerweise ist eine ergänzende Vertragsauslegung nur insoweit zuzulassen, als sie den Parteiwillen nach den Kriterien des

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158

§ 25 V 5

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Inhalt des Schuldverhältnisses

§ 157 ermittelt und Lücken aus dispositivem Gesetzesrecht ergänzt. Existiert solch dispositives Recht nicht, so ist die Lücke eben hinzunehmen.5 Dann bedarf es getrennt davon einer Prüfung des § 242 einschließlich der Grundsätze der persönlichen Vertrauensgrundlage und der Geschäftsgrundlage, dazu Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 22 ff (dort auch zur Bedeutung der Geschäftstypik) und unten Rdn. 193 f u. §§ 26, 27.6 Nachdem der BGH in schwankender Rechtsprechung eine ergänzende Vertragsauslegung gegen den im Vertrag zum Ausdruck kommenden Parteiwillen zunächst abgelehnt (BGHZ 9, 273, 278), in BGHZ 23, 282, 285 aber den Parteiwillen in den Vordergrund gestellt hatte, hat er sich nun einer ergänzenden Vertragsauslegung nach objektiven Kriterien zugewendet (BGHZ 7, 231, 235; 19, 110, 112; 25, 1; 29, 107, 110 = ESJ 9 – Industriehafengelände –; 33, 37; 33, 163, 165; 70, 151). Trotz nochmaliger Ablehnung in BGH NJW 74, 551 und BGH NJW 80, 2347 7, hat er diese Kriterien in BGH NJW 84, 1177 und BGHZ 90, 69 wiederaufgegriffen und in BGHZ 96, 313, 320 (s. o.) weitergeführt. Die Tendenz des BGH geht also zur objektiven, ergänzenden Vertragsauslegung. e) Zusammengefasst gilt vom Standpunkt der hier vertretenen subjektiven Vertragstheorie für die Ermittlung des rechtsgeschäftlichen Willens – unter vorläufiger Außerachtlassung der AGB – folgende Prüfungsreihe: (1) das ausdrücklich oder stillschweigend objektiv Erklärte, 154, 155, 157 (2) Ermittlung des Willens, 133 (3) Einschränkung durch das objektiv Übliche, den Umständen Gemäße, 157 (4) erläuternde Vertragsauslegung bei Lücken (statt der ergänzenden Vertragsauslegung im Sinne eines „Weiterdenkens“ aufgrund der obj. Vertragstheorie). 5. Welche Rolle spielen bei der Ermittlung des Vertragsinhalts die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ (AGB)?

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Vorformulierte Klauseln, die häufig als „Kleingedrucktes“ in einen Vertrag einbezogen werden, zählen, um das Ergebnis des nächsten Abschnitts vorwegzunehmen, zum rechtsgeschäftlichen Willen, und dort grundsätzlich zum ausdrücklich oder stillschweigend objektiv erklärten, dessen Inhalt im Rahmen der Verkehrssitte zu ermitteln ist. Die AGB sind daher heute unstreitig der rechtsgeschäftlichen Bestimmung des Leistungsinhalts zuzuordnen. Wie AGB Vertragsbestandteil werden, war bis zum Inkrafttreten des AGB-Gesetzes (1. 4. 1977) streitig. Niemals zur h. M. wurde die extreme Theorie, die in AGB objektives Recht erblickte. Nach dieser Auffassung handelt es sich bei AGB um „selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft“ (Hans

5 So zutreffend Medicus, AT, Rdn. 344. 6 Wie hier Nicklisch, BB 80, 949; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagestörungen in Schuldverträgen 1981, 25; a. A. Medicus, FS Flume I, 1978, 629. 7 BGH NJW 80, 2347: „Die richterliche Auslegung darf nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen; und sie muß in dem Vertrag auch eine Stütze finden … Sie muß sich als zwingende, selbstverständliche Folge aus dem Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so daß ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde …“ Dies ist der alte Standpunkt des RG in RGZ 87, 213 – Rübenbahnweiche –. Hilfreich ist die Frage: Hätten die Parteien, wenn sie die Vertragslücke vorhergesehen hätten, die jetzt diskutierte Ersatzlösung erst recht gewollt? Wenn ja, dann ist die Ersatzlösung vom Parteiwillen umschlossen. Die Frage wäre in BGHZ 29, 107 zu bejahen, in RGZ 87, 213 zu verneinen gewesen.

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§ 25 VI

Großmann-Doerth). Aber Normsetzung und Delegation dazu sind im Rechtsstaat dem Gesetzgeber vorbehalten. Die Gegenmeinung, nach der AGB nur als Vertragsbestandteil und dann nur zwischen den Parteien Geltung haben, wurde stets mehrheitlich vertreten. Aber innerhalb der h. M. rangen zwei Auffassungen bis zum Inkrafttreten des AGBG um Anerkennung, die Unterwerfungs- und die Verweisungstheorie. Der BGH sprach von der Unterwerfung des Einzelnen unter AGB, wenn er ihre Verwendung kannte oder mit ihr rechnen musste; von ihrem Inhalt brauchte er dabei nicht Kenntnis zu nehmen (BGHZ 9, 1; 17, 1, 2). Demgegenüber vertrat die h. M. im Schrifttum, dass die Parteien in ihrem Vertrag auf den Text der AGB verweisen wollen, weil die AGB aus Gründen der Vereinfachung des Vertragsschlusses nicht in den Vertragstext aufgenommen werden sollten. Nach der Verweisungstheorie mussten beide Parteien mit der Geltung der AGB einverstanden sein; von deren Inhalt brauchten sie keine Kenntnis zu nehmen. § 305 II folgt der Verweisungstheorie.

Die Zulässigkeit von AGB wurde zunächst nach § 138 (Monopolstellungen) und dann nach §§ 157, 242 (Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte) beurteilt. Am 1. 4. 1977 trat das AGB-Gesetz in Kraft, das eine detaillierte Regelung brachte. 1993 wurde die EG-„Klausel-Richtlinie“ erlassen, die nur wenige Änderungen im deutschen Recht zur Folge hatte.8 Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung wurden die AGB-Regeln – wie einige andere Sondergesetze auch – in das BGB inkorporiert, §§ 305 ff. Es wurde „zusammengeführt, was zusammen gehört“.9 Die AGB-Regeln im BGB sind richtlinienkonform, also in Übereinstimmung mit der europäischen KlauselRichtlinie auszulegen. Die Regeln über allgemeine Geschäftsbedingungen befinden sich in Abschnitt 2 des Zweiten Buchs des BGB, also im Bereich „Schuldrecht – Allgemeiner Teil“. Der Standort war umstritten. AGB berühren sowohl den Allgemeinen Teil (insbesondere Einbeziehung von AGB, Unwirksamkeitsfolgen, allgemeine Rechtsgeschäftslehre) als auch das Sachenrecht (z. B. Sicherungsgeschäfte). Es wurde deshalb vorgeschlagen, die AGB-Regeln aufzuspalten und auf die ersten zwei Bücher des BGB zu verteilen, oder das gesamte AGB-Regelwerk in den Allgemeinen Teil aufzunehmen.10 Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt, sondern sieht den Schwerpunkt der AGB-Regeln im Schuldrecht. Dies entspricht dem systematischen Standort, der in diesem Lehrbuch seit jeher den AGB zugewiesen wurde, nämlich der Behandlung im Zusammenhang mit dem ersten Abschnitt des Zweiten Buchs, also mit dem „Inhalt der Schuldverhältnisse“. Hierdurch wird nicht ausgeschlossen, das AGB-Recht auch auf das Sachenrecht anzuwenden.11

AGB haben eine überragende praktische Bedeutung; ihre rechtliche Behandlung ist im folgenden Abschnitt zu besprechen.

VI. Allgemeine Geschäftsbedingungen, §§ 305 ff Baudenbacher, Wirtschafts-, schuld- und verfahrensrechtliche Grundprobleme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1983); Canaris, FS P. Ulmer (2003) 1073; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992); Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht (1933); Heinrichs/Löwe/P. Ulmer, (Hrsg.) 10 Jahre AGBG (1987); Hennrichs, in: DaunerLieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht (2002) § 6; Kötz, Verhandlungen DJT 50 (1974) S. A1 ff; ders., JuS 2003, 209; Loewenheim, AcP 180 (1980), 433; Maidl, Ausländische AGB im deutschen Recht (2000); L. Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935); ders., JZ 1958, 1 (7); Schäfer, JZ 2003, 879; Staudinger/Coester/Coester-Waltjen/Schlosser, AGBG, 13. Bearb. (1998); Stoffels, AGB-Recht (2003); P. Ulmer, JZ 2001, 491; P. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB8 Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5. 4. 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95/29). 9 GesBegr BT-Drs 14/6040, 150. 10 S. die Nachweise bei S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 90 f; Wolf, in: Karlsruher Forum 2002 (2003), 101 (103 ff). 11 GesBegr BT-Drs 14/6040, 149.

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Inhalt des Schuldverhältnisses

Gesetz, 9. Aufl. (2001); Wackerbarth, AcP 200 (2000) 45; von Westphalen, Vertragsrecht und AGBKlauselwerke (Loseblatt); ders., NJW 2003, 1635, 1981; Wolf, in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 101; Wolf/ Pfeiffer, ZRP 2001, 303; Wolf/Horn/Lindacher AGB-Gesetz, 4. Aufl. (1999)

1. Gründe für die Verwendung von AGB 162

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Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) haben große wirtschaftliche Bedeutung. Hauptsächlich drei Gründe führen zu ihrer Verwendung. Sie wirken sich auf ihre rechtliche Behandlung aus: (1) Rationalisierung: Transaktionskosten werden gesenkt, weil nicht bei jedem Vertragsschluss alle Detailprobleme neu ausgehandelt werden müssen; (2) Spezialisierung: Regeln des dispositiven Rechts werden durch Geschäftsbedingungen weiterentwickelt, im Gesetz nicht geregelte Vertragstypen werden kreiert (z. B. Leasing, Franchising); (3) Risikoumverteilung: Risiken werden anders verteilt, zumeist zum Nachteil der anderen Partei. Gerade gegenüber Verbrauchern hat der Verwender i. d. R. keine Mühe, die Geltung seiner AGB durchzusetzen. Dies liegt (bei funktionsfähigem Wettbewerb) nicht daran, dass der Verwender der „Stärkere“ und der Verbraucher der „Schwächere“ ist. Es liegt vielmehr eine Form des Marktversagens vor. Für den Verbraucher entstehen prohibitive Kosten, wenn er sich mit den komplizierten Klauselwerken (die häufig selbst Juristen erhebliches Kopfzerbrechen bereiten) im einzelnen auseinandersetzen und Verhandlungen hierüber einleiten würde. Er verzichtet deshalb auf eine nähere Beschäftigung hiermit und vertraut darauf, dass alles gut gehen wird (rationale Unwissenheit). Das Regelwerk der §§ 305 ff setzt hier an und enthebt die andere Partei der Notwendigkeit, sich mit den Klauselwerken zu beschäftigen. Führen diese zu einer unangemessenen Benachteiligung, wird die betreffende Klausel nicht Vertragsbestandteil (Inhaltskontrolle). Auf einer vorgelagerten Stufe wird kontrolliert, ob eine bestimmte Klausel überhaupt wirksam in den Vertrag einbezogen wurde (Einbeziehungskontrolle).12 AGB unterliegen nicht nur der Kontrolle des AGB-Gesetzes, sondern auch der des Kartellrechts. (1) Werden AGB von mehreren Unternehmen zu gemeinsamer Verwendung abgesprochen, spricht man von einem Konditionenkartell. Der Verbotstatbestand des § 1 GWB ist i. d. R. erfüllt, zumeist greift aber der Ausnahmetatbestand des § 2 GWB ein.13 (2) Im Rahmen der §§ 24–27 GWB dürfen Wirtschafts- und Berufsvereinigungen sog. Wettbewerbsregeln aufstellen, was ebenfalls der Kartellaufsicht unterliegt. Soweit solche Wettbewerbsregeln zulässig sind, werden sie häufig in Gestalt von AGB umgesetzt. 2. Begriff. Abgrenzung von der Individualabrede

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a) Der Begriff der AGB i. S. v. § 305 I ist weit auszulegen. AGB sind „alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt“. Das umfasst nicht nur die kleingedruckten Texte, die sich auf Bestellformularen finden oder die einem Vertragsangebot beigelegt werden, sondern es genügen vorformulierte Texte jeder Art, die den Inhalt eines Vertrags beeinflussen sollen, wie z. B. das Schild „Für Garderobe wird nicht gehaftet“ oder der Anschlag in einem Kaufhaus „Betreten der 12 Zur ökonomischen Begründung der AGB-Kontrolle s. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) 328 ff; MüKo/Basedow Vor § 305 Rdn. 4 ff. 13 Bis zur 7. GWB-Novelle 2005 gab es eine spezielle Ausnahmevorschrift für Konditionenkartelle in § 2 II GWB a. F.

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Rolltreppe auf eigene Gefahr“. Auf die Schriftart kommt es nicht an (s. § 305 I 2). Auch handschriftliche Zusätze, die in Wiederholungsabsicht in einen Vertrag eingefügt werden, sind AGB. Selbstverständlich zählen die meist ausführlichen Klauselwerke von Versicherungsgesellschaften, Transportunternehmen und Banken zu den AGB. Vielzahl bedeutet mindestens drei Verträge (für Verbraucherverträge s. § 310 III Nr. 2).14 Die Beweislast dafür, dass die Bedingungen zur Mehrfachverwendung vorformuliert worden sind, liegt beim Vertragspartner des Verwenders. Aus Inhalt und Gestaltung der Bedingungen kann sich aber ein zu widerlegender Anschein hierfür ergeben. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der Vertrag Klauseln enthält, die nicht auf die individuelle Vertragssituation abgestimmt sind.15 Gleichgültig ist, ob eine der beiden Vertragsparteien die AGB formuliert oder ob auf anderweit bereitliegende Klauselwerke verwiesen wird („Abschluss nach VOB“ = Verdingungsordnung für Bauleistungen, „Haftungsausschluss nach ADAC-Muster“). Ein Vertrag muss noch nicht zustande gekommen sein. Um eine „vorformulierte Vertragsbedingung“ handelt es sich also auch dann, wenn sie in ein Vertragsangebot aufgenommen ist und den Vertragsabschluss zum Gegenstand hat, z. B. bei einem Bestellschein mit übermäßig langer Bindungsfrist. b) Auch Formularverträge sind AGB. Dies ergibt sich bereits aus der allgemeinen Definition in § 305 I 1 und wird in S. 2 ausdrücklich klargestellt („in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen“). Es handelt sich dabei um Vertragstexte in schematischer und (meist) vervielfältigter Form, wie sie z. B. von Baubetreuungsfirmen, Vermietern oder Autoverkäufern verwendet werden. Wurde der Formularvertrag von einem Dritten verfasst (Vermieterverband, Automobilclub), ergibt sich der AGB-Charakter bereits aus dem allgemeinen Verwendungszweck. Es ist nicht erforderlich, dass die einzelne Vertragspartei eine mehrfache Verwendung des Formularvertrags beabsichtigt.16 Keine AGB liegen vor, wenn ein Vertrag lediglich für ein bestimmtes Geschäft ausgearbeitet wurde. c) Der Verwender muss die vorformulierten Vertragsbedingungen der anderen Vertragspartei stellen. Die Einbeziehung der Vertragsbedingungen muss also auf der Initiative einer Vertragspartei beruhen. Damit sind nicht nur die Fälle gemeint, in denen der Verwender die AGB dem Kunden aufdrängt. Es reicht aus, dass der andere Vertragspartner in vorauseilendem Gehorsam die Bedingungen in sein Angebot aufnimmt, weil aufgrund der ständigen Übung der anderen Vertragspartei ein Vertragsabschluss nur unter Einbeziehung dieser Klauseln zu erwarten ist.17 Aufgrund des Schutzzwecks der AGB-Kontrolle liegen AGB auch dann vor, wenn beide Vertragsparteien sich die vorformulierten Bedingungen gegenseitig „stellen“, z. B. wenn beide Seiten die Geltung der VOB/B verlangen (str.).18 Der Grund für die weite Auslegung des Begriffs „Stellen“ liegt u. a. darin, dass auch in einem Klauselwerk, auf dessen Verwendung sich beide Parteien mit gleichem „Durchsetzungswillen“ geeinigt haben, überraschende Klauseln i. S. v. § 305c möglich sind und dass auch andere Vorschriften, wie §§ 305b und 306, in solchen Fällen anwendbar sein sollten. Die Regeln über die AGB-Kontrolle wollen nicht die Parteien dazu veranlassen, AGB zu lesen, sondern zielen darauf ab, dass die AGB nicht gelesen zu werden brauchen, weil man sich auf sie verlassen kann.

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BGH NJW 2002, 138. BGH NJW 2004, 502. BGH NJW 1991, 843. BGH NJW 1997, 2043. Wie hier Staudinger/P. Schlosser, § 1 AGBG Rdn. 28; a. A. Medicus, AT Rdn. 405.

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d) Die Vertragsbedingungen müssen von einer Vertragspartei gestellt werden. Es reicht nicht aus, dass die Vertragsbedingungen von einem Dritten gestellt werden. Dies ist von besonderer Bedeutung für Notarverträge. Auch wenn der von einem Notar formulierte Vertrag vorformulierte Bedingungen enthält, sind diese nicht von einer Vertragspartei gestellt, sondern macht sich diese lediglich den Vorschlag des Notars zu eigen.19 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Notar im Auftrag einer Partei einen Formularvertrag entwirft, oder wenn er eine Klausel übernimmt, die von einer Partei ständig verwendet wird. Der Vertragsentwurf des Notars wird einer Partei insbesondere dann zugerechnet, wenn er einseitig nur deren Interessen berücksichtigt.20 Ist der Notar dagegen neutral, scheidet eine AGB-Kontrolle aus. Der BGH bejaht in diesem Fall jedoch eine gerichtliche Inhaltskontrolle über § 242, da die AGB-Kontrolle keine abschließende Regelung enthalte. Er überprüft im Rahmen des § 242, ob der Vertragspartner ausreichend belehrt und die rechtliche Tragweite der Klausel mit ihm erörtert wurde. Nach verbreiteter Meinung im Schrifttum beeinträchtigt diese Rechtsprechung die Rechtssicherheit und schränkt die Vertragsfreiheit unzulässig ein.21 Dies ist jedoch nicht stichhaltig, da die Vertragsfreiheit bestehen bleibt, sofern der Vertragspartner nur ausreichend aufgeklärt wurde.22 – Für die praktisch wichtigsten Fälle, nämlich für Verbraucherverträge, wird nach der Fiktion des § 310 III Nr. 1 ohnehin die Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle angeordnet. e) Individualvereinbarungen sind das Gegenstück zu AGB. Soweit Vertragsbedingungen zwischen den Parteien „im einzelnen ausgehandelt sind“, liegen keine AGB vor, § 305 I 3. Im Gutachten wird zweckmäßig stets zuerst geprüft, ob eine Individualvereinbarung oder eine AGB vorliegt. Die Abgrenzung bereitet Schwierigkeiten, wenn eine Seite einen vorformulierten Text mitbringt, der ohne äußerlich sichtbare Änderung oder Ergänzung in den Vertrag aufgenommen wird. Ein Aushandeln liegt erst dann vor, wenn die betreffenden Geschäftsbedingungen inhaltlich zur Diskussion gestellt werden. Die bloße Aufforderung, ungewollte Passagen zu streichen, reicht nicht aus.23 Nur bei konkret möglicher und zumutbarer Einflussnahme auf die vorgelegten Bedingungen ist daher eine Individualvereinbarung zu bejahen.24 Wenn mehrere AGB zur Auswahl gestellt werden, damit sich der Partner für eine entscheidet, entsteht noch keine Individualvereinbarung, es bleibt beim Charakter des Texts als AGB. Etwas anderes gilt, wenn ein Formular offene Stellen enthält, die vom Vertragspartner nach seiner freien Entscheidung als selbständige Ergänzung auszufüllen sind.25 Selbstverständlich ist nur die individuell ausgestaltete Bedingung, nicht aber die anderen, „gestellten“ Bedingungen der AGB-Kontrolle entzogen. f) Nach § 305b haben individuelle Vertragsabreden den Vorrang vor AGB. Es handelt sich um den gleichen Begriff wie die im Einzelnen ausgehandelten Vertragsbedingungen des § 305 I 3.26 Individualabreden gehen auch dann AGB vor, wenn die Parteien die 19 BGH NJW 1991, 843. 20 BGH NJW 1992, 2160; 2002, 138. 21 Medicus, Zur gerichtlichen Inhaltskontrolle notarieller Verträge (1989); Zöllner, JuS 1988, 329; Lieb, DNotZ 1989, 274. 22 Wie hier Emmerich, JuS 1988, 311; Bunte, ZIP 1984, 1313; Walchshöfer, in: 10 Jahre AGBG, 166. 23 BGH NJW 1998, 2600. 24 BGH NJW 2005, 2543; Medicus, AT Rdn. 407. 25 BGH NJW 1996, 1208. 26 Teilweise wird der Kreis der Individualvereinbarungen nach § 305b weiter gezogen als die im einzelnen ausgehandelten Bedingungen i. S. v. § 305 I 3, s. Palandt/Heinrichs, § 305b Rdn. 2.

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AGB genau kennen, aber nicht gestrichen haben. Der Grund ist nahe liegend: Worüber sich die Parteien im Einzelnen geeinigt haben, entspricht ihrem Willen eher als Text von AGB, auf den – wieder ist an die Grundidee zu erinnern – für den Fall hingewiesen wird, dass der Vertrag „schief läuft“. Beim häufigen Bestätigungsvorbehalt („Nebenabreden bedürfen der Schriftform“ und dgl.) ist zunächst die Vollmachtslage zu prüfen. Hat der die Nebenabrede treffende Vertreter nach allgemeinen Stellvertretungsregeln (wobei auch Duldungsvollmacht, Anscheinsvollmacht und Vollmachtsmissbrauch in Frage kommen) Vertretungsmacht, hat der Bestätigungsvorbehalt aufgrund von § 305b keine Wirkung: Die Nebenabrede gilt.27 3. Der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle (§ 310) Steht fest, dass es sich im vorbeschriebenen Sinn um AGB handelt, ist der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle zu prüfen, bevor seine Einzelregelungen zur Anwendung gebracht werden können, § 310.

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a) Bereichsausnahmen (sachlicher Anwendungsbereich, § 310 IV) Die AGB-Kontrolle findet keine Anwendung bei Verträgen auf den Gebieten des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts, sowie auf Teile des Arbeitsrechts, nämlich Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Auf Klauseln in Individualarbeitsverträgen ist die Klauselkontrolle hingegen uneingeschränkt anwendbar. Gem. § 310 IV 2 gelten hier aber die besonderen Einbeziehungsregeln in § 305 II, III nicht; außerdem sind die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Für das Kollektivarbeitsrecht und das Familienrecht ist der rechtspolitische Grund von § 310 IV deutlich: Der dort erforderliche Schutz Beteiligter wird durch andere zwingende Rechtsnormen wahrgenommen, soweit überhaupt eine Gefährdung durch AGB in Frage kommt. Für das Erb- und das Gesellschaftsrecht darf bezweifelt werden, ob die Bereichsausnahmen gerechtfertigt sind. Formularverträge spielen im Erbrecht und im Recht der Publikumsgesellschaften keine geringe Rolle. b) Unternehmer; Juristische Personen und Sondervermögen des öffentlichen Rechts

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Als zweites empfiehlt sich zu prüfen, ob es sich bei dem, der sich auf die AGB-Kontrolle beruft, um einen Unternehmer i. S. v. § 14 handelt. Zugunsten von Unternehmern (und von juristischen Personen und Sondervermögen des öffentlichen Rechts) gilt die AGB-Kontrolle nur eingeschränkt. Wird der Vertrag in Ausübung der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Kunden abgeschlossen, bestehen nämlich zwei Besonderheiten: aa) § 305 II, III findet keine Anwendung. Das bedeutet, dass sich ein Unternehmer nicht darauf berufen kann, er sei auf die AGB nicht hingewiesen worden oder habe keine Möglichkeit gehabt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Darin liegt keine Rückkehr zur alten Unterwerfungstheorie oder gar zur Theorie der AGB als objektives Recht. Vielmehr wird klargestellt, dass die Einbeziehung von AGB gegenüber einem Unternehmer auch durch stillschweigende Willenserklärung möglich ist. bb) Die Klauselkataloge der §§ 308, 309 gelten nicht. Wohl aber kann sich auch ein Unternehmer als Kunde auf die Generalklausel des § 307 I, II berufen, wonach Bestim-

27 Einzelheiten bei Medicus, AT Rdn. 422 ff; s. z. B. BGH NJW 2006, 138.

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mungen in AGB unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Anwendung von § 307 I, II kann dann auch zur Unwirksamkeit von Klauseln führen, die in den §§ 308, 309 aufgezählt werden. Allerdings ist bei der Anwendung der Generalklausel „auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche … angemessen Rücksicht zu nehmen“. c) In Verbraucherverträgen wird der Schutz der AGB-Kontrolle zugunsten von Verbrauchern ausgedehnt. Nach § 310 III Nr. 1 gelten AGB grundsätzlich als vom Unternehmer gestellt. Hierdurch wird insbesondere erreicht, dass Drittklauseln, also z. B. die von einem neutralen Notar eingebrachten Vertragsbedingungen, uneingeschränkt der AGB-Kontrolle unterliegen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die betreffenden Vertragsklauseln vom Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden, z. B. weil er die Benutzung eines Miet- oder Kaufformulars vorgeschlagen hat. – Nach Nr. 2 der Vorschrift unterliegen auch Einmalbedingungen teilweise der AGB-Kontrolle. Dies ist von Bedeutung, da Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, keine AGB i. S. der Definition des § 305 I sind. – Schließlich sind in Verbraucherverträgen auch die Begleitumstände für die Frage der unangemessenen Benachteiligung heranzuziehen, z. B. die Überrumpelung eines geschäftlich unerfahrenen Kunden. Ansonsten gilt in der AGB-Kontrolle dagegen ein überindividueller Maßstab. d) Ausschluss einzelner Bestimmungen der AGB-Kontrolle (§ 310 II) Steht nach Prüfung des sachlichen und des persönlichen Anwendungsbereichs fest, dass die AGB-Kontrolle zum Zug kommt, muss noch der Ausschluss einzelner Bestimmungen in besonderen Fällen gem. § 310 II beachtet werden. Dies betrifft den Bereich der Daseinsvorsorge: In Verträgen über die Lieferung von Elektrizität, Gas, Fernwärme und Wasser (einschließlich der Abwasserentsorgung) mit Sonderabnehmern finden die Klauselkataloge der §§ 308, 309 keine Anwendung, soweit nicht zum Nachteil der Abnehmer von den Allgemeinen Versorgungsbedingungen abgewichen wird. Dahinter steckt der Gedanke, dass der Schutz von Sonderabnehmern nicht weiter gehen soll als der Schutz von Tarifkunden.28 – Die AGB der Verkehrswirtschaft können gem. § 305a auch durch stillschweigende Vereinbarung Vertragsbestandteil werden. Die strengen Einbeziehungsregeln in § 305 II gelten hier nicht. Identisch ist die Rechtslage für zwei eng umgrenzte Anwendungsfälle im Bereich von Post und Telekommunikation (Einwurf in Briefkästen, Call-by-Call-Verfahren, Mehrwert- und Informationsdienste). e) Weitere Prüfung Steht nun das Vorliegen von AGB und die Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle fest, sind fünf Gesichtspunkte auf der Tatbestandsseite zu prüfen (Einbeziehung in den Vertrag, § 305 II, III; überraschende Klauseln, § 305c I; Unklarheitenregel des § 305c II sowie Auslegung und Anfechtung von AGB; die Inhaltskontrolle, §§ 307–309; und das Umgehungsverbot, § 306a) sowie zwei Gesichtspunkte auf der Rechtsfolgenseite (nämlich die Wirkung von Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit von AGB zwischen den Parteien gem. § 306; und die Unterlassungs- und Widerrufsansprüche nach dem UKlaG, die auch von Nichtparteien geltend gemacht werden können).

28 GesBegr BT-Drs 14/6040, 160.

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4. Einbeziehung der AGB in den Vertrag, § 305 II, III a) Voraussetzungen

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Nach § 305 II werden AGB nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn drei Voraussetzungen vorliegen: Hinweis, Möglichkeit der Kenntnis und Einverständnis mit der Geltung. aa) Der Verwender muss die andere Vertragspartei ausdrücklich oder, wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsabschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist, durch deutlich sichtbaren Aushang am Ort des Vertragsschlusses auf die AGB hinweisen. Ein Aushang genügt z. B. bei Parkhäusern, automatischen Schließfächern und bei Beförderungsverträgen, die konkludent durch die Benutzung des Beförderungsmittels zustande kommen. Bei Formularverträgen bedarf es keines besonderen Hinweises, da die Unterschrift unter den Vertrag dessen gesamten Inhalt erfasst.29 bb) Der Verwender muss dem Kunden die Möglichkeit verschaffen, vom Inhalt der AGB in zumutbarer Weise Kenntnis zu nehmen. Aushändigung oder Zusendung sind dafür ausreichend, wenn auch nicht stets erforderlich. Die Möglichkeit einer Kenntnisnahme erst nach Vertragsschluss verhindert die Aufnahme der AGB in den Vertrag. Es muss ausreichend Zeit gewährt werden, dass der Kunde die AGB nicht nur lesen, sondern auch ihren Inhalt würdigen kann. Nicht ist erforderlich, dass der Kunde von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, also den Inhalt der AGB zur Kenntnis nimmt. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme muss in zumutbarer Weise eröffnet werden. Dazu gehört auch, dass eine für den Verwender erkennbare körperliche Behinderung der anderen Vertragspartei angemessen berücksichtigt wird. Einem erkennbar Sehbehinderten müssen die AGB deshalb in einer Form übergeben werden, welche ihm die Kenntnisnahme möglich macht, z. B. in elektronischer oder akustischer Form oder in BrailleSchrift.30 cc) Es ist drittens erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Kunde mit der Geltung der AGB einverstanden ist. Mit ihrem Inhalt braucht er sich nicht einverstanden zu erklären. Hierin kommt wieder der oben erwähnte Grundgedanke zum Ausdruck, dass AGB nicht dazu da sind, gelesen zu werden, sondern um zur Verfügung zu stehen, wenn Teile des Vertrags streitig werden. dd) Nach § 305 III kann die Geltung von AGB für eine bestimmte Art von Rechtsgeschäften durch Rahmenvereinbarung im Voraus vereinbart werden, wenn die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 II beachtet werden. Es ist aber nicht möglich, die Geltung der AGB „in der jeweiligen Fassung“ zu vereinbaren. Neufassungen von AGB werden vielmehr nur dann Vertragsbestandteil, wenn die Voraussetzungen von § 305 II im Änderungsfall befolgt werden. Das (konkludente) Einverständnis des Kunden ist anzunehmen, wenn dieser das Vertragsverhältnis ohne Widerspruch fortsetzt. Widerspricht er, gilt die Neufassung nicht. Der Verwender kann dann nicht aus wichtigem Grund kündigen.31 – Rahmenvereinbarungen i. S. v. § 305 III werden insbesondere von Banken praktiziert (für Versicherungen s die Spezialregelung in § 5a VVG).

29 BGH NJW 1988, 2465; NJW 1995, 190. 30 GesBegr BT-Drs 14/6040, 150. 31 MüKo/Basedow, § 305 Rdn. 78, 82: u. U. ist sogar die ordentliche Kündigung ausgeschlossen.

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b) Sich widersprechende AGB zweier oder mehrerer Vertragsparteien. Protest gegen AGB Es geht hier um den Fall, dass sich Angebot (Bestellung) und Annahme des Vertrags (Auftragsbestätigung) auf einander widersprechende eigene AGB berufen. Nach der früheren Rechtsprechung wurden die zuletzt angerufenen AGB Vertragsbestandteil („Theorie des letzten Wortes“). Dies ist mit dem Parteiwillen aber kaum vereinbar, zumal AGB häufig Abwehrklauseln enthalten, mit denen die Geltung abweichender fremder AGB ausgeschlossen wird. Andererseits entspricht es auch nicht dem Parteiwillen, aufgrund eines Dissenses bei den AGB den gesamten Vertrag scheitern zu lassen. Gem. § 155 ist der Vertrag im Zweifel wirksam, wenn beide Seiten von der Gültigkeit des Vertrags ausgehen. In Übereinstimmung mit der h. L. und der heutigen Rechtsprechung 32 ist deshalb anzunehmen, dass die AGB einbezogen werden, soweit sie übereinstimmen. Soweit sie sich nicht decken, gelten weder die AGB der einen noch der anderen Seite, so dass nach § 306 insoweit dispositives Recht zur Anwendung kommt. Etwas anderes gilt nur im Fall eines ausdrücklichen Protests gegen die AGB des Gegners; dann besteht in der Regel offener Dissens, § 154, es kommt also im Zweifel kein Vertrag zustande.

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c) Einbeziehung von AGB durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben Ein Unternehmer als Kunde kann sich nicht auf § 305 II berufen, s. § 310 I. Auch ohne besonderen Hinweis können AGB im unternehmerischen Verkehr also Vertragsbestandteil werden. Entspricht die Geltung der AGB einem Handelsbrauch, werden sie ohne weiteres nach § 346 HGB Vertragsbestandteil. – Aus der Unanwendbarkeit von § 305 II folgt auch, dass die Einbeziehung von AGB unter Verwendung eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens möglich ist. Die Lehre vom Bestätigungsschreiben bildet eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Schweigen auf ein Angebot keine Annahme ist, §§ 145, 146. Wer als Kaufmann nach vorausgegangenen Vertragsverhandlungen auf ein Bestätigungsschreiben schweigt, ist gebunden. Er kann nicht anfechten, weil er sich über die rechtlichen Folgen seines Schweigens geirrt hat. Der persönliche Anwendungsbereich dieses gewohnheitsrechtlichen Instituts geht über Kaufleute hinaus. Die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben sind nicht auf Kaufleute i. S. der §§ 1 ff HGB beschränkt. Sie finden (sowohl auf Absender- als auch auf Empfängerseite) auf alle Unternehmer i. S. v. § 14 Anwendung (also z. B. auch auf die freien Berufe) sowie auf jedermann, der ähnlich wie ein Kaufmann am Rechtsverkehr teilnimmt, und von dem erwartet werden kann, dass er sich nach kaufmännischen Gebräuchen verhält. Voraussetzungen sind: aa) Verhandlungen, mündlich oder schriftlich, beendet oder noch nicht, von Bevollmächtigten oder von den Parteien selbst geführt. bb) Eine Partei fasst die bisherigen Verhandlungen in einem „Bestätigungsschreiben“ zusammen. cc) Der Adressat des Bestätigungsschreibens (ein Kaufmann oder eine kaufmannsähnliche Person) schweigt. dd) Das Bestätigungsschreiben darf sich nicht so weit vom Abgesprochenen entfernen, dass der Bestätigende mit einem Einverständnis nicht rechnen kann. ee) Der Bestätigende darf auch nicht bewusst vom Abgesprochenen abweichen.

32 BGH NJW 1985, 1838; 1991, 1604 m. w. N.

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Diese Grundsätze sind in ständiger Rechtsprechung entwickelt worden.33 Demnach ist ein Kaufmann (oder eine gleichgestellte Person) als Kunde an AGB gebunden, zu denen er geschwiegen hat. Durch die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten obigen Qualifikationen unterscheidet sich das Bestätigungsschreiben von der normalen Auftragsbestätigung (die im Regelfall eine Annahme des Vertrags bedeutet). Der Hauptunterschied besteht darin, dass bei der üblichen Auftragsbestätigung keine Verhandlungen im obigen Sinn stattgefunden haben, so dass ein Rechtsscheintatbestand fehlt, der die Bindung durch Schweigen rechtfertigt. Weicht eine normale Auftragsbestätigung ab, gilt § 150 II. Allerdings können in diesem Fall die AGB durch widerspruchslose Entgegennahme der Leistung Vertragsinhalt werden.34 – Zu unterscheiden vom Bestätigungsschreiben ist auch die Rechnung, die mit dem Vertragsschluss nichts zu tun hat, sowie das bloße Schweigen auf ein Angebot, das einen Vertrag, abgesehen von den Fällen des § 362 HGB, nicht zustande kommen lässt.

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5. Überraschende Klauseln, § 305c I Steht fest, dass es sich um AGB handelt (2), dass die AGB-Kontrolle anwendbar ist (3) und die AGB nach § 305 II, III in den Vertrag einbezogen sind (4), so können sich gleichwohl Wirksamkeitshindernisse in den Weg stellen, nämlich die überraschenden Klauseln i. S. des § 305c I und die Nichtwirkung von AGB wegen Unklarheit, Auslegung oder Anfechtung (dazu u. Rdn. 181 ff). Nach § 305c I werden AGB, die „nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht“, nicht Vertragsbestandteil. Wiederum zeigt sich die Einschätzung von AGB durch das Gesetz: Weil AGB nicht dazu da sind, gelesen und auf ihre möglichen Wirkungen hin durchgeprüft zu werden, muss man sich auf sie verlassen können, sei es, dass sie über das Gesetz hinaus spezialisieren oder abweichend vom Gesetz Risiken verteilen. Daraus folgt, dass sie nicht „ungewöhnlich“ sein dürfen. Zur Auslegung von § 305c I ist auch die gesetzliche Überschrift „überraschende Klauseln“ heranzuziehen. „Ungewöhnlich“ ist eine Klausel, wenn sie dem zuwiderläuft, was ein Kunde redlicherweise erwartet, wenn er sich vom spezialisierenden oder risikoumverteilenden Inhalt der Klausel Kenntnis verschafft. Das bedeutet im Einzelnen: a) Die Klausel darf nicht nach ihrem Inhalt überraschend sein. aa) Das ist sie in Fällen der Spezialisierung eines – gemessen am Vertragszweck – zu weiten Gesetzeswortlauts dann, wenn die Klausel etwas enthält, womit der Kunde bei einem solchen Geschäft nicht zu rechnen braucht, etwa die Wahl eines ungewöhnlichen Gerichtsstands,35 die Anordnung einer Vergütungspflicht für einen Kostenvoranschlag (s. § 632 III) oder die klauselmäßige Erstreckung einer Bürgschaft auf alle bestehenden und künftigen Forderungen des Gläubigers („Globalbürgschaft“).36 Spezialisierende AGB sind indes im Zweifel nicht überraschend. 33 RGZ 95, 50; 103, 98; BGHZ 7, 187, 11, 5; 61, 282; BGH NJW-RR 2001, 680. S. hierzu Medicus, AT Rdn. 440 ff. 34 BGH NJW 1995, 1671; NJW-RR 2000, 1154. Gegen die Unterscheidung von Bestätigungsschreiben und Auftragsbestätigung z. B. Flume, AT § 37, 3. 35 Dazu Medicus, AT Rdn. 416. 36 BGH NJW 1994, 2145.

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bb) Im Fall der Risikoumverteilung liegt eine überraschende Klausel vor, wenn sie einseitig und unangemessen ist. Ein Beispiel ist der Aufdruck auf dem Kassenzettel einer chemischen Reinigung: „Wir haften nur bis zum 15-fachen Bearbeitungspreis“.37 Risikoumverteilende AGB sind im Zweifel überraschend. b) Überraschend kann auch die Fundstelle der Klausel sein, wenn sich z. B. der an sich zulässige Ausschluss der Sachmängelgewährleistung unter Ersetzung durch ein Nachbesserungsrecht (§ 309 Nr. 8b bb) bei Bestimmungen über Vertragsstrafe und Schadenspauschalierung findet. c) Drittens kann eine Klausel „nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags“ überraschend sein, wenn man sie mit der vom Verwender vorher betriebenen Werbung vergleicht. Drucktechnische Hervorhebungen oder eine separate Unterschrift unter eine bestimmte Klausel lassen den Überraschungseffekt nicht unbedingt entfallen. Erforderlich ist vielmehr ein individueller Hinweis.38 d) Viertens kann eine Klausel in zeitlicher Hinsicht überraschend sein. Wenn die Vermietung von Bootsliegeplätzen durch eine Bootswerft bisher so gehandhabt wurde, dass für jeden Sommer (1. 5.–1.11.) ein neuer Vertrag zu schließen war, ist die plötzliche Änderung der Vertragspraxis in AGB, wonach der Vertrag sich stillschweigend verlängert, falls er nicht fristgerecht gekündigt werde, „überraschend“ i. S. v. § 305c I. Die Werft muss vielmehr die Bootsbesitzer von der Änderung bei Vertragsschluss unterrichten. Das Gleiche gilt, wenn die AGB der Verträge zwar schon immer so gelautet hatten, die bisherige Handhabung jedoch in jährlich neu zu schließenden Mietverträgen bestand. Dann waren die AGB durch Individualvereinbarungen verdrängt, und die unerwartete Berufung auf sie mit dem Argument, „das habe schon immer so gegolten“, ist „überraschend“. e) Die Grenzen zwischen § 305c I und § 307 sind oft fließend, da eine überraschende Klausel oft auch unbillig i. S. v. § 307 ist. 6. Auslegung. Unklarheitenregel. Anfechtung von AGB

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a) Auslegung von AGB Da AGB für die Verwendung in einer Vielzahl von Fällen bestimmt sind, sind sie nach h. L. und ständiger Rechtsprechung objektiv auszulegen: Es sind nach dieser Auffassung nicht die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen, sondern es ist zu ermitteln, wie die an den betreffenden Geschäften typischerweise beteiligten Verkehrskreise die AGB verstehen können und müssen.39 Die hM ist abzulehnen: Da es sich bei AGB um Vertragsbestandteile und nicht um objektives Recht handelt, richtet sich die Auslegung nach den §§ 133, 157, also subjektiv-objektiv nach dem Empfängerhorizont unter Heranziehung aller individuellen Begleitumstände.40 Der Zweck einer einheitlichen Vertragsgestaltung, den der Verwender mit seinen AGB verfolgt, muss vom Verwender dadurch gewahrt werden, „dass er individuellen Umständen keine Auslegungsbedeutung zuwachsen lässt“.41 Gelingt ihm dies nicht, darf ihm nicht

37 Vgl. OLG Köln ZIP 1981, 1101 (allerdings zur Inhaltskontrolle); s. auch OLG Köln NJW-RR 1998, 997. 38 BGH NJW 1996, 191. 39 S. z. B. BGH NJW 1981, 867. 40 So auch Palandt/Heinrichs, § 305c Rdn. 15. 41 Zutreffend Staudinger/P. Schlosser, § 5 AGBG Rdn. 22.

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durch gesetzesähnliche Auslegung geholfen werden. Auch die h. M. nimmt an, dass eine vom objektiven Sinn abweichende Bedeutung gilt, wenn die Parteien diese übereinstimmend zugrunde gelegt haben.42 b) Unklarheitenregel, § 305c II

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Auslegungsbesonderheiten ergeben sich aus § 305c II: „Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.“ Voraussetzung für die Anwendung dieser Regel ist die Möglichkeit eines vernünftigen Zweifels daran, welche von mehreren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten gelten solle.43 Bestehen Zweifel in diesem Sinn, gehen diese nach § 305c II zu Lasten des Verwenders. Dies hat folgende, auf den ersten Blick paradoxe Konsequenz: Im Verbandsprozess (nach dem UKlaG, s. u. Rdn. 191) ist die (scheinbar) kundenfeindlichste Auslegung heranzuziehen.44 Diese führt nämlich im Rahmen der Inhaltskontrolle dazu, dass die betreffende Klausel möglicherweise als unangemessen und damit als unwirksam beurteilt wird, was im Ergebnis für den Vertragspartner des Verwenders vorteilhaft ist. Im Individualprozess ist eine zweistufige Auslegung vorzunehmen: Auf der ersten Stufe ist ebenfalls die kundenfeindlichste Auslegung zu wählen, was den Kreis der wirksamen Klauseln möglicherweise einschränkt. Bei der Anwendung der verbleibenden Klauseln auf den konkreten Fall ist sodann die kundenfreundlichste Variante zu wählen (h. M.).45 Völlig fernliegende Auslegungsmöglichkeiten bleiben allerdings außer Betracht.46 c) Anfechtung von AGB

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aa) Irrt der Kunde über die Verwendung von AGB oder über deren Inhalt, so hat er etwas erklärt, was er nicht zum Inhalt des Rechtsgeschäfts machen wollte. Dieser Inhaltsirrtum, § 119 I, 1. Alt., begründet die Anfechtbarkeit, ohne dass es auf ein Verschulden des Kunden ankommt. Allerdings wird sich der Kunde die „verständige Würdigung des Falles“ gem. § 119 I a. E. entgegenhalten lassen müssen. bb) Irrt der Verwender darüber, dass seine AGB oder einzelne von deren Klauseln entgegen seiner Vorstellung nicht Vertragsbestandteil wurden, so hat auch er grundsätzlich erklärt, was er nicht wollte. Hier aber schneidet § 306 das Anfechtungsrecht ab, weil unwirksame AGB den Vertrag im Übrigen wirksam sein lassen. Folglich kann auch der Verwender anfechten, wenn die Ausnahme des § 306 III vorliegt. 7. Inhaltskontrolle a) Grundsätze. Die bisher genannten Vorschriften gelten für alle AGB, soweit die AGB-Kontrolle eingreift. Alle AGB unterliegen den Einbeziehungserfordernissen (§ 305 II, III), dem Verbot des Überraschungseffekts (§ 305c I) und der Unklarheitenregel (§ 305c II). Diese Vorschriften gelten also z. B. für Leistungsbeschreibungen, Baubeschreibungen, DIN-Normen, Zinsregelungen und Risikobeschreibungen in Versiche42 Vgl. MüKo/Basedow, § 305c Rdn. 26, der allerdings mit dem Vorrang der Individualabrede argumentiert. 43 BGH NJW 1985, 56; 1990, 3016; 2002, 3232. 44 BGH NJW 1999, 276; 2003, 1237. 45 So z. B. Palandt/Heinrichs, § 305c Rdn. 20 m. w. N. Als beachtlich bezeichnet diese Position BGH NJW 1994, 1798 (1799). 46 BGH NJW 1994, 1798 (1799).

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rungsverträgen.47 Die nun zu besprechenden §§ 307–309, die eine Inhaltskontrolle wirksam vereinbarter AGB-Regeln vorsehen, gelten uneingeschränkt nur für solche AGB, „durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden“, § 307 III 1. Andere Bestimmungen unterliegen gem. § 307 III 2 nur dem Transparenzgebot, nicht aber der Inhaltskontrolle. Durch das Erfordernis der „abweichenden“ oder „ergänzenden“ Regelungen werden drei Gruppen von Klauseln der Inhaltskontrolle entzogen, nämlich 1. Leistungsbeschreibungen, 2. Preisvereinbarungen und 3. „deklaratorische Klauseln“, d. h. solche Bedingungen, die mit gesetzlichen Regelungen übereinstimmen. Leistungsbeschreibungen sind der Inhaltskontrolle deshalb entzogen, weil sie lediglich die geschuldete Leistung festlegen. Preisvereinbarungen sind deshalb ausgenommen, weil die Preisbildung in der Marktwirtschaft grundsätzlich dem Marktmechanismus überlassen wird (Ausnahme: kartellrechtliche Preiskontrolle). Voll kontrollfähig sind demgegenüber bloße Preisnebenabreden, welche sich lediglich mittelbar auf den Preis auswirken (z. B. Rabattregelungen oder Preisänderungsklauseln). Deklaratorische Klauseln unterliegen der Inhaltskontrolle nicht, weil an ihre Stelle ohnehin die identische gesetzliche Regelung treten würde.

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b) Das System der §§ 307–309. Im Gutachten ist zunächst festzustellen, ob es sich um „abweichende“ oder „ergänzende“ AGB i. S. v. § 307 III 1 handelt. Ist dies der Fall, prüft man zweckmäßig zunächst die Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309), weil sie die striktesten sind. Dann folgen die Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit (§ 308), dann erst die wichtigste Vorschrift der Inhaltskontrolle, nämlich die Generalklausel des § 307 I, II. c) § 309: Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit. Die Überschrift zu § 309 enthält die Worte „ohne Wertungsmöglichkeit“. Dies bedeutet, dass es bei den in § 309 aufgeführten 13 Klauselverboten nicht darauf ankommt, dass eine unangemessene Benachteiligung des Kunden vorliegt (hingegen fordert § 308 in allen seinen acht Klauselverboten eine derartige Unangemessenheit, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Generalklausel des § 307 I die unangemessene Benachteiligung als Tatbestandsmerkmal enthält und § 308 in seinem Einleitungssatz von „insbesondere“ spricht). In § 309 wird die Unangemessenheit also unwiderleglich vermutet. Unwirksam nach § 309 sind Klauseln in AGB, die Preiserhöhungen innerhalb von vier Monaten vorsehen (Nr. 1: mit der Ausnahme von Dauerschuldverhältnissen); welche ein Leistungsverweigerungsrecht, nämlich die Einrede des § 320 oder ein Zurückbehaltungsrecht beschneiden (Nr. 2); die eine Aufrechnung verbieten (Nr. 3); die dem Verwender eine Mahnung oder Fristsetzung ersparen (Nr. 4); durch die Schadensersatzansprüche pauschaliert werden, wenn nicht dem anderen Vertragsteil der Nachweis eines niedrigeren Schadens ausdrücklich gestattet wird (Nr. 5); die für bestimmte Leistungsstörungen eine Vertragsstrafe vorsehen (Nr. 6); die eine Haftung bei Körperschäden oder im Fall groben Verschuldens begrenzen (Nr. 7); 48 in denen ein Vertragslösungsrecht des Kunden beschränkt wird (Nr. 8a); in denen Gewährleistungsansprüche durch Ausschluss und Verweisung auf Dritte, Beschränkung auf Nacherfüllung, Beschränkungen der Nacherfüllung, Setzung einer Ausschlussfrist für Mängelanzeige oder Verkürzung von Gewährleistungsfristen auf weniger als ein Jahr beeinträchtigt werden (Nr. 8b, nur anwendbar auf neu hergestellte Sachen oder auf Werkleistungen!); 49 durch

47 Letzteres ist stark umstritten, s. näher MüKo/Basedow, § 307 Rdn. 186 ff m. w. N. 48 Ausnahmen gelten für staatlich genehmigte Beförderungsbedingungen und Tarifvorschriften im Bereich des Personenverkehrs; außerdem für staatlich genehmigte Lotterie- oder Ausspielverträge, s. § 309 Nr. 7 a. E. 49 Der Anwendungsbereich dieser Regel ist allerdings beschränkt. Bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen im Verhältnis Unternehmer – Verbraucher können wegen § 475 ohnehin keine abweichenden Vereinbarungen zum Nachteil des Verbrauchers getroffen werden. Und im Verhältnis Unternehmer – Unternehmer ist die Vorschrift wegen § 310 I nicht anwendbar. Übrig bleiben

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die Dauerschuldverhältnisse in bestimmter Weise mit einer übermäßigen Laufzeit versehen werden (Nr. 9); durch die bei Kauf-, Dienst- oder Werkverträgen dem Partner ein namentlich nicht bezeichneter Dritter als neuer Vertragsteil aufgedrängt werden kann (Nr. 10); durch die dem Vertreter des Kunden ohne hierauf gerichtete ausdrückliche und gesonderte Erklärung eine eigene Haftung oder Einstandspflicht oder im Fall vollmachtloser Vertretung eine über § 179 hinausgehende Haftung auferlegt wird (Nr. 11); durch die in bestimmter Weise die Beweislast zum Nachteil des Kunden geändert wird (Nr. 12); oder durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem Verwender oder einem Dritten gegenüber abzugeben sind, an eine strengere Form als die Schriftform oder an besondere Zugangserfordernisse gebunden werden (Nr. 13).

d) § 308: Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit. Unwirksam nach § 308 sind Klauseln, bei denen der Verwender seine Interessen derart durchsetzt, dass dies bei einer Bewertung als unangemessen erscheint. Gem. § 308 Nr. 1 darf z. B. eine Annahmefrist nicht unangemessen lang sein. So hat der BGH eine Klausel für unwirksam erklärt, in der sich ein Kreditinstitut für die Annahme eines Kredits eine Frist von sechs Wochen vorbehielt. Eine Frist von einem Monat sei dagegen noch angemessen.50 Stets hat eine umfassende Interessenabwägung stattzufinden. Um beispielsweise zu bestimmen, ob eine bestimmte Frist für die Kreditannahme angemessen ist, hat eine Abwägung zu erfolgen zwischen dem Interesse der Bank an der Überprüfung der Kreditwürdigkeit des Kunden und dem Interesse des Kunden an einer möglichst kurzen Schwebezeit. Entsprechend ist bei den anderen Klauselverboten des § 308 zu verfahren (lesen!). e) § 307 I, II: Generalklausel. Greifen die §§ 309, 308 nicht ein, so sind AGB-Klauseln gleichwohl unwirksam, wenn sie den Kunden „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen“, § 307 I 1. Nach § 307 II ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Klausel entweder mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der (i. S. v. § 307 III 1) abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1), oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (Nr. 2). Nr. 1 macht klar, dass dem dispositiven Gesetzesrecht eine Leitbildfunktion zukommt, von der in AGB nicht beliebig abgewichen werden kann (z. B. Schadensersatzhaftung nur bei Vertretenmüssen). Gesetzesänderungen haben deshalb auch Einfluss darauf, was in AGB wirksam vereinbart werden kann.51 Nr. 2 knüpft an die Rechtsprechung an, nach der sich niemand von Kardinalpflichten freizeichnen kann.52 Nach § 307 I 2 kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, „dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.“ Dieses Transparenzgebot wurde von der Rechtsprechung entwickelt und im Zug der Schuldrechtsmodernisierung in das Gesetz aufgenommen. Für das Verhältnis zwischen den Klauselkatalogen der §§ 308 und 309 BGB zur AGB-rechtlichen Generalklausel in § 307 BGB ist anerkannt, dass eine Klausel, die in den Regelungsbereich der speziellen Klauselkataloge fällt und danach nicht zu beanstanden ist, immer noch aus besonderen, von den speziellen Verboten nicht erfassten Gründen nach § 307 BGB nichtig sein kann. Die Anwendung der Generalklausel darf

Geschäfte über Bauleistungen, Werkverträge (außerhalb von § 651) und Geschäfte zwischen Verbrauchern. 50 BGH NJW 1986, 1807; 1988, 2106. 51 Zum Einfluß des SMG s. beispielsweise Canaris, FS P. Ulmer (2003) 1073 ff. 52 S. eingehend Tettinger, AcP 205 (2005) 1.

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andererseits keine Umgehung der in den speziellen Klauselverboten zum Ausdruck gebrachten Regelungsabsicht bewirken.53 Aus der Generalklausel können sich also Anforderungen ergeben, die über die Klauselkataloge hinausgehen. Beispielsweise folgt aus § 309 Nr. 7b) BGB, dass für nicht-personenbezogene Schäden eine Haftungsfreizeichnung für einfache Fahrlässigkeit im Prinzip möglich sein muss. Diesen Ausgangspunkt hat die Rechtsprechung allerdings in einer unübersichtlichen Kasuistik eingeschränkt: In zahlreichen Fällen wurden Haftungsausschlüsse für einfache Fahrlässigkeit als unangemessene Benachteiligung i. S. der Generalklausel gewertet. So sind beispielsweise Haftungsausschlüsse unwirksam, die vertragstypisch vorhersehbare Schäden von der Haftung ausnehmen.54

8. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die §§ 307–309 188

Verstößt eine Klausel gegen die §§ 307–309, ist sie grundsätzlich in vollem Umfang unwirksam. Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, durch ergänzende Vertragsauslegung oder Umdeutung eine Fassung der Klausel zu finden, die gerade noch zulässig ist (Verbot der geltungserhaltenden Reduktion). Nur wenn die Klausel teilbar ist, und der nicht von der Unwirksamkeit erfasste Teil aus sich heraus verständlich ist, bleibt er aufrechterhalten. 9. Umgehungsverbot, § 306a

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In § 306a ist ein Umgehungsverbot vorgesehen. Es betrifft Tatbestände, die Schutzvorschriften des Gesetzes „wirtschaftlich gleichartig sind“.55 Die Vorschrift enthält einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, auf den in dem Maß zurückgegriffen werden muss, in dem Unwirksamkeitsvorschriften des Gesetzes eng ausgelegt werden. Das gilt insb für § 307. Je mehr die Generalklausel eingesetzt wird, desto geringere Bedeutung hat § 306a. 10. Folgen von Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit von AGB zwischen den Parteien für den Vertrag im Übrigen, § 306

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Da AGB gem. § 305 II nur durch Einbeziehung in den Vertrag wirksam werden, müssten unwirksame AGB nach der Regel des § 139 zur Nichtigkeit des ganzen Vertrags führen. Dann aber würde sich das Problem stellen, dass man durch eine Schutzvorschrift dem Geschützten „Steine statt Brot“ gibt. Er steht ohne den grundsätzlich auch von ihm gewollten Vertrag da, nur weil zu seinem Schutz ein Vertragsteil unwirksam ist. Zu Recht sieht daher § 306 I vor, dass der Vertrag im Übrigen wirksam bleibt, wenn AGB ganz oder teilweise nicht Vertragsteil geworden oder unwirksam sind. Gem. § 306 II tritt an die Stelle der nicht einbezogenen oder unwirksamen Klausel das dispositive Recht. Nach ständiger Rechtsprechung soll eine richterliche Vertragsergänzung bei unwirksamer Klausel allerdings da möglich sein, wo dispositives Recht nicht zur Verfügung steht oder die gesetzliche Regelung, die an die Stelle der Klausel träte, unangemessen wäre. Ist bei der Bürgschaft die globale Zweckabrede, nämlich die Erstreckung der Bürgschaft auf alle bestehenden und künftigen Forderungen des Gläubigers nicht Vertragsbestandteil geworden (s. o. Rdn. 179), wäre es unangemessen, den Bürgen sogar in Bezug auf diejenige Verbindlichkeit zu ent-

53 BGH NJW 1997, 739. 54 BGH NJW 1993, 335; NJW 2001, 292 (302). 55 Köhler, AT § 23 VI.

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lasten, die Anlass der Bürgschaft war. Im Weg der ergänzenden Vertragsauslegung ist seine Verpflichtung deshalb insoweit aufrechtzuerhalten.56

Nur dann ist in Abweichung von § 306 I, II der Vertrag unwirksam, wenn das Festhalten an ihm auch unter Berücksichtigung der nach § 306 II einzubeziehenden dispositiven Gesetzesregeln eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei – regelmäßig den Verwender – darstellen würde, § 306 III. Dies ist der Fall, wenn das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört wäre, z. B. wenn der Verwender den Kaufvertrag ohne die (unwirksame) Nachzahlungsklausel nicht geschlossen hätte.57 11. Die Unterlassungs- und Widerrufsansprüche. Verfahrensfragen (UKlaG) Um den Kunden von seinem Prozessrisiko zu entlasten und um bekannt gewordene AGB ohne akuten Anlass „abstrakt“ einer Kontrolle unterziehen zu können, räumt das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) bestimmten Stellen das Recht ein, Unterlassung und Widerruf zu verlangen, soweit AGB nach den §§ 307–309, also nach den Vorschriften über die Inhaltskontrolle unwirksam sind, §§ 1, 3 UKlaG (Verbandsklagerecht). Anspruchsberechtigt sind Verbraucherverbände („qualifizierte Einrichtungen“, s. § 4 UKlaG), Wirtschaftsverbände, Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern. Gleichgültig ist, ob die betreffenden AGB schon verwendet oder nur zur Verwendung empfohlen werden. Der Unterlassungsanspruch bezieht sich auf die Verwendung, der Widerrufsanspruch auf die Empfehlung. Verbraucherverbände haben kein Klagerecht, soweit lediglich Unternehmer von unwirksamen Klauseln betroffen sind, § 3 II UKlaG. Für die Verjährung gilt die allgemeine Verjährungsfrist mit subjektivem Verjährungsbeginn, §§ 195, 199. Zuständig ist nach § 6 UKlaG das Landgericht. Die §§ 5 ff UKlaG regeln das Verfahren, das im Bereich der Finanzdienstleistungen (Banken, Versicherungen) die Anhörung der Aufsichtsbehörde vorsieht, sowie die Urteilsformel. Wird der Klage stattgegeben, so kann nach § 7 UKlaG dem Kläger auf Antrag die Veröffentlichungsbefugnis zugesprochen werden. Diese erfolgt im Bundesanzeiger auf Kosten des Beklagte, im übrigen auf eigene Kosten. Das Gericht kann die Befugnis zeitlich begrenzen. Diese Vorschriften ähneln denen der §§ 8, 12, 13 UWG. Der Verwender, dem die Verwendung einer Klausel untersagt worden ist, kann im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) geltend machen, dass nachträglich eine Entscheidung des BGH oder des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes ergangen ist, welche die Verwendung dieser Bestimmung für dieselbe Art von Rechtsgeschäften nicht untersagt, und dass die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen ihn in unzumutbarer Weise seinen Geschäftsbetrieb beeinträchtigen würde, § 10 UKlaG. Diese Bestimmung weicht von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass spätere Änderungen der Rechtsprechung keinen Einfluss auf rechtskräftig abgeschlossene Gerichtsverfahren haben (s. aber §§ 323, 580 ZPO). – Der Streitwert in AGB-Sachen darf nicht höher als auf 250.000 Euro angesetzt werden, § 12 I 2 GKG. Die Wirkung eines Unterlassungsurteils beschränkt sich zunächst auf den Verwender. Die Wirkung für Kunden, die zu den AGB abschließen, zu deren Unterlassung oder Widerruf der Verwender verurteilt wurde, bemisst sich nach § 11 UKlaG: Nur dann ist die betreffende AGB-Klausel im Vertrag mit dem Kunden (sog. Folgevertrag) als unwirksam anzusehen, wenn der Kunde sich auf die Wirkung des Unterlassungsurteils beruft (Fall der Rechtskrafterstreckung). Die Berufung ist nicht möglich in den Fällen des § 10 UKlaG, und zwar unabhängig davon, ob der Verwender tatsächlich Vollstreckungsgegenklage erhoben hat.

56 BGH NJW 1998, 450 (451); NJW 2000, 658 (660). 57 BGH NJW-RR 2002, 1136.

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§ 25 VII

Inhalt des Schuldverhältnisses

12. AGB außerhalb der AGB-Kontrolle 192

Soweit nach § 310 IV die AGB-Kontrolle sachlich (z. B. im Erb- und im Gesellschaftsrecht) keine Anwendung findet, verbleibt es bei den Grundsätzen, die Lehre und Rechtsprechung vor Inkrafttreten einer speziellen AGB-Kontrolle entwickelt haben unter Einschluss der seitherigen Fortentwicklung der Rechtsprechung auf diesen Gebieten. Vier Fälle sind zu unterscheiden: (1) AGB können wegen Unüblichkeit nicht vereinbart sein, § 157; (2) sittenwidrig und daher nichtig sein, §§ 826, 138; (3) treuwidrig und daher unzumutbar sein, § 242; (4) wegen Unklarheit, Widerspruchs zur eigenen Erklärung, Dissenses wegen widerstreitender AGB der Gegenseite oder verspäteter Einführung in den Vertrag unwirksam sein.

VII. Treu und Glauben, § 242 193

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1. Findet sich für einen zustande gekommenen Vertrag, dessen Inhalt ermittelt werden soll, weder zwingendes Recht, noch Parteibestimmung, noch nachgiebiges Recht, so ist der überaus wichtige Satz des § 242 heranzuziehen (aber erst dann!): „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ Gewohnheitsrechtlich anerkannt ist zudem die Umkehrung dieses Satzes: Der Gläubiger ist gehalten, die Leistung nur so zu fordern, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es gestatten. Neben §§ 133, 157, 138, 812 I 1, 826 ist § 242 eine der wichtigsten Generalklauseln des BGB. Generalklauseln erfüllen eine zweifache Aufgabe: Sie fällen bestimmte Grundentscheidungen, die eine steuernde Wirkung für die ganze Rechtsordnung haben. Dazu dienen sie als Rechtsgrundlage für die Entscheidung von Einzelfällen, die sich anderen Vorschriften nicht unterordnen. Der Inhalt von Schuldverhältnissen bestimmt sich, über die – vom zwingenden Recht eingegrenzten (o. Rdn. 152) Parteierklärungen (o. Rdn. 153ff) hinaus – in praktisch allen Fällen auch durch die Generalklausel des § 242. Darum ist § 242 hier – beim Inhalt der Schuldverhältnisse und nicht bei ihrer Begründung – zu erwähnen. § 242 ist die Generalklausel für Inhalt und Umfang der Leistungspflicht, die immer eingreift, wenn Gesetz und Vertrag nichts Besonderes vorsehen. § 242 normiert jedes Schuldverhältnis (vgl. Stellung zu § 241) und ist nicht abdingbar (ius cogens). 2. Allerdings ist die Dogmatik des § 242 so umfangreich, dass sie unten in einem eigenen § 27 dargestellt werden soll: Dabei muss die grundsätzliche Bedeutung des § 242 (Gernhuber: Die regulierende Funktion; die „einzige …, die unmittelbar auf den Text der Norm zurückgeführt werden kann“, JuS 83, 765) von den weiteren Bedeutungen unterschieden werden, die § 242 in Lehre und Rechtsprechung erlangt hat. Diese weiteren Bedeutungen haben zu „neuen Sachnormen“ (Staudinger/J. Schmidt, Rdn. 168 ff) geführt, bei denen § 242 zur Begründung oder Versagung von Pflichten über das bisherige Recht hinaus benutzt wird. Insoweit ist § 242 eine „Durchgangsfunktion“ (Merz) beigelegt. Für die Bestimmung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist die grundsätzliche Bedeutung des § 242 mit Sicherheit von unmittelbarem Belang. So stützen sich die „weder vom Gesetz noch in einem Vertrag geregelten Leistungsmodalitäten“ (Gernhuber) auf § 242, einschließlich der sog. Nebenpflichten (s. o. Rdn. 37). Aber auch die weiteren Bedeutungen, die in „neuen Sachnormen“ Niederschlag gefunden haben und bei denen es um das „Ob“ einer Leistung überhaupt (und nicht bloß um das „Wie“) geht, gestalten häufig den Inhalt vorhandener Schuldverhältnisse. Freilich begründen sie manchmal auch völlig neue, Einzelheiten s. in § 26.

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Bestimmung des Leistungsinhalts

§ 25 X

VIII. Nachgiebiges Gesetzesrecht (ius dispositivum) Nachgiebiges Recht findet Anwendung, wenn die Parteien – auch nach Auswertung des Treu-und-Glauben-Satzes (§ 242) – nichts Besonderes bestimmt haben oder wenn sie nicht ausführlich genug waren. Bisweilen übersehen die Parteien einen Punkt. Häufiger ist, dass sie sich bewusst darauf verlassen, dass „im Gesetz schon etwas stehen wird“. In beiden Fällen bietet das Gesetz vielfach die nötige Hilfe. Weite Bereiche des Schuldrechts bestehen aus derartigem „nachgiebigem Recht“, das sich zur Verfügung stellt, wenn im Vertrag nichts enthalten ist, das aber nicht gelten will, wenn die Parteien etwas abweichend regeln. Sie können auch das nachgiebige Recht als Vertragsbestandteil vereinbaren. Durch das nachgiebige Recht erfüllt das Gesetz eine seiner wichtigsten Aufgaben.

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IX. Nachträgliche Bestimmung des Leistungsinhalts durch Partei, Dritten, Taxe oder Richter Es handelt sich um Sonderfälle:

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1. § 315 regelt die Leistungsbestimmung durch eine Partei, hilfsweise durch Urteil. 2. § 316 schreibt hilfsweise Bestimmung durch den Gläubiger der Gegenleistung vor. 3. §§ 317–319 betreffen die Bestimmung der Leistung durch einen Dritten.

4. Häufiger ist die Bestimmung durch eine „Taxe“, d. h. eine öffentlich-rechtlich geregelte Preisordnung (z. B. Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), die GebO für Ärzte und Zahnärzte, die HOAI für Architekten und Ingenieure) 612 II, 632 II, 653 II. 5. Der Richter bestimmt die Leistung, z. B. in §§ 315 III 2, 343, 917 I 2 (seltene Ausnahmen). 6. Die Parteien können auch ein Schiedsgericht oder einen Schiedsgutachter mit der Bestimmung des Leistungsinhalts beauftragen.

X. Prüfungsschema Als Zusammenfassung von § 25 ergibt sich, dass für die Ermittlung des Inhalts eines Schuldverhältnisses folgende Kriterien von Bedeutung sind: 1. Was haben die Parteien (aus der Sicht eines objektiven Beobachters) erklärt (157)? Dazu bedarf es zumindest dreier Feststellungen: a) Was hat jede einzelne Partei erklärt? b) Wieweit besteht „Erklärungskongruenz“? c) Was haben die Parteien also übereinstimmend erklärt? 2. Was haben die Parteien mit ihren Erklärungen gewollt (133)? Dies, nicht das Erklärte, entscheidet über den Vertragsinhalt. Also – in Entsprechung zu oben 1. –: Was hat jede einzelne Partei gewollt, wieweit deckt sich der Wille, und was haben sie also übereinstimmend gewollt? – Erklärungen durch AGB zählen hierher. 3. Was ergeben die Umstände, als Ergänzung des gemeinsam Gewollten (157)? 4. Die wohl h. M. schließt jetzt die „ergänzende Vertragsauslegung“ an, also die Ermittlung eines „hypothetischen Parteiwillens“. Das ist aber nur vom Standpunkt eines objektiven Vertragsbegriffs zulässig, der den Vertrag als „objektives Sinnganzes“ versteht. Die zutreffende subjektive Vertragstheorie (s. o. Rdn. 145, 158) kann allenfalls eine „erläuternde“, keine ergänzende Vertragsauslegung zulassen. Was die h. M. als ergänzende Auslegung, als „Weiterdenken des Vertrags“ bezeichnet, gehört in Wahrheit in die Prüfung des § 242 (u. 5).

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§ 26 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

5. Was ergibt sich für den Inhalt des Vertrags zusätzlich, oder in Korrektur des bisher ermittelten Inhalts, aus § 242? (Leistungsmodalitäten, Nebenpflichten u. a.; im Einzelnen s. § 26 u.). 6. Was folgt über Parteiwille und § 242 hinaus aus dem nachgiebigen Gesetzesrecht für den Vertragsinhalt? (§ 242 steht dem Vertrag näher, nicht ferner, als das nachgiebige Recht.) 7. Sind schließlich § 315–318, Bestimmung durch Taxe, Schiedsgericht oder Schiedsgutachter heranzuziehen?

§ 26 Treu und Glauben. Die Bedeutungen des § 242 Betti, FG Müller-Erzbach, 1954, 7; Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, 1969; Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, 1980; Bruggner-Wolter, Verjährung bei Schadensersatz aus Schutzpflichtverletzung, 1993; Bueckling, ZRP 83, 190; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Chiotellis, Rechtsfolgebestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen in Schuldverträgen, 1981; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, 1950; Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 1953; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortentwicklung des Privatrechts, 3. Aufl. 1974; ders., JZ 56, 555; Fikentscher, Die Rechtsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1971; ders., De fide et perfidia. Der Treuegedanke in den „Staatsparallelen“ des H. Grotius aus heutiger Sicht, 1979; Gernhuber, JuS 83, 764; Hamburger, Treu und Glauben im Verkehr, 1930; Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933; Henkel, FS Mezger, 1957, 249; ders., Recht und Individualität, 1958; Herrmann, JURA 85, 505; Herschel, ZAKDR 1940, 76; ders., FS Nikisch, 1958, 49; Horn, NJW 85, 1118; Hueck, A., FS Hübner, 1935, 72; ders., Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947; Jagusch, SJZ 7, 295; Kamanabrou, AcP 202 (2002) 662; Kegel, FS Pleyer, 1986, 513; Köller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1933, Loges, Die Begründung neuer Erklärungspflichten und der Gedanke des Vertrauensschutzes, 1991; Merz, Art. 2 ZGB, in: Berner Komm., Bd. I., 1962; Nipperdey, Vertragstreue und Nichtzumutbarkeit der Leistung, 1921; Ohly, AcP 201 (2001) 1; Olshausen, JZ 83, 288; Pawlowski, JZ 2002, 627; Riezler, IherJb. 89, 177; ders., Venire contra factum proprium, 1912; Schmidt, J., Symposion Wieacker, 1990, 231; Siber, Schranken des privaten Rechts, 1926; Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934; ders., Vom Wesen des Rechtsmißbrauchs, 1935; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (1993); Sonnenberger, FS Odersky, 1996, 702; Strätz, Treu und Glauben, Bd. I, 1974; Teichmann, JA 84, 545, 709; ders., JA 85, 497, Weber, W., Zumutbarkeit und Nichtzumutbarkeit als rechtliche Maßstäbe, JurJb. 1963, 239; ders., Treu und Glauben, 1961; Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242, 1956; Wieling, Jura 85, 505 (vgl. auch die Literatur-Angaben bei MünchKomm/ Roth und Staudinger/J. Schmidt zu § 242) und, zur Geschäftsgrundlage, unten zu § 27.

I. Allgemeines 198

1. § 242 hat eine Grundbedeutung und viele einzelne Anwendungsmöglichkeiten. Immer wenn § 242 zur Lösung eines Einzelfalles herangezogen wird, muss gefragt werden, ob die spezielle Anwendung, wenn auch nur mittelbar und „abgeleitet“, auf der Grundbedeutung des § 242 fußt. Nur in diesem Falle ist sie zulässig. Nur wenn die Anwendung im Einzelfall eine Konkretisierung der Grundidee ist, darf man sich auf § 242 berufen. Sonst wird § 242 durch Ausuferung missbraucht – eine Gefahr aller Generalklauseln in einem Zivilkodexsystem: Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933; A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 6. Aufl. 2005.

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Treu und Glauben

§ 26 I

2. a) Die Grundbedeutung von § 242 ist nicht, Treu und Glauben als allgemeinen Maßstab menschlichen Verhaltens im Recht zu fordern (A. Hueck aaO). Die allgemeinen menschlichen Beziehungen werden in erster Linie durch das Deliktsrecht, und dort im Kern durch die Generalklausel der „guten Sitten“ (826) und die Eingriffstatbestände des § 823, daneben durch die anderen gesetzlichen Schuldverhältnisse (812 ff, GoA usw.) kontrolliert. § 242 setzt demgegenüber eine Sonderbindung, z. B. einen Vertrag oder sonst ein zwei- oder mehrseitiges konkretes Rechtsverhältnis voraus, in dem erhöhte Sorgfaltspflichten bestehen. § 242 beabsichtigt daher grundsätzlich auch nicht, Rechte und Pflichten zwischen Gläubiger und Schuldner neu zu begründen (§ 242 ist darum in aller Regel keine Anspruchsnorm, und es wäre fast immer ein Fehler, die Lösung eines Falles mit § 242 zu beginnen; zu den wenigen Ausnahmen sogleich). § 242 und seine gewohnheitsrechtliche Umkehrung (auch der Gläubiger darf nur nach Treu und Glauben fordern) wollen im Grundsatz nur bestehende Rechte und Pflichten inhaltlich ausgestalten und genauer bestimmen, auch veränderten Umständen anpassen. § 242 hat also rechtsbestimmenden, nicht rechtsbegründenden Charakter. Diesen Grundzug verleugnet § 242 auch dort nicht, wo er ausnahmsweise neue Pflichten schafft, und dadurch zur „Durchgangsnorm“ (Merz) für die Entstehung neuer „gesetzlicher Schuldverhältnisse“ wird. Auch hier werden vorhandene schuldrechtliche Sonderbindungen mit besonderen konkreten Rechten und Pflichten ausgestattet, erweitert oder ergänzt. Als Reaktion auf den Missbrauch der Generalklauseln unter der Herrschaft des Nationalsozialismus vertrat die h. L. nach 1945 entschieden das Erfordernis einer „Sonderverbindung“, um die erhöhten Anforderungen, die ein Treueband gem. § 242 stellt, zu rechtfertigen (zur Entwicklung A. Hueck; Merz; Fikentscher, De fide): Man schuldet nicht aller Welt Treue, wohl aber die aus gesetzlichen Schuldverhältnissen (insb. §§ 823 ff) zu entnehmende Sorgfalt. Demgegenüber möchte Staud./ J. Schmidt § 242 Rdn. 113 ff auf die „Sonderverbindung“ verzichten, weil „mit Hilfe des § 242 die Möglichkeit erschlossen wird, rechtliche Lücken zu ergänzen und Forderungen der sozialen Gerechtigkeit zu berücksichtigen“ (aaO 120). Folgerichtig sieht J. Schmidt in § 242 nur einen Denkappell und eine methodologische Hilfsfigur zu richterrechtlicher Entwicklung „neuer Sachnormen“ (aaO 155, 258). Der von J. Schmidt zutreffend gesehene Bedarf richterlicher Fortbildung (auch) des Privatrechts wird aber schon durch Art. 20 GG („Gesetz und Recht“) gedeckt. Vom Standpunkt der auch in diesem Buch vertretenen Fallnormtheorie (Fikentscher, Methoden IV, §§ 31, 32) bedarf es der Heranziehung des § 242 zur Lückenfüllung und Beachtung sozialer Gerechtigkeit nicht. Vielmehr gilt heute für § 242 das Gebot der Konkretisierung des Gesetzeswortlauts (oben Rdn. 198), um subsumtionsfähige Fallnormen zu gewinnen. Der Wortlaut spricht nun einmal von „Treu und Glauben“, und das ist ein wesentlich engerer Maßstab als die jedermann geschuldete „gute Sitte“ (§ 826) oder gar die „soziale Gerechtigkeit“ als Zielrichtung („Denkappell“) einer „methodologischen Hilfsfigur“. (Gäbe man die „Sonderverbindung“ auf, entstünde z. B. im Wettbewerbsrecht heillose Verwirrung, weil dann statt oder neben § 3 UWG auch noch § 242 in Konkurrenzbeziehungen gelten würde.1 Die Schweiz verwendet eine andere Terminologie, wenn ihr UWG von „Treu und Glauben“ spricht.) Nach J. Schmidt könnte § 242 eigentlich gestrichen werden. § 242 steht aber mit guten Gründen im Gesetz.

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b) Die grundsätzliche, ins Ethische führende Bedeutung des § 242 besteht in Folgendem: Schuldverhältnisse sollen nicht nur irgendwie und überhaupt erfüllt werden, sondern in bestimmter, nämlich anständiger und verkehrsüblicher Weise.

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Ein Schuldner soll einem Gläubiger das Geld nicht auf den Tisch knallen, sondern es ihm in die Hand drücken. Der Gläubiger darf gegen seinen Schuldner nicht in jeder beliebigen Manier, sondern nur mit anerkannten Mitteln vorgehen.

c) Der Maßstab für das beiderseitige Verhalten ist mit den Worten umschrieben: Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte. Ähnlich lautet § 157 für die Auslegung des Vertragsinhalts. Der Unterschied besteht darin, dass § 157 Vertragserklä1 Medicus, I § 16 II, der im Anschluss an J. Schmidt aaO die „Sonderverbindung“ aufgeben möchte, sagt selbst, dass dann die Abgrenzung zwischen Treu und Glauben und den guten Sitten „verschwimmt“.

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§ 26 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

rungen, etwa zur Begründung eines Schuldverhältnisses, meint, während § 242 grundsätzlich ein bereits bestehendes oder erwartetes Rechtsverhältnis voraussetzt. Darin steckt ein subjektives und ein objektives Moment: „Treu und Glauben“ sind Grundsätze, welche die Beziehungen zwischen den konkreten Personen des Schuldverhältnisses bestimmen sollen. Alle Eigenschaften und Umstände in der Person des Gläubigers und Schuldners sind Material für die Bestimmung, was bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses als anständig zu gelten hat. „Anständig“ ist dabei als vom Recht verwendeter Moralbegriff zu verstehen (entspr. den „guten Sitten“ in §§ 138, 826). Namentlich ist das gegenseitige Vertrauen auf gegebene Versprechen und vorherige Verhaltensweisen maßgebend. Zu fragen ist: Was darf dieser Gläubiger von diesem Schuldner in dieser konkreten Lage erwarten, was muss billigerweise dieser Schuldner von diesem Gläubiger gewärtigen? Die „Rücksicht auf die Verkehrssitte“ bringt dann eine nachträgliche, von objektiver Warte zu vollziehende Korrektur ins Bild. Entscheidend sind danach nicht nur die am Schuldverhältnis beteiligten Subjekte mit ihren persönlichen Eigenschaften und Interessen, Vorstellungen und Möglichkeiten, sondern auch das im Verkehr allgemein Übliche. (Umgekehrt beeinflusst die Verkehrssitte auch Treu und Glauben!) 2

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3. Folgt man dem, kann ein allgemeines gesetzliches Schuldverhältnis der „Vertrauenshaftung“ (grundlegend: Canaris, Vertrauenshaftung) nicht bejaht werden. Vielmehr schafft § 242 kraft Gesetzes in Sonderverbindungen Ergänzungen und Korrekturen von Rechten und Pflichten auf der Grundlage des Vertrauensprinzips. 4. Dabei geht es nicht um Vertrauen im psychologischen Sinne, sondern um ein normatives Vertrauendürfen (a. A. Bohrer). „Vertrauen“ ist weder rein psychologisch noch rein objektiv wertend zu verstehen. Das gesamte Recht der Willenserklärungen lässt sich weder allein voluntaristisch noch allein „verkehrsobjektiv“ begreifen. Beide Anschauungen würden den spezifisch juristischen, vom Rechtszweck bestimmten Willensund Wissensbegriffen nicht gerecht werden. Ein Schuldner „vertraut“ im Sinne des § 242 also sowohl dann auf einen Umstand, wenn er ihn in seine Vorstellung aufnimmt und ihn bezweckt, will oder in Kauf nimmt (Absicht, dolus directus, dolus indirectus); er vertraut aber auch dann auf ihn, wenn er ihn nicht in seine subjektive Vorstellung aufnimmt, ihn aber unbewusst seinem Verhalten zugrunde legt. Dieses letztgenannte „Vertrauen“ ist nur normativ, also aus einem wertenden Vergleich mit anderen Schuldnern in dieser Situation mit Hilfe einer Wahrscheinlichkeitsberechnung zu begründen.3 Jedem Geschäft liegen bei beiden beteiligten Parteien bestimmte Vorstellungen, Erwartungen, Motive zugrunde. Sie werden, wenn sie nicht zum Gegenstand der Vereinbarung gemacht werden, nicht Vertragsinhalt. Motivirrtümer beeinflussen die Gültigkeit des Vertrags im Allgemeinen nicht, 119 II. Trotzdem können bestimmte besonders wichtige Motive (außer nach § 119 II und §§ 2078/79) über

2 Die Kontrastierung von „privatautonomer“ (= subjektiver) und gesellschaftswertender Anwendung von § 242 bei Staud./J. Schmidt übersieht, dass § 242 beide Maßstäbe in den Tatbestandsmerkmalen „Treu und Glauben“ und „Verkehrssitte“ enthält. Die „sinnvolle Ordnung“ ist immer zu berücksichtigen, aber nicht allein. 3 Gegen den normativen (d. h. nicht-psychologischen) Vertrauensbegriff läßt sich nicht einwenden, damit würden jene objektiven Elemente wieder in die Ermittlung des Vertragsinhalts eingeführt, die oben (Rdn. 158) durch die Entscheidung für den subjektiven Vertragsbegriff eliminiert wurden. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob man bei der Bestimmung der Geltungs- und Haftungsgrenzen eines Vertrags (oben Rdn. 147) von den Umständen ausgeht, auf welche die Parteien (psychologisch) vertrauten oder (normativ) hätten vertrauen dürfen, oder ob man im Vertrag ein objektives Sinnganzes, ein soziales Gefüge oder dergl. sieht, das der Richter im Bedarfsfall ergänzen oder „weiterdenken“ kann. Freilich stellt der normative Vertrauensbegriff eine Annäherung an den objektiven Standpunkt dar, mit der von früheren Vorauflagen (bis zur 5. von 1975) abgewichen wird.

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Treu und Glauben

§ 26 II

§ 242 rechtserhebliche Bedeutung erlangen. Man kann sie Vertrauensumstände nennen. Es handelt sich um die Umstände, auf deren Vorliegen, Entstehen oder Weiterbestehen der Schuldner bei Eingehung seiner Verbindlichkeit so sehr vertraut, dass „sich der Gläubiger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die vom Schuldner verfolgten Motive auf die Abhängigmachung des Vertrags von dem fraglichen Umstand eingelassen hätte oder redlicherweise hätte einlassen müssen, wenn man die Unsicherheit des Umstands beim Vertragsschluss in Betracht gezogen hätte“ (im Anschluss an H. Lehmanns Formel für die „Geschäftsgrundlage“). Umgekehrt sind Vertrauensumstände des Gläubigers die Umstände, auf die der Schuldner sich nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte für die Entstehung, Erhaltung oder Sicherung eines Anspruchs eingelassen hätte oder redlicherweise hätte einlassen müssen, wenn man die Unsicherheit des Umstands – z. B. die Unzuverlässigkeit des Schuldners selbst – bei der Entstehung, Erhaltung oder Sicherung des Anspruchs in Betracht gezogen hätte.

5. Daraus folgt: Eine Verletzung von § 242 führt selbständig zu keiner Sanktion, isoliert kann § 242 nicht verletzt werden. Vielmehr folgt aus dem grundsätzlich bloß rechtsbestimmenden Charakter des § 242, dass mit seiner Verletzung das vorausgesetzte Recht verletzt ist. Der ungetreue Gesellschafter haftet aus §§ 705, 242, 280 I wegen Pflichtverletzung auf Schadensersatz; anstelle der trotz vorhandenen Hausbriefkastens über den Zaun geworfenen und vom Winde verwehten Morgenzeitung muss ein anderes Exemplar nachgeliefert werden, 433 I 1, 242, 362. 6. Daraus folgt auch, dass der Lehre, die § 242 auf ein methodisches Prinzip reduziert (Staud./J. Schmidt Rdn. 144; Medicus I § 16) nicht gefolgt werden kann. § 242 ist in dem Sinne sachhaltig, dass seine Funktionen (h. L., u. Rdn. 205ff) oder Konkretisierungen (unten III) subsumtionsfähige Normen erbringen. In Funktionen umgesetzt, wie die h. L. es will, oder konkretisiert, wie es richtig erscheint, kann man also § 242 zu Begründungen verwenden (anders J. Schmidt). Im Folgenden wird die herrschende Funktionentheorie und danach die Mindermeinung (Konkretisierungslehre) vorgetragen (s. J. Schmidt aaO Rdn. 127 ff, der beide verwirft und einen neuen Weg geht, auf dem ihm Medicus I § 16 weitgehend folgt). Dabei widersprechen sich Funktionen- und Konkretisierungslehre im Grunde nicht. Funktionen sind Aufgaben, Verwendungsweisen. Ob sie zulässig sind, kann sich nur durch Konkretion von § 242 ergeben; eine nicht durch Konkretion von § 242 „abgeleitete“ Funktion wäre freie Rechtsfindung, die nach Art. 20 GG nicht zulässig ist (s. o. Rdn. 199). Auch mit J. Schmidts Verweisung „mit § 242“ gewonnener „neuer Sachnormen“ an die verschiedenen Rechtsgebiete verträgt sich der Konkretisierungsgedanke: Er gibt an, inwiefern jene Rechtsgebiete Zuwachs durch § 242 erhalten.

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II. Die Funktionenlehre Nach h. L. hat § 242 „Funktionen“, in denen er zur Anwendung gelangt. Eine einheitliche Aufgliederung dieser Funktionen hat sich noch nicht herausgebildet. Ein paar Beispiele: Esser 2, § 31, unterscheidet die regulative, die Schranken- und die Billigkeitsfunktion (auf ihn geht das Funktionen-Denken wohl zurück). J. Schmidt (Staud./J. Schmidt, § 242, Schrifttum) gliedert den Stoff in „Nebenpflichten“, „Risikotragung“ und „Beschränkung von Rechten und Rechtslagen“ um ihn sodann aus § 242 hinauszuverweisen (Rdn. 208 ff). Medicus I § 16 gliedert die Funktionen in prätorischer Tradition in die Rechtsverhältnisse konkretisierende, ergänzende und ändernde (iuris civilis (ad)iuvandi, supplendi vel corrigendi gratia). Das Funktionenschema von Gernhuber unterscheidet die pflichtenbegründende Funktion (z. B. Schutz-, Auskunftspflichten), die Schrankenfunktion (z. B. unzulässige Rechtsausübung, Rechtsmissbrauch), die regulierende Funktion (Modalitäten der Leistung, z. B. Zeit, Ort, Art und Weise der Lieferung) und die

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§ 26 III 2

Inhalt des Schuldverhältnisses

Kontroll- und Korrekturfunktion (insb. „Wegfall der Geschäftsgrundlage“). Fast jeder Autor verwendet sein eigenes Schema. Über diese Sicht- und Sammelbemühungen hinaus versucht die ,,Konkretisierungstheorie“ (Ausdruck v. J. Schmidt, Rdn. 128), wie sie in diesem Lehrbuch seit der 1. Auflage schrittweise entwickelt wurde, eine auf Wortlaut und Grundgedanken von § 242 gestützte Fallnormgewinnungslehre zu begründen.4

III. Die Konkretisierungstheorie 1. Allgemeiner Inhalt 206

Die Konkretisierungstheorie hält § 242 für eine Generalklausel, aus der Rechtssätze abgeleitet werden können, die zur Anwendung auf zu lösende Fälle geeignet sind (durch „Konkretisierung“). Damit lassen sich die „Funktionen“ des § 242 aus seinem „Wortlaut und Sinn“ begründen. Der Sinn des § 242, wie er in seinem Wortlaut hinreichend zum Ausdruck kommt, besteht darin, dass der Schuldner „nach Treu und Glauben“ weniger leisten muss, als er eigentlich schuldig ist, und der Gläubiger „nach Treu und Glauben“ mehr fordern darf, als der Vertrag an sich hergibt. Beides setzt voraus, dass ein schutzwürdiges Vertrauen besteht, des Schuldners, eine Erleichterung, des Gläubigers, eine Ergänzung zu bekommen. Das Vertrauen bezieht sich jeweils auf nicht zum Vertragsinhalt zählende tatsächliche Umstände. Man kann also Vertrauensumstände des Schuldners und des Gläubigers unterscheiden. Vertrauensumstände des Schuldners mindern den Vertragsinhalt, so dass der Schuldner sinngemäß zum Gläubiger sagt: „Das steht zwar so im Vertrag, aber damit konnten wir nicht rechnen, dass mich das so teuer kommt …“. Vertrauensumstände des Gläubigers ergänzen den Vertragsinhalt, so dass der Gläubiger sinngemäß zum Schuldner sagt: „Das steht zwar nicht im Vertrag, aber du schuldest mir nicht nur irgendwie, sondern anständig, also auch …“. Auf diese Zweiteilung lassen sich alle „Funktionen“ zurückführen, so dass sie ihre Beliebigkeit verlieren. Die Trias bei Staud./J. Schmidt (Nebenpflichten, Risikoverteilung, Rechtsbegrenzung) vermischt die Anwendung von § 242 auf den Schuldner (Rechtsbegrenzung: Risikozurechnung an den Gläubiger) und auf den Gläubiger (Ausformung der Pflichten des Schuldners: Risikozurechnung an den Schuldner).5 Gernhubers Vierfunktionlehre enthält im Grunde nur zwei Gesichtspunkte: Schuldnerentlastung (Schrankenfunktion; Kontroll- und Korrekturfunktion unter Risikozurechnung an den Gläubiger) und Gläubigerbegünstigung (regulierende Funktion als Präzisierung der Schuldnerpflichten; pflichtenbegründende Funktion für zusätzliche Schutz- und Auskunftspflichten u. ä.; Kontrollund Korrekturfunktion unter Risikozurechnung an den Schuldner). Entsprechendes gilt für die anderen „Funktionenlehren“.

2. Methodische Zulässigkeit 207

Methodisch hat J. Schmidt (Staud./J. Schmidt, Rdn. 128 ff) gegen die Konkretisierungstheorie eingewandt, eine Konkretisierung des Treuegedankens mit Hilfe der Vertrauensumstände sei zur Gewinnung von Tatbestandsmerkmalen ungeeignet. Das trifft vom Standpunkt der Fallnormlehre nicht zu. Nach ihr wird nur so weit konkretisiert, wie der Sachverhalt Unterscheidungen fordert. Daher sind noch sehr allgemeine Normen subsumtionsfähig, solange vom Sachverhalt her keine Anforderungen an Differenzierung gestellt werden. Erst sich ausdifferenzierende Sachverhalte verlangen nach weiterer Konkretisierung, und dann werden bisher ermittelte und bisher zur Subsumtion verwendete Vertrauensumstände aufgegeben, um eine, abgeleitete, konkretere, unterscheidungskräftigere zu bilden. Das mag sich im Ergebnis mit dem Gedanken der Bildung „neuer Sachnormen“ (J. Schmidt) decken. Doch vermag die Konkretisierungstheorie den Grund für die Bildung solcher neuer Sachnormen an-

4 Allgemein zur Gewinnung von subsumtionsgeeigneten Normen („Fallnormen“) Fikentscher, Methoden IV 176 ff; ders., ZfRvgl vgl. 1985, 163; ähnlich Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, 181 ff. 5 Entsprechendes gilt für Esser2: Regulative, Billigkeits- und Schrankenfunktion; nicht mehr weiterverfolgt in Esser/Schmidt, § 10 III.

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§ 26 III 3

zugeben. Ob man diese dann bei § 242 oder an Ort und Stelle, d. h. beim begrenzten oder erweiterten Schuldverhältnis systematisiert, ist eine reine System- und Darstellungsfrage, die von der Frage der Sachhaltigkeit des § 242 zu trennen ist. Auch Rüßmann (AcP 186 [1986] 291, 294) hat unter Zugrundelegung des „Ableitungsbegriffs der formalen Logik“ methodische Bedenken. Die Gewinnung von subsumtionsgeeigneten Normen aus einem Rechtsgrundsatz (wie § 242) folgt aber zumindest nicht nur der formalen Logik.6 Ein Rechtsgrundsatz enthält mehr als eine „Information“ (aaO 294), nämlich allgemeine Regeln, wie Risiken zu verteilen sind. Rüßmanns Suche nach solchen Regeln (aaO 295) führt (auch) zu § 242 zurück.

3. Die grundsätzliche und die weiteren Bedeutungen des § 242 Die grundsätzliche Bedeutung des Treu-und-Glauben-Satzes wurde in den vorgehenden Rdn. 193, 194 erläutert. Danach ist der Sinn der in § 242 enthaltenen Generalklausel, die Gläubigerrechte und Schuldnerpflichten inhaltlich genauer zu bestimmen, als dies durch Gesetz und Vertrag im Übrigen geschieht und geschehen kann. Der Gläubiger darf die ihm geschuldete Leistung nur nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte fordern, der Schuldner muss seine Leistung mit dieser Maßgabe erfüllen. Beispiele: BGHZ 5, 178 (ist behördliche Genehmigung eines Vertrags nötig, müssen die Parteien an der Herbeiführung mitwirken); 10, 1 (Zeitpunkt der Zahlung); 26, 330 (gleichmäßige Schadenstragung); 37, 38 (Ansprüche unter Ehegatten), 37, 233, 241 (Vermächtnis). Man spricht insoweit von „Nebenpflichten“ (o. Rdn. 35ff) oder „Modalitäten der Leistungspflicht“ (Gernhuber): Die Zeitungsfrau (als Botin der Verlagsgesellschaft) darf die Zeitung frühmorgens nicht einfach über den Zaun werfen, sondern muss sie so unterbringen, dass sie den Besteller in noch lesbarem Zustand erreicht. Der Besteller muss seinerseits für geeignete, regensichere Behälter zur Aufbewahrung sorgen. – Wer ein Porzellanservice verkauft und zum Versand bringt, muss es gegen Bruch verpacken. – Wer ein Klavier an eine Privatperson „frei Haus“ verkauft, muss es in die Wohnung transportieren und darf es nicht vor der Haustür stehenlassen. Jedenfalls trifft – nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte – ihn die Pflicht, mit dem Kunden einen entsprechenden Transport zu verabreden, gegebenenfalls durch ein Spezialfuhrunternehmen. – Wer in eine Gesellschaft eintritt, ist zur Gesellschaftstreue verpflichtet und darf nicht gesellschaftsschädigende Interessen verfolgen. – Die Anwendungsfälle von § 242, schon in seiner ursprünglichen, im Gesetz formulierten Anwendungsweise, sind unübersehbar.

Vom „Wie“ einer Leistung lässt sich aber das „Ob“ nicht deutlich trennen. Jede Präzisierung der Schuldnerpflichten ist zugleich eine Mehrbelastung des Schuldners. Ob man sagt, im Privatverkehr dürfe nur zu den üblichen Stunden erfüllt werden, oder den Schuldner treffe neben seiner Erfüllungspflicht die zusätzliche Pflicht, sich an die üblichen Stunden zu halten, läuft auf das Gleiche hinaus. Trotz dieses gleitenden Übergangs vom „Wie“ zum „Ob“ ist es wegen der Fallgruppenbildung sinnvoll, die „weiteren Bedeutungen“ des § 242 von der grundsätzlichen („regulierenden“) zu trennen. Bei diesen „weiteren Bedeutungen“ (unten Rdn. 215 ff und Rdn. 218 ff) tritt der Kerngedanke des § 242, Schuldner und Gläubiger sollten bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses Unzumutbares erspart bleiben, also ein Anpassungs- und notfalls ein Lossagungsrecht erhalten, schärfer hervor als bei der (ebenfalls von ihm getragenen) „regulierenden“ Bedeutung, weil wegen der Überschreitung der Wortlautgrenze das Konkretisierungsproblem an Gewicht gewinnt (unten Rdn. 209 ff). 6 Die zweiwertige Logik ist nicht in der Lage, in Regel und Ausnahme zu denken, L. Philipps, ARSP 50 (1964), 317; E. v. Savigny, Jahrb. f. Rechtssoz. u. Rechtstheorie Bd. II (1972) 231; Fikentscher, Methoden IV, 118.

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Inhalt des Schuldverhältnisses

4. Der Maßstab der Unzumutbarkeit 209

Gestaltet der Satz von Treu und Glauben grundsätzlich das „Wie“ einer Leistungspflicht, so kann dies in besonderen Fällen den teilweisen oder gänzlichen Wegfall von Recht und Pflicht, Forderung und Schuld bedeuten. Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte können es in Grenzfällen einem Gläubiger schlechthin verbieten, von seinem Recht Gebrauch zu machen. Das ist dann der Fall, wenn Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dem Schuldner die Erfüllung der Schuld unzumutbar erscheinen lassen. Die Begrenzung oder Aufhebung des Gläubigerrechts ist dabei nur die gedankliche Umkehrung des Wegfalls der Schuld wegen Unzumutbarkeit für den Schuldner (Fälle unten Rdn. 215ff. Pflichtenbefreiende Vertrauensumstände). Umgekehrt gibt es Fälle, in denen dem Schuldner eine Leistung zugemutet werden muss, obwohl die vertragliche Rechtslage an sich gegen eine Leistungspflicht spricht (Formmangel, Gegenrechte). Ist es treuwidrig, wenn sich der Schuldner auf diese negativen, den Anspruch hindernden oder zerstörenden Tatsachen beruft, so ist die Nichterfüllung der Schuld für den Gläubiger unzumutbar (Fälle unten Rdn. 218ff. Pflichtenbegründende Vertrauensumstände). Die Lehre von den Vertrauensumständen (als sachlicher Inhalt der „Konkretisierungstheorie“) vermag Begründungs-, Inhalts- und Abwicklungsprobleme im Schuldverhältnis unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu erfassen. Das kann die herkömmliche Geschäftsgrundlagenlehre nicht (unten Rdn. 224 ff). Die „Vertrauenshaftung“ (Canaris) kann es zwar, erwies sich aber (oben Rdn. 201) aus anderen Gründen als nicht zwingend.

a) Begriff der Unzumutbarkeit 210

Die Unzumutbarkeit ist demnach ein normatives Prinzip, die Kernvoraussetzung für die Fälle, in denen § 242 das „Wie“ und namentlich – als Grenzsituation des „Wie“ – das „Ob“ einer Leistungspflicht bestimmt, vgl. dazu Chiotellis, 36 ff m. w. N. Alle weiteren Überlegungen haben daher an der Unzumutbarkeit anzuknüpfen. Das gilt auch für die Fälle des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“. § 313, der im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung die Lehre von der Geschäftsgrundlage kodifiziert hat, stellt deshalb zu Recht auf die Zumutbarkeit ab. Denn nur dann braucht der Schuldner eine Leistung nach Treu und Glauben nicht zu erbringen, wenn sie ihm unzumutbar ist. Nur dann muss der Schuldner nach Treu und Glauben leisten, wenn dem Schuldner die Verbindlichkeit zugemutet werden muss, obwohl formale Gründe dagegen sprechen. Darin liegt zugleich die Definition der Unzumutbarkeit. Die h. M. lehnte dagegen die Unzumutbarkeit als Ausgangspunkt für die Lehre von der Geschäftsgrundlage ab (dazu sogleich unter Rdn. 224 ff). Allerdings ist mit dem Satz, eine Leistungspflicht entfalle oder entstehe bei Unzumutbarkeit, vorerst ebenso wenig anzufangen wie mit dem Satz: Jeder Schaden ist zu ersetzen, oder: Die Persönlichkeit bedarf des Rechtsschutzes, oder: Ein Richter muss gerecht entscheiden. In dieser Allgemeinheit sind diese Sätze nur Richtlinien, genauer: allgemeine Rechtsgrundsätze, keine subsumtionsfähigen Normen. Sie bedürfen dazu der Konkretisierung. Die Konkretisierung ist ein juristischer Grundvorgang. Sie verläuft immer nach der gleichen Regel. Als Tatbestandsmerkmale werden gesicherte Stellungen vorgeschaltet, die ihrer Natur nach geeignet sind, den vom Rechtsgrundsatz missbilligten Erfolg zu verhindern. Beim Schadensersatz in § 823 I sind das die Rechtsgüter (z. B. das Eigentum), in § 823 II die Schutzgüter; beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht sind es die besonderen Persönlichkeitsrechte, beim Recht am Unternehmen die Elemente des Unternehmensbestandes und der Unternehmertätigkeit, usf.

b) Vertrauensumstände des Schuldners 211

Auch bei der Vereinbarung einer Leistungspflicht können solche gesicherten Stellungen vorausgesetzt werden, die eine Unzumutbarkeit der Leistung verhindern sollen, nämlich die Umstände, auf die der Schuldner bei Eingehung der Schuld vertraut oder – gemäß dem hier zugrunde gelegten norma-

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§ 26 III 4

tiven Vertrauensbegriff (s. o. Rdn. 202) – hätte vertrauen können (z. B. dass keine Ölkrise kommt). Wenn es gelingt, festzustellen, worauf der Schuldner bei seiner Bindung und Inanspruchnahme in diesem Sinne vertraut, ist bekannt, womit er gerechnet hat oder rechnen musste, was ihm also zuzumuten ist. Diese Vertrauensumstände bestehen im Schuldrecht aus zwei Gruppen: den vertraglich vereinbarten Punkten und den sonstigen Umständen, auf die der Schuldner „vertraut“ (in gesetzlichen Schuldverhältnissen besteht nur die zweite Gruppe). Beide Gruppen zusammen bilden eine (im Rechtssinne) von den Parteien gewollte, aber nicht notwendig das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis objektiv gerecht beurteilende Einheit. Im Vertrauen auf den Vertrag (insb. auf die Bindung der Gegenseite) und sonstige Umstände binden sich die Parteien, d. h., sie bestimmen grundsätzlich selbst, was ihnen zuzumuten ist. – Die Frage einer dem konkreten Vertrag innewohnenden Gerechtigkeit darf vom Standpunkt der hier vertretenen subjektiven Vertragstheorie nicht abstrakt gestellt werden. Ein konkreter Vertrag ist ungerecht, wenn er unzumutbare Leistungen fordert. Die Korrektur der gewollten Verbindlichkeit durch die gerechte Verbindlichkeit ergibt sich aus der Abwägung des Vertrauensschutzes von Schuldner und Gläubiger bei der Prüfung der Unzumutbarkeit. Dabei ist die Risikoregelung im konkreten Vertrag, sei sie „typisch“ oder „atypisch“, von entscheidender Bedeutung. Damit sind drei Dinge gewonnen: Das Mittel der Konkretisierung der Unzumutbarkeit (nämlich der Vertrauensumstand), der Einteilungsgesichtspunkt zur Gewinnung von Fallgruppen (nämlich die Arten der Umstände, auf die der Schuldner vertraut) und der Wertungsrahmen. Nach ihm ist – fallgruppenspezifisch – zu entscheiden, ob ein Umstand, auf den der Schuldner (im normativen Sinne) vertraut, soviel Gewicht hat, dass die Enttäuschung des Vertrauens den Wegfall der Leistungspflicht fordert. Dabei kann es sich – und das ist Gegenstand der zu vollziehenden Wertung – nur um Ausnahmeerscheinungen, um Grenzfälle handeln. Zunächst ist ja der Gläubiger berechtigt, vom Schuldner die Leistungen zu fordern, weil er dem schuldnerischen Versprechen vertraut hat und die Enttäuschung dieses Vertrauens eine gutzumachende Einbuße wäre (oben Rdn. 21ff). Aber das Gesetz erkennt in zutreffender Auslegung von § 242 an, dass es Fälle geben kann, in denen eine Enttäuschung des vom Schuldner in den Gläubiger oder in andere Umstände gesetzten Vertrauens berücksichtigungswürdiger als das Gläubigervertrauen in den Schuldner ist.

c) Vertrauensumstände des Gläubigers Umgekehrt liegt es, wenn nach § 242 ausnahmsweise ein Schuldner leisten muss, obwohl eigentlich formale Gegengründe bestehen (z. B. Formmangel, Leistungsverweigerungsrechte). Hier geht es um die Frage, ob für den Gläubiger die Nichtentstehung oder der Verlust eines bestimmten Anspruchs unzumutbar sein kann angesichts der Umstände – vor allem des Verhaltens des Schuldners –, auf die er vertraute.

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d) Allgemeingültigkeit dieses Konkretisierungsverfahrens Ganz entsprechend verläuft übrigens die Konkretisierung des neminem-laedere-Satzes (unten Rdn. 1395) des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (unten Rdn. 1584) und, wie leicht zu zeigen wäre, jedes allgemeinen Rechtsprinzips.

e) Der Maßstab der Abwägung Es sind also zwei Bestimmungen zu treffen. Erstens: Auf welchen Umstand hat der Schuldner (bzw. Gläubiger) vertraut? Und zweitens: Ist die Enttäuschung des auf diesen Umstand gerichteten Vertrauens so schwerwiegend, dass man den Schuldner von seiner Pflicht befreien und das Vertrauen des Gläubigers an das Weiterbestehen der Pflicht (nicht auf einen tatsächlichen Umstand!) dadurch enttäuschen muss? Umgekehrt: Rechtfertigt die Enttäuschung des Gläubigers ausnahmsweise eine Leistungspflicht des Schuldners trotz formal bestehender Nichtpflicht? Man kann den Vertrag, im Anschluss an Ihering, bezeichnen als das rechtliche Mittel von Parteien zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse unter gegenseitiger Sicherung gegen einen Wechsel der Vertrauensumstände.

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Ihering sagt: „Die Anerkennung der bindenden Kraft der Verträge, vom Standpunkt des Zweckgedankens aus betrachtet, heißt nichts als Sicherung des ursprünglichen Zwecks gegen den nachteiligen Einfluss einer späteren Interessenverschiebung oder veränderter Interessen-Beurteilung in der Person des einen Teils oder: rechtliche Einflusslosigkeit der Interessenänderung“.7

Der Sinn eines Vertrags ist also geradezu, dem möglichen Wechsel von Vertrauensumständen keinen Einfluss auf die mit dem Vertrag bewirkte oder geplante Bedarfsdeckung zu geben. Erst wenn die Enttäuschung des Verpflichteten über einen Vertrauensumstand so schwer wiegt, dass es mit Blick auf die vertragsspezifische, die vertragstypische oder die gesetzestypische Risikoverteilung und der ihr zugrunde liegenden Rechtswerte untragbar erscheint, die Pflicht aufrechtzuerhalten, wird das summum ius des Vertrags (nämlich die Vertragstreue) summa iniuria, und die Sicherung gegen den Wechsel der Vertrauensumstände ist aufzuheben. Hier zeigt sich, wie zurückhaltend man bei der Auswahl der für einen Pflichtenfortfall und eine Pflichtbegründung erheblichen Vertrauensumstände aus § 242 sein muss. Wichtig ist also, dass man für den Grad der Erheblichkeit der Enttäuschung auf den konkreten Vertrag mit seinen besonderen Risikoverteilungen oder auch auf die einem solchen Vertrag typischen Risikotragungen abstellt sowie auf die erkennbar dem dispositiven Recht zugrunde liegenden Wertungen.8 Was ein im Fall der Enttäuschung pflichtenbefreiender Vertrauensumstand ist, kann logisch ebenso wenig festgestellt werden wie die Anerkennung eines „besonderen Rechts“ in § 823 I. Hier hilft nur schrittweise Rechtsentwicklung unter Herausarbeiten von Fallgruppen.9 Entscheidend ist die sich möglicherweise wandelnde Rechtsüberzeugung. Die Anerkennung besonderer Vertrauensumstände, geschützter Rechtsgüter u. a. vollzieht sich nicht in der wissenschaftlichen Ableitung, sondern in der Zeit. Hier geht das Recht nicht „synchronisch“, sondern „diachronisch“ vor.10 Ferner ist die Lehre von den pflichtenerheblichen Vertrauensumständen abhängig von der jeweiligen Irrtums- und Unmöglichkeitslehre einer bestimmten kodifizierten Rechtsordnung. Da die Anwendung des § 242 auf den ausnahmsweisen Wegfall der Schuldnerpflicht ein im Gesetz nicht näher ausgeführter allgemeiner Gedanke ist, greift die Lehre von den pflichtenerheblichen Vertrauensumständen nur ein, wo die Irrtumsregelung der §§ 119 ff und die Unmöglichkeitsregelung der §§ 275, 280 I, III, 283, 311a, 326 versagen. Ähnliches gilt für die pflichtenbegründende Enttäuschung von Vertrauensumständen.

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Im Ergebnis verwendet die hier vorgetragene Theorie der Vertrauensumstände also einen vierstufigen Gedankengang: (1) Worauf haben Schuldner oder Gläubiger vertraut (Feststellung aus dem Sachverhalt)? (2) Ist einer von ihnen in diesem Vertrauen enttäuscht worden (ebenfalls Feststellung aus dem Sachverhalt)? (3) Ist die Enttäuschung erheblich genug, dass sie pflichtenbefreiend (für den Schuldner) oder pflichtenbegründend (für den Gläubiger) wirkt (Wertung, Unzumutbarkeitslehre)? (4) Stehen speziellere Rechtsbehelfe als § 242 zur Verfügung (Systemfrage, die den Aufbau entscheidet: Das Speziellere zuerst)?

7 Ihering, Zweck im Recht I, 1877, S. 76. 8 Flume, AT § 26, 5; Chiotellis, 40 ff, 57 ff; BGHZ 7, 143 und 17, 327 (gewagte Verträge); 10, 51 (Gesellschaftsvertrag); 24, 95 (Dienstvertrag); OLG Braunschweig, NJW 76, 570 (Hotelreservierung). 9 Vgl. Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung , Vorwort S. VI). 10 Fikentscher, Methoden I, 138; IV 274.

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§ 26 III 5

5. Pflichtenbefreiende Vertrauensumstände (des Schuldners) In der Rechtsprechung haben sich fünf Fallgruppen herausgebildet, in denen zugunsten des Schuldners ganz oder teilweise Pflichtbefreiung eintritt, weil er in bestimmten Umständen enttäuscht wurde, auf die er bei Eingehung der Verbindlichkeit vertraute: a) Durch den Gläubiger geschaffenes und von diesem enttäuschtes Vertrauen. Hier ist es angemessen, dass der Schuldner befreit wird. aa) Hierher zählt widersprüchliches Verhalten des Gläubigers (venire contra factum proprium): Das Verlangen des Gläubigers ist unberechtigt, wenn es mit dem eigenen früheren Verhalten, auf das sich der Schuldner verlassen hatte, in Widerspruch steht. Wer selbst nicht vertragsgetreu ist, kann – solange der Zustand währt – aus der Vertragsuntreue des andern Teils in der Regel keine Rechte herleiten. Auch die arglistige Berufung auf einen vom Gläubiger veranlassten Formmangel gehört hierher, dazu oben Rdn. 130 und RGZ 107, 357; „Einrede der allgemeinen Arglist“ gegen die Berufung auf die Nichtigkeit eines Vertrags durch einen Gläubiger, der den Schuldner in den Irrtum versetzt hat, die Beachtung der Form sei nicht nötig.11 bb) Verwandt ist die Verwirkung eines Rechtes: Ein Recht kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn längere Zeit seit der Möglichkeit der Geltendmachung verstrichen ist und besondere Umstände die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Schuldner dem Verhalten des Gläubigers entnehmen durfte, dass er mit einem Anspruch oder der Ausübung eines Gestaltungsrechts nicht mehr zu rechnen habe. Der Unterschied zur Verjährung liegt darin, dass bloßer Zeitablauf allein nicht genügt, es müssen besondere Momente hinzutreten; BGH BauR 82, 283 (Werklohnforderung ist nicht schon nach 3 Jahren verwirkt). Nachdem die Parteien eine langwierige Abrechnung durchgeführt haben und diese schon länger zurückliegt, darf der Gläubiger nicht mehr Pfennigbeträge fordern mit der Begründung, die Abrechnung damals sei falsch gewesen. Sein Anspruch ist insoweit verwirkt. Er hätte die Unterlagen schon damals beibringen müssen (siehe aber § 4 IV 2 TVG!). Eine an sich berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (z. B. wegen Unterschlagung) muss innerhalb angemessener Frist erfolgen. Die Verwirkung hat ihr Hauptanwendungsfeld beim Schutz nicht eingetragener, aber zu Verkehrsgeltung erstarkter Marken gegen eingetragene, aber im Verkehr bedeutungslose Warenzeichen. Der Inhaber eines Warenzeichens kann gegen den Verletzer dieses Zeichens i. d. R. nicht mehr vorgehen, wenn er so lange gewartet hat, bis der Verletzer nicht mehr mit einer Klage zu rechnen brauchte, weil sein Zeichen inzwischen unangefochten Verkehrsgeltung erlangte. Die gesetzliche Regelung in § 21 I–III MarkenG lässt gem. § 21 IV MarkenG die Anwendung der allgemeinen Verwirkungsregeln unberührt.

b) Verwandt ist auch die Regel: dolo facit qui petit quod statim redditurus est: Wer etwas fordert, handelt gegen Treu und Glauben, wenn er es nach anderen Vorschriften sogleich wieder zurückgeben muss. Wenn ein Schuldner etwas hergeben muss, dann soll er sich darauf verlassen können, dass der neue Rechtszustand von einiger Dauer ist. Das zwecklose Hin und Her zu verlangen ist treuwidrig. Beispiel: RGZ 123, 242: „Einrede der Arglist“ gegen einen Anfechtungskläger nach dem Anfechtungsgesetz mit der Begründung, er selbst habe einen Forderungstitel auf anfechtbare Weise auf Kosten des Anfechtungsgegners erlangt. – Wer verpflichtet ist, einer anderen von einer Verbindlichkeit an X zu befreien, kann diese Verbindlichkeit nach Abtretung an sich nicht selbst geltend machen.

c) Schließlich gehören in diesen Zusammenhang auch die Lehre von der Geschäftsgrundlage und die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund. Beide Konzepte wurden im Zusammenhang mit § 242 entwickelt. Da die Schuldrechts-

11 Vgl. auch RGZ 71, 433 – Bordellkauf – und dazu Westermann Sachenrecht, § 96 II 3 (4. Abs.).

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§ 26 III 6

Inhalt des Schuldverhältnisses

modernisierung in den §§ 313, 314 eine eigene Regelung gebracht hat, ist hierauf gesondert einzugehen (s. u. Rdn. 224 ff, 573ff). 6. Pflichtenbegründende Vertrauensumstände (des Gläubigers) Brenner, Die exceptio doli generalis in der Rspr. des RG, Diss. 1926; Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1971; Gadow, IherJb. 84, 174; Mann, F. A., NJW 74, 1297; Thierfeldt, NJW 74, 1854; Wendt, AcP 100 (1907), 1.

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Das Spiegelbild der Unzumutbarkeit nach Treu und Glauben ist die Zumutbarkeit nach Treu und Glauben. Darum sind nun die Fälle zu bringen, in denen nach § 242 ausnahmsweise Schuldnerpflichten begründet oder Einwendungen des Schuldners gegen begründete Pflichten ausgeschlossen werden. Es geht hier darum, dass dem Schuldner in bestimmten Lagen Pflichten zumutbar sind, die im Übrigen rechtlich nicht vorgesehen sind oder gegen die er sich unter Berufung auf eine bestehende formale Rechtslage wehrt. a) Widersprüchliches und arglistiges Verhalten kann auch dem Schuldner zur Last zu legen sein. Er darf sich dann nicht berufen („exceptio doli“): aa) auf Formmängel bei der Entstehung von Verbindlichkeiten, wobei die Grenzen im Einzelnen streitig sind: vgl. dazu oben Rdn. 130. Ein Bürge redet dem Gläubiger ein, es bedürfe keiner Schriftform, weil er als Ehrenmann zu seinem Versprechen stehe. Die dann folgende Berufung auf § 766 ist arglistig und nach §§ 242, 826 unzulässig, vgl. RGZ 117, 121 – Edelmannswort –, wo zu § 313 a.F. gegenteilig entschieden wurde. Anders BGHZ 48, 396 – Kaufmannsehre –: Erfüllungsanspruch. – Ein Unternehmer, der mit einem seiner Angestellten einen der notariellen Form bedürftigen Vertrag schließt, kann sich nicht auf die Nichteinhaltung dieser Form berufen, wenn er den Angestellten veranlasste, von der Form abzusehen, weil der Vertrag mit seiner Unterschrift „einem notariellen Vertrag gleichwertig sei“, BGHZ 48, 396; OGHZ 1, 217. Wenn eine Versicherungsgesellschaft dem Versicherten gleich nach dem Schadensfall von sich aus mitteilt, sie werde für den Schaden nicht aufkommen, so braucht der Versicherte die ihm nach den Bedingungen obliegende Schadensanzeige nicht mehr vorzunehmen: Stellt sich später heraus, dass die Versicherung doch haftet, so kann sie sich auf unterlassene Schadensanzeige (sog. „Last“, oben Rdn. 70) nicht mehr berufen. Dies stände im Widerspruch zu ihrer früheren, wenn auch unbegründeten Ablehnung (RG JW 39, 299); siehe den ähnlichen Fall BGHZ 21, 59, 63.

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bb) auf Leistungsverweigerungsrechte (insb. arglistiges Herbeiführen der Verjährung) Da § 242 auch für nichtobligatorische Rechte, z. B. Verjährungseinreden, gilt, darf ein säumiger Schuldner, der den Gläubiger mit wiederholten Tilgungsaussichten über den Verjährungstermin „hinweggetröstet“ hat, sich danach nicht auf Verjährung berufen. Sonst wäre der Gläubiger gezwungen, ohne Rücksicht auf schwebende Tilgungsvereinbarungen zu klagen. Schweben Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände, tritt bereits Verjährungshemmung gem. § 203 ein. Die Begründung von Leistungspflichten folgt in diesen Fällen auch aus § 826, 249: Der Schaden besteht in der Nichtbeachtung der Leistungsvoraussetzungen. Gelegentlich wird in diesem Zusammenhang von der exceptio doli generalis oder praesentis = Einwand der gegenwärtigen ungehörigen Rechtsausübung, oder auch von der exceptio doli specialis oder praeteriti = Einwand des unredlichen Rechtserwerbs, gesprochen. Die Unterscheidung stammt aus dem römischen bzw. dem gemeinen Recht. Zur Lösung von Einzelfragen spielt sie wegen ihres globalen Charakters heute kaum noch eine Rolle. Die Bezeichnung „exceptio doli“ ist auch irreführend, weil einmal für die Unzulässigkeit der Rechtsausübung keine Arglist, häufig nicht einmal Fahrlässigkeit, erforderlich ist (z. B. Verwirkung). Zum anderen handelt es sich hier in aller Regel nicht um Einreden, sondern um Einwendungen. Es ist deshalb nicht erforderlich, dass die Partei, die daraus Rechte ableiten möchte, sich auf § 242 beruft (Einrede); der Richter hat § 242 von Amts wegen schon dann anzuwenden, wenn ihm – unabhängig von welcher Partei – ein die Anwendung von § 242 rechtfertigender Sachverhalt vorgetragen wird (Einwendung).

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Treu und Glauben

§ 26 V

b) In gegenseitigen Verträgen können pflichtenbefreiende Vertrauensumstände (des Schuldners) zu pflichtenbegründenden Vertrauensumständen (des Gläubigers) werden. Dies ist dann – also keineswegs immer – der Fall, wenn die Pflichtenbefreiung nach § 242 (siehe dazu oben Rdn. 215 ff) dem Schuldner nichts nützen würde, z. B. weil er schon geleistet hat und die Leistung sich nicht oder nur unwirtschaftlich rückgängig machen lässt.

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Beispiel: Bei einem Bauvertrag über ein Großhotel, das zu einem Pauschalfestpreis zu erstellen ist, erhöhen sich für den Bauunternehmer Lohn-, Material- oder sonstige Kosten (Zufahrtswege, behördliche Eingriffe usw.) so stark, dass es für ihn unzumutbar wäre, am Vertrag festgehalten zu werden. Der Bau ist aber schon so weit fortgeschritten, dass ein Lossagungsrecht (oben Rdn. 208) des Bauunternehmers den Besteller wiederum zu hart treffen würde.

Die Anpassung der Gegenleistung erfolgt nach den Regeln über die Geschäftsgrundlage, also gem. § 313 (s. u. Rdn. 241).

IV. § 242 als Maßstab für die Gesetzesauslegung? § 242 gilt – das ergibt seine Stellung im Gesetz – für alle Schuldverhältnisse, nicht nur vertragliche, sondern auch gesetzliche, z. B. für die GoA. Insoweit kommt § 242 nicht die Bedeutung zu, den Vertragsinhalt zu begrenzen oder zu ergänzen, sondern „Normen einzuschränken, wenn ihre Anwendung zu einem mit ihm (gemeint ist: mit § 242 als oberstem Grundsatz des Rechts der Schuldverhältnisse) nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen würde“.12 Im Unterschied zur rechtsgeschäftsbezogenen Anwendung von § 242 ist bei seiner Verwendung als Auslegungsmaßstab nur die pflichtenbefreiende Wirkung zum Zuge gekommen. Im Übrigen wird es hier häufig an der „Sonderverbindung“ (s. o. Rdn. 199) fehlen. Die Verwendung von § 242 zur einschränkenden Auslegung gesetzlicher Pflichten ist nicht unproblematisch 13 und im Ergebnis abzulehnen. Soll mit § 242 „striktes“ Recht nach Billigkeitsgesichtspunkten in Einzelfällen „gemildert“ werden, wird die Funktion des § 242 verkannt.14 Soll damit Rechtsfortbildung ermöglicht werden 15, so wird in § 242 unzulässigerweise ein Methodengesichtspunkt hineingetragen, der seine normative Verankerung heute in Art. 20 GG („Gesetz und Recht“) findet.16 Vielmehr bedarf es bei jeder Gesetzesnorm der Prüfung, ob sie einschränkend auszulegen oder teleologischer Reduktion (= Restriktion) zu unterwerfen ist.17 Dazu bedarf es der Heranziehung des Treu-und-Glauben-Grundsatzes nicht.

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V. Vertragliche Anpassungsregelungen Baur, J. F., Vertragliche Anpassungsregelungen, 1983; Bilda, DB 69, 427; ders., Anpassungsklauseln in Verträgen, 2. Aufl. 1973; Frielingsdorf, DB 82, 789; Dürkes, Wertsicherungsklauseln, 9. Aufl. 1982; Holzapfel, BB 74, 912; Kuhnt, BB 78, 178; Schmidt, K., Grundfragen der vertraglichen Wertsicherung, ZIP 83, 639; v. Stebut, Jura 83, 449; Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, 1979 (weiteres Schrifttum bei Staudinger/K. Schmidt, Vorb. zu § 244 Rdn. D 158).

Mit Rücksicht auf die Unsicherheiten der Rechtsprechung zu § 242 bei Wegfall oder Änderung der Geschäftsgrundlage hat die Vertragspraxis Anpassungsklauseln ent-

12 Larenz I § 10 I; dazu auch Medicus I § 16 I 2; grundlegend RGZ 85, 108 (117) (Aufrechnung entgegen § 394; „das allgemeine Prinzip beherrscht alle Einzelbestimmungen“); BGHZ 58, 146 (Realteilung entgegen § 753). 13 Das Schrifttum ist geteilter Ansicht, s. die Angaben bei Larenz, aaO Anm. 13. 14 So zutr. Leonhard I, 69 ff: § 242 ist keine Billigkeitsvorschrift. 15 So v. Tuhr III 547; ihm folgend Larenz I § 10 I. 16 S. o. Rdn. 199 u. Fikentscher, Methoden IV 325. 17 Wie hier Gernhuber (am Beispiel des § 266).

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§ 27

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Inhalt des Schuldverhältnisses

wickelt. Vor allem bei Lieferverträgen über Strom, Gas, Fernwärme und Mineralölprodukten erwiesen sich Anpassungsregelungen als zweckmäßig. Die dogmatische Erfassung steht noch in den Anfängen. Man kann (mit Baur) Preisänderungsklauseln, Korrekturklauseln und Vertragsanpassungsklauseln unterscheiden. In einem weiteren Sinn zählen auch Klauseln über die Vertragsbeendigung zu den vertraglichen Anpassungsregeln (Baur, 109 ff), z. B. Laufzeitverkürzungsklauseln. Bei Preisänderungsklauseln sind insb. drei gesetzliche Schranken zu beachten: (1) Das Währungsrecht, das zu § 3 WährG („Mark = Mark“) entwickelt wurde (jetzt § 2 PaPkG, dazu u. Rdn. 263); (2) die AGB-Kontrolle, die in § 309 Nr. 1 und durch die Generalklausel des § 307 Preisänderungsklauseln enge Grenzen zieht (BGH NJW 80, 2518 – Zeitschriftenabonnement –; BGH BB 82, 146 – Kfz-Tagespreisklauseln –; in beiden Entscheidungen hielt der BGH einseitige Preisänderungsvorbehalte für unwirksam); (3) das Kartellrecht, das z. B. aufgrund der allgemeinen Missbrauchskontrolle gem. § 19 GWB Schranken setzt. Korrekturklauseln (auch Revisions-, Auffang- oder Wirtschaftsklauseln genannt) stehen oft mit Preisänderungsklauseln in Zusammenhang (BGH WM 79, 1097), betreffen aber nicht Preis-, sondern durch Preisänderungen ausgelöste konkrete Aquivalenzfragen. Kennzeichnend ist ihr Detailcharakter und die Vereinbarung periodischer Überprüfungen bestimmter Vertragsbestandteile. Rechtlich werfen sie – soweit mit Preisänderungsklauseln verbunden – die Frage der Anwendbarkeit von § 139 auf und zugleich die schon erwähnten AGB- und kartellrechtlichen Probleme. Vertragsanpassungsklauseln (auch bezeichnet als Wirtschafts-, hardship- oder Loyalitätsklauseln) betreffen nicht nur Preise und mit ihnen zusammenhängende konkrete Aquivalenzfragen, sondern den gesamten Vertrag. Man muss einseitige und vereinbarungsabhängige Klauseln unterscheiden. Einseitig inkraftsetzbare Vertragsabänderungen unterliegen insb. den Schranken der §§ 315 ff, soweit nicht Verbotsnormen (AGB-Kontrolle; § 138 usw.) eingreifen. Die Regel bilden vereinbarungsabhängige Anpassungsklauseln (Sprech-, Verhandlungs-, Loyalitätsklauseln), die beide Parteien verpflichten, bei grundstürzenden oder zumindest erheblichen Veränderungen der Umstände bei Vertragsschluss in erneute Verhandlungen einzutreten. Hier gilt die Zumutbarkeitsgrenze (Baur 49), so dass sich Vertragsanpassungsklauseln insofern kaum von den Geschäftsgrundlageregeln unterscheiden.

§ 27 Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 Bydlinski, AcP 204 (2004) 309; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen in Schuldverträgen (1981); Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, 921; Eidenmüller, ZIP 1995, 1063; Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos (1971); Flume, FS DJT Bd. I (1960) 135; Härle, Ph., Die Äquivalenzstörung (1995); Kegel/Rupp/Zweigert, Die Einwirkung des Krieges auf die Verträge (1941); Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis (1971); ders., FS 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000) 295; Krebs/Lieb/Arnold, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht (2002) § 3 D; Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3. Aufl. (1963); ders., in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beih. zu VersR) (1983) 156; Medicus, FS Flume, Bd. I (1978) 629; Oertmann, Die Geschäftsgrundlage (1921); Riesenhuber, BB 2004, 2697; Rösler, JuS 2004, 1058; 2005, 27, 120; Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, 2076; Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey (1955) 1; Wieser, JZ 2004, 654.

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Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313)

§ 27 I

I. Einführung Es geschieht nicht selten, dass sich die Verhältnisse nach Vertragsschluss ändern, oder dass eine Partei die Verhältnisse bei Vertragsschluss falsch bewertet hat. Der Vertrag erscheint einer Partei nicht mehr so vorteilhaft, wie es noch bei Vertragsschluss den Anschein hatte. Solche Situationen sind geradezu die Bewährungsprobe für einen Vertrag. Die Parteien sollen sich darauf verlassen können, dass die vereinbarte Regelung auch dann gilt, wenn die andere Seite ihre Meinung geändert hat. Erst wenn die Enttäuschung des Verpflichteten so schwer wiegt, dass die Grenze der Zumutbarkeit überschritten erscheint, ist der benachteiligten Seite die Änderung oder im Extremfall der gänzliche Wegfall ihrer Verpflichtung zuzugestehen. Die Voraussetzungen für eine Durchbrechung des Prinzips der Vertragstreue sind äußerst restriktiv zu fassen. Das einschlägige Rechtsinstitut ist die Lehre von der Geschäftsgrundlage. Sie stellt einen besonderen Ausschnitt des Prinzips von Treu und Glauben dar. Es geht um die Frage, ab welcher Schwelle eine Änderung der Verhältnisse so wesentlich ist, dass einer Partei das Festhalten am Vertrag zu den ursprünglich vereinbarten Konditionen nicht zuzumuten ist. Das Institut der Geschäftsgrundlage wurde von Oertmann 1921 entwickelt und vom Reichsgericht auf die Folgeprobleme des Ersten Weltkriegs, wie z. B. Inflation oder politische Umwälzungen angewendet.1 Der BGH hat die Lehre von der Geschäftsgrundlage zur Lösung der Anpassungsprobleme nach dem Zweiten Weltkrieg (entsprechend auch nach der Wiedervereinigung) übernommen. Aber auch außerhalb politischer Umbruchsituationen wurde die Lehre von der Geschäftsgrundlage auf das gesamte Vertragsrecht erstreckt. Als Anwendungsgruppen haben sich im Wesentlichen drei Fälle entwickelt: Die Äquivalenzstörung, wenn durch Änderung der politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung grob gestört wird, Störungen des Verwendungszwecks, die ausnahmsweise von Bedeutung sein können, sowie der Irrtum beider Parteien über wesentliche Umstände (zu den Fallgruppen s. näher unten Rdn. 234 ff). Die Einzelheiten der Lehre von der Geschäftsgrundlage sind in der Literatur umstritten geblieben.2 Als Stärke des Rechtsinstituts ist gerade seine Unbestimmtheit hervorgehoben worden, welche die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit problemlos ermöglicht.3 Durch die Schuldrechtsmodernisierung wurde mit § 313 eine ausdrückliche Regelung getroffen. Dies entspricht der Absicht des Modernisierungsgesetzgebers, den außerhalb des Gesetzes entwickelten Rechtsinstituten einen Platz im BGB zu geben. Durch die Aufnahme einer eigenen Norm wurden die Fälle der Geschäftsgrundlage aus § 242 entfernt. Systematisch gesehen stellt § 313 allerdings weiterhin einen gesetzlich geregelten Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben dar.4 Die inhaltliche Ausgestaltung von § 313 greift im Wesentlichen den Stand der Rechtsprechung auf, fügt 1 Grundlegend RGZ 103, 332 – Vigognespinnerei. 2 Chiotellis hat in seiner einflussreichen Untersuchung aus dem Jahr 1981 56 verschiedene Theorien zur Geschäftsgrundlage recherchiert. 3 Köhler FS 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000) 295 (296). 4 In diesem Sinn auch GesBegr BT-Drs 14/6040, 174. Aus diesem Grund wurde die Lehre von der Geschäftsgrundlage in diesem Lehrbuch bis zur 9. Auflage nicht als eigene Rechtsfigur, sondern als Unterfall der Theorie von den Vertrauensumständen im Rahmen von § 242 behandelt, s. 9. Aufl. Rdn. 174 ff.

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§ 27 III

Inhalt des Schuldverhältnisses

aber einige Präzisierungen hinzu (z. B. Einbeziehung der objektiven Geschäftsgrundlage; keine Berücksichtigung von Amts wegen).

II. Anwendungsbereich und Spezialregeln 228

§ 313 hat seine systematische Stellung im Schuldrecht und ist deshalb auf alle Verträge (nicht aber einseitige Rechtsgeschäfte) auf dem Gebiet des Schuldrechts anwendbar. Da das Prinzip von Treu und Glauben die gesamte Rechtsordnung durchzieht, ist § 313 darüber hinaus auch auf Verträge des Sachen-, Familien- und Erbrechts anwendbar. Der Rückgriff auf § 313 ist nur möglich, soweit keine Spezialregeln eingreifen. Das BGB enthält eine ganze Reihe solcher Vorschriften, die für bestimmte Regelungsbereiche anordnen, welche Rechtsfolgen bei einer unvorhergesehenen Änderung der Verhältnisse eintreten, s. im Schuldrecht beispielsweise die §§ 321, 490, 519, 528, 530, 593, 650, 651j, 775, 779.

III. Voraussetzungen 229

Gem. § 313 ist die Geschäftsgrundlage eines Vertrags gestört, wenn die folgenden Merkmale gegeben sind: 1. Faktisches Element: Bestimmte Umstände müssen zur Grundlage des Vertrags geworden sein; diese Umstände haben sich nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert; 2. Hypothetisches Element: Die Parteien hätten den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen, wenn sie die Änderung der Umstände vorausgesehen hätten; 3. Normatives Element: Einer Partei ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung) das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar.

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Das faktische Element stellt das erste Sieb dar. Üblicherweise wird hier zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage unterschieden. Subjektive Geschäftsgrundlage sind diejenigen Umstände, von denen die Parteien bei ihren Vereinbarungen ausgegangen sind, und von denen sie sich haben leiten lassen, während die objektive Geschäftsgrundlage diejenigen Umstände erfasst, welche die Parteien zwar nicht zugrunde gelegt haben, die aber dennoch im Vertrag sinngemäß vorausgesetzt sind (Larenz). § 313 spiegelt eine entsprechende Unterscheidung wider, indem Abs. 2 der Vorschrift das subjektive, Abs. 1 das objektive Moment betont. Aus der Regelung folgt damit gleichzeitig, dass die Unterscheidung zwischen beiden Formen der Geschäftsgrundlage unerheblich ist.5 Beide werden von § 313 erfasst und unterliegen denselben Rechtsfolgen. Im Einzelfall kann die Abgrenzung schwierig sein, ob ein bestimmter Umstand zum Geschäftsinhalt erhoben worden ist, oder ob er lediglich eine Geschäftsgrundlage darstellt. Lässt sich einem Vertrag beispielsweise bereits durch Auslegung entnehmen, was bei einer Änderung bestimmter Umstände gelten soll, geht die vertragliche Regelung vor. Für § 313 ist dann kein Raum. – Es reicht nicht aus, dass bestimmte Umstände Geschäftsgrundlage geworden ist. Diese Umstände müssen sich vielmehr schwerwiegend verändert haben. Eine Wertung im Einzelfall ist erforderlich. Ist die Änderung schwerwiegend, wird das zweite Merkmal häufig vorliegen: Der Vertrag wäre dann anders oder möglicherweise auch gar nicht abgeschlossen worden. Anders verhält es sich, wenn die Parteien eine entsprechende Änderung der Umstände

5 Ablehnend auch Chiotellis, S. 18 ff, 184 ff; Medicus, AT Rdn. 859 f.

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Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313)

§ 27 IV 1

für möglich gehalten und dennoch den Vertrag zu den betreffenden Konditionen abgeschlossen haben. Am hypothetischen Element fehlt es dann. Zu weit geht es allerdings, die Anwendung der Regeln über die Geschäftsgrundlage bereits dann abzulehnen, wenn die Änderung der Umstände vorhersehbar war.6 Haben die Parteien nun einmal nicht so weit gedacht, hätten sie den Vertrag aber nicht mit dem Inhalt abgeschlossen, wenn sie die Risiken besser erwogen hätten, liegt eine typische Geschäftsgrundlagenkonstellation vor, welche den Weg zu § 313 eröffnet. Die beiden ersten Merkmale werden in den einschlägigen Fällen oft zu bejahen sein. Entscheidend wird damit das normative Element, also die Unzumutbarkeit. Eine umfassende Interessenabwägung ist erforderlich. Der entscheidende Punkt besteht in der Frage, ob durch Vertrag oder Gesetz das betreffende Risiko einer der Parteien zugewiesen wurde. Verpflichtet sich beispielsweise ein Unternehmer zur Herstellung eines Werks zu einem Festpreis, übernimmt er das Risiko für den Fall, dass seine Kosten bis zur Vollendung des Werks steigen. Bei Eingehung einer Gattungsschuld geht der Schuldner das Risiko ein, solange leisten zu müssen, wie ein Exemplar aus der Gattung noch existiert (anders die Vorratsschuld, s. u. Rdn. 251). Der Gläubiger einer Geldforderung trägt das Inflationsrisiko. Selbst wenn ein Risiko einer Partei zugewiesen ist, folgt hieraus aber noch nicht, dass es keine Opfergrenze gibt. Jeweils im Einzelfall ist zu untersuchen, wie weit die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung reicht.

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IV. Fallgruppen Für eine grobe Klassifizierung der einschlägigen Fälle wird häufig die Unterscheidung von großer und kleiner Geschäftsgrundlage verwendet. Bei der „großen“ Geschäftsgrundlage geht es um die politischen und wirtschaftlichen Makrobedingungen, die sich beispielsweise durch Krieg, politische Instabilität oder Inflation ändern können. Die „kleine“ Geschäftsgrundlage umfasst alle übrigen Fälle, also Grundlagenänderungen auf der Mikroebene. In beiden Situationen steht ganz die Frage im Vordergrund, wann die Schwelle der Unzumutbarkeit erreicht ist. Hierfür ist es ohne Belang, ob die „große“ oder „kleine“ Geschäftsgrundlage berührt ist. In den folgenden Fallgruppen stehen große und kleine Geschäftsgrundlage denn auch häufig nebeneinander.

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1. Äquivalenzstörung Als Äquivalenzstörung bezeichnet man den Fall, dass das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung grob gestört wird. Dies kann verschiedene Ursachen haben. Beispielsweise können die Parteien einen fälschlich als brauchbar und stabil angesehenen allgemeinen Wertmesser zur Berechnung der Gegenleistung herangezogen haben. So ist der Bestand der Währung für die meisten Geschäfte von großer Bedeutung. Währungseinbrüche können Korrekturen an Rechtsgeschäften erforderlich machen. Beispiele: RGZ 100, 129; 107, 78: Aufwertungsrechtsprechung des RG anlässlich der Inflation 1922/23 – BGHZ 2, 150: Herabsetzung des Ruhegehalts – BGHZ 2, 383: Unterhaltsabfindungsverträge – BGHZ 61, 31: Pension eines Vorstandsmitglieds – BAG NJW 1973, 959: Ruhegeldanpassung bei Geldentwertung von über 40 % – BGH NJW 1980, 1183: Steigerung der Lebenshaltungskosten um 222,12 %.

6 In diesem Sinn BGH NJW 2002, 3695 (3698); anders allerdings BGH NJW 1991, 830 (831).

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§ 27 IV 2

Inhalt des Schuldverhältnisses

Gegenbeispiele: Nicht gleichzusetzen ist die „normale“ inflationäre Preisentwicklung, BGH NJW 1974, 1186 – BGHZ 86, 167: Erbbauzins.

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Die Äquivalenzstörung kann auch darauf beruhen, dass sich vertragsindividuelle Wertmesser als falsch gewählt herausstellen, so dass eine Partei mehr als geplant bezahlen muss oder weniger als geplant im Wege der Gegenleistung erhält. Beispiele: Ein falscher Börsenkurs wird zugrundegelegt, eine Gebühren- oder Preistafel wird unrichtig angewendet.

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Solche Fälle nähern sich den Irrtumstatbeständen an. Es ist deshalb jeweils genauestens zu prüfen, ob das Problem über die Auslegung, die Irrtumsanfechtung oder die Grundsätze über die Geschäftsgrundlage zu lösen ist. Häufig handelt es sich um eine bloße Fehlbezeichnung des Werts, so dass eine wirkliche Einigung vorliegt und der Satz von der Unschädlichkeit der Falschbezeichnung („falsa demonstratio non nocet“) gilt, § 133. Wenn dieser Weg nicht gangbar ist, liegt häufig ein gemeinsamer Irrtum beider Parteien über gewisse Umstände vor, welcher eine eigene Fallgruppe darstellt (s. hierzu sogleich). Schließlich kann eine Äquivalenzstörung darauf beruhen, dass die Leistungspflicht einer Partei umfassender ist als ursprünglich angenommen oder sich im Zeitverlauf erschwert. Beispiele: Der Beschaffungspreis des geschuldeten Gegenstands hat sich wesentlich erhöht. – Aufgrund Streiks oder Unruhen erhöhen sich die Transportkosten um ein Vielfaches. – Jemand stiftet „allen erforderlichen Zement“ für den Bau eines Museums. Beim Bau stellt sich heraus, dass wegen des unsicheren Grunds die 10-fache Menge Zement nötig ist. – Änderungen in der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung belasten oder begünstigen eine Partei.7

Im Ausgangspunkt bleibt es beim Grundsatz pacta sunt servanda. Die Grundsätze über die Geschäftsgrundlage finden aber Anwendung, wenn der Risikobereich des Schuldners überschritten wird, d. h. ein so krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht, dass dem Schuldner ein Festhalten am Vertrag zu den ursprünglich vereinbarten Konditionen nicht zumutbar ist, er auch nicht das Risiko für die Leistungserschwerung übernommen hat und die Parteien die Entwicklung nicht vorhergesehen haben. Solche Fälle wurden früher als sog. „wirtschaftliche Unmöglichkeit“ bezeichnet. Richtigerweise sind die Unmöglichkeitsregeln hierauf aber nicht anwendbar, so dass besser von „wirtschaftlicher Unzumutbarkeit“ die Rede sein sollte. Zum Unterschied der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit zur „faktischen Unmöglichkeit“ i. S. v. § 275 II s. u. Rdn. 398 f. Nicht zur Lehre von der Geschäftsgrundlage gehören die Fälle der Leistungserschwerung aus persönlichen oder Gewissensgründen. Seit der Schuldrechtsmodernisierung hält § 275 III hierfür eine Sonderregelung bereit, die auch auf die Gewissensfälle angewendet werden sollte (str., s. u. Rdn. 400f).

2. Gemeinsamer Irrtum der Parteien über wesentliche Umstände 238

Gem. § 313 II ist die Geschäftsgrundlage auch dann gestört, „wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen“. Hierzu gehört der Irrtum beider Parteien über wesentliche Umstände, z. B. ein gemeinsamer Kalkulationsirrtum. Beispiel: RGZ 105, 406 – Rubelfall: Die Parteien hatten einen falschen Umrechnungskurs für den Rubel zugrundegelegt. Das Reichsgericht wendete Irrtumsrecht an. Richtigerweise liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor. 7 Für Unterhaltsverträge s. BGH NJW 2001, 3618.

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Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313)

§ 27 V

Entscheidend ist, dass die Art der Berechnung von allen Vertragsbeteiligten als maßgeblich zugrunde gelegt wird. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen unter § 313 II auch bloß einseitige Irrtümer fallen, wenn die andere Partei diesen Irrtum hingenommen hat.8 Im Fall bloß einseitiger Irrtümer ist aber stets besonders sorgfältig zu prüfen, ob der betreffende Umstand nicht in den Risikobereich des Irrenden fällt. 3. Störung des Verwendungszwecks Ist die Leistungserbringung nicht mehr möglich, da der Zweck der versprochenen Leistung bereits erreicht wurde oder weggefallen ist (der auf Grund gelaufene Frachter kommt von selbst frei; oder er ist bereits gesunken; ein Freischleppen ist also nicht mehr möglich), ist Unmöglichkeitsrecht anwendbar (s. u. Rdn. 393f). Anders verhält es sich, wenn die Leistungserbringung durchaus noch möglich ist, ihr Zweck aber nicht mehr erreichbar ist. Im Prinzip liegt das Risiko hierfür beim Gläubiger. Er muss die gekauften Waren abnehmen und bezahlen, auch wenn sein Abnehmer ausgefallen ist. Er muss das angemietete Hotelzimmer im Tagungshotel zahlen, auch wenn die Konferenz ausfällt. Etwas anderes gilt, wenn der Verwendungszweck Geschäftsgrundlage geworden ist. Hierfür reicht es nicht aus, dass der Zweck der anderen Seite mitgeteilt wurde. Die andere Seite muss sich den Verwendungszweck vielmehr zu eigen gemacht haben. Dies ist z. B. der Fall, wenn der geplante Zweck in die Höhe des Entgelts eingeflossen ist. Dies ist allerdings nicht zwingende Voraussetzung.

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Beispiele: Krönungszugfall: Ein Fensterplatz wird gemietet, um einen Umzug zu betrachten. Ohne den Umzug ist der Platz wertlos; nur aufgrund des Umzugs kann ein Mietzins erzielt werden. – OLG Karlsruhe, NJW 1992, 3176: Kein Entgeltanspruch von Musikern für eine Faschingsveranstaltung, die aufgrund des Golfkriegs 1991 abgesagt werden muss.

4. Fortbestand bestimmter Rechtsverhältnisse Verträge werden häufig eingegangen im Vertrauen auf den Fortbestand bestimmter Rechtsverhältnisse, z. B. auf eine gültige Ehe, ein Dauerschuldverhältnis oder eine staatliche Kreditzusage. Erweist sich dieses Rechtsverhältnis als nichtig oder wird es später aufgehoben, ist bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen die Geschäftsgrundlage gestört.

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Beispiele: RGZ 165, 193: Eine Gesellschaft kann gekündigt werden, wenn zugesagter Sperrmarkkredit nicht ausgezahlt wird. – RGZ 169, 253: Geschäftsübertragung an Ehefrau, um das Geschäft den Gläubigern zu entziehen, muss bei Ehescheidung rückgängig gemacht werden. – BGH NJW 1958, 785: Bebaubarkeit eines Grundstücks, das als Bauland verpachtet war. – BGH NJW 1974, 2045: Anspruch der Ehefrau nach Auflösung der Ehe auf finanzielle Abgeltung ihrer Mithilfe am Aufbau der Praxis des Ehemanns. – BGH NJW 1982, 1093: Zuwendungen während Zugewinngemeinschaft. – BGHZ 94, 44: Der Kaufvertrag zwischen Lieferant und Leasinggeber ist Geschäftsgrundlage für den Leasingvertrag zwischen Leasinggeber und -nehmer. – BGHZ 128, 230: Bestand der Ehe als Geschäftsgrundlage für die Bürgschaft zugunsten des Ehepartners.9

V. Rechtsfolgen Die Störung der Geschäftsgrundlage berührt nicht ipso iure den Inhalt oder gar die Wirksamkeit des Vertrags. Gem. § 313 I haben die Parteien lediglich einen Anspruch auf

8 GesBegr BT-Drs 14/6040, 176. 9 S. hierzu Petersen, FamRZ 1998, 1215.

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§ 27 VI

Inhalt des Schuldverhältnisses

Anpassung des Vertrags. Eine umfassende Interessenabwägung am Maßstab der Zumutbarkeit ist erforderlich. Der Eingriff in den Vertrag soll einerseits so schonend wie möglich sein. Andererseits hat der Richter einen großen Spielraum. Bei Äquivalenzstörungen kann das Gleichgewicht durch Anpassung der Leistungshöhe wiederhergestellt werden. Das Risiko kann zur Hälfte zwischen den Parteien aufgeteilt werden. Es kann eine Ersatzpflicht für zwecklos gewordene Aufwendungen angeordnet werden. In konstruktiver Hinsicht ist nicht auf Abgabe einer Willenserklärung, nämlich auf Zustimmung zur Vertragsanpassung, sondern direkt auf die geänderte Leistung selbst zu klagen.10 Besondere Verhandlungspflichten erwachsen aus § 313 nicht (str.).11 Verweigert deshalb eine Seite die Aufnahme von Verhandlungen, erwächst hieraus für die andere Seite kein spezielles Rücktrittsrecht (str.).12 Ein Rücktritt ist vielmehr nur unter den Voraussetzungen von § 313 III möglich, also wenn die Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist. Bei Dauerschuldverhältnissen wird das Rücktritts- durch ein Kündigungsrecht ersetzt. In § 313 III kommt der Grundsatz des favor contractus zum Ausdruck: Der Vertrag soll nach Möglichkeit aufrechterhalten werden. Rücktritt oder Kündigung stellen gegenüber der Vertragsanpassung lediglich eine ultima ratio dar.

VI. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten 242

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Die Vorschriften über die Irrtumsanfechtung und die Unmöglichkeit gehen den Regeln über die Geschäftsgrundlage vor. Das Gleiche gilt für die Mängelhaftung: Dies folgt schon daraus, dass sich die Geschäftsgrundlage nur auf Umstände beziehen kann, die nicht Vertragsinhalt geworden sind, sondern dem Vertrag zugrunde liegen. Problematisch ist die Abgrenzung der Geschäftsgrundlage zur Kondiktion wegen Zweckverfehlung nach § 812 I 2 Alt. 2 (condictio ob rem). Gerade wenn es um die Fallgruppe „Störung des Verwendungszwecks“ geht, kommen sich Lehre von der Geschäftsgrundlage und Bereicherungsrecht sehr nah. Der „bezweckte Erfolg“ i. S. v. § 812 I 2 Alt. 2 setzt voraus, dass die Parteien sich darüber geeinigt haben, dass die Leistung der einen Seite nur im Hinblick auf eine erwartete Gegenleistung erfolgt. Diese Erwartung kann allerdings auch Geschäftsgrundlage des Vertrags geworden sein. Dies richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften (s. o. Rdn. 229 ff). Nur wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage nicht gegeben sind, kann auf § 812 I 2 Alt. 2 zurückgegriffen werden. Greifen Irrtums-, Unmöglichkeits- und Geschäftsgrundlagenregeln nicht ein, bindet der Vertrag (sofern nicht andere Mängel vorliegen): Wer einen Verlobungsring kauft, kann ihn nicht zurückgeben mit der Begründung, die Verlobung sei leider gescheitert. Wer nach einer Warenbestellung sein Geschäft aufgibt, kann die Waren nicht mit dieser Begründung zurückweisen. Zwar sind Vertrauensumstände enttäuscht worden, aber keine für die Befreiung von der Bindung erheblichen.

10 GesBegr BT-Drs 14/6040, 176; Jauernig/Stadler, § 313 Rdn. 30; a. A. Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, 921: Stufenklage analog § 254 ZPO. 11 Wie hier MüKo/Roth, § 313 Rdn. 93 m. w. N. 12 Wie hier Köhler, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000) 295 (325); a. A. Palandt/Grüneberg, § 313 Rdn. 41.

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Gattungsschuld. Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis

§ 28 II

§ 28 Gattungsschuld. Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis (Relative Unbestimmtheit der Leistung) Bätge, „Gattungsschuld“, RvglHWB, Bd. III, 1931, 622; Ballerstedt, FS Nipperdey, 1955, 261; Berndorff, Die Gattungsschuld, 1900; Bosse, Die Ersetzungsbefugnis, 1924; v. Caemmerer, JZ 51, 743; Canaris, FS Wiegand 2005, 179; Coester-Waltjen, AcP 183 (1983), 279; Cuno, Übergang der Gefahr bei Gattungsschulden, 1901; Fischer, H. A., IherJb. 51, 159; Gernsheim, Die Ersetzungsbefugnis im geltenden deutschen Recht, 1906; Gesang, Force-majeure und ähnliche Entlastungsgründe im Rahmen der Lieferungsverträge von Gattungsware, 1980; Haver, Die Gattungsschuld, 1900; Haverstein, Gruchot, 55, 449; Hönn, AcP 177 (1977), 385; Huber, U., FS Ballerstedt, 1975, 327; Jahnke, ZZP 83, 43; Kisch, Gattungsschuld und Wahlschuld, 1912; Lemppenau, Gattungsschuld und Beschaffungspflicht, 1972; Leonhard, IherJb. 41, 29; Leßmann, JA 82, 280; Litten, Die Wahlschuld, 1903; Medicus, JuS 66, 297; Oertmann, AcP 116 (1918), 1; Pescatore, Die Wahlschuldverhältnisse, 1905; Seibert, MDR 83, 177; Weber-Will/Kern, JZ 81, 257; Weismann, Abgrenzung zwischen Gattungs- und Wahlschuld, 1907; Ziegler, AcP 171 (1971), 193.

I. Besonderheiten des Schuldinhalts Den ersten Bereich der im Folgenden zu behandelnden Sonderfragen des Schuldinhalts bilden Tatbestände, bei denen eine vorübergehende Unbestimmtheit der Leistung vorliegt. Hierher gehören: Gattungsschuld (§ 28 II–IV), Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis (§ 28 V), Geldschulden und Zinsen (§ 29) und das grundsätzliche Verbot von Teilleistungen (§ 30). Der zweite (verhältnismäßig unwichtige) Zusammenhang betrifft normierte Leistungsinhalte für besondere Ansprüche: Aufwendungsersatz und Wegnahmerecht (§ 31), Rechnungslegung, Herausgabe von Gegenstandsinbegriffen und Offenbarungseid (§ 32), Rechtshängigkeit beim Herausgabeanspruch und Vorlegung von Sachen (§ 33). – Den dritten, praktisch wichtigen und theoretisch schwierigen Bereich bilden Zeit und Ort der Leistung (§§ 34–35). – Das vierte Gebiet enthält Besonderheiten des Leistungsinhalts durch Einschaltung eines Dritten: Leistung durch Dritte (§ 36), Vertrag zugunsten Dritter (§ 37). Beim letzteren vor allem hat die Rechtsprechung ergänzend und neuschöpfend gewirkt.

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II. Gattungsschuld, Stückzahl, Konkretisierung 1. Um wirksam zu sein, muss eine Schuld bestimmt sein. Ein unbestimmter Leistungsinhalt taugt nicht für ein Schuldverhältnis (vgl. oben Rdn. 45). Viele Gegenstände des Rechtslebens sind zunächst aber nur gattungsmäßig bestimmt. Man bestellt einen Kraftwagen Marke X, Serie „Luxus“, Farbe „resedagrün“, mit Schiebedach. Bei derartigen Käufen aus einer Gattung steht der individuelle Kaufgegenstand (das Auto mit der Fahrgestellnummer …) vorläufig noch nicht fest. Trotzdem verlangt das Verkehrsinteresse Gültigkeit und bindende Wirkung des Kaufvertrags, noch während die gekaufte Sache nur gattungsmäßig und noch nicht individuell bestimmt ist. Der Kaufanspruch (§ 433 I 1) richtet sich auf einen Gegenstand aus der im Vertrag festgelegten Gattung (Gattungsschuld). – Das Gegenstück ist die Stückschuld: Ein Sammler erwirbt von seinem Kollegen eine bestimmte Sammlerbriefmarke. Briefmarken am Postschalter sind dagegen Gattungsschulden, bis sie vom Schalterbeamten ausgehändigt werden.

Es wäre theoretisch denkbar, dass eine Gattungsschuld, solange sie besteht, für immer unbestimmt bleibt: Durch Lieferung eines Stückes aus der Gattung geht der Anspruch unter (433 I 1, 362 I). Das Schuldrecht denkt aber grundsätzlich an individuell bestimmte Leistungsgegenstände, namentlich bei den Leistungsstörungen. Darum ist auch bei Gattungsschulden die Überführung in Stückschulden nötig (Konkretisierung). Als Konkretisierung wird ein bestimmtes Gläubiger- oder Schuldnerverhalten vom Gesetz qualifiziert. Durch die Konkretisierung tritt die Bestimmtheit ein, die für die

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§ 28 III

Inhalt des Schuldverhältnisses

schuldrechtlichen Überlegungen – mit Ausnahme der bindenden Kraft des Vertrags – erforderlich ist, RGZ 69, 407. Die gleiche Sache kann einmal Stück-, einmal Gattungsschuld sein: Gebrauchtwagenhändler V hat 6 gebrauchte VW Polo Baujahr 1986. Der Käufer A will diesen bestimmten Wagen, auf den er mit dem Finger weist (Spezialschuld); Käufer B bestellt schriftlich einen VW Polo Baujahr 1986 (Gattungsschuld). Erfüllt werden (§ 362 I) kann aber nur mit einer vertragsmäßig bestimmten Sache.

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2. Gattungsschulden sind nicht notwendig vertretbare Sachen, § 91. Ob eine Schuld Gattungs- oder Stückschuld ist, entscheidet allein die (subjektive) Parteibestimmung. Das Wesen einer vertretbaren Sache ergibt sich aus den (objektiven) Merkmalen des § 91: Bestimmung nach Maß, Zahl, Gewicht im Verkehr, ohne dass sich dies auf das Schicksal einer Leistungspflicht bezieht. Kartoffeln sind vertretbare Sachen und Gattungsschulden. Ein Zuchtdackel aus der laufenden „Produktion“ der Hundefarm ist eine unvertretbare Sache, aber – bis zur Konkretisierung – eine Gattungsschuld (siehe oben Rdn. 245). Ein Ölgemälde ist unvertretbare Sache und Stückschuld. Eine Sammlerbriefmarke ist eine vertretbare Sache, aber eine Stückschuld. – Grundstücke sind stets unvertretbare Sachen und damit regelmäßig Stückschulden, im Fall einer Parzellierung aber möglicherweise Gattungsschulden. Meist begründen jedoch vertretbare Sachen Gattungs-, unvertretbare Stückschulden.

III. Die rechtliche Bedeutung der Gattungsschuld (§§ 243, 300 II, 524 II, 2182 f) 247

1. § 243 I: Wer eine nur der Gattung nach bestimmte Sache schuldet, hat eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten. Weder besonders gute noch besonders schlechte Qualität ist nötig bzw. zulässig. Ausnahmen von dieser Regel: § 360 HGB (Handelsgut); §§ 607 I, 700 (Geld oder vertretbare Sachen von gleicher Art und Güte); § 2155 I (Einfluss persönlicher Verhältnisse beim Gattungsvermächtnis); telle-quelle-Klausel im Rahmen des § 346 HGB (geringste Qualität zugelassen, „Ware wie sie steht und liegt“); Verkauf von Gattungssachen als „Ramschware“ oder „wie besichtigt“. Wird ein vertragsgemäß zu kleiner Typ geliefert, tritt keine Erfüllung (§ 362 I) ein, vielmehr ist aus der Gattung ein passender Typ („von mittlerer Art und Güte“) zu liefern. Ist die ganze vorhandene Gattung minderwertig, ordentliche Ware aber herstell- oder lieferbar, umfasst die Gattung die noch herzustellenden oder zu liefernden, noch nicht vorhandenen brauchbaren Sachen. Wenn der passende Typ oder die brauchbare Sache überhaupt nicht hergestellt oder geliefert werden kann, liegt anfängliche Unmöglichkeit vor, § 311a.

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2. § 243 II: Die Konkretisierung zur Stückschuld tritt ein, wenn der Schuldner das zur Leistung einer solchen Gattungssache seinerseits Erforderliche getan hat. a) Die Konkretisierung erfolgt also nicht schon mit der Ausscheidung eines Stückes aus der Gattung (Ausscheidungstheorie), und nicht erst bei Ablieferung an den Gläubiger (Ablieferungstheorie), sondern nach der vermittelnden Auffassung des BGB mit der Beendigung der nach Maßgabe des konkreten Schuldverhältnisses erforderlichen Schuldnerbemühungen. Der spätest denkbare Zeitpunkt für die Konkretisierung ist die Vornahme der Erfüllungshandlung. Dann beschränkt sich erst bei Erfüllung das Schuldverhältnis auf diese Sache: Der Schalterbeamte händigt dem Postkunden die Briefmarken aus. Bei (Gattungs-)Bringschulden (s. u. Rdn. 280) tritt Konkretisierung regelmäßig erst mit der Erfüllungshandlung ein: Die Hausfrau lässt sich Gemüse ins Haus kommen.1 Bei (Gattungs-)Holschulden (s. u. Rdn. 279) liegt die Konkretisierung häufig schon vor der Erfüllung. Nach der Konkretisierung ist Gegenstand des Schuld1 Die Konkretisierung liegt dann zeitlich ganz (infinitesimal) kurz („eine juristische Sekunde“) vor der Erfüllung nach § 362 I.

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Gattungsschuld. Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis

§ 28 III

verhältnisses nicht mehr ein Stück aus einer Gattung, sondern der bestimmte Gegenstand X. Die Konkretisierung, die zeitlich immer vor der Erfüllung erfolgt, bewirkt also den Übergang der Leistungsgefahr; zur Gefahrlehre im Einzelnen u. § 35 und § 70.

b) In der Literatur ist streitig, ob der Schuldner an die Konkretisierung gebunden ist. Darf er also dem Gläubiger ein anderes, gleichwertiges Stück liefern, wenn er das konkretisierte Stück anderweitig verwenden will, oder macht er sich dann schadensersatzpflichtig? Nach der Rspr. ist auch der Schuldner an die Konkretisierung gebunden (vgl. BGH BB 1965, 349; OLG Marienwerder OLGE 8, 435; RGZ 91, 110; BGH NJW 82, 873), es sei denn, der Gläubiger wird durch die Ersatzware genauso befriedigt wie durch die Ware, auf die Konkretisierung eingetreten ist. Diese Meinung ist inkonsequent, da dies der Regelfall sein dürfte, anderenfalls hätte der Gläubiger von vornherein eine Stückschuld vereinbart. Dogmatisch sauberer ist es deshalb, in § 243 nur eine Schutzvorschrift zugunsten des Schuldners zu sehen (so auch Medicus, in: JuS 66, 297 ff). Die konkretisierte Gattungsschuld ist also nicht gänzlich der Stückschuld wesensgleich. Die Beschränkung des § 243 auf eine bloße Schuldnerschutzvorschrift hat Folgen auch in dem Fall, dass das konkretisierte Stück beim Schuldner ohne dessen Verschulden untergeht. Es entspricht nicht unbedingt dem Interesse des Schuldners, von seiner Leistungspflicht gemäß § 275 frei zu werden und damit auch den Anspruch auf die Gegenleistung zu verlieren, 326 I 1. Vielmehr muss es dem Schuldner überlassen bleiben, ob er anstelle des untergegangenen Stückes ein gleichwertiges anderes Stück aus der Gattung liefern will, um sich so den Verkaufsgewinn zu sichern. 3. Vor erfolgter Konkretisierung ist eine Sache aus der Gattung geschuldet. a) Wenn also die vom Schuldner zur Lieferung vorgesehene, aber noch nicht konkretisierte Sache unverschuldet untergeht, besteht der Anspruch auf eine andere Sache aus der Gattung weiter. Der Schuldner kann sich auf nachträgliche subjektive Unmöglichkeit (= nachträgliches Unvermögen) i. S. d. § 275 I 1. Alt. nicht berufen, er wird also nicht frei. Hierfür existierte nach altem Recht (§ 279 a. F.) eine Spezialregelung. Heute ergibt sich die Haftung des Gattungsschuldners direkt aus § 276 I 1: Der Schuldner haftet auch ohne Verschulden, wenn sich eine solche Haftung aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere auch aus der Übernahme eines Beschaffungsrisikos so ergibt. Es handelt sich um den alten Erfüllungsanspruch auf Lieferung einer Sache aus der Gattung, der weiter besteht.

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Der Händler hat den bestellten Opel Rekord auf Lager genommen, aber weder den Besteller verständigt noch in anderer Weise kenntlich gemacht, dass der Wagen für den Besteller vorgesehen sei. Jetzt verbrennt das Auto ohne Verschulden des Händlers. Der Händler schuldet einen anderen Opel Rekord der bestellten Art, er trägt vor der Konkretisierung die Leistungsgefahr. – Der Kunde hat gemäß § 433 II zu zahlen.

b) Ist die ganze Gattung erschöpft, gelten die Regeln für die Stückschuld, §§ 275, 276. Gleiches gilt, wenn die Parteien die Zugehörigkeit der Sache zu einem bestimmten Vorrat vereinbart haben (begrenzte Gattungsschuld, Vorratsschuld) und der gesamte Vorrat erschöpft ist. Eine solche Beschränkung kann sich auch aus den Umständen ergeben, RGZ 91, 312. Die restlichen 4 Fass Wein Edenkobener Dachsberg Spätlese 1983 laufen auf dem Transport aus. Ein Bauer verkauft – nicht gewerbsmäßig – 100 Zentner Heu. Ein Brand vernichtet seinen gesamten Heuvorrat. Der Schuldner wird frei, 275, es sei denn, ihn trifft die Schuld, 276. Geht die Gattung nur teilweise unter, reicht sie insgesamt aber nicht mehr aus, um alle Gläubiger zu befriedigen, so verkürzen sich die Ansprüche der Gläubiger anteilsmäßig, RGZ 84, 128; im Übrigen finden die Vorschriften über teilweise Unmöglichkeit Anwendung, par conditio creditorum.

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§ 28 IV

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Inhalt des Schuldverhältnisses

c) Aus diesem Ausgangspunkt ergibt sich die Pflicht eines Verkäufers, Gattungsware auch dann zu liefern, wenn sie seit dem Verkauf unerwartet knapp und teuer geworden ist, so dass dem Verkäufer ein Verlust entsteht, RGZ 95, 41 – Bankazinn. Auch die Klausel ,,Liefermöglichkeit vorbehalten“ befreit den Verkäufer nicht, „bis zur Grenze des Zumutbaren“ sich die Ware zu beschaffen, um den Käufer beliefern zu können, BGH NJW 58, 1628. Nur die ,,Selbstbelieferungsklausel“ (vorbehaltlich termingerechter ,,Selbstbelieferung“) schützt den Verkäufer, wenn er einen Geschäftsabschluss zum Zwecke seiner eigenen Deckung für dieses Geschäft mit dem Käufer nachweisen kann (sog. ,,kongruentes Deckungsgeschäft“), die Deckung aus dem Deckungsgeschäft objektiv tauglich war und der Verkäufer von seinem Vorlieferanten gerade bezüglich dieser Partie von Gattungsware im Stich gelassen wurde, BGHZ 49, 388; BGH NJW 85, 738. 4. § 300 II: Gemäß § 243 II geht mit der Konkretisierung die Leistungsgefahr auf den Gläubiger über. Ausnahmsweise geht sie schon vorher auf ihn über, wenn er nämlich in Gläubigerverzug gerät, 300 II. Da zum Gläubigerverzug gehört, dass der Schuldner die Leistung dem Gläubiger ordnungsgemäß anbietet (293–299), dies aber normalerweise alles ist, was der Schuldner schuldet, um das „seinerseits Erforderliche“ zu tun (243 II), tritt meist mit dem Gläubigerverzug zugleich die Konkretisierung nach § 243 II und damit der Übergang der Leistungsgefahr ein. § 300 II hat also nur den ganz beschränkten Anwendungsbereich, in dem Gläubigerverzug eintritt, obwohl noch nicht konkretisiert ist. Das sind hauptsächlich folgende Fälle: a) Die Konkretisierung ist verträglich hinausgeschoben (§ 243 II ist nachgiebiges Recht). b) Bei Geldverschickungen (z. B. Geld im Brief) trägt der Schuldner nach der Sonderregelung des § 270 I die Leistungsgefahr bis zum Eintreffen der Sendung am Gläubigerwohnsitz = Zahlungsort. Leistungsort bleibt der Schuldnerwohnsitz, 270 IV, 269 I, daher nur sog. Schickschuld, keine Bringschuld, vgl. unten Rdn. 284. Verweigert der Gläubiger die Annahme, so ist noch nicht konkretisiert, denn der Schuldner wurde an der Leistung des „seinerseits Erforderlichen“ (§ 243 II) durch den Gläubiger gehindert. Dieser befindet sich aber trotzdem im Annahmeverzug, 293, 294. Geht das Geld jetzt verloren, braucht der Schuldner nicht noch einmal zu leisten, 300 II: Übergang der Leistungsgefahr nach § 300 II anstelle § 243 II. c) Lehnt der Gläubiger die Leistung von vornherein ab, so kommt er durch wörtliches Angebot in Verzug, 295. Das gilt auch bei Bring- und Schickschulden, bei denen Konkretisierung erst nach Übermittlung bzw. Absendung der Leistung an den Gläubiger eintritt (§ 269 I ist abdingbar, vgl. unten Rdn. 276). Sondert der Schuldner trotzdem aus (erst dann kann man von einer „Leistungsgefahr“ für eine Sache reden) und geht jetzt diese Sache unter, so ist der Schuldner trotz fehlender Konkretisierung frei, 300 II.

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5. § 439 I 2. Alt. Ist eine verkaufte Gattungssache mangelhaft (der neue Fernseher funktioniert nicht), kann der Käufer die mangelhafte Sache zurückgeben und Lieferung einer mangelfreien anderen Sache aus der Gattung verlangen (bei der Schenkung § 524, beim Gattungsvermächtnis § 2183). Eine mangelhafte Sache ist keine von „mittlerer Art und Güte“, 243 I. Mit einer mangelhaften Sache lässt sich keine Konkretisierung herbeiführen, auch kein Annahmeverzug, 293, 294. Es ist noch nicht erfüllt. Zu den Rechten des Käufers s. unten Rdn. 839.

IV. Wichtige Hinweise für die Prüfung im Gutachten 255

1. Zweckmäßig ist meist folgender Gedankengang: Anspruchsgrundlage (z. B. § 433 I 1) – noch nicht erfüllt (362 I) – Freiwerden nach § 275 möglich – aber Gattungsschuld (243 I) – dann an sich Weiterhaftung (276 I 1) – aber konkretisiert (243 II) – also freigeworden, Leistungsgefahr übergegangen (275) – gegebenenfalls Übergang der Leistungs-

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Geldschulden und Zinsen

§ 29

gefahr nach 300 II, obwohl noch nicht konkretisiert – Schicksal der Gegenleistung (§ 326). 2. Ob im Zuge der vorbezeichneten Prüfung konkretisiert wurde, richtet sich danach, was im jeweiligen Schuldverhältnis erforderlich war, 243 II, also: Bei Holschulden Aussondern, Bereitstellen und dem Gläubiger Anbieten oder von der Bereitstellung Benachrichtigen oder zur Abholung auffordern; 2 bei Bringschulden tatsächliches Anbieten der Leistung beim Gläubiger; bei Schickschulden Übergabe des zu Leistenden an die Transportperson; vgl. auch unten Rdn. 279ff.

V. Wahlschuld, Ersetzungsbefugnis, Abfindungsbefugnis und Anspruchsmehrheit 1. Die seltene Wahlschuld (262–265) besteht in einer Forderung, die sich auf mehrere Leistungsgegenstände richtet, von denen aber wahlweise nur der eine oder der andere zu leisten ist (duae res in obligatione, una in solutione). Im Zweifel hat der Schuldner das Wahlrecht, 263. Bei Verzögerung der Wahl kann der Gläubiger wählen, 264. Wird die eine der zur Wahl stehenden Leistungen unmöglich, gilt § 265 S. 2. Bei anfänglicher Unmöglichkeit ist § 311a zu beachten. Die Wahlschuld entsteht durch Vertrag. Das BGB enthält keine Beispiele. Auch § 179 ist kein Fall der Wahlschuld, sondern ein Fall der Wahl zwischen zwei Ansprüchen (sog. elektive Konkurrenz). A. A. RGZ 154, 62. Letzteres ist häufig (z. B. § 439 I). Die Wahlschuld beruht im Gegensatz dazu auf einem Anspruch. Ein Beispiel sind die „Joker-Buchungen“ bei einem Reiseveranstalter, bei denen dieser gegen einen Preisnachlass selbst das Hotel auswählen darf, LG Frankfurt NJW 85, 143. 2. Zu unterscheiden von der Wahlschuld ist die Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa). Bei ihr ist nur eine Leistung geschuldet, der Gläubiger (so in §§ 249, 340 I, 843 III) oder der Schuldner (so in §§ 244 I, 251 II, 257, 528 I 2, 775 II, 1087 II) haben aber das Recht, statt der geschuldeten Leistung eine andere zu verlangen bzw. zu erbringen (una res in obligatione, duae in solutione). Die Ersetzungsbefugnis des Schuldners ist das Recht, an Erfüllungs statt zu leisten, 364 I, was sonst nur mit Zustimmung des Gläubigers zulässig ist. Außer in den gesetzlichen Beispielen (§§ 249 II 1, 340 I, 843 III) findet sich die Ersetzungsbefugnis nicht selten in Verträgen. – Der Unterschied zwischen facultas alternativa und Wahlschuld ist gering, z. T. wird er ganz geleugnet. Beispiel: BGH, LM Nr. 6 zu § 946. Facultas alternativa des Schuldners ist z. B. anzunehmen, wenn statt Barzahlung die Hingabe von Wertpapieren gestattet ist. 3. Von beiden zu unterscheiden ist die Abfindungsbefugnis des Schuldners, bei welcher der Schuldner zwar eine Leistung schuldet, aber seinerseits das Recht hat, anstelle der geschuldeten Leistung ohne Zustimmung des Gläubigers eine andere Leistung zur Erfüllung zu verwenden (z. B. Inzahlunggeben eines gebrauchten Kfz, s. u. Rdn. 322). § 308 Nr. 4 begrenzt derartige Abfindungsrechte in AGB („zumutbar“). 4. Wiederum anders liegt es beim Bestehen mehrerer Ansprüche nebeneinander, z. B. aus Vertrag und Gesetz (Anspruchsmehrheit, -häufung; „cumul“); dazu u. Rdn. 1545ff.

§ 29 Geldschulden und Zinsen Bezzenberger, WM 2002, 1617; Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., 1988; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 11; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999; Hahn, Währungsrecht, 1996; Heermann, Geld und Geldgeschäfte im Zivil- und Handelsrecht, 1996; Horn, Geldwertveränderungen, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1975; ders., NJW 85, 1118; Immenga/ Schwintowski, NJW 83, 2841; Jacob, O., Die zivilrechtliche Bedeutung des Lastschriftverfahrens,

2 H. M., vgl. Larenz, I § 11 I; Medicus, I § 19 IV 2; Jauernig/Mansel, § 243 Rdn. 9.

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§ 29 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

1995; Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht, 1996; Kirchhoff, G., Wertsicherungsklauseln für Euro-Verbindlichkeiten, 2006; Mann, F. A., Das Recht des Geldes, 1960; v. Maydell, Geldschuld und Geldwert, 1974; Medicus, JuS 66, 305; ders., JuS 83, 897; ders., AcP 188 (1988), 489; Möschel, AcP 186 (1986), 187; Petershagen, NJW 2002, 1455; Schmidt, K., JuS 84, 737; Schön, ACP 198 (1998) 401; Steiner, Wertsicherungsklauseln, 2003; (weitere Literaturangaben bei Staudinger/ K. Schmidt, Vorb. zu § 244).

I. Geld 259

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1. Geldschulden im Sinne von Münz- und Notenschulden sind Gattungsschulden besonderer Art. § 243 I gibt keinen Sinn und ist daher unanwendbar. § 243 II ist anwendbar, so dass ein Schuldner frei wird, wenn er das seinerseits Erforderliche zur Zahlung getan hat, das Geld aber dann verlorenging. Zu beachten ist aber § 270 I, wonach der Schuldner die Leistungsgefahr trägt, bis das Geld am Gläubigerwohnsitz an den Gläubiger ausgehändigt wurde. Verhindert der Gläubiger die Aushändigung, etwa durch Ablehnung der Entgegennahme, tritt Befreiung des Schuldners nach § 300 II ein (vgl. unten Rdn. 284). 2. „Geld hat man immer zu haben“: Nichtzahlenkönnen befreit nicht vom Zahlenmüssen. Dies ergibt sich nach h. M. aus dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, Medicus, AcP 188 (1988) 501. 3. Geld kann im Einzelfall auch Stückschuld sein: Ein Münzensammler kauft einen Maria-Theresia-Taler. Verwandt ist die eigentliche (echte) Geldsortenschuld: Kauf (irgend-)eines Krüger-Rand als Kapitalanlage. Geldstückschuld und echte Geldsortenschuld fasst man zur „Geldsachschuld“ zusammen. Bei ihr geht es um Geld als Ware, nicht um Geld als Zahlungsmittel.1 4. Das Gegenstück der Geldsachschuld ist die Geldzahlungsschuld, die in den „baren“ und „unbaren“ Zahlungsverkehr gegliedert wird. Hier stehen sich zwei Meinungen gegenüber: Die herrschende Meinung, die Barzahlung (§ 362 i. V. m. § 929), Überweisung (§ 364 I) und Anweisungsformen, z. B. Scheck, Wechsel und Kreditkarte (§ 364 II) unterscheidet, und die „moderne“ Auffassung (Gernhuber, § 11; Medicus, § 18 II 3), die Bargeld und unbares „Geld“ weitgehend gleichbehandelt. Für die moderne Auffassung spricht zwar die Vielzahl der täglich stattfindenden Überweisungen und Inzahlungnahmen, gegen sie jedoch, dass sie den Gläubiger zwingt, jede Gutschrift auf jedem seiner Konten grundsätzlich als erfüllungswirksame Zahlung des Schuldners gelten zu lassen oder aber seinem Geschäftspartner seinen Kontenplan aufzudecken (was beides lebensfremd ist). Um zu einer sachgerechten rechtlichen Lösung zu finden, ist zwischen den vier Grundtypen des Zahlungsverkehrs zu unterscheiden: (a) Barzahlung mit Münzen und Noten; (b) Barzahlung mit ihnen gleichgestellten (Reise-, Euro-)„Schecks“; (c) Überweisung; (d) Anweisungen (wie Scheck und Wechsel). Von alledem zu trennen (e) ist der (z. B. einer Bank) gegebene Auftrag, die eingereichten Rechnungen zu bezahlen. a) Barzahlung mit Münzen und Noten. Münzen und Noten sind bewegliche Sachen. Durch ihre Übereignung nach § 929 wird eine Geldzahlungsschuld gemäß § 362 I erfüllt. b) Barzahlung mit sog. (fungiblen) „Schecks“, die Münzen und Noten im Verkehr gleichgestellt werden. Schecks, deren Einlösung durch die bezogene Bank gesichert sind und die damit für den Empfänger keinerlei Risiko mit sich bringen, werden im Rechtsverkehr als Erfüllung nach § 362 I akzeptiert. Hierzu zählen in Gegenwart des Empfängers zum zweiten Mal zu unterschreibende Reiseschecks und Euroschecks mit Scheckkarte, falls nicht die Unterschrift für jeden erkennbar gefälscht ist. Die beiden Zahlungsarten a) und b) können auch durch Übermittlung des Bargeldes durch einen Dritten verwirklicht werden. c) Die Überweisung (§§ 676a ff). Sie setzt voraus, dass der Gläubiger ein Konto hat (was bei a und b nicht nötig ist). Die Überweisung ist ein Mittel zur Gutschrift auf dem Konto des Empfängers. Der Antrag auf Abschluss eines Überweisungsvertrags kann durch einen Bareinzahler erteilt werden 1 Einzelheiten bei Gernhuber, § 11, 1.

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Geldschulden und Zinsen

§ 29 I

(Einzahlung auf drittes Konto). Sie kann auch durch einen Kontoinhaber seinem Geldinstitut gegeben werden (Banküberweisung). Die Überweisung ist wegen ihrer Sicherheit beliebt und kennt viele Unterformen. Eine ist das Lastschriftverfahren (U. Jacob). Dies besteht entweder im sog. Abbuchungsverfahren (Dauerauftrag), bei dem der Schuldner seine Bank beauftragt (§ 675), typischerweise laufend an einen bestimmten Gläubiger von diesem zu benennende Beträge abzuführen (z. B. Stromkosten); oder im sog. Einzugsermächtigungsverfahren, bei dem der Schuldner seinen Gläubiger ermächtigt, vom Schuldnerkonto abzubuchen. Die wirksame Lastschrift im Abbuchungsverfahren erfüllt die Schuld; der Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren hingegen kann der Schuldner binnen 6 Wochen widersprechen und so den Zustand der offenen Schuld wiederherstellen.2 Auch dem Akkreditiv kommt Überweisungscharakter zu, nachdem die Bank, bei welcher das Akkreditiv eröffnet wurde, dem Begünstigten die Eröffnung mitgeteilt hat. Die Rechtswirkung der Überweisung ist entgegen der modernen Lehre (oben vor a) nicht Erfüllung nach § 362, sondern sie setzt eine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner voraus, dass die Schuld durch Überweisung getilgt werden soll. Es handelt sich damit nach der zutreffenden Auffassung von Canaris um eine Leistung an Erfüllungs Statt, Canaris, Bankvertragsrecht 3 (1988), Rdn. 391 ff. Heute kann und soll zwar vielfach unbar gezahlt werden, es ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass es dem Gläubiger nicht gleichgültig ist, auf welches seiner Konten er welche Gelder eingezahlt erhält (es kann ja beispielsweise ein Konto im Debet oder gepfändet sein), was er aber bei Erfüllung nach § 362 I widerspruchslos hinnehmen müsste. Daher hat der BGH in BGH NJW 86, 2428 auch die diesbezügliche Fakultativklausel der Banken für unwirksam nach der AGB rechtlichen Generalklausel (jetzt § 307) erklärt. § 362 I führt also hier nicht zu sachgerechten Ergebnissen, und eine Überweisung wird bei fehlender Vereinbarung (z. B. eigenmächtiges Auskundschaften der Kontonummer des Gläubigers) erst mit Zustimmung des Gläubigers wirksam. Einer solchen Vereinbarung ist aber der Kontoaufdruck im Briefkopf oder auf der Rechnung sowie die Kenntnis des Schuldners aus früheren Geschäftsbeziehungen gleichzustellen, BGH NJW 53, 897; bloße Kontoeröffnung genügt hingegen nicht. Für die Erfüllung kommt es bloß auf die Endgültigkeit der Überweisung, nicht aber auf eine Mitteilung an den Gläubiger an, BGH NJW 88, 1320. Mit der Gutschrift auf dem Gläubigerkonto entsteht dann eine Forderung des Gläubigers gegen sein Geldinstitut, die an die Stelle der Schuld tritt und sie somit erfüllt, 364 I. Anspruchsgrundlage der Gläubigerforderung ist sein Geschäftsbesorgungsvertrag (Kontovertrag usw.) mit der Bank. Daneben kann ein Schuldversprechen der Bank treten, § 780, mit der Formerleichterung nach § 350 HGB für Kaufleute.4 d) Die Anweisung. Wer mit einem Scheck oder Wechsel bezahlt, verschafft dem Gläubiger „erfüllungshalber“ eine neue Forderung, die neben dessen alte, bestehen bleibende tritt, 364 II (s. u. Rdn. 279). Zu den Anweisungen zählen auch Verrechnungsschecks, die zur Sicherheit nur auf ein Konto gutgeschrieben werden dürfen, und Kreditkarten. Hierzu näher § 99 sowie die Literatur zum Wertpapierrecht (Hinweise zun Schrifttum in § 100). e) Der Überweisungsauftrag. Wer seine Rechnungen, die er bezahlen muss, seiner Bank zur Erledigung gibt, lässt, wenn nicht Kontovollmacht vorliegt, die Bank aufgrund des mit ihr geschlossenen Girovertrags (§ 676 f) als Dritten für sich zahlen. Die Bank wird in einer der oben a)–e) beschriebenen Weisen tätig; häufig wird sie die Überweisung (oben d) wählen. 5. Grundsätzlich steht das bürgerliche Recht auf dem Standpunkt: Mark = Mark, RGZ 107, 371; BVerfG NJW 79, 1151, mit abl. Anm. K. Vogel (Grundsatz des Nominalismus). Geldschulden sind nach heute ganz h. M. keine kursabhängigen Wertschulden (Grundsatz des Valorismus). Hinzu kommt die grundsätzliche Haltung des BGB, jeder Gegenstand könne in Geld aufgewogen werden. Beide Prämissen treffen in Zeiten der Bewirtschaftung, der Inflation und Deflation nicht zu, wobei es namentlich nicht darauf ankommt, ob ein Kaufkraftschwund (Inflation) galoppierend (1922–24) oder schleichend vor sich geht (heute eine Allgemeinerscheinung). Der Fiktion „Mark = Mark“ folgend, sind Wertsicherungsklauseln in Gestalt von Fremdwährungs-, Gold- und Indexklauseln (hier-

2 Gernhuber, § 11, 5 mit Einzelheiten. 3 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdn. 467. 4 Gernhuber, § 11, 4.

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262

263

§ 29 II

Inhalt des Schuldverhältnisses

unter fallen grundsätzlich auch Kaufkraftklauseln) nach § 2 PaPkG verboten, können aber durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle genehmigt werden. Genehmigungsfrei sind (1) Leistungsbestimmungsvorbehalte (eine Partei, beide Parteien oder Dritte können die Leistungen neu bestimmen, §§ 315 ff, wobei eine Automatik vermieden sein muss); (2) Umsatz- und Beteiligungsklauseln (Mietzins für Geschäftsräume wird nach dort erzieltem Umsatz bemessen); (3) Preis-KostenKlauseln (in den Strompreis geht der Kohlepreis, in den Preis für ein Bauwerk die Maurerlöhne usw. mit ein); (4) Spannungsklauseln (der „Preis“ richtet sich nach dem gleichartiger Leistungen, z. B. eine Angestelltenrente nach einer Beamtenpension; Genehmigungsbedürftig sind also vor allem Fremdwährungs-, Soll- und Warenpreis- (einschließl. Lebenshaltungskostenindex-)Klauseln. Eine gesetzliche Ausnahme ist die Indexmiete, 557b. Weitere Behelfe nichtwährungsrechtlicher Art gegen die Geldentwertung sind – Anspruch aus § 242 auf Mitwirkung zu einer Vertragsänderung, um eine nicht genehmigungsfähige Wertsicherungsklausel zu einer genehmigungsfähigen zu machen, – Anspruch auf Vertragsanpassung nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage, § 313. 6. Fremdwährungsschulden können in Euro bezahlt werden, wenn keine sog. „Effektivklausel“ beigefügt ist, 244. Für frühere Währungen gilt § 245, wonach objektive nachträgliche Unmöglichkeit nicht vorliegt, wenn die Münzsorte wechselt.

II. Zinsen 264

1. Zinsen sind (1) der Gegenwert für den Gebrauch von Geld oder anderen, vertretbaren Sachen, berechnet nach der Dauer des Gebrauchs, (2) eine Risikoprämie, (3) nicht aber gem. h. M. ein Mittel des Geldentwertungsausgleichs, s. o. Rdn. 263. Zinsansprüche entstehen zwar bis zur Tilgung der Kapitalschuld laufend neu, die Zinspflicht ist aber eine Nebenschuld, deren Entstehen und Weiterentstehen von der Hauptschuld abhängt, BGHZ 15, 88. Zinsvereinbarungen sind erlaubt, nur vorherige Verabredung von Zinseszins (Anatozismus) ist verboten, 248 I, 134 (ähnlich § 289: Keine Zinsen von Verzugszinsen). Kreditanstalten dürfen Zinseszins zahlen und in gewissem Umfang auch nehmen, 248 II.

2. Ob Zinsen geschuldet sind, bestimmen Vertrag oder Gesetz (z. B. §§ 288 bis 290, 291; 353 HGB). Der gesetzliche Zinssatz beträgt gem. § 246 vier Prozent (für beiderseitige Handelsgeschäfte fünf Prozent, § 352 HGB). Er ist beispielsweise von Bedeutung für die §§ 256, 641 IV, 820 II, 849. Für den praktisch wichtigsten Fall, nämlich die Verzugszinsen, liegt der Zinssatz höher, nämlich gem. § 288 fünf, bzw. acht Prozent über dem Basiszinssatz. Der Basiszinssatz richtet sich nach § 247. Die dort genannten 3,62 Prozent sind irreführend. Der Basiszinssatz ändert sich zweimal im Jahr und betrug beispielsweise am 1. 7. 2006 1,95%. Weitere Verweise auf den Basiszinssatz finden sich in den §§ 497 I 2 BGB, 104 ZPO. Das bürgerliche Recht kennt im Wesentlichen nur die Verzugs- (288–290) und die Prozesszinsen (291), sowie die Zinspflicht wegen Entziehung oder Beschädigung einer Sache, 849, dazu BGHZ 8, 298. Nach Handelsrecht sind auch Fälligkeitszinsen zu zahlen (353 HGB). Eine allgemeine Zinspflicht besteht nicht. 3. Ein einseitiger Abzug von Zwischenzinsen bei vorzeitiger Tilgung einer Schuld ist unstatthaft, 272. Anders beim Ankauf eines Wechsels, Baumbach/Hefermehl, WG, § 11 Rdn. 13. 4. Bei der Erfüllung einer Schuld werden in Ermangelung anderweitiger Vereinbarung zuerst die Kosten, dann die Zinsen, dann das Kapital getilgt, 367 (allgemeine Regel, die sich in vielen Rechtsbereichen wiederfindet).

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Teilleistungen

§ 30 2

§ 30 Teilleistungen Coing, SJZ 49, 532; Eccius, Gruchot 49, 469; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 8; Heinzelmann, NJW 67, 534; Nacken, Teilleistung und teilbare Leistung, Diss. Köln 1976; Rother, NJW 65, 1749.

1. Kein Gläubiger braucht es sich gefallen zu lassen, dass sein Schuldner die geschuldete Leistung in Teilbeträgen erstattet. Der Schuldner ist zu Teilleistungen nicht berechtigt, 266. Durch Teilleistungen kann der Gläubiger nicht in Annahmeverzug gesetzt werden, 293, 294. Der Schuldner bewahrt sich durch unberechtigte Teilleistungen nicht vor Schuldnerverzug, 286; doch kann die Zurückweisung von Teilbeträgen im Einzelfall treuwidrig sein, wenn die Annahme dem Gläubiger zumutbar ist, 242, OLG Düsseldorf, NJW 65, 1763; OLG Hamm, VersR 57, 824.

265

Zweifelhaft ist, ob § 266 auch dann Anwendung findet, wenn der Schuldner einen Teilbetrag der eingeklagten Forderung zu befriedigen bereit ist, im Übrigen aber die Forderung bestreitet. Die OLGe Düsseldorf und Hamm aaO erblicken in der Ablehnung des angebotenen Betrages einen Verstoß des Gläubigers gegen Treu und Glauben. Von einer Belästigung des Gläubigers könne in diesem Fall keine Rede sein. Im Gegenteil sei es für diesen nur vorteilhaft, wenn er einen angemessenen Teil seines Schadens so schnell wie möglich ersetzt erhalte und zugleich den Rechtsstreit auf die noch offenen Streitpunkte beschränke. Rother dagegen meint, durch die Annahme des Hauptteils der Leistung werde der Gläubiger in die missliche Lage versetzt, wegen des noch fehlenden Restes den Rechtsweg beschreiten und im Falle des Unterliegens einen größeren Kostenbetrag tragen zu müssen als bei teilweisem Unterliegen mit seiner Klage auf das Ganze. Diese Auffassung geht jedoch zu weit. § 266 will nicht das Recht des Anspruchsgegners beschneiden, sich gegen unbegründete Forderungen zu schützen. Eine Belästigung des Gläubigers liegt andererseits nicht nur dann vor, wenn die Forderung insgesamt unstreitig feststeht (so Heinzelmann und 6. Aufl.). Der von Gernhuber aaO § 8, 6 vorgeschlagene Mittelweg überzeugt: Der Gläubiger ist gehalten, eine Leistung entgegenzunehmen, die dem gesamten unstreitigen Forderungsteil entspricht, sofern er nicht besorgen muss, sein Verhalten werde ihm als Verzicht o. ä. bezüglich des streitigen Teils ausgelegt. Das darf auch im Zweifel nicht angenommen werden.

2. Ausnahmen a) Teilleistungen können vereinbart sein, z. B. in einem Ratenkaufvertrag oder bei einem ratenweise zu tilgenden Darlehen, vgl. oben Rdn. 35, wo eine Übersicht über alle Ratenleistungs-, Dauerund Wiederkehrschuldverhältnisse gegeben wird. b) Teilweise Aufrechnung ist zulässig. Die §§ 387 ff gehen § 266 vor (lex specialis derogat legi generali). c) Andere Ausnahmen: Art. 39 II WG, 34 II ScheckG, §§ 757 ZPO; 105 InsO. Der Grund ist in diesen Fällen die besondere Schutzbedürftigkeit des Schuldners im Wechsel- und Scheckrecht sowie auch des Gläubigers im Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, und zwar wegen der schwerwiegenden Folgen völliger oder auch nur teilweiser Nichtzahlung. 3. Nimmt der Gläubiger die angebotene Teilleistung an, so kann er wegen des nicht erbrachten Teils Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Zu den Einzelheiten s. u. Rdn. 479 f.

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266

§ 32

Inhalt des Schuldverhältnisses

§ 31 Aufwendungsersatz und Wegnahmerecht Baur/Wolff, JuS 66, 398; Gerhardt, Der Befreiungsanspruch, 1966; Klein, JW 1902, 646; Kretschmer, ZBlfG 6, 1; ders., Recht 07, 286; Müller, Klaus, JZ 68, 769; Rimmelspacher, JR 76, 183; Ruge, Wegnahmerecht, Diss. 1905; Trinkl, NJW 68, 1077.

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1. Die §§ 256–261, 292, 809–811 behandeln gesetzlich normierte Leistungsinhalte. Es liegt wie bei den Zinsvorschriften der §§ 246, 247: Wann Zinsen zu leisten sind, steht an anderer Stelle im Gesetz oder in einem Vertrag. §§ 246, 247 sagen nur, wie hoch sich die Zinsen belaufen, wenn Zinsen zu zahlen sind. So auch die §§ 256–261, 292, 809–811: Wann Aufwendungen zu ersetzen (256–257), Wegnahme zu dulden (258), Rechnung zu legen (259), Gegenstandsinbegriffe herauszugeben und Auskünfte darüber zu erteilen (260), bestimmte Sachen herauszugeben (292) oder Sachen vorzulegen (809–811) sind, ist anderweitig gesetzlich (gegebenenfalls auch vertraglich) geregelt. In den genannten Paragraphen ist lediglich bestimmt, wie dies zu geschehen hat. Die Vorschriften enthalten demnach keine Anspruchsnormen, mit denen man ein Gutachten beginnen kann. Erst wenn der Anspruch feststeht, sind diese Vorschriften ergänzend heranzuziehen.

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2. Aufwendungsersatz: So bestimmt etwa § 670, dass der Beauftragte Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann. (Ein Freund wird gebeten, bei der Zimmersuche zu helfen. Er kann seine Straßenbahn- und Telefonauslagen ersetzt verlangen.) Dann ist § 670 die Anspruchsnorm, mit der die Prüfung im Gutachten zu beginnen hat. Die zu ersetzenden Aufwendungen sind nach § 256 zu verzinsen. Besteht die Aufwendung in einer eingegangenen Verbindlichkeit, so muss der Beauftragte von der Verbindlichkeit befreit oder Sicherheit geleistet werden, 257. BGH NJW 60, 1568. Siehe auch unten Rdn. 224. 3. Wegnahmerecht: Nach § 539 II kann z. B. der Mieter die eingedübelten Gardinenstangen samt Dübeln mitnehmen, wenn er auszieht (Anspruchsnorm). § 258 S. 1 bestimmt dazu, dass der Wegnahmeberechtigte den vorigen Stand wiederherzustellen hat. Der Mieter muss also die Dübellöcher wieder zugipsen.

§ 32 Rechnungslegung, Herausgabe von Gegenstandsinbegriffen. Auskunft und Versicherung an Eides Statt 269

Lorenz, JuS 1995, 569; Schilken, Jura 88, 525. 1. Rechnungslegung: Nach § 666 muss z. B. der Beauftragte über die Durchführung seines Auftrags Rechenschaft ablegen (Anspruch). Die Einzelheiten (Einnahmen- und Ausgabenberechnung, Belege) regelt § 259. Eine Verpflichtung zur Rechnungslegung besteht nach § 242 überall dort, wo jemand fremde Angelegenheiten oder solche Angelegenheiten besorgt, die zugleich eigene und fremde sind, BGHZ 10, 368. 2. Herausgabe von Gegenstandsinbegriffen: Der falsche, zunächst irrtümlich für den Erben gehaltene Erbe („Erbschaftsbesitzer“) muss den wahren Erben die Erbschaft oder alles, was er aus der Erbschaft erlangt hat, herausgeben, 2018. Die Erbschaft besteht in der Regel aus Sachen und Rechten (Gegenständen, vgl. § 90). Wer in dieser Weise zur Herausgabe eines Inbegriffs von Gegenständen verpflichtet ist, muss ein Bestandsverzeichnis vorlegen, 260 I. 3. Auskunft über Gegenstandsbegriffe: Der wahre Erbe hat auch Anspruch auf Auskunft über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib von Erbschaftsgegenständen, 2027 I. Auch wer zur Auskunft über einen Gegenstandsinbegriff verpflichtet ist, muss ein Bestandsverzeichnis vorlegen, 260 I. – Eine allgemeine Auskunftspflicht besteht nach dem BGB nicht. § 260 I bezieht sich nur auf Auskünfte

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Einfluss der Rechtshängigkeit auf den Herausgabeanspruch

§ 33 I 2

über Sachinbegriffe. Andere Auskunftspflichten sind gelegentlich im Gesetz geregelt (z. B. §§ 402, 666, 799, 1379, 2003, 2005, 2028, 2314, 2362). Der BGH leitet aus § 242 in ständiger Rechtsprechung einen Auskunftsanspruch ab, wenn der Berechtigte entschuldbarerweise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, sich die Information nicht mit zumutbarem Einsatz selbst beschaffen kann und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die gewünschte Auskunft zu erteilen.1 – Prozessual können Auskunfts- und Leistungsanspruch durch Stufenklage verbunden werden, 254 ZPO. 4. Versicherung an Eides Statt (durch Gesetz vom 27. 6. 1970, BGBl. I S. 911, an die Stelle des Offenbarungseides getreten): Die gemäß §§ 259, 260 verpflichteten Personen haben auf Verlangen des Gläubigers in begründeten Fällen die Vollständigkeit ihrer Rechnungslegung bzw. Auskunftserteilung an Eides Statt zu versichern (Einzelheiten dazu s. §§ 259 II, III; 260 II, III; 261). Diese sog. bürgerlich-rechtliche oder materiellrechtliche eidesstattliche Versicherung, die Gegenstand eines materiellrechtlichen Anspruchs ist, kann gerichtlich im Wege der Leistungsklage mit anschließender Vollstreckung gemäß §§ 889, 888 ZPO erzwungen werden. Davon zu unterscheiden ist die sog. vollstreckungsrechtliche eidesstattliche Versicherung gemäß §§ 807, 883, 899 ff ZPO, die eine Vollstreckungsmaßnahme darstellt.

§ 33 Einfluss der Rechtshängigkeit auf den Herausgabeanspruch und Vorlegung von Sachen I. Die Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs bezüglich bestimmter Gegenstände, § 292 1. Für sich genommen ist § 292 nicht verständlich. Durch § 292 wird der Haftungsrahmen verändert, nämlich verschärft. § 292 bildet regelmäßig ein Glied in einer Verweisungskette. Denn § 292 setzt einen bestehenden Anspruch auf Herausgabe eines bestimmten Gegenstandes voraus, z. B. aus Leihe 598, 604, aus Miete, 535, 546, oder aus ungerechtfertigter Bereicherung, 812 I 1; besonders wichtig: 818 IV, 819, 820. Andererseits sagt § 292 lediglich, dass vom Eintritt der Rechtshängigkeit an grundsätzlich gemäß §§ 987–1003 (also strenger) gehaftet wird. Es handelt sich um eine Rechtsgrundverweisung: Verschulden in § 989 ist zu prüfen. 2. Rechtshängigkeit bedeutet dem Wortsinn nach ,,Gerichtshängigkeit“ Regelmäßig wird ein Anspruch durch Erhebung der Klage, also durch Zustellung der Klageschrift (261 mit 253, 696 ZPO), rechtshängig. Keinesfalls führen Mahnung oder sonstige außergerichtliche Geltendmachung zur Rechtshängigkeit. – Der verklagte Schuldner muss mit Verurteilung rechnen. Er soll daher auf den umstrittenen Gegenstand, den er herausgeben soll, besonders gut achtgeben. Darum ist eine strengere Haftung angemessen, wenn der Schuldner den Gegenstand schuldhaft vernachlässigt oder vernichtet. Eine derartige strenge Haftung enthalten die Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, 987 ff. Der Einfachheit halber verweist § 292 für alle Herausgabeansprüche, die sich auf einen bestimmten Gegenstand richten, wegen der Folgen der Rechtshängigkeit auf §§ 987–1003, unter Einschluss der Nutzungs- und Verwendungsregelung, 292 II.

1 BGHZ 10, 387; BGH NJW 2002, 2475 (2476).

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270

§ 34 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

II. Vorlegung von Sachen, §§ 809–811 1. Das besondere Schuldverhältnis der Vorlegung von Sachen gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang: 271

Die §§ 809 ff setzen einen anderweitig begründeten Anspruch „in Ansehung einer Sache“ voraus. Dazu reicht aus, dass der Anspruch irgendwie den Bestand oder die Beschaffenheit der Sache zur Voraussetzung hat. Auch bloße Ungewissheit über das Bestehen eines solchen Anspruchs genügt, 809. In Frage kommende Ansprüche sind etwa §§ 985, 867, 823 I (Eigentumsbeschädigung). § 809 muss entsprechend angewandt werden, wenn jemand feststellen will, ob er eine die Sache betreffende Pflicht hat (z. B. nach § 535 I 2).

2. Für die Vorlegung von Urkunden gilt § 810 Die Einzelfälle, in denen eine Urkunde vorgelegt werden muss, sind im Gesetz aufgezählt, § 810 hat im Zivilprozess über § 422 ZPO Bedeutung. Entsprechendes gilt nach § 429 ZPO, wenn ein Dritter die Urkunde besitzt. § 811 regelt Ort, Gefahr und Kosten der Vorlegung. Grundsatz ist, dass der verlangende Teil alle Lasten trägt.

§ 34 Zeit der Leistung. Kündigung Christiansen, Forderungsrecht und Leistungszeit, 1998; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 3; Rother, AcP 164 (1964), 97; Schönle, FS Werner 1984, 817.

I. Grundsätzliches über Zeit und Ort im Schuldverhältnis 272

Ebenso wie die Zeit muss auch der Ort der Leistung für jedes Schuldverhältnis bestimmt werden, soweit das Schuldverhältnis (wie meist) in Zeit und Raum seinen Bestand hat. Zeit und Ort sind Umstände, die den Leistungsinhalt festlegen. Richtig kann nur zu bestimmter Zeit (oder binnen bestimmter Frist) und an bestimmter Stelle geleistet werden. Der Schuldner muss wissen, wann und wo er zu leisten hat, der Gläubiger, wann und wo er sich zur Empfangnahme einfinden muss. Von Zeit und Ort der Leistung hängen Erfüllung und damit auch Nichterfüllung und Leistungsstörungen ab, bei Gattungsschulden ferner die Konkretisierung nach § 243 II. Nur die richtige, auch zeitlich und örtlich richtige Erfüllung ist Erfüllung, 362.

1. Leistet der Schuldner nicht zur rechten Zeit und am rechten Ort, so hat er noch nicht erfüllt, 362 I. Leistungszeit und Leistungsort entscheiden also über die Erfüllung. Der Leistungsort ist nach dem Gesetz daher ausnahmslos auch der Erfüllungsort. Das Gesetz verwendet beide Ausdrücke gleichbedeutend (269, 447), bestr. Allerdings kann die Parteivereinbarung dahin gehen, dass mit der Leistung am bedungenen Leistungsort noch nicht erfüllt sein soll. Wer diese Abweichung von §§ 269, 447 behauptet, muss sie im Streitfall beweisen. 2. Ist die geschuldete Leistung noch möglich und beruht die zeitlich falsche Leistung auf Verschulden des Schuldners, so gerät der Schuldner nach Mahnung oder Kalendertagversäumung in Verzug, 286. Wird örtlich falsch geleistet und dadurch der richtige Leistungszeitpunkt versäumt, so tritt unter den gleichen Voraussetzungen ebenfalls Verzug ein. Leistungsort und -zeit können in enger Verbindung stehen. 3. Bietet der Schuldner zeitlich und örtlich richtig an, nimmt aber der Gläubiger nicht an, etwa weil er nicht zur Stelle ist, so gerät der Gläubiger (auch ohne Verschulden) in Gläubiger-(Annahme-)Verzug, 293 ff.

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Zeit der Leistung. Kündigung

§ 34 II

In dieser Weise bestimmen Leistungszeit und Leistungsort – neben allen übrigen Anforderungen des Schuldinhalts – unmittelbar über Erfüllung und Gläubigerverzug, mittelbar (bei Verschulden des Schuldners und Mahnung oder Kalendertagversäumung) auch über den Schuldnerverzug. Alle diese Tatbestände wirken sehr erheblich auf die geschuldete Leistung ein (362 ff, 280 I, II, 286, 293 ff).

II. Bestimmung der Leistungszeit Der Schuldner muss wissen, wann er leisten darf und muss, der Gläubiger, wann er fordern darf. Manchmal schreibt das Gesetz selbst zwingend den genauen Leistungszeitpunkt vor, 556b, 604, 608, 609, 614, 695. Fehlen gesetzliche Leistungszeiten, ist zu unterscheiden:

1. Ist eine Zeit für die Leistung weder gesetzlich oder vertraglich bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, so kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken, 271 I.

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Z. B. eine gewöhnliche Kaufpreisschuld. Nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte kann sich aber etwas anderes ergeben, 242. „Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte“ ist aber kein „Umstand“ im Sinne des § 271 I, sondern Vertragsinhalt. Die Reihenfolge der Prüfung ist also insoweit: Zwingendes Recht, ausdrücklicher Vertragsinhalt, stillschweigende Abmachungen, Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte, nachgiebiges Recht (z. B. § 700 I 3), Umstände im Sinne des § 271 I (gemeint sind Umstände außerhalb des Vertragsinhalts). Die Abgrenzung kann freilich im Einzelfall zweifelhaft sein, praktisch wichtig ist sie in der Regel nicht. Die Bestimmung der Leistungszeit kann auch Gläubiger oder Schuldner gem. § 315 („billiges Ermessen“) überlassen werden, BGH NJW 83, 2934.

2. Ist eine Zeit bestimmt, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Gläubiger die Leistung nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner sie aber vorher bewirken kann, 271 II (aber ohne Abzug von Zwischenzinsen, 272, siehe oben Rdn. 264). Der Gläubiger kommt also in Annahmeverzug, wenn er die Leistung nicht annimmt.

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Das gilt nach § 488 III 3 auch für das unverzinsliche Darlehen. Der Schuldner kann jederzeit zurückzahlen. (Grund: Der Gläubiger hat kein schutzwürdiges Interesse an der Hinauszögerung der Erfüllung, da er keine Zinsen verdient.) Der Schuldner hat dagegen bei zeitlich festgelegten Verbindlichkeiten ein wesentliches Interesse, bis zur Fälligkeit nicht leisten zu müssen. Dem trägt § 271 II Rechnung.

a) Den Zeitpunkt, zu dem spätestens zu leisten ist, bezeichnet man mit „Fälligkeit“. Durch eine Stundung wird die Fälligkeit nach Maßgabe des § 271 II hinausgeschoben. Sie setzt vertragliche Vereinbarung voraus und gewährt dem Schuldner die Einrede der Stundung. Auch andere Leistungsverweigerungsrechte schließen die Fälligkeit aus, BGHZ 27, 335. Die Ausstellung einer Rechnung ist auch bei Anspruch auf eine Rechnung nicht Fälligkeitsvoraussetzung, BGH NJW 88, 2042; Grimme NJW 87, 468. b) § 271 II ist nachgiebiges Recht. Häufig wird bedungen, dass der Schuldner erst zu bestimmter Zeit leisten darf (z. B. beim verzinslichen Darlehen wegen des Zinsverdienstes). 3. Neben der von vornherein zeitlich unbestimmten und der zeitlich bestimmten Leistung besteht die Möglichkeit, den Zeitpunkt einer Leistung durch Kündigung zu bestimmen. Sie ist die einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, dass eine Leistung, vom Zeitpunkt des Zugehens der Kündigung an, binnen einer bestimmten Frist fällig sein soll. Die Kündigung stellt also eine Abart der zeitlich bestimmten Leistung dar: Zunächst ist bestimmt, dass nicht geleistet werden darf; erst nach Ablauf der Kündigungsfrist wird die Leistung fällig (Beispiele: 604, 605, 488 III). Ist die Kündigungsfrist gleich Null, spricht man von Leistung auf Abruf.

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§ 35 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

Von Kündigung wird noch in einem anderen Sinn gesprochen: Dauerschuldverhältnisse (z. B. Miete, Dienstvertrag, Leihe) bestehen häufig zunächst einmal unbefristet (Gegensatz: „auf Zeit“, 542 II, 620 I, 604 I). Dann kann dieses unbefristete Dauerschuldverhältnis normalerweise nur durch Kündigung zu Ende gebracht werden. Diese Kündigung ist die einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, dass ein Dauerschuldverhältnis von einem bestimmten Zeitpunkt an für die Zukunft beendet sein soll, s. näher hierzu unten § 50. Beide Kündigungsbegriffe sind nahe verwandt: Oft werden auch mit der Beendigung des Dauerschuldverhältnisses Leistungen fällig (bei Miete und Leihe z. B. Kaution oder Zins); der Unterschied besteht aber darin, dass der Begriff der Kündigung einmal auf ein Schuldverhältnis im engeren Sinne, ein andermal auf ein Schuldverhältnis im weiteren Sinne angewandt wird, oben Rdn. 25. Im ersten Fall geht es um die zeitliche Bestimmung einer Leistung, im zweiten um die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses.

§ 35 Ort der Leistung v. Caemmerer, FS Mann, 1977, 3; Döhmel, Der Leistungsort bei Rückabwicklung von Verträgen, 1997; Emge, Der Vollzugsort beim gegenseitigen Vertrag, 1910; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 2; Köhler, FS Heinrichs, 1998, 367; Leonhard, Erfüllungsort und Schuldort, 1907; Oertmann, Seuff. Bl. 73, 385; Wieacker, FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 783.

I. Bestimmung des Leistungsorts 276

Der Leistungsort ist auch beim gegenseitigen Vertrag für jede einzelne Leistung gesondert zu bestimmen, RGZ 140, 69. Man sollte prüfen: 1. Zunächst geht die (im Zivilrecht seltene) Bestimmung durch zwingendes Gesetz vor (Beispiel: § 811). 2. Danach entscheidet die Parteibestimmung. Die §§ 269, 270 sind nachgiebiges Recht. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen (dazu oben Rdn. 160ff) findet sich häufig die Klausel: „Erfüllungsort ist …“. Bisweilen ist damit der Leistungsort im Sinne des § 269, manchmal auch der Zahlungsort im Sinne des § 270 I gemeint. Der Gerichtsstand kann dadurch nicht mehr beeinflusst werden, denn Gerichtsstandsvereinbarungen sind seit 1. 4. 74 i. d. R. nur noch zwischen Kaufleuten zulässig, §§ 29 II, 38 ZPO. Dagegen ist Erfüllungsort im Sinne des IPR (Einzelheiten u. Rdn. 1727ff) meist der Leistungsort des Schuldrechts, wobei dem Grundsatz, dass Schulden i. d. R. Holschulden sind (s. u. Rdn. 279), große Bedeutung zukommt.

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3. Nächst der ausdrücklichen ist eine stillschweigende Parteivereinbarung zu prüfen, die in Bezug auf den Leistungsort vorliegen kann. (Auch dies ist eine „Bestimmung“ im Sinne des § 269 I.) 4. Fehlt auch eine stillschweigende Vereinbarung, kann sich der Leistungsort auch aus Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte ergeben, 242. 5. Liegt keine Parteibestimmung vor und versagt die Berufung auf Treu und Glauben, findet nachgiebiges Recht Anwendung (Beispiele: 697, 700 I 3, 1194. Richtiger Ansicht nach enthalten diese Vorschriften kein zwingendes Recht). Aber auch nachgiebige Vorschriften über den Leistungsort sind selten. Ein weiteres Beispiel ist die Ortsbestimmung nach § 249 (Naturalrestitution): Wo die Sachen entzogen oder beschädigt wurden, sind sie zu ersetzen, BGHZ 5, 143; 8, 288. 6. Fehlt auch nachgiebiges Recht, so entscheiden „die Umstände, insbesondere die Natur des Schuldverhältnisses“, 269 I.

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Ort der Leistung

§ 35 II

Diese Formulierung – ein seltenes Beispiel einer ausdrücklichen Bezugnahme auf den naturrechtlichen Begriff der „Natur der Sache“ im BGB – geht über die des § 242 hinaus. Zu berücksichtigen sind nun alle Umstände, auch solche, die außerhalb der Verkehrssitte und des üblichen Vertrauens liegen. Namentlich konkrete Umstände des Einzelfalles kommen in Betracht (Alter der Personen, Stadt oder flaches Land, Wetter, örtliche Gewohnheiten), BGHZ 2, 227. Auch Eigenheiten, die aus der Natur des Schuldverhältnisses folgen, sind „Umstände“ dieser Art, die den Leistungsort bestimmen: Umgraben eines Gartens. Beim gegenseitigen Vertrag kann sich ein gemeinsamer Erfüllungsort aus dem Schwerpunkt des Vertrags ergeben. So wurde der Beherbergungsort beim Beherbergungsvertrag (OLG Nürnberg, NJW 85, 1297) oder der Kursort beim Unterrichtsvertrag als gemeinsamer Erfüllungsort anerkannt, OLG Karlsruhe, NJW 85, 1297.

7. Als letztes ist, wenn alle anderen Maßstäbe versagen, Leistungsort der Wohnsitz oder, wenn vorhanden, die gewerbliche Niederlassung des Schuldners, 269 I, II: Der Gläubiger muss sich die Leistung beim Schuldner abholen, der Schuldner darf an seinem Ort leisten (Grundsatz der Holschuld).

II. Holschulden, Bringschulden, Schickschulden Aus den Ausführungen unter Rdn. 276 ff ergibt sich, wo der Erfüllungsort ist. Davon ist zu trennen, welche Rechtsfolgen sich daran knüpfen, dass der Erfüllungsort beim Schuldner, Gläubiger oder woanders liegt. Während das Bisherige (I) die Bestimmung des Leistungsinhalts betrifft, bereitet die (wichtige) Einteilung u. II. die Bestimmung der Rechtsfolgen vor, die für Erfüllung und Leistungsstörungen von Belang sind. 1. Holschuld. Die Regel bilden mithin nach § 269 I, II – und im Umkehrschluss zu den Schickschuldvorschriften der §§ 270, 447 – die Holschulden: Der Leistungsort liegt, in Begünstigung der Schuldnerinteressen, beim Schuldner.

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An dieser Regel ändert sich auch nichts, wenn in einem Vertragsverhältnis mehrere Parteien einander gegenseitig etwas schulden: Landwirt L tauscht mit dem Viehzüchter V einen Traktor gegen einen Zuchtstier. Leistungsort für den Traktor ist der Hof des L, der den Traktor schuldet. Leistungsort für den Zuchtstier ist die gewerbliche Niederlassung des V; also zwei Leistungsorte in einem gegenseitigen Vertrag. Gesellschafterverbindlichkeiten (705) in Gesellschaften ohne Sitz sind grundsätzlich am jeweiligen Wohnsitz des schuldenden Gesellschafters zu erfüllen (also Sitzfestlegung zweckmäßig!).

2. Bringschuld. Gemäß den Darlegungen unter I. kann Erfüllungsort auch der Wohnsitz des Gläubigers sein. Eine solche Vereinbarung wird „Bringschuld“ genannt. Auch durch Gesetz oder „Umstände“ im Sinne des § 269 I kann statt der Holschuld eine Bringschuld vorgesehen sein. Bei der Bringschuld wird als Leistungs-(Erfüllungs-)ort der Gläubigerwohnsitz oder ein dritter Ort vereinbart, wo der Schuldner leisten soll (Aussteuer an die Adresse des jungen Paares). „Selbstverständlich bringen wir Ihnen das gekaufte Porzellanservice mit unserem Zustelldienst ins Haus“ (Bringschuld, denn der Lieferant beherrscht voll den von ihm selbst ausgeführten Transport). Anders i. d. R., wenn es heißt: „Wir übernehmen die Kosten des Versands an Sie“ (dann Holschuld mit Versendungs- und Kostentragungsabrede, 269 III, 447; die Ware reist nun auf Gefahr des Empfängers!).

Bringschulden sind regelmäßig anzunehmen bei Kauf höherwertiger Gebrauchsgüter im Einzelhandel, wenn der Käufer sie nicht gleich selbst abtransportiert und der Transport oder die Aufstellung, wie oft, Sachkenntnis verlangt. Beispiele: Waschmaschinen, Schrankwand, Porzellanservice, Klaviere. Bringschulden liegen ebenfalls vor, wenn z. B. ein großer Lebensmitteleinzelhändler telefonisch oder im Laden bestellte größere Lebensmittelmengen mit eigenem Wagen zufährt. FOB-Klausel bedeutet Bringschuld, RGZ 106, 212 (bis zum Schiff). Für Bringschulden sprechen in Zweifelsfällen: Unerfahrenheit und fehlende technische Mittel des Käufers, Orts- oder Geschäftsüblichkeit, Zufahren im geschäftseigenen Lieferauto, Zerbrechlichkeit

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§ 35 II

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Inhalt des Schuldverhältnisses

oder schwere Transportierbarkeit der Ware, erforderlicher Kundendienst beim Aufstellen (Waschmaschine, Zusammensetzen eines Kleiderschrankes). Hierbei handelt es sich aber nur um Indizien, die nicht zwingend zu gelten haben. Namentlich im Werk- und Großhandel sowie bei den Selbstbedienungsmärkten überwiegen die Holschulden weitaus; hier muss meist der Abnehmer dafür sorgen, dass die Sache transportiert, gelagert, aufgestellt wird. Vgl. zum Ganzen auch unten Rdn. 822ff. Ob Versendungs- oder Bringschuldkauf vorliegt, richtet sich nach der Parteivereinbarung, in Ermangelung einer solchen, auch einer stillschweigenden, nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte, 242. Entscheidend ist, ob die Parteien die Versendung als eine zur Erfüllungspflicht hinzutretende weitere Verpflichtung betrachten, die der Verkäufer nach Art des verkauften Gutes und der wirtschaftlichen Stellung der Parteien üblicherweise nicht übernimmt. Dann liegt Versendungskauf vor. Beruht die Versendung also auf dem Wunsch des Käufers, der auch abholen könnte, der sich aber die Sache bequemer verschaffen möchte, handelt es sich um einen Versendungskauf. Die Sache reist auf seine (Preis-)Gefahr. Liegt die Zusendung in der Natur des Geschäfts, z. B. beim Kauf eines Pianos durch einen Klavierschüler oder eines 144-teiligen Porzellangeschirrs durch einen Bräutigam, so ist die Überbringung üblicherweise Sache des Verkäufers. Es handelt sich um eine Bringschuld. Die Sache reist auf Leistungs- und Preisgefahr des Verkäufers. Manchmal bieten die von den Parteien gewählten Ausdrücke einen Anhaltspunkt. Verpflichtet sich der Verkäufer zusätzlich zum eigentlichen Kaufvertragsinhalt zu einer „Zusendung“ oder „Beförderung“ oder liefert er grundsätzlich nur „ab Lager, ab Werk“, versendet aber, spricht dies für einen Versendungskauf. Ist von „Leistungsort“ oder „einschließlich Transport“ oder „Lieferung frei Haus“ die Rede, kann dies ein Hinweis sein, dass die Parteien den Käuferwohnsitz als Erfüllungsort verstehen und damit einen Bringkauf vereinbaren (vgl. zu alledem auch die Incoterms).

3. Schickschuld. Denkbar ist ferner, dass eine Schickschuld vereinbart wird. Schickschulden stehen zwischen den Extremen der Hol- und Bringschulden. Bei einer Schickschuld bleibt der Leistungs-(Erfüllungs-)ort der Schuldnerwohnsitz. Ein Ort, an den geschickt werden soll, tritt hinzu. Die Schickschuld ist also ein Unterfall der Holschuld, so widersinnig das klingen mag. Bei der Schickschuld einigen sich die Parteien aber dahin, dass der Leistungsgegenstand an einen anderen Ort als den Leistungsort verschickt werden soll. Diesen Ort bezeichnet man zweckmäßig als besonderen Vollzugsort oder Ablieferungsort (so § 391), in § 270 heißt er Zahlungsort. Der besondere Vollzugsort kann der Gläubigerwohnsitz, es kann aber auch ein dritter Ort sein. Die Schickschuld kommt im BGB hauptsächlich an drei Stellen vor: a) Angedeutet ist sie in § 269 III. Aus dem grundsätzlichen Charakter einer Schuld als Holschuld folgt, dass der Gläubiger Kosten und Leistungsgefahr einer Versendung zu tragen hat, 269 I, II. Übernimmt der Schuldner dagegen die Versendungskosten, so ist im Zweifel doch keine Bringschuld vereinbart, 269 III. Auch gilt der Ort, an den versandt wird, im Zweifel nicht als Leistungsort, 269 III. Es bleibt beim Schuldnerwohnsitz als Leistungsort. Mit der Absendung der Ware hat der Schuldner seine auf die Ware bezügliche Leistungspflicht erfüllt. Obwohl also der Schuldner die Versendung zahlt, trägt der Gläubiger die Leistungsgefahr: Geht die Sache unterwegs unverschuldet verloren, so besteht kein Anspruch auf nochmalige Leistung. b) Die Frage, die sich nun unmittelbar stellt und die zur zweiten Vorschrift über die Schickschuld überleitet, lautet: Muss die verlorengegangene, aber nach §§ 275, 269 nicht zu ersetzende Sache bezahlt werden? Dies ist die Frage der Gegenleistungsgefahr: Sie gibt Antwort darauf, ob trotz Ausbleibens der Leistung bei Versendung die Gegenleistung erbracht werden muss. An sich entfällt mit der Leistungspflicht die Gegenleistungspflicht; 326 I 1, unten Rdn. 447. Eine Ausnahme enthält aber das BGB für den praktisch wichtigen Fall des Versendungskaufs, 447 (s. a. § 644 II): Wird eine Ware nach Parteiübereinkunft (nur dies bedeuten die Worte: „… auf Verlangen des Käufers …“) an einen anderen Ort als den Leistungs-(Erfüllungs-)ort versandt, so trägt der Käufer ausnahmsweise und in Abweichung zu § 326 I 1 die (Gegenleistungs-)Gefahr. § 447, der

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Ort der Leistung

§ 35 II

von der Bringschuld streng zu unterscheiden ist, bezieht sich auf den Fall, dass die Ware im Interesse und auf Wunsch des Käufers versandt werden soll. Daher hat dann der Käufer das Risiko zu tragen. § 447 behandelt also einen Fall der Schickschuld. Das Wort „Gefahr“ in § 447 bedeutet also Gegenleistungsgefahr. Käufer und Werkbesteller erhalten bei der Schickschuld keinen Ersatz, wenn die verschickte Sache den Leistungsort (Schuldnerwohnsitz) verlassen hat und dann (vom Schuldner unverschuldet) untergeht, 269 I–III, und doch müssen sie die unterwegs verlorengegangene Sache bezahlen, 447 I, 644 II. Zu § 447 siehe unten Rdn. 822. Käufer und Werkbesteller handeln also auf eigenes Risiko, wenn sie sich die Sache zuschicken lassen, anstatt sie selbst abzuholen. Sie können sich gegen dieses Risiko, wenn versandt werden soll, durch Vereinbarung einer Bringschuld schützen. Lässt sich der Schuldner darauf ein, muss er am Gläubigerwohnsitz erfüllen und trägt damit das Transportrisiko. Lässt sich der Schuldner nicht darauf ein, sollte der Besteller eine Transportversicherung abschließen. Beim Verbrauchsgüterkauf findet § 447 gem. § 474 II keine Anwendung. Hier reist also auch beim Versendungskauf die Sache auf Gefahr des Verkäufers.

c) Um eine Schickschuld handelt es sich auch bei der Versendung von Geld (z. B. im eingeschriebenen Brief), 270; vgl. o. Rdn. 259. Auch hier bleibt Leistungsort der Schuldnerwohnsitz, 270 IV, str., einige Autoren sprechen von „qualifizierter Schickschuld“; wie hier Planck/Siber, § 270, 1; Gernhuber, § 2 VII 2b. Rechtzeitige Leistung erfolgt also schon mit Absendung, unabhängig davon, wann das Geld beim Gläubiger eintrifft (wichtig z. B. für Zinspflicht). Schuldnerverzug tritt dementsprechend bei nicht rechtzeitiger Absendung ein (dazu ist noch Mahnung, Kalendertagversäumung, bzw. Ablauf der 30-Tage-Frist nötig, §§ 362 I, 286). Dennoch hat der Geldschuldner, anders als beim Versendungskauf und -werkvertrag und sonstigen Schickschulden, das Geld im Zweifel auf seine Kosten und Leistungsgefahr dem Gläubiger an dessen Wohnsitz oder gewerbliche Niederlassung zu übermitteln, 270 I, II (wegen der Mehrkosten durch Gläubigerumzug vgl. § 270 III). Dieser besondere Vollzugsort bei Geldversendungen heißt auch Zahlungsort. Geht das Geld unterwegs verloren, muss der Schuldner noch einmal zahlen, trotz Erfüllung, und obwohl er an sich alles seinerseits Erforderliche im Sinne des § 243 II getan hatte. Er hat es ja in der Hand, die Sicherheit des Versendungswegs (einfacher Brief, Einschreiben, Bote) oder eine andere Zahlart anstelle der Geldversendung (z. B. Verrechnungsscheck, Überweisung) zu bestimmen. § 270 I enthält also eine Sondervorschrift.1 § 270 I ist auch anwendbar, wenn ein Geldschuldner unter mehreren an sich möglichen und vertragsgemäßen Zahlungs- und Überweisungsarten eine gewählt hat, die nicht zum Ziel führt. Er trägt das Risiko der Fehlwahl, er muss noch einmal zahlen. Denn er übersah die Möglichkeiten am besten. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Geldschuldner eine nicht vertragsgemäße Zahlungsund Überweisungsart wählt. Hier ist noch nicht konkretisiert und noch nicht erfüllt, wenn das Geld verlorengeht. Die Zahlung ist noch zu leisten, nach Vertrag, nicht wegen § 270 I. Dazu v. Caemmerer, JZ 53, 446.

1 Bei § 270 IV handelt es sich vielleicht um ein „rechtshistorisches Versehen“. Bei Schaffung des AHGB im Jahre 1861 wollte man am allgemeinen Prinzip festhalten, dass Geld beim Gläubiger zu zahlen ist. Daraus entstand mittelbar § 270 I. Man wollte aber an dem Grundsatz, dass ein Schuldner an seinem Wohnsitz auf Leistung verklagt werden muss, nichts ändern. Daraus entstand mittelbar § 270 IV, der also eigentlich nur den Gerichtsstand – über den früheren § 29 ZPO –, nicht den Erfüllungsort meint. Nach geltendem Recht wird man aber nicht umhin können, § 270 IV auch auf den Leistungsort anzuwenden. Es ergibt auch einen gewissen Sinn, Schuldnerverzug schon bei nicht rechtzeitiger Absendung eintreten zu lassen. Ungereimt ist aber, dass erst Erfüllung eintritt und dann bei Verlust des Geldes unterwegs noch einmal zu zahlen ist. Zum ganzen Planck/ Siber, § 270, 1.

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§ 36 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

Auf andere Leistungs- und Herausgabeansprüche, außer auf Geldschulden, ist § 270 I nicht anwendbar, z. B. nicht auf Aufwendungsersatzansprüche (etwa 670), auch wenn sie auf Geld gerichtet sind, BGHZ 28, 123.

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d) Während also bei Hol- und Bringschuld Schuldner- bzw. Gläubigerwohnsitz als Leistungsort über Erfüllung, Schuldner- und Annahmeverzug entscheiden, befindet bei der Schickschuld gemäß § 270 der Schuldnerwohnsitz als (bestehenbleibender) Leistungsort nur über Erfüllung und Schuldnerverzug. Annahmeverzug hingegen tritt erst am Gläubigerwohnsitz mit ordnungsgemäßen Anbieten der Leistung ein, RGZ 106, 297. (Ausnahme: § 295): „Geld reist auf Gefahr des Versenders“.

§ 36 Leistung durch Dritte v. Caemmerer, Irrtümliche Zahlung fremder Schulden, FS Dölle 1963, 135; ders., Bereicherung und unerlaubte Handlung, FS Rabel, 1954, 360; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, §§ 20–22; Pinger, AcP 179 (1979), 301; Rieble, JZ 89, 830.

I. Grundsatz 286

1. Man kann sich als Schuldner nicht seinen Gläubiger aussuchen, sondern muss mit einer Abtretung rechnen, 398. Dagegen kann sich der Gläubiger seinen Schuldner aussuchen und braucht sich nicht einen anderen, vielleicht weniger zahlungsfähigen Schuldner aufdrängen zu lassen, 414, 415. Nur gegen eines kann sich ein Gläubiger grundsätzlich nicht wehren: Dass ein anderer als der Schuldner für den Schuldner leistet, 267. Bekommt der Gläubiger alles, was ihm zusteht, so hat er keinen Anspruch darauf, dass es gerade sein Schuldner ist, der an ihn leistet. Es ist nicht einmal die Einwilligung des Schuldners dafür nötig, dass der Dritte wirksam leistet und damit erfüllt, 267 I 2, 362 I. – Auch hier findet sich ein schuldnerfreundlicher Zug im BGB, ähnlich wie in § 269 beim Leistungsort.

287

2. Umstritten ist, ob zur Tilgungswirkung ein „innerer Wille“ des Dritten erforderlich ist, der seine Leistung dem Schuldner zuordnet (streng subj. Theorie), ob ein solcher Wille zwar nicht vorhanden, aus der Sicht des Gläubigers und Leistungsempfängers aber zu bejahen sein muss (gemäßigte oder moderne subj. Theorie), oder ob es ausreicht, dass ohne jedes subjektive Moment die Leistung nach Schuldgrund, Höhe des geschuldeten Betrags, Zahlungszeit und ähnlichen Kriterien auf die fremde Schuld bezogen werden kann (obj. Theorie).1 Zustimmung verdient die gemäßigt subjektive Theorie, weil sie grundsätzlich vom erklärten Tilgungswillen des Dritten ausgeht (vgl. o. Rdn. 158) und auf die Interessen des Gläubigers dann Rücksicht nimmt, wenn ein solcher Wille nach außen zweifelhaft bleibt. 3. Da sich der Gläubiger grundsätzlich nicht gegen Drittleistungen wehren kann, muss ihm wenigstens das Recht belassen werden, Erfüllungssurrogate (s. u. § 39) zurückzuweisen. Ausnahmen bestehen im Rahmen der Ablösungsrechte, 268 II, 1142 II, 1150, 1224, 1249 S. 2, 1273 II. 4. Ob der Dritte „spontan“ leistet oder ihn mit dem Schuldner ein zur Leistung berechtigendes oder verpflichtendes Innenverhältnis verbindet, ist entgegen der wohl h. M. nur für einen eventuell erfolgenden Ausgleich (unten Rdn. 289) von Bedeutung, im Übrigen aber gleichgültig.2 1 Streng subj.: RGZ 98, 64; gemäß. subj. die h. M. BGHZ 40, 272; 72, 246; 75, 299, Gernhuber, § 21 I 5b; obj.: Boehmer, NJW 55, 210; Maier, AcP 152 (1952/53), 104. 2 Wie hier Gernhuber, § 21 I 4; anders z. B. Beuthien, JZ 68, 326; Esser/Schmidt, § 17 III; 6. Aufl. § 36 II 4.

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Leistung durch Dritte

§ 36 III

5. An eine Regelung für eine eventuelle Schlechtleistung des Dritten hat der Gesetzgeber nicht gedacht. Auch wenn die praktische Relevanz dieses Problems gering ist, da Leistungen Dritter meist in Geldzahlungen bestehen, stellt sich doch bei Leistung mangelhafter vertretbarer Sachen durch einen Dritten die Frage, ob der Gläubiger nun Gewährleistungsrechte gegen den Dritten oder gegen den Schuldner hat. Mit guten Argumenten weist Rieble 3 dem Schuldner die Gewährleistungspflicht zu und lässt den Dritten nur für Folgeschäden haften.

II. Ausnahmen 1. Der Gläubiger kann die Leistung des Dritten zurückweisen, wenn der Schuldner der Leistung des Dritten widerspricht, 267 II. Der Gläubiger muss nicht zurückweisen. Es ist also denkbar, dass der Dritte gegen den Willen des Schuldners, aber mit Einverständnis des Gläubigers leistet. Hier geht das Gläubigerinteresse vor.

288

Der Widerspruch muss vor der Leistung entweder dem Dritten oder dem Gläubiger zugegangen sein. Eine unwidersprochen bewirkte und entgegengenommene Leistung kann nicht nachträglich durch Widerspruch des Schuldners und Ablehnung des Gläubigers unwirksam gemacht werden. Ein nachträgliches Widerspruchsrecht des Schuldners, der nach der Leistung und nach der Annahme der Leistung durch den Gläubiger erstmalig von der Leistung Kenntnis erlangt, ist nicht anzuerkennen (anders 6. Aufl.).

Der Schuldner kann deshalb ein Interesse an eigener Leistung haben, um nicht Regressen des Dritten ausgesetzt zu sein (unten Rdn. 289). Hat der Schuldner vom Gläubiger eine Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft, geliefert erhalten, aber noch nicht voll bezahlt, so kann ein Dritter die Sache nach § 808 ZPO pfänden und den Kaufpreisrest an den Gläubiger zahlen, um dadurch unbedingtes Eigentum des Schuldners herbeizuführen. Dann kann der Gläubiger der Pfändung nicht mehr nach § 771 ZPO widersprechen. Wie aber, wenn der Schuldner der Leistung des Dritten nach § 267 II widerspricht? Um dies zu verhindern, muss der Dritte außerdem noch das Anwartschaftsrecht des Käufers an der Sache pfänden, § 857 ZPO. Dann versagt die h. M. dem Schuldner das Widerspruchsrecht nach § 267 II, BGH NJW 54, 1325. – Widerspricht der Gläubiger und Vorbehaltsverkäufer der Zahlung des in die verkaufte Sache vollstreckenden Dritten, so ist dies nach § 162 unbeachtlich, h. M.

2. Ein Dritter kann nicht für den Schuldner leisten, wenn der Schuldner in Person zu leisten hat, 267 I 1. Dies ist z. B. der Fall bei §§ 613, 664, 691, 713. Wenn S dem G 500,– schuldet, so kann D für S an G zahlen, G kann nur ablehnen, wenn S widerspricht. Sollte aber S den G portraitieren (631), so kann D weder freiwillig noch auf Bitten des S einspringen. Dem G kam es auf die Fertigkeiten des S an.

III. Ausgleich Wenn D an G für S 500,– bezahlt hat, fragt sich, ob D von S die 500,– wiederbekommen kann. Einen allgemeinen Ausgleichsanspruch kennt § 267 nicht; zu Recht, da ein Widerspruch des S unberücksichtigt bleiben kann. Zu prüfen ist aber: a) ob S den D zu der Leistung beauftragt hatte; dann haftet S dem D aus § 670 (evtl. über § 675 – entgeltliche Geschäftsbesorgung), b) ob die Zahlung des D dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des S entsprach; dann haftet S dem D nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag, 683 S. 1, 670 (vgl. auch §§ 679, 683 S. 2), c) ob eine herauszugebende Bereicherung des S eingetreten ist, 684 S. 1, 812 ff. Der Bereicherungsanspruch besteht nur dann, wenn „die Voraussetzungen des § 683 nicht vorliegen“, der D also gegen das Interesse und den wirklichen oder mutmaßlichen Willen des S gehandelt hat. Sonst ist nämlich

3 Rieble, JZ 89, 830 m. w. N.; Kretschmar, IherJb. 85 (1935), 184.

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§ 37 I

Inhalt des Schuldverhältnisses

ein rechtlicher Grund vorhanden (Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag). Der Anspruch des D richtet sich auf „Herausgabe der Schuldbefreiung“ (so auch Esser). Da die getilgte Schuld durch S allein nicht wieder begründet werden kann und G der Neubegründung der Schuld in der Regel widersprechen dürfte, ist der Wert der Schuldbefreiung herauszugeben (818 II), praktisch also die 500,–. Insoweit besteht also doch ein allgemeiner Ausgleichsanspruch im Fall des § 267, gemildert allerdings durch die Einrede der Entreicherung, 818 III. Vgl. auch unten Rdn. 1517 ff.

IV. Ablösungsrecht 290

In bestimmten Fällen hat ein Dritter ein schutzwürdiges Interesse, für den Schuldner zu leisten. Dann steht dem Dritten ein Ablösungsrecht und ein gesicherter Ausgleichsanspruch zu, 268. Da der Dritte hier im eigenen Interesse handelt, kommen auch Leistungssurrogate in Betracht (u. § 39 und o. Rdn. 287). Es handelt sich um folgende Fälle: 1. Dem Dritten droht durch die Zwangsvollstreckung, die der Gläubiger gegen den Schuldner betreibt, der Verlust eines dinglichen Rechts (an dem Vollstreckungsgegenstand, z. B. eines Nießbrauchs, einer Vormerkung), 268 I 1. 2. Der Dritte ist Besitzer einer Sache, z. B. Mieter. Durch die Zwangsvollstreckung läuft der Dritte Gefahr, den Besitz an der Sache zu verlieren, 268 I 2. 3. Dem Eigentümer eines Grundstücks droht, dass sein Grundstück wegen einer Schuld, für die sein Grundstück hypothekarisch haftet, vom Gläubiger zur Versteigerung gebracht wird. Der Eigentümer ist hier der an der Tilgung der Schuld interessierte Dritte, 1142, 1143, 1150. 4. Entsprechend ist die Lage eines Verpfänders einer beweglichen Sache, der für fremde Schuld verpfändet hat, 1223 II, 1224, 1225.

In diesen Fällen kann der Dritte den Gläubiger befriedigen, 268 I, II. Soweit der Dritte den Gläubiger befriedigt, geht die zugunsten des Schuldners getilgte Forderung auf den Gläubiger über. Sie steht jetzt – als Ausgleich – dem Dritten gegen den Schuldner zu, 268 III, 412. Ähnliche Vorschriften: 426, 774, 1164, 1249.

§ 37 Vertrag zugunsten Dritter. Verträge mit Schutzwirkung für Dritte. Versprechen zugunsten Dritter auf den Todesfall Aßmann, JuS 86, 885; Bayer, Der Vertrag zugunsten Dritter, 1995; v. Caemmerer, FS Wieacker, 1978, 311; Canaris, JZ 65, 475; ders., JZ 1998, 603; Finn, NJW 2004, 3752; Hadding, Der Bereicherungsausgleich beim Vertrag zu Rechten Dritter, 1971; Hassold, Zur Leistung im Dreipersonenverhältnis. Anweisung und Vertrag zugunsten Dritter als Modell, 1981; Hellwig, Verträge auf Leistungen an Dritte, 1899; Martiny, JZ 1996, 19; Plötner, Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und die sogenannte Expertenhaftung, 2003; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, 1982; Raab, Austauschverträge mit Drittbeteiligung, 1999; Saar, JuS 2000, 220; Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999; Urban, Werner, „Vertrag“ mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, Untersuchung zur Integration in ein System des Vertraglichen Drittschutzes, Diss. Frankfurt/Main 1989; Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter, 1949; Zugehör, NJW 2000, 1601.

I. Begriff und Arten 291

1. Grundsätzlich besteht ein Schuldverhältnis (im engeren Sinne) nur zugunsten des Gläubigers und zu Lasten des Schuldners. (Zur Relativität der Schuldverhältnisse, oben

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Vertrag zugunsten Dritter

§ 37 II

Rdn. 64). Doch können Gläubiger, Schuldner oder beide ein Interesse haben, einen Dritten aus dem Schuldverhältnis zu begünstigen. Die Begünstigung kann tatsächlich oder rechtlich sein. Ist sie rechtlich, spricht man vom Vertrag zugunsten Dritter. Nun besagt eine andere Regel, dass niemand gegen seinen Willen bleibend Vermögen erwerben soll. Die Zulassung eines Vertrages zugunsten Dritter, durch den der Dritte ein Recht erwerben soll, verlangt also die Möglichkeit des Dritten, das ihm zugedachte Recht mit Wirkung ex tunc zurückzuweisen, 328 I, 333. 2. Das Gesetz unterscheidet, im Rahmen der rechtlichen Begünstigung, ermächtigende (unechte) und berechtigende Verträge zugunsten Dritter. Was vorliegt, muss die Auslegung ergeben, BGHZ 21, 148. a) Der (bloß) ermächtigende Vertrag zugunsten Dritter (vgl. 328 II). Durch ihn erwirbt der Dritte keine Forderung gegen den Schuldner. Die Begünstigung liegt in einer Ermächtigung im Sinne des § 185 zugunsten des Dritten, über die Forderung des Gläubigers durch Entgegennahme der Leistung als Erfüllung zu verfügen. Gleichzeitig wird der Schuldner ermächtigt, durch Leistung an den Dritten zu erfüllen, 362 II, 185 (Doppelermächtigung).

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A sendet durch Vermittlung des Blumengeschäfts B seiner Verlobten V einen Blumenstrauß. A kauft also die Blumen (§ 433) mit der Abrede, diese seien an die V zu liefern. B verpflichtet sich hierzu. Der Anspruch aus § 433 I auf Lieferung steht aber A zu, nicht der V. (Sind die Blumen mangelhaft, hat nur A die Rechte aus § 437). Durch Lieferung der Blumen an die V geht der Anspruch A gegen B unter, weil A sowohl den B als auch die V (direkt oder über B als Boten) zur Verfügung über seinen Anspruch ermächtigt hat, 362 II, 185. (Zur Verfügungsnatur der Erfüllung unten Rdn. 313ff). Diese Ermächtigung ist den Abmachungen zwischen A und B zu entnehmen, dass der Anspruch des A durch Lieferung an die V erfüllt werden soll.

b) Der berechtigende Vertrag zugunsten Dritter (328 I), „Vertrag zu Rechten Dritter“ (Hadding). Durch ihn erwirbt der Dritte unmittelbar ein Recht gegen den Schuldner, ohne dass er davon zunächst etwas zu wissen braucht. Der Dritte kann das Recht aber zurückweisen, 333. Bauer B übergibt den Hof an seinen ältesten Sohn S. In dem Vertrag verpflichtet sich S, seinen Geschwistern bestimmte Summen auszuzahlen. Die Geschwister erwerben direkte, klagbare Ansprüche gegen S. Vgl. RGZ 87, 289 – Beförderungsvertrag zugunsten eines Kindes –; BGHZ 1, 383 – Kassenpatient-Krankenhaus –; 21, 148 – Sonderkonto zugunsten Dritter –. Nach BGHZ 93, 271 handelt es sich auch bei dem Chartervertrag zwischen Reiseveranstalter und Fluggesellschaft um einen berechtigenden Vertrag zugunsten des Reisenden.

II. Terminologie 1. Das Gesetz nennt die drei Beteiligten beim Vertrag zugunsten Dritter „Versprechender“ (= Schuldner, Promittent), „Versprechensempfänger“ (= Gläubiger, Stipulant, Promissar) und „Dritter“ (= Begünstigter, Destinatär). Diese Ausdrucksweise hat ihre Entsprechungen bei anderen Dreiecksverhältnissen. Wechsel: Bezogener (= Annehmer, Akzeptant), Aussteller, 1. Nehmer (Remittent). Scheck: Bezogene Bank, Aussteller, Inhaber (Überbringer). Anweisung (783 BGB; 363 I 1 HGB): Angewiesener, Anweisender, Anweisungsempfänger. Auch die Verhältnisse zwischen den Beteiligten gleichen sich vielfach: 2. Das Verhältnis zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger nennt man das Deckungsverhältnis, weil sich aus ihm ergibt, wie der Versprechende sich für sein Versprechen, an den Dritten zu leisten, beim Versprechensempfänger wieder schadlos halten („decken“) kann. Beim gezogenen Wechsel und bei der Anweisung (783, Art. 1 WG), wo diese Begriffe ebenfalls eine große Rolle spielen, besteht das Deckungsverhältnis zwischen Aussteller (Gläubiger, Anweisender) und Annehmer (Schuldner, Angewiesener). Das Verhältnis zwischen Versprechensempfänger und Dritten heißt Zuwendungs- oder Valutaverhältnis. Es gibt darüber Auskunft, warum der Dritte etwas bekommen soll. Beim gezogenen Wechsel

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§ 37 III 2

Inhalt des Schuldverhältnisses

und bei der Anweisung besteht das Valutaverhältnis zwischen dem Aussteller (Gläubiger, Anweisender) und dem Remittenten (Begünstigter, Anweisungsempfänger). Das Verhältnis zwischen dem Dritten und dem Versprechenden kann Leistungsverhältnis genannt werden, vgl. unten Rdn. 1380. Es ist einfach der bestehende Anspruch (Wechselanspruch, Anspruch aus angenommener Anweisung). Auf Mängel des Valutaverhältnisses kann sich der Versprechende nicht berufen, da es ihm fremd, er an ihm nicht beteiligt ist (vgl. RGZ 106, 1); wohl aber auf Mängel seines Vertrags mit dem Versprechensempfänger, also auf das Deckungsverhältnis, 334. Bei Wechsel, Scheck und Anweisung liegt dies anders.

III. Der Anwendungsbereich des Vertrags zugunsten Dritter 1. Kein abstrakter Vertrag zugunsten Dritter 294

Die §§ 328 ff stehen im Allgemeinen Schuldrecht, sie bilden kein besonderes Schuldverhältnis, wie Kauf, Miete usw. Es gibt daher keinen abstrakten Vertrag zugunsten Dritter, sondern nur einen Kaufvertrag, einen Mietvertrag, ein Darlehen zugunsten Dritter usw. Zu den §§ 328 ff müssen also stets noch die Vorschriften eines besonderen Schuldverhältnisses hinzutreten (§ 328 I ist keine Anspruchsnorm). Gegen Erbvertrag zugunsten Dritter BGHZ 12, 119.

2. Begründung von Forderungen, Übertragung von Forderungen, Begründung und Übertragung absoluter Rechte zugunsten Dritter. Verpflichtungen zu Lasten Dritter? Leistungsstörungen. Bereicherungsansprüche 295

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Der Anwendungsbereich des § 328 ist im Einzelnen sehr streitig. Die Frage wird meist in der Form gestellt: Sind auch Verfügungen zugunsten Dritter zulässig? Durch eine Verfügung wird unmittelbar auf ein bestehendes Recht eingewirkt, durch (1) Erfüllung, (2) Übertragung, (3) Belastung oder (4) Inhaltsänderung (s. o. Rdn. 62f). a) Unzweifelhaft zulässig ist, da § 328 I davon spricht, die Begründung von (relativen) Forderungsrechten in der Person eines Dritten, also z. B. eines Lieferungs- oder Zahlungsanspruchs aus § 433. Hierin liegt, da es sich um eine Rechtsbegründung handelt, auch keine Verfügung zugunsten Dritter. b) aa) Es ist nicht einzusehen, warum dann nicht auch die Übertragung einer bestehenden Forderung an einen Dritten zulässig sein soll. Anders die vorwiegende Rechtsprechung, vgl. RGZ 148, 257 (263); BGH MDR 65, 564. Allerdings ist das nur angängig, wenn die Forderung zwischen den beiden Parteien besteht, die sich darauf einigen, dass ein Dritter die Forderung haben soll, vgl. RGZ 66, 127 f; BGHZ 41, 95. Wenn G und S sich schon darauf einigen können, dass D gegen S einen neuen Anspruch haben soll (328 I), dann müssen sie sich auch darauf einigen können, dass eine Forderung, die bisher dem G gegen den S zustand, künftig dem D gegen den S zustehen soll. Das wird sogar durch den Wortlaut des § 328 I gedeckt, denn dort ist nicht gesagt, dass die dem Dritten versprochene Leistung Gegenstand eines neu zu begründenden Schuldverhältnisses sein muss. G und S könnten sich ja auf einen Erlass einigen und dann in der Person des D den Anspruch neu begründen, 328 ff. Dieser Umweg ist aber nicht nötig. Insoweit ist also eine Verfügung zugunsten eines Dritten, nämlich über eine zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem bestehende Forderung, zulässig. Praktisch bedeutet dies: Die Wirkung einer Zession (398) ist nicht nur im Verhältnis zwischen Zessionar und Zedent vertraglich begründbar, sondern – mit den Einschränkungen der §§ 328 ff, insbesondere des § 333 – auch durch Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner zugunsten eines Dritten („uneigentliche Zession zugunsten Dritter“).

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bb) Dagegen erscheint es nicht zulässig, wenn G und X sich dahin einigen, dass eine dem G bisher gegen den S zustehende Forderung künftig dem D zustehen soll („eigentliche Zession zugunsten Dritter“).

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Vertrag zugunsten Dritter

§ 37 III 2

Dem steht zwar nicht das Interesse des Schuldners S entgegen, der bei Abtretungen sowieso nicht gefragt zu werden braucht, 398 ff. Wohl aber verstößt eine solche freie Kombination von § 328 I und § 398 gegen den auch im Schuldrecht bestehenden numerus clausus der Begründung von Rechtszuständigkeiten. Man muss hier die §§ 328, 398 unter dem Gesichtspunkt der Begründung von Rechtszuständigkeiten betrachten. § 328 I lässt nur eine solche Verfügung über eine Forderung zugunsten Dritter zu, bei der der Schuldner selbst die Leistung an den Dritten verspricht. § 398 verlangt für eine normale Zession Identität von Zessionar und Neugläubiger. In beiden Fällen bleibt die Zahl der beteiligten Personen auf drei beschränkt. Für vier Personen passen grundsätzlich weder die §§ 328 ff noch die §§ 398 ff (vgl. §§ 333, 334; 404–410).

cc) Ebenso ist es natürlich unzulässig, wenn sich der Schuldner S des Gläubigers G mit einem gewissen X einigt, dass die Forderung künftig dem D statt dem G zustehen soll: Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet, und: Niemand kann sich seinem Gläubiger ohne dessen Zustimmung entziehen. Wenn G zustimmt, ist der Vertrag wirksam, dann liegt es wie bei Rdn. 296 oben, 185. Es handelt sich bei dieser Fallgestaltung um eine Verfügung über eine Forderung durch einen Nichtberechtigten. Gutgläubiger Forderungserwerb ist aber, von den Fällen der §§ 2366, 405 abgesehen, im bürgerlichen Recht nicht möglich, unten Rdn. 722 f. dd) Verfügungsgeschäfte des Gläubigers mit einem anderen zugunsten des Schuldners als Dritten stehen auf einem anderen Blatt. Bei der Erfüllung lässt § 267 eine solche Verfügung zugunsten Dritter zu. Der X zahlt an den G die Schuld des S. Das ist eine Erfüllung zugunsten Dritter.

c) Zweifelhafter ist die Begründung von Sachenrechten für einen Dritten und deren Übertragung an einen Dritten.

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Kann Grundstückseigentümer A durch Vertrag mit B dem C eine Hypothek bestellen (Begründung)? Können sich A und B einigen, dass das Auto des A künftig dem C gehören soll (Übertragung)? Die Praxis verneint diese Fragen unter Berufung auf § 328 I, der nur von Forderungen spricht, RGZ 124, 217; 148, 263; Palandt/Grüneberg, Einf. vor § 328, Rdn. 9. Man wird hier (mit M. Wolff, H. Lehmann und Esser) zu unterscheiden haben: Soll durch die dingliche Verfügung ein Leistungsoder Duldungsanspruch begründet werden (Hypothek, Grundschuld, Pfandrecht, Reallast), so ist § 328 I auf die Einigung anwendbar („Leistung an einen Dritten“). Allerdings muss der sachenrechtliche Publizitätsakt (Eintragung, Übergabe des Hypothekenbriefs, Besitzübertragung) in der Person des Dritten vollzogen werden (H. Westermann); ebenso, für die Hypothek, BayObLG, MDR 58, 771. – Soll durch die Verfügung zugunsten des Dritten kein Leistungsrecht, sondern ein sonstiges dingliches Recht begründet werden, so erscheint die Anwendung von §§ 328 ff ausgeschlossen (anders Westermann, Larenz und Esser, die auch hier § 328 auf die Einigung anwenden und den Publizitätsakt in der Person des Dritterwerbers geschehen lassen wollen). Der Boden der „Leistung an einen Dritten“ würde mit einer Anwendung des § 328 auf die Eigentumsübertragung völlig verlassen. Außerdem ergäbe sich dann ein kaum zu rechtfertigendes Auseinanderklaffen von Mobiliar- und Immobiliarerwerb (beim Letztgenannten verstößt § 333 gegen § 925 II, so dass selbst die Befürworter hier von einer Anwendung des § 328 I absehen).1

d) Auf Verträge zu Lasten Dritter sind §§ 328 ff nicht anwendbar. Die Regel „Verträge zu Lasten Dritter sind unzulässig“ gilt, arg. §§ 164 ff, 185, allerdings mit gewissen Einschränkungen (hier ist manches streitig): Nach § 311 I können A und B eine Schuld des C beschließen, die den C bindet, wenn er vorher A oder B zur Eingebung dieses Vertrags ermächtigt hat (Verpflichtungsermächtigung) oder wenn C nachträglich zustimmt. Aber ohne Zustimmung des betroffenen Dritten sind Verträge zu seinen Lasten nicht wirksam. Sonst wäre es einfach, Schulden versuchsweise abzuwälzen. Immerhin hätte

1 Wie hier MünchKomm/Gottwald, § 328, Rdn. 190 f.

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Inhalt des Schuldverhältnisses

der Belastete bei Anwendung der §§ 328 ff noch die Möglichkeit der Zurückweisung nach § 333, die zurückwirkt. Trotzdem wäre der dadurch ausgeübte Druck auf den Dritten unerträglich.

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e) Leistungsstörungen bei Verträgen zugunsten Dritter bieten eine Reihe konstruktiver Schwierigkeiten. Im Folgenden wird die Lehre von den Leistungsstörungen (unten §§ 41–57) vorausgesetzt: Beim echten Vertrag zugunsten Dritter ist, falls ein gegenseitiger Vertrag vorliegt, der Gläubiger der Leistung nicht zugleich Schuldner der Gegenleistung. Dies führt zu Schwierigkeiten bei Leistungsstörungen. Bei Leistungsstörungen, die die Gegenleistung für die dem Dritten versprochene Leistung betreffen, haftet nur der Versprechensempfänger als Vertragspartner. Dies gilt auch im Falle des Rücktritts. Der Leistungsempfänger (= Dritter) ist nicht zur Rückerstattung des Erhaltenen an den Versprechenden verpflichtet (vgl. BGHZ 5, 285 für den Fall der Irrtumsanfechtung); die Rückabwicklung vollzieht sich ausschließlich im Verhältnis Versprechender – Versprechensempfänger, es sei denn, es lag eine peremptorische Einrede (§ 334) vor, dann erfolgt die Rückabwicklung nach § 813. Betrifft die Leistungsstörung dagegen die Leistung, so gilt folgendes: Hat der Versprechensempfänger die Leistungsstörung verschuldet, so entfällt bzw. mindert sich die Leistungspflicht des Versprechenden, dieser behält den Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 II). Gleiches gilt, wenn der Dritte die Unmöglichkeit der Leistung zu vertreten hat oder die Unmöglichkeit während des Annahmeverzugs eintritt (§ 326 II). Nimmt der Dritte eine Leistung nicht an, so treten die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs ein (§§ 293 ff). Die Sachgefahr geht spätestens in diesem Augenblick auf ihn über (bei Gattungsbringund Gattungsschickschulden 300 II), er haftet gemäß § 304 für die Aufwendungen des Schuldners. Handelt es sich um eine Abnahmepflicht (z. B. § 433 II), kann der Dritte nur mit seiner Zustimmung verpflichtet werden, andernfalls bleibt allein der Versprechensempfänger verpflichtet, der Dritte ist als sein Erfüllungsgehilfe anzusehen (§ 278). Schwierig ist die Rechtslage, wenn der Versprechende die Störung der dem Dritten versprochenen Leistung zu vertreten hat. Nach dem Gesetz (§ 335) stehen sowohl dem Versprechensempfänger als auch dem Dritten selbständige Ansprüche zu (vgl. dazu auch BGHZ 3, 385: keine Rechtskrafterstreckung des Urteils zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem auf den Dritten). Da der Dritte aber nicht Partner des Vertrages ist, kann er keine vertragsgestaltenden Erklärungen abgeben. Aber auch der Versprechensempfänger darf nicht, etwa durch Rücktritt, in die Rechte des Dritten eingreifen. Die h. M. verlangt deshalb zu Recht eine Zustimmung des Dritten zu vertragsgestaltenden Erklärungen (RGZ 101, 276), sofern diese sein Recht berühren können. Die an die Stelle des Leistungsanspruchs tretenden Schadensersatzansprüche stehen grundsätzlich dem Dritten zu, es sei denn, dem Dritten sollte nur der aus dem Primäranspruch geschuldete Gegenstand zugewendet werden. Im Falle des Rücktritts behält jedoch der Versprechensempfänger die zurückerhaltene Leistung, da diese kein Ersatz für den durch Rücktritt untergegangenen Erfüllungsanspruch des Dritten ist (im Einzelnen zu diesen Problemen Heinrich Lange, NJW 65, 657; – zu Störungen der Geschäftsgrundlage: BGH NJW 72, 152). f) Bereicherungsansprüche bei Verträgen zugunsten Dritter verlangen differenzierte Behandlung. Für den berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter hat Hadding, Der Bereicherungsausgleich beim Vertrag zu Rechten Dritter, 1970, brauchbare Vorschläge unterbreitet: Fall 1: Bei unwirksamem Deckungs- und wirksamem Valutaverhältnis richtet sich die Kondiktion nach § 812 I 1 (1) gegen den Versprechensempfänger, wenn er nach dem Inhalt des Valutaverhältnisses bereichert ist, z. B. weil er durch die Leis-

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§ 37 VI

tung des Versprechenden von einer Verbindlichkeit gegenüber dem Dritten befreit wurde oder weil er dadurch einen Rückleistungsanspruch gegen den Dritten erwarb. Gegen den Dritten richtet sich die Kondiktion, wenn im Valutaverhältnis zugunsten des Dritten Unentgeltlichkeit vereinbart oder sonst vorgesehen ist, dass der Vermögenszuwachs beim Dritten durch keinen anrechenbaren Nachteil aufgehoben wird. Vgl. dazu Peters, AcP 173 (1973), 73 ff; Canaris, Festschrift f. Larenz 1973, 828 ff. Fall 2: Bei wirksamem Deckungs- und unwirksamem Valutaverhältnis kann nur der Versprechensempfänger vom Dritten eine Bereicherung herausverlangen. Fall 3: Sind Deckungsund Valutaverhältnis unwirksam, entstehen Bereicherungsansprüche des Versprechenden gegen den Dritten im Leistungsverhältnis, des Versprechensempfängers gegen den Dritten im Valutaverhältnis sowie des Versprechenden gegen den Versprechensempfänger im Deckungsverhältnis zum Zwecke der „Kondiktion der Kondiktion“. Hatte der Versprechensempfänger bereits beim Dritten kondiziert, bleibt dem Versprechenden nur die Kondiktion auf das vom Versprechensempfänger beim Dritten Kondizierte. Fall 4: Ist das Leistungsverhältnis zwischen Versprechendem und Drittem unwirksam, hat der Versprechende gegen den Dritten den Anspruch aus §§ 812 ff. – Siehe BGHZ 58, 184.

IV. Erfüllungsübernahme, § 329 Eine vertraglich zugesagte Befreiung von einer Schuld, die einem Dritten geschuldet ist, heißt Erfüllungsübernahme; dazu siehe unten Rdn. 752.

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V. Rechtslage des Dritten, §§ 333–335 1. Das Zurückweisungsrecht des Dritten nach § 333 ist das notwendige Gegenstück zur rechtsbegründenden Kraft des berechtigenden Vertrags zugunsten Dritter. Sonst könnte man wider Willen Gläubiger werden, was nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen unerwünscht sein kann. 2. Einwendungen aus dem Deckungsverhältnis (z. B. Anfechtbarkeit, Stundung) stehen dem Versprechenden auch dem Dritten gegenüber zu, 334. Auf das Valutaverhältnis kann sich der Versprechende dagegen nicht berufen. 3. Beim berechtigenden Vertrag besteht im Zweifel eine Konkurrenz der Forderungsrechte von Versprechensempfänger und Drittem, 335. Es handelt sich, da der Versprechensempfänger nur Leistung an den Dritten verlangen kann, nicht um Gesamtgläubigerschaft, 428.

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VI. Formbedürftigkeit des Vertrags zugunsten Dritter Es entscheidet das Deckungsverhältnis, h. M. Maßgebend ist also die Form, die das Gesetz für den Vertrag zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem (Gläubiger und Schuldner) vorsieht, BGHZ 54, 145. Dieses Geschäft steht zunächst einmal im Vordergrund. Ob im Valutaverhältnis (zwischen Versprechensempfänger und Drittem) etwas schenkweise zugewandt werden soll, interessiert für die Formfrage nicht: Schließt der Versprechensempfänger den Vertrag mit dem Versprechenden entweder entgeltlich oder formgerecht ab, bestehen die Gründe des § 518 nicht. Denn der Versprechende wurde zur Überlegung angehalten. Auf seine Person kommt es an, und mit dem Dritten tritt er im Augenblick des Versprechens nicht in Vertragsverhandlungen. Das Verhältnis zwischen Drittem und Versprechensempfänger (Valutaverhältnis) kann also für die Formfrage keine Bedeutung haben. Selbst wenn der Versprechensempfänger dem Dritten etwas unentgeltlich zukommen lassen will, muss er mit einem Ausgleich im Deckungsverhältnis rechnen. Den Schutz des § 518 verdient daher allein der Versprechende in seinem Verhältnis zum Versprechensempfänger, RGZ 106, 1.

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§ 37 VII

Inhalt des Schuldverhältnisses

VII. Verträge mit Schutzwirkung für Dritte 305

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1. Die Lehre von den Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wurde vom RG aus §§ 328 ff entwickelt (seit RGZ 91, 21; 98, 210; 127, 222; BGHZ 24, 325; 33, 247 = BGH JZ 61, 169 m. w. A. = ESJ 25; BGH NJW 75, 867 = ESJ 26), da der deliktische Schutz (823 ff) namentlich bei der Haftung für Verrichtungsgehilfen (831) für die Bedürfnisse des täglichen Lebens nicht ausreichte. Die Lehre des RG baut auf der Unterscheidung ermächtigender-berechtigender Vertrag zugunsten Dritter auf. Anders urteilt die heute h. M., die in den Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ein vom Vertrag zugunsten Dritter abgeleitetes, aber eigenständiges Rechtsinstitut sieht, sei es als selbständigen, gesetzlich nicht geregelten, gegenüber §§ 328 ff „schwächeren“ Vertragstyp (BGHZ 49, 353; BGH NJW 75, 344; Larenz, I § 17 II m. w. N.), sei es als gesetzliches Schuldverhältnis (Canaris, Gernhuber, Müller). Dabei argumentiert die h. M. im Anschluss an Larenz (NJW 56, 1193) zu Recht, dass § 328 einen Leistungsanspruch des Dritten voraussetze, der hier aber nicht gegeben sei. Dann stellt sich aber die Frage nach der Rechtsgrundlage des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Die Rechtsprechung stützt ihn heute auf eine ergänzende Vertragsauslegung, zuletzt BGH NJW 84, 356; BGH NJW RR 86, 366. Wie oben (s. o. Rdn. 158) erläutert, ist eine solche „ergänzende Vertragsauslegung“ aber grundsätzlich abzulehnen, da statt des Parteiwillens objektive Kriterien in den Vertrag hineininterpretiert werden. Vielmehr muss die Schaffung erweiterter Schutzpflichten unabhängig vom Parteiwillen erfolgen. Dann lässt sich ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aber nur als richterliche Rechtsfortbildung auf der Grundlage des § 242 begreifen.2 Eine solche Rechtsfortbildung unterliegt allerdings der Gefahr, zu undifferenziert zu sein, so dass eine Eingrenzung hinsichtlich des geschützten Personenkreises (s. u. Rdn. 306) sowie die Erkennbarkeit der Risikoerhöhung für den Schuldner erforderlich sind.3 So ist z. B. ein Dachdecker nach § 631 nicht bloß zum Dachdecken, sondern nach §§ 631, 242 auch dazu verpflichtet, keine Dachziegel aus Unachtsamkeit auf die Bewohner des Hauses fallen zu lassen. Eine solche Verpflichtung besteht nicht gegenüber einem unerwünschten Hausierer, dem allerdings aus §§ 823 ff gehaftet wird (allgemeine Meinung). Besteht wegen eigener vertraglicher Ansprüche des Dritten kein Schutzbedürfnis, verneint der BGH eine Schutzwirkung, BGH BB 1996, 2009 – Nitriergut –. Eine spezielle gesetzliche Verankerung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte enthält seit der Schuldrechtsmodernisierung § 311 III 1 (str.).4 2. Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung des geschützten Personenkreises. Dazu wurden drei kumulativ zu prüfende Kriterien entwickelt 5: Leistungsnähe, Gläubigernähe und Erkennbarkeit. a) Leistungsnähe. Der Dritte muss der Leistung so nahe stehen, dass er mehr oder minder zwangsläufig mit ihr in Berührung kommt. b) Gläubigernähe. Der Dritte muss dem Gläubiger so nahe stehen, dass dieser auf die Sicherheit des Dritten genauso vertraut wie auf seine eigene. Der BGH hat hierfür den Maßstab der Verantwortung des Gläubigers für das „Wohl und Wehe“ des Dritten ent2 So Larenz, I § 17 II. 3 Wie hier Medicus, BürgR, Rdn. 846. 4 Wie hier Canaris, JZ 2001, 499 (520). Die Frage, ob weiterhin ungeschriebene Rechtsgrundsätze gelten oder aber § 311 III 1 einschlägig ist, hat allerdings keine Auswirkung auf die Haftungsvoraussetzungen, so zu Recht MüKo/Gottwald § 328 Rdn. 101. 5 Wie hier Larenz, I § 17 II; Medicus, I § 67 II 2.

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Vertrag zugunsten Dritter

§ 37 VII

wickelt, BGHZ 51, 91. In der neueren Rechtsprechung (BGH JZ 85, 951, mit zutreffender kritischer Anm. Honsell; BGH VersR 86, 814; 89, 375, NJW 2004, 3035: Wertgutachten mit Schutzwirkung für Dritte, die aufgrund des Gutachtens eine Investitionsentscheidung treffen) hat der BGH auf das Kriterium der Verantwortung des Gläubigers für das „Wohl und Wehe“ des Dritten wieder verzichtet. Es könne sich, so der BGH, auch aus Vertragsauslegung ergeben, dass der Dritte in den Schutzbereich mit einbezogen sei, ohne dass eine „Wohl und Wehe“-Verantwortung des Gläubigers vorliege. Dies ist aufgrund der schuldrechtlichen Gestaltungsfreiheit ohne weiteres möglich. Für den Fall einer tatsächlichen Vereinbarung ist dem BGH zuzustimmen. Der BGH begründet jedoch die vertragliche Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich mit der bloßen Erkennbarkeit der Gefährdung des Dritten. Dagegen ist zu sagen: Was von den Parteien erkannt wird, muss aber noch nicht von ihnen gewollt sein. Ein Weiterdenken des Parteiwillens, wie der BGH es versucht, ist wie der „hypothetische Parteiwille“ (s. oben Rdn. 158) vom Standpunkt der subjektiven Vertragslehre aus abzulehnen. Erforderlich ist, dass die Parteien ausdrücklich oder konkludent erkennen lassen, das sie zugunsten Dritter eine Schutzpflicht begründen möchten. – Eine Spezialvorschrift über die deliktische Haftung gerichtlicher Sachverständiger findet sich seit 2002 in § 839a. c) Erkennbarkeit. Diese Nähe muss für den Schuldner erkennbar sein. Zweifelhaft wäre die Haftung des Dachdeckers gegenüber einem Briefträger der Post. Ist der Hauseigentümer dem Briefträger aus Vertrag haftbar, muss man den Briefträger zum Personenkreis rechnen, für dessen Wohl der Hauseigentümer einzustehen hat, und der ihm deshalb „erkennbar nahesteht“. Eine nur deliktsrechtliche Haftungsmöglichkeit reicht nicht aus. Mit Recht wird ein unübersehbar großer Personenkreis als nicht in den Schutzbereich eines Saalmietvertrags einbezogen angesehen, wohl aber die Mitglieder einer geschlossenen Gesellschaft (Studentenverbindung), BGH NJW 65, 1757 (anders noch RGZ 160, 155). Andere Beispiele: RGZ 91, 24; 102, 232 (Haftung des Hauseigentümers für Verschulden des Handwerkers, durch das Angehörige des Mieters verletzt wurden); RGZ 87, 65; 87, 292 (Haftung des Taxifahrers gegenüber den vom Besteller mitgenommenen Personen); BGHZ 2, 94 (keine Haftung aus Krankenhausvertrag bei Krankenbesuch); BGH NJW 54, 874 = LM 6 zu § 328; Larenz NJW 56, 1193; BGHZ 33, 247 = JZ 61, 169, Anm. Lorenz (Haftung einer Baufirma gegenüber den Arbeitern der Fabrik, die den Bauauftrag gab); BGH NJW 68, 1323 (Schutzpflicht des Hausverwalters gegenüber Hausbewohnern). Soweit der geschützte Personenkreis reicht, sind nicht nur Personen-, sondern auch Sach- und Vermögensschäden zu ersetzen, BGH JZ 66, 141, Anm. Lorenz, Für Vermögensschaden war dies früher zweifelhaft; die Schuldrechtsmodernisierung hat diese Frage in § 241 II endgültig in diesem Sinn geklärt.

3. Gemäß § 334, der hier entsprechend anzuwenden ist, hat der Verpflichtete, gegen die in den Vertragsschutz einbezogenen Dritten die Einwendungen und Einreden, die ihm gegen seinen Vertragspartner zustehen. Dazu zählt grundsätzlich auch die Einwendung aus § 254, der Vertragspartner trage eine Mitschuld an der Schädigung der Dritten (BGHZ 33, 247 = ESJ 25: Den Fabrikanten traf eine Mitschuld am Unfall seiner Arbeitnehmer, nachdem die Baufirma auf dem Fabrikgelände nachlässig gearbeitet hatte). Es ist aber zu beachten, dass die Schutzpflicht gegenüber den Dritten wesentlich stärker sein kann als gegenüber dem Vertragspartner (abzulehnen daher BGH NJW 75, 867, wonach der Schutzbereich des Dritten nicht weiterreichen soll als der des Gläubigers; in BGHZ 127, 378 prüft der BGH einen eigenen Anspruch des Dritten gegen den Verpflichteten). Ist dem so, kann die Mitschuld des Vertragspartners insoweit vom Verpflichteten den in den Schutzbereich des Vertrags einbezogenen Dritten nicht nach § 254 entgegengehalten werden. Entgegenstehende Haftungsfreizeichnungen sind dementsprechend sittenwidrig (§ 138) oder verstoßen gegen §§ 305c, 307 ff. Gesetzliche Haf-

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§ 37 VIII

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Inhalt des Schuldverhältnisses

tungsbeschränkungen wirken dagegen zu Lasten des Dritten, BGH NJW RR 88, 157 (Haftungsbeschränkung beim Entleiher). 4. Die Regeln der culpa in contrahendo und der Verträge mit Schutzwirkung für Dritte sind ohne weiteres kombinierbar: Auch im Schuldverhältnis der Vertragsanbahnung haftet der Schuldner Personen, die mit seinem Vertragsangebot in Berührung kommen und die dem Adressaten des Angebots in solcher Weise nahestehen, dass er, dem Schuldner erkennbar, auf die Sicherheit dieser Personen ebenso vertraut wie auf seine eigene (s. o. Rdn. 91; BGHZ 66, 51 – das die Mutter begleitende Kind rutscht im Laden auf einem Gemüseblatt aus).

VIII. Versprechen zugunsten Dritter auf den Todesfall 309

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1. § 330: Lebensversicherungen und Leibrentenverträge zugunsten Dritter sind im Zweifel berechtigend. Die Forderung gehört nicht zum Nachlass. 2. § 331: Versprechen zugunsten Dritter auf den Todesfall des Versprechensempfängers werden im Todeszeitpunkt wirksam, belasten also nicht den Nachlass und unterliegen nicht den erbrechtlichen Formvorschriften. Der Dritte erwirbt nach § 331 den Anspruch, z. B. aus dem Sparguthaben, erst mit dem Todesfall; vorher hat er nur eine rechtlich bedeutungslose Hoffnung. Der Unterschied zwischen § 331 und dem häufig in diesem Zusammenhang erwähnten § 2301 ist folgender: § 331 gilt für alle Verträge zugunsten Dritter (z. B. Darlehen, Sparvertrag, Schenkung), während § 2301 nur Schenkungsversprechen umfasst. § 2301 betrifft in den meisten Fällen Zwei-Personen-Verhältnisse, und nur im Fall eines Schenkungsversprechens zugunsten Dritter überschneiden sich die Anwendungsbereiche der §§ 2301 und 331.6 Für diesen Fall ist folgende Prüfungsreihenfolge zu beachten: a) Zunächst ist festzustellen, ob die Anspruchsgrundlage in ihren Grundvoraussetzungen erfüllt ist, ob z. B. beim Sparbuch auf den Todesfall ein Sparvertrag (§ 488, ggf. 491) als berechtigender Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 I) auf den Todesfall des Sparers (§ 331) zustande gekommen ist. Ist dies alles der Fall, ist mit RGZ 106, 1 festzustellen, dass dadurch – Form- und Erbrechtsumgehungsprobleme ausgeklammert – der Dritte mit dem Tode des Sparers Inhaber der Sparforderung gegen die Bank wird, wodurch gemäß § 952 das Eigentum am Sparbuch auf den Dritten übergeht. b) Ist – wie meist – die Zuwendung an den Dritten schenkweise erfolgt, liegt also eine Schenkung von Todes wegen vor, könnte die wirksame Begründung der Sparforderung an § 518 scheitern. Doch steht seit RGZ 98, 279 und nach h. M. (oben Rdn. 304) fest, dass für die Form beim Vertrag zugunsten Dritter das Deckungs-, nicht das Valutaverhältnis entscheidet (hier die Stellung der Beteiligten im Dreierverband darlegen, s. o. Rdn. 293). Da das Deckungsverhältnis im Sparvertrag besteht, dieser aber wegen der Zinsen nicht unentgeltlich ist, gilt für die Form ggf. § 492, nicht § 518. c) Aus dem Valutaverhältnis (zwischen Sparer = „Erblasser“ und Drittem = Beschenktem) ergeben sich aber möglicherweise grundsätzliche Bedenken gegen Schenkungen auf den Todesfall wegen Umgehung erbrechtlicher Formen. Das hat mit der Formfrage beim Vertrag zugunsten Dritter nichts zu tun. Nach der Rechtsprechung des BGH verdrängt § 331 die erbrechtliche Vorschrift des § 2301 (BGHZ 46, 198; BGH NJW 84, 480, 481). Dies führt aber zu einer Aushöhlung der erbrechtlichen Formen. Da die Rechtsprechung des BGH auch Einordnungsschwierigkeiten in der Rangfolge der Nachlassverbindlichkeiten mit sich bringt (das Schenkungsversprechen müsste vor den Ansprüchen der Pflichtteilsberechtigten erfüllt werden) und die Wirksamkeit des Vertrags nach § 331 von dem Zufall des rechtzeitigen Widerrufs des Erben abhängig macht, ist sie mit der h. M. abzulehnen.7 § 2301 ist daher neben § 331 anzuwenden, so dass Schenkungsversprechen von Todes wegen nur in

6 Zu dem schwierigen Verhältnis näher MünchKomm/Musielak, § 2301, Rdn. 30 ff; Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung II, 2, 1952, S. 85 ff; Medicus, BürgR, Rdn. 391 ff. 7 Medicus, BürgR, Rdn. 395 ff.

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Erfüllung

§ 38 I

erbrechtlichen Formen zulässig sind und lediglich vom Schenker vollzogene Schenkungen davon befreit sind, 2301 II. Demgemäß ist zu prüfen: aa) Liegt im Verhältnis zwischen Erblasser und Bedachten eine ordnungsgemäße erbvertragliche oder testamentarische Erb- oder Vermächtniseinsetzung hinsichtlich des zugewendeten Gegenstands vor? Wenn ja, findet nur Erbrecht Anwendung und § 2301 I ist Genüge getan. bb) Wenn nein – wie häufig –, hängt alles davon ab, ob die Schenkung i. S. d. § 2301 II vollzogen ist (cc) und ob, falls Vollzug bejaht wird, der Bedachte das ihm Zugewendete behalten darf (dd). cc) Vollzug setzt (1) entweder die wirtschaftliche Ausgliederung aus dem Vermögen des Schenkers 8 oder (2) einen Forderungsübergang an den Dritten voraus, der zu Lebzeiten der beiden am Valutaverhältnis Beteiligten oder nach §§ 130 II, 153, 151 post mortem zustande gekommen ist 9, wobei im zweiten Falle ein rechtzeitiger Widerruf (§ 130 I 2) des Erben das Zustandekommen hindert.10 Mit dem Übergang der Sparforderung geht das Eigentum am Sparbuch gem. § 952 auf den Dritten über (§ 985!). dd) Ist nach diesen Kriterien der bedachte Dritte Inhaber des ihm zugewendeten Rechts geworden, bleibt als letztes zu prüfen, ob er im Verhältnis zu den Erben um das Zugewendete ungerechtfertigt bereichert ist (812 I 1).11 Ein Rechtsgrund kann in einer testamentarischen Absicherung als Vermächtnis, in vollzogenem Schenkungsversprechen (518 II) oder anderem bestehen. Fehlt ein Rechtsgrund, können die Erben vom Dritten Rückübertragung des ihm zugewendeten Rechts verlangen und, wenn der Dritte z. B. aus § 985 auf Herausgabe des Sparbuchs klagt, dem die Arglisteinrede („dolo facit qui petit quod statim redditurus est“, s. o. Rdn. 217f) entgegensetzen.

4. Abschnitt

Beendigung von Schuldverhältnissen § 38 Erfüllung Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, 1969; Boehmer, G., Der Erfüllungswille, 1910; Ehmann, JZ 68, 549; ders., NJW 69, 1833; JZ 2003, 702; Ehricke, JZ 1999, 1075; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994; Köhler, JZ 83, 225; Muscheler/Bloch, JuS 2000, 729; Seibert, Erfüllung durch finale Leistungsbewirkung, 1982; Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, 1999; Wolf, Christina, Drittleistung und Leistungsermittlung, 1995; Zschoche, Zur dogmatischen Einordnung des Lastschriftverfahrens, 1981.

I. Übersicht über das Erlöschen von Schuldverhältnissen 1. Normalerweise erlischt ein Schuldverhältnis durch Erfüllung, 362, 363, 366–371 (darüber unten II, III und IV).

8 Anzunehmen, wenn Sparbuch schon auf den Namen des Bedachten lautet (nicht ausreichend ist, dass der Sparbuchinhaber den Vermerk „Unterkonto …“ anbringt); wenn Bedachter die Zinsen erhält; allgemein, wenn der Schenker „das Vermögensopfer schon erbracht hat“; BGH NJW 78, 423. 9 BGHZ 46, 198; BGH NJW 65, 1913 = WN 65, 748, strittig. Einzelheiten bei MünchKomm/Musielak, § 2301, Rdn. 23. 10 BGH NJW 75, 382 = ESJ 24. 11 BGHZ 41, 95.

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Beendigung von Schuldverhältnissen

2. An die Stelle der Erfüllung können Erfüllungsersetzungen (Erfüllungssurrogate) treten. Dabei handelt es sich um Vorgänge, die erfüllungsgleiche Wirkung haben. Im Einzelnen sind hierher zu zählen: a) Leistung an Erfüllungs statt, 364, 365. Dies ist der nicht seltene Vorgang, dass anstelle der geschuldeten Leistung eine andere erbracht wird. Dabei ist regelmäßig zu prüfen, ob die zu tilgende Schuld nach dem Willen der Parteien durch Erbringung dieser anderen Leistung untergehen oder ob sie neben der neu übernommenen Leistung weiterbestehen soll. Nur wenn die zu tilgende Schuld untergehen soll, ist an Erfüllungs statt geleistet. Sonst kommt nur eine Leistung erfüllungshalber in Betracht. b) An zweiter Stelle folgt im Gesetz die Hinterlegung, 372–386. c) Von großer praktischer und theoretischer Bedeutung ist die Aufrechnung, 387–396. Bei der Aufrechnung handelt es sich darum, dass sich der Schuldner von seiner Schuld dadurch befreit, dass er eine ihm gegen den Gläubiger zustehende Forderung mit seiner Schuld verrechnet. d) An vierter Stelle ist der Erlass zu nennen, 397. Im Erlassvertrag einigen sich Gläubiger und Schuldner dahin, dass dem Schuldner die Schuld erlassen wird. e) Zum vollständigen oder teilweisen Erlöschen von Verpflichtungen mit gleichzeitiger Abänderung oder Begründung neuer Schuldverhältnisse durch Inhaltsänderung, Novation oder Vergleich s. u. § 40. 3. Das Schuldverhältnis kann aber auch erlöschen, ohne dass das Gläubigerinteresse befriedigt wird. a) Dies kann durch nachträgliche Unmöglichkeit (§ 275), Eintritt einer auflösenden Bedingung (§ 158), Zeitablauf (§ 163) oder Verwirkung (§ 242) geschehen. b) Erlöschensgrund ist auch die Konfusion, bei der sich Forderung und Schuld in einer Person vereinigen und damit untergehen. c) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn Gläubiger oder Schuldner ersatzlos wegfallen. Dies ist praktisch nur bei einer juristischen Person möglich. 4. Zweifelhaft ist, ob sich die §§ 362–397 nur auf Schuldverhältnisse i. e. S. (also z. B. auf die einzelne Kaufpreisforderung) oder auch auf Schuldverhältnisse i. w. S. beziehen (zum Unterschied s. o. Rdn. 26). Grundsätzlich und in historischer Auslegung beziehen sich die §§ 362 ff auf Schuldverhältnisse i. e. S. (ebenso Gernhuber § 1, 3). Alles, was zur Leistung gehört, auch Nebenpflichten (Rdn. 36ff) kann daher nach § 362 erfüllt werden (a. A. Gernhuber aaO). Ob Surrogate einsetzbar sind (u. § 39), ist eine andere, aus ihrem Sinn und Zweck zu entscheidende Frage, wobei gelegentlich auch die Gegenleistung berücksichtigt wird, was sonst bei der Erfüllung eines Schuldverhältnisses i. e. S. nicht der Fall ist. Schuldverhältnisse i. w. S. können ebenfalls nach § 362 „erfüllt“ werden, wenn alle zu ihnen zählenden Pflichten erfüllt sind. Beim Dauerschuldverhältnis können sowohl Teilleistungen als auch das ganze Verhältnis erfüllt werden, BGHZ 10, 397. Ein besonderer Erlöschensgrund beim Schuldverhältnis i. w. S. ist der Aufhebungsvertrag, dessen Zulässigkeit sich aus § 311 I ergibt. Er hebt im Gegensatz zum Erlass meist nicht nur eine Forderung (das Schuldverhältnis i. e. S.), sondern das Schuldverhältnis i. w. S. auf. Während der Erlass meist eine Günstigerstellung des Schuldners zur Folge hat, erfolgt der Aufhebungsvertrag häufig in beiderlei Interesse.

II. Die Erfüllung 312

1. Die Erfüllung ist die Tilgung einer Schuld durch Bewirken der geschuldeten Leistung an den Gläubiger, wobei sich grundsätzlich Gläubiger und Leistender darüber einig sein müssen, dass durch die Bewirkung der geschuldeten Leistung ein bestehendes Schuldverhältnis getilgt werden soll. Die Erfüllung ist demnach die Bewirkung der geschuldeten Leistung im beiderseitigen Einverständnis über den Charakter als Tilgung, solutio. § 362 I sagt zwar lediglich, dass das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Doch gehen die §§ 363, 366 ff von einem Tilgungswillen der Beteiligten aus. Auch handelt es sich bei den oben erwähnten Erfüllungssurrogaten meist um willensgetragene Vorgänge, so dass es verwunderlich

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Erfüllung

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erscheinen würde, die Erfüllung lediglich als tatsächliche Handlung, als reines Bewirken einer Leistung der geschuldeten Art anzusehen. 2. Die Rechtsnatur der Erfüllung gehört zu den umstrittensten Gebieten des Schuldrechts. a) Die eine Meinung (sog. Vertragstheorie, Zweckvereinbarungstheorie) deutet die Erfüllung als Vertrag.1 Nach dieser Auffassung einigen sich Gläubiger und Schuldner in einem erneuten Vertrag darüber, dass durch die Bewirkung der geschuldeten Leistung das Schuldverhältnis getilgt werden soll. Ehmann deutet die Erfüllung als einen Realvertrag mit Zweckvereinbarung.2 b) Die Theorie der realen Leistungsbewirkung leugnet den Vertragscharakter der Erfüllung mit der Begründung, es gäbe zahlreiche Erfüllungen, die in einer bloßen Rechtshandlung, etwa einer Anzeige, einer Dienstleistung, einer Unterlassung bestehen. Larenz I § 18 I; Siber 119. Die Theorie der realen Leistungsbewirkung bejaht jedoch, dass es eine Befugnis zur Annahme der Leistung gebe. Die Empfangszuständigkeit fehlte z. B. bei Minderjährigen, so dass der Schuldner durch Leistung an sie nicht frei wird.3 Die vor allem von Gernhuber 4 vertretene Theorie der finalen Leistungsbewirkung korrigiert die Theorie der realen Leistungsbewirkung insoweit, als sie eine Zweckbestimmung der Leistung fordert und damit den §§ 366 I, 367 II eher gerecht wird. Sie nähert sich damit der Vertragstheorie insoweit an, als auch sie einen zweigliedrigen Erfüllungstatbestand (Leistungserfolg und Zweckbestimmung) annimmt. c) Vermittelnd äußert sich die so genannte beschränkte Vertragstheorie, die grundsätzlich von einer rein realen Leistungsbewirkung ausgeht, einen rechtsgeschäftlichen Charakter der Erfüllung jedoch dort annimmt, wo die Erfüllungshandlung in einem Rechtsgeschäft besteht (z. B. Eigentumsübertragung, Forderungsabtretung, Abschluss eines Vertrags aufgrund eines Vorvertrags), Enneccerus/Lehmann § 60 I, vgl. auch Esser 2 § 70, 7. Die beschränkte Vertragstheorie will beide Situationen erfassen: Die Erfüllung durch tatsächliche Handlung und die Erfüllung durch ein Rechtsgeschäft. Diese vermittelnde Theorie kann also für sich in Anspruch nehmen, den §§ 362 II, 1812, 1813 und herkömmlichen Vorstellungen über die Bedeutung der Geschäftsfähigkeit bei der Erfüllung gerecht zu werden (z. B. Eigentumserwerb nach § 107, aber keine Erfüllungswirkung). d) In der Tat verdient eine vermittelnde Auffassung den Vorzug. Es gibt Erfüllungshandlungen, die sich im rein tatsächlichen Bereich abspielen, wie viele Dienstleistungen, Unterlassungen, Mitteilungen und Anzeigen. Das Schwergewicht der Fälle, vor allem der streitigen, liegt aber bei Erfüllungshandlungen, die rechtsgeschäftlichen Charakter tragen, so dass man auch für die Frage, ob erfüllt ist oder nicht, den Tilgungswillen von Gläubiger und Schuldner benötigt. Man sollte jedoch den grundsätzlichen Ausgangspunkt nicht auf die Ausnahmefälle, die Erfüllungshandlungen rein tatsächlicher Natur, legen, sondern auf die praktisch bedeutenderen Fälle der Erfüllung durch Rechtsgeschäft. Dabei ist der Schluss von der Rechtsnatur der geschuldeten Handlung (z. B. das Rechtsgeschäft der Übereignung nach § 929) auf den Rechtsgeschäftscharakter der Erfüllung nicht zwingend. Wohl aber kommt ihm eine Vermutungswirkung zugute.

1 2 3 4

von Tuhr, IherJB 48 (1904), 5; Klein, causa solvendi, 1903. Ehmann, JZ 68, 549. Larenz, I § 18 I. Gernhuber, 106.

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Am ungezwungensten erscheint daher die Auffassung, die der Erfüllung grundsätzlich rechtsgeschäftlichen Charakter beilegt, auf diesen rechtsgeschäftlichen Charakter aber verzichtet, wo rein tatsächliche Erfüllungshandlungen geschuldet werden. Hiernach kommt der Erfüllung aber nicht notwendig Vertragsnatur zu. Neben den Vertrag, durch welchen die Schuld begründet wird, und neben die zu seiner Erfüllung erforderlichen Rechtsgeschäfte (z. B. Übereignungen) treten nicht noch ein oder mehrere zusätzliche Erfüllungsverträge. (Dies würde auch beim Handkauf zu fünf verschiedenen Verträgen führen.) Die Erfüllung ist vielmehr das Bewirken der geschuldeten Leistung, zusammen mit dem Einigsein über den Tilgungscharakter dieses Bewirkens. Diese der Erfüllung normalerweise innewohnende Einigung ist also kein selbständiger Vertrag, sie wird aber nach Vertragsgrundsätzen behandelt und hat rechtsgeschäftlichen Charakter (also wie bei der Einigung in §§ 873, 929). Die gegen die Vertragstheorie vorgebrachten Argumente sind nicht unwiderlegbar. Die behauptete Konsequenz, dass nach der Vertragstheorie der Gläubiger die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung zwar in Natur annehmen, aber – durch Unterlassung ihrer Annahme als Erfüllung – die Befreiung des Schuldners verhindern könnte, besteht in Wahrheit nicht. Wenn der Schuldner leistet und der Gläubiger die Leistung nicht als Erfüllung annimmt, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Leistung war objektiv betrachtet nicht die geschuldete, dann ist noch nicht erfüllt. Oder die geleistete Erfüllung entsprach dem Schuldverhältnis, dann kommt der Gläubiger in Annahmeverzug, 293. – Der Schuldner muss Erfüllung beweisen, wenn sich der Gläubiger den Rücktritt für den Fall der Nichterfüllung vorbehalten hat. Nimmt im letzteren Falle der Gläubiger die zur Tilgung angebotene Leistung an, und behauptet er hinterher, die Erfüllung sei nicht ordnungsgemäß, so muss er dies beweisen, 363; nur wenn ihm dieser Beweis gelingt, ist noch nicht erfüllt. Nimmt er sie als Erfüllung an, entspricht sie auch der geschuldeten Verbindlichkeit, hat er aber nicht den Tilgungswillen des Gläubigers, so tätigt er das Rechtsgeschäft der Erfüllung mit einem geheimen Vorbehalt, der nach § 116 unbeachtlich ist. Das Argument, die Vertragstheorie sei lebensfremd, geht ebenso fehl. Die normalen Erfüllungsvorgänge schließen den Tilgungswillen auf beiden Seiten ein. Das ergibt sich aus einem Vergleich mit den Erfüllungssurrogaten. Auch die Erfahrung des täglichen Lebens zeigt, dass sich Gläubiger und Schuldner normalerweise über den Charakter einer Leistung als Erfüllung einig sind. Hieraus folgt, dass das Erfüllungsgeschäft grundsätzlich dem Inhalt des Verpflichtungs-, nicht dem des Verfügungsgeschäfts entspricht: Wenn V dem K eine Herde von 10 Kühen verkauft und übereignet, so sind dies 1 Kaufvertrag, 10 Übereignungen nach § 929 und 1 Erfüllung, nicht 10 Erfüllungen. Zahlt K dem V dafür Euro 10.000,– in 20 Fünfhunderterscheinen, so sind dies 20 Übereignungen und wiederum 1 Erfüllung. Insgesamt enthält dieser Vorgang also 33 Verträge, davon 3 schuldrechtliche und 30 dingliche, und von den 33 Verträgen enthält 1 Vertrag ein Verpflichtungsgeschäft und 32 Verträge Verfügungsgeschäfte, darunter 2 schuldrechtliche und 30 dingliche.

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3. Hiernach gehören zu einer ordnungsgemäßen Erfüllung i. S. des § 362 I: a) Das Bewirken der geschuldeten Leistung. Es muss geleistet werden, was geschuldet ist. Hier entscheidet eine objektive, am Tatsächlichen haftende Betrachtung. Maßgeblich ist der Inhalt der geschuldeten Leistung in konkreter Bedeutung. b) Regelmäßig (mit den oben erwähnten Einschränkungen) müssen sich Gläubiger und Leistender einig sein, dass durch das Bewirken dieser Leistung dieses Schuldverhältnis erlöschen, diese Schuld getilgt werden soll. Es ist also erforderlich, dass Gläubiger und Schuldner den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang zwischen dem Bewirken der Leistung und dem zu tilgenden Schuldverhältnis wissen und wollen. Der Tilgungswille besteht aus dem Bewusstsein der Tilgung und ihrer Billigung. Auslegungshilfen für den Tilgungswillen des leistenden Schuldners geben §§ 366, 367. Hat der Gläubiger eine ihm als Erfüllung angebotene Leistung als Erfüllung angenommen, also den Tilgungswillen geäußert, so trifft ihn die Beweislast, wenn er die Leistung deshalb nicht als Erfüllung gelten lassen will, weil sie eine andere als die geschuldete Leistung (aliud) oder weil sie unvollständig gewesen sei, 363.

c) Da das Einigsein über die Tilgung rechtsgeschäftlichen Charakter besitzt, ist Geschäftsfähigkeit auf beiden Seiten erforderlich. Die Tilgung ist eine Verfügung über

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Erfüllung

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die zu erfüllende Forderung mit allen daraus folgenden Konsequenzen. §§ 119 ff sind anwendbar.5 Besteht beispielsweise die Forderung gemäß § 433 I 1 auf Lieferung einer Sache und ist der Gläubiger geschäftsunfähig, so erwirbt er die geschuldete Sache nicht zu Eigentum. Seine Forderung auf Lieferung der Sache bleibt bestehen, eine Tilgung tritt nicht ein. Ist der Gläubiger geschäftsbeschränkt, so erwirbt er die geschuldete Sache, da ihm die Übereignung lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt, 107. Da er aber durch Entgegennahme dieser Sache als Erfüllung über seinen Lieferungsanspruch verfügen würde und ihm dies einen rechtlichen Nachteil durch Verlust des Anspruchs brächte, kann er insoweit den Tilgungswillen nicht bilden. Die Forderung bleibt bestehen, sie wird nicht getilgt. Der Schuldner hat einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den geschäftsbeschränkten Gläubiger auf Rückübereignung der Sache. Liegen keine besonderen Umstände vor, so steht aber dem Gläubiger gegen diesen Anspruch die Einrede der exceptio doli zu, oben Rdn. 219. Ist der Schuldner geschäftsunfähig oder geschäftsbeschränkt, so kann er die Sache nicht übereignen, die Forderung des Gläubigers bleibt bestehen. 4. Erfüllung durch Leistung an Dritte: Grundsätzlich tritt Erfüllung nur ein, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger geleistet wird, 362 I. Es genügt dabei, soweit der rechtsgeschäftliche Charakter der Erfüllung reicht, Leistung an einen vom Gläubiger bevollmächtigten Vertreter, da dies für und gegen den Gläubiger wirkt (§ 164). Eine Leistung an dritte Personen, die nicht im Namen und mit Vollmacht des Gläubigers die Leistung erheben, befreit nur dann, wenn der Gläubiger dazu eine Ermächtigung erteilt hat, 362 II, 185. Hauptanwendungsfall ist die Anweisung, 783, die eine Doppelermächtigung enthält: an den Schuldner, mit befreiender Wirkung (§ 787) für den Gläubiger zu leisten, an den Dritten, die Leistung in eigenem Namen zu erheben, 783, 1. Halbs. Fehlt eine Ermächtigung des Gläubigers, so kann die Leistung im Vertrauen auf den Rechtsschein der Berechtigung (z. B. §§ 408 ff), der Ermächtigung (z. B. § 370) oder der Vollmacht (z. B. Anscheinsvollmacht) den Schuldner befreien. Der Leistende kann im Falle der Rechtsgrundlosigkeit der Leistung nur den Gläubiger in Anspruch nehmen (RGZ 87, 36). Ob im Verhältnis Gläubiger – Dritter der letztere die empfangene Leistung erhalten darf, richtet sich nach dem zwischen beiden bestehenden Rechtsverhältnis. Besteht keine wirksame causa, so kann der Gläubiger die Leistung im Falle der §§ 407, 370 nach § 816 II und im Falle der §§ 362 II, 185 nach §§ 812, 818 kondizieren; dazu näher unten Rdn. 1491: Drittempfängerkondiktion. 5. Wirkung der Annahme als Erfüllung: Hat der Gläubiger die Leistung der Erfüllung angenommen und will er sie später mit der Begründung nicht gelten lassen, sie sei eine andere als die geschuldete Leistung oder sie sei unvollständig, so hat der Gläubiger dies zu beweisen, 363. Dies ist eine Abweichung von dem Grundsatz, dass der Schuldner die Erfüllung zu beweisen hat (zur Anwendung von § 363 auf die mangelhafte Leistung s. u. Rdn. 855). Materiellrechtliche Wirkung hat die Annahme als Erfüllung beim Handelskauf (§ 377 HGB) und beim Werkvertrag bei Abnahme trotz Kenntnis des Mangels (§ 640 II). 6. Bestimmung der Erfüllungswirkung bei mehreren Leistungspflichten: Schuldet der Schuldner dem Gläubiger mehr als eine Leistung der gleichen Art aus verschiedenem oder ein- und demselben Schuldverhältnis (Miete – BGH NJW 65, 1373), so entscheidet zunächst die Parteiabsprache darüber, welche Schuld durch die Leistung getilgt wird. Der Schuldner kann dann die Verrechnung nicht mehr anders bestimmen.6 Auch der Gläubiger darf dies nicht, BGH WM 82, 329. Fehlt eine Parteiabsprache, so kann der Schuldner einseitig die Verrechnung bestimmen, auch stillschweigend, BGH VersR 82, 958. Trifft der Schuldner keine Bestimmung bzw. kann er die Bestimmung nicht beweisen, so erfolgt die Tilgung in der in § 366 II das Interesse des Gläubigers bevorzugenden Reihenfolge: Leistung auf die fällige Schuld vor der nichtfälligen, bei Fälligkeit auf die ungesicherte vor der gesicherten, bei gleichsicheren auf die dem Schuldner lästigere, bei gleich lästigen auf die ältere, bei gleich alten auf beide verhältnismäßig. (Er kann nur so lange eine Bestimmung treffen, wie die Leistung dem Gläubiger noch unverbraucht zur Verfügung steht, vgl. BGHZ 51, 157). 5 Zur Anfechtung einer Tilgungsbestimmung s. Ehricke, JZ 1999, 1075. 6 Wie hier Gernhuber, 135; anders RGZ 66, 54; BGH WM 66, 337.

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§ 366 findet entsprechende Anwendung bei Forderungen verschiedener Gläubiger (BGHZ 47, 168). Voraussetzung ist aber, dass die Zahlung des Schuldners geeignet ist, die Forderungen beider Gläubiger zu tilgen (Fälle der §§ 407, 408, 362 II, 185, vgl. dazu Pfister NJW 68, 238 ff). Weiterhin gilt § 366 analog bei zu niedrig notariell beurkundetem Kaufpreis, BGH DB 73, 1791. § 367 bestimmt für die Tilgung die Reihenfolge Kosten – Zinsen – Hauptleistung (ähnlich BGHZ 80, 269 für die Aufrechnung).

III. Erfüllung unter Vorbehalt der Schuld 320

1. Die Zahlung einer Schuld „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ kann verschiedene rechtliche Bedeutungen haben.7 Ist mit diesem Vorbehalt gemeint, dass nur unter der Bedingung der bestehenden Schuld geleistet wird, der Gläubiger also bei Rückforderung das Bestehen der Schuld zu beweisen hat, so kann der Gläubiger die angebotene Zahlung als nicht ordnungsgemäß zurückweisen, ohne in Annahmeverzug zu geraten. Im Gegenteil kann der Schuldner nun in Schuldnerverzug kommen. Wenn dagegen der Schuldner mit seinem Vorbehalt lediglich sagen will, dass er kein Anerkenntnis i. S. des § 212 I Nr. 1 leisten will und sich für den Fall des von ihm zu beweisenden Nichtbestehens der Schuld den Anspruch entgegen § 814 vorbehalten möchte, so ist der Vorbehalt zulässig. Eine so angebotene Leistung wird ordnungsgemäß angeboten, so dass der Gläubiger im Falle der Annahmeverweigerung in Gläubigerverzug gerät. War die Leistung rechtsgrundlos, haftet der Gläubiger verschärft nach § 820. 2. Welche Art von Vorbehalt gemeint ist, ergibt die Auslegung. Im Zweifel wird die zweitgenannte Bedeutung gemeint sein, da es sich hierbei um den schwächeren, erfüllungsfreundlicheren Vorbehalt handelt.

IV. Quittung und Schuldschein 321

1. Der Gläubiger muss auf Verlangen des Schuldners, auf dessen Kosten und in einer von ihm gewünschten Form, den Empfang der Leistung in einer schriftlichen Quittung bestätigen, 368, 369. 2. Die Quittung ist also ein schriftliches Empfangsbekenntnis des Gläubigers. Sie ist kein Wertpapier (s. unten § 100), denn zur Geltendmachung der Forderung ist die Inhaberschaft der Quittung nicht erforderlich. Die Quittung ist aber ein Legitimationspapier, 370. Bei einem Legitimationspapier kann der Schuldner befreiend an den Inhaber des Papiers leisten. Der Grund für diese Regelung ist der Publizitätsschutz, der seinerseits auf dem Rechtsscheingedanken beruht. § 370 sagt, dass der Überbringer einer Quittung als ermächtigt gilt, die Leistungen zu empfangen, sofern nicht die dem Leistenden bekannten Umstände der Annahme einer solchen Ermächtigung entgegenstehen. Auch der Überbringer einer gestohlenen oder gefundenen (echten) Quittung gilt als zum Empfang ermächtigt, d. h. der Schuldner wird durch Leistung an ihn befreit. Ebenfalls befreit die Leistung auf die Blankettquittung, die vom Ermächtigten unberechtigt ausgefüllt ist. Der gegebenenfalls erforderliche Ausgleich zwischen dem leer ausgehenden Gläubiger und dem Überbringer der Quittung erfolgt nach § 816 II BGB. Eine gefälschte Quittung, die z. B. vorliegt, wenn jemand die Unterschrift des Gläubigers auf der Quittung nachahmt, ist dagegen keine Quittung i. S. des § 370. 3. Der Schuldschein ist weder ein Wertpapier noch ein Legitimationspapier, sondern lediglich ein Beweispapier, 371. In dem Schuldschein bekennt der Schuldner, an den Gläubiger etwas schuldig zu sein, ohne jedoch mit diesem Bekenntnis eine neue, selbständige Verbindlichkeit begründen zu wollen; darin liegt der Unterschied zum abstrakten Schuldanerkenntnis des § 781. Der Schuldner kann, wenn über die Forderung ein Schuldschein ausgestellt worden ist, Rückgabe des Schuldscheins verlangen, 371 S. 1. Denn mit der Tilgung der Schuld hat der Schuldschein seinen Sinn, dem Gläubiger den Beweis der Forderung zu erleichtern, verloren.

V. Zur bargeldlosen Zahlung als Erfüllung s. oben Rdn. 261.

7 S. BGH NJW 2003, 2014 (2017).

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Erfüllungsersetzungen

§ 39 I

§ 39 Erfüllungsersetzungen I. Leistung an Erfüllungs statt §§ 364 I, 365 Berndorff, Die Annahme an Erfüllungs Statt, 1904; Canaris, Bankvertragsrecht3 (1988), Rdn. 482 ff; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, §§ 9, 10; Harder, Die Leistung an Erfüllungs Statt, 1976; ders., JuS 77, 149; Köhler, WM 77, 242; Schreiber, Jura 1996, 328.

1. Mit Zustimmung des Gläubigers kann statt mit der geschuldeten Leistung mit einer anderen Leistung erfüllt werden. Anstelle der geschuldeten Leistung tritt kraft einer erneuten Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner ein Leistungsersatz. Hierzu ist stets ein Vertrag erforderlich. Eine derartige Leistung „an Erfüllungs statt“ beendet das Schuldverhältnis genauso wie die normale Erfüllung. Jemand schuldet 500,– Euro aus Darlehen oder aus Kauf. Weil er nicht zahlen kann, leistet er mit Zustimmung des Gläubigers ein gebrauchtes Möbelstück.

Wird eine Sache, eine Forderung gegen einen Dritten oder ein anderes Recht an Erfüllungs statt geleistet, so hat der Schuldner wegen eines Mangels im Recht oder wegen eines Sachmangels in gleicher Weise wie ein Verkäufer Gewähr zu leisten, § 365. War also im genannten Beispiel das Möbelstück unbrauchbar, so finden zugunsten des Gläubigers nach § 365 die Vorschriften der §§ 433 ff entsprechende Anwendung. Das bedeutet, dass der Gläubiger im Hinblick auf das unbrauchbare Möbelstück (ggf. nach Nachfristsetzung) den Rücktritt erklären kann, §§ 437 Nr. 2, 323, 326 V. Die hiernach für anwendbar erklärten Rücktrittsvorschriften besagen, dass beide Seiten sich die einander gewährten Leistungen zurückzugeben haben, 346 S. 1. Der Gläubiger muss demnach das Möbelstück an den Schuldner zurückübereignen. Nicht etwa fällt das Eigentum automatisch mit der Erklärung des Rücktritts an den Schuldner zurück. Schwierigkeiten bereitet die Rückgängigmachung einer Forderungstilgung. Die herrschende Meinung steht auf dem Standpunkt, dass die Forderung, die an Erfüllungs statt getilgt werden sollte, nicht von allein wieder auflebt.1 Vielmehr müsse der Schuldner jetzt dem Gläubiger erneut die Forderung vertraglich einräumen. Die herrschende Meinung verdient keine Zustimmung. § 346 bezieht sich auf Schuldverhältnisse, durch die Verpflichtungen begründet werden. Bei der Leistung an Erfüllungs statt handelt es sich um eine Verfügung. Die Frage ist also, wie sich die entsprechende Anwendung der Rücktrittsvorschriften auf eine Verfügung auswirkt. Da Verfügungen unmittelbar auf Rechte einwirken, muss die Rückgängigmachung der Verfügung ebenso unmittelbar die Einwirkung beseitigen. Die Konsequenz kann nur sein, dass die Forderung des Gläubigers mit der Erklärung des Rücktritts von selbst wieder auflebt. Nur eine solche Regelung sichert den Gläubiger voll. Allerdings entsteht in Entsprechung zu den Rücktrittsvorschriften die Forderung lediglich ex nunc, so dass sie eine Zeit lang nicht bestanden hat. Sie entsteht aber so wieder, wie sie ursprünglich bestanden hat, mit allen Vor- und Nachteilen, Einwendungen und Einreden. Damit hängt es auch zusammen, dass Sicherungsrechte (z. B. Bürgschaften), welche für die untergegangene Forderung bestellt waren, wieder aufleben (anders die herrschende Meinung). Bestand also im genannten Beispiel für die Forderung über 500,– Euro eine Bürgschaft des B, so lebt die Bürgschaft mit der Erklärung der Wandlung wieder auf. Im Ergebnis ähnlich BGHZ 46, 343.

Anstelle der Lieferung einer Sache an Erfüllungs statt kann auch ein Recht geleistet werden. Der Schuldner kann z. B. versprechen, die bisher aus Kauf geschuldeten 500,– Euro künftig als Darlehen zu schulden. Erklärt sich der Gläubiger hiermit einverstanden, wird durch die Eingehung der Darlehensverbindlichkeit die Kaufpreisschuld getilgt. Künftig besteht lediglich eine Darlehensforderung über 500,– Euro. Man nennt diesen Vorgang Schuldumschaffung oder Novation, siehe dazu unten Rdn. 346 f. 1 BGHZ 46, 338; MünchKomm/Wenzel, § 365, Rdn. 3.

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§ 39 II

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Beendigung von Schuldverhältnissen

2. Die Regel bildet es jedoch nicht, dass mit der Eingehung einer neuen Verbindlichkeit das alte Schuldverhältnis erlischt. § 364 II sagt, dass die alte Verbindlichkeit im Zweifel nicht erlischt, wenn der Schuldner zum Zweck der Befriedigung des Gläubigers ihm gegenüber eine neue Verbindlichkeit eingeht. Die Leistung dieser neuen Verbindlichkeit erfolgt dann nur „erfüllungshalber“. Während also die Leistung an Erfüllungs statt das alte Schuldverhältnis abbricht, lässt die Leistung erfüllungshalber das alte Schuldverhältnis bestehen. Die Leistung erfüllungshalber bildet bei Eingehung einer neuen Verbindlichkeit den Regelfall. Das wichtigste Beispiel ist die Hingabe eines Wechsels oder eines Schecks zur Bezahlung einer Kaufpreisschuld (anders bei Schecks, deren Einlösung gesichert ist, s. oben Rdn. 260). Aber auch die Eingehung eines Schuldanerkenntnisses, die Hingabe einer Inhaberschuldverschreibung und andere tilgungshalber eingegangene Verbindlichkeiten zählen hierher; OLG Düss. NJW 48, 264 = ESJ 29. Der Gläubiger hat, wenn an ihn erfüllungshalber eine neue Leistung versprochen wurde, nunmehr zwei Ansprüche gegen den Schuldner, die sich auf dasselbe richten. Schuldet jemand aus Kauf 500,– und nimmt er „zur Bezahlung“ einen Wechsel über 500,– an (Art. 28 WG), bekommt der Gläubiger nicht etwa 1000,–, sondern nur 500,–. Er kann auch nicht wahlweise aus Kaufpreis- oder aus der Wechselforderung vorgehen. Nach heute einhelliger Meinung ist der Gläubiger vielmehr verpflichtet, zunächst aus dem Wechsel Befriedigung zu suchen. Durch die Annahme erfüllungshalber hat er sich damit einverstanden erklärt, dass der Wechsel einem Erfüllungsversuch dienen solle. Daran ist er gebunden. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Wechsel nicht erfüllungshalber, sondern nur als zusätzliche Sicherung (sicherungshalber) gegeben ist. Dazu ist aber eine besondere Vereinbarung erforderlich. Im Zweifel wird man annehmen müssen, dass ein Wechsel erfüllungshalber gegeben wurde. Der Gläubiger, der wahlweise aus dem Grundverhältnis oder aus dem Wechsel vorgehen möchte, muss daher den Sicherungszweck bei der Wechselhingabe zum Bestandteil der Sicherungsabrede machen. Selbst wenn aber Hingabe sicherungshalber, nicht erfüllungshalber gemeint ist – dies ist eine Frage der Auslegung –, richtet sich die Fälligkeit der gesicherten Forderung nach der Laufzeit des Wechsels, falls auch hier nichts Gegenteiliges vereinbart ist. Denn beide Forderungen stehen in einem notwendigen Zusammenhang: Mit der Erfüllung der einen Forderung geht auch die andere unter, sofern sich beide Forderungen noch in einer Hand befinden und beide getilgt werden sollen. Ist die eine Forderung gestundet, so wirkt sich die Stundung nach Treu und Glauben auch auf die andere Forderung aus. War z. B. die Kaufpreisforderung sofort fällig, der Wechsel aber als Dreimonats-Akzept ausgestellt, so ist nach § 242 die Kaufpreisforderung auf 3 Monate gestundet.

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3. Zahlung einer Geldschuld durch Überweisung auf ein Konto des Gläubigers (unbarer Zahlungsverkehr) ist nach herrschender Meinung Leistung an Erfüllungs statt. Denn statt der Münzen und Noten erhält der Gläubiger eine Forderung gegen die Bank. Hierzu muss sich der Gläubiger aber einverstanden erklärt haben. Zum Ganzen oben Rdn. 261.

II. Hinterlegung, §§ 372–386 Beer, Die Hinterlegung zum Zwecke der Befreiung von Schuldverbindlichkeiten, 1900; Bülow/ Schmidt, Hinterlegungsordnung, 4. Aufl. 2005; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 15.

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1. Die Hinterlegung ist Erfüllungsersatz insb. für den Fall, dass sich der Gläubiger im Annahmeverzug befindet und der Schuldner sich der geschuldeten Leistung entledigen will. Zu unterscheiden sind hinterlegungsfähige und nicht hinterlegungsfähige Sachen: a) Hinterlegungsfähig sind Geld, Wertpapiere und sonstige Urkunden sowie Kostbarkeiten, z. B. Schmuck, Edelsteine, aber auch Andenken und kleinere Kunstwerke. Diese Gegenstände kann der Schuldner, wenn der Gläubiger im Annahmeverzug ist, bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts hinterlegen, 372 S. 1 i. V. m. der Hinterlegungsordnung vom 10. 3.

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Erfüllungsersetzungen

§ 39 II

1937 (Schönfelder Nr. 121). Annahmeverzug des Gläubigers ist nicht erforderlich, wenn der Schuldner aus einem in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewissheit über die Person des Gläubigers seine Verbindlichkeit nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann. Das liegt z. B. vor, wenn mehrere Gläubiger sich um eine Leistung streiten und der Schuldner aus einem nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Grunde den wahren Gläubiger nicht kennt. Ein anderer Fall wäre, dass der Schuldner an einen Geschäftsunfähigen zu leisten hat, dessen Vertreter ihm aber unbekannt ist.

b) Die Hinterlegung kann in der Weise erfolgen, dass der Schuldner das Recht behält, die hinterlegte Sache zurückzuverlangen, 376 I. Ist der Schuldner nur gegen eine Leistung des Gläubigers zu leisten verpflichtet, so kann der Schuldner überdies das Recht des Gläubigers zum Empfang der hinterlegten Sache von der Bewirkung der Gegenleistung abhängig machen (vgl. dazu § 320).

2. Der Schuldner kann aber auch auf die Rücknahme verzichten, 376 II Nr. 1. Die Rücknahme ist ebenfalls ausgeschlossen, sobald der Gläubiger der Hinterlegungsstelle die Annahme erklärt, 376 II Nr. 2, ferner wenn der Hinterlegungsstelle ein zwischen dem Schuldner und Gläubiger ergangenes rechtskräftiges Urteil vorgelegt wird, das die Hinterlegung für rechtmäßig erklärt, 376 II Nr. 3. 3. Ist die Rücknahme der hinterlegten Sache ausgeschlossen, namentlich wenn der Schuldner auf die Rücknahme verzichtet hat, so wird der Schuldner durch die Hinterlegung von seiner Verbindlichkeit in gleicher Weise befreit, wie wenn er zur Zeit der Hinterlegung an den Gläubiger geleistet hätte, 378.

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Einem Schuldner, dessen Gläubiger sich im Annahmeverzug befindet, 293, und der seine Leistung, z. B. aus Mangel an geeigneter Aufbewahrungsmöglichkeit los sein möchte, ist daher anzuraten, die geschuldete Sache zu hinterlegen und auf die Rücknahme zu verzichten. Die Kosten der Hinterlegung fallen dem Gläubiger zur Last, 381. Ferner hat der Schuldner nach Ablauf von 30 Jahren das Recht, die Leistung zurückzunehmen, wenn der Gläubiger bis dahin die hinterlegte Sache nicht abgeholt hat. Dieses Recht besteht auch dann, wenn der Schuldner auf das Recht zur Rücknahme verzichtet hatte, 382. Solange die Sache hinterlegt ist, trägt der Gläubiger die Gefahr und ist der Schuldner nicht verpflichtet, Zinsen zu zahlen oder Ersatz für nichtgezogene Nutzungen zu leisten, 379 II.

4. Ist dagegen die geschuldete bewegliche Sache zur Hinterlegung nicht geeignet (handelt es sich also nicht um Geld, Wertpapiere, Urkunden und Kostbarkeiten), so kann der Schuldner sie im Fall des Gläubigerverzugs am Leistungsort versteigern lassen und den Erlös hinterlegen, 383 I 1 (Selbsthilfeverkauf). Befindet sich der Schuldner in Ungewissheit über die Person des Gläubigers (im Sinne des § 273 S. 2), kann er nur dann zur Versteigerung schreiten, wenn der Verderb der Sache zu besorgen oder die Aufbewahrung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist. Man denke an einen Großwildjäger, der von seiner Afrikareise ein Nilpferd mitbringt, das er für einen Zoo einfangen sollte. Bei seiner Heimkunft weigert sich der Zoo, das Tier abzunehmen. Der Jäger kann nach § 383 mit dem Nilpferd zum Selbsthilfeverkauf schreiten. Die Versteigerung muss dem Gläubiger vorher angedroht werden, 384. Weitere Einzelheiten geben §§ 383–386. 5. Sondervorschriften enthalten §§ 373, 374 HGB für den Handelskauf. Ist beim Handelskauf der Käufer mit der Annahme der Ware in Verzug, so kann der Verkäufer die Ware auf Gefahr und Kosten des Käufers in einem öffentlichen Lagerhaus oder sonst in sicherer Weise hinterlegen. Auf die Einschränkungen der §§ 373, 383 BGB kommt es nicht an. Der Handelsverkäufer ist ferner befugt, nach vorgängiger Androhung die Ware öffentlich versteigern zu lassen. Er kann, wenn die Ware einen Börsen- oder Marktpreis hat, nach vorgängiger Androhung den Verkauf auch aus freier Hand oder durch einen zu solchen Verkäufen öffentlich ermächtigten Handelsmäkler vornehmen lassen. 6. Von der Hinterlegung als Erfüllungssurrogat ist die „Hinterlegung auf Anderkonto“ z. B. bei einem Notar oder Rechtsanwalt, zu unterscheiden. Ihre Vereinbarung, z. B. im Zuge der Abwicklung

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§ 39 III

Beendigung von Schuldverhältnissen

eines Grundstückskaufs oder einer Konzertveranstaltung, beruht auf § 311 I (Vertragsfreiheit), das Verhältnis der hinterlegenden Partei zum Notar usw. auf § 675. Sie hat i. d. R. keine Erfüllungswirkung, BGH NJW 83, 1605 = Jus 83, 629 m. Anm. Emmerich.

III. Aufrechnung, §§ 387–396 Berger, K. P., Der Aufrechnungsvertrag, 1996; Bötticher, FS Schima, 1969, 95; Coester-Waltjen, Jura 2003, 246; Dietrich, AcP 170 (1970), 534; v. Feldmann, JuS 83, 357; Fenge, JZ 71, 118; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 1983, § 12; Henckel, W., ZZP 74, 165; Höhn/Kaufmann, JuS 2003, 751; Kegel, Probleme der Aufrechnung, 1938; Kesseler, NJW 2003, 2211; Kohler, ZZP 24, 1; Lüke/Huppert, JuS 71, 165; Oertmann, AcP 113 (1916), 376; ders., Die Aufrechnung im Deutschen Zivilprozeßrecht, 1916; Peters, JZ 88, 669; Schmidt, Karsten, FS Odersky, 1996, 685 (Geldschulden); Schmidt, W., JuS 84, 26; Schwarz, AcP 203 (2003) 241; Zimmermann, FS Medicus, 1999, S. 707.

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1. Die Aufrechnung ist wirtschaftlich die Verrechnung zweier gleichartiger Forderungen, die zwischen zwei Personen in entgegengesetzter Richtung bestehen. § 387 gestattet die Aufrechnung, wenn zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind. In diesem Fall kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die obliegende Leistung bewirken kann. Die Aufrechnung weist eine Doppelnatur auf. Sie ist einerseits Erfüllungssurrogat, weil sich der Schuldner durch die Aufrechnung von seiner Schuld mit erfüllungsgleicher Wirkung befreit, 389. Andererseits ist die Aufrechnung auch eine Art Privatvollstreckung der eigenen Forderung, die man ohne oder sogar gegen den Willen des anderen Teiles im Wege der Aufrechnung durchsetzen kann. Wer aufrechnen kann, erspart sich einen Prozess auf Leistung und die anschließende Zwangsvollstreckung.

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2. Die Aufrechnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, 388. Sie ist bedingungs- und befristungsfeindlich, 388 S. 2. Neben dieser einseitigen Aufrechnung, die der Annahme durch den Gegner nicht bedarf, ist auch vertragliche Aufrechnung möglich, 311 I. Bei ihr kommen Gläubiger und Schuldner überein, dass die zwischen ihnen bestehenden Schulden verrechnet und damit getilgt werden (z. B. im Kontokorrent-, Abrechnungsvertrag). Von der Aufrechnung ist die Anrechnung zu unterscheiden, bei der der Betrag einer Forderung von vornherein um den anzurechnenden Betrag zu mindern ist, z. B. bei der Vorteilsausgleichung (u. Rdn. 703) oder bei der Saldotheorie (u. Rdn. 1522ff). 3. Im Prozess hat die Aufrechnung große Bedeutung, wobei auf die Unterscheidung von Verfahrenserklärung und materiellrechtlicher Erklärung zu achten ist.2 Wichtig ist die sog. Eventualaufrechnung: Muss der Beklagte befürchten, dass er den Prozess u. U. verliert, so rechnet er für den Fall, dass der Richter die Forderung des Gegners als bestehend und durchsetzbar ansieht, mit einer eigenen Forderung gegen den Gläubiger auf, opfert also – aber nur für den Fall der andernfalls eintretenden Niederlage im Prozess – eine eigene Forderung, um wenigstens den Prozess nicht zu verlieren. Diese Aufrechnung soll also nur gültig sein, wenn der Schuldner sonst verurteilt würde. Eine solche Eventualaufrechnung erfolgt unter der Rechtsbedingung (conditio iuris et de iure) des Schuldigseins. Es handelt sich dabei nicht um eine echte Bedingung i. S. der §§ 158, 388 S. 2. Sie ist daher zulässig. Der wesentliche Grund für ihre Zulassung ist die Prozessökonomie. Gestattet man die Eventualaufrechnung, so wird möglicherweise in einem Prozess über zwei Ansprüche entschieden, ein Prozess wird gespart.

2 Hierzu Coester-Waltjen, Jura 90, 27.

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Erfüllungsersetzungen

§ 39 III 5

a ▼

X

b



4. Zur Terminologie ist Folgendes zu bemerken:

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Y

X und Y sind die Personen i. S. des § 387. Jeder ist Gläubiger und Schuldner des andern. Erklärt X, er rechne auf, dann ist die Forderung des Y, b, die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, und die Forderung des X, a, die Aufrechnungsforderung, die oder mit der aufgerechnet wird (vgl. § 390: gemeint ist dort die Aufrechnungsforderung a, mit der aufgerechnet wird). 5. Die Voraussetzungen der Aufrechnung sind: a) Gegenseitigkeit. Die Forderungen müssen zwischen Gläubiger und Schuldner bestehen. Der Schuldner einer Forderung muss Gläubiger der anderen sein.

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aa) Schuldet S dem G eine Summe, für die sich B verbürgt hat, kann B mit einer Forderung des S gegen den G nicht aufrechnen, auch nicht mit Einwilligung des S. Es fehlt die Gegenseitigkeit (siehe aber die Einreden des Bürgen, 768, 770 II). B kann aber, wenn er von G in Anspruch genommen wird, mit einer eigenen Forderung gegen die Bürgschaftsschuld aufrechnen. bb) Die Gesellschafter A und B schulden Miete für gemeinsam gemietete Geschäftsräume. Kann A mit einer persönlichen Darlehensforderung gegen den Vermieter V aufrechnen? Die Frage ist zu bejahen, da A und B als Gesellschafter analog §§ 128, 129 HGB gesamtschuldnerisch haften, A also die Miete an Y schuldet (s. u. Rdn. 1332f). Dagegen könnte nicht B mit der Darlehensforderung des A gegen den V aufrechnen. Es fehlt hier die Gegenseitigkeit, § 422 II. cc) A hat gegen B eine Darlehensforderung, die am 1. 3. fällig ist. B ist Inhaber einer Kaufpreisforderung gegen A, die am 15. 3. fällig wird. Am 12. 3. tritt B seine Forderung an C ab. Kann A auch gegenüber C aufrechnen? Die Frage ist zu bejahen, da § 406 zum Schutze des Schuldners eine Ausnahme von der Gegenseitigkeit macht. Die Aufrechnung nach § 406 wird immer dann zugelassen, wenn der Schuldner damit rechnen konnte, sich von der geltend gemachten Forderung durch Aufrechnung befreien zu können. Dies wäre z. B. nicht der Fall, wenn die Forderung des A erst am 18. 3. fällig gewesen wäre. dd) Der Gesellschafter A hat Privatschulden bei dem Vermieter V. Kann er als vertretungsberechtigter Gesellschafter mit einer Gesellschaftsforderung gegen den V aufrechnen? Die Frage ist zu verneinen, da A als Privatperson Schuldner, die Gesellschaft aber die Gläubigerin ist. Nach der neueren Rechtsprechung ist die Gesellschaft selber Trägerin von Rechten und Pflichten (s. u. Rdn. 1308ff). Gegenseitigkeit ist nicht gegeben. Den umgekehrten Fall, dass der Vermieter V aufrechnet, löst § 719 II im gleichen Sinne.

b) Gleichartigkeit. Die Forderungen müssen gleichartig sein, also von derselben Beschaffenheit, BGHZ 71, 380. Man kann nur Geld gegen Geld, Roggen gegen Roggen, Kies gegen Kies aufrechnen. Nicht ohne weiteres gleichartig sind zudem Geldforderung und Anspruch auf Befreiung von einer Geldschuld (BGHZ 35, 325; 47, 166) oder Forderung auf Darlehensauszahlung (RGZ 52, 306). c) Durchsetzbarkeit der Aufrechnungsforderung. Die Forderung, mit der aufgerechnet werden soll (Aufrechnungsforderung), muss fällig und durchsetzbar sein. Das ist nicht der Fall, wenn eine Einrede besteht. Die Aufrechnung wird nicht erst durch die Geltendmachung der Einrede verhindert (Larenz § 18 VI 3; a. A. Jahr, JuS 64, 298). Die Verjährung schließt jedoch die Aufrechnung nicht aus, wenn die Aufrechnungslage bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist bestand, § 215. Die Forderung muss klagbar sein, das ist z. B. nicht der Fall bei Spiel- und Wettschulden. d) Erfüllbarkeit der Hauptforderung. Die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, muss erfüllbar sein, d. h. der Schuldner muss berechtigt sein, sie jetzt zu erfüllen. In der Regel ist er dazu schon

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§ 39 III 5

Beendigung von Schuldverhältnissen

vor Fälligkeit befugt, 271 II. Der Schuldner kann nicht mit, aber gegen eine nicht fällige und einredebehaftete Forderung aufrechnen. Deshalb erlischt die aufgerechnete Forderung auch bei Aufrechnung gegen nicht durchsetzbare Forderungen oder erfüllbare Nichtforderungen (dazu Rdn. 68f). Zur Aufrechnung durch die Insolvenzgläubiger s. §§ 94 ff InsO.

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e) Nicht Voraussetzung für die Aufrechnung ist ein gleicher Schuldgrund für Hauptund Aufrechnungsforderung. Man bezeichnet den gleichen Schuldgrund auch als Konnexität oder als gleiches rechtliches Verhältnis. Gleicher Schuldgrund ist nach § 273 Voraussetzung für das Zurückbehaltungsrecht, das andererseits keine Gleichartigkeit von Forderung und Gegenforderung voraussetzt. Bei der Aufrechnung liegt es umgekehrt: Die beiden zur Aufrechnung gelangenden Forderungen müssen gleichartig sein, brauchen aber nicht konnex zu sein. Man kann also eine Warenschuld wegen einer Darlehensforderung zurückbehalten, sofern beide Ansprüche aus dem gleichen rechtlichen Verhältnis resultieren. Man kann aber nur eine Geldforderung gegen eine andere Geldforderung aufrechnen, wobei der Schuldgrund gleichgültig ist. – Nicht Voraussetzung für die Aufrechnung ist ferner gleiche Höhe der Forderungen. Man kann also eine Forderung von 300 Euro gegen eine Forderung von 1.000 Euro aufrechnen. Die Hauptforderung bleibt dann bis zur Höhe von 700 Euro bestehen. – Nicht Voraussetzung ist drittens Beweisbarkeit der Forderungen (Liquidität). Ob es sich um dubiose Forderungen handelt, mit denen oder gegen die aufgerechnet wird, entscheidet der Prozess über die Aufrechnung. Die Beweisbarkeit der Forderung selbst ist nicht Voraussetzung für ihre Aufrechenbarkeit. 6. Die Wirkung der Aufrechnung ist vor allem die der Erfüllung, 389. Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie bestehen, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber getreten sind. Außerdem unterbricht die Aufrechnung im Prozess die Verjährung, § 204 I Nr. 5. Für die Tilgungswirkung gilt § 367, BGHZ 80, 269. Eine Vertragsstrafe bleibt vorbehalten, arg. 341 III, BGHZ 85, 240. a) Theoretisch gibt es drei Möglichkeiten für die Wirkung einer Aufrechnung: aa) Entweder tilgen sich die Forderungen, soweit sie aufrechenbar einander gegenüberstehen, von selbst und ohne Erklärung einer Partei. Dies ist der Fall im französischen und österreichischen Recht (Art. 1290 Code civil; § 1438 ABGB). bb) Die zweite Möglichkeit ist, dass eine Erklärung für die Aufrechnung erforderlich ist, diese Erklärung aber die Tilgung der Forderungen rückwirkend bis zu dem Zeitpunkt auslöst, in welchem sich die Forderungen aufrechenbar gegenüberstanden. Dies ist der Standpunkt des deutschen Rechts, 389. Die Aufrechnung wirkt also tilgend ex tunc. Einen Sonderfall dazu regelt § 352 im Recht des Rücktritts. cc) Eine dritte Möglichkeit wäre, für die Aufrechnung eine Erklärung zu verlangen, dieser Erklärung aber lediglich eine Wirkung ex nunc zuzulegen. b) Die Aufrechnungslage ist für den in Anspruch genommenen Schuldner keine Einrede (str.) 3, aber die Aufrechnung, einmal erklärt, verschafft eine Einwendung. Man darf nicht miteinander verwechseln, dass die Aufrechnung zwar der Erklärung bedarf (388), dann aber, wenn sie erklärt ist, Erfüllung, also eine rechtszerstörende Einwendung bewirkt. A hat an B am 1. 6. eine Forderung in Höhe von 6.000,– Euro beglichen. Am 1. 8. stellt er fest, dass er gegen B noch eine fällige Forderung, die am 1. 7. verjährt war, in der gleichen Höhe hatte. Kann A jetzt die Aufrechnung erklären und das Geld zurückverlangen? Diese Frage ist zu verneinen. Die Aufrechnungsmöglichkeit scheitert nicht an der Verjährung, 389, 215 (BGH NJW 68, 1324). Wer aber trotz Möglichkeit der Aufrechnung erfüllt hat, kann das Geleistete nicht nach § 813 I 1 zurückverlangen. Wäre die Aufrechenbarkeit eine Ein-

3 Zinsen und Strafgelder entfallen aber durch die Aufrechnung ex tunc, BGH NJW 88, 259.

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Erfüllungsersetzungen

§ 39 III 7

rede, könnte das Geleistete wegen der Aufrechenbarkeit zurückverlangt werden. Abweichend steht dem Bürgen die Einrede der Aufrechenbarkeit zu, § 770 II.

7. Ausschluss der Aufrechnung, §§ 390–395 a) Die Aufrechnung kann vertraglich ausgeschlossen werden, 311 I, etwa in AGB; z. B. „netto Kasse gegen Rechnung und Verladepapiere“, BGHZ 14, 61; 23, 131; vgl. auch 14, 346. Eine Grenze zieht § 309 Nr. 3. b) Mit einer Forderung, der eine Einrede entgegensteht, kann nicht aufgerechnet werden, 390 S. 1. Ein Beispiel bildet die Aufrechnungsforderung, die gestundet war, oder die Forderung, die im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung durch Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist erloschen ist, BAG DB 74, 585. c) Eine Aufrechnung wird nach § 391 nicht dadurch ausgeschlossen, dass für die Forderungen verschiedene Leistungs- oder Ablieferungsorte bestehen, 391 I 1.

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Der aufrechnende Teil hat jedoch den Schaden zu ersetzen, den der andere Teil dadurch erleidet, dass er infolge der Aufrechnung die Leistung nicht an dem bestimmten Ort erhält oder bewirken kann, 391 I 2. Es handelt sich dabei um eine rechtmäßige, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung, vgl. § 904 S. 2, und unten § 112. Ist jedoch vereinbart, dass die Leistung zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort erfolgen soll (Effektivklausel), so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Aufrechnung einer Forderung, für die ein anderer Leistungsort besteht, vertraglich ausgeschlossen sein soll, 391 II. Ein Fixgeschäft i. S. des § 323 II Nr. 2 braucht nicht vorzuliegen. Es genügt eine Bestimmung der in § 286 II Nr. 1, 2 bezeichneten Art. d) § 392 bestimmt, dass durch die Beschlagnahme einer Forderung die Aufrechnung einer dem Schuldner gegen den Gläubiger zustehenden Forderung nur dann ausgeschlossen wird, wenn der Schuldner seine Forderung nach der Beschlagnahme erworben hat oder wenn seine Forderung erst nach der Beschlagnahme und später als die in Beschlag genommene Forderung fällig geworden ist.

e) Einen wichtigen Aufrechnungsausschluss enthält § 393: Gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist eine Aufrechnung nicht zulässig.4 Dies gilt auch, wenn ein Organ einer juristischen Person den Aufrechnungsgegner vorsätzlich geschädigt hatte und die juristische Person aufrechnen will, BayObLG MDR 85, 231. A schuldet dem B 2.000,– Euro, zahlt aber nicht. B beschädigt, um „aufzurechnen“, mutwillig mit einem Beil das dem A gehörige Auto. Eine Aufrechnung ist unzulässig, B haftet auf Schadensersatz, 823 I. § 393 will derartige „Privatvollstreckungen“ verhindern. Beruhen aber Haupt- und Aufrechnungsforderung auf vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen, so wird man die Aufrechnung zulassen müssen, str.

f) § 394 schließt die Aufrechnung für Forderungen aus, die einer Pfändung nicht unterworfen sind. Der Arbeitgeber A hat gegen seinen Arbeitnehmer B einen Anspruch aus schlechterfülltem Arbeitsvertrag. A will nun gegen den Lohnanspruch des B aufrechnen. Ist dies möglich? Grundsätzlich ja, hierbei sind jedoch die Grenzen für die Lohnpfändung zu beachten, § 850 ff ZPO. Die Berufung auf § 394 BGB kann arglistig sein, wenn der unpfändbaren Forderung ein Anspruch aus vorsätzlicher deliktischer Schädigung oder ein arbeitsrechtlicher Erstattungsanspruch, z. B. zuviel gezahlter Lohn, gegenübersteht; vgl. dazu auch BGHZ 30, 39; BAG NJW 65, 70.

g) § 395 schützt die öffentliche Hand vor Aufrechnungen, wenn sich Anspruch und Gegenanspruch auf verschiedene Kassen beziehen. Wer glaubt, einen Anspruch nach dem Lastenausgleichsgesetz zu haben, kann nach § 395 nicht gegen seine Steuerschuld aufrechnen. 4 Dazu Deutsch, NJW 81, 735.

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§ 39 IV

Beendigung von Schuldverhältnissen

h) Von §§ 390–395 abgesehen, ist die Aufrechnung nach bürgerlichem Recht zulässig; lediglich einige Sondergesetze verstreuter Art schließen ebenfalls die Aufrechnung aus, vgl. z. B. §§ 66 AktG, 19 GmbHG (Grundsatz der Aufbringung und Erhaltung des Eigenkapitals). Die Aufrechnung kann aber auch aufgrund der Eigenart oder der Umstände des Vertrags ausgeschlossen sein. So soll z. B. die Aufrechnung einer Bank gegen eine Guthabenforderung ihres Kunden dann ausgeschlossen sein, wenn sie ihre Gegenforderung allein zu diesem Zweck in nicht banküblicher Weise erworben hat, BGH NJW 87, 2997. 340

8. Bei einer Mehrheit von Forderungen auf der einen oder auf der anderen Seite hat grundsätzlich der aufrechnende Teil die Vorhand der Bestimmung, welche Forderungen gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Wird die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt, oder widerspricht der andere Teil unverzüglich, so finden die Vorschriften der §§ 366 II, 367 entsprechende Anwendung, 396. Der Charakter der Aufrechnung als Erfüllungsersatz wird hier besonders deutlich.

IV. Erlass, § 397 Bernard, Rechtsfragen des Forfaitierungsgeschäfts, 1991 (regresslose Finanzierung); Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 1983, § 16; Knoche, D., Die sog. „Verzichtswirkung“ der Entlastung im privaten und im öffentlichen Recht, 1995; Peter, AcP 200 (2000) 149; Seetzen, Der Verzicht im Immaterial-Güterrecht, 1969; Walsmann, Der Verzicht, 1912.

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1. Das Schuldverhältnis erlischt, wenn der Gläubiger dem Schuldner die Schuld durch Vertrag erlässt, 397 I. Ein einseitiger Verzicht auf eine Forderung ist wirkungslos (zu den Ausnahmen bei Auslobung und Vermächtnis oben Rdn. 72), doch ist § 151 zu prüfen. Dabei stellt sich das Problem der „Erlassfalle“. Übersendet der Schuldner einen Scheck über einen Teilbetrag seiner Schuld mit dem Zusatz, dass er bei Einlösung des Schecks von der Erledigung des Schuldverhältnisses ausgeht, darf nicht bereits in der Einlösung des Schecks durch den Gläubiger die Annahme nach § 151 des Angebots auf Abschluss eines Erlassvertrags gesehen werden. Der Gläubiger hat ein Interesse an der Einlösung, ohne damit notwendigerweise auf den Rest seiner Forderung verzichten zu wollen. Es ist deshalb genau zu prüfen, ob sich aus dem Verhalten des Gläubigers in Verbindung mit den Gesamtumständen eine Betätigung des Annahmewillens ergibt. Bei deutlichem Unterschied zwischen der geschuldeten Summe und dem Abfindungsbetrag ist dies regelmäßig zu verneinen (BGH NJW 2001, 2324). Forfaitierung bedeutet vereinbarten Verzicht, also Erlass, regelmäßig unter Entstehung von Rückgriffsansprüchen, BGHZ 126, 261 Wechselforfaitierung –. Gegen seinen Willen soll niemand aus der Schuld entlassen werden. Das ist u. a. auch aus steuerlichen Gründen wichtig, da sonst der Gläubiger durch einseitigen Verzicht dem Schuldner evtl. höhere Steuern aufbürden könnte.

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2. Was zu dem Erlass gesagt ist, gilt ebenso für das negative Schuldanerkenntnis i. S. des § 397 II; vgl. dazu §§ 780, 781 und unten § 98, ferner BGH WM 82, 671. 3. Der Erlass ist, ebenso wie die Leistung an Erfüllungs statt, die Hinterlegung mit Rücknahmeverzicht und die Aufrechnung eine Verfügung über den Anspruch des Gläubigers. Als Verfügung ist der Erlass abstrakt (jede Verfügung ist abstrakt). Das bedeutet, dass der Schuldner keinen Rechtsgrund für den Erlass zu behaupten und zu beweisen braucht, wenn streitig ist, ob eine Schuld wirksam erlassen wurde. Nur der Erlass selbst ist vom Schuldner zu beweisen. Allerdings kann man um einen Erlass ungerechtfertigt bereichert sein, 812 I 1. Davon gilt wieder eine Ausnahme, wenn der Erlass untrennbarer Bestandteil eines kausalen und deshalb nicht kondizierbaren Vertrags ist (z. B. Vergleich, Schuldumschaffung), vgl. Kübler, Feststellung u. Garantie 1967, 146.

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Erfüllungsersetzungen

§ 39 VI

Der schenkweise Erlass ist Vollzug, so dass die Formvorschrift des § 518 I nicht gilt, eine Rückforderung also nicht auf den Mangel der Form gestützt werden kann. A schuldet B 1.000,– Euro. Nach längerem Mahnen verspricht A, sofort zu zahlen, worauf ihm B 100,– Euro nachlässt. A tilgt aber, entgegen dem Tilgungsabkommen, doch nur ratenweise. Der Erlass erfolgte im Hinblick auf das Versprechen des A, den Rückstand auf einmal zu bezahlen. Dieser mit dem Erlass bezweckte Erfolg ist nicht eingetreten, so dass der Gläubiger B den Erlass nach § 812 I 2 kondizieren kann. Er kann also von A verlangen, dass die frühere Forderung wiederhergestellt wird (Neubegründung, ggf. formgebunden!). Der Gläubiger B kommt also hier wegen der Abstraktheit des Erlasses zu einem Ziel, das er über die Irrtumsanfechtung nicht erreichen könnte (Es handelt sich nur um einen Motivirrtum). B hätte den Erlass auch an die Bedingung sofortiger Zahlung knüpfen können. Dann wäre der Erlass hinfällig geworden, es hätte der Neubegründung nicht bedurft.

V. Aufhebungsvertrag, 311 I Bengelsdorf, DB 1997, 874; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 1983, § 17; Happek, ArchBürgR 35, 404; Reinicke/Tiedtke, NJW 82, 2281; Schmidt/Futterer, MDR 71, 13.

Jedes Rechtsverhältnis kann aufgrund der Vertragsfreiheit durch Aufhebungsvertrag wieder beseitigt werden. Der Aufhebungsvertrag ist dem Vertragserlass in seiner Natur verwandt. Doch beruht ein Aufhebungsvertrag meist auf beiderseitigem Interesse. Der Erlass betrifft meist eine Einzelforderung, der Aufhebungsvertrag i. d. R. das ganze Schuldverhältnis i. w. S. Rechtlich handelt es sich häufig auch dort um Aufhebungsverträge, wo die Praxis von Kündigung spricht. Wenn einem Arbeitnehmer gekündigt wird und der Arbeitnehmer von vornherein oder gleichzeitig mit der Kündigung einverstanden ist, ist im Rechtssinne nicht gekündigt, sondern ein Aufhebungsvertrag über das Dienstverhältnis geschlossen worden. Nachträgliche Zustimmung kann aus einer Kündigung keinen Aufhebungsvertrag machen, aber ein gekündigter Vertrag kann, solange er noch läuft, aufgehoben werden. Der Aufhebungsvertrag ist das Gegenstück zu dem Vertrag, der aufgehoben werden soll. Alles, was für diesem gilt, gilt auch für jenen, doch ist er grundsätzlich formlos (bei Grundstücksrückübertragungspflicht ist aber § 311b I zu beachten). Darum ist der Aufhebungsvertrag, im Unterschied zum Erlass, auch nicht abstrakt. Er trägt seinen Rechtsgrund in sich und kann nicht kondiziert werden. Anfechtung, cic, Geschäftsgrundlageregeln usf. bleiben.

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VI. Sonstige Erlöschensgründe, insb. die Konfusion Dacke, Der Untergang des Schuldverhältnisses durch Konfusion, 1933; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 1983, § 19; Kohler, JZ 83, 13; Wacke, JZ 2001, 380.

Wie oben Rdn. 311 erörtert, kann ein Schuldverhältnis auch erlöschen, ohne dass das Gläubigerinteresse befriedigt wird. Einer näheren Darstellung bedarf hier nur die Konfusion. Von Konfusion spricht man, wenn sich Forderung und Schuld in einer Person vereinigen: der Sohn schuldet dem Vater und beerbt ihn allein. Durch Konfusion geht eine Forderung unter, wenn nicht das Gesetz etwas anderes vorschreibt, z. B. 1976. Das sachenrechtliche Gegenstück ist die Konsolidation, nämlich die Vereinigung von Berechtigung und Belastung in einer Person. Bei beweglichen Sachen führt sie i. d. R. zum Untergang des beschränkten Rechts; bei unbeweglichen Sachen bleibt dieses bestehen, § 889. Die Bildung von Sondervermögen hindert die Konfusion, auch wenn Vermögensträger und Schuldner personengleich sind, BGH NJW 67, 2399. Hier entscheidet eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Ebenso steht selbstverständlich die Änderung der Zuordnung (Begründung von Gesamthandsvermögen u. a.) der Konfusion entgegen.

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§ 40 II

Beendigung von Schuldverhältnissen

§ 40 Inhaltsänderung, Schuldersetzung, Vergleich (Gleichzeitige Beendigung und Begründung von Schuldverhältnissen) Blume, Novation, Delegation und Schuldübernahme, 1895; Boekelmann, FS Fr. Weber, 1975, 101; Bonin, Der Prozeßvergleich, 1957; Bork, Der Vergleich, 1988; Ebel, Berichtigung, transactio und Vergleich, 1978; Esser, FS H. Lehmann, Bd. II, 1956, 713; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 1983, § 18; Häsemeyer, ZZP 108 (1995) 289; Hedemann, Der Vergleichsirrtum, 1903; Klein, Vertragliche Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses, 1907; Kniffka, JuS 90, 969; Kübler, Feststellung und Garantie, 1967; Lehmann, Heinrich, Der Prozeßvergleich, 1911; Maier, G. H., Novation RvglHandwbBg 5, 1936, 451; Schäfer, Das Abstraktionsprinzip beim Vergleich, 1992; Schmiedel, FS v. Caemmerer, 1978, 231; Schnorr v. Carolsfeld, Beiträge zur Lehre vom Vergleich, 1929; Siber, Schuldrecht 1931, 387; Tempel, FS Schiedermair, 1976, 517.

I. Inhaltsänderung 345

1. Der Inhalt eines Schuldverhältnisses kann von den Parteien zu jeder Zeit durch einen Vertrag geändert werden, Abänderungsvertrag. Die Rechtsgrundlage ist wie beim Aufhebungsvertrag § 311 I (Vertragsfreiheit). Auch die vertragliche Vereinbarung, ein Vertrag solle nicht geändert werden, kann aufgehoben oder geändert werden. Eine Rückwirkung der Inhaltsänderung kann, muss aber nicht vereinbart sein. Die Gesellschafter können ihre Beiträge rückwirkend oder für die Zukunft erhöhen, Löhne können rückwirkend oder für die Zukunft erhöht werden usw. 2. Werden durch die Inhaltsänderung Leistungen herabgesetzt, liegt teilweiser Erlass vor, 397. Insoweit stellt die Inhaltsänderung zugleich eine Verfügung dar. Werden neue Leistungspflichten begründet, bildet die Inhaltsänderung zugleich ein Verpflichtungsgeschäft. Abänderungsverträge können also zugleich Verpflichtungen und Verfügungen enthalten, vgl. Larenz I § 7 II. Die Verpflichtungen können die Rechtsgründe für die Verfügungen liefern, so dass die Erlassbestandteile kondizierbar sind, str. 3. Bedeutsam wird die Zerlegung der Inhaltsänderung in ihre Bestandteile, wenn am Vertrag ein Minderjähriger beteiligt ist, 107. Soweit die Inhaltsänderung zu einem rechtlichen Vorteil des Minderjährigen führt, ist sie wirksam, andernfalls nicht. Zu prüfen ist jedoch dann § 139, wonach grundsätzlich ganz nichtig ist, was teilweise nichtig ist. 4. Nichtigkeit des abzuändernden Vertrags führt in der Regel zur Nichtigkeit des geänderten, BGHZ 28, 166. Doch kann im ändernden Vertrag eine Bestätigung (§ 141) liegen.

II. Schuldersetzung 346

1. Der Inhaltsänderung nahe verwandt ist die Schuldersetzung. Bei der Inhaltsänderung bleibt das alte Schuldverhältnis, wenn auch verändert, bestehen. Bei der Schuldersetzung geht das alte Schuldverhältnis gänzlich unter, ein neues wird an seine Stelle gesetzt (Novation, Schuldumschaffung). Da nach § 364 II bei Begründung einer neuen Forderung zur Tilgung einer alten im Zweifel eine Leistung erfüllungshalber anzunehmen ist, die alte Forderung also nicht erlischt, muss in solchen Fällen eine Novation ausdrücklich vereinbart werden, BGH NJW 86, 1490. Wird bei der Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 I; oben Rdn. 322 ff) eine neue Schuld an die Stelle der alten gesetzt und bleibt der Schuldner der gleiche, lässt sich dieser Anwendungsfall von § 364 I von der Schuldersetzung kaum noch unterscheiden.

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Inhaltsänderung, Schuldersetzung, Vergleich

§ 40 III

2. Hieraus ergeben sich zwei wichtige Folgen. Während bei der Inhaltsänderung Sicherungsrechte bestehen bleiben, gehen bei der Schuldersetzung Sicherungsrechte mit dem alten Schuldverhältnis unter. Ebenso können Einwendungen aus dem alten Schuldverhältnis gegen das neue nicht mehr geltend gemacht werden soweit der bedungene Einwendungsausschluss sich erstreckt. Demzufolge ist die Novation je nach Vereinbarung mehr „abstrakt“ oder „kausal“; BGHZ 28, 166 (Beispiel „kausaler“ Novation). Kaufmann K führt bei der X-Bank ein laufendes Konto. Täglich kommen neue Posten hinzu, neue Belastungen werden abgebucht. Ein solches Kontokorrentverhältnis wird rechtlich als Darlehen in beiden Richtungen gedeutet, § 488. Am Jahresende teilt die X-Bank dem K einen Habensaldo von 4.328,75 Euro mit und lässt ihn sich „Irrtum vorbehalten“ von K schriftlich bestätigen. Kann die Bank, wenn K erneut ins Soll gerät, einen Bürgen in Anspruch nehmen, der sich im Vorjahr für K verbürgte, als er einmal mit 5.000,– Euro ins Soll geraten war? Man hat es zu verneinen, wenn in der Kontobestätigung eine Novation erblickt wird. Die h. M. nimmt dies für den Zweifelsfall an.1 Die Kontokorrentabrechnung ist demnach ein Beispiel der Schuldersetzung. Die Banken helfen sich dadurch, dass Bürgschaften auch für künftige Debetsalden eingegangen werden, oder dass ein eigenes Bürgschaftskonto neben dem laufenden Konto angelegt wird (Avalkonto). Zu unterscheiden von dem hier gemeinten Saldenanerkenntnis ist die Beendigung des Kontokorrentverhältnisses ohne Anerkenntnis, BGH NJW 68, 33. Bis zur novierenden Wirkung des Kontokorrent-Saldenanerkenntnisses wird die Verjährung von Forderungen während der laufenden Rechnungsperiode gehemmt, BGHZ 51, 346. Beim kaufmännischen Kontokorrent kann sich der Gläubiger trotz Anerkennung des Rechnungsabschlusses aus der Bürgschaft oder einer anderen Sicherung Befriedigung suchen, 356 HGB. Auch Einwendungen erlöschen mit der Novation, soweit dies von den Parteien nicht anders gewollt ist (Auslegung): K hatte noch im Vorjahr behauptet, die Bank hätte ihm 5 Euro zu viel Spesen berechnet. Einen Einwand der Nichtschuld kann er nach der Kontobestätigung nicht mehr erheben.

3. Andere Beispiele für die Novation enthalten die §§ 780, 781 (siehe dazu unten § 98):

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Eine abstrakte Schuld kann eine frühere kausale oder abstrakte ersetzen. Dann hängt der Bestand der neuen Verbindlichkeit nicht von der alten ab („abstrakte Novation“), aber Kondiktion der neuen Verbindlichkeit nach § 812 II ist möglich. Der Prolongationswechsel ist die Vereinbarung zwischen Wechselgläubiger und Wechselschuldner, dass ein neuer Wechsel an die Stelle des alten treten solle (der Wechsel selbst wird dagegen regelmäßig erfüllungshalber gegeben [364 II], oben Rdn. 323). Wenn ein Schuldverhältnis das andere ablöst, ist sorgfältig zu prüfen, ob eine Leistung an Erfüllungs statt, eine Novation oder nur die Begründung einer neuen Verbindlichkeit neben einer bestehen bleibenden Schuld gemeint ist, 364 II. Ein Kriterium bietet der Befriedigungszweck i. S. d. § 364 II, der im Gläubigerinteresse für die Anwendung von § 364 II spricht.

III. Vergleich, § 779 1. Ähnlich dem Abänderungsvertrag und der Novation ist der Vergleich, 779. Er ist, ebenso wie die Vorlegung von Sachen (809 ff), statt im Allgemeinen im Besonderen Schuldrecht geregelt. Unter einem Vergleich versteht man den Vertrag, durch den ein Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis unter den Parteien im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird; zum Begriff vgl. BGHZ 1, 57. Es reicht, dass die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist, 779 II. Rechtsverhältnisse jeder Art genügen (z. B. auch einseitige Willenserklärungen, BGHZ 26, 236), Nachgeben jeder Art reicht aus. Ein Nachgeben ist auch der Verzicht auf die gerichtliche Feststellung eines Rechts, das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht besteht. Schon ein Anerkenntnis kann als Nachgeben angesehen werden, weil die Unsicherheit der Rechtsverwirklichung nach § 779 genügt und das Anerkenntnis die Verwirklichung sichert, BGHZ 39, 60, 63.

1 BGHZ 26, 150; 84, 376.

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§ 40 III

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Beendigung von Schuldverhältnissen

Ganz einseitiges Nachgeben allerdings ist kein Vergleich, sondern ein Anerkenntnis (781) oder ein Feststellungsvertrag (Enn/Lehmann, § 198 I 2). Der Vergleich ist grundsätzlich formfrei, vgl. auch 782. Die Vorschrift des § 311b I macht den Vergleich formbedürftig. 2. Die Rechtsnatur des Vergleichs ist streitig. Die früher herrschende Meinung misst dem Vergleich nur obligatorische Wirkung bei.2 Der Vergleich ist danach Kausalgeschäft: erfüllt wird er je nach seinem Inhalt z. B. durch Erlass (397), Übereignung (929), Zession (398) oder durch andere Verfügung. Ist der Vergleich nichtig oder angefochten oder wegen „Mangels“ oder „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ unwirksam, sind die den Vergleich erfüllenden Verfügungen als ungerechtfertigte Bereicherungen rückgängig zu machen, 812 I 1. A behauptet, er schulde B 50.000,– Euro, B sagt, es seien 60.000,– Euro. Sie einigen sich auf 55.000,– Euro und darauf, dass A diesen Betrag innerhalb von 3 Monaten zu zahlen hat. Nach h. M. hatte sich B also verpflichtet, 5.000,– Euro zu erlassen, also noch einen Erlassvertrag i. S. des § 397 zu schließen. A andererseits verpflichtete sich, 55.000,– Euro als geschuldet anzuerkennen, 781, also noch ein Schuldanerkenntnis abzugeben. Nach dieser Meinung muss also der Vergleich noch durch Verfügungen als Erfüllungsgeschäfte ergänzt werden, die freilich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vergleich geschlossen werden können. Das wird den Parteien häufig überraschend erscheinen.

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Überzeugender ist eine im Vordringen begriffene Ansicht 3, nach welcher der Vergleich die erforderlichen Verfügungen zugleich in sich enthält. Erlass und Anerkenntnis sind danach Bestandteile des Vergleiches. Im gegebenen Beispiel sind also 5.000 Euro erlassen, die 55.000 Euro anerkannt worden, ohne dass es einer Bezugnahme auf §§ 397, 781 bedarf. Man hat nach dieser Auffassung allerdings zu berücksichtigen, dass den im Vergleich enthaltenen Verfügungen eine obligatorische Einigung zugrunde liegen muss; sonst fehlt dem Vergleich der Rechtsgrund (§ 812 I). Soweit in einem Vergleich neue Pflichten eingegangen werden, handelt es sich um einen inhaltsändernden Vertrag. Dies würde im gegebenen Beispiel für die 3-Monats-Klausel hinsichtlich der Tilgung gelten. Insoweit enthält der Vergleich ein weiteres Verpflichtungsgeschäft, das neue Verbindlichkeiten erzeugt (oben Rdn. 345), vgl. OGHZ 3, 20. Nach beiden Theorien bleibt aber die alte Schuld, über die der Vergleich geschlossen wird, dem Grunde nach bestehen. Novation tritt nicht ein. Sicherungsrechte und Einwendungen bleiben demnach erhalten. Der Vergleich „verkürzt“ nur die bestehenden Rechte. Die Parteien können aber vereinbaren, dass der Vergleich die alte Schuld beseitigen soll. Dann liegt Schuldumschaffung vor (oben Rdn. 346). 3. Der Vergleich kann aus folgenden Gründen nichtig, anfechtbar oder unwirksam sein: a) Es gelten die allgemeinen Nichtigkeitsgründe, z. B. 134, 138, 125; vgl. BGHZ 17, 61 (zu 134). Gegen § 1 GWB verstößt ein Vergleich, wenn der Anspruch auf Unterlassung von Wettbewerb, über den der Vergleich stattfindet, kartellrechtswidrig begründet wurde oder wenn sich die Wettbewerbsbeschränkung außerhalb des Vergleichsgegenstandes befindet; BGHZ 65, 147 (noch zu zurückhaltend). b) Ferner gelten die allgemeinen Anfechtungsgründe, namentlich wegen Irrtums über die Erklärungshandlung, über den Erklärungsinhalt und über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache als ausnahmsweise erheblicher Motivirrtum, 119 I, II. Inhaltsirrtum liegt z. B. vor, wenn jemand erklärt, vergleichsweise auf sein „Ankaufsrecht“ verzichten zu wollen, wenn er darunter irr-

2 Staudinger/Brändl, § 779, Rdn. 9. 3 Larenz, I § 7 IV; Esser/Weyers, § 42 III 2c; Siber, 387.

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Vorbemerkung

§ 41

tümlich nur die das Ankaufsrecht sichernde Vormerkung, nicht aber den Anspruch aus § 433 I 1 versteht, vgl. BGHZ 1, 57. Auch § 123 (argl. Täuschung) gilt.

c) Zusätzlich zu § 119 gibt § 779 einen Nichtigkeitsgrund für den Fall eines bestimmten doppelseitigen Motivirrtums: Wenn der Sachverhalt, den die Parteien nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend dem Vergleich zugrunde gelegt haben, der Wirklichkeit nicht entspricht, ist der Vergleich nichtig, wenn die Kenntnis der wahren Sachlage den Streit oder die Ungewissheit verhindert hätte, 779. § 779 betrifft den als unstreitig angenommenen Sachverhalt (caput non controversum). Irren sich die Vergleichenden über das Vorliegen des Streits oder der Ungewissheit (caput controversum), gilt § 779 nicht. Auch § 119 II ist dann sinngemäß ausgeschlossen. A streitet sich mit B, ob er B 500,– oder 600,– Euro schuldet. Sie schließen einen Vergleich auf 550,–. Dann stellt sich heraus, dass A überhaupt nichts schuldete. Der Vergleich ist nach § 779 I unwirksam. Denn sie waren sich einig, dass mindestens eine Schuld von 500,– bestand. Das aber traf nicht zu. – Der Vergleich bleibt aber wirksam, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Forderung 520,– betrug. Denn insoweit irrten sie sich über das Vorliegen einer Ungewissheit. Das caput controversum ist also der Bereich zwischen 500,– und 600,–. Das caput non controversum sind die Bereiche unter 500,– und über 600,–: Insoweit gilt die Unwirksamkeit gem. § 779 I. d) Dann kann aber immer noch die Berufung auf den Vergleich eine unzulässige Rechtsausübung sein, weil z. B. ein falscher Wertmaßstab gewählt wurde, oder ein als bestehend vorausgesetztes Rechtsverhältnis gefehlt hat oder weggefallen ist, 242, oben Rdn. 208ff. Dann ist der Vergleich wegen Unzumutbarkeit insoweit unwirksam, RG 152, 403; 153, 356; JW 37, 2036; OLG Köln, VersR 88, 520. Aus dem Bereich des Vergleichsrechts und der Unwirksamkeitsgründe eines Vergleichs regelt § 779 also nur einen Sonderfall, und zwar einen gesetzlich geregelten Fall der clausula rebus sic stantibus. § 779 ist ein Anwendungsfall der subjektiven Geschäftsgrundlage (s. § 313 II und oben Rdn. 230). Geldentwertungen fallen grundsätzlich nicht unter § 779, BGHZ 2, 379 (381) – Abfindung eines unehelichen Kindes vor 1945 –. Hiervon müssen aber Ausnahmen nach allgemeinen Regeln bestehen (oben Rdn. 235ff). 4. Von Bedeutung ist der Vergleich im Prozess. Die Natur des Prozessvergleichs ist streitig. Die herrschende Meinung versteht ihn weder rein materiellrechtlich noch rein prozessual, sondern nimmt an, dass der Prozessvergleich ein Vertrag gemäß § 779 ist, der zugleich den Charakter einer Prozesshandlung hat und die Rechtshängigkeit des Anspruchs beseitigt, Esser/Weyers § 42 III 3; BGHZ 16, 388 (390). Die Rechte aus einem Prozessvergleich sind mit materiellrechtlicher Wirkung verzichtbar, doch können dadurch die verfahrensrechtlichen Folgen nicht mit der Wirkung beseitigt werden, dass der Prozess fortgesetzt werden darf, BGHZ 41, 310; 79, 71; 86, 184; vgl. auch 86, 160.

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5. Abschnitt

Leistungsstörungen § 41 Vorbemerkung Der 1. Abschnitt behandelte das Wesen, der 2. die Begründung, der 3. den Inhalt und der 4. die Beendigung von (ungestörten) Schuldverhältnissen. Es war das Schicksal eines normal enttandenen und ungestört abgelaufenen Schuldverhältnisses, das bisher im Vordergrund stand: Sein Beginn, sein Inhalt, sein Ende.

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Leistungsstörungen

Nicht jedes Schuldverhältnis nimmt diesen normalen Verlauf, d. h. im Besonderen: Nicht jedes wird ordnungsgemäß erfüllt. Zwischen Begründung und ordnungsgemäßer Erfüllung kann sich eine Störung einstellen, die eine ordnungsgemäße Erfüllung verhindert. Dies ist dann eine „Leistungsstörung“. Leistungsstörung ist kein gesetzlicher Begriff. Unter diesem Begriff werden alle Tatbestände zusammengefasst, bei denen es an einer ordnungsgemäßen Abwicklung des Schuldverhältnisses fehlt (begriffsbildend Heinrich Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936). Durch die Leistungsstörung nimmt das Schuldverhältnis einen anderen Gang als geplant. Es tritt Inhaltsänderung kraft Gesetzes (nicht kraft Vertrags, s. o. Rdn. 345) ein. Z. B kann nach Eintritt der Störung anstelle oder neben der Erfüllung Schadensersatz geschuldet werden. In diesem 5. Abschnitt wird der Gesichtskreis des normal ablaufenden Schuldverhältnisses um das „krank gewordene“, leistungsgestörte Schuldverhältnis erweitert. Immer aber handelt es sich bei diesen normal oder anomal ablaufenden Schuldverhältnissen um solche zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner. Auch diesen Gesichtskreis kann und muss man noch erweitern, und zwar sogar zweimal: Einmal durch Gläubiger- und Schuldnerwechsel, also durch Einführung (einzelner) neuer Gläubiger und Schuldner (darüber der 6. Abschnitt), zum andern durch Beteiligung mehrerer Gläubiger und Schuldner zugleich an einem Schuldverhältnis (darüber der 7. Abschnitt).

§ 42 Begriffe und Arten der Leistungsstörungen Mommsen, Friedrich, Beiträge zum Obligationenrecht I: Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einflusse auf obligatorische Verhältnisse (1853), III: Die Lehre von der mora nebst Beiträgen zur Lehre von der culpa (1855); Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen (1936). – Huber, U., Leistungsstörungen I, II (1999); Schur, Leistung und Sorgfalt (2001); Sessler, Die Lehre von den Leistungsstörungen (1994). Zum neuen Recht: Altmeppen, DB 2001, 1131; ders., DB 2001, 1399; ders., DB 2001, 1821; Arnold, JZ 2002, 866; Canaris, JZ 2001, 499; ders., DB 2001, 1815; ders., ZRP 2001, 329; ders., in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht (2002); DaunerLieb/Thiessen, DStR 2002, 809; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl. (2005); Grundmann, AcP 204 (2004) 569; U. Huber, ZIP 2000, 2137; ders., ZIP 2000, 2273; Kindl, WM 2002, 1313; S. Lorenz, JZ 2001, 742; Mattheus, JuS 2002, 209; Medicus, JuS 2003, 521; Motsch, JZ 2001, 428; Otto, Jura 2002, 1; Reichenbach, Jura 2003, 512; Reischl, JuS 2003, 40 (Grundfälle mit zahlreichen Fortsetzungen); Senne, JA 2002, 424; Stoll, JZ 2001, 589; Sutschet, NJW 2005, 1404; Teichmann, BB 2001, 1485; von Wilmowsky, JuS, Beilage zu Heft 1/2002, 3*; Ziegler/Rieder, ZIP 2001, 1789; Zimmer, NJW 2002, 1; sowie das oben unter § 3 2c) aufgeführte Schrifttum zur Schuldrechtsmodernisierung.

I. Kennzeichnung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1. 1. 20021 353

1. Bis zum Ablauf des Jahres 2001 war das Recht der Leistungsstörungen im BGB nur unvollständig geregelt. Im Grundsatz wie im Einzelnen war vieles streitig. Die zentralen Kategorien des allgemeinen Leistungsstörungsrechts waren die Unmöglichkeit 1 Bekanntmachung der Neufassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs v. 2. 1. 2002 (BGBl. I 42).

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Begriffe und Arten der Leistungsstörungen

§ 42 I

und der Verzug, hinzu trat die Mängelhaftung des besonderen Schuldrechts, insbesondere im Kauf-, Miet- und Werkvertragsrecht. Schon kurz nach Inkrafttreten des BGB (1. 1.1900) hatte Hermann Staub die These aufgestellt, dass diese Rechtsinstitute das Feld der Leistungsstörungen nicht vollständig abdecken. An Beispielen aus dem Dienstvertrags- und Gesellschaftsrecht (wo die romanistische Mängelhaftung jeweils fehlt) wies Staub das Bedürfnis nach einer allgemeinen Kategorie von „positiven Vertragsverletzungen“ nach.2 Hiermit sollten Störungen des Schuldverhältnisses erfasst werden, die weder als Unmöglichkeit noch als Verzug begriffen werden können, und die auch nicht in den Anwendungsbereich der Mängelgewährleistung fallen. Der zur Bilanzaufstellung verpflichtete Gesellschafter rechnet falsch und veranlasst die Mitgesellschafter hierdurch zu nachteiligen Geschäften. Die verkauften Äpfel sind faul und stecken andere an. Bei der gemieteten Waschmaschine fehlt die Gebrauchsanweisung, der Mieter weiß mit ihr nicht umzugehen.

Staub stellte die These auf, dass der Schuldner für positive Vertragsverletzung ebenso einzustehen habe wie für Unmöglichkeit und Verzug. 2. Die Lehre von der positiven Vertragsverletzung (pVV) setzte sich in Rechtsprechung und dem ganz überwiegenden Teil der Lehre durch.3 Nachdem das RG die positive Vertragsverletzung noch unmittelbar aus § 276 abgeleitet hatte,4 wurde sie vom BGH und der h. L. auf eine Analogie zu den Regeln über Unmöglichkeit und Verzug gestützt (§§ 280, 286, 325, 326 a. F.).5 Unabhängig von einer ausdrücklichen Grundlage im BGB erlangte die Lehre den Status von Gewohnheitsrecht.6 Auch wenn die Lehre von der „positiven Vertragsverletzung“ damit allgemeine Geltung hatte, war ihr Name unglücklich gewählt: Es wurde bald anerkannt, dass nicht nur „positives“ Tun, sondern auch ein Unterlassen die Haftung auslösen konnte. Außerdem war das Rechtsinstitut nicht lediglich auf Vertragsverletzungen anwendbar, sondern erfasste beispielsweise auch die Verletzung einer Pflicht aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis. Weitgehend synonym wurden deshalb die Begriffe der „positiven Forderungsverletzung“ (pFV), „Schlechtleistung“ oder „Schlechterfüllung“ verwendet.7 3. Die pVV war damit der Auffangtatbestand für alle Leistungsstörungen, die nicht (ausschließlich) Unmöglichkeit oder Verzug waren, und die auch nicht von der Mängelgewährleistung bestimmter Vertragstypen (Kauf, Tausch, Schenkung, Miete, Pacht, Leihe, Werk- und Reisevertrag) erfasst wurden. Die Kennzeichnung als Auffangtatbestand stand in direktem Gegensatz zur großen Bedeutung des Rechtsinstituts: Die Schlechterfüllung wurde neben dem Verzug und vor der weitgehend bedeutungsarmen Unmöglichkeit das wichtigste Institut des allgemeinen Leistungsstörungsrechts. Die pVV wurde deshalb auch als der „Grundtatbestand“ der Vertragsverletzungen bezeich-

2 Staub, Die positiven Vertragsverletzungen und ihre Rechtsfolgen, FS für den XXVI. DJT, 1902, 29; ders., Die positiven Vertragsverletzungen, 1904. Zu Staub s. Heinrichs/Franzki/Schmalz/Stolleis Deutsche Juristen jüdischer Herkunft (1993) 385 ff. 3 Teilweise wurde allerdings angenommen, dass sich die Fälle der positiven Vertragsverletzung unter den Begriff der Teilunmöglichkeit fassen lassen, s. Himmelschein, AcP 135 (1932) 255. 4 RGZ 66, 291; 106, 25. 5 BGHZ 11, 80 (83). 6 Art. 2 EGBGB. Diesen Status stellte Philipp Heck bereits 1929 fest (Grundriss des Schuldrechts, 119), wollte die einschlägigen Fälle aber noch auf die beiden Gruppen Unmöglichkeit und Verzug aufteilen. 7 Zu den Bedeutungsunterschieden nach altem Recht s. 9. Aufl. Rdn. 310, 313.

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Leistungsstörungen

net.8 Die Tatsache, dass die Grundkategorie des Leistungsstörungsrechts im Wege der Analogie geschaffen werden musste, machte die Reformbedürftigkeit des BGB besonders deutlich. Ebenfalls im Gesetz nicht geregelt war die culpa in contrahendo (c. i. c., Verschulden bei Vertragsanbahnung) und die Lehre von der Geschäftsgrundlage. Der Rechtsprechung kam also nicht nur die Aufgabe zu, das geltende Recht auszulegen und im einzelnen Fall zu ergänzen. Vielmehr beruhten grundlegende Strukturprinzipien des geltenden Leistungsstörungsrechts auf Richterrecht.9 4. Noch gravierender waren sachfremde Regelungen oder Wertungswidersprüche im Gesetz. Das BGB i. d. F. von 1900 unterschied anfängliche objektive Unmöglichkeit der Leistung (niemand kann von vornherein leisten), anfängliche subjektive Unmöglichkeit (= Unvermögen) (nur der Schuldner kann von vornherein nicht leisten), nachträgliche objektive Unmöglichkeit (niemand kann wegen eines nach Vertragsschluss eingetretenen Umstandes leisten) und nachträgliche subjektive Unmöglichkeit (nur der Schuldner kann wegen eines nach Vertragsschluss eingetretenen Umstandes nicht mehr leisten). Das ergab zwar ein sinnvolles System, das auch dem durch das SMG geänderten deutschen Schuldrecht noch zugrunde liegt, aber die Rechtsfolgen waren widersprüchlich geregelt: Gem. § 306 a. F. war der auf eine objektiv unmögliche Leistung gerichtete Vertrag nichtig. Eine Regelung für das Unvermögen, also die anfängliche subjektive Unmöglichkeit fehlte.10 Die nachträgliche objektive und subjektive Unmöglichkeit berührte die Wirksamkeit des Vertrags nicht. Bei anfänglicher Unmöglichkeit kamen lediglich Schadensersatzansprüche auf das negative Interesse in Frage, während bei nachträglicher Unmöglichkeit auf das Erfüllungsinteresse gehaftet wurde. Dies hatte zur Konsequenz, dass sich die Haftung des Verkäufers erheblich unterschied, je nachdem, ob die verkaufte Sache zehn Minuten vor oder zehn Minuten nach Vertragsschluss zerstört worden war. Eine solche Differenzierung war nur schwer verständlich. Als unbefriedigend wurde auch angesehen, dass Rücktritt und Schadensersatz einander ausschlossen, soweit es um das eigentliche Vertragsinteresse geht, so dass manch voreiliger Rücktritt von den Gerichten als „nicht eindeutig“ qualifiziert wurde, um Schadensersatzansprüche auch im Bereich des Vertragsinteresses nicht von vornherein auszuschließen.11 Das Rücktrittsrecht war in den §§ 325, 326 (mit 285) a. F. vom Vertretenmüssen des Schuldners abhängig, während die funktional vergleichbare Wandelung im Kaufrecht verschuldensunabhängig ausgestaltet war. Schließlich war der Anwendungsbereich der pVV im Umfeld des kauf- und werkvertraglichen Mängelgewährleistungsrechts unklar, und ebenso die Anwendung der kurzen oder langen Verjährung auf einen solchen Anspruch.12

8 Palandt/Heinrichs 59, § 276 Rdn. 107. 9 Zur Bedeutung des Richterrechts s. Fikentscher Methoden des Rechts, Bd. III (1976) 728–736, Bd. IV (1977) 129–379; Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht (1996). 10 Canaris ZRP 2001, 329 (331): „Insgesamt ist es den Verfassern des BGB somit nicht einmal ansatzweise gelungen, ein so elementares und offen zu Tage liegendes Problem wie das des anfänglichen Unvermögens […] auch nur halbwegs klar zu lösen.“ 11 S. BGH NJW 1982, 1279 (1280). 12 Näher hierzu im Kaufrecht (unten §§ 68 ff) und Werkvertragsrecht (unten § 84).

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II. Der Umbau des allgemeinen Leistungsstörungsrechts durch die Schuldrechtsmodernisierung 1. Die genannten Schwächen haben den Gesetzgeber dazu veranlasst, das System des Leistungsstörungsrechts umzubauen. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (SMG) wurde versucht, die unter dem früheren Recht bestehenden drei Hauptfälle von Leistungsstörungen, nämlich Unmöglichkeit, Schuldnerverzug und Schlechterfüllung, zu einem einheitlichen Begriff der Leistungsstörung zusammen zu fassen. Er heißt nicht „Leistungsstörung“, sondern – die Voraussetzung dazu ansprechend – „Pflichtverletzung“, § 280. Gemeint ist damit aber nur die Verletzung einer objektiven, auf Vertrag oder Gesetz beruhenden Pflichtenlage, nicht aber auch die persönliche Vorwerfbarkeit dieses Fehlverhaltens. Von Pflichtverletzungen im Sinne vorwerfbaren Fehlverhaltens, also in einem anderen, subjektiven Sinne spricht man bei den Entschuldigungsgründen des Strafrechts und, im Schuldrecht, bei entschuldigenden Pflichtenkollisionen (dazu Rdn. 655; zur Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen, die in schweren Fällen zum Wegfall der Leistungspflicht führen kann, so dass keine Pflichtverletzung möglich ist, s. u. Rdn. 401). Es wäre deshalb glücklicher gewesen, statt von Pflichtverletzungen wie bisher von Leistungsstörungen zu sprechen. Pflichtverletzungen in diesem Sinne betreffen Vertragspflichten, § 241 I und II. Den Vertragspflichten zur Seite stehen die deliktsrechtlichen Verkehrspflichten („duties to take care“), die als freie Verkehrspflichten allerdings nur insoweit sichtbar werden als sie nicht durch § 823 I und II zum Zwecke der deliktsrechtlichen Unrechtsindikation von absolut geschützten Rechtsgütern und Schutzgütern überlagert werden, s. u. Rdn. 1400, 1414. Vertrags- und Verkehrpflichten zusammen machen den Kernbestand des deutschen Schuldrechts aus und schaffen dadurch die Grundlage dafür, dass man in Deutschland überhaupt von einem einheitlichen Schuldrecht sprechen kann (im Unterschied z. B. zur Trennung von contracts und torts im common law). Zum ganzen s. u. § 101. Eine Eigenart des deutschen Schuldrechts, die gelegentlich weder dem Gesetzgeber noch der Rechtsprechung hinreichend bewusst wird, hängt mit dem grundsätzlichen Verhältnis von Vertrags- und Deliktsrecht zusammenhängt (dazu u. § 101): Es gibt Rechtsordnungen, z. B. die – weltweit wohl einflussreichste – französische, die grundsätzlich jeden rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführten Schaden gemäß ihrem Deliktsrecht ersetzen (sog. Generalklauselprinzip, das nach dem Motto „neminem laedere“ – du darfst niemanden verletzen – verfährt). Soweit es um die vertraglich versprochene (Haupt-)Leistung geht, haben in einem solchen System notwendig Vertragsrecht und vertragliches Leistungsstörungsrecht Vorrang (Prinzip des non-cumul, s. u. Rdn. 1545, 1550). Um eine (Haupt-)Leistung handelt es sich, wenn der Dachdecker das Dach fachgerecht decken soll, so dass es dicht ist. Wenn aber anlässlich der Erfüllung eines Vertrags ein Schaden angerichtet wird, der außerhalb der vertraglichen (Haupt-) Leistung liegt, gilt Deliktsrecht: Der Dachdecker lässt versehentlich einen Ziegel auf den Kopf des Auftraggebers fallen. Bei einer solchen Abstimmung von Vertrags- und Deliktsrecht aufeinander, nämlich nach dem Inhalt der (Haupt-)Leistung, taucht das Problem eines den Vertrag begleitenden Interesses des Gläubigers daran, vor Schädigungen durch den Schuldner geschützt zu sein, nicht auf. Das deutsche Deliktsrecht verfährt aber nicht nach dem Generalklauselprinzip. „Neminem laedere“ gilt nicht. Es regelt, ähnlich wie das englische Recht und in beabsichtigtem Unterschied zum französischen Recht, dessen Generalklauselprinzip bei der Bestimmung des Handlungsunrechts und bei Drittschäden in Schwierigkeiten gerät, nur einzelne (wenn auch manchmal weitgespannte) Deliktstatbestände (sog. Enumera-

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tionsprinzip). Für vertragsbegleitende Schädigungen gibt es daher im deutschen Recht oft keinen Ersatz, zumal wenn es sich um reine Vermögensschäden handelt. Da dies zutreffend als ungerecht empfunden wird, schlägt man diese vertragsbegleitenden Schädigungen dem Vertragsrecht und damit im Verletzungsfall dem Recht der Leistungsstörungen zu. Auf diese Weise regelt das BGB im Vertragsrecht, was eigentlich ins Deliktsrecht gehört. Dem BGB-Gesetzgeber war das aber nicht klar. So schloss er z. B. in § 325 I 1 a. F. Schadensersatz neben Rücktritt aus, meinte damit aber freilich nur Schadensersatz wegen Verletzung des vertraglichen (Haupt-)Interesses (Dachdecken). Dem SMG-Gesetzgeber war der Unterschied geläufig, doch hält er sich nicht konsequent daran: § 241 II regelt zwar in deutlicher Weise das über das Interesse an eigentlicher Vertragserfüllung (§ 241 I) hinausgehende Interesse des Gläubigers an gebührender Rücksichtnahme auf die vertragsbegleitenden Interessen. Denn ein Vertrag veranlasst nun einmal die Parteien, mit erhöhter Sorgfalt aufeinander Rücksicht zu nehmen, auch über das eigentliche Interesse an der Erfüllung der (Haupt-)Leistungspflicht hinaus. Der SMG-Gesetzgeber rechnet ersichtlich beide Interessenkategorien zur geschuldeten Leistung zusammen und vertritt damit einen weiten Leistungsbegriff (den auch alle Vorauflagen gegen ein umfangreiches Schrifttum vertraten, vgl. 9. Aufl. Rdn. 31). Das wirkt sich zutreffend auf den Begriff der Leistungsstörung aus: Dieser deckt den gesamten Bereich von § 241 (I und II) ab. Folgerecht ist daher die Gewährung des Schadensersatzanspruchs nach § 282, richtig auch die dortige Zumutbarkeitsschwelle. Die geschilderte, für das deutsche Recht typische „Anreicherung“ von Vertragsrecht mit Deliktsrecht hat, wo sie überhaupt erkannt wurde, im Schrifttum zu zahlreichen Stellungnahmen und Ausdrucksweisen geführt. Am verbreitetesten ist die Unterscheidung von „Haupt-“ und „Nebenpflichten“. Leider wird sie in einer Vielzahl verschiedener Bedeutungen verwendet. Eine genauere Definition ist deshalb erforderlich; ein entsprechender Versuch wurde oben im Pflichtenkapitel unternommen (s. o. Rdn. 35 ff). Der BGH verwendet die Ausdrücke „Erfüllungsinteresse“ und „übererfüllungsmäßiges Interesse“, seit BGHZ 11, 80 – Ouistreham. Das war die Entscheidung, in welcher der BGH die Rechtsprechung des RG zur positiven Vertragsverletzung übernahm. Dieser Ausdrucksweise sind die Vorauflagen gefolgt, s. 9. Aufl. Rdn. 310 Anm. 1 und Rdn. 392. Zuzugeben ist aber, dass das Wort „übererfüllungsmäßig“ den irreführenden Eindruck erwecken kann, es gehe hier um etwas Geschenktes. Späteren Versuchen des BGH, die Unterscheidung mit Hilfe des Begriffs „Mangelfolgeschaden“ in den Griff zu bekommen, war kein Erfolg beschieden, vgl. BGHZ 50, 204; 67, 1 (6). Manche sprachen vom „unmittelbaren“ und „mittelbaren“ Schaden, andere von „direkten Schäden“ und „Weiterungsschäden“. Beides trug zur Verdeutlichung wenig bei. Von Josef Esser stammt die Gegenüberstellung von „Äquivalenzinteresse“ und „Integritätsinteresse“, Esser/Weyers § 6 II 2; Esser/Schmidt § 4 I 1. Aber manche Verträge, z. B. Schenkungen und Aufträge, kommen ohne Vertragsäquivalenz aus, und ob reine Vermögensschäden, um die es ja weithin geht, noch unter Integrität zu begreifen sind, könnte sehr zweifelhaft sein. Medicus unterscheidet heute, indem er zu Recht § 241 n. F. in den Mittelpunkt stellt, Beeinträchtigungen des Leistungsinteresses und „leistungsferne“ Pflichtverletzungen (Grundwissen Rdn. 155 ff). Aber leistungsfern sind die in § 241 II genannten Schutzinteressen gerade nicht, denn sie beruhen auf Vertrag, sind insoweit „vertraglich“ und stehen inhaltlich dem jeweiligen Vertrag näher als einem Delikt (im deutschen Sinne). Vorgeschlagen wird hier ein Rückgriff auf den schon früher eingeführten Begriff des „Begleitschadens“ (z. B. 9. Aufl. Rdn. 898). Demgemäß werden im Folgenden die Ausdrücke „eigentliches Vertragsinteresse“ (kürzer Vertragsinteresse, Vertragsschaden) für die in § 241 I, und „vertragsbegleitendes Interesse“ (kürzer Begleitinte-

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resse, Begleitschaden) für die in § 241 II genannten jeweiligen Kreise vertraglicher Pflichten und ihrer Verletzungen verwendet. Aus den genannten Gründen wurde der Begriff der Pflichtverletzung zur Grundkategorie erhoben. Mit § 280 wurde ein einheitlicher Haftungstatbestand geschaffen, der eine schuldhafte Pflichtverletzung voraussetzt und (zusammen mit den §§ 281– 283) die einzelnen Schadensersatzansprüche für Unmöglichkeit, Verzug und pVV zwar nicht beseitigt, wohl aber koordiniert. § 280 gilt für alle Schuldverhältnisse, ob rechtsgeschäftlich oder gesetzlich (der Verweis in § 346 IV ist deshalb lediglich deklaratorisch). Durch die Verweise in den §§ 437 Nr. 3 und § 634 Nr. 4 gilt die Norm auch für den gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzanspruch im Kauf- und Werkvertragsrecht, wofür im alten Recht spezielle Anspruchsgrundlagen zur Verfügung standen.13 Mit der Einführung eines einheitlichen Haftungstatbestands verfolgte der Gesetzgeber gerade auch das Ziel, eine Angleichung an internationale Vorbilder, insbesondere an das UN-Kaufrecht vorzunehmen.14 Im Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten zum SMG war umstritten, welcher Begriff zur Zentralkategorie des Leistungsstörungsrechts ausgebaut werden sollte. Zum Teil wurde der Begriff der Pflichtverletzung als untauglich angesehen, da beispielsweise bei anfänglicher Unmöglichkeit, bei auf Zufall beruhender nachträglicher Unmöglichkeit oder bei nicht behebbaren Sachmängeln keine Leistungspflichten ersichtlich seien, die verletzt sein könnten.15 Als Alternative wurde deshalb der Begriff der Nichterfüllung vorgeschlagen, der nicht notwendigerweise eine Pflichtverletzung voraussetzt.16 Zugunsten dieser Variante sprach auch die Tatsache, dass die internationalen Modelle überwiegend den Terminus der „Nichterfüllung“ verwenden.17 Teilweise bestand auch grundsätzliche Skepsis gegenüber der Suche nach einem einheitlichen Haftungstatbestand überhaupt.18 Die Schuldrechtskommission hatte sich 1991 zugunsten der Pflichtverletzungsterminologie ausgesprochen.19 Dem schloss sich der Gesetzgeber des SMG an. Der Begriff der Nichterfüllung sei im bürgerlichen Recht anderweitig besetzt und erfasse nur die Fälle, in denen die Leistung ganz oder teilweise auf Dauer ausbleibe. Der Begriff der Pflichtverletzung wecke zwar die Assoziation eines Verschuldenserfordernisses. Er sei aber rein objektiv zu verstehen und von der Frage des Vertretenmüssens streng zu trennen.20 Laut Gesetzesbegründung ist die Entscheidung für die „Pflichtverletzung“ und gegen die

13 Spezielle vertragsrechtliche Schadensersatznormen existieren allerdings noch im Miet- und Pachtrecht (§§ 536a I, 581 II), sowie im Reisevertragsrecht (§ 651 f). Im Interesse systematischer Geschlossenheit sollte der Gesetzgeber diese Normen mit § 280 in ähnlicher Weise verbinden, wie dies im Kauf- und Werkvertragsrecht geschehen ist. 14 GesBegr BT-Drs 14/6040, 86: „Das Konzept des UN-Kaufrechts sollte deshalb bei der Reform des Leistungsstörungsrechts Beachtung finden und kann in vielen Regelungsbereichen als Vorbild dienen.“ 15 Canaris, in: Schulze/Schulte-Nölke Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001) 43 (59 f); Huber, ZIP 2000, 2273 ff; Stoll, JZ 2001, 589 (593). 16 Grundlegend Huber, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.) Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (1981) 647 (699 ff), s. aber auch ders. unten Fn. 18. Ein anderer Vorschlag war „Störung des Schuldverhältnisses“, so Schapp, JZ 2001, 583 (584). 17 S. Kapitel 7 der Unidroit-Principles of International Commerial Contracts; Kapitel 8 und 9 der Principles of European Contract Law („Lando-Kommission“). Im UN-Kaufrecht bauen die Begriffe der „Nichterfüllung“ und der „Vertragsverletzung“ aufeinander auf, vgl. Art. 49 Ia), 73 II CISG. 18 Huber, ZIP 2000, 2273 (2276, 2278 ff); Canaris (oben Fn. 15) S. 60, JZ 2001, 499 (523) plädiert für eine Kombination von Nichterfüllungs- und Pflichtverletzungsterminologie. 19 Abschlussbericht S. 128 ff; grundlegend Diederichsen, AcP 182 (1982) 101 (117 ff). 20 GesBegr BT-Drs 14/6040, 133 ff.

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„Nichterfüllung“ also rein terminologischer Natur und hat keine inhaltlichen Auswirkungen.21 Vom einheitlichen Haftungstatbestand gibt es mit § 311a II eine Ausnahme: Diese Vorschrift enthält eine eigene Anspruchsgrundlage für die anfängliche Unmöglichkeit, die nicht mit § 280 I verknüpft ist.

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2. Bei Unmöglichkeit und Verzug handelt es sich daher um Unterfälle der Pflichtverletzung, für die Sonderregelungen existieren. Während das alte Schuldrecht nach Tatbeständen systematisierte, nämlich Unmöglichkeit, Verzug und (ungeschrieben) pVV, ist das neue Schuldrecht nach der Art der Rechtsfolge gegliedert. Die Normen über Schadens- und Aufwendungsersatz sowie die Herausgabe von Surrogaten finden sich in den §§ 280 ff (und in § 311a), das Rücktrittsrecht im gegenseitigen Vertrag folgt aus den §§ 323 ff. Ein Überblick zeigt: An fünf Stellen werden Unmöglichkeit, Schuldnerverzug und Schlechterfüllung unterschieden: (1) Unmöglichkeit und Verzug als Unterfälle der Pflichtverletzung treten insoweit in Erscheinung, als mit § 311a II eine spezielle Schadensersatznorm für anfängliche Unmöglichkeit besteht, und (2) für die nachträgliche Unmöglichkeit und (3) den Verzug § 280 II und III auf weitere Voraussetzungen verweist. Entsprechend verhält es sich mit dem (4) Rücktrittsrecht in § 323 und § 326 V. (5) Eine Neuerung bringt auch § 325: Rücktritt und Schadensersatz schließen einander nicht mehr aus, sondern können gleichzeitig geltend gemacht werden. Der Begriff der Unmöglichkeit wurde in § 275 einer differenzierten Regelung unterzogen. Die anfängliche Unmöglichkeit hat keinen Einfluss mehr auf die Wirksamkeit von Verträgen. Der Kaufvertrag über eine bestimmte Blumenvase ist auch dann wirksam, wenn die Vase kurz vor Vertragsschluss zu Boden gefallen und vollständig zerstört worden ist. Der Gesetzgeber hat sich nicht mit der Streichung von § 306 a. F. begnügt, sondern in § 311a I ausdrücklich klargestellt, dass anfängliche Unmöglichkeit der Wirksamkeit eines Vertrags nicht entgegensteht. Die Norm erfasst anfängliche objektive und subjektive Unmöglichkeit (= anfängliches Unvermögen). § 311a II sieht für anfängliche (objektive und subjektive) Unmöglichkeit einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch vor, der sich auf das positive Interesse erstreckt. Der Gesetzgeber hat damit den Theorienstreit, der in der Frage der Haftung für anfängliches Unvermögen vor der Schuldrechtsmodernisierung geführt wurde, zugunsten einer Verschuldenshaftung gelöst und damit die These von der strengen oder eingeschränkten Garantiehaftung abgelehnt.22 In den §§ 323, 324, 326 V wird das allgemeine Rücktrittsrecht vom Merkmal des Vertretenmüssens gelöst (im Gegensatz zu den §§ 325, 326 a. F., in denen der Rücktritt ein Vertretenmüssen der anderen Seite voraussetzte). Dahinter steckt der Gedanke, dass das Vertretenmüssen zwar eine sachgemäße Voraussetzung für Schadensersatzansprüche ist. Ein Rücktritt sollte aber schon dann möglich sein, wenn dem Gläubiger bei Ausbleiben der geschuldeten Leistung ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann.23 Dies entspricht auch der Rechtslage im UN-Kaufrecht, wo das Rücktrittsrecht – ohne Rücksicht auf ein Verschulden – an das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung oder an das vergebliche Verstreichen einer Nachfrist geknüpft wird (Art. 49 CISG). Außerdem verzichtet § 323 I auf das Erfordernis der „Ablehnungsandrohung“,

21 In diesem Sinn auch Medicus JuS 2003, 521 (527); a. A. Reichenbach, Jura 2003, 512 ff. 22 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 165; a. A. Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht (2002) 122 ff; Sutschet, NJW 2005, 1404: Garantiehaftung mit Entlastungsmöglichkeit. Zum Theorienstreit nach altem Recht s. 9. Aufl. Rdn. 329 ff. Durchgesetzt hat sich damit letztlich Heck (oben Fn. 6) 141 f. 23 GesBegr BT-Drs 14/6040, 85.

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das nach früherem Recht für den rechtsunkundigen Gläubiger häufig zur Falle wurde (anders § 326 I 1 a. F.). Der Gläubiger hat also lediglich eine „angemessene Frist“ zu bestimmen, ohne dass ein weiterer Hinweis auf den Ernst der Lage hinzugefügt werden müsste. Auch für den Schadensersatz spielt die Ablehnungsandrohung keine Rolle mehr.24 Weitere Änderungen betreffen die gesetzliche Regelung der Schutzpflichten in § 241 II, der culpa in contrahendo in § 311 II, der Lehre von der Geschäftsgrundlage in § 313, sowie der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund in § 314. Durch die Verzahnung des kauf- und werkvertraglichen Mängelgewährleistungsrechts mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht sind einige, wenn auch längst nicht alle Schwierigkeiten des alten Rechts beseitigt worden. Hierauf wird im Kauf- und Werkvertragsrecht zurückzukommen sein.25 3. Nach dem Selbstverständnis des Gesetzgebers des SMG führen die Änderungen im allgemeinen Leistungsstörungsrecht „im Wesentlichen nicht zu einer Veränderung der materiellen Ergebnisse. Sie führen vielmehr zu einem einfacher handhabbaren und übersichtlicheren Recht.“ 26 Es ist in der Tat zu begrüßen, dass das geltende Recht durch die Reform wieder stärkeren Niederschlag im Gesetz gefunden hat, auch wenn die Kodifizierung anerkannter Rechtsinstitute zu keinen praktischen Änderungen führt. Darüber hinaus hat der kurze Überblick gezeigt, dass sehr wohl einige inhaltliche Änderungen eingetreten sind, z. B. bei der anfänglichen Unmöglichkeit, bei den Rücktrittsvoraussetzungen und beim Verhältnis von Rücktritt und Schadensersatz. Die Anwendung des neuen Rechts, insbesondere des Begriffs der Pflichtverletzung, in der Praxis wird erweisen, welches Änderungspotential in den neuen Normen steckt.

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III. Die Arten der Leistungsstörungen im einzelnen (Übersicht über die Begriffe) In der Realität wird der ganz überwiegende Teil der Schuldverhältnisse ordnungsgemäß erfüllt. Auch vor der ordentlichen Erfüllung liegt zunächst einmal keine Leistungsstörung vor. Der Gläubiger hat gegen den Schuldner den Erfüllungsanspruch aus dem Schuldverhältnis. Die bloße Nichterfüllung stellt keine Leistungsstörung dar. Erst wenn die Leistung nicht mehr möglich ist (Unmöglichkeit), oder die bloße Nichterbringung der noch möglichen Leistung zur nicht rechtzeitigen Erfüllung wird (Verzug), oder andere Pflichtverletzungen begangen werden, wird der Bereich der Leistungsstörungen betreten.

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Im Gutachten ist, was oft übersehen wird, daher stets zu prüfen, ob – trotz der Möglichkeit hierzu – einfach noch nicht erfüllt ist. Liegt es so, dann hat der Gläubiger, ohne dass Leistungsstörungen erörtert werden dürfen, einen Anspruch gegen den Schuldner auf Erfüllung (im Vertragsrecht z. B. aus den §§ 433 I 1, 433 II, 535 I 1, 535 II, 611 I, 631 I).

1. Die Pflichtverletzung (§§ 280 ff, 323 ff) Im System des neuen Schuldrechts liegt eine Leistungsstörung vor, wenn eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt wird. Das Gesetz enthält keine Definition der Pflichtverletzung, wohl aber einige Umschreibungen. Eine Leistungsstörung liegt beispielsweise vor, wenn „der Schuldner die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet

24 Dazu Rdn. 374 der 9. Aufl. 25 S. u. § 68ff und § 84. 26 GesBegr BT-Drs 14/6040, 98.

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erbringt“ (§ 281 I 1), bzw. eine Pflicht „nach § 241 II verletzt“ (§§ 282, 324). Speziell im Vertragsrecht liegt eine Leistungsstörung vor, wenn „der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß“ erbringt (§ 323 I). Auf der Grundlage dieser Umschreibungen lässt sich der Begriff der Pflichtverletzung definieren als ein Zurückbleiben hinter dem Pflichtenprogramm des Schuldverhältnisses.27 Für das Vorliegen einer Pflichtverletzung ist es unerheblich, „ob die Leistung ganz oder teilweise auf Dauer ausbleibt oder in zeitlicher oder qualitativer Hinsicht Defizite aufweist“.28 Zu den Pflichten des Schuldners gehört auch die Erbringung einer mangelfreien Leistung (§§ 433 I 2, 633 I). Beispiel: Die Dachziegel werden geliefert. Es handelt sich zwar um die bestellte Sorte, sie sind aber nicht hinreichend wasserdicht. Die Räume werden feucht, die Tapeten verderben.

Der Begriff der Pflichtverletzung ist der übergeordnete Begriff, von dem auch spezielle Leistungsstörungen, wie z. B. Unmöglichkeit und Schuldnerverzug erfasst werden. Vom Begriff der Pflichtverletzung ist die Frage des Vertretenmüssens zu trennen. Während die Frage der Pflichtverletzung objektiv bestimmt wird, geht es beim Vertretenmüssen darum, ob der Schuldner die Pflichtverletzung zu verantworten hat. Hierfür ist die Frage wesentlich, warum der Schuldner die Pflicht verletzt hat (s. §§ 276–278). Beispiel: Gärtner G soll am 13. 5. den Garten des H in Ordnung bringen. Aufgrund einer fiebrigen Erkältung ist er bettlägerig und kann nicht kommen. Die Nichtleistung zum festgelegten Termin ist zwar eine objektive Pflichtverletzung. G hat sie aber nicht zu vertreten, da ihn keine Verantwortung für seine Erkrankung trifft.

Steht fest, dass eine Pflichtverletzung vorliegt, sind deren Rechtsfolgen zu bestimmen. Der Gläubiger kann beispielsweise einen Anspruch auf Schadensersatz, auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen oder auf Herausgabe des Ersatzes (z. B. einer Versicherungssumme) haben. Es stellt sich die Frage, ob diese Rechte neben oder statt des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs bestehen. Möglicherweise hat der Gläubiger ein Rücktrittsrecht (s. u. § 48). Im gegenseitigen Vertrag ist zu prüfen, welchen Einfluss die Leistungsstörung auf die Gegenleistung hat. 2. Die Unmöglichkeit (§§ 275, 283, 311a, 326) 369

Im alten Schuldrecht war die Unmöglichkeit neben dem Verzug eine Hauptform des allgemeinen Leistungsstörungsrechts. Angesichts ihrer geringen praktischen Bedeutung verzichtete der Diskussionsentwurf vom August 2000 – im Anschluss an den Abschlussbericht der Schuldrechtskommission – vollständig auf den Begriff der Unmöglichkeit (vgl. § 275 DiskE 29) und hielt lediglich Sonderregelungen über den Verzug bereit. Auf Anregung der Kommission Leistungsstörungen wurde die Kategorie der Unmöglichkeit dann doch aufrechterhalten, u. a. deshalb, um klare Vorgaben für den Ausschluss der Leistungspflicht in den Fällen der Unmöglichkeit zu haben.30 § 275 enthält eine differenzierte Regelung dieses Fragenkreises. In Absatz 1 wird die Leistungspflicht des Schuldners für die Fälle der Unmöglichkeit i. e. S. ausgeschlossen, nämlich für die physische und die juristische Unmöglichkeit (nähere Erläuterung dieser und der

27 So die Definition in GesBegr BT-Drs 14/6040, 134. 28 GesBegr BT-Drs 14/6040, 134. 29 § 275 DiskE räumte dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht für den Fall ein, daß er die Leistung „nicht mit denjenigen Anstrengungen zu erbringen vermag, zu denen er nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses verpflichtet ist.“ Zur Kritik hieran s, Canaris (oben Fn. 15) 44 ff. 30 S. hierzu Teichmann, BB 2001, 1485 (1486).

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folgenden Begriffe sogleich unter § 43). Die Absätze 2 und 3 sehen ein Leistungsverweigerungsrecht für die faktische und die persönliche Unmöglichkeit vor. Ob im Gegenzug dem Gläubiger ein Schadensersatzanspruch zusteht, regeln die §§ 283, 311a. § 326 klärt das Schicksal der Gegenleistung und räumt dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht ein. Hinter § 275 steckt der allgemeine Rechtsgrundsatz „impossibilium nulla est obligatio“ (D 50.17, 185), der dem Celsus zugeschrieben wird. Der Begriff der Unmöglichkeit wird traditionell unterteilt in vier Gegensatzpaare, nämlich die objektive und subjektive, die anfängliche und nachträgliche, die dauernde und vorübergehende, sowie die vollständige und teilweise Unmöglichkeit.31 Die ersten beiden Begriffspaare waren für das alte Schuldrecht von erheblichem Gewicht. Im modernisierten Schuldrecht haben sie einen Bedeutungsverlust erfahren, werden in den §§ 275 I, 311a aber noch angesprochen. Rechtliche Konsequenzen hat die Unterscheidung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit insofern, als bei der anfänglichen Unmöglichkeit ein Schadensersatzanspruch gem. § 311a II 2 die Kenntnis, bzw. fahrlässige Unkenntnis der Unmöglichkeit, nicht aber die Verantwortung für die Unmöglichkeit selbst voraussetzt (wie bei §§ 275, 280 I, III, 283). a) Objektive und subjektive Unmöglichkeit

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Der Anspruch auf Leistung ist gem. § 275 I ausgeschlossen, soweit diese „für den Schuldner oder für jedermann“ unmöglich ist. Die erste Alternative bezeichnet die subjektive Unmöglichkeit, die zweite die objektive. Beide Formen der Unmöglichkeit werden nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift von § 275 I erfasst. Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn niemand auf der Welt die Leistung erbringen kann. Beispiele: Das geschuldete Auto ist verbrannt, das Pferd verendet, der Wein ausgeflossen und versickert. – Eine behördliche Genehmigung wurde endgültig verweigert. – Ein Perpetuum mobile soll gebaut werden.

Dagegen ist die Unmöglichkeit subjektiv, wenn nur der Schuldner die Leistung nicht erbringen kann, aber zumindest eine andere Person vorhanden ist, welche die Leistung erbringen könnte. Die subjektive Unmöglichkeit hieß im alten Schuldrecht Unvermögen (§ 275 II a. F.). Beispiel: A verkauft das Haus seines Nachbarn N. A kann es nicht leisten, N könnte es, ist aber nicht Schuldner und will es auch nicht hergeben.

Schwierigkeiten bereitet die Frage, welche Form der Unmöglichkeit vorliegt, wenn der geschuldete Gegenstand gestohlen wurde oder sonstwie abhanden gekommen ist. Teilweise wird objektive Unmöglichkeit angenommen,32 überwiegend aber subjektive Unmöglichkeit, da in Person des gegenwärtigen Besitzers zumindest eine Person vorhanden ist, die zur Leistung imstande ist. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass in Wirklichkeit kein Fall des § 275 I, sondern des § 275 II vorliegt: 33 Dem Bestohlenen

31 Woraus sich mannigfache Kombinationsmöglichkeiten ergeben. Die Begrifflichkeit wurde geprägt von Friedrich Mommsen, Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einflusse auf obligatorische Verhältnisse (1853). 32 So Huber, Leistungsstörungen I (1999) 534 Fn. 36 im Zusammenhang mit § 306 a. F. 33 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (17 ff). Die Gesetzesbegründung schwankt allerdings in dieser Frage: Einerseits wird ein Fall der Unmöglichkeit i. S. v. § 275 I angenommen, wenn die geschuldete Sache gestohlen und die Suche nach dem Dieb aussichtslos ist (GesBegr BT-Drs

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oder dem Verlierer ist die Herausgabe gleichwohl möglich, wenn er erfolgreich Maßnahmen ergreift, um das Bild wieder an sich zu bringen, z. B. einen Detektiv einschaltet, etc. Bis dahin liegt dann lediglich ein vorübergehendes Leistungshindernis vor, das der dauernden Unmöglichkeit nicht gleichgestellt ist (s. u. Rdn. 377 f). Ob die Kosten vor dem Hintergrund des Leistungsinteresses des Gläubigers noch vertretbar sind, ist nach den in § 275 II genannten Kriterien zu entscheiden (hierzu unten Rdn. 396ff).34 Das Beispiel zeigt, dass die Grenzen zwischen subjektiver Unmöglichkeit im Sinn von § 275 I und faktischer Unmöglichkeit i. S. v. § 275 II fließend sein können.35 Ein Fall der objektiven Unmöglichkeit ist auch das absolute Fixgeschäft. Hiervon spricht man, wenn die Leistung überhaupt nur zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist. Die Einhaltung der Leistungszeit muss nach dem Inhalt des Vertrags so wesentlich sein, dass die verspätete Vornahme der Leistungshandlung keinen geschuldeten Erfolg mehr darstellt. Die Nichtleistung führt durch reinen Zeitablauf zur Unmöglichkeit. Beispiele: Herstellung einer astronomischen Aufnahme von einer nicht wiederkehrenden Planetenkonstellation. Die Photoaufnahme zu anderer Zeit ist mit Sicherheit ergebnislos, die Erbringung der Leistung zu anderer Zeit also unmöglich. – Fenstermiete bei Festumzügen („coronation cases“), s. u. Rdn. 393ff: „Zweckverfehlung“. – Bestellung eines Taxis zum Flughafen. – Beiträge zu Teamarbeit (Orchester, chirurgische Operation) – Die meisten Dauerschuldverhältnisse, wie z. B. Raummiete oder Dienstleistungen, wenn die Arbeitszeit vorgeschrieben ist. Aber nicht nur Dienstleistungen, sondern auch Warenumsätze können in Betracht kommen: Hochzeitstorte – Lieferung der Morgenzeitung: Lieferung am Abend oder gar am nächsten Tag stellt keinen Erfolg mehr dar.

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Das absolute Fixgeschäft ist von anderen Formen der Leistungsverzögerung abzugrenzen, insbesondere vom relativen Fixgeschäft, das nicht zur Unmöglichkeit, sondern lediglich zu einem erleichterten Rücktrittsrecht führt (§ 323 II Nr. 2, unten Rdn. 487). Ein anderer Fall der objektiven Unmöglichkeit sind die nicht behebbaren Mängel, jedenfalls insofern, als sie von niemandem behoben werden können. Der als echt golden verkaufte Ring, der in Wirklichkeit nur vergoldet ist, kann nicht in den geschuldeten Zustand überführt werden, jedenfalls nicht, ohne seine Identität zu ändern. Die Pflicht des Verkäufers zur mangelfreien Leistung (§ 433 I 2) kann somit von niemandem erfüllt werden. b) Anfängliche (= ursprüngliche) und nachträgliche Unmöglichkeit Entscheidend für die Abgrenzung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit ist bei Verträgen der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (s. § 311a I). Um anfängliche Unmöglichkeit handelt es sich, wenn das Leistungshindernis bereits bei Vertragsschluss vorlag. Beispiele: A verkauft ein Ölgemälde um 12 Uhr, um 11.55 Uhr war das Bild einem Brand zum Opfer gefallen. (Ob A davon wusste, ist für den Begriff der Unmöglichkeit gleichgültig, s. aber § 311a II.) – Der nicht behebbare Sach- oder Rechtsmangel (s. o. Rdn. 374) ist ein Fall der anfänglichen Unmöglichkeit.

14/6040, 128). Andererseits soll § 275 II anwendbar sein, wenn die Wiederbeschaffung der Leistung zwar theoretisch möglich ist, aber einen völlig indiskutablem Aufwand erfordert (ebd., 129). Solange der abhanden gekommene Gegenstand noch existiert, erscheint die Wiederbeschaffung aber stets „theoretisch möglich“! 34 In diesem Sinn auch Zimmer (NJW 2002, 1, 2 f), der in § 275 II und III eine eigenständige Regelung für behebbare Leistungshindernisse sieht. 35 Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht AT Rdn. 484.

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Bei der nachträglichen Unmöglichkeit wird die Leistung erst nach Entstehen der Verbindlichkeit unmöglich. Beispiele: Das Bild verbrennt um 12.05 Uhr. – Die Nichtleistung beim absoluten Fixgeschäft (s. o. Rdn. 373) führt zu nachträglicher Unmöglichkeit.

§ 275 erfasst sowohl die anfängliche, also auch die nachträgliche Unmöglichkeit („soweit die Leistung unmöglich ist“, im Gegensatz zu § 275 a. F.: „soweit die Leistung unmöglich wird“.). Gem. der Klarstellung in § 311a I steht die anfängliche Unmöglichkeit der Wirksamkeit des Vertrags (im Gegensatz zu § 306 a. F.) nicht entgegen.36 Aus § 311a I („bei Vertragsschluss“) folgt, dass im (wohl nur theoretisch möglichen Fall) der „gleichzeitigen“ Unmöglichkeit (nämlich Unmöglichkeit während der logischen Sekunde des Vertragsschlusses) die Regeln über die anfängliche Unmöglichkeit Anwendung finden. c) Kombinationen

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Beide Begriffspaare kreuzen sich. Man spricht von – anfänglich objektiver Unmöglichkeit: Ein verbranntes Auto wird verkauft; – anfänglich subjektiver Unmöglichkeit: Verkauf einer dem Verkäufer nicht gehörigen, aber in jemandes anderen Eigentum stehenden Sache; – nachträglich objektiver Unmöglichkeit: das verkaufte Auto verbrennt; – nachträglich subjektiver Unmöglichkeit: A verkauft sein Auto zuerst an B, dann verkauft und übereignet er es an C. Dem B gegenüber wird seine Leistung subjektiv unmöglich. d) Dauernde und vorübergehende Unmöglichkeit

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Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung wurde die Aufnahme einer Spezialregelung für die vorübergehende Unmöglichkeit erwogen, aber nicht realisiert.37 Die Frage soll wie bisher auch Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen werden.38 Ein vorübergehendes Leistungshindernis liegt z. B. vor, wenn der Kaufgegenstand momentan nicht lieferbar ist, oder die Baugenehmigung für das verkaufte Grundstück noch nicht erteilt wurde. Solche bloß vorübergehenden Hindernisse begründen grundsätzlich keine Unmöglichkeit. Da die Verurteilung zu einer derzeit nicht möglichen Leistung allerdings unbillig ist, ist analog § 275 von einer Hemmung der Leistungspflicht auszugehen.39 Es existiert keine genaue Vorgabe für den Zeitraum, ab dem das vorübergehende Leistungshindernis der dauernden Unmöglichkeit gleichzustellen ist. Die Rechtsprechung geht von einer Gleichstellung dann aus, wenn die Erreichung des Vertragszwecks durch die vorübergehende Unmöglichkeit in Frage gestellt wird, und der anderen Seite deshalb die Einhaltung des Vertrags nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden

36 Sonderregelung für Vermächtnisse in § 2171. Gesetzliche Schuldverhältnisse, die auf eine unmögliche Leistung gerichtet sind, sind nicht denkbar, Palandt/Heinrichs, § 311a Rn 3. 37 § 275 DiskE und § 275 I und II RegE sahen ein Leistungsverweigerungsrecht auch vor, „solange“ Unzumutbarkeit bestand. Das alte Recht enthielt in § 308 a. F. eine Spezialregelung für die anfängliche, vorübergehende Unmöglichkeit. 38 Rechtsausschuss BT-Drs 14/7052, 183. 39 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht § 22 Rdn. 16: Eine Klage wäre als vorübergehend unbegründet abzuweisen.

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kann.40 Bei bloßem Warenumsatz ist zu berücksichtigen, dass der Handel oft kurzfristig zu disponieren pflegt. Die Dispositionen können daher schon durch eine zeitweilige Unmöglichkeit der Leistung so nachhaltig gestört werden, dass ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar erscheint.41 Ist die vorübergehende Unmöglichkeit nach diesen Kriterien der dauernden Unmöglichkeit gleichgestellt, kann der Gläubiger gem. den §§ 326 V, 323 I ohne Fristsetzung zurücktreten. Die in § 323 I geforderte Fälligkeit ist wegen § 275 gerade nicht erforderlich.42 Liegt keine Gleichstellung mit dauernder Unmöglichkeit vor, kann sich der Gläubiger durch die Setzung einer angemessenen Frist gem. § 323 I vom Vertrag lösen. Bei der Bestimmung der Angemessenheit sind die Interessen der Parteien zu berücksichtigen. Der Weg über § 323 I ist gerade auch für den Fall zu empfehlen, dass die oben genannten Kriterien nicht zu einem klaren Ergebnis in der Frage führen, ob eine Gleichstellung mit dauernder Unmöglichkeit anzunehmen ist oder nicht. Im Fall der Gleichstellung ist die Fristsetzung zwar überflüssig (§ 326 V), aber unschädlich. Wenn dagegen das vorübergehende Leistungshindernis nicht mit Unmöglichkeit gleichzusetzen ist, eröffnet die Fristsetzung den Weg zum Rücktrittsrecht (§ 323 I), das nach modernisiertem Schuldrecht nicht mehr von einem Vertretenmüssen des Schuldners abhängt (s. o. Rdn. 364). Hat der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten (dies hängt nach § 276 I 1 auch von der Risikoverteilung des Vertrags ab), besteht auch eine Verpflichtung zum Schadensersatz (§§ 281 I 1, 280 I, 325). Beispiel: B betraut U mit der Erstellung einer Produktionsanlage in Land X. Aufgrund gravierender Verstöße gegen das Völkerrecht verhängen der UN-Sicherheitsrat und die EG (gem. Art 301 EG) ein Embargo gegen Land X, von dem der Bau der Produktionsanlage erfasst wird. Es ist nicht ersichtlich, für welchen Zeitraum das Embargo Bestand haben wird. Damit liegt ein vorübergehendes Leistungshindernis (rechtlicher Natur) vor. Dies stellt nur dann einen Fall der Unmöglichkeit dar, wenn die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt, und dem Gegner die Einhaltung des Vertrags nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann (s. o.). Da es sich hier nicht um bloßen Warenumschlag, sondern um den Bau einer ganzen Anlage handelt, ist unklar, wann die Schwelle der Unzumutbarkeit erreicht wird. Wenn B oder U sich vom Vertrag lösen möchten, ist ihnen die Setzung einer Frist mit anschließendem Rücktritt zu empfehlen (§ 323 I). Schadensersatzansprüche kommen nur dann in Betracht, wenn eine der Parteien im Vertrag die Verantwortung für politische Risiken übernommen hat.

379

e) Voll- und Teilunmöglichkeit Der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 I und II erfolgt, „soweit“ Unmöglichkeit eintritt. Die Teilunmöglichkeit (oder quantitative Unmöglichkeit) führt also nur zur teilweisen Anwendung der Unmöglichkeitsregeln. Der Schuldner bleibt zur Leistung des noch möglichen Teils verpflichtet (z. B.: Werden von fünf geschuldeten Maschinen zwei zerstört, besteht die Verpflichtung über die drei intakten Maschinen fort). Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Gläubiger den noch möglichen Leistungsteil auch annehmen muss. Immerhin ist der Schuldner gem. § 266 zu Teilleistungen 40 BGHZ 83, 197 (200) – Politische Verhältnisse im Iran, dazu Kronke JuS 1984, 758. S. auch GesBegr BT-Drs 14/6040, 189, wo die vorübergehende Unmöglichkeit als Teilunmöglichkeit, nämlich als „Teilunmöglichkeit in der Zeit“ qualifiziert wird. In diesem Sinn auch Huber/Faust Schuldrechtsmodernisierung § 8 Rdn. 9: analoge Anwendung von § 323 V 1 (Teilleistung), also Kriterium des Interessewegfalls. Anders Arnold, JZ 2002, 866: Bei Unzumutbarkeit Anwendung von § 313. 41 BGHZ 47, 48 (50 f). 42 Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung § 8 Rdn. 9.

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Begriffe und Arten der Leistungsstörungen

§ 42 III 2

nicht berechtigt (vgl. §§ 281 I 2, 283 S 2, 311a II 3, 323 V 1, 326 I 1 Halbs. 2). Dieser Aspekt der Teilunmöglichkeit ist in den §§ 326 V Halbs. 2 i.V. m. 323 V 1 geregelt. Danach kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat, was er beweisen muss (ebenso für den „großen“ Schadensersatz §§ 283 S 2, 311a II 3, 281 I 2, s. unten Rdn. 421 f). Das Interesse wird dabei nicht subjektiv, sondern nach Inhalt und Zweck des Vertrags ermittelt. Beispiele: S schuldet G ein 60-teiliges Porzellan-Service. Acht große Teller werden zerstört. Da nach Inhalt und Zweck eine Sachgesamtheit geschuldet ist, und das Service ohne die acht großen Teller nicht mehr zweckgemäß eingesetzt werden kann, ist Interessewegfall anzunehmen. G kann deshalb gem. § 326 V Halbs. 2 i. V. m. § 323 I, V 1 vom ganzen Vertrag zurücktreten, muss es aber nicht. Er kann den Vertrag über die noch mögliche Teilleistung auch aufrechterhalten, also die 52 intakten Teile annehmen. In diesem Fall schuldet er gem. den §§ 326 I 1 Halbs. 2, 441 III eine geminderte Gegenleistung.

Die Unterscheidung zwischen Teilunmöglichkeit und Vollunmöglichkeit bereitet bisweilen Probleme. Teilunmöglichkeit liegt nur vor, wenn der Leistungsgegenstand „im juristischen Sinn“ teilbar ist. Entsprechend dem Grundgedanken des § 139 ist darauf abzustellen, ob mit der Teilerfüllung wenigstens partiell die konkreten Zwecke der Parteien erfüllt werden könnten.

380

Beispiele: Teilunmöglichkeit ist anzunehmen bei Teilversagung einer Genehmigung, wenn der genehmigte Teil auch selbständig sinnvoll ist. – Ferner bei vorzeitigem Abbruch einer Pauschalreise. – Vollunmöglichkeit ist gegeben, wenn ein Architekt nur die Entwürfe fertigen kann, ohne den geplanten Bau zu errichten.

f) Qualitative Unmöglichkeit

381

Qualitative Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Schuldner zwar liefern kann, aber nicht in der geschuldeten Qualität (neue Kategorie seit der Schuldrechtsmodernisierung). So schuldet der Verkäufer gem. § 433 I 2 mangelfreie Lieferung. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, und ist der Mangel auch nicht zu beheben, liegt qualitative Unmöglichkeit vor. Anwendungsfall sind also die nicht behebbaren Sach- und Rechtsmängel (bei behebbaren Mängeln wäre die Nacherfüllung ja möglich!).43 Die gesetzliche Regelung für die qualitative Unmöglichkeit findet sich für das Rücktrittsrecht in § 326 V Halbs. 2 i.V. m. § 323 V 2 und für den Schadensersatzanspruch in §§ 283 S. 2, 311a II 3 i.V. m. 281 I 3 (zum „großen Schadensersatz“ s. unten Rdn. 411). Bei qualitativer Unmöglichkeit kann der Gläubiger also vom Vertrag zurücktreten (und bei Vertretenmüssen des Schuldners auch Schadensersatz verlangen), außer wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Wegen § 326 I 2 fällt die Gegenleistungspflicht nicht automatisch weg (s. u. Rdn. 449). Beispiele: V verkauft K ein Fahrrad, das zuvor dem E gestohlen wurde. Nach § 433 I 1 schuldet V dem K Übereignung und Übergabe. Er ist aber nur zur Übergabe imstande, da eine Übereignung wegen § 935 auch bei gutem Glauben des K ausgeschlossen ist. Es liegt ein Rechtsmangel i. S. v. § 435 S. 1 vor, der nicht behebbar ist, wenn E seine Zustimmung zur Transaktion verweigert. K kann zwar weiterhin Übergabe des Fahrrads verlangen. Eine hiervon zu unterscheidende Frage ist aber, ob er auch zur Entgegennahme des Fahrrads verpflichtet ist. Da der Rechtsmangel nicht unerheblich ist, kann K gem. den §§ 437 Nr. 2, 326 I, V Halbs. 2, 323 V 2 vom Vertrag zurücktreten. Im Fall des als golden verkauften, in Wirklichkeit nur vergoldeten Rings (s. o. Rdn. 374) liegt ein nicht behebbarer Sachmangel, also ebenfalls qualitative Unmöglichkeit vor. Der Käufer hat somit zwei Möglichkeiten: Entweder gefällt ihm der Ring auch so und hält er den Vertrag aufrecht (bei 43 Grundlegend S. Lorenz, JZ 2001, 742 (743).

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§ 42 III 2

Leistungsstörungen

gemindertem Kaufpreis, §§ 437 Nr. 2, 441). Oder er tritt gem. den §§ 437 Nr. 2, 326 V Halbs. 2, 323 I, V 2 vom Vertrag zurück, da die Pflichtverletzung (nur vergoldet statt massiv golden) erheblich ist.

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383

Die Abgrenzung zwischen Teilunmöglichkeit und qualitativer Unmöglichkeit ist nicht immer zweifelsfrei möglich. Im obigen Service-Beispiel (oben Rdn. 379) könnte man anstatt einer Teilunmöglichkeit eine qualitative Unmöglichkeit annehmen, wenn man das unvollständige Service als mangelhaftes Gesamtservice qualifiziert. Die Abgrenzung ist insofern von Bedeutung, als Rücktrittsrecht und Schadensersatzanspruch bei der Teilunmöglichkeit vom Interessewegfall (§§ 323 V 1, 281 I 2) abhängen, bei der qualitativen Unmöglichkeit hingegen schon dann möglich ist, wenn die Pflichtverletzung nicht nur unerheblich ist (§§ 323 V 2, 281 I 3).44 Der Interessewegfall ist eine höhere Hürde für das Rücktrittsrecht als die Erheblichkeit. Die Abgrenzungsschwierigkeiten werden gesteigert durch die kauf- und werkvertraglichen Regelungen der §§ 434 III Alt. 2, 633 II 3 Alt. 2, wonach die Lieferung, bzw. Herstellung einer zu geringen Menge einem Sachmangel gleichsteht, also als qualitative und nicht als quantitative Abweichung zu werten ist (zum Kaufrecht s. u. Rdn. 849). Geht ein Teil der geschuldeten Leistung unter, stellt sich die Frage, ob für die Anwendung des § 323 V dennoch Teilunmöglichkeit (S. 1), oder aber qualitative Unmöglichkeit anzunehmen ist (S. 2). Von dieser Unterscheidung hängt ab, ob der Käufer schon bei Erheblichkeit (S. 2), oder aber erst bei Interessewegfall (S. 1) vom (ganzen) Vertrag zurücktreten kann. Beispiel: V verkauft an K 50 individuell bemalte Blumentöpfe (Stückschuld). Zehn dieser Töpfe fallen herunter und werden irreparabel zerstört. Kann K vom ganzen Vertrag zurücktreten, oder muss er die 40 übrigen Blumentöpfe abnehmen? Kaufrechtlich stellt die Lieferung von 40 Blumentöpfen statt der 50 vereinbarten wegen § 434 III Alt. 2 einen Sachmangel dar. Das Rücktrittsrecht des K hängt gem. den §§ 437 Nr. 2, 326 V Halbs. 2, 323 I, V davon ab, ob der Untergang der zehn Blumentöpfe als Teilunmöglichkeit oder als qualitative Unmöglichkeit zu werten ist. Bei qualitativer Unmöglichkeit ist der Rücktritt bereits dann möglich, wenn die Pflichtverletzung erheblich ist (§ 323 V 2). Das ist bei einer Zuweniglieferung i. H. v. 20 Prozent anzunehmen. Bei Teilunmöglichkeit wäre der Rücktritt dagegen erst dann möglich, wenn K an der Lieferung der unversehrten Ware kein (objektives) Interesse hätte (§ 323 V 1). Liegen keine besonderen Umstände vor, müsste man davon ausgehen, dass K auch für die verbleibende Ware eine vernünftige Verwendung hat. Ein Rücktrittsrecht schiede dann aus.

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Für die Annahme qualitativer Unmöglichkeit streitet der Wortlaut der §§ 434 III Alt. 2, 633 II 3 Alt. 2. Die Gleichstellung der Zuweniglieferung mit einem Sachmangel spricht dafür, einen Fall der „nicht vertragsgemäßen“ Leistung, also qualitative Unmöglichkeit anzunehmen.45 Dagegen zu halten ist aber die Funktion der §§ 434 III Alt. 2, 633 II 3 Alt. 2: Sachmängel, Falsch- und Minderleistungen sollen einheitlich dem Gewährleistungsrecht, insbesondere auch der kurzen Verjährung des § 438 I Nr. 3

44 Wie sich aus der umgekehrten Formulierung des Regel/Ausnahmeverhältnisses in § 323 V 1 und 2 ergibt, hat der Gläubiger bei der qualitativen Unmöglichkeit außerdem einen Beweisvorteil: Den Interessewegfall bei der Teilunmöglichkeit hat der Gläubiger darzulegen und zu beweisen. Bei der qualitativen Unmöglichkeit obliegt es hingegen dem Schuldner, die Unerheblichkeit zu behaupten und zu beweisen. 45 So Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung § 3 Rdn. 164; Bamberger/Roth/Grüneberg, § 283 Rdn. 5 i. V. m. § 281 Rdn. 59. Nicht einheitlich der Gesetzgeber: Laut GesBegr BT-Drs 14/6040, 187, sind auf solche Quantitätsabweichungen einheitlich die Regeln über die Schlechtleistung anzuwenden. Laut Rechtsausschuss BT-Drs 14/7052, 185, sollte diese Frage dagegen der Rechtsprechung überlassen werden (im Zusammenhang mit dem Parallelproblem bei § 281 I).

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Begriffe und Arten der Leistungsstörungen

§ 42 IV

unterworfen werden. Die Gleichstellung von Mengenabweichung und Sachmangel soll dagegen nicht die Spezialregelung für Teilleistungen in § 323 V 1 (und § 281 I 2) ihres wichtigsten Anwendungsfalls berauben.46 Im Fall der Teilunmöglichkeit ist folglich § 323 V 1 mit dem strengeren Kriterium des Interessewegfalls anzuwenden. Beispiel: Im obigen Blumentopfbeispiel kann K gem. den §§ 437 Nr. 2, 326 V Halbs. 2, 323 I, V 1 also nur dann zurücktreten, wenn er kein Interesse an der Lieferung der 40 Blumentöpfe hat, was ohne besondere Angaben nicht anzunehmen ist. K muss also die 40 Blumentöpfe abnehmen und die gem. den §§ 326 I 1 Halbs. 2, 441 III geminderte Gegenleistung erbringen.

g) Fazit zur Teilunmöglichkeit und qualitativen Unmöglichkeit

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Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass der Gläubiger in den Fällen der Teilunmöglichkeit und der qualitativen Unmöglichkeit stets einen Anspruch auf den noch möglichen Teil der Leistung hat. Er hat aber das Recht, den Vertrag in seiner Gesamtheit zu Fall zu bringen, wenn er an dem noch möglichen Teil der Leistung kein Interesse hat, bzw. die Pflichtverletzung nicht unerheblich ist. 3. Der Verzug (§§ 280 II, 286–288, 293–304) Man unterscheidet: a) Schuldnerverzug (mora), §§ 280 II, 286–288. Der Schuldner leistet nicht rechtzeitig.

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Beispiel: Am 1. 4. sollten die Dachziegel für den Neubau eintreffen. Sie treffen nicht ein. Es tritt Verzug ein, außer wenn der Lieferant für die Verzögerung nicht verantwortlich ist (§ 286 IV).

Einen Unterfall der Pflichtverletzung stellt die nicht rechtzeitige Leistung durch den Schuldner dar, welche zusammen mit einigen anderen Voraussetzungen den Verzug des Schuldners begründet. Verzug kann nur dann vorliegen, wenn die Leistung noch möglich ist. Tritt während des Verzugs Unmöglichkeit ein, liegt nur Unmöglichkeit vor (aber Haftungserweiterung nach § 287; Haftungsbeschränkung nach § 300). Ist der Gläubiger im Zweifel, ob Verzug des Schuldners oder Unmöglichkeit vorliegt, kann er den Schuldner zwar auf Erfüllung verklagen. Da aber wegen § 275 das Risiko der Klageabweisung besteht, empfiehlt es sich (jedenfalls wenn kein besonderes Interesse am Leistungsgegenstand besteht), nach § 281 I 1 vorzugehen, nämlich eine angemessene Frist zu setzen, um dann die Forderung auf Schadensersatz umzustellen. b) Gläubigerverzug (Annahmeverzug, mora accipiendi), §§ 293–304. Der Gläubiger nimmt die ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht an. Beispiel: Die Dachziegel kommen am 1.4., aber der Bauherr lässt sie zurückgehen mit der Bemerkung, der Bau sei noch nicht soweit, und er könne die Dachziegel nicht lagern.

Gläubigerverzug begründet eine Pflichtverletzung nur, wenn die Entgegennahme der Leistung zum Schuldinhalt des Vertrags erhoben worden ist (dazu u. Rdn. 489).

IV. Gliederung des Folgenden Die Pflichtverletzung ist die Grundkategorie der Leistungsstörung, Unmöglichkeit und Verzug sind Ausprägungen. Da für Unmöglichkeit und Verzug eigene Vorschriften 46 So zu Recht Canaris, ZRP 2001, 329 (334 f), der die Regeln über die Teilleistung allerdings auch auf die teilweise Mangelhaftigkeit anwenden möchte; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 219. S. auch LG Rottweil, NJW 2003, 3139 m. Anm. S. Lorenz, NJW 2003, 3097.

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§ 43 I

Leistungsstörungen

gelten, sind diese als erste zu erläutern, §§ 43–45. Darauf werden Schlechtleistung und sonstige Pflichtverletzungen auch hinsichtlich der Begleitschäden dargestellt, § 46. Danach ist kurz auf sonstige Folgen der Nichterfüllung einzugehen, u. a. auf die Zurückbehaltungsrechte, § 47, sowie in einem zweiten Unterabschnitt auf die allgemeinen Regeln über Rücktritt, Widerruf und Kündigung, §§ 48–50. Da Schadensersatz die praktisch und theoretisch wichtigste Rechtsfolge der Leistungsstörungen ist, müssen in einem dritten Unterabschnitt die Besonderheiten eines Schadensersatzanspruchs noch einmal zusammengestellt und näher ausgeführt werden, §§ 51–57. Es ergibt sich also eine Dreiteilung des Abschnitts „Leistungsstörungen“.

1. Unterabschnitt: Tatbestände und Rechtsfolgen der Leistungsstörungen § 43 Unmöglichkeit Bruch, Der Ersatz frustrierter Aufwendungen nach § 284 BGB (2004); Canaris, in: Schulze/SchulteNölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001) 43; ders., JZ 2004, 214; ders., FS E. Lorenz (2004) 147; ders., FS Heldrich (2005) 11; Cekovic-Vuletic, Haftung wegen Unmöglichkeit nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (2003); Emmerich, FS Otte (2005) 101; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung (2005); Fischer, DB 2001, 1923; Greiner , Ideelle Unzumutbarkeit (2004); Grunewald, JZ 2001, 433; Gsell, JZ 2004, 643; U. Huber, ZIP 2000, 2137; C. Knütel, JR 2001, 353; Kohler, AcP 205 (2005) 93; ders., Jura 2006, 241; Peukert, AcP 205 (2005) 430; Picker, JZ 2003, 1035; Reim, NJW 2003, 3662; Schwarze, Jura 2002, 73; Stoppel, Jura 2003, 224; ders., AcP 204 (2004) 81; Unholtz, Der Ersatz „frustrierter Aufwendungen“ unter besonderer Berücksichtigung des § 284 BGB (2004); Weitemeyer, AcP 205 (2005) 275; Wilhelm/Deeg, JZ 2001, 223.

I. Gang der Darstellung 388

Für die grundlegenden begrifflichen Differenzierungen kann auf die Darstellung in § 42 oben verwiesen werden (oben Rdn. 369 ff). Die Unmöglichkeit hat zwei Funktionen im Leistungsstörungsrecht. Erstens führt die Unmöglichkeit zum Ausschluss der Leistungspflicht (unten II.). Zweitens werden an die Unmöglichkeit Schadensersatzansprüche (III.) und – nur im gegenseitigen Vertrag – Rücktrittsrechte geknüpft. Schließlich geht es um die Befreiung von der Gegenleistung (IV.). Im alten Schuldrecht hatte die Unmöglichkeit noch eine weitere Funktion, die dem Ausschluss der Leistungspflicht nahe stand: Verträge waren bei objektiver anfänglicher Unmöglichkeit gem. § 306 a. F. nichtig. Diese Regelung ist entfallen (s. § 311a I und oben Rdn. 363). Die Unmöglichkeit (als solche) berührt also nicht mehr die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften. Zur Terminologie: Im Folgenden wird häufig von „Gläubiger“ und „Schuldner“ die Rede sein. In den praktisch wichtigsten Schuldverhältnissen, nämlich im gegenseitigen Vertrag, ist diese Terminologie nicht eindeutig, da jeder des anderen Gläubiger ist: Der Käufer kann z. B. vom Verkäufer Übereignung und Übergabe der Kaufsache verlangen (§ 433 I 1), der Verkäufer hat einen Anspruch gegen den Käufer auf Zahlung des Kaufpreises (§ 433 II). Im Kontext der Unmöglichkeit bezeichnen das Gesetz und die folgenden Ausführungen mit „Gläubiger“ den Gläubiger der unmöglichen Leistung. Das ist

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Unmöglichkeit

§ 43 II 1

im Kaufvertrag idR (aber nicht immer! 1) der Käufer, wenn die gekaufte Sache untergegangen ist. Schuldner ist in diesem Fall der Verkäufer. Daraus ergibt sich – am Beispiel des Kaufvertrags – folgende Übersicht: Leistung ▼



Verkäufer (Schuldner)

Gegenleistung

Käufer (Gläubiger)

II. Ausschluss der Leistungspflicht (§ 275) Die Unmöglichkeit schließt eine eigentliche vertragliche Leistungspflicht aus. Bei anfänglicher Unmöglichkeit kann es damit zum Phänomen des Vertrags ohne primäre Leistungspflicht kommen: 2 Der Vertrag ist wirksam, primäre Erfüllungsansprüche sind aber von vornherein ausgeschlossen.3 Der (wirksame) Vertrag dient dann lediglich als Grundlage für sekundäre Ansprüche, wie z. B. auf Schadensersatz, auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284) oder auf Herausgabe der Surrogate (§ 285). Es sei daran erinnert, dass § 275 alle Fälle der Unmöglichkeit, also auch die anfängliche objektive und subjektive Unmöglichkeit erfasst (s. o. Rdn. 375). Es ist also beispielsweise unerheblich, ob der Leistungsgegenstand vor oder nach Vertragsschluss zerstört wird. § 275 I ist somit zugleich rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendung: Bei anfänglicher Unmöglichkeit hindert § 275 I bereits die Entstehung primärer Erfüllungsansprüche, bei nachträglicher Unmöglichkeit bringt die Vorschrift solche Ansprüche später zu Fall. § 275 führt zum Ausschluss der Leistungspflicht unabhängig davon, ob der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat.4 Die Leistungspflicht entfällt also z. B. auch dann, wenn der Schuldner die geschuldete Sache vorsätzlich oder fahrlässig zerstört hat. Dies ist folgerichtig, da die geschuldete Leistung nicht mehr erbracht werden kann. Selbstverständlich erfolgt aber nur eine Befreiung von der primären Leistungspflicht. Sekundäre Ansprüche (wie z. B. die auf Schadensersatz oder Herausgabe der Surrogate) werden von § 275 nicht berührt.

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1. Physische und juristische Unmöglichkeit § 275 enthält in seinen ersten drei Absätzen sehr unterschiedliche Tatbestände. Absatz 1 erfasst vor allem die physische Unmöglichkeit: Die Leistung kann nicht erbracht werden, weil z. B. die geschuldete Ware verbrannt, der Wein ausgelaufen, das Schiff untergegangen, das Pferd verendet ist. Bei Gattungsschulden führt der Untergang des zur Erfüllung vorgesehenen Stücks nur dann zu Unmöglichkeit, wenn Konkretisierung 1 Auch dem Anspruch auf Kaufpreiszahlung kann bisweilen der Unmöglichkeitseinwand entgegenstehen, zu einem Beispielsfall s. Petersen Allgemeines Schuldrecht Rdn. 294 ff. 2 Zu dieser Rechtsfigur s. Larenz Schuldrecht I § 9. Es handelt sich um eine Folge der für das deutsche Schuldrecht kennzeichnenden, durch das Enumerationsprinzip veranlaßten „Anreicherung“ des Vertragsrechts mit Deliktsrecht, s. Rdn. 311. 3 Canaris, JZ 2001, 499 (506). 4 Anders der Wortlaut von § 275 I im alten Recht. Die Leistungsbefreiung setzte voraus, dass der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat. Zu den Hintergründen und dem hiermit verbundenen Meinungsstreit s. Canaris, ZRP 2001, 329 (330); C. Knütel, JR 2001, 353; Zimmer, NJW 2002, 1 (2).

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§ 43 II 2

Leistungsstörungen

erfolgt ist (§ 243 II). Sonst besteht die Leistungspflicht fort, solange noch Exemplare aus der vereinbarten Gattung existieren (zu den Einzelheiten s. o. Rdn. 250ff). Gegen Geldforderungen kann man sich nicht mit dem Argument verteidigen, man habe kein Geld so dass ein Fall der subjektiven physischen Unmöglichkeit vorliege (s. o. Rdn. 259). – Unmöglichkeit ist aber auch die juristische Unmöglichkeit: Die geschuldete Sache wird vor der Lieferung beschlagnahmt. Beim Reisevertrag trifft den Reisenden ein Einreiseverbot. Die werdende Mutter unterliegt einem Beschäftigungsverbot nach den §§ 3, 4 MuSchG. Gegenbeispiel: A kauft sich im Laden einen Fernseher nach Fabrikkatalog, wobei Verkäufer V dem A den Fernseher in die Wohnung zu transportieren und anzuschließen verspricht. Auf dem Transport wird der Fernseher völlig zerstört. – Geschuldet ist Lieferung aus einer Gattung am Wohnsitz des A (Bringschuld, s. o. Rdn. 280). Erst mit tatsächlichem Angebot des Fernsehers bei A konkretisiert also die Schuld zur Stückschuld, § 243 II. Mangels Konkretisierung muss V gem. § 433 I 1 einen neuen Apparat gleichen Fabrikats liefern. Es liegt kein Fall der Unmöglichkeit vor (Zur Ausnahme im Fall des Gläubigerverzugs s. u. § 45).

2. Zweckstörung 393

Unter § 275 I fallen auch die Fälle der Zweckstörung, nämlich der Zweckerreichung und des Zweckfortfalls.5 Die Zweckerreichung umfasst die Fälle, bei denen der vom Gläubiger bezweckte Erfolg unabhängig von der Leistung des Schuldners eintritt. Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass die Leistungshandlung selbst unmöglich wird, so z. B. wenn ein Baum, dessen Krone gekappt werden soll, bei einem Sturm seine Krone verliert. Denkbar ist aber auch, dass die Leistung an sich zwar noch möglich ist, der Leistungserfolg aber nicht mehr erreichbar ist: Der auf Grund gelaufene Frachter kommt von selbst wieder frei. Das Flottmachen durch ein Bergungsschiff ist zwar noch möglich, aber sinnlos geworden. Da auch in diesen Fällen der Leistungserfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann, liegt ebenfalls Unmöglichkeit vor. Unter Zweckfortfall versteht man die Fälle, in denen die Leistung unmöglich geworden ist: Beispiele: Der Arzt wird zu einem Patienten gerufen, als der Arzt eintrifft, ist der Patient bereits gestorben. – Als das Bergungsschiff ankommt, ist das Schiff schon gesunken. – Das anzumalende Haus ist abgebrannt.

Die Fälle der Zweckstörung bereiten keine Probleme hinsichtlich der Leistungspflicht: Die Leistung wird wegen § 275 I nicht mehr geschuldet, da eine sinnvolle Leistungserbringung (und hierauf kommt es an!) nicht mehr möglich ist. Allerdings ist stets sorgfältig zu prüfen, ob wirklich eine Zweckstörung oder lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt. Zur Abgrenzung ist auf den Vertragsinhalt abzustellen. Beispiel: Im Baumarkt wird eine Motorsäge gekauft, um den Baum zu fällen, sowie Farbe, um das Haus anzumalen. Wieder wird der Baum durch den Sturm entwurzelt und brennt das Haus ab. – Hier ist der Verwendungszweck der Waren ein bloßes Motiv des Käufers. An der ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrags besteht kein Zweifel. Für die Unmöglichkeitsregeln ist kein Raum.

394

Das Hauptproblem in den Fällen der Zweckstörung liegt bei der Gegenleistungspflicht. Kann der Arzt, der Unternehmer des Bergungsschleppers oder der Maler sein Entgelt oder zumindest eine Aufwandsentschädigung fordern? Im Vorgriff auf unten IV. sei auf § 326 I 1 hingewiesen: Mit der Unmöglichkeit entfällt im Prinzip der 5 Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis (1969); Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis (1971); Wieacker, FS Nipperdey I (1965) 783; 9. Aufl. Rdn. 352 ff.

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Unmöglichkeit

§ 43 II 3

Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung, also auf die Vergütung. Von diesem Grundsatz gelten Ausnahmen: Gem. § 326 II 1 Alt. 1 behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung u. a. dann, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit, also hier die Zweckerreichung oder den Zweckfortfall, allein oder weit überwiegend zu vertreten hat. Die Gegenleistung mindert sich allerdings durch die Anrechung nach § 326 II 2. Ein Fall des Vertretenmüssens ist auch § 649; gleichgestellt sind andere in der Person des Gläubigers liegende Umstände, s. z. B. die mietrechtliche Spezialregelung in § 537. Beispiel: Der Reeder lässt den Frachter von einem anderen Unternehmer freischleppen, oder es gelingt der Schiffsbesatzung, dies selbst zu tun: Der Reeder hat die Zweckerreichung zu vertreten und schuldet deshalb weiterhin gem. § 326 II 1 Alt 1 die Gegenleistung. Diese mindert sich aber um die Ersparnis und die anderweitigen Verdienstmöglichkeiten, welche das Bergungsschiff nun möglicherweise hat.

Ein Teil der Lehre möchte die Verantwortlichkeit des Gläubigers weit auslegen, und im Sinne einer Einheitslösung für alle Schuldverhältnisse zu einer Zahlungspflicht des Gläubigers gelangen, wenn die Zweckstörung aus seiner Risikosphäre stammt. Dabei ist zusätzlich streitig, ob lediglich ein Restvergütungsanspruch in Höhe der vom Schuldner gemachten vorbereitenden Leistungshandlungen besteht, oder ein Gesamtvergütungsanspruch mit dem Abzug nach § 326 II 2.6 Vorzugswürdig ist eine differenzierte Lösung, die auf die einzelnen Schuldverhältnisse mir ihrer typischen Risikoverteilung zurückgreift. Dabei ist zwischen Sach- und Geldleistungen einerseits und Dienstleistungen andererseits zu unterscheiden. Für Sach- und Geldleistungen ist das Modell des § 326 II am geeignetsten: Hiernach bleibt im Ausgangspunkt der volle Anspruch auf die Gegenleistung bestehen. Für den Abzug nach S. 2 ist der Gläubiger beweispflichtig. Praktisch bedeutsamer sind die Dienstleistungen. Hier ist eine analoge Anwendung von § 645 I geboten, also von vornherein nur ein Teilvergütungsanspruch zuzusprechen: Bei Arbeitsleistungen, die schwer zu beziffern sind, soll der Handwerker seine Auslagen und seinen Verdienstanteil dartun.

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Beispiel: Bei einem Ausflug ins Grüne bleibt das Auto des B ohne ersichtlichen Grund stehen. B lässt telefonisch einen Abschleppwagen des Werkstattunternehmens W kommen. Als dieser eintrifft, springt B’s Auto von selbst wieder an. W, der unverrichteter Dinge wieder heimfährt, kann einen seiner Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und die Auslagen verlangen, §§ 275 I, 326 I 1 Halbs. 1, 645 I analog.

3. Faktische Unmöglichkeit § 275 II erstreckt den Ausschluss der Leistungspflicht auf die faktische Unmöglichkeit (andere Bezeichnungen: praktische Unmöglichkeit; veraltet: wirtschaftliche Unmöglichkeit). Allerdings ist hier die Leistungspflicht nicht ipso iure (kraft Gesetzes, ohne zusätzliches Tätigwerden) ausgeschlossen. Dem Schuldner wird lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht in Form einer Einrede eingeräumt: Der Schuldner kann in diesen Fällen leisten, muss aber nicht. Wie bei allen Einreden ist es erforderlich, dass der Schuldner sich auf sie beruft. Tut er dies nicht, wird er vom Gericht auf Leistung verurteilt. Faktische Unmöglichkeit setzt nach der gesetzlichen Regelung voraus, dass die

6 Für Restvergütungsanspruch Beuthien §§ 3, 5; Esser 4 § 35 Ia; für Analogie zu § 326 II (= § 324 a. F.) Larenz, I § 21 Ic. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 17 Rdn. 11, schlagen Teilunmöglichkeit i. S. v. § 326 I 1 Halbs. 2 mit nach § 441 III geminderter Gegenleistungspflicht vor.

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Leistung einen Aufwand erfordert, der in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Beispiele: Der Leistungsgegenstand versank auf den Meeresgrund, das Auffinden und Heben ist theoretisch möglich, aber wirtschaftlich unsinnig.7 – Voraussetzung für die Möglichkeit der Erfüllung ist die Ermittlung einer Person (z. B. des Diebes, der die geschuldete Ware gestohlen hat). Unter Einschaltung von Detektiven und der zuständigen Behörden des In- und Auslandes wäre es vielleicht möglich, die Person zu ermitteln, aber das würde gänzlich unvertretbare Summen kosten.8 – Das geschuldete Tier entläuft; das Einfangen würde das Vielhundertfache des Tierwerts betragen.

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Nach der ausdrücklichen Regelung in § 275 II 1 und 2 ist für die Frage der Zumutbarkeit auch auf den Inhalt des Schuldverhältnisses, das Gebot von Treu und Glauben, sowie auf ein eventuelles Vertretenmüssen abzustellen. Selbstverständlich besteht keine Leistungspflicht, wenn bereits die Auslegung des Vertrags dazu führt, dass die betreffende Leistung nicht geschuldet wird. Eine erhebliche Rolle spielt auch der Unterschied zwischen Stückschuld und Gattungsschuld. Wird nur eine der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet, so sind vom Schuldner größere Anstrengungen zu erwarten als bei der Stückschuld. Nach der ausdrücklichen Regelung in § 275 II 2 steigt die Grenze der Zumutbarkeit ganz besonders auch dann, wenn der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.9 Nicht unter § 275 II fällt die sog. wirtschaftliche Unmöglichkeit (in moderner Ausdrucksweise).10 Darunter sind Fälle zu verstehen, in denen die Leistung zu Lasten des Schuldners erschwert ist oder wird, aber nicht das grobe Missverhältnis i. S. v. § 275 II erreicht wird. Solche Fälle sind nach den Regeln über die Geschäftsgrundlage (§ 313) oder allgemein nach § 242 zu behandeln (dazu oben Rdn. 209 ff). Da hier § 275 nicht einschlägig ist, liegt in Wirklichkeit kein Fall von Unmöglichkeit vor. Die einschlägigen Konstellationen sind besser mit „wirtschaftliche Unzumutbarkeit“ zu kennzeichnen (ebenfalls verwendet: „Überschreiten der Opfergrenze“, „ruinöse Aufwendungen“, „Unerschwinglichkeit“, „überobligationsmäßige Schwierigkeiten“ 11). Beispiele: Die Bezugskosten der zur Lieferung versprochenen Ware haben sich stark verteuert („Öl-Krise“). – Ein Schuldner stellt nach Abschluss eines Lieferungsversprechens fest, dass das Produkt mit den vorhandenen Maschinen nicht hergestellt werden kann. Es müsste ein ganz neuer Produktionszweig mit unverhältnismäßig hohen Kosten eingerichtet werde. – Durch Streiks oder Unruhen sind bestimmte Transportwege unbenutzbar geworden, so dass die Fracht wegen des Umwegs das Vielfache kostet. – War der Mehraufwand bei ordnungsmäßiger Sorgfalt nicht vorauszusehen, kann der Schuldner in erster Linie Anpassung des Vertrags gem. § 313 I verlangen, wobei insbesondere auch der Risikocharakter des Geschäfts zu prüfen ist.

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Abgrenzung: § 275 II und § 313 stehen in einem alternativen Verhältnis, d. h. es liegt entweder ein Fall der faktischen Unmöglichkeit oder eine Störung der Geschäftsgrundlage vor.12 Dabei geht § 275 dem § 313 vor.13 Beide Vorschriften unterscheiden sich nicht

7 A. A. Otto, Jura 2002, 1 (3): Objektive Unmöglichkeit i. S.v. § 275 I. 8 Zu der – nicht einheitlich diskutierten Frage – ob bei Diebstahl und Abhandenkommen ein Fall des § 275 I oder II vorliegt, s. o. Rdn. 372. 9 S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 307 f. 10 GesBegr BT-Drs 14/6040, 130. 11 Vgl. Heck Grundriss des Schuldrechts 88. 12 A. A. Otto, Jura 2002, 1 (5), Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht AT Rdn. 485, die für ein kumulatives Verhältnis von § 275 II und § 313 plädieren: Wenn die Voraussetzungen von § 275 II vorliegen, habe diese Vorschrift lediglich „zunächst“ Vorrang. In einem nächsten Schritt könnten dann beide Seiten Vertragsanpassung nach § 313 verlangen. Dies ist mit § 326 I 1, V nicht verein-

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nur in den Voraussetzungen, sondern auch in den Rechtsfolgen. Nach § 313 werden die Leistungspflichten – wenn auch in angepasster Form – möglichst aufrechterhalten. Nach § 275 (i. V. m. § 326 I 1) fallen die Leistungspflichten hingegen weg. Die Grenzziehung zwischen faktischer Unmöglichkeit und Störung der Geschäftsgrundlage kann im Einzelfall erhebliche Probleme bereiten.14 Laut Gesetzesbegründung ist für die Anwendung von § 275 II allein auf das Leistungsinteresse des Gläubigers abzustellen; es kommt danach nicht darauf an, wie sich der Aufwand für die Leistung zu den eigenen Interessen des Schuldners verhält.15 Außerdem setzt § 275 II ein „grobes Missverhältnis“ von Aufwand des Schuldners und Leistungsinteresse des Gläubigers voraus. Der Vergleich mit den §§ 251 II, 439 III, 635 III, 651c II 2 zeigt, dass ein „grobes Missverhältnis“ mehr als nur „unverhältnismäßige Aufwendungen“ verlangt. Der Anwendungsbereich von § 275 II ist damit auf Fälle besonders krassen Mehraufwands beschränkt.16 Zudem darf nicht darauf abgestellt werden, ob der Mehraufwand für den Schuldner ruinös ist, sondern lediglich darauf, ob das Interesse des Gläubigers an der Leistung diesen Aufwand nach Treu und Glauben noch deckt. Äquivalenzstörungen, welche diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind an § 313 zu messen (s. o. Rdn. 209ff). Beispiele: Die Beispiele für faktische Unmöglichkeit i. S. von § 275 II oben Rdn. 396 zeichnen sich dadurch aus, dass der Aufwand für die Leistung das Interesse des Gläubigers an der Leistung um ein Vielfaches übersteigt. Wenn der gestohlene Gegenstand z. B. einen Wert von 100 Euro hat, die Suchkosten aber 10.000 Euro betragen, wird das Leistungsinteresse des Gläubigers um das neunundneunzigfache übertroffen, was sicherlich ein „grobes Missverhältnis“ i. S. der Vorschrift begründet. – Dagegen wird in den Beispielsfällen zur wirtschaftlichen Unzumutbarkeit oben Rdn. 398 die Leistung für den Schuldner zunächst einfach nur teurer, ohne dass ein Missverhältnis zum Gläubigerinteresse erreicht wird: Wenn das geschuldete Öl teurer wird, erhöht sich auch das Interesse des Gläubigers hieran, so dass kein Fall des § 275 II vorliegt. Es kommt allenfalls Anpassung des Vertrags nach § 313 in Frage.

4. Persönliche Unmöglichkeit Gem. § 275 III hat der Schuldner bei persönlicher Leistungserbringung ein Leistungsverweigerungsrecht (Einrede wie bei § 275 II), wenn eine Interessenabwägung zu dem Ergebnis führt, dass sie ihm nicht zumutbar ist (persönliche Unmöglichkeit). Standardbeispiel ist die Sängerin, die nicht auftreten möchte, weil ihr Kind schwer erkrankt ist. Die Gesetzesbegründung nennt außerdem während der Arbeitszeit notwendige Arztbesuche, die notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger, sowie die Ladung zu Behörden und Gerichtsterminen.17 Es ist für § 275 III charakteristisch, dass auch die Interessen des Schuldners in die Frage der Zumutbarkeit einzubringen sind, wogegen der Bezugspunkt von § 275 II ausschließlich das Gläubigerinteresse ist. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht solange, wie der Hinderungsgrund besteht. Bei vorübergehenden Verhinderungen (das Kinder der Sängerin gesundet) ist § 275 III

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bar, wonach im Fall des § 275 II die Gegenleistungspflicht des Gläubigers entfällt, bzw. er ein Rücktrittsrecht hat. Unbilligkeiten im Einzelfall sind über § 242 zu korrigieren. Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 229. Zimmer, NJW 2002, 1 (4); kritisch zu § 275 II deshalb Picker, JZ 2003, 1035. GesBegr BT-Drs 14/6040, 130. S. hierzu Canaris, JZ 2001, 499 (501 f), auf den die Initiative zur Neufassung von § 275 zurückgeht (ebd. Fn. 27). S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 310: „offensichtliche Extremfälle“. GesBegr BT-Drs 14/6040, 130.

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eine dilatorische (aufschiebende) Einrede, bei einem dauernden Hindernis (s. sogleich die Gewissensfälle) handelt es sich um eine peremptorische (dauernde) Einrede.18 Es ist nicht eindeutig, ob unter § 275 III auch die Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen fällt. Beispiele: Der an einem Krankenhaus angestellte katholische Arzt verweigert die Teilnahme an einem Schwangerschaftsabbruch. – Der Setzer einer Zeitungsdruckerei lehnt es ab, neonazistische Texte zu bearbeiten. – Die Verlagsmitarbeiterin weigert sich, an einer frauenfeindlichen Publikation mitzuwirken. – Der Atomkraftgegner behält einen Teil der Stromrechnung ein.

Die Gesetzesbegründung weist die Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen der Geschäftsgrundlage (§ 313), bzw § 242 zu.19 Andere möchten diese Fälle in Zukunft § 275 III zuordnen.20 Dem ist für die gravierenden Fälle beizupflichten: Die Fälle schwerer Gewissenskonflikte werden von § 275 III nach Wortlaut und Zweck erfasst, da das personale Element und das Kriterium objektiver (und damit Rechtswidrigkeit hindernder) Zumutbarkeit die entscheidenden Elemente auch dieser Fallgruppe sind. Die entgegenstehenden Ausführungen in der Gesetzesbegründung mögen damit zusammenhängen, dass Diskussionsentwurf und Konsolidierte Fassung noch keine Spezialregelung für die persönliche Unmöglichkeit vorsahen. Unter die faktische Unmöglichkeit passen die Fälle nicht, weil hier allein auf das Gläubigerinteresse abzustellen ist. Nachdem aber eine eigenständige Regelung der persönlichen Unmöglichkeit geschaffen wurde, die im Gegensatz zu § 275 II gerade auch auf die Interessen des Schuldners abstellt, ist eine angemessene Erfassung der Gewissensbedenken möglich. Eine inhaltliche Änderung ist hiermit nicht verbunden: Das Leistungsverweigerungsrecht setzt auch in Zukunft voraus, dass der Schuldner tiefgreifende moralische Bedenken hat, welche unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls den Interessen des Gläubigers überzuordnen sind. War der Konflikt bereits bei Eingehung des Schuldverhältnisses bekannt, können die Gewissensgründe nicht ohne guten Grund plötzlich geltend gemacht werden. § 275 III setzt allerdings voraus, dass die Leistung persönlich zu erbringen ist. Der Stromboykott des Atomkraftgegners fällt nicht hierunter. In solchen Fällen bleibt nur der Weg über die §§ 242, 313. 5. Bewertung von § 275 402

Die Neufassung von § 275 durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist von dem Bestreben geprägt, eine möglichst vollständige Regelung der Unmöglichkeit zu erreichen. Dieses Ziel wurde insofern erreicht, als § 275 I nun gleichmäßig alle Fälle der anfänglichen und nachträglichen, objektiven und subjektiven Unmöglichkeit erfasst. Für Anwendungssicherheit sorgt auch Abs. 2 der Vorschrift: Die Einräumung eines Leistungsverweigerungsrechts für die faktische Unmöglichkeit macht klar, dass die bloß „wirtschaftliche Unmöglichkeit“ (im Sinne von Unzumutbarkeit) nicht bei § 275 zu ver-

18 Bei § 275 II handelt es sich dagegen in aller Regel um eine peremptorische Einrede, da sich in der Regel an dem „groben Mißverhältnis“ nichts zu ändern pflegt, s. Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 279. Ein anderes Beispiel für eine peremptorische Einrede ist die Verjährung. Dilatorische Einreden sind hingegen die §§ 273, 320, s. unten § 47. 19 GesBegr BT-Drs 14/6040, 130. In diesem Sinn auch Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 227. Die Rechtsprechung löste diese Fälle durch Bejahung von Entschuldigungsgründen, nahm also rechtswidrige Pflichtverletzung an. 20 S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 311; Otto, Jura 2002, 1 (4 f); Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht AT, Beispiele Ende Rdn. 486.

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orten ist. Allerdings darf die Trennschärfe von § 275 nicht überschätzt werden. § 275 III macht deutlich, dass der engere Bereich der Unmöglichkeit verlassen und das weite Feld der Unzumutbarkeit betreten wird. Unmöglichkeit i. e. S. liegt lediglich bei § 275 I vor, allenfalls noch bei Abs. 2, aber sicherlich nicht in den Fällen des Abs. 3. Der Oberbegriff der Unmöglichkeit wurde hier zwar für alle drei Absätze verwendet, um innerhalb derselben Vorschrift eine einheitliche Terminologie zu haben. Die Abstufung der drei Absätze, die schon in den unterschiedlichen Rechtsfolgen (Einwendung, Einrede) zum Ausdruck kommt, macht aber deutlich, dass die Lehre von der Unmöglichkeit im Grunde nur ein Ausschnitt aus der allgemeinen Frage ist, wann vom Grundsatz der Bindung eines Vertragsversprechens (pacta sunt servanda) eine Ausnahme zu machen ist. Irrtums- und Unmöglichkeitsrecht (wie überhaupt die Leistungsstörungen) sind spezialisierte Anwendungsfälle der „Bindungskorrekturen“ durch Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte und bestimmen durch ihre positiv-rechtliche Ausgestaltung den Anwendungsbereich der §§ 242, 313 in negativem Sinn (dazu oben Rdn. 243). Wenn sich ein einschlägiger Fall nicht unter § 275 subsumieren lässt, ist stets die Frage zu untersuchen, ob möglicherweise Unzumutbarkeit nach diesen Regeln besteht (hierzu oben Rdn. 209 ff). 6. Leistungsgefahr; Gegenleistungsgefahr Der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 regelt die Leistungsgefahr. Unter diesem Begriff versteht man das Risiko, im Fall der Unmöglichkeit noch einmal leisten zu müssen. § 275 weist die Leistungsgefahr dem Gläubiger zu: Dieser verliert den (durchsetzbaren) Anspruch auf die Leistung, wenn ein Fall der Unmöglichkeit vorliegt. Für die Stückschuld gilt diese Aussage ohne Einschränkung. Bei der Gattungsschuld geht die Leistungsgefahr auf den Gläubiger erst mit Konkretisierung (§ 243 II), bzw. mit Annahmeverzug über (§ 300 II, zur Geldschuld s. o. § 29). Da § 275 nicht (mehr) auf ein Vertretenmüssen des Schuldners abstellt, kommt es für die Zuweisung der Leistungsgefahr auf ein Vertretenmüssen nicht an. Die Leistungsgefahr liegt also selbst dann beim Gläubiger, wenn der Schuldner die geschuldete Sache absichtlich zerstört. Von der Leistungsgefahr ist die Gegenleistungsgefahr zu unterscheiden. Sie bezeichnet das Risiko, die Gegenleistung noch erbringen zu müssen, obwohl die Leistung ausgeblieben ist. Die Gegenleistungsgefahr trägt grundsätzlich der Gläubiger der Gegenleistung: Wenn der Verkäufer wegen Unmöglichkeit nicht liefern kann, hat er auch keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises. Handelt es sich bei der Gegenleistung wie in diesem Beispiel um ein Entgelt, spricht man auch von Preisgefahr, beim Werkvertrag von Vergütungsgefahr. Die Gegenleistungsgefahr verlagert sich, wenn der Gläubiger, also im Beispiel der Käufer die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder sich im Annahmeverzug befindet (§ 326 I 1, II und unten Rdn. 450ff). – Die Terminologie des Gesetzes unterscheidet nicht nach Leistungs- und Gegenleistungsgefahr. Deshalb muss immer – namentlich im Gutachten – aus dem Zusammenhang erschlossen werden, welche Gefahr gemeint ist. So betrifft § 300 II die Leistungsgefahr, die §§ 446, 447 hingegen die Gegenleistungsgefahr.21 – Nichts mit der Unterscheidung von Leistungs- und 21 S. die nützliche Merkregel von Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 300: Da der Begriff der Gegenleistung erst in den Regeln über den gegenseitigen Vertrag, also in den §§ 320 ff eingeführt wird, ist in den Vorschriften vorher stets die Leistungsgefahr, in den Vorschriften nachher die Gegenleistungsgefahr gemeint, mit der Besonderheit, daß die §§ 644, 645 sowohl Leistungs- als auch Gegenleistungsgefahr regeln (s. hierzu unten § 84).

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Gegenleistungsgefahr hat der Begriff der Sachgefahr zu tun, der insbesondere die Sachversicherung interessiert. Den Eigentümer trifft grundsätzlich die Sachgefahr, nämlich das Risiko, dass seine Sache untergeht (casum sentit dominus, s. die Spezialregelung in § 644 I 3).

III. Schadensersatz, Ersatz vergeblicher Aufwendungen und Herausgabe von Ersatzvorteilen („stellvertretendes commodum“) 1. Allgemeines 405

§ 275 lässt die Leistungspflicht bei Unmöglichkeit entfallen, weist also die Leistungsgefahr dem Gläubiger zu. Damit sind allerdings nicht alle Fragen beantwortet. Es ist zu klären, ob an die Stelle der untergegangenen Forderung ein Anspruch auf Schadensersatz oder auf andere Leistungen tritt. Eine Antwort auf diese Fragen gibt § 275 IV. Danach bestimmen sich die Rechte des Gläubigers nach den dort in Bezug genommenen Vorschriften: §§ 280, 283 bis 285, 311a. Mit „Gläubiger“ meint das Gesetz in diesem Zusammenhang den Gläubiger der unmöglichen Leistung. Für den gegenseitigen Vertrag muss außerdem das Schicksal der Gegenleistung geregelt werden, nämlich ob die Pflicht zur Gegenleistung entfällt oder aufrechterhalten wird, und nach welchen Vorschriften die bereits erbrachte Leistung ggf zurückverlangt werden kann, § 326 (zur Gegenleistungsgefahr s. u. IV). Beispiel: V verkauft an K eine Kommode, die vor Übergabe und Übereignung durch einen Brand zerstört wird. Nach § 275 I ist der Anspruch des Käufers aus § 433 I 1 ausgeschlossen. Zusätzlich müssen folgende Fragen geklärt werden: Kann V dennoch Zahlung des Kaufpreises von K verlangen? Wenn dies nicht der Fall ist, nach welchen Vorschriften kann K eine bereits erbrachte Zahlung von V zurückverlangen? Stehen K ggf. andere Ansprüche gegen V zu, z. B. auf Schadensersatz oder auf Auszahlung einer Versicherungssumme für die Kommode? Eine Antwort auf diese Fragen gibt der Verweis in § 275 IV. Gläubiger i. S. der Vorschrift ist bei Untergang der Kaufsache der Käufer!

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Bevor näher auf die Rechtsfolgen eingegangen wird, sei auf eine Ungenauigkeit in § 275 IV hingewiesen. Die in Bezug genommenen Vorschriften bestimmen – entgegen dem Wortlaut der Vorschrift – nicht lediglich die Rechte des Gläubigers der unmöglichen Leistung, sondern im gegenseitigen Vertrag auch die Rechte des Schuldners, im Beispiel also die Rechte des Verkäufers: Dieser behält gem. § 275 IV i.V. m. § 326 II beispielsweise den Anspruch auf Kaufpreiszahlung, wenn K die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder sich im Annahmeverzug befindet. Der Gläubiger hat gegen den Schuldner der unmöglichen Leistung einen Schadensersatzanspruch gem. den §§ 280, 283 oder gem. § 311a II, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschriften, insbesondere ein Vertretenmüssen des Schuldners vorliegen. Nach altem Recht existierten unterschiedliche Anspruchsgrundlagen für einfache Leistungspflichten und für gegenseitige Verträge (§§ 280, 325 a. F.). Die Anspruchsgrundlagen des modernisierten Schuldrechts differenzieren nicht mehr nach diesem Kriterium, gelten also gleichermaßen im Synallagma und in einfachen Leistungsbeziehungen. In den §§ 323 ff existieren zwar Sonderregeln für gegenseitige Verträge. Diese betreffen aber nicht den Schadensersatzanspruch (Ausnahme: § 325), sondern das Rücktrittsrecht, bzw. den Wegfall der Gegenleistungspflicht. Allerdings wird (weiterhin) nach anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit unterschieden. Im Gutachten wird üblicherweise zunächst der seltenere Fall, die anfängliche Unmöglichkeit geprüft, gleichsam „aus dem Wege geräumt“ (unten 2.). Dann sollen die allgemeinen Regeln der §§ 280, 283 erläutert werden (unten 3.).

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2. Schadensersatz bei anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311a II) Das BGB enthält zahlreiche Vorschriften über die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften (s. z. B. die §§ 125, 134, 138, 142 I). Genau umgekehrt ordnet § 311a I an, dass Verträge nicht deshalb unwirksam sind, weil ein Fall anfänglicher Unmöglichkeit vorliegt. Diese Klarstellung hat historische Gründe. Gem. § 306 a. F. war der auf eine objektiv unmögliche Leistung gerichtete Vertrag nichtig: impossibilium nulla est obligatio. Wer die Unmöglichkeit kannte oder kennen musste, haftete folglich gem. § 307 a. F. auf das negative Interesse. Man war der Auffassung, dass der auf eine unmögliche Leistung gerichtete Vertrag nicht wirksam sein könne.22 Durch die Schuldrechtsmodernisierung wird der alte Rechtssatz uminterpretiert: Auch im Fall der anfänglichen Unmöglichkeit liegt ein wirksamer Vertrag vor. Lediglich dem Erfüllungsanspruch stehen der Anspruchsausschluss oder die Einreden des § 275 entgegen (nulla obligatio; zur Rechtsfigur des Vertrags ohne primäre Leistungspflicht s. bereits oben Rdn. 389). Die Reform stellt eine wichtige Verbesserung dar: Die Zufälligkeit, ob der Vertragsgegenstand vor oder nach Vertragsschluss untergegangen ist, hat in Zukunft weniger gravierende Auswirkungen. Der Gläubiger der unmöglichen Leistung hat einen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner gem. § 311a II 1. Der Anspruch setzt voraus, dass der Schuldner das Leistungshindernis bei Vertragsschluss entweder kannte oder seine Unkenntnis zu vertreten hat, was aufgrund der negativen Formulierung in § 311a II 2 vermutet wird. Geschuldet wird Schadensersatz statt der Leistung, also im Gegensatz zu § 307 a. F. das positive Interesse (s. o. Rdn. 363). Ein Unterschied zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit bleibt: Während sich das Vertretenmüssen bei der nachträglichen Unmöglichkeit auf die Umstände bezieht, die zur Unmöglichkeit geführt haben (s. o. Rdn. 370), stellt § 311a II auf das Kennen oder Kennenmüssen des Leistungshindernisses ab. Es kommt also nicht darauf an, ob der Schuldner für die Umstände verantwortlich ist, die zur Unmöglichkeit geführt haben, sondern es wird lediglich darauf abgestellt, ob er seine Unkenntnis vom Leistungshindernis zu vertreten hat.

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Beispiel: V verkauft an K sein Boot. Dieses soll eigentlich im Hafen liegen, wurde aber vier Stunden vor Vertragsschluss vom Blitz getroffen und vollständig zerstört. Bei § 311a II kommt es (im Gegensatz zu §§ 280 I, III 283) nicht darauf an, ob V für den Untergang des Boots verantwortlich ist, was hier nicht der Fall ist. Es kommt lediglich darauf an, ob V die Unmöglichkeit hätte kennen können. Da man dem Verkäufer zumuten kann, sich kurz vor Vertragsschluss noch einmal seiner Leistungsfähigkeit zu vergewissern, ist seine Unkenntnis fahrlässig, so dass er nach § 311a II haftet.

a) Dogmatische Grundlagen

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§ 311a II erfüllt dieselbe Funktion wie die §§ 280 I, III, 283: Der Gläubiger erhält für den untergegangenen, bzw. nicht durchsetzbaren Erfüllungsanspruch einen Schadensersatzanspruch. § 311a II ist im Verhältnis zu den §§ 280 I, III, 283 eine eigenständige Anspruchsgrundlage.23 Bei anfänglicher Unmöglichkeit ist § 311a II einschlägig, bei nachträglicher Unmöglichkeit die §§ 280 I, III, 283. Da im Gegensatz zum alten Recht nicht nach objektiver und subjektiver Unmöglichkeit differenziert wird, erfasst § 311a II

22 Hiergegen bereits Rabel, FS Bekker (1907) 171 ff. 23 GesBegr BT-Drs 14/6040, 166; Canaris, JZ 2001, 499 (507); von Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1/2002, 3* (5*); a. A. Schlechtriem, Schuldrecht AT 5 Rdn. 372a: Rechtsgrundverweisung auf §§ 280 ff.

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auch die früher nicht geregelte und heftig umstrittene Fallgruppe der anfänglichen subjektiven Unmöglichkeit. Schadensersatzansprüche werden auch für diese Konstellation von einem Vertretenmüssen des Schuldners abhängig gemacht.24 Dies stellt eine Abkehr von der früher überwiegend vertretenen Garantiehaftung des Schuldners dar.25 Gem. § 276 kann sich aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses zwar ergeben, dass der Schuldner nicht nur Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu vertreten hat, sondern auch verschuldensunabhängig einzustehen hat (z. B. das Beschaffungsrisiko bei einer Gattungsschuld trägt).26 Hierfür müssen aber besondere Anhaltspunkte vorliegen. Keinesfalls kann dem Vertragsabschluss systematisch das unbedingte Versprechen der eigenen Leistungsfähigkeit, also eine Garantie entnommen werden.27 Der dogmatische Grund für die Haftung nach § 311a II besteht in der Nichterfüllung des gem. § 311a I wirksamen Leistungsversprechens, nicht dagegen in der Verletzung der nach § 275 ja von Anfang an ausgeschlossenen Leistungspflicht oder der Verletzung einer vorvertraglichen Informationspflicht über die eigene Leistungsfähigkeit.28 Bestünde der Vorwurf nämlich in der Verletzung einer solchen Informationspflicht, könnte man dem Gläubiger nur einen Anspruch auf das negative Interesse einräumen, da bei korrekter Information der Vertrag ja gerade nicht zustande gekommen wäre.29 Die gesetzliche Regelung in § 311a II knüpft aber nicht an die Pflichtverletzung, sondern an die Nichterfüllung an: Da wegen § 311a I der Vertrag wirksam ist, wird auch auf das Erfüllungsinteresse gehaftet.30 § 311a II ist damit kein Anwendungsfall der ansonsten im reformierten Schuldrecht dominierenden Kategorie der Pflichtverletzung.

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b) Tatbestand der Norm Der Schadensersatzanspruch aus § 311a II setzt zunächst einen wirksamen Vertrag voraus, wobei die anfängliche Unmöglichkeit der Wirksamkeit nicht entgegensteht (so die Klarstellung in § 311a I). Es muss ein Fall der Unmöglichkeit i. S. v. § 275 vorliegen, wozu in den Fällen von Abs. 2 und 3 der Vorschrift auch gehört, dass der Schuldner von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, also die Einrede tatsächlich erhoben hat. Die Unmöglichkeit muss bereits bei Vertragsschluss vorgelegen haben (anfängliche Unmöglichkeit). Der Anspruch besteht nicht, wenn der Schuldner das Leistungshindernis bei Vertragsschluss nicht kannte und seine Unkenntnis auch nicht zu vertreten hat (§ 311a II 2). Schließlich muss – wie bei allen Schadensersatzansprüchen – ein Schaden vorliegen. Für einen Anspruch aus § 311a II ergeben sich hieraus folgende Tatbestandsmerkmale: 24 S. die Kontroverse während der Gesetzgebungsarbeiten zwischen Altmeppen (DB 2001, 1399, 1402: Garantiehaftung) und Canaris (DB 2001, 1815, 1818 f: Verschuldensprinzip, bzw. Vertretenmüssen). 25 S. bereits oben Fn. 363. 26 Zimmer, NJW 2002, 1 (3). 27 Canaris, DB 2001, 1815 (1818 f). 28 GesBegr BT-Drs 14/6040, 165. Sieht man bei der nachträglichen Unmöglichkeit die Pflichtverletzung allerdings bereits in der bloßen Nichtleistung infolge Unmöglichkeit, besteht kein Unterschied zwischen der „Pflichtverletzung“ bei nachträglicher und der „Nichterfüllung“ bei anfänglicher Unmöglichkeit. Wichtig bleibt aber die Feststellung, dass der Vorwurf bei der anfänglichen Unmöglichkeit nicht in der Verletzung von Informationspflichten besteht, da dieser Vorwurf nur eine Haftung auf das negative Interesse tragen würde. 29 In diesem Sinn Altmeppen, DB 2001, 1399 (1400), 1821 (1823). 30 Canaris, DB 1815 (1818); Medicus, Schuldrecht I Rdn. 496.

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1. Vertrag: Allerdings analoge Anwendung auch auf einseitige Rechtsgeschäfte; 2. Anfängliche Unmöglichkeit: Ein Fall des § 275 I – III bereits bei Vertragsschluss; 3. Vertretenmüssen des Schuldners (§§ 276–278): Bezieht sich gem. § 311a II 2 auf die Kenntnis, bzw Unkenntnis des Leistungshindernisses; 4. Schaden (und die Kausalität der Unmöglichkeit für den Schaden).

c) Besondere Formen der Unmöglichkeit, insbesondere die qualitative Unmöglichkeit

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Für einen Anspruch aus § 311a II kommen alle Formen der Unmöglichkeit in Betracht, wenn es sich nur um ein anfängliches Leistungshindernis handelt (s. o. Rdn. 369 ff). Erfasst wird neben der objektiven auch die subjektive Unmöglichkeit, für die damit seit der Schuldrechtsmodernisierung erstmals eine ausdrückliche Regelung im Gesetz vorliegt. Beispiele für anfängliche objektive Unmöglichkeit: S. bereits oben Rdn. 376. Außerdem: Kauf der einem selbst gehörenden Sache: Niemand kann dem Eigentümer (nochmals) das Eigentum verschaffen. – Vermietung einer untergegangenen Sache. Beispiel für anfängliche subjektive Unmöglichkeit: Verkauf einer fremden Sache, wenn der Berechtigte die Zustimmung verweigert.

Ebenfalls einbezogen ist die Teilunmöglichkeit und die qualitative Unmöglichkeit. Wie sich aus dem Verweis in § 311a II 3 auf § 281 I 2 und 3 ergibt, kann in diesen Fällen großer Schadensersatz verlangt werden, wenn Interessewegfall oder eine erhebliche Pflichtverletzung vorliegen.31 Von besonderer Bedeutung ist gerade die anfängliche qualitative Unmöglichkeit, also die nicht behebbaren Mängel (s. o. Rdn. 381). Hier wird sogar der Hauptanwendungsfall von § 311a II liegen. In der Realität kommt es eher selten vor, dass kurz vor Vertragsschluss Bilder brennen und Boote sinken. Dass die verkauften Sachen oder die versprochenen Werke einen nicht behebbaren Sach- oder Rechtsmangel haben, ist hingegen von großer praktischer Bedeutung. Beispiele für anfängliche, nicht behebbare Sach-, bzw Rechtsmängel sind der Verkauf des vergoldeten Rings als golden und der Verkauf eines gestohlenen Fahrrads (s. o. Rdn. 381). Es liegt anfängliche qualitative Unmöglichkeit vor. Die Haftung des Verkäufers nach §§ 437 Nr. 3, 311a II hängt davon ab, ob der Verkäufer den Sach- oder Rechtsmangel kannte oder seine Unkenntnis zu vertreten hatte, was gem. § 311a II 2 vermutet wird. Großer Schadensersatz hängt gem. §§ 311a II 3, 281 I 3 von der Erheblichkeit der Pflichtverletzung ab, was in beiden Fällen zu bejahen ist.

d) Vertretenmüssen auf beiden Seiten

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Nach altem Recht war der Anspruch aus § 307 a. F. (Ersatz des negativen Interesses bei anfänglicher objektiver Unmöglichkeit) ausgeschlossen, wenn der andere Teil die Unmöglichkeit kannte oder kennen musste (§ 307 I 2). Bei beiderseitigem Vertretenmüssen kam es also nicht zur Anwendung des Rechtsgedankens des § 254, sondern zu vollständigem Anspruchsausschluss, unabhängig davon, wer in welchem Maß von der Unmöglichkeit Kenntnis hatte oder hätte haben müssen. Diese unsachgemäße Regelung wurde zu Recht nicht ins modernisierte Schuldrecht übernommen.32 Es gelten des31 S. u. Rdn. 421. Im Zusammenhang mit § 311a II bereitet das Merkmal der erheblichen Pflichtverletzung für die Fälle der qualitativen Unmöglichkeit allerdings Schwierigkeiten, da der Tatbestand von § 311a II ja keine Pflichtverletzung, sondern Nichterfüllung voraussetzt, s. o. Rdn. 409. 32 Zur Kritik des alten Alles-oder-Nichts-Prinzips in § 307 a. F. s. 9. Aufl. Rdn. 327. Abzulehnen deshalb von Wilmowsky (JuS 2002, Beilage zu Heft 1/2002, 3*, 13*), der bei anfänglicher objektiver Unmöglichkeit durch eine einseitige Auslegung von § 254 II zum Ergebnis des alten Rechts, also zu vollständigem Anspruchsausschluss gelangt.

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halb jetzt dieselben Grundsätze, die auch für die nachträgliche Unmöglichkeit entwickelt wurden (s. u. Rdn. 425 ff). Folgt man – wie hier vertreten – der kumulativen Theorie, ist der aus § 311a II folgende Schadensersatzanspruch des Gläubigers der unmöglichen Leistung entsprechend seinem Mitverschulden gem. § 254 zu kürzen und anschließend mit dem sich aus § 326 II ergebenden Gegenleistungsanspruch zu verrechnen (s. u. Rdn. 428). Im Rahmen der Verantwortlichkeit ist wegen § 311a II 2 stets auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Unmöglichkeit durch die Parteien abzustellen. Beispiel: Wenn im obigen Bootsbeispiel (Rdn. 407) K vor Vertragsschluss vom Blitzeinschlag im Hafen gehörte hätte, hätte auch er Erkundigungen über das Schicksal des begehrten Boots einziehen müssen. Ihn trifft deshalb eine Mitverantwortung, was die Kenntnis vom Leistungshindernis betrifft. Sein Schadensersatzanspruch aus § 311a II ist deshalb zu kürzen und mit dem Anspruch des V gegen K analog § 326 auf die Gegenleistung zu verrechnen. Nach der hier vertretenen Auffassung hat K die Wahl, ob er nach der Differenz- oder der Surrogationstheorie vorgeht (s. u. Rdn. 428).

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e) Rechtsfolgen Der Anspruch aus § 311a II geht auf Schadensersatz statt der Leistung, also auf das positive Interesse, wahlweise auf Aufwendungsersatz gem. § 284, also auf einen Teil des negativen Interesses (s. u. Rdn. 439 ff). Der ausdrückliche Verweis auf § 284 beruht darauf, dass § 311a II eine eigenständige Anspruchsgrundlage ist, auf welche die §§ 280 ff nicht ohne weiteres anwendbar sind.33 Entscheidet sich der Gläubiger für das positive Interesse, ist er so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Leistung stehen würde. Auf die Ausführungen zur nachträglichen Unmöglichkeit kann verwiesen werden. Insbesondere kann der Gläubiger nach der hier vertretenen Auffassung seinen Schadensersatz wahlweise nach der Differenz- oder der Surrogationstheorie berechnen (s. u. Rdn. 434). Der Unterschied zwischen Schadensersatz statt der Leistung und Aufwendungsersatz gem. § 284 sei durch folgendes Beispiel veranschaulicht. Beispiel: V verkauft sein Ölgemälde „Alpenglühen“ (Wert: 1.000 Euro) für 800 Euro an K. Das Bild hing im Ferienchalet des V, war aber am Tag vor dem Vertragsschluss in Folge eines Waldbrands, der auf das Haus übergegriffen hatte, zerstört worden. Ein Bekannter hatte V vom Waldbrand berichtet, V vertraute aber darauf, dass sein Chalet verschont geblieben war. K organisiert nach Vertragsschluss einen Gemäldetransport, der ihn 300 Euro kostet. Außerdem schlägt er das Angebot des X über ein anderes Ölgemälde aus, das ebenfalls ein „Alpenglühen“ darstellt. Bei dem Geschäft mit X hätte K wertmäßig 400 Euro verdient. – K hat gegen V einen Anspruch aus § 311a II: Es liegt ein Fall anfänglicher Unmöglichkeit vor. V hätte nach dem Anruf Erkundigungen einziehen müssen, hat seine Unkenntnis von der Zerstörung des Bilds also zu vertreten. K kann von V entweder Schadensersatz statt der Leistung; also das positive Interesse verlangen: Dieses beträgt 200 Euro, nämlich die Differenz zwischen Wert und Preis des verkauften Gemäldes. Oder er kann Aufwendungsersatz nach § 284 verlangen, nämlich die 300 Euro Transportkosten. Der Anspruch aus § 284 ist nicht auf das positive Interesse begrenzt (anders die §§ 122, 179 II).34 Die 400 Euro potentiellen Gewinns aus dem Geschäft mit X kann K hingegen nicht verlangen: Sie sind nicht Bestandteil des positiven Interesses, da K das Geschäft mit X ja gerade im Hinblick auf die erhoffte ordnungsgemäße Erfüllung durch V ausgeschlagen hat. Sie sind vielmehr Bestandteil des negativen Interesses, da K den Gewinn von 400 Euro realisiert hätte, wenn er nicht auf die Leistungsfähigkeit des V ver-

33 § 285 gilt demgegenüber auch ohne ausdrücklichen Verweis in § 311a II, da kein Schadensersatzanspruch gem. den §§ 280 ff, sondern lediglich ein Leistungshindernis i. S. v. § 275 vorausgesetzt wird (s. u. Rdn. 445). 34 S. hierzu GesBegr BT-Drs 14/6040, 144.

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traut hätte. § 284 spricht dem Gläubiger aber nur einen Teil des negativen Interesses zu, nämlich nur den Ersatz von Aufwendungen (anders die §§ 122, 179 II). K kann die 400 Euro deshalb nicht von V ersetzt verlangen. – Eine weitergehende Haftung nach § 826 oder nach §§ 823 II; 263 StGB wegen Betrugs bleibt unberührt, scheitert aber bei bloßer Fahrlässigkeit des Schädigers, da diese Vorschriften Vorsatz voraussetzen. – Muss auch K die Unmöglichkeit kennen, etwa weil der Waldbrand in den Medien gemeldet wurde, und er wusste, dass das Bild sich in dem betreffenden Ferienort befindet, mindert sich sein Schadensersatzanspruch gem. § 254 (s. näher hierzu oben Rdn. 412).

f) Behauptungs- und Beweislast

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Es gelten dieselben Grundsätze wie für die nachträgliche Unmöglichkeit. Insbesondere hängt die Beweislast davon ab, ob die anfängliche Unmöglichkeit zur Verteidigung oder zum Angriff eingesetzt wird (s. u. Rdn. 436). Macht der Gläubiger den Anspruch aus § 311a II geltend, muss er beweisen, dass ein Fall anfänglicher Unmöglichkeit vorliegt. Ist streitig, ob die Unmöglichkeit eine anfängliche oder nachträgliche war, kann der Schuldner wahlweise nach den §§ 280 I, III, 283 oder § 311a II verurteilt werden, wenn die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen vollständig vorliegen.35 Der Unterschied besteht im Bezugspunkt des Vertretenmüssens (s. dazu bereits oben Rdn. 407). Wie bei § 280 I 2 wird auch nach § 311a II 2 Vertretenmüssen des Schuldners vermutet. g) Verhältnis zum Irrtumsrecht; analoge Anwendung von § 122

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Zu beachten sind Überschneidungen zwischen der anfänglichen Unmöglichkeit und dem Irrtumsrecht, insbesondere der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums gem. § 119 II. Dies lässt sich am Beispiel des Kaufrechts veranschaulichen. Oben wurde festgehalten, dass die nicht behebbaren Sachmängel einen praktisch wichtigen Fall der anfänglichen Unmöglichkeit, nämlich der qualitativen Unmöglichkeit darstellen. Die für diesen Fall vorgesehenen Gewährleistungsrechte des Käufers dürfen nicht dadurch zunichte gemacht werden, dass sich der Verkäufer seiner Gewährleistungspflicht durch Anfechtung des Vertrags wegen Eigenschaftsirrtums entzieht. Dies folgt aus dem Verbot des Rechtsmissbrauchs.36 Beispiel: V verkauft dem K eine „Stradivari“. Später stellt sich heraus, dass die Geige in Wirklichkeit von einem weniger talentierten Geigenbauer stammt. Hier kann K gem. §§ 437 Nr. 2, 326 V, 323 V 2 vom Vertrag zurücktreten, außerdem von V Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3, 311a II verlangen, außer wenn V nachweist, dass er die Unkenntnis der mangelnden Echtheit nicht zu vertreten hat. V kann sich seiner Gewährleistungspflicht nicht dadurch entziehen, dass er den Kaufvertrag gem. § 119 II anficht und dann lediglich das negative Interesse nach § 122 schuldet (obwohl die Echtheit eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Geige i. S. v. § 119 II ist).

Hieraus folgt kein allgemeiner Vorrang von § 311a vor § 119 II, etwa aufgrund von Spezialität. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs sorgt aber zumindest im Einzelfall dafür, dass man sich der Schadensersatzpflicht aus § 311a II nicht durch Anfechtung gem. § 119 II entziehen kann.37

35 Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1/2002, 3* (*11). 36 BGH NJW 1988, 2597 (2598); eine entsprechende Klarstellung wurde bei der Modernisierung des Schuldrechts erwogen, aber für unnötig befunden, s. GesBegr BT-Drs 14/6040, 165. 37 Canaris, JZ 2001, 499 (506).

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Wie verhält es sich aber, wenn die eine unmögliche Leistung versprechende Partei keinen Schadensersatz gem. § 311a II schuldet, weil sie die Unkenntnis vom Leistungshindernis nicht zu vertreten hat? Im Stradivari-Beispiel hat V eine Expertise anfertigen lassen, in welcher ein anerkannter Sachverständiger die Echtheit der Geige bestätigte. Da man ohne weitere Angaben nicht davon ausgehen kann, dass V eine Garantie für die Echtheit übernommen hat, hat er die Unkenntnis des Leistungshindernisses in diesem Fall nicht zu vertreten. Er schuldet dem K damit keinen Schadensersatz (und auch keinen Aufwendungsersatz) gem. §§ 437 Nr. 3, 311a II.

Teilweise wird vorgeschlagen, dem Gläubiger in diesen Fällen einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses analog § 122 zuzusprechen. Zur Begründung wird ausgeführt, in der Regel liege zugleich ein Eigenschaftsirrtum i. S. v. § 119 II vor. Die Befreiung von der vertraglich übernommenen Leistungspflicht sei nach dem Regelungsmodell der §§ 119 II, 122 nur um den Preis einer verschuldensunabhängigen Haftung auf das negative Interesse zu haben.38 Eine analoge Anwendung von § 122 führt dazu, dass K im Stradivari-Fall zwar nicht sein positives, aber doch sein negatives Interesse (z. B. die Transaktionskosten) ersetzt verlangen kann. Etwas anderes würde analog § 122 II nur dann gelten, wenn er das Leistungshindernis kennen musste.

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Voraussetzung für eine Analogie ist das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke und eine für die rechtliche Bewertung maßgebliche Ähnlichkeit des im Gesetz geregelten mit dem nicht geregelten Tatbestand.39 Man wird hier nicht von vornherein die Möglichkeit einer Analogie ausschließen können: Der Gesetzgeber hat die Problematik zwar erkannt und bewusst auf eine Regelung verzichtet. Er hat dabei aber hinreichend klargestellt, dass hierdurch eine Rechtsfortbildung nicht ausgeschlossen sei, und sogar eine (unverbindliche) Analogieempfehlung gegeben.40 Dennoch ist das Vorliegen einer Gesetzeslücke zu verneinen und die Analogie zu § 122 abzulehnen.41 Der Abstimmung mit dem Recht der Willensmängel geht die widerspruchsfreie und zielorientierte Auslegung der Unmöglichkeitsregeln voraus. Ein wichtiges Anliegen der Schuldrechtsmodernisierung war es, die Zufälligkeiten der Unterscheidung von anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit durch eine möglichst weitgehende Angleichung der Rechtsfolgen zu überwinden (s. o. Rdn. 356). Zu diesem Zweck wurde die Schadensersatzhaftung für beide Fälle dem Verschuldensprinzip unterstellt, (§§ 280 I, III, 283 für die nachträgliche, § 311a II für die anfängliche Unmöglichkeit). Mit einer Analogie zu § 122 würde man diese Entscheidung zurücknehmen und für die anfängliche Unmöglichkeit eine Garantiehaftung auf das negative Interesse einführen. Einen Ausschnitt des negativen Interesses regelt § 284. Die Anwendung dieser Norm setzt über § 311a II ein Vertretenmüssen

38 Canaris, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001) S. 43 (64 f); ders., JZ 2001, 499 (507 f). Die Gesetzesbegründung hält dies für einen „gangbaren Lösungsansatz“, GesBegr BT-Drs 14/6040, 166. 39 S. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3 (1995) 191 ff, 202 ff. 40 S. Nachweis der GesBegr oben Fn. 38: „Diese Frage soll deshalb der Rechtsprechung überlassen bleiben, die sie aber im Sinne von Canaris lösen könnte.“ Kritisch zu der Vorgehensweise, in einem neuen Gesetz eine Analogie zu einem bekannten Problem vorzuschlagen Knütel, NJW 2001, 2519 (2520); Otto, Jura 2002, 1 (5); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht S. 126 Fn. 213. In der Tat fällt es schwer, von einer planwidrigen Lücke zu sprechen, wenn der Gesetzgeber die Lücke erkannt und damit geplant hat. 41 Ebenso Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Das Neue Schuldrecht § 2 Rdn. 91; Schwab/Witt/Mattheus, Examenswissen zum neuen Schuldrecht S. 80 f; im Ergebnis ebenfalls Cekovic-Vuletic Haftung wegen Unmöglichkeit nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (2003) 69 ff.

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des Schuldners voraus. Die gesetzliche Regelung würde durch eine analoge Anwendung von § 122 überspielt.42 Schließlich greift auch die Parallele zu § 119 II nicht durch. Der Irrende hat die freie Wahl, ob er von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch macht oder nicht. Nur im Fall der Anfechtung haftet er nach § 122, sonst selbstverständlich nicht. Es ist nicht sachgemäß, § 122 analog auf Fälle anzuwenden, in denen typischerweise nicht vom Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht würde.

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Im Stradivari-Fall hat V typischerweise kein Interesse daran, wegen Eigenschaftsirrtums anzufechten, da der Verkauf einer unechten Stradivari nur der anderen Seite nachteilig ist. (Das einzige Interesse bestünde darin, durch Anfechtung der Sachmängelgewährleistung zu entgehen; dieses Interesse wird aber bereits durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, s. o. Rdn. 415). Dreht man den Sachverhalt um, nämlich Verkauf einer vermeintlich unbedeutenden Geige, die sich dann als Stradivari herausstellt, kann V den Vertrag über § 119 II vernichten, haftet dann aber über § 122 auf das negative Interesse.

Das für eine Analogie geltend gemachte Argument, nämlich dass die Befreiung von der vertraglich übernommenen Leistungspflicht nach dem Regelungsmodell der §§ 119 II, 122 nur um den Preis einer verschuldensunabhängigen Haftung auf das negative Interesse zu haben sei, trifft in dieser Allgemeinheit also nicht zu. Der Preis der verschuldensunabhängigen Haftung ist nach dem Regelungsmodell der §§ 119 II, 122 nur dann zu zahlen, wenn das Geschäft nachteilig war, weil nur dann vom Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht wird. Nicht nur wegen der fehlenden Gesetzeslücke, sondern auch mangels Ähnlichkeit scheidet eine analoge Anwendung von § 122 deshalb aus. 3. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit (§§ 280 I, III, 283 S. 1) Hat der Schuldner das Unmöglichwerden der Leistung zu vertreten, kann der Gläubiger von ihm Schadensersatz gem. den §§ 280 I, III, 283 S 1 verlangen. Dieser Anspruch tritt an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs, der gem. § 275 I untergegangen ist, oder gegen den die Einrede aus § 275 II oder III erhoben wurde. § 283 S. 1 ist nur auf die nachträgliche Unmöglichkeit anwendbar. Dieses Merkmal findet sich zwar nicht im Text des § 283, ergibt sich aber aus dem Verhältnis zu § 311a II, der einen eigenständig ausgestalteten Schadensersatzanspruch für die anfängliche Unmöglichkeit vorsieht.

Die §§ 280 III, 283 sprechen dem Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung zu. Dieser Begriff ersetzt den „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ des alten Rechts.43 Die Änderung der Terminologie beruht auf der Überlegung, dass der Schadensersatzanspruch in diesen Fällen nicht an die Stelle der Erfüllung, sondern an die Stelle der primär geschuldeten Leistung tritt.44

42 Dauner-Lieb, ebd., die zudem auf die praktischen Konsequenzen der Analogie hinweist: Gerade im praktisch wichtigen Fall der nicht behebbaren Sachmängel würden beispielsweise Zwischenhändler stets verschuldensunabhängig auf das negative Interesse haften. 43 Auf Vorschlag der Schuldrechtskommission, Abschlussbericht (1992) 131; eingehend Hirsch, Jura 2003, 289. Der Gesetzgeber hat allerdings noch nicht überall den „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ durch den „Schadensersatz statt der Leistung“ ersetzt, s. die §§ 338, 340, 523, 524, 651 f, 1585b, 1586, 1613, 1615, 2183. Dies sollte im Interesse einheitlicher Terminologie nachgeholt werden. 44 GesBegr BT-Drs 14/6040, 137, zurückhaltender allerdings S. 142. Kritisch Dauner-Lieb/Heidel/ Lepa/Ring, Das Neue Schuldrecht § 2 Rdn. 35.

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Exkurs: Schadensersatzansprüche im rechtsgeschäftlichen Verkehr können zum einen auf das positive Interesse (= Erfüllungsinteresse, Vertragsinteresse, Vertragsschaden, Äquivalenzinteresse, Leistungsinteresse, Schadensersatz statt der Leistung), zum anderen auf das negative Interesse (= Vertrauensinteresse) gehen. Schadensersatz wegen der Verletzung von Schutzpflichten (§ 242 II) gehen auf das vertragsbegleitende Interesse (Esser: Integritätsinteresse; Medicus: Vertragsferne Schäden, s. o. Rdn. 360). Wird das positive Interesse, also Schadensersatz statt der Leistung geschuldet, ist der Geschädigte so zu stellen, wie er ohne die Pflichtverletzung stehen würde, also die ordnungsgemäße Leistung erhalten hätte. Insbesondere kann er auch den mit dem Geschäft beabsichtigten Gewinn verlangen (§§ 280 III, 281–283, zu § 283 s. sogleich Rdn. 432 ff). Das negative Interesse geht auf den Schaden, den jemand dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Rechtsgeschäfts vertraut: Porto- und Telefonauslagen; Anreisekosten zum Ort des Vertragsschlusses und zur Besichtigung des Objekts; Verdienste aus Vertragsabschlüssen, die der geschädigte Teil mit Rücksicht auf den als gültig erwarteten, sich dann aber als nichtig herausstellenden Vertrag ausschlägt; alle finanziellen Nachteile durch Vermögensdispositionen, die sich jetzt, wo die Nichtigkeit des Vertrags zutage tritt, als Fehldispositionen erweisen (s. §§ 122, 179 II, 284); aber nicht der mit dem Geschäft beabsichtigte Gewinn! In den §§ 122 I, 179 II werden beide Formen des Schadensersatzes genannt: Geschuldet wird hier das negative Interesse. Der Anspruch wird aber durch das positive Interesse begrenzt: Der Geschädigte soll also so gestellt werden, wie er stände, wenn er sich nicht mit dem Schädiger in Vertragsverhandlungen eingelassen hätte (= negatives Interesse), aber nicht besser, wie er stände, wenn der Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre (= positives Interesse). Das begleitende Interesse (Integritätsinteresse, vertragsferne Pflichtverletzungen: §§ 280 I, 241 II, 311 II, III) geht auf Ersatz der Schäden, die an anderen Rechten, Rechtsgütern oder Interessen des Gläubigers als dem Vertragsanspruch eintreten (z. B. Verletzung des Bauherrn durch unsachgemäßes Hantieren eines Handwerkers; die Lieferung eines erkrankten Schafs führt zur Ansteckung der gesunden Tiere des Käufers).

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Da die vollständige Ersetzung der ursprünglichen Leistungspflicht einen gravierenden Eingriff in das Schuldverhältnis darstellt, stellt § 280 III hierfür besondere Voraussetzungen auf, die zusätzlich zu § 280 I erfüllt sein müssen. Bei Unmöglichkeit geht das Interesse des Gläubigers naturgemäß stets auf Schadensersatz statt der Leistung, da der ursprüngliche Erfüllungsanspruch ja untergegangen, bzw. nicht durchsetzbar ist. § 280 III verweist auf § 283, der seinerseits auf § 280 I zurückverweist.45 Im Gegensatz zu § 281 stellt § 283 kein Fristsetzungserfordernis auf, da in den Fällen der § 275 I–III der Schuldner ja nicht zur Leistung verpflichtet ist. Stellt man § 280 I als die zentrale Haftungsnorm an den Anfang,46 so ist die im Gutachten zu zitierende Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit die Paragraphenkette der §§ 280 I, III, 283 S. 1. Die Hinzufügung von § 275 IV oder I–III ist zulässig, aber nicht nötig. Hinweis zur Fallbearbeitung: Nach der soeben geschilderten Auffassung des Gesetzgebers und der h. M. sind als Anspruchsgrundlage die §§ 280 I, III, 283 zu nennen (und entsprechend §§ 280 I, III,

45 Zu Recht kritisiert Medicus, Schuldrecht I Rdn. 386 dieses „Verweisungskarussell“ als nicht besonders geglückt. Der Verweisungszirkel beinhaltet auch folgende unnötige Verdoppelung: § 280 III ordnet an, dass Schadensersatz statt der Leistung nur unter den „zusätzlichen Voraussetzungen“ der genannten Vorschriften verlangt werden kann. § 283 S. 1 verlangt dann (wie auch die §§ 281, 282), dass Schadensersatz statt der Leistung in den Fällen des § 275 „unter den Voraussetzungen des § 280 I“ verlangt werden kann. Hier hätte man sich weniger Redundanz gewünscht. Kritisch auch Kupisch, NJW 2002, 1401. 46 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 142: § 280 I „ist damit die eigentliche, durch § 283 RE ergänzte Anspruchsgrundlage“.

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281, bzw. §§ 280 I, III, 282). Nach anderer Auffassung sind die §§ 281, 282 und 283 in isolierter Anwendung (bzw. „i. V. m. § 280 I“) die zutreffende Anspruchsgrundlage.47 Beide Zitierweisen sind in der Fallbearbeitung vertretbar. Hier wird allerdings dem eindeutig formulierten Willen des Gesetzgebers gefolgt und jeweils § 280 I an den Anfang gestellt.

a) Teilunmöglichkeit und qualitative Unmöglichkeit

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Der Verweis in § 283 S. 2 auf § 281 I 2 regelt den Fall der Teilunmöglichkeit, der Verweis auf § 281 I 3 bezieht sich auf die qualitative Unmöglichkeit.48 In § 281 I 2 und 3 ist zwar lediglich die Rede davon, dass „eine Teilleistung bewirkt“, bzw. „die Leistung nicht wie geschuldet bewirkt“ wird. Für die Zwecke des § 283 S. 2 ist dies aber so zu interpretieren, dass ein Teil der Leistung infolge Unmöglichkeit ausbleibt, oder der Mangel der Leistung nicht behebbar ist. In beiden Fällen hat der Gläubiger zunächst einen Schadensersatzanspruch gem. § 283 S. 1 (nur) für die ausgebliebene Leistung. Er kann also den Schaden ersetzt verlangen, der ihm dadurch entsteht, dass nur teilweise geleistet wurde, bzw. der Schuldner schlecht geleistet hat. Manchmal ist dem Gläubiger hiermit aber nicht gedient, sondern möchte er die Teilleistung oder die mangelhafte Leistung vollständig zurückweisen und Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen. Dies ist nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen von § 281 I 2 und 3 möglich: Im Fall der Teilunmöglichkeit ist ein Interessewegfall am ganzen Vertrag erforderlich, im Fall der qualitativen Unmöglichkeit muss die Pflichtverletzung erheblich sein.49 Dahinter steckt das Bestreben, die Primärpflichten aus dem Schuldverhältnis möglichst aufrechtzuerhalten, jedenfalls wenn keine überwiegenden Interessen des Gläubigers entgegenstehen. Da der Gläubiger im ersten Fall die Teilleistung, bzw die mangelhafte Leistung behält und lediglich ergänzend Schadensersatz verlangt, spricht man auch vom kleinen Schadensersatz. Weist er hingegen die gesamte Leistung zurück und verlangt Schadensersatz statt der ganzen Leistung, ist die Rede vom großen Schadensersatz. Zwischen beiden Möglichkeiten hat der Gläubiger ein Wahlrecht. Die Unterscheidung von kleinem und großem Schadensersatz kommt nur im Zusammenhang mit Teilleistung und Schlechtleistung vor, und darf nicht mit dem Gegensatz von Differenz- und Surrogationstheorie verwechselt werden, welche sich auf das Schicksal der Gegenleistung im gegenseitigen Vertrag beziehen (s. u. Rdn. 435). Beispiel: G bestellt vier Bilder bei der Kunsthandlung S. Ein Bild verbrennt (Teilunmöglichkeit). Gehörten die Bilder als Reihe zusammen („Frühling, Sommer, Herbst und Winter“), fällt damit das Gläubigerinteresse weg. Trifft den S die Verantwortung, schuldet er G gem. den §§ 280 I, III, 283 Schadensersatz. G hat die Wahl, ob er die drei Bilder akzeptiert und kleinen Schadensersatz verlangt, oder ob er die Bilder zurückweist und einen Anspruch auf großen Schadensersatz geltend macht. Das Wahlrecht zwischen großem und kleinem Schadensersatz entspricht dem Wahlrecht beim Rücktritt: Bei Interessewegfall, bzw. Erheblichkeit kann der Gläubiger zurücktreten, muss aber nicht.

47 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 (2003) S. 5 (35), der allerdings für studentische Zwecke die Zitierweise der h. M. empfiehlt. 48 GesBegr BT-Drs 14/6040, 142. 49 Dies entspricht den Voraussetzungen für einen Rücktritt vom (ganzen) Vertrag, s. § 323 V und oben Rdn. 382ff; dort auch zu der Frage, ob die Zuweniglieferung beim Kauf- und Werkvertrag unter § 323 V 1 oder 2 fällt.

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b) Pflichtverletzung 423

Problematisch ist, worin bei einem Anspruch aus den §§ 280 I, III, 283 S. 1 die Pflichtverletzung i. S. v. § 280 I 1 zu sehen ist. Liegt sie bereits in der Tatsache, dass der Schuldner wegen Unmöglichkeit nicht leistet? Oder müssen zusätzliche Umstände vorliegen, welche die Unmöglichkeit verursacht haben, und die als Pflichtverletzung zu qualifizieren sind? Folgt man der zweiten Auffassung, würde es an einer Pflichtverletzung beispielsweise dann fehlen, wenn die geschuldete Sache gestohlen wird, obwohl sie ordnungsgemäß verwahrt wird, oder wenn sie durch höhere Gewalt untergeht.50 Für diese Auffassung spricht, dass es im allgemeinen Sprachgebrauch Probleme bereitet, von einer Pflichtverletzung zu sprechen, wenn diese Pflicht gem. § 275 untergegangen ist, oder jedenfalls nicht erfüllt zu werden braucht.51 Dieses Argument führt zurück in die Grundlagendiskussion über den Begriff der Pflichtverletzung als der zentralen Kategorie des neuen Leistungsstörungsrechts. Der Gesetzgeber hat den Begriff der Pflichtverletzung dem Begriff der Nichterfüllung aus rein terminologischen Gründen vorgezogen, ohne dass hiermit ein inhaltlicher Unterschied verbunden sein sollte (s. o. Rdn. 361). Dies spricht dafür, als die Pflichtverletzung bei der nachträglichen Unmöglichkeit schon die reine Nichterfüllung zu sehen, ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssten.52 Dieses Ergebnis lässt sich auch teleologisch absichern: Der Anspruch aus den §§ 280 I, III, 283 S. 1 soll an die Stelle des untergegangenen Anspruchs auf Primärerfüllung treten, unter der Voraussetzung, dass der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Die Inbezugnahme in § 283 S. 1 auf § 275 Abs. 1 bis 3 beinhaltet deshalb bereits die Pflichtverletzung, der Verweis auf § 280 Abs. 1 ist in erster Linie für das Erfordernis des Vertretenmüssens (§§ 276–278) von Bedeutung. Beispiel: Im obigen Kommodenfall (s. o. Rdn. 405) liegt die Pflichtverletzung des V bereits darin, dass er trotz wirksamen Kaufvertrags in Folge der Unmöglichkeit die Kommode nicht an K leistet. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob V den Untergang der Kommode, also die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Dies richtet sich nach § 276, also insbesondere danach, ob V den Brand verschuldet hat. Nur wenn auch diese Voraussetzung vorliegt, haftet V auf Schadensersatz.

Die Pflichtwidrigkeit ist ausgeschlossen, wenn ein Rechtfertigungsgrund besteht.53 Muss der Verkäufer die verkaufte Decke benutzen, um einen Brand zu löschen, begeht er wegen § 904 keine Pflichtverletzung.54 424

c) Vertretenmüssen Der Anspruch aus den §§ 280 I, III, 283 S. 1 setzt voraus, dass der Schuldner den Umstand, der zur Unmöglichkeit geführt hat, zu vertreten hat (zur Beweislast s. u. Rdn. 436). Wenn den Schuldner keine Verantwortung an der Unmöglichkeit trifft, haf50 Mattheus, JuS 2002, 209 (213); Schwab/Witt/Mattheus, Examenswissen zum neuen Schuldrecht S. 69 ff; Reichenbach Jura 2003, 512 (515). 51 Zimmer, NJW 2002, 1 (8). 52 So der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers in GesBegr BT-Drs 14/6040, 135 f; Canaris, JZ 2001, 499 (512), der allerdings aus diesem Grund de lege ferenda eine Mischung von Pflichtverletzungsund Nichterfüllungsterminologie forderte. Wie hier zumindest im Ergebnis Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung § 3 Rdn. 121; Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 309. 53 Reichenbach, Jura 2003, 512 (515). 54 Da die verkaufte, aber noch nicht übereignete Decke noch im Eigentum des handelnden Verkäufers steht, ist § 904 analog anzuwenden. Gegen die analoge Anwendung von § 904 bei Einwirkung auf eigene Sachen Palandt/Bassenge, § 904 Rdn. 1.

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tet er auch nicht auf Schadensersatz. Aus den Ausführungen zur Pflichtverletzung folgt, dass sich das Vertretenmüssen auf die Herbeiführung der Unmöglichkeit bezieht. Was der Schuldner zu vertreten hat, folgt aus den §§ 276–278. Gem. § 276 I 1 hat der Schuldner zunächst einmal Vorsatz und Fahrlässigkeit, also Verschulden zu vertreten. Beispiel: Der Schuldner vergisst, die Herdplatte auszuschalten, wodurch ein Zimmerbrand entsteht, welcher die geschuldete Briefmarkensammlung zerstört. Hier hat der Schuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, somit fahrlässig gehandelt (§ 276 II). – Werden die Briefmarken dagegen durch einen Wasserschaden ruiniert, der vom Nachbarn verschuldet wurde, trifft den Schuldner keine Verantwortung, jedenfalls wenn er die Briefmarken sorgfältig gelagert hat und auch keine Garantie übernommen hat. Die Übernahme eines Beschaffungsrisikos kommt hier nicht in Frage (das Kriterium ist von besonderer Bedeutung für die Gattungsschuld s. o. Rdn. 250).

Aus § 276 ergibt sich aber auch, dass der Schuldner nicht nur ein Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu vertreten hat, sondern insbesondere auch bei Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos verantwortlich ist. Noch einen Schritt weiter geht § 287: Während des Verzugs hat der Schuldner jede Fahrlässigkeit zu vertreten, selbst wenn im Vertrag seine Haftung beispielsweise auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt wurde. Nach Satz 2 der Vorschrift haftet der Schuldner während des Verzugs sogar für den zufälligen Untergang der geschuldeten Sache, es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. 425

– Insbesondere: Die von beiden Seiten zu vertretende Unmöglichkeit Wie aber verhält es sich, wenn nicht nur der Schuldner, sondern auch der Gläubiger die Unmöglichkeit zu vertreten hat? Dieser Fall der von beiden Seiten zu vertretenden Unmöglichkeit war schon nach altem Recht streitig und ist auch durch die Schuldrechtsmodernisierung gesetzlich nicht geregelt worden. Er ist deshalb unverändert Gegenstand einer Kontroverse in der Literatur.55 Es handelt sich um folgende Konstellation: Beispiel: V und K haben einen Kaufvertrag über eine Marmorskulptur (Wert: 20.000 Euro) zum Preis von 25.000 Euro abgeschlossen. V soll sie zum Haus des K bringen (Bringschuld). Gemeinsam stoßen V und K auf den Abschluss des Kaufvertrags an und trinken mehr, als ihrem Gleichgewichtsgefühl zuträglich ist. Danach packen sie gemeinsam die Skulptur an, um sie in den Transporter des V zu laden. Infolge des Alkohols schwanken beide, die Skulptur fällt zu Boden und wird irreparabel zerstört.

Es liegt ein Fall der (vollständigen, objektiven, nachträglichen) Unmöglichkeit vor, so dass K seinen Anspruch gegen V auf Übereignung und Übergabe der Skulptur (§ 433 I 1 ) gem. § 275 I verliert. Im Gegenzug scheint V gem. § 326 I 1 Halbs. 1 seinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung (§ 433 II) zu verlieren, da er nicht „weit überwiegend verantwortlich“ i. S. v. § 326 II 1 Alt. 1 ist. Steht dem K als Ersatz für seinen primären Erfüllungsanspruch ein Schadensersatzanspruch aus den §§ 280 I, III, 283 S. 1 zu? Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage scheinen vorzuliegen, insbesondere hat V die Unmöglichkeit (mit) zu vertreten. Wird dieser Anspruch aber vielleicht dadurch tangiert, dass auch K die Zerstörung der Sache zu vertreten hat? Aus dem Gesetz ergeben sich zwei Vorgaben: Erstens behält der Schuldner gem. § 326 II 1 Alt. 1 den Anspruch auf die (gesamte) Gegenleistung, wenn der Gläubiger für die Unmöglichkeit „allein oder weit überwiegend“ verantwortlich ist. Weit überwie55 S. hierzu Gruber, JuS 2002, 1066; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 350 ff; Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 323 ff; Rauscher, ZGS 2002, 333; Stoppel, Jura 2003, 224.

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gende Verantwortung ist somit der Alleinverantwortung gleichgestellt.56 Sie beginnt idR bei einem Anteil von 90 Prozent,57 liegt also im obigen Beispielsfall nicht vor. – Zweitens ergibt sich aus § 326 V Halbs. 2 i.V. m. § 323 VI, dass der Rücktritt (nur dann) ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger für die Unmöglichkeit allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (bzw Annahmeverzug vorliegt). Hieraus folgt, dass der Rücktritt des Gläubigers – im Gegensatz zum alten Recht 58 – erst bei einer Verantwortlichkeit von ca. 90 % ausgeschlossen ist. Im Beispielsfall hat K – bei einer Mitverantwortung von 50 % – also durchaus die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten. Gem. § 325 sind Schadensersatz und Rücktritt kumulierbar. Die Vielzahl der zu diesem Problem vertretenen Auffassungen lassen sich in alternative und kumulative Lösungsansätze unterteilen. Zum Teil wird vorgeschlagen, die Regeln über die vom Schuldner (§§ 280 I, III, 283 S. 1) oder vom Gläubiger (§ 326 II 1 Alt. 1) zu vertretende Unmöglichkeit alternativ anzuwenden, je nachdem ob den Schuldner oder den Gläubiger eine größere Verantwortung trifft. Der sich hieraus ergebende Anspruch ist dann gem. oder analog § 254 zu kürzen. Bei gleicher Verantwortung ist § 326 I 1 heranzuziehen, also so zu tun, als ob keine der Parteien die Unmöglichkeit zu vertreten habe.59 Da im Beispielsfall die Verantwortlichkeit von V und K gleich hoch ist, ist nach dieser Auffassung § 326 I (analog) anzuwenden. Der Kaufpreisanspruch des V entfällt. Es werden keinerlei Schadensersatzansprüche zugesprochen. V und K haben im Ergebnis keine Ansprüche gegeneinander.

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Diese Methode berücksichtigt allerdings nicht die durch den Vertrag vorgenommene Gewinnverteilung und trifft keine Aussage über das Schicksal konkurrierender deliktischer Ansprüche. Im Beispielsfall etwa berücksichtigt diese Lösung nicht, dass V einen Gewinn von 5.000 Euro erzielt hätte. Außerdem ist nicht erklärbar, warum ein Schadensersatzanspruch des V gegen K aus den §§ 823 I, 254 auf Zahlung von 10.000 Euro (1/2 des Werts der Skulptur) ausscheidet. Vorzugswürdig ist deshalb die kumulative Anwendung der einschlägigen Vorschriften: 60 Der aus den §§ 280 I, III, 283 folgende Schadensersatzanspruch des Gläubigers der unmöglich gewordenen Leistung wird entsprechend dem Mitverschulden gem. § 254 gekürzt und anschließend mit dem sich aus § 326 II ergebenden Gegenleistungsanspruch verrechnet.61 Deliktische oder ver56 Dies entspricht der Rechtslage bei § 254, wo bei weit überwiegender Mitverantwortlichkeit eines Handelnden ebenfalls Alleinverantwortlichkeit angenommen wird, s. zum Hintergrund von § 326 II 1 Canaris, JZ 2001, 499 (511 Fn. 121). 57 Palandt/Grüneberg, § 326 Rdn. 9. 58 Man ging davon aus, dass ein Rücktrittsrecht bei gleicher Verantwortung der Parteien ausgeschlossen sei, s. Palandt/Heinrichs 59, Vorb v. § 323 Rdn. 7. 59 Zumindest systematisch gehört hierher auch der Vorschlag von Hadding, AcP 168 (1968) 150 ff, der empfiehlt, stets von der Schadensersatznorm bei Vertretenmüssen des Schuldners, also nach neuem Recht von den §§ 280 I, III, 283 auszugehen, dem Schuldner aber zusätzlich einen eigenen Schadensersatzanspruch aus pVV (heute: § 280 I) einzuräumen. In bezug auf den Schadensersatzanspruch des Schuldners plädiert Grothe für eine analoge Anwendung von § 283 (in Bamberger/ Roth § 326 Rdn. 26). 60 Grundlegend Teubner Gegenseitige Vertragsuntreue (1975) 61 ff. 61 Bei der Anwendung von § 326 II auf die von beiden Teilen zu vertretende Unmöglichkeit handelt es sich um eine analoge Anwendung der Norm: Der Wortlaut verlangt ja alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Gläubigers, während ihn in diesen Fällen eine geringere Verantwortlichkeit trifft. Stoppel (Jura 2003, 224, 227) wendet sich gegen eine Anwendung von § 254, kommt über eine immanente Beschränkung der gegenseitigen Ansprüche aber zu einem ähnlichen Ergebnis. Gegen eine analoge Anwendung von § 326 II Bamberger/Roth/Grothe, § 326 Rdn. 25 ff.

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tragliche Ansprüche des Schuldners bestehen nicht, da dieser seinen Gegenleistungsanspruch behält und somit keinen Schaden erleidet. Der Gläubiger kann seinen Schaden wahlweise nach der Differenz- oder der Surrogationstheorie berechnen (zu diesen Varianten des „Schadensersatzes statt der Leistung“ s. unten Rdn. 433).62 Teilweise wird allerdings die Auffassung vertreten, der Gläubiger habe zwingend nach der Surrogationstheorie vorzugehen.63 Dass dies nicht interessengerecht ist, zeigt unser Beispiel: Beispiel: Folgt man der kumulativen Konstruktion, führt die Anwendung der Surrogationstheorie zu folgendem Ergebnis: K (als der Gläubiger der unmöglich gewordenen Leistung) erbringt die ihm obliegende Kaufpreiszahlung voll und kann dann gem. den §§ 280 I, III, 283, 254 (wegen seines hälftigen Mitverschuldens) 1/2 des Werts der Skulptur, also 10.000 Euro verlangen. V behält analog § 326 II 1 Alt. 1 den Anspruch auf die Gegenleistung i. H. v. 25.000 Euro. Dieser Anspruch ist nicht gem. § 254 zu kürzen, da das Mitverschulden des V (bei Anwendung der Surrogationstheorie) bereits darin zum Ausdruck kommt, dass er den seinem Verschuldensanteil entsprechenden Schadensersatz für die ganze Leistung an K zahlen muss. Es ergibt sich somit im Ergebnis ein Anspruch des V gegen K i. H. v. 15.000 Euro (halber Wert der Skulptur i. H. v. 10.000 plus vollständiger Gewinn aus dem Geschäft i.H.v. 5.000). Anders sieht die Rechnung nach der Differenztheorie aus: Der Anspruch des K gegen V aus den §§ 280 I, III, 283 beträgt null, da das Geschäft für ihn nachteilig war. V behält analog § 326 II 1 Alt. 1 den Anspruch auf die Gegenleistung, der in Höhe seines Verschuldensanteils von 50 % zu kürzen ist. Nach dieser Methode kann V also von K 12.500 Euro verlangen (wieder der halbe Wert der Skulptur i.H. v. 10.000 plus halber Gewinn i. H. v. 2.500).

Der Unterschied zwischen beiden Vorgehensweisen besteht also darin, dass V nach der Surrogationstheorie zusätzlich zu dem um seinen Verschuldensanteil gekürzten Wert der Kaufsache den vollen Gewinn aus dem Geschäft zugesprochen bekommt, während nach der Differenztheorie sein Gewinn um die eigene Verschuldensquote zu kürzen ist. Letzteres erscheint sachgerecht. Zwar ist K ein wirtschaftlich nachteiliges Geschäft eingegangen und würde er bei ungestörter Abwicklung eine Vermögenseinbuße von 5.000 Euro erleiden (er zahlt 25.000 für eine Sache im Wert von 20.000). Er hätte dann aber auch die Sache erhalten, die es ihm wert war, einen Aufpreis zu zahlen. Erhält er die Sache wegen Unmöglichkeit nicht, ist es nicht angemessen, ihn am gesamten Verlust festzuhalten. Der die gesamte Thematik beherrschende Rechtsgedanke des § 254 gebietet es, den vom Schuldner angestrebten Gewinn um seinen Verschuldensanteil zu kürzen. Dafür spricht auch der Sinn der Surrogationstheorie: Diese soll den Gläubiger besser stellen, ihm aber nicht den Rückgriff auf die Differenzberechnung versperren. Man spiele im Beispielsfall einmal verschiedene Verschuldensanteile von V und K durch. Unabhängig davon, ob V zu 20 oder zu 70 Prozent für die Unmöglichkeit verantwortlich war, würde er nach der Surrogationstheorie immer die 5.000 Euro Geschäftsgewinn zugesprochen bekommen.

Allein die Zulassung der Differenztheorie ist mit dem parallelen Rechtsbehelf des Rücktritts vereinbar. Gem. § 326 V i.V. m. § 323 VI kann K vom Vertrag zurücktreten (s. o. Rdn. 426). Zusätzlich kann er den Schadensersatzanspruch aus den §§ 280 I, III, 283, 254 geltend machen. Für die Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz ist anerkannt, dass hier der Schadensersatz nicht nach der Surrogationstheorie berechnet werden kann.64 Wenn aber bei Ausübung des Rücktrittsrechts nur Schadensersatz nach

62 Stoppel, Jura 2003, 224 (227). 63 S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 350 ff. 64 Canaris, JZ 2001, 399 (514); Gsell, JZ 2004, 643 (645): Schadensersatz nach der Surrogationstheorie plus rücktrittsrechtliche Rückabwicklung würden dem Gläubiger denselben Schadensposten zweimal zusprechen.

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der Differenztheorie verlangt werden kann, sollte auch ohne Rücktritt diese Berechnungsart zumindest möglich sein. Festzuhalten bleibt: Der Schadensersatzanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner gem. den §§ 280 I, III, 283 S. 1 wird nach h. M. durch eine Mitverantwortlichkeit des Gläubigers an der Unmöglichkeit nicht ausgeschlossen, führt allerdings nach § 254 zur Anspruchskürzung und zur Verrechnung mit dem Gegenleistungsanspruch des Schuldners der unmöglichen Leistung aus § 326 II. d) Tatbestandsmerkmale Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen lassen sich für den Anspruch aus den §§ 280 I, III, 283 S. 1 folgende Tatbestandsmerkmale herausarbeiten: 1. Schuldverhältnis: Unerheblich, ob einfaches Schuldverhältnis oder gegenseitiger Vertrag; 2. Nachträgliche Unmöglichkeit: Schon in der Unmöglichkeit (i.S. v. § 275 I–III) liegt die Pflichtverletzung, das Merkmal der Nachträglichkeit ergibt sich aus dem Verhältnis zu § 311a II; 3. Vertretenmüssen des Schuldners (§§ 276–278): Wird gem. § 280 I 2 vermutet; gleichzeitiges Vertretenmüssen des Gläubigers ist unschädlich, führt aber zu einer Kürzung des Anspruchs gem. § 254; 4. Schaden (und die Kausalität der Unmöglichkeit für den Schaden).

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e) Rechtsfolgen Der Schadensersatz statt der Leistung geht auf das positive Interesse (wahlweise gem. § 284 auf Aufwendungsersatz, also einen Teil des negativen Interesses): Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er ohne die Pflichtverletzung stehen würde, also die ordnungsgemäße Leistung erhalten hätte. Wegen der Unmöglichkeit scheidet allerdings Naturalrestitution (§ 249 I) aus, es kommt nur Schadensersatz in Geld in Frage (§ 251 I Alt. 1). Das positive Interesse umfasst zunächst den Marktwert der untergegangenen Sache, darüber hinaus aber auch ein übererfüllungsmäßiges Interesse. Dieses entsteht dann, wenn durch die zu vertretende Unmöglichkeit der Leistung ein Schaden verursacht wird, der über den Wert der geschuldeten Leistung als solcher hinausgeht, z. B. die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung oder der entgangene Gewinn aus einer Weiterveräußerung (vgl. unten § 57). Die Obligation bleibt dieselbe, sie wandelt sich mit dem Schadensfall automatisch in einen Schadensersatzanspruch um. Akzessorische Sicherungsrechte, wie z. B. Bürgschaften, Hypotheken, bleiben bestehen.65 Verlangt der Gläubiger in den Fällen der Teilunmöglichkeit oder der qualitativen Unmöglichkeit den „großen Schadensersatz“ (s. o. Rdn. 422), hat er die vom Schuldner bereits erbrachte Leistung nach Rücktrittsrecht zurückzugewähren (§§ 283 S. 2, 281 V). Beispiel: G hat ein Ölbild im Wert von 5.000 Euro für 4.000 Euro gekauft, das durch Verschulden des Schuldners vor der Lieferung verbrennt. Durch den Schadensersatz statt der Leistung rettet er sich die 1.000 Euro Verdienst. Denn der Schuldner muss ihn so stellen, wie er wirtschaftlich bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte, § 251 I. – Das gleiche gilt, wenn das Bild zur Zeit des Kaufs zwar nur 4.000 Euro wert war, der Wert aber bis zu der Zeit, zu der normalerweise zu erfüllen gewesen wäre, auf 5.000 Euro gestiegen wäre. Denn auch dieser Zeitpunkt kann nach herrschender Meinung für die Schadensberechnung zugrunde gelegt werden. – Hätte G das Bild an einen Dritten für 6.000 Euro weiterverkaufen können, kann er insgesamt 2.000 Euro Schadensersatz verlangen. War der Kaufvertrag mit dem Dritten bereits abgeschlossen, und verlangt dieser nun seinerseits Schadensersatz statt der Leistung, kann dieser Betrag zusätzlich verlangt werden.

65 Bamberger/Roth/Grüneberg, § 285 Rdn. 18.

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Ein weiteres Problem stellt sich beim gegenseitigen Vertrag. Statt der unmöglich gewordenen Leistung kann Schadensersatz verlangt werden. Die §§ 280 I, III, 283 sagen aber nicht, was mit der Gegenleistung geschehen soll. Bleibt der Geschädigte zur Gegenleistung berechtigt oder verpflichtet? Zwei Berechnungsarten stehen sich nach altem und neuem Recht gegenüber: Nach der Differenztheorie kann der geschädigte Gläubiger der Leistung die Differenz des Wertes der Leistung und der Gegenleistung verlangen (im Beispiel 1.000 Euro). Er ist also nicht zur Gegenleistung verpflichtet. Es entsteht ein einseitiger Anspruch. Nach der Surrogationstheorie (auch Austauschtheorie) muss der Schuldner hingegen den vollen Wert der unmöglich gewordenen Leistung (als Surrogat) zahlen, der Gläubiger bleibt im Gegenzug zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet (im Beispiel: G kann 5.000 Euro als Surrogat für das zerstörte Bild verlangen, bleibt dann aber zur Zahlung der Gegenleistung i.H.v. 4.000 Euro verpflichtet). Besteht die Gegenleistung in Geld, führt die Surrogationstheorie über eine Aufrechnung (§§ 387, 389) zum selben Ergebnis wie die Differenztheorie. Die Surrogationstheorie ist für den Gläubiger aber vorteilhaft, wenn die Gegenleistung nicht in Geld besteht.

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Beispiel: Landwirt L tauscht seine zweite, selten gebrauchte Mähmaschine im Wert von 2.000 Euro gegen einen Jungstier im Wert von 2.200 Euro des Viehhändlers V. Durch Verschulden des V geht der Stier vor der Lieferung ein. Nach der Differenztheorie könnte L nur 200 Euro verlangen, nach der Surrogationstheorie bekommt er 2.200 Euro und wird seine Mähmaschine los: Die Pflicht zur Gegenleistung bleibt dann also bestehen.

Da der Schuldner für die Unmöglichkeit der Leistung verantwortlich ist, ist der Gläubiger bei einem Anspruch aus den §§ 280 I, III, 283 schutzwürdiger. Er hat deshalb ein Wahlrecht, ob er den Schadensersatz statt der Leistung nach der Differenz- oder der Surrogationstheorie berechnen will (str.).66 Der Gläubiger ist damit berechtigt, seine Gegenleistung zu erbringen (Surrogationstheorie), aber nicht hierzu verpflichtet (Differenztheorie).67 Nach altem Recht wurde die Auffassung vertreten, dass der Gläubiger auf die Surrogationsmethode festgelegt sei, wenn er seine Leistung bereits erbracht habe.68 Dieser Standpunkt hatte seinen Grund darin, dass nach altem Recht entweder Schadensersatz oder ein Rücktrittsrecht gegeben waren. Schadensersatz nach der Differenztheorie bei bereits erbrachter Leistung hätte im Ergebnis zu einer Kumulation beider Wege geführt. Diese Bedenken greifen nach neuem Recht nicht mehr durch. Da gem. § 325 Schadensersatz und Rücktritt einander nicht (mehr) ausschließen, kann der Gläubiger zurücktreten und zusätzlich Schadensersatz nach der Differenztheorie verlangen. Macht er von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch, ist allerdings der Weg über die Surrogationstheorie versperrt: Der Gläubiger kann nicht gleichzeitig infolge Rücktritts seine Leistung zurückverlangen, nach der Surrogationstheorie aber weiter zu ihrer Erbringung verpflichtet sein (s. bereits oben Fn. 64). Im Mähmaschinenbeispiel kann L also entweder Schadensersatz nach der Differenztheorie i. H. v. 200 Euro verlangen und die Mähmaschine behalten, bzw. – wenn sie bereits geleistet wurde – nach 66 Wie hier Cekovic-Vuletic, Haftung wegen Unmöglichkeit nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (2003) 57; Erman/H. P. Westermann, § 281 Rdn. 25; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 208 ff. A. A. Bamberger/Roth/Grothe, § 326 Rdn. 5; MüKo/Ernst, Bd. 2a § 325 Rdn. 8: Keine Differenzberechnung ohne Rücktritt. Zum Schutz des Gläubigers sollte aber lieber ein freies Wahlrecht angenommen werden. 67 Bereits oben wurde begründet, warum der Gläubiger dieses Wahlrecht auch bei der von beiden Seiten zu vertretenden Unmöglichkeit hat, s. o. Rdn. 428f. 68 BGHZ 87, 156 (159); Palandt/Heinrichs 59, § 325 Rdn. 13.

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Ausübung des Rücktritts zurückverlangen. Oder er verlangt Schadensersatz nach der Surrogationstheorie i. H. v. 2.200 Euro. Dann bleibt er aber zur Leistung der Maschine verpflichtet, bzw. er kann die bereits erbrachte Leistung nicht nach Rücktrittsrecht zurückfordern.

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Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Der Gläubiger kann – bei einer vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit – Schadensersatz nach der Surrogationstheorie oder der Differenztheorie verlangen („Wahltheorie“). Entscheidet er sich für die Surrogationstheorie, ist ein Rücktritt ausgeschlossen. § 325 ist insofern restriktiv auszulegen. Die Begriffspaare Surrogations-/Differenztheorie und großer/kleiner Schadensersatz dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Bei der Wahl zwischen großem und kleinem Schadensersatz geht es um die Frage, ob bei Teilleistung oder Schlechtleistung der Gläubiger vollständig ablehnen darf (großer Schadensersatz) oder teilweise annimmt (kleiner Schadensersatz, s. o. Rdn. 422). Bei der Entscheidung zwischen Surrogationsund Differenztheorie geht es dagegen um das Schicksal der dem Gläubiger obliegenden Gegenleistung. Bei Erbringung der Gegenleistung ist der Weg zum Schadensersatz nach der Surrogationstheorie eröffnet; behält der Gläubiger die Gegenleistung, kommt nur die Berechnung nach der Differenztheorie in Frage. Beispiel: G tauscht seine Briefmarkensammlung (Wert: 30.000 Euro) gegen die Goethe-Erstausgabe (Wert: 35.000 Euro) des S. Aufgrund einer Unachtsamkeit des S werden zehn Bände zerstört. Hier kann G entweder die intakten Bände annehmen und gem. § 283 S. 1 kleinen Schadensersatz („Schadensersatz statt der Leistung“) für die zehn untergegangenen Bücher verlangen. Oder er kann gem. § 283 S. 2 i. V.m. § 281 I 2 großen Schadensersatz („Schadensersatz statt der ganzen Leistung“) fordern, da er an der teilweisen Leistung einer Gesamtedition kein (objektives) Interesse hat. Hiervon ist das Schicksal der Gegenleistung zu unterscheiden. Verlangt G Schadensersatz nach der Surrogationstheorie (35.000 Euro), bleibt er zur Leistung seiner Briefmarkensammlung verpflichtet. Geht er nach der Differenztheorie vor (5.000 Euro), behält er die Sammlung.

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f) Beweislast Wenn das Gesetz (oder die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze) keine abweichende Regelung vorsieht, trägt jede Partei die (Behauptungs- und) Beweislast für den Tatbestand der ihr günstigen Rechtsnorm, also insbesondere für die rechtsbegründenden und rechtserhaltenden Tatsachen, während dem Gegner die Beweislast für die rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatsachen obliegt.69 Das führt im Fall der Unmöglichkeit zu einer unterschiedlichen Beweislastverteilung, je nach dem ob die Unmöglichkeit als Einwendung gegenüber einem Leistungsanspruch (§ 275) oder als Anspruchsvoraussetzung z. B. für einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird (§ 283). Im ersteren Fall trägt der auf Leistung in Anspruch genommene Schuldner die Behauptungs- und Beweislast für die Unmöglichkeit. Gelingt dem Schuldner dieser Beweis nicht, wird er zur Leistung verurteilt. Wenn der Gläubiger hingegen gem. den §§ 280 I, III, 283 Schadensersatz wegen der Unmöglichkeit verlangt, hat er die anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen, also insbesondere die Unmöglichkeit und den daraus resultierenden Schaden.70 Was das Vertretenmüssen des Schuld69 Thomas/Putzo, Vorbem. § 284 ZPO Rdn. 23. 70 Hier wirkt sich der Meinungsstreit in der Frage aus, worin bei der Unmöglichkeit die Pflichtverletzung liegt (s. o. Rdn. 423): Wenn man die Nichtlieferung infolge Unmöglichkeit als Pflichtverletzung nicht ausreichen lässt, sondern zusätzliche Umstände fordert, die zur Unmöglichkeit geführt haben, wäre der Gläubiger sachwidrig nicht nur mit dem Beweis der Unmöglichkeit, sondern auch der weiteren Pflichtwidrigkeit des Schuldners belastet, s. von Wilmowsky, JuS 2002, Beilage zu Heft 1/2002, 3* (14*).

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ners betrifft, so ergibt sich aus der Formulierung in § 280 I 2 eine Umkehr der Beweislast: Der Schuldner hat Umstände vorzutragen und zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass er die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat, etwa weil einen Dritten die Alleinschuld trifft oder ein Fall höherer Gewalt vorliegt. Diese Umkehrung der Beweislast erfolgt, weil i.d.R. der Schuldner am besten die Umstände aufklären kann, die zur Unmöglichkeit geführt haben. Für die besonderen Fälle der Teilunmöglichkeit und der qualitativen Unmöglichkeit folgt aus der Formulierung in § 281 I 2 und 3 (i.V.m. § 283 S. 2), dass den Gläubiger die Beweislast für den Interessewegfall infolge der Teilunmöglichkeit, den Schuldner hingegen die Beweislast für die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung bei der qualitativen Unmöglichkeit trifft.71 Zum Vertretenmüssen im Einzelnen unten § 55. Aus dem Vorstehenden folgt, dass den Gläubiger bei einem Schadensersatzanspruch die Beweislast für die Unmöglichkeit trifft. Was aber, wenn der Gläubiger über das Schicksal der Leistung im ungewissen ist? Zwei Wege kommen hier in Betracht. Entweder nimmt der Gläubiger den Schuldner zunächst einmal auf Leistung (also noch nicht auf Schadensersatz, dann nämlich § 281 IV!) in Anspruch. Dann trifft den Schuldner die Beweislast für die Unmöglichkeit. Weist der Schuldner die Unmöglichkeit im Prozess nach, kann der Gläubiger nach §§ 263, 264 Nr. 3 ZPO auf Schadensersatz übergehen. Gelingt dem Schuldner die Beweisführung nicht, wird er auf Leistung verurteilt. In der Zwangsvollstreckung kann der Gläubiger dann den Schuldner über § 883 II ZPO zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zwingen, die gem. den §§ 156, 163 StGB strafbewehrt ist. Dieser (beschwerliche) Weg ist dem Gläubiger zu empfehlen, wenn er an der Sache ein besonderes Interesse hat. Besteht ein solches besonderes Interesse nicht, ist dem Gläubiger zu empfehlen, zunächst nach § 281 vorzugehen, nämlich eine angemessene Frist zur Leistung zu setzen und dann auf Schadensersatz statt der Leistung zu klagen. Der Schadensersatzanspruch ergibt sich bei Nachweis der Unmöglichkeit aus §§ 280 I, III, 283 (die Fristsetzung war dann überflüssig, aber unschädlich). Gelingt dieser Nachweis nicht, ist der Schadensersatzanspruch jedenfalls gem. den §§ 280 I, III, 281 begründet. In beiden Fällen liegt die Beweislast für das Nichtvertretenmüssen gem. § 280 I 2 beim Schuldner.72 Der Gläubiger kann im Fall der nachträglichen Unmöglichkeit außer Schadensersatz auch Ersatz vergeblicher Aufwendungen gem. § 284 und Herausgabe des stellvertretenden Kommodums gem. § 285 verlangen.

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4. Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284) Die Schuldrechtmodernisierung hat mit § 284 eine eigene Regelung des Problems der vergeblichen („frustrierten“) Aufwendungen gebracht. Nach dieser Vorschrift kann der Gläubiger „anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“ Ersatz bestimmter Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat. Mit anderen Worten: Anstelle des positiven Interesses kann der Gläubiger einen Teil seines negativen Interesses – nämlich Aufwendungsersatz – verlangen.73 Nach altem 71 Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung § 3 Rdn. 158. 72 Zur gleichzeitigen Klage auf Leistung und auf Schadensersatz s. Wieser, NJW 2003, 2432. 73 Zu den anderen Bestandteilen des negativen Interesses s. o. Rdn. 419. Zu den Gründen dafür, dass § 284 nicht das gesamte negative Interesse, sondern lediglich Aufwendungsersatz zuspricht, s. GesBegr BT-Drs 14/6040, 144: Insbesondere soll die Liquidation von Gewinnen aus ausgeschlagenen Alternativgeschäften ausgeschlossen werden.

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Recht bestand eine solche Wahlmöglichkeit nicht: Die Aufwendungen wären ja auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Schuldner gemacht worden. Über die Rentabilitätsvermutung gelangte man dennoch zur Erstattungsfähigkeit bestimmter Aufwendungen. Der Gläubiger konnte im Rahmen des positiven Interesses als Mindestschaden die Aufwendungen ersetzt verlangen, die er im Hinblick auf den Vertrag gemacht hatte.74 Man ging (widerlegbar) davon aus, dass diese Ausgaben bei ungestörter Abwicklung des Vertrags wieder hereingespielt worden wären, also einen im Rahmen des positiven Interesses erstattungsfähigen Gewinn darstellten. Die Rentabilitätsvermutung versagte vor dem Hintergrund von § 253 allerdings, wenn der Geschädigte mit dem gestörten Vertrag keine kommerziellen Interessen verfolgte.75 Beispiel: G engagiert für einen Kindergeburtstag den Clown C und lässt für 300 Euro eine Bühne herrichten. C überlegt es sich anders und erscheint zum vereinbarten Zeitpunkt nicht. Da hier die Einhaltung der Leistungszeit nach dem Inhalt des Vertrags so wesentlich ist, dass eine verspätete Vornahme keinen Erfolg mehr darstellt, liegt ein absolutes Fixgeschäft vor (s. o. Rdn. 373). Durch das Nicht-Erscheinen tritt (nachträgliche) Unmöglichkeit ein, die C, wie angenommen werden soll, zu vertreten hat. Der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, III, 283 hilft G nicht weiter, da durch die Unmöglichkeit kein Schaden verursacht wurde: Die 300 Euro hat C ja schon vor Eintritt der Unmöglichkeit aufgewendet. Selbst wenn man einen kausal verursachten Frustrationsschaden76 annimmt, handelt es sich um einen gem. § 253 nicht ersatzfähigen immateriellen Schaden. Die Rentabilitätsvermutung ist hier widerlegbar, da kein Erwerbszweck verfolgt wurde. G hat gegen C aber einen Anspruch aus § 284: Die 300 Euro wurden im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung aufgewendet.

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Im Grunde beruht § 284 n. F. auf einem Konstruktionsfehler. Ist ein Vertrag einmal zustande gekommnen und führt er, weil nicht ordentlich erfüllt, zu einem Schadensersatzanspruch, umfasst dieser immer entweder das Vertragsinteresse oder das Begleitinteresse (§ 241 II) oder beides. Ein Rückgriff auf das negative Interesse ist nicht möglich, weil dieses begrifflich das Nichtzustandekommen oder die Rückauflösung des Vertrags voraussetzt („ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Vertrag nicht zustande gekommen wäre“). Also gehört Aufwendungsersatz bei pflichtwidrig erfülltem Vertrag zum positiven Interesse. Deshalb ist das erste Wort in § 284 n. F. „Anstelle“ falsch, denn Aufwendungsersatz muss bei pflichtwidrig erfülltem Vertrag neben Ersatz des Vertragsinteresses möglich sein. Beispiel: Jemand erfüllt eine entgeltliche Geschäftsbesorgung (§ 675) schlecht. Dadurch entsteht dem Auftraggeber ein Schaden von 10.000.–. Außerdem hat der Auftraggeber im Vertrauen auf richtige Erfüllung unnütze Aufwendungen in Höhe von 500.– gemacht. Diese muss er ebenfalls ersetzt verlangen können. § 284 n. F. schließt dies aber aus. § 282 n. F. hilft auch nicht, weil die ordentliche Erfüllung der Geschäftsbesorgung zum eigentlichen vertraglichen Interesse des Auftraggebers gehört und er die mangelhafte Erfüllung nicht ausschlägt, um wenigstens die Schlechtleistung entgegen zu nehmen. Man wird daher wegen der frustrierten Aufwendungen auf die Generalklausel des § 280 I n. F. zurückgreifen und die Vorschrift des § 284 n. F. insoweit teleologisch reduzieren müssen.77

Die h. M. argumentiert anders: Aus dem Wort „anstelle“ folge, dass der Gläubiger den Schadensersatz statt der Leistung und den Aufwendungsersatz nicht kumulieren

74 Palandt/Heinrichs, Vorbem v. § 249 Rdn. 32 ff mit Nachweis weiterer Begründungsansätze, insbesondere der Frustrationstheorie. 75 BGHZ 99, 182 (Stadthallenfall) m. Anm. Stoll, JZ 1987, 517: Der rechtsextremistischen Partei wurde die vermietete Stadthalle dann doch nicht überlassen. Die Aufwendungen für Werbung, etc. waren nicht ersatzfähig, da kein Geschäftszweck verfolgt wurde. 76 S. o. Fn. 74. 77 Canaris, JZ 2001, 499 (517); Gsell, NJW 2006, 125 (126); Erman/H. P. Westermann, § 284 Rdn. 9.

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kann. Er muss sich also entscheiden: Entweder fordert er Ersatz der vergeblichen Aufwendungen.78 Oder er verlangt Schadensersatz statt der Leistung. Im Rahmen des Schadensersatzanspruchs findet weiterhin die (widerlegbare) Rentabilitätsvermutung Anwendung.79 Da der Anspruch auf Aufwendungsersatz „anstelle“ des positiven Interesses verlangt werden kann, müssen alle Voraussetzungen des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung vorliegen, insbesondere auch ein Vertretenmüssen. Auch der Anspruch auf Aufwendungsersatz ist also in der Regel verschuldensabhängig. Aufwendungsersatz nach § 284 kann immer dann verlangt werden, wenn Schadensersatz statt der Leistung geschuldet wird (s. § 280 III). Die Fälle der Unmöglichkeit sind also nur ein Anwendungsfall unter mehreren.80 Auf den Schadensersatzanspruch wegen nachträglicher Unmöglichkeit (§§ 280 I, III, 283) findet § 284 ohne weiteres Anwendung, auf den Schadensersatzanspruch wegen anfänglicher Unmöglichkeit ergibt sich dies aus dem ausdrücklichen Verweis in § 311a II 1. Voraussetzung für den Anspruch aus § 284 ist weiterhin, dass der Gläubiger Aufwendungen (nämlich freiwillige Vermögensopfer, s. u. Rdn. 1250) im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat „und billigerweise machen durfte“. Eine genaue Definition der Billigkeit ist nicht möglich (zum „billigen Ermessen“ vgl. auch §§ 315 ff). Jeweils im Einzelfall müssen die Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung des Vertragsinhalts nach Treu und Glauben gegeneinander abgewogen werden. Unbilligkeit liegt nicht schon dann vor, wenn die Ausgabe den Wert der Leistung übersteigt. Die Aufwendungen müssen aber in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Leistung stehen (str.).81 Exzessive Luxusaufwendungen sind damit vom Ersatz ausgeschlossen. Im Rahmen der Interessenabwägung kommt es auch darauf an, ob der Schuldner mit den Aufwendungen rechnen musste (str.).82 Hätte G im Clown-Beispiel für 20.000 Euro eine kunsthandwerklich gestaltete Bühne bauen lassen, würde dies die Grenze der Billigkeit übersteigen. Ein angemessenes Verhältnis zum Wert der Darbietung ist nicht mehr gegeben. C musste mit einem solchen Aufwand auch nicht rechnen.

Gem. § 284 wird kein Ersatz geschuldet für Aufwendungen, deren Zweck auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden wäre. Hierdurch sollen Investitionen von der Ersatzpflicht ausgenommen werden, die auch bei ordnungsgemäßer Leistung ihren Zweck verfehlt hätten. Ist im Beispiel das Geburtstagskind erkrankt und die Feier abgesagt worden, kann G von C nicht Ersatz der 300 Euro verlangen, da deren Zweck auch dann nicht erreicht worden wäre, wenn C vereinbarungsgemäß erschienen wäre. Weitere Beispiele: Miete für ein Ladenlokal, in dem letztlich unverkäufliche Kunstwerke angeboten werden sollten. Im Anschluss an das Stadthallenbeispiel (oben Fn. 75): Die vorgesehene Parteiveranstaltung wäre ohnehin mangels Mitgliederinteresses abgesagt worden.83

78 BGH NJW 2005, 2848 (2850): Einerlei ob für kommerzielle oder nicht-kommerzielle Zwecke. 79 S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 226; a. A. Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/ Ring, Das Neue Schuldrecht § 2 Rdn. 52. 80 S. BGH NJW 2005, 2848: Ersatz vergeblicher Aufwendungen bei Rückabwicklung des Kaufs einer mangelhaften Sache (auch über § 347 II hinaus). 81 Palandt/Heinrichs, § 284 Rdn. 7; Medicus, Schuldrecht I Rdn. 389; Reim, NJW 2003, 3662 (3666); Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht AT Rdn. 648; a. A. Canaris, JZ 2001, 499 (517), Bruch, Der Ersatz frustrierter Aufwendungen nach § 284 BGB (2004), 79, welche den Ersatz für Luxusaufwendungen über § 254 korrigieren möchten. 82 S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 228; a. A. Canaris, JZ 2001, 499 (517). 83 So die Beispiele in GesBegr BT-Drs 14/6040, 144.

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§ 43 III 5

Leistungsstörungen

5. Herausgabe der Ersatzvorteile („Surrogate“), § 285 442

Die Ausführungen haben gezeigt, dass der Gläubiger der unmöglichen Leistung in erster Linie einen Schadensersatzanspruch haben kann, nämlich für nachträgliche Unmöglichkeit aus §§ 280 I, III, 283 und für anfängliche Unmöglichkeit aus § 311a II. Anstelle dieses Schadensersatzanspruchs kann auch ein Anspruch aus § 284 auf Aufwendungsersatz geltend gemacht werden. Beide Ansprüche setzen ein Vertretenmüssen voraus. Trifft den Schuldner keine Verantwortung, wird er ersatzlos von seiner Leistungspflicht befreit. Dieser Grundsatz kennt eine Ausnahme: 84 Nach § 285 kann der Gläubiger stets – also auch ohne ein Vertretenmüssen des Schuldners – Herausgabe des Ersatzes verlangen, den der Schuldner infolge der Unmöglichkeit erlangt hat, wie z. B. die Herausgabe einer Versicherungssumme („stellvertretendes commodum“). Dahinter steht der Gedanke, dass der Schuldner wenigstens den Ersatz für die versprochene Leistung an den Gläubiger herausgeben soll, wenn er schon nach § 275 von seiner Leistungspflicht frei wird. Eine in der Sache unrichtige Verteilung von Vermögenswerten soll hierdurch ausgeglichen werden („obligatorische Surrogation“).85 Verlangt der Gläubiger Herausgabe des Ersatzes, bleibt er im gegenseitigen Vertrag allerdings zur Erbringung der (geminderten) Gegenleistung verpflichtet, § 326 III. Beispiel: A verkauft ein Ölbild an X. Noch vor der Übereignung wird das Bild dem A ohne sein Verschulden unwiederbringlich gestohlen. A hatte eine Diebstahlsversicherung abgeschlossen. – Der Anspruch des X gegen A auf Lieferung ist gem. § 275 ausgeschlossen. X hat mangels Verschuldens des A auch keinen Schadensersatz- oder Aufwendungsersatzanspruch. X kann aber gem. § 285 I von A Herausgabe des stellvertretenden commodums verlangen. Wenn die Versicherung bereits an A gezahlt hat, kann X von A Auszahlung dieses Betrags verlangen. Hat die Versicherung noch nicht bezahlt, kann X von A Abtretung des Versicherungsanspruchs verlangen (sofern dieser Anspruch nach den Versicherungsbedingungen abtretbar ist, s. § 399 Alt. 2). Er bleibt dann aber zur Gegenleistung verpflichtet, § 326 III 1. War die Versicherung höher als der Preis des Bildes, macht X immer noch ein gutes Geschäft.

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Der Anspruch aus § 285 ist auf anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit anwendbar. Es handelt sich um einen verhaltenen Anspruch: Er entsteht nicht kraft Gesetzes, sondern nur, wenn der Gläubiger es verlangt.86 Unter § 285 fällt zunächst ein Ersatz im Rechtssinn (commodum ex re), z. B. eine Versicherungssumme oder ein Schadensersatzanspruch, den der Schuldner gegen einen Dritten wegen Zerstörung der Sache erlangt hat. Entscheidend ist, dass der Schuldner den Ersatz infolge des Umstands erhalten hat, der die Leistung unmöglich gemacht hat. Unter § 285 fällt nach h. M. aber auch ein Ersatz im wirtschaftlichen Sinn (commodum ex negotiatione), nämlich das aus einem Rechtsgeschäft vom Schuldner erlangte Entgelt.87

84 Zu einer weiteren Ausnahme gelangt man, wenn man § 122 analog im Fall der anfänglichen Unmöglichkeit anwendet, s. hierzu oben Rdn. 415ff. 85 Bei obligatorischer Surrogation besteht lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch auf Herausgabe der Ersatzvorteile (so z. B. auch § 818 I). Im Gegensatz hierzu führt die dingliche Surrogation zu einem Übergang des Ersatzes kraft Gesetzes (s. z. B. §§ 1370, 1247 S. 2). Die (amtlichen) Überschriften des BGB sprechen deshalb bisweilen auch von „unmittelbarer Ersetzung“ (s. §§ 1473, 2019, 2041, 2111). S. hierzu Coester-Waltjen, Jura 1996, 24. 86 Palandt/Heinrichs, § 285 Rdn. 9. 87 Zweifelnd Medicus, Schuldrecht I Rdn. 390. Anders ist die Rechtslage jedenfalls bei § 818 und nach der hier vertretenen Auffassung auch bei § 816, wo nur Herausgabe des objektiven Werts, aber nicht des möglicherweise höheren Kaufpreises geschuldet ist, s. u. Rdn. 1510, 1516.

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Unmöglichkeit

§ 43 III 5

Beispiel: A verkauft ein Auto an X für 5.000 Euro. Noch vor Lieferung verkauft ein Vertreter des A ohne Wissen des A das Auto an den Y gegen einen Barpreis von 6.000 Euro und übereignet es an Y, der es auf jeden Fall behalten möchte. X kann gem. § 285 I von A die 6.000 Euro verlangen, bleibt dann aber gem. § 326 III 1 zu 5.000 Euro verpflichtet. Er verdient 1.000 Euro.

§ 285 gilt für alle vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnisse auf Leistung bestimmter Gegenstände, soweit die allgemeinen Vorschriften eingreifen. Also z. B. im Fall der §§ 818 IV, 819, des Rücktritts und bei aufschiebend bedingter Verpflichtung, nicht aber für die einfache Bereicherungshaftung (§ 818 II, III) und für den dinglichen Herausgabeanspruch.

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Auf den Anspruch des Eigentümers gegen den Besitzer aus § 985 findet § 285 nach richtiger Ansicht keine Anwendung, da mit dem Besitzverlust der Anspruch aus § 985 untergeht (RGZ 115, 31 gegen RGZ 105, 84), und weil sonst der Eigentümer auch vom redlichen Weiterveräußerer den Kauferlös herausfordern könnte, ohne nach § 185 II 1 genehmigen zu müssen. Der Eigentümer hätte dann Eigentumsrechte und Erlös, der Besitzer müsste den Erlös herausgeben und zusätzlich eine Rechtsmängelhaftung befürchten.

Da § 285 voraussetzt, dass ein individuell bestimmter Gegenstand geschuldet war, ist er auf Gattungsschulden unanwendbar, solange keine Konkretisierung (§ 243 II) erfolgt ist; anders bei beschränkter Gattungsschuld, wenn der gesamte Vorrat untergegangen ist. Wie bereits erwähnt, setzt der Anspruch aus § 285 kein Verschulden auf Seiten des Schuldners voraus. Nach h. M. ist er sogar dann anwendbar, wenn den Gläubiger eine teilweise oder auch die gesamte Verantwortung für die Unmöglichkeit trifft.88 In der Tat ist § 254 (Haftungsmilderung bei Mitverschulden des Anspruchsberechtigten) auf § 285 nicht anwendbar, da die Vorschrift keinen Schadensersatzanspruch darstellt, außerdem das commodum keiner Abwägung zugänglich ist. Härten sind allerdings unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242) zu mildern. Der Anspruch aus § 285 I kann isoliert geltend gemacht werden. Er kann aber auch mit einem Schadensersatzanspruch kombiniert werden. Um diese Möglichkeit geht es in § 285 II. Auch wenn der Gläubiger einen Schadensersatzanspruch hat, kann er Herausgabe des commodums verlangen. Sein Schadensersatzanspruch mindert sich dann um den Wert des erlangten Ersatzes oder Ersatzanspruchs. Er soll schließlich nicht besser als ohne das schädigende Ereignis, nämlich die Unmöglichkeit stehen (Grundgedanke der Vorteilsausgleichung, bzw des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots). Beispiel: G hat von S ein Auto im Wert von 5.000 zu 4.000 Euro gekauft, das durch Verschulden des S bei einem Unfall zerstört wird. Das Fahrzeug war hiergegen mit 4.500 Euro versichert. G kann entweder isoliert nach § 285 I vorgehen und Herausgabe der Versicherungssumme i. H. v. 4.500 Euro verlangen. Dann bleibt er gem. § 326 III zur Gegenleistung verpflichtet, die sich aber gem. § 441 III anteilsmäßig mindert: Der Wert des Ersatzes (4.500 Euro) bleibt um 10 Prozent hinter dem Wert der geschuldeten Leistung (5.000 Euro) zurück, so dass sich die Gegenleistung (4.000 Euro) ebenfalls um 10 Prozent mindert. G schuldet dem S also 3.600 Euro, erhält im Saldo also 900 Euro. Oder – zweite Möglichkeit – G verlangt von S Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 283. Sein positives Interesse beträgt 1.000 Euro. Verlangt er die Versicherungsleistung, erhält er über den eben beschriebenen Weg einen Saldo von 900 Euro. Diese werden ihm auf den Schadensersatzanspruch i. H.v. 1.000 Euro angerechnet, so dass er noch 100 Euro Schadensersatz verlangen kann. Im Ergebnis bekommt G also sein positives Interesse i.H. v. 1.000 Euro, so dass er die Geltendmachung von Schadensersatz der isolierten Einforderung des Surrogats nach § 285 I vorziehen wird.

Mit „Wert“ meint § 285 II den tatsächlichen Wert des Ersatzes oder Ersatzanspruchs. Ist der erlangte Ersatzanspruch mangels Bonität des Drittschuldners nicht durchsetz88 MüKo/Emmerich, Bd. 2a § 285 Rdn. 11.

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§ 43 IV 1

Leistungsstörungen

bar, kann der Gläubiger wieder Schadensersatz in voller Höhe vom Schuldner verlangen (str.).89

IV. Das Schicksal der Gegenleistung im gegenseitigen Vertrag 446

Die bisherigen Ausführungen behandelten die Frage, welche Ansprüche an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs treten, wenn dieser wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 275 I) oder zumindest nicht durchsetzbar ist (§ 275 II, III). Es handelt sich um Ansprüche auf Schadensersatz, auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen und auf Herausgabe der Surrogate. In einfachen Schuldverhältnissen hat es hiermit sein Bewenden. Im gegenseitigen Vertrag ist indes eine weitere Frage zu klären: Welchen Einfluss hat die Unmöglichkeit der Leistung auf die Pflicht zur Gegenleistung? Ist der Gläubiger weiterhin zur Erbringung seiner Gegenleistung verpflichtet, auch wenn er wegen § 275 die ursprünglich geschuldete Leistung nicht mehr verlangen kann? Die Frage wurde bereits gestreift, da z. B. bei der Berechnung des Schadensersatzes im gegenseitigen Vertrag das Schicksal der Gegenleistung berücksichtigt werden muss.90 Ausgangspunkt für eine systematische Behandlung ist § 275 IV: Für die Rechte des Gläubigers im Fall der Unmöglichkeit wird auch auf § 326 verwiesen. Es handelt sich hierbei um die zentrale Vorschrift über das Schicksal der Gegenleistung im gegenseitigen Vertrag. 1. Befreiung von der Gegenleistung

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Nach § 326 I 1 Halbs. 1 entfällt mit der Leistungspflicht (§ 275) auch die Gegenleistungspflicht. Grundsätzlich trägt also der Gläubiger die Leistungs-, der Schuldner die Gegenleistungsgefahr: ohne Leistung keine Gegenleistung (s. bereits oben Rdn. 404). Dieser Effekt tritt ipso iure ein (zu diesem Begriff s. o. Rdn. 396), also ohne dass der Gläubiger eine Erklärung abgeben müsste.91 Bei der unmöglichen Leistung muss es sich um eine im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Leistung handeln; anderenfalls kommen lediglich Schadensersatzansprüche gem. §§ 280 ff in Betracht.92 § 326 I 1 Halbs. 1 gilt unabhängig davon, ob der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder nicht. Nur wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit zu vertreten hat, bleibt der Gegenleistungsanspruch gem. § 326 II 1 Alt. 1 aufrechterhalten. Der Zeitpunkt der Entdeckung der Unmöglichkeit spielt ebenfalls keine Rolle. Wurde die Gegenleistung bereits erbracht, kann sie nach Rücktrittsrecht zurückgefordert werden, § 326 IV (vor der Schuldrechtsmodernisierung: nach Bereicherungsrecht). Beispiel: K kauft am 1.4. eine Eigentumswohnung des V zu späterer Auflassung. Am 10. 4. brennt das Haus durch Blitzschlag ab. V wird nach § 275 I von seiner Pflicht aus § 433 I 1 frei. Die Leistung ist unmöglich geworden. Nach § 326 I 1 Halbs. 1 entfällt auch die Gegenleistungspflicht des K aus § 433 II. Eine Anzahlung kann K nach §§ 326 IV, 346 I zurückverlangen. Ähnlich BGHZ 78, 352 – abgebrannte Baustelle.

89 S. Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 322 m. w. N. 90 Bei der Berechnung des Schadensersatzes nach der Differenztheorie entfällt die Pflicht des Gläubigers zur Gegenleistung, nach der Surrogationstheorie bleibt sie bestehen, s. o. Rdn. 433ff. 91 Anders noch § 323 II Nr. 1 KE und DiskE: Erforderlichkeit einer Rücktrittserklärung, wenn auch ohne Aufforderung mit Fristsetzung. 92 Bamberger/Roth/Grothe, § 326 Rdn. 4.

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Unmöglichkeit

§ 43 IV 2

Bei § 275 II und III ist zu beachten, dass die Gegenleistungspflicht erst in dem Moment entfällt, in dem der Schuldner tatsächlich von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch macht.93 2. Keine Befreiung von der Gegenleistung Von dem Grundsatz „Ohne Leistung keine Gegenleistung“ existieren einige Ausnahmen:

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a) Teilunmöglichkeit Im Fall der Teilunmöglichkeit bleibt der Gläubiger gem. §§ 326 I 1 Halbs. 2, 441 III zur Erbringung einer geminderten Gegenleistung verpflichtet. Wenn er an der Teilleistung kein objektives Interesse hat, kann er gem. §§ 326 V Halbs. 2, 323 V 1 auch vom ganzen Vertrag zurücktreten, so dass die Gegenleistungspflicht vollständig entfällt (s. bereits oben Rdn. 379). Ein Anwendungsfall der Teilunmöglichkeit sind die Ratenlieferungsverträge (nicht aber die Sukzessivlieferungsverträge, s. o. Rdn. 47). Ist eine einzelne Lieferung oder Leistung unmöglich, mindert sich der Gesamtpreis gem. den §§ 326 I 1 Halbs. 2, 441 III. Rücktritt vom ganzen Vertrag (oder „großer“ Schadensersatz), also auch mit Wirkung für die in der Vergangenheit korrekt erbrachten Leistungen, ist nur bei Interessewegfall möglich, was die Ausnahme sein wird. Eine Kündigung für die Zukunft ist analog § 314 möglich, hat aber hohe Voraussetzungen (s. o. Rdn. 47 f). Beispiel: A hat die Morgenzeitung „Tageskurier“ abonniert. Bezahlt wird jährlich im voraus, es ist Hauszustellung bis spätestens 7 h vereinbart. A liest die Zeitung in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit. Ab dem 1. 6. wird aufgrund einer Urlaubsvertretung erst um 12 h mittags geliefert. A beschwert sich beim Verlag und erwirbt drei Tage lang ein Exemplar der Zeitung am Kiosk zum erhöhten Einzelverkaufspreis. Am vierten Tag erfolgt die Zustellung wieder wie vereinbart. – Es handelt sich um einen Ratenlieferungsvertrag (s. o. Rdn. 47). Da es sich bei der Zustellung einer Morgenzeitung um ein absolutes Fixgeschäft handelt (s. o. Rdn. 373), tritt mit Nichtlieferung zum vereinbarten Zeitpunkt Unmöglichkeit in Bezug auf die Einzellieferung ein. Aufgrund dieser Teilunmöglichkeit mindert sich der Preis für das Jahresabonnement gem. §§ 326 I 1 Halbs. 2, 441 III. A kann das zu viel Gezahlte gem. §§ 326 IV, 346 I zurückverlangen, braucht sich also nicht auf einen Gutschein oder eine Abo-Verlängerung um drei Tage einzulassen (aber Achtung auf anderslautende AGB!). Eine Rückabwicklung des gesamten Vertrags (mit Wirkung für die Vergangenheit) ist nicht möglich, da A die Zeitung in der Vergangenheit pünktlich lesen konnte und das auch in Zukunft wieder kann (kein Interessewegfall i. S. der §§ 437 Nr. 2, 326 V, 323 V 1). Da wieder ordnungsgemäß geliefert wird, ist auch keine Kündigung für die Zukunft analog § 314 möglich. Etwas anderes würde nur gelten, wenn sich die Unzuverlässigkeiten bei der Zustellung wiederholen würden. Gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 283 S. 1 (nicht 283 S. 2, 281 I 2!) kann A Schadensersatz für den am Kiosk bezahlten Einzelverkaufszuschlag verlangen. (Zum Widerrufsrecht bei einem Ratenlieferungsvertrag mit einem Verbraucher s. auch § 505 und unten Rdn. 1115).

b) Qualitative Unmöglichkeit Gem. § 326 I 2 fällt die Gegenleistungspflicht nicht weg, wenn dem Schuldner im Fall der Schlechtleistung die Nacherfüllung unmöglich ist. Die Vorschrift bezieht sich auf nicht behebbare Sach- und Rechtsmängel, also auf die qualitative Unmöglichkeit. Würde man diese Fälle nach den Regeln über die Teilunmöglichkeit behandeln, käme es zu einer automatischen Minderung. Der Gläubiger soll aber sein Wahlrecht zwischen 93 GesBegr BT-Drs 14/6040, 188; Zimmer, NJW 2002, 1 (4).

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§ 43 IV 2

Leistungsstörungen

Minderung und Rücktritt nicht verlieren. Will der Gläubiger den mangelhaften Gegenstand nicht behalten, muss er gem. § 326 V Halbs. 2, 323 V 2 zurücktreten, immer vorausgesetzt, dass die Pflichtverletzung erheblich ist (s. bereits oben Rdn. 381). Mit diesen Informationen lassen sich die drei Regelungsbereiche von § 326 I genau beschreiben: S. 1 Halbs. 1 regelt das Schicksal der Gegenleistung bei vollständiger Unmöglichkeit, S. 1 Halbs. 2 für die Teilunmöglichkeit und S. 2 für die qualitative Unmöglichkeit.

c) Vertretenmüssen des Gläubigers 450

Gem. § 326 II 1 Alt. 1 behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Gläubiger für die Unmöglichkeit allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Da es der Gläubiger selbst ist, den die Hauptverantwortung an der Unmöglichkeit trifft, bleibt er trotz Ausbleibens der Leistung zur Gegenleistung verpflichtet. Erspart sich der Schuldner durch die vom Gläubiger verschuldete Unmöglichkeit Ausgaben oder Arbeitsaufwand, oder erwirbt er durch die anderweitige Verwendung seiner frei gewordenen Arbeitskraft etwas, bzw unterlässt er dies böswillig, so muss er sich dies auf die von ihm beanspruchte Gegenleistung anrechnen lassen, § 326 II 2 (compensatio lucri cum damno, ähnlich §§ 255, 649). § 326 II 1 ist auf anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit anwendbar. Bei der unmöglichen Leistung muss es sich um eine im Gegenseitigkeitsverhältnis („Synallagma“) stehende Verpflichtung handeln. Beispiel: Der Porzellanhändler bringt, wie vereinbart, das im Laden gekaufte Service zum Haus des Käufers K, wird aber im Garten vom bissigen Hund des K angefallen, der sich aufgrund der Unachtsamkeit des K losreißen konnte. Das Service zerbricht. Der Händler wird von seiner Leistungspflicht gem. § 275 I frei. Da K für die Unmöglichkeit allein verantwortlich ist, behält der Händler gem. § 326 II 1 Alt. 1 den Anspruch auf die Gegenleistung, also auf Zahlung des Kaufpreises. – Einen Ersatzvorteil muss der gem. § 275 frei gewordene Schuldner nach § 285 I herausgeben.

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Erleidet der Schuldner durch den vom Gläubiger zu vertretenden Untergang der Leistung einen Schaden, der dem übererfüllungsmäßigen Interesse zuzuordnen ist (z. B. die Heilungskosten nach Hundebiss), so reicht die weiterbestehende Pflicht zur Entrichtung der Gegenleistung nicht aus, um ihren Gläubiger zu entschädigen. Da die Gegenleistung keinen Schadensersatzanspruch darstellt, sondern einen Erfüllungsanspruch, besteht zusätzlich ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I (s. u. Rdn. 508 ff; daneben aus §§ 823 ff). Fraglich ist, was in § 326 II 1 unter der Verantwortlichkeit des Gläubigers zu verstehen ist. Eine gesetzliche Regelung fehlt: Insbesondere sind die §§ 276, 278 nicht direkt anwendbar, da hier lediglich die Verantwortlichkeit des Schuldners geregelt ist. Eine analoge Anwendung ist geboten: Der Gläubiger hat schuldhaftes vertragswidriges Verhalten gegenüber dem Schuldner zu vertreten, das ursächlich für die Unmöglichkeit der Leistung geworden ist. Außerdem kann sich analog § 276 eine strengere (oder mildere) Haftung aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses ergeben, insbesondere auch aus einer Risikoübernahme. Den Gläubiger trifft die alleinige Verantwortlichkeit i. S. v. § 326 II 1, wenn er das Risiko – z. B. für eine zu erteilende Genehmigung, die dann versagt wird – übernimmt, BGHZ 80, 700 – Auflassungsgenehmigung.

Für Hilfspersonen haftet der Gläubiger analog § 278. Ein über die analoge Anwendung der §§ 276, 278 hinausgehende Risikoverantwortlichkeit des Gläubigers für sämtliche Leistungshindernisse, die aus seiner Sphäre stammen, ist aber abzulehnen.94 94 Jauernig/Stadler, § 326 Rdn. 14 m. w. N.

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Unmöglichkeit

§ 43 IV 2

Eine Unklarheit besteht beim Bezugspunkt des Vertretenmüssens. Wie gezeigt wurde, muss bei Schadensersatzansprüchen des Gläubigers gegen den Schuldner bei von diesem zu vertretender Unmöglichkeit zwischen nachträglicher und anfänglicher Unmöglichkeit unterschieden werden. Bei nachträglicher Unmöglichkeit muss sich das Vertretenmüssen auf die Umstände beziehen, die zur Unmöglichkeit geführt haben, bei anfänglicher Unmöglichkeit kommt es auf das Kennen oder Kennenmüssen des Leistungshindernisses an (s. o. Rdn. 407). Findet diese Unterscheidung eine Entsprechung, wenn es um den Anspruch auf die Gegenleistung und die Verantwortlichkeit des Gläubigers geht? § 326 II 1 trifft eine solche Differenzierung nicht, sondern stellt einheitlich für alle Fälle der Unmöglichkeit darauf ab, ob der Gläubiger für den Umstand, der zur Unmöglichkeit geführt hat, verantwortlich ist. Dies passt für die nachträgliche Unmöglichkeit. Für die anfängliche Unmöglichkeit ist hingegen analog § 311a II 2 darauf abzustellen, ob der Gläubiger das Leistungshindernis bei Vertragsschluss kannte oder seine Unkenntnis zu vertreten hat. Bei der Frage der Verantwortlichkeit können für Gläubiger und Schuldner nicht verschiedene Bezugspunkte des Vertretenmüssens herangezogen werden. Recht zweifelhaft ist die Lage, wenn der Schuldner aus einer Gattung zu leisten hat und noch keine Konkretisierung eingetreten war, als der Gläubiger die Lieferung der vom Schuldner für die Leistung vorgesehenen Gegenstände schuldhaft unmöglich machte.

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Das Porzellanservice im obigen Beispiel war telefonisch nach Katalog bestellt worden. Da Bringschuld vereinbart war, hatte der Schuldner, als der Hund ihn anfiel, noch nicht das seinerseits Erforderliche getan (§ 243 II), bleibt also gem. § 276 (Übernahme des Beschaffungsrisikos wegen Gattungsschuld) zur erneuten Leistung verpflichtet. § 300 II greift nicht ein, da das Service noch nicht tatsächlich angeboten worden war (§ 294). Dies erscheint äußerst unbillig. Wie oft soll sich der Lieferant von dem Hund noch beißen lassen? Der Gläubiger handelt grundsätzlich treuwidrig, wenn er nach der von ihm verschuldeten Unmöglichkeit der Lieferung der vorgesehenen Sachen Neulieferung verlangt. Man muss daher annehmen, dass regelmäßig zugleich mit der vom Gläubiger zu vertretenden Unmöglichkeit der Lieferung ausgesonderter Gattungssachen die Gattungsschuld konkretisiert wird, so dass § 275 Anwendung findet. Die Leistungspflicht des Händlers erlischt also gem. §§ 243 II, 275 I, K bleibt gem. § 326 II 1 Alt. 1 aber weiter zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet.

Schließlich sei daran erinnert, dass § 326 II 1 analog auf die von beiden Seiten zu vertretende Unmöglichkeit anzuwenden ist und mit dem Schadensersatzanspruch des Gläubigers aus §§ 280 I, III, 283, bzw. aus § 311a II zu verrechnen ist (s. o. Rdn. 425ff, 452). d) Annahmeverzug Gem. § 326 II 1 Alt. 2 bleibt der Gegenleistungsanspruch auch dann bestehen, wenn die Unmöglichkeit in einer Zeit eintritt, in welcher sich der Gläubiger im Annahmeverzug befindet. Der Gläubigerverzug verlagert also die Preisgefahr vom Schuldner auf den Gläubiger (s. bereits oben Rdn. 404). Dies gilt nur dann, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat, wobei die Haftungserleichterung in § 300 I zu beachten ist. Selbst wenn der Schuldner den Untergang leicht fahrlässig verschuldet hat, kann er weiterhin Zahlung verlangen (s. auch §§ 446 S. 3, 644 I 2). Auch für den Annahmeverzug gilt § 326 II 2, also die Anrechnung der ersparten Aufwendungen, bzw. des böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs.

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e) Andere Regeln über die Preisgefahr Es existieren weitere Regeln über den Übergang der Preisgefahr. Systematisch sind sie als Ausnahmen zu § 326 I 1 Halbs. 1 einzustufen. Obwohl der Schuldner nicht mehr

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§ 43 IV 3

Leistungsstörungen

leisten kann, behält er den Anspruch auf die Gegenleistung. Die Anwendung der folgenden Vorschriften setzt regelmäßig voraus, dass keine der beiden Seiten die Unmöglichkeit zu vertreten hat.95 – § 446 S. 1: Ist die Kaufsache übergeben, und geht sie dann unter, so muss der Käufer sie trotzdem bezahlen (dazu unten Rdn. 818). Der Käufer hat die Kontrollmöglichkeit. – § 447 I: Wird bei Holschuld oder Schickschuld Versendung der gekauften Sache bedungen, so muss der Käufer zahlen, wenn die Sache unterwegs verlorengeht (dazu unten Rdn. 822ff). Die Sache reist auf Risiko des Käufers. – § 616 S. 1: Der Dienstverpflichtete behält den Lohnanspruch trotz vorübergehender Verhinderung, wenn der Grund in seiner Person liegt, ihn aber kein Verschulden trifft (Hauptfall Krankheit), näher unten Rdn. 1171 ff. – §§ 644, 645: Beim Werkvertrag hat der Unternehmer Anspruch auf Werklohn oder wenigstens einen Teil davon, wenn das Werk aus Gründen scheitert, die aus der Sphäre des Bestellers herrühren; wenn der Besteller im Annahmeverzug ist; und wenn der Besteller Versendung verlangt. § 645 ist analog anzuwenden auf vergleichbare Fälle, in denen der Besteller das Risiko für den Untergang des Werks erhöht hat (s. u. Rdn. 1216ff). – § 2380: Beim Erbschaftskauf geht die Gegenleistungsgefahr schon mit dem Abschluss auf den Käufer über („periculum est emptoris“ als Ausnahme und historisches Überbleibsel). – § 56 S. 1 ZVG: Das gleiche gilt für den Zuschlag in der Zwangsversteigerung. Der Ersteigerer sollte deshalb bald Aushändigung verlangen. – § 326 ist abdingbar, aber nur individualvertraglich. § 307 II Nr. 1 steht abweichenden Geschäftsbedingungen entgegen: Es steht mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht in Übereinstimmung, wenn dem Verwender ein Anspruch auf die Gegenleistung eingeräumt wird, ohne dass er die ihm obliegende Leistung erbringt.96

f) Herausgabe der Surrogate 455

Geht der Gläubiger nach § 285 I vor, verlangt er also vom Schuldner die Ersatzvorteile heraus, bleibt er gem. § 326 III zur Gegenleistung in vollem oder gemindertem Umfang verpflichtet (s. o. Rdn. 442). g) Schadensersatz nach Surrogationstheorie

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Hat der Gläubiger gegen den Schuldner einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, III, 283 (nachträgliche Unmöglichkeit) oder § 311a II (anfängliche Unmöglichkeit), hängt das Schicksal der Gegenleistung von der Wahl des Gläubigers ab: Verlangt er Schadensersatz nach der Differenztheorie, entfällt die Pflicht zur Gegenleistung, geht er nach der Surrogationstheorie vor, besteht sie fort (s. o. Rdn. 433). Bei Vertretenmüssen des Schuldners (nur dann hat der Gläubiger einen Schadensersatzanspruch) hat es der Gläubiger also in der Hand, ob er weiter leisten möchte oder nicht. 3. Rücktritt

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Auf den ersten Blick schwer verständlich ist § 326 V. Nach dieser Vorschrift kann der Gläubiger bei Unmöglichkeit zurücktreten. Gem. § 326 I 1 Halbs. 1 fällt der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung aber bereits ipso iure weg, also ohne dass es einer Rücktrittserklärung bedürfte. Die bereits erbrachten Leistungen können nach § 326 IV

95 Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 272. 96 Bamberger/Roth/Grothe, § 326 Rdn. 12.

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Unmöglichkeit

§ 43 IV 4

zurückgefordert werden. Wieso bedarf es hierüber hinaus dann noch der in § 326 V angesprochenen Ausübung des Rücktritts? Hierfür gibt es drei Gründe: – Das Rücktrittsrecht ist von Bedeutung für die Teilunmöglichkeit. Gem. § 326 I 1 Halbs. 2 entfällt hier die Gegenleistungspflicht nur teilweise. Möchte der Gläubiger vom gesamten Vertrag zurücktreten, ist eine entsprechende Rücktrittserklärung erforderlich. Voraussetzung ist gem. §§ 326 V Halbs. 2, 323 V 1, dass an der Teilleistung kein (objektives) Interesse besteht. – Der Rücktritt ist ferner von Bedeutung für die qualitative Unmöglichkeit. Liegt ein nicht behebbarer Mangel vor, kommt es gem. § 326 I 2 nicht zum automatischen Wegfall der Gegenleistungspflicht, da der Gläubiger die freie Entscheidung über Rücktritt oder Minderung behalten soll (s. o. Rdn. 449). Entscheidet sich der Gläubiger für den Rücktritt, muss er diesen erklären. Voraussetzung für einen wirksamen Rücktritt ist gem. §§ 326 V Halbs. 2, 323 V 2, dass die Pflichtverletzung, nämlich der Mangel nicht nur unerheblich ist. – Schließlich steckt hinter § 326 V ein Wissens- und Beweisproblem: Wenn der Gläubiger den genauen Grund für die Nichtleistung nicht kennt, sollte er zunächst eine angemessene Nachfrist i. S. v. § 323 I setzen. Nach fruchtlosem Ablauf kann er dann zurücktreten. Der Rücktritt ist entweder gem. § 323 I oder gem. § 326 V wirksam.97 Die Frage der Unmöglichkeit kann im Prozess offengelassen werden (s. bereits oben Rdn. 378, 437). Rücktritt und Schadensersatz können gem. § 325 nebeneinander geltend gemacht werden (anders die Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung bezüglich des Vertrags-, bzw Äquivalenzinteresses!). Für die nähere Ausgestaltung des Rücktrittsrechts verweist § 326 V Halbs. 2 auf § 323, erklärt die Fristsetzung aber für entbehrlich. Darüber hinaus kann man auch keinen fälligen Anspruch i.S.v. § 323 I voraussetzen, da dem Anspruch ja § 275 entgegensteht. Der Verweis ist deshalb in erster Linie für § 323 V und VI von Bedeutung.98 Für Teilunmöglichkeit und qualitative Unmöglichkeit ist gem. § 323 V die Möglichkeit zum Rücktritt vom (ganzen) Vertrag eingeschränkt (s. o. Rdn. 379, 381). Gem. § 323 VI kann der Gläubiger dann nicht zurücktreten, wenn er allein oder überwiegend für die Unmöglichkeit verantwortlich ist. In diesem Fall behält ja der Schuldner gem. § 326 II 1 Alt. 1 den Anspruch auf die Gegenleistung. Diesen soll der Gläubiger nicht durch einen Rücktritt zu Fall bringen können.

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4. Beweislast Verteidigt sich der Schuldner gegen den Gläubiger mit dem Unmöglichkeitseinwand, so trägt er – der Schuldner – die Beweislast hierfür (s. bereits oben Rdn. 436 f). Macht der Schuldner hingegen seinen Gegenleistungsanspruch geltend, und verteidigt sich der Gläubiger hiergegen (nicht mit § 320, sondern) mit § 326 I 1 Halbs. 1, muss der Gläubiger die Unmöglichkeit der primären Hauptleistung darlegen und beweisen. Ungewissheiten kann der Gläubiger durch Nachfristsetzung ausräumen (zu diesem Weg oben Rdn. 437). – Macht der Schuldner nun geltend, sein Gegenleistungsanspruch habe dennoch Bestand, da der Gläubiger die Unmöglichkeit allein oder weit überwiegend zu vertreten habe (§ 326 II 1 Alt. 1), so muss er dies beweisen. Der Umfang seiner Beweislast ist streitig. Teilweise wird vertreten, dem Schuldner obliege hierfür der volle

97 Rechtsausschuss BT-Drs 14/7052, 193. 98 Schwab/Witt/Mattheus, Examenswissen zum neuen Schuldrecht S. 73.

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§ 43 V

Leistungsstörungen

Beweis.99 Demgegenüber sollte es analog § 280 I 2 ausreichen, dass der Schuldner beweist, dass die Unmöglichkeit aus dem Herrschafts- oder Organisationsbereich des Gläubigers stammt. Dieser muss dann beweisen, dass ihn keine überwiegende Verantwortlichkeit für die Unmöglichkeit trifft.100 Beruft sich der Gläubiger darauf, dass der Gegenleistungsanspruch des Schuldners gem. § 326 II 2 gemindert sei, hat er die Ersparnisse des Schuldners, seinen anderweitigen Erwerb, bzw. dessen böswillige Unterlassung zu beweisen. – Macht der Gläubiger gem. § 285 das stellvertretende commodum geltend, so hat er dessen Existenz zu beweisen.

V. Abschließende Bemerkung zur Unmöglichkeit 460

Ursprünglich sollte durch die Schuldrechtsmodernisierung die Bedeutung der Unmöglichkeitsregeln zurückgeschraubt werden. Das Gegenteil trat dann ein: Durch die neue Form der „qualitativen Unmöglichkeit“ werden nun auch die nicht behebbaren Sach- und Rechtsmängel dem Unmöglichkeitsrecht unterstellt. Im übrigen hat ein grundlegender Wandel im System des Unmöglichkeitsrechts stattgefunden: Früher wurde zwischen einfachen Schuldverhältnissen und gegenseitigen Verträgen unterschieden, innerhalb dieser zusätzlich danach, ob die Unmöglichkeit von keinem, vom Gläubiger oder vom Schuldner zu vertreten war. Der Ansatz des geltenden Rechts geht dagegen von den Rechtsfolgen aus: 101 § 275 regelt das Schicksal der primären Leistungspflicht, die §§ 283, 311a den Schadensersatzanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner und schließlich § 326 das Schicksal der Gegenleistung, nämlich den Wegfall der Gegenleistungspflicht ipso iure und das Rücktrittsrecht. Das Vertretenmüssen der Parteien ist als Tatbestandsmerkmal der verschiedenen Vorschriften von Bedeutung. Zum Abschluss und zur Wiederholung sollen die Rechtsfolgen aufgezählt werden, die sich im Fall der Unmöglichkeit ergeben. Dabei ist zu beachten, dass die Nummern 5 und 6 ein Vertretenmüssen des Schuldners voraussetzen, das allerdings vom Gesetz vermutet wird, s. §§ 283, 280 I 2, 311a II 2: 1. Der primäre Erfüllungsanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner ist gem. § 275 I ausgeschlossen, oder diesem steht gem. § 275 II und III ein Leistungsverweigerungsrecht entgegen. 2. Der Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger auf Erbringung der Gegenleistung entfällt gem. § 326 I. Auch ohne dass der Gläubiger von den weiteren Rechten Gebrauch macht, kann er sich also gegen den Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung verteidigen (Ausnahme: Vertretenmüssen des Gläubigers und Regeln über die Preisgefahr). 3. Der Gläubiger kann gem. § 326 V zurücktreten. 4. Der Gläubiger kann gem. § 285 I das Surrogat herausverlangen (Pflicht zur Gegenleistung bleibt dann gem. § 326 III bestehen). 5. Unabhängig vom Rücktritt (aber durchaus damit kumulierbar, § 325) kann der Gläubiger vom Schuldner Schadensersatz gem. §§ 280 I, III, 283 (nachträgliche Unmöglichkeit) oder § 311a II (anfängliche Unmöglichkeit) verlangen. Hierbei bestehen verschiedene Varianten:

99 So BGHZ 116, 278 zum alten Recht. 100 Bamberger/Roth/Grothe, § 326 Rdn. 38; Palandt/Grüneberg, § 326 Rdn. 14. 101 Schwab/Witt/Mattheus, Examenswissen zum neuen Schuldrecht S. 50: „Von der Rechtsfolge zum Tatbestand“.

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Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug

§ 44 I

– – – –

Berechnung nach der Differenztheorie Berechnung nach der Surrogationstheorie Kombination mit der Herausgabe des Surrogats und Anrechnung gem. § 285 II großer Schadensersatz bei Teilunmöglichkeit und qualitativer Unmöglichkeit unter den Voraussetzungen von § 281 I 2 und 3 6. Anstelle des Schadensersatzes Ersatz vergeblicher Aufwendungen gem. § 284. Das Rücktrittsrecht, der Schadensersatzanspruch, der Anspruch auf Herausgabe der Surrogate sowie der Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen stehen zueinander in elektiver Konkurrenz.

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Zu unterscheiden ist die elektive Konkurrenz von der Wahlschuld (§§ 262 ff). Bei der Wahlschuld besteht lediglich eine Forderung mit verschiedenen Inhalten, während bei der elektiven Konkurrenz mehrere Forderungen oder Gestaltungsrechte bestehen, die sich gegenseitig ausschließen oder zumindest beeinflussen. Auf die elektive Konkurrenz sind die §§ 262 ff nicht anwendbar. Das Wahlrecht liegt bei der elektiven Konkurrenz i.d.R. beim Gläubiger (anders § 262); die Möglichkeit, zu einer anderen Forderung oder zu einem anderen Gestaltungsrecht zu wechseln (das ius variandi) wird durch eine frühe Festlegung nicht ohne weiteres eingeschränkt (anders § 263).

Das praktisch wichtigste Problem wurde dadurch gelöst, dass sich Rücktritt und Schadensersatz auch dann nicht mehr ausschließen, soweit es um das eigentliche Vertragsinteresse geht, sondern nebeneinander geltend gemacht werden können (§ 325). Für das Verhältnis der anderen Rechte zueinander gilt: Erst mit der tatsächlichen Annahme – beispielsweise von Schadensersatz – und nicht schon mit dessen Einforderung geht das ius variandi verloren, und kann nicht mehr auf andere Rechte gewechselt werden. Das Wahlrecht wird nicht verloren durch Annahme eines Surrogats, da dieses gem. § 285 II als Bestandteil von Schadensersatz geltend gemacht werden kann.102

§ 44 Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug Canaris, ZIP 2003, 321; Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003) 727; Haberzettl, Verschulden und Versprechen (2006); J. Kohler, JZ 2004, 961; Krause, Jura 2002, 217, 299; Schulte-Nölke, in: DaunerLieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht (2002) § 4.

I. Begriff und Regelungssystem Die geschuldete Leistung ist zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erbringen. Ergibt sich dieser Zeitpunkt weder aus einer besonderen gesetzlichen Regelung, aus einer Vereinbarung oder aus den Umständen, kann der Gläubiger gem. § 271 I die Leistung sofort verlangen. Leistet der Schuldner nach dem hiernach relevanten Zeitpunkt, liegt eine Verzögerung der Leistung vor. Es handelt sich hierbei um eine Pflichtverletzung in zeitlicher Hinsicht. Es sei an den Unterschied zwischen Pflichtverletzung und Vertretenmüssen erinnert (s. o. Rdn. 368). Unabhängig von den individuellen Umständen liegt eine Pflichtverletzung in Form der Verzögerung

102 BGH NJW 1958, 1040 (1041). Eingehend zum Wahlrecht des Gläubigers s. Derleder, NJW 2003, 998.

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§ 44 I

Leistungsstörungen

schon dann vor, wenn nicht rechtzeitig i. S. v. § 271 geleistet wird.1 Warum nicht rechtzeitig geleistet wurde, ist hierfür ohne Bedeutung. Die Umstände der Verzögerung sind aber entscheidend für die Frage des Vertretenmüssens: Hat sich der Schuldner verspätet, weil aufgrund eines nicht vorhersehbaren Stromausfalls die Bahn ausgefallen ist, hat er dies nicht i. S. v. § 276 zu vertreten.

Von der Verzögerung der Leistung ist der Verzug des Schuldners zu unterscheiden. Er baut auf der Leistungsverzögerung auf, hat aber noch weitere Voraussetzungen, die sich aus § 286 ergeben (z. B. das Vertretenmüssen, s. hierzu unter II.). Im Beispiel des Stromausfalls liegt also zwar eine Leistungsverzögerung, aber mangels Vertretenmüssens kein Verzug vor.

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Verzug setzt voraus, dass die Leistung noch möglich ist. Ist die Leistungspflicht nach § 275 I ausgeschlossen, oder hat der Schuldner die Einrede des § 275 II oder III erhoben, liegt kein Verzug vor. Entsprechendes gilt, wenn während des Verzugs die Unmöglichkeit eintritt: Dann liegt nur Unmöglichkeit vor (Sonderregeln für diesen Fall sind §§ 287 S. 2, 290). Die Regeln über die Unmöglichkeit sind also den Regeln über den Verzug vorgelagert. Der während des Verzugs aufgelaufene Verzögerungsschaden ist aber nach den Verzugsregeln zu ersetzen (s. u. Rdn. 484). Wie die Unmöglichkeitsregeln sind auch die Regeln über den Schuldnerverzug durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz grundlegend umgestaltet worden. Es wird nicht mehr zwischen einfachen Schuldverhältnissen und gegenseitigen Verträgen unterschieden. Vielmehr wird nach Rechtsfolgen systematisiert: In den §§ 280, 281, 284, 286 ist der Schadensersatzanspruch des Gläubigers geregelt, und – für den gegenseitigen Vertrag – in § 323 die Voraussetzungen des Rücktritts. Der Verzug löst außerdem eine Haftungsverschärfung (§ 287) und eine Verzinsungspflicht (§ 288) aus. Innerhalb des Schadensersatzes sind zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen zu unterscheiden. Für Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung verweist § 280 II auf die zusätzlichen Voraussetzungen des § 286, nämlich des Verzugs. Für Schadensersatz statt der Leistung verweist § 280 III auf § 281, also insbesondere auf das Erfordernis der Nachfristsetzung. Wird Schadensersatz wegen Verzögerung eingefordert, bleibt der primäre Erfüllungsanspruch unberührt, es handelt sich also um Schadensersatz neben der primär geschuldeten Hauptleistung. Das gleiche gilt für den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Begleit-(„Integritäts“-)interesses, §§ 280 I, 241 II. Wird dagegen Schadensersatz statt der Leistung verlangt, geht der primäre Erfüllungsanspruch (der Anspruch auf das Vertragsinteresse) gem. § 281 IV unter. Im Gegensatz zu § 326 a. F. stellen die §§ 281, 323 keine Spezialregelung für den Verzug dar, ja es wird nicht einmal Verzug vorausgesetzt. Mit den beiden Varianten „nicht oder nicht wie geschuldet erbringt“, bzw. „nicht oder nicht vertragsgemäß“ werden gleichermaßen die Leistungsverzögerung und die Schlechtleistung angesprochen. Aufgrund der zweiten Variante werden die §§ 281, 323 auch für die „weiteren Pflichtverletzungen“ (unten § 46) von zentraler Bedeutung sein. Für den vorliegenden Zusammenhang reicht die Feststellung, dass die §§ 281 I 1, 323 I zumindest auch die Fälle der Leistungsverzögerung erfassen.

Im Folgenden werden zunächst die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs dargestellt (II.), welcher den Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens und die sonstigen Verzugsfolgen auslöst (III.), bevor auf Schadensersatz statt der Leistung (IV.) und Rücktritt (V.) eingegangen wird.

1 A. A. Reichenbach, Jura 2003, 512 (517): Relevante Pflichtverletzung ist die Nichtleistung trotz Mahnung, bzw. Nichtleistung trotz Nachfristablaufs.

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Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug

§ 44 II 1

II. Voraussetzungen des Schuldnerverzugs, § 286 Schuldnerverzug ist die vom Schuldner zu vertretende Nichtleistung auf eine fällige und durchsetzbare Forderung trotz Möglichkeit der Leistung und Mahnung des Gläubigers. Die Mahnung kann ausnahmsweise entbehrlich sein. 1. Fälligkeit, Möglichkeit und Durchsetzbarkeit Es muss eine Leistungspflicht aufgrund eines wirksamen vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses bestehen. Die Leistung muss i. S. v. § 275 noch möglich sein (oben § 43). Der Zeitpunkt für die Leistung i. S. v. § 271 muss eingetreten sein (oben § 34). Außerdem muss der Anspruch durchsetzbar sein. Streitig ist, inwieweit Einreden dem Verzugseintritt entgegenstehen. Schließt bereits die Existenz einer Einrede den Verzug aus, oder muss sich der Schuldner tatsächlich auf die Einrede berufen haben? Im Ausgangspunkt gilt: Erhebt der Schuldner zu keinem Zeitpunkt die Einrede, auch nicht im Prozess, wird er zur Leistung verurteilt. Dem Verzugseintritt nach allgemeinen Regeln steht nichts entgegen. Erhebt der Schuldner hingegen zwar nicht von Anfang an, aber zumindest später, möglicherweise erst im Prozess die Einrede, ist die Frage zu klären, ob die Verzugsfolgen (Schadensersatz, Verzugszinsen, etc.) bis zur tatsächlichen Erhebung der Einrede gelten. Diese Frage wird man differenziert beantworten müssen.2 Die Einreden aus § 275 II und III müssen tatsächlich erhoben worden sein, um die Unmöglichkeitsfolgen auszulösen. Der Schuldner soll ja trotz Leistungserschwerung das Recht haben, die Leistung weiterhin zu erbringen (s. o. Rdn. 396). Erst wenn vom Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht wurde, ist der Verzugseintritt ausgeschlossen.3 Dasselbe gilt für das Zurückbehaltungsrecht aus § 273. Da der Gläubiger das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung nach § 273 III abwenden kann, muss die Einrede tatsächlich erhoben worden sein.4 Anders verhält es sich nach h. M. bei § 320: Hier verhindert bereits der Bestand, nicht erst die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrecht den Verzugseintritt.5 Der Grund hierfür besteht in der gegenseitigen Verknüpfung der beiden einander gegenüberstehenden Ansprüche. Der Schuldner kommt im gegenseitigen Vertrag deshalb nur in Verzug, wenn der Gläubiger seinerseits zur Gegenleistung bereit und imstande ist, sowie die ihm obliegende Leistung in einer den Annahmeverzug begründenden Weise anbietet.6 Es handelt sich dabei um eine Verzugsvoraussetzung, die der Gläubiger im Prozess behaupten und u. U. beweisen muss. Unterlässt er das, treten in keinem Fall Verzugsfolgen ein. Hat der Gläubiger hingegen dargetan, dass er seine Leistung erbracht oder zumindest angeboten hat, treten in diesem Zeitpunkt die Verzugsfolgen ein. Beruft sich der Schuldner auf § 320, wird er hinsichtlich der Hauptleistung nur Zug um Zug verurteilt, § 322 I. Für die anderen Einreden gilt: Die Erhebung der Einrede steht dem Verzugseintritt rückwirkend entgegen.7 Das Erfordernis mangelnder Einredebehaftetheit ist ein unge-

2 S. H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts (1988) 150 ff. 3 Schwab/Witt/Mattheus, Examenswissen zum neuen Schuldrecht S. 91 f. 4 BGH NJW 1971, 421 verlangt zusätzlich zur Erhebung der Einrede das Angebot der Leistung Zug um Zug. 5 BGH NJW 1996, 3086 f. Noch einmal sei aber klargestellt, dass § 320 eine Einrede ist, der Schuldner sich also spätestens im Prozess auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen muss. 6 BGHZ 116, 244 (249). 7 Vgl. BGH NJW 1991, 1048 für die kaufrechtliche Mängeleinrede.

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§ 44 II 2

Leistungsstörungen

schriebenes Tatbestandsmerkmal des Verzugs. Allerdings muss der Schuldner sich im Prozess auf die Einrede berufen. Tut er dies, sind die Verzugsfolgen von Anfang an ausgeschlossen. Macht er die Einrede bis zur letzten mündlichen Verhandlung nicht geltend, wird er verurteilt, und zwar einschließlich aller Verzugsfolgen. 2. Mahnung 465

Weitere Voraussetzung des Verzugs ist gem. § 286 I, dass der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht leistet. In der Regel tritt Verzug also nicht von selbst durch Überschreiten der Fälligkeitszeit ein, sondern erst durch eine Mahnung, die nach der Fälligkeit erfolgt. Dem Schuldner soll eine letzte Warnung gegeben werden, dass nun die empfindlichen Verzugsfolgen eintreten. Die Mahnung ist die Aufforderung des Gläubigers an den Schuldner, nunmehr sofort zu leisten. Inhaltlich muss die Aufforderung hinreichend bestimmt und eindeutig sein und muss erkennen lassen, dass das Ausbleiben der Leistung für den Schuldner Folgen haben werde.8 Nicht erforderlich ist eine Fristsetzung, die Ankündigung bestimmter Folgen, die sich aus dem Gesetz ergeben, oder eine Rechtsbehelfsbelehrung. Die Mahnung kann formlos, auch durch schlüssiges Verhalten, an den Schuldner ergehen. Sie ist eine einseitige, empfangsbedürftige, rechtsgeschäftsähnliche Handlung.9 Die Vorschriften über Willenserklärungen – Geschäftsfähigkeit, Zugang, Auslegung, Anfechtung – gelten zwar nicht direkt, aber analog.10 Die Mahnung durch einen Geschäftsunfähigen ist nichtig (§ 105 analog), die eines beschränkt Geschäftsfähigen dagegen wirksam, da sie ihm lediglich rechtlich vorteilhaft ist (§ 107 analog). Die Mahnung gegenüber einem Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen wird erst mit Zugang beim gesetzlichen Vertreter wirksam (§ 131 analog).

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In der Regel ist in der Übersendung der ersten Rechnung oder einer Rechnung mit Zahlungsfrist noch keine Mahnung zu erblicken, erst in der daran anschließenden, wenn auch zunächst noch freundlich gehaltenen „Erinnerung“ (früher streitig: manche verlangten eine „deutliche“, „energische“ oder „geharnischte“ Zahlungsaufforderung). Der Mahnung sind gem. § 286 I 2 gleichgestellt die Erhebung der Leistungsklage (§ 253 I ZPO) sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren (§ 693 I ZPO). Die Mahnung ist gem. § 286 II und III in bestimmten Fällen entbehrlich. Dies gilt gem. § 286 II Nr. 1 zunächst für den Fall, dass für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist: dies interpellat pro homine. Dann treten Fälligkeit und Verzug zugleich ein. Beispiele sind Vereinbarungen wie z. B. „spätestens 1. April“, „Ende Februar“, „noch im Laufe des Juni“ (dann 30. 6.). Gem. Nr. 2 reicht aber auch die Bestimmung einer angemessenen Zeit seit einem bestimmten Ereignis aus, z. B. „2 Wochen nach Lieferung“, „1 Monat nach Abrechnung“ oder „160 Tage nach Arbeitsbeginn“. Eine Mahnung ist ferner entbehrlich gem. Nr. 3 im Fall der ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung (Erfüllungsverweigerung). Hieran sind strenge Anforderungen zu stellen; die Weigerung muss das „letzte Wort“ des Schuldners darstellen. Schließlich ist die Mahnung gem. Nr. 4 aus besonderen Gründen und nach Interessenabwägung entbehrlich. Erfasst werden hiervon insbesondere die Fälle der Selbstmahnung, d. h. Ankündigung der Leistung durch den Schuldner, der dann aber dennoch nicht zur Tat schreitet; der Dringlichkeit: Klempner sagt sofortige Reparatur des Wasserrohrbruchs zu; sowie der deliktischen Sachentziehung. 8 BGH NJW 1987, 1287. 9 BGH NJW 1987, 1547. 10 Köhler, AT § 12 III 3.

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Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug

§ 44 II 4

Eine eigene Regelung für Entgeltforderungen enthält § 286 III. Sie beruht auf der EG-Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr 11 und löste die missglückte Vorschrift des § 284 III a. F. ab.12 Wenn nicht schon Verzug nach den allgemeinen Vorschriften eingetreten ist, kommt der Schuldner einer Entgeltforderung spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung in Verzug, ohne dass es einer Mahnung bedürfte. Gegenüber Verbrauchern gilt dies nur nach besonderem Hinweis, § 286 III 1 Halbs. 2. „Entgelt“ im Sinne der Vorschrift sind alle Geldforderungen, die der Bezahlung einer bestimmten Leistung dienen, aber nicht z. B. Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche. Art. 3 III–V der Zahlungsverzugs-Richtlinie sichert diese Form des Verzugseintritts gegen abweichende Vereinbarungen in Individualabreden und allgemeinen Geschäftsbedingungen ab, soweit diese „grob nachteilig für den Gläubiger“ sind. Diese Vorgabe der Richtlinie wurde nicht ausdrücklich ins deutsche Recht übernommen. Die Generalklauseln des deutschen Rechts (§ 307 II Nr 1 für Klauseln und §§ 138, 242 für Individualabreden) sind aber entsprechend richtlinienkonform auszulegen.13

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3. Vertretenmüssen Verzug setzt Vertretenmüssen des Schuldners voraus, § 286 IV. Hierfür gelten die allgemeinen Vorschriften (unten § 55). Zu vertreten hat der Schuldner in erster Linie sein eigenes Verschulden und das seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertreter, §§ 276, 278. Aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses kann sich aber auch eine strengere (oder mildere) Haftung ergeben, etwa durch die Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos. Letzteres ist insbesondere für die Gattungsschuld von Bedeutung: Hier hat der Schuldner Verzögerungen auch ohne Verschulden zu vertreten, soweit es um die typischen Beschaffungshindernisse geht, wie z. B. die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder Versorgungsengpässe am Markt. Atypische Hindernisse hat der Schuldner hingegen auch bei der Gattungsschuld nicht zu vertreten, z. B. persönliche Umstände wie Krankheit, oder höhere Gewalt. Bedenken gegen die Leistungspflicht in tatsächlicher Hinsicht, z. B. eine andere Berechnung der Verbindlichkeit durch den Schuldner, entschuldigen ihn nur ausnahmsweise.14 Aus der negativen Formulierung in § 286 IV folgt (wie bei § 280 I 2), dass der Schuldner zu beweisen hat, dass er die Verzögerung der Leistung nicht zu vertreten hat.

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4. Beginn und Ende des Verzugs Der Verzug beginnt mit Zugang der Mahnung, bzw bei Terminvereinbarungen mit Ablauf des Termins.15 Der Verzug endet, wenn eine seiner Voraussetzungen entfällt, z. B. die Forderung erfüllt oder eine Einrede erhoben wird. Schon vorher endet der Verzug, wenn der Schuldner die Leistung dem Gläubiger in einer den Annahmeverzug begründenden Weise anbietet (purgatio morae, zum Gläubigerverzug s. u. § 45). Der

11 RiLi 2000/35/EG v. 29. 6. 2000 (ABl. L 200/35). 12 Zu den Hintergründen im Gemeinschaftsrecht und im nationalen Recht s. Gsell, ZIP 2000, 1861; Krebs, DB 2000, 1697; Möllers, WM 2000, 2284; Schmidt-Kessel, NJW 2001, 97; Schulte-Braucks, NJW 2001, 103. 13 Bamberger/Roth/Grüneberg, § 286 Rdn. 49. 14 BGH WM 1979, 1240. 15 Bamberger/Roth/Grüneberg, § 286 Rdn. 60.

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Leistungsstörungen

Verzug wird auch mit Vornahme der Erfüllungshandlung, bei der Schickschuld z. B. mit dem Absenden der Ware (§ 447) geheilt.16 Zweifelt der Schuldner die Berechtigung der Forderung an, möchte er aber nicht das Verzugsrisiko eingehen, sollte er leisten mit dem Vermerk zur Abwendung der Zwangsvollstreckung. Der Verzug wird hierdurch beseitigt, obwohl eine solche Leistung keine Erfüllungswirkung hat, also nicht zum Erlöschen des Schuldverhältnisses führt.17

III. Folgen des Verzugs 1. Ersatz des Verzögerungsschadens, §§ 280 I, II, 286 470

Der Verzugseintritt ändert zunächst nichts an der primären Leistungspflicht: Der Schuldner bleibt weiter zur Leistung verpflichtet. Dies ist keine Verzugsfolge, sondern resultiert aus dem Schuldverhältnis, das vom Verzug betroffen ist. Zusätzlich zum Erfüllungsanspruch kann der Gläubiger Ersatz des Verzögerungsschadens verlangen. Als Anspruchsgrundlage im Gutachten sind für diesen Anspruch die §§ 280 I, II, 286 zu nennen.18 § 280 II stellt klar, dass der Verzögerungsschaden nicht schon unter den Voraussetzungen von § 280 I, also nicht schon bei schuldhafter Pflichtverletzung verlangt werden kann. Zusätzlich müssen die Voraussetzungen des Verzugs vorliegen. Der Sinn dieser zusätzlichen Voraussetzung besteht in der Warnfunktion der Mahnung (s. o. Rdn. 465): Wenn eine genaue Leistungszeit nicht vorgegeben ist (dann Entbehrlichkeit der Mahnung nach § 286 II Nr. 1 und 2), kann der Schuldner über den Leistungszeitpunkt im Zweifel sein. Die Mahnung soll ihn auf den Ernst der Lage hinweisen und ihm eine letzte Chance zur Abwendung der Verzugsfolgen (Schadensersatz, etc.) geben.

Der in den §§ 280 I, II, 286 angesprochene Verzögerungsschaden ist derjenige Schaden, der dadurch entsteht, dass nicht rechtzeitig, sondern später erfüllt wird. Der Anspruch besteht neben dem Leistungsanspruch, ohne aber dessen Fortbestand vorauszusetzen („übererfüllungsmäßiges Interesse“, „Verzögerungsschaden“, „Integritätsinteresse“).19 Der Verzögerungsschaden umfasst alle Nachteile, die dadurch entstehen, dass der Schuldner nicht rechtzeitig erfüllt. Verzögerungsbedingte Vorteile sind anzurechnen.20 Beispiel: Stud. jur. S verleiht bis zum 1. 8. seinen Laptop an Freund F. F gibt den Computer schuldhaft nicht rechtzeitig zurück, gerät also gem. den §§ 604, 286 in Verzug (Mahnung nicht erforderlich, da Zeit nach dem Kalender bestimmt, § 286 II Nr. 1). Da S seine Ferienhausarbeit schreibt, muss er sich ein anderes Gerät für 30 Euro pro Woche mieten. F, der drei Wochen später den Laptop zurückgibt, haftet gem. den §§ 280 I, II, 286 auf 90 Euro Verzögerungsschaden.

Typische Verzögerungsschäden sind: Kosten der Rechtsverfolgung (soweit sachdienlich), Bearbeitungsgebühren, Kosten eines Deckungsgeschäfts oder einer Ersatzvornahme, der eigene Haftungsschaden, entgangener Gewinn, Wert- und Kursverluste. Hervorzuheben ist, dass die Kosten für die verzugsbegründende Erstmahnung nicht erstattungsfähig sind.21 Hierdurch wird ja der Verzug erst ausgelöst, der dann für die

16 17 18 19 20 21

BGHZ 12, 267. BGH NJW 1981, 2244. Schulte-Nölke, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring Das Neue Schuldrecht § 4 Rdn. 3. Streng genommen fällt der Verzögerungsschaden unter die in § 241 II genannten Interessen. BGH NJW 1983, 2137. BGH NJW 1985, 320 (324).

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Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug

§ 44 III 2

Zukunft Schadensersatzansprüche auslösen kann. Ein Rechtsanwalt sollte deshalb erst nach der ersten Mahnung eingeschaltet werden.22 Als Tatbestandsmerkmale für einen Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens aus den §§ 280 I, II, 286 ergeben sich somit:

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1. Leistungsanspruch: Unerheblich, ob aus einfachem Schuldverhältnis oder gegenseitigem Vertrag; 2. Pflichtverletzung: Nichtleistung trotz Fälligkeit und Möglichkeit; 3. Vertretenmüssen: Wird gem. § 286 IV vermutet; 4. Mahnung bzw. Surrogat gem. § 286 I 2 oder Entbehrlichkeit gem. § 286 II, III; 5. Schaden (und die Kausalität der Leistungsverzögerung für den Schaden).

Die Punkte 1 bis 4 sind gleichzeitig die Merkmale des Verzugs. Ergänzt sei, dass die Pflichtwidrigkeit der Verzögerung ausgeschlossen ist, wenn ein Rechtfertigungsgrund besteht. Dieser Umstand ist also bereits bei der Pflichtverletzung und nicht erst beim Vertretenmüssen zu prüfen. Beispiel: Informatiker I wird vom Unternehmer U zur dringenden Lösung eines Computerproblems gerufen. I verpflichtet sich, sofort zu kommen. Wegen des Defekts erleidet U stündlich beträchtliche Verluste. Auf dem Weg zu U wird I Zeuge eines Verkehrsunfalls und leistet den Verletzten erste Hilfe. Er kommt deshalb erst zwei Stunden später als geplant bei U an. – Wegen § 323c StGB war I zur Hilfeleistung verpflichtet. Die Pflicht zum pünktlichen Erscheinen bei U tritt demgegenüber im Weg der rechtfertigenden Pflichtenkollision zurück. I hat keine Pflichtverletzung begangen. Ein Anspruch aus §§ 280 I, II, 286 scheidet aus.

2. Haftungserweiterung, § 287 Der Verzug führt zu Haftungserweiterungen. Nach § 287 S. 1 entfallen sonst vorgesehene Haftungsbeschränkungen, s. nur die Haftungsbeschränkungen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in den §§ 521, 599, 968, oder die Beschränkung auf diligentia quam in suis (§ 277) in den §§ 346 III 1 Nr. 3, 690, 708. Es wird also wieder für jede Fahrlässigkeit gehaftet. Einen Schritt weiter geht § 287 S. 2: Der Schuldner haftet im Verzug auch für Zufall, z. B. auch für höhere Gewalt,23 es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. Beispiel: Die verliehene, schuldhaft nicht rechtzeitig zurückgegebene Sache verbrennt zufällig. Der Entleiher haftet dem Verleiher gem. §§ 280 I, III, 283 S. 1 auf Schadensersatz statt der Leistung. Auch ohne Verschulden hat er den Untergang der Sache gem. § 287 S. 2 zu vertreten, weil er sich in Verzug befindet. Nur wenn die Sache auch bei rechtzeitiger Rückgabe zerstört worden wäre (etwa weil die Parteien im selben Haus wohnen, das komplett niedergebrannt ist), entgeht der Entleiher der Zufallshaftung.

Da sich die Zufallshaftung gem. § 287 S. 2 nur auf eine „Leistung“ bezieht, wird nicht verschuldensunabhängig für die Verletzung von Schutzpflichten (§ 241 II) gehaftet. Hier bleibt es also bei der Verschuldenshaftung, wobei aber die Verschärfung in § 287 S. 1 gilt.24

22 Medicus, Schuldrecht I Rdn. 405. 23 Knütel, NJW 1993, 900; anders die 9. Aufl. 24 Schulte-Nölke, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring Das Neue Schuldrecht § 4 Rdn. 41.

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§ 44 IV 1

Leistungsstörungen

3. Verzugszinsen, § 288 473

Geldschulden sind während des Verzugs gem. § 288 I mit fünf Prozent über dem Basiszinssatz zu verzinsen.25 Der Basiszinssatz ist in § 247 definiert und verändert sich zweimal jährlich nach den dort vorgegebenen Kriterien. Ist ein Verbraucher nicht beteiligt, liegt der Verzugszins acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, § 288 II (Basiszinssatz bis 31. 12. 2006: 1,95%). Gem. § 288 IV ist die Geltendmachung eines weiteren Schadens nicht ausgeschlossen. Der Schaden kann beispielsweise darin liegen, dass der Gläubiger ohne den Verzug einen verzinslichen Bankkredit zurückgeführt hätte, und deshalb weniger Kreditzinsen hätte aufwenden müssen. Zinseszins wird nicht gewährt, § 289 S. 1 (s. § 248), aber Schadensersatz nach §§ 280 I, II, 286 für nicht rechtzeitig gezahlte Zinsen, die der Gläubiger verzinslich angelegt hätte, § 289 S. 2. § 290 betrifft die Verzinsung einer Wertersatzforderung für einen während des Verzugs untergegangenen Gegenstand.

IV. Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 1 1. Grundlagen 474

Die bisher beschriebenen Folgen des Verzugs bieten dem Gläubiger noch keinen ausreichenden Schutz. Zwar kann er den Verzögerungsschaden ersetzt verlangen, Verzugszinsen geltend machen, und es findet auch eine Risikoverlagerung auf den Schuldner statt. Dennoch hat der Gläubiger die primär geschuldete Leistung noch nicht erhalten. Es ist ihm nicht zuzumuten, unbegrenzt hierauf zu warten. Deshalb bietet ihm § 281 I 1 Alt. 1 die Möglichkeit, dem Schuldner durch die Bestimmung einer angemessenen Frist eine letzte Chance zur Leistung zu geben. Nutzt der Schuldner diese Möglichkeit, hat es bei den bereits aufgelaufenen Verzugsfolgen sein Bewenden. Lässt er die Frist ungenutzt verstreichen, hat der Gläubiger ein Wahlrecht: 26 Er kann weiterhin versuchen, die primär geschuldete Leistung zu erlangen, z. B. den Schuldner hierauf zu verklagen, und nach erfolgreichem Prozess die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Oder aber er verlangt Schadensersatz statt der Leistung. Gem. § 281 IV ist dann der Anspruch auf die primär geschuldete Leistung ausgeschlossen. Der Gläubiger kann dann beispielsweise ein Deckungsgeschäft abschließen, sich nämlich den gewünschten Gegenstand anderweitig besorgen. Entstehen hierdurch Mehrkosten, kann er sie vom Schuldner ersetzt verlangen. Beispiel: V hat mit K einen Kaufvertrag über ein Fahrrad abgeschlossen, liefert aber nicht. K setzt V eine Frist von einer Woche, um das Rad zu liefern, die V verstreichen lässt. K hat die Wahl: Entweder macht er seinen Anspruch auf das Rad (§ 433 I 1) weiter geltend, z. B. weil er gerade dieses Rad haben möchte. Oder er besorgt sich ein gleiches Rad woanders und verlangt die dadurch entstehenden Mehrkosten als Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 281.

475

Als Anspruchsgrundlage sind im Gutachten die §§ 280 I, III, 281 (I 1 Alt. 1) zu nennen.27 Die Vorschrift setzt einen fälligen Anspruch voraus, die Leistung muss auch noch möglich sein (sonst § 283, s. o. Rdn. 419 ff). Die nach § 280 I erforderliche Pflichtverletzung besteht in der Nichtleistung trotz Fälligkeit. Dabei muss es sich nicht um eine synallagmatische, wohl aber um eine Leistungs- und keine Schutzpflicht handeln (wobei 25 Dies gilt auch für Herausgabeansprüche auf Geld, BGH NJW 2005, 3709. 26 Dabei lässt die weitere Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs ein einmal begründetes Rücktrittsrecht nicht wieder untergehen, BGH NJW 2006, 1198. 27 A. A. Wieser, NJW 2003, 2432 Fn. 1: allein § 281.

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Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug

§ 44 IV 2

zu den Leistungspflichten gem. § 241 I 2 auch die Unterlassungspflichten gehören).28 Der Schuldner muss die Pflichtverletzung zu vertreten haben, was gem. § 280 I 2 vermutet wird. Der Gläubiger hat dem Schuldner eine angemessene Frist zu setzen.29 Die Angemessenheit hängt von den Umständen ab, insbesondere von den Interessen der Parteien und der Eilbedürftigkeit des Geschäfts. Einerseits soll dem Schuldner eine letzte Überprüfung seiner Leistungsfähigkeit ermöglicht werden. Andererseits ist das Interesse des Gläubigers an baldiger Klarheit zu berücksichtigen (z. B. im Hinblick auf die Gefahrlosigkeit eines Deckungskaufs). Bei komplexen Leistungen braucht die Nachfrist nicht so lang zu sein, dass ein Schuldner, der noch gar nicht mit seinen Vorbereitungen angefangen hat, innerhalb der Frist leisten kann. Es wird vielmehr vorausgesetzt, dass der Schuldner bereits weit fortgeschritten ist und lediglich Gelegenheit erhalten soll, die Leistung nun vollends zu erbringen.30 Da keine präziseren Aussagen über die Angemessenheit der Frist möglich sind, ist es unschädlich, wenn eine zu knapp bemessene Frist gesetzt wird: Es gilt dann ein angemessener Zeitraum, ohne dass noch einmal eine Frist gesetzt werden müsste.31 § 281 I setzt nicht formal Verzug voraus. Die Vorschrift enthält keinen Verweis auf § 286 und enthält auch nicht das Erfordernis einer Mahnung. Da in der Bestimmung einer angemessenen Frist zur Leistung aber auch immer gleichzeitig eine Mahnung zu sehen sein wird, liegt in den Fällen des § 281 faktisch stets Verzug vor.32 Zu § 326 a. F. war anerkannt, dass Mahnung und Nachfristsetzung auch konkludent miteinander verbunden sein können.33 Solche Konstruktionen sind nun nicht mehr erforderlich, da für § 281 I die bloße Nachfristsetzung ausreicht. Eine Präzisierung ist allerdings erforderlich. Eine Mahnung löst bereits mit ihrem Zugang Verzug aus (s. o. Rdn. 469). Die Nachfristsetzung i. S. v. § 281 I zielt demgegenüber auf Rechtswirkungen nicht bereits mit ihrem Zugang, sondern erst mit Ablauf der Nachfrist. Entnimmt man der Nachfristsetzung zugleich eine Mahnung i. S. v. § 286 I, kann es sich also nur um eine befristete Mahnung handeln, die Verzug nicht bereits mit Zugang, sondern erst mit Fristablauf auslöst.34

2. Entbehrlichkeit der Fristsetzung, § 281 II; Abmahnung, § 281 III Gem. § 281 II ist die Fristsetzung entbehrlich nach einer Erfüllungsverweigerung oder in besonders gelagerten Einzelfällen. Die Erfüllungsverweigerung, bzw Vertragsaufsage wurde nach altem Recht von der h. M. nicht als Verzug, sondern als Unterfall der positiven Forderungsverletzung behandelt.35 Durch die Schuldrechtsmodernisierung wurde die Erfüllungsverweigerung zu Recht den Regeln über die Leistungsverzögerung unterstellt. Die Vertragsaufsage ist damit nur noch insofern von Bedeutung, als sie die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung gem. §§ 281 II, 323 I Nr. 1, bzw. der Mahnung gem. § 286 II Nr. 3 auslöst.36 28 Anders § 326 a.F.: Der Verzug mit einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflicht war erforderlich. 29 Nach altem Recht musste eine Ablehnungsandrohung hinzugefügt werden, 326 I 1 a. F., s. hierzu oben Rdn. 364. Zum neuen Recht s. Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring Das Neue Schuldrecht § 2 Rdn. 27. 30 BGH NJW 1982, 1279 (1280). 31 BGH NJW 1985, 2640: Anders, wenn die Frist nur zum Schein gesetzt wird. 32 So ausdrücklich GesBegr BT-Drs 14/6040, 138. Zweifelnd Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389 (1392 f). 33 9. Aufl. Rdn. 374. 34 Huber, Leistungsstörungen II (1999) 362; Canaris, JZ 2001, 499 (515). 35 S. 9. Aufl. Rdn. 367. 36 GesBegr BT-Drs 14/6040, 185. S. aber auch S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 361.

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§ 44 IV 4

Leistungsstörungen

Die Erfüllungsverweigerung setzt eine ernsthafte und endgültige Weigerung des Schuldners voraus („ich bestelle ab“, „ich mag nicht mehr“). Eine Nachfristsetzung muss nach Lage der Dinge sinnlos erscheinen. Bloße Meinungsverschiedenheiten, z. B. über das Bestehen der Forderung, reichen nicht aus. Solange eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Schuldner noch umgestimmt werden kann, muss durch Nachfristsetzung auf ihn eingewirkt werden.37 Bei einem eindeutig und endgültig, aber ohne Grund erklärten Rücktritt werden die Voraussetzungen einer Erfüllungsverweigerung regelmäßig vorliegen.38 Was soll geschehen, wenn im gegenseitigen Vertrag beide Seiten ihre Leistung verweigern? Mit anderen Worten, setzt der Anspruch aus den §§ 280 I, III, 281 voraus, dass sich auch der Gläubiger leistungstreu verhält? Es gelten die Ausführungen zum Verzug (oben Rdn. 464). Wenn der Gläubiger nicht seinerseits zur Erbringung der Gegenleistung bereit und imstande ist, kann er wegen § 320 die Rechte aus § 281 nicht geltend machen. Auch darüber hinaus kann der Gläubiger gem. § 242 die Rechte aus § 281 nur wahrnehmen, wenn er selbst vertragstreu ist.39

Besondere Umstände liegen dann vor, wenn sich aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung ergibt, dass dem Gläubiger die Setzung einer Nachfrist nicht zumutbar ist. Dies ist bei besonderer Eilbedürftigkeit der Fall, z. B. bei just in time-Verträgen, wenn die eine Seite auf pünktliche Lieferung zur Fortsetzung der Produktion angewiesen ist,40 oder bei Notwendigkeit einer schnellen tierärztlichen Behandlung des gekauften Tiers.41 – Die Übergänge zum absoluten Fixgeschäft, bei dem Zeitablauf zur Unmöglichkeit führt (s. o. Rdn. 373), sind fließend. Gem. § 281 III wird die Nachfristsetzung durch eine Abmahnung ersetzt, wenn nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht kommt. Dies betrifft in erster Linie Unterlassungspflichten. Hier ist eine Nachfristsetzung unsinnig, da es nicht um die Vornahme einer bestimmten Leistungshandlung innerhalb einer bestimmten Frist geht, sondern um die Respektierung der Unterlassungspflicht für die Zukunft. 3. Tatbestandsmerkmale 477

Für einen Anspruch aus den §§ 280 I, III, 281 sind somit folgende Merkmale erforderlich: 1. 2. 3. 4.

Leistungsanspruch: nicht unbedingt synallagmatischer Natur; Pflichtverletzung: Nichtleistung trotz Fälligkeit und Möglichkeit; Vertretenmüssen: Wird gem. § 280 I 2 vermutet; Setzung einer angemessenen Frist zur Leistung und deren fruchtloser Ablauf (wenn Fristsetzung nicht nach § 281 II entbehrlich); 5. Schaden (und Kausalität der Nichtleistung für den Schaden).

4. Rechtsfolgen 478

Liegen die genannten Voraussetzungen vor, kann der Gläubiger vom Schuldner Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Er ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Leistung stehen würde. Der Anspruch richtet sich also auf das positive Inter37 BGH NJW 1997, 51 (52). 38 BGH NJW 1987, 251 (253). 39 Zu den Differenzierungen s. Teubner Gegenseitige Vertragsuntreue (1975) S. 74 ff; Bamberger/ Roth/Grüneberg, § 281 Rdn. 28. 40 So das Beispiel in GesBegr BT-Drs 14/6040, 140. 41 BGH NJW 2005, 3211.

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§ 44 IV 5

esse. Nach richtiger, aber nicht unumstrittener Ansicht hat der Gläubiger auch bei § 281 die Wahl, ob er den Schadensersatz nach der Differenz- oder Surrogationstheorie berechnen möchte (hierzu bereits oben Rdn. 433 f). Er hat also entweder einen einseitigen Anspruch auf Leistung der Wertdifferenz von Leistung und Gegenleistung. Oder er kann den vollen Wert der Leistung verlangen, bleibt dann aber zur Gegenleistung verpflichtet. Dies ist für den Gläubiger von Interesse, wenn die Gegenleistung nicht in Geld besteht, und er sie gerne erbringen möchte. Die Rechtsprechung zum alten Recht hatte dem Gläubiger zuletzt die Berechnung nach der Surrogationsmethode in den Verzugsfällen verweigert.42 Dieser Standpunkt sollte nach neuem Recht nicht aufrechterhalten werden. Wenn ordnungsgemäß erfüllt worden wäre, hätte der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung erbracht, so dass die Berechnung nach der Surrogationstheorie schon im Ausgangspunkt vom Anspruch auf das positive Interesse umfasst ist. Dies ist stimmig, da die hypothetische Vermögenslage des Gläubigers nicht durch ein Fehlverhalten des Schuldners zum Nachteil des Gläubigers verändert werden sollte.43 – Gem. § 284 kann der Gläubiger anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung auch Aufwendungsersatz verlangen (s. o. Rdn. 439 ff). Aufwendungen auf eine gekaufte Sache, die sich später als mangelhaft herausstellt, sind in der Regel vergeblich, wenn der Käufer in Folge des Mangels die Sache zurückgibt.44 5. Teilleistung und Schlechtleistung Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf den Fall, dass der Schuldner überhaupt nicht leistet. Welche Möglichkeiten hat der Gläubiger, wenn der Schuldner nur teilweise leistet? Auf den nicht erbrachten Teil ist § 281 I 1 anwendbar, d. h. der Gläubiger kann dem Schuldner eine angemessene Frist zur Leistung setzen und hiernach Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Dieser Schadensersatzanspruch bezieht sich aber lediglich auf den ausgebliebenen Teil der Leistung. Der Gläubiger kann hierüber hinausgehen und gem. § 281 I 2 Schadensersatz statt der ganzen Leistung, also großen Schadensersatz verlangen. Dies setzt allerdings voraus, dass er an der Teilleistung kein (objektives) Interesse hat (s. o. Rdn. 379 zur Teilunmöglichkeit). Ist dies der Fall, hat er gem. § 281 V dem Schuldner den bereits erbrachten Teil nach Rücktrittsrecht zurückzugewähren, und kann – Zug um Zug (§§ 281 V, 348) – Schadensersatz in Bezug auf die Gesamtleistung verlangen. Aus der positiven Formulierung in § 281 I 2 folgt, dass der Gläubiger den Interessewegfall beweisen muss. Das Gesetz geht also zunächst einmal davon aus, dass auch eine Teilleistung dem Gläubiger nützlich ist. Im Fall der Schlechtleistung gilt entsprechendes: Der Gläubiger kann die mangelhafte Leistung behalten und Schadensersatz statt der Leistung in Bezug auf den Mangel verlangen (kleiner Schadensersatz). Der Anspruch richtet sich in diesem Fall auf Ersatz des Wertunterschieds der Sache in mangelfreiem und mangelhaftem Zustand.45 Oder er kann die mangelhafte Leistung zurückweisen und gem. § 281 I 3 großen Schadensersatz verlangen. Dies setzt Erheblichkeit der Pflichtverletzung voraus. Da das Gesetz durch die negative Formulierung von der Erheblichkeit ausgeht, ist es Sache des Schuldners, die Unerheblichkeit zu beweisen. – Trotz § 434 III und 633 II 3 sind Quantitätsabweichungen im Kauf- und Werkvertragsrecht für die Zwecke des allgemeinen 42 43 44 45

BGH NJW 1994, 3351; NJW 1999, 3115; s. hierzu Kaiser, NJW 2001, 2425. Eingehend in diesem Sinn S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 208 ff. BGH NJW 2005, 2848 (2850). BGH NJW 1986, 920 (921); NJW 1989, 2534 (2535).

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§ 44 V 2

Leistungsstörungen

Leistungsstörungsrechts als Teilleistungen und nicht als Schlechtleistungen zu qualifizieren (s. o. Rdn. 383f). Auch im Kauf- und Werkvertragsrecht kann bei einer Teilleistung „großer Schadensersatz“ also erst bei Interessewegfall und nicht schon bei Erheblichkeit der Pflichtverletzung verlangt werden.

V. Abgrenzung der verschiedenen Schadensersatzarten 481

Bei Verzögerung der Leistung hat der Gläubiger gegen den Schuldner also einen Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens nach den §§ 280 I, II, 286, sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gem. den § 280 I, III, 281. Diese beiden Arten des Schadensersatzes sind voneinander abzugrenzen. Sie müssen außerdem vom einfachen Schadensersatzanspruch, nämlich von der isolierten Anwendung des § 280 I unterschieden werden (Vorgriff zu u. Rdn. 497ff). Die Abgrenzung ist nicht lediglich von dogmatischer, sondern auch von großer praktischer Bedeutung, da alle drei Arten des Schadensersatzes unterschiedliche Voraussetzungen haben. Ein Anspruch aus § 280 I setzt lediglich die zu vertretende Pflichtverletzung voraus, für Ersatz des Verzögerungsschadens ist demgegenüber zusätzlich Verzug erforderlich, für Schadensersatz statt der Leistung muss eine Nachfrist gesetzt werden. Für die Abgrenzung ist auf folgende Überlegungen abzustellen. 1. Schadensersatz statt der Leistung

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Um Schadensersatz statt der Leistung geht es, wenn Schadensposten geltend gemacht werden, die nicht neben die ursprünglich geschuldete Leistung treten, sondern diese ersetzen sollen. Es ist also auf das geltend gemachte Interesse, die Rechtsfolge abzustellen.46 Für solche Schäden sind die §§ 280 I, III, 281 die richtige Anspruchsgrundlage. Beispiel: Wenn S sich im Laptop-Beispiel (oben Rdn. 470) nicht ein anderes Gerät mietet, sondern kauft, und den Kaufpreis von F verlangt, geht es um einen Schadensposten, der nicht neben die primäre Leistung (nämlich die Rückgabe des verliehenen Computers), sondern an deren Stelle tritt. Ersatz kann nur unter den Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 verlangt werden. Dies leuchtet ein: Bevor die Rückgabepflicht durch Schadensersatz ersetzt wird, soll F durch Setzung einer Nachfrist noch eine Chance zur Rückgabe erhalten. Würde es sich um einen Verzögerungsschaden handeln, könnte S ohne weiteres Schadensersatz gem. §§ 280 I, II, 286 verlangen, da eine Mahnung hier wegen der Terminvereinbarung gem. § 286 II Nr. 1 entbehrlich ist.

2. Verzögerungsschaden und einfacher Schadensersatz 483

Ein unter die §§ 280 I, II, 286 fallender Verzögerungsschaden liegt vor, wenn Schadensersatz gerade „wegen Verzögerung“ (Wortlaut von § 280 II), also nicht z. B. wegen Schlechtleistung geltend gemacht wird (s. das Laptop-Beispiel im Grundfall oben Rdn. 470). Dieser Ausgangspunkt wird dadurch kompliziert, dass Käufer und Unternehmer mangelfreie Leistung schulden (§§ 433 I 2, 633 I). Liegt bei Schlechtleistung zugleich die Verzögerung der Pflicht zu mangelfreier Leistung vor, mit der Folge, dass ein Verzögerungsschaden vorliegt? 47 Dann wäre Schadensersatz nur unter den Voraussetzungen der §§ 280 I, II, 286 geschuldet, also im Prinzip erst nach einer Mahnung. Oft ist der Schaden dann aber bereits eingetreten, da häufig erst aufgrund des Schadens der

46 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (38); Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003) 727 (730); S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 288. 47 In diesem Sinn Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Das Neue Schuldrecht § 2 Rdn. 45, 48.

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Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug

§ 44 V 3

Mangel entdeckt wird. Dies spricht dafür, die Fälle der Schlechtleistung dem § 280 I zu unterstellen, also im Gegensatz zur vollständigen Nichtleistung auf Verzugseintritt zu verzichten.48 Die hiermit verbundene Ungleichbehandlung von Schlechtleistung und Nichtleistung hat einen sachlichen Grund: Gegen bloßes Untätigsein des Schuldners kann sich der Gläubiger durch eine Terminvereinbarung schützen (Verzugseintritt ohne Mahnung nach § 286 II Nr. 1 und 2). Bei Schlechtleistung ist dieser Weg nicht gangbar. Außerdem ist die Schlechtleistung für den Gläubiger gefährlicher als die Nichtleistung: Er setzt sich den Gefahren aus, die aus der mangelhaften Leistung resultieren.49 Beispiel: Handwerker H hat sich gegenüber Bauherrn B verpflichtet, das Dach mit Ziegeln einzudecken. Er erscheint nicht, der Neubau ohne Dach wird vom Regen durchnässt, so dass Nässeschäden eintreten. – Da es um eine Verzögerung der Leistung geht, sind die §§ 280 I, II, 286 die richtige Anspruchsgrundlage. Der Anspruch auf Schadensersatz setzt Verzug des H voraus. Wenn H und B keine Leistungszeit i. S. von § 286 II Nr. 1 oder 2 vereinbart haben (und auch kein Fall von Nr. 4 vorliegt), scheitert der Schadensersatzanspruch an der fehlenden Mahnung durch B. B hätte es aber durch Vereinbarung einer Leistungszeit in der Hand gehabt, sich gegen das Verzögerungsrisiko abzusichern. H hätte ihm dann wegen Entbehrlichkeit der Mahnung auf Ersatz der Schäden gehaftet. Abwandlung: H erscheint und deckt das Dach mit Ziegeln ein. Das Dach ist undicht, wieder regnet es durch und treten Nässeschäden auf. – Das Werk ist mangelhaft (§ 633). Man könnte deshalb eine Verzögerung der Pflicht zu mangelfreier Herstellung (§ 633 I) annehmen und Schadensersatz nach den §§ 280 I, II, 286 nur unter der Voraussetzung des Verzugs zusprechen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist demgegenüber § 280 I die richtige Anspruchsgrundlage: Der Schaden beruht hier nicht auf der Leistungsverzögerung, sondern auf der darüber hinausgehenden Schlechtleistung, so dass § 280 II nicht anwendbar ist. Auf die Voraussetzungen des Verzugs kommt es deshalb nicht an.

3. Verzögerungsschaden und Schadensersatz statt der Leistung Die Rechtsprechung vertrat (zum alten Recht) die Auffassung, der Verzögerungsschaden könne entweder neben dem Nichterfüllungsschaden geltend gemacht werden, oder in diesen einbezogen werden.50 Übersetzt in die neue Terminologie bedeutet dies, der Verzögerungsschaden kann als Teil des Schadensersatzes statt der Leistung verlangt werden. Dieses Wahlrecht beruht auf der Überlegung, dass der Gläubiger bei ordnungsgemäßer Leistung ja auch rechtzeitig bedient worden wäre, ein Verzögerungsschaden also nicht eingetreten wäre. Aber auch wenn der Verzögerungsschaden in den Schadensersatz statt der Leistung einbezogen wird, muss § 286 beachtet werden, ist der Verzögerungsschaden also nicht schon bei Fälligkeit, sondern erst ab Verzug geschuldet. Dies zeigt, dass der Verzögerungsschaden eigene Voraussetzungen hat und selbständig neben dem Schadensersatz statt der Leistung steht. Das von der Rechtsprechung gewährte Wahlrecht sollte deshalb aufgegeben werden. Jede Schadensart ist auf die zutreffende Anspruchsgrundlage zu stellen, nämlich der Verzögerungsschaden auf die §§ 280 I, II, 286, der Schadensersatz statt der Leistung auf die §§ 280 I, III, 281.51 Das gilt auch für Verzögerungsschaden und anschließende Unmöglichkeit. Der Verzögerungs-

48 49 50 51

Canaris, ZIP 2003, 321 (323); Medicus, JuS 2003, 521 (528); s. hierzu näher unten Rdn. 506. Canaris, ebd.; Medicus, JuS 2003, 521 (528). BGH NJW 1997, 1231. Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003) 727 (750 f); S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 288 f mit Ausnahmen; Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (41 f): Erst mit Untergang des Primärleistungsanspruchs gem. § 281 IV sind alle Schadensposten in den Schadensersatz statt der Leistung einzubeziehen.

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schaden ist nicht in den Anspruch aus den §§ 280 I, III, 283 einzuberechnen, sondern selbständig daneben geltend zu machen. Zwar gehen die Unmöglichkeitsregeln dem Verzug vor. Für den Zeitraum bis zum Eintritt der Unmöglichkeit sind die Verzugsregeln aber anwendbar (s. o. Rdn. 462). 4. Fazit 485

Eine der Schwierigkeiten, die das modernisierte Schuldrecht aufwirft, ist die richtige Zuordnung der einzelnen Schadensposten zur einschlägigen Anspruchsgrundlage. Zwar existiert mit § 280 I eine zentrale Schadensersatznorm für zu vertretende Pflichtverletzungen. Durch die zusätzlichen Voraussetzungen, die in § 280 II und III i. V. m. den §§ 286 und 281–283 für Verzögerungsschäden und den Schadensersatz statt der Leistung aufgestellt werden, erfolgt aber eine Ausdifferenzierung, welche genauere Abgrenzungen erforderlich macht. Die Bedeutung der hiermit verbundenen Fragen ist nicht auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht beschränkt. Durch die Verzahnung des Gewährleistungsrechts mit den schadensersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen des Allgemeinen Schuldrechts in den §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4 sind die Abgrenzungsfragen auch für das Kauf- und Werkvertragsrecht von entscheidender Bedeutung.

VI. Rücktritt, § 323 1. Voraussetzungen 486

Im gegenseitigen Vertrag hat der Gläubiger im Fall der Leistungsverzögerung – neben den bereits dargestellten Möglichkeiten – einen weiteren Rechtsbehelf, nämlich das Rücktrittsrecht nach § 323. Durch den Rücktritt entfallen die Leistungspflichten aus dem Vertrag und wird dieser in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt. Das Rücktrittsrecht hat dieselben Voraussetzungen wie der Schadensersatzanspruch nach § 281 – mit einer Ausnahme: Vertretenmüssen des Schuldners ist zwar für einen Schadensersatzanspruch, nicht aber für das Rücktrittsrecht erforderlich (hierzu bereits oben Rdn. 364). Ansonsten setzt der Rücktritt voraus, dass der Schuldner trotz eines fälligen, auf eine noch mögliche Leistung gerichteten Anspruchs nicht leistet, selbst nachdem der Gläubiger eine Nachfrist gesetzt hat. Hieraus folgt, dass es sich um eine Leistungspflicht handeln muss, für die Verletzung von Schutzpflichten i. S. v. § 241 II ist die spezielle Rücktrittsvorschrift in § 324 einschlägig. Die Leistungspflicht muss nicht im Synallagma stehen, auch die Verletzung von Nebenleistungspflichten reicht also aus (str.).52 Gem. § 323 IV ist der Rücktritt auch schon vor Eintritt der Fälligkeit möglich, „wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.“ Dies ist der Fall z. B. bei antizipiertem Vertragsbruch: Bei einer komplexen Leistung ist der Schuldner so weit hinter dem Zeitplan, dass eine termingerechte Erfüllung ausgeschlossen ist. Das gleiche gilt für eine vor dem Leistungstermin erklärte ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung. In solchen Fällen wäre es dem Gläubiger unzumutbar, mit dem Rücktritt bis Eintritt der Fälligkeit zu warten. In bestimmten Fällen, insbesondere bei Unterlassungspflichten, tritt gem. § 323 III an die Stelle der Fristsetzung eine Abmahnung (wie in § 281 III, s. o. Rdn. 476).53 Im Fall der Teilleistung ist Rücktritt 52 GesBegr BT-Drs 14/6040, 183; Bamberger/Roth/Grothe, § 323 Rdn. 4; a. A. MüKo/Ernst, Bd. 2a § 323 Rdn. 13. 53 S. allerdings MüKo/Ernst, Bd. 2a § 323 Rdn. 79: Weitgehende Bedeutungslosigkeit der Vorschrift, weil Zuwiderhandlung gegen Unterlassungspflicht zur Anwendung der Unmöglichkeitsregeln führt.

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Verzögerung der Leistung. Schuldnerverzug

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vom ganzen Vertrag nur bei Interessewegfall möglich, § 323 V 1. Bei der Schlechtleistung kann der Gläubiger dann nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist, § 323 V 2. Diese Regelungen entsprechen den Voraussetzungen für den großen Schadensersatz (s. o. Rdn. 479 f). Wie dort soll auch beim Rücktritt gewährleistet sein, dass Teil- und Schlechtleistung nicht ohne weiteres zur Rückabwicklung des gesamten Vertrags führen. Gem. § 323 VI schließlich ist der Rücktritt ausgeschlossen bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Gläubigers oder bei Annahmeverzug. Die Vorschrift generalisiert den Rechtsgedanken, der auch dem § 326 II 1 für das Unmöglichkeitsrecht zugrunde liegt: Trägt der Gläubiger die Verantwortung für die Leistungsstörung, wäre es unbillig, ihm durch ein Rücktrittsrecht die Möglichkeit zu geben, sich von den vertraglichen Verpflichtungen zu lösen (näher hierzu oben Rdn. 450 ff). Bei § 281 fehlt eine entsprechende Regelung. Die Verantwortlichkeit des Gläubigers wird bei Schadensersatzansprüchen über § 254 berücksichtigt. Trifft den Gläubiger die alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit für das schädigende Ereignis, entfällt der Schadensersatzanspruch; bei Mitverantwortlichkeit kommt es zu einer Anspruchsminderung. 2. Relatives Fixgeschäft Die Fristsetzung ist gem. § 323 II unter denselben Voraussetzungen wie in § 281 II entbehrlich (s. o. Rdn. 476). Gem. § 323 II Nr. 2 besteht Entbehrlichkeit außerdem beim relativen Fixgeschäft, nämlich wenn „der Schuldner die Leistung zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer bestimmten Frist nicht bewirkt und der Gläubiger im Vertrag den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat“. Dies betrifft Fälle, in denen der Vertrag mit der Einhaltung des Termins „stehen oder fallen“ soll:54 Der Gläubiger hat dann ein Rücktrittsrecht, ohne dem Schuldner eine zweite Chance zur Leistung geben zu müssen. Die Zeitgebundenheit des Leistungsinteresses kann sich aus dem Vertrag oder den objektiven Umständen ergeben. Im Einzelfall muss das relative Fixgeschäft vom absoluten Fixgeschäft einerseits und einer bloßen Terminbestimmung i. S. v. § 286 II Nr. 1 und 2 andererseits abgegrenzt werden. Ein absolutes Fixgeschäft liegt vor, wenn die Leistungszeit nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses so wesentlich ist, dass die verspätete Vornahme der Leistungshandlung keinen Erfolg mehr darstellt. Mit der Verspätung sind die Unmöglichkeitsregeln anwendbar (s. o. Rdn. 373). Eine Terminbestimmung führt dagegen lediglich zum Verzugseintritt auch ohne Mahnung; vor einen Rücktritt muss gem. § 323 I noch eine Nachfrist gesetzt werden. Das relative Fixgeschäft geht einen Schritt weiter und lässt das Erfordernis der Nachfristsetzung entfallen. Das Zeitmoment darf aber nicht so wesentlich sein, dass von Unmöglichkeit der zu erbringenden Leistung auszugehen ist. Das Interesse des Gläubigers am Geschäft muss entfallen, weil seine weitergreifende Planung ganz auf diesen Zeitpunkt eingestellt ist. Der relative Fixcharakter kann sich aus dem Vertrag ergeben durch Klauseln wie z. B. „fix“ („am 23. 6. fix“), „genau“, „präzise“ oder „spätestens“.55 Er kann sich aber auch aus den Umständen ergeben, z. B.: Eine Brücke wird gebaut. Am 1. 4. genau um 10.30 h sollen fünf Schleppkähne zur Verfügung stehen, um das mittlere Brückenglied auf dem Wasserweg einzufahren. – just in time-Lieferungen, gekennzeichnet durch die Pflicht des Lieferanten zu minutengenauer Zulieferung von Teilen, die bei der Fabrikation im Betrieb des Bestellers gebraucht werden.

54 RGZ 51, 347 (348). 55 Bamberger/Roth/Grothe, § 323 Rdn. 24 m. w. N.

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§ 45

Leistungsstörungen

Sonderregeln für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung enthalten die §§ 440, 636. Eine besondere Regelung des Fixgeschäfts enthält § 376 HGB für den Handelskauf. 3. Rücktritt und Schadensersatz 488

Die Rechtsfolgen des Rücktritts ergeben sich aus den §§ 346 ff (s. u. § 48). Gem. § 325 wird durch den Rücktritt nicht das Recht ausgeschlossen, Schadensersatz zu verlangen. Im Prinzip unterliegen die Rücktritts- und Schadensersatzfolgen den jeweils eigenen Regeln. Bisweilen führt das Nebeneinander beider Institute allerdings zu Anpassungsbedarf. Dies gilt insbesondere für den Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens. Der Schuldnerverzug hält an bis zur Rücktrittserklärung, welche den Leistungsanspruch des Gläubigers untergehen lässt. Für die Zeit bis zum Rücktritt kann deshalb im Prinzip Ersatz des Verzögerungsschadens gem. den §§ 280 I, II, 286 verlangt werden. Die Schadensersatzpflicht kann zu Reibungen mit der Rückgewährpflicht aus § 346 I führen. Nach dieser Vorschrift sind auch die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Hier entsteht ein Widerspruch: Die Pflicht zur Herausgabe der Nutzungen würde konterkariert, wenn der Herausgebende gleichzeitig die Nutzungen als Verzögerungsschaden ersetzt verlangen dürfte. Der BGH hat deshalb – zum alten Recht und beschränkt auf das vertragliche Rücktrittsrecht – entschieden, dass der Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens (incl. Verzugszinsen) im Fall des Rücktritts nicht auf entgangene Nutzungen, sondern allenfalls auf Ersatz des sonstigen Verzögerungsschadens geht.56 Dieser Gedanke kann nicht auf das gesetzliche Rücktrittsrecht übertragen werden,57 weil und soweit eine nicht gerechtfertigte Entlastung des pflichtvergessenen Schuldners die Folge wäre. Beispiel: V schließt mit K einen Kaufvertrag über zehn Strandkörbe, kommt mit der Lieferung aber in Verzug. Zehn Tage nach Verzugseintritt tritt K wirksam gem. § 323 vom Vertrag zurück. Er hätte jeden Tag insgesamt 100 Euro mit der Vermietung der Strandkörbe verdienen können. Kann K von V Zahlung von 1.000 Euro gem. den §§ 280 I, II, 286 verlangen? Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor (s. Tatbestandsmerkmale oben Rdn. 471). Hätte V rechtzeitig geliefert, hätte K die Körbe für insgesamt 1.000 Euro vermieten können. Zwar ist K aufgrund seines Rücktritts zur Herausgabe der Nutzungen gem. § 346 I verpflichtet. Hätte er die Strandkörbe erhalten und deshalb auch vermieten können, wäre er zur Herausgabe der 1.000 Euro an V verpflichtet gewesen. Andererseits: Hätte er die Körbe erhalten, wäre er auch nicht zurückgetreten. Aus der rücktrittsrechtlichen Zuordnung lässt sich deshalb keine Einschränkung des Anspruchs auf Ersatz des Verzögerungsschadens ableiten. K kann deshalb von V Zahlung von 1.000 Euro gem. §§ 280 I, II, 286 verlangen.

§ 45 Gläubigerverzug Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, 1969; v. Caemmerer, JZ 51, 740; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl. 2005, §§ 23–26; Hönn, AcP 177 (1977), 385; Hüffer, Leistungsstörungen durch Gläubigerhandeln, 1976; Kohler, IherJb. 17, 261; ders., ArchBürgR 13, 143; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, 1971; Schwerdtner, Jura 1988, 419; Wertheimer, JuS 1993, 646.

56 So BGH NJW 1998, 3268 (3269). 57 A. A. S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 290.

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Gläubigerverzug

§ 45 II

I. Begriff Gläubigerverzug (Annahmeverzug) ist eine Verzögerung der Erfüllung der Leistung, die darauf beruht, dass der Gläubiger eine seinerseits erforderliche Mitwirkung unterlässt (mora accipiendi). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei vielen Leistungen des Schuldners Mitwirkungen des Gläubigers erforderlich sind, damit die Leistung erfüllt werden kann.

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A bestellt sich bei der Buchgemeinschaft ein Buch. A muss seine Adresse deutlich angeben und das zugesandte Buch an der Tür entgegennehmen. – B bestellt den Landarbeiter L zum Umgraben seines Gartens. B muss für den Zutritt zum Garten sorgen. Die Mitwirkung ist eine Obliegenheit, keine aus dem Schuldverhältnis folgende Pflicht des Gläubigers, oben Rdn. 44. Der Schuldner hat also keinen Anspruch darauf, wohl aber treffen den Gläubiger Nachteile, wenn er der Obliegenheit nicht nachkommt. – Freilich kann das Schuldverhältnis eine vertragliche Pflicht zur Entgegennahme der Leistung vorsehen (z. B. in § 640 oder kraft Vereinbarung), die wiederum, je nach Vertragsinhalt, selbständig einklagbar (Hauptpflicht) sein kann oder nicht und synallagmatisch (320 ff) sein kann oder nicht.

Der Gläubigerverzug ist eine Leistungsstörung i. w. S. durch den Gläubiger. Er ist geregelt in den §§ 293–304.1

II. Voraussetzungen des Gläubigerverzugs, §§ 293–299 1. Es bedarf einer Leistungspflicht, d. h. es muss ein wirksamer Schuldgrund vorhanden sein, der Schuldner darf leisten (vgl. 271: im Zweifel sofort), und er muss auch leisten können, 297. Objektive Unmöglichkeit der Leistung und Unvermögen schließen den Annahmeverzug aus.2 Unmöglichkeit ist zu bejahen, wenn der Annahme der Leistung ein andauerndes Leistungshindernis entgegensteht.3 Außerdem gelten die Regeln über die Zweckstörung (s. o. Rdn. 393 ff). Ist hiernach von Unmöglichkeit auszugehen, ist kein Raum für die Anwendung der §§ 293 ff. Der Schuldner kann dann keinen Aufwendungsersatz gem. § 304 verlangen, sondern hat Ansprüche nach § 326 II, bzw. § 645 analog (s. o. Rdn. 395).4 2. Die Leistung muss durch den Schuldner oder einen Dritten (§ 267) dem Gläubiger angeboten sein. Sie muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, grundsätzlich tatsächlich angeboten werden, 294. a) Zum ordnungsgemäßen Anbieten der Leistung gehört, dass die Leistung vorbehaltlos angeboten wird (über den zulässigen Vorbehalt der Rückforderung mit Rücksicht auf § 814 vgl. oben Rdn. 320).5 Unzulässig ist die Leistung unter der Bedingung des Bestehens der Leistungspflicht; näher oben Rdn. 320. b) Außerdem muss die Leistung inhaltlich richtig angeboten werden, d. h. vertragsgemäß nach Ort, Zeit und sonstigem Inhalt, 294. Hierfür ist entscheidend, wie sich der Inhalt der Leistung bestimmt, vgl. oben §§ 34, 35. Die §§ 297–299 spielen bei der Untersuchung des Gläubigerverzugs häufig die entscheidende Rolle. Wo der bedungene Inhalt des Vertrages nichts hergibt, ist zu prüfen, was sich die Parteien nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte schuldig sind, 242. So entspricht es heute der Üblichkeit, dass eine zugesandte Ware unter Eigentumsvorbehalt übersandt wird. Das Übersenden einer Ware unter Eigentumsvorbehalt bis zur Bezahlung der Rechnung 1 2 3 4

Sondervorschriften: §§ 264 II, 615, 642–644 BGB; § 373 HGB; §§ 726 II, 756, 765, 894 I 2 ZPO. BAG NJW 87, 2838. Rückert, ZfA 83, 8; BGHZ 60, 17, a. A. noch BGHZ 24, 96. Zum Verhältnis von Annahmeverzug und Unmöglichkeit bei der Zweckstörung s. BGH NJW 2002, 595. 5 BAG NJW 86, 864.

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Leistungsstörungen

entspricht also in den meisten Geschäftszweigen dem ordnungsgemäßen Angebot des § 294, str. Fraglich ist, ob man vom Gläubiger Wechselgeld verlangen kann. Im Laden ist dies verkehrsüblich, in der Straßenbahn nicht im gleichen Umfang, 242. c) In der Regel muss das Angebot tatsächlich erfolgen, 294. Ein bloß wörtliches Angebot genügt in zwei Fällen, einmal wenn der Gläubiger zuvor die Annahme verweigert hat, 295 S. 1, 1. Alternative, zum anderen, wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist, die unterblieben ist, 295 S. 1, 2. Alternative. Zeitlich muss das wörtliche Angebot der früher erklärten Annahmeverweigerung nachfolgen.6 d) Ersetzt wird das wörtliche Angebot durch die Aufforderung an den Gläubiger, die erforderliche Handlung vorzunehmen, 295 S. 2. e) Das Angebot selbst kann entfallen, wenn die Handlung des Gläubigers, die zur Erfüllung der Leistung erforderlich ist, zeitlich fixierbar ist, 296. Zur zeitlichen Festlegung genügt entweder ein Kalenderdatum oder dass die Handlung nach dem Vertragsinhalt „jetzt“ vorgenommen werden muss. § 296 gilt also auch für sog. „spontane Mitwirkungshandlungen“ des Gläubigers: A vereinbart mit einem Grundstücksschätzer die amtliche Schätzung eines Vorstadtgrundstücks, das A kaufen will. Die Schätzung soll am Nachmittag im Beisein des A stattfinden. A verspricht, den Schätzer mit dem Auto abzuholen, tut das aber nicht. A hat eine spontane Mitwirkungshandlung unterlassen und befindet sich im Gläubigerverzug. Einen Sonderfall zu § 296 enthält § 642 im Recht des Werkvertrags.

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3. Gläubigerverzug tritt ein, wenn der Gläubiger die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht annimmt, 293. Das setzt im Einzelnen voraus: a) Die Mitwirkung des Gläubigers muss in irgendeiner Weise erforderlich sein. Das ist bei den meisten Leistungspflichten der Fall. Meist besteht die Mitwirkung in keiner besonderen Handlung, sondern einfach in der Entgegennahme der Leistung. Es gibt aber auch Leistungspflichten, die nicht erfüllt werden können, ohne dass der Gläubiger irgendwie mithelfen muss (Beispiele oben I). Selten sind die Ablieferungen, bei denen nach dem Vertragsinhalt ein Mitwirken des Gläubigers überhaupt nicht erforderlich ist, z. B. das Auffüllen des Öltanks im Vorgarten, der von der Straße zugänglich ist, durch die Heizölgesellschaft. Bei derartigen Leistungspflichten ist ein Gläubigerverzug nur selten möglich (z. B.: Der Tank lässt sich nicht aufschrauben, weil der Verschluss defekt ist). In Zweifelsfällen hilft die Frage: Wäre wirksam erfüllt worden (362)? b) Auf ein Verschulden des Gläubigers kommt es nicht an. Auch ohne Verschulden gerät der Gläubiger in Gläubigerverzug. Eine Ausnahme dazu enthält § 299: Ist die Leistungszeit nicht bestimmt oder ist der Schuldner berechtigt, vor der bestimmten Zeit zu leisten, so kommt der Gläubiger durch eine vorübergehende Verhinderung an der Annahme nicht in Verzug, es sei denn, dass der Schuldner ihm die Leistung eine angemessene Zeit vorher angekündigt hat. c) Selbst wenn der Gläubiger die Leistung annehmen will, kann der Fall eintreten, dass er dennoch in Verzug gerät, 298. Wenn der Schuldner nur gegen eine Leistung des Gläubigers zu leisten verpflichtet ist, so kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er zwar die angebotene Leistung anzunehmen bereit ist, die verlangte Gegenleistung aber nicht anbietet, vgl. 320. Der Gläubiger gerät dann in Verzug hinsichtlich der Leistung, zumeist auch gleichzeitig in Schuldnerverzug hinsichtlich der Gegenleistung. (Die Mahnung liegt dann im eingeschränkten Angebot des Schuldners.)

III. Folgen des Gläubigerverzugs Zwei Gruppen sind zu unterscheiden: 1. Die in den §§ 300–304 geregelten Rechtsfolgen 492

a) Während des Gläubigerverzugs hat der Schuldner nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten, 300 I (Ausnahme insbesondere zu §§ 280 ff, 311a II, 276): Der Lieferant der Firma S will zur vereinbarten Zeit die ausgesuchte und bestellte Kiste Wein abliefern. Der Besteller G ist nicht zu 6 BGH NJW 88, 1201.

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Hause. Auf dem Rückweg wird die Kiste durch einen Verkehrsunfall zerstört, den der Fahrer fahrlässig verschuldet. S ist frei.

b) Wird eine Gattungsschuld geschuldet, die ausnahmsweise bei Eintritt des Gläubigerverzugs noch nicht konkretisiert ist, etwa weil das vertraglich so bedungen ist oder weil es sich um eine Bring- oder Geldschickschuld handelt, so geht die Gefahr mit dem Zeitpunkt des Annahmeverzugs auf den Gläubiger über. Es handelt sich hier um die Leistungsgefahr, also um die Frage, ob trotz des Untergangs der Leistung noch einmal geleistet werden muss. Im Einzelnen vgl. die Erörterung des § 300 II oben Rdn. 253. Ein Beispiel bildet die Geldschuld, bei der § 243 II wegen § 270 I keine Anwendung findet. Wenn der Schuldner Geld im Brief versendet und der Gläubiger durch Ablehnung der Leistung die Konkretisierung verhindert, so trägt er die Gefahr für den zufälligen Untergang oder Verlust des Geldes. Er kann nicht noch einmal Zahlung verlangen. S will während der Bürostunden bei G Geld bezahlen, das zur Zahlung fällig ist. Das Büro ist wegen einer Privatreise des G 2 Tage geschlossen. Auf der Rückfahrt kommt dem S das Geld abhanden: Es ist noch nicht erfüllt, 362. Ein Freiwerden von der Leistung mit eventueller Folge des Schadensersatzes nach §§ 275, 280 I, III, 283 S. 1 tritt nicht ein, da Geld Gattungsschuld, nicht Stückschuld ist, 243 I. S haftet also noch nach § 276 I 1. Eine Konkretisierung ist noch nicht eingetreten, da S das Geld gemäß § 270 I dem Gläubiger an dessen Sitz zu übermitteln hat. Will S persönlich bezahlen, und nimmt G nicht entgegen, kann die Geldschuld nicht konkretisieren. (a) Wird S auf dem Rückweg beraubt, entfällt gemäß § 300 II die nochmalige Zahlungspflicht. Die Leistungsgefahr war mit dem erfolglosen Angebot auf G übergegangen. (b) Zweifelhaft ist die Lage, wenn S das Geld schuldhaft verliert. Der für Stückschulden geltende Grundsatz ist, dass nur unverschuldetes Unmöglichwerden befreit, verschuldetes zu Schadensersatz verpflichtet, 275, 280 I, III, 283. Das muss entsprechend gelten, wenn bei einer nicht konkretisierten Gattungsschuld nach § 300 II die Gefahr übergeht. Allerdings besteht, da Gläubigerverzug vorliegt, die Haftungsmilderung des § 300 I: Verliert S das Geld daher leicht fahrlässig, wird er ebenso frei wie im Fall des unverschuldeten Verlustes. Bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verlust geht die Gefahr nicht über. Die Haftung nach § 276 I 1 besteht weiter. Ein weiteres Beispiel bei v. Caemmerer, JZ 51, 740: Der Schuldner schuldet Ware und Absendung in Säcken des Gläubigers. Die Säcke werden vom Gläubiger nicht bereitgestellt, der Schuldner kann nicht verpacken, auch nicht das seinerseits Erforderliche (243 II), nämlich das Versenden, durchführen. Die Leistungspflicht beschränkt sich nach § 300 II auf die bereitgestellte Menge. § 326 II 1, Alt. 2, wonach der Anspruch auf die Gegenleistung für die zurückgewiesene Gattungsbring- oder -schickschuld trotz Untergangs der zur Leistung vorgesehenen Sache bestehen bleibt, gilt auch in den Fällen des § 300 II. Nur muss analog §§ 326 II 2, 615 S. 2 die Preisgefahr enden, wenn und soweit dem Schuldner der Leistung und Gläubiger der Gegenleistung eine anderweitige Verwertung der erfolglos angebotenen Sache möglich und zumutbar war. c) Nach § 301 entfällt im Gläubigerverzug die Pflicht des Schuldners, eine Geldschuld zu verzinsen. Dies bezieht sich sowohl auf die gesetzlichen Pflichten als auch auf vertragliche Zinsen und Geldschulden. Die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen entfällt allerdings unabhängig von § 301 bereits deshalb, weil mit dem Annahmeverzug der Schuldnerverzug endet (oben Rdn. 469). d) Hat der Schuldner die Nutzung eines Gegenstands herauszugeben oder zu ersetzen, so braucht er lediglich die Nutzungen herauszugeben, welche er während des Gläubigerverzugs tatsächlich zieht. Eine Pflicht zur Nutzungsziehung entfällt, 302. e) § 303 gestattet dem Schuldner im Verzug des Gläubigers die Besitzaufgabe, wenn er ein Grundstück, ein Schiff oder ein Schiffsbauwerk herauszugeben verpflichtet ist. Allerdings muss die Aufgabe vorher dem Gläubiger angedroht werden, es sei denn, dass die Androhung untunlich ist.

f) Von größerer Bedeutung ist § 304. Der Schuldner kann im Fall des Verzugs des Gläubigers Ersatz seiner notwendigen Mehraufwendungen verlangen, die er für das erfolglose Angebot machen musste. Das negative Interesse bildet keine Begrenzung. Noch weiter geht § 642 (s. u. 2 a).

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Leistungsstörungen

2. Weitere Rechtsfolgen; das Verhältnis von Gläubiger- und Schuldnerverzug 494

a) Der Gläubigerverzug als solcher verpflichtet nicht zum Schadensersatz. Jedoch kann die Abnahme einer Leistung Pflicht sein, 433 II 2. Alternative, 640 I. Nimmt in solchen Fällen der Gläubiger nicht ab, so kann er zugleich in Schuldnerverzug geraten. Der Schuldnerverzug besteht dann neben dem Gläubigerverzug, die Rechtsfolgen addieren sich. Zu beachten ist, dass die Abnahmepflicht in § 433 II regelmäßig keine synallagmatische Pflicht ist, anders aber die Abnahmepflicht des Bestellers nach § 640 I. Eine Abnahmepflicht als synallagmatische Pflicht kann vertraglich vereinbart sein oder aus der Natur des Vertrages hervorgehen (Ware, die großen Lagerraum benötigt; leicht verderbliche Güter). Gerät der Schuldner mit seiner Leistungspflicht in Verzug und entsteht dem Gläubiger daraus ein Schaden, so kann er gemäß §§ 280 I, II, 286 Schadensersatz fordern. Im umgekehrten Falle kann der Schuldner jedoch keinen Schadensersatz geltend machen, sondern nur das Recht, Ersatz für seine erforderlichen Mehraufwendungen zu verlangen, 304. Den §§ 280 I, II, 286 verwandt ist jedoch die Regelung im Werkvertrag, 642. Unterlässt der Gläubiger eine Mitwirkungspflicht, so kann der Schuldner eine „angemessene Entschädigung“ verlangen. Dieser Anspruch geht über den bloßen „Aufwendungsersatz“ § 304 hinaus, er steht neben dem auf Vergütung und auf weiteren Schadensersatz, 645. Während also beim Gläubigerverzug dem Schuldner nur notwendige Mehraufwendungen gewährt werden, kann der Gläubiger beim Schuldnerverzug den erlittenen Schaden einschließlich des entgangenen Gewinns fordern.

b) Trotz des Annahmeverzugs hat der Gläubiger die Einrede der Nichterfüllung, 320. Bei Vorleistungspflicht gilt § 322 II: Hat der klagende Teil vorzuleisten, so kann er, wenn der andere Teil im Annahmeverzug ist, auf Leistung nach Empfang der Gegenleistung klagen. c) Der Schuldner kann im Fall des Gläubigerverzugs Geld, Wertpapiere und sonstige Urkunden sowie Kostbarkeiten hinterlegen, 372. Nicht hinterlegungsfähige Sachen kann er nach § 383 zum Selbsthilfeverkauf bringen. Vgl. dazu auch die handelsrechtlichen Sondervorschriften, 373 HGB.

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d) Eine wichtige Folge des Gläubigerverzugs enthält § 326 II. Geht die Leistung während des Gläubigerverzugs unter, so bleibt der Gläubiger zur Gegenleistung verpflichtet. § 326 II regelt also das Schicksal der Gegenleistung, wenn die Leistung im gegenseitigen Vertrag wegen Gläubigerverzugs nicht erfüllt werden kann und danach unmöglich wird, siehe oben Rdn. 453. Der Gläubigerverzug lässt also nach § 300 II die Leistungsgefahr, nach § 326 II in gegenseitigen Verträgen die Gegenleistungsgefahr übergehen. e) Im Dienstvertrag gilt § 615, der dem Dienstverpflichteten bei Annahmeverzug des Dienstherrn einen Lohnanspruch gewährt. Der Dienstherr haftet hier auch ohne Erhalt der Gegenleistung (Dienste) auf den Lohn. Der Unterschied zu § 326 II besteht in folgendem: § 615 verlangt kein Unmöglichwerden im Annahmeverzug, sondern lediglich Annahmeverzug. Das bedeutet allerdings häufig bei Arbeitsleistungen zugleich ein Unmöglichwerden. Über das schwierige Verhältnis des § 615 zu § 326 I im Arbeitsrecht vgl. unten Rdn. 1168 f. f) Für den Kaufvertrag stellt § 446 S. 3 klar, dass die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung der verkauften Sache nicht erst mit der Übergabe, sondern bereits mit dem Annahmeverzug auf den Käufer übergeht. Für den Fall der Unmöglichkeit ergibt sich diese Rechtsfolge bereits aus § 326 II 1 Alt. 2. Die Vorschrift ist deshalb in erster Linie für den Fall der zufälligen Verschlechterung von Bedeutung. Verschlechtert sich die Sache in der Zeit, in welcher der Käufer im Annahmeverzug ist, kann diese Verschlechterung vom Käufer nicht als Sachmangel geltend gemacht werden, es sei denn, die Verschlechterung war schon in der Kaufsache selbst oder in den bei Vertragsschluss obwaltenden Umständen angelegt.

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Schlechtleistung; andere Pflichtverletzungen

§ 46

g) Wenn der Schuldner im Schuldnerverzug die Leistung anbietet, so dass jetzt der Gläubiger in Gläubigerverzug gerät, tritt zugunsten des Schuldners der Wegfall des Schuldnerverzugs ein (purgatio morae), obwohl die Leistung noch nicht erbracht ist, vgl. oben Rdn. 469.

IV. Gläubigerverzug im Prozess wegen Leistungen aus gegenseitigen Verträgen Der Gläubigerverzug spielt im Prozess über Leistungen aus gegenseitigen Verträgen eine bedeutsame Rolle. Klagt z. B. ein Lieferant gegen den Käufer auf den Kaufpreis aus § 433 II, dann wird häufig der Käufer den Lieferungsanspruch aus § 433 I einredeweise vorbringen, 320, 322. Der Käufer wird dann Zug um Zug verurteilt, d. h. es kann gegen ihn auf Zahlung des Preises vollstreckt werden, wenn ihm zugleich mit der Vollstreckungshandlung die Ware angeboten wird. Da dies in der Zwangsvollstreckung Schwierigkeiten bereiten kann (726, 756, 765 ZPO), tut der Lieferant gut daran, im Urteil feststellen zu lassen, dass der Beklagte (das ist der Käufer) im Verzug der Annahme ist. (Das Urteil ist eine öffentliche Urkunde i. S. der §§ 415, 726, 756, 765 ZPO.) – Wie bringt in solchen Fällen der klagende Lieferant den Käufer in Annahmeverzug? § 298 weist den Weg: Der Lieferant ist Schuldner, der Käufer Gläubiger im Sinne dieser Vorschrift. Der Lieferant trägt also im Prozess vor, er sei bereit, seine Leistung zu erbringen, der Käufer sei auch bereit, die Leistung anzunehmen, doch wolle er die vereinbarte Gegenleistung, den Kaufpreis, nicht zahlen. Der Käufer kann dann entweder die Leistung ablehnen, dann genügt das wörtliche Angebot i. S. des § 295 I 1. Alternative. Wenn der Käufer dagegen sagt, er werde die Ware annehmen, bestätigt er die Darlegungen des klagenden Lieferanten im Sinne des § 298.

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§ 46 Schlechtleistung; andere Pflichtverletzungen Anders, ZIP 2000, 184; Fliegner, JR 2002, 314; Grigoleit/Riehm, JuS 2004, 745; Hellwege, Die §§ 280 ff BGB (2005); U. Huber, ZIP 2000, 2273; Münch, Jura 2002, 361; Schapp, JZ 2001, 583; Wilhelm, JZ 2004, 1055; von Wilmowsky, JuS, Beilage zu Heft 1/2002, 1*.

Pflichtverletzung ist jedes objektive Zurückbleiben hinter dem Pflichtenprogramm des Schuldverhältnisses (s. bereits oben Rdn. 368). Als besondere Formen der Pflichtverletzung wurden bereits die Unmöglichkeit (§ 43) und die Leistungsverzögerung (§ 44) behandelt.1 Daneben stand vor der Schuldrechtsmodernisierung als dritte Form der Leistungsstörung die im Gesetz nicht geregelte positive Forderungsverletzung. Einhundert Jahre nach deren Entdeckung durch Hermann Staub ist die dritte Säule in § 280 I zur Grundlage des gesamten Leistungsstörungsrechts ausgebaut worden (s. o. Rdn. 357 ff; „Vertragsbruch“-Lehre des deutschen Arbeitsrechts, „breach of contract“ des common law). Unmöglichkeit und Verzug sind lediglich zwei besonders prägnante Phänomene, für welche als Unterfälle der Pflichtverletzung in § 280 II und III einige Sonderregeln existieren. Für die Prüfungsreihenfolge bedeutet dies, dass Unmöglichkeit und Verzug vorab zu erörtern sind. Es ist also zunächst zu prüfen, ob Schadensersatz statt der Leistung wegen Unmöglichkeit verlangt wird, §§ 280 I, III, 283, bzw. § 311a II (s. o. Rdn. 407 ff, 419 ff). Wenn nicht, ist zu untersuchen, ob ein Verzögerungsschaden geltend gemacht, §§ 280 I, II, 286 (s. o. Rdn. 470 f), oder wegen der Verzögerung Schadensersatz statt der Leistung begehrt wird, §§ 280 I, III, 281 (s. o. Rdn. 474 ff). Hierauf folgt die Über1 Der Gläubigerverzug (§ 45) stellt demgegenüber keine Pflicht-, sondern eine bloße Obliegenheitsverletzung dar, s. o. Rdn. 489.

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§ 46 I 1

Leistungsstörungen

legung, ob eine andere Form der Pflichtverletzung vorliegt, wofür ebenfalls § 280 I der richtige Ausgangspunkt ist. Solche anderen Pflichtverletzungen sind in erster Linie die Schlechtleistung (I.) und – wegen des dem neuen deutschen Schuldrecht zugrunde liegenden weiten Leistungsbegriffs – die Verletzung von Schutz- und Verhaltenspflichten (II.).

I. Schlechtleistung 1. Begriff und rechtliche Einordnung 498

Von einer Schlechtleistung spricht man, wenn die Leistung „nicht wie geschuldet“ (§ 281 I 1 Alt. 2), bzw. – bei vertraglich geschuldeten Leistungen – „nicht vertragsgemäß“ erbracht wird (§ 323 I Alt. 2), und die Abweichung nicht auf Unmöglichkeit beruht oder in einer Leistungsverzögerung besteht. Es muss sich um eine qualitative Abweichung vom Gesollten handeln. Auf den Geltungsgrund der Verpflichtung kommt es nicht an. Es werden gleichermaßen rechtsgeschäftliche und gesetzliche Schuldverhältnisse erfasst. Jede Sonderverbindung reicht aus, egal ob sie schuldrechtlicher, sachenrechtlicher, familien- oder erbrechtlicher Natur ist.2 Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Schlechtleistung in vertraglichen Sonderverbindungen. Einige Vertragstypen enthalten Spezialvorschriften über die Schlechtleistung, nämlich ein eigenes Gewährleistungsrecht. Bei Vertragstypen ohne solche Sonderregeln (z. B. Dienst- und Geschäftsbesorgungsvertrag, Auftrag, Gesellschaft) sind die §§ 280 ff ohne weiteres anwendbar. Beispiele: Landwirt L weist seinen Knecht K an, das vom Sturm in Mitleidenschaft gezogene Scheunendach neu zu decken. K verschweigt, dass ein Teil der Dachplatten zerbrochen ist und deckt mit den noch brauchbaren das Dach lückenhaft. – Der Rechtsanwalt legt verspätet Berufung ein. – Der Arzt klärt nicht über die Folgen der Operation auf. – Gesellschafter G hat die Bilanzaufstellung übernommen. Seine Bilanz ist grob unrichtig erstellt.

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Bei Vertragstypen mit besonderen Gewährleistungsvorschriften (Kauf, Tausch, Schenkung, Miete, Pacht, Leihe, Werk- und Reisevertrag) gehen diese den §§ 280 ff vor. Allerdings wurde durch die Schuldrechtsmodernisierung das Mängelgewährleistungsrecht des Kaufs (und damit über § 480 auch das des Tauschs) und des Werkvertrags mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht verbunden, so dass man über die Verweise in den §§ 437, 634 zu den §§ 280 ff gelangt. Die anderen Gewährleistungsrechte (insbesondere auch Miet- und Reisevertragsrecht) wurden bisher nicht mit den allgemeinen Leistungsstörungsregeln verbunden. Sie gehen deshalb in vollem Umfang als lex specialis vor. Der Vorrang des Gewährleistungsrechts – unabhängig davon, ob es auf die §§ 280 ff verweist oder nicht – gilt allerdings nur soweit, als die Gewährleistungsvorschriften zeitlich und sachlich reichen. Beispiele: V vermietet M ein mangelhaftes Auto. M hat deshalb auf halber Strecke eine Panne und muss zur Weiterreise einen teuren Ersatzwagen anmieten. M kann von V hierfür gem. § 536a I Schadensersatz verlangen. Die §§ 280 ff werden durch diese Vorschrift verdrängt. Dies gilt aber nur im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift: Da vor Überlassung der Mietsache § 536a nicht anwendbar ist, gelten in dieser Zeit die §§ 280 ff. Auch nach Überlassung der Mietsache ist § 536a nicht anwendbar, wenn die Pflichtverletzung nicht unmittelbar die Beschaffenheit der Mietsache betrifft, z. B. bei Aufklärungs- und Schutzpflichten. – V verkauft K ein mangelhaftes Auto, das 2 Im Sachenrecht ist allerdings zu beachten, dass das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis (§§ 906–924) im Grundsatz keine Sonderverbindung begründet, Bamberger/Roth/Grüneberg, § 280 Rdn. 7; a. A. Palandt/Heinrichs, § 278 Rdn. 3.

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§ 46 I 2

wiederum liegen bleibt und die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs nötig macht. Die Mängelgewährleistungsvorschriften des Kaufrechts gehen den §§ 280 ff zwar vor. § 437 Nr. 3 verweist aber auf die Schadensersatznormen des allgemeinen Schuldrechts, so dass 280 I (nicht §§ 280 I, II, 286, s. o. Rdn. 483) über § 437 Nr. 3 anwendbar ist. Auch hier gelten die zeitlichen und sachlichen Grenzen des Anwendungsbereichs: Vor Übergabe der Kaufsache ist das Gewährleistungsrecht nicht anwendbar, die §§ 280 ff sind also ohne Verweis anwendbar. Auch nach Übergabe ist für Gewährleistungsrecht kein Raum, wo die Pflichtverletzung nicht an das Vorliegen eines Mangels anknüpft, z. B. bei Aufklärungs- und Schutzpflichten (genauer zu diesen Fragen unten § 71).

§ 280 I stellt nicht darauf ab, ob der Schuldner eine Haupt- oder eine Nebenpflicht, eine Leistungs- oder eine Schutzpflicht verletzt hat. Durch die Verweise in § 280 II und III erlangen diese Unterschiede aber wieder Bedeutung, da für die verschiedenen Arten der Pflichtverletzung (und die verschiedenen Typen des Schadensersatzes) unterschiedliche Voraussetzungen aufgestellt werden. Für die Schlechtleistung stehen zwei Anspruchsgrundlagen im Vordergrund. Gem. §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2 kann Schadensersatz statt der Leistung verlangt werden, wenn der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine Nachfrist zur Nacherfüllung bestimmt hat. Gem. § 280 I in isolierter Anwendung kann einfacher Schadensersatz ganz allgemein für zu vertretende Pflichtverletzungen gefordert werden. Eine Nachfristsetzung ist hier nicht verlangt. Die Unterschiede machen eine Abgrenzung der beiden Anspruchsgrundlagen erforderlich. Als Grundregel gilt: Der Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2 geht auf Ersatz des Äquivalenzinteresses, da ja Schadensersatz statt der Leistung, also das Äquivalent der Leistung verlangt wird. Es handelt sich hierbei um den Mangelschaden.3 Der Anspruch aus § 280 I schützt demgegenüber das Integritätsinteresse, also das Interesse des Gläubigers an der Unversehrtheit seiner nicht direkt mit der geschuldeten Leistung zusammenhängenden Rechte und Interessen. Werden diese verletzt, spricht man von Begleitschäden, bzw. – wenn sie durch die Mangelhaftigkeit der Hauptleistung hervorgerufen werden – von Mangelfolgeschäden.4

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2. Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2 (Vertragsinteresse, Äquivalenzinteresse, BGH früher: Erfüllungsinteresse) Wird eine Leistung nicht wie geschuldet erbracht (§ 281 I 1), kann der Gläubiger ein Interesse daran haben, seinen Erfüllungsanspruch in einen Schadensersatzanspruch umzuwandeln. Dies ist für den Schuldner nachteilig, der deshalb ein Interesse daran hat, seine Leistung im zweiten Anlauf ordnungsgemäß zu erbringen. § 281 I 1 löst diesen Interessenkonflikt: Durch Setzung einer Nachfrist hat der Gläubiger dem Schuldner die Möglichkeit der Nacherfüllung zu geben. Es gilt also der Vorrang der Erfüllung: Vor Untergang des primären Leistungsanspruchs soll der Schuldner eine zweite Chance erhalten. Die Voraussetzungen von § 281 wurden bereits im Zusammenhang mit der Nichtleistung erörtert (s. o. Rdn. 474 ff). Im Zusammenhang mit der Schlechtleistung ist ein weiterer Punkt hervorzuheben: Durch die Verweise in den §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4 ist der Weg über die Nachfristsetzung auch für die Schlechtleistung im Kauf- und Werkvertragsrecht einschlägig. Als Nacherfüllung kann der Käufer gem. § 439 I Nachbesserung oder Nachlieferung verlangen, im Werkvertrag besteht gem. § 635 die Möglichkeit von Nachbesserung und Neuherstellung. Der Weg über § 281 setzt voraus, dass Nacherfüllung möglich ist: Sonst wäre das Erfordernis der Nachfristsetzung unsinnig. Liegt 3 Oechsler, Vertragsrecht Rdn. 226. 4 Oechsler, Vertragsrecht Rdn. 243.

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Leistungsstörungen

ein nicht behebbarer Mangel vor, handelt es sich zwar auch um eine „nicht wie geschuldete“ Leistung, die Unmöglichkeitsregeln gehen aber vor (zur qualitativen Unmöglichkeit s. bereits oben Rdn. 381 ff). Beispiel: V verkauft K ein Auto als unfallfrei, das in Wirklichkeit ein Unfallwagen ist. § 281 ist nicht einschlägig, da ein Fall der qualitativen Unmöglichkeit vorliegt. Es ist nicht möglich, das Fahrzeug im Wege der Nacherfüllung in einen unfallfreien Wagen umzuwandeln (es sei vorausgesetzt, dass die Möglichkeit der Nachlieferung hier ausscheidet). K hat, da es sich um anfängliche Unmöglichkeit handelt, einen Anspruch gegen V gem. § 437 Nr. 3 i. V. m. §§ 311a II, 281 I 3.

Was die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung betrifft, so enthält das besondere Schuldrecht Vorschriften, die über § 281 II hinausgehen, s. § 440 für das Kaufrecht und § 636 für den Werkvertrag. Gem. § 281 I 3 kann bei der Schlechtleistung Schadensersatz statt der ganzen Leistung („großer Schadensersatz“) nicht verlangt werden, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist (s. bereits oben Rdn. 480). Beispiel: V verkauft K ein Auto und liefert es mit beschädigtem Rücklicht. K kann V eine Nachfrist zur Reparatur setzen und nach deren erfolglosen Ablauf „kleinen Schadensersatz“ gem. §§ 437 Nr. 3, 281 I 1 Alt. 2, nämlich die Kosten einer anderweitigen Reparatur verlangen. „Großer Schadensersatz“, also Rückgabe des Wagens und Liquidation des Gesamtschadens scheidet wegen § 281 I 3 aus, da die Pflichtverletzung hier unerheblich ist.

502

Als Tatbestandsmerkmale für einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gem. den §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2 ergeben sich hieraus: 1. 2. 3. 4.

Leistungsanspruch: nicht unbedingt synallagmatischer Natur; Pflichtverletzung: Schlechtleistung bei Möglichkeit der Nacherfüllung; Vertretenmüssen: Wird gem. § 280 I 2 vermutet; Setzung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung und deren fruchtloser Ablauf (wenn Fristsetzung nicht nach §§ 281 II, 440, 636 entbehrlich); 5. Schaden (und Kausalität der Schlechtleistung für den Schaden).

503

Der Anspruch aus den §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2 geht auf Schadensersatz statt der Leistung, also auf das eigentliche Vertragsinteresse (= positives Interesse, Äquivalenzinteresse, s. oben Rdn. 419). Beispiel: Geschuldet ist eine Leistung im Wert von 100 Euro, erbracht wird eine schlechte Leistung im Wert von 70 Euro. Die Differenz von 30 Euro ist das zu ersetzende Äquivalenzinteresse. – Immer entscheidet der subjektive Wert, also das, was dem Gläubiger die ordnunggemäße Erfüllung wert ist („Interesse“), nicht der Verkehrswert der geschuldeten Leistung („Wert“): Der Dachdecker leistet schlechte Arbeit. Das Äquivalenzinteresse geht auf den Betrag, welchen das Reparieren des Dachs durch einen ordentlich arbeitenden Handwerker kostet.

3. Einfacher Schadensersatz für Mangelfolgeschäden, § 280 I 504

Neben dem Schaden, der durch die Schlechtleistung als solcher entsteht (bei der Schlechtleistung heisst das eigentliche Vertragsinteresse auch „Mangelschaden“), können weitere Schäden eintreten, welche durch den Mangel verursacht werden („Mangelfolgeschaden“; Medicus: „vertragsferner Schaden“). Der Gläubiger kann z. B. in seinen Rechten oder Rechtsgütern verletzt werden (Integritätsinteresse, übererfüllungsmäßiges Interesse, s. o. Rdn. 419). Er kann in diesem Rahmen ohne weiteres auch eine Einbuße an seinem Vermögen erleiden, z. B. durch Entgang von Gewinn. Beispiele (für die Verletzung des Integritätsinteresses): Durch das vom Handwerker schlecht gedeckte Scheunendach regnet es auf das Getreide, welches verdirbt. – Der kranke Rassehund steckt die übrigen Hunde des Zwingers an, dem Züchter Z entsteht ein großer Schaden. – Durch den unrichtigen Gebrauch der Maschine, welcher der Lieferant keine Gebrauchsanweisung beigegeben hat, verschleißen darauf verarbeitete Materialien und andere damit verbundene Maschinen des Käufers.

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§ 46 I 3

Ferner zieht sich der Käufer eine Verletzung zu, wie er mit der Maschine nicht richtig umgehen kann. – Die unrichtige Gesellschaftsbilanz verursacht Fehldispositionen der anderen Gesellschafter, durch die sie Schaden erleiden. – Der mangelhaft aufgeklärte Patient erleidet einen Körperschaden.

Der Ersatz solcher Schäden ist im Grunde eine Angelegenheit des Deliktsrechts (s. o. Rdn. 359). Da aber das deutsche Deliktsrecht wegen seines Enumerationsprinzips und seiner Beschränkung auf den Schutz absoluter und sondergesetzlich geschützter Rechtsgüter nicht ausreicht, werden diese Interessen über § 280 I i. V. m. § 241 II (und § 311 II, III) auch vertraglich geschützt. Die isolierte Anwendung von § 280 I unterscheidet sich vom Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2 in Tatbestand und Rechtsfolge: Für den Anspruch aus § 280 I ist keine Nachfristsetzung erforderlich. Sie wäre von vornherein unsinnig, da die Verletzung anderer Rechtsgüter bereits eingetreten ist, und durch ein Fristerfordernis nicht aus der Welt geschaffen werden kann. Was die Rechtsfolge betrifft, so geht § 280 I insoweit nicht auf das Äquivalenzinteresse, sondern auf das Integritätsinteresse: Es ist Ersatz zu leisten nicht für das Interesse an der Erfüllung des Vertrags, sondern für die Verletzung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils (§ 241 II), die jenseits des Wertes der vertraglich geschuldeten und ordentlich erfüllten Leistung liegen.

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Beispiele: Ersatz für das durch das fehlerhafte, regendurchlässige Dach verdorbene Getreide. – Ersatz für die angesteckten Rassehunde. – Ersatz für das wegen fehlender Instruktion zum Gebrauch der Maschine verdorbene Material und die Körperverletzung. – Ersatz für die Fehldispositionen, welche die Gesellschafter aufgrund der fehlerhaften Bilanz getroffen haben. – Leitfall: RGZ 66, 289 Rizinus-Körner: Pferde sterben am gekauften Pferdefutter, dem giftige Rizinuskörner beigemischt waren.

Ersatz nach § 280 I für die Verletzung des Integritätsinteresses ist ein spezieller Ausschnitt aus dem allgemeinen Themenkreis der Verletzung von Schutz- und Verhaltenspflichten. Die näheren Voraussetzungen der Anwendung von § 280 I werden deshalb in diesem Zusammenhang erläutert (s. sogleich unten Rdn. 508 ff). Zum Mangelfolgeschaden gehören aber auch Schäden, die nicht dem Integritätsinteresse zuzurechnen sind, wie Gewinn, der mit der gelieferten Sache erzielt werden sollte, aufgrund des Mangels aber nicht erzielt wird. Auch hierfür ist § 280 I in isolierter Anwendung die richtige Schadensersatzgrundlage, wenn die in § 280 II und III in Bezug genommenen Vorschriften (bzw. § 311a II) nicht einschlägig sind. Ein Beispiel ist der mangelbedingte Betriebsausfallschaden.5 Wenn der Gläubiger infolge der Schlechtleistung einen Betriebsausfall erleidet, kann er den Schaden gem. § 280 I ersetzt verlangen. Da dieser Schaden nicht auf der Verzögerung der Leistung, sondern auf dem Mangel der gelieferten Sache beruht, ist nicht §§ 280 I, II, 286, sondern § 280 I die richtige Anspruchsgrundlage (s. bereits oben Rdn. 483). Verzug ist für einen solchen Schadensposten also nicht Anspruchsvoraussetzung (str.).6 Grund: Der Betriebsausfallschaden tritt oft ein, bevor überhaupt eine Mahnung möglich ist.

5 GesBegr BT-Drs 14/6040, 225. 6 So z. B. Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rdn. 61; Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (37 ff); ders., ZIP 2003, 321 (326 f); Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland, Das neue Schuldrecht § 5 Rdn. 246; a. A. Arnold/Dötsch, BB 2003, 2250 (2253); Dauner-Lieb/Dötsch, DB 2001, 2535 (2537); Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung § 3 Rdn. 223; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 114 ff. Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003) 727 (754 ff); dies., JuS 2004, 745, lösen das Problem über Entbehrlichkeit der Mahnung nach § 286 II Nr. 4. Anders Huber/ Faust, Schuldrechtsmodernisierung § 13 Rdn. 106: Ersatz über § 281 mit Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung nach § 281 II Alt. 2.

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Leistungsstörungen

Beispiel: 7 V liefert K schuldhaft eine mangelhafte Maschine. Da sie nicht benutzbar ist, erleidet K jeden Tag eine Gewinneinbuße von 500 Euro. Nach der hier vertretenen Ansicht kann K von V – unabhängig vom Verzugseintritt – vom ersten Tag an Schadensersatz gem. § 280 I verlangen.

Dies zeigt, dass unter § 280 I in isolierter Anwendung nicht nur die Verletzung von Schutzpflichten, sondern auch die Verletzung von Leistungspflichten fallen können.8 4. Rücktritt, § 323 I Alt. 2 507

Die Schlechtleistung kann nicht nur Schadensersatzansprüche auslösen, sondern auch zum Rücktritt nach § 323 I Alt. 2 führen. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Schuldner eine fällige Leistung nicht vertragsgemäß erbringt. Die Setzung einer Nachfrist ist erforderlich. Auf die Ausführungen zum Rücktritt wegen Nichtleistung (oben Rdn. 486 ff) kann verwiesen werden. Es sei hervorgehoben, dass das Rücktrittsrecht im Gegensatz zum Schadensersatzanspruch nach § 281 kein Vertretenmüssen des Schuldners voraussetzt. Gem. § 323 V 2 ist ein Rücktritt wegen Schlechtleistung aber dann ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Genau wie die Parallelvorschrift zum großen Schadensersatz (§ 281 I 3) soll die Vorschrift gewährleisten, dass eine unerhebliche Vertragsverletzung nicht zur Rückabwicklung des gesamten Vertrags führt. Eine weitere Einschränkung des Rücktrittsrechts ergibt sich für Dauerschuldverhältnisse aus dem Verhältnis von § 323 zu § 314. Die dort vorgesehene Kündigung aus wichtigem Grund geht dem Rücktrittsrecht vor. In Dauerschuldverhältnissen führen Pflichtverletzungen also lediglich zu einer Kündigung mit Wirkung für die Zukunft und nicht zu einer Rückabwicklung des gesamten Vertrags mit Wirkung auch für die Vergangenheit.

II. Verletzung von Schutzpflichten 1. Ausgangspunkt 508

Gem. § 241 II kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt den einen Teil ganz allgemein zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten (s. hierzu bereits oben § 7). Eine Verletzung dieser Pflicht kann einen einfachen Schadensersatzanspruch gem. § 280 I zur Folge haben (2.) oder gar den Weg zu Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 282 (3.) und zum Rücktritt gem. § 324 (4.) eröffnen. 2. Einfacher Schadensersatz für Begleitschäden, § 280 I (Integritätsinteresse)

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a) Anwendungsbereich von § 280 I Im Zusammenhang mit der Schlechtleistung wurde bereits festgehalten, dass Schäden, welche durch die Verletzung von Schutz- und Verhaltenspflichten an anderen Rechtsgütern des Gläubigers als dem Vertragsinteresse entstehen, über § 280 I ersatzfähig sind (s. o. Rdn. 504). Diese Aussage ist nicht auf die Schlechtleistung beschränkt, sondern gilt ganz allgemein auch dann, wenn die primär geschuldete Leistung korrekt erbracht wurde. Beispiel: Fensterputzer F reinigt alle Scheiben zur vollsten Zufriedenheit seiner Kunden. Versehentlich stößt er das Schmutzwasser um und die Couch kommt zu Schaden. Hier beruht – im 7 GesBegr BT-Drs 14/6040, 225. 8 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (36).

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§ 46 II 2

Gegensatz zu den Beispielen oben Rdn. 504 – der Schaden nicht auf einer schlechten Ausführung der „Hauptleistungspflicht“, sondern allein auf der Verletzung der Pflicht zum Schutz anderweitiger Rechtsgüter des Gläubigers.

Solche Schäden an anderen Rechtspositionen des Gläubigers nennt man allgemein Begleitschäden (vgl. o. Rdn. 360). In dem speziellen Fall, dass der Begleitschaden durch eine Schlechtleistung verursacht wurde, spricht man von einem Mangelfolgeschaden. Die Unterscheidung von Mangelfolgeschaden und bloßem Begleitschaden ist für die Verjährung von Bedeutung. Bei mangelbedingten Schäden sind die kurzen Verjährungsfristen der §§ 438, 634a anwendbar. Allgemeine Begleitschäden, die nicht auf einem Mangel beruhen, verjähren dagegen in der allgemeinen Verjährungsfrist der §§ 195, 199. Abgesehen von der Verjährung ist die rechtliche Behandlung beider Schadensarten aber gleich: Die Begleitschäden, ob allgemein oder in der speziellen Ausprägung des Mangelfolgeschadens, sind der Hauptanwendungsfall für eine isolierte Anwendung von § 280 I. Für die anderen Schadensarten, also z. B. Mangel- oder Verzögerungsschäden, ist § 280 I jeweils in Verbindung mit den in § 280 II und III in Bezug genommenen Vorschriften anwendbar. b) Tatbestand von § 280 I

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Die Tatbestandsmerkmale für einen Anspruch aus § 280 I sind: 1. Anwendbarkeit von § 280 I in isolierter Form: Wird ein Begleitschaden geltend gemacht oder sind die §§ 280 II und III, 311a II einschlägig? 2. Sonderverbindung: auch vor Vertragsschluss (§ 311 II) oder gegenüber Dritten (§ 311 III); 3. Pflichtverletzung: Verletzung einer Schutz- oder Verhaltenspflicht (§ 241 II); 4. Vertretenmüssen: Wird gem. § 280 I 2 vermutet; 5. Schaden (und Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden).

Die isolierte Anwendung von § 280 I setzt also voraus, dass nicht ein Verzögerungsschaden (§ 280 II) oder Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 III, 311a) geltend gemacht wird. Der Anspruch besteht nicht gegenüber jedermann (dann in erster Linie deliktische Schadensersatzansprüche), sondern nur gegenüber dem anderen Teil einer Sonderverbindung. Diese kann sich aus Gesetz oder Vertrag ergeben. Wie in § 311 II ausdrücklich geregelt ist, führt bereits die Aufnahme geschäftlicher Kontakte zu besonderen Rücksichtspflichten. Nicht nur Vertragspartner, sondern auch Dritte, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen (z. B. „Sachwalter“), können Teil einer Sonderverbindung sein (§ 311 III), und damit Berechtigte und Verpflichtete eines Anspruchs aus § 280 I werden (s. hierzu die allgemeinen Regeln oben Rdn. 100). Die Pflichtverletzung wird rein objektiv als Zurückbleiben hinter dem jeweiligen Pflichtenprogramm bestimmt. Zum objektiven Pflichtprogramm kann gem. § 241 II gerade auch die Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils gehören. Die Pflichtverletzung entfällt, wenn ein Rechtfertigungsgrund besteht. Hierbei handelt es sich allerdings um seltene Ausnahmefälle. Auch vertragliche Pflichtverletzungen unterliegen der Unrechtsindikation (u. § 101): Die Verletzung der Rechtspflicht indiziert die Rechtswidrigkeit der Schadenszufügung. Beispiel: Der Maler M muss während der Arbeiten im Haus des B dessen Hund erschlagen, weil dieser einen Arbeitskollegen angefallen hat. M verletzt hierdurch zwar seine Pflicht zum Schutz von B’s Eigentum (§ 241 II), ist aber gem. §§ 228 S. 1, 90a S. 3 und wegen berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683) gerechtfertigt: Im Werkvertrag ist der Besteller analog § 618 verpflichtet, die Maler vor seinem Hund zu schützen. – Das Bestehen von Rechtfertigungsgründen nimmt der Handlung bereits ihre Pflichtwidrigkeit. Es wäre unzutreffend, diese Umstände erst im Rahmen des Vertretenmüssens zu prüfen.

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Der geltend gemachte Schaden muss durch die Pflichtverletzung verursacht worden sein. Der Schuldner muss die Pflichtverletzung zu vertreten haben. 512

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c) Beweislast Nach den allgemeinen Regeln trägt der Anspruchsteller die (Behauptungs-) und Beweislast für den Tatbestand der ihr günstigen Rechtsnorm (s. o. Rdn. 436). Der Verletzte muss also das Bestehen einer Sonderverbindung, die Pflichtverletzung, den Schaden und die Kausalität beweisen. Etwas anderes gilt für das Vertretenmüssen: Aus der negativen Formulierung in § 280 I 2 folgt, dass der Schuldner darlegen und beweisen muss, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Die Beweislast für das Vertretenmüssen trifft also nicht den Gläubiger, sondern den Schuldner. § 280 I 2 ist systematisch gesehen lediglich eine Beweislastregel und kein materieller Haftungsausschlussgrund wie etwa § 831 I 2.9 Während vor der Schuldrechtsmodernisierung die §§ 282, 285 a. F. lediglich eine Beweislastumkehr für das Vertretenmüssen bei Unmöglichkeit und Verzug vorsahen,10 gilt die Beweislastumkehr nach § 280 I 2 n. F. ganz allgemein für jede Form der Pflichtverletzung (s. auch § 286 IV für den Verzug).11 Eine Ausnahme gilt gem. § 619a zugunsten des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht. Macht der Arbeitgeber einen Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung geltend, muss er auch behaupten und beweisen, dass der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Dies folgt aus der positiven Formulierung in § 619a.12 Der in § 280 I 2 vorgesehenen Beweislastverteilung liegt die Überlegung zugrunde, dass die näheren Umstände, die zur Pflichtverletzung geführt haben, und die für die Beurteilung der Verantwortlichkeit daher entscheidend sind, i. d. R. am besten vom Schuldner aufgeklärt werden können. Fraglich ist, ob der Schuldner auch dann beweispflichtig sein soll, wenn es im Einzelfall dem Gläubiger leichter fällt, die Hintergründe der Pflichtverletzung zu ermitteln. Zur Beantwortung dieser Frage sind die das Vertragsinteresse bestimmenden Leistungspflichten und die zum Begleitinteresse zählenden Schutzpflichten (§ 241 II) zu unterscheiden.13 Bei Leistungspflichten ist die objektive Pflichtverletzung i. d. R. leicht zu bestimmen: Sie liegt darin, dass die Leistung ganz oder teilweise auf Dauer ausbleibt oder in zeitlicher oder qualitativer Hinsicht Defizite aufweist.14 Dies kann der Gläubiger leicht feststellen. Er hat deshalb die Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen. Der Schuldner muss dagegen gem. § 280 I 2 beweisen, dass er für die Pflichtverletzung nicht verantwortlich ist (das Verschulden ist als negative Voraussetzung ausformuliert, und wer sich auf eine Vorschrift beruft, muss ihre Voraussetzungen dartun und im Streitfall beweisen). Bei den Schutzpflichten (§ 241 II) bestand nach früherem Recht die Unsicherheit, ob man wegen ihrer sachlichen Nähe zum Deliktsrecht die deliktsrechtliche Regel entsprechend Platz greifen lassen soll, nach der grundsätzlich der Geschädigte alles, nämlich 9 Zu diesem Unterschied s. Petersen, Allgemeines Schuldrecht Rdn. 51 f. 10 Die Rechtsprechung dehnte die Beweislastumkehr allerdings vorsichtig auf andere Arten der Pflichtverletzung aus, s. hierzu 9. Aufl. Rdn. 390. 11 GesBegr BT-Drs 14/6040, 136; kritisch Zimmer, NJW 2002, 1 (7). 12 Näher hierzu unten § 83. 13 S. hierzu S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 180 ff. 14 GesBegr BT-Drs 14/6040, 134.

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§ 46 II 2

Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld zu beweisen hat (so die wohl h. M., vgl. 9. Auflage Rdn. 390, mit den von der Rechtsprechung gemachten Ausnahmen), oder ob der Schuldner einen Freibeweis liefern muss wie bei nachträglicher Unmöglichkeit und Schuldnerverzug. § 280 I 2 n. F. weicht von dieser wohlerwogenen Beweislastverteilung ab und legt dem Schuldner in allen Fällen von Schutzpflichtverletzungen den Beweis auf, er habe die Leistungsstörung nicht zu vertreten. Was hier „Nähe zum Deliktsrecht“ genannt wird, war dem Reformgesetzgeber offenbar nicht deutlich (oben Rdn. 359). Man wird dem heutigen Gesetzeswortlaut folgen müssen und nur in krassen Fällen, in denen der Nachweis einer Entlastung von Verschulden dem Schuldner nach Lage der Umstände nicht zumutbar ist, mit einem „Freibeweis des ersten Anscheins“ helfen können. Die gesetzliche Beweislastumkehr in § 280 I 2 hätte dazu Anlass geben können, die Erstreckung der Beweislastumkehr auf die Tatsachen zu regeln, aus denen sich die Rechtswidrigkeit (Pflichtwidrigkeit) ergibt, namentlich in den Fällen technisch und wissenschaftlich schwierig zu beurteilender objektiver Sorgfaltspflichten. Da der Reformgesetzgeber dies unterließ, wird man auf die ältere Rechtsprechung zurückgreifen, vgl. BGHZ 27, 236 („sich überschneidende Verantwortungsbereiche“); BGH NJW 69, 553; 9. Auflage Rdn. 390 a. E. Die Rechtsprechung weist dem Schuldner auch die Beweislast für die Pflichtverletzung zu, wenn dies unter dem Gesichtspunkt des jeweiligen Gefahren- oder Verantwortungsbereichs geboten ist. Wenn der Gläubiger nachweist, dass er einen Schaden erlitten hat, und dass die Schadensursache aus dem Gefahren- und Verantwortungsbereich des Schuldners stammt, wird die objektive Pflichtverletzung des Schuldners vermutet.15

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Beispiel: A fährt mit dem Wagen durch die Waschanlage des X. Hierbei wird der Scheibenwischer abgerissen.16 Grundsätzlich hat A zu beweisen, dass X eine Pflicht verletzt hat. Da hier der Wagen im Verantwortungsbereich des X beschädigt wurde, folgt aus dem Schaden auch die Pflichtverletzung.

d) Haftungserleichterungen und Haftungsausschluss

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Haftungserleichterungen können auf Gesetz beruhen, insbesondere die Privilegierung beim Schuldgrad, z. B. in den §§ 300 I, 521, 599, 680 auf grobe Fahrlässigkeit, oder in den §§ 690, 708 auf die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (§ 277). Haftungserleichterungen bis hin zum Haftungsausschluss können aber auch vertraglich vereinbart werden („Freizeichnung“). Im Prinzip können alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen ausgeschlossen werden, also nicht nur die vertraglichen, sondern auch die aus Delikts- und Gefährdungshaftung.17 Führt die Auslegung der Abrede zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist die Freizeichnung allerdings eng auszulegen. Erfolgt der Haftungsausschluss durch Individualabrede, sind lediglich die allgemeinen Vorgaben zu beachten, welche die Dispositivität der Schadensersatzansprüche ausschließen, z. B. die §§ 138, 276 III, 619, 651h, 676g V, 702a. Ansprüche aus Gefährdungshaftung sind häufig nicht abdingbar, s. §§ 14 ProdHaftG, 8a II StVG, 7 HaftPflG, 49 LuftVG. Erfolgt die Freizeichnung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, ist der Spielraum sehr viel enger. Gem. § 309 Nr. 7a) darf für Verletzungen von Leben, Körper oder Gesundheit nicht einmal die Haftung für einfache Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden. Gem. Buchstabe b) darf zwar für andere Schäden die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden. Die Rechtsprechung hat aber auf der Grundlage von 15 S. hierzu Bamberger/Roth/Grüneberg, § 280 Rdn. 64 ff. 16 Vgl. LG Bayreuth NJW 1982, 1766. 17 Lange/Schiemann, Schadensersatz § 10 XVI 1.

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§ 46 II 3

Leistungsstörungen

§ 307 auch hier weitergehende Einschränkungen vorgenommen. Danach kann im Bereich der wesentlichen Vertragspflichten (Kardinalpflichten) auch die Haftung für einfache Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen werden.18 Was die Beweislast betrifft, so kann gem. § 309 Nr. 12 dem Vertragspartner des Verwenders nicht die Beweislast für Umstände auferlegt werden, die im Verantwortungsbereich des Verwenders liegen. Aus dieser Vorschrift lässt sich im Übrigen ableiten, dass die von der Rechtsprechung vorgenommene Beweislastverteilung nach Verantwortungsbereichen auch eine Stütze im Gesetz hat. 3. Schadensersatz statt der Leistung, §§ 280 I, III, 282 (Äquivalenzinteresse) 517

Schutzpflichtverletzungen (§ 241 II) lösen den Anspruch auf einfachen Schadensersatz gem. § 280 I aus. Daneben besteht der Erfüllungsanspruch des Gläubigers weiter. Bisweilen ist dieses Ergebnis für den Gläubiger nicht tragbar. Die Verletzung der Schutzpflicht durch den Schuldner kann eine solche Bedeutung erlangen, dass dem Gläubiger die Erbringung der Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist. In diesem Fall kann der Gläubiger von der Möglichkeit des § 282 Gebrauch machen und Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Der primäre Erfüllungsanspruch des Gläubigers ist dann analog § 281 IV ausgeschlossen.19 Zur Feststellung der Unzumutbarkeit ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich, in welche das Interesse des Schuldners an der Erbringung der Leistung und das Interesse des Gläubigers an der Liquidation des Schuldverhältnisses infolge Schutzpflichtverletzung einzubringen ist. Die Abwägung wird in jedem Einzelfall anders ausfallen. In der Regel wird eine Abmahnung erforderlich sein, um zum Schadensersatz statt der Leistung zu gelangen.20 Analog § 281 II Alt 2 ist sie bei besonders schwerwiegenden Verstößen allerdings entbehrlich.21 Beispiel: 22 Maler M renoviert das Haus des E. Seine handwerklichen Leistungen sind einwandfrei. Allerdings ist er auf dem Weg zur Arbeit immer wieder unaufmerksam und verursacht mehrere Schäden an Haus und Inventar. M verletzt hierdurch Schutzpflichten i. S. v. § 241 II. E kann jedenfalls Schadensersatz gem. § 280 I verlangen. Ob er auch – unter Verzicht auf den Primärleistungsanspruch – Schadensersatz statt der Leistung gem. § 280 I, III, 282 verlangen kann, hängt davon ab, ob ihm die Leistung durch M nicht mehr zuzumuten ist. Dies wird man von einer Abmahnung abhängig machen dürfen: E muss M zunächst abmahnen. Kommt es dennoch wieder zu Schäden, kann E auf Schadensersatz statt der Leistung übergehen. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen wäre die Abmahnung entbehrlich, etwa wenn ein Familienangehöriger belästigt wird.

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Das Beispiel zeigt, dass Abgrenzungsschwierigkeiten zu § 281 bestehen. Absatz 3 der Vorschrift sieht eine Ersetzung der Nachfristsetzung durch eine Abmahnung vor. Dennoch besteht ein konzeptioneller Unterschied: In § 281 kann nach erfolgloser Abmahnung sofort auf Schadensersatz statt der Leistung übergegangen werden, auch wenn die Pflichtverletzung geringfügig ist.23 Im Rahmen von § 282 reicht die einmalige Abmahnung hingegen für Schadensersatz statt der Leistung nicht aus. Die umfassende Interes-

18 Bamberger/Roth/J. Becker, § 309 Nr. 7 Rdn. 20 ff. 19 Stoppel, Jura 2003, 224 (226 Fn. 12): Verlust des Leistungsanspruchs zumindest nach § 242 (widersprüchliches Verhalten). 20 GesBegr BT-Drs 14/6040, 142; a. A. MüKo/Ernst, Bd. 2a § 282 Rdn. 6. 21 Bamberger/Roth/Grüneberg, § 282 Rdn. 3. 22 Aus GesBegr BT-Drs 14/6040, 141. 23 Dann ist gem. § 281 I 3 lediglich großer Schadensersatz ausgeschlossen.

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Schlechtleistung; andere Pflichtverletzungen

§ 46 II 4

senabwägung geht bei geringfügigen Pflichtverletzungen zu Gunsten des Schuldners aus.24 Beispiel: 25 Trotz Abmahnung raucht Maler M weiterhin im Haus des E. Da es sich um eine geringfügige Schutzpflichtverletzung handelt, ist für den Schadensersatz statt der Leistung gem. § 282 mehrfache Abmahnung erforderlich.

§ 282 ist somit nur bei der Verletzung nicht leistungsbezogener Pflichten anwendbar. Hat die Pflichtverletzung einen Einfluss auf die Leistungserbringung, z. B. auf deren Qualität, ist § 281 einschlägig. Was die Rechtsfolge betrifft, so bestimmt sich der Schadensersatz statt der Leistung wie bei § 281 (oben Rdn. 478). Der Gläubiger kann also beispielsweise einen anderen Unternehmer beauftragen und die Mehrkosten ersetzt verlangen. Als Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs aus §§ 280 I, III, 282 ergeben sich hieraus: 1. 2. 3. 4. 5.

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Sonderverbindung mit Pflichten nach § 241 II; Pflichtverletzung: einer Pflicht nach § 241 II; Vertretenmüssen: Wird gem. § 280 I 2 vermutet; Unzumutbarkeit der Leitung für den Gläubiger: umfassende Interessenabwägung, Abmahnung; Schaden (und Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden).

§ 282 führt zur Liquidation des Schuldverhältnis, wenn die Leistungserbringung dem Gläubiger nicht zuzumuten ist. Es besteht damit eine Verwandtschaft zu § 275 III, wonach ein Leistungsverweigerungsrecht besteht, wenn dem Schuldner die Leistung nicht zugemutet werden kann. Der Unterschied besteht gleichwohl darin, dass § 282 die Verletzung von Schutzpflichten durch den Schuldner voraussetzt, während für das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners nach § 275 III das Hindernis nicht unbedingt aus der Sphäre des Gläubigers kommen muss. Im Standardbeispiel des erkrankten Kinds kommt das Leistungshindernis im Gegenteil gerade aus der Sphäre des Schuldners (s. o. Rdn. 400). 4. Rücktritt, § 324 Im Fall der Schutzpflichtverletzung hat der Gläubiger auch ein Rücktrittsrecht nach § 324. Das Rücktrittsrecht hat dieselben Voraussetzungen wie der Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, III, 282 mit Ausnahme des Vertretenmüssens. Insbesondere führt die erforderliche Interessenabwägung nur dann zur Unzumutbarkeit, wenn die Schutzpflichtverletzung nicht nur geringfügig, sondern wesentlich ist.26 Ein Ausschluss des Rücktrittsrechts wegen überwiegender Verantwortlichkeit des Gläubigers wie in § 323 VI fehlt in § 324. Bei der Interessenabwägung wird eine Hauptverantwortlichkeit des Gläubigers aber regelmäßig dazu führen, dass die Leistung dem Gläubiger weiter zumutbar ist, ein Rücktrittsrecht also nicht besteht.27 In Dauerschuldverhältnissen wird das Rücktrittsrecht durch die Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 314 verdrängt (s. o. Rdn. 507).

24 Mit diesem Argument hat der Rechtsausschuss für die Aufrechterhaltung von § 282 und gegen die Anwendung von § 281 auf Schutzpflichtverletzungen votiert, BT-Drs 14/7052, 186. 25 Aus BT-Drs 14/7052, 186. 26 Bamberger/Roth/Grothe, § 324 Rdn. 6. 27 Vgl. Rechtsausschuss BT-Drs 14/7052, 193.

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§ 46 III

Leistungsstörungen

III. Zusammenfassung: Schadensersatz gem. den §§ 280 ff, 311a II 521

Bei der Behandlung von Unmöglichkeit, Leistungsverzögerung und Schlechtleistung vertraglicher Leistungspflichten, sowie bei Schutzpflichtverletzungen in Begleitung der Erfüllung dieser Leistungspflichten wurden unterschiedliche Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz herangezogen. Mit der Ausnahme von § 311a II knüpfen zwar alle an die zentrale Haftungsnorm des § 280 I an. Eine isolierte Anwendung dieser Vorschrift erfolgt aber nur dann, wenn nicht die Absätze II und III einschlägig sind. Hauptanwendungsfälle sind Mangelfolgeschäden und Begleitschäden. Zu unterscheiden sind danach insgesamt sieben Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

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Schadensersatz statt der Leistung bei anfänglicher Unmöglichkeit, § 311a II; Schadensersatz statt der Leistung bei nachträglicher Unmöglichkeit, §§ 280 I, III, 283 S 1; Schadensersatz statt der Leistung infolge Leistungsverzögerung, §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 1; Schadensersatz statt der Leistung infolge Schlechtleistung, §§ 280 I, III, 281 I 1 Alt. 2; Schadensersatz statt der Leistung infolge Schutzpflichtverletzung, §§ 280 I, III, 282; Ersatz des Verzögerungsschadens, §§ 280 I, II, 286; Einfacher Schadensersatz in allen anderen Fällen (insbesondere Mangelfolge- und Begleitschäden), § 280 I.

Im Kauf- und Werkvertragsrecht sind diese Anspruchsgrundlagen zudem i. V. m. den §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4 anwendbar, wenn die Pflichtverletzung auf einem Mangel beruht. Dies hat Einfluss auf die Verjährung (§§ 438, 634a, dazu unten Rdn. 903ff). Dieses Schadensersatz-Anspruchsschema weicht erheblich vom früheren vertraglichen Schadensersatzrecht ab. Eine Erleichterung besteht darin, dass jede der genannten Anspruchsgrundlagen ausdrücklich vom Gesetz genannt wird. Da diese Anspruchsgrundlagen jeweils andere Voraussetzungen haben, ist große Sorgfalt auf die Abgrenzung zwischen den Anspruchsgrundlagen zu verwenden (s. z. B. o. Rdn. 481 ff, 500ff). Dabei ist einerseits auf die Art des geltend gemachten Schadensersatzes, andererseits auf die Art der Pflichtverletzung abzustellen.28 Wenn beispielsweise Schadensersatz geltend gemacht wird, der an die Stelle der primär geschuldeten Leistung tritt, kommen die Anspruchsgrundlagen Nr. 1 bis 5 in Betracht. Zur weiteren Einkreisung ist zu bestimmen, welches der Grund für die Einforderung des Erfüllungsinteresses ist, nämlich Unmöglichkeit, Leistungsverzögerung, Schlechtleistung oder eine die Vertragsleistung begleitende Schutzpflichtverletzung. Wird nicht das Äquivalenz-, sondern das Integritätsinteresse geltend gemacht, sind Nr. 6 und 7 die richtige Anspruchsgrundlage. Wird bei Leistungsverzögerung nicht Schadensersatz statt der Leistung, sondern lediglich der auf der Verzögerung beruhender Schaden geltend gemacht, ist Nr. 6 zu prüfen. In Zweifelsfällen sind weitere Hilfsüberlegungen anzustellen. So kann es zweifelhaft sein, ob Erfüllungs- (Nr. 3) oder Verzögerungsschaden (Nr. 6) geltend gemacht wird. In diesem Fall hilft die Überlegung weiter, ob eine Nachfristsetzung gem. § 281 I sinnvoll ist. Ist dies nicht der Fall, liegt ein Verzögerungsschaden vor, der unter der Voraussetzung des Verzugs gem. §§ 280 I, II, 286 auch ohne Nachfristsetzung ersetzt werden muss. Umstritten ist die Frage, ob mangelbedingte Schäden an anderen Rechtsgütern oder sonstige Mangelfolgeschäden unter Nr. 6 oder Nr. 7 fallen, ob also Schadensersatz vom Verzugseintritt abhängt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies nicht der Fall: Solche Schäden sind also auch ohne Verzug in isolierter Anwendung von § 280 I ersatzfähig (s. o. Rdn. 483, 506). 28 Str.: Für alleiniges Abstellen auf die Art des eingetretenen Schadens Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003) 727 (730); Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 115. Die Gegenmeinung zieht ergänzend die Art der Pflichtverletzung heran, s. Canaris, ZIP 2003, 321 (324).

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Einrede des nicht erfüllten Vertrags und das Zurückbehaltungsrecht

§ 47 I

Die einzelnen Schadensersatzarten können nebeneinander bestehen: Vor Eintritt der Unmöglichkeit mag ein Verzögerungsschaden entstanden sein. Unabhängig davon wird der Gläubiger an einem anderen Rechtsgut verletzt. Hier bestehen nebeneinander Ansprüche aus Nr. 1, 6 und 7. Das Äquivalenz- und Integritätsinteresse kann also nebeneinander geltend gemacht werden. – Oder: Der Schuldner leistet trotz Möglichkeit nicht; wegen Schutzpflichtverletzung ist die Leistung dem Gläubiger nicht mehr zumutbar. Hier kann der Gläubiger auf Schadensersatz statt der Leistung nach Nr. 5 gehen, ohne gem. Nr. 3 eine Nachfrist setzen zu müssen.

§ 47 Einrede des nicht erfüllten Vertrags und das Zurückbehaltungsrecht Brox, Die Einrede des nichterfüllten Vertrags beim Kauf, 1948; Ernst, Die Einrede des nichterfüllten Vertrages, 2000; Oesterle, Die Leistung Zug um Zug, 1980; H. Roth, Die Einrede des bürgerlichen Rechts, 1988.

I. Die Einreden der §§ 320–322 1. Die bisher behandelten Leistungsstörungen betreffen Ereignisse, die selbsttätig und unmittelbar in den Bestand des Schuldverhältnisses eingreifen: Unmöglichkeit, Verzug, Schlechtleistung. Werden die zugrunde liegenden Tatsachen von einer Partei auf beliebige Weise in den Prozessstoff eingeführt, wirken sie von selbst anspruchshindernd, -zerstörend oder -verändernd. Der Richter hat sie zu beachten, auch ohne dass sich die in Anspruch genommene Partei darauf beruft. Es handelt sich mithin bei der prozessualen Geltendmachung von Leistungsstörungen gegen einen Anspruch um sog. Einwendungen. Im Unterschied dazu finden sich im Schuldrecht auch rechtshemmende Einwendungen – in der materiellrechtlichen Terminologie Einreden, die nach h. M. nur dann den Anspruch hemmen, wenn der Schuldner sich auf sie beruft. Manche Einreden hemmen den Anspruch dauernd (sie sind peremptorisch), andere nur vorübergehend (sie sind dilatorisch). 2. Eine Folge schlichter Nichterfüllung im gegenseitigen Vertrag sind die Einreden des nicht erfüllten oder des nicht vollständig erfüllten Vertrags, 320, 322. Wer im gegenseitigen Vertrag etwas schuldet, braucht nur Zug um Zug gegen die Leistung des anderen zu leisten, 320 I 1. Es handelt sich bei § 320 I 1 um eine Ausprägung des funktionellen Synallagmas. Daraus folgt, dass zwischen der vom Schuldner geforderten Leistung und der von ihm zu erbringenden Gegenleistung eine synallagmatische Abhängigkeit bestehen muss. Sicherheitsleistung zur Abwendung der Zug-um-Zug-Verpflichtung ist ausgeschlossen, 320 I 3. § 320 II schließt diese Einrede des nichterfüllten Vertrags aus, wenn von der Gegenleistung nur noch ein geringfügiger Teil aussteht und die Zurückhaltung der eigenen Leistung deshalb treuwidrig wäre. Das Leistungsverweigerungsrecht ist außerdem dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner vorleistungspflichtig ist, § 320 I 1 a. E. Die Vorleistungspflicht kann sich aus einer individualvertraglichen Vereinbarung (s. § 309 Nr. 2a) oder aus dem Gesetz ergeben (z. B. §§ 556b I, 579 I, 614, 641, 699). Der Schuldner kann sich auch dann nicht auf § 320 berufen, wenn er selbst nicht vertragstreu ist, d. h. wenn er sich unmissverständlich weigert, den Vertrag durchzuführen.1 Unerheblich ist dagegen, ob der Gegenanspruch verjährt ist.2 Denn Verjährung bedeutet nicht den Untergang des Anspruchs, sondern nur mangelnde Durchsetzbarkeit. 1 BGH NJW 1996, 3086 (3087). 2 RGZ 149, 328.

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§ 47 II

Leistungsstörungen

Im Rahmen des § 320 steht die qualitative der quantitativen Minderleistung gleich. Deshalb kann die eigene Leistung im Prinzip auch dann verweigert werden, wenn die andere Seite zwar geleistet hat, die Leistung aber nicht pflichtgemäß ist. Allerdings bestehen Sonderregelungen im Gewährleistungsrecht der einzelnen Vertragstypen. Insbesondere ist zwischen behebbaren und nicht behebbaren Mängeln sowie der Zeit vor und nach Gefahrübergang (§§ 446 f, 644) zu unterscheiden. Im Werkvertrag ist der Unternehmer wegen § 641 vorleistungspflichtig, so dass § 320 erst nach Abnahme anwendbar ist.3 § 320 wird nach Abnahme aber durch § 641 III überlagert: Der Mängelbeseitigungsanspruch (§§ 634 Nr. 1, 635) berechtigt den Besteller nicht zur Zurückhaltung der kompletten Vergütung, sondern lediglich eines „angemessenen Teils“, und zwar mindestens des dreifachen, für die Mängelbeseitigung erforderlichen Betrags. Im Kaufvertrag kann der Käufer vor Gefahrübergang die Annahme der Sache und gem. § 320 die Zahlung des Kaufpreises verweigern, wenn die Sache mangelhaft ist (also z. B. auch bei Lieferung eines aliud, § 434 III) oder nur ein Teil der geschuldeten Leistung angeboten wird, § 266. Nach Gefahrübergang hat der Käufer möglicherweise einen Nacherfüllungsanspruch, einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung oder auf Herausgabe eines Surrogats. Da diese Ansprüche an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs treten, stehen sie im Gegenseitigkeitsverhältnis und berechtigen den Käufer ebenfalls zur Verweigerung der Kaufpreiszahlung gem. § 320.4 Bestehen solche Ansprüche nicht, etwa weil es sich um einen unbehebbaren Mangel handelt, Nachlieferung ausscheidet, der Verkäufer den Mangel nicht zu vertreten hat und auch keine Surrogate existieren, hat der Käufer keinen im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Anspruch, den er gem. § 320 der (nach § 326 I 2 fortbestehenden) Kaufpreisforderung entgegen setzen könnte. Er sollte sich deshalb rasch entscheiden, welches seiner Gewährleistungsrechte er geltend macht (Rücktritt, Minderung). Bis zur Geltendmachung ist er zur Verweigerung der Kaufpreiszahlung nicht berechtigt.5 Der hiervon ausgehende Entscheidungsdruck auf den Käufer ist sachgemäß, da der Verkäufer sonst keine Möglichkeit hätte, das Wahlrecht des Käufers zeitlich zu begrenzen.6

3. Über die Wirkungsweise der Einrede des nichterfüllten Vertrags, über die Einschränkung des § 320 durch § 321 und über die prozessuale Behandlung der Zug umZug-Einrede ist oben bei den Besonderheiten des gegenseitigen Vertrags das Notwendige gesagt, Rdn. 54.

II. Das Zurückbehaltungsrecht 525

1. Ähnlich der Einrede des nichterfüllten gegenseitigen Vertrags, aber allgemeiner Natur, ist das Zurückbehaltungsrecht, 273, 274. Es gilt für alle Rechtsverhältnisse, nicht bloß für Schuldverhältnisse oder gar nur gegenseitige Verträge. Das Zurückbehaltungsrecht ist das Recht des Schuldners, seine Leistung zu verweigern, bis ein ihm gegen den Gläubiger zustehender Anspruch befriedigt ist, 273 I. Voraussetzungen für das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 sind: Gegenseitigkeit, Fälligkeit, Konnexität, nicht aber Gleichartigkeit. Das Zurückbehaltungsrecht wird daher nur dann praktisch, wenn die Ansprüche auf verschiedenartige Leistungen gehen (sonst Aufrechnung).7 Im Übrigen 3 Palandt/Heinrichs62, § 320 Rdn. 16. Der Unternehmer kann allerdings einen Anspruch auf Abschlagszahlungen gem. §§ 632a, 641 I 2 haben. 4 Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rdn. 155 ff; MüKo/Emmerich, Band 2a, § 320 Rdn. 6; Palandt/ Heinrichs, Einf. v. § 320 Rdn. 17; a. A. Erman/B. Grunewald 11, Vor § 437 Rdn. 7, die über die allgemeine Mängeleinrede aber zu ähnlichen Ergebnissen kommt. 5 Bamberger/Roth/Grothe, § 320 Rdn. 7; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht (2002) Rdn. 501. 6 Keine analoge Anwendung von § 350, der nur für das vertragliche Rücktrittsrecht gilt; anders noch der Diskussionsentwurf, s. hierzu Bamberger/Roth/Grothe, § 320 Rdn. 7, § 323 Rdn. 31. 7 BGHZ 37, 244. Das Zurückbehaltungsrecht kann aber dann einschlägig sein, wenn eine Aufrechnung an der mangelnden Gegenseitigkeit der Forderungen scheitert, BGH NJW 2000, 278.

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Einrede des nicht erfüllten Vertrags und das Zurückbehaltungsrecht

§ 47 II

ist das Zurückbehaltungsrecht nicht selten gesetzlich ausgeschlossen, so in §§ 175, 570, 596 II. Ein mangels unmittelbaren Besitzes des Gläubigers unwirksames Vertragspfand ist gem. § 140 in ein Zurückbehaltungsrecht umzudeuten, OGHZ 4, 138. Es beruht auf der Erwägung, dass es unbillig und treuwidrig wäre, wenn der Gläubiger Leistung verlangt, solange er dem Schuldner selbst noch etwas schuldig ist. Daraus ergeben sich die Voraussetzungen im Einzelnen: Beide Ansprüche müssen fällig sein, und beide Ansprüche müssen aus denselben rechtlichen Verhältnissen herrühren (sog. Konnexität), 273 I. Selbstverständlich hat der Vorleistungspflichtige kein Zurückbehaltungsrecht, vgl. 273 I mit 320, 321. Durch Sicherheitsleistung kann der Gläubiger die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts hindern, 273 III. – Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht nach § 369 HGB gibt, weitergehend als das nur eine Sicherung des Schuldners bewirkende bürgerliche, ein Befriedigungsrecht; es ist aber, enger als das bürgerliche, auf bewegliche Sachen und Wertpapiere beschränkt. – In keinem Fall gibt das Zurückbehaltungsrecht ein Gebrauchsrecht, BGHZ 65, 56 (siehe aber 546a). Die Berufung auf das Zurückbehaltungsrecht führt zur Verurteilung Zug-um-Zug, 274. Vgl. dazu § 320 und oben Rdn. 54. Das Zurückbehaltungsrecht kann auch dann noch geltend gemacht werden, nachdem der Anspruch des zurückbehaltenden Schuldners schon verjährt ist, falls die Verjährung noch nicht eingetreten war, als der Anspruch des Gläubigers entstand, § 215.

2. Schwierigkeiten bereitet oft die Voraussetzung der Konnexität.

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Nicht erforderlich, aber ausreichend ist, dass Anspruch und Gegenanspruch auf dem gleichen Vertrag beruhen. Die Rechtsprechung hat den Begriff „desselben rechtlichen Verhältnisses“ weit ausgedehnt, wobei die äußerste Grenze wiederum von Treu und Glauben und der Verkehrssitte gezogen wird. Ein rein wirtschaftlicher Zusammenhang genügt indessen nicht, am ehesten passt der Ausdruck „innerlich zusammenhängendes Lebensverhältnis“. Dafür genügt ein solcher natürlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang, dass es gegen Treu und Glauben verstieße, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen geltend gemacht werden könnte, BGHZ 92, 196. A verwechselt beim Verlassen des Gasthauses den Mantel und zieht den des B an. Da es draußen schneit, bleibt B nichts anderes übrig, als den des A anzuziehen. A und B haben gegeneinander die Herausgabeansprüche der §§ 985, 861, 1007. „Dasselbe rechtliche Verhältnis“ ist zu bejahen, obwohl die gegenseitigen Ansprüche ihre Quelle nicht in einem einheitlichen Rechtsverhältnis haben. Sie beruhen aber auf demselben, nicht bloß äußerlich zusammenhängenden, Lebensverhältnis, das kurz nacheinander die gegenseitigen Ansprüche schuf. – Wie wäre es, wenn A ohne Mantel gekommen war, irrtümlich im Mantel des B nach Hause ging, weil er dachte, er sei mit Mantel gekommen? Um sich ein „Pfand“ zu verschaffen, stiehlt B dem A am nächsten Tag das Fahrrad. Der Grundgedanke des § 393 aus dem Recht der Aufrechnung, wonach gegen eine Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung nicht aufgerechnet werden kann, muss auch in § 273 gelten und das Zurückbehaltungsrecht ausschließen. Dies lässt sich mit einer analogen Anwendung von § 1000 S. 2 begründen. § 273 II erläutert den Begriff der Konnexität für den Fall, dass ein Gegenstand herauszugeben ist, auf den der Herausgabepflichtige Verwendungen gemacht oder durch den ihm ein Schaden entstanden ist. Hier wird ausdrücklich eine dem § 393 entsprechende Einschränkung gemacht: Die Katze des A verunreinigt die Sandkiste im Nachbargarten des N. Es nützt dem N nichts, wenn er die Katze fängt, um den B zum Ersatz des Sandes zu zwingen. N muss sie herausgeben.

Das Zurückbehaltungsrecht des § 273 II ist lex specialis zu § 273 I und verdrängt deshalb in seinem Anwendungsbereich das Zurückbehaltungsrecht nach Abs. 1 (str.).8 3. Das Verhältnis zu § 320 ist streitig. Einige halten § 320 für einen Unterfall des Zurückbehaltungsrechts, wofür vor allem § 320 I 3 spricht (Enn./Lehmann, Blomeyer; a. A. H. Roth, aaO, 183 f). Aber die Bindung von Leistung und Gegenleistung aneinander im Sinne der §§ 320, 322 ist beim gegenseitigen Vertrag von vornherein tatbestandlich gegeben, während die Änderung eines An-

8 A.M. BGHZ 64, 122 (125).

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§ 48

Leistungsstörungen

spruchs kraft eingeredeten Zurückbehaltungsrechts erst nachträglich, gleichsam zufällig, an den Anspruch herangetragen wird. Da es sich aber in beiden Fällen um eine Einrede mit gleicher Wirkung handelt (Zug-um-Zug-Verurteilung), gilt für die synallagmatischen Pflichten eines gegenseitigen Vertrags § 320 allein; § 273 wird insoweit verdrängt. Für nicht-synallagmatische Pflichten im gegenseitigen Vertrag ist § 273 aber einschlägig. Dies gilt auch für die Erfüllung von Schutzpflichten: Der Vertragspartner muss nicht darauf warten, verletzt zu werden, sondern kann seine Leistung zurückhalten, bis Vorkehrungen zum Schutz seiner Rechte und Rechtsgüter getroffen sind.9 – Das Zurückbehaltungsrecht des § 1000 setzt, anders als § 273 II, keinen fälligen Anspruch voraus (§§ 273 III, 274 bleiben anwendbar); BGHZ 75, 288. 4. Das Zurückbehaltungsrecht wird vom Gericht nicht von Amts wegen berücksichtigt, sondern muss geltend gemacht werden. Der Klageabweisungsantrag genügt als Einrede nur dann, wenn er auf die Nichtleistung des Klägers gestützt wird. 5. Folge der Geltendmachung ist nicht Klageabweisung, sondern Zug-um-Zug-Verurteilung, 274. Der Gläubiger erhält gem. § 726 II ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung, ohne Beweis, dass der Schuldner befriedigt oder in Verzug der Annahme ist. Der Gerichtsvollzieher muss aber gem. § 756 ZPO die Leistung des Gläubigers anbieten. Befindet sich der Schuldner im Annahmeverzug und wird dies im Urteil festgestellt, so kann der Gläubiger ohne Anbietung der Gegenleistung vollstrecken; das Urteil ist eine öffentliche Urkunde i. S. des § 756 ZPO, vgl. § 274 II BGB, Schilken, AcP 181 (1981), 355 ff.

2. Unterabschnitt: Rücktritt, Widerruf, Kündigung § 48 Rücktritt (§§ 346 ff) Arnold, Jura 2002, 154; Gaier, WM 2002, 1; Hager, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht (2002) § 5; Kaiser, JZ 2001, 1057; J. Kohler, JZ 2001, 325; ders., JZ 2002, 682; S. Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001) 329; Perkams, Jura 2003, 150; Rheinländer, ZGS 2004, 178; M. Schwab, JuS 2002, 630; Thier, FS Heldrich (2005) 439

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Die Ausführungen zu den Leistungsstörungen haben gezeigt, dass im gegenseitigen Vertrag der Gläubiger im Fall einer Pflichtverletzung unter bestimmten Voraussetzungen ein Rücktrittsrecht hat. Der Rücktritt ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 349), durch die das Vertragsverhältnis beendet und ex nunc in ein vertragliches Rückgewährungsschuldverhältnis bezüglich der bereits ausgetauschten Leistungen umgewandelt wird. Der Rücktritt hat einerseits Befreiungswirkung (im Gesetz nicht ausdrücklich angesprochen! 1), indem die primären Leistungspflichten erlöschen, und führt andererseits zur Rückgewährpflicht in Bezug auf die bereits erbrachten Leistungen (§ 346 I). Zu unterscheiden ist zwischen dem vertraglichen und dem gesetzlichen Rücktrittsrecht. Von einem vertraglichen Rücktrittsrecht spricht man dann, wenn sich eine Vertragspartei den Rücktritt vertraglich vorbehalten hat (§ 346 I Alt. 1). Ein gesetz-

9 Schlechtriem, Schuldrecht AT 5 Rdn. 274 Fn. 11. 1 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 194: „Es erscheint allerdings in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht nicht erforderlich, diese Befreiungswirkung im Gesetzeswortlaut ausdrücklich auszusprechen.“

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Rücktritt

§ 48 I 2

liches Rücktrittsrecht (§ 346 I Alt. 2) folgt beispielsweise aus Leistungsstörung (§§ 323, 324, 326 V) oder Mängelgewährleistung (§§ 437 Nr. 2, 634 Nr. 3). Die gesetzliche Regelung des Rücktritts in den §§ 346 ff wurde durch die Schuldrechtsmodernisierung grundlegend umgestaltet. Das alte Rücktrittsrecht galt als besonders misslungen und war Gegenstand weitläufiger Meinungsstreite. Die Reform des Rücktrittsrechts, insbesondere auch die Zusammenführung von Rücktritt und dem früheren gewährleistungsrechtlichen Wandelungsrecht ist deshalb (trotz aller neuen Probleme) als wichtiger Fortschritt zu werten.2

I. Grundlagen 1. Rechtsnatur Befreiungswirkung und Rückgewährpflicht führen zur Umwandlung des ursprünglichen Vertragsverhältnisses in ein Rückgewährschuldverhältnis. Der Vertrag wird nicht etwa aufgehoben, sondern besteht mit verändertem Inhalt fort. Aus diesem Grund ist das Abwicklungsverhältnis entgegen einer früher vertretenen Auffassung kein modifiziertes Bereicherungs- oder sonstiges gesetzliches Schuldverhältnis, sondern weiterhin vertraglicher Natur. Eine Anwendung der §§ 812 ff neben den §§ 346 ff ist ausgeschlossen. Sicherheiten, die für die vertraglichen Ansprüche bestellt wurden, gelten für das Rückgewährschuldverhältnis fort, wenn es dem Zweck der Sicherungsabrede entspricht.3 Dies ist im Zweifel zu vermuten (str.).4 Die praktische Bedeutung des Rücktrittsrechts hat durch die Schuldrechtsmodernisierung stark zugenommen. Gem. § 325 schließt die Ausübung des Rücktritts die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht mehr aus. Das Rücktrittsrecht hängt gem. § 323 I nicht mehr von einem Vertretenmüssen des anderen Teils ab. Die gesetzliche Regelung über die Geschäftsgrundlage verweist in § 313 III 1 auf das Rücktrittsrecht. Schließlich sind die gewährleistungsrechtlichen Wandelungsrechte im Rücktrittsrecht aufgegangen (§§ 437 Nr. 2, 634 Nr. 3).

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2. Vertragliches Rücktrittsrecht Ein Rücktrittsrecht kann sich nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch aus vertraglicher Vereinbarung ergeben. Rücktrittsvorbehalte werden zum Teil aus verhandlungstaktischen Erwägungen vereinbart, etwa wenn eine rechtliche Bindung zwar zunächst einmal eingegangen, für eine bestimmte Zeit oder für die ganze Dauer der Bindung aber eine einseitige Lösungsmöglichkeit offen gehalten werden soll. Eine andere Motivation kommt aus dem Marketing: Durch die vertragliche Einräumung eines zeitlich beschränkten Lösungsrechts soll der Kaufentschluss der anderen Seite gestärkt werden in der Hoffnung darauf, dass nur ein kleiner Teil der Kunden vom Rücktrittsrecht Gebrauch machen wird. Häufig findet sich der Rücktritt auch in Prozessvergleichen: Die Anwälte schließen einen Vergleich, behalten sich aber wegen der erforderlichen Rücksprache mit ihren Mandanten den Rücktritt binnen 10 Tagen vor. Dieser Rücktritt vom Prozessvergleich kann, muss aber nicht Rücktritt von einem Schuldverhältnis sein.5

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So auch Canaris, JZ 2001, 499 (522). BGHZ 51, 69 (73). Anders die wohl h. M., s. z. B. MüKo/Gaier, Bd. 2a Vor § 346 Rdn. 48. Ein Widerrufsvorbehalt im Vergleich stellt demgegenüber i. d. R. eine aufschiebende Bedingung dar, BGH NJW 1984, 312.

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§ 48 I 3

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Leistungsstörungen

Ein Rücktrittsvorbehalt kann ausdrücklich oder konkludent vereinbart werden (s. auch die Auslegungsregeln in § 354), in einer Individualabrede oder in allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffen werden. Formularmäßige Rücktrittsvorbehalte werden in § 308 Nr. 3 zu Lasten des Verwenders der Geschäftsbedingungen allerdings an das Bestehen eines sachlich gerechtfertigten und im Vertrag angeführten Grunds geknüpft. Auch die individuelle Vereinbarung eines Rücktrittsrechts kann durch Gesetz ausgeschlossen sein (s. z. B. § 572 I). – Zu den vertraglichen Rücktrittsrechten zählten vor der Schuldrechtsmodernisierung auch das Rücktrittsrecht beim (relativen) Fixgeschäft (§ 361 a. F.) und das Rücktrittsrecht des Vorbehaltsverkäufers bei Zahlungsverzug des Käufers (§ 455 I a. F.). Beide Rücktrittsrechte sind nun gesetzlicher Natur, nämlich unterfallen § 323, wie sich für das relative Fixgeschäft aus § 323 II Nr. 2 und für den Eigentumsvorbehalt allgemein aus § 323 I ergibt. 3. Ausschluss des Rücktrittsrechts

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Gem. § 350 erlischt das (vertragliche) Rücktrittsrecht, wenn für seine Ausübung keine Frist vereinbart war und dem Berechtigten vom anderen Teil erfolglos eine Frist für die Ausübung des Rücktritts gesetzt wurde. Abgesehen von diesem Spezialfall (s. aber auch § 352) existieren im Gegensatz zur alten Rechtslage keine spezifisch rücktrittsrechtlichen Ausschlussgründe. Der Rücktritt wird beispielsweise nicht dadurch ausgeschlossen, dass der vom Rücktrittsberechtigten herauszugebende Gegenstand untergegangen ist, selbst wenn der Untergang vom Rücktrittsberechtigten zu vertreten ist. Unbillig wäre es allerdings, es hierbei bewenden zu lassen: Der Rücktrittsberechtigte könnte sonst die von ihm erbrachte Leistung zurückverlangen, ohne selber eine Leistung erbringen zu müssen. Deshalb ordnet § 346 II an, dass der Rücktrittsberechtigte in diesen Fällen Wertersatz schuldet, jedenfalls wenn die Pflicht zum Wertersatz nicht ausnahmsweise entfällt (§ 346 III). Diese Regelung stellt im Vergleich zum alten Recht einen Systemwechsel dar. Nach altem Recht wurde der Gläubiger des untergegangen Gegenstands dadurch geschützt, dass in solchen Fällen der Rücktritt durch den Schuldner ausgeschlossen war (§ 351 a. F.) und der Gläubiger eine versehentlich selber abgegebene Rücktrittserklärung gem. § 119 II anfechten, bzw sich auf Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen konnte. Nach neuem Recht ist der Rücktritt immer zulässig; Unbilligkeiten werden durch die Pflicht zum Wertersatz verhindert.6 Selbstverständlich unterliegt das Rücktrittsrecht aber denjenigen Ausschlussgründen, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Rücktrittsgrund angegeben sind. So kann im Fall der nicht vertragsgemäßen Leistung der Gläubiger gem. § 323 V 2 dann nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Gem. § 323 VI ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den rücktrittsauslösenden Umstand weit überwiegend verantwortlich ist, oder wenn er sich im Annahmeverzug befand. – In zeitlicher Hinsicht ist hervorzuheben, dass das Rücktrittsrecht als Gestaltungsrecht nicht der Verjährung unterliegt (gem. § 194 I unterliegen nur Ansprüche der Verjährung). Gem. § 218 I ist der Rücktritt wegen Nicht- oder Schlechterfüllung aber unwirksam, wenn der zugrunde liegende Anspruch bereits verjährt war und der Schuld-

6 Der Gläubiger des untergegangenen Gegenstands hat allerdings weiterhin das Recht zur Anfechtung nach § 119 II, bzw. zur Berufung auf Wegfall der Geschäftsgrundlage, 313, vgl. GesBegr BTDrs 14/6040, 194.

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Rücktritt

§ 48 II

ner die Verjährungseinrede auch geltend macht.7 Das Rücktrittsrecht kann auch verwirkt werden.8 4. Abgrenzung des Rücktrittsrechts von anderen Rechtsinstituten Rücktritt und Kündigung gleichen sich darin, dass beide Gestaltungsrechte die primären Leistungspflichten lediglich ex nunc entfallen lassen. Der Rücktritt führt aber zur Rückgewähr auch derjenigen Leistungen, die in der Vergangenheit ausgetauscht wurden. Die Kündigung lässt den Leistungsaustausch in der Vergangenheit dagegen unberührt und lässt nur die zukünftigen Leistungspflichten entfallen. Bei Dauerschuldverhältnissen ersetzt die Kündigung das gesetzliche Rücktrittsrecht. Die Anfechtung wirkt demgegenüber gem. § 142 I ex tunc. Der rückwirkende Wegfall der Leistungspflichten hat zur Konsequenz, dass die Leistungen ohne Rechtsgrund ausgetauscht wurden und nach Bereicherungsrecht herauszugeben sind. Die §§ 346 ff sind nicht anwendbar. Das Bereicherungsrecht ist für den Schuldner günstiger, da er wegen § 818 III nur die noch vorhandene Bereicherung herausgeben muss, während beim Rücktritt unabhängig von einem Bereicherungswegfall gem. § 346 II im Prinzip Wertersatz geschuldet wird. Dem Rücktritt am ähnlichsten ist das Widerrufsrecht in Verbraucherverträgen. Gem. § 355 I 1 führt der Widerruf zu einem Wegfall des Rechtsgeschäfts ex nunc und zur Umwandlung in ein Rückgewährschuldverhältnis. § 357 I 1 verweist für die Rechtsfolgen des Widerrufs auf das Rücktrittsrecht. Dies zeigt, dass der Widerruf eine besondere Erscheinungsform des Rücktritts ist. Ein Unterschied zum Rücktritt besteht in den Formerfordernissen des Widerrufs und der zeitlichen Begrenzung auf im Prinzip zwei Wochen, § 355 I 2. Zur auflösenden Bedingung s. u. Rdn. 536.

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II. Voraussetzungen des Rücktritts Ein Anspruch aus § 346 I hat folgende Tatbestandsmerkmale: 1. 2. 3. 4.

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Vertragliches Schuldverhältnis; Bestehen eines (vertraglichen oder gesetzlichen) Rücktrittsrechts; Rücktrittserklärung (§ 349); Kein Ausschluss des Rücktritts, z. B. nach § 218.

Rücktrittsrechte müssen sich auf ein vertragliches Schuldverhältnis beziehen, ein gegenseitiger Vertrag ist dabei nicht Voraussetzung. Der Schwerpunkt der Prüfung wird in der Regel auf der Frage liegen, ob ein Rücktrittsrecht besteht. Geht es beispielsweise um Nicht- oder Schlechterfüllung, sind hier alle Voraussetzungen von § 323 I zu prüfen. Das Rücktrittsrecht ist ein Gestaltungsrecht, dh Ansprüche aus Rücktritt setzen die tatsächliche Geltendmachung des Rücktritts voraus. Diese erfolgt gem. § 349 durch einseitige, empfangsbedürftige Erklärung. Der Rücktritt kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. Entscheidend ist, dass der Wille zum Ausdruck kommt, Befreiungswirkung und Rückgewährpflicht herbeizuführen, dass also die beiderseitigen Leistungspflichten gegenstandslos werden sollen und das bereits Geleistete rückabzuwickeln ist. Eine konkludente Rücktrittrittserklärung liegt z. B. vor, wenn der Rücktrittsberechtigte „sein Geld“ zurückverlangt.

7 Auf das vertragliche Rücktrittsrecht ist § 218 nicht anwendbar (str.), s. MüKo/Grothe, Bd. 1a § 218 Rdn. 2 m. w. N. 8 Nach den allgemein anerkannten ungeschriebenen Regeln setzt die Verwirkung ein Zeit- und ein Umstandselement voraus, s. näher hierzu Bamberger/Roth/Grothe, § 346 Rdn. 6.

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§ 48 III 2

Leistungsstörungen

III. Wirkungen des Rücktritts 1. Allgemeines 536

Im Fall des Rücktritts haben die Parteien einander Zug um Zug (§ 348) die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Die Regelung in § 346 I macht deutlich, dass der Rücktritt nur obligatorisch wirkt. Mit dem Rücktritt fällt nicht etwa das Eigentum automatisch zurück. Die Stellung eines Dritterwerbers bleibt deshalb vom Rücktritt grundsätzlich unberührt.9 Verfügungsgeschäfte können nicht unter einen vertraglichen Rücktrittsvorbehalt gestellt werden: Die Unsicherheit für den Rechtsverkehr wäre zu groß.10 Freilich können Verfügungen, falls dies zulässig ist (s. z. B. § 388 S. 2, 925 II), auflösend bedingt durch den Rücktritt getroffen werden, § 158 II. Haben die Parteien dies vereinbart, endet die Wirkung der Verfügung mit Ausübung des Rücktritts. Die auflösende Bedingung hat niemals rückwirkende Kraft, §§ 158 II, 159, übrigens ein Argument für die ex-nunc-Wirkung auch des Rücktritts. Beabsichtigen die Parteien eine Rückwirkung der Rückgängigmachung der Verfügung, so hat dies lediglich obligatorische Bedeutung. Sie müssen einander so stellen, als ob die Übereignung, Zession, die Erfüllung usw. niemals stattgefunden hätte, § 159. Die Rückabwicklung nach Eintritt einer auflösenden Bedingung erfolgt nach Bereicherungsrecht.11 Die h. M. nimmt an, dass die Vereinbarung der Rücktrittsmöglichkeit in der Regel nicht zugleich die auflösende Bedingung der Verfügung enthält. Einen gesetzlichen Fall, in dem eine Verfügung gewandelt wird, dh mit dinglicher Wirkung ex nunc rückgängig gemacht wird, enthält § 365 (s. o. Rdn. 322, anders die h. M.). Beim finanzierten Abzahlungsgeschäft wirkt infolge „einheitlicher“ Behandlung des Kauf- und des Darlehensgeschäfts das Rückabwicklungsverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer auch gegen das Finanzierungsinstitut, vgl. unten Rdn. 1106.

Die Kosten und Gefahr der Rücksendung trägt zwar im Prinzip der Rückgewährschuldner (Umkehrschluss zu § 357 II 2).12 Befindet sich der Leistungsort allerdings beim Rückgewährschuldner, treffen Kosten und Gefahr den Gläubiger. So befindet sich der Leistungsort beim gesetzlichen Rücktrittsrecht regelmäßig dort, wo sich die Sache vertragsgemäß befindet (h. M.).13 Beispiel: V verkauft dem K (Sitz in München) Dachziegel, mit denen er verabredungsgemäß ein Haus in Rosenheim eindeckt. Die Dachziegel sind mangelhaft. Tritt K gem. §§ 437 Nr. 2 wirksam vom Kaufvertrag zurück, ist der Leistungsort für den Rückgewähranspruch nach h. M. Rosenheim. V trägt deshalb die Kosten für den Abtransport der Ziegel von Rosenheim, einschließlich der Kosten für das Abdecken des Hauses.14

2. Ansprüche auf Wertersatz, Herausgabe der Surrogate und Schadensersatz 537

Ist die (vollständige) Herausgabe der empfangenen Leistungen oder der gezogenen Nutzungen aus welchen Gründen auch immer nicht möglich, kann der Gläubiger hierfür Ansprüche auf Ersatz in Geld haben. Zu unterscheiden sind einerseits Ansprüche, 9 10 11 12 13

BGHZ 27, 95. Bamberger/Roth/Grothe, Vor § 346 Rdn. 4. A. M. Palandt/Heinrichs, § 159 Rdn. 1: In erster Linie aus dem auflösend bedingten Vertrag. Bamberger/Roth/Grothe, § 346 Rdn. 9. BGH NJW 1983, 1479 (1480); Palandt/Heinrichs, § 269 Rdn. 16; a. A. Bamberger/Roth/Grothe, Vor § 346 Rdn. 16: Sitz des Rücktrittsberechtigten. Für Rücktritt wegen Mängelgewährleistung plädiert MüKo/Gaier, Bd. 2a § 346 Rdn. 19 in Anlehnung an die §§ 439 II, 635 II für eine prinzipielle Kostentragungspflicht des Verkäufers, bzw. Unternehmers. Zum Erfüllungsort der Nacherfüllung s. u. Rdn. 861. 14 BGH NJW 1983, 1479 (1480); hierzu Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rdn. 39.

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Rücktritt

§ 48 III 2

die unabhängig von einem Vertretenmüssen des Schuldners bestehen, nämlich Ansprüche auf Wertersatz (§§ 346 II, 347 I 1) und Herausgabe der Surrogate (§ 285), und andererseits die von einem Vertretenmüssen abhängigen Schadensersatzansprüche (§ 346 IV). Für die Wertersatzansprüche unterscheidet § 346 II 1 verschiedene Konstellationen. Nach Nr. 1 ist Wertersatz zu leisten, wenn die Rückgewähr (erg: „der empfangenen Leistungen“) oder die Herausgabe (erg: „der gezogenen Nutzungen“) nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist. Die erste Alternative (Rückgewähr) betrifft z. B. Dienstleistungen oder Unterlassungspflichten. Die zweite Alternative (Herausgabe) betrifft Nutzungen, also Früchte und Gebrauchsvorteile (§ 100), und zwar unabhängig davon, ob die Überlassung einer Sache zur Nutzung Hauptleistungspflicht des Vertrags war.15 Nach Nr. 2 bestehen Wertersatzansprüche bei Verbrauch, Veräußerung, Belastung, Verarbeitung oder Umgestaltung des empfangenen Gegenstands. Als Auffangtatbestand dient Nr. 3, wonach allgemein die Verschlechterung oder der Untergang des empfangenen Gegenstands eine Wertersatzpflicht auslöst. Die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung bleibt nach der ausdrücklichen Regelung allerdings außer Betracht. Ingebrauchnahme ist von Gebrauch zu unterscheiden. Gemeint ist der Wertverlust, der durch die erste Benutzung einer neuen Sache entsteht, beispielsweise der Wertverlust, der allein durch die Neuzulassung eines Kfz entsteht.16 Der normale Verschleiß ist keine „Verschlechterung“ i. S. v. Nr. 3, da hierfür bereits Nutzungsherausgabe nach Nr 1 geschuldet wird.17 Für die Berechnung des Wertersatzes gibt § 346 II 2 eine Hilfestellung: Eine im Vertrag festgelegte Gegenleistung ist auch nach dem Rücktritt maßgebend. Für nicht gezogene Nutzungen kann nach § 347 I eine Ersatzpflicht bestehen. Beispiel: K tritt aufgrund eines Sachmangels nach einem Jahr wirksam vom Kaufvertrag zurück, den er mit V über einen neuen Pkw abgeschlossen hat. Gem. § 346 I muss V dem K den Kaufpreis zurückzahlen und K dem V den mangelhaften Wagen zurückgeben und -übereignen. Zusätzlich schuldet K dem V gem. § 346 II 1 Nr. 1 Herausgabe der gezogenen Nutzungen, wozu gem. § 100 auch die Gebrauchsvorteile gehören. Die einjährige Nutzung des Wagens ist für K also nicht etwa gratis. Zur Ermittlung des Nutzungswerts ist der (aufgrund des Sachmangels geminderte) Kaufpreis in Beziehung zur Gesamtnutzungsdauer zu setzen und hieraus der Wert für den Nutzungszeitraum zu ermitteln. Bei Kfz wird auf die gefahrenen Kilometer abgestellt. Die Nutzungsentschädigung wird für 1.000 km auf 0,4 % bis 1 %des Kaufpreises geschätzt.18 Den sog. „Zulassungsschaden“ trägt dagegen der V, 346 II 1 Nr. 3 Halbs. 2.

In bestimmten Fällen ist es unbillig, den Rückgewährschuldner mit einer Wertersatzpflicht zu belasten. Dies ist gem. § 346 III 1 der Fall, wenn sich der den Rücktritt auslösende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung gezeigt hat (Nr. 1), soweit der Gläubiger für die Verschlechterung oder den Untergang verantwortlich ist,

15 Palandt/Grüneberg, § 346 Rdn. 8. Die Gegenmeinung, welche (in Übereinstimmung mit dem alten Recht) Nutzungen nur dann dem § 346 II 1 Nr. 1 unterfallen lässt, wenn sie Gegenstand einer Hauptleistungspflicht sind (MüKo/Gaier, Bd. 2a § 346 Rdn. 21), hat sich durch das OLGVertrÄndG v. 23. 7. 2002 (BGBl. I 2850) erledigt: § 346 II 1 am Anfang erfasst jetzt ganz allgemein auch die „Herausgabe“ von Nutzungen. 16 GesBegr BT-Drs 14/6040, 196. 17 GesBegr BT-Drs 14/6040, 193, 196. Zum selben Ergebnis kommt die Auffassung, nach der zwar eine Verschlechterung i. S. v. Nr. 3 vorliegt, die Ausnahme in Halbs. 2 für die „Ingebrauchnahme“ aber ganz allgemein auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch erstreckt werden sollte, so z. B. Perkams, Jura 2003, 150 m. w. N. 18 Palandt/Grüneberg, § 346 Rdn. 10.

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§ 48 III 2

Leistungsstörungen

bzw der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre (Nr. 2), oder wenn der Rücktrittsschuldner im Fall eines gesetzlichen Rücktrittsrechts zumindest die diligentia quam in suis (§ 277) beobachtet hat (Nr. 3). In all diesen Fällen braucht der Rückgewährschuldner also nicht mehr zu leisten, obwohl er die von ihm erbrachte Leistung voll zurückverlangen kann. Besondere Schwierigkeiten bereitet dabei die Privilegierung des Rücktrittsschuldners nach § 346 III 1 Nr. 3: 19 Die Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass eine uneingeschränkte Haftung des Rücktrittsschuldners auf Wertersatz im Fall des gesetzlichen Rücktrittsrechts nicht angemessen erscheint, da der Rücktrittsberechtigte ja in der Regel (im Gegensatz zum vertraglichen Rücktrittsrecht20) zunächst nichts von seinem Rücktrittsrecht weiß. Die Parteien können beim gesetzlichen Rücktrittsrecht, wie es in der Gesetzesbegründung heißt, „zunächst davon ausgehen, dass der ihnen übertragene Gegenstand endgültig Bestandteil ihres Vermögens geworden ist.“ 21 Die gesetzliche Regelung stellt den Rücktrittsberechtigten deshalb von einer Wertersatzpflicht frei, solange er die in eigenen Angelegenheiten übliche Sorgfalt beachtet. Da jedenfalls vor Kenntnis des Rücktrittsrechts keine Pflichten des Schuldners bestehen, ist der Begriff der Sorgfaltspflicht in diesem Zusammenhang untechnisch zu verstehen. Gemeint ist – wie in § 254 – ein Verschulden gegen sich selbst.22 Der Rücktrittsberechtigte hat diejenige Sorgfalt zu beachten, die erforderlich ist, um sich selbst vor Schaden zu bewahren.23 Er darf also mit dem Leistungsgegenstand so umgehen, wie er es auch sonst mit seinen anderen Sachen tut.24 Grenze ist wegen § 277 die Schwelle der groben Fahrlässigkeit. § 346 III Nr. 3 hat einen systematischen Bezug zu den Regeln über die Gefahrtragung. Eigentlich geht beim Kauf gem. § 446 mit der Übergabe die Preisgefahr auf den Käufer über: Er trägt das Risiko des zufälligen Untergangs der Sache, muss also zahlen, obwohl die Kaufsache untergegangen ist. Im Falle des Rücktritts tritt an die Stelle der Pflicht zur Kaufpreiszahlung (wirtschaftlich gesehen) die Wertersatzpflicht aus § 346 II. § 346 III sorgt durch den Wegfall der Wertersatzpflicht zu einem „Zurückspringen“ der Gefahr auf den Verkäufer. Dies hat beim gesetzlichen Rücktrittsrecht (§ 346 III 1 Nr. 3) seinen Grund in der Pflichtverletzung des Verkäufers: Wer eine Pflicht verletzt (mit der Konsequenz eines Rücktrittsrechts für die andere Seite, also den Käufer), darf nicht darauf vertrauen, dass der Gefahrübergang auf den anderen Teil von Dauer ist.25 Hieraus folgt auch der Bedarf nach einer teleologischen Reduktion der Vorschrift. Lag dem gesetzlichen Rücktrittsrecht keine Pflichtverletzung zu Grunde (z. B. § 313 III 1), ist die Privilegierung des Rücktrittsberechtigten ausgeschlossen.26

19 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, XL, bezeichnet diese Regelung als die wohl wichtigste und zugleich heikelste Regelung des neuen Rücktrittsrechts. 20 Allerdings ist die Vorschrift analog auf vertragliche Rücktrittsrechte anzuwenden, die einem gesetzlichen Rücktrittsrecht (z. B. § 323 oder Mängelgewährleistung) nachgebildet sind, Palandt/ Grüneberg, § 346 Rdn. 13. 21 GesBegr BT-Drs 14/6040, 195. 22 MüKo/Gaier, Bd. 2a § 346 Rdn. 58. 23 BGHZ 9, 316 (318). 24 Zahlreiche Beispiele finden sich bei Hager, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht § 5 Rdn. 35. 25 GesBegr BT-Drs 14/6040, 196. Die Zurückverlagerung der Gefahr auf den Verkäufer im Fall des zufälligen Untergangs der Sache ist nicht selbstverständlich, kritisch hierzu S. Lorenz, in: Schulze/ Schulte-Nölke, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts S. 329 (343 ff), auch mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 26 Bamberger/Roth/Grothe, § 346 Rdn. 31 m. w. N.

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Rücktritt

§ 48 III 2

Umstritten ist die Frage, ob sich an der Privilegierung des Rücktrittsschuldners etwas ändert, wenn dieser von seinem gesetzlichen Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt. Immerhin kann sich der Rücktrittsberechtigte ab diesem Zeitpunkt – wie beim vertraglichen Rücktrittsrecht – darauf einstellen, dass der Gegenstand bei Ausübung des Rücktrittsrechts zurückzugeben sein wird. Aus diesem Grund wird von einem Teil der Literatur gefordert, das Privileg des § 346 III 1 Nr. 3 ab Kenntnis vom Rücktrittsgrund entfallen zu lassen.27 Die Konsequenz besteht allerdings darin, dass der Rücktrittsberechtigte auch für die zufällige Verschlechterung oder den zufälligen Untergang haften würde. Eine Zufallshaftung soll nach der Regelung in § 287 S. 2 aber erst bei Verzug eintreten. Zudem lässt sich aus § 357 III 3 ableiten (keine Privilegierung des Widerrufsberechtigten ab Kenntnis vom Widerrufsrecht), dass die Kenntnis vom Rücktrittsrecht unschädlich ist. Schließlich wird der Rücktrittsschuldner häufig auf die zwischenzeitliche Benutzung des Gegenstands (z. B. des Autos oder des Elektrogeräts) angewiesen sein. Dies spricht dagegen, ihn für die damit verbundenen Risiken haften zu lassen, zumal sich der Gesetzgeber gegen den früher vertretenen Haftungsgrund der Risikoerhöhung ausgesprochen hat.28 Eine Privilegierung des Rücktrittsberechtigten auch nach Kenntnis stellt den Rücktrittsgegner nicht rechtlos: Dieser kann vielmehr gem. § 346 IV einen Schadensersatzanspruch gegen den Rücktrittsberechtigten haben (dazu sogleich). Aus dem Verhältnis zum Schadensersatzanspruch ergibt sich allerdings ein Korrekturbedarf bei § 346 III 1 Nr. 3: Da der Wertersatzanspruch von seiner Systematik nicht höhere Anforderungen als der weitergehende Schadensersatzanspruch haben sollte, hat der Rücktrittsberechtigte ab Kenntnis vom Rücktrittsgrund auch für einfache Fahrlässigkeit und nicht lediglich für seine eigenübliche Sorgfalt einzustehen.29 Auch wenn die Wertersatzpflicht entfällt, ist der Schuldner zur Herausgabe einer etwaigen Bereicherung verpflichtet, § 346 III 2. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung.30 – Schließlich hat der Rückgewährgläubiger einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Herausgabe der Surrogate gem. § 285. Hat der Rückgewährschuldner also für die Zerstörung des Gegenstands einen Anspruch gegen den Schädiger oder eine Versicherung erlangt, kann der Gläubiger Abtretung dieser Ansprüche verlangen. Das gleiche gilt für den Verkaufserlös, den der Rückgewährschuldner durch die Veräußerung des Gegenstands erzielt hat.31 § 346 IV stellt klar, dass der Gläubiger neben dem Wertersatzanspruch Schadensersatzansprüche nach den allgemeinen Regeln der §§ 280 bis 283 haben kann. Hierfür sind insbesondere Pflichtverletzung und Vertretenmüssen erforderlich. Der Schadensersatzanspruch ist deshalb von Interesse, weil er in seinem Umfang über den Anspruch auf Wertersatz hinausgeht. Erfasst wird z. B. auch die – nach § 346 II 1 Nr. 3 Halbs. 2 vom Wertersatz ausgeschlossene – durch die Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung, also z. B. die Wertminderung, die allein durch die amtliche Zulassung eines Kfz entsteht.32

27 Hager, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht § 5 Rdn. 34. 28 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 196, und hierzu Canaris Schuldrechtsmodernisierung 2002, XLIV. Wie hier Palandt/Grüneberg, § 346 Rdn. 13a. 29 So auch Jauernig/Stadler, § 346 Rdn. 8; Kaiser, JZ 2001, 1057 (1064); Perkams, Jura 2003, 150 (152); Rheinländer, ZGS 2004, 178 (180). 30 MüKo/Gaier, Bd. 2a § 346 Rdn. 60. 31 GesBegr BT-Drs 14/6040, 194. 32 GesBegr BT-Drs 14/6040, 194, 196.

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§ 48 III 3

Leistungsstörungen

Beispiel: Der Verkäufer eines neuen Pkw tritt vom Kaufvertrag gem. § 323 I wirksam zurück, weil der Käufer nicht zahlt. Hat der Käufer die Nichtleistung zu vertreten (wovon bei einer Zahlungspflicht auszugehen ist), hat der Verkäufer gegen den Käufer (neben dem Anspruch aus § 346 II 1 Nr. 1 auf Nutzungsersatz) einen Anspruch gem. § 346 IV i. V. m. § 281 I 1 auf Ersatz des Zulassungsschadens, also auf die Wertminderung, die dadurch entsteht, dass der Käufer den Wagen amtlich zugelassen hat. Der Schadensersatzanspruch ist für V deshalb von besonderem Interesse, weil dieser Schadensposten wegen § 346 II 1 Nr. 3 Halbs. 2 nicht vom Anspruch auf Wertersatz umfasst wird.

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Umstritten ist die Frage, was genau in § 346 IV mit der „Verletzung einer Pflicht aus Absatz 1“ gemeint ist. Nach enger Auslegung sind die Pflichten aus § 346 I nur solche, die durch die Rücktrittserklärung ausgelöst werden. Schadensersatz kommt nach dieser Auffassung nur für haftungsbegründende Ereignisse nach Erklärung des Rücktritts in Frage.33 Richtigerweise wird man § 346 IV aber keine solche Einschränkung entnehmen können, sondern die Vorschrift auch auf Pflichtverletzungen vor der Rücktrittserklärung anzuwenden haben.34 Die dogmatische Konstruktion bereitet zwar Schwierigkeiten, da eine objektiv zu verletzende Rückgewährpflicht erst ex nunc mit der Rücktrittserklärung entsteht. Man wird deshalb auf Pflichten im Umgang mit der Sache abstellen müssen. Eine Schadensersatzhaftung für Verhaltensweisen schon vor Erklärung des Rücktritts entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers.35 Schließlich ergibt ein Vergleich zum Ausschluss weiterer Ansprüche beim Widerrufsrecht in § 357 IV, dass § 346 IV lediglich die „Klarstellung“ 36 enthält, dass die Vorschriften über den Wertersatz die Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts nicht ausschließen. Beim gesetzlichen Rücktrittsrecht entstehen Pflichten zur sorgsamen Behandlung des empfangenen Gegenstands mit der Kenntnis oder dem Kennenmüssen des Rücktrittsgrunds.37 Für das Kennenmüssen und die hierdurch ausgelösten Umgangspflichten gilt in Analogie zu § 346 III 1 Nr. 3 der Sorgfaltsmaßstab der diligentia quam in suis. In Parallele zu der hier vertretenen Ansicht zum Wertersatz haftet der Rücktrittsschuldner dagegen ab Kenntnis vom Rücktrittsgrund auch für einfache Fahrlässigkeit (alles sehr str und bislang ungeklärt).38 Beim vertraglichen Rücktrittsrecht müssen sich die Vertragspartner ohnehin von Anfang darauf einrichten, dass vom Rücktrittsrecht möglicherweise auch Gebrauch gemacht wird. Pflichtwidrig ist hier – ohne jede Privilegierung, da § 346 III 1 Nr. 3 gerade nicht für das vertragliche Rücktrittsrecht gilt – jede übermäßige oder unsorgfältige Verwendung.39 3. Anspruch des Schuldners auf Verwendungsersatz

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Gibt der Schuldner gem. § 346 I den Gegenstand zurück, leistet er gem. § 346 II Wertersatz, oder ist seine Wertersatzpflicht gem. § 346 III 1 Nr. 1 oder 2 ausgeschlossen, kann er Ersatz der notwendigen Verwendungen gem. § 347 II 1 verlangen, bei Rückgewähr eines Autos also z. B. die Kosten für einen Ölwechsel, bei Rückgewähr eines 33 Kaiser, JZ 2001, 1057 (1059); S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 434; Perkams, Jura 2003, 150 (153); Rheinländer, ZGS 2004, 178 (181). Es stellt sich dann allerdings die Frage, ob die §§ 280 ff in isolierter Form, also ohne den Umweg über § 346 IV anzuwenden sind. 34 Bamberger/Roth/Grothe, § 346 Rdn. 35; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, XLVI; Palandt/Grüneberg, § 346 Rdn. 15. 35 GesBegr BT-Drs 14/6040, 195. 36 So ausdrücklich GesBegr BT-Drs 14/6040, 196. 37 Bamberger/Roth/Grothe, § 346 Rdn. 37. 38 Zum Streitstand s. Palandt/Heinrichs, § 346 Rdn. 18. 39 Bamberger/Roth/Grothe, § 346 Rdn. 36.

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Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen

§ 49 I 1

Tiers die Kosten für das Futter. Andere Aufwendungen, also solche, die nicht unter die Kategorie der notwendigen Verwendungen fallen, kann er nur nach Bereicherungsrecht verlangen.

IV. Besondere Rücktrittsrechte Sonderregeln über den Rücktritt enthalten §§ 651i (Reisevertrag), 1298 ff (Verlöbnis), 2293 ff (Erbvertrag) und 16 ff VVG (Versicherungsvertrag). Von 1987 bis 2004 galt auf dem Gebiet des unlauteren Wettbewerbs ein besonderes Rücktrittsrecht in § 13a UWG a. F. Es galt zugunsten von Abnehmern, die durch unwahre und irreführende Werbung zum Abschluss eines Vertrags bewegt wurden. Die Vorschrift erlangte allerdings keine praktische Wirksamkeit, wohl weil allgemeine bürgerlichrechtliche Rechtsbehelfe (insbesondere Anfechtung nach den §§ 119, 123 und Gewährleistungsrecht) frei mit dieser Vorschrift konkurrierten. Durch die UWG-Novelle des Jahres 2004 wurde § 13a UWG a. F. deshalb ersatzlos gestrichen.

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§ 49 Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen Dethloff, Jura 2003, 730, 798; Grigoleit, NJW 2002, 1151; Habersack/Mayer, WM 2002, 253; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997) 122 ff; Mankowski, in: Schulze/SchulteNölke (2001) 357; Meub, DB 2002, 359; Micklitz, EuZW 2001, 133; Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluss (2005); Reiner, AcP 203 (2003) 1; Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht (2002) § 12; Schirmbacher, Verbrauchervertriebsrecht (2005).

I. Verbraucherschutz im Privatrecht Bülow/Arzt (Hrsg.), Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005); Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998); ders., FS Sonnenberger (2004) 771; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts (2004); Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts (1996); Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981); Martis/Meinhof, Verbraucherschutzrecht, 2. Aufl. (2005); Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht (2005); Micklitz, EWS 2006, 1; Micklitz/Pfeiffer/Tonner/ Willingmann (Hrsg.), Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001); Möllers, JuS 1999, 1191; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003); W.-H. Roth, JZ 2001, 475; K. Schmidt, JuS 2006, 1; Stauder/Langer/Schaffelhuber, JKR 2001 (2002) 195.

1. Vorgaben im Gemeinschaftsrecht In Art. 3 lit. t) EG wird die Verbesserung des Verbraucherschutzes ausdrücklich als Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft aufgeführt. Nach der Konkretisierung in Art. 153 I EG wird davon auch der Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher erfasst. Dazu soll u. a. das Recht der Verbraucher auf Information gefördert werden. Entsprechend hat der EuGH in seiner Rechtsprechung das Verbraucherleitbild des „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen“ Verbrauchers entwickelt.1 Durch Information soll die Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers verbes1 S. nur EuGH, 16. 7. 1998, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Slg. 1998, I-4657 Tz. 31.

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§ 49 I 2

Leistungsstörungen

sert werden, damit der Wettbewerbsmechanismus die besten Ergebnisse hervorbringen kann. Da selbst bei Verfügbarkeit der notwendigen Informationen die Kosten und Mühen der Informationsverarbeitung hoch sind, wird der Verbraucher dennoch häufig einen niedrigeren Informationsstand als der ihm gegenüberstehende Unternehmer haben. Dies ist nicht etwa Ausdruck einer „angeborenen sozialen Schwäche des Verbrauchers gegenüber der Anbieterseite“,2 sondern Folge des Phänomens, das man in der Wirtschaftswissenschaft „Informationsasymmetrie“ aufgrund „rationaler Unwissenheit“ und der damit verbundenen „eingeschränkten Rationalität“ nennt.3 Der europäische Gesetzgeber hat hierauf mit einer Fülle von Richtlinien reagiert, von denen die Mehrzahl das Vertragsrecht betrifft.4 Diese Richtlinien enthalten häufig eines oder mehrere der folgenden Elemente: Informationspflichten zu Lasten des Unternehmers, Formerfordernisse für den Abschluss des Vertrags und ein Widerrufsrecht zu Gunsten des Verbrauchers. Betreffen die Richtlinien konkrete Vertragstypen (z. B. PauschalreiseRiLi, Verbrauchsgüterkauf-RiLi), werden die Vertragspflichten näher konkretisiert. Alle diese Vorgaben sind in der Regel halbzwingend ausgestaltet, d. h. es kann hiervon nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden, selbst wenn sich dieser einverstanden erklärt (s. § 312 f S. 1). Ursprünglich waren wichtige Verbraucherschutzrichtlinien in Sondergesetzen außerhalb des BGB umgesetzt (AGBG, FernabsatzG, HaustürWG, Teilzeit-WohnrechteG, VerbraucherkreditG). Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden diese Materien ins BGB inkorporiert. In amtlichen Fußnoten wird zudem kenntlich gemacht, auf welcher europäischen Richtlinie die Regelung im BGB jeweils beruht. Dies ist wichtig für die Auslegung: Nationales Recht, das der Umsetzung europäischer Richtlinien dient, ist richtlinienkonform auszulegen.5

2. Unternehmer und Verbraucher 546

Die Anwendung verbraucherschützender Normen setzt voraus, dass auf der einen Seite ein Unternehmer, auf der anderen Seite ein Verbraucher am Abschluss des Rechtsgeschäfts beteiligt ist. Die Definitionen hierfür finden sich den §§ 13, 14. Nur natürliche Personen können Verbraucher sein, während die Unternehmereigenschaft selbstverständlich auch juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften zukommen kann. Ansonsten kommt es auf den Zweck des jeweiligen Geschäfts an. Geht es um die Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit, liegt Handeln als Unternehmer vor,6 sonst handelt es sich um einen Verbraucher.7 Hieraus folgt, dass natürliche Personen je nach dem Zweck ihrer Tätigkeit einmal Verbraucher, einmal Unternehmer sein können. 2 Gegen eine solche Sichtweise die grundlegende Untersuchung von Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) mit Zitat auf S. 395. 3 S. z. B. Richter/Furubotn Neue Institutionenökonomik 3. Aufl. (2003) 100 f, 192 f. Von juristischer Seite s. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001). 4 Abgedruckt z. B. bei Schulze/Zimmermann, Basistexte zum Europäischen Privatrecht 3. Aufl. (2005). Umfassende Darstellungen bei Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999); Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht 4. Aufl. (2003). 5 S. nur EuGH, 13.11. 1990, Rs. C-106/89 – Marleasing, Slg. 1990, I-4135 Tz. 8; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung (1994). 6 Und zwar auch bereits dann, wenn das betreffende Geschäft der Aufnahme der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit dient (Existenzgründung), BGH NJW 2005, 1273, arg. § 507. 7 Verbraucher ist (je nach Schutzzweck der Norm) auch der Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrags, BAG NJW 2005, 3305.

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Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen

§ 49 II 1

Gewerbe ist (weiter als der Begriff des Handelsgewerbes in § 1 II HGB) jedes planmäßige Angebot von Waren oder Dienstleistungen gegen Geld mit Ausnahme der freien Berufe; diese fallen aber unter den Begriff der selbständigen beruflichen Tätigkeit.

Schwierigkeiten bereitet die Zuordnung in den Fällen, in denen sich der Abschluss des Rechtsgeschäfts nicht eindeutig einem privaten oder einem unternehmerischen Zweck zuordnen lässt („dual use“: z. B. Anschaffung eines PC, der gewerblich und privat genutzt werden soll). Hier ist auf den Schwerpunkt der geplanten Nutzung abzustellen (str.).8 Derjenige, der sich auf verbraucherschützende Vorschriften beruft, trägt allerdings die Beweislast dafür, dass er beim Abschluss des Rechtsgeschäfts Verbraucher war, also im Schwerpunkt private Zwecke verfolgte.

II. Besondere Vertriebsformen Die gesetzliche Ausgestaltung des Widerrufs- und Rückgaberechts unterscheidet zwei Stufen: Die §§ 355 ff enthalten allgemeine Regeln über Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufs-, bzw. Rückgaberechts (s. u. III.). Die Frage dagegen, ob dem Verbraucher ein solches Recht zusteht, ist im Gesetz an verschiedenen Stellen, nämlich im jeweiligen Sachzusammenhang geregelt. Wichtige Widerrufs- und Rückgaberechten finden sich in den §§ 312 ff, also im Untertitel über die besonderen Vertriebsformen. Daneben wird dem Verbraucher ein Widerrufsrecht auch beim Teilzeit-Wohnrechtevertrag (§ 485), beim Verbraucherdarlehensvertrag (§ 495), bei Finanzierungshilfen (§§ 499 ff) und beim Ratenlieferungsvertrag (§ 505 I) eingeräumt (hierzu später im jeweiligen Zusammenhang). Außerhalb des BGB findet sich ein verbraucherschützendes Widerrufsrecht z. B. im Fernunterrichtsschutzgesetz.

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1. Haustürgeschäfte Zweck des Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften gem. § 312 ist der Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung und übereilten Entschlüssen. Er soll nicht durch psychischen Druck, z. B. aufdringliche Vertreter, in seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt werden. Hat der Verbraucher in einer Haustürsituation einen Vertrag geschlossen, kann er sich durch einen Widerruf hiervon wieder lösen. Die Regelung beruht auf der europäischen Haustürgeschäfte-Richtlinie von 1985. § 312 setzt zunächst voraus, dass ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher über eine entgeltliche Leistung vorliegt. Dies wird häufig ein Kaufvertrag sein, aber auch alle anderen entgeltlichen Vertragstypen sind erfasst (z. B. Werkvertrag, Miete oder Leasing). Dabei muss es sich um ein Haustürgeschäft handeln. Der Begriff ist in § 312 I 1 legaldefiniert und erfasst neben der eigentlichen Haustürsituation, nämlich einer Kontaktaufnahme im Bereich einer Privatwohnung 9 auch mündliche Verhandlungen am Arbeitsplatz (Nr. 1), bei Freizeitveranstaltungen (Nr. 2), z. B. Kaffeefahrten, Weinprobe oder Tombola, sowie das überraschende Ansprechen in Verkehrs-

8 Die Gegenmeinungen nehmen in diesen Fällen entweder stets privates, bzw stets unternehmerisches Handeln an, s. den Nachweis des Streitstands bei Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch, § 13 Rdn. 7. Der EuGH (NJW 2005, 653) bejaht in bezug auf den Verbrauchergerichtsstand des Art. 13 EuGVÜ die Verbrauchereigenschaft nur dann, wenn der beruflich-gewerbliche Zweck eine ganz untergeordnete Rolle spielt. 9 Zum „Bereich“ der Privatwohnung gehören auch Hausflur, Garten, Garage oder Parkplatz, s. BGH NJW 2006, 845 (846).

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§ 49 II 1

Leistungsstörungen

mitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen (Nr. 3), z. B. auch in Bahnhöfen oder Flughäfen. Der BGH hatte das Vorliegen einer Haustürsituation verneint, wenn man im Weg der Telefonwerbung in seiner Privatwohnung angesprochen wird (BGHZ 132, 1). Regeln über den Fernabsatz existierten damals noch nicht. Die durch diese Entscheidung ausgelöste Kontroverse hat sich dadurch erledigt, dass in diesen Fällen nunmehr eine Fernabsatzsituation vorliegt (s. § 312b II), so dass der Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312d I 1 hat. – Schwierigkeiten bereitet der Begriff der Freizeitveranstaltung. Der BGH legt diesen Begriff restriktiv aus und verlangt, dass Unterhaltungsangebot und Verkaufsangebot so miteinander verwoben sind, dass der Verbraucher in eine unbeschwerte Stimmung versetzt wird und sich einem Geschäftsabschluss nur schwer entziehen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor bei großen Ausstellungen oder Messen, wo der Verbraucher nicht in emotionalen Kaufdruck gerät und außerdem den Händlern unschwer ausweichen kann.10

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Der Verbraucher muss durch die Haustürsituation zum Abschluss des Vertrags bestimmt worden sein. Kausalität ist schon dann zu bejahen, wenn die mündlichen Verhandlungen einen von mehreren Beweggründen für die Abgabe der Willenserklärung darstellen. Es kommt nur darauf an, dass der Vertrag andernfalls nicht zu diesen Bedingungen oder zu dieser Zeit geschlossen worden wäre.11 Bei größerem zeitlichem Abstand zwischen Vertragsverhandlung und Vertragsschluss ist zu prüfen, ob die Überraschungswirkung noch anhält. Haustürsituationen seiner Vertreter und Vermittler hat sich der Unternehmer zurechnen zu lassen. Geht die Einwirkung von einem Dritten aus, so hat der BGH zunächst in Anlehnung an § 123 II darauf abgestellt, ob der Unternehmer das Vorliegen einer Haustürsituation kannte oder hätte kennen müssen.12 Dies ist nicht gemeinschaftsrechtskonform, da die Haustür-RiLi eine entsprechende Einschränkung nicht kennt.13 Der BGH hat seine Rechtsprechung entsprechend angepasst.14 Haustürsituationen sind bei Vorliegen aller Voraussetzungen von § 312, insbesondere auch des Kausalitätserfordernisses, also stets dem Unternehmer zuzurechnen.

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Gem. § 312 III besteht das Widerrufsrecht nicht bei Versicherungsverträgen (s. hierzu §§ 5a, 8 IV, V VVG). Es besteht auch nicht, wenn im Fall des § 312 I 1 Nr. 1 die mündlichen Verhandlungen am Arbeitsplatz oder in der Privatwohnung auf vorherige Bestellung des Verbrauchers geführt worden sind. Die Bestellung muss im Hinblick auf ein konkretes Vertragsangebot erfolgt sein; die Aufforderung zur Warenpräsentation oder allgemein zur Information reicht nicht aus.15 Ebenfalls nicht ausreichend ist die Bestellung zu einem anderen Zweck: Wird ein Staubsaugervertreter bestellt, der dem Verbraucher dann ein Messerset aufschwatzt, kann später widerrufen werden. – Das Widerrufsrecht ist ferner ausgeschlossen bei Geschäften bis 40 Euro (wenn die Leistung sofort erbracht und bezahlt wird) oder bei notarieller Beurkundung (§ 312 III Nr. 2 und 3). Schließlich ist § 312 auch dann ausgeschlossen, wenn der Verbraucher nach anderen

10 BGH NJW 2002, 3100: Die „Grüne Woche“ in Berlin ist deshalb keine Freizeitveranstaltung i. S. v. § 312 I 1 Nr. 2. Ebenso BGH NJW 2004, 362 (Verbraucherausstellung „SIVA“) m. Anm. Rott, LMK 2004, 18. 11 BGHZ 131, 385. 12 S. z. B. BGH NJW 2004, 2731 (2732 f) m. w. N. 13 EuGH, 25. 10. 2005, Rs. C-229/04 – Crailsheimer Volksbank, NJW 2005, 3555, auf Vorlage des OLG Bremen NJW 2004, 2238. 14 BGH NJW 2006, 497; 2006, 1340. 15 BGHZ 109, 127.

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Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen

§ 49 II 2

Vorschriften ein Widerrufs- oder Rückgaberecht hat, § 312a. Das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften ist also bloß subsidiär.16 Beispiel: Wird an der Haustür ein Zeitschriftenabo vertrieben, besteht ein Widerrufsrecht nach §§ 505 I 1 Nr. 2. Wird für die bei einer Kaffeefahrt verkaufte Heizdecke Ratenzahlung vereinbart, ergibt sich das Widerrufsrecht aus §§ 501 S. 1, 495 I. – In beiden Fällen liegt tatbestandlich auch ein Haustürgeschäft vor; die anderen Widerrufsrechte gehen aber wegen § 312a vor.

2. Fernabsatzverträge Neben dem klassischen Einkauf vor Ort im Laden wird der Direktvertrieb immer wichtiger, bei dem die beiden Parteien keinen physischen Kontakt miteinander haben. Schon immer existierten Versandhäuser, bei denen nach Katalog oder Prospekt bestellt wird. Daneben sind das Teleshopping und der Direktvertrieb über das Internet getreten. Die Produkte werden im Fernsehen oder auf den Web-Seiten des Unternehmens nicht nur beworben, sondern die Bestellung kann direkt über das Telefon, Telefax oder das Internet erfolgen. Der Verbraucher profitiert hiervon, da sich die Angebotspalette erweitert, und die Transparenz gesteigert und der Wettbewerb intensiviert wird. Gleichzeitig vergrößert sich die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers. Da er sich weder vom Vertragspartner noch vom Vertragsgegenstand aus eigener, realer Anschauung ein Bild machen kann, kommt er nach den §§ 312b ff (beruhend auf der europäischen Fernabsatz-Richtlinie von 1997) in den Genuss der beiden klassischen verbraucherschützenden Instrumente, nämlich gesteigerter Informationspflichten zu Lasten des Unternehmers einerseits, und eines Widerrufsrechts (bzw. Rückgaberechts) andererseits. Exkurs: Eine im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelte Frage ist dagegen, ob der Unternehmer dazu berechtigt ist, dem Verbraucher unverlangte Werbung zukommen zu lassen. Man unterscheidet hier zwischen dem opt out- (Unbestellte Werbung ist so lange rechtmäßig, wie der Verbraucher nicht widersprochen hat) und dem opt in-Modell (Werbung nur rechtmäßig, wenn der Verbraucher vorher sein Einverständnis erklärt hat). Auf der Grundlage des UWG hat die deutsche Rechtsprechung unaufgeforderte Briefpostwerbung für zulässig erachtet, sofern nicht widersprochen wird (z. B. durch Aufkleber am Briefkasten, s. § 7 II Nr. 1 UWG).17 Unaufgeforderte Telefonwerbung („cold calling“) ist dagegen ebenso unlauter wie unverlangte Faxzusendungen, § 7 II Nr. 2 und 3 UWG.18 An dieser Rechtslage ändert sich nichts durch § 312c I 2, welcher voraussetzt, dass das Telefongespräch im konkreten Fall rechtmäßig ist.19 Unaufgeforderte e-mail-Werbung (sowohl individuelle als auch massenweise versendete, sog. „Spamming“) ist im deutschen Recht ebenfalls unzulässig, § 7 II Nr. 3, III UWG.20 In der Praxis greift das opt in-Modell jedoch häufig nicht, etwa wenn deutsches Recht nicht anwendbar ist, oder wenn sich der Versender in der Anonymität des Internet

16 Die gemeinschaftsrechtlichen Schwierigkeiten, die durch die strengere Fassung der Subsidiarität in § 312a a. F. verursacht wurden (s. EuGH, Heininger, NJW 2002, 281), wurden durch das OLGVertrÄndG v 23. 7. 2002 (BGBl. I 2850) mit Wirkung zum 1. 8. 2002 korrigiert, s. hierzu Meinhof, NJW 2002, 2273. 17 BGH NJW 1973, 1119. 18 So bereits BGH NJW 1989, 2820; NJW 1996, 660. 19 S. hierzu MüKo/Wendehorst, Bd. 2a § 312c Rdn. 13. 20 So bereits BGH NJW 2004, 1655 zum alten UWG; Fikentscher/Möllers, NJW 1998, 1337 (1342 f). Zwar sieht Art. 10 II Fernabsatz-RiLi für e-mail-Werbung das Opt-out-Modell vor, also grundsätzliche Zulässigkeit unbestellter e-mail-Werbung. Dies ist aber gem. Art. 14 der Richtlinie nur ein Minimalstandard, über den das nationale Recht hinausgehen kann. Die e-commerce-Richtlinie lässt diese Frage offen, arg. Art. 7 I Halbs. 2 und Erwägungsgrund 30 der Richtlinie. Zu den Ansprüchen im Verletzungsfall s. Baetge, NJW 2006, 1037.

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§ 49 II 2

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dem Zugriff entzieht. Hier helfen nur technische Mittel, um der Flut der unaufgeforderten e-mails Herr zu werden.

a) Anwendungsbereich 552

In persönlicher Hinsicht muss – wie immer bei verbraucherschützenden Normen – auf der einen Seite ein Unternehmer, auf der anderen ein Verbraucher stehen. Werden Gegenstände über das Internet von privat an privat verkauft, liegt deshalb kein Fernabsatzvertrag i. S. v. § 312b I vor. In sachlicher Hinsicht muss ein Fernkommunikationsmittel eingesetzt worden sein, s. die Definition in § 312b II, welche gleichermaßen die traditionellen und die elektronischen Fernkommunikationsmittel erfasst. Diese Verwendung muss im Prinzip eine ausschließliche sein: Wenn irgendwann im Stadium der Vertragsanbahnung oder des Vertragsabschlusses ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat, findet Fernabsatzrecht keine Anwendung.21 Etwas anderes gilt aber dann, wenn lediglich ein Bote eingesetzt wird, der zur Erteilung vertragsbezogener Auskünfte nicht in der Lage ist.22 Persönlicher Kontakt ist auch dann unschädlich, wenn er erst nach Vertragsschluss hergestellt wird, z. B. bei Leistungserbringung. – Die Fernabsatzregeln finden keine Anwendung, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines speziell für den Fernabsatz organisierten Systems erfolgt, 312b I 1 a. E. Wenn Bestellungen also nur gelegentlich per Telefon angenommen werden, sind die speziellen Schutzvorschriften für den Fernabsatz unanwendbar. – Ebenfalls unanwendbar ist Fernabsatzrecht in den in § 312b III aufgeführten Ausnahmebereichen, z. B. bei Versicherungsgeschäften (Nr. 3). b) Informationspflichten

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Gem. § 312c hat der Unternehmer dem Verbraucher bestimmte Informationen zukommen zu lassen, und das „klar und verständlich“ (Transparenzgebot). Dies muss in einer „dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise“ geschehen, d. h. bei einem Telefonat reichen im Gegensatz zu anderen Kommunikationsformen auch summarischen Angaben aus. Die Einzelheiten ergeben sich aus der in § 312c erwähnten BGB-Informationspflichten-Verordnung (BGB-InfoV).23 Danach muss der Unternehmer Angaben in Textform (§ 126b) machen ua über seine Identität, die wesentlichen Merkmale des angebotenen Produkts, den Preis, alle Kosten und die Zahlungsmodalitäten, sowie über die Einzelheiten des Widerrufs-, bzw. Rückgaberechts. Verstöße gegen die Informationspflichten können auch durch Verbandsklage nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) 24 geltend gemacht werden.25 c) Widerrufs-, bzw. Rückgaberecht

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Außerdem steht dem Verbraucher gem. § 312d I 1 ein Widerrufsrecht zu, das der Unternehmer gem. § 312d I 2 durch ein Rückgaberecht ersetzen kann. Widerrufs-, bzw. Rückgaberecht haben ihren Grund darin, dass der Verbraucher vor Abschluss des Ver-

21 22 23 24

Grigoleit, NJW 2002, 1151 (1152). BGH NJW 2004, 3699; MüKo/Wendehorst, Bd. 2a § 312b Rdn. 47. Abgedruckt im Schönfelder unter Nr. 22. Abgedruckt im Schönfelder unter Nr. 105. Bei wettbewerbswidrigem Verhalten ist auch an Individual- und Verbandsklagerechte nach dem UWG zu denken. 25 Eingehend zu den Informationspflichten und Sanktionsmöglichkeiten s. Grigoleit, NJW 2002, 1151 (1155 ff).

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Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen

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trags keine Möglichkeit hatte, sich das Produkt anzuschauen.26 Deshalb erhält er das Recht, sich die Sache noch einmal zwei Wochen (§ 355 I 2) zu überlegen. Informationspflichten und Widerrufsrecht werden in § 312d II miteinander verknüpft: Die Widerrufsfrist beginnt entgegen § 355 II 1 (s. u. unter III) nicht vor Erfüllung der Informationspflichten nach § 312c II. Kommt der Unternehmer seinen Informationspflichten also nicht oder nicht vollständig nach, kann sich der Verbraucher auch noch Monate später vom Vertrag lösen. Hierin liegt die wichtigste Sanktion für die Verletzung von Informationspflichten. – Das Widerrufsrecht ist ausgeschlossen in den in § 312d IV genannten Fällen. Hervorgehoben sei Nr. 1: Wurde die Ware nach Kundenspezifikation angefertigt oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten, kann nicht widerrufen werden. Der Grund besteht darin, dass die derart individualisierten Waren nur noch schwer anderweitig absetzbar wären. Gegenbeispiel: Keine Anfertigung nach Kundenspezifikation liegt allerdings vor, wenn die individuelle Herstellung leicht und ohne Schäden rückgängig gemacht werden kann. Wird beispielsweise ein Computer nach Kundenwunsch aus vorgefertigten Standardbauteilen zusammengesetzt, lässt er sich ohne Probleme wieder auseinanderbauen. Der Verbraucher behält sein Widerrufsrecht.27

Gem. § 312d IV Nr. 5 ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen, wenn der Vertrag in der Form einer Versteigerung geschlossen wurde. Dies setzt gem. § 156 einen „Zuschlag“ voraus. Daran fehlt es bei Internet-Auktionen, die nicht durch den Zuschlag eines Auktionators, sondern lediglich durch Angebot und Annahme der Parteien und den Ablauf einer vorher bestimmten Zeit zustande kommen.28 Einem Verbraucher steht also ein Widerrufsrecht auch in Bezug auf Sachen zu, die er bei einer solchen Internet-Auktion (von einem Unternehmer) erworben hat. – Gem. § 312d V ist das fernabsatzrechtliche Widerrufsrecht subsidiär gegenüber dem Widerrufsrecht bei Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträgen.29 3. Elektronischer Geschäftsverkehr a) Anwendungsbereich Eine besondere Form des Fernabsatzes ist der elektronische Geschäftsverkehr. § 312e sieht hierfür (in Umsetzung der europäischen e-commerce-Richtlinie) besondere Pflichten vor. Nach der Legaldefinition in § 312e I 1 liegt ein „Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr“ vor, wenn sich ein Unternehmer für den Abschluss eines Vertrags eines Tele- oder Mediendienstes bedient. Diese beiden Begriffe lehnen sich an die entsprechenden Definitionen in § 2 Teledienstegesetz (TDG), bzw. § 2 MediendiensteStaatsvertrag (MDStV) an. Während ein Teledienst für eine individuelle Nutzung bestimmt ist, richten sich Mediendienste an die Allgemeinheit. Für die Anwendung von § 312e ist es aber in beiden Fällen erforderlich, dass der Dienst vom Empfänger zum Zweck der Abgabe einer Bestellung individuell abgerufen wird.30 Insbesondere die in § 312e I Nr. 1 und 3 genannten Pflichten setzen voraus, dass der eingesetzte Dienst über einen „Rückkanal“ verfügt.31 Die meisten der in § 2 MDStV genannten Mediendienste, 26 27 28 29

S. Erwägungsgrund 14 der FernabsatzRiLi. BGH NJW 2003, 1665. BGH NJW 2005, 53 – eBay. Zum Verhältnis zu anderen Widerrufsrechten oder allgemeinen Rechtsbehelfen s. MüKo/Wendehorst, Bd. 2a § 312d Rdn. 122 ff. 30 GesBegr BT-Drs 14/6040, 171. 31 Grigoleit, NJW 2002, 1151 (1152).

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insbesondere auch das Teleshopping, fallen damit aus dem Anwendungsbereich von § 312e wieder heraus.32 Der Anwendungsbereich von § 312e sollte vom Gesetzgeber präziser und konkreter gefasst werden. Hauptanwendungsfall ist das Angebot von Produkten im Internet mit interaktivem Zugriff und unmittelbarer Bestellmöglichkeit. Wichtig ist, dass der Einsatz des elektronischen Dienstes zum Zweck des Vertragsabschlusses erfolgt, d. h. das elektronische Medium muss sowohl vom Unternehmer als auch vom Kunden eingesetzt werden. Beispiele: § 312e ist unproblematisch anwendbar, wenn Produkte im Internet beworben werden, der Kunde dann anschließend über das Netz bestellt, und der Unternehmer sodann eine elektronische Auftragsbestätigung versendet. § 312e ist aber auch dann anwendbar, wenn der Kunde auf eine Internetwerbung hin elektronisch bestellt, der Unternehmer dann jedoch über einen anderen Kommunikationsweg, z. B. durch ein Fax antwortet.33 – Dagegen ist § 312e nicht anwendbar, wenn der Kunde zur Bestellung der im Internet angeschauten Waren beim Unternehmer anruft oder ein Fax sendet. Es bestehen dann nicht die spezifischen Gefahren, die aus der Interaktion mit einem automatisch ablaufenden elektronischen Programm resultieren.

Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr fallen sowohl unter die Regeln über den Fernabsatz (§§ 312b ff) als auch unter die Spezialregelung in § 312e. Ein wichtiger Unterschied von § 312e zu den Fernabsatzregeln besteht darin, dass nicht nur der Geschäftsverkehr „B2C“ (Business to Consumer, also ein Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher), sondern auch „B2B“, nicht aber „C2C“ erfasst wird (s. auch § 312e II 2). Dies folgt daraus, dass § 312e I lediglich von Unternehmer und „Kunde“ spricht, wobei der Kunde entweder ebenfalls Unternehmer oder aber Verbraucher sein kann. Für Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr zwischen zwei Unternehmern gilt folglich nur § 312e, nicht aber das Fernabsatzrecht, da dort ein Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher vorausgesetzt wird. Für elektronische Verträge zwischen zwei Verbrauchern gilt dagegen keine der beiden Regelungen. b) Verhaltens- und Informationspflichten 557

§ 312e I 1 stellt einerseits besondere Verhaltenspflichten für den elektronischen Verkehr auf. Gem. Nr. 1 müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die es dem Kunden ermöglichen, Eingabefehler vor Abgabe seiner Bestellung zu erkennen und zu berichtigen. Dies wird in der Regel dadurch geschehen, dass dem Kunden vor Absendung noch einmal die Gesamtbestellung gezeigt und ihm eine Korrekturmöglichkeit eingeräumt wird. – Nach Nr. 3 hat der Unternehmer dem Kunden den Zugang seiner Bestellung unverzüglich auf elektronischem Weg zu bestätigen. Diese Vorschrift hat keinen Einfluss auf das Zustandekommen des Vertrags. Zwar wird mit der Zugangsbestätigung häufig eine Annahme des Vertrags verbunden sein. Die Zugangsbestätigung als solche ist aber reine Wissenserklärung, nämlich eine Aussage über das Eintreffen der Kundenbestellung, mit welcher noch keine Aussage über Verfügbarkeit der Ware oder Vertragsschluss getroffen werden soll.34 Exkurs: Der Vertragsschluss im Internet folgt den allgemeinen Regeln.35 Die Präsentation von Produkten im Netz ist in aller Regel erst einmal eine invitatio ad offerendum. Gibt der Kunde über das

32 Kritisch hierzu MüKo/Wendehorst, Bd. 2a § 312e Rdn. 22. 33 Bamberger/Roth/Masuch, § 312e Rdn. 15: Zumindest Anwendung von § 312 f S 2. 34 Dethloff, Jura 2003, 730 (732 f) mit Darstellung der ursprünglich anders konzipierten Gesetzespläne. 35 Eingehend Dörner, AcP 202 (2002) 363 ff.

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Netz eine Bestellung ab, liegt hierin das Angebot. Häufig reagiert der Unternehmer hierauf mit einer automatischen Auftragsbestätigung, welche im Normalfall als Annahme zu werten ist (automatisierte Erklärungen werden dem Betreiber zugerechnet). Zum Teil bestimmen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Internet-Vertreiber allerdings, dass nicht bereits die Auftragsbestätigung, sondern erst die e-mail, in welcher der Versand der Ware mitgeteilt wird, als Annahme zu werten ist. Zugang der verschiedenen Erklärungen liegt gem. § 312e I 2 vor, wenn der Empfänger die Erklärung unter gewöhnlichen Umständen abrufen kann (also mit Eintreffen auf dem vom Empfänger benutzten Server, nicht erst bei tatsächlichem Abruf der elektronischen Post! Bei Eintreffen zur Unzeit Zugang erst am nächsten Morgen, bzw zur nächsten üblichen Geschäftszeit, außer bei 24-Stunden-Service: dann sofort 36). – Bei Internet-Auktionen kann bereits die Einrichtung einer Angebotsseite eine echte Willenserklärung (also keine bloße invitatio) sein (und zwar an eine nicht konkret bezeichnete Person, ad incertam personam). Der Meistbietende hat dann einen vertraglichen Anspruch auf die Sache. Der Anbieter kann sich folglich nicht mehr zurückziehen, weil ihm der gebotene Preis zu niedrig ist, BGH NJW 2002, 363: Höchstgebot von 26.350 DM für ein Auto, für das der Verkäufer 39.000 DM haben wollte (ohne allerdings ein entsprechendes Mindesterfordernis gemacht zu haben).

Gem. § 312e I 1 Nr. 4 muss der Unternehmer dem Kunden schließlich die Möglichkeit verschaffen, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen abzurufen und zu speichern. § 312e I 1 Nr. 2 legt dem Unternehmer bestimmte Informationspflichten auf. Die gesetzliche Regelungstechnik entspricht der beim Fernabsatzvertrag: Die einzelnen Informationspflichten wurden aus dem BGB ausgelagert und in § 3 der BGB-InfoV aufgenommen. Danach hat der Unternehmer zu informieren über die einzelnen technischen Schritte, die zum Vertragsschluss führen, über die Art der Speicherung des Vertragstexts, über die Korrekturmöglichkeiten bei Eingabefehlern, über die zur Verfügung stehenden Sprachen, sowie die Verhaltenskodizes, die der Unternehmer akzeptiert hat. Gem. § 312e III 1 bleiben Informationspflichten auf Grund anderer Vorschriften unberührt. Hier sind in erster Linie die Informationspflichten bei Fernabsatzverträgen relevant (s. o. Rdn. 553). Nach § 312e II 1 finden die besonderen Pflichten aus Abs. 1 Nr. 1 bis 3 keine Anwendung, wenn der Vertrag ausschließlich durch individuelle Kommunikation geschlossen wird. Wenn beispielsweise der Unternehmer direkten Kontakt mit dem Kunden durch e-mail aufnimmt, soll er nicht den gesteigerten Pflichten des elektronischen Geschäftsverkehrs unterliegen, da dann keine prinzipiell andere Situation vorliegt als bei Vertragsschluss per Brief oder Telefon.37 Gem. Erwägungsgrund 39 der e-commerce-Richtlinie soll diese Ausnahme für die individuelle Kommunikation allerdings nicht zur Umgehung ausgenutzt werden. Ist die scheinbar individuelle Kommunikation in Wirklichkeit vollkommen entindividualisiert (Versenden von Massen-e-mails durch den Unternehmer, Veranlassung des Kunden zur Benutzung von e-mail-Masken oder Mailprogrammen), findet die Ausnahme des § 312e II 1 keine Anwendung.38 Die Folgen einer Verletzung der in § 312e angeordneten Pflichten unterscheiden sich je nach Art der verletzten Pflicht. Wurde der Kunde beispielsweise nicht ausreichend über den technischen Ablauf unterrichtet, oder wurden ihm keine Korrekturmöglichkeiten für Eingabefehler zur Verfügung gestellt, so kann bei versehentlicher Absendung einer Bestellung (Erklärungsirrtum) oder bei einer von seinem Willen abweichender

36 Dethloff, Jura 2003, 730 (734) nimmt bei Privatpersonen Zugang einer e-mail mit Ablauf des folgenden Tages an. 37 GesBegr BT-Drs 14/6040, 172. 38 S. MüKo/Wendehorst, Bd. 2a § 312e Rdn. 45 ff.

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Bestellung (Inhaltsirrtum) ein Anfechtungsrecht nach § 119 I bestehen. Daneben kann der Kunde sich gem. §§ 280 I, 311 II, 241 II (culpa in contrahendo) im Wege des Schadensersatzes vom Vertrag lösen.39 Außerdem beginnt der Lauf der Widerrufsfrist gem. § 312e III 2 nicht vor Erfüllung der genannten Pflichten. Schließlich kann sich der Unternehmer einer Verbandsklage nach dem UKlaG ausgesetzt sehen. c) Widerrufs-, bzw. Rückgaberecht 561

§ 312e sieht kein Widerrufs-, bzw Rückgaberecht vor. In aller Regel werden Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr, soweit sie zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden, aber zugleich Fernabsatzverträge darstellen. Das Widerrufsrecht ergibt sich dann aus § 312d. 4. Abweichende Vereinbarungen; Umgehung

562

Die Vorschriften über Haustürgeschäfte, Fernabsatzverträge und den elektronischen Geschäftsverkehr sind gem. § 312f S. 1 halbzwingend ausgestaltet, dh es darf von ihnen nicht zum Nachteil des Verbrauchers oder Kunden abgewichen werden (wohl aber zum Nachteil des Unternehmers), weder durch individualvertragliche Vereinbarung noch durch AGB. Eine Ausnahme gilt gem. § 312e II 2 für bestimmte Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr, wenn die Vertragsparteien keine Verbraucher sind. Der halbzwingende Charakter der §§ 312 ff wird durch das Umgehungsverbot in § 312 f S. 2 gestärkt.

III. Allgemeine Ausgestaltung (§§ 355 ff) 1. Widerrufsrecht (§ 355) 563

Die allgemeinen Vorschriften über Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufsrechts finden sich in den §§ 355 ff. Sie gelten immer, wenn dem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufs- oder Rückgaberecht eingeräumt wird und ausdrücklich auf die §§ 355, 356 verwiesen wird. (Auch in den gesetzlich nicht erfassten Fällen können die Parteien ein Widerrufsrecht jederzeit vertraglich vereinbaren, § 311 I.) Die Vorschriften haben ihren systematischen Standort im selben Titel des BGB wie das Rücktrittsrecht. Hieraus – und aus dem Verweis in § 357 auf die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt – folgt, dass es sich bei Widerrufs- und Rückgaberecht um eine modifizierte Form des Rücktrittsrechts handelt. In den §§ 355 ff sind die Modalitäten für alle Widerrufs- und Rückgaberechte weitgehend vereinheitlicht. Besonderheiten für einzelne Widerrufsrechte bestehen nur dann, wenn im jeweiligen Zusammenhang etwas anderes bestimmt ist. Zur Terminologie: Das BGB verwendet den Begriff des Widerrufs nicht einheitlich. Willenserklärungen unter Abwesenden können gem. § 130 I 2 vor ihrem Zugang widerrufen werden. Die Einwilligung, die Auslobung, der Auftrag, die Anweisung (§§ 183, 658, 671, 790) sind widerruflich. In vielen anderen Zusammenhängen ist vom Widerruf die Rede. Mit dem Widerrufsrecht i. S. v. § 355 ist das verbraucherschützende Vertragslösungsrecht gemeint. Es besteht nur dann, wenn ausdrücklich auf § 355 Bezug genommen wird.

39 Grigoleit, NJW 2002, 1151 (1157).

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Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen

§ 49 III 1

a) Ausübung Das Widerrufsrecht ist ein Gestaltungsrecht, das mit seiner Ausübung den wirksamen Vertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt, § 355 I 1. Frühere Konstruktionen (z. B. die Annahme schwebender Unwirksamkeit bis zum Ablauf der Widerrufsfrist) haben sich durch die eindeutige gesetzliche Regelung erledigt.40 Der Vertrag ist von Anfang an wirksam und begründet nach den allgemeinen Regeln Rechte und Pflichten, denen gem. § 271 im Zweifel sofort nachzukommen ist (s. auch § 308 Nr. 1 Halbs. 2). Teilweise wird zwar von „schwebender Wirksamkeit“ gesprochen, um die Auflösbarkeit eines Vertrags zu betonen, den der Verbraucher bis zum Ablauf der Frist widerrufen kann.41 Das Widerrufsrecht macht einen Vertrag aber nicht „schwebender“ als das allgemeine Rücktrittsrecht, so dass auf diesen – nur aus den früheren dogmatischen Unsicherheiten erklärbaren – Begriff verzichtet werden sollte.42 Gem. § 355 I 2 muss der Widerruf nicht begründet werden, es muss aber deutlich werden, auf welchen Vertrag der Widerruf sich bezieht. Der Widerruf muss in Textform (§ 126b) erklärt werden, wozu auch ein Fax oder e-mail ausreicht (allerdings nur, wenn der Empfänger durch entsprechende Angaben diese Kommunikationswege eröffnet hat). Ein Telefonanruf reicht nicht aus. Die Textform kann durch die Rücksendung der Sache ersetzt werden. Dem Verbraucher wird hiermit die Möglichkeit eines bloß konkludent erklärten Widerrufs eingeräumt. Von entscheidender Bedeutung ist die Widerrufsfrist: Sie beträgt gem. § 355 I 2 einheitlich für alle Widerrufsrechte zwei Wochen, wobei zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung ausreicht. Der Verbraucher kann sich also vierzehn Tage lang überlegen, ob er den Vertrag gelten lassen oder sich von ihm lösen möchte. Erfolgt die Widerrufsbelehrung erst nach Vertragsschluss, beträgt die Widerrufsfrist gem. § 355 II 2 einen Monat. – Die größten rechtlichen Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des Fristbeginns. Gem. § 355 II beginnt die Zwei-Wochen-Frist erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Verbraucher über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, wobei die Vorschrift einige Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Widerrufsbelehrung stellt.43 Um dem Unternehmer Rechtssicherheit zu geben, liegt der BGB-InfoV ein Muster für die Widerrufsbelehrung bei, bei dessen Übernahme gem. § 14 BGB-InfoV von der Ordnungsmäßigkeit der Belehrung ausgegangen wird. – Ist die Belehrung nicht ordnungsgemäß, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Um dennoch zu einer zeitlichen Begrenzung zu kommen, sieht § 355 III 1 und 2 einen Ausschluss des Widerrufsrechts sechs Monate nach Vertragsschluss, bzw. Wareneingang vor. Der Anwendungsbereich dieser Ausschlussfrist ist allerdings beschränkt: 44 Für die nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung gilt die Ausschlussfrist gem. § 355 III 3 nicht. Hier kann also zeitlich unbegrenzt widerrufen werden.45 Eine

40 Und zwar nicht erst durch die Schuldrechtsmodernisierung, sondern bereits durch das Fernabsatzgesetz aus dem Jahr 2000 (§ 361a a. F.). 41 So z. B. RegE BT-Drs 14/2658, 47; MüKo/P. Ulmer, Bd. 2a § 355 Rdn. 30. 42 In diesem Sinn auch Bamberger/Roth/Grothe, § 355 Rdn. 3; Palandt/Grüneberg, § 355 Rdn. 3. 43 Nach der Änderung durch das OLGVertrÄndG v. 23. 7. 2002 (BGBl. I 2850) ist es allerdings nicht mehr erforderlich, dass der Verbraucher die Widerrufsbelehrung separat unterschreibt. 44 Nämlich auf die Verletzung von Vorschriften, die sich nicht auf die ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung beziehen, z. B. §§ 312c II, 312e I 1, 355 II 3, 485 IV. 45 Diese durch das OLGVertrÄndG v. 23. 7. 2002 (BGBl. I 2850) eingeführte Neuerung beruht auf EuGH, Heininger, NJW 2002, 281: Der EuGH hatte dort eine Ausschlussfrist im Fall nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung für unvereinbar mit der Haustürgeschäfte-RiLi erklärt. Der

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§ 49 III 1

Leistungsstörungen

Grenze bildet hier erst die Verwirkung, bzw allgemein das Gebot von Treu und Glauben.46 Beispiel: Unternehmer U verkauft Verbraucher V über das Internet eine Digitalkamera, weist in seiner Widerrufsbelehrung allerdings nicht daraufhin, dass es zur Ausübung des Widerrufs keiner Begründung bedarf. Hier kann V ohne zeitliche Begrenzung, theoretisch auch noch Jahre nach der Vertragsabwicklung widerrufen (und zwar nach § 312d): Da die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß i. S. v. § 355 II 1, I 2 ist, gilt nämlich gem. § 355 III 3 die sechsmonatige Ausschlussfrist nicht. U könnte eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung aber jederzeit nachholen, wodurch gem. § 355 II 2 eine einmonatige Widerrufsfrist in Gang gesetzt würde.

b) Rechtsfolgen 566

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Für die Rechtsfolgen eines wirksamen Widerrufs verweist § 357 I 1 auf die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt. Es gelten die zu den §§ 346 ff gemachten Ausführungen: Es sind also im Fall des Widerrufs die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Möglicherweise besteht auch ein Anspruch auf Herausgabe der Surrogate und auf Verwendungsersatz (s. o. Rdn. 536 ff). Der Widerruf wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die bezogene Leistung, z. B. die gekaufte Sache, sich verschlechtert hat oder untergegangen ist. In diesem Fall ist im Prinzip Wertersatz zu leisten, § 357 I 1 i. V. m. § 346 II, III. Weitergehende Ansprüche, z. B. auf Schadensersatz oder aus ungerechtfertigter Bereicherung scheiden dagegen gem. § 357 IV aus.47 Der Vergleich zu § 346 IV zeigt, dass hierdurch der Widerrufsschuldner im Vergleich zum Rücktrittsschuldner privilegiert werden soll. Die ratio der Norm legt eine teleologische Reduktion nahe: Der Verbraucher soll nicht durch die Existenz weitergehender Ansprüche von der Ausübung des Widerspruchs abgehalten werden. Dementsprechend sind lediglich weitergehende Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher, nicht aber solche des Verbrauchers gegen den Unternehmer durch die Vorschrift ausgeschlossen (str.).48 Die Rücktrittsfolgen werden durch einige Sonderregeln in § 357 II und III überlagert. Gem. § 357 II 1 und 2 ist der Verbraucher zwar zur Rücksendung verpflichtet, wenn die Sache durch Paket versandt werden kann. Kosten und Gefahr der Rücksendung trägt aber der Unternehmer. Kommt die zurückgesendete Sache beispielsweise auf dem Transport abhanden, muss der Unternehmer dennoch den Kaufpreis zurückerstatten. Bei einer Bestellung bis zu einem Betrag von 40 Euro darf der Unternehmer die Kosten der Rücksendung vertraglich dem Verbraucher auferlegen. – § 357 III führt zu einer Haftungsverschärfung zu Lasten des Verbrauchers: Entgegen § 346 II 1 Nr. 3 Halbs. 2 schuldet der Verbraucher – bei entsprechendem Hinweis durch den Unternehmer – Wertersatz auch für die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung, also z. B. für den Zulassungsschaden bei einem Kfz (vgl.

deutsche Gesetzgeber nahm dies zum Anlass, die Ausschlussfrist im Fall nicht ordnungsgemäßer Belehrung für alle Widerrufsrechte (also nicht nur bei Haustürgeschäften) zu streichen. 46 MüKo/P. Ulmer, Bd. 2a § 355 Rdn. 64 f. 47 Nicht nur vertragliche, sondern auch deliktische Schadensersatzansprüche werden hierdurch ausgeschlossen (Palandt/Grüneberg, § 357 Rdn. 16, Ausnahme: § 826!), z. B. bei fahrlässiger Beschädigung einer unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sache. Es besteht lediglich ein Anspruch auf Wertersatz, 357 I, III, 346 II. 48 MüKo/P. Ulmer, Bd. 2a § 357 Rdn. 45; Palandt/Grüneberg, § 357 Rdn. 16; a. A. Bamberger/Roth/ Grothe, § 357 Rdn. 14; Staudinger/Kaiser, (2004) § 357 Rdn. 32.

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Widerrufs- und Rückgaberecht in Verbraucherverträgen

§ 49 III 2

oben Rdn. 537). Der Grund hierfür besteht darin, dass der Unternehmer beim Widerruf – im Gegensatz zur Regellage beim gesetzlichen Rücktrittsgrund – keine Pflicht verletzt hat, und der Verbraucher den durch die Ingebrauchnahme verursachten Wertverlust vermeiden kann. Bei Fernabsatzverträgen über die Lieferung von Waren beginnt die Widerrufsfrist gem. § 312d II nicht vor Eingang der Ware beim Empfänger. Der Unternehmer kann es hier also gar nicht vermeiden (auch nicht durch Hinausschieben des Leistungstermins auf Ablauf der Widerrufsfrist, s. § 308 Nr. 1 Hs. 2), dass der Verbraucher in den Besitz der Sache kommt und ein Wertverlust stattfindet. Den Verbraucher trifft deshalb die Obliegenheit, Wertverluste zu vermeiden, jedenfalls wenn der Unternehmer ihn nach § 357 III 1 belehrt hat. Nach der Gesetzesbegründung muss der Unternehmer diesen Hinweis sehr konkret fassen: Beim Verkauf eines Pkw über das Internet muss der Unternehmer z. B. darauf hinweisen, „dass mit der Zulassung des Pkws ein regelmäßiger Wertverlust von 20 % einhergeht, dass der Verbraucher diese Wertminderung im Falle des Widerrufs und der Rückabwicklung des Vertrags zu tragen hat und dass er die Folgen nur dadurch vermeiden kann, dass er den Pkw erst zulässt, wenn er von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen will, weil er den Pkw – zum Beispiel durch eine Probefahrt auf Privatgelände – nach Prüfung für gut befunden hat.“ 49 Im Gegensatz zu dieser „wenig lebensnahen Vorstellung des Gesetzgebers“ 50 steht das Muster für die Widerrufsbelehrung in Anlage 2 der BGB-InfoV, das sich diesbezüglich mit dem Hinweis begnügt: „Im Übrigen können Sie die Wertersatzpflicht vermeiden, indem Sie die Sache nicht wie ein Eigentümer in Gebrauch nehmen und alles unterlassen, was deren Wert beeinträchtigt.“ In Übereinstimmung mit der Kompatibilitätsvermutung in § 14 BGB-InfoV sollte dieser allgemein gehaltene Hinweis für § 357 III 1 ausreichen; es besteht ein Verkehrsbedürfnis nach Standardisierung der erforderlichen Belehrungen.51

Den Verbraucher trifft nach § 357 III 2 keine Wertersatzpflicht, wenn die Verschlechterung lediglich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist. Eine allgemeine Verschärfung des Haftungsmaßstabs enthält § 357 III 3: Bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung (oder anderweitiger Kenntniserlangung vom Widerrufsrecht 52) kommt der Verbraucher nicht in den Genuss des Haftungsprivilegs des § 346 III 1 Nr 3. Es bleibt dann bei der verschuldensunabhängigen Haftung (also Haftung auch für Zufall 53) auf Wertersatz gem. § 357 I 1 i. V. m. 346 II. 2. Rückgaberecht (§ 356) In den gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Fällen kann beim Vertragsschluss aufgrund eines Verkaufsprospekts das Widerrufsrecht durch ein vertragliches Rückgaberecht ersetzt werden, § 356 I 1. Der Unterschied zum Widerrufsrecht besteht darin, dass das Rückgaberecht nur durch Rücksendung der Sache ausgeübt werden kann, § 356 II 1. (Bei Sachen, die nicht als Paket versandt werden können, tritt an die Stelle der Rücksendung das Rücknahmeverlangen.) Das Rückgaberecht hat für den Unternehmer den Vorteil, dass er zugleich mit der Lösung vom Vertrag die Sache zurückerhält, während er beim Widerruf den Rückgewähranspruch u. U. erst einmal durchsetzen muss. Die Rückabwicklung aufgrund eines Rückgaberechts ist für ihn also reibungsloser. Für den

49 GesBegr BT-Drs 14/6040, 200. 50 So zu Recht Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht § 19 Rdn. 38. 51 Gegen eine Pflicht des Unternehmers, den Umfang der Wertersatzpflicht zu konkretisieren, auch MüKo/P. Ulmer, Bd. 2a § 357 Rdn. 31; zweifelnd Palandt/Grüneberg, § 357 Rdn. 10. 52 Rheinländer (ZGS 2004, 178, 180) möchte die Kenntnis eines parallel bestehenden Rücktrittsrechts gleichstellen. 53 Palandt/Grüneberg, § 357 Rdn. 13.

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§ 49 III 4

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Leistungsstörungen

Verbraucher ist die Lösung vom Vertrag durch Rückgabe beschwerlicher als durch bloße Absendung eines Widerrufs (auch wenn er nach dem Widerruf die Sache ebenfalls zurücksenden muss). Außerdem verliert er durch seine Vorleistung die Zug-umZug-Einrede (§§ 357 I 1, 348, 320). Er wird deshalb dadurch „entschädigt“, dass § 357 II 3 die Überwälzung der Rücksendekosten bei Bestellungen bis 40 Euro nur für das Widerrufs-, nicht aber für das Rückgaberecht ermöglicht. Das BGB erlaubt die Einräumung eines Rückgaberechts beim Haustürgeschäft (§ 312 I 2: ständige Geschäftsverbindung muss beabsichtigt sein!), beim Fernabsatzvertrag (§ 312d I 2), sowie beim Teilzahlungsgeschäft (§ 503 I). Der Vertragsschluss muss aufgrund eines Verkaufsprospekts erfolgen, wobei keine bestimmte Form erforderlich ist, so dass beispielsweise auch elektronische Prospekte im Internet erfasst sind. Die Ersetzung des Widerrufs- durch das Rückgaberecht setzt nach § 356 I 2 voraus, dass der Prospekt eine deutlich gestaltete Belehrung über das Rückgaberecht enthält, der Verbraucher ausreichend Zeit zum Studium des Prospekts hatte und dem Verbraucher das Rückgaberecht in Textform (§ 126b) eingeräumt wird. Hierzu ist eine separate Erklärung außerhalb des Prospekts erforderlich; eine e-mail reicht aus. Ein Muster für die Rückgabebelehrung findet sich in Anlage 3 zur BGB-InfoV. – Die Ausübung des Rückgaberechts erfolgt gem. § 356 II durch Rücksendung der Sache innerhalb der Widerrufsfrist, die nicht vor Erhalt der Sache beginnt; die rechtzeitige Absendung genügt (s. den Verweis in § 356 II 2). Wie das Widerrufs- ist auch das Rückgaberecht eine modifizierte Form des Rücktrittsrechts. Zwar entsteht das Rückgaberecht gem. § 356 I 1 im Gegensatz zum Widerrufsrecht durch vertragliche Vereinbarung. Gem. § 357 I 1 finden dennoch die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. Es gelten die obigen Ausführungen zu den Rechtsfolgen des Widerrufsrechts entsprechend. 3. Abweichende Vereinbarungen

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Die §§ 355 ff enthalten keine Vorschrift nach Art des § 312 f S. 1, welche abweichende Vereinbarungen ausdrücklich untersagt. Immerhin lässt sich im Umkehrschluss aus § 357 II 3 (ausnahmsweise Möglichkeit der Überwälzung der Rücksendungskosten) und § 356 I 1 (Ersetzbarkeit des Widerrufs- durch das Rückgaberecht) folgern, dass es sich bei den §§ 355 ff nicht um frei änderbares Recht hält. Allgemein gilt der Grundsatz, dass von Schutzgesetzen zugunsten des Verbrauchers nicht zu dessen Nachteil abgewichen werden kann.54 Diese Regeln sind also halbzwingend: Abweichungen sind nur zum Nachteil des Unternehmers möglich. Dies hat zur Konsequenz, dass Unternehmer und Verbraucher weder individualvertraglich noch durch AGB das Widerrufs- und Rückgaberecht von Bedingungen abhängig machen oder die Widerrufsfrist verkürzen können. Eine vertragliche Verlängerung der Widerrufsfrist ist demgegenüber möglich, da dies lediglich für den Unternehmer nachteilig ist. 4. Verbundene Verträge

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Der Untertitel über das Widerrufs- und Rückgaberecht wird in den §§ 358 f schließlich durch Regeln über „verbundene Verträge“ ergänzt. Da diese einen Verbraucherdarlehensvertrag voraussetzen, sollen sie in diesem Zusammenhang besprochen werden (s. u. § 81 III).

54 MüKo/P. Ulmer, Bd. 2a § 355 Rdn. 4.

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Kündigung

§ 50 II

§ 50 Kündigung Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen (1948); v. Hase, NJW 2002, 2278; Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung (1994).

I. Allgemeines Der Rücktritt führt zur Rückabwicklung des Schuldverhältnisses mit Wirkung für sämtliche in der Vergangenheit ausgetauschten Leistungen. In Dauerschuldverhältnissen entspricht eine derart umfassende Rückabwicklung in der Regel nicht dem Parteiinteresse. Aus diesem Grund wird hier der Rücktritt durch die Kündigung ersetzt.

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Dies gilt allerdings nur, soweit das Dauerschuldverhältnis tatsächlich vollzogen wurde und die Parteien an einer rückwirkenden Rückabwicklung kein Interesse haben. Liegt dagegen ein besonderes Interesse an einer vollständigen Rückabwicklung vor, ist auch beim Dauerschuldverhältnis der Rücktritt prinzipiell möglich. Ist beispielsweise die vollständige Rückabwicklung unschwer möglich (etwa weil relativ wenige Leistungen ausgetauscht wurden), und ist sie nach der Interessenlage sachgerecht, kann anstelle einer Kündigung auch der Rücktritt erklärt werden.1

Die Kündigung ist ein Gestaltungsrecht und wird durch eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt. Die Kündigung führt zur Beseitigung der zukünftigen Leistungspflichten, lässt aber den Leistungsaustausch in der Vergangenheit unberührt. Dauerschuldverhältnisse können auf bestimmte oder unbestimmte Zeit eingegangen werden. Werden sie auf bestimmte Zeit abgeschlossen, enden sie mit dem Ablauf des vereinbarten Zeitraums. Wurde keine bestimmte Laufzeit vereinbart, bedarf es der ordentlichen Kündigung, um die Beendigung des Dauerschuldverhältnisses herbeizuführen. Zur Ausübung der ordentlichen Kündigung bedarf es keines Kündigungsgrundes, in der Regel ist aber eine Kündigungsfrist zu respektieren. Im Gegensatz hierzu steht die außerordentliche Kündigung. Wenn ein wichtiger Grund besteht (häufig, aber nicht immer eine Pflichtverletzung der anderen Seite), kann das Schuldverhältnis unter bestimmten weiteren Voraussetzungen fristlos gekündigt werden. Das Gesetz enthält (im Gegensatz zu den Rücktrittsregeln der §§ 346 ff) keine systematische Regelung der Kündigung. Vielmehr finden sich unterschiedlich ausgestaltete Vorschriften über die Kündigung bei den jeweiligen Vertragstypen, z. B. bei Darlehen (§§ 489 f), Miete (§§ 542 ff, 568 ff), Leihe (§ 605), Dienstvertrag (§§ 620 ff) oder Gesellschaft (§§ 723 ff). Vereinzelt kommt die Kündigung auch bei Rechtsverhältnissen vor, die keine eigentlichen Dauerschuldverhältnisse sind, so z. B. beim Werkvertrag (§§ 643, 649 f), Reisevertrag (§ 651e) oder Auftrag (§ 671).

II. Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund (§ 314) Die genannten Vorschriften enthalten teilweise Sonderregelungen über die Kündigung aus wichtigem Grund, so z. B. in den §§ 543, 569, 626, 723 I 2, 3. In Rechtsprechung und Lehre war es anerkannt, dass auch außerhalb solcher Spezialvorschriften die fristlose Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund stets möglich sein muss (auf der Grundlage von § 242 oder in Gesamtanalogie zu den existierenden Kündigungsvorschriften). Durch die Schuldrechtsmodernisierung, die u. a. auch das Ziel verfolgte, allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze ins BGB zu inkorporieren, 1 BGH NJW 2002, 1870.

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§ 50 II

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Leistungsstörungen

wurde die allgemeine Kündigungsvorschrift des § 314 geschaffen.2 Die besonderen Vorschriften über die außerordentliche Kündigung in den jeweiligen Vertragstypen wurden beibehalten und gehen § 314 als leges speciales vor. Auf § 314 kann also nur zurückgegriffen werden, wenn eine besondere Kündigungsvorschrift nicht einschlägig ist. § 314 I 1 enthält den Grundsatz, dass Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden können. Die Vorschrift ist auf Sukzessivlieferungsverträge direkt, auf Ratenlieferungsverträge analog anzuwenden (s. bereits oben Rdn. 47f). Satz 2 umschreibt in allgemeiner Form den Begriff des wichtigen Grundes. Eine allgemeine Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist erforderlich. Dabei ist auch zu untersuchen, ob die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur regulären Beendigung (nämlich Zeitablauf oder ordentliche Kündigung) unzumutbar ist. Der wichtige Grund wird häufig in einer Pflichtverletzung durch den anderen Teil liegen. Dies ist aber weder notwendige noch hinreichende Bedingung (vgl. § 314 II 1). Das gleiche gilt für die Frage, ob die Pflichtverletzung zu vertreten ist. Vertretenmüssen fließt aber in die Gesamtabwägung ein. Besteht der wichtige Grund in einer Pflichtverletzung, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer Abhilfefrist, bzw nach Abmahnung zulässig, § 314 II 1. Ob eine Fristsetzung oder eine Abmahnung vorzunehmen ist, richtet sich nach den zu § 281 III, 323 III entwickelten Grundsätzen (s. o. Rdn. 476). Danach ist die Abmahnung in erster Linie bei der Verletzung von Unterlassungspflichten einschlägig. Fristsetzung (und Abmahnung) sind in den Fällen des § 323 II entbehrlich, s den Verweis in § 314 II 2. – Gem. § 314 III muss der Berechtigte innerhalb angemessener Frist von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen. Dies dient einerseits dem Schutz des anderen Teils, der im Interesse der Planungssicherheit in angemessener Frist wissen muss, ob der Berechtigte sein Kündigungsrecht ausüben wird. Andererseits ist davon auszugehen, dass keine Unzumutbarkeit besteht, wenn der Berechtigte in angemessener Frist (beginnend mit Kenntnis vom Kündigungsgrund) keine Anstalten gemacht hat, sich vom Vertrag zu lösen.3 Der Begriff der „angemessenen“ Frist eröffnet große Interpretationsspielräume. Im Interesse der Rechtssicherheit ist dem Berechtigten deshalb in Anlehnung an § 626 II eine Mindestfrist von zwei Wochen zuzugestehen (str.).4 Schließlich stellt § 314 IV (in Parallele zu § 325) klar, dass durch die Kündigung nicht das Recht ausgeschlossen wird, Schadensersatz zu verlangen. Die §§ 280 ff sind also uneingeschränkt anwendbar. Die Ersatzpflicht beschränkt sich auf den Schaden, der bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin aufgelaufen ist.5

2 S. hierzu GesBegr BT-Drs 14/6040, 177. 3 GesBegr BT-Drs 14/6040, 178. 4 v. Hase, NJW 2002, 2278 (2279). Zwar wird in GesBegr BT-Drs 14/6040, 178, die Heranziehung von § 626 II abgelehnt. Dies bezieht sich aber lediglich auf die Anordnung einer starren Frist, welche der Vielgestaltigkeit von Dauerschuldverhältnissen nicht gerecht würde. Der Annahme einer Mindestfrist steht diese Überlegung nicht entgegen; a. A. Bamberger/Roth/Grüneberg, § 314 Rdn. 22. 5 BGH NJW 1993, 1386 (1387).

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Theorie der Schadenszurechnung in Grundzügen

§ 51 I

3. Unterabschnitt: Die zusätzlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs § 51 Theorie der Schadenszurechnung in Grundzügen Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385; ders., Die AG 82, 268; ders., Prinzipien des Haftungsrechts, 1999; Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation bei obligatorischer Gefahrentlastung, 1995; v. Caemmerer, DAR 70, 283; Deutsch, JuS 67, 152; ders., Karlsruher Forum 1966, 1; ders., FS Honig, 1970, 33; ders., FS Welzel, 1974, 227; ders., FS M. Luther, 1970, 33; ders., JZ 71, 244; ders., FS F. Weber, 1975, 125; ders., Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2. Aufl. 1995; ders., Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; Diederichsen, FS Klingmüller, 1974, 65; Esser, AcP 148 (1943), 121; ders., Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941; ders., DRWiss. 42, 65; Fischer, H. J., Der Schaden nach dem BGB für das Deutsche Recht, 1903; Großfeld, Die Privatstrafe, 1961; Huber, Ulrich, JZ 69, 677; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Lange, Hermann, Grundlagen der Reform des Schadensersatzrechtes, Gutachten zum 43. Deutschen Juristentag, Bd. I, 1. T., 1960; ders., Wandelungen des Schadensersatzrechts, 1987; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003; Larenz, NJW 59, 865; ders., JuS 65, 373; ders., FS Honig, 1970, 79; Magnus, Schaden und Ersatz, 1987; ders., Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Ersatzfähigkeit von Einbußen, 1987; Medicus, JuS 86, 665; Friedrich Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht II: Zur Lehre von dem Interesse (1855); Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1937; Neudruck 1964, 473ff; Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung – Rechtliche und ökonomische Analyse, 2004; Stoll, Hans, FS Rheinstein, 1969, 569; Stoll, Heinrich, AcP 131 (1929), 141; ders., JbAKDR 1930, 140; Stürmer, JZ 86, 122; Verhandlungen des 43. Deutschen Juristentages, 1960 (Referate von Hauss und Wilburg); Wilburg, Die Elemente des Schadensersatzrechtes, 1940 (dazu Esser, DRWiss. 42, 65 und Reinhardt, AcP 148 [1943] 147); Wilk, Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes, 1983; (siehe ferner unten nach III).

I. Der Gedankengang Läuft ein Schuldverhältnis nicht ordnungsgemäß ab, so ist zu prüfen, welche Leistungsstörung vorliegt. Fragt der geschädigte Gläubiger nach seinen Rechten, so ist zu untersuchen, welche Rechtsfolgen aus den Leistungsstörungen abgeleitet werden können. Mit diesen zwei Fragen beschäftigte sich der 1. Unterabschnitt dieses Kapitels. Praktisch besonders wichtig und theoretisch am schwierigsten ist unter den Rechtsfolgen einer Leistungsstörung der Schadensersatz. Damit eine Pflicht zum Schadensersatz entsteht, müssen eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst müssen alle Voraussetzungen vorliegen, die in den Tatbestandsmerkmalen der Anspruchsnormen enthalten sind. Liegen sie vor, ist ein sog. „Verletzungstatbestand“ gegeben. So besteht z. B. bei verschuldetem Unmöglichwerden ein bestimmter Verletzungstatbestand, aus dem sich verschiedene Rechtsfolgen ableiten, unter ihnen auch der Schadensersatz (§§ 280 I, III, 283). Diese Anspruchsnormen im Sinne von Verletzungstatbeständen wurden im 1. Unterabschnitt dieses Kapitels untersucht. Hinzu müssen aber für einen Schadensersatzanspruch noch weitere Voraussetzungen treten. Diese Voraussetzungen sind im 3. Unterabschnitt dieses Kapitels zu besprechen. Eine Haftung auf Schadensersatz tritt nur dann ein, wenn der Tatbestand einer haftungsbegründenden Norm erfüllt ist. Für die Schadensersatzhaftung gilt, wie im Strafrecht, das Prinzip der Garantiefunktion der Tatbestände, d. h. jeder Eingriff, der außerhalb einer gesetzlichen Haftungsnorm erfolgt, ist erlaubt. Der Gedankengang in einem Schadensersatzfall ist also in der Regel folgender: Der Gläubiger verlangt von dem Schuldner Schadensersatz, oder er fragt nach seinen Rechten aufgrund einer

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§ 51 III

Leistungsstörungen

Leistungsstörung. Es ist die Anspruchsgrundlage zu suchen. Wenn eine Anspruchsgrundlage (z. B. nach den §§ 311 a II, 280–283, 286) vorliegt, kann festgestellt werden, ob die Rechtsfolge der Leistungsstörung in einem Schadensersatz oder in einer anderen Folge, z. B. Rücktritt, besteht. Ist eine Anspruchsgrundlage gefunden, die Schadensersatz gewährt, ist weiter zu prüfen, ob die Voraussetzungen dieser Anspruchsnorm erfüllt sind, ob also z. B. eine Leistungspflicht vorliegt, die verletzt worden ist usw. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, schreitet die Untersuchung fort: Ist ein Schaden entstanden (unten § 52)? War die Verletzungshandlung kausal für diesen Schaden (§ 53)? War die kausale Schadenszufügung rechtswidrig (§ 54)? Muss der in Anspruch Genommene die Schädigungshandlung vertreten, insbesondere, hat er sie verschuldet (§§ 55, 56)? In welchem Umfang und in welcher Art und Weise ist der Schaden zu ersetzen (§ 57)? Diese Reihenfolge ist nicht denknotwendig vorgeschrieben. Sie ist aber die im Gutachten durchaus übliche und ist auf den Regeln der praktischen Logik, der historischen Erfahrung und der Prozessökonomie aufgebaut. Aus diesem Grunde sind nun im dritten Unterabschnitt des Kapitels „Leistungsstörungen“ die zusätzlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzes zu prüfen. Bei Schadensersatz aus unerlaubter Handlung gilt eine ähnliche Reihenfolge, vgl. unten Rdn. 1539. Systematisch gehört die Darstellung dieser Fragen aber zum Inhalt gestörter Schuldverhältnisse. Soweit die Dinge bei den unerlaubten Handlungen gleichliegen, ist dort auf die hier nachfolgenden Erörterungen verwiesen.

II. Die „klassische“ Theorie des Schadensersatzes R. v. Ihering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, eine Festschrift, 1867; Binding, Handbuch des Strafrechts, 1885; Beling, Die Lehre vom Tatbestand, 1930.

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R. v. Ihering entdeckte beim Studium von culpa-Fällen in den Digesten, dass diese Fälle zwei grundsätzlich verschiedenen Gruppen zuzuordnen sind: culpa bedeutete entweder den Verstoß gegen eine objektive Verhaltenspflicht oder die persönliche Vorwerfbarkeit eben dieses Verstoßes. Seine Entdeckung wandte Karl Binding auf das Strafrecht an, dessen ausformulierte Straftatbestände typisierte Verhaltenspflichten enthalten. Die Verwirklichung eines Straftatbestands bedeutete dann culpa im objektiven Sinne, also die Vermutung rechtswidrigen Verhaltens (vorbehaltlich einer Rechtfertigung). Dies war die Geburt des dreigliedrigen Haftungstatbestands, der von Otto Bähr u. a. um die Jahrhundertwende ins Zivilrecht übernommen wurde (daher die „Unrechtsindikation“ bei Verwirklichung des objektiven Tatbestands in § 823 I). Die oben I. und in den §§ 52–57 verwendete Prüfungs-Reihenfolge beruht zum großen Teil auf dem von Beling formulierten Begriff des strafrechtlichen Tatbestands. Danach zerfällt ein Tatbestand in den objektiven Tatbestand (Verletzung), die Rechtswidrigkeit und den subjektiven Tatbestand (Schuld). Angewandt auf das Schadensersatzrecht des BGB ergibt dies (1.) den objektiven Tatbestand, bestehend aus Verletzungshandlung, Schaden und Kausalität zwischen Verletzungshandlung und Schaden, (2.) die Rechtswidrigkeit und (3.) das Vertretenmüssen, insb. das Verschulden. Die Prüfung des zu ersetzenden Schadensumfangs wird aus rechtstechnischen Gründen ans Ende des Gutachtens gerückt. Dies ist das traditionelle Bild der Prüfung eines Schadensersatzanspruchs im bürgerlichen Recht von 1900 bis etwa 1950.

III. Weiterentwicklung der Schadensersatzlehre nach 1950 Baur, F., FS L. Raiser, 1974, 119; Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 1964; v. Caemmerer, Das Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht, 1956; ders., Karlsruher Forum 1961, 26; ders., VersR 71, 93; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963; ders., JZ 63, 385; ders., JZ 64, 89; ders., NJW 65, 1987; ders., RabelsZ 66, 759; ders., JuS 67, 152; ders., Haftungsrecht, Bd. I, 1976, §§ 1–9; ders., FS v. Caemmerer, 1978, 329; ders., JZ 84, 308; Esser, Karlsruher Forum 1959, 20; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, 1979; Hardwieg, JZ 68, 289; Huber, Ulrich, FS H. Heimpel, Bd. III, 1972; 440; ders., FS Wahl, 1973, 301; Kramer, JZ 76, 338;

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Lang, Normzweck und Duty of Care, 1983; Lange, Hermann, Gutachten für den 43. Deutschen Juristentag, 1960; ders., JZ 76, 198; Medicus, VersR 81, 593; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im bürg. Recht, 1967; Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, 1966; Nipperdey, NJW 67, 1985; Raiser, Thomas, Haftungsbegrenzung nach dem Vertragszweck, 1962; ders., JZ 63, 462; Rother, Haftungsbeschränkung im Schadensrecht, 1965; Rüßmann, AcP 186 (1986) 291, 296 ff; Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, 1983; Schulin, Der natürliche-vorrechtliche-Kausalitätsbegriff im zivilen Schadensersatzrecht, 1976; Steiner, Schadensverhütung als Alternative zum Schadensersatz, 1983; Stoll, Hans, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968; ders., in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beih. zu VersR), 1983, 189; Stürner, JZ 86, 133; Zeuner, Schadensbegriff und Ersatz von Vermögensschäden, AcP 163 (1963), 380; (ferner vor I). Heute werden die aufgeführten Elemente eines Schadensersatzanspruchs in nahezu allen Einzelmerkmalen erneuter Prüfung unterzogen. Darüber hinaus wird der dreigliedrige Haftungstatbestand grundsätzlicher Kritik unterzogen (v. Caemmerer; Deutsch; Rüßmann u. a.). Die moderne Richtung zielt auf ausschließliche oder wenigstens grundsätzliche Verwendung von Verhaltenspflichten, deren Verletzung über die Zurechnung von Schäden an deren Verursacher entscheiden sollen (ähnlich der duty to take due care des common law). Im Hinblick auf die zahlreichen von der Rechtsprechung dem Vertrag hinzugefügten Schutz-, Obhuts- und allgemeinen Verhaltenspflichten (oben § 7) und auf die „partiellen Generalklauseln“ in § 823 I (Rahmenrechte, Verkehrspflichten, Produkthaftpflicht, s. u. § 107 I–III) lässt sich der im Vordringen begriffenen neuen Auffassung eine Berechtigung nicht absprechen. Andererseits gehen Grundsatzbestimmungen des BGB wie §§ 276, 823 I, 823 II, 1004, aber auch z. B. §§ 227–231 vom dreigliedrigen Haftungstatbestand aus. Auch ist an der Iheringschen Unterscheidung von (objektivem) Unrecht (als Verstoß gegen eine Regel des objektiven Rechts) und Schuld (als persönliche Vorwerfbarkeit dieses Verstoßes) unter Zugrundelegung des allgemeinen Verschuldensprinzips des deutschen Straf- und Haftungsrechts festzuhalten.1 § 276 II steht dem nicht entgegen: Der Maßstab der „verkehrserforderlichen Sorgfalt“ typisiert für das Zivilrecht den persönlichen Schuldvorwurf in – zumeist – berufsbezogener Weise, s. u. Rdn. 651. Folgt man dem, muss jede Darstellung des Rechts der Schadenszurechnung heute auf einen Kompromiss hinauslaufen, der weder die Traditionalisten noch die Modernisten befriedigen kann. Die Praxis verfährt noch zum größten Teil nach der „klassischen“ Theorie des Schadensersatzes, allerdings mit Zugeständnissen an die duty-to-take-care-Richtung. Der gegenwärtige Stand der Lehre ist zu den einzelnen Merkmalen in der genannten Reihenfolge in Kürze folgender:

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1. Verletzungshandlung Die Frage, was verletzt wird, erscheint unter dem erwähnten rechtsvergleichenden Einfluss des anglo-amerikanischen Rechts (duty to take care) in neuem Licht. Die deutsche Spielart dieser Theorien ist die Lehre von der Verhaltensnorm (v. Caemmerer). Da im Vertragsrecht Verletzungsgegenstand die vertragliche Pflicht und Verhaltensnorm grundsätzlich der Vertragsinhalt sind, spielt diese Lehre vor allem im Recht der unerlaubten Handlungen eine Rolle, wo sie zu erörtern ist, unten Rdn. 1412. Der Handlungsbegriff wurde neu durchdacht anhand der finalen Handlungslehre (Welzel). Auch diese Problematik hat ihr Schwergewicht im Deliktsrecht, unten § 106 IV. Allgemein setzt sich aber im Zivil- und Strafrecht (Hardwieg) immer mehr die Auffassung durch, dass die Verhaltensnorm den Angelpunkt haftungsrechtlicher Betrachtung darstellt (näher § 101). Die Verhaltensnorm gibt die Pflicht an, deren Verletzung Handlung, Schaden (Erfolg), Verursachung und Schuld erst in rechtserheblicher Weise bewertet. Dadurch kommt man – immer im Rahmen der alles beherrschenden Gebots- oder Verbotsnorm – im Allgemeinen mit „natürlichen“ Handlungs-, Schadens-, Ursache- und Schuld- (insb. Sorgfalts-)begriffen aus. Freilich kann sich keines dieser Elemente der Normwertung entziehen und ein von Rechtszwecken unberührtes, „natürliches“ Eigenleben entfalten.

1 Für Beibehaltung des Unterschieds von Unrecht und Schuld Larenz, FS Dölle, 1963, Bd. I, 169; ders., FS Wilburg, 1965, 119; ders., FS Honig, 1970, 79; ders., SchAT § 20 I, II (mit Angabe der Autoren, die § 276 I als Rechtswidrigkeitsmaßstab ansehen, in Anm. 36).

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Für den Handlungsbegriff bedeutet dies: Bei der Prüfung sowohl eines vertraglichen wie eines deliktischen Schadensersatzanspruchs ist als erstes die Handlung zu bestimmen, die den Schaden, der ersetzt werden soll, herbeigeführt hat. Je genauer das im Gutachten geschieht, desto eher vermeidet man unnütze Ausführungen. Die Handlung kann in einem Tun, Dulden oder Unterlassen bestehen. Das Dulden betrifft Sonderfälle (z. B. § 1147: Duldung der Zwangsvollstreckung; vertraglich bedungenes Dulden). Unterlassen bedeutet „etwas nicht tun“. Das „Etwas“ ist die Beachtung einer Verhaltenspflicht, die (1) aus Gesetz, (2) Vertrag, (3) vorausgegangenem Tun oder (4) konkreter Lebensbeziehung folgt, oder die (5) in einer sog. Verkehrspflicht besteht. Im Folgenden geht es nur um Verträge, also um vertragsverletzende Handlungen (§§ 52–57). Bei den unerlaubten Handlungen ist auf das dort wichtige System der Handlungen näher einzugehen (§ 106). 2. Schaden a) Die Haftungsbegründung

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Unter der Haftungsbegründung versteht man in der Schadenszurechnungslehre das Vorliegen dreier Umstände: Die Handlung (oben 1.) muss einen Verletzungserfolg kausal (unten 3., dann § 53) herbeigeführt haben. Der Messerstecher fügt dem Opfer die Stichwunde zu (Tun-Delikt). Durch Nichtbeachtung von § 1 StVO (Rücksichtnahme im Verkehr) kommt es zu einem Blechschaden (Unterlassungsdelikt, u. U. als Gefährdungshaftung nach § 7 StVG). Der Arbeitnehmer beschädigt das Werkstück (Vertragsverletzung durch Tun). Er unterlässt es, dem Chef hiervon rechtzeitig Mitteilung zu machen (Verletzung einer vertraglichen Sorgfaltspflicht [§ 242] durch Unterlassen).

Die Stichwunde, das verbogene Blech, der Schaden am Werkstück und die aus mangelnder Mitteilung folgende Unkenntnis sind die „Verletzungserfolge“ (auch genannt: Einbuße, Verletzungsschaden, Rechtsgutverletzung 2, Erstschaden, 1. Schadensposten, „das Loch in der Außenwelt“). Der Verletzungserfolg ist zu trennen von den Folgeschäden (unten b). Verstößt die kausal einen Verletzungserfolg herbeiführende Handlung gegen eine Verhaltenspflicht des objektiven Rechts, so ist die Handlung rechtswidrig (unten 4., dann § 54). Das Verschulden (unten 5; sodann §§ 55, 56) muss sich auf den ganzen haftungsbegründenden Vorgang beziehen (Handlung, Verletzungserfolg, haftungsbegründende Kausalität). Bei Gefährdungshaftung kommt es auf Verschulden nicht an, z. B. in § 7 StVG. Verschulden ist Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Es genügt, dass sich das Verschulden auf die Auslösung des Verletzungserfolgs bezieht. Sein Umfang muss nicht vorhergesehen worden sein (Tiefe der Stichwunde, der Blechbeulen, der Grad der Beschädigung des Werkstücks, Umfang der Unkenntnis des Chefs). Der haftungsbegründende Vorgang kann im Deliktsrecht zum Gegenstand einer Abwehrklage gemacht werden (s. § 118) – negatorische Klage, § 1004 analog. Sie ist auf Beseitigung des Verletzungserfolgs und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung gerichtet. Sie verlangt kein Verschulden. Der Verletzte muss im Prozess den gesamten haftungsbegründenden Vorgang dartun und im Streitfall beweisen. Es gelten die Anforderungen des § 286 ZPO (voller Beweis 2 S. aber Lange/Schiemann, Schadensersatz § 2 V 1, die meinen, der „Eingriff in das Rechtsgut“ gehe dem Verletzungserfolg noch voraus.

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bei freier Würdigung).3 Für die Folgeschäden gilt dagegen die richterliche Schadensschätzung nach § 287 ZPO. b) Die Haftungsausfüllung Sie betrifft die Schäden, die aus dem Verletzungserfolg entstehen.4 Die Prüfung im Gutachten schreitet nach der Haftungsbegründung fort zu der Frage, ob aus dem Verletzungserfolg Folgeschäden entstanden und ob sie – in jeweils getrennter Untersuchung – kausal herbeigeführt wurden (haftungsausfüllende Kausalität).

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Das Opfer des Messerstechers hat Arzt- und Krankenhauskosten sowie Verdienstausfall, u. U. ist er erwerbsunfähig. Der Blechschaden verursacht Reparaturkosten und die Anmietung eines Ersatzwagens (s. u. Rdn. 692). Das beschädigte Werkstück verdirbt weiteres Material im Wert von 5000,–, und die unterlassene Mitteilung an den Chef kostet die Firma weitere 50000,–. Im Kauf-, Werkvertrags-, Miet- und Schenkungsrecht sind die Folgeschäden entweder „Mängelfolge“ oder „Begleitschäden“, s. Rdn. 500. An der Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung ändert sich nichts mehr. Aber der Folgeschaden kann außerhalb des Normzwecks der Verhaltenspflicht liegen (s. u. Rdn. 594), so dass der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ fehlt.

Nach allgemeiner Auffassung braucht sich das Verschulden nicht auf Entstehung und Umfang der Folgeschäden zu beziehen. Das wird verschieden begründet: Der Schaden zähle nicht zum Tatbestand, sondern zur Rechtsfolge 5 (siehe § 823 I: „daraus“); für Verschulden und die Schutzzweckfrage ergäben sich Unterschiede 6; oder mit dem Hinweis auf den Unterschied von § 286 und § 287 ZPO.7 Bedenkt man aber, dass das deutsche Haftungsrecht, dem Prinzip der Willensfreiheit und der persönlichen Verantwortlichkeit folgend, Schadensersatz an Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit knüpft, erscheint die radikale Entfernung der Folgeschäden aus dem vom Verschulden zu erfassenden Deliktstatbestand bedenklich. Schaden und zu ersetzendes Interesse sind zweierlei. Der Schaden zählt zum Tatbestand: „Ohne Schaden kein Ersatz.“ Also muss – nach dem Verschuldensprinzip – das Verschulden doch etwas mit den Folgeschäden zu tun haben. Richtig ist freilich, dass die Höhe und der Umfang der Folgeschadensposten vom Verschulden nicht erfasst sind. Radfahrer R überfährt mit überhöhter Geschwindigkeit X und Y zugleich auf dem Zebrastreifen. X hat Prellungen (Arztkosten 200,–), Y trägt eine Querschnittlähmung davon (monatliche Rente 1000,–). R’s Verschulden muss sich darauf beziehen, dass er regelwidrig zu schnell fuhr und dass deshalb, zumal auf dem Zebrastreifen, „etwas passieren konnte“. In diesem „etwas passieren können“ steckt der Verletzungserfolg: X und Y werden getroffen. Muss man R auch zum Vorwurf machen können, dass aus dem Anfahren der beiden Passanten finanzielle Folgen entstehen können? Dass dem X nur 200,–, dem Y aber eine Rente zu zahlen ist, brauchte R nicht vorherzusehen. R muss beides bezahlen. Art und Umfang der Folgeschäden brauchen nicht verschuldet zu sein. Wohl aber wird man verlangen müssen, dass die Auslösung der betreffenden Folgeschäden verschuldet ist. Das umfasst hier die von R sorgfaltswidrig nicht gehegte – oder zwar gehegte, aber nicht zur Verhal-

3 Lange/Schiemann, Schadensersatz § 3 XIII 4a. 4 „Der dogmatische Wert der Einteilung (scil. in Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung) ist umstritten“, Lange/Schiemann, Schadensersatz § 3 II bei Fn. 14 mit dem Streitstand. Lange/Schiemann bejahen ihn aber zu Recht u. a. mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Beweisbehandlung in § 286 (Begründung) und § 287 ZPO (Ausfüllung), s. a. dies., § 3 XIII 4. 5 Medicus I, § 29 IV mit dem Hinweis, dass es bei § 826 anders ist und bei § 823 II anders sein kann. 6 Lange/Schiemann, Schadensersatz § 2 V 1. 7 Lange/Schiemann, Schadensersatz § 3 XIII 4.

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tenssteuerung herangezogene – Vorstellung, dass bei dieser Fahrweise Passanten Körperschäden erleiden können, die etwas kosten. Das entspricht der Lösung beim Verletzungserfolg: Die Auslösung, nicht der Umfang, muss verschuldet sein, s. o. Rdn. 581. Mit der Abwehrklage haben Folgeschäden wenig zu tun. Die Unterlassungsklage will verhindern, dass sie eintreten. Im Prozess gilt für Folgeschäden und deren Verursachung die freie Schätzung nach § 287 ZPO.8 Außer der wichtigen Unterscheidung von Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung sind noch drei weitere moderne Schadensprobleme zu streifen:

c) Normativer oder natürlicher Schaden 586

Ein Streitpunkt bezieht sich darauf, ob der Schadensbegriff des BGB ein „normativer“ sei (so Neuner, Wilburg, Rabel, Bydlinsky, Coing, Niederländer, Larenz, Zeuner, Steindorff und Selb) oder ein „natürlicher“ (so die bisher h. M., heute vertreten u. a. von Esser, Staudinger/Werner und Mertens, vgl. auch BGHZ 40, 347). Gemeint ist damit folgendes: Die „Naturalisten“ sehen im Schaden einen natürlichen, dem Rechte vorgegebenen Begriff. Das Recht hat die Aufgabe, diesen Schaden dem einen oder andern zur Tragung zuzurechnen. Die „Normativisten“ begreifen den Schaden als rechtlich geformtes Tatbestandsmerkmal. Schaden und Schadensumfang kann daher nicht „dem Leben abgelauscht“, sondern nur dem jeweiligen Normzweck entnommen werden. Eine dritte Meinung wendet sich gegen die Unbestimmtheit des normativen Schadensbegriffs, ohne für den „natürlichen“ zu votieren, und glaubt, die mit dem normativen Schadensbegriff verfolgten rechtspolitischen Ziele auch mit herkömmlichen Methoden (Differenztheorie, Vorteilsausgleichung u. ä.) erreichen zu können (Eike Schmidt aaO 563; F. Baur). Im Ansatz ist den Normativisten recht zu geben. Ohne Norm kein Schaden. Aber die Normwidrigkeit wird aus Zweckmäßigkeitsgründen vorwiegend bei der Beurteilung einer Handlungs-ErfolgsBeziehung als rechtswidrig untersucht (unten § 54). Das entlastet die Wertbezogenheit der Handlung, des Schadens und der Kausalität weitgehend, so dass diese Begriffe praxis- und lebensnah „naturalisiert“ werden können. Das ist wegen der Bildung einheitlicher Kategorien, auch vom Rechtsstandpunkt aus, geboten. Allerdings behält die Normrelevanz ihre Kontrollwirkung für alle Elemente eines Schadensausgleichs.

d) Objektiver oder subjektiver Schaden 587

Nicht zu verwechseln mit normativem und natürlichem Schadensbegriff ist die heftig umstrittene Unterscheidung von objektivem und subjektivem Schadensbegriff. Unter subjektivem (oder konkretem) Schaden versteht man den einem Geschädigten entstandenen echten Verlust, unter objektivem (oder abstraktem) Schaden eine mehr oder weniger typisierte, pauschalierte „Normaleinbuße in solchen Fällen“: S rammt fahrlässig das Auto des G. G ist zufällig ein talentierter Bastler, der keinen Mechaniker an sein Auto heranlässt. In seiner Freizeit repariert G den Wagen unter Verwendung von Ersatzteilen im Wert von 50,–. Normalerweise hätte die Reparatur 450,– gekostet. Ist S zum Ersatz des subjektiven (50,–) oder des objektiven Schadens (450,–) verpflichtet? Vgl. die Lösung u. Rdn. 694: Eigenreparaturen. Die Streitfrage wird oft unzulässig mit der Unterscheidung zwischen natürlichem und objektivem Schaden verquickt, weil angenommen wird, objektiver Schaden setze die normative Betrachtungsweise voraus (Mertens, 36 ff). In Wahrheit kann objektiver Schaden ebenso „normativ“ (z. B. entgangener Gewinn, 252) wie „natürlich“ (z. B. Börsenkurs, Lizenzgebühr) aufgefasst werden wie subjektiver.

8 Die Abgrenzung in § 286 ist z. T. nicht einfach, Thomas/Putzo, ZPO, § 287 Anm. 3; BGHZ 58, 48, dazu Lange/Schiemann, Schadensersatz § 3 XIII 4 m. w. N.

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Nach § 249 I ist grundsätzlich der subjektive Schaden geschuldet. Aber Treu und Glauben (242) gebieten in nicht wenigen Ausnahmefällen eine mehr oder minder weitreichende Objektivierung. Dabei steht entweder der Gedanke der Rationalisierung und Pauschalisierung im Vordergrund (beispielsweise bei Lizenz- und Nutzungsgebühren oder beim merkantilen Minderwert) oder die Überlegung, dass bestimmte schadensmindernde Umstände (wie etwa im Bastlerfall Talent und Neigung des Geschädigten) dem Schädiger billigerweise nicht zugute kommen sollen. (Hier beruft man sich auch auf das Wort „erforderlich“ in § 249 II 1). Häufig verbinden sich beide Gründe.

e) Einzelguttheorie Ein weiteres Schadensproblem betrifft die Frage, ob zur Feststellung des Schadens stets eine Differenz der Vermögenslagen vor und nach der Schädigung zu ermitteln oder ob in besonderen Fällen ein bestimmtes Mindestinteresse ohne Rücksicht auf umfassende Vermögensvergleiche zu ersetzen ist. Die Unterscheidung soll z. B. wichtig sein für beschädigte, aber nicht benutzte Sachen, z. B. Autos. Wird ein unbenutztes Auto beschädigt, entsteht „an sich“ kein Schaden. Trotzdem gewährt der BGH üblichen Ersatz, vgl. BGHZ 45, 218 (Nutzung muss wenigstens möglich sein, so auch BGHZ 55, 146), sog. Einzelguttheorie (Frotz, JZ 63, 391; Larenz, I § 27 IIa u. VersR 63, 1). Hierher zählen auch die Grundsätze der „Kommerzialisierung“ (z. B. von verlorener Freizeit) und „Frustrierung“ (z. B. unnützer Aufwendungen), s. dazu die Fallbeispiele u. Rdn. 679, 693. Bei Licht besehen sind aber die Probleme d) und e) identisch. Es geht nur um die Frage, ob nach Treu und Glauben (§ 242) der Schädiger nicht den normalen „subjektiven“ Schaden, der durch einen vollständigen Vermögensvergleich vor und nach der Schädigung ermittelt wird, sondern einen typisierten, pauschalierten, vom Üblichen her bestimmten „objektiven“ Schaden ersetzen soll, weil entweder der Rationalisierungs- oder der Zurechnungsgedanke (oder beide) dies verlangen. Zu fragen ist also stets: Hat mit Blick auf Treu und Glauben die Verkehrssitte den infrage stehenden „Schadensposten“ (Freizeit, unnützer Aufwand, Bequemlichkeitsverzicht, Eigenreparatur usw.) „kommerzialisiert“, d. h. für den Regelfall in Geld bewertet. Rechtsgrundlage einer Abweichung vom subjektiven Schadensersatz nach § 249 ist also immer und ausschließlich § 242. So betrachtet, ist die Differenzhypothese gleichbedeutend mit „subjektivem Schadensersatz“, und die „Einzelguttheorie“ wird ein Unterfall des objektiven Schadensersatzes. Die Berücksichtigung „objektiven Ersatzes“ ist nichts anderes als die Einführung der „nominal damages“ des englischen Rechts ins deutsche Recht. „Punitive damages“, Privatstrafen, „astreintes“, sollten dagegen ins deutsche Recht grundsätzlich keinen Einlass finden (vgl. Großfeld, Die Privatstrafe, 1962). Ein Strafcharakter des Ersatzes ist von § 242 nicht gedeckt.

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3. Kausalität Einen entscheidenden Wandel der Auffassungen brachte der Versuch einiger Autoren (Rabel, Wilburg, v. Caemmerer), das Merkmal der Kausalität durch den Normzweck zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen. a) Nach der insb. von Traeger vertretenen alten Kausalitätslehre kommt es auf die Verursachung in einem natürlichen Sinne an (näheres unten § 53). Ursache im Rechtssinne ist danach zunächst jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (äquivalente Verursachung, Äquivalenztheorie). Von diesen äquivalenten Bedingungen werden sodann diejenigen (inadäquaten) Bedingungen ausgeschieden, die zu dem Erfolg nur in ganz ungewöhnlicher Weise beigetragen haben (Adäquanztheorie): Ursächlich im Sinne des Zivilrechts sind danach die äquivalenten, nicht inadäquaten Bedingungen eines Erfolgs, und zwar im naturwissenschaftlich-physikalischen Sinne. b) Diese Adäquanzlehre versagt aber, wenn adäquat verursachte Schäden außerhalb des Normzwecks der den Schadensersatz auslösenden Norm liegen: Ein naturschutzwidrig gefällter Baum trifft – im Übrigen ohne Schuld der Baumfäller – einen Menschen. Ein Autofahrer ohne Führerschein überfährt – insoweit schuldlos – einen Passanten: Dass beim Bäumefällen und Autofahren Menschen zu Schaden kommen, ist nicht „inadäquat“.

Trotzdem wollen Naturschutz- und (wohl auch) Führerscheinvorschriften als solche nicht Leib und Leben von Menschen schützen.

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c) Dass die alte Kausalitätslehre nicht ausreicht, um insoweit den Schadensersatz „zu begrenzen“, wird mehr und mehr anerkannt. Wer die Normzwecktheorie bejaht, verwendet sie aber oft verschieden: Einige halten eine Kausalitätslehre neben der Normzwecklehre für entbehrlich (Rabel, v. Caemmerer, Hermann Lange). Sie halten dafür, der Normzweck lasse immer erkennen, welche Schäden dem Schädiger als ersatzpflichtige zugerechnet werden, welche nicht. Andere meinen, neben der alten Adäquanzlehre müsse man eine neue Kategorie der „Haftungsbegrenzung“ zum Zuge kommen lassen, nämlich den Normzweck. Zu ersetzen sind danach adäquat verursachte Schäden, sofern sie nicht außerhalb des Normzwecks liegen (Esser, Nipperdey, Wahl, Boehmer, Heinrich Lehmann, SiebertSchröder, Thomas Raiser, Joseph Georg Wolff). So verfährt auch der BGH (seit BGHZ 27, 137 = ESJ 46 – Strafverteidigungskosten –; BGH JZ 69, 702 – Hirnarteriosklerose –; BGHZ 70, 374 – Amtspflicht des Notars –; BGHZ 71, 358 – bereicherungsrechtlicher Normzweck –; BGHZ 116, 209 – vertragliche Auskunftspflicht –; auch BGHZ 65, 196 – Musterung – ist eine Normzweckentscheidung). d) Dass nur solche Schäden zu ersetzen sind, die innerhalb des Bereichs der verletzten Norm liegen, ist schlechthin überzeugend: Die Norm bestimmt die Rechtspflicht und aus der verletzten Rechtspflicht resultiert der Schaden. Andere Schäden sind überhaupt keine Schäden im Sinne der Norm, darum auch nicht zu ersetzen (falls nicht andere Normen eingreifen). Insofern darf die alte Kausalitätstheorie, die den Schadensbegriff mit Hilfe natürlicher (nicht rechtlich-normativer) Geschehnisabläufe zu ermitteln trachtete, als überholt angesehen werden. Siehe aber Larenz, FS Honig, S. 8 ff. Unrichtig ist es aber, die Normzwecklehre als Ersatz für die alte Kausalitätslehre anzusehen (U. Huber) oder sie als Ergänzung der alten Kausalitätslehre einfach neben sie zu stellen. Die Norm bestimmt nicht nur die Kausalfrage. Die Norm bestimmt vielmehr gerade dadurch, dass sie die Rechtspflicht aufstellt und ihre Verletzung ahndet, die Rechtspflicht, die Verletzungshandlung (also auch den Handlungsbegriff), den Schaden (nämlich die Person des Geschädigten und die Art seiner Einbuße), das Ob und das Wie der Kausalität von Verletzung und Schaden, die Rechtswidrigkeit des Schadens, das Verschulden, und den – vom Verschulden nicht notwendig erfassten – Umfang des zu ersetzenden Schadens einschließlich der Folgeschäden (wobei es wiederum die Norm ist, die den Folgegeschädigten und Folgeschaden und das Ob und Wie der Verursachung des Folgeschadens definiert). – Norma suprema. Daraus folgt: Die „Normzwecklehre“ ist – richtig verstanden – keine Theorie zur „Haftungsbegrenzung“, sondern eine Theorie zur Haftungsbegründung und Haftungserstreckung. Von „Haftungsbegrenzung“ kann nur sprechen, wer letztlich doch die naturwissenschaftliche Kausalität über die Schadenszurechnung entscheiden lässt. Erst eine von der Norm ausgehende Schadenslehre gestattet es, von einer geschlossenen Theorie der Schadenszurechnung zu sprechen, die alle genannten Bestandteile eines Schadensersatzanspruchs miteinander in Beziehung bringt. Die „Normzwecklehre“ ist daher kein Ersatz und keine Ergänzung der Kausalitätslehre, sondern eine Theorie der Schadenszurechnung schlechthin. Das bedeutet, dass nicht bloß die Verursachung normgemäß sein muss. Auch der Schaden (nach Person und Art), die Verursachung, das Verschulden und das zu ersetzende Interesse (insb. die Folgeschäden) müssen in Bezug auf die Norm erheblich (relevant) sein. Schon Lorenz spricht in einem Teilbereich von „normadäquater Verursachung“ (JZ 1961, 433, 438). Dieser Gedanke gilt allgemein auch für den Geschädigten, den Schaden und den Folgeschaden. Kernstück der hier vertretenen Auffassung ist also die Normrelevanz oder Normadäquanz aller Faktoren: nur normrelevante Schäden, falls normrelevant verursacht und verschuldet, sind zu ersetzen. Für Folgeschäden gilt das Gleiche, ohne Verschulden. Das Wort „Normzweck“ ist übrigens zu eng. Nicht nur der Zweck der Norm entscheidet über die Merkmale des Schadensersatzes, sondern ihr ganzer Inhalt. So verstanden kann man die hier entwickelte und dem Folgenden zugrunde gelegte Theorie der Schadenszurechnung die „Theorie der Normrelevanz“ nennen. e) Hierdurch ergibt sich unter Zugrundelegung der Normrelevanz folgender Gedankengang für die Gliederung der Prüfung eines Schadensersatzanspruchs (und für die Gliederung der nachstehenden Ausführungen): Aus Inhalt und Zweck einer Norm muss entnommen werden, wen sie schützen oder sonst begünstigen will. Dies ist im Schadensfalle der Verletzte, der Geschädigte im Rechtssinne. Daneben ergibt die Norm, gegen welche Schäden der Verletzte geschützt werden soll. Beide Fragen, die nach dem Geschädigten und nach der Art des Schadens, lassen sich unter dem Begriff des normerheblichen Schadens zusammenfassen (dazu § 52).

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Wieso aus der Pflichtverletzung ein Schaden entsteht, ist eine weitere Frage, die zu Recht unter dem Gesichtspunkt der Verursachung geprüft wird. Eine normrelevante Kausalität muss vorliegen. Es wird sich zeigen, dass – soweit überhaupt normrelevante Schäden vorliegen – die Adäquanztheorie dabei doch ein nützlicher Maßstab für einen Großteil der Fälle ist. Die Norm kann allerdings andere Maßstäbe verlangen. Bei alledem ist, da normativ vorgegangen werden muss, nicht nur an das bloße Ob einer Verursachung, sondern auch an das Wie zu denken. Die Art und Weise der Verursachung kann normfremd sein (zu diesen Fragen § 53 unten). Die Rechtswidrigkeit ist Normwidrigkeit (dazu § 54 unten). Ob verschuldet oder ohne Verschulden gehaftet wird, ist die nächste der Norm zu entnehmende Frage (§§ 55, 56). Steht nach diesen Merkmalen fest, dass ein zum Schadensersatz verpflichtender Normverstoß vorliegt, ist noch keineswegs sicher, wie der Ersatz zu bemessen ist. Denn das setzt außer der Prüfung des Schadenshergangs immer noch die Prüfung eines gedachten ungestörten Hergangs, also einen Vergleich voraus (Lehre vom Interesse). Dabei kommt es einmal auf den tatsächlichen Verlauf von Schaden und Folgeschäden an, wobei wiederum nur die normrelevanten Folgeschäden interessieren, zum andern auf einen hypothetischen, schadensfreien Verlauf. Hier entstehen dann auch Fragen der sog. überholenden Kausalität und der Vorteilsausgleichung. – Endlich sind Art und Weise des Schadensersatzes (in natura, in Geld usw.) und Gründe für die etwaigen Ersatzminderungen insb. durch Mitverschulden (§ 254) zu prüfen (dazu § 57).

4. Rechtswidrigkeit a) Die „Normzwecklehre“ hat nicht nur Fragen der Kausalität von Grund auf neu gestellt, sondern, in einer bestimmten Hinsicht, auch die Frage der Rechtswidrigkeit. Manche Vertreter der Normzwecklehre berufen sich zur Begründung ihrer Auffassung auf die österreichische Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang (insb. Esser, Nipperdey). Diese insb. von Armin Ehrenzweig, Karl Wolff und Walter Wilburg zu den Generalklauseln der Art. 1294, 1311 des österreichischen ABGB entwickelte Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang dient dazu, normirrelevante Schäden aus der Ersatzpflicht auszuscheiden. Man sagt: Zwischen dem naturschutzwidrigen Fällen des Baumes und dem Tod des dadurch – im Übrigen schuldlos – getroffenen Menschen bestehe kein „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ (Bydlinsky). Die Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang wurde entwickelt, um die Generalklausel des Art. 1311 praktikabel zu machen. In Deutschland wird das Schadensersatzrecht vom Enumerativprinzip beherrscht. Schon deshalb ist die Übernahme der österreichischen Lehre nicht sinngemäß. Außerdem besagt „fehlender Rechtswidrigkeitszusammenhang“ nichts anderes als „fehlende Normrelevanz“, denn die Norm bestimmt die Grenze von Recht und Unrecht. Endlich aber droht das Wort vom „fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhang“ mehrere für das deutsche Recht zu unterscheidende Fragen zu verdecken, nämlich die Fragen nach dem normrelevanten Geschädigten, seinem normerheblichen Schaden, dem normerheblichen Ob und Wie der Herbeiführung des Schadens, der – nur im Enumerativprinzip möglichen – Unterscheidung von (verschuldetem) Schaden und (möglicherweise unverschuldetem) Folgeschaden sowie nach dessen Normerheblichkeit bezüglich Geschädigten, Schadensart, auch bezüglich des Ob und Wie seiner Verursachung. Nichtsdestoweniger enthält die Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang den gleichen zutreffenden Gedanken wie die Normzwecklehre: ne ultra legem restituetur! Nur gehören diese Erwägungen nach deutschem Recht zur Lehre vom Schaden und von der Verursachung, nicht zur Lehre von der Rechtswidrigkeit. Die Übernahme des österreichischen Begriffs des Rechtswidrigkeitszusammenhangs ins deutsche System ist daher nicht glücklich und abzulehnen. Ein dem deutschen Recht angemessener Ausdruck wäre „Reichweite der Norm“ oder „Normerstreckung“, vgl. BGHZ 27, 139; 23, 222; 57, 137. b) Nicht rechtswidrig sind Schadenszufügungen, die man als „allgemeines Lebensrisiko“ bezeichnen kann („give and take of life“), vgl. dazu insb. Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 1980. Dass anlässlich einer Unfallbehandlung ein bisher dem Geschädigten unbekanntes Leiden entdeckt wird, ist ein solches allgemeines Lebensrisiko und kann dem Unfallschädiger nicht angelastet werden, BGH NJW 68, 2287 – Arteriosklerose –; auch der Verlust des Schadensfreiheitsrabatts, wenn der Halter eines Kfz seine Haftpflichtversicherung in Anspruch nimmt (BGHZ 66, 398 – Schadensfreiheitsrabatt –), zählt zu diesem allgemeinen Lebensrisiko; s. a. BGHZ 58, 162 – Gehweg –;

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Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XIV 5b); Mädrich; Friese; Lüer; v. Caemmerer, VersR 71, 973. c) Ein Streitpunkt der Rechtswidrigkeitslehre betrifft die Frage Handlungs- oder Erfolgsunrecht. Verquickt ist diese Frage mit der Zuordnung der Sorgfaltspflicht zur Schuld oder zur Rechtswidrigkeit. Nach h. L. gilt: Eine Handlung ist rechtswidrig, wenn sie ein rechtlich geschütztes Gut verletzt (z. B. Vertrag, Rechtsgut in § 823 I, Schutzgut in § 823 II; zum Handlungsbegriff siehe unten § 106). Der Vorwurf rechtswidrigen Handelns kann höchstens durch einen Rechtfertigungsgrund ausgeräumt werden (z. B. Handeln in Notwehr). Rechtswidrigkeit bedeutet aber noch nicht Schuld. Wer einen Vertrag trotz sorgfältiger Prüfung und Beachtung seiner vermeintlichen Pflichten verletzt, weil er z. B. eine undeutlich gefasste Klausel missverstehen konnte, handelt zwar vertrags- und damit rechtswidrig, aber nicht schuldhaft. Er wird nicht ersatzpflichtig. Regelmäßig begründet nur schuldhafte, d. h. vorwerfbare Rechtswidrigkeit eine Ersatzpflicht. Die h. L. orientiert also ihren Rechtswidrigkeitsbegriff im Wesentlichen am Erfolg (Güterverletzung), trennt objektive Rechtswidrigkeit von subjektiver Schuld und ordnet die (vorwerfbare) Sorgfaltspflichtverletzung der Schuld, nicht der Rechtswidrigkeit zu. Eine jüngere Lehre meint, mehr als sorgfältiges Vorgehen könne keine Rechtsordnung verlangen, daher handle nicht rechtswidrig, wer die verkehrserforderliche Sorgfalt beachte (Welzel, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961; Nipperdey, NJW 57, 1771; Enn./Nipperdey, § 209; BGHZ 24, 21 – „Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens“ –; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, 1960; Esser/E. Schmidt, § 25 IV; Staudinger/Löwisch, § 276, 6ff). Schon oben (Rdn. 581) wurde gegen diese Lehre, die objektives Unrecht und vorwerfbare Schuld zu vermengen droht, Stellung bezogen: Gegen sie spricht, dass das BGB in §§ 276, 278, 823 die Beachtung der Sorgfalt, zumindest in subjektiver Hinsicht, dem Begriff der Fahrlässigkeit und damit der Schuld unterordnet. Wichtiger noch ist, dass die moderne Lehre denjenigen Situationen nicht gerecht werden kann, in denen gegen sorgfaltsgemäße, aber objektiv rechtswidrige Handlung Notwehr und negatorische Klagen (unten § 118) zulässig sein müssen: Konnte einem ausländischen Boxer die Einführung neuer Kampfregeln noch nicht bekannt sein, so ist gegen sein regel(rechts-)widriges Boxen Notwehr zulässig, obwohl er für eine von ihm herbeigeführte Verletzung mangels Schuld nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Und: Gegen eine rechtswidrige Werbemethode greift die Unterlassungsklage nach §§ 3 UWG; 1004, 823 BGB selbst dann durch, wenn sich der Werbende vorher von drei gewissenhaften Anwälten die Zulässigkeit der Methode hatte zusichern lassen.9 Es gibt also objektives Unrecht, das subjektiv nicht vorwerfbar ist, weil die persönlich zumutbare verkehrserforderliche Sorgfalt beachtet wurde. Wenn gesagt wird, die Rechtsordnung könne nicht mehr als sorgfältiges Verhalten verlangen, so liegt der Trugschluss im Wort „verlangen“. Das Recht knüpft an objektives Unrecht gewisse, an vorwerfbares Unrecht andere, schärfere Rechtsfolgen. Trotzdem gilt grundsätzlich Handlungs-, nicht Erfolgsunrecht (Zippelius, AcP 157 [1958], 390). Es geht stets um Handlungen, denen wegen wirklicher oder möglicher Erfolge das Urteil der Rechtswidrigkeit beigelegt wird. § 823 II verweist auf spezialgesetzliche Handlungspflichten als Gegenstand von Schutzgesetzen, deren Nichtbeachtung stets rechtswidrig ist. § 823 I definiert bestimmte Rechtsgüter, die bei „unmittelbaren Verletzungshandlungen“ (s. u. Rdn. 1557 ff) schon allein aufgrund des Erfolgs die Rechtswidrigkeit des Handelns ergeben. Durch das Abstellen auf den Schutzgesetzverstoß oder die Rechtsgutsverletzung wird das Rechtswidrigkeitsurteil vorfixiert. Der Schädiger muss einen Rechtfertigungsgrund anführen, um der Haftung zu entgehen. Bei Handlungen, die nicht „unmittelbar“ einen Schaden herbeiführen oder nicht gegen ein Schutzgesetz verstoßen, kann man derartige Vorfixierungen oder Indizierungen der Rechtswidrigkeit nur durch das Aufstellen von objektiven Ver-

9 Die Auffassung, die für § 1004 I statt der Rechtswidrigkeit des Eingriffs nur das Nichtduldenmüssen i. S. v. § 1004 II verlangt (Jauernig, § 1004 Rdn. 21; Münzberg, JZ 67, 690, gegen die h. M.), könnte in diesen Fällen dem boxregelwidrig und wettbewerbswidrig Angegriffenen helfen, auch ohne dass es auf die Unterscheidung rechtswidrig – schuldhaft ankommt. Aber dann müssten erst die für die Duldung maßgeblichen Regeln entwickelt werden, was zumindest im Wettbewerbsrecht zu keiner übersichtlicheren Lösung führen würde. Im Sportrecht müsste eine Regel für „regelunkundige Auslandsboxer“ entwickelt werden, usw.

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haltensregeln erreichen: Die einzelne Handlung muss auf ihren Unrechtscharakter geprüft werden, und das kann nur anhand von Verhaltensregeln geschehen, die der Jurist ermitteln muss. In diesen Fällen tritt für das Unrechtsurteil die Erfolgsbetrachtung in den Hinter- und die konkrete Verhaltensnorm in den Vordergrund. Dies gilt z. B. für Rahmenrechtsverletzungen (dazu unten Rdn. 1571 ff) und Verkehrspflichtdelikte (dazu unten Rdn. 1591ff). Auch solche Verhaltensregeln gehören zum objektiven Tatbestand. Es kann also nicht darum gehen, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens besonders festzustellen, sondern darum, die zutreffende Verhaltensnorm tatbestandlich zu formulieren. Hieraus folgt, dass aufgrund der grundsätzlichen Zurechnung des – u. U. erst aus der Norm zu ermittelnden – geschuldeten Verhaltens zum Tatbestand die Tatbestandsmäßigkeit das Unrecht stets indiziert wird; s. oben Rdn. 576 zur Entstehung der Unrechtsindikation. Nach alledem ist Rechtswidrigkeit der objektive, d. h. vom (verallgemeinernden, § 276 II) Schuldvorwurf des Zivilrechts absehende, auf einer Handlungs-Erfolgs-Bewertung beruhende Normverstoß.

5. Verschulden Die Lehre vom zivilrechtlichen Verschulden geriet – und auch das gehört in diesen allgemeinen Zusammenhang – unter den Einfluss der strafrechtlichen Auseinandersetzung um Vorsatz- und Schuldtheorie. Während die dem § 278 zugrunde liegende Vorsatztheorie das Unrechtsbewusstsein zum Vorsatz zieht, klammert die Schuldtheorie das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit aus dem Vorsatzbegriff aus und ordnet es der vom Vorsatz zu unterscheidenden Schuld (im strafrechtlichen Sinn) zu. Zur Frage, ob die Schuldtheorie in das Zivilrecht übernommen werden sollte, was die ganz h. M. ablehnt, siehe unten Rdn. 649. IV. Im Folgenden sind, nach diesen allgemeinen Bemerkungen, die einzelnen Bestandteile eines Schadensersatzanspruchs in der Reihenfolge darzustellen, wie sie im unstreitigen Gutachten zu prüfen sind: Schaden (§ 52), Verursachung (§ 53), Rechtswidrigkeit (§ 54), Vertretenmüssen, insbesondere Verschulden (§ 55, 56), Umfang und Art des Schadensersatzes (§ 57).

§ 52 Schaden Brinker, Die Dogmatik zum Vermögensschadenersatz, 1982; Bydlinsky, ÖJZ 65, 483; ders., JurBl. 65, 173, 237; v. Caemmerer, Das Problem des Drittschadensersatzes, JV Bd. 100, S. 341ff; ders., FS M. Luther, 1976, 31; Degenkolb, AcP 176 (1976), 1; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; Grunsky, Aktuelle Probleme zum Begriff des Vermögensschadens; ders., in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beih. zu VersR), 1983, 101; ders., JZ 83, 372; Hagen, H., FS Hauss, 1978, 83; ders., JZ 83, 833; Hansen, Normativer Schadensbegriff und Schadensberechnung, 1977; Heldrich, AJCL 18 (1970), 22; ders., NJW 67, 1737; Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972; Knobbe-Keuk, VersR 76, 401; Köhler, FS Larenz, 1983, 349; Köndgen, AcP 177 (1977), 2; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, §§ 1, 2; Larenz, VersR 63, 1; ders., FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 489; Magnus, Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Ersatzfähigkeit von Einbußen, 1987; Medicus, Id quod interest, 1962; ders., Unmittelbarer und mittelbarer Schaden, 1977; ders., JuS 79, 233; ders., in: 50 Jahre BGH (2000), Bd. I, S. 201; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967; Möller, H., Summen- und Einzelschaden, 1937; Mommsen, Zur Lehre vom Interesse, Beiträge zum Obligationsrecht, Bd. 2, 1855; Neuner, AcP 133 (1931), 277; Nörr, AcP 158 (1959/60), 1; Raape, AcP 147 (1941), 217; Reinecke, H., Schaden und Interesseeinbuße, 1968; Rückert, AcP 184 (1984) 105; Steindorff, JZ 61, 12; ders., AcP 158 (1959/60), 431; Stoll, Hans, Begriff und Grenzen des Vermögensschadens, 1973; Ströfer, Schadensersatz und Kommerzialisierung, 1982; Stürner, VersR 84, 297; ders., JZ 86, 133; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, 2001; Wacke, FS H. Hübner 1984, 669 (zu den Rechtssprichwörtern); Waibl, NJW 87, 1513; Weis, Schadensersatz bei Aufwendungen des Geschädigten vor dem Schadensereignis, 1967; Weitnauer, Karlsruher Forum 1961, 32; Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, 1999; Wiese, G., Der Ersatz des immateriellen Schadens, 1964; Wilk,

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Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes 1983; Wolf, Ernst, FS Schiedermair, 1976, 545; Zeuner, GS Dietz, 1973, 99.

I. Begriff und Abgrenzungen 600

1. Im Gutachten folgt auf die Feststellung, dass eine Verletzungshandlung vorliegt, im Regelfall die Untersuchung, worin der Schaden besteht, den die Verletzung bewirkt hat. Dann ist zweckmäßig die Kausalität von Verletzungshandlungen und Schaden zu prüfen. 2. Schaden im Rechtssinne ist Einbuße an rechtlich geschützten Gütern. Der rechtliche Schutz der Güter wird durch Normen bewirkt, die das Verhalten der Menschen regeln. Jeder Person ist danach ein Kreis von Gütern zugeordnet und rechtlich gesichert (über die Einteilung dieses Rechtsgüterkreises in Bestands- und Freiheitsschutz unten Rdn. 1040). Eine Minderung dieses Rechtsgüterkreises ist Schaden. Die Tatsache, dass ein Schaden vorliegt, sagt allein nichts über die Frage, ob dieser Schaden zu ersetzen ist. Bei einem Unglück muss derjenige den Schaden tragen, den es trifft: casum sentit dominus. Ähnlich ist es häufig in Fällen, wo zwar Unrecht vorliegt, aber kein Verschulden. Auch dann gibt es in der Regel keine Abwälzung des Schadens (Ausnahmen: Gefährdungshaftung, Garantie). Dagegen sind Schäden, die auf Unrecht beruhen und verschuldet sind, grundsätzlich wiedergutzumachen, d. h. zu ersetzen. (Näher zum Verschuldensgrundsatz unten § 55). Dieser Ersatz wird durch eine Schadensersatznorm gefordert. Dieser grundsätzlich zu ersetzende Schaden wird im Folgenden im Sinne der oben in § 51 entwickelten Auffassung auch als normrelevanter oder einfach als relevanter Schaden bezeichnet, im Unterschied zu dem „natürlichen“ Unglücksschaden.1 Beide Begriffe sind nicht gleichbedeutend mit dem wirklich zu leistenden Ersatz, dazu unter § 57. Zur Schadenspauschalierung s. o. Rdn. 141.

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3. Da grundsätzlich nur der unmittelbar durch die Verletzungshandlung herbeigeführte Schaden verschuldet sein muss, bedarf es einer Einteilung des relevanten Schadens in den eigentlichen, unmittelbaren Verletzungserfolg, und in die ebenfalls zu ersetzenden, in ihrem Umfang aber nicht dem Verschuldensgrundsatz unterliegenden Folgeschäden. Die letztgenannten interessieren vor allem auch beim Umfang der Ersatzleistung (§ 57). Der Unterschied ist aber auch für die Einteilung in Haftungsbegründung und -ausfüllung wichtig, s. oben Rdn. 581 ff. Wer faule Kartoffeln liefert, schädigt den Käufer in seinem Anspruch auf gute Kartoffeln (Folge: Mängelhaftung, § 437, u. U. auch Schadensersatz, § 437 Nr. 3). Stecken die faulen Kartoffeln früher vom Käufer eingelagerte Kartoffeln an, verletzt der Verkäufer ein übererfüllungsmäßiges Interesse des Käufers. (Folge: Schadensersatz, falls der Folgeschaden normrelevant verursacht ist, was hier anzunehmen ist.) Entsteht weiter dadurch dem Käufer ein Gewinnausfall, z. B. durch die Verhinderung gewinnbringender Weiterveräußerung, so haftet der Verkäufer, wenn er überhaupt auf Schadensersatz haftet, im Rahmen des § 252 auf den entgangenen Gewinn (ebenfalls ein Folgeschaden).

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Bei Delikten besteht der unmittelbare Verletzungserfolg in der erlittenen Einbuße an absoluten Rechtsgütern (§ 823 I), an persönlich zugeordneten Schutzgütern (§ 823 II), am Vermögen im Rahmen des § 826 usw. Daraus resultierende weitere Schäden sind Folgeschäden.2 Die Schlagwunde am Kopf ist der Verletzungserfolg, Arztkosten und Verdienstausfall sind Folgeschäden, § 823 I. – Die Beeinträchtigung der Wettbewerbsstellung eines Apothekers durch den Verstoß eines Drogisten gegen § 43 Arzneimittelgesetz ist der Verletzungserfolg, etwaige Verdienst-

1 Zum normativen Schadensbegriff s. schon oben Rdn. 586; vgl. weiter Hagen, FS Hauss, 1978, 83; Medicus, JuS 79, 233 m. w. N. 2 Dies schließt nicht aus, dass § 826 – anders als § 823 I – auch für diesen Folgeschaden Verschulden in Form des Vorsatzes verlangt (haftungsausfüllendes Verschulden), vgl. unten Rdn. 1637.

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entgänge des daraufhin Erkrankten sind Folgeschäden, §§ 823 II, 252, vgl. BGHZ 23, 184. – Ein verfassungswidriger politischer Streik löst nach § 826 den Anspruch auf Wiederaufnahme der Arbeit aus. Verletzungserfolg ist der Stillstand des Betriebes. Normrelevante Verdiensteinbußen aus entgangenen Aufträgen sind nach § 252 – wegen § 826 unter der Voraussetzung vorsätzlicher Verursachung – als Folgeschaden zu ersetzen.

4. Der Schadensbegriff erfährt im Schrifttum außer der Gliederung in Verletzungserfolg und Folgeschäden noch andere Einteilungen. a) Die Unterscheidung von „unmittelbarem“ und „mittelbarem“ Schaden besagt, recht besehen, nichts anderes als die von (verschuldetem) Verletzungsschaden und (umfangmäßig nicht notwendig verschuldetem) Folgeschaden. Allerdings wird die Einteilung unmittelbar – mittelbar noch in mancherlei anderer Beziehung verwendet, z. B. bei Mängelfolgeschäden, s. Rdn. 360, und als Begründung für die Einführung von Verkehrspflichten, s. u. Rdn. 1591ff. Besser ist es daher, diese Ausdrucksweise zu vermeiden. b) Ähnliches ist zur Unterscheidung vom „realen“ und „rechnerischen“ Schaden zu sagen. Man trennt zwar gelegentlich realen und rechnerischen Schaden. Ist Schadensersatz zu leisten, ist aber sowohl der reale als auch der rechnerische Schaden zu ersetzen. Unter realem Schaden versteht man z. B. die Beule am Auto, unter rechnerischem Schaden die Kosten ihrer Reparatur. c) Man unterscheidet den materiellen und den immateriellen Schaden. Der materielle Schaden wird auch als Vermögensschaden im weiteren Sinne bezeichnet, der immaterielle als Nichtvermögensschaden. Die Belastung des Erzeugers eines ungewollten Kindes mit der gesetzlichen Unterhaltspflicht ist ein Vermögensschaden, den der Arzt bei schuldhaft misslungener Sterilisation oder Abtreibung aus schlechterfülltem Behandlungsvertrag in Geld zu ersetzen hat (strittig).3 Nach § 253 I ist nach deutschem bürgerlichem Recht grundsätzlich nur der materielle, d. h. der Vermögensschaden i. w. S. in Geld zu ersetzen. Wegen eines Schadens, der nicht in diesem Sinne Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld grundsätzlich nicht verlangt werden. Ausnahmen enthält das Gesetz z. B. in § 249 S. 1, wo die dort vorgesehene Naturalrestitution auch für Nichtvermögensschäden gilt (z. B. Widerruf einer Ehrenkränkung) 4, § 253 II (Schmerzensgeld) und § 651 f II (nutzlos aufgewendete Urlaubszeit). Ferner macht die Rechtsprechung eine Ausnahme beim Ersatz immateriellen Schadens aufgrund einer Persönlichkeitsverletzung.5 Die nach § 249 I geschuldete Naturalrestitution ist freilich häufig nicht möglich (seelischer und körperlicher Schmerz). Ebenso kann ein sog. Liebhaberinteresse, z. B. die persönliche Wertschätzung eines Familienandenkens, i. d. R. nicht ersetzt werden. d) Innerhalb des materiellen, d. h. des Vermögensschadens im weiteren Sinne, ist zu unterscheiden zwischen dem Vermögensschaden im engeren Sinne einerseits und dem Schaden an absolut geschützten Rechtsgütern und an persönlich zugeordneten Schutzgütern andererseits. Diese Unterscheidung ist von Bedeutung für das Recht der unerlaubten Handlungen, siehe unten Rdn. 1570. Grundsätzlich wird nach dem deutschen Recht der unerlaubten Handlungen ein bloßer Vermögensschaden nicht ersetzt. Der zu ersetzende Vermögensschaden muss vielmehr in der Regel zusätzlich beruhen auf einer Einbuße an bestimmten, absolut geschützten Rechtsgütern (823 I) oder an Schutzgütern (823 II). Absolute Rechtsgüter sind die in § 823 I genannten Rechte, z. B. das Recht auf Unversehrtheit des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit, des Eigentums, der Immaterialgüterrechte (z. B. Patente, Urheberrechte, Marken). Schutzgüter sind die Schutzgegenstände der in § 823 II gemeinten Gesetze, z. B. Wettbewerbslauterkeit (UWG), Gesundheit (ArzneimittelVO). Davon zu unterscheiden ist das Vermögen im Übrigen, zu dem auch namentlich Forderungen, z. B. Sparguthaben, gehören. Es ist als solches nur gegen vorsätzlich sittenwidrige Schädigungen geschützt (§ 826).

3 So wie hier BGHZ 76, 249 = NJW 80, 1450; BGHZ 76, 259 = NJW 80, 1452; BGHZ 95, 207 für den Fall der Abtreibung, dazu die Kritik von Stürner, JZ 86, 122; vgl. insgesamt zur Rechtsprechung des BGH Müller, NJW 2003, 697. 4 Zutr. Esser/E. Schmidt, § 32 I vor 1, jedoch zu Unrecht unter Einbeziehung von § 249 II 1. 5 Vgl. dazu unten Rdn. 1590; BGHZ 26, 349; 39, 124; BGH NJW 71, 698; NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. Diese Rechtsprechung wurde bestätigt durch BVerfGE 34, 269.

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5. Schadensersatz und Wertersatz sind grundlegend verschiedene Mittel des Unrechtsausgleichs, zugleich auch die beiden wichtigsten. Ist im deutschen Recht von Schadensersatz die Rede, so ist grundsätzlich der gesamte materielle Schaden zu ersetzen, soweit nicht Ausnahmen, Erweiterungen oder Beschränkungen (vgl. unten § 57) vorgesehen sind. Der Schaden kann mehr oder weniger sein als der objektive Wert (vgl. § 818 II). In der Regel ist der Schaden größer als der Wert eines Gegenstandes. Ist Schadensersatz zu leisten, so ist das sog. „pretium singulare“ zu ersetzen, d. h. der Gegenwert für die Einbuße an Rechtsgütern des Betroffenen, gemessen nach den Bedürfnissen und Interessen dieses Betroffenen. Ist durch das Gesetz Wertersatz gefordert, muss das sog. „pretium commune“ ersetzt werden, d. h. der Wert, den eine Sache nach objektiver Schätzung, isoliert vom Rechtsträger, zu der gegebenen Zeit gehabt hat. Der Wertbegriff und Wertersatz in diesem Sinne haben im Schadensersatzrecht keinen Raum. Sie gehören in das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung, der Vermögensbewertung usw. 6. Schaden und Interesse verhalten sich zueinander wie das Unrecht zu seiner Wiedergutmachung. Der Schaden ist Tatbestandsmerkmal eines Schadensersatzanspruchs, das Interesse ist die – abstrakt formulierte – Rechtsfolge eines Schadensersatzanspruchs. Das Interesse (im technischen Sinn des Schadensersatzrechts) ist gleichbedeutend mit dem Umfang des Ersatzanspruchs. Die Schadensermittlung, auch die normbezogene (oben § 51 III 2), setzt eine tatsächliche Kausalkette voraus, die Interesseermittlung den Vergleich einer tatsächlichen Kausalkette mit einer hypothetischen („wie wäre es, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre“). 7. Bei Verträgen kann der Schaden entweder in der mangelnden ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrages bestehen oder im Eingehen auf den Vertrag. Die Geltendmachung des erstgenannten Schadens zielt auf Ersatz des Erfüllungsinteresses, die des zweitgenannten auf Ersatz des Vertrauensinteresses. Das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) wird befriedigt in erster Linie durch Erfüllung des Vertrages selbst (einschließlich der Erfüllung eines Garantieversprechens und des Aufwendungsersatzes nach § 670), in zweiter Linie durch Schadensersatz anstelle der Erfüllung („wegen Nichterfüllung“). Das Vertrauensinteresse (negatives Interesse) wird restitutorisch befriedigt, in erster Linie durch Rechtsbehelfe, die den Vertrag beseitigen („rescission“, z. B. Anfechtung oder Rücktritt, §§ 323 ff), in zweiter durch Schadensersatz in Höhe des Vertrauensinteresses, wobei der Gläubiger wirtschaftlich so zu stellen ist, als ob er sich nicht auf den Vertrag eingelassen hätte (§§ 122, 179). Dies negative Schadensinteresse („reliance losses“) umfasst i. d. R. zwei Posten, nämlich die Vertragsunkosten (Porti, Telefonate, „out of pocket losses“) und den Gewinn aus einem ausgeschlagenen Zwischengeschäft. Dagegen begegnet eine allgemeine Vertrauenshaftung (Canaris, VersR 65, 114; ders., JZ 65, 319; ders., Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht; Müller, JZ 69, 2169) neben „Vertrag“ und „Delikt“ Bedenken, weil Vertrauen nur im Hinblick auf etwas, i. d. R. auf vertragliche Haftung, schützbar ist (lehrreich insoweit BGHZ 70, 337 – Ross Sound –). Bei unerlaubten Handlungen kann es mangels eines vertraglichen Erfüllungsversprechens kein Erfüllungsinteresse geben. Auch von „negativem Interesse“ zu sprechen ist deshalb wenig sinnvoll. Praktisch ist aber der Schadensersatz aus unerlaubter Handlung ein „negatives Interesse“, weil der Geschädigte so zu stellen ist, als wäre die unerlaubte Handlung nie geschehen. (Entsprechendes gilt in § 678 für die Geschäftsführung ohne Auftrag.) 8. Da relevanter Schaden Unrecht ist, wird er durch die das Recht vom Unrecht trennende Norm bestimmt. Die Norm ist dabei nach zwei Richtungen zu befragen. Wen

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begünstigt sie? Und: Vor welcher Art Schaden soll der Begünstigte geschützt sein? Der Schaden (I.) ist immer die Rechtskreiseinbuße einer bestimmten Person (II.) auf bestimmte Art (III.).

II. Der Geschädigte Zu ersetzen ist, und das ist von größter Bedeutung, nur der Schaden des Ersatzberechtigten, also dessen, in dessen Person die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des ersten Unterabschnittes dieses Kapitels zutreffen. Die Frage lautet, wer Ersatzberechtigter in diesem Sinne ist. 1. Ersatzberechtigt ist der Gläubiger der verletzten Pflicht, im Vertrag also der dem Schädiger gegenüberstehende andere Vertragsteil. Nur er hat Anspruch auf Schadensersatz, kein anderer, der etwa auch durch die schädigende Handlung einen Schaden erlitten, aber keinen Anspruch hat. Nur der Vertragsgläubiger kann also seinen Schaden, und er kann nur seinen Schaden ersetzt verlangen. Bei unerlaubten Handlungen ist derjenige ersatzberechtigt, demgegenüber die deliktische Sorgfaltspflicht bestand.

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Die Opernsängerin S wird auf dem Weg zur Vorstellung am Abend von A fahrlässig mit dem Kraftwagen angefahren, verletzt und muss sich für 14 Tage ins Krankenhaus begeben. Sie kann aus dem Unfall (einer unerlaubten Handlung) nur ihren Schaden, nicht auch den der Operndirektion verlangen. Sie kann also ihre Heilungskosten und den Verdienstausfall, dazu auch ein Schmerzensgeld verlangen, nicht aber kann sie für die Opernleitung oder die Opernleitung durch sie Verdienstausfall ersetzt erhalten, wenn wegen des Unfalls die Vorstellung oder eine Reihe von Vorstellungen abgesagt werden müssen. – Ebenso liegt es, wenn der Prokurist einer Firma fahrlässig überfahren wird. Er kann nur seinen Schaden, nicht aber den Schaden der Geschäftsleitung geltend machen, der entsteht, weil seine Dienste der Firma entzogen werden. Kein Ersatzanspruch einer Eiskunstläuferin gegen den Unfallgegner, weil ihr Laufpartner bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde, BGH NJW 2003, 1040.

2. Im Deliktsrecht ist Geschädigter, wessen Rechtsgüter (§ 823 I), Schutzgüter (§ 823 II) oder Vermögen (§ 826) betroffen sind. Dabei bestimmt der „Normzweck“, wer als geschützt anzusehen ist. Das war für § 823 II seit je anerkannt:

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Wer ohne einen Führerschein zu besitzen Auto fährt und dabei einen Menschen überfährt, haftet nicht, wenn ihn bezüglich des Überfahrens kein Verschulden trifft (Bydlinsky). Das Führerscheingebot soll nicht einzelne Menschen schützen, sondern eine allgemeine Kontrolle der Fahrtüchtigkeit ermöglichen. Freilich wird dem Fahrer wegen fehlender Fahrtüchtigkeit zumeist ein Schuldvorwurf zu machen sein. – Der naturschutzwidrig, aber sonst sachgemäß gefällte Baum trifft einen Menschen: Naturschutzvorschriften dienen nicht der Lebensversicherung. – Die Verletzung kann unmittelbar oder mittelbar auf der Verletzung des Rechtsguts eines andern beruhen: Die Ehefrau sieht, wie ihr Mann tödlich überfahren wird und erleidet einen Nervenschock (psychisch vermittelte Kausalität).

3. Ausnahmsweise kann jedoch Ersatz eines Drittschadens verlangt werden. In den Fällen der sog. Drittschadensliquidation ist der Ersatzberechtigte nicht identisch mit dem Geschädigten. Der Anspruchsberechtigte hat keinen Schaden und der Geschädigte hat keinen Anspruch. Nicht immer ist in dieser Situation die Drittschadensliquidation zulässig. Die nach Gesetz und nach Rechtsprechung anerkannten Fälle sind zu beachten und zu unterscheiden. In allen diesen Fällen wird der Schaden zum Anspruch gezogen. Der Anspruchsinhaber kann den Schaden des Dritten geltend machen, weil die Schadensverlagerung aus der Sicht des Schädigers nur zufällig erfolgt, sei es aufgrund einer nur internen Abmachung, sei es aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift. Nach Treu und Glauben (§ 242) wird dem Schädiger die Berufung auf das Fehlen des Schadens beim Anspruchsteller verwehrt. Es gibt vier anerkannte Fälle: Gastwirt, mittelbare Stellvertretung, Versendungskauf und Vermächtnisnehmer.

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Leistungsstörungen

a) Einen gesetzlichen Fall der Drittschadenliquidation regelt § 701 I. Danach haftet der Gastwirt dem Gast für alle Schäden, die im Zusammenhang mit eingebrachten Sachen unabhängig von der Eigentumslage an ihnen entstehen. Ist der Gast nicht Eigentümer der Sache, erlaubt ihm § 701 I dennoch die Geltendmachung des Schadens. Keine gesetzlichen Fälle der Drittschadensliquidation bestimmen die §§ 844, 845. Diese Vorschriften räumen umgekehrt den Drittgeschädigten Ansprüche ein, deren Rechtsgüter nach § 823 I nicht verletzt sind. Die §§ 844, 845 sind aber wie die Drittschadensliquidation Ausnahmen vom oben erwähnten Grundsatz. b) Neben den gesetzlich geregelten Fällen ist die Drittschadensliquidation nur in den von der Rspr. anerkannten Fallgruppen möglich (was die künftige Entwicklung weiterer Fallgruppen nicht ausschließt). aa) Die erste Fallgruppe betrifft die mittelbare Stellvertretung. Wenn im Auftrag und auf Rechnung des B der X eine Sache von Y kauft, und Y kommt in Lieferverzug, dann hat den Schaden davon der B, doch ist nicht B, sondern X der Vertragspartner. In diesen Fällen der mittelbaren Stellvertretung (Kommissionsverhältnisse) liegt es so, dass der Geschädigte keinen Anspruch und der Anspruchsberechtigte keinen Schaden hat. X kann in solchen Fällen den Schaden des B geltend machen. B kann statt dessen von X nach § 285 das stellvertretende Kommodum, d. h. den Ersatzanspruch herausverlangen. Auch kann X den B ausdrücklich oder stillschweigend ermächtigen, den Anspruch im eigenen (des B) Namen geltend zu machen, BGHZ 25, 250. Zu den nahe verwandten Treuhandfällen v. Caemmerer, S. 360 ff; ferner BGHZ 40, 100; BGH NJW 67, 951; NJW-RR 87, 880. bb) Die zweite Fallgruppe betrifft die Fälle schuldrechtlicher Schadensverlagerung, und hier namentlich den Versendungskauf, § 447. Nach § 447 geht die Gegenleistungsgefahr mit der Übergabe der verkauften Sache an die Transportanstalt auf den Käufer über. Wird die abgesandte Ware auf dem Transport vernichtet, so hat der Verkäufer, der ja immer noch das Eigentum an der Sache hat (§ 929), den Anspruch wegen Verletzung des Eigentums sowie Ansprüche wegen etwaiger Verletzung des Transportvertrages. Er hat aber keinen Schaden, denn nach § 447 erlangt er von dem Käufer den Preis, obwohl dieser die Ware nicht erhält. Der Übergang der Gegenleistungsgefahr entschädigt also den Verkäufer für die noch bei ihm ruhende Sachgefahr. In solchen Fällen, wo der Käufer den Schaden und der Verkäufer den Anspruch gegen die Transportperson hat, muss dem Verkäufer gestattet werden, den Schaden des Käufers geltend zu machen. Aus dem Kauf hat der Käufer gegen den Verkäufer einen Anspruch auf Abtretung dieses Anspruchs gegen die Transportperson, § 242; RGZ 62, 331. Entsprechendes gilt für die Gefahrverlagerung beim Werkvertrag gem. § 644. Die Notwendigkeit der Drittschadensliquidation bei schuldrechtlicher Schadensverlagerung ist allerdings in zweifacher Hinsicht zu relativieren: Zum einen findet auf den Verbrauchsgüterkauf gem. § 474 II die Vorschrift des § 447 keine Anwendung. Die Sache reist also auf Gefahr des Verkäufers, der bei Beschädigungen deshalb sowohl einen Anspruch als auch einen Schaden hat. Zum anderen räumt § 421 I 2 HGB beim Frachtgeschäft dem Empfänger einen eigenen Anspruch ein. Dem Geschädigten wird also ein eigener Anspruch zuerkannt, was die Anwendung der ungeschriebenen Regeln über die Drittschadensliquidation überflüssig macht. Voraussetzung ist allerdings das Vorliegen eines Frachtgeschäfts i. S. v. § 407 HGB. cc) Ein ähnlicher Fall der Schadensverlagerung ergibt sich im Erbrecht. Wenn eine Sache, die einem Vermächtnisnehmer zugedacht ist, beim Erben durch Verschulden eines Dritten zerstört wird, dann hat den Schaden davon der Vermächtnisnehmer. Er hat aber keinen Anspruch, da ihm durch das Vermächtnis noch nicht das Eigentum, sondern nur ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Erben zusteht. Der Erbe hingegen hat keinen Schaden, weil er die Sache ohnehin an den Vermächtnisnehmer hätte herausgeben müssen. Mit der Zerstörung wird der Erbe durch Untergang der Sache nach § 275 I von seiner Leistungspflicht frei. In solchen Fällen wird man dem Erben einen Ersatzanspruch gegen den Schädiger zugestehen müssen, wobei der Erbe den Schaden des Vermächtnisnehmers geltend macht. Der Vermächtnisnehmer kann nach § 285 von dem Erben die Abtretung dieses Anspruchs verlangen. c) Nicht mit der Drittschadensliquidation lösbar sind die Probleme der Produkthaftung. Die Schädigung des Dritten durch ein schadhaftes Produkt beruht weder auf einer gesetzlichen Vorschrift (wie im Fall des § 447), noch auf einer rein internen Abmachung zwischen Zwischenhändler und Verbraucher. Anders als im Fall der mittelbaren Stellvertretung ist die Schadensverlagerung bei der Produkthaftung aufgrund der Gliederung der Wirtschaft in Erzeuger-, Großhandels-, Klein-

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handels- und Verbraucherstufe gerade typisch. Der Pharmaproduzent weiß, dass durch ein schadhaftes Präparat allenfalls der Verbraucher und nicht der Apotheker geschädigt wird. Schäden werden deshalb nicht verlagert; BGHZ 40, 91; 51, 91 = ESJ 127 – Hühnerpest –; näher unten § 107 IV. Der Drittschadensliquidation verwandte Probleme sind die Verträge mit Schutzwirkung für Dritte (oben Rdn. 305 ff), bei denen umgekehrt der Anspruch zum Schaden gezogen wird, durch Dritte begangene Leistungsstörungen (unten Rdn. 666), die Vorteilsausgleichung (unten Rdn. 703 ff) und die unechte Gesamtschuld (unten Rdn. 778). Zur unechten Gesamtschuld vgl. BGHZ 21, 112 – Lohnfortzahlung –. Weitere Literatur zum Problem des Drittschadensersatzes: Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation bei obligatorischer Gefahrentlastung; ders., JZ 1995, 920; ders., NJW 2000, 986; v. Caemmerer, ZHR 127, 241; Hagen, JuS 70, 442; ders., Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, 1971; Junker, Michael, Die Vertretung im Vertrauen im Schadensrecht, 1991; ders., AcP 193 (1993), 348; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 8; Neuner, JZ 1999, 126; Oetker, JuS 2001, 833; Peters, F., AcP 180 (1980), 329; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, 1982; Ries, JA 82, 453; Stamm, AcP 203 (2003), 367; Traugott, Das Verhältnis von Drittschadensliquidation und vertraglichem Drittschutz, 1997.

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III. Schadensart Die Norm bestimmt nicht nur den Geschädigten und die Möglichkeit etwaigen Drittschadensersatzes. Sie begründet und umgrenzt auch qualitativ den Schaden. Welcher Schaden im Sinne eines Schadensersatzanspruchs relevant ist, geht aus einer Prüfung derselben den Anspruch gewährenden Norm, einschließlich der verletzten Verhaltenspflicht hervor. (All das hat mit „Kausalität“ nichts zu tun, was in der Diskussion um die Normzwecktheorie oft nicht gesehen wird.) 1. a) Wird ein Vertrag verletzt, so kann der Schaden im eigentlichen Verletzungserfolg oder in Folgeschäden bestehen.

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Das vom Dachdecker schuldhaft schlecht gedeckte Dach weist einen eigentlichen Verletzungsschaden auf. Dadurch aufgetretene Nässeschäden und entgangene Verdienste durch Unabsetzbarkeit nasser Ware sind zu ersetzende Folgeschäden. Näher oben Rdn. 483.

b) Außerhalb dieser Grenzen liegende Schadensrisiken werden von der zugrunde liegenden Vertragspflicht dem Schuldner nicht aufgebürdet. Treten sie ein, trifft den Forderungsgläubiger das Unglück. Man kann zwei Risiken dieser Art unterscheiden: aa) Gefahrenrisiken gehen nur zu Lasten des Schuldners, wenn seine Vertragspflichten das Einstehen für eine bestimmte Gefahr nach den Vereinbarungen oder nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte umfassen. Der zum Schutz gegen Diebe angestellte Nachtwächter, der ein offen stehendes Kellerfenster übersieht, ist nicht haftbar, wenn die Kartoffeln erfrieren. Anders wenn es seine Pflicht war, allgemein auf Ordnung und Sicherheit zu achten. – Der Gläubiger, der zum säumigen Darlehensschuldner geht und sich dabei ein Bein bricht, kann diesen Schaden nicht als Verzugsschaden geltend machen. bb) Kalkulationsrisiken gehen grundsätzlich zu Lasten des Geschädigten, wenn er es unterließ, darüber im Vertrag eine andere Regelung zu treffen. Wenn die Bundesbahn einen Waggon falsch abwiegt und der Verfrachter dadurch dem Belieferten eine falsche Quantität berechnet, muss der Verfrachter den Schaden tragen. Die Wiegevereinbarung mit der Bahn hat im Zweifel nicht den Zweck, dem Verfrachter Kalkulationsunterlagen zu verschaffen.

Die weiteren Folgen eines Kalkulationsirrtums sind nach h. M. wie folgt zu beurteilen. Ein verdeckter Kalkulationsirrtum (dem Vertragspartner werden lediglich das Ergebnis, nicht aber die Grundlagen der Kalkulation mitgeteilt) ist ein bloßer Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt. Dies gilt auch dann, wenn der andere Teil

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den Kalkulationsirrtum hätte erkennen können, ja selbst dann, wenn er ihn tatsächlich erkannt hat. In diesen Fällen kann den anderen Teil aber eine vorvertragliche Hinweispflicht treffen. Außerdem kann es ihm gem. § 242 (unzulässige Rechtsausübung) verwehrt sein, sich auf den Vertragsabschluss zu berufen, wenn er den Irrtum erkannt hat, und die Vertragsdurchführung für den Erklärenden unzumutbar ist.6 Ähnliches gilt beim offenen Kalkulationsirrtum (dem Vertragspartner werden nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Grundlagen der Kalkulation mitgeteilt). Eine Anfechtung scheidet aus (str). Es ist aber zu prüfen, ob sich aus der Auslegung der Erklärung ergibt, dass nicht der falsch ermittelte Gesamtbetrag, sondern die Summe der Kalkulationselemente gelten sollte. Die Auslegung kann auch ergeben, dass die Erklärung des Irrenden wegen innerer Widersprüchlichkeit (Perplexität) unwirksam ist. Zu denken ist außerdem an die Verletzung vorvertraglicher Pflichten, das Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage (§ 313, s. o. § 27) und an unzulässige Rechtsausübung (§ 242).7 620

2. Deliktische Schäden werden artmäßig durch die verletzte Verhaltensnorm festgelegt. Wer mit einem Bagger bei Ausschachtungsarbeiten schuldhaft ein Stromkabel beschädigt, haftet nach § 823 I dem Kabeleigentümer, nicht aber einem dritten Unternehmer, dessen Betrieb durch den Stromausfall stillsteht, BGHZ 29, 65. Das Recht am Unternehmen erstreckt sich nicht auf eine ungestörte Stromzuführung, die bei außerhalb des Unternehmens vorgenommenen Schachtarbeiten unterbrochen wird. Wird aber durch den Stromausfall Eigentum zerstört, ist ein subjektives Recht verletzt, so dass Ersatz zu leisten ist, BGHZ 41, 123 (Küken verenden im elektrischen Brutkasten). – Wer den Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung zuwider Bauarbeiter dichtgedrängt auf offenem Lkw zur Baustelle fährt, haftet bei einem Unfall für die dadurch entstehenden zusätzlichen Verletzungen, aber nicht für Erkältungen, die sich die Arbeiter während der Fahrt zuziehen. Auch der Fall des Naturschutzbaumes (oben Rdn. 610) zählt hierher. – Wenn ein Apotheker vorschriftwidrig auf ein Rezept das Medikament mehrfach abgibt, so dass der Patient stirbt, so entlastet es den Apotheker, wenn er nachweisen kann, dass der Arzt auf Befragen mit Sicherheit das Rezept zur Wiederholung zugelassen hätte und dass die tödliche Gefahr einer mehrfachen Verabfolgung weder dem Arzt noch der Medikamentenfirma bekannt war. Das Verbot, bestimmte Rezepte mehrfach anzunehmen, soll dagegen sichern, dass vom Arzt nicht geprüfte und verordnete Medikamente verabreicht werden, nicht aber gegen die Unkenntnis des Arztes, der pharmazeutischen Industrie oder der Wissenschaft.

§ 53 Verursachung Bodewig, AcP 185 (1985) 505; Bydlinsky, Probleme der Schadensverursachung, 1964; v. Caemmerer, Das Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht, 1956; Deutsch, JZ 66, 556; ders., in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beih. VersR), 1983, 97; Esser, Karlsruher Forum 1959, 20; Fenyves/ Weyers (Hrsg.), Multikausale Schäden in modernen Haftungsrechten, 1988; Fleischer, JZ 1999, 766; Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf und Schadensfeststellung, 2001; Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, 1971; Henning Heuer, Der richtige Bezugspunkt des Adäquanzurteils, Diss. Münster 1964; Huber, U., JZ 69, 677; ders., FS Heimpel, Bd. III, 1972, 440; Koziol, FS Stoll, 2001, S. 233; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 3; Lanz, Alternativen zur Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang, 1974; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objek6 BGH NJW 1998, 3192 (3194). 7 Näher hierzu Medicus Bürgerliches Recht Rdn. 134.

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Verursachung

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tiven Zurechnung, 1927; ders., JuS 65, 373; ders., FS Honig, 1970, 79; Mäsch, Chance und Schaden, 2004; Medicus, JuS 2005, 289; Michalski, Jura 1996, 393; Raiser, Thomas, JZ 63, 462; Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004; Rothenfußer, Kausalität und Nachteil, 2003; Rother, NJW 65, 177; ders., Recht u. Staat, 1968, 364/365; ders., in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beih. zu VersR), 1983, 184; Schmidt, J., AcP 175 (1975), 222; Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, 1904.

I. Begriffe und Abgrenzungen Entscheidend für die Frage der Kausalität ist die Norm, die das menschliche Verhalten normiert und Verstöße ahndet. Ebenso wie der Schaden normerheblich sein muss, um ersetzt zu werden, muss das Herbeiführen des Schadens durch die Handlung normgemäß sein, so dass außernormative Herbeiführungsweisen außer Betracht zu bleiben haben. Sie begründen keine Schadenshaftung. Das „Herbeiführen“ wird üblicherweise als Verursachung, Kausalität, bezeichnet, wobei früher die Vorstellung dahin ging, die naturwissenschaftliche Kausalität sei für die Haftungsbegründung entscheidend (Äquivalenztheorie) oder bilde zumindest die Grundlage für die Auswahl rechtlich bedeutsamer Ursachen (Adäquanztheorie). Die Normzwecktheorie lehrt zu Recht, dass natürliche Verursachung noch nicht von rechtlichem Belang zu sein braucht, dass vielmehr die Norm wertend über die Verknüpfung von Handlung und Schaden entscheidet. Nun hat aber nicht jede Norm ihren eigenen Begriff der Herbeiführung. Es wäre praktisch unerträglich, wenn jede einzelne Schadensersatznorm nach einer eigenen „Kausalitätstheorie“ verfahren würde. So sehr es richtig ist, dass letztlich die Norm die Schadensverursachung zu einer Frage rechtlicher Bewertung macht und die Verursachung damit nach Maßgabe der Norm qualifiziert und individualisiert, so sehr bedarf es zumindest für große Gruppen von Schadensfällen generalisierender Kausalitätstheorien. Nur ist dabei der Jurist nicht an naturwissenschaftliche Logik gebunden. Aber auch für den Juristen gibt es gleichbleibende Antworten auf die Frage: Was folgt aus was? Im Rahmen des Normzwecks gilt es daher, generalisierende Kausalitätsbegriffe für das Zivilrecht zu ermitteln. Soweit ersichtlich, gelten im Zivilrecht drei Kausaltheorien.

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II. Die Äquivalenztheorie 1. Nach der Äquivalenztheorie ist kausal jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt (conditio sine qua non). Es handelt sich um den naturwissenschaftlichen Begriff der Kausalität. Alle Bedingungen, die zum Erfolg führen, wiegen gleich schwer, sind also äquivalent.

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Im Ergebnis zieht die Äquivalenztheorie den Rahmen der ursächlichen Bedingungen sehr weit. Auch Mitverursachung ist also Verursachung. Bei den schwierigen Fällen der Rentenneurosen fehlt es nur dann an einer Kausalität, wenn die seelische Störung erst durch die – wenn auch unbewusste – Begehrensvorstellung nach einer Lebenssicherung oder die Ausnutzung einer vermeintlichen Rechtsposition ihr Gepräge erhält und wenn der Unfall zum Anlass genommen wird, den Schwierigkeiten des Arbeitslebens auszuweichen, BGHZ 20, 137.

2. Die Äquivalenztheorie erweist sich für das Zivilrecht als zu weit. Dies ergibt sich schon aus dem weiten „objektiven“ Verschuldensbegriff des § 276, vgl. unten Rdn. 651. Danach kommt es nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf die „verkehrserforderliche Sorgfalt“ an. Nicht die Sorgfalt des konkret Handelnden, sondern die eines ordentlichen Staatsbürgers, Kaufmanns, Taxichauffeurs, Dachdeckers usw. ist der Maßstab. Die notwendige Einschränkung der Haftung erfolgt auf der Ebene der Verursachung über die Adäquanztheorie, unten III. Wo jedoch die Äquivalenztheorie selbst geeignet ist, zu einer vernünftigen Haftungseingrenzung zu führen, gilt sie in den gesetzlich festgelegten Einzelfällen, z. B. wo ein sog. „gemischter Zufall“ (casus mixtus) ausnahmsweise eine Schadenshaftung verhindert: Der Schaden wäre auch bei Beachtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt eingetreten; zwei äquivalente Bedingungen, von denen nur eine die Sorgfaltspflichtverletzung ist, haben ihn verursacht, §§ 287 S. 2, 848, 831 I a. E., 832 I 2, 833.

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Beispiel: Auf einem Ausflug kaufen Mutter und ihre drei Kinder an einem Stand „Eis am Stiel“. Als die Mutter wegschaut, gelingt es dem besonders „geschickten“ Kind K, eine Schachtel mit Speiseeis zu stehlen. Es wäre ihm aber auch bei sorgfältigster Aufsicht gelungen, da es in diesen Dingen Übung hatte, § 832 I (bei Aufsicht durch ein Kindermädchen § 832 II). Verallgemeinern lässt sich dieser in den §§ 287 S. 2, 848, 832 und 833 enthaltene Grundsatz aber nicht. Folgen allerdings die „Reserveursachen“ der Sorgfaltspflichtverletzung zeitlich nach, so kann eine Haftungsminderung nach den Grundsätzen der Interesseermittlung („überholende Kausalität“) eintreten (unten Rdn. 697 ff). In Schwierigkeiten kommt die Äquivalenztheorie in den Fällen der sog. (a) alternativen und (b) kumulativen Kausalität. Beispiel zu (a): A und B reichen dem C je eine Dosis Gift, wobei jede für sich tödliche Wirkung hätte.1 Beispiel für (b): Die Dosis des A und B waren, jede für sich betrachtet, nicht tödlich, beide Dosen zusammen führen aber den Tod herbei. Denkt man im Fall (a) die Tat des A hinweg, wäre C an der Dosis des B gestorben und umgekehrt. Beide Handlungen sind also gleichzeitig kausal und nicht kausal. Hier muss die Bedingungsformel modifiziert werden: Ursächlich ist jede Bedingung, wenn bei Hinwegdenken aller sonstigen kumulativ auftretenden Bedingungen der Erfolg nicht entfiele. Im Fall (b) entfällt dagegen der Erfolg, wenn man die Handlung des A oder B hinwegdenkt. Es liegt also bereits nach der allgemeinen condicio sine qua non-Formel Kausalität vor.2 Zu beiden Kausalitätsproblemen vgl. unten § 112.

III. Die Adäquanztheorie 625

1. Die große Masse der zivilrechtlichen Schadenshaftungen kann aber mit der Äquivalenztheorie nicht befriedigend begründet werden. Sie zieht den Kreis der Ursachen zu weit. Wertend – und zwar aus der Summe der Normen und nicht aufgrund einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung – müssen ungewöhnliche äquivalente Bedingungen als zivilnormenfremd ausgeschieden werden. Dadurch entsteht, über die naturwissenschaftliche Kausalität hinaus, eine rechtswertende Betrachtung des Ob und auch des Wie der Herbeiführung eines Schadens, RGZ 171, 242; BGHZ 1, 387; 3, 261; 14, 136; 18, 286 = ESJ 48; 25, 86 = ESJ 47; 79, 259. Während also die Äquivalenztheorie aus einem einzigen Satz besteht, kann man die Adäquanztheorie nur in zwei Sätzen ausdrücken, die man nebeneinander stellen muss: „Ursächlich im Sinne der Adäquanztheorie ist zunächst wiederum jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt“. Die Äquivalenztheorie ist also die Grundlage der Adäquanztheorie. An der Äquivalenz fehlt es bereits z. B. in dem Fall BGHSt. 11, 1 = JZ 58, 280 (zust. Anm. Mezger): Ein Lastzugfahrer überholte auf gerader, übersichtlicher Strecke mit etwa 27 km/h einen Radfahrer. Der Abstand war zu gering, nur 75 cm. Der Radfahrer, der betrunken war (1,95 ‰), torkelte, wurde überfahren und verstarb an der Unfallstelle. Es wurde festgestellt, dass der betrunkene Radfahrer mit Sicherheit auch dann gestürzt und unter den Lastzug gekommen wäre, wenn der Fahrer den gebotenen Seitenabstand von 1,5 m eingehalten hätte. – Die Bedingung für den Tod ist hier nicht das „Überholen“ schlechthin, sondern das Überholen des Radlers in zu geringem Abstand von 75 cm. Denkt man das Fehlverhalten hinweg, nimmt man also das richtige Überholen an, so wäre der Tod nach dem Urteil der Sachverständigen auch unter den gleichen Umständen eingetreten. Also ist das fehlerhafte Überholen nicht äquivalente Ursache für den Tod. Eine Adäquanz braucht nicht mehr geprüft zu werden (noch viel weniger ein „Rechtswidrigkeitszusammenhang“, a. A. v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität im Schadensersatzrecht 1962, 31 m. w. A.). Auch liegt kein Fall der Berufung auf „rechtmäßiges Alternativverhalten“ vor. Dies betrifft eine Frage der Schadens1 Das Problem der alternativen Kausalität stellt sich nur bei Gleichzeitigkeit der Wirkung. Bewirkt eine Ursache den Erfolg vor der anderen, ist nur die erste Ursache kausal. 2 BGH NJW 1990, 2882 (2883f). Fallbeispiel bei Heinemann/Schürholz, Jura 2002, 693.

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zurechnung, unten § 57 V m. w. N. Auf rechtmäßiges Alternativverhalten, das den gleichen Schaden herbeigeführt hätte, darf sich der Schädiger nicht berufen, wenn die verletzte Verhaltensnorm den Schutz eines über die unmittelbare Schadensvermeidung hinausgehenden Rechtszwecks verfolgt. („Wo käme man hin, wenn man dies tun dürfte, bloß weil der Schaden sowieso eintreten würde.“) So liegt es im Radfahrerfall nicht (a. A. Hanau, 61). Das Überholen im gebotenen Seitenabstand bezweckt die Verhinderung von Unfällen dieser Art. Der Fahrer handelte zwar verkehrsordnungswidrig, aber dies war keine mitursächliche Bedingung für den Tod des Radfahrers. Es liegt wie in den Fällen des casus mixtus.

2. Zunächst ist also auch im Zivilrecht die Äquivalenz der fraglichen Bedingungen zu prüfen, zutreffend BGHZ 2, 138. Dann folgt – auch im Gutachten! – sinngemäß ein einschränkender Satz. „Ein Ereignis im Sinne des Zivilrechts ist aber nur kausal, wenn es im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen.“ (BGHZ 7, 204; 57, 141; BGH NJW 76, 1144; 86, 1331) Entscheidend ist eine objektive nachträgliche Prognose. Von den äquivalenten Bedingungen werden also die inadäquaten ausgeschieden. Die Kausalität wird damit im Zivilrecht enger als in den Naturwissenschaften und im übrigen Strafrecht gezogen. Die Vorhersehbarkeit spielt, nach herrschender Lehre, für die Adäquanz grundsätzlich keine Rolle, jedenfalls nicht im subjektiven Sinne. Nur objektiv außergewöhnliche Kausalzusammenhänge scheiden aus.

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3. Das Wort „Adäquanztheorie“ wird in seiner vorstehenden Bedeutung aber in einem andern Sinne als im Sinne der überkommenen Adäquanzlehre gebraucht. Während in der bisherigen herrschenden Lehre die „Adäquanz“ auf das in natürlichem Sinne Übliche und Wahrscheinliche bezogen wurde, bedeutet „Adäquanz“ in dem hier verwendeten Sinne „der durchschnittlichen zivilistischen Schadensersatznorm angemessen“. Die durchschnittliche zivilistische Verursachung muss nicht etwa „nicht unüblich“, sie muss, allgemein beurteilt, normangemessen, normrelevant sein. Der Bezugspunkt des Adäquanzurteils hat sich in der neueren Schadensersatzlehre geändert (Henning Heuer). Dies, nicht etwa die Ersetzung jeglichen Kausalitätsurteils ist die Errungenschaft der „Normzwecklehre“, oder wie hier gesagt wird: der Lehre von der Normrelevanz der Schadenskomponenten. In diese Richtung deutend: BGHZ 18, 288. 4. Beispiele. – Vertragsrecht: Wer die verkaufte Wanduhr vor Lieferung zertrümmert, verursacht den Nichterfüllungsschaden des Käufers. Der Gesellschafter, der die ihm übertragenen Bilanzaufgaben schlecht löst, verursacht den Schlechterfüllungsschaden der anderen Gesellschafter. Hätten sich die Schuldner richtig verhalten, wären die Schäden nicht eingetreten. Es ist auch nicht ganz ungewöhnlich, dass bei derartigem Verhalten solche Schäden entstehen. Wenn sich nun aber der Käufer der Wanduhr oder ein Mitgesellschafter aus Kummer über die Vertragsverletzung das Leben nehmen wollen und, da der Selbstmordversuch misslingt, erwerbsunfähig werden, ist der Zusammenhang dieses Schadens mit der Art der jeweiligen Vertragsverletzung so ungewöhnlich, dass er für die normale schadensersatzrechtliche Betrachtungsweise unberücksichtigt bleiben muss. Die Geschädigten haben sich die Folgen ihrer ungewöhnlichen Gemütsaufwallung selbst zuzuschreiben. Das auch dann, wenn etwa der nachlässige Gesellschafter wusste, dass sein Mitgesellschafter akut gemütskrank war und keine Aufregung haben durfte. Denn es kommt auf den allgemeinen Normzweck an. (Möglicherweise besteht aber nun deliktische Haftung.) § 708 ist zu beachten. – Deliktsrecht: S überfährt den D mit dem Auto. D muss ins Krankenhaus. Der Schaden des D ist durch S verursacht. Das Überfahren kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Krankenhausaufenthalt entfällt. Wegen der 5tägigen Verzögerung muss D eine Geschäftsreise per Flugzeug um 5 Tage verschieben. Das Flugzeug, das er nun 5 Tage später benutzt, stürzt ab. Die Witwe des D verlangt von S eine Rente. Ist das Überfahren äquivalente Bedingung für den Tod? Diese Frage muss bejaht werden. Aber es ist ein außergewöhnlicher Kausalverlauf, dass ein Autounfall wegen des Krankenhausaufenthaltes zu einer Flugzeugumbestellung führt, wobei das nun gewählte Flugzeug abstürzt. Das Überfahren ist also keine adäquate Bedingung für den Tod durch Flugzeugabsturz. – A gibt B eine Ohrfeige. B stirbt daran, weil er eine anomal dünne Schädeldecke hat. Der Tod ist durch

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A im Sinne der Äquivalenztheorie verursacht worden, aber auch im Sinne der Adäquanztheorie, da es nicht ganz ungewöhnlich ist, dass jemand eine anomal dünne Schädeldecke besitzt, die schon wegen einer Ohrfeige zum Tode führt. Besondere körperliche Konstitutionen kommen vor und schließen den Kausalzusammenhang im Sinne der Adäquanztheorie nicht aus (so die ständige Rechtsprechung: RGZ 155, 41; BGH NJW 1996, 2425 m. w. N.). Das Gleiche gilt für anomale geistige Verfassungen, soweit es sich nicht um Selbstverstümmelung und Selbstmorde handelt (s. o.): Ein Mops bellt eine ältere Dame an, die wegen ihrer besonderen Ängstlichkeit daraufhin den Halt verliert und die Treppe hinabstürzt.

IV. Bloßes Wahrscheinlichkeitsurteil. Geeignetheit 630

Während die Äquivalenztheorie in den Fällen des haftungshindernden casus mixtus und die Adäquanztheorie in praktisch allen übrigen Schadensersatzfällen normrelevant erscheinen, können besondere Schadensumstände einen dritten Maßstab für die Prüfung fordern, ob eine Handlung einen Erfolg „herbeigeführt“ hat: die bloß statistische Wahrscheinlichkeit. Dieser Maßstab ist namentlich dann angemessen, wenn Beweisschwierigkeiten den Geschädigten am Nachweis hindern, dass der Schaden von einem bestimmten unter mehreren in Frage kommenden Schädigern herrührt. Das ist der Fall, wenn sehr viele Schädiger in Frage kommen, wenn die Art der Schädigung technisch oder wissenschaftlich kompliziert ist oder wenn möglicherweise ein einzelner, möglicherweise aber auch nur die Mehrheit mehrerer Schädiger den Schaden herbeigeführt hat und sich weder das eine noch das andere beweisen lässt. Bekannt ist das Problem der „summierten Immissionen (Westermann, Sachenrecht, § 63 II 3d) vor allem bei Rauchschäden in industriellen Ballungsräumen. Hinzu tritt die Haftung für Atomschäden (Schülli, Rechtsprobleme beim Kausalitätsnachweis von Strahlenschäden, Diss. 1964). In diesen Fällen versagt die Frage nach der „Bedingung, die nicht wegzudenken ist, ohne dass der Erfolg entfiele“. Dadurch werden Äquivalenz- und Adäquanztheorie unbrauchbar. Angemessen ist eine statistische Durchschnittsberechnung, oder, wo eine solche mangels Erfahrungen noch nicht vorliegt, eine einfache Wahrscheinlichkeitsschätzung. Doch müssen dies, wegen der Gefahr von Fehlschätzungen, Sonderfälle bleiben. Auch muss dem Einzelnen der (schwer zu erbringende) Beweis offen bleiben, dass seine Handlung für den Schaden nicht äquivalent kausal war, vgl. auch § 830 I 2. Das Kausalitätsproblem bei Umweltimmissionen versucht § 6 I 1 UmweltHG durch eine Kausalitätsvermutung für alle schadensgeeigneten Anlagen zu lösen; s. unten Rdn. 1697. Das danach geforderte Geeignetheitsurteil liegt noch unter der Wahrscheinlichkeit.

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Ungeklärt ist die Frage, ob eine allgemeine Schadensersatzhaftung in den Fällen besteht, in denen die Kausalität eines bestimmten Verhaltens für einen Verletzungserfolg zwar nicht vollständig nachgewiesen werden kann, aber wahrscheinlich ist. In der Literatur wird dies (in Anlehnung an die französische „perte d’une chance“-Doktrin) unter dem Schlagwort „Verlust einer Chance“ diskutiert.3 Gedacht wird hierbei an Fälle (insbesondere im Bereich von Dienstleistungen, z. B. die Haftung für medizinische Dienstleistungen oder juristische Beratung), in denen der Schuldner auf einen Erfolg hinarbeiten soll, der nicht allein von seiner Tätigkeit abhängt. Beispiel: Ein Patient hat eine Heilungschance von 30 Prozent (bei korrekter ärztlicher Behandlung). Der behandelnde Arzt begeht einen Behandlungsfehler. Der Patient gesundet nicht. – Es kann in diesem Fall nicht nachgewiesen werden, dass der Arzt für den Schaden kausal geworden ist, da die Gesundung auch bei pflichtgemäßer Behandlung mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent ausgeblieben wäre.

3 Fleischer, JZ 1999, 766; Mäsch Chance und Schaden (2004), z. B. S. 145 f. Ablehnend Großerichter Hypothetischer Geschehensverlauf und Schadensfeststellung (2001) S. 228 f; Koziol, FS Stoll, 2001, S. 233.

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Verursachung

§ 53 V

Zu einer Haftung kann man einerseits kommen, indem man Beweiserleichterungen zulässt. Die höchste Stufe ist die Beweislastumkehr: Der Arzt muss dann beweisen, dass sein Behandlungsfehler nicht kausal für den Schaden geworden ist. Die Lehre vom Verlust einer Chance hat demgegenüber einen anderen Ansatzpunkt: Es wird nicht auf die Kausalität der Pflichtverletzung für den Verletzungserfolg abgestellt. Vielmehr wird bereits der Verlust der Chance als solcher als Schaden angesehen. Die Pflichtverletzung (z. B. der ärztliche Behandlungsfehler) sorgt dafür, dass diese Erfolgschance zunichte gemacht wird. Kausalität der Pflichtverletzung für den Verlust der Chance ist also zweifelsfrei zu bejahen. Es bleibt die Schwierigkeit, den Schaden, also den Verlust der Chance zu bewerten. Ausgangspunkt hierfür ist der Erwartungswert, also der Gesamtschaden multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit seiner Vermeidung (im Fall pflichtgemäßen Verhaltens).4 Im Ergebnis kommt man hierdurch zu einer Teilung des Gesamtschadens. Im Beispielsfall hätte der Arzt bei einem Behandlungsfehler 30 Prozent des Gesamtschadens zu ersetzen, da er die 30-prozentige Heilungschance durch seinen Fehler zerstört hat.

V. Besonderheiten 1. Vorsätzliches (oder fahrlässiges) Eingreifen Dritter „unterbricht“ als solches den Kausalzusammenhang nicht; BGHZ 17, 149; 43, 178 – Auffahrunfälle im Nebel –; vgl. zu den Kausalitätsproblemen bei Massenunfällen Fichtner, VersR 86, 320.

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A verursacht einen Autozusammenstoß. Der betroffene Wagen brennt. Ein hinzuspringender Passant P will den Brand löschen. Hierbei erleidet er Brandverletzungen. Diese Verletzungen sind durch die Handlung des A adäquat verursacht. Das vorsätzliche Eingreifen des P steht dem nicht entgegen. – BGHZ 37, 311: Ein Lkw-Halter leiht dem Dieb den Lkw zum Abtransport der Beute. Von einem Polizisten verfolgt, will der Dieb mit dem Lkw fliehen. Der Polizist springt auf, der Dieb fährt absichtlich so gegen einen Baum, dass der Polizist verletzt wird. Der Halter haftet gem. § 7 StVG auch dafür. – Es kommt nicht darauf an, ob das Eingreifen des Dritten rechtmäßig war oder nicht. Vielmehr entscheidet das vom Anspruchsschuldner gesetzte Risiko, das bei Gefährdungshaftung besonders umfangreich ist.

2. Auch Unterlassungen können kausal sein. Unterlassungen im Rechtssinne sind nicht einfaches Nichtstun, sondern ein Etwas-nicht-tun. Infolgedessen kann dies Unterlassen zu einem spezifischen Erfolg führen. Kausal ist die Unterlassung, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des schädigenden Erfolgs mit Sicherheit oder mit einer an Sicherheit grenzenden „verdichteten Möglichkeit“ verhindert hätte, BGHZ 7, 203; 34, 215.

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Der Arzt unterlässt eine notwendige Bluttransfusion. Der Patient stirbt daraufhin. Der Arzt hat seine Pflicht – nämlich Vornahme der Bluttransfusion – nicht erfüllt. Dieses Etwas-nicht-tun ist ursächlich für den Tod des Patienten. Vgl. BGH LM Nr. 4 zu § 31 BGB. Wäre trotz Tätigwerden der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten, ist die Unterlassung nicht kausal. Es fehlt, im Sinne der obigen Adäquanztheorie, die Äquivalenz als Grundlage der Adäquanz: Obwohl man sich das Unterlassen hinwegdenkt, man also ein Tätigwerden annimmt, tritt der Erfolg ein, den man zunächst also fälschlich dem Unterlassen zuschrieb. Ein Beispiel ist der Fall des betrunkenen Radfahrers, oben Rdn. 625, BGHSt. 11, 1.

3. Sehr strittig ist, ob sog. Vorhaltekosten vom Schädiger kausal hervorgerufen werden.

4 Mäsch Chance und Schaden (2004) S. 320 ff.

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§ 54 I

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Leistungsstörungen

Zwei Fallgruppen stehen im Mittelpunkt der Diskussion, die Bereitstellung von Reserven für den Fall der Schädigung (Reserve-Straßenbahnwagen im Depot, Reparaturwerkstatt des Autovermieters) und Rechtverfolgungskosten (Kontrollorganisationen der Warenhäuser gegen Diebstähle; der Urheberrechts-Verwertungsgesellschaften gegen Rechtsverstöße; Unterhaltung von Detektiven, Wachhunden; Fangprämien für die Entdeckung von Ladendieben usw.). Der BGH (BGHZ 75, 230) und die h. M. bejahen Kausalität aus verschiedenen Gründen (Venzmer; VersR 1963, 795: Zwecksetzung geht vor Zeitabfolge; Thiele, FS Felgenträger 1969, 405: Vorsorgemittel kausal im herkömmlichen Sinne; Weis, Schadensersatz bei Aufwendungen des Geschädigten vor dem Schadensereignis, 1967, 86: Vorsorge wird von Naturalherstellung umfasst; Löwe, VersR 1963, 307: Schaden resultiert aus Zweckvereitelung der Aufwendung; Schmidt, JZ 74, 73: Differenz der Rechtslagen entscheidet; M. R. Will, MDR 76, 6: Fangprämien auch bei Fahrerflucht angemessen; Pecher, JuS 81, 645). – Die Vorsorge muss sich jedoch im Rahmen der allg. Schadensminderungspflicht halten, 254 II 1. Insoweit sind Vorhaltekosten berechtigte Aufwendungen des Geschädigten und ihre zeitliche Vorwegnahme hindert gerade darum nicht die Bejahung der Kausalität. Doch können sie dem Schädiger nur anteilig angelastet werden; siehe zu den Schadensumfangsproblemen in diesen Fällen unten Rdn. 695 mit weiterer Literatur. 4. Die Beweislast für die „Äquivalenz“ trägt im Allgemeinen der Geschädigte (BGH NJW-RR 88, 1367 – Notarhaftung –; BGH NJW 88, 3013 – Anwaltshaftung –; BGH NJW-RR 89, 152 – Haftung des Steuerberaters –), die für die Inadäquanz von Ursachen der Schädiger. Bei Unübersichtlichkeit von Kausalabläufen können Beweislastumkehrungen Platz greifen; RGZ 171, 168 – ärztlicher Kunstfehler –; BGHZ 11, 227; BGHZ 85, 212 – Arzthaftungsprozess –. 5. Die Ursächlichkeit kann auch rein „psychisch vermittelt“ sein, BGHZ 70, 374 (376).

§ 54 Rechtswidrigkeit v. Bar, Verkehrspflichten, 1980; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385; v. Caemmerer, FS DJT, Bd. II, 1960, 49; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963; ders., Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund, 1969; Esser, ZÖsterrR 1946 Heft 3/4; ders., Karlsruher Forum 1959, 15; Fischer, Hans Albrecht, Die Rechtswidrigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 1911; Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB, 1979; Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, 1971; Heinitz, Das Problem der materiellen Rechtswidrigkeit, 1926; Himmelreich, Notwehr und unbewußte Fahrlässigkeit, 1971; Horn, Untersuchungen zur Struktur der Rechtswidrigkeit, 1962; Larenz, FS H. Dölle, 1963, Bd. l, 169; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979; Mertens, AcP 178 (1978), 227; ders., VersR 80, 357; Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, 1966; Ohly, „Volenti non fit miuria“ – Die Einwilligung im Privatrecht, 2002; Rother, (II.) FS Larenz, 1983, 537; Schreier, Schuld und Unrecht, 1935; Stathopoulos, (II.) FS Larenz, 1983 631; Steffen, VersR 80, 409; Stoll, Hans, JZ 58, 137; ders., Handeln auf eigene Gefahr, 1961; Welzel, JuS 66, 421; Wieacker, JZ 57, 535; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, 1960; Zeuner, JZ 61, 41.

I. Begriff 636

Die Norm definiert die Rechtspflicht und für den Fall ihrer Verletzung Geschädigten und Schaden („wem gegenüber ist etwas unrecht?“). Die Norm begründet auch den

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Rechtswidrigkeit

§ 54 II

Zusammenhang zwischen Verletzung und Schaden („wie kam es zu dem Unrecht?“). Endlich regelt die Norm auch die Folgen des Unrechts („mit Rücksicht auf welche Folgen ist etwas unrecht?“). Damit ist aber die Kernfrage noch nicht gestellt: „Weshalb ist etwas unrecht?“ Dies ist die Frage der Rechtswidrigkeit (Widerrechtlichkeit). Die Antwort lautet: Rechtswidrig ist ein Verhalten, wenn es gegen eine Rechtsnorm verstößt. Hat man daher Verletzungshandlung, Schaden und Kausalität bejaht und auf diese Weise die Norm bereits angewandt, liegt die Rechtswidrigkeit in der Regel von selbst vor. Genauer: Sie ist indiziert, es können aber Rechtfertigungsgründe vorliegen, die die Rechtswidrigkeit ausnahmsweise beseitigen. Sowohl im Vertrags- als auch im Deliktsrecht bedeutet daher Rechtswidrigkeit praktisch das Fehlen von Rechtfertigungsgründen, und die Prüfung der Rechtswidrigkeit im Gutachten besteht praktisch meist nur aus der Untersuchung, ob Rechtfertigungsgründe vorliegen, welche die Rechtswidrigkeit ausschließen könnten. Zu der Erforderlichkeit der Konkretisierung von Handlungspflichten im Fall der Rahmenrechte und Verkehrssicherungspflichten, oben Rdn. 598 und unten Rdn. 1571.

II. Wesen der Rechtswidrigkeit.Tun und Unterlassen. Unrechtsindikation Grundsätzlich muss also die Verletzungshandlung rechtswidrig sein. Damit ist eine methodische und philosophische Grundfrage des Rechts angerührt. Was heißt rechtswidrig? 1. Rechtswidrig bedeutet dem Rechte zuwider. Das Recht regelt das Verhalten der Menschen untereinander. Rechtswidrigkeit ist also eine Aussage, die etwas besagt über die Rechtsstellung zweier oder mehrerer Personen zueinander. Es gibt keine abstrakte Rechtswidrigkeit, sondern man muss das Verhältnis der Person A zu der Person B beurteilen, wenn man zu dem Ergebnis eines rechtswidrigen Verhaltens von A gegenüber B gelangen will. 2. Das BGB gibt hierfür eine Reihe von Anhaltspunkten, wenngleich eine einheitliche Lehre der Rechtswidrigkeit im Gesetz nicht vorgetragen wird. Das BGB kennt absolut und relativ wirkende Rechte. Je nachdem, ob ein absolutes Recht oder ein relatives widerrechtlich verletzt ist, gestaltet sich nach bürgerlichem Recht die Rechtslage verschieden. Von absolut geschützten Rechten handelt § 823 I, von Schutzgesetzen § 823 II. Wird eines der dort genannten Rechtsgüter verletzt, ist der Verletzer zum Schadensersatz verpflichtet. Der Kreis der Verletzer ist beliebig groß. Im Unterschied dazu sind Vertragsrechte Rechte mit relativem Charakter. Hier fehlt eine dem § 823 I entsprechende Vorschrift. Aber auch eine Vertragsverletzung muss rechtswidrig sein, um zu Schadensersatz zu führen. Man muss daher auch bei Forderungsverletzungen Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Vertretenmüssen unterscheiden. 3. Was heißt also Rechtswidrigkeit in § 823 I und bei Verletzung relativer Rechte? Rechtswidrig ist, wie erwähnt, eine menschliche Handlung, die der Rechtsordnung widerspricht, d. h. ein Rechtsgebot oder ein rechtliches Verbot verletzt (Enneccerus/Lehmann). – Diese Begriffsbestimmung der Rechtswidrigkeit gilt gleich für § 823 I, für die Verletzung von Forderungsrechten und für das Strafrecht. Rechtswidrigkeit ist also ein Verstoß gegen ein Ver- oder Gebot. Besteht die Handlung in einem Tun, ist der Verstoß gegen ein Verbot gerichtet. Besteht die Handlung in einer Unterlassung, wird gegen ein Gebot verstoßen. a) Durch die Zuerkennung absoluter oder relativer Rechte an Personen ergeht automatisch ein Verbot an alle anderen, im Falle des relativen Rechts an einen bestimmten anderen, das Recht nicht zu verletzen. Das bedeutet, dass durch die Verletzung absoluter Rechte und von Vertragspflichten die Rechtswidrigkeit nach Auffassung des BGB zunächst einmal von selbst eintritt (sog. „Unrechtsindikation“), vgl. § 823 I. Es ist nur die Rechtsverletzung nachzuweisen. Das genügt zunächst für den Nachweis der Widerrechtlichkeit. Die Folge ist, dass, wenn die Tatbestandsmäßigkeit einer Forderungsverletzung dargetan ist, die Rechtswidrigkeit vermutet wird und nur noch die Schuld zu prüfen ist. Darum spielt die Prüfung der Rechtswidrigkeit bei Vertragsverletzungen eine verhältnismäßig geringe Rolle. Dennoch ist die Rechtswidrigkeit bei Vertragsverletzungen nicht entbehrlich. Denn Rechtfertigungsgründe können die Rechtswidrigkeit beseitigen. Der Verletzer muss sie vortragen und

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§ 54 III

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Leistungsstörungen

im Streitfall beweisen. Liegen Rechtfertigungsgründe (z. B. Einwilligung) vor, ist die Widerrechtlichkeit ausgeschlossen. Bei den Schutzgesetzverletzungen (§ 823 II) und im Bereich sonstiger Verhaltensnormen ohne formulierte Rechtsgüter (z. B. § 826) wird die Rechtswidrigkeit aus der verletzten Norm entnommen. Dies wirkt wie eine Unrechtsindikation, aber man gebraucht diesen Ausdruck bei §§ 823 II, 826 nicht. Auch hier sind Rechtfertigungsgründe denkbar. b) All dies gilt, wenn die Handlung in einem Tun besteht („Tätigkeitsdelikte“). Eine Unterlassung ist hingegen nicht ein bloßes Nichtstun, sondern ein „Etwas-nicht-Tun“, Unterlassungen sind daher nur dann Handlungen, die den objektiven Tatbestand erfüllen, wenn eine Rechtspflicht zum Tun besteht. Die Verletzung einer solchen Rechtspflicht zum Tun macht die Unterlassung zu einer Handlung, deren Rechtswidrigkeit gegenüber dem Verletzten damit aber noch nicht feststeht, vgl. u. Rdn. 1544. Herkömmlicherweise können sich derartige Rechtspflichten gründen auf: aa) Gesetz bb) Vertrag cc) Vorausgegangenes Tun, entweder als gefährdendes, oder als „vertragslose Pflichtenübernahme“ dd) Konkrete Lebensgemeinschaft mit personenrechtlicher Bindung (Ehe, Familie, Verlöbnis, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Bergkameradschaft) ee) Verkehrspflichten des Deliktsrechts. Für die Rechtswidrigkeit eines „Unterlassungsdelikts“ gilt nichts besonderes: In § 823 und bei Verträgen indiziert der Eingriff in das Rechtsgut die Rechtswidrigkeit. In §§ 823 II, 826 folgt die Rechtswidrigkeit aus dem Normverstoß, und dies gilt ebenso bei sonstigen Verhaltensnormen ohne formulierte Rechtsgüter wie Verkehrspflichten und Pflichten des Warenherstellers (s. u. § 107 III, IV). c) Nur bei den sog. Rahmenrechten (Recht am Unternehmen – besser: Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht; Allgemeines Persönlichkeitsrecht) versagt die Unrechtsindikation durch den Eingriff. Wegen der generalklauselartigen Breite dieser Rechte muss die Rechtswidrigkeit des Eingriffs „positiv“ durch Interessenabwägung ermittelt werden, s. u. § 107 III.

III. Rechtfertigungsgründe 640

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Rechtfertigungsgründe können sich aus allen Gebieten des Rechts, neben dem Zivilrecht auch aus dem Straf- und öffentlichen Recht ergeben. Sie gelten gleichermaßen für alle schuldrechtlichen Schadensersatzansprüche. 1. Notwehr, § 227 BGB; § 32 StGB 2. Rechtfertigender gesetzlicher Notstand a) Verteidigungsnotstand, § 228 BGB b) Angriffsnotstand, § 904 BGB c) rechtfertigender Notstand, § 34 StGB 3. Unrechtausschließende Pflichtenkollision, seit RGSt 20, 192: Rechtmäßig handelt, wer im Falle einer Pflichtenkollision der höher- oder gleichwertigen Pflicht genügt (Pflicht zum Handeln). 4. Erlaubte Selbsthilfe, §§ 229, 679 BGB; Selbsthilfe im Rahmen der Familienpflege, seit BGHSt. 13, 197. 5. Einwilligung des Verletzten (volenti non fit iniuria, s. hierzu Ohly aaO), im Vertragsrecht der wichtigste Rechtfertigungsgrund. Sie darf nicht gesetz- oder sittenwidrig sein, BGHZ 7, 206. Sie kann stillschweigend erklärt sein, darf aber nicht zugunsten unentgeltlich Tätiger einfach unterstellt werden, BGHZ 30, 40. Aus gemeinsamer Teilnahme an einer von einem Automobil-Club veranstalteten Fahrt lässt sich eine stillschweigende Einwilligung nicht ableiten, BGHZ 39, 156. Einwilligung in die Gefahr bedeutet nicht Einwilligung in die Verletzung; für Sportverletzungen s. sogleich Rdn. 641. Auch der ärztliche Eingriff bedarf der Einwilligung des Behandelten. Die Behandlung ist nicht als „sozialadäquat“ und damit immer als rechtswidrig zu bezeichnen. Gegen die Lehre der „Sozialadäquanz“ grundsätzlich unten Rdn. 1408. 6. Mutmaßliche Einwilligung bei Handlungen a) im Interesse des Verletzten, Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. (Das Haus des verreisten

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Rechtswidrigkeit

§ 54 III

A brennt ab, die Nachbarn betreten mit Löschgeräten das Grundstück; ärztliche Eingriffe bei Bewusstlosen; Wasserrohrbruch beim Nachbarn führt zu Hausfriedensbruch.) b) im Interesse des Täters. (Die Nachbarn reißen die brennende Ruine ein, um ihre eigenen Häuser gegen Funkenflug zu schützen; zuverlässiger Kassierer isst vom kassierten Geld zu Abend und ergänzt es sogleich aus eigener Kasse.) 7. Das „Handeln auf eigene Gefahr“ Vom Handeln auf eigene Gefahr ist zunächst der Fall von Verletzungen unter Beachtung objektiver Verkehrspflichten zu unterscheiden. Beispiel: Sportverletzungen; A verletzt B beim Fußballspiel unter Beachtung aller Spielregeln; RGZ 141, 264. Hier ist die Verletzung nicht rechtswidrig (Hans Stoll). Es ist eine Einwilligung des Spielers in alle nicht regelwidrig zustande kommenden Verletzungen anzunehmen. Dasselbe gilt im Fall geringfügiger Regelverstöße für spieltypische Risikoanlagen (z. B. bei Übereifer oder technischen Fehlern).1 In den eigentlichen Fällen des Handelns auf eigene Gefahr hingegen fehlt es nicht an der Rechtswidrigkeit. Wer die Möglichkeit der Verletzung einer sorgfaltswidrigen Verletzung erkennt und sich dennoch in die Gefahr begibt, willigt noch nicht in alle daraus resultierenden Schäden ein. Das Verhalten des Geschädigten kann nur über § 254 (Mitverschulden) berücksichtigt werden, wenn er durch die wissentliche Inkaufnahme der Gefahr seinen Schaden mit verursacht hat.2 § 254 ist insoweit eine nähere Ausprägung des § 242. Wer sich bewusst in eine Gefahrenlage begibt und später für den dabei erlittenen Schaden Ersatz verlangt, setzt sich in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten (Argument des venire contra factum proprium). Bei der Abwägung im Rahmen des § 254 sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend. Das Handeln eines Minderjährigen kann nur nach den Grundsätzen der deliktischen Verantwortlichkeit (§ 828) bedeutsam werden. Wer sich also als unentgeltlicher Mitfahrer bei Glatteis einem erkennbar betrunkenen Autofahrer anvertraut, kann nach diesen Grundsätzen von dem – an sich auch für leichte Fahrlässigkeit haftenden – Fahrer nicht den vollen Schaden ersetzt verlangen; vgl. unten Rdn. 709. 8. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB analog Die Ausdehnung des § 193 StGB auf das Zivilrecht ist weniger streitig als jene auf andere Straftatbestände; vgl. besonders BGHZ 3, 280; 31, 308. Dies gilt vor allem bei Ehrverletzungen. Bei ihnen ist § 193 StGB Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, der in allen Fällen zutreffen kann, wo im Widerstreit verschiedener Belange die Verletzung eines Rechtsgutes in Kauf genommen werden muss. Eine Interessenabwägung hat zu erfolgen (für Presseveröffentlichungen s. BGHZ 31, 308). Eine Berufung auf berechtigte Interessen ist nicht erforderlich, wenn die Rechtsverletzung in einem Prozessvorbringen oder in einer Strafanzeige liegt: An Schriftsätze im Zivilprozess ist grundsätzlich ein anderer Maßstab anzulegen als an Schriften anderer Art, dazu grundlegend BGH NJW 62, 243. Die Anerkennung der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ als allgemeiner Rechtfertigungsgrund ist streitig. Einen anderen Unterfall bildet in diesem Zusammenhang das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, Art. 5 I GG; vgl. BVerfGE 7, 198. 9. Handeln aufgrund öffentlich-rechtlicher Befugnisse a) aufgrund subjektiv-öffentlichen Rechts b) anstelle der Staatsgewalt, § 127 StPO („Jedermann-Paragraph“) c) kraft amtlicher oder dienstlicher Stellung oder mit ordnungsmäßiger Ermächtigung der zuständigen Stelle d) aufgrund rechtmäßig bindenden Befehls 10. Handeln aufgrund privatrechtlicher Befugnisse a) aufgrund subjektiv-privaten Rechts (§ 903, Nießbrauch, Pfandrecht, Vertrag) b) kraft schuldvertraglicher Befugnis c) Die elterliche Sorge gibt kein Recht zur körperlichen Bestrafung, § 1631 II (dies gilt a fortiori für andere Personengruppen wie z. B. für Lehrer).

1 BGH NJW 2003, 2018 m. w. N. 2 BGHZ 34, 355; anders die frühere Rspr., RGZ 141, 265; BGHZ 2, 162: Sie nahm hier stets eine rechtfertigende Einwilligung an. Zur heute h. M. vgl. MüKo/Oetker § 254 Rdn. 64ff.

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11. Zu den zumindest im Zivilrecht abzulehnenden Rechtfertigungsgründen gehören die Grundsätze a) der Sozialadäquanz, siehe unten Rdn. 1408 b) des verkehrsrichtigen Verhaltens, siehe unten Rdn. 1669 c) des „erlaubten Risikos“, der mit den beiden vorgenannten verwandt ist. 12. Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund Irrt der Schädiger über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, so schließt dies die Rechtswidrigkeit seines Tuns nicht aus. Der Irrtum ist allenfalls im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigen, § 276 I. Die Haftung ist unter dem Verschuldensgesichtspunkt nur ausgeschlossen, wenn der Irrtum für den Schädiger unvermeidbar war oder die relevante Norm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit verlangt und ein entsprechendes Verschulden beim Schädiger nicht vorliegt.

IV. Rechtsgüterlehre als Kern der Lehre von der Rechtswidrigkeit Verständlich wird das Urteil der Rechtswidrigkeit allerdings erst auf dem Hintergrund einer Norm- und Rechtsgüterlehre. Dazu unten § 101.

§ 55 Vertretenmüssen, insbesondere Verschulden Aebi, Der Begriff des Verschuldens im Privatrecht und im Strafrecht, 1957; Baumann, AcP 155 (1956), 495; Brammsen, JZ 89, 71; v. Caemmerer, RabelsZ 42, 5; Canaris, NJW 64, 1987; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963; ders., FS Welzel, 1974, 227; ders., FS Sieg, 1976, 127; ders., Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; ders., AcP 202 (2002) 889; Esser, JZ 53, 129; ders., Karlsruher Forum 1959, 28; Geilen, JZ 64, 6; Goldschmidt, Werner, Die Schuld im Straf- und Zivilrecht, 1934; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997; Großmann, Die Grenze von Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1924; Huber, U., FS Heimpel, 1971, 440; ders., FS E. R. Huber, 1973, 253; Hübner, Heinz, FS Kaser, 1976, 715; Koziol, AcP 196 (1996) 593; Kramer, AcP 171 (1971), 422; Larenz, FS Wilburg, 1965, 119; ders., FS Honig, 1970, 79; Mayer-Maly, AcP 163 (1963), 114; ders., AcP 170 (1970), 133; Medicus, FS Odersky 1996, 589 (Haftungsmilderungen); Mühlhaus, Die Fahrlässigkeit in Rechtsprechung und Rechtslehre, 1967; Nipperdey, FS Meyer, 1954, 95; Pellegrino, ZEuP 1997, 41; Reinecke, Horst, Objektive Verantwortung im zivilen Deliktsrecht, 1960; Rittner, FS v. Hippel, 1967, 391; Rother, (II.) FS Larenz, 1983, 537; Rümelin, Max, Das Verschulden im Straf- und Zivilrecht, 1909; Schlosser, P., WM 78, 592; Schmidt, Rudolf, NJW 58, 488; Sieverts, Beiträge zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen, 1934; Serick, Probleme zivilrechtlicher Verantwortlichkeit in rechtsvergleichender Sicht, Referate der Tagungen deutscher und französischer Juristen 1959, 43; Stathopoulos, (II.) FS Larenz, 1983, 631; Waibel, Die Verschuldensfähigkeit der Minderjährigen im Zivilrecht, 1970; Welzel, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 1980; Zeuner, ÖJZ 65, 23; ders., JZ 66, 1; Ziegler, Fahrlässigkeit und Gefährdung, 1935.

I. Der Verschuldensgrundsatz 644

Das deutsche bürgerliche Recht folgt dem Verschuldensgrundsatz. Das bedeutet, dass grundsätzlich nur dann Schadensersatz zu leisten ist, wenn der Verletzer den Schaden verschuldet hat, d. h. wenn ihm der Schaden persönlich vorzuwerfen ist. Es kommt nicht nur auf die äußerlich kausale Herbeiführung des Schadens durch die Verletzungshandlung und auf die Bewertung dieser Schadenszufügung als rechtswidrig an, sondern auch auf die inneren Beziehungen des Täters zur Tat. Das Verschulden ist ein Willensfehler des Handelnden, aufgrund dessen er von der Rechtsordnung für das von ihm begangene Unrecht verantwortlich gemacht wird. Das Verschulden ist eine Verfehlung rechtlicher Pflichten infolge unzulänglicher Steuerung des Willens oder des nach dem Willen Handelns.

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Vertretenmüssen, insbesondere Verschulden

§ 55 III

Das BGB spricht aber grundsätzlich nicht von Verschulden, sondern von Vertretenmüssen und will damit andeuten, dass die persönliche Verantwortlichkeit des Schuldners für die Tat gelegentlich auch ohne persönliches Verschulden anerkannt wird. Das Vertretenmüssen ist also der weitere Begriff im Verhältnis zum Verschulden. In der Regel hat der Schuldner, wie § 276 I 1 a. A. sagt, Vorsatz und Fahrlässigkeit, also die beiden Schuldformen zu vertreten. Es gibt aber auch Fälle, in denen ohne Verschulden eine Verletzungshandlung zu vertreten ist. Insoweit wird dann auch für Zufall, nicht aber für höhere Gewalt gehaftet, z. B. wenn eine Garantie oder ein Beschaffungsrisiko übernommen wurde, § 276 I 1 a. E.

Das Verschulden besteht aus Verschuldensfähigkeit (§§ 827, 828), der Schuldform (§ 276) und dem Fehlen von Entschuldigungsgründen. An diese drei Gesichtspunkte ist im Gutachten zu denken.

II. Verschuldensfähigkeit Wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist voll verschuldensfähig, § 828 III. Bis zum 7. Lebensjahr ist man verschuldensunfähig, § 828 I. Die Verantwortlichkeit ist gem. § 828 II auch ausgeschlossen für nicht vorsätzliche Schadenszufügungen zwischen dem 7. und dem 10. Lebensjahr, soweit sie im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall (mit einem Kraftfahrzeug oder einer Bahn) stehen. Soweit dies nicht der Fall ist, besteht zwischen dem 7. und dem 18. Lebensjahr bedingte Schuldfähigkeit. In diesem Zeitraum entscheidet gem. § 828 III die Einsicht zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit. In diesem Fall wird ein individueller Maßstab herangezogen.1 (Dieser gilt aber nicht bei der Schuldform!) Regeln über die Verschuldensfähigkeit bei geistigen Störungen enthält § 827. Wer sich im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem anderen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, ist verschuldensunfähig. Hat sich der Betreffende durch geistige Getränke oder andere Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt (Rausch), so ist er für den Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, nach Fahrlässigkeitsgrundsätzen verantwortlich. Die Verantwortlichkeit tritt dementsprechend nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Rauschzustand geraten ist. §§ 827, 828 werden in § 276 I 2 auch auf die rechtsgeschäftliche Haftung für anwendbar erklärt. Vgl. BGH NJW 68, 1132 (Vertragsverletzung im vorübergehenden Zustand der Unzurechnungsfähigkeit).

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III. Schuldform Nach § 276 I 1 bestehen zwei mögliche Schuldformen, die alternativ die Haftung begründen: Vorsatz und Fahrlässigkeit. Zunächst ist im Gutachten Vorsatz, danach Fahrlässigkeit zu prüfen. Die Feststellung, ein Verletzter habe unvorsätzlich gehandelt, bedeutet keineswegs, dass er dann notwendig fahrlässig war. Es ist immer noch möglich, dass ihn überhaupt kein Verschulden trifft. Fahrlässigkeit ist also, falls Vorsatz verneint wird, stets getrennt zu prüfen. Ist ein Ereignis weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführt worden, ist es im Rechtssinne „zufällig“. Man unterscheidet zwei Arten von Zufall, den gewöhnlichen (oder „niedrigen“) Zufall und die Fälle „höherer Gewalt“. Höhere Gewalt liegt nur vor, wenn ein von außen kommendes, außergewöhnliches Ereignis eintritt, z. B. allg. Flutkatastrophe (vgl. RGZ 171, 104), nicht aber Stromschlag bei i. ü. unverschuldetem Berühren einer Hochspannungsleitung, vgl. BGHZ 7, 338. Die Unterschei-

1 BGH NJW 1970, 1038.

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§ 55 III 1

Leistungsstörungen

dung ist wichtig für die Zufallshaftung, unten Rdn. 654, die nicht notwendigerweise auch eine Haftung für höhere Gewalt einschließt.

1. Vorsatz 647

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a) Im Unterschied zur Fahrlässigkeit ist der Begriff des Vorsatzes im BGB nicht definiert, sondern der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung zur Klärung überlassen. Nach immer noch herrschender Auffassung handelt vorsätzlich, wer sich den Erfolg seiner Handlung vorstellt und ihn in Kenntnis der Pflichtwidrigkeit seines Handelns dennoch in seinen Willen aufgenommen hat (Larenz). Vorsatz ist also Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs, genauer: Wissen und Wollen des Erfolgs im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. b) Man unterscheidet verschiedene Formen des Vorsatzes: aa) Nicht notwendig ist das Bezwecken des Erfolgs. Handelt jemand erfolgsmotiviert, also um einen bestimmten rechtswidrigen Erfolg zu verwirklichen, so handelt er absichtlich. Absicht ist eine gesteigerte Form des Vorsatzes. Absichtlich handelt, wer sich den Erfolg vorstellt, ihn in Kenntnis seiner Pflichtwidrigkeit in seine Vorstellung aufnimmt, ihn aber darüber hinaus zum Motiv seines Handelns macht. Eine solche Absicht ist nicht erforderlich, wo Vorsatz verlangt wird. Sie reicht aber zur Begründung des Vorsatzes aus. bb) Die Regelform des Vorsatzes ist der direkte Vorsatz. Der Täter erkennt den Erfolg als notwendige Folge seines Handelns, billigt das und handelt im Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit trotzdem. cc) Ausreichend für den Vorsatzbegriff ist auch der bedingte Vorsatz, bei welchem sich der Verletzer den Erfolg als möglich vorstellt und seinen Eintritt billigend in Kauf nimmt (so die ständige Rspr. BGHZ 7, 313; BGH NJW 1986, 180 (182) m. w. N.; vgl. auch Brammsen, JZ 89, 71). c) Zum Vorsatz gehört das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Es ist also erforderlich, dass außer der Vorstellung und dem auf den Erfolg gerichteten Willen ein Bewusstsein des pflichtwidrigen Handelns vorliegt (Vorsatztheorie). aa) Hieran knüpft sich eine Streitfrage, die das Zivilrecht ebenso wie das Strafrecht durchzieht. Ausgehend von strafrechtlichen Überlegungen hat ein Teil der Rechtslehre den Vorsatz nicht mehr als Schuldform, sondern als Bestandteil der Verletzungshandlung angesehen. Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wird also aus dem Vorsatzbegriff nach dieser Lehre ausgeklammert. Dann bedarf es, wenn man nach dem Verschuldensgrundsatz verfährt, über diesen zum Tatbestand gezogenen Vorsatz hinaus eines Bewusstseins der Rechtswidrigkeit. Diese Lehre, die von Welzel (Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961) begründet und von Nipperdey (Enn./Nipperdey, § 210 I 2, § 213 III 2) in das Zivilrecht übernommen worden ist, trennt also die „Schuld“ vom Vorsatz. Sie spricht, wenn wegen vorsätzlicher Verwirklichung eines Erfolges gehaftet wird, von einem „rechtswidrigen, vorsätzlichen und schuldhaften“ Handeln des Verletzers. Vorsatz ist nach dieser sog. Schuldtheorie lediglich das Wissen und Wollen der Tatumstände. Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit muss, getrennt davon, hinzutreten. Demgegenüber stellt sich die ältere Vorsatztheorie, der auch § 276 BGB folgt, auf den Standpunkt, dass Vorsatz Wissen und Wollen im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit bedeutet, rechnet also den Schuldvorwurf zum Vorsatz (Niese, JZ 56, 457). bb) Abgesehen davon, dass die Schuldtheorie im BGB dem § 276, wo Vorsatz und Fahrlässigkeit als die beiden möglichen Schuldformen genannt sind, widerspricht, passt sie ihrem Sinne nach grundsätzlich nicht ins Zivilrecht. Die Schuldtheorie ermöglicht im Strafrecht die Erfassung individueller Rechtsfahrlässigkeit mit dem Ziel, den Straftäter grundsätzlich nach dem Vorsatzstrafrahmen zu bestrafen. Das zivile Haftungsrecht trennt nicht die Folgen von Vorsatz und Fahrlässigkeit und generalisiert den Schuldvorwurf. Es wird darum hier der Vorsatztheorie gefolgt, die zum Vorsatz das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Herbeiführung des Erfolgs zählt. Nach dieser Theorie ist der Vorsatz eine Schuldform ebenso wie die Fahrlässigkeit (wie hier auch Esser/Schmidt, § 26 I 2 a; Blomeyer, 121f; Baumann, AcP 155 [1956], 495; Schmidt, NJW 58, 488). cc) Der Streit der Theorien ist im Zivilrecht weniger wichtig als im Strafrecht. Nur in § 823 II ist er von Bedeutung, wenn das Schutzgesetz eine Vorschrift des Strafrechts ist. Da im Strafrecht zu Recht nach der Schuldtheorie verfahren wird, könnte es, namentlich in Nötigungs- und Erpressungs-

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Vertretenmüssen, insbesondere Verschulden

§ 55 III 2

fällen, geschehen, dass der Täter, der sein Handeln fahrlässig irrig für rechtmäßig hält, zwar bestraft, aber nicht schadenersatzpflichtig wird. Denn nach der Schuldtheorie beseitigt sein fahrlässiger Rechtsirrtum den Vorsatz in §§ 240, 253 StGB nicht, doch würde nach der Vorsatztheorie in § 823 II kein Schutzgesetz verletzt sein. In diesen Fällen, in denen das zivile Unrecht direkt aus dem Strafrecht übernommen wird (dazu unten § 108), wendet die Rspr. auch im Zivilrecht die Schuldtheorie an; BGH JZ 63, 218; BGH NJW 85, 134; kritisch Esser/Schmidt, aaO m. w. N. d) Die Haftung für Vorsatz kann nach § 276 III dem Schuldner im Voraus nicht erlassen werden, wohl aber einem Erfüllungsgehilfen des Schuldners, 278 S. 2. Der Grund für diese eigenartige Unterscheidung, die für allgemeine Geschäftsbedingungen von großer Bedeutung ist, besteht im Zweck des § 276 III. Man will nicht, dass dem Schuldner von vornherein die Möglichkeit offensteht, vorsätzlich das Schuldverhältnis zu sabotieren. Dies wäre sittenwidrig. Da aber der Schuldner nach § 278 ohne Entschuldigungsmöglichkeit für Handlungen seines Erfüllungsgehilfen haftet, besteht dieses Bedenken bei der Haftung für den Erfüllungsgehilfen nicht.

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2. Fahrlässigkeit Die Fahrlässigkeit ist in § 276 II vom Gesetz definiert. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht lässt. Im Unterschied zum Strafrecht gilt im bürgerlichen Recht ein verallgemeinerter objektiver Fahrlässigkeitsbegriff. Es wird auf die Verkehrsmaßstäbe abgestellt. Ein Dachdecker haftet also für die Sorgfalt eines ordentlichen Dachdeckers, ein Kaufmann für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, ein Autofahrer für die Sorgfalt eines ordentlichen Fahrers. Wenn er bei der Fahrt nicht auf die Straße vor sich, sondern auf Schaufensterauslagen achtet, so verletzt er die verkehrsübliche Sorgfaltspflicht und handelt fahrlässig. Entsprechendes gilt für den Arzt (BGHZ 4, 138; BGH NJW 2001, 1786), den Notar (BGHZ 17, 69), den Viehhändler (OGHZ 1, 253), die Bank (OGHZ 4, 81; BGHZ 22, 304), Versorgungsunternehmen bei der Unterhaltung ihrer Anlagen, z. B. Gasrohrnetz (RGZ 172, 156), usw. Fahrlässig handelt, wer eine Tätigkeit übernimmt, obwohl er weiß oder wissen muss, dass er nicht tauglich dazu ist. (Tauglich heißt dabei: So fähig, wie es für seinen Beruf objektiv noch als ausreichend angesehen werden muss.) Man nennt dies Übernahmeverschulden.

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Erforderlich für die Bestimmung des objektiven Sorgfaltsmaßstabs ist die Bildung von Gruppen. Oft bezieht sich die Gruppenbildung auf Berufe oder sonstige regelmäßige Tätigkeiten („ein ordentlicher Taxifahrer; ein ordentlicher Student, der die Dienste einer Mitfahrzentrale in Anspruch nimmt“, usw.). Auch einzelne Altersgruppen gehören dazu. So bilden etwa Jugendliche eines bestimmten Alters (BGHZ 39, 286), Kinder (BGH NJW 70, 2038; 84, 1958) und auch alte Menschen eine eigene Gruppe. Im konkreten Lebensbereich kann dies zu einer Begünstigung führen. Was bei einem Fußgänger mittleren Alters als Sorgfaltspflichtverletzung im Straßenverkehr zu gelten hat, muss noch keine solche im Fall eines Kindes oder eines Greises sein. Trotz der Typisierung handelt es sich in § 276 um persönliche Vorwerfbarkeit, nicht um objektive Regelwidrigkeit, s. o. Rdn. 578.

Große praktische Probleme bereitet die Konkretisierung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Bestimmte Übungen und Gebräuche können die Verhaltensanforderungen prägen, es muss aber jeweils die Verkehrssitte von der Verkehrsunsitte abgegrenzt werden. Befolgt der Schädiger Empfehlungen, die er zuvor von kompetenter Seite eingeholt hat, ist ein Fahrlässigkeitsvorwurf in der Regel ausgeschlossen. Für bestimmte Bereiche kann auf Rechtsnormen oder andere Regelwerke zurückgegriffen werden, für den Straßenverkehr beispielsweise auf die StVO, ansonsten auf technische Normen (z. B. DIN) oder im Sport auf die von den Verbänden gesetzten Regeln. Letztlich muss der Rechtsanwender aber zu einem eigenen Urteil über den im Einzelfall zu fordernden Sorgfaltsmaßstab gelangen.

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Von steigender Bedeutung – gerade für die Konkretisierung des Fahrlässigkeitsmaßstabs – ist die ökonomische Analyse des Rechts. Nach der berühmten Formel des US-amerikanischen Bundesrichters Learned Hand (aus dem Jahr 1947) liegt Fahrlässigkeit vor, wenn die Kosten der Schadensprävention (B) kleiner sind als der Schaden (L) multipliziert mit der Schadenswahrscheinlichkeit (p), also wenn B < pL.2 In diesem Fall ist es nämlich gesamtwirtschaftlich günstiger, wenn der Schädiger Schutzmaßnahmen ergreift, da deren Kosten niedriger sind als der zu erwartende Schaden. – Die methodische Zulässigkeit einer Einbeziehung der ökonomischen Analyse in das geltende deutsche Zivilrecht ist umstritten.3 Für vermögensrechtliche Angelegenheiten ist eine Tendenz zugunsten ökonomischer Begründungen festzustellen.4 Da die Rechtsökonomik einen wichtigen Beitrag zur Objektivierung des Sorgfaltsmaßstabs leisten kann, ist diese Tendenz zu begrüßen, jedenfalls wenn dabei eine Verabsolutierung der ökonomischen Methode vermieden wird. Man unterscheidet verschiedene Formen der Fahrlässigkeit. a) Von grober Fahrlässigkeit spricht man, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße vernachlässigt wird (culpa lata). Grobe Fahrlässigkeit spielt eine Rolle in §§ 300 I, 521, 599, 932, 968. BGHZ 17, 191 (199) definiert: Eine grobe Fahrlässigkeit „ist dann gegeben, wenn die Anstellung einfachster und ganz nahe liegender Überlegungen versäumt worden ist und wenn das nicht beachtet wurde, was jedem einleuchten musste.“ b) Im Gegensatz dazu steht die leichte Fahrlässigkeit (culpa levis). Sie ist von § 276 II umschlossen. Jede Fahrlässigkeit, die nicht grob ist, ist in diesem Sinne leicht. c) Schließlich kennt das Gesetz noch den Begriff der Sorgfalt, die man in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, §§ 277, 690, 708, 1359, 1664, 2131. Hier handelt es sich um einen subjektiven Sorgfaltsbegriff, bei dem es nicht auf die im Verkehr erforderlichen Maßstäbe ankommt. Für Sorgfalt, die man in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt (diligentia quam in suis), wird vor allem in besonders engen persönlichen Beziehungen gehaftet, so z. B. in der Gesellschaft, in der Ehe, im Eltern-Kind-Verhältnis. Hier spricht die Billigkeit dafür, die Haftung auf diesen Maßstab zu beschränken, weil man sich z. B. in der Gesellschaft die anderen Gesellschafter selbst aussuchen kann, ihnen also nicht den Vorwurf der Verletzung eines Sorgfaltsmaßstabs machen kann, an den man sich selbst nicht hält. Ähnlich liegt es aufgrund natürlicher Umstände in der Ehe und im ElternKind-Verhältnis. Die Sorgfalt, die man in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, steht praktisch oft etwa in der Mitte zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit. Denn die Haftung für leichte Fahrlässigkeit wird durch die genannten Vorschriften im Ergebnis eingeschränkt, die Haftung für grobe Fahrlässigkeit bleibt nach § 277 aber bestehen, BGHZ 21, 109. Die Beschränkung des Sorgfaltsmaßstabs bezieht sich in § 277 usw. nur auf den Haftungsgrund. Der Schadensumfang braucht nicht verschuldet zu sein, oben Rdn. 583. Gegen diese Inkonsequenz Deutsch, NJW 66, 705. d) Die Haftung für Fahrlässigkeit, auch für grobe Fahrlässigkeit, kann vertraglich ausgeschlossen werden. Eine AGB-Klausel, die Haftung für grob fahrlässiges Verschulden ausschließt, ist allerdings nach § 309 Nr. 7b unwirksam, s. o. Rdn. 187. Bei Annahme stillschweigenden Haftungsausschlusses ist Zurückhaltung geboten, BGHZ 15, 207.

IV. Haftung ohne Verschulden 654

Zum Vertretenmüssen zählt außer dem Verschulden das Haften ohne Verschulden in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen. Insoweit wird dann auch für Zufall gehaftet. Die wichtigsten Beispiele, die das Gesetz bringt, sind zunächst die in § 276 I genannten Fälle, nämlich die Bestimmung einer strengeren Haftung insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos (z. B. bei der Gattungsschuld). Außerdem sind hervorzuheben § 287 S. 2 (Haftung für Zufall im

2 Zur Learned Hand-Formel s. Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Kapitel. 3 Zur Diskussion s. Eidenmüller Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. 1998; Fezer, JZ 1986, 817; ders., JZ 1988, 223; Grundmann, RabelsZ 61 (1997) 423; Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004; Taupitz, AcP 196 (1996) 114. 4 S. beispielsweise Palandt/Heinrichs § 276 Rdn. 19.

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Schuldnerverzug); die verschuldensunabhängige Haftung auf Nacherfüllung, Rücktritt oder Minderung im Gewährleistungsrecht (§§ 437 Nr. 1 und 2, 634 Nr. 1, 3); §§ 678, 848 (unberechtigte GoA; Dieb); zu den Fällen der Gefährdungshaftung (§§ 833– 835; §§ 1, 2 Haftpflichtgesetz, § 7 StVG) s. u. § 113; zur Haftung ohne Verschulden für den Umfang des Schadens oben Rdn. 583. Ob die Zufallshaftung auch eine Haftung für höhere Gewalt umfasst, ist für jede Norm getrennt zu bestimmen. Beispielsweise wird sich aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos häufig ergeben, dass keine Haftung für höhere Gewalt eingegangen werden sollte. § 287 S. 2 umfasst dagegen auch die höhere Gewalt (s. o. Rdn. 472). Es handelt sich hier um Durchbrechungen des Verschuldensgrundsatzes, die ihre Rechtfertigung teils in dem Gefährdungsgedanken haben, teils in der Vorstellung, dass der Schuldner bei Eingehung bestimmter Versprechen seine Leistungspflicht überprüfen muss, und, wenn er dagegen verstößt, dafür auch ohne Verschulden einzustehen hat, teils in der unberechtigten Beanspruchung eines fremden Rechtskreises (§§ 287 S. 2; 678; 848). Um keine gesonderte Form des Vertretenmüssens handelt es sich in den Fällen der Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens (z. B. §§ 280 I 2, 311a II 2, 831 I 2, 833 S. 2). Hier gilt § 276 voll und ganz. Lediglich die Beweislast ist für das Vertretenmüssen umgekehrt.

V. Entschuldigungsgründe Liegen Schuldfähigkeit (II) und eine Schuldform vor (III), ohne dass ein Fall der Zufallshaftung angegeben ist (IV), ist noch zu prüfen, ob das Handeln entschuldigt werden kann. Das Zivilrecht bedient sich der Entschuldigungsgründe des Strafrechts. Auch ein Rechtsirrtum, der nicht auf Fahrlässigkeit beruht, vermag den Schuldner zu entschuldigen, BGHZ 36, 346.

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§ 56 Haftung für fremdes Verschulden (der Erfüllungsgehilfe). Eigenhaftung des Gehilfen Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, 1980; Brodmann, IherJb. 58, 187; v. Caemmerer, FS Hauss, 1978, 33; Geissler, „Vertrags- und Gesetzesprivilegien“ mit Wirkung für Erfüllungsgehilfen, 1983; Grote, Die Eigenhaftung Dritter als Anwendungsfall der culpa in contrahendo, 1984; Hermann, JZ 83, 422; Hopt, AcP 183 (1983), 608; Hüffner, JuS 88, 129; Kaiser/Rieble, NJW 90, 218; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981; Kupisch, JuS 83, 817; E. Lorenz, in: 50 Jahre BGH (2000) Bd. I, 295; Medicus, FS Steindorff, 1990, 725; Schreiber, Jura 1987, 647; Schulze, JuS 83, 81; Stuhr D./Stuhr H. J., DB 83, 1081; Vieweg, JuS 1993, 894; Waas, VersR 1999, 1202; Westermann, JuS 61, 333, 382.

I. Der Erfüllungsgehilfe 1. Nach § 278 hat der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, im gleichen Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift enthält zwei unterschiedliche Fälle, von denen zunächst der Erfüllungsgehilfe als der weitaus wichtigere zu besprechen ist. § 278 will einen Ausgleich dafür schaffen, dass der Schuldner sich zur Erleichterung seiner Verbindlichkeiten Hilfspersonen bedienen kann. Will er dies tun, damit also dem Bedürfnis nach Arbeitsteilung entsprechen, so muss er auch das Verschulden dieser hinzugezogenen Personen so vertreten, als ob ihn selber das Verschulden träfe. Nach § 278 muss sich also der Schuldner so behandeln lassen, als ob er die von dem Erfüllungsgehilfen vorgenommene schädigende Handlung selber vorgenommen hätte. Daraus folgt, was sehr wichtig ist, dass der Schuldner für ein Verschulden

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von Erfüllungsgehilfen ohne eigenes Verschulden und ohne die Möglichkeit einer Entschuldigung haftet. Hierdurch unterscheidet sich die Haftung für den Erfüllungsgehilfen nach § 278 von der Haftung für den Verrichtungsgehilfen im Bereich der unerlaubten Handlungen, 831.1 Die Hauptschwierigkeit bei der Anwendung des § 831 ist die dort vorgesehene Entschuldigungsmöglichkeit. Sie besteht in § 278 nicht. § 278 findet auf unerlaubte Handlungen keine Anwendung, weil § 278 ein bestehendes Schuldverhältnis voraussetzt. Ausreichend hierfür ist allerdings die rechtliche Sonderbindung im Rahmen einer culpa in contrahendo, BGHZ 16, 262 und BGH NJW 74, 1505. Dagegen kommt bei unerlaubten Handlungen das Schuldverhältnis erst durch die Handlung des Gehilfen selbst zustande. In dieser Weise schafft § 278 einen gerechten Ausgleich dafür, dass der Schuldner durch Heranziehung von Erfüllungsgehilfen seine Verdienstmöglichkeiten erweitern kann. Nach § 831 wird bei der Verwendung eines Verrichtungsgehilfen für vermutetes eigenes Verschulden in der Auswahl und Überwachung dieses Gehilfen gehaftet, daher der dort mögliche Entschuldungs(Exkulpations-)beweis eröffnet. 2. Für die Anwendung des § 278 ist es belanglos, ob zwischen dem Schuldner und dem Erfüllungsgehilfen rechtliche Beziehungen bestehen, und gegebenenfalls welche. Es ist ausreichend, dass der Erfüllungsgehilfe vom Schuldner tatsächlich zur Hilfe bei der Erfüllung der schuldnerischen Verbindlichkeit verwendet wird; überträgt z. B. eine Vertragspartei die ihr obliegenden Verpflichtungen auf einen Notar, so kann dieser Erfüllungsgehilfe sein, BGH NJW 74, 962. Im Begriff der „Verwendung“ liegt ein subjektives und ein objektives Moment: Es genügt nicht ein bloßes Tätigwerden zum Nutzen des Geschäftsherrn, etwa durch einen ungebetenen Hilfsarbeiter; andererseits fehlt es objektiv an einer „Verwendung, wenn ein Endprodukt arbeitsteilig durch ein Zusammenwirken von Zulieferer (z. B. Ersatzteillieferant) und Werkunternehmer erstellt wird,“ BGH NJW 78, 1157. Ob der Erfüllungsgehilfe zu dem Schuldner in einem Dienst- oder Werkverhältnis steht, ob er eine Vollmacht hat usw., ist gleichgültig. Andererseits kommt es nicht darauf an, ob der Erfüllungsgehilfe weiß, dass er von einem andern zur Erfüllung dessen Verbindlichkeit verwendet wird, BGHZ 13, 113. Die Verwendung kann zur Erfüllung beliebiger Teile des Schuldverhältnisses erfolgen. Alles, was der Schuldner schuldet, kann Gegenstand der Verwendung der Erfüllungsgehilfen sein (Haupt- und Nebenpflichten). 3. Es ist nicht entscheidend, ob der Erfüllungsgehilfe in abhängiger Stellung arbeitet oder selbständig ist. So ist z. B. bei der Bringschuld der selbständige Transportunternehmer, der die Verfrachtung der Ware vom Schuldner an den Gläubiger durchführt, Erfüllungsgehilfe seines Auftraggebers. Bei der Schickschuld als Unterfall der Holschuld (vgl. oben Rdn. 282) ist die Transportperson dagegen im Grundsatz nicht Erfüllungsgehilfe, weil nach § 447 der Verkäufer nur die Absendung der Ware schuldet und für ein Verschulden des Transporteurs nicht mehr einzustehen hat, vgl. unten Rdn. 822. Zur Frage, ob eine Ausnahme für den Fall der Verwendung eigener Leute zu machen ist, unten Rdn. 825.

4. Nach § 278 hat der Schuldner für ein Verschulden des Erfüllungsgehilfen im gleichen Umfang wie für eigenes Verschulden einzustehen. Die Handlung des Erfüllungsgehilfen ist also ihm persönlich zuzurechnen. Der Verschuldensmaßstab, der für den Schuldner gilt, ist auch für den Gehilfen maßgebend, BGHZ 31, 359: Verwendet ein Unternehmer einen Lehrling, ist Sorgfaltsmaßstab ordnungsgemäße gewerbliche Leistung, nicht Durchschnittsleistung von Lehrlingen, BGHZ 31, 358 (367). Auch für Arglist des Erfüllungsgehilfen wird gehaftet, BGHZ 62, 63; 66, 43. Die h. M. verlangt, dass der Erfüllungsgehilfe schuldfähig sein muss, 827, 823. Richtigerweise kommt es aber auf 1 Neben §§ 278, 831 ist § 31 (Organhaftung) die dritte wichtige Norm, nach der für Fehlverhalten Dritter eingestanden werden muß, vgl. BGH LM Nr. 4 zu § 31 BGB – ESJ 52. § 31 gilt für Vertragsverletzungen und Delikte, kennt keine Exkulpation und ist ebensowenig wie § 278 Anspruchsnorm. Dagegen ist § 831 Anspruchsnorm (Haftung für vermutetes eigenes Verschulden!).

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die Schuldfähigkeit des Schuldners an. Ebenso wie in § 831 darf Schuldfähigkeit des Gehilfen keine Rolle spielen, weil man sonst vorzugsweise schuldunfähige Gehilfen einsetzen würde, um einer Haftung zu entgehen. Der Arzt ist Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers, der Partei des Behandlungsvertrages mit dem Patienten ist. Die Schwester, die dem Arzt bei der Behandlung hilft, ist Erfüllungsgehilfe des Erfüllungsgehilfen. Auch für diese Personen hat der Schuldner, also der Träger des Krankenhauses, einzustehen.

5. Von Erfüllungsgehilfen zu unterscheiden ist der Substitut. Um einen Substituten handelt es sich, wenn der Schuldner an seine Stelle eine andere Person setzt, wobei diese andere Person völlig in die Verantwortung des Schuldners einrückt. Bei einem Substituten wird lediglich für Auswahl gehaftet (culpa in eligendo), nicht für jedes Verschulden des Substituten, BGHZ 12, 75, 79; 13, 61. Wenn der Vater den Arzt für das erkrankte Kind holt, dann ist der Vater dem Kind gegenüber Schuldner in Bezug auf die Behandlung, als Bestandteil seiner Unterhaltspflicht, § 1601. Der herbeigerufene Arzt ist indes nicht Erfüllungsgehilfe des Vaters, sondern Substitut. Das folgt aus der besonderen Fachkunde, die für die Behandlung erforderlich ist. Der Vater hat also seine Pflicht getan, wenn er einen Arzt holt und dabei sorgfältig in der Auswahl ist. Für ein Verschulden des Arztes haftet der Vater daher nicht gemäß § 278. Nur wenn er einen Kurpfuscher holen würde, würde er für culpa in eligendo haften, vgl. RGZ 161, 68: Analogie zu § 664 I 2 (vgl. dazu unten Rdn. 1248). Was dort für das Auftragsrecht speziell geregelt ist, enthält einen allgemeinen Gedanken, der auch für andere Schuldverhältnisse Verwendung finden kann. 6. Vom Fall des Erfüllungsgehilfen ist terminologisch der des Abschlussgehilfen zu unterscheiden, für den jedoch § 278 gleichermaßen gelten muss. Richtet eine Sekretärin ihrem Chef ein eingegangenes Vertragsangebot nicht aus, mit dem aufgrund früherer Kontakte zu rechnen war, und kommt deshalb der Vertrag nicht zustande, fehlt es an einer vertraglichen Verbindlichkeit, innerhalb der der Erfüllungsgehilfe eingesetzt werden kann. Da aber nach den Regeln über die culpa in contrahendo schon beim Zustandekommen eines Vertrages ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten besteht, das darauf gerichtet ist, den Vertrag nach Möglichkeit ordnungsgemäß zu besprechen und gegebenenfalls zustande zu bringen, wird der Abschlussgehilfe dem Erfüllungsgehilfen gleichbehandelt. Das Verschulden der Sekretärin bei der Anbahnung eines Vertrages muss sich also der Chef zurechnen lassen. 7. Es genügt nicht, dass der Erfüllungsgehilfe die schädigende Handlung nur „bei Gelegenheit“ der Erfüllungshandlung begeht. Vielmehr ist erforderlich, dass die schädigende Handlung mit der Erfüllungshandlung des Schuldners in unmittelbarem inneren Zusammenhang steht. Die Handlung muss im Pflichtenbereich des Gehilfen liegen, BGHZ 23, 319. A bestellt den Maler. Der Maler schickt seinen Gesellen G. G zerbricht aus Unachtsamkeit mit der Leiter einen Spiegel. § 278 ist anzuwenden, da die schädigende Handlung unmittelbar bei der Ausführung der Schuldnerhandlung begangen wurde. Stiehlt dagegen G gelegentlich der Arbeit ein vor dem Haus stehendes Fahrrad, so geschieht dies nicht „bei der Erfüllung“. Hierfür hat der Malermeister nicht aufzukommen. Entscheidend ist, ob die Handlung zum allgemeinen Umkreis des Aufgabenbereichs gehört, zu dessen Wahrnehmung der Schuldner den Gehilfen bestimmt hat.2 Wegen 2 BGHZ 31, 366; BGH NJW-RR 89, 725. Eine Mindermeinung will § 278 immer schon dann anwenden, wenn dem Gehilfen die Schädigung durch die Geschäftsübertragung wesentlich erleichtert wurde (wie i. d. R. in den Diebstahlsfällen), so z. B. Medicus I, § 30 III I d; Palandt/ Heinrichs, Rdn. 22 zu § 278; Soergel/Wolf, Rdn. 37 und 41 zu § 278.

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möglicher Schutzwirkungen für Dritte vgl. oben Rdn. 305 ff. Beim fremdfinanzierten Kauf gehört die Behandlung des Darlehensantrags zum Pflichtenkreis des Warenverkäufers, so dass die finanzierende Bank für ein Verschulden des Verkäufers dabei nach § 278 haftet, BGHZ 33, 293 und BGH WM 71, 206 und 817.

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8. Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen kann vertraglich ausgeschlossen werden, und zwar auch für den Vorsatz des Gehilfen, 278 S. 2 (aber nicht bei Verschulden von Organen juristischer Personen oder Handelsgesellschaften, da hier wegen § 31 ein eigenes Verschulden der juristischen Person, bzw. der Gesellschaft vorliegt). Haftet der Schuldner nur für grobe Fahrlässigkeit, so hat er auch nur für grobe Fahrlässigkeit des Erfüllungsgehilfen einzustehen. Ebenso liegt es bei der Haftung für die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten. Zu den Grenzen bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen s. § 309 Nr. 7. 9. Für den gesetzlichen Vertreter haftet der Schuldner ebenfalls nach § 278 ohne Möglichkeit einer Entschuldigung. Er muss sich die Handlung des gesetzlichen Vertreters als eigene Handlung anrechnen lassen. Diese Vorschrift dient der Erleichterung des Verkehrs mit gesetzlich vertretenen Personen, insbesondere Minderjährigen, die im Geschäftsleben auftreten. Ohne § 278 wäre der geschäftliche Verkehr mit Minderjährigen und anderen in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Personen außerordentlich erschwert und risikoreich. Organe sind keine gesetzlichen Vertreter. § 278 ist daher auf sie grundsätzlich nicht anwendbar (streitig, vgl. BGH MDR 55, 216, wo der gegenteilige Standpunkt vertreten wird). Auf Organe ist aber § 276 III entsprechend anzuwenden. Danach kann die Haftung für vorsätzliche Schädigungen durch Organe nicht im Voraus erlassen werden. Im Übrigen richtet sich die Haftung für Organe nach § 31. 10. Eine Anwendung des § 278 im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis wird von der h. M. abgelehnt (BGHZ 4, 374; 42, 377; BGH NJW 77, 375; Staudinger/Löwisch, Rdn. 5 zu § 278). Grundsätzlich sollte aber § 278, seinem Risiko-Ausgleichs-Zweck entsprechend, für alle erfüllbaren Rechtspflichten in Sonderbindungen gelten, also auch im Nachbarverhältnis.

II. Eigenhaftung des Gehilfen (als „Sachwalter“) 666

1. Der Erfüllungsgehilfe ist nicht Vertragspartei: Er haftet daher grundsätzlich nicht nach Vertragsgrundsätzen (Ausn. u. 2). Wohl aber kommt deliktische Haftung in Betracht: Der Dachdeckergeselle lässt fahrlässig den Dachziegel fallen: Dem getroffenen Hauseigentümer haftet er wie jedem anderen nach § 823 I. Gegen den Meister sind § 831 (Exkulpation!) und §§ 280 I, 631, 241 II, 278 (!), 276, 249 zu prüfen.

2. Der Grundgedanke des § 278, den Gläubiger vor den Gefahren der arbeitsteiligen Wirtschaft zu schützen, darf aber nicht dazu führen, den Gehilfen von jeder Verantwortlichkeit für den Vertrag freizustellen, an dessen Anbahnung oder Durchführung er u. U. in maßgeblicher Weise beteiligt ist. Die deliktsrechtliche Haftung, die Vermögens- (und damit Vertrags-)schäden als solche nicht ersetzt (s. u. Rdn. 1570), reicht dazu nicht aus. Eine den § 278 ergänzende Vorschrift über die Eigenhaftung des vertragsverantwortlichen Gehilfen findet sich seit dem SMG in § 311 III. Die Rechtsprechung hatte auch bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung mit recht unterschiedlicher Begründung eine derartige Eigenhaftung des Gehilfen bejaht, und zwar bei der Anbahnung von Verträgen unter dem Gesichtspunkt der Haftung eines Dritten aus culpa in contrahendo (s. o. Rdn. 100, „Sachwalter“ und die dort zitierte Rechtsprechung) und – im Wege des Erstrecht-Schlusses daraus abgeleitet – bei der Durchführung zustande gekommener Verträge,

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Umfang und Art des Schadensersatzes

§ 57 I

BGHZ 14, 313; 70, 337. Um einen für den angestrebten Vertragserfolg mitverantwortlichen – und darum in die Haftung einzubeziehenden – Gehilfen handelt es sich, wenn sich der Gehilfe in einer der geschädigten Partei erkennbaren und ihr Vertrauen erweckenden Weise, aus eigenem Interesse oder weil er sich die Interessen seiner Partei zu eigen macht, für die Erreichung des Vertragsziels einsetzt, oder nach den Umständen einsetzen müsste. Der Gedanke des „Sachwalters“ im Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung passt auch hier. Drei Arten von „Sachwaltern“ lassen sich unterscheiden: (a) Wirtschaftlich betrachtet ist der Sachwalter die eigentliche Partei. Er hat sich, um Umsatzsteuer zu sparen, aus Kredit-, Haftungsoder anderen Gründen zum Gehilfen degradiert und lässt einen anderen als Partei auftreten (Gebrauchtwagenhandel); (b) der Gehilfe nimmt durch Vertragsinitiative, Informationen, in Aussicht gestellte Genehmigungen o. ä. mitbestimmenden Einfluss auf Vertragsschluss und -inhalt; (c) der Gehilfe tritt für beide Seiten, als Vermittler, auf, er „bringt die Parteien an einen Tisch“ und nimmt dadurch diesen Einfluss (so in BGHZ 70, 337 – Ross Sound –). Ob der Gehilfe Stellvertreter ist (so in BGHZ 14, 313), ist ohne Einfluss. Stets kommt es darauf an, ob der Gehilfe in eine das Vertrauen zumindest einer Partei in Anspruch nehmende Garantenstellung (Bohrer: „Dispositionsgarant“) eingerückt ist. Zu § 311 III, insbesondere auch zur Fallgruppe des „eigenen wirtschaftlichen Interesses“ s. bereits o. Rdn. 100f.

3. Hieraus folgt auch, worauf der Sachwalter haftet: Ist der Sachwalter die „materielle“ Partei (oben 2a), muss er haften, als sei er die Partei, nämlich auf das positive Interesse. In den übrigen Fällen erscheint – da er nicht am Vertrag als Partei beteiligt ist – das negative Interesse die angemessene Lösung, allerdings, wie bei der c. i. c., nicht begrenzt durch das positive: Die geschädigte(n) Partei(en) sind so zu stellen, als habe der Sachwalter seinen schädlichen Einfluss auf Vertragsschluss und -inhalt nicht ausgeübt, so wohl auch BGHZ 14, 313; 70, 337. Für den Anspruch gilt die Regelverjährung der §§ 195, 199.

667

§ 57 Umfang und Art des Schadensersatzes (Lehre vom Interesse) Zum Schrifttum im übrigen s. o. § 51. Grundsätzliche Bemerkungen oben Rdn. 582 ff.

I. Vorbemerkung 1. Was das BGB fast ganz zu Anfang des Schuldrechts regelt, hat seinen Platz im Schadensersatzgutachten ganz am Ende: Der Umfang und die Art und Weise der Ersatzpflicht, §§ 249–255. Diese Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen sind erst dann von Belang, wenn feststeht, dass aufgrund einer die Haftung begründenden Norm Ersatzpflicht eintritt. Die Fragen der Haftungsbegründung und der Haftungsausfüllung sind von der Frage der Bemessung des Schadensersatzes zu trennen. Bestände im deutschen Recht der Satz, dass jeder schuldhaft verursachte Schaden zu ersetzen sei, wäre verschuldeter und wiedergutzumachender Schaden dem Umfang nach der gleiche. Nun ist aber im geltenden Recht zwischen verschuldetem Verletzungsschaden einerseits und unverschuldeten Folgeschäden andererseits zu unterscheiden, oben Rdn. 581ff und 601f. Dadurch wird eine eigene Lehre vom Umfang und von der Art des zu ersetzenden Schadens erforderlich, eben eine Lehre vom „Interesse“. Angedeutet wird dieser Unterschied von Haftungsbegründung und Interesseermittlung in der bisherigen Kausalitätslehre durch die Trennung „haftungsbegründender“ und „haftungsausfüllender“ Kausalität. Es geht aber nicht nur um „Haftungsausfüllung“, sondern um das Ergebnis der Haf-

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§ 57 II 1

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Leistungsstörungen

tung schlechthin; es geht auch nicht bloß um Kausalität, sondern um die gesamte Haftungsgrundlage einschließlich Verletzungshandlung, Schaden, Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden, die das zu ersetzende Interesse bestimmt. In der Sache richtig Esser, § 59, der zwischen Haftungsbegründung und „Schadenszurechnung“ unterscheidet. Doch ist das Wort „Schadenszurechnung“ nicht deutlich, da es auch in einem allgemeinen Sinne für die Begründung des Schadensersatzes aus der Normwidrigkeit, also ebenfalls für die Haftungsbegründung, verwendet wird. 2. Die Feststellung, dass eine Handlung normwidrig und schuldhaft einen Schaden verursacht hat, besagt also noch nichts über Umfang und Art der Wiedergutmachung dieses Schadens. Durch den Schaden wird der Geschädigte getroffen, sein Interesse geht auf Beseitigung der nachteiligen Lage, in die ihn die Schädigung versetzt hat. Der Geschädigte vergleicht den tatsächlichen Schadenshergang mit einem unwirklichen, hypothetischen, gedachten Hergang, wie die Dinge jetzt ohne die Schädigung stünden. Diese Differenz zwischen realem und gedachtem Hergang ist sein Interesse an der Wiedergutmachung des Schadens. Die Interesseermittlung beruht also auf einem Vergleich zweier Geschehnisabläufe, dem wirklichen Schadensverlauf und dem gedachten Normalverlauf, § 249 I. Der tatsächliche Verlauf ist beobachtet, er umfasst den eigentlichen Verletzungsschaden und die Folgeschäden. Der gedachte hypothetische Verlauf muss geschätzt werden. Beide Verläufe trennen sich in dem Augenblick, in dem der Verletzungsschaden beginnt. Sie laufen dann getrennt und stehen zum Vergleich, wenn der letzte Folgeschaden abgeschlossen ist. Geschehnisse, die danach eintreten, darf der Geschädigte nicht mehr in den Vergleich der Abläufe einbeziehen. Davor liegende Ereignisse muss sich der Geschädigte anrechnen lassen, sofern sie nicht ungewöhnlich sind. Denn Vergleichspunkt ist ein hypothetischer Normalverlauf. Mit dieser Definition des Interessebegriffs ist zugleich der Lösungsrahmen für das Problem der „überholenden Kausalität“ abgesteckt, das in Wahrheit kein Kausalitäts-, sondern ein Interesseproblem ist (unten IV). Die Frage der Vorteilsausgleichung (unten VI) fügt sich ebenfalls in diesen Rahmen ein. 3. Im Folgenden ist zunächst die Art der Ersatzleistung (Natur, Geld) zu prüfen (II); danach ist der Umfang des Interesses zu ermitteln (III); sodann sind die notwendigen Korrekturen anhand der „überholenden Kausalität“ (IV), der Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten (V) und der „Vorteilsausgleichung“ (VI), schließlich die allgemeine Haftungsminderung wegen mitwirkenden Verschuldens zu erörtern (VII). Dies ist auch der im Gutachten einzuschlagende gedankliche Weg.

II. Art des Schadensersatzes Ady, Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004; Braschos, Der Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht, 1979; Busl, JuS 87, 108; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; Grunsky, JZ 86, 170; ders., JuS 87, 441; Hamann, Schadensersatz in Natur oder Geld bei Sachschäden, Diss. Göttingen 1974; Hohloch, JR 86, 367; Honsell, H., JuS 73, 69; Karakatsanes, AcP 189 (1989), 19; Katzenmeier, JZ 2002, 1029; Köhler, (II.) FS Larenz, 1983, 349; Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, 1976; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, §§ 5–7; Medicus, JuS 69, 449; Pielmeier, NZV 89, 222; Ströfer, Schadensersatz und Kommerzialisierung, 1982; Tolk, Der Frustrierungsgedanke und die Kommerzialisierung immaterieller Schäden, 1977; v. Thur, IherJb. 46, 39; Wiese, Der Ersatz des immateriellen Schadens, 1964; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB, 1985; Zeuner, JZ 86, 640.

1. Der Grundsatz der Naturalrestitution 670

a) Die Struktur der Vorschriftengruppe §§ 249–252 ist schwer zu durchschauen und streitig.

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Umfang und Art des Schadensersatzes

§ 57 II 2

Die h. M.1 unterscheidet

Naturalrestitution („Herstellung“), § 249 I mit der Möglichkeit des Gläubigers, nach den §§ 249 II 1, 250 Geldersatz zu verlangen

Geldersatz („Kompensation“), einschließlich entgangenen Gewinns, § 252

obligatorischer Geldersatz nach § 251 I, wenn Wiederherstellung nicht (mehr) möglich oder unzureichend

Wahlrecht des Schuldners, § 251 II

b) Nach § 249 I muss der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herstellen, „der bestünde, wenn der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“ Diese Pflicht gilt gleichermaßen bei materiellen und immateriellen Schäden. Da es tatsächlich nicht möglich ist, den ohne das schädigende Ereignis bestehenden Zustand herzustellen, ist nach dem Grundsatz der Naturalrestitution nur die Wiederherstellung dieses Zustandes geschuldet, die dem ursprünglichen Zustand so nahe wie möglich kommt (treffend Esser/E. Schmidt „geradezu optisch“ soll der Verletzte das wiederbekommen, was ihm genommen wurde, § 32 I vor 1).

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Das schlecht gedeckte Dach muss noch einmal gedeckt werden. – Das geliehene Buch, das während des Verzugs des Entleihers verbrennt und nach § 287 S. 2 zu ersetzen ist, muss durch ein gleiches ersetzt werden. – Gutsbesitzer G bestellt einen Bulldozer, um Wurzelstöcke entfernen zu lassen. Der Fahrer drückt versehentlich dabei die Hausmauer ein. Die Bulldozer-Gesellschaft kann den Gutsbesitzer nicht auf Geldersatz verweisen, sondern muss die Mauer wieder herrichten. – Besteht der Schaden in kreditschädigenden Behauptungen, so erfolgt die Naturalrestitution durch einen geeigneten Widerruf mit entsprechender Veröffentlichung. – A soll für B Sammlerbriefmarken erwerben. A kauft die seltenen Exemplare für sich statt für B. A verletzt den Auftrag, §§ 662, 280 I. A muss dem B als Schadensersatz die Briefmarken herausgeben, nicht etwa den Sammlerwert. – Die Sekretärin S des A nimmt dem Dienstvertrag zuwider Einsicht in bestimmte Akten und fertigt Abschriften an. S muss wegen Verletzung des Dienstvertrages als Schadensersatz die Abschriften vernichten oder herausgeben, ferner ein Versprechen ablegen, die sich rechtswidrig zugeeigneten Kenntnisse nicht anderen zugänglich zu machen. – Zum Rufschadensersatz BGHZ 44, 372.

Der Grundsatz der Naturalrestitution legt also gerechterweise dem Schuldner die Verpflichtung auf, den Zustand ohne das schädigende Ereignis so gut wie möglich wieder herzustellen, d. h. die dazu erforderlichen Mühen auf sich zu nehmen. Darum kann im Regelfall der Schuldner den Gläubiger nicht mit Geld abspeisen. Dies gilt auch nach Abtretung, etwa zugunsten der Versicherung – BGHZ 5, 105; BGH NJW 2001, 2250. 2. Geldersatz in Ausnahmefällen Ausnahmsweise erfolgt der Schadensersatz statt in natura in Geld, §§ 249 II 1, 250, 251. Dabei ist jeweils zu prüfen, ob Geldersatz ausnahmsweise geleistet werden muss 1 Statt vieler: Jauernig/Teichmann, § 249, 1; 250, 1; Medicus I, § 53.

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Leistungsstörungen

oder kann und wer sich darauf berufen darf. Aus der unterschiedlichen Fassung der §§ 249 II 1 und 251 II ergibt sich die Bevorzugung des Wiederherstellungsinteresses des Gläubigers. Der entscheidende Gesichtspunkt ist, dass § 249 II 1 die Möglichkeit der Wiederherstellung voraussetzt (arg. 251 I: „nicht möglich“), was z. B. bei Totalschaden oder inzwischen durchgeführter Reparatur (!) entfällt.2 Bei Veräußerung der beschädigten Sache ist hingegen zu differenzieren. Verlangt der Geschädigte weiterhin Schadensersatz, kann es wegen der Veräußerung der Sache nicht mehr um das Herstellungsinteresse, sondern nur um Kompensation gehen. Hat der Geschädigte dagegen zusammen mit der Veräußerung der beschädigten Sache seine Schadensersatzansprüche abgetreten, kann der Zessionar Naturalrestitution verlangen.3 a) Der Ersatzpflichtige muss von vornherein in Geld leisten, wenn die Herstellung in natura nicht ausreichend oder nicht möglich ist, § 251 I. Der Restaurator verdirbt ein wertvolles Ölgemälde bei der Wiederauffrischung so gründlich, dass das Ölgemälde nicht mehr in seinen früheren Zustand versetzt werden kann. Er haftet von vornherein auf Geldersatz. – Das Auto ist schon repariert, bevor Ersatz verlangt wird. – Entgangene Nutzungen für die Vergangenheit können in natura überhaupt nicht herausgegeben werden. So liegt es z. B., wenn ein geliehenes Auto nicht rechtzeitig zurückgegeben wird (so die h. M.; a. A. Rauscher, NJW 86, 2011, der hier unmittelbar § 249 II 1 anwenden will). Die Nutzungen sind in Geld zu ersetzen.

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b) Nach § 249 II 1 kann der Gläubiger (= der Geschädigte) statt der Herstellung in natura Geld verlangen, wenn wegen einer Beschädigung einer Sache oder einer Person Schadensersatz zu leisten ist. Es handelt sich um die sog. facultas alternativa des Gläubigers. Eine Käuferin wird im Laden von der Verkäuferin fahrlässig mit einem Fass Tinte überschüttet (Fall der culpa in contrahendo). Die Käuferin hat die Wahl zwischen „Naturalherstellung“ § 249 I und Geldersatz nach § 249 II 1. Zum Herstellungsaufwand nach § 249 II 1 gehören auch die Kosten für die Inanspruchnahme von Fremdmitteln, soweit die Herstellung dem Geschädigten nur auf diese Weise möglich oder zuzumuten ist, BGH NJW 74, 34. § 249 II 1 erlaubt bei Sachschäden auch den Ersatz des fiktiven Schadens. Wird bei einem Verkehrsunfall ein Pkw beschädigt, so hat der Geschädigte einen Anspruch auf die geschätzten Reparaturkosten. Aufgrund seiner Dispositionsbefugnis ist der Geschädigte nicht gehalten, die Reparatur tatsächlich vorzunehmen (ständige Rspr., vgl. BGHZ 61, 58; 66, 241; 76, 221; 81, 391). Führt der Geschädigte die Reparatur nicht (oder nicht vollständig) durch, ist sein Schadensersatzanspruch allerdings auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert minus Restwert) beschränkt.4 Führt er die Reparatur durch, kann der Schadensersatz auch über dem Wiederbeschaffungswert liegen. Die Rechtsprechung hat für Kfz allerdings eine Höchstgrenze gezogen: Der Schadensersatz darf nicht 130 % des Wiederbeschaffungswerts übersteigen.5 Gem. § 249 II 2 kann bei Beschädigung einer Sache nur die tatsächlich angefallene Umsatzsteuer verlangt werden. Verzichtet der Geschädigte also beispielsweise auf eine Reparatur, vermindert sich sein Ersatzanspruch um den in der Schadensersatzsumme enthaltenen Umsatzsteuerbetrag. Bei Personenschäden muss hingegen die Heilbehandlung durchgeführt werden. Dies folgt aus § 253. Könnte der Geschädigte die Verletzung hinnehmen und gleichzeitig die Kosten der Heilung verlangen, liefe dies auf einen Geldersatz für immaterielle Schäden neben dem Schmerzensgeld-

2 Die Rechtsprechung nimmt allerdings an, dass auch nach Zerstörung (oder Totalschaden) einer Sache Naturalrestitution durch Lieferung einer gleichwertigen Sache möglich ist, s. BGH NJW 1984, 2282 – Modellboot. Dies ist insbesondere bei Kraftfahrzeugen von praktischer Bedeutung. S. hierzu MüKo/Oetker § 249 Rdn. 313ff. 3 BGH NJW 2001, 2250. 4 BGH NJW 2005, 1108; 2005, 1110; 2005, 2541. 5 BGH NJW 1992, 1618.

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Umfang und Art des Schadensersatzes

§ 57 II 3

anspruch hinaus. Zum Kostenersatz für kosmetische Operationen vgl. BGH NJW 86, 1538, dazu Zeuner, JZ 86, 640; Hohloch, JR 86, 367.

c) Demgegenüber enthält § 251 II eine facultas alternativa des Schuldners. Der Ersatzpflichtige kann den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist (zur Heilbehandlung von Tieren s. § 251 II 2).

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Der Uhrmacher zerbricht bei der Reparatur der Uhr einen bestimmten Uhrteil, dessen Wiederherstellung in natura sehr viel kosten würde. Er darf den Gläubiger in Geld entschädigen, wofür dieser sich ein Ersatzteil oder eine neue Uhr kaufen kann.

d) Nach § 250 kann der Gläubiger dem Ersatzpflichtigen zur Herstellung in natura eine angemessene Frist mit der Erklärung bestimmen, dass er die Herstellung nach dem Ablauf der Frist ablehne. Nach fruchtlosem Verstreichen der Frist kann der Gläubiger Ersatz in Geld verlangen. e) Wird Ersatz in Geld geleistet, stellen sich zwei allgemeine Probleme, das Problem Kapital/Rente und das Problem „Neu für Alt“.

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aa) Vielfach enthält das BGB Vorschriften darüber, wann eine Rente zu zahlen ist, z. B. in den §§ 843 ff. Aber auch über die Vorschriften hinaus kann der Grundgedanke des Schadensersatzrechtes, dass der Schaden in natura wieder gutgemacht werden soll, die Zahlung einer Rente verlangen. Grundregel ist, dass eine Rente anstelle eines Kapitals verlangt werden kann, wenn sich der Schaden stets erneuert, insbesondere bei Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit. bb) Ein insbesondere in Zeiten des schleichenden Währungsverfalls oder bei Fehlen eines leistungsfähigen Gebrauchtmarktes wichtiges Problem ist die Frage des Ersatzes von „Neu für Alt“. Die meisten fabrikmäßig hergestellten Artikel, wie Uhren, Autos, Radioapparate, aber auch Häuser, erleiden durch den Gebrauch eine Wertminderung. Sollte die Wertminderung zugunsten des Schädigers berücksichtigt werden? An sich ist dies billig, da die schädigende Handlung den bereits durch Gebrauch im Wert geminderten Gegenstand trifft. Andererseits ist dem Geschädigten mit der niedrigeren Summe für den Altwert meist nicht gedient. Er kann sich für das Geld, das er als Altwert erhält, noch keine neue Sache kaufen. § 249 I gibt dem Wiederherstellungsinteresse des Gläubigers nach dessen Willen den Vorzug vor dem reinen Vermögensausgleichsinteresse. Geschuldet ist daher der Wiederbeschaffungswert – BGHZ 5, 138 –, der u. U. der Neuwert ist. Der in diesem Falle dem Gläubiger zugeflossene Mehrwert ist jedoch anzurechnen. Es handelt sich dann um einen besonderen Fall des Vorteilsausgleichs, nicht bei der Schadensberechnung, sondern bei der Schadensabwicklung. Der Vorteil ist vom Gläubiger nur dann nicht auszugleichen, wenn ihm wirtschaftlich nicht zugemutet werden kann, die Mehrkosten bei der Neubeschaffung zu tragen – BGHZ 30, 29, 34; BGH NJW 76, 1202. Bei der Schätzung ist also vom Neuwert auszugehen und ein Abzug für technische Abnutzung zu machen, OLG Schleswig VersR 74, 297. Wird z. B. ein neuwertiges Buch verliehen und dann durch Verschulden des Leihers zugrunde gerichtet, so geht der Schadensersatz nach § 249 I auf ein neues Buch der gleichen Art. Handelte es sich dagegen um ein gebrauchtes Buch, so ist nach § 249 I ein gebrauchtes Buch der gleichen Art zurückzugeben, und wenn dieses antiquarisch nicht zu haben ist, nach § 251 I Ersatz in Geld, und zwar in der Höhe des Altwertes, zu leisten. Den Verlust der Differenz muss der Gläubiger tragen, soweit es ihm wirtschaftlich zugemutet werden kann. 3. Von Bedeutung im Prozess ist die Vorschrift des § 287 I ZPO, wenn unter den Parteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden ist, und wie hoch sich ein Schaden beläuft. Dann entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung.

3. Immaterielle Schäden a) Grundsätzlich kann Geldersatz im Gegensatz zur Naturalrestitution bei immateriellen Schäden nicht verlangt werden, § 253 I, zum Grundsätzlichen s. o. Rdn. 604. Dies lässt sich mit der praktischen Unmöglichkeit einer wertmäßigen Fixierung des

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Ersatzanspruchs nach § 251 I erklären.6 Gesetzliche Sonderregelungen finden sich in §§ 249 I, 253 II, 651f II, 825 BGB, 97 II UrhG. Danach wird auch ein Affektionsinteresse nicht ersetzt; es gehört nicht zum pretium singulare. Dagegen stellt der Wert einer Sammlerbriefmarke kein Affektionsinteresse, sondern einen objektiv messbaren Wert dar.

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b) Das Verbot des § 253 I wird in unterschiedlichen Fällen und mit unterschiedlicher Begründung durchbrochen. aa) Zur Überwindung des § 253 I dient einmal der Kommerzialisierungsgedanke. Wird A auf dem Weg ins Theater von einem Auto angefahren, so erleidet er durch den Entgang des Kunstgenusses zunächst nur einen immateriellen Schaden. Der Vorstellung wird jedoch im Wirtschaftsverkehr durch den Eintrittspreis ein gewisser Vermögenswert zugebilligt. Diesen kommerzialisierten Wert soll A nach § 251 I verlangen können. Das dem § 253 I zugrunde liegende Argument der unmöglichen Wertbemessung eines immateriellen Schadens greift hier nicht. Zum Ersatz vertanen Urlaubs vgl. unten Rdn. 693. bb) Die Lösung desselben Falles gelingt auch über den Frustrationsgedanken. Der Begriff wird verwendet, wenn vom Geschädigten Aufwendungen gemacht wurden, der damit verfolgte Zweck jedoch aufgrund des schädigenden Ereignisses nicht erreicht wird; vgl. z. B. den Jagdpachtfall des OLG Oldenburg VersR 69, 527.7 cc) Allerdings dürfen der Kommerzialisierungs- und Frustrationsgedanke nicht schrankenlos angewendet werden. Insbesondere durch die neuere Rspr. zum abstrakten Nutzungsersatz (BGHZ 98, 222; vgl. unten Rdn. 692) sind brauchbare Kriterien zur Begrenzung aufgezeigt worden. c) Eine Ausnahme zu § 253 I bildet der Anspruch auf Schmerzensgeld in § 253 II. Auch wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann eine Entschädigung in Geld gefordert werden. Durch das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz 8 wurde der Schmerzensgeldanspruch aus § 847 a. F. entfernt und in § 253 II eingefügt. Die Umbettung vom Recht der unerlaubten Handlungen in das allgemeine Schadensrecht führt zu einer Änderung der Grundkonzeption: Der Anspruch auf Schmerzensgeld setzt nicht mehr eine schuldhafte deliktische Schädigung voraus, sondern kann durch einen beliebigen Schadensersatzanspruch, also auch durch Ansprüche aus Gefährdungshaftung oder Vertrag ausgelöst werden.9 Im Bereich der Gefährdungshaftung wurde dies durch die Aufnahme spezieller Vorschriften in die einschlägigen Gesetze klargestellt (s. z. B. §§ 11 StVG, 6 S. 2 HPflG). Die Erstreckung des Schmerzensgeldanspruchs auf die vertragliche Haftung ist von besonderer Bedeutung für die Gehilfenhaftung (da die Zurechnung des Gehilfenverschuldens nach § 278 im Gegensatz zu § 831 ohne Exkulpationsmöglichkeit erfolgt) und für die Beweislastverteilung (da § 280 I 2 für vertragliche Schuldverhältnisse dem schädigenden Schuldner die Beweislast in Bezug auf das Vertretenmüssen auferlegt). Der Anspruch setzt voraus, dass der Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung verletzt wurde. Das Schmerzensgeld soll dem Verletzten zusätzliche Annehmlichkeiten ermöglichen, welche die (außerhalb der Vermögenssphäre liegenden) verletzungsbedingten Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen ausgleichen (Ausgleichsfunktion), und die ihm darüber hinaus Genugtuung verschaffen (Genugtuungsfunktion).10 Bei der Bemessung des Schmerzensgelds sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Schwere von Verletzung und Schuld, bleibende Folgen und beiderseitige Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen. Auch über die Zahlungsweise, einmali-

6 Vgl. Staudinger/Medicus, Rdn. 1 zu § 253, mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte. Der zusätzliche historische Grund der sittlichen Anstößigkeit eines Aufwiegens von ideellen Schäden mit Geld lässt sich heutzutage wohl nicht mehr halten. 7 Müller, Georg, Der Ersatz entwerteter Aufwendungen bei Vertragsstörungen, 1991. 8 G. v. 19. 7. 2002 (BGBl. I 2674). 9 S. Katzenmeier JZ 2002, 1029; Wagner JZ 2004, 319. 10 BGHZ 18, 149; 128, 117.

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ger Anspruch oder Rente, ist im Einzelfall zu entscheiden. In der Praxis sind Schmerzensgeldtabellen von besonderer Bedeutung.11 In zeitlicher Hinsicht gilt: Für den Umfang der Ersatzpflicht entscheidet der Stand der Tatsachen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung der zu erwartenden weiteren Entwicklung des Schadens, BGHZ 27, 181, 188. Örtlich gilt der Wiederbeschaffungswert an dem Ort, an den die Gegenstände ohne die schädigende Handlung verbracht worden wären, ersparte Transportkosten wirken schadensmindernd, BGHZ 5, 138.

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III. Das Interesse (die Schadensberechnung) Bardo, Die abstrakte Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag, 1989; Bendref, Ersatz der vertanen Urlaubszeit im deutschen und österreichischem Recht, 1988; Berger, VersR 88, 106; Birk, Rechtsgrundlagen zum Schadensersatz und Entschädigung bei Immissionen, 1983; Bodenburg, Der ärztliche Kunstfehler als Funktionsbegriff zivilrechtlicher Dogmatik, Perspektiven des Arzthaftungsrechts, 1983; Brinkmann, BB 87, 1828; Bullinger, Jura 83, 416; Burger, NJW 80, 1249; Drees, VersR 87, 739; Flessner, JZ 87, 271; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, 1979; Grunsky, NJW 75, 609; ders., NJW 83, 2465; ders., JZ 86, 170; Hagen, JZ 83, 833; Hofmann, Die schadensersatzrechtliche Behandlung von Vorsorgemaßnahmen, Diss. Tübingen, 1976; Halbgewachs, Der merkantile Minderwert, 8. Aufl. 1974; Hartung, VersR 86, 308; Honsell, H., JuS 73, 69; ders., JuS 76, 222; Honsell, Th., JZ 83, 531; Kamphausen, BauR 88, 48; Keller, M., Das negative Interesse im Verhältnis zum positiven Interesse, 1948; Klimke, NJW 74, 81; ders., DB 78, 1323, ders., VersR 87, 439, Knobbe-Keuk, VersR 76, 401; C. Knütel, AcP 202 (2002) 555; Küppers, Verdorbene Genüsse und vereitelte Aufwendungen, 1976; Lieb, FS Steindorff, 1990, 705; Frhr. Marschall v. Bieberstein, BB 83, 467; Medicus, DAR 82, 352; ders., JuS 87, 50; Mook, Das Bereicherungsverbot im Schadensersatzrecht nach §§ 249–253 BGB, Diss. Hamburg 1983; Müller, Schadensersatz auf Grund verdorbenen Urlaubs, 1986; Rauscher, NJW 87, 50; Rengier, Die Abgrenzung des positiven Interesses vom negativen Interesse, 1977; Riedmaier, VersR 86, 728; Sanden/Völtz, Sachschadenrecht des Kraftverkehrs, 4. Aufl. 1982; Schiemann, JuS 88, 20; Schirmer, AnwBl. 88, 86; Schleich, VersPrax. 75, 34; ders., DAR 88, 145; Schlund, ArztR 82, 84; Schmidt, J., JZ 74, 73; Schulte, Schadensersatz in Geld für Entbehrungen, 1978; Steindorff, AcP 158 (1958/59), 431; ders., JZ 61, 12; Ströfer, VersR 82, 1113; Stürner, JZ 86, 122; Weber, Reinhold, NJW 83, 266; Weimar, NJW 89, 3246; Wolf, Ernst, Die Unhaltbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Schadensersatz bei Totalschäden an Kraftfahrzeugen, 1984; Würthwein, Schadensersatz für Verlust der Nutzungsmöglichkeit einer Sache oder für entgangene Gebrauchsvorteile?, 2001.

1. Der Verletzungserfolg Das zu ersetzende Interesse umfasst zunächst den in Bezug auf seine Auslösung (nicht in bezug auf seinen Umfang) verschuldeten Verletzungserfolg, s. oben Rdn. 581. Auch das „Loch in der Außenwelt“ ist ja ein Schaden. Dies ist z. B. die Vertragsverletzung oder der bei einer Wirtshausrauferei getroffene Kopf. Da hier die Wiederherstellung in natura oft nicht möglich ist, gilt Geldersatzpflicht des Schädigers, § 251 I, s. o. Rdn. 673.

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2. Der Folgeschaden Sodann sind alle Folgeschäden zu ersetzen; vgl. oben Rdn. 582. Wie beim Verletzungserfolg muss – in den Fällen der Verschuldenshaftung – nur ihre Auslösung durch

11 S. z. B. Hacks/Ring/Böhm SchmerzensgeldBeträge, 24. Aufl. (2006); Slizyk Beck’sche SchmerzensgeldTabelle, 5. Aufl. (2006).

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§ 57 III 2

Leistungsstörungen

die Verletzungshandlung verschuldet sein, nicht Art und Umfang des einzelnen Schadenspostens, z. B. die Erwerbsminderung nach dem Unfall. Diese Haftung ohne Verschulden fällt ins Gewicht und kann den Verletzer hart treffen (Grundsatz der Totalreparation). De lege ferenda erwägenswert sind daher Vorschläge, entweder wenigstens für bestimmte Folgeschäden den Verschuldensgrundsatz einzuführen oder bei nur leicht verschuldeten Verletzungen Folgeschäden ganz oder z. T. nicht ersatzpflichtig zu machen. Vgl. dazu Medicus I, § 53 I 1; Larenz, SchAT § 27 I; Hohloch, Gutachten 1, 459ff; Bartelt Beschränkung des Schadensersatzumfangs durch das Übermaßverbot?, 2004. Außerdem erschwert die subjektive Unübersehbarkeit von Art und Umfang der Folgeschäden ihre Versicherung, so dass man mit Schadenshöchstgrenzen arbeiten muss, um die Schadensversicherung zu erleichtern (so in der Kfz-Haftpflichtversicherung; es ist nicht nur die Gefährdungshaftung, sondern vor allem die Ersatzpflicht für in ihrer Höhe unverschuldete Folgeschäden, die zu Schadenshöchstgrenzen geführt hat).

Für die Folgeschäden gilt das Gleiche, was oben (Rdn. 590 ff) über die Normrelevanz des Verletzungsschadens gesagt wurde: Folgeschäden sind nur innerhalb des Inhalts und Zwecks der Norm zu ersetzen. Das bedeutet, dass nur Folgeschäden bestimmter Personen zu ersetzen sind (a), dass nur normrelevante Schadensarten interessieren (b) und dass das Ob und Wie der Verursachung von Folgeschäden der Norm, die die Schadensersatzpflicht ausspricht, angemessen sein muss (c). Es wiederholt sich praktisch der Aufbau der Prüfung des normrelevanten, haftungsbegründenden Verletzungsschadens jetzt bezüglich der Folgeschäden, die nach geltendem Recht nicht zur Haftungsbegründung zählen, sondern nur für die Interessenermittlung von Belang sind. 685

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a) Geschädigter: Einen Anspruch auf Ersatz eigenen Folgeschadens kann nur jemand haben, in dessen Person sich der haftungsbegründende Tatbestand verwirklicht. Dies ist bei vertraglicher Haftung die Vertragspartei (oder der in den Schutzbereich einbezogene Dritte), im Falle des § 823 I der in seinen Rechtsgütern Verletzte, im Fall des § 823 II der durch das Schutzgesetz Geschützte. In den Fällen der psychisch vermittelten Kausalität gilt grundsätzlich nichts anderes. Der Schadensanspruch der Mutter, die einen Schock erleidet, weil sie mit ansehen muss, wie ihr Kind überfahren wird, ergibt sich aus der Verletzung ihrer eigenen Gesundheit und nicht der ihres Kindes. b) Art des Folgeschadens: (Vertrag) Die Bank versendet versehentlich einen Kontoauszug statt an den Kontoinhaber an dessen Arbeitgeber. Als dieser die Verschuldung seines Angestellten erfährt, kündigt er ihm. Der Verdienstausfall des Kontoinhabers ist ein nicht zu ersetzender Folgeschaden. Er entsteht zwar dem Kontoinhaber, doch liegt er außerhalb des Risikoumfangs des Vertrags mit der Bank. Würde der Kontoinhaber wegen der Übersendung eines fehlerhaften Auszugs zu nachteiligen Wertpapierdispositionen veranlasst, haftet die Bank. – (Delikt) Der an einem Autounfall Schuldige haftet nicht für die Kosten einer erfolgreichen Strafverteidigung, die dem Unfallverletzten entstehen, BGHZ 27, 137, 139 (dieser vieldiskutierte Fall mit seinen Vorläufern, LG Stade DAR 1958, 47 und OLG Karlsruhe NJW 1957, 874, verhalf der „Normzweck“-Lehre zum Durchbruch). c) Art der Herbeiführung des Folgeschadens (Ob und Wie der Verursachung): Für die Herbeiführung von Folgeschäden finden die gleichen Verursachungsgrundsätze Anwendung wie bei eigentlichen Verletzungsschäden (Äquivalenztheorie, Adäquanztheorie oder Wahrscheinlichkeitsschätzung). Praktisch am wichtigsten ist dabei die Adäquanztheorie (im Sinne der Normadäquanz, siehe oben Rdn. 592). Die folgenden Beispiele beschränken sich auf sie. Folgeschäden sind also kausalitätsmäßig grundsätzlich nach den Regeln einer normerheblichen Adäquanz zu beurteilen. A deckt als Dachdecker das Dach des B schlecht. Es regnet durch. Das Durchregnen ist äquivalente und adäquate Folge des schlechten Dachdeckens. – Wegen des Durchregnens bildet sich Schimmel. Durch die Schimmelbildung verderben noch nach einigen Jahren einige Gemälde des B. Auch diese Schäden sind noch adäquat verursacht, denn es ist nicht ungewöhnlich, dass beim Durchregnen Gegenstände durch Schimmelbildung und Nässe zugrunde gehen. – Aus Kummer über den Verderb der von ihm hochgeschätzten Gemälde begeht B Selbstmord. Witwe B verlangt von A Unterhalt. Der Selbstmord des B ist zwar durch das schlechte Dachdecken äquivalent verursacht, doch stellt er eine inadäquate Folge dar. Es ist ein außerhalb des vertraglichen Normzwecks liegender Kausalverlauf, dass wegen eines schlecht gedeckten Daches Bilder verderben und dass sich deswegen der Eigentümer

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Umfang und Art des Schadensersatzes

§ 57 III 2

das Leben nimmt. – Stets ist die konkrete Folge mit dem konkreten Ereignis, das die Ursache bildet, in Verbindung zu setzen.

d) Folgende Fallgruppen von Folgeschäden sind nach „theoretischen Kategorien“ zu unterscheiden: aa) Entgangener Gewinn und Verdienstausfallschaden Für Vertrags- und Deliktsschäden wichtig ist die Vorschrift über den Ersatz entgangenen Gewinns. Nach § 252 umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erwartet werden konnte (abstrakte Schadensberechnung). Der Geschädigte muss nur die Wahrscheinlichkeit nachweisen; der Schädiger hat zu beweisen, dass der Gewinn im Einzelfall nicht gemacht worden wäre, BGHZ 29, 393. Als entgangen gilt aber auch der Gewinn, der nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den besonderen Anstalten und Vorkehrungen erwartet werden konnte (konkrete Schadensberechnung), BGH NJW 82, 1748 – Totalschaden –. Der Gläubiger kann zwischen abstrakter und konkreter Schadensberechnung wählen. Die Wahlmöglichkeit zwischen abstrakter und konkreter Schadensberechnung ist insbesondere von Bedeutung, wenn der Verkäufer schuldhaft die Ware nicht liefert. Der Käufer kann dann u. U. die Ware nicht mit Gewinn weiterveräußern. Bei der konkreten Berechnung weist er nach, dass er nicht mit einem bestimmten nächsten Abnehmer abschließen konnte und daraus einen bestimmten Verlust erlitten hat. Ist ihm dies nicht möglich, so kann er den Schaden „abstrakt“ berechnen. Er stützt sich dann auf die allgemeine Marktlage und weist nach, dass er Waren dieser Art nach allgemeiner Erwartung mit einem bestimmten Gewinn hätte weiterveräußern können, vgl. BGH JZ 61, 27 und dazu Steindorff, JZ 61, 12; zur Berechnung des entgangenen Gewinns bei Bankgeschäften vgl. auch BGH NJW 74, 895. Dieses Wahlrecht zwischen abstrakter und konkreter Schadensberechnung ist nicht zu verwechseln mit der Wahlmöglichkeit des Gläubigers des Schadensersatzanspruchs zwischen der Differenz- und der Austauschberechnung. – Entgangener Gewinn kann beim Ersatz des Erfüllungsinteresses ebensogut eine Rolle spielen wie beim Ersatz des Vertrauensinteresses, z. B. Gewinn aus einem ausgeschlagenen Zwischengeschäft. Zum Ganzen oben Rdn. 419. Vgl. ferner die gesetzliche Regelung abstrakter und konkreter Schadensberechnung in § 376 II, III HGB. Dem entgangenen Gewinn verwandt ist der Verdienstausfallschaden. Dabei ist für abhängig Beschäftigte von der modifizierten Bruttolohnmethode auszugehen; BGH NJW 86, 245; NJW 1999, 3711. Berechnungsgrundlage ist der hypothetische Bruttolohn. Ersparte Steuern sind nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung vom Anspruch abzuziehen, BGH NJW-RR 88, 161. Ein Unternehmergehalt erkennt die Rspr. nicht an. Der Gewinnentgang soll hier stets nach dem Betriebsergebnis gemäß § 252 ermittelt werden, BGHZ 54, 53. Wird eine Gewinneinbuße durch nachträgliche Mehrarbeit vermieden, besteht danach kein Anspruch. Die h. M. in der Literatur will dagegen ein ersatzfähiges Unternehmergehalt anerkennen; z. B. Grunsky, DAR 88, 404; Lieb, JZ 71, 358 (361); Staudinger/Medicus, Rdn. 48 zu § 252. Dieser letzteren Auffassung ist zuzustimmen, denn auch die Arbeitsleistung des Unternehmers hat seinen Marktwert. Es kann keinen Unterschied machen, ob etwa ein Steuerberater seine Fälle für die Dauer der Krankheit einem Kollegen anvertraut und diesen entlohnt oder ob er nach Genesung die Fälle durch Nacharbeit selbst erledigt.

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bb) Zufallshaftung bei Verzug, Schlechterfüllung, deliktischer Herausgabepflicht Ersatzpflichtige Folgeschäden im strengen Sinne sind auch die Fälle des Unmöglichwerdens der Leistung während des Schuldnerverzugs und der Rückgabepflicht aufgrund eines Delikts, §§ 287 S. 2, 848, vgl. oben Rdn. 654. Wer mit einer Leistung im Verzug ist, muss ihr Unmöglichwerden während des Verzugs auch ohne Verschulden vertreten, § 287 S. 2. A schuldet die Rückgabe eines geliehenen Autos an B. Trotz Mahnung des B behält A das Auto. Jetzt wird es dem A ohne seine Schuld unwiederbringlich gestohlen. A haftet, § 287 S. 2. Der Zufall, der die Unmöglichkeit verursachte, braucht keine kausale Folge des Verzugs zu sein. Wohl aber müssen der Zufall und die Tatsache des Verzugs die Unmöglichkeit verursacht haben, denn die Haftung entfällt, wenn auch ohne den Verzug der Schaden eingetreten wäre (reine Äquivalenzprüfung, oben Rdn. 622, kein Fall hypothetischer Verursachung).

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688

§ 57 III 2

Leistungsstörungen

Wer aus Delikt Rückgabe einer Sache schuldet, haftet – auch ohne Verzug – nach § 848 im gleichen Umfang („fur semper in mora“, dazu Wacke, FS H. Hübner, 1984, 669). Dem Dieb wird die gestohlene Sache gestohlen.

cc) „Übererfüllungsmäßiges Interesse“ 689

Nur bei Vertragsverletzungen hat sich für bestimmte, zu ersetzende Folgeschäden der Begriff des übererfüllungsmäßigen Interesses („Integritätsinteresse“) entwickelt, dazu oben Rdn. 360. Viehhändler V liefert Bauer B eine kranke Kuh. Der ganze Viehbestand des B wird angesteckt und muss notgeschlachtet werden. V haftet zum einen wegen der gelieferten Kuh (Rechte des § 437). Zum anderen besteht ein vertraglicher Anspruch wegen weiterer, über das reine Erfüllungsinteresse hinausgehender Schäden an anderen Rechtsgütern des Verletzten, hier dem Eigentum am schon vorhandenen Vieh, §§ 437 Nr. 3, 280 I, 241 II. Für einen Schadensersatzanspruch muss die Lieferung der kranken Kuh verschuldet sein (was nach § 280 I 2 vermutet wird). Ist sie verschuldet, haftet V für den Umfang des übererfüllungsmäßigen Interesses ohne Verschulden. Es kommt also nicht darauf an, ob V wusste, wieviel Vieh angesteckt würde, d. h. wieviel Stück Vieh B im Stall hatte. Es genügt normrelevante Verursachung. Dazu gehört hier beim übererfüllungsmäßigen Interesse (1) die äquivalente Verursachung, (2) dass der Gläubiger der mangelhaften Leistung diese Leistung in verkehrsüblicher Weise verwendet hat und dadurch (3) die mit der mangelhaften Leistung verbundenen Gefahren für andere Rechtsgüter in einen nicht ungewöhnlichen Risikobereich ausgestrahlt haben. Vertragsübliche Verwendung und ungewöhnlicher Risikobereich engen also den Ersatz übererfüllungsmäßigen Interesses ein.

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Fehlerhaft durchgeführte Sterilisationseingriffe, die zur Geburt eines aus Gründen der Familienplanung unerwünschten gesunden Kindes führen, können unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltsbelastung der Mutter oder des Vaters zur Ersatzpflicht des Arztes führen; BGHZ 76, 249; 76, 259; 124, 128 – wrongful birth – Die Frage, ob die Unterhaltsbelastung aufgrund eines nicht gewollten Kinds einen ersatzfähigen Schaden darstellt, war zwischen den beiden Senaten des BVerfG streitig. Wie hier der erste Senat des BVerfG,12 a. A. – allerdings nur als obiter dictum – der zweite Senat.13 Die grundsätzliche Anerkennung von Unterhaltskosten als ersatzfähiger Schaden ist zu begrüßen. Die personale Anerkennung des Kindes wird durch die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs an die Eltern nicht berührt. Eine Entlastung des verantwortlichen Arztes ist nicht gerechtfertigt. – Kommt das Kind schwerbehindert zur Welt, weil der beratende Arzt die Gefahr der Schädigung nicht erkannte, die den Wunsch der Mutter auf Unterbrechung der Schwangerschaft gerechtfertigt hätte, sind die den Eltern durch den Kindesunterhalt entstehenden Aufwendungen zu ersetzen; das Kind hat keine Ersatzansprüche, BGHZ 86, 240; BGH NJW 2002, 2636 – wrongful life –. Die Ersatzpflicht besteht nur dann, wenn der Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar gewesen wäre. Voraussetzung hierfür ist (nach Wegfall der embryopathischen Indikation) gem. § 218a II StGB, dass schwerwiegende Gefahren für die Gesundheit der Mutter drohen.14

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Jemand benutzt unbefugt das Fotoportrait eines anderen zu Reklamezwecken. Hätte der Verletzte die Erlaubnis üblicherweise von der Bezahlung eines Entgeltes abhängig gemacht, bemisst sich die Höhe des Schadensersatzes nach diesem hypothetischen Entgelt (BGHZ 20, 345); hätte der Dargestellte sich dagegen niemals für ein Portrait hergegeben, befürwortet der BGH unter der Voraussetzung einer schweren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Entschädigung, deren Höhe unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren festzusetzen ist, BGHZ 26, 349 (Photo eines Herrenreiters wird für Werbung eines potenzsteigernden Mittels verwendet). Dieser Anspruch wurde zunächst auf den Schmerzensgeldparagraphen gestützt, wird heute aber direkt aus den §§ 823 I

dd) Unterhaltspflicht als Folgeschaden („Kind als Schaden“).

ee) Lizenz- und Nutzungsgebühren

12 BVerfG NJW 1998, 519. 13 BVerfG NJW 1993, 1751 (1754); zum Problemkreis s. Deutsch NJW 2003, 26; Müller NJW 2003, 697; Stürner, JZ 2003, 155. 14 BGH NJW 2002, 2636; 2006, 1660; Fallbeispiel bei Heinemann/Ramsauer JuS 2003, 992.

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Umfang und Art des Schadensersatzes

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BGB, Art. 1 I, 2 I GG abgeleitet. Die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind (im Gegensatz zu den ideellen Bestandteilen) auch vererbbar.15 Den Erben ist damit der Bereich des Merchandising mit Namen und Bildern des Verstorbenen zugewiesen. Diese Befugnis kann allerdings nur in Übereinstimmung mit dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen ausgeübt werden.16

ff) Ersatz für entgangene Nutzungen Die jüngere Rspr. erkennt zunehmend eine abstrakte Nutzungsentschädigung im Falle der Beschädigung von Wirtschaftsgütern an. Kein Fall der abstrakten Nutzungsentschädigung liegt vor, wenn sich der geschädigte Kfz-Besitzer für die Dauer der Reparatur einen Pkw mietet. Die Rspr. nimmt hier einen ersatzfähigen Vermögensschaden an; BGH 40, 345; 45, 218 (zu den Grenzen s. BGH NJW 2005, 51 und 135); ähnlich wenn der Wohnungsbesitzer wegen Unbewohnbarkeit ins Hotel ziehen muss. Die tatsächlich entstandenen Kosten sind zu ersetzen. Anders liegt es, wenn auf die Anmietung eines neuen Pkw verzichtet wird. Hier liegt ein an sich nach § 253 nicht erstattungsfähiger Nichtvermögensschaden vor. Dennoch wurde – zunächst nur für Pkw – eine abstrakte Nutzungsentschädigung anerkannt, sofern der Eigentümer den Wagen auch wirklich benutzt hätte, z. B. BGH NJW 75, 160. Für sonstige Gebrauchsgüter war ein solcher Ersatz dagegen umstritten. Mit der Entscheidung des Großen Senats BGHZ 98, 212 ist diese Frage nunmehr geklärt. Danach soll ein Vermögensschaden und kein immaterieller Schaden gegeben sein, wenn es sich um Sachen von zentraler Bedeutung (Lebensgüter) handelt, auf deren ständige Verfügbarkeit der Eigentümer (oder auch der nur vertraglich Berechtigte) bei eigenwirtschaftlicher Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist. Mit dem Kriterium des Angewiesenseins zur ständigen Verfügbarkeit sollte die Fühlbarkeit der Beeinträchtigung gewährleistet und vom Entzug bloßer Annehmlichkeiten abgegrenzt werden. Diese Voraussetzungen hielt der BGH bei zeitweiser Unbewohnbarkeit eines Wohnhauses für gegeben (der Eigentümer zog in einen ihm gehörenden Wohnwagen).17 Denkbar ist daher auch ein Ersatz für die mangelnde Funktionsfähigkeit einer Küche, eines ständig benutzten Motorrades, kein Ersatz ist dagegen möglich bei einem Pelzmantel (BGHZ 76, 187) oder einem Motorboot (BGHZ 89, 64). Dabei macht es nach dieser Rspr. keinen Unterschied, ob die Ersatzpflicht auf Delikt oder Vertrag beruht, BGHZ, 101, 330. Rechtsgrundlage des Nutzungsersatzes ist § 251 I. Schwierigkeiten bereitet jedoch die Bemessung der Schadenshöhe. Nach BGHZ 98, 212 kommt es danach nicht auf die (Miet-)Kosten zur Beschaffung einer Ersatzsache an (Reparationsinteresse), sondern auf die Gemeinkosten (Zinsen, Grundsteuer, Sachentwertung durch Zeitablauf bei einem Gebäude), die durch einen Aufschlag erhöht werden können (Kompensationsinteresse). Der Nutzungsersatz bei unfallbedingtem Ausfall von Kfz wird in der Praxis (und unter Billigung des BGH, NJW 2005, 277) nach den Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch berechnet, s. den auszugsweisen Abdruck in NJW 2006, 19.

gg) Vergeudete Freizeit, insbesondere Urlaub Spätestens seit der Einführung des § 651 f II steht fest, dass es sich bei vertaner Freizeit um einen Nichtvermögensschaden handelt. Bei der Frage, ob vertane Freizeit einen Schadensersatzanspruch in Geld auslösen kann, ist zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung zu unterscheiden. Soweit Reisevertragsrecht gilt, ist die Spezialvorschrift des § 651f II zu beachten, der einen Ersatz immateriellen Schadens für jede Personengruppe (auch Kinder) gibt, vgl. unten Rdn. 1240. Außerhalb des Reisevertragsrechts führt eine vertragliche Haftung nach der Rspr. zu einem Ersatz für vertanen Urlaub in Höhe der normalerweise während der Dauer des Urlaubs erwirtschaftbaren Einkünfte, soweit im Vertrag eine Kommerzialisierung des Urlaubsgenusses erfolgt ist. Allerdings soll nicht schon jede Beeinträchtigung des Urlaubs zu einer kommerzialisierten Einbuße führen; BGH NJW 75, 40. Anspruchsberechtigt sind danach nur verdienende Personen (nicht Kinder, Schüler,

15 BGH, NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; BGH, NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. 16 Fallbeispiel bei Heinemann/von Hassell, JA 2005, 592. 17 Eine rechtsvergleichende Sicht zur neueren Rspr. bietet Flessner, JZ 87, 271; im übrigen vgl. Medicus, NJW 89, 1892.

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§ 57 III 3

Leistungsstörungen

Studenten; anders Hausfrauen). Ein Ersatzanspruch rechtfertigt sich hier, weil die Erholung der einen Partei vom Normzweck der Schadensnorm gedeckt wird. Dagegen besteht kein eigener Schadensposten, wenn der Urlaub aufgrund eines Delikts vereitelt wird (A wird einen Tag vor Urlaubsantritt von einem Hund gebissen), BGHZ 86, 212. Die Beeinträchtigung kann durch eine Erhöhung des Schmerzensgeldes nach § 253 II berücksichtigt werden.

hh) Eigenreparaturen 694

Bei der Reparatur in der eigenen Werkstatt sind grundsätzlich die angemessenen, nicht die (geringeren) wirklichen Kosten zu ersetzen; OLG München NJW 67, 398 – Bastlerfall –. Umgekehrt dürfen aber Verkehrsbetriebe, die üblicherweise eine eigene Reparaturwerkstatt haben, dem Schädiger grundsätzlich nicht die Kosten für die teurere Fremdreparatur berechnen, BGHZ 54, 82 (86) m. w. N.

ii) Merkantiler Minderwert Das unfallgeschädigte Auto hätte am Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Wert, aber fest steht, dass der geschädigte Eigentümer es nicht verkaufen würde. Trotzdem ist der merkantile Minderwert zu ersetzen, BGHZ 35, 395; 82, 338; Rieker, VersR 81, 517; OLG Hamburg VersR 81, 1186 (zur Berechnung).

jj) Vorsorgekosten, Vorhaltekosten, Fangprämien 695

Die städtische Straßenbahn hält Ersatzwagen bereit, die sie nach Unfällen an Stelle der beschädigten Wagen einsetzt. Sie kann dafür die anteiligen Kosten der Reservehaltung verlangen (BGHZ 32, 280). Auf derselben Linie liegen die GEMA-Urteile des BGH (zuletzt BGHZ 59, 286). Der BGH hat darin den unbefugten Benutzer urheberrechtlich geschützter Musik verpflichtet, der GEMA auch die anteiligen Kosten für deren Kontrollorganisation zu zahlen, obwohl der GEMA diese Kosten vor der Verletzungshandlung entstanden waren. Unter das Stichwort Vorsorgekosten fallen auch die zivilrechtlichen Aspekte bei Warenhausdiebstählen. Viele Warenhäuser sind dazu übergegangen, von Dieben, die auf frischer Tat ertappt werden, „Bearbeitungsgebühren“, „Fangprämien“, anteilige Kosten für die installierten Fernsehkameras, für angestellte Detektive u. ä. m. zu verlangen, dazu BGHZ 75, 230 (bejahend) 18 und o. Rdn. 634 (zur Kausalität). Vorhaltekosten und kommerzialisierter Nutzungsausfall können nicht nebeneinander verlangt werden, BGHZ 70, 199.

kk) Krankenbesuchskosten Zu den Heilbehandlungskosten zählen grundsätzlich auch die Kosten (Fahrtkosten, Verdienstausfall), die durch den Besuch naher Angehöriger entstehen; BGH NJW 85, 2757; 89, 766. Dabei handelt es sich um einen Anspruch des Geschädigten selbst; nicht der Angehörigen. Zur Erstattungsfähigkeit von Babysitterkosten, wenn ein Elternteil den geschädigten Ehegatten im Krankenhaus besucht, BGH NJW 90, 1037; zur Frage des angemessenen Umfangs BGH NJW 1991, 2340 (2341).

3. Schadensberechnung bei vertraglicher Haftung 696

Bei vertraglicher Haftung hängt das zu ersetzende Interesse davon ab, welchen hypothetischen Verlauf man der Schadensberechnung zugrunde legt; vgl. oben Rdn. 608. Je nach Haftungsnorm ist das Vertrauens- oder das Erfüllungsinteresse geschuldet. a) Als Vertrauensinteresse: Die Vertragsverhandlungen sind hinwegzudenken. Typische Beispiele sind Vertragsauslagen, wie Porto, Reisekosten und dergl.; außerdem entgangener Gewinn aus einem mit Rücksicht auf den Vertrag ausgeschlagenen anderen Geschäft. Beispiele im Gesetz: §§ 122, 179 II, 284. b) Als Erfüllungsinteresse: Der Vertrag ist als ordnungsgemäß durchgeführt zu denken. Bei Delikten kommt dagegen als hypothetischer Verlauf nur ein schadensfreier Hergang in Frage.

18 Allerdings muss die Fangprämie „angemessen“ sein; bei Ladendiebstählen waren das in BGHZ 50, 230 DM 50,–, nicht die verlangten DM 550,–; weitere „Personalbearbeitungskosten“ sind nicht ersatzfähig.

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Umfang und Art des Schadensersatzes

§ 57 IV

4. Geltendmachung Schadensersatz ist grundsätzlich mit der Leistungsklage geltend zu machen, doch gewährt die Rechtsprechung bei Umweltschäden neuerdings auch die Feststellungsklage, BGH ZIP 1996, 1395 –Bodenverseuchung –.

IV. Die sog. „überholende Kausalität“ Böhm, Überholende Kausalität im Sozialrecht, Diss. Köln 1976; v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962; ders., NJW 56, 169; Coing, SJZ 50, 865; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; Großerichter, Hypothetischer Geschehensverlauf und Schadensfeststellung, 2001; Hueck, Götz, JR 53, 404; Kahrs, Kausalität und überholende Kausalität im Zivilrecht, 1969; Kaufmann, A., FS E. Schmidt, 1961, 200; Knappe, Zum Problem der überholenden Kausalität, 1954; Lange, Hermann, AcP 152 (1952/53), 153; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 4; Lange, Otto, JR 51, 73; Larenz, NJW 50, 487; ders., NJW 59, 85; Lemhöfer, JUS 66, 337; Moors, NJW 54, 332; Neumann-Duesberg, JR 52, 72; ders., JZ 55, 263; Neuner, AcP 133 (1931), 277; Niederländer, AcP 153 (1954), 41 u. 472; ders., JZ 59, 617 u. 773; Zeuner, AcP 157 (1958/59), 441; ders., AcP 162 (1963), 516; ders., JZ 60, 411.

1. Das mit diesem Begriff angesprochene Problem besteht darin zu entscheiden, ob sich der Schädiger darauf berufen kann, dass ein zweites Ereignis („Reserveursache“) den Schaden mit der gleichen Sicherheit herbeigeführt hätte. Der verwandte Begriff ist missverständlich, da es sich nicht um eine Frage der Kausalität, sondern der Ermittlung des zu ersetzenden Schadens handelt (Niederländer, AcP 153 [1954], 41). Die Berücksichtigung der „Reserveursache“ führt nicht zur Verneinung des herbeigeführten Schadens im Sinne der Haftungsbegründung, sondern zu einer bestimmten Gestaltung des hypothetischen Verlaufs als Vergleichsmaßstab für die Interesseberechnung. Wegen des insoweit gleichen Ansatzpunktes und der ebenfalls gleichen normativen Bewertungsweise ist die „überholende Kausalität“ der Vorteilsausgleichung nahe verwandt (v. Caemmerer, Zeuner). Das Reichsgericht vertrat in ständiger Rechtsprechung (vgl. RGZ 141, 365; 169, 117) die Ansicht, dass (echte) spätere hypothetische Schadensursachen, die nicht bereits zu einer bei der Verletzung bestehenden Schadensanlage geführt haben, unberücksichtigt bleiben müssen. Mit der Schadenszufügung durch den Erstschädiger sei der Anspruch entstanden und bleibe existent ohne Rücksicht darauf, ob der gleiche Schaden durch ein späteres Ereignis noch einmal herbeigeführt worden wäre (BGHZ 78, 209 – Injektion – weist in die gleiche Richtung).

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Das Auto des A wird in einen Unfall verwickelt und zerstört. In der folgenden Nacht brennt die Garage ab, in welcher A das Auto abzustellen pflegt. Das Auto wäre mit Sicherheit mitverbrannt. Nach Ansicht des Reichsgerichts bleibt die spätere, hypothetische Schadensursache außer Betracht. Der Unfallschädiger haftet für den Schaden. A zerschlägt mutwillig das Fenster des X. Kurz danach explodiert in der Nähe eine Bombe bei der Entschärfung und zertrümmert alle Scheiben im Umkreis. Obwohl die Scheiben des X ohne Zweifel mitzerstört worden wären, haftet A dem X, weil er der Erstschädiger war, jedenfalls nach Ansicht des Reichsgerichts. – A wird bei einer Wirtshausrauferei so verletzt, dass er zu 50 % arbeitsunfähig wird. Nach 5 Jahren wird er infolge späterer Trunksucht gänzlich arbeitsunfähig. Muss der Verletzer die Rente auf Lebenszeit oder nur für 5 Jahre bezahlen? Sogar das Reichsgericht vertrat, entgegen seiner erwähnten Grundhaltung, in diesem Fall, dass der Schädiger die Rente nicht lebenslänglich zu zahlen habe, RGZ 1, 67; 68, 353.

2. Die gegenteilige Ansicht behauptet, hypothetische Schadensursachen seien zu berücksichtigen, wirkten sich also zugunsten des Erstschädigers schadensmildernd aus. Begründet wird diese These aus der Differenzmethode und dem Gegenschluss aus § 252 – die Berücksichtigung schadenserhöhender Momente verlange auch die Einbe-

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ziehung schadensmindernder Umstände. Hiernach würde in den obigen Fällen keine Schadensersatzpflicht eintreten und im dritten Falle nur für 5 Jahre eine Rente zu zahlen sein (Oertmann, Veith, Moors, v. Caemmerer, Lemhöfer). 3. Eine dritte Meinungsgruppe unterscheidet. Für sog. unmittelbare Schäden folgt sie der Auffassung des Reichsgerichts, für sog. mittelbare Schäden der gegenteiligen Ansicht (Larenz, Neuner, Coing). Danach ist in den obigen Beispielen das Auto zu ersetzen, nicht aber die Nutzung, die dem A in diesem Falle entgeht, weil er nunmehr das Auto nicht verwenden kann (anders BGHZ 45, 212). Ebenso ist das eingeschlagene Fenster des X zu ersetzen. Es handelt sich um unmittelbare Schäden. Ihre eigentliche Bedeutung gewinnt diese h. M. bei den Rentenfällen. Danach sind die Krankenhauskosten des Verletzten als unmittelbarer Schaden von dem Verletzer zu tragen. Die Rente aber, als mittelbarer Schaden wegen der Erwerbsminderung, ist nur für 5 Jahre zu tragen. In diesem Sinne wohl auch der BGH (BGHZ 10, 6; 20, 275, 278; 29, 207, 215 f; BGH LM § 242 Bb. Nr. 38).

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4. a) Vom obigen Standpunkt einer besonders definierten Unterscheidung von Schaden und Interesse (oben Rdn. 607 und 669) ergibt sich Folgendes: Solange tatsächlicher Schadensverlauf und hypothetischer Vergleichsverlauf noch nebeneinander herlaufen, sind grundsätzlich alle schadensstiftenden Reserveursachen haftungsmindernd, also zugunsten des Schädigers zu berücksichtigen. Denn solange ist das Interesse des Geschädigten noch nicht fixiert. Nach Abschluss im Sinne eines vollkommenen Eintritts des jeweiligen Schadens ist das Interesse festgelegt, und später auftretende Reserveursachen können nicht mehr berücksichtigt werden (sehr ähnlich Zeuner, AcP 157 [1958], 441 ff; JZ 1960, 411f; AcP 162 [1963], 516, 519, 521 im Anschluss an Niederländer, AcP 153 [1954], 54ff; JZ 1959, 619). Im Unterschied zu Zeuner wird aber hier nicht auf den Eintritt, sondern auf den jeweiligen Abschluss des Schadensablauf abgestellt. Denn dann erst ist das Interesse des Geschädigten fixiert. Das bedeutet: (aa) Keine Frage der Reserveursache liegt dann vor, wenn die beschädigte Sache oder die verletzte Person bereits durch einen anderen, abgeschlossenen Schadensablauf beeinträchtigt oder wertgemindert sind. So kann der kriegsversehrte A, der nur noch 5 Jahre arbeitsfähig ist, vom Verantwortlichen eines Unfalls, durch den er seine Arbeitsfähigkeit bereits jetzt verloren hat, nur für 5 Jahre eine Rente verlangen. (bb) Ein zu beachtendes hypothetisches Schadensereignis ist dann gegeben, wenn bei der Verletzung der Schaden zwar noch nicht abgeschlossen, jedoch bereits eingeleitet ist oder mit Sicherheit erwartet werden kann (sog. Schadensanlagen). So wird für den Einsturz eines Gebäudes infolge Explosion nicht gehaftet, wenn es wegen Baufälligkeit sicher ebenfalls eingestürzt wäre (BGHZ 29, 207). Keine Haftung des Arztes für eine ohne Einwilligung des Patienten vorgenommene Operation, die zur Erblindung geführt hat, wenn die Augenkrankheit ebenfalls sicher diese Schädigung bewirkt hätte (BGH JZ 1959, 773), lediglich Haftung für den Schaden infolge der Beschleunigung des Schadenseintritts. Wird infolge Öffnens der Schleusentore Grund überflutet, so tritt keine Haftung ein, wenn die Dämme im Falle des Nichtöffnens gebrochen wären und den Schaden ebenfalls herbeigeführt hätten (RGZ 156, 187 mit der Begründung mangelnder Kausalität). (cc) Soweit die Eventualursache erst später als die Verletzungshandlung eintritt, gilt Unbeachtlichkeit für in sich abgeschlossene Schäden, so in den obigen Fällen (Auto, Fensterscheibe). Bei noch nicht abgeschlossenen Schäden, insbesondere Dauerschäden (z. B. Erwerbsminderung), sind spätere Reserveursachen bis zum jeweiligen Schadensabschluss zu berücksichtigen, so im obigen Fall späterer Trunksucht. b) aa) Aber auch von den vor Schadensabschluss liegenden Reserveursachen sind diejenigen ausnahmsweise nicht zu berücksichtigen, die nicht in einen einigermaßen wahrscheinlichen hypothetischen Normalverlauf passen. Der Geschädigte darf einen üblichen, nicht muss er einen außergewöhnlichen „Normalverlauf“ seiner Interessenermittlung zugrunde legen. Unwahrscheinliche, wenn auch tatsächlich eingetretene Reserveursachen braucht sich der Geschädigte nicht haftungsmindernd entgegenhalten zu lassen. Dies gilt auch für unvorhersehbares, unübliches Eingreifen des Geschädigten selbst in den Ablauf, vor allem aber für Fälle höherer Gewalt, dazu Lehmann-Hübner, AT § 42. Es

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handelt sich um eine negative Verwendung der Adäquanztheorie, so für Anlageschäden bereits Götz Hueck; sachlich insoweit übereinstimmend BGHZ 8, 288, 296. Dass Autos in Garagen verbrennen, Schiffe mit dem Reisegepäck untergehen, ist nicht außergewöhnlich (für den Fall, dass diese Reserveursachen zu berücksichtigen wären). Beschädigt jemand die Rosenkulturen seines Nachbarn, weil er die Kontrolle über sein Kartoffelfeuer verliert, so kann sich der Schädiger nicht auf „überholende Kausalität“ berufen, wenn noch während des Brandes ein niedergehender Meteorit die Rosenkulturen restlos verwüstet. bb) Ebenfalls nicht haftungsmindernd wirken Reserveursachen, für die ein anderer gehaftet hätte (v. Caemmerer). Der Schädiger kann sich auf fremdes Unrecht nicht berufen. Ein Taschendieb erbeutet eine goldene Uhr. Sein Kollege greift eine Minute später erfolglos in dieselbe Tasche. Das befreit den ersten nicht. cc) Dagegen spielt der Zeitpunkt der Zahlung, des Urteils, eines Vergleichs oder der letzten mündlichen Verhandlung (v. Caemmerer) für die Ermittlung des Interesses keine Rolle, darum auch nicht für das Problem der „überholenden Kausalität“ (so zutreffend Zeuner), sondern er kann allein prozessuale Bedeutung haben, BGHZ 27, 181, 188. c) Die Beweislast für den hypothetischen Normalverlauf im Allgemeinen trägt der Geschädigte, für die Sicherheit des Schadens aufgrund der Reserveursache der Schädiger, für die Unwahrscheinlichkeit und darum Nichtbeachtlichkeit der Reserveursache wiederum der Geschädigte, BGH VersR 1963, 674, krit. Neumann-Duesberg, Lemhöfer. d) Die Grundsätze der „überholenden Kausalität“ gelten nur im Schadensrecht, nicht bei Restitutions-(insb. Rückgabe-)pflichten, oben Rdn. 23.

V. Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, 1971; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten im haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang, 1977; Koziol, FS Deutsch, 1999, S. 179; Wissmann, NJW 71, 549.

Auch die Berufung auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten stellt kein Problem der „hypothetischen Kausalität“ dar. Fraglich ist hier, ob der Schädiger einwenden kann, der Schaden wäre ganz oder teilweise auch entstanden, wenn er sich rechtmäßig verhalten hätte. Das RG lehnte in ständiger Rechtsprechung die Berücksichtigung ab. Das BAG hat nach ursprünglicher Übernahme der Rspr. des RG in BAG NJW 81, 2430; 84, 2846 den Einwand eines Arbeitnehmers zugelassen, die Inseratkosten wären dem Arbeitgeber auch bei rechtzeitiger Kündigung entstanden. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es auf den Schutzzweck der Norm an; BGH 96, 173; BGH NJW 2000, 661 (663). Zulässig ist danach beispielsweise der Einwand eines Arztes, der Patient hätte bei gehöriger Aufklärung die Einwilligung gleichfalls erteilt; BGHZ 61, 118; 90, 111. Unzulässig war der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens dagegen im folgenden Fall (nach BGHZ 96, 173): Notar N erteilt dem Grundstückskäufer K die Fälligkeitsbestätigung, noch bevor die Auflassungsvormerkung eingetragen wurde. K zahlt zu früh. Dem Ersatzanspruch des K kann N nicht entgegenhalten, dass bei pflichtgemäßem Verhalten die Eintragung schon im Zeitpunkt der Bestätigung vorgelegen hätte. Denn das pflichtwidrige Verhalten des N liegt nicht im zu langsamen Betreiben der Eintragung, sondern in der Fälligkeitsbestätigung vor Fälligkeit.

VI. Vorteilsausgleichung Cantzler, AcP 156 (1957), 29; Esser, MDR 57, 522; Grützner, Vorteilsausgleich, 1932; Henke, FS Hagen, 1999, S. 371; Knobbe-Keuk, in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beih. zu VersR), 1983, 134; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 9; Oertmann, Die Vorteilsausgleichung beim Schadensersatzanspruch 1901; Thiele, AcP 167 (1967), 193; Trüter, BB 86, 269; Walsmann, Compensatio lucri cum damno, 1900.

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Nach dem Grundgedanken der §§ 249 ff ist der Geschädigte so zu stellen, wie er wirtschaftlich stehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Darin ist notwendig enthalten, dass der Gläubiger des Schadensersatzanspruchs infolge des schädigenden Ereignisses nicht bereichert werden soll (Gewinnabwehr). Der Geschädigte ist daher verpflichtet, gewisse Vorteile, die ihm im Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis zugeflossen sind (BGH NJW 76, 748), in seine Schadensberechnung einzubeziehen (Vorteilsausgleichung – compensatio lucri cum damno). Die Frage nach dem ausgleichspflichtigen Vorteil gehört in den Rahmen der Berechnung der Ersatzleistung. Die frühere Lehre – RGZ 80, 155; 148, 164 – hat jeden Vorfall für anrechenbar angesehen, der mit dem schädigenden Ereignis adäquat kausal verbunden ist. Der BGH – BGHZ 10, 108; 30, 33; BGH BB 81, 1800 = DB 81, 2222; 73, 109; 77, 151; 81, 271; 136, 52 – verlangt mit Recht zusätzlich, dass die Anrechnung dem Sinn und Zweck des Schadensersatzes entsprechen muss und die Grenzen der Zumutbarkeit beachtet werden. Die Bestimmung des anzurechnenden Vorteils kann in der Tat nur wertend erfolgen. Ein adäquater Verursachungszusammenhang ist Voraussetzung, aber nicht ausschließlich und noch nicht einmal maßgeblich entscheidender Grund. Abzustellen ist auf die normrelevante Verbindung von schadenstiftendem Ereignis und eingetretenem Vorteil, auf die rechtliche Einheit. Diese ist stets zu begründen. Eine Regel der grundsätzlichen Anrechnung, die lediglich von Ausnahmen durchbrochen wird, besteht nicht (Cantzler, AcP 156 [1958] 29; Thiele, AcP 167 [1967], 199 f).

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1. Ebenso wie beim Problem der überholenden Kausalität ist der jeweilige Abschluss eines Schadens bedeutsam. Ein später eintretender Vorteil ist dann nicht mehr zu berücksichtigen. Der Mieter, der es unterlässt, Schönheitsreparaturen auszuführen, zu denen er beim Auszug verpflichtet ist, hat den Wert der Reparaturen als Schadensersatz zu leisten, auch wenn der Vermieter die Wohnung zu gleich guten Bedingungen weitervermietet hat – BGH NJW 1968, 491 –. Der „merkantile Minderwert“ eines Unfallwagens bemisst sich nach dem Zeitpunkt des Unfalls, auch wenn der Geschädigte den Pkw weiterbenutzt und die Vermögensdifferenz zum Zeitpunkt des Prozesses geringer ist – BGHZ 35, 396 ff. – Der geschädigte Pkw-Eigentümer muss sich auf seine Mietwagenkosten die Ersparnis der Betriebskosten seines Pkw während der Reparaturzeit anrechnen lassen. Entzug der Nutzungsmöglichkeit und Ersparnis der Betriebskosten bilden eine rechtliche Einheit im Sinne des Schadensersatzrechts. – Wer wegen der Schädigung weniger Steuern zu zahlen hat, muss diesen Vorteil grundsätzlich dem Schädiger gutbringen, BGHZ 53, 132; BGH NJW-RR 88, 161; zur Behandlung von Steuervorteilen bei Ansprüchen aus Prospekthaftung, BGH NJW 90, 571. 2. Auszugleichen sind nur solche Vorteile, die dem Geschädigten endgültig zustehen und mit deren Empfangnahme keine Vermögensminderungen verbunden sind. a) So kann ein Schaden grundsätzlich nicht deshalb verneint werden, weil der Geschädigte durch den Schadensfall zugleich auch einen zweiten (dritten usw.) Ersatzanspruch gegen dritte Personen erworben hat, durch dessen Realisierung der vom Schädiger schuldhaft zugefügte Vermögensverlust ausgeglichen würde, vgl. BGH NJW 82, 1806 = JuS 82, 696. Denn dann würde „mangels Schaden“ kein Anspruch mehr gegen den Schädiger bestehen. b) Die dem Geschädigten von der Unfallversicherung geleisteten Beträge sind bereits deshalb nicht anrechenbar, da sie nach § 116 SGB X mit der Abtretung des Schadensersatzanspruchs verknüpft sind – vgl. auch §§ 67 VVG, 87a BBG, 52 BRRG. Entsprechendes gilt für die Abtretungspflichten aus §§ 255, 285 (Thiele, AcP 167 [1967], 214). 3. Besondere Schwierigkeiten bereiten die Fälle der Zuwendungen an den Geschädigten von dritter Seite. Um zu einer Anrechnung zu kommen, genügt es nicht, die meist gegebene adäquate Verursachungsverknüpfung nachzuweisen, vielmehr erfordert sie eine rechtliche Einheit von schädigendem Ereignis und Drittleistung. Diese fehlt in den Fällen, in denen das schädigende Ereignis bloßer Anlass für die Vermögenszuwendung ist, ihr eigener Rechtsgrund aber den Schädiger nicht mit einbezieht. Gesetzlichen Ausdruck hat dieser Gedanke in § 843 IV gefunden. Soweit sich der Geschädigte einen Anspruch gegen einen Dritten nicht anrechnen lassen muss, liegt ein echtes oder unechtes

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Gesamtschuldverhältnis vor (dazu unten Rdn. 771 ff). Ist eine Drittleistung ausgleichungspflichtig, so ist eine Schadensliquidation im Drittinteresse nicht möglich, da keine Schadensverlagerung eingetreten ist. Wird der Arbeiter A von S schuldhaft verletzt, so dass A zeitweilig arbeitsunfähig ist, so bleibt der Arbeitgeber B des A nach § 3 EFZG zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Ein Schaden ist bei A dennoch eingetreten, da der Lohn hier nicht als Entgelt für geleistete Arbeit, sondern zur Abwendung eines den A treffenden Nachteils gezahlt wird. Die soziale Zweckrichtung der Leistung nach § 3 EFZG bezieht sich nicht auf das Schadensersatzverhältnis A–S insgesamt, sondern knüpft lediglich an den Schadensfall an. Eine rechtliche Einheit besteht nicht, BGHZ 7, 30; 21, 115. – Wird zugunsten des Geschädigten eine Sammlung veranstaltet, so kann diese Vermögenszuwendung dem Schädiger nicht zugute kommen, da die Schenkung allein dem Geschädigten einen Vermögensvorteil verschaffen soll. Eine Ausgleichung scheitert außerdem bereits daran, dass der Schaden vorher abgeschlossen ist. – Der Brandstifter des Doms zu Fulda kann sich nicht darauf berufen, der Fiskus sei zum Wiederaufbau verpflichtet, da er in die rechtliche Beziehung zwischen Domkapitel und Fiskus nicht mit einbezogen ist. – Wer neben dem Fahrzeughalter für den einem Insassen durch Unfall entstandenen Schaden verantwortlich ist, kann von sich aus nicht verlangen, dass die dem Insassen zufließende Unfallversicherungssumme auf die Schadenssumme angerechnet wird, BGHZ 19, 94, 102. 4. Soweit der Geschädigte durch eigene Maßnahmen einen Vorteil erlangt hat, ist über die Anrechnung entsprechend § 254 II zu entscheiden. Der Verletzte hat im Rahmen des Zumutbaren die Pflicht, den Schaden und seine Folgen zu mindern, BGHZ 10, 18 – Operation und Umschulung –. Im Rahmen der Schadensminderungspflicht sind die erzielten Vorteile auszugleichen. Eine weitergehende Anrechnung ist ausgeschlossen, da jeder vom Geschädigten erzielte Vorteil ihm ohne Rücksicht auf ein Schadensereignis gebührt. Der deliktisch Geschädigte G muss sich einen Mehrverdienst aufgrund der durch den Schädiger finanzierten Umschulung nicht anrechnen lassen; BGH NJW 87, 2741. Den höheren Verdienst erlangt der Geschädigte G durch eigene Leistung, die mit dem Schadensereignis zwar kausal, aber nicht rechtlich verbunden ist.

5. Einen Sonderfall der Vorteilsausgleichung regelt § 255. Wer für den Verlust einer Sache oder eines Rechtes Schadensersatz zu leisten hat, ist nach § 255 zum Ersatz nur gegen Abtretung der Ansprüche verpflichtet, die dem Ersatzberechtigten aufgrund des Eigentums an der Sache oder aufgrund des Rechts gegen Dritte zustehen, vgl. BGHZ 6, 56 – unterlassene Einziehung eines Schecks –. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass § 255 nur auf die Fälle Anwendung findet, in denen es um Ansprüche auf Herausgabe der Sache selbst geht oder das Surrogat derselben noch vorhanden ist. In allen übrigen Fällen finden die Regeln über die Gesamtschuld Anwendung, vgl. dazu unten Rdn. 778. Daher ist auch eine Konkurrenz zu den Gesamtschuldbestimmungen nicht möglich. § 255 hat den Zweck, eine Bereicherung des Gläubigers zu verhindern, nicht aber Regressansprüche zwischen den Schuldnern zu regulieren, vgl. dazu auch Rüßmann, JuS 74, 292, und Goette, VersR 74, 526 ff. A leiht B ein Buch. Bei B wird es durch dessen Nachlässigkeit gestohlen. A kann von B Schadensersatz verlangen. B kann dagegen gleichzeitig oder später die Abtretung der Ansprüche des A gegen den Dieb verlangen. Der Ersatzpflichtige wird hierdurch nicht Eigentümer der Sache (str.).19

VII. Schadensminderung durch Mitverschulden Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; Esser, JZ 52, 257; ders., JZ 53, 691; Henke, JuS 88, 753; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 10; Looschelders, Die Mitverantwortung des Geschädigten im Privatrecht, 1999; Lorenz, E., Die Lehre von den Haftungs- und Zurechnungseinheiten und die Stellung des Geschädigten im deutschen, englischen und französischen Recht, 1974; Medicus, NJW 62, 2081; Otzen, Die Haftung der Nebentäter bei Mitverschulden …, 1997;

19 S. Nachweis des Streitstandes bei MüKo/Oetker § 255 Rdn. 14ff.

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Ries, AcP 177 (1977), 543; Roth, H., AcP 180 (1980), 263; ders., VersR 83, 793; Saas, VersR 88, 768; Stoll, Hans, Handeln auf eigene Gefahr, 1961 (dazu Henrich, JR 63, 439); Theda, DAR 86, 273; Venzmer, Mitverursachung und Mitverschulden im Schadensersatzrecht, 1960; Weidner, Die Mitverursachung als Entlastung des Haftpflichtigen, Diss. Tübingen 1968; Wendt, Konkurrierende Fremdschädigung und kombinierte Selbst- und Fremdschädigungl 1971; Wester, Mitverschulden im deutschen, englischen und amerikanischen Zivilrecht, Diss. Köln 1976; Wochner, Einheitliche Schadensteilungsnorm im Haftpflichtrecht, 1972.

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1. Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so muss sich der Schadensersatzanspruch mindern. Man könnte eine solche Vorschrift bei der jeweiligen Anspruchsgrundlage mitregeln. Das BGB enthält sie in § 254 im Zusammenhang mit dem Umfang des zu ersetzenden Schadens. Nach § 254 hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes (gemeint ist damit dasselbe) von den Umständen insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Je nach dem Grad des Mitverschuldens soll daher der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil getragen werden, § 254 I. Dieses Mitverschulden kann im Geschäfts- und Rechtsverkehr ebenso wie im Deliktsrecht wesentlich sein, so z. B. handelt derjenige im Sinne des Mitverschuldens schuldhaft, der sein Konto nicht überwacht, BGH NJW 68, 37; wer Scheckformulare unsorgfältig bewahrt, RGZ 81, 254; wer als Abzahlungskäufer den Empfang einer Ware bescheinigt, die er nicht erhalten hat, BGHZ 33, 301; wer bei Aufgabe einer Wertsendung den Wert zu niedrig angibt, BGH NJW 88, 129; wer den Sicherheitsgurt nicht anlegt, BGH NJW 82, 985; BGH NJW 79, 1366. Eine große Rolle spielt die Anwendung des § 254 im Straßenverkehr. Ist an der Entstehung des Schadens ein Kfz beteiligt, ist der dem Halter und Fahrer bei der Abwälzung des Schadens anzulastende Umstand vor allem die Betriebsgefahr, siehe dazu unten Rdn. 1691. Ein weiteres großes Anwendungsgebiet des § 254 ist die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Auch kann ein Mitverschulden vorliegen bei Tätlichkeiten, z. B. A reizt den B so lange, bis er zuschlägt, vgl. RGZ 171, 1. Die Schadensteilung gilt nach Abs. 2 auch dann, wenn sich das Verschulden des Geschädigten darauf beschränkt, dass er es unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er es unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. § 254 II kann nur bis zum Abschluss des jeweiligen Schadensablaufs gelten, da sonst eine Wiedergutmachungsverpflichtung des Geschädigten begründet würde (zur Grenzziehung BGHZ 55, 329). Nach Abs. 2 kann etwa der Geschädigte verpflichtet sein, sich einer Operation zu unterziehen, um seine Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, BGHZ 10, 18. Der Aufwand des Geschädigten für die Schadensminderung ist vom Schädiger zu ersetzen. Weitere Beispiele: Kosten für die Bereitstellung eines Ersatzfahrzeuges bei Beschädigung eines Straßenbahnwagens – BGHZ 32, 285; Pflicht zur Schadensminderung während Reparatur des Transportmittels – BGHZ 81, 271; berichtigende Anzeigenaktion – BGHZ 70, 39; 66, 182. Doch dürfen die Anforderungen an schadensvermeidende Umsicht nicht zu hoch geschraubt werden, BGHZ 15, 305, 313 (der Bürger braucht nicht klüger zu sein als der mit seiner Sache befasste Beamte). Nach BGHZ 34, 355 = ESJ 60 gilt § 254 auch in den Fällen nichtunrechtausschließenden Handelns auf eigene Gefahr, dazu oben Rdn. 641. 2. § 254 wirft eine Reihe konstruktiver Probleme auf

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a) Nach Abs. 2 S. 2 findet die Vorschrift des § 278 entsprechende Anwendung. Es besteht darüber Einigkeit, dass § 254 II 2 auch für Abs. 1 gilt. Man muss sich also den letzten Satz des zweiten Ab-

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satzes als einen getrennten dritten Absatz vorstellen (Redaktionsversehen). § 254 II 2 gilt in vollem Umfang nur für Erfüllungsgehilfen und gesetzliche Vertreter, ob auch im Verhältnis zwischen vertraglich Berechtigten und in den Schutzbereich einbezogenen Dritten, ist streitig; bejahend BGHZ 33, 247 = JZ 61, 169 (krit. Anm. Lorenz); Sinn und Zweck dieses Vertragsschutzes ist es aber, dem Dritten einen vertraglichen Anspruch zu geben, um den § 831 zu umgehen. § 254 II 2 führt dann zu einer Anspruchskürzung, wenn schon ein deliktsrechtlicher Anspruch besteht. Daher gilt § 254 II 2 insoweit nicht, vgl. auch oben Rdn. 307. b) Ein zweites Problem betrifft die Frage, ob man von einem Verschulden sprechen kann, das gegen einen selbst gerichtet ist, da einerseits Verschulden nur bei rechtswidrigem Verhalten gegeben sein kann, die Rechtsordnung die Selbstschädigung jedoch nicht vorwirft und andererseits niemand zugleich Gläubiger und Schuldner sein kann. Forderungen gegen sich selbst erlöschen wegen Konfusion, vgl. oben Rdn. 344. § 276, wo das Verschulden nach Vorsatz und Fahrlässigkeit getrennt wird, meint nur den Schuldner. In § 254 ist aber außer dem Schuldner auch der Gläubiger gemeint. Man muss davon ausgehen, dass Gläubiger und Schuldner in § 254 gleich behandelt werden sollen und dass der Ausdruck „Verschulden“ hier für den Gläubiger in einem erweiterten Sinne zu verstehen ist. Dem Gläubiger wird hier auferlegt, vorwerfbare Selbstschädigungen zu unterlassen, und zugemutet, dass er zugunsten des Schuldners schadensmindernd eingreift. Das ist zwar keine Rechtspflicht, es handelt sich aber um eine rechtliche „Obliegenheit“ (Zitelmann), die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt, BGH NJW 72, 334. Wer für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Schadensersatz fordert, verstößt gegen das Verbot des „venire contra factum proprium“, BGHZ 34, 363. Ein Mitverschulden kann auch durch Unterlassen herbeigeführt werden, BGHZ 4, 170; 33, 136, 142. Verletzt der Gläubiger diese Obliegenheit, die er auch gegen sich selbst hat, so mindert sich der zu ersetzende Schaden. Zum Begriff der Obliegenheit oben Rdn. 44. c) Wesentliches Kriterium zur Bestimmung des Mitverschuldens ist die „vorwiegende Verursachung“. Dabei kommt es darauf an, wessen Handeln den Schadenseintritt in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat; BGH NJW-RR 88, 1373. Daneben, jedoch erst in zweiter Linie, kann auch das Verschulden abgewogen werden. d) Ebenso wie §§ 827, 828 (BGHZ 34, 355) findet auf der Seite des Gläubigers auch § 829 entsprechende Anwendung; BGHZ 37, 102, str. e) § 254 gilt auch bei der Gefährdungshaftung, soweit keine Sonderregelungen bestehen – Beispiel: § 17 StVG verdrängt als lex specialis den § 254, soweit es um die Haftung zwischen Kfz-Haltern und den Fahrern geht; vgl. auch BGHZ 32, 149 (Gastwirtehaftung und Mitverschulden des Gastes). Vgl. dazu unten § 113. § 254 gilt auch für die Garantiehaftung des Vermieters nach § 538, BGHZ 68, 281. f) § 254 gilt dagegen nicht im Sachenrecht, h. M., auch nicht im Bereicherungsrecht, BGHZ 57, 137, sowie nicht bei Erfüllungsansprüchen. g) Bestritten ist, ob § 254 eine Einwendung oder eine Einrede enthält, siehe dazu oben Rdn. 523. Die h. M. steht zu Recht auf dem Standpunkt, es handele sich um eine Einwendung. Das folgt daraus, dass § 254 II auch die Möglichkeit berücksichtigt, dass der Schuldner die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens nicht zu kennen braucht. Es genügt also, wenn die Gefahr, von der § 254 II spricht, auf beliebige Weise in den Prozessstoff eingeführt worden ist. h) Unsicher ist, wie das Wort „entsprechend“ in § 254 II 2 auszulegen ist. Nach h. M. bedeutet „entsprechend“ in Abs. 2 S. 2: auch für den Gläubiger. Der Gläubiger muss sich also Verschulden von Hilfspersonen, deren er sich bei der Wahrnehmung seiner Interessen bedient, anrechnen lassen. Das gilt auch für Verschulden des gesetzlichen Vertreters, aber nur, soweit er im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt hat (nicht bei Veruntreuungen), BGHZ 33, 136, 142. Streitig ist, ob § 278 insoweit – wie grundsätzlich sonst immer ein bestehendes Schuldverhältnis voraussetzt oder ob sich der Geschädigte den § 278 auch dann entgegenhalten lassen muss, wenn die Schädigung außerhalb eines Vertrags, insb. durch Delikt erfolgt; vgl. Lange, NJW 53, 967. Entscheidend ist also, ob man in § 254 II 2 insoweit eine Rechtsfolge- oder Rechtsgrundverweisung auf § 278 sieht. Mit der Rechtsprechung wird man letzteres annehmen müssen, so dass § 278 außerhalb bestehender Schuldverhältnisse unanwendbar ist, BGHZ 1, 248; 3, 49, 50; 9, 316 = ESJ 59; 24, 325. Damit ist nicht gemeint, dass § 254 nur für Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäft und für gesetzliche Leistungspflichten gilt. § 254 gilt für alle Schuldverhältnisse einschließlich der §§ 987ff, 823ff. Ein deliktisch Geschädigter braucht

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aber für Verschulden seiner Hilfspersonen nur nach § 831 einzustehen. §§ 31, 831 sind im Rahmen des § 254 anzuwenden, BGH NJW 77, 1148. Die Ausdehnung der Anwendbarkeit der §§ 254 II 2, 278 auf die Fälle der Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (s. o. Rdn. 307) durch die Rechtsprechung – BGHZ 9, 316; 33, 247 und NJW 72, 289 – beruht auf dem Willen, die Anwendung des § 831 zu umgehen. Besteht zugleich Haftung aus Delikt und Vertrag, findet § 254 II 2 auch auf den deliktischen Anspruch Anwendung, BGHZ 24, 325. Hat der Geschädigte Ansprüche gegen Gesamtschuldner, und bestehen zumindest zu einem von ihnen vertragliche Beziehungen, gilt § 278 auch im Verhältnis zu Gesamtschuldnern, die ausschließlich aus Delikt haften, BGHZ 90, 86. Nach Eintritt des schädigenden Ereignisses besteht in jedem Fall eine Sonderverbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem. Ab diesem Zeitpunkt ist § 254 II 2 stets anwendbar. Für ein Verschulden eines Erfüllungsgehilfen oder gesetzlichen Vertreters bei der Obliegenheit zur Schadensabwendung oder -minderung (§ 254 II 1) haftet der Geschädigte also gem. §§ 254 II 2, 278 ohne Exkulpationsmöglichkeit. i) Wird das zu ersetzende Interesse durch Abzugsposten gemindert (z. B. durch eine Witwenpension), sind die Abzugsposten im Falle der Schadensteilung nach § 254 vom Gesamtschaden, nicht vom Teilschadensersatzanspruch, abzuziehen, RGZ 172, 195. j) Zu Gesamt- und Einzelabwägung unten Rdn. 1683.

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3. Die Rechtsfolge des § 254 ist eine Schadensteilung. Der Schädiger trägt die Beweislast für das mitwirkende Verschulden des Geschädigten, wobei jedoch die Regeln des Beweises des ersten Anscheins häufig zugunsten des Schädigers eingreifen. Über die Quote der Haftung kann grundsätzlich bereits im Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs – § 304 ZPO – entschieden werden. Dies gilt nicht für den Anspruch auf Schmerzensgeld. Das Maß der beiderseitigen Mitverursachung und des beiderseitigen Mitverschuldens wird erst bei der Festsetzung der Höhe des Schmerzensgeldes berücksichtigt, vgl. OLG Celle NJW 67, 1514. 4. § 254 zählt zu den am häufigsten übersehenen Bestimmungen in Übungs- und Examensklausuren. Seine Bedeutung, auch in der Praxis, kann kaum überschätzt werden.

6. Abschnitt

Übertragung der Forderung und Schuldübernahme § 58 Vorbemerkung 715

1. Die bisherigen Ausführungen behandelten stets das Verhältnis von einem Gläubiger zu einem Schuldner. Das galt sowohl für Begründung, Inhalt und Beendigung eines normalen Schuldverhältnisses als auch für die anomale Beendigung durch eine Leistungsstörung. An dieser Stelle im System ist der Gesichtskreis nun weiter zu ziehen. Es handelt sich darum, dass an die Stelle des Gläubigers ein anderer Gläubiger und an die Stelle des Schuldners ein anderer Schuldner treten kann. Das Schuldverhältnis im engeren Sinn kann also sowohl auf der Seite des Gläubigers als auch auf der Seite des Schuldners auf eine bestimmte neue Person übergehen, so dass der alte Gläubiger bzw. der alte Schuldner aus dem Schuldverhältnis entlassen wird. Wird der Gläubiger ausgewechselt, so spricht man von Übertragung der Forderung, 398–413. Wird der Schuldner ausgewechselt, so handelt es sich um eine Schuldübernahme, 414–419.

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Vorbemerkung

§ 58

Bei der Forderungsübertragung heißt der alte Gläubiger Altgläubiger oder Zedent, der neue Gläubiger Neugläubiger oder Zessionar, der Schuldner bleibt der gleiche. Bei der Schuldübernahme spricht man von Altschuldner, Neuschuldner und Gläubiger. 2. Der Grundgedanke, auf dem das Recht der Personenauswechslung im Schuldverhältnis aufgebaut ist, lautet: Man kann sich seinen Gläubiger nicht aussuchen, wohl aber seinen Schuldner. Das bedeutet, dass eine Forderung regelmäßig auch ohne Zustimmung, ja ohne Wissen des Schuldners übertragen werden kann. Der Grund für diese unterschiedliche Behandlung von Forderungsübertragung und Schuldübernahme ist, dass es einem Schuldner in der Regel nicht entscheidend auf die persönlichen Eigenschaften seines Gläubigers ankommt. Der Schuldner hat keinen Anspruch darauf, dass sein Gläubiger besonders nachsichtig und milde ist. Für den Gläubiger spielen dagegen persönliche Eigenschaften des Schuldners eine wichtige Rolle. Ob ein Schuldner kreditfähig, ob er zahlungswillig ist, einen guten Eindruck macht, zuverlässig und genau in seinen Geschäften verfährt usw., ist für den Gläubiger bei Begründung und während des Bestandes der Forderung von oft ausschlaggebender Bedeutung. Das Gesetz unterscheidet daher richtig, wenn es nur bei der Schuldübernahme die Mitwirkung des Gläubigers fordert, nicht aber bei der Forderungsübertragung die des Schuldners. 3. Die Übertragbarkeit einer Forderung und die Möglichkeit, eine Schuld zu übernehmen, sind nicht selbstverständlich. Das römische und auch das alte deutsche Recht kannten ursprünglich die Forderungsübertragung und die Schuldübernahme nicht. Man behalf sich, indem man eine Forderung zur Ausübung übertrug, namentlich zur Ausübung im Prozess. Auch im geltenden Recht muss man unterscheiden zwischen der Übertragung einer Forderung lediglich zur Ausübung und der Substanz nach. Wird eine Forderung lediglich zur Ausübung übertragen, so verbleibt sie dem Gläubiger. Die durch Ermächtigung eingeschaltete Zwischenperson hat lediglich das Recht, die Forderung für den Gläubiger auszuüben, 185 I (i. V. m. 362 II). Das Gegenstück dazu bei der Schuldübernahme ist die Erfüllungsübernahme, 329. 4. Im geltenden Recht ist also namentlich die Vollübertragung einer Forderung und eines sonstigen Rechtes grundsätzlich anerkannt. Damit wird die Forderung, die ursprünglich nur als internes Band zwischen Gläubiger und Schuldner bestand, verselbständigt, d. h. zu einem Gegenstand des Verkehrs. Die Übertragung der Forderung ist ebenso wie die Schuldübernahme als unmittelbare Einwirkung auf ein bestehendes Recht eine Verfügung über die Forderung. Da es sich grundsätzlich um schuldrechtliche Verträge handelt, durch die eine Forderung übertragen und eine Schuld übernommen wird, liegen insoweit schuldrechtliche Verfügungen vor, 398, 414, 415. 5. Wegen ihrer Übertragbarkeit ist die Forderung Bestandteil des umlauffähigen Vermögens. Das legt es nahe, die Innehabung einer Forderung, die ein relatives Recht darstellt, in gewissem Umfang dem Eigentum an einer Sache gleichzustellen. Aus diesem Grund wird teilweise die Inhaberschaft der Forderung als „Eigentum an der Forderung“ bezeichnet 1, was zu einer Verdoppelung des Rechts führt.2 Problematisch ist, ob sich diese Verselbständigung der Forderung zu Übertragungszwecken auch auf ihren deliktischen Schutz auswirkt. Ein relatives Recht genießt nach § 823 I keinen deliktischen Schutz, stellt insbesondere kein sonstiges Recht im Sinne dieser Vorschrift dar. Das ist unstreitig, soweit es sich um die Forderung im Sinne eines relativ wirkenden Bandes zwischen Gläubiger und Schuldner handelt. Ob die Forderung als selbständig gewordener und von Dritten verletzbarer Gegenstand des Rechtsverkehrs deliktischen Schutz verdient, wenn auch vielleicht nicht in gleichem Umfang wie das Eigentum und ein sonstiges dingliches Recht, ist aber umstritten. Ausgehend von der an sich zutreffenden Überlegung, dass Forderungen wie dingliche Sachenrechte dem Vermögen des Berechtigten ausschließlich zugeordnet sind, meint die Lehre von der absoluten Forderungszuständigkeit von der nur relativen Forderung ihre „Rechtszuständigkeit“ abspalten zu können: Jede Forde-

1 Larenz, I § 33 III S. 573 m. w. N.; MünchKomm/Roth, § 398 Rdn. 2 (beide ablehnend). 2 Larenz, aaO.

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rung sei ausschließlich einer bestimmten Person rechtlich zugeordnet und in diesem Sinne „absolut“.3 Dieser rechtlichen Vermögenszuordnung müsse (zumindest analog) über § 823 I deliktischer Schutz als „sonstiges Recht“ gewährt werden. Doch führt die Anerkennung der Forderungszuständigkeit als schützenswerte Rechtsposition zu einer abzulehnenden Duplizität des Rechts: Neben das relative Recht der Forderung tritt das der absoluten Forderungszuständigkeit. Diese Konstruktion ist aber im Gegensatz zu Rechten an Sachen überflüssig: Verfügungen wirken nur auf bestehende Rechte unmittelbar ein. Verfügungen über Sachenrechte können daher nie die Sache (also den körperlichen Gegenstand, 90), sondern immer nur die Rechte an ihr betreffen. Bei Verfügungen über Forderungen kann dagegen sehr wohl über die Forderung selbst verfügt werden: Denn sie ist ein (relatives) Recht. Dem widerspricht auch nicht die besondere Streitart des Prätendentenstreits in § 75 ZPO: zwar spricht § 75 S. 1 ZPO von dem „Rechtsstreit über die Berechtigung an der Forderung“, doch lässt sich aus dieser Vorschrift nicht die Existenz der Forderungszuständigkeit als ein eigenständiges und sogar absolutes Recht neben der Forderung entnehmen. Ebenso wenig lässt sich die Existenz und ein deliktischer Schutz der Forderungszuständigkeit aus dem Vergleich des Rechtsschutzes einer nach §§ 1273ff, 1279 ff verpfändeten Forderung mit dem einer zur Sicherheit übertragenen Forderung herleiten: Im ersten Fall entsteht ein neues Recht, nämlich das dingliche Pfandrecht an der Forderung, das als absolutes Recht deliktischen Schutz nach § 823 I genießt. Durch die Sicherungszession entsteht dagegen kein neues Recht. Nur das schon bestehende Recht (die Forderung) wechselt seinen Inhaber. Mangels einer neu entstandenen Rechtsposition bedarf es hier keines zusätzlichen Schutzes im Vergleich zu dem Zeitpunkt vor dem Forderungsübergang. Die Forderung lässt sich also von der Forderungszuständigkeit nicht trennen. Im Übrigen sprechen gegen die Existenz und den deliktischen Schutz der Forderungszuständigkeit noch die beiden folgenden Erwägungen: Leistet der Schuldner einer abgetretenen Forderung gutgläubig an den Zedenten, so ist er von seiner Schuld nach § 407 I freigeworden. Durch die ihn gegenüber dem Zessionar befreiende Leistung hat er jedoch in dessen Forderungszuständigkeit (falls man sie anerkennt) eingegriffen. Deswegen müsste der Schuldner dem Zessionar nach § 823 I schon bei leichter Fahrlässigkeit haften, während ihm nach § 407 I nur Kenntnis von der Abtretung schadet. Damit wäre der von § 407 gewollte Schuldnerschutz unerträglich verwässert (falls man nicht den Haftungsmaßstab angleicht).4 Durch die Entgegennahme der Leistung trotz Kenntnis des Forderungsübergangs würde auch der Zedent die Forderungszuständigkeit des Zessionars verletzen: Doch haftet der Zedent dem Zessionar schon nach § 816 II. Der Zedent verstößt zudem durch die Entgegennahme gegen seine vertraglichen Pflichten gegenüber dem Zessionar. Das der Zession zugrunde liegende Schuldverhältnis ist zwar durch die Abtretung bereits erfüllt, jedes Schuldverhältnis hat aber nachwirkende Treuepflichten (242), die darauf abzielen, dass keine der Parteien auch im nachhinein die Durchführung des Geschäftes gefährden soll.5 Da der Zedent diesen nachwirkenden Pflichten zuwiderhandelt, haftet er im Verschuldensfall dem Zessionar aus Verletzung des der Abtretung zugrunde liegenden Kausalverhältnisses auf Schadensersatz (culpa post pactum perfectum), 280 I. Das ist vor allem im Falle der Entreicherung des Zedenten von Bedeutung, 818 III. § 823 I ist hier daher überflüssig. Nur in den Sonderfällen der §§ 793, 808, wenn der nichtberechtigte, aber redliche und unverklagte Inhaber eines Wert- oder Legitimationspapieres die verbriefte Forderung wirksam einzieht und dann entreichert wird, nutzt dem Zessionar der Schutz über § 816 II wegen § 818 III nichts. Dann wird jedoch eine Lösung über §§ 989 f der nach § 823 I vorzuziehen sein.6 (Anders noch die 7. Auflage.)

3 Larenz, aaO. Für ein „behutsames Herantasten an einen deliktischen Schutz im Bereich von Forderungen“ C. Becker AcP 196 (1996) 439 (489). 4 Zutreffend Medicus, BürgR, Rdn. 610. 5 Dazu oben Rdn. 98. 6 So Otte, JZ 69, 253, 257 f; Medicus, aaO; MünchKomm/Kramer, Einf. vor § 241 Rdn. 19.

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§ 59 Forderungsübertragung Literatur zur fiduziarischen Zession und zur Einziehungsermächtigung s. unter § 60 I, zum Factoring unter § 60 II; allgemein zur Zession: Ahcin/Armbrüster, JuS 2000, 450 u. a.; Baumgärtel, AcP 156, 265; Beeser, AcP 156 (1957), 414; Blaum, Das Abtretungsverbot nach § 399 2. Alt. BGB und seine Auswirkungen auf den Rechtsverkehr, 1983; Coester-Waltjen, Jura 2003, 23; Derleder, AcP 169 (1969) 97; ders., BB 1999, 1561; Dölle, FS M. Wolff, 1952, 23; Eidenmüller, AcP 204 (2004) 457; Gernhuber, FS Raiser, 1974, 57; Hadding/van Look, WM 88 Sonderbeil. 7; Hueck, Alfred, Recht 1920, 97; Junker, AcP 195 (1995) 1; Köhler, JZ 86, 516; Nörr, K. W./Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2. Aufl. 1999; v. Olshausen, AcP 182 (1982), 254; ders., Gläubigerrecht und Schuldnerschutz bei Forderungsübertragung und Regreß, 1988; Pick, AcP 172 (1972), 39; Schwarz, AcP 203 (2003) 241; Schwenzer, AcP 182 (1982) 214; Seetzen, AcP 169 (1969), 352; Wieacker, DR Wiss. 41, 49.

I. Überblick 1. Die Forderung ist nicht nur Leistungsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner (Schuldverhältnis im engeren Sinn, 241), sondern auch Vermögensgegenstand. Durch die §§ 398ff wird sie zum umlauffähigen Vermögensbestandteil. 2. Der Gläubigerwechsel kann auf drei Arten erfolgen: durch Rechtsgeschäft (§§ 398– 411), kraft Gesetzes (cessio legis, 412) und durch Staatsakt (cessio judicialis). a) § 398 S. 1 definiert als Abtretung die Forderungsübertragung durch Vertrag zwischen dem alten Gläubiger (dem Abtretenden oder Zedenten) und dem neuen Gläubiger (dem Abtretungsempfänger oder Zessionar). Dieser Vertrag ist ein schuldrechtliches Verfügungsgeschäft, denn durch die Abtretung wird ein bestehendes Recht unmittelbar übertragen. Streng von diesem zu trennen ist das der Abtretung zugrunde liegende Kausalgeschäft (z. B. Kauf und hier insbesondere die Diskontierung von Wechseln), von dessen Wirksamkeit die Abtretung nach dem Abstraktionsprinzip unabhängig ist.

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b) In den Fällen der gesetzlichen Forderungsübertragung erfolgt die Zession einer Forderung unmittelbar bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kraft Gesetzes. Der Zweck der Legalzession besteht zumeist darin, demjenigen einen Regressanspruch zu verschaffen oder zu verstärken (§§ 412, 401), der als nur in zweiter Linie Mitverpflichteter den Gläubiger befriedigt (z. B. §§ 268 III 1, 426 II 1, 774 I, 1143 I, 1225): wenn jemand eine Schuld erfüllt hat, für die primär ein anderer einstehen muss, erhält der Leistende für seine Leistung den Anspruch des nunmehr befriedigten Gläubigers gegen den letztlich Verpflichteten. Daneben steht aus der Sicht des Zedenten bisweilen der Gedanke des Bereicherungsverbotes bzw. aus dem Blickwinkel des Schuldners der der versagten Vorteilsausgleichung (z. B. §§ 67 I VVG, 6 EntgFG, 116 SGB X). c) Der Gläubigerwechsel durch staatlichen Hoheitsakt hat besondere Bedeutung als Mittel der Zwangsvollstreckung. Der in der Forderung des Gläubigers (dem Vollstreckungsschuldner) liegende Vermögenswert soll dem in sein Vermögen vollstreckenden Gläubiger (dem Vollstreckungsgläubiger) zu seiner Befriedigung zur Verfügung stehen. Zu diesem Zweck kann der Vollstreckungsgläubiger gem. § 835 I Alt. 2 ZPO sich die nach den §§ 829 ff, 846ff ZPO gepfändete Forderung an Zahlungs statt zum Nennwert überweisen lassen mit der Wirkung, dass die Forderung auf den Vollstreckungsgläubiger übergeht, § 835 II ZPO (davon zu unterscheiden ist die Überweisung zur Einziehung, § 835 I Alt. 1 ZPO: Forderungsinhaber bleibt hier der Vollstreckungsschuldner, der Vollstreckungsgläubiger erhält nur die Einziehungsermächtigung).

II. Die Abtretung, §§ 398–411 A. Die Voraussetzungen der Abtretung 1. Es bedarf eines Vertrages zwischen Zessionar und Zedent, der zum Gegenstand hat, dass die Forderung von dem Zedenten auf den Zessionar übertragen wird, 398 S. 1.

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Nicht aktiv an dieser Vereinbarung beteiligt, sondern nur passiv von ihr betroffen ist der Schuldner der abgetretenen Forderung insofern, als er einen neuen Gläubiger erhält. Nicht einmal eine Anzeige an den Schuldner von der Abtretung (Publizität der Abtretung) wird verlangt (Umkehrschluss aus § 409). Die Vereinbarung, die Forderung solle zeitlich rückwirkend auf den Zessionar übergehen, bewirkt wegen der auf den Schuldner zu nehmenden Rücksichten (vgl. § 407 I a. E.) gleichwohl nur eine Abtretung ex nunc. Eine rückwirkende Abtretung ist grundsätzlich ausgeschlossen, doch müssen sich Zedent und Zessionar so behandeln, als ob die Forderung rückwirkend übergegangen sei, also insbesondere Zinsen ausgleichen (Rechtsgedanke des § 141 II). Eine Blankozession ist dagegen nach h. L. rechtlich zulässig. Dem ist unter Hinweis auf den Blankowechsel zuzustimmen. Bei der Blankozession wird der Empfänger der blanko ausgestellten Abtretungsurkunde ermächtigt, sich selbst oder einen Dritten als Zessionar zu bestimmen. Bezweckt wird damit zweierlei: Einerseits soll in der sich so bildenden Abtretungskette das Entstehen neuer Einwendungen in der Person der Zwischenerwerber, die nach § 404 fortwirken würde, verhindert werden. Andererseits soll ausgeschlossen werden, dass Gläubiger des Zedenten bis zur Ausfüllung des Blanketts auf die Forderung zugreifen können. Sehr umstritten ist die Zuordnung der Forderung während dieser Schwebezeit. Sie als „subjektloses“ Recht anzusehen 1 ist abzulehnen: Das BGB versucht Rechte ohne Rechtsträger zu vermeiden. Ebenso abzulehnen ist der sofortige Rechtserwerb mit dem noch unbekannten Zessionar 2: Mit diesem ist der Abtretungsvertrag nicht zustande gekommen. Nach der Rechtsprechung bleibt bis zur Annahme durch den Letzterwerber der Zedent Forderungsinhaber: für ihn handelt der Zwischenerwerber entweder aufgrund von Stellvertretung oder aus einer Befugnis nach § 185.3 Forderungsinhaber ist während der Schwebezeit aber der Ersterwerber 4: Dieser kann frei über die endgültige Person des Zessionars bestimmen. Da er damit die Rechtsmacht über die Forderung hat, ist er auch ihr Inhaber. Der Blankozessionar erwirbt die Forderung also erst mit Ausfüllung des Blanketts, und zwar mit Wirkung ex nunc. Folgt man dieser Konstruktion, lässt sich der beabsichtigte Einwendungsausschluss rechtlich nicht verfolgen. Die Zwischenerwerber können dem Schuldner allenfalls verheimlicht werden. Die Abtretung ist grundsätzlich formfrei. Anders liegt es hauptsächlich im Wertpapierrecht, wo z. B. Orderpapiere nur in der bestimmten Form des Indossaments mit wertpapierrechtlicher Wirkung übertragen werden können, vgl. dazu unten § 100. 2. Als Verfügung muss die Abtretung eine bestimmte Forderung erfassen, also dem Bestimmtheitsgrundsatz (Spezialitätsprinzip) genügen. Dies ist in der Regel problemlos bei der Abtretung einer einzelnen, schon existierenden Forderung. Praktische Bedeutsamkeit erlangt diese Wirksamkeitsvoraussetzung dagegen bei der Abtretung einer oft unbestimmten Anzahl künftiger Forderungen im Rahmen einer Sicherungszession oder eines verlängerten Eigentumsvorbehaltes. Für solche Vorausabtretungen ist es notwendig, aber auch hinreichend, dass die abgetretene zukünftige Forderung in dem Abtretungsvertrag so konkret bezeichnet worden ist, dass sie anhand dieses Vertrages spä-

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Dölle, FS Wolff 1953, 24. So aber Jauernig/Stürner, § 398 Anm. 4b. BGHZ 22, 128, 132. Palandt/Grüneberg, § 398 Rdn. 4; MünchKomm/Roth, § 398 Rdn. 32.

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testens im Zeitpunkt ihres Entstehens nach Schuldner, Inhalt und Höhe bestimmt werden kann, also zur Zeit der Abtretung bestimmbar war.5 Die Teilabtretung einer (auch zukünftigen) Forderung ist zulässig bei Teilbarkeit der Forderung, h. M.6 (Zum Problem Direkt- oder Durchgangserwerb u. Rdn. 727). 3. Der Zessionar muss sich mit dem berechtigten Zedenten einigen. Das umfasst zweierlei: Zum einen muss die abgetretene Forderung überhaupt bestehen, zum anderen muss sie dem Zedenten zustehen: Nemo plus juris transferre potest quam ipse habet. a) Existiert die abgetretene Forderung überhaupt nicht, entsteht sie auch nicht durch die Abtretung. Die einzige Ausnahme von diesem Grundsatz macht § 405 Alt. 1: Hat der Schuldner über die abgetretene Forderung eine Urkunde (z. B. einen Schuldschein) ausgestellt und ist die Forderung unter Vorlage dieser Urkunde abgetreten worden, kann der Schuldner dem gutgläubigen Zessionär gegenüber nicht die rechtshindernde Einwendung aus § 117 I geltend machen, der die Forderung begründende Vertrag sei nichtig. Hier wird das Vertrauen des gutgläubigen Zessionars auf den Schuldschein über eine Scheinschuld den Interessen eines Schuldners vorgezogen, der bewusst eine unrichtige Urkunde ausgestellt und in den Rechtsverkehr gebracht hat. b) Besteht die abgetretene Forderung zwar, steht sie aber einem anderen als dem Zedenten zu und ist dieser auch nicht zur Verfügung über die Forderung des Berechtigten befugt, kann der Zessionar die vom nichtberechtigten Zedenten abgetretene Forderung nicht erwerben. Ausnahmen hiervon machen neben dem Wertpapierrecht nur die §§ 2366f. Dabei ermöglichen die §§ 2366f allerdings nicht schlechthin den Erwerb vom Nichtberechtigten. Nach diesen Vorschriften gilt nur der Inhalt des Erbscheins in den Grenzen des § 2365 als richtig. c) Grund für diese restriktive Behandlung des gutgläubigen Erwerbs von Forderungen ist das Fehlen eines „Rechtsscheinträgers“. Von diesem Ansatz aus erklären sich auch die genannten Ausnahmen: bei § 405 Alt. 1 ist es die Urkunde, bei den §§ 2366f der Erbschein, im Wertpapierrecht (vgl. Art. 17 WG) sind es bestimmte Wertpapiere, die als Auskunftsmittel für Bestehen und Berechtigung an der Forderung dienen. 4. Grundsätzlich sind Forderungen frei abtretbar. Der Abtretung kann jedoch ein Verbot entgegenstehen. a) Ein gesetzlicher Abtretungsausschluss ist wegen der engen Bindung der Forderung an die Person des Gläubigers in den §§ 473 S. 1, 717 S. 1 vorgesehen. Aus demselben Grund sind „im Zweifel“ die Forderungen aus §§ 613 S. 2, 664 II unübertragbar. b) Nach § 399 Alt. 1 kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung des Inhalts erfolgen kann. Da der Schuldner nicht an der Abtretung beteiligt wird, kann durch sie nicht die zwischen dem Schuldner und dem Zedenten getroffene Vereinbarung in ihrem Inhalt geändert werden: das wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten des Schuldners. Hierher gehören insbesondere Ansprüche aus Vorvertrag auf Vertragsschluss 7 und Ansprüche auf Schuldbefreiung (z. B. §§ 257, 329). Letztere können jedoch an den Gläubiger der Schuld abgetreten werden: bei diesem werden sie Ansprüche auf die geschuldete Leistung selbst, gehen also nach wie vor auf die Befriedigung des Gläubigers.8

c) § 399 Alt. 2 verbietet die Abtretung, wenn sie durch Vereinbarung mit dem Schuldner ausgeschlossen ist (pactum de non cedendo). Mittelständische Betriebe haben oft unter einer solchen Vereinbarung zu leiden, die ihnen verfügbares Sicherungsgut entzieht. Das vertragliche Abtretungsverbot ist keine Ausnahme von § 137 I 9: Die Verkehrsfähigkeit des Rechts wird im Wege der Inhaltsbestimmung beschränkt. Die Forderung wird durch den Willen der Parteien dem Rechtsverkehr entzogen. Sie entsteht von 5 6 7 8 9

BGHZ 26, 189; 70, 86; 71, 75; 79, 16; WM 85, 14. Derleder, AcP 169 (1969), 97; Nörr, K. W./Scheyhing, § 8. RGZ 68, 355; 77, 407. BGHZ 12, 136, 141; 41, 203, 205; BGH NJW 86, 583. So aber Medicus, I § 62 4 c Rdn. 718.

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vornherein als unveräußerliches Recht.10 Eine Übertragung an einen Dritten ist deshalb absolut unwirksam. Es handelt sich nicht um ein nur relativ wirkendes gesetzliches Veräußerungsverbot i. S. d. § 135. Die Unwirksamkeit lässt sich aber durch Genehmigung des Schuldners beheben. Die nachträgliche Zustimmung kann entweder als Genehmigung analog §§ 182 ff betrachtet werden 11, oder man sieht in ihr die Einverständniserklärung des Schuldners mit der Aufhebung des vertraglichen Abtretungsausschlusses, also mit einer Vertragsänderung, zu dessen Wirksamkeit noch die korrespondierende Willenserklärung des Gläubigers nötig ist.12 Unterschiede ergeben sich bei der Rückwirkung: Wendet man die §§ 184, 185 analog an, wird die Unwirksamkeit der Abtretung durch Genehmigung des Schuldners rückwirkend geheilt. Nach der „Vertragstheorie“ wirkt dagegen die vertragliche Aufhebung des Abtretungsverbotes nur für die Zukunft.13 Konsequenterweise muss dann die Abtretung zwischen Zedent und Zessionar nochmals vorgenommen werden, und zwischenzeitliche Verfügungen werden nicht geschützt (vgl. § 184). Für die erste Meinung wird angeführt, dass das Abtretungsverbot nur den Schuldner schützen soll, eine einseitige Genehmigung seitens des Schuldners also genügt, um der abredewidrigen Abtretung zur Wirksamkeit zu verhelfen. Doch die Rückwirkungsfiktion der Abtretung betrifft nicht allein den Schuldner, sondern, da die Abtretung gegenüber jedermann wirksam wird, auch Dritte. Der vorzugswürdigen zweiten Ansicht ist dagegen zugute zu halten, dass die Abtretung nicht nur schwebend, sondern absolut unwirksam war. Der Zedent kann durch ein vertragliches Abtretungsverbot nicht sein in der Forderung liegendes Vermögen seinen Gläubigern entziehen. Im Rahmen des § 851 II ZPO muss er Pfändungen und Überweisungen hinnehmen. Der Abtretungsausschluss kollidiert u. U. mit dem verlängerten Eigentumsvorbehalt, der Globalzession oder einem Factoring. Der Ausschluss als solcher ist in der Regel weder sittenwidrig 14 noch gem. § 307 unwirksam.15 Im Rahmen des echten Factoring bleibt die Abtretung dagegen im Falle des verlängerten Eigentumsvorbehaltes trotz Abtretungsverbots in der Regel wirksam.16 Das Abtretungsverbot ist dagegen nach § 138 nichtig, wenn – so die Rechtsprechung – „das fragliche Geschäft nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter den guten Sitten zuwiderläuft“. Darüber hinaus ist das Abtretungsverbot bei Ausübung einer Monopolstellung missbräuchlich und sittenwidrig, 826; 19 GWB. Der 1994 eingeführte § 354 a HGB lässt zum Schutze kreditbedürftiger Unternehmen Abtretungsverbote relativ unwirksam sein, wenn die Forderung aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft stammt, oder Schuldner die öffentliche Hand ist. Die Vorschrift steht im Grunde systematisch falsch.17 Eine Ausnahme von § 399 Alt. 2 macht § 405 Alt. 2: Der Schuldner kann sich einem redlichen Zessionar gegenüber auf das Abtretungsverbot nicht berufen, wenn dieser auf eine vom Schuldner ausgestellte Urkunde vertraut hat.

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BGH BB 89, 1585. Medicus, I § 62 4c Rdn. 718. Larenz, I § 34 II 1. BGHZ 70, 299, 303; 102, 301; BGH NJW 90, 109. BGHZ 51, 113; 56, 173. BGHZ 77, 275; BGH NJW 81, 118; BGHZ 102, 293, 300; krit. Hadding/van Look, WM 88, Beil. 7. Für Unwirksamkeit: BGHZ 108, 52, 54 ff. 16 BGHZ 72, 15, 22; Canaris, NJW 81, 249, 254. 17 Zu § 354a HGB z. B. v. Olshausen, ZIP 1995, 1950; Henseler, BB 1995, 5.

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d) Nach § 400 kann eine Forderung nicht abgetreten werden, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen ist. Pfändungsverbote ergeben sich insbesondere aus den §§ 850ff ZPO. Normzweck des § 400 ist es, den Lebensunterhalt des Einzelnen zu sichern und die Allgemeinheit vor Sozialhilfeansprüchen zu bewahren. Dementsprechend entfällt das Abtretungsverbot, wenn der Zedent vom Zessionar wirtschaftlich gleichwertige Leistungen erhält oder erhalten wird, gleichgültig, ob sie freiwillig oder aufgrund gesetzlicher Verpflichtung erfolgen (teleologische Reduktion).18 e) Unselbständige Ansprüche, die einem anderen Rechtsverhältnis zu dienen bestimmt sind, also akzessorische Nebenrechte und unselbständige Hilfsrechte, sind selbständig nicht abtretbar (Ansprüche aus Bürgschaft, Pfandrecht, Hypothek, Anspruch auf Rechnungslegung oder Auskunftserteilung), arg. § 401 I. Das Gleiche gilt für Gestaltungsrechte, die sich auf eine Forderung beziehen. Man kann zwar eine Kaufpreisforderung abtreten, nicht aber das Recht, diesen Kaufvertrag gem. §§ 119, 123 anzufechten oder von ihm gem. §§ 346 ff zurückzutreten. Das führt zur Konstruktion der Einrede des (zwischen den Vertragsparteien bestehenden, aber nicht ausgeübten oder ausübbaren) Gestaltungsrechts im Verhältnis Zessionar-Schuldner.19 f) Nicht abtretbar ist eine Forderung aus Vertrag, die mit einer deliktischen Forderung konkurriert, falls dadurch die Haftungsquoten nach §§ 840, 426 II umgangen würden, 134.20

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B. Die Rechtsfolgen der Abtretung 1. Rechte des Zessionars a) Die Forderung geht vollinhaltlich auf den Zessionar über, und zwar mit allen Vorzügen und Mängeln, 398 S. 2: Mit Abschluss des Abtretungsvertrags tritt der Zessionar an die Stelle des Zedenten. Bei mehrfacher Abtretung gilt nur die erste (Prioritätsgrundsatz); wenn sie nichtig ist, die zweite, usw., BGHZ 32, 367 (370). Abgetretene künftige Forderungen gehen mit ihrer Entstehung unmittelbar auf den Zessionar über („Direkterwerb“), wenn zur Zeit der Abtretung ein Rechtsgrund für die Entstehung in der Person des Zedenten bestand. Gab es noch keinen solchen Entstehungsgrund, wird zunächst der Zedent Forderungsinhaber („Durchgangserwerb“), offengelassen in BGHZ 66, 385; 70, 86 (95); 88, 205 (207); dazu K. W. Nörr/Scheyhing, § 9 III. Doch gilt § 91 InsO stets, wenn die Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht, BGH NJW 55, 544; BGHZ 30, 149; 70, 86 (95). b) Nach § 401 I gehen mit der abgetretenen Forderung die für sie bestehenden Hypotheken, Schiffshypotheken und Pfandrechte sowie die Rechte aus einer Bürgschaft über. Alle in § 401 I genannten Rechte sind akzessorisch. Das rechtfertigt es, in Analogie zu dieser Vorschrift alle weiteren zur abgetretenen Forderung akzessorischen Rechte auf den Zessionar übergehen zu lassen, insbesondere die Rechte aus einer Vormerkung, §§ 883ff (BGHZ 25, 23), und sichernden Schuldmitübernahme (BGH NJW 72, 438 f). Zweck des § 401 ist es, dem Zessionar mit der Forderung zugleich die für den Zedenten in der Regel wertlosen Neben- und Vorzugsrechte an ihr zu verschaffen. Deshalb gehen mit der Forderung auch die unselbständigen Hilfs- und Gestaltungsrechte über. Dies gilt aber nicht für die sog. fiduziarischen Sicherungsrechte. Der Sicherungsnehmer kann im Außenverhältnis mehr, als er im Innenverhältnis darf. Damit ist ihm eine Vertrauensstellung eingeräumt worden, die einen automatischen Rechtsübergang nach § 401 I hindert (Medicus, I § 62 II 2 Rdn. 721). c) Nach § 402 ist der Zedent verpflichtet, dem Zessionar die zur Geltendmachung der Forderung nötigen Auskünfte zu erteilen und ihm die zum Beweis der Forderung dienenden Urkunden, soweit sie sich in seinem Besitz befinden, auszuliefern. Gemäß § 403 hat der Altgläubiger dem Neugläubiger auf Verlangen eine öffentlich beglaubigte Urkunde über die Abtretung auszustellen. Die Kosten dafür hat der Neugläubiger zu tragen und vorzuschießen; der Zedent hat ihretwegen ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273). Die Urkunde ermöglicht

18 BGHZ 4, 153; 13, 360; 59, 115. 19 BGH NJW 73, 1793; dazu Nörr, K.W./Scheyhing, § 4 II 5 u. 6; Medicus, I § 61 II 2 Rdn. 709; Schwenzer, AcP 182 (1982), 214. 20 So zu Recht BGHZ 17, 215, 222 – Rübenschnitzel –.

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§ 59 II B 2

Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

dem Zessionar, den Erfordernissen des § 410 zu genügen. Die §§ 402, 403 sind Beispiele dafür, dass auch ein abstraktes Verfügungsgeschäft von Pflichten nach Treu und Glauben (§ 242) begleitet sein kann. Es handelt sich aber nicht um Verpflichtungen aus einer Verfügung. Vielmehr werden ergänzende Nebenleistungspflichten zum schuldrechtlichen Kausalgeschäft begründet. Eine Sonderregelung besteht für den Schuldschein: Das Eigentum an ihm steht dem Zessionar nach § 952 I 1 zu. d) Erleidet der Zessionar einen Verzugsschaden, ist unabhängig von der Kenntnis des Schuldners von der Abtretung die Höhe des Schadensersatzes begrenzt durch den Schadensbetrag, der hypothetisch auch dem Zedenten entstanden wäre (überzeugend Junker, gegen h. M.). Handelt es sich um eine Sicherungszession (unten Rdn. 737ff), ist für den Verzugsschaden auf die Person des Zedenten abzustellen, soweit dieser wirtschaftlich durch den Verzug geschädigt wird. Der Schaden kann vom Zessionar im Wege der Drittschadensliquidation eingefordert werden (BGH NJW 2006, 1662).

2. Rechte des Schuldners. Schuldnerschutz, §§ 404 ff a) Der Grundgedanke 728

Die Stellung des Schuldners darf durch die Zession nicht verschlechtert werden. Dies ist ein gerechter Ausgleich dafür, dass er auf das Ob und Wie der Abtretung keinen Einfluss nehmen kann, BGHZ 19, 153: 31, 149. Deshalb enthalten die §§ 404 ff wichtige Schutzvorschriften zugunsten des Schuldners. b) Erhaltung der schon zur Zeit der Abtretung begründeten Einwendungen des Schuldners

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aa) Nach § 404 kann der Schuldner dem Neugläubiger die Einwendungen entgegensetzen, die z. Z. der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren. Der Begriff der „Einwendung“ umfasst die rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden (zu Terminologie und Bedeutung vgl. Medicus, BürgR, Rdn. 731ff), ist also im weitesten Sinne zu verstehen. Die Einwendung muss z. Z. der Abtretung „begründet“ gewesen sein. Dazu genügt, dass das Gegenrecht bei der Abtretung seinem Rechtsgrunde nach angelegt war; die Einwendungsvoraussetzungen müssen also nicht schon zum Abtretungszeitpunkt sämtlich vorliegen (BGHZ 25, 29; BGH NJW 85, 864; NJW-RR 89, 1208; vgl. auch Pick, AcP 172, 39 ff; Köhler; JZ 86, 516). Z. B. genügt es für die Rechte aus §§ 320ff, dass der gegenseitige Vertrag schon zur Zeit der Abtretung vorlag, auch wenn die Leistungsstörung erst nach der Abtretung eingetreten ist (hier zeigt sich besonders deutlich, dass der Schuldner durch die Abtretung nicht schlechter stehen soll). § 404 ist jedoch dispositiv. Insbesondere kann der Schuldner durch Anerkennung der Forderung auf Aufforderung des Zessionars auf seine Einwendungen verzichten (deklaratorisches Schuldanerkenntnis oder – je nach Lage des Einzelfalles – bloße Wissenserklärung, BGH NJW 70, 321; 83, 1904; BGHZ 69, 330; a. A. Marburger, DB 73, 2125). bb) Eine Ausnahme zu § 404 bietet § 405. Hat der Schuldner eine Urkunde über die Schuld ausgestellt (z. B. einen Schuldschein), so kann er sich, wenn die Forderung unter Vorlegung der Urkunde abgetreten wird, dem redlichen Neugläubiger gegenüber nicht darauf berufen, dass die Eingehung oder Anerkennung des Schuldverhältnisses nur zum Schein erfolgt (§§ 405 Alt. l, 117 I; dazu oben Rdn. 722) oder dass die Abtretung durch Vereinbarung mit dem ursprünglichen Gläubiger im Sinne des § 399 2. Alt. ausgeschlossen sei (§ 405 Alt. 2; s. o. Rdn. 725; zu § 405 eingehend Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 85 ff).

c) Einwendungen des Schuldners aus Umständen nach der Abtretung 730

aa) Der Schuldner ist an der Abtretung nicht aktiv beteiligt; sie ist ihm nicht einmal mitzuteilen. Die Einwendungen des Schuldners aufgrund von rechtlich relevanten Handlungen in Unkenntnis der Abtretung behandeln die §§ 407, 408.

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Forderungsübertragung

§ 59 II B 2

Nach § 407 I muss der Neugläubiger eine Leistung, die der Schuldner nach der Abtretung an den Altgläubiger bewirkt hat, gegen sich gelten lassen, es sei denn, dass der Schuldner die Abtretung bei der Leistung kennt (wobei BGHZ 131, 274 an die „Kenntnis“ nur „maßvolle“ Anforderungen stellt). Das Gleiche gilt für jedes Rechtsgeschäft, das nach der Abtretung zwischen dem Schuldner und dem Altgläubiger in Bezug auf die Forderung vorgenommen wird. Hieraus folgt praktisch, dass der Neugläubiger ein wesentliches Interesse daran hat, für eine Unterrichtung des Schuldners von der Abtretung zu sorgen. Leistet z. B. der Schuldner in Unkenntnis der Abtretung an seinen bisherigen Gläubiger, dann leistet er zwar an den falschen, so dass eigentlich keine Erfüllung eintreten kann; dem Altgläubiger steht die Forderung ja nicht mehr zu. § 407 I sieht aber zum Schutz des Schuldners vor, dass der Schuldner befreiend an den alten Gläubiger leistet, der nicht mehr Gläubiger ist. Die Forderung des Neugläubigers geht unter. Ähnliches gilt, wenn der bisherige Gläubiger mit dem Schuldner etwa eine Stundung oder einen Vergleich vereinbart. Der Neugläubiger ist daran gebunden und kann die Leistung erst nach Ablauf der Stundungsfrist verlangen. § 407 II überträgt die Regel des Abs. 1 auch auf den Fall, dass in einem nach der Abtretung zwischen dem Schuldner und dem bisherigen Gläubiger anhängig gewordenen Rechtsstreit durch ein rechtskräftiges Urteil über die Forderung entschieden wird. Der neue Gläubiger muss das Urteil gegen sich gelten lassen, es sei denn, dass der Schuldner die Abtretung bei dem Eintritt der Rechtshängigkeit gekannt hat. Wenn dagegen vor der Abtretung zwischen Schuldner und Zedent ein Rechtsstreit anhängig wurde, ist § 407 II unanwendbar: hier gelten die §§ 265, 325 ZPO. (Die prozessrechtlichen Probleme von § 407 II behandelt ausführlich Schwab, GS R. Bruns, 1980, 181ff). § 407 will ausschließlich den Schuldner schützen. Die Vornahme einer Rechtshandlung wirkt deshalb nur zu seinen Gunsten, nicht aber zugunsten des Zessionars. Aus demselben Grunde wird dem Schuldner eine Wahlmöglichkeit gegeben: Er kann dem Zessionar die Wirksamkeit der Leistung oder des Rechtsgeschäfts entgegenhalten, muss dies aber nicht (BGHZ 52, 150 [153]; 102, 68 [71]). Bedeutsam kann dieses Wahlrecht z. B. dann werden, wenn dem Schuldner seinerseits eine Forderung gegen den Zessionar zusteht, deren Durchsetzung (etwa weil der Zessionar in Konkurs gefallen ist) schwierig ist: der Schuldner wird hier die Leistung an den Zedenten als nicht geschuldet gem. § 812 I 1 Alt. 1 zurückverlangen und mit seiner Forderung gegen die an den Zessionar abgetretene aufrechnen. Beruft sich der Schuldner auf § 407, muss sich der um seine Forderung gebrachte Zessionar an den Zedenten halten. Nach § 816 II kann er von dem Altgläubiger Herausgabe des Erlangten als Bereicherung verlangen, wegen Verletzung des der Abtretung zugrunde liegenden Kausalverhältnisses haftet ihm der Zedent auf Schadensersatz (culpa post pactum perfectum, 242, 280 I), s. o. Rdn. 719. Die Verweisung des § 408 I auf § 407 ist wichtig. Wird die abgetretene Forderung von dem bisherigen Gläubiger nochmals an einen Dritten abgetreten, so finden, wenn der Schuldner an den Dritten leistet, z. B. weil dieser sich als der erste Neugläubiger gemeldet hat, die Vorschriften des § 407 entsprechende Anwendung. § 408 setzt voraus, dass der Altgläubiger die Forderung zunächst wirksam an den ersten Neugläubiger überträgt, danach treuwidrig gegenüber dem ersten Neugläubiger noch einmal an einen zweiten Neugläubiger. Da Forderungen i. d. R. nicht gutgläubig erworben werden können, erwirbt der zweite Neugläubiger die Forderung nicht. Leistet der Schuldner aber in Unkenntnis dieser Vorgänge an den zweiten Neugläubiger, weil dieser sich dem Schuldner gegenüber als wahrer und einziger Neugläubiger präsentiert, so gewährt § 408 denselben Schuldnerschutz wie § 407. Der Schuldner leistet wirksam an den zweiten Neugläubiger, obwohl diesem die Forderung nicht zusteht. Der frühere, wirkliche Erwerber muss sich zum Ausgleich nach § 816 II an den zweiten Neugläubiger halten. Wenn der Altgläubiger durch die zweite „Abtretung“ gegen seine Pflichten aus dem Kausalverhältnis verstößt, haftet der Altgläubiger dem ersten Neugläubiger ebenso wie in § 407. Das Gleiche gilt in den Fällen des Forderungsübergangs durch Zwangsvollstreckung (§§ 829, 835 ZPO) oder kraft Gesetzes, 408 II. bb) Der Grundgedanke der Regelung des § 406 ist, dass der Schuldner nur insoweit – aber auch in dem Umfang – geschützt werden soll, als er auf eine Befreiung durch Aufrechnung vertrauen darf. Der nach seinem Wortlaut schwer verständliche § 406 durchbricht für die Aufrechnung zugunsten des Schuldners das Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen. Er enthält zwei Fallgruppen, von denen die eine § 404, die andere § 407 erweitert. Gegenüber § 404 besteht die Bedeutung des § 406 nur darin, dass die Aufrechnung mit der Gegenforderung gegen den Zedenten nunmehr gegenüber dem Zessionar erklärt werden kann. Die Vorteile

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Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

aus einer bestehenden Aufrechnungslage (die rechtsvernichtende Einwendung besteht erst in der erklärten Aufrechnung, 388f) erhält schon § 404: der Aufrechnungseinwand war nach dieser Vorschrift schon zur Zeit der Abtretung „begründet“.21 Wenn aber die Gegenforderung des Schuldners erst später als die abgetretene (Haupt-)Forderung fällig geworden ist, besteht die Aufrechnungsbefugnis nicht (§ 406 a. E.): in diesem Fall hätte der Schuldner – wäre die Abtretung nicht erfolgt – auch an den Zedenten ohne Aufrechnungsbefugnis leisten müssen; § 406 will nicht die Stellung des Schuldners verbessern, sondern nur dafür sorgen, dass sie sich durch die Abtretung nicht verschlechtert. Bei Unkenntnis von der Abtretung kann der Schuldner bereits nach § 407 I dem Zedenten gegenüber aufrechnen. § 406 schützt darüber hinaus die bloße Erwartung des Schuldners, bei dem Erwerb seiner Gegenforderung eine Aufrechnungsmöglichkeit zu gewinnen. Deshalb genügt es nach § 406 schon, dass der Schuldner bei dem Erwerb der Forderung gegen den Zedenten von der Abtretung nichts wusste. Mit dieser kann er dem Zessionar gegenüber, also nach Kenntnis von der Abtretung, aufrechnen. Hier ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist, § 406 a. E. Dass die Forderung des Schuldners nicht später als die abgetretene Forderung fällig sein darf, ergibt sich aus dem Schutzzweck des § 406: nur dann konnte der Schuldner auf eine Aufrechnungsmöglichkeit vertrauen. Nicht mit dem Schutzzweck erklärbar ist aber, die Aufrechnungsbefugnis zudem davon abhängig zu machen, dass die Forderung vor Kenntniserlangung fällig war.22 cc) Zeigt der Altgläubiger dem Schuldner an, dass er die Forderung abgetreten habe, muss er dem Schuldner gegenüber die angezeigte Abtretung gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht erfolgt oder nicht wirksam ist. Der Schuldner kann also jetzt befreiend an den neuen Gläubiger leisten, 409 I 1. Der Anzeige steht es gleich, wenn der Gläubiger eine Urkunde über die Abtretung dem in der Urkunde bezeichneten neuen Gläubiger ausgestellt hat und der Zessionar sie dem Schuldner vorlegt, 409 I 2, vgl. dazu § 403. Die Anzeige kann nur mit Zustimmung desjenigen zurückgenommen werden, welcher als der neue Gläubiger bezeichnet worden ist, 409 II. Leistet der Schuldner an den Neugläubiger, der die Forderung nicht wirksam erworben hat, so wird er nach § 409 dennoch befreit. Dies gilt nach h. M. auch für den Fall, dass der Schuldner die Unwirksamkeit der Abtretung bzw. die Unrichtigkeit der Anzeige oder der Urkunde gekannt hat, vgl. BGHZ 29, 82; Palandt/Grüneberg, § 409 Rdn. 5 m. w. N. (ablehnend dagegen BGH WM 55, 830; offengelassen in BGHZ 56, 348; zum Ganzen Backhaus, JA 83, 408 ff). Im Verhältnis zu §§ 407, 408 regelt § 409 den umgekehrten Fall: er schützt das Vertrauen des Schuldners auf eine Erklärung des Zedenten, dass die Forderung an einen Dritten abgetreten worden ist, die tatsächlich weiter dem Altgläubiger zusteht. Der Schuldner soll davor geschützt werden beweisen zu müssen, dass die Forderung nicht wirksam abgetreten wurde. Diesen Schutz verdient er deshalb nicht, wenn die Unwirksamkeit der Abtretung ganz offensichtlich ist, er also durch die Leistungsverweigerung kein Risiko eingeht: § 409 ist in einem solchen Fall teleologisch zu reduzieren. Was über § 816 II und den internen Ausgleich zwischen Altgläubiger und Neugläubiger im Falle des § 407 gesagt wurde, gilt hier entsprechend, s. o. Rdn. 719. Die Bedeutung der Abtretungsurkunde ist in § 410 weiter erläutert. Der Schuldner ist dem neuen Gläubiger gegenüber zur Leistung nur gegen Aushändigung einer von dem bisherigen Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde verpflichtet. Erfährt also der Schuldner von der Abtretung, so steht ihm diese aufschiebende Einrede so lange zu, bis der neue Gläubiger eine Urkunde aushändigt. Eine Kündigung oder eine Mahnung des Neugläubigers ist unwirksam, wenn sie ohne Vorlage einer solchen Urkunde erfolgt und der Schuldner sie aus diesem Grund unverzüglich zurückweist, 410 I 2. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn der bisherige Gläubiger schon dem Schuldner die Abtretung schriftlich angezeigt hat, 410 II. Eine öffentlich beglaubigte Urkunde im Sinne des § 403 ist erforderlich, wenn eine Militärperson, ein Beamter, ein Geistlicher oder ein Lehrer an eine öffentliche Unterrichtsanstalt den übertragbaren

21 S. o. Rdn. 589; MünchKomm/Roth, § 406 Rdn. 2. 22 MünchKomm/Roth, § 406 Rdn. 10; Medicus, I § 63 IV 5 b Rdn. 739; grundsätzliche Kritik bei Eidenmüller, AcP 204 (2004) 457 (484ff).

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Sonderformen der Abtretung

§ 60

Teil des Diensteinkommens, des Wartegeldes oder des Ruheteils abtritt. Diese Vorschrift dient dem Schutz öffentlicher Kassen. Sie ist z. B. wichtig für Kreditbüros, 411.

dd) Bei dem Grundsatz: Nemo plus juris transferre potest quam ipse habet 23 (Grundsatz der Pflichtenbegrenzung) handelt es sich nicht eigentlich um „Schuldnerschutz“. Trotzdem ist es für den Schuldner oft wichtig zu wissen, dass ihn durch eine Abtretung nicht mehr Pflichten treffen können, als er schon hatte. Kein Gläubiger kann mehr Rechte veräußern als er innehat (anders nur in § 405; siehe aber auch z. B. Art. 16 II Wechselgesetz; §§ 932, 892, 2366 BGB). Der Schuldner muss allerdings, im Rahmen des Zumutbaren, mit dem Gläubigerwechsel verbundene Erschwernisse (z. B. zusätzliche Buchhaltungsarbeiten) hinnehmen, BGHZ 23, 55; vgl. Baumgärtel, AcP 156 (1957), 265. Das ist von Bedeutung in Fällen der folgenden Art:

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A hat gegen X aus § 433 I 1 einen Lieferungsanspruch auf einen Posten Ziegelsteine „frei Baustelle“. A tritt diesen Anspruch an B ab. B verlangt Lieferung. Die Baustelle des B liegt 10 km weiter von X entfernt als die des A. B kann nicht Lieferung an seine Baustelle verlangen. Die Mehrkosten des Transports muss also B tragen, nicht etwa X. Bietet aber B die Mehrkosten an, wäre es treuwidrig von X, die Lieferung an die Baustelle des B zu verweigern.

III. Der gesetzliche Forderungsübergang, § 412. Forderungsübergang kraft Hoheitsakts von Koppenfels-Spies, Die cessio legis, 2006; Schims, Der gesetzliche Forderungsübergang, 2006. Die §§ 398ff haben auch dadurch große Bedeutung, dass bei gesetzlichem Forderungsübergang auf sie verwiesen wird. Allerdings finden nach § 412 nur die §§ 399–404 und 406–410 entsprechende Anwendung. Beispiele: 268 III, 426 II, 774 I, 1607 II, 67 VVG (dazu BGHZ 5, 105), 116 SGB X (Nachfolgevorschrift mit Wirkung ab 1. 7. 1983 zu § 1542 RVO). Eine Analogie zu diesen Vorschriften ist grundsätzlich unzulässig, BGHZ 13, 366. Stets ist Einzelrechtsnachfolge erforderlich. Auf eine Gesamtrechtsnachfolge (Erbfall, Begründung der Gütergemeinschaft, Fusion von Kapitalgesellschaften) findet § 412 keine Anwendung (str. für Gesamtrechtsnachfolge unter Lebenden, vgl. MünchKomm/Roth, § 412 Rdn. 15ff m. w. N.). Bei allen genannten Vorschriften gilt der Grundsatz, dass der Forderungsübergang nicht zum Nachteil des Altgläubigers geltend gemacht werden darf. Der Altgläubiger hat das sog. Quotenvorrecht, dazu MünchKomm/Roth § 412 Rdn. 12. Der Forderungsübergang kraft Hoheitsakts (§§ 835 ZPO, 50 SGB I, 93 SGB XII) ist dem gesetzlichen Forderungsübergang gleichgestellt, Palandt/Grüneberg, § 412 Rdn. 1 m. w. N.

IV. Übertragung anderer Rechte, § 413 Die Vorschriften über die Übertragung von Forderungen finden auf die Übertragung anderer Rechte entsprechende Anwendung, soweit nicht gesetzlich etwas anderes vorgeschrieben ist, 413. Beispielsweise richtet sich die Übertragung des Vermächtnisanspruches (2147, 2174), von Urheberrechten, Anwartschafts- und Vorkaufsrechten nach den §§ 398ff in entsprechender Anwendung.

§ 60 Sonderformen der Abtretung Becker, Maßvolle Kreditsicherung, 1999; Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, 1973; Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997; Henckel, W., FS Larenz, 1973, 643; Kaduk, (II.) FS Larenz, 1983, 303; Köhler, JZ 1986, 516; Kötz, Trust und Treuhand, 1963; Rimmelspacher, Kredit23 Niemand kann mehr an Recht übertragen als er selbst hat.

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§ 60 I

Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

sicherungsrecht, 2. Aufl. 1987; Roth-Fitz, JuS 85, 188; Rüßmann, JuS 72, 169; ders., AcP 172 (1972), 521; Seeker, Die Übersicherung des Geldkreditgebers bei Sicherungsübertragungen, 1995; Wagner, JZ 88, 698; Walter, Das Unmittelbarkeitsprinzip bei der fiduziarischen Treuhand, 1974; Wank, JuS 79, 402; Weber, Hansjörg, Kreditsicherheiten, 7. Aufl. 2002.

I. Fiduziarische Zession (Treuhandgläubigerschaft) und Einziehungsermächtigung 737

1. Die Forderung ist nicht nur Leistungsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern auch Vermögensgegenstand. Deshalb soll sie auch zu Sicherungszwecken eingesetzt werden können. Eine Möglichkeit, die Forderung in diesem Sinne zu nutzen, ist ihre Verpfändung gem. §§ 1273ff, 1279 ff. Die Wirksamkeit der Verpfändung einer Forderung hängt jedoch nach § 1280 von ihrer Anzeige an den Schuldner ab. Diese kann für den Gläubiger nicht nur unangenehm, sondern u. U. sogar kreditschädigend sein. Das Interesse des Gläubigers an Geheimhaltung seiner wirtschaftlichen Absichten bleibt hier nicht gewahrt. Aus Sicht des Pfandgläubigers stört die Beschränkung der Befriedigungsbefugnis durch die §§ 1281, 1287, was den Sicherungswert der Forderung für den Gläubiger mindert. Für die Wirksamkeit der Forderungszession genügt dagegen schon die Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner, 398. Wird die Abtretung dem Schuldner nicht mitgeteilt, hat das nur die Wirkung der §§ 407 f: Der Schuldner kann insbesondere noch befreiend an den Zedenten leisten.

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2. Dieser Interessenlage hat die Praxis dadurch Rechnung getragen, indem sie, großenteils gedeckt durch die Rechtsprechung, die fiduziarische Zession entwickelt hat (Larenz: „Treuhandgläubigerschaft“; allgemein zum Treuhandverhältnis: Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, 1933). Bei der fiduziarischen Zession wird die Forderung voll übertragen, 398. Der Neugläubiger (Sicherungsnehmer) soll aber auf Dauer weder Inhaber der Forderung bleiben, noch soll er überhaupt wirtschaftlich der Gläubiger sein, sondern er ist im Innenverhältnis mit dem Altgläubiger (Sicherungsgeber) entweder durch eine Sicherungs- oder durch eine Einziehungsabrede verbunden. Man unterscheidet deshalb bei der fiduziarischen Zession:

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a) Inkassozession. Bei der Inkassozession wird dem Neugläubiger die Forderung nur zu dem Zweck übertragen, dass er sie rechtlich selbständig, aber wirtschaftlich für den Altgläubiger einzieht. Deshalb ist die Aufrechnung des Schuldners mit Gegenforderungen gegen den Altgläubiger zulässig, BGHZ 25, 367, früher str. Im Innenverhältnis kann ein Auftrag oder eine Geschäftsbesorgung vorliegen, 662, 675. Wird die Forderung durch den Neugläubiger eingezogen, so erlischt sie, und der Neugläubiger ist aufgrund des Innenverhältnisses verpflichtet, das Erhaltene an den Altgläubiger herauszugeben. Das (Verwaltungs-)Treuhandverhältnis, das durch eine solche Inkassozession zustande kommt, ist uneigennützig, BGH NJW 80, 991. Denn das Interesse auf Einziehung liegt allein auf der Seite des Altgläubigers, des Treugebers. b) Sicherungszession. Dagegen dient die Sicherungszession entsprechenden Zwecken wie die Sicherungsübereignung (die Bankpraxis spricht sowohl bei Sicherungszessionen als auch bei Sicherungsübereignungen vielfach von „Zessionen“; dieser Sprachgebrauch ist aber untechnisch). Bei der Sicherungszession soll der Neugläubiger hinsichtlich einer Forderung, die ihm gegenüber dem Altgläubiger zusteht, dadurch gesichert werden, dass er eine Forderung des Zedenten einem Dritten gegenüber übertragen erhält. Wird die Forderung des Zessionars gegen den Zedenten nicht rechtzeitig erfüllt, so kann sich der Zessionar aus der ihm zur Sicherheit übertragenen Forderung befriedigen. Bis dahin kann der Zedent Leistung an den Zessionar verlangen, BGHZ 32, 70f; BGH NJW 81, 679 (offene Zession). Der Zessionar kann aber auch dem Altgläubiger eine zusätzliche Einziehungsermächtigung (dazu unten Rdn. 745) in der Weise erteilen, dass der Altgläubiger Leistung an sich verlangen und als gewillkürter Prozessstandschafter klagen kann, BGH NJW 78, 698 f (stille Zession). In beiden Fällen kommt ein Treuhandverhältnis zustande. Der Zessionar und Treunehmer erhält die Forderung nicht, damit er sie behält, sondern damit er sie für den anderen zu Sicherungszwecken innehat. Deswegen ist die der Sicherungszession zugrunde liegende Sicherungsabrede im Zweifel so auszulegen, dass die Abtretung aufschiebend bedingt durch das Entstehen und auflösend bedingt durch das Erlöschen der gesicherten Forderung erklärt wird, BGH NJW 82, 275; Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung Rdn. 593 (anders dagegen BGH WM 60, 1407; NJW 84, 1184; Jauernig, NJW 82,

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Sonderformen der Abtretung

§ 60 I

268). Im Unterschied zur Inkassozession ist aber die Sicherungszession ein eigennütziges Treuhandverhältnis, denn der Zessionar und Treunehmer lässt sich die Forderung abtreten, um seine Forderung gegen den Zedenten und Treugeber zu sichern. Im Unterschied zur Verwaltungstreuhand spricht man hier von der Sicherungstreuhand. Der Inkasso- und der Sicherungszession ist wie allen Treuhandverhältnissen gemein, dass die Rechtsstellung des Rechtsinhabers nach außen voll, d. h. ohne Einschränkung übertragen wird, dass aber der Rechtsinhaber nach innen durch schuldrechtliche Absprachen mit einem anderen gebunden ist. Der Treunehmer kann also im Außenverhältnis mehr als er im Innenverhältnis zum Treugeber darf. Zu der zugrunde liegenden Sicherungsabrede unten Rdn. 1367ff.

3. Es ist fraglich, welche Einwendungen der Schuldner gegen den neuen Gläubiger, der hier nur fiduziarischer Neugläubiger ist, vorbringen kann. Da die fiduziarische Zession dem Neugläubiger nach außen die volle Stellung eines Gläubigers verschafft, gelten die §§ 404ff ihm gegenüber. Das bedeutet, dass der Schuldner bei jeder Form der fiduziarischen Zession dem Neugläubiger gegenüber alle Einwendungen hat, die ihm z. Z. der Abtretung gegen den Altgläubiger zustanden. Außerdem hat der Schuldner gegen den Neugläubiger alle sonstigen Einwendungen, die ihm unabhängig von der Abtretung gegen den Neugläubiger zustehen. Grundsätzlich kann der Schuldner aus dem Sicherungsvertrag zwischen Zedent und Zessionar keine Einwendungen erheben. Der Drittschuldner kann nur das Recht des „pactum de non petendo“ geltend machen, wenn es ihm zu seinen Gunsten von Zedent und Zessionar eingeräumt worden ist (Willoweit, NJW 74, 974). Hinzu kommt, dass Inkassozessionen an sich zur Folge haben würden, dass dem Schuldner keine Einwendungen zustehen, die er gegen den Altgläubiger nach der Abtretung erwirbt. Wirtschaftlich ist die Forderung aber noch stets dem Altgläubiger zuzurechnen. Die Rechtsprechung gewährt deshalb zu Recht bei der Inkassozession als einer uneigennützigen Verwaltungstreuhand dem Schuldner gegen den Neugläubiger auch alle diejenigen Einwendungen, die der Schuldner nach der Abtretung gegen den Altgläubiger erwirbt. Auf diese Weise wird verhindert, dass dem Schuldner durch die Inkassozession Einwendungen abgeschnitten werden. Bei der Inkassozession kann also der Schuldner dem Neugläubiger im Ergebnis alle Einwendungen entgegenhalten, die ihm gegen ihn und gegen den Altgläubiger bis zum Zeitpunkt der Geltendmachung entstanden sind.

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4. Da der Altgläubiger die Forderung zu wirtschaftlich vorübergehenden Zwecken rechtlich aber voll überträgt, läuft er Gefahr, die Forderung zu verlieren, wenn Gläubiger des Zessionars gegen diesen in die abgetretene Forderung vollstrecken wollen. Die Rechtsprechung macht hier vom Grundsatz der Vollübertragung der Forderung Ausnahmen. Wird gegen den Neugläubiger (Sicherungsnehmer) eine Einzelzwangsvollstreckung betrieben, so kann der Altgläubiger (Sicherungsgeber) wegen seiner Forderung schon vor der Befriedigung des Sicherungsnehmers nach § 771 ZPO die Drittwiderspruchsklage erheben, wenn hinsichtlich der Forderung noch keine Verwertungsreife eingetreten ist (BGHZ 72, 141, 143ff). Anders, wenn der Sicherungsnehmer in Konkurs fällt: hier ist auf den Zeitpunkt der Befriedigung abzustellen. Erst mit Erfüllung der zu sichernden Forderung steht dem Sicherungsgeber das Aussonderungsrecht nach § 47 InsO zu. Bei der Verwertungsreife hat der Sicherungsgeber nur Anspruch auf den Übererlös. Wird umgekehrt gegen den Sicherungsgeber eine Einzelzwangsvollstreckung betrieben und wird dabei in die Forderung vollstreckt, so kann der Sicherungsnehmer nach § 771 ZPO vorgehen, jedenfalls so lange, wie nicht sein Kreditanspruch von dem Sicherungsgeber oder von dem vollstreckenden Gläubiger nach § 267 befriedigt worden ist. In der Insolvenz des Sicherungsgebers kann der Sicherungsnehmer allerdings nur abgesonderte Befriedigung nach §§ 50, 51 Nr. 1 InsO verlangen, da nunmehr das Vermögen des Sicherungsgebers als Gemeinschuldner insgesamt abgewickelt werden muss (RGZ 124, 73ff; BGH NJW 79, 366). Der Sicherungsnehmer wird hier so behandelt, als ob er nicht das Vollrecht, sondern nur ein Pfandrecht hätte. Die Sicherungszession ist also zu behandeln wie die Sicherungsübereignung.

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§ 60 I

Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

Anders ist die Rechtslage bei der Verwaltungstreuhand. Wird hier gegen den Treuhänder Einzelzwangsvollstreckung betrieben, so kann der Treugeber die Drittwiderspruchsklage erheben, 771 ZPO. Fällt der Treuhänder in Insolvenz, so kann der Treugeber aussondern, denn das Treugut gehört wirtschaftlich zu seinem Vermögen. Wird umgekehrt in das Vermögen des Treugebers Einzelzwangsvollstreckung betrieben, so steht dem Treunehmer keine Drittwiderspruchsklage zu (a. A. Palandt/Heinrichs, § 398 Rdn. 27; BGHZ 11, 41), auch keine Vorzugsklage, 805 ZPO. In der Insolvenz hat er kein Aus- oder Absonderungsrecht. Das Treuhandverhältnis erlischt entsprechend §§ 115, 116 InsO.

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5. Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang stets, ob eine Sicherungszession gegen die guten Sitten verstößt, 138. Das ist z. B. dann angenommen worden, wenn der Altgläubiger als Sicherungsgeber auch künftige Forderungen im Wege der sog. Globalzession in einem Umfang abtritt, dass ihm selbst die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit genommen wird („Knebelung“, BGHZ 7, 111; 19, 12; 26, 185; BGH NJW 1993, 1587), wenn die Globalzession zur „Übersicherung“ führt (BGHZ 137, 212; BGH NJW 1998, 2047) oder wenn „Gläubigergefährdung“ vorliegt, insb. wenn Forderungen gegen Warenkunden abgetreten werden, die der Sicherungsgeber vertragsgemäß an seine Warenlieferanten aufgrund verlängerten Eigentumsvorbehalts abtreten muss, BGHZ 30, 149; BGH NJW 1984, 728. Die Banken bekämpfen diese Gefahr dadurch, dass sie diese Forderungen formularmäßig von den Globalzessionen ausnehmen (sog. dingliche Verzichtsklausel oder Vorrangklausel), BGH NJW 1999, 2588 (bloß obligatorische Teilverzichtsklausel dazu allerdings nicht ausreichend). Immer, wenn die Parteien sich in „zu missbilligender Gesinnung“ über die mit den Warenlieferanten zu treffenden Vereinbarungen hinwegsetzen, also dann, wenn die Vereinbarung eines verlängerten Eigentumsvorbehaltes in der Branche des Zedenten üblich ist, sei die Globalzession als erste Zession gem. § 138 nichtig. Praktisch ist damit der grundsätzlich immer noch geltende Prioritätsgrundsatz (vgl. Soergel/Schmidt, § 398, Rdn. 11), wonach die erste Abtretung die einzig wirksame ist, stark durchlöchert, und zwar zugunsten des Warenkreditgebers und zu Lasten des Geldkreditgebers, sog. Vertragsbruchtheorie, Flume, NJW 50, 841, 847 und 59, 913, 918; diese Kombination von Prioritätsprinzip und Vertragsbruchtheorie ist seit BGHZ 30, 149; 32, 361 herrschende Ansicht, s. a. u. Rdn. 966 ff. Der Warenkreditgeber und Vorbehaltsverkäufer darf aber auch seinerseits keine Übersicherung beanspruchen, 138; BGHZ 26, 178 und 185. Der BGH (BGHZ 94, 105, 113ff; 98, 303, 307) behandelt jedoch obligatorische Freigabeklauseln im verlängerten Eigentumsvorbehalt wohlwollender als entsprechende Klauseln bei der Globalzession: Sittenwidrigkeit scheidet hier aus; sogar den Anforderungen des § 307 ist genügt.

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6. In welcher Weise nach Tilgung der zugrunde liegenden zu sichernden Forderung die abgetretene Forderung wieder an den Altgläubiger zurückübertragen wird, richtet sich nach den Vereinbarungen zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer. Im Zweifel wird die Sicherungszession auflösend bedingt gewollt sein, s. o. Rdn. 740. Ist dies nicht der Fall, so ist der Neugläubiger als Sicherungsnehmer nach Tilgung der zu sichernden Forderung aus der Sicherungsabrede schuldrechtlich verpflichtet, die Forderung zurückzuübertragen. 7. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Neugläubiger dem Schuldner gegenüber grundsätzlich der einzige Gläubiger. Für und gegen den Schuldner gelten also die Vorschriften der §§ 398 ff, soweit in ihnen vom neuen Gläubiger die Rede ist. Dies gilt insbesondere, mit den oben angedeuteten Erweiterungen, für den Schuldnerschutz.

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8. Einziehungsermächtigung. Fraglich ist, ob man zwischen der Vollmacht und der Inkassozession eine Zwischenform in Gestalt der Einziehungsermächtigung annehmen kann, bei welcher der Gläubiger nicht wie bei der Vollmacht gehalten ist, das Vertretungsverhältnis aufzudecken, bei der er aber andererseits auch nicht gezwungen ist, das Recht treuhänderisch auf eine Inkassoperson zu übertragen. Die Zulässigkeit der Ein-

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Sonderformen der Abtretung

§ 60 I

ziehungsermächtigung ist im Schrifttum lebhaft umstritten. Sie wird aber heute überwiegend bejaht mit der Einschränkung, dass sie wegen der „Verdoppelung der Gläubigerstellung“ nicht zu einer Verschlechterung der Schuldnerposition führen darf (Larenz, I § 34 Vc; Stathopoulos, M. P., Die Einziehungsermächtigung, 1968), was wegen sonst möglicherweise abgeschnittener Einwendungen bedeutsam ist. Wichtige Anwendungsfälle sind der verlängerte Eigentumsvorbehalt (VEV, s. u. Rdn. 966) und die Globalzession an eine kreditgebende Bank (s. o. Rdn. 743). Die Einziehungsermächtigung ist zu deuten als ein Unterfall der Übertragung zur Ausübung. Gedankliche Grundlage ist § 185; a. A. Rüßmann, JuS 72, 170, Palandt/Grüneberg, § 398 Rdn. 29, die die Einziehungsermächtigung nicht auf § 185 stützen, sondern nur als Gewohnheitsrecht oder richterliche Rechtsfortbildung anerkennen. Der Berechtigte erteilt dem Nichtberechtigten die Ermächtigung zur Ausübung des Rechts. Jedes Recht, auch manches nicht übertragbare, kann grundsätzlich zur Ausübung übertragen werden (vgl. z. B. § 1092). Dann verbleibt das Recht bei dem bisherigen Inhaber, aber gewisse oder alle zur Ausübung nötigen Befugnisse des Rechtes werden auf eine andere Person übergeleitet. Das gilt nicht nur für dingliche Rechte, sondern grundsätzlich auch für obligatorische (übrigens auch für Mitgliedschaften). So kann bei einer Forderung die Befugnis zu mahnen oder zu kündigen ohne Übertragung auf einen anderen „zur Ausübung“ übertragen werden. Wird die Befugnis, die Forderung einzuziehen, übertragen, so liegt darin die Ermächtigung (185) zu einer Verfügung über die Forderung (nämlich zur Einziehung). Eine Spaltung der Rechtszuständigkeit tritt hierbei also nicht ein. Damit ist noch keine Entscheidung getroffen über die Frage, ob die zur Einziehung ermächtigte Person berechtigt ist, die Forderung auch im Prozess geltend zu machen. Hierüber entscheidet nicht nur das materielle Recht, sondern auch das Prozessrecht nach den Regeln über die gewillkürte Prozessstandschaft. Diese setzt nach h. M. zu Recht ein eigenes Interesse des Geltendmachenden voraus, BGHZ 30, 162, 166; BGH LM Nr. 6 zu § 50 ZPO; a. A. für die auf § 185 beruhende Einziehungsermächtigung von Forderungen Rüßmann, AcP 172 (1972), 520; Thomas/Putzo, ZPO, § 51 IV 4a bb. Zur Begründung des eigenen Interesses reicht die entgeltliche Geltendmachung, z. B. gegen Provision, grundsätzlich aus. Im Prozess des Prozessstandschafters gegen den Schuldner ist der ermächtigende Gläubiger nicht Partei und kann Zeuge sein. Leistet der Schuldner im Vertrauen auf eine gültige Einziehungsermächtigung an den Ermächtigten, so muss er in Analogie zu den §§ 404ff, insb. 407, geschützt werden. Denn eine Einziehungsermächtigung darf den Schuldner nicht schlechter stellen als eine Forderungsabtretung. In den hier gezogenen engen Grenzen dürfte die Einziehungsermächtigung unbedenklich sein und einem praktischen Bedürfnis entsprechen. Zur Abgrenzung der Einziehungsermächtigung von der Inkassozession siehe Henckel, (I.) FS Larenz, 1973, 643.

9. Verpflichtungsermächtigung. Zu unterscheiden von der Einziehungsermächtigung ist die – umstrittene – Verpflichtungsermächtigung. Sie hat mit dem Problem der Übertragung von Forderungsrechten unmittelbar nichts zu tun. Bei der Verpflichtungsermächtigung geht es um eine Frage des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Rechts, ob nämlich § 185 nicht nur auf Verfügungen, sondern über die Ermächtigung auch auf Verpflichtungen angewandt werden kann. Ist das möglich, könnte eine Person (A) eine andere (B) ermächtigen, mit einer dritten Person (C) einen Schuldvertrag abzuschließen, aus dem die erste Person (A) verpflichtet wird. Damit würde man eine Zuständigkeit zur Verpflichtung in Parallele zur Zuständigkeit zur Verfügung (der Verfügungsbefugnis) anerkennen: Durch die Verpflichtungsermächtigung würde die „Verpflichtungsbefugnis“ auf den Ermächtigten ausgedehnt. Was die Berechtigung aus dem Vertrag B–C anlangt, macht die Überleitung von B auf A keine Schwierigkeiten. B kann abtreten, 398 ff; auch im Vornhinein. C braucht von alledem nichts zu erfahren. Die Verpflichtung dagegen aus dem Vertrag B–C könnte im Vorhinein von B auf A ohne Befragung des C nur übergeleitet werden, wenn man eine Verpflichtungsermächtigung anerkennt. Die Verpflichtungsermächtigung gehört daher in den Problemkreis der Schuldübernahme (unten § 61). Eine

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§ 60 II 1

Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

Schuldübernahme setzt aber stets die Zustimmung des Gläubigers voraus, weil er die Möglichkeit haben muss, sich den Schuldner persönlich anzusehen und auf Kreditwürdigkeit usw. zu prüfen. Diesem Grundgedanken der §§ 414, 415 würde eine Verpflichtungsermächtigung widersprechen. Zu Verfügungen kann man nach § 185 eine Ermächtigung mit Wirkung für und gegen den Ermächtigenden erteilen, weil Verfügungen gegen jedermann mit gesetzlich normiertem Inhalt wirken und es deshalb dem Verfügungsgegner grundsätzlich gleichgültig sein kann, gegen wen er das durch Verfügung erlangte Recht geltend zu machen hat. (A ermächtigt B, an A’s Sache C einen Nießbrauch zu bestellen. C hat gegen A, B, X, Y und Z gleiche Rechte, nämlich die Beachtung des Nießbrauchs, 1065, 985 ff.) Verpflichtungen wirken aber nur zweiseitig, relativ. Einem Schuldvertragspartner ist es durchaus nicht gleichgültig, wer sein Gegner ist, wenn es um den Schutz seiner Rechte geht. Darum bedarf es, wenn ein Schuldvertragsschluss für und gegen einen Dritten wirken soll, der Stellvertretung mit ihrer Offenkundigkeit, 164 ff. (A bevollmächtigt den B, dem C A’s Sache zu vermieten. Für C ist die Kenntnis seines Partners mitentscheidend.) Nur beim „Geschäft für wen es angeht“ kann auf die Offenkundigkeit verzichtet werden weil es dem Vertretungsgegner gleichgültig ist, mit wem er abschließt. (A bittet den B, für ihn, A, bei der Marktfrau C ein Pfund Apfelsinen zu kaufen.) Eine Verpflichtungsermächtigung wäre für den Regelfall eine unzulässige Umgehung des Offenkundigkeitsprinzips der Stellvertretung; beim „Geschäft für wen es angeht“, ist sie zulässig, aber überflüssig: hier ist Vollmacht gleich Ermächtigung. Bei Vereinsund Gesellschaftsgründungen ergeben sich besondere Fragen der „Verpflichtungsermächtigung“, die sich aber auf der Grundlage der für Vorvereine und Vorgesellschaften herrschenden Identitätstheorie befriedigend lösen lassen, dazu unten Rdn. 1318 und RGZ 38, 370 ff; 85, 256; 103, 230; 123, 24 ff; 151, 91; KG JW 31, 545.

II. Factoring Bähr, NJW 79, 1281; Bette, Das Factoring-Geschäft, 1973; Blaurock, ZHR 142 (1978), 325; 143 (1979), 71; Brink, ZIP 87, 817; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rdn. 1652 ff (zit. Canaris 2); ders., NJW 81, 249, 1347; Ehling, Zivilrechtliche Probleme der vertraglichen Ausgestaltung des Inland-Factoring-Geschäfts, 1977; Einsele, Factoring, Waren und Geldkredit, Diss. Tübingen 1982; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Rdn. 5. 327ff; Lunckenbein, Rechtsprobleme des Factoring-Vertrages, Diss. München 1983; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1: Leasing und Factoring, 1991, §§ 9–12; Nörr, K. W./Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2. Aufl. 1999, § 12 I; Peters/ Wiechmann, ZIP 82, 1406; dies., NJW 85, 2932; Roth, G., Jura 79, 297; Serick, BB 1976, 425; ders., ZHR 143 (1979), 68; ders., BB 79, 845; ders., NJW 81, 794, 1715; Schmidt, K., DB 77, 65.

1. Begriff, Bedeutung und Arten 747

Unter Factoring versteht man gewerbsmäßigen Ankauf und Geltendmachung von Forderungen anderer, zumeist verbunden mit der Führung der Debitorenbuchhaltung des die Forderungen abtretenden Unternehmens.1 Ein Unternehmen, das die Vorteile der elektronischen Datenverarbeitung nutzen, aber die damit verbundenen organisatorischen Mehrbelastungen nicht auf sich nehmen will, kann sich in dieser Weise der Hilfe eines so genannten Factors, meist einer Bank, bedienen. Darin besteht die Dienstleistungsfunktion des Factoring. Der Vorteil des modernen Factoring gegenüber der altbekannten Inkassozession durch „Inkassobüros“ besteht für das auftraggebende Unternehmen darin, dass die Gutschrift des Factoring-Erlöses i. d. R. sofort nach Eingang der Rechnungskopien erfolgt, die das Unternehmen der Bank aus laufenden Geschäften mit Drittschuldnern (Debitoren) einreicht. Für die sich zeitlich daran 1 Sowohl das abtretende Unternehmen als auch dessen Debitor werden in der Branchensprache nicht selten „Kunde“ genannt. Der Ausdruck wird daher hier vermieden. Der Unternehmer heißt auch „Anschlusskunde“, der Debitor – sein Schuldner – auch „Drittschuldner“.

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Sonderformen der Abtretung

§ 60 II 2

anschließende Geltendmachung der Forderungen durch die Bank gegen die Drittschuldner zieht die Bank bei der Gutschrift die so genannte Factoring-Gebühr ab (Diskontierungsnatur des Factoring). Oft wird noch ein weiterer Sperrbetrag als Sicherheit für Mängelrügen, Retouren, Zahlungsausfälle, Aufrechnungen usw. einbehalten und laufend dem Gesamtbetrag der von einem Unternehmen angekauften Forderungen (sog. Factoring-Obligo) angepasst. Abgesehen von diesen beiden Abzügen kann das Unternehmen über die gutgeschriebenen Factoring-Rechnungen sofort verfügen, was für das Unternehmen eine zusätzliche Finanzierungsquelle bedeutet (Kreditfunktion). Man unterscheidet unechtes und echtes Factoring. Das unechte ist seinem Wesen nach eine Inkasso-Geschäftsbesorgung (675), verbunden mit einer Kreditierung (488) des einzuziehenden Betrags durch die Factoring-Bank zugunsten des auftraggebenden Unternehmens. Beim unechten Factoring ist die beizutreibende Forderung daher nur zur Sicherheit für die Kreditierung, also erfüllungshalber (364 II), zediert. Zahlt der Drittschuldner (Debitor) endgültig nicht, wird der Rechnungsbetrag zurückbelastet. Das Risiko der Uneinbringlichkeit trägt also das Unternehmen (der „Kunde“ des Factors). Beim echten Factoring hingegen übernehmen die Factoring-Banken das Risiko der Einbringlichkeit selbst (Delkredere-Funktion) und lassen sich dafür eine zusätzliche Provision zahlen. Hier erfolgt die Abtretung nicht nur erfüllungshalber, sondern in Erfüllung des Factoring-Vertrags (so MünchKomm/Roth, § 398 Rdn. 164) oder zur Abdeckung der Kreditierung an Erfüllungs statt, 364 I (so Canaris, 1. Aufl. Rdn. 593, anders 2. Aufl. Rdn. 1655). Dadurch ähnelt das echte Factoring einem Forderungskauf, verbunden mit der Diskontierung des Forderungsbetrags.

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Zumeist verpflichtet sich das Unternehmen im Factoring-Vertrag, alle seine Forderungen aus laufenden Geschäften der Bank zum Ankauf anzubieten. I. d. R. bedeutet das eine globale Zession der bestehenden und zukünftigen Forderungen (Canaris 2 Rdn. 1661) und keine Einzelabtretung aufgrund einer sog. (obligatorischen) „Mantelzession“. (Diese globale Zession darf nicht mit der Globalzession zu Sicherungszwecken [Rdn. 740] verwechselt werden.) Die Bank behält sich vor, den Ankauf zweifelhafter Forderungen abzulehnen. Unternehmen und Bank stimmen sich mit der Gewährung von Zahlungszielen aufeinander ab. Die Forderungen gehen mit den Sicherheiten auf die Bank über. Mängelrügen müssen von dem Unternehmen sofort geregelt werden; wenn Abhilfe nicht möglich ist, wird die Bank benachrichtigt, die den Rechnungsbetrag zurückbucht. Man unterscheidet das offene und das verdeckte Factoring. Beim offenen geht aus den Rechnungen des Unternehmens hervor, dass Zahlung an die Factoring-Bank X zu erfolgen hat. Beim verdeckten Factoring kann der Kunde durch eine Klage der Bank überrascht werden.

2. Kollisionen mit Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt a) Hat das Unternehmen einem Geldkreditgeber, z. B. einer Geschäftsbank, seine gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen Drittschuldner zur Sicherheit für den Kredit abgetreten (Globalzession) und mit einer anderen Bank einen Factoringvertrag abgeschlossen, so wird diese Kollision nach dem Prioritätsprinzip gelöst; BGHZ 75, 394; a. A. Canaris 2 Rdn. 1692. Es besteht kein Grund, die von der Rechtsprechung entwickelte Bevorzugung des Warenkreditgebers auf das Verhältnis Globalzession-Factoringvertrag zu übertragen. Beide Verträge dienen der Kreditbeschaffung (auch das Factoring, wenn es auch nicht immer das Hauptziel des Vertrages ist), und werden von Banken mit dem Unternehmen abgeschlossen, so dass keiner schutzwürdiger als der andere ist. Es bleibt damit beim strikten Prioritätsprinzip. Allerdings ist bei einer Globalzession stets die Sittenwidrigkeit durch Knebelung oder Übersicherung gem. § 138 zu prüfen. Die Bank kann im

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§ 61

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Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

Globalzessionsvertrag den Zedenten Einziehung der abgetretenen Forderungen ermächtigen, 185 (s. o. Rdn. 745), BGHZ 75, 391. b) Im Verhältnis zur Zession aufgrund verlängerten Eigentumsvorbehalts (VEV) (unten Rdn. 966) treten für die Factoring-Zession ähnliche Probleme auf. Ging die Zession aufgrund verlängerten Eigentumsvorbehalts zeitlich voran (künftige Forderungen sind abtretbar!), ist die nachfolgende Factoring-Zession an sich unwirksam. Damit ist dem Warenkreditgläubiger aber nicht allein gedient. Auch ihm nützt letztlich ein wirksames Factoring-Verfahren seines Schuldners. Darum darf man eine Ermächtigung des Warenkreditgebers an den Warenkreditschuldner, der Unternehmer im Sinne des Factoring ist, annehmen, gem. § 185 die Forderung nicht nur selbst einzuziehen, sondern auch zu Factoring-Zwecken abzutreten, falls der Unternehmer dafür sorgt, dass die darauf eingehenden Beträge nicht ihm, sondern seinem Warenkreditgeber auf einem Treuhandkonto der Factoring-Bank gutgeschrieben und dem Warenkreditgeber zur Disposition gestellt werden, oder wenn in anderer Weise eine wirksame Zweckverbindung des Factoring zugunsten des Warenkreditgebers erfolgt, BGHZ 75, 12; 75, 391; 82, 50 (wo es an dieser Sicherung fehlte). Wurden die Forderungen zuerst an die Factoring-Bank zediert und erfolgte dann die Abtretung aufgrund VEV, stellt sich das Problem, ob man die Grundsätze der Rechtsprechung über das Verhältnis Globalzession – VEV auf das Verhältnis FactoringZession – VEV übertragen soll, dazu o. Rdn. 743; Canaris 2, Rdn. 1685ff; MünchKomm/Roth, § 398 Rdn. 168ff; beide m. w. A. Das würde bedeuten, dass der Prioritätsgrundsatz immer zurücktritt, wenn damit zu rechnen war, dass die Forderung für einen VEV benötigt wird. Diese – der Konfliktlösung zwischen Globalzession und Warenkredit korrespondierende – Begünstigung des VEV sollte auch die Regel bleiben, BGHZ 82, 50. Der Einschränkung dieses Grundsatzes durch Canaris 2, Rdn. 1685, der Factoring-Bank dagegen den Vorrang vor dem Vorbehaltsverkäufer einzuräumen, sobald sie die ihr abgetretene Forderung bevorschusst hat, ist jedoch zuzustimmen, weil unter dieser Voraussetzung der Zugriff des Factors auf die Forderung im Wege der Vorausabtretung keine sittenwidrige Missachtung der für ihn erkennbaren Interessen der Warenkreditgläubiger darstellt (Barvorschusstheorie, zu Unrecht beschränkt auf das echte Factoring in BGHZ 69, 254). Darüber hinaus kann sich der Vorbehaltsverkäufer durch antizipierte Zession von Factor-Gutschriften sichern. 3. Kollision mit Abtretungsverboten in Kundenverträgen:

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Manche Debitoren des Unternehmens verbieten jede Abtretung von Preisforderungen aus den mit ihnen geschlossenen Geschäften, 399 Alt. 2. Viele dieser Abtretungsverbote sind gem. § 354 a HGB unwirksam. Zudem verlangen die Factoring-Banken häufig im Factoring-Vertrag von ihren Auftraggebern, sich um die Aufhebung zu bemühen.

§ 61 Schuldübernahme und Verwandtes Becker-Eberhardt, AcP 185 (1985), 429; Canaris, ZIP 89, 1 161; Delbrück, Die Übernahme fremder Schulden nach gemeinem und preußischem Recht, 1853; Dörner, Dynamische Relativität, 1985; Gierke, Otto v., FS Martitz, 1911, 33; Grigoleit/Herresthal, JURA 2002, 393; dies., JURA 2002, 825; Nörr, K. W./Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2. Aufl. 1999, §§ 24–31; Redick, Haftungsbegründung

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Schuldübernahme und Verwandtes

§ 61 I

und Schuldbefreiung bei §§ 415, 416 BGB, 1991; Rimmelspacher, JR 69, 201; Schmidt, K., ZHR 145 (1981), 2; ders., ZIP 89, 1025; Schricker, JZ 70, 265; ders., ZGR 72, 121; Schwerdtner, Jura 88, 106; Tiedtke, Jura 86, 67, 119; Wilburg, FS Larenz, 1973, 661.

I. Übersicht über die Gestaltungsmöglichkeiten 1. Erfüllungsübernahme, 329: Verspricht jemand einem Schuldner, die Forderung seines Gläubigers zu befriedigen, spricht man von Erfüllungsübernahme, 329. Der Gläubiger erwirbt keine Rechte gegen den Versprechenden; er kann seine Forderung nur gegen seinen Schuldner geltend machen. Aber aufgrund der internen Abmachung zwischen dem Schuldner und dem Versprechenden ist der Versprechende dem Schuldner gegenüber verpflichtet zu erfüllen. Wenn der Schuldner vorleistet, muss der Versprechende dem Schuldner das Gezahlte ersetzen. Weitere Fälle der Erfüllungsübernahme enthalten § 415 III 1 und 2 (siehe dazu unten Rdn. 755). 2. Schuldübernahme: Man unterscheidet drei Arten der Schuldübernahme, von denen nur eine im BGB geregelt ist: a) Kumulative Schuldübernahme. Bei der kumulativen Schuldübernahme (auch Schuldmitübernahme oder Schuldbeitritt genannt) tritt der Übernehmer dem Schuldner dergestalt an die Seite, dass der Gläubiger seine Forderung sowohl von dem Altschuldner als auch von dem hinzutretenden Neuschuldner verlangen kann. Beide, der Alt- und der Neuschuldner, sind nunmehr Schuldner des G. Da aber im Zweifel gewollt ist, dass der Gläubiger die Forderung nur einmal verlangen kann, sind Altund Neuschuldner Gesamtschuldner, 421. Der Gläubiger kann also von jedem Schuldner die gesamte Leistung, im Ganzen aber nur einmal verlangen. Die durch Vertrag begründete kumulative Schuldübernahme ist gesetzlich nicht geregelt. Sie ist jedoch als freiwillige Begründung einer Gesamtschuldnerschaft nach § 311 I zulässig. Der vertragliche Schuldbeitritt erfolgt entweder durch Vereinbarung zwischen Gläubiger und Neuschuldner (§ 311 I; wie bei § 414) oder als echter Vertrag zugunsten Dritter zwischen Alt- und Neuschuldner, 328. Anders als bei § 415 bedarf es hier keiner Mitwirkung des Gläubigers, da seine Rechtsstellung sich nur verbessert; ihm steht aber das Zurückweisungsrecht aus § 333 zu. Fälle des gesetzlichen Schuldbeitritts sind z. B. §§ 546 II, 2382 BGB, 25, 28, 130 HGB, 28 WG. b) Privative Schuldübernahme. Die privative Schuldübernahme besteht darin, dass an die Stelle eines Schuldners in einem Schuldverhältnis ein neuer Schuldner tritt. Der Altschuldner scheidet also aus dem Schuldverhältnis aus, der Neuschuldner tritt als einziger Schuldner ein. Die privative Schuldübernahme ist in den §§ 414ff geregelt. Sie ist im Folgenden näher zu besprechen, Rdn. 755ff. c) Alternative Schuldübernahme. Die alternative Schuldübernahme, die ebenfalls nach § 311 I vereinbart werden kann, hat praktisch kaum Bedeutung. Bei ihr erwirbt durch Vereinbarung unter den Beteiligten ein Gläubiger das Recht, sich wahlweise an den einen oder an den anderen Schuldner zu halten. Der Gläubiger hat nur einen Schuldner, darin unterscheidet sie sich von der kumulativen Schuldübernahme, er kann aber zwischen dem einen und einem anderen Schuldner auswählen. Es handelt sich um eine Art persönlicher Wahlschuld, bei welcher dem Gläubiger das Wahlrecht zusteht, vgl. § 262. Wegen ihrer geringen praktischen Bedeutung ist die alternative Schuldübernahme hier nicht weiter zu verfolgen. 3. Bürgschaft. Verwandt mit diesen Gestaltungsmöglichkeiten ist die Bürgschaft. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Abgrenzung zum vertraglichen Schuldbeitritt. Konstruktiv ist dieser Unterschied zwar leicht zu fassen: Der Bürge haftet für fremde Schuld und zwar akzessorisch (765, 767), während der Schuldbeitritt eine selbständige Verbindlichkeit gegen den Beitretenden begründet, die eigene Wege gehen kann. Doch werden sich die Parteien dieses Unterschieds oft nicht bewusst sein. Zudem kann der formlose Schuldbeitritt dann in Widerspruch zum Rechtsgedanken des Schriftformerfordernisses von § 766 S. 1 für das Bürgschaftsversprechen geraten. Ohne große praktische Bedeutung ist der Unterschied, wenn die Form des § 766 eingehalten ist. Dann kann ohne Bedenken in Zweifelsfällen Bürgschaft als das normale, gesetzliche geregelte Sicherungsmittel angenommen werden. Ist dagegen die Form nicht eingehalten, so ist die Bürgschaft formnichtig. Eine Umdeutung (§ 140) der formunwirksamen Bürgschaft in eine kumulative Schuldübernahme ist unzulässig, da

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§ 61 II

Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

sonst die Vorschrift des § 766 umgangen würde und damit bedeutungslos wäre. Sind die Erklärungen der Parteien mehrdeutig, gibt ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Versprechenden an der Schulderfüllung ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines Schuldbeitritts (BGH NJW 81, 47), ist aber allein für die Bejahung einer kumulativen Schuldübernahme weder erforderlich noch ausreichend, BGH NJW 68, 2332 (so aber RGZ 90, 415 = ESJ 62). Hat der kumulativ einspringende Schuldner ein eigenes wirtschaftliches Interesse, bedarf er nicht des Übereilungsschutzes des § 766 S. 1: er weiß selbst am besten, ob ihm die Verfolgung dieses Interesses das Eingehen einer eigenen Schuld wert ist. Lässt sich aus den Erklärungen der Parteien eindeutig der Wille zum Schuldbeitritt oder zur Bürgschaft erkennen, ist dieser Wille unabhängig von der Art des Interesses maßgebend (BGH LM § 133 [C] Nr. 33). In problematischen Fällen bleibt also i. d. R. das eigene wirtschaftliche Interesse für die Annahme eines Schuldbeitritts entscheidend. Wenn sich also jemand lediglich aus Freundschaft oder aus familiärer Zuneigung bereit erklärt, einem Schuldner beizuspringen, so handelt es sich um eine Bürgschaft. Diese h. M. verdient Zustimmung, sofern man das Erfordernis des wirtschaftlichen Interesses weit genug auslegt. Zu beachten ist, dass auch der Schuldbeitritt der Schriftform bedarf, wenn er als Verbraucherdarlehensvertrag zu qualifizieren ist, 491, 492 und unten Rdn. 1096.

II. Zustandekommen der privativen Schuldübernahme 755

Das Gesetz bietet für den Abschluss einer privativen Schuldübernahme zwei Möglichkeiten:

1. Nach § 414 kann eine Schuld von einem Dritten durch einen Vertrag mit dem Gläubiger in der Weise übernommen werden, dass der Dritte an die Stelle des bisherigen Schuldners tritt. Hier hat es der Gläubiger ohne weiteres in der Hand, sich den neuen Schuldner auf dessen Kreditwürdigkeit anzusehen. Lehnt der Altschuldner die Befreiung von seiner Schuld ab, was er in Entsprechung zu § 333 kann (arg. §§ 397, 516 II; str., a. A. beispielsweise Grigoleit/Herresthal, Jura 2002, 393, 395 m. w. N.), so bleibt er neben dem Neuschuldner als Gesamtschuldner verpflichtet, Hirsch, JR 60, 291. 2. a) Die Schuldübernahme kann aber auch zwischen dem Altschuldner und dem Neuschuldner vereinbart werden. Dann allerdings hängt die Wirksamkeit der Schuldübernahme von der Genehmigung des Gläubigers ab, 415 I. Hierbei ist die Konstruktion der Schuldübernahme str. Nach der Verfügungstheorie (h. M.) handeln der Altschuldner und der Neuschuldner bei der Vereinbarung als Nichtberechtigte, die Schuldübernahme muss daher gem. § 185 II 1 Alt. 1 genehmigt werden. Gleichzeitig begründen sie eine mit der ursprünglichen Schuld zwischen Gläubiger und Altschuldner inhaltsgleiche Verpflichtung des Neuschuldners gegenüber dem Gläubiger. Die Verbindlichkeit bleibt also die gleiche, nur ihre Richtung hat sich geändert (Identitätstheorie; Leonhard, Allg. Schuldrecht, 1929, 695 f, gegen Strohal, IherJb. 57, 231). Nach der Angebotstheorie enthält der Übernahmevertrag zwischen Alt- und Neuschuldner nur ein Verpflichtungsgeschäft auf Herbeiführung einer Schuldübernahme nach § 414 und dementsprechend die Mitteilung an den Gläubiger ein Vertragsangebot, das dieser durch seine Genehmigung annimmt. Nach dieser Auffassung besteht also kein Unterschied zu § 414. Die Schuld wird jedoch nach zutreffender Auffassung (Larenz, I § 35 I a) auch bei dieser Deutung nicht durch eine neue ersetzt, sondern bleibt die alte, deren Richtung geändert wird. Bedeutsam wird der Streit insbesondere dann, wenn der Übernehmer seine auf den Übernahmevertrag gerichtete Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung des Altschuldners anficht. Nach der Angebotstheorie steht dem Neuschuldner ein Anfechtungsgrund nach § 123 II 1 nur zu, wenn der Gläubiger als Vertragspartner und Anfechtungsgegner (§ 143 II) die Täuschung des Altschuldners kannte oder kennen musste. Folgt man der Verfügungstheorie, ist Vertragspartner und damit Anfechtungsgegner des Übernehmers der Altschuldner; die Anfechtung ist hier – bei formaler Betrachtung – stets möglich (so BGHZ 31, 321, 324). Die verschiedenen Konstruktionen dürfen aber zu keinen verschiedenen Rechtsfolgen führen, da es sich bei der Schuldübernahme nach §§ 414, 415 um ein und denselben wirtschaftlichen Lebenssachverhalt handelt. Abzulehnen ist deshalb die Ansicht des BGH (aaO). Das Vertrauen des Gläubigers in die Wirksamkeit der Übernahme ist bei beiden Abschlussarten gleich schützenswert (arg. § 417 II). Bei der Konstruktion über § 415 ist deshalb § 123 II 2 ana-

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Schuldübernahme und Verwandtes

§ 61 III

log anzuwenden (Brox, JZ 60, 369, 370). Mit Blomeyer, § 44 II, ist aber auf den Parteiwillen Rücksicht zu nehmen, der sich der Verfügungs- oder der Angebotstheorie bedienen kann. Solange der Gläubiger die Genehmigung noch nicht erteilt hat, ist im Zweifel der Übernehmer dem Schuldner gegenüber verpflichtet, den Gläubiger rechtzeitig zu befriedigen (Erfüllungsübernahme, 415 III 1, 329). Das Gleiche gilt auch, wenn der Gläubiger später die Genehmigung verweigert, 415 III 2. Die Genehmigung kann erst erfolgen, wenn der Schuldner oder der Dritte dem Gläubiger die Schuldübernahme mitgeteilt hat, 415 I 2. Die Mitteilung ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf welche die Vorschriften über Rechtsgeschäfte analog Anwendung finden. Bei der Prüfung der Frage, ob der Gläubiger sich konkludent mit einer befreienden Schuldübernahme einverstanden erklärt, sind strenge Anforderungen zu stellen, BGH NJW 83, 678. Bis zur Genehmigung sind die Parteien frei, den Vertrag abzuändern oder aufzuheben, 415 I 3. Der Gläubiger kann unter Bestimmung einer Frist zur Erklärung über die Genehmigung aufgefordert werden. Schweigen gilt als Verweigerung der Genehmigung, 415 II. b) Einen Sonderfall der privativen Schuldübernahme durch Vereinbarung zwischen Altschuldner und Neuschuldner regelt § 416, der die Hypothekenübernahme betrifft. Übernimmt der Erwerber eines Grundstücks durch Vertrag mit dem Veräußerer eine Schuld des Veräußerers, für die eine Hypothek an dem Grundstück besteht, so kann der Gläubiger die Schuldübernahme nur genehmigen, wenn der Veräußerer sie ihm mitteilt, 416 I 1. Zwar kann der Erwerber lastenfreie Übereignung fordern (vgl. § 442 II), jedoch geschieht eine Hypothekenübernahme häufig in Anrechnung auf den Kaufpreis. Wurde dem Gläubiger die Hypothekenübernahme mitgeteilt und sind seit dem Empfang der Mitteilung 6 Monate verstrichen, dann gilt die Genehmigung als erteilt, wenn nicht der Gläubiger sie dem Veräußerer gegenüber vorher verweigert hat. Ausnahmsweise gilt also hier „qui tacet consentire videtur“, da dem schon durch die Hypothek dinglich gesicherten Gläubiger die Person des Schuldners und seine Vermögensverhältnisse weniger wichtig sind. Absatz II des § 416 enthält weitere zwingende Vorschriften über das einzuhaltende Verfahren, durch die § 416 praktisch an Bedeutung einbüßt. Das Wörtlein „nur“ in § 416 I 1 ist missverständlich. Es schließt nicht aus, dass die Schuldübernahme auch auf dem Wege des § 414 oder § 415 erfolgen kann. Ist daher § 416 nicht erfüllt, sind gem. § 140 die anderen Möglichkeiten zu prüfen. „Nur“ gilt Schweigen dann nicht als Genehmigung. § 416 will bloß die Genehmigung des Gläubigers erleichtern, knüpft daran aber wieder besondere Voraussetzungen; vgl. RGZ 63, 42.

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III. Rechtsfolgen der privativen Schuldübernahme 1. Der Neuschuldner ist alleiniger Schuldner. Der Altschuldner ist völlig aus dem Schuldverhältnis entlassen. Hierin unterscheidet sich die privative Schuldübernahme von der kumulativen und der alternativen. Der Neuschuldner bleibt aber zu der Leistung des Altschuldners verpflichtet. Schuldinhalt und Leistungsmodalitäten ändern sich durch die Übernahme der Schuld nicht. 2. Der Neuschuldner hat alle im Zeitpunkt der Übernahme begründeten Einwendungen aus dem übernommenen Schuldverhältnis, mit Ausnahme der Aufrechnungsmöglichkeit, weil die Gegenseitigkeit fehlt, 417 I. 3. Dagegen hat der Neuschuldner keine Einwendungen gegenüber dem Gläubiger aus dem Übernahmevertrag, den er mit dem Altschuldner geschlossen hat, 417 II. Man erkennt hieran, dass die privative Schuldübernahme ein abstraktes Rechtsgeschäft, eine Verfügung über die Forderung ist. Die in § 417 II erwähnte causa ist ungeeignet, Einwendungen gegenüber dem Gläubiger zu begründen. Deshalb kann der Übernehmer bei Nichtigkeit des seiner Schuldübernahme zugrunde liegenden Kausalverhältnisses dem Altschuldner gegenüber sich nicht auf die Nichtigkeit der Schuldübernahme berufen. Dabei ist es gleichgültig, ob die Schuldübernahme auf § 414 oder § 415 beruht. Anders jedoch, wenn der Schuldübernahme – was sehr selten ist – ein Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Übernehmer zugrunde liegt: wegen des Abstraktionsprinzips ist auch hier die Schuldübernahme wirksam, der Neuschuldner hat aber die Bereicherungseinrede aus § 821. Zwar kann derselbe Mangel, der das Kausalverhältnis unwirksam macht, auch die Nichtigkeit des Übernahmevertrages begründen (Fehleridentität). Entgegen BGHZ 31, 321, 323 kann das Grundgeschäft zwischen Altschuldner und Übernehmer aber nicht mit der Schuldübernahme gem. § 415 durch Parteiwillen zu einer Einheit i. S. d. § 139 verbunden werden mit der Folge, dass sich die Nichtigkeit des Grundge-

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§ 61 IV

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Übertragung der Forderung und Schuldübernahme

schäfts auf den Übernahmevertrag erstreckt. § 417 II geht insoweit § 139 vor (vgl. Heckelmann, NJW 66, 1925, Anm. zu OLG Hamburg NJW 66, 985, und Rimmelspacher, JR 69, 201). 4. Sicherungsrechte für die übernommene Schuld erlöschen grundsätzlich, 418 I, ebenso mit der Forderung für den Fall der Insolvenz verbundene Vorzugsrechte, 418 II. Diese Konsequenz muss sich der Gläubiger genau überlegen, bevor er der Schuldübernahme nach § 414 oder § 415 zustimmt. Der Grund liegt darin, dass das mit der Vergabe einer Sicherheit verbundene Risiko entscheidend von der Solvenz des Schuldners abhängt. Einem Sicherungsgeber ist es nicht zuzumuten, für einen ihm nicht bekannten neuen Schuldner zu haften. Willigt aber der Bürge oder derjenige, welchem der verhaftete Gegenstand zur Zeit der Schuldübernahme gehört, in die Schuldübernahme ein, so bleiben die Sicherungsrechte bestehen, 418 I 3. Nachträgliche Zustimmung genügt nicht, RG HRR 33, 1742, str. Wird bei fehlender Einwilligung die Schuldübernahme wirksam angefochten, leben die Sicherungsrechte wieder auf, da die Nichtigkeit gem. § 142 I auch für und gegen Dritte wirkt, RGZ 76, 355 (aber keine Rechtskrafterstreckung, RGZ 80, 322). Bis Ende 1998 enthielt das BGB in § 419 a. F. einen gesetzlich geregelten Fall der Schuldmitübernahme. Übernahm jemand durch Vertrag das Vermögen eines anderen, haftete er neben diesem für dessen Verbindlichkeiten. Die Vorschrift bereitete zahlreiche Auslegungsschwierigkeiten (s. 9. Aufl. Rdn. 617), behinderte die Vermögensübertragung zu Sanierungszwecken und wurde deshalb ersatzlos abgeschafft. Ein Gläubiger steht deshalb nicht schutzlos da. Überträgt sein Schuldner Vermögensgegenstände, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des AnfG, bzw. der §§ 129 ff InsO anfechten. Zum Schuldbeitritt des Handelsrechts s. §§ 25, 27, 28, 130 HGB.

IV. Vertragsübernahme und Vertragsbeitritt

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Bork, BB 89, 2181; Brecher, FS Schmidt-Rimpler, 1957, 181; Coester, MDR 74, 803; Demelius, IherJb. 72, 241; Dörner, NJW 86, 2916; Emmerich, JuS 1998, 495; Fabricius, JZ 67, 144; Ficker, H. C., AcP 165 (1965), 32; Gaul, ZIP 89, 757; Kasten, DAR 85, 265; Kraft, FS BAG 1979, 299; K. W. Lange, ZIP 1999, 1373; Loritz, RdA 87, 65; Martinek, JZ 2000, 551; Mohrbutter, KTS 83, 3; Nörr, K. W./ Scheyhing/Pöggeler, Sukzessionen, 2. Aufl. 1999, §§ 16–23; Pieper, Vertragsübernahme und Vertragsbeitritt, 1963; Schaub, ArbRGeg. 18, 71; Schreiber, RdA 82, 137; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, 1980; Wagemann, AcP 205 (2005) 547. Nicht im Allgemeinen Teil des Schuldrechts gesetzlich geregelt ist die Vertragsübernahme. Das Allgemeine Schuldrecht regelt nur Forderungserwerb (§§ 398ff) und Schuldübernahme (§§ 414ff), nicht aber die Auswechselung eines Vertragspartners. Bei der Vertragsübernahme werden sämtliche Rechte und Pflichten auf den Nachfolger eines früheren Vertragspartners übertragen, BGH NJW 85, 2528. Das Gesetz sieht dies z. B. bei Veräußerung vermieteten Wohnraums vor, 566, beachte auch den umgekehrten Fall des § 563. An die Stelle des bisherigen Vermieters tritt der Erwerber. In § 613 a ist der automatische Eintritt des Erwerbers eines Betriebes in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen zur Zeit des Betriebsübergangs vorgesehen, vgl. dazu BAG WM 83, 851. Streitig ist die Rechtsnatur der Vertragsübernahme. Ein Teil der Lehre und Rspr. sieht sie nur als Verbindung von Forderungsabtretung und Schuldübernahme an (vgl. BGH NJW 61, 454). Diese Auffassung wird jedoch nicht der Tatsache gerecht, dass das Schuldverhältnis mehr ist als die Summe von einzelnen Berechtigungen und Verpflichtungen. Richtig ist es deshalb, einen einheitlichen „dreiseitigen“ Vertrag (der BGH spricht hier von einem „dreiseitigen Vertrag eigener Art“, BGHZ 44, 229, 231; 96, 302; LM BGB § 581 Nr. 16; BGH WPM 73, 489) zwischen den ursprünglich am Vertrag Beteiligten und dem neuen Vertragspartner anzunehmen. Möglich ist wie bei § 415 I 1 auch ein Vertrag zwischen dem Ausscheidenden und dem Übernehmer, dem der in dem Vertrag verbleibende Teil durch Genehmigung oder Einwilligung zustimmt. Die §§ 398ff, 414ff finden entsprechende Anwendung (Larenz, I § 35 III). Unter Vertragsbeitritt ist die Beteiligung neuer Personen an den Pflichten und Rechten einer Partei in einem Vertragsverhältnis zu verstehen. Hinsichtlich der Pflichten wird der Beitretende Gesamtschuldner nach den Regeln über den Schuldbeitritt (kumulative Schuldübernahme, Schuldmitübernahme). Bezüglich der Rechte hängt es vom Beitrittsvertrag ab – der das Einverständnis aller drei Beteiligter erfordert –, ob der Beitretende Teil-, Gesamt- oder Gesamthandsgläubiger wird. In jedem Fall liegt eine Zession vor.

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Übersicht. Begriffe

§ 62

7. Abschnitt

Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten § 62 Übersicht. Begriffe de Boor, Die Kollision von Forderungsrechten, 1928; Engländer, Die regelmäßige Rechtsgemeinschaft, 1914; Hadding, FS E. Wolf, 1985, 107; Kreller, AcP 146 (1941), 97; Klingmüller, IherJb. 64, 31; Langen, Probleme der Interessengemeinschaft, 1929; Larenz, IherJb. 83, 108; Mezger, NJW 53, 812; Mohr, Das Recht der Interessengemeinschaft, 1940; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 1991; Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 1989; Selb, Mehrheit von Gläubigern und Schuldnern, 1984; ders., JZ 86, 483; Weigelin, LZ 1926, 1297; Weitnauer, FS Hauss, 1978, 373; Winter, Teilschuld, Gesamtschuld und unechte Gesamtschuld, 1985; Würdinger, Theorie der schlichten Interessengemeinschaften, 1934.

In den bisher behandelten Schuldrechtsproblemen lag es fast stets so, dass ein Schuldverhältnis zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner bestand. Das galt sowohl, wenn das Schuldverhältnis durch eine Störung einen anderen Inhalt gewann, als auch dann, wenn der Gläubiger oder der Schuldner ausgewechselt wurde (Forderungsabtretung, Schuldübernahme). Es ist aber auch denkbar, und damit wird das Blickfeld wiederum erweitert, dass auf der Gläubiger oder auf der Schuldnerseite oder auf beiden Seiten mehrere Personen stehen. Dann liegt eine Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten in Bezug auf ein Schuldverhältnis vor.

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Treten bei einem Schuldverhältnis auf der Gläubiger- oder Schuldnerseite mehrere auf, dann sind grundsätzlich drei Gestaltungsarten möglich:

1. Teilschuldverhältnisse. Bei einem Teilschuldverhältnis teilen sich die am Schuldverhältnis beteiligten Gläubiger bzw. Schuldner real in den Inhalt des Schuldverhältnisses, 420. Steht z. B. drei Gläubigern zugleich die Forderung von 300,– Euro zu und handelt es sich um ein Teilschuldverhältnis, so kann jeder Gläubiger für sich 100,– Euro beanspruchen, nicht mehr: Der Schuldner muss an jeden Gläubiger 100,– Euro zahlen und befreit sich dadurch von der gegen ihn gerichteten Forderung auf 300,– Euro Entsprechend liegt es, wenn sich eine Forderung von 300,– Euro gegen drei Schuldner richtet, die man in Teilschuldverhältnissen Teilschuldner nennt. Dann hat jeder der drei Schuldner an den Gläubiger 100,– Euro zu zahlen. Dadurch wird die Forderung des Gläubigers über 300,– Euro erfüllt.

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Über die Teilschuldverhältnisse siehe unten § 63.

2. Gesamtschuldverhältnisse. Sie zerfallen in die Gesamtforderung (Gesamtgläubigerschaft) und in die Gesamtschuld im engeren Sinne (Gesamtschuldnerschaft). Von den Teilschuldverhältnissen sind sie dadurch unterschieden, dass bei der Gesamtforderung jeder Gläubiger Anspruch auf den gesamten Inhalt des Schuldverhältnisses hat und bei der Gesamtschuld im engeren Sinne jeder Schuldner den Gesamtinhalt des Schuldverhältnisses schuldet. Wenn also ein Gesamtforderungsverhältnis über 300,– Euro besteht, an dem drei Gläubiger beteiligt sind, so kann jeder Gläubiger die vollen 300,– Euro von dem Schuldner verlangen. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass der Schuldner mehr als 300,– Euro bezahlen muss. Infolgedessen gilt beim Gesamtforderungsverhältnis, dass der Schuldner befreit ist, wenn er den vollen Inhalt der Schuld geleistet hat, gleichgültig an welchen der beteiligten Gläubiger. Andererseits bedingt die Einziehung des gesamten Schuldinhalts durch einen Gläubiger, dass er sich mit den anderen Gläubigern intern ausgleichen muss, dazu §§ 428 ff.

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§ 62

Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten

Ebenso liegt es, wenn sich ein Gesamtschuldverhältnis i. e. S. über 300,– Euro gegen drei Schuldner richtet. Dann schulden alle drei die 300,– Euro. Der Gläubiger darf aber nicht mehr als 300,– Euro bekommen. Das bedeutet: Sobald irgendein Schuldner die 300,– Euro geleistet hat, ist die Gesamtschuld erfüllt. Da sich aber die Gesamtschuld gegen drei Schuldner richtete, von denen im Beispiel nur einer gezahlt hat, muss zwischen den Schuldnern eine interne Ausgleichspflicht bestehen, 421ff. Gesamtgläubigerschaft und Gesamtschuldnerschaft bedeuten daher Beteiligung am vollen Inhalt des Schuldverhältnisses, Untergang der Schuld durch Leistung des vollen Schuldinhalts an einen beliebigen Gläubiger oder durch einen beliebigen Schuldner und anschließend Ausgleichspflicht zwischen den Gesamtgläubigern bzw. den Gesamtschuldnern. Über die Gesamtschuldverhältnisse unten § 64.

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3. Die dritte Form der Beteiligung mehrerer Schuldner oder Gläubiger an einem Schuldverhältnis sind die sog. Rechtsgemeinschaften. Bei den Rechtsgemeinschaften steht das Recht einer Gemeinschaft von Gläubigern zu, oder es richtet sich gegen eine Gemeinschaft von Schuldnern. Die Zusammenfassung zwischen den Gläubigern auf der einen oder den Schuldnern auf der anderen Seite ist also enger als bei den Gesamtschuldverhältnissen und erst recht als bei den Teilschuldverhältnissen. Man unterscheidet wiederum zwei Arten von Rechtsgemeinschaften: a) Bruchteilsgemeinschaften. Bruchteilsgemeinschaften bestehen an einzelnen Gegenständen (Sachen, Forderungen, Rechten). Dies ist die lockere Form einer Rechtsgemeinschaft. Jeder Gemeinschafter hat an dem Gegenstand zwar keinen reellen Anteil (wie bei der Teilschuld), wohl aber einen ideellen Anteil. Er ist z. B. an dem gemeinschaftlichen Haus zu einem Drittel beteiligt, an der gemeinschaftlichen Forderung zu einem Viertel usw. Diese Bruchteile sind für sich genommen Gegenstände des Rechtsverkehrs, können also veräußert werden. Das Recht muss lediglich Vorschriften darüber bereitstellen, in welchem Rechtsverhältnis die Bruchteilsgemeinschaftler zueinander stehen, damit der gemeinsame Zweck der Gemeinschaft nicht gefährdet wird, vgl. dazu § 741ff, 1008ff; unten § 93. b) Gesamthandverhältnisse. Die Gesamthandverhältnisse sind Rechtsgemeinschaften, die noch enger gestaltet sind als die Bruchteilsgemeinschaften. Sie bestehen nicht nur an einzelnen Sachen oder Rechten, sondern begrifflich an einem ganzen Sondervermögen (Inhalt des Sondervermögens kann aber ausnahmsweise ein einzelner Gegenstand sein, z. B. ein Hausgrundstück). Bei der Gesamthand ist die Beteiligung derartig eng miteinander verflochten, dass jedem Gesamthänder nur ein Anteil an dem gemeinschaftlichen Vermögen, nicht aber an dem einzelnen Gegenstand zusteht. Im Hinblick auf die einzelne Sache ist jeder Eigentümer der ganzen Sache, beschränkt nur durch das gleiche Recht der übrigen Gesamthänder. Deshalb kann der Anteil an einem einzelnen Gegenstand auch nicht Gegenstand des Rechtsverkehrs sein (719, 1419, 2033 II). Der Anteil am Vermögen ist ebenfalls grundsätzlich nicht übertragbar, 719, 1419; aber § 2033 I sieht für die Erbengemeinschaft eine Ausnahme vor. § 719 ist, wenn überhaupt Gesamthandsvermögen besteht, zwingenden Rechts, soweit es um die Anteile an den einzelnen Gegenständen geht, dagegen abdingbar, soweit die Verfügung über den Anteil am ganzen Vermögen in Rede steht, unten Rdn. 1327 ff; auch das Gesamthandsvermögen als solches ist bei der Gesellschaft abdingbar, unten Rdn. 1314. Ebenso steht es bei den seltenen Gesamthandschulden: Die Schuld richtet sich gegen die Gesamthandschuldner, beschränkt auf das von ihnen innegehabte Sondervermögen. Es können nur alle Gesamthänder insgesamt in Anspruch genommen werden, keiner von ihnen schuldet etwas einzeln. Die Vollstreckung muss in das Sondervermögen erfolgen. Mit einer Gesamthandschuld geht allerdings in vielen Fällen eine Gesamtschuld Hand in Hand, so dass insoweit in die vollständigen Vermögen der Schuldner vollstreckt werden kann, vgl. §§ 1437, 1459, 1480; 2058, 2059; 124, 128 HGB. Über Gläubiger- und Schuldnergemeinschaften (Bruchteils- und Gesamthandgemeinschaften) unten § 65.

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Teilschuldverhältnisse

§ 63

§ 63 Teilschuldverhältnisse (reale Teilung von Berechtigung und Verpflichtung) Zu unterscheiden sind Teilforderungen und Teilschulden. Von Teilforderungen spricht man, wenn die reale Teilung auf der Gläubigerseite, von Teilschulden, wenn sie auf der Schuldnerseite stattfindet. I. Teilforderungen. Teilforderungen können nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (311 I) von den Parteien beliebig vereinbart werden. Gesetzliche Beispiele finden sich nicht.

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A und B bestellen sich beim Bauern einen Wagen Kartoffeln. Jeder soll die Hälfte haben. – A und B sind Miteigentümer eines Hauses. Die Miete soll an A und B getrennt je zur Hälfte gezahlt werden. Die Einkünfte des Hauses wollen A und B getrennt verbrauchen. Im Bezug auf die Mieteinkünfte sind sie Teilgläubiger. Jedem steht die Hälfte zu. – Wird eine im Miteigentum stehende Sache von einem Dritten beschädigt, so ist die Schadensersatzforderung eine Teilforderung der Miteigentümer. Jeder Miteigentümer kann den auf ihn entfallenden Teil beanspruchen.

Liegt ein Teilforderungsverhältnis vor, so bestimmt § 420, dass „wenn mehrere eine teilbare Leistung zu fordern haben, jeder im Zweifel zu einem gleichen Anteil berechtigt ist“. Die Gläubiger sind hier nur durch folgende Umstände miteinander verbunden: Nach § 351 kann das Rücktrittsrecht nur von allen Teilgläubigern gemeinsam ausgeübt werden und gem. § 320 I 2 kann der Schuldner beim gegenseitigen Vertrag dem einzelnen Teilgläubiger den ihm zustehenden Forderungsteil bis zur Bewirkung der gesamten Gegenleistung verweigern. Gem. § 441 II kann auch die Minderung nur von allen Käufern gemeinsam erklärt werden. II. Teilschulden. Das Gegenstück zu den Teilforderungen sind die Teilschulden, 420. Schulden mehrere eine teilbare Leistung, so ist im Zweifel jeder Schuldner nur zu einem gleichen Anteil verpflichtet. Der Gläubiger hat im gegenseitigen Vertrag nach § 320 I 2 gegenüber jedem Teilschuldner die Einrede des nichterfüllten Vertrages, auch wenn nur ein anderer Teilschuldner noch nicht geleistet hat. Das Rücktrittsrecht kann nur gegen alle Teilschuldner gemeinsam ausgeübt werden, 356. Das Gleiche gilt für die Erklärung der Minderung, 441 II. Teilschulden werden, ebenfalls nach § 311 I, im Einzelfall bedungen. Wenn z. B. zwei Studenten ein Zimmer mit der Absprache mieten, dass jeder die halbe Miete schulde, so liegt ein Teilschuldverhältnis vor. Die gem. § 426 I ausgleichungspflichtigen Gesamtschuldner haften als Teilschuldner, RGZ 92, 146. § 420 gilt nur, wenn nicht die Gesamtschuld vom Gesetz vorgeschrieben ist. Die Teilschuldnerschaft wird jedoch insbesondere bei einer Schuldnermehrheit auf vertraglicher Grundlage durch § 427 und bei deliktischen Ansprüchen durch § 840 I auch bei teilbarer Leistung weitgehend verdrängt von der Gesamtschuldnerschaft. Praktisch wichtiger ist die Gesamtschuld, 421 ff. Zudem ist im Einzelfall stets genau zu prüfen, ob nicht eine ihrer Natur nach teilbare Leistung infolge einer rechtlichen oder, wie man ergänzen muss, wirtschaftlichen Zweckbindung unteilbar wird, BGH NJW 58, 1723. III. Im Prozess können Teilgläubiger und Teilschuldner als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, 59 ZPO. Es liegt keine notwendige Streitgenossenschaft vor. IV. Bei unteilbaren Leistungen liegt niemals ein Teilschuldverhältnis vor, vielmehr kommt nur ein Gesamtschuldverhältnis in Frage, 431 f.

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§ 64 I

Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten

§ 64 Gesamtschuldverhältnisse (Gesamtberechtigung, Gesamtverpflichtung) Costede, JR 2005, 45; Dilcher, JZ 67, 110; ders., JZ 73, 199; Ehmann, Die Gesamtschuld, Versuch einer begrifflichen Erfassung in drei Typen. 1972; Frotz, JZ 64, 665; ders., NJW 65, 1257; Gernhuber, JZ 1996, 696; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften und Schuldnermehrheiten bei unterschiedlichen Leistungsinhalten, 1997; Goette, Gesamtschuldbegriff und Regreßproblem, Diss. Bonn 1974; Grasnich, Unechte Gesamtschuld, Diss. Berlin 1966 Hanau, VersR 67, 513; Heck, AcP 122 (1924), 131; Hillenkamp, Zur Lehre von der unechten Gesamtschuld, 1966; Hönn, NJW 66, 2200; Jahn, Außenwirkung von Haftungsbeschränkungen, Diss. Bonn 1970; Jürgens, Teilschuld, Gesamtschuld, Kumulation, 1988; Kotzur, NJW 89, 817; Lorenz, E., Die Lehre von den Haftungs- und Zurechnungseinheiten und die Stellung des Geschädigten in Nebentäterfällen, 1979; Luckey, VersR 2002, 1213; Medicus, JZ 67, 398; ders., JuS 80, 697; Meier, AcP 205 (2005) 858; Münchbach, Regreßkonstruktion in Schadensfällen, 1976; Prediger, Zur Auslegung und Anwendung der Regelungen im BGB über die Gesamtschuld, 1988; Preißer, JuS 87, 208, 289, 628, 710, 797, 961; Prölss, JuS 66, 399; Raisch, JZ 65, 703; Reifner, ZIP 90, 427; Reinicke, NJW 66, 2141; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld und Schuldversicherung, 1981; Rüßmann, JuS 1974, 292; Schmidt, Walter, Gesamtschuld und Gesamtschuldregreß, Diss. Köln 1973; Schreiber, K., Jura 89, 353; Selb, Schadensbegriff und Regreßmethode, 1963; Stamm, Jura 2002, 730; ders., NJW 2003, 2940; ders., NJW 2004, 811; Thiele, JuS 68, 149; Wacke, AcP 170 (1970), 42; Weitnauer, FS Klingmüller, 1974, 499; Wendehorst, Jura 2004, 505; Wolf/Niedenführ, JA 85, 369; Wurm, JA 85, 369.

I. Gesamtgläubigerschaft 769

Die Gesamtgläubigerschaft ist in den §§ 428–430 geregelt. Sind mehrere eine Leistung in der Weise zu fordern berechtigt, dass jeder die ganze Leistung fordern kann, der Schuldner aber die Leistung nur einmal zu bewirken braucht, so sind sie Gesamtgläubiger, 428 S. 1. Der Schuldner kann nach seinem Belieben an jeden der Gläubiger leisten, er wird in jedem Falle frei. Dies gilt auch dann, wenn einer der Gläubiger bereits Klage auf die Leistung erhoben hat, 428 S. 2. Befindet sich ein Gesamtgläubiger in Annahmeverzug, so wirkt das auch gegen die übrigen Gläubiger, 429 I. Vereinigen sich Forderung und Schuld in der Person eines Gesamtgläubigers (Konfusion), so erlöschen auch die Rechte der übrigen Gläubiger gegen den Schuldner, 429 II. Besonders hierin zeigt sich, dass es sich um ein einheitliches Schuldverhältnis handelt. Im Übrigen finden auf die Gesamtgläubigerschaft bezüglich der Auswirkung von Tatsachen auf das Schuldverhältnis die §§ 422, 423, 425 entsprechende Anwendung, siehe dazu unten Rdn. 771ff. Insbesondere bleiben, wenn ein Gesamtgläubiger seine Forderung auf einen anderen überträgt, die Rechte der übrigen Gläubiger unberührt. Die Ausgleichung bestimmt § 430. Die Gesamtgläubiger sind im Verhältnis zueinander im Zweifel zu gleichen Anteilen berechtigt. Hat also der Schuldner an einen einzigen Gesamtgläubiger geleistet und sich dadurch befreit, und besteht zwischen den Gesamtgläubigern eine gleiche Anteilsberechtigung, so haben nach § 430 die übrigen Gesamtgläubiger Ausgleichsansprüche entsprechend ihren Anteilen gegen den Gesamtgläubiger, der Zahlung erhalten hat. Die Gesamtgläubigerschaft kann nach § 311 I vertraglich vereinbart werden. Einziges gesetzliches Beispiel ist § 2151 III. Bedeutung erlangt sie neuerdings durch § 1357 I: Der Schuldner kann hier durch Leistung allein an den handelnden Ehegatten erfüllen (Medicus, BürgR, Rdn. 89 m. w. N.; str.). Im Übrigen ist sie selten. Zwei Beispiele aus der Rechtsprechung: Zwei Ehegatten errichten ein Bankkonto mit Einzelberechtigung, sog. Oder-Konto, OLG Nürnberg NJW 62, 210; Gesamtgläubigerschaft zwischen Unfall- und Rentenversicherung, BGHZ 28, 68.

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Eine Ausnahme zur Gesamtgläubigerschaft regelt § 432. Haben mehrere eine unteilbare Leistung zu fordern, so gilt regelmäßig § 432: Der Schuldner kann nur an alle gemeinschaftlich leisten und jeder Gläubiger nur Leistung an alle fordern; 432 I 1. Jeder

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Gesamtschuldverhältnisse

§ 64 II

Gläubiger kann verlangen, dass der Schuldner die geschuldete Sache für alle Gläubiger hinterlegt, oder, wenn sie sich nicht zur Hinterlegung eignet, an einen gerichtlich zu bestellenden Verwahrer abliefert. Im Übrigen wirkt eine Tatsache, die nur in der Person eines Gläubigers eintritt, nicht für und gegen die übrigen Gläubiger, 432 II. Die in § 432 I 1 enthaltene Einschränkung „sofern sie nicht Gesamtgläubiger sind“ zeigt, dass § 432 – entgegen der h. M. – eine Sondervorschrift zur Gesamtgläubigerschaft darstellt. § 432 gilt bei Forderung auf unteilbare Leistung als Regelfall. Gesamtgläubigerschaft nach §§ 428–430 kann aber als Ausnahme vereinbart werden. § 432 will sagen, dass bei einer Forderung auf unteilbare Leistung der Schuldner im Zweifel an alle zu leisten hat und dass eine der externen Gesamthänderklage vergleichbare Klage besteht. Zur actio pro socio im Gesellschaftsrecht unten Rdn. 785. Zwei Personen bestellen gemeinsam ein Taxi für einen Ausflug am Wochenende: Wenn nichts Besonderes bestimmt ist, kann der Fahrer nur an beide zugleich leisten. Eine Rechtsgemeinschaft entsteht also durch die Unteilbarkeit nicht; § 432 regelt keine Rechtsgemeinschaft, etwa nach Art der Bruchteils- oder der Gesamthandsgemeinschaft (bestritten). § 432 I ist daher auch kein echter Fall einer externen Gesamthänderklage (dazu unten Rdn. 786), wofür die Vorschrift aber manchmal gehalten wird. Dies ergibt sich auch aus § 432 II, wo geregelt ist, dass Tatsachen, die auf das Schuldverhältnis einwirken, gewöhnlich nur für die Person eines einzelnen Gläubigers gelten.

II. Gesamtschuld 1. Die Gesamtschuld ist von großer Bedeutung. Sie ist weitaus häufiger als die Teilschuld. Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist, so sind sie Gesamtschuldner. Der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern, 421 S. 1. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner auf den Rest verpflichtet, 421 S. 2. Die Gesamtschuld ist in den §§ 421–427 ausführlich geregelt. Gesamtschuldnerschaft besteht einmal, wenn sie vertraglich vereinbart wird. Sie ist aber auch deshalb besonders wichtig, weil an zahlreiche Stellen des Gesetzes, wenn mehrere Schuldner nebeneinander haften, die Gesamtschuld vorgeschrieben ist. Überblickt man die Fälle ausdrücklich angeordneter Gesamtschuldverhältnisse, so lassen sich zwei größere Gruppen unterscheiden (im Anschluss an Thiele, JuS 68, 149ff): a) Fälle, in denen die Verpflichtung der Mitschuldner auf einem Rechtsgeschäft beruht. Im Mittelpunkt dieser Fallgruppe steht § 427: Verpflichten sich mehrere durch Vertrag gemeinschaftlich zu einer teilbaren Leistung, so haften sie im Zweifel als Gesamtschuldner, vgl. z. B. BGHZ 83, 238 (Anwalt und Steuerberater). Dazu gehört systematisch auch die Haftung in den Gesamthandsgemeinschaften, 128 HGB; 1437 II 1, 1459 II 1, 1480 S. 1, 2058 und in der Regel auch 431. Hier ist es derselbe Rechtsgrund, der die Verpflichtungen miteinander verknüpft. Jedoch besteht darüber hinaus nach §§ 769; 59 I VVG, 787 HGB, Art. 47 I WG eine gesamtschuldnerische Haftung bei selbständigen Rechtsgeschäften. Gemeinsames Merkmal ist hier nicht ein innerer Zusammenhang, sondern der einheitliche Sicherungs- und Befriedigungszweck des Gläubigers. Dazu gehören Haftungserstreckung, §§ 546 II, 2382 I, 2385 BGB, 25 I 1, 27 HGB. b) In die zweite Gruppe fallen die Fälle, in denen mehrere denselben Schaden verursacht oder mitverursacht haben. Im Mittelpunkt steht § 840. Dazu treten die Haftungstatbestände, die auf der Verletzung rechtsgeschäftlich begründeter oder gesetzlicher Pflichten durch mehrere beruhen. Beispiele: §§ 42 II 2, 86 S. 1, 89 II, 1833 II 1, 1915 I, 2219 II BGB; 93 II 1, 116 AktG; 43 II GmbHG; 34 II 1, 41 GenG. Die Rechtsprechung hat die genannten gesetzlichen Gesamtschuldfälle um folgende Gruppen vermehrt: (1) Schuldbeitritt; (2) sukzessives Eingehen von Verbindlichkeiten durch mehrere Schuldner, wobei jeder Schuldner mit der Verbindlichkeit seines Vormanns rechnet, BGH NJW 59, 2160; (3)

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Nebentäterschaft, die analog § 840 behandelt wird, BGHZ 17, 240; (4) Verantwortlichkeit aus verschiedenen Gefährdungshaftungstatbeständen, RGZ 58, 337; (5) Schadensersatzverbindlichkeiten, die teils auf Vertragsverletzung, teils auf Delikt, teils auf anderen Haftungstatbeständen beruhen oder aus verschiedenen Verträgen herrühren, sofern sie auf das gleiche Interesse gehen, so vor allem BGHZ (GS) 43, 227 (gesamtschuldnerische Haftung von Bauunternehmen), BGHZ 85, 375 (nachbarrechtliche Ausgleichspflicht und Deliktsanspruch); BGH JZ 84, 230 mit abl. Anm. Reinicke/ Tiedtke (bereicherungsrechtlicher und deliktischer Anspruch). (6) Tätigkeit für mehrere Geschäftsführer ohne Auftrag, bezüglich § 670. Das Ergebnis dieser Typenbetrachtung wirft die Frage auf, ob sich die Fallgruppen überhaupt unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammenfassen lassen. Mit anderen Worten: Das Problem ist, ob die Vielzahl der Gesamtschuldfälle auf der Tatbestandsseite oder nur auf der Rechtsfolgenseite miteinander verknüpft sind. Die Beantwortung dieser Frage ist für die Lösung nicht im Gesetz vorgesehener Fälle, vor allem für die Abgrenzung zur sog. unechten Gesamtschuld, von praktischer Bedeutung. § 421 ist seinem Wortlaut nach so weit gefasst, dass er jeden Fall der Befriedigung des Gläubigerinteresses durch einen von mehreren Verpflichteten erfasst. So etwa auch den Fall, dass die Versicherung den Schaden bezahlt, den der Schädiger schuldhaft verursacht hat, oder den Fuldaer Dombrandfall (RGZ 82, 206 ff), wo der Träger der Kirchenbaulast die Wiederherstellung des durch Brandstiftung beschädigten Fuldaer Doms übernahm, beides Fälle, die nach h. M. zu den sog. unechten Gesamtschulden gehören (dazu unten Rdn. 778 ff). Die früher von Rspr. und Lehre unternommenen Versuche, den zu weit gefassten § 421 einzuschränken, sind gescheitert. Wie die Fallgruppen gezeigt haben, besteht weder in allen Fällen ein innerer Zusammenhang zwischen den mehreren Verbindlichkeiten noch stets ein gemeinschaftlicher Schuldgrund (so früher das RG, RGZ 61, 61; 67, 131). Die neuere Formel der Rechtsprechung, maßgeblich sei eine Zweckgemeinschaft zwischen den mehreren Verbindlichkeiten (BGHZ 6, 25; 13, 365; 43, 427), ist unscharf und erweist sich als Leerformel, wenn man eine gesetzliche Zweckgemeinschaft als maßgeblich ansieht (so BGHZ 13, 360, 365; 19, 114, 123; 43, 227), da dann im Einzelfall aus dem Gesetz geschlossen werden muss, ob gesamtschuldnerische Haftung vorliegt oder nicht. Das Merkmal der Zweckgemeinschaft ist von der Rechtsprechung so weit ausgedehnt worden, dass es sich mit dem der Identität des Leistungsinteresses deckt und deshalb nichtssagend ist. Der BGH hat zunächst offengelassen, ob er an dem Erfordernis der Zweckgemeinschaft festhalten will (BGHZ 59, 97, 99; BGH JZ 84, 230, 231); in BGHZ 106, 313, 319 sieht er in der Gleichrangigkeit der Haftung (dazu sofort) die entscheidende Voraussetzung der Gesamtschuld (vgl. auch BGH NJW 89, 2530). Die Lehre von der Erfüllungsgemeinschaft (Selb, aaO, S. 17f) führt ebenfalls nicht weiter, da sie von der Rechtsfolge ausgeht, aber das verbindende Glied auf der Tatbestandsseite nicht erkennen lässt. Vorzuziehen ist deshalb die Auffassung (Larenz, I § 37, Raisch, JZ 65, 705; jetzt auch BGHZ 106, 313, 319, s. o.), die ausgehend von § 421 prüft, ob im Einzelfall nach der Wertung des Gesetzes eine Gleichstufigkeit oder Gleichwertigkeit der Verbindlichkeit im Außenverhältnis vorliegt oder ob eine Abstufung der Verbindlichkeiten vorgesehen ist. Das Gesetz enthält solche Wertungen des Stufenverhältnisses bei Verbindlichkeiten durch Anordnung einer Legalzession, z. B. §§ 67 VVG, 116 SGB X und in §§ 255, 285 I, 843 IV BGB. Im Einzelfall ist deshalb zu prüfen, ob eine dieser Vorschriften erfüllt ist, oder, falls der zu prüfende Fall gesetzlich nicht geregelt ist, ob die konkrete Interessenlage wertungsmäßig der typisierten Interessenlage einer dieser Vorschriften entspricht. Anderenfalls ist nach § 421 Gesamtschuld anzunehmen. Unerheblich ist es dabei, ob der Inhalt der mehreren Leistungspflichten identisch ist, da es entscheidend darauf ankommt, ob das Gläubigerinteresse durch die eine oder andere Leistung befriedigt wird und beide Leistungsverpflichtungen auf gleicher Stufe stehen. Deshalb ist der Entscheidung des BGH zuzustimmen, die gesamtschuldnerische Haftung zwischen Architekt und Bauunternehmer trotz fehlender Leistungsidentität bejaht, BGHZ 43, 227; anders noch BGHZ 39, 264.

2. Bei der Gesamtschuld ist stets genau zu untersuchen, wie sich die Tatsachen, die in das Schuldverhältnis eingreifen, auf die Verbindlichkeiten der einzelnen Gesamtschuldner auswirken. Veränderungen im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner können Gesamtwirkung haben, weil sie auch auf die übrigen Gesamt-

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schuldner wirken, oder bloß Einzelwirkung entfalten, weil sie das Verhältnis zu den übrigen Gesamtschuldnern unberührt lassen. Hierüber befinden die §§ 422–425: Die Erfüllung und die meisten Ersatzerfüllungen durch einen Gesamtschuldner wirken auch für die übrigen Schuldner, 422. Ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlass wirkt auch für die übrigen Schuldner, wenn die Vertragschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollten, 423; die Schuldner müssen dies notfalls beweisen. – Auch der Verzug des Gläubigers wirkt für alle übrigen Gesamtschuldner, 424. – Andere als die in den §§ 422–424 bezeichneten Tatsachen wirken aber im Zweifel nur für und gegen den einzelnen Gesamtschuldner, lassen also das Verhältnis des Gläubigers zu den übrigen Gesamtschuldnern unberührt, 425 I. Das gilt, nach der beispielhaften Aufzählung des § 425 II, namentlich von der Kündigung, dem Schuldnerverzug, dem Verschulden, von der Unmöglichkeit der Leistung in der Person eines Gesamtschuldners, von der Verjährung (anders bei §§ 176, 128 f HGB: BGHZ 73, 217), deren Unterbrechung und Hemmung, von der Vereinigung der Forderung mit der Schuld und vom rechtskräftigen Urteil. Allgemeiner Grundsatz ist also, dass die Schuldner die Risiken ihres Verhaltens einzeln tragen, dass aber Verbesserungen ihrer Stellung allen zugute kommen sollen. Hat sich der Gläubiger an einen Gesamtschuldner gewandt und von diesem die gesamte Leistung erhalten, so muss zwischen den Gesamtschuldnern ein Ausgleich stattfinden. Diese Fragen werden in § 426 auf nicht ganz übersichtliche Weise geregelt: a) Zunächst wird in § 426 I 1 gesagt, dass die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet sind, „soweit nicht ein anderes bestimmt ist“. Eine anderweitige Bestimmung über die Höhe der Anteile kann u. U. schon daraus geschlossen werden, dass beispielsweise ein Gesamtschuldner mehr Nutzen aus der Gegenleistung des Gläubigers zieht als der andere (eine 5-ZimmerWohnung wird von A und B in der Weise gemietet, dass A drei Zimmer, B zwei Zimmer mietet. A ist dann im Zweifel Gesamtschuldner zu 3/5; denkbar ist auch eine Aufschlüsselung nach Quadratmetern). Andere Abweichungen können sich aus dem Gesetz ergeben (254, 735, 748, 840 II, III, 841, 1833 II; 17 StVG) oder aus Inhalt und Zweck zugrunde liegender Rechtsverhältnisse, BGHZ 20, 300. Haften mehrere für einen Schaden, wenn auch aus verschiedenen Normen, so ist zur Bemessung ihrer Anteile untereinander nach herrschender Ansicht § 254 entsprechend anwendbar, vgl. BGHZ 17, 214; 59, 103. Die interne Haftungsverteilung kann dazu führen, dass einer den gesamten Schaden zu tragen hat, BGHZ 51, 275 – Planungsfehler des Architekten –. Die Ausgleichsschuldner sind in Höhe ihrer jeweiligen Anteile Teilschuldner. Mehrere Gesamtschuldner können aber eine „Haftungseinheit“ bilden. Das hat zur Folge, dass auf sie nur eine gemeinsame Quote entfällt: die eine Haftungseinheit bildenden Gesamtschuldner werden für den Ausgleich gegenüber den anderen Gesamtschuldnern so behandelt, als wären sie eine Person und sind diesen gegenüber als anteilige Ausgleichsschuldner Gesamtschuldner, nicht Teilschuldner. Es sind dies die Fälle der „Zurechnung“, 278, 831; 7 StVG; BGHZ 6, 3. BGHZ 12, 213 hatte das Verhalten eines nach § 254 mitschuldigen Geschädigten gegenüber jedem von mehreren Schädigern abgewogen (Einzelabwägung). BGHZ 30, 203 hatte diese Einzelbetrachtung durch eine den mitschuldigen Geschädigten begünstigende Gesamtabwägung ergänzt, nach der die Verantwortungsbeiträge aller Schädiger zusammen gegenüber dem des Geschädigten abgewogen werden (Gesamtabwägung). Der einzelne Schädiger soll aber nicht mehr leisten müssen, als sich aus einer Einzelabwägung seines Verhaltens mit dem des Geschädigten ergibt. BGHZ 54, 283; NJW 83, 623 haben die Gesamtabwägung wieder eingeschränkt, indem mehrere Schädiger zu einer Haftungseinheit zusammengefasst werden können, wenn ihr Tatbeitrag die Gefährlichkeit nicht erhöht hat, so z. B. Halter und Fahrer eines Kfz. Näher dazu unten Rdn. 1683 (Einzel- und Gesamtabwägung). Obgleich § 426 I 1 nur von den Anteilen spricht, zu denen die Gesamtschuldner untereinander verpflichtet sind, stellt er nach einhelliger Auffassung eine selbständige Anspruchsnorm dar. Vor Befriedigung des Gläubigers ist der Anspruch, dessen Verletzung ersatzpflichtig machen kann (BGH NJW 58, 497; 74, 694), auf Befreiung gerichtet, danach auf Zahlung. Der Anspruch des § 426 I 1 unterliegt der Regelverjährung, 195, 199. Kann von einem Gesamtschuldner der auf ihn entfallene Betrag nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldner anteilmäßig zu tragen, 426 I 2. Das gilt auch für den ausgleichsberechtigten Schuldner selbst. Soweit mehrere Gesamtschuldner zur Ausgleichung verpflichtet sind, haften sie nunmehr als Teilschuldner, RGZ 92, 146; BGHZ 6, 25, allg. Meinung.

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b) Daneben tritt eine weitere Sicherung des zahlenden Gesamtschuldners. Soweit ein J Gesamtschuldner den Gläubiger befriedigt und von den übrigen Schuldnern Ausgleichung verlangen kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über, 426 II 1. Er erwirbt also den von ihm befriedigten Anspruch so, wie er z. Z. der Erfüllung gegen ihn bestand, 412. Den Übergang kann er nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend machen, 426 II 2. Das bedeutet, dass bei einer Teilbefriedigung des Gläubigers der restliche Anspruch des Gläubigers stets dem übergegangenen Anspruch vorgeht (z. B. bei der Befriedigung aus einem Grundstück, 1147, und in der Insolvenz, s. zu § 426 II 2 BGH NJW 03, 1036). Der zahlende Gesamtschuldner hat also außer seinem Anspruch aus eigenem Recht nach § 426 I 1 den übergegangenen Anspruch aus fremdem Recht nach § 426 II, dem u. U. andere Einwendungen gegenüberstehen als dem erstgenannten. Die Verjährung des Anspruchs aus fremdem Recht richtet sich nach den Regeln, die für den übergegangenen Anspruch gelten. Es handelt sich also um einen selbständigen Anspruch, der ein anderes Schicksal haben kann als der Anspruch nach § 426 I, BGHZ 20, 374; 83, 206. c) Hinzu kommt häufig noch ein dritter Ausgleichsanspruch, der neben diesen beiden gegen die übrigen Gesamtschuldner besteht. Zahlt z. B. der eine Gesamtschuldner im Auftrag der übrigen, so kann er von den übrigen Ausgleich nach den Regeln des Auftrags (670) verlangen. Hat er durch seine Zahlung im Interesse und mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der übrigen Gesamtschuldner gehandelt, so hat er den gleichen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag, 683 S. 1 i. V. m. 670. Dieser Ausgleichsanspruch steht wiederum unabhängig neben den beiden bisher genannten (Regelverjährung gem. §§ 195, 199). d) Die Unterscheidung der einzelnen Ansprüche kann große praktische Bedeutung haben, weil den einzelnen Ansprüchen unterschiedliche Einwendungen und Einreden entgegenstehen können (insb. Verjährung).

III. Regressansprüche und Regresshindernisse 778

1. Zur Entstehung einer Gesamtschuld ist nicht erforderlich, dass die Gesamtschuldner von vornherein durch ein rechtliches Band untereinander verbunden sind. Im Fall einer Gesamtschuld durch Schuldbeitritt ist dies deutlich. Hingegen erfordert ein Gesamtschuldverhältnis einmal die sog. Identität des Gläubigerinteresses. Das bedeutet, dass der Gläubiger von mehreren Schuldnern das Gleiche verlangen kann. Hinzukommen muss aber auch, wie Larenz bewiesen hat, eine Verbindung der Gesamtschuldner untereinander in der Weise, dass die Leistung des einen dem anderen zugute kommen soll. (Vgl. dazu § 843 IV, der einen allgemeinen Grundsatz in dieser Richtung enthält!) Das liegt nicht vor, wenn z. B. neben dem Brandstifter, der für den verursachten Schaden haftet, auch die Versicherung für den Schaden einzuspringen hat; oder wenn ein nachlässiger Verwahrer dafür haftet, dass ihm die in Verwahrung gegebene Sache gestohlen wird, neben ihm aber auch der Dieb wegen des Diebstahls haftet. Hier soll nicht die Leistung der Versicherung oder des nachlässigen Verwahrers dem Brandstifter oder dem Dieb zugute kommen. Es handelt sich nicht um Gesamtschuldverhältnisse, in denen der Zusammenhang der Verbindlichkeiten, wie er in §§ 422–424 ausgedrückt ist, sinnvoll erscheint. Brandstifter und Dieb sind die für den Schaden letztlich Verpflichteten. Deshalb wäre es verfehlt, dem Schadensersatz leistenden Brandstifter oder Dieb die Regressansprüche nach § 426 gegen die Versicherung bzw. den Verwahrer zugute kommen zu lassen. Vielmehr hat der geschädigte Gläubiger in diesen Fällen gegen alle ihm haftenden Personen getrennt voneinander bestehende Ansprüche. Unter dem Begriff „scheinbare“ oder „unechte“ Gesamtschuld verbirgt sich also nichts anderes als eine Rückgriffsproblematik: Ziel des Rückgriffs ist es, die Belastungsverteilung unter den Schuldnern gerecht zu gestalten. Oft hat der Gesetzgeber selbst die Verteilung durch cessio legis vorgenommen, so z. B. in §§ 268 III, 426 II, 774 I, 1143 I, 1150, 1225, 1249, 1607 II 2, 1608 S. 3 BGB; 67 VVG; 116 SGB X; 6 EntgFG.

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Einen anderen Weg des Rückgriffs hat der Gesetzgeber in den §§ 255, 285 I gewählt. Der Anspruch des Gläubigers geht nicht auf den Leistenden kraft Gesetzes über, sondern muss schuldrechtlich abgetreten werden. Dann hat der Leistende aber dieselbe Stellung inne wie bei gesetzlicher Abtretung. Die Lösungen für die Fälle, die weder der cessio legis noch der Gesamtschuld oder der Abtretung zugeordnet werden können, sind in der Rechtsprechung und der Literatur sehr vielfältig. Einigkeit besteht nur im Ergebnis. Derjenige, der zu der Leistung rechtlich stärker verpflichtet war als der Leistende, soll die Belastung allein tragen. Ein Rückgriff in umgekehrter Reihenfolge soll ausgeschlossen sein. Denn es ist nicht einzusehen, dass z. B. die Folgen des Gläubigerverzuges gegenüber dem Versicherer, Verwahrer oder Baulastpflichtigen gemäß § 424 auch dem Schädiger zugute kommen sollen. So nahm das RG GoA an (RGZ 82, 214), Esser Bereicherungsrecht (Esser 4, I § 59 IV 4), Selb § 255 analog (aaO S. 21 ff), Kollhosser Schadensliquidation im Drittinteresse (AcP 166 [1966], 306), und Thiele eine Analogie zu den Fällen der gesetzlich angeordneten Legalzession (JuS 68, 149 ff). Ein Teil der Literatur versuchte die Problematik dadurch zu lösen, dass der Begriff der Gesamtschuld erweitert (so z. B. Ehmann, Stamm), oder die Unterscheidung „scheinbare“ und „echte“ Gesamtschuld überhaupt aufgegeben wird (Rüßmann, JuS 74, 292ff). Ziel der Bemühungen ist es, dem Schädiger den § 424 zu versagen. Die Fälle, die nach einer vorgenommenen Wertung sich nicht unter die Normen der Gesamtschuld subsumieren lassen, sind am besten gemäß § 426 analog zu lösen. Die Analogie zu § 426 führt zu einem interessengerechten Regressanspruch. 2. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn das Entstehen eines Gesamtschuldverhältnisses dadurch verhindert wird, dass einer der potentiellen Gesamtschuldner durch Haftungsverzicht oder gesetzliche Haftungsbeschränkung von seiner Haftung befreit wird (Regressbehinderung durch Haftungsbeschränkung, oder: gestörtes Gesamtschuldverhältnis): Bei einem Verkehrsunfall wird durch gleiches Verschulden von A und S der im Auto des A mitfahrende G verletzt. A hat mit G einen Haftungsausschluss vertraglich vereinbart. Oder das Entstehen eines Gesamtschuldverhältnisses wird nicht durch einen vertraglichen Haftungsverzicht, sondern wegen eines zwischen dem Geschädigten und einem Mitschädiger bestehenden Rechtsverhältnisses kraft Gesetzes verhindert (z. B. §§ 690, 708, 1359, 1664). Der BGH hat die hier entstehenden Probleme der Regressbehinderung bei Verkehrsunfällen dadurch gelöst, dass er die haftungsprivilegierenden Normen bei der Teilnahme am Straßenverkehr für unanwendbar erklärt hat: der Straßenverkehr lasse keinen Raum für individuelle Sorglosigkeit (so BGHZ 46, 313 zu § 708; BGHZ 53, 252; 61, 101; 63, 51 zu § 1359). Ist also G Ehemann der Fahrerin A, die nur leicht fahrlässig neben dem Schädiger S gehandelt hat, stellt sich dem BGH wegen Unanwendbarkeit von § 1359 das Problem einer Regressbehinderung nicht. Ein weiteres Beispiel: Ein Arbeiter wird durch Verschulden des S und des Arbeitgebers U verletzt, U ist gemäß § 104 SGB VII von der Haftung befreit, BGH NJW 67, 982; BGHZ 43, 178. Zur Lösung der Problematik bieten sich 3 Möglichkeiten an: a) S trägt in allen Fällen den Schaden allein. Das ist unbillig. Ein vertraglicher Haftungsverzicht würde sich zudem als – unzulässiger – Vertrag zu Lasten Dritter auswirken. Deshalb hatte auch der BGH diese Lösung zu Lasten des Drittschädigers aufgegeben (BGHZ 35, 317; 58, 335; vgl. OLG Düsseldorf NJW 72, 113). Neuerdings hat er sie jedoch in BGHZ 103, 338, 346 (dazu Hager, NJW 89, 1640; Lange, Hermann, JZ 89, 48; Sundermann, JZ 89, 927, Stamm, NJW 2004, 811) wieder vertreten: Ein Kind war durch Verschulden seiner nach § 1664 I privilegiert haftenden Eltern und der beklagten Stadt auf einem Spielplatz verletzt worden. Die Stadt musste endgültig den ganzen Schaden tragen. b) Die Haftungsbefreiung wirkt nur im Außenverhältnis, nicht aber im Ausgleichsverhältnis der Schädiger untereinander. Es wird also ein Gesamtschuldverhältnis fingiert (so der BGH in den ersten Fällen BGHZ 12, 213; BGHZ 35, 324). Über den Ausgleich im Innenverhältnis zum anderen Schädiger aufgrund des fingierten Gesamtschuldverhältnisses würde der im Außenverhältnis zum Geschädigten privilegierte Schädiger seine Vorteile teilweise wieder verlieren. Der nur beschränkt Haftende würde konsequenterweise bei Alleinverantwortlichkeit für den Schaden besserstehen, als wenn er nur zum Teil verantwortlich ist. Denn mangels Zweitschädiger ist er dann keinem Regress ausgesetzt. Das ist abzulehnen. c) Der Anspruch des Geschädigten verkürzt sich von vornherein auf den Teil, den der nicht haftpflichtbefreite Schädiger im Innenverhältnis tragen muss. In einigen Fällen hat auch der BGH diesen

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§ 65 I

Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten

Weg gewählt (BGHZ 61, 51; 94, 173; BGH NJW 76, 1975; 87, 2669; NJW 2005, 2309; 2005, 3144 [zu §§ 823 I, 840]). Diese Lösung ist sachgerecht. Sie vermeidet einerseits eine ungerechtfertigte Alleinbelastung des verpflichteten Schädigers, andererseits berücksichtigt sie den Haftungsausschluss und verhindert eine Rückbelastung des Freigestellten.1

§ 65 Bruchteils- und Gesamthandsgemeinschaften

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Buchda, Geschichte und Kritik der deutschen Gesamthandslehre, 1936; Esser, Rechtsprobleme der Gemeinschaftsteilung, 1951; Flume, ZHR 136 (1972), 177; ders., FS L. Raiser, 1974, 27; Hennecke, Das Sondervermögen der Gesamthand, 1976; Larenz, IherJb. 83, 108; Lipp, BB 82, 74; Nitschke, ZHR 128 (1966), 48; Schünemann, Grundprobleme der Gesamthandgesellschaft, 1975; Schmidt, K., JR 79, 317; Schnorr, Die Gemeinschaft nach Bruchteilen, 2004; Schulze-Osterloh, Das Prinzip der gesamthänderischen Bindung, 1972; Weber/Grellert, AcP 182 (1982), 316; Wiedemann, Juristische Person und Gesamthand als Sondervermögen, WM 75, Beih. 4. Bei Gläubiger- und Schuldnergemeinschaften steht die Forderung einer in sich geschlossenen Gemeinschaft von Gläubigern zu, bzw. die Forderung richtet sich gegen eine geschlossene Gemeinschaft von Schuldnern, wobei die Gemeinschaft jedoch beide Male nicht zu einer juristischen Person zusammengefasst ist. Man unterscheidet Bruchteils- und Gesamthandgemeinschaften.

I. Bruchteilsgemeinschaften 782

Bei Bruchteilsgemeinschaften hat jeder Teilnehmer einen ideellen Bruchteil, z. B. den hälftigen Anteil an einem in Miteigentum stehenden Haus, einen Drittelanteil an einer Aktie usw. Diese ideellen (Gegensatz: realen!) Bruchteile sind für sich genommen Gegenstand des Rechtsverkehrs. In einer Bruchteilsgemeinschaft zusammengefasste Rechtsinhaber können über ihre ideellen Anteile verfügen. Das Hauptbeispiel im Gesetz bildet die Gemeinschaft nach Bruchteilen, 741 ff, darüber unten § 93. Ein Anwendungsfall ist das Miteigentum, 1008ff, das sich nach den Regeln der Bruchteilsgemeinschaft richtet, sofern nicht ausnahmsweise das Miteigentum einer Gesamthand zusteht. Die Miteigentümer eines Hauses vermieten das Haus und wollen den Ertrag gemeinsam verwalten, die Verwaltung des Ertrags richtet sich nach § 744. Sowohl das Haus als auch der Ertrag sind Gegenstand je einer Bruchteilsgemeinschaft. Wichtig ist, dass eine Bruchteilsgemeinschaft immer nur an einem einzelnen Gegenstand (Sache, Forderung) besteht, nicht an einem Sondervermögen, vgl. § 741.

1. Bruchteilsforderungen, Bruchteilsrechte. Da Gegenstand einer Bruchteilsgemeinschaft immer nur ein einzelnes Recht ist, ist hierzu nichts besonderes zu sagen. Die §§ 741 ff regeln die Beteiligung der Teilhaber an der gemeinschaftlich innegehabten Forderung. 2. Bruchteilsschulden gibt es nicht. Schulden die Teilhaber einer Bruchteilsgemeinschaft etwas, so sind sie entweder reale Anteilsschuldner, siehe oben § 63, oder, in der Regel, Gesamtschuldner, siehe oben § 64. So sind z. B. die Miteigentümer eines Hauses hinsichtlich der Schornsteinfegergebühren und anderer Lasten Teilschuldner, hinsichtlich der Reparaturkosten aus gemeinsam erteilten Aufträgen Gesamtschuldner (427). 1 Im Ergebnis wie hier Medicus, BürgR Rdn. 928 ff; Esser/Schmidt, § 39 II 2b; Thiele, JuS 68, 149; Prölss, JuS 66, 400. Fallbeispiel bei Heinemann/Ramsauer, Jura 2004, 198.

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Bruchteils- und Gesamthandsgemeinschaften

§ 65 II 1

Anders steht es im Verhältnis der Bruchteilseigner nach innen. Nach § 748 ist jeder Teilhaber den anderen Teilhabern gegenüber verpflichtet, die Lasten des gemeinschaftlichen Gegenstandes sowie die Kosten der Erhaltung, der Verwaltung und einer gemeinschaftlichen Benutzung nach dem Verhältnis seines Anteils zu tragen. Dies sind jedoch begrifflich keine Bruchteilsschulden. Näheres dazu im Recht der Gemeinschaft, unten § 93.

II. Gesamthandsgemeinschaften Die engste Zusammenfassung von Personen zu dem Zwecke der Innehabung gemeinsamer Rechte oder Pflichten mit Ausnahme der juristischen Person bilden die Gesamthandsgemeinschaften. Mehrere Gläubiger oder Schuldner sind hier in ganz besonderer Weise bezüglich eines Sondervermögens aneinander gebunden. (Ein Grenzfall liegt vor, wenn Inhalt des Sondervermögens nur ein einziger Gegenstand, z. B. eine Sache oder eine Forderung, ist.) Das Sondervermögen, das den gemeinschaftlichen Gläubigern oder Schuldnern zugeordnet ist, bildet das Wesen der Gesamthand.

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Die Gesamthandsgemeinschaften unterliegen einem Typenzwang, da durch sie eine dingliche Rechtszuständigkeit neu begründet wird. Gesamthandsgemeinschaften können also nicht vertraglich frei vereinbart werden. Das bürgerliche Recht kennt nur drei Formen. Wollen die Beteiligten eine Gesamthand begründen, dann müssen sie sich einer dieser drei Formen bedienen. – Gesellschaft, 705ff. Die Gesamthandsgemeinschaft der Gesellschaft wird zugleich von Bedeutung für den nichtrechtsfähigen Verein, 54, sowie für die personalen Handelsgesellschaften (OHG, KG und stille Gesellschaft). Allerdings ist nach der neueren Rechtsprechung die Außen-Gesellschaft teilrechtsfähig, so dass nicht mehr die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, sondern die Gesellschaft selbst Zuordnungssubjekt des Gesellschaftsvermögens ist, s. u. Rdn. 1327ff. – Gütergemeinschaft, 1415 ff. Die Gesamthand der Gütergemeinschaft ist zugleich von Belang für die der fortgesetzten Gütergemeinschaft, soweit diese nach dem geltenden Recht noch zugelassen ist, 1483 ff. – Erbengemeinschaft, 2032 ff. Eine Erbengemeinschaft kann nicht freiwillig begründet werden, sie kommt dadurch zustande, dass ein Erblasser mehrere Erben hinterlässt. Zur Gesellschaft siehe unten § 92. Zur allgemeinen Konstruktion einer Gesamthand ist jedoch das Folgende auszuführen:

1. Gesamthandsforderungen Da das Wesen der Gesamthand die Begründung einer neuen Rechtszuständigkeit für ein Sondervermögen mehrerer Personen ist, sind bei der Gesamthand Anteile an dem ganzen Sondervermögen und an den einzelnen Gegenständen zu unterscheiden. Anders liegt es bei der Bruchteilsgemeinschaft. Sie bildet kein Sondervermögen, kennt also nur Bruchteile an einzelnen Gegenständen. Die wesentliche Eigenschaft der gesamthänderischen Bindung zeigt sich darin, dass die Gesamthänder niemals über ihre Anteile an den einzelnen Gegenständen und grundsätzlich nicht über ihre Anteile an dem gesamten Sondervermögen verfügen können, 719, 1419, 2033. Im Unterschied zur Bruchteilsgemeinschaft (747) kann also namentlich nicht über die Anteile an den einzelnen Gegenständen verfügt werden. Es ist ausnahmsweise zulässig, dass ein Miterbe über seinen Anteil an der Erbengemeinschaft insgesamt verfügt, wofür jedoch besondere Formvorschriften gelten, 2033 I. Aber auch bei der Erbengemeinschaft können nur alle Erben gemeinsam über einen Nachlassgegenstand verfügen, 2040 I. Die Verfügung eines einzelnen Erben über einen Nachlassgegenstand ist unzulässig, 2033 II. Das hat für Gesamthandsforderungen die Folge, dass sie nur allen Gesamthändern zusammen zustehen. Wird eine gesamthänderisch gebundene Forderung eingeklagt, so kann über diesen Anspruch nur einheitlich entschieden werden, die Gesamthänder bilden also eine notwendige Streitgenossenschaft, § 62 I 2. Fall ZPO. Die Geltendmachung der Gesamthandsforderung steht bei der Gesellschaft den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern zu (709 ff); bei der Gütergemeinschaft dem verwaltungsbefugten Ehegatten (1421); bei der Erbengemeinschaft kann jeder Miterbe Leistung an alle Erben fordern, 2039.

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§ 65 II 1

Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten

Daneben wird jedoch unter bestimmten Voraussetzungen auch dem einzelnen Gesellschafter ein Klagerecht im eigenen Namen gegeben. Zunächst ist zwischen Forderungen, die aus dem Gesellschaftsverhältnis entspringen und von einem Gesellschafter gegen einen anderen geltend gemacht werden (interne Gesellschafterklage, actio pro socio), und solchen, die der Gesellschaft gegen einen Dritten zustehen, zu unterscheiden (externe Gesellschafterklage): Gesellschafterklage

interne = actio pro socio = Gesellschafterklage (Sozialansprüche)

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externe (Forderungen aus Drittbeziehungen)

a) Actio pro socio.1 Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis (z. B. Beitragsleistung, Schadensersatz wegen Pflichtverletzung eines Gesellschafters) sind Gesellschaftsvermögen und somit gesamthänderisch gebunden. Ihre Geltendmachung im Namen der Gesellschaft ist Akt der Geschäftsführung (Innenbereich der Gesellschaft) und steht somit nur den geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern zu (BGH NJW 83, 2498). Die Einforderung kann jedoch aus zahlreichen rechtlichen (§ 115 I 2. Halbs. HGB, Widerspruch; § 116 II HGB, fehlender Beschluss) oder tatsächlichen Gründen (Abwesenheit, Freundschaft, Risiko) unterbleiben. Nur auf eine solche Konstellation im Innenbereich der Gesellschaft sollte der Begriff der ,actio pro socio‘ angewendet werden. Für eine solche Beschränkung spricht einmal das römischrechtliche Institut der actio pro socio, das sich auf den Innenbereich der societas bezog, zum anderen dürfte sich eine Trennung von actio pro socio und Gesellschafterklage gegen Dritte weitgehend durchgesetzt haben, und schließlich dient eine solche Trennung auch zu einer deutlicheren Herausarbeitung der unterschiedlichen Probleme und Ansätze. Die actio pro socio soll im Folgenden in diesem engeren Sinne verstanden werden. In solchen Fällen wurde ein Klagerecht im eigenen Namen des einzelnen Gesellschafters teils in Analogie zu §§ 432, 2039 begründet. Es bleibt jedoch fraglich, ob auch rechtliche Unteilbarkeit zu § 432 führen kann (so das RG in st. Rspr.: Bedenken bei Hadding, 35 ff). Auch eine Analogie zu § 2039, einer Regelung für die auf Auseinandersetzung angelegte Erbengemeinschaft, vermag die actio pro socio nicht zu stützen. Sie findet ihre Begründung vielmehr im Gesellschaftsvertrag, in dem der Gesellschafter den anderen Förderung des Gesellschaftszweckes versprochen hat. Die Einhaltung dieses Versprechens muss ein jeder Gesellschafter auch klageweise durchsetzen können. Da er hierbei aus eigenem gesellschaftsvertraglichem Recht vorgeht, besteht auch keine Kollision mit den Geschäftsführungsregeln der Gesellschaft (A. Hueck, § 18 II 3, BGHZ 25, 50; a. A. Nitschke, 86). Freilich besteht dieses Klagerecht nicht unbegrenzt. Einmal kann nur auf Leistung an die Gesellschaft geklagt werden, was sich aus dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages ergibt, in dem die Förderung des Gesellschaftszweckes der Gesamtheit der Gesellschafter versprochen wurde. Zum anderen verbleibt die Verfügungsmacht über den Anspruch bei der Gesamtheit der Gesellschafter. Diese kann den Anspruch z. B. erlassen oder stunden. Eine weitere wichtige Einschränkung erfährt die actio pro socio schließlich durch die allgemeine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 242, die allerdings nicht so weit geht, dass der Gesellschafter zunächst die Zustimmung aller übrigen Gesellschafter einzuholen hat (so aber RGZ 171, 51; aufgegeben in BGHZ 25, 50). b) Die externe Gesellschafterklage (in Analogie zu §§ 432 I, 2039). Die externe Gesellschafterklage ist in folgendem Fall zu prüfen: Einer Personengesellschaft steht gegen einen außenstehenden Dritten bzw. gegen einen Gesellschafter aus einem Drittverhältnis eine Forderung zu („Forderung aus Drittverhältnis“: Hadding, JZ 75, 159). Treiben die vertretungsberechtigten Gesellschafter sie aus irgend-

1 Dazu z. B. Kort, DStR 2001, 2162; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 IV.

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Bruchteils- und Gesamthandsgemeinschaften

§ 65 II 2

einem Grunde nicht ein, so kann sich für einen einzelnen Gesellschafter die Frage stellen, ob er die Forderung geltend machen kann. (1) Eine Klage im Namen der Gesellschaft ist nur möglich, wenn der Gesellschafter Vertretungsmacht hat (BGH WM 79, 366); fehlende Vertretungsmacht kann auch in Ausnahmefällen nicht etwa gem. § 744 II BGB oder über berechtigte GoA überwunden werden (BGHZ 17, 181). (2) Der zulässige Weg der Klage gegen die Mitgesellschafter auf Mitwirkung zur Klage gegen den Dritten ist häufig zu langwierig. (3) Somit kommt nur eine Klage im eigenen Namen in Betracht. Dabei kann es sich ähnlich wie bei der actio pro socio um die Geltendmachung eines eigenen oder eines fremden Rechtes in Prozessstandschaft handeln. Die Zulässigkeit der externen Gesellschafterklage wurde lange Zeit mit § 432 BGB begründet, wobei der sachlichen Unteilbarkeit eine aus dem Gesamthandprinzip entspringende rechtliche Unteilbarkeit, § 719, gleichgesetzt wurde, RGZ 70, 32; 76, 276. Auch der BGH geht noch von § 432 (zutreffend wäre eine Analogie zu §§ 432 I, 2039) aus, sieht § 432 jedoch in aller Regel als von vertraglichen (so schon RGZ 86, 66) oder gesetzlichen (§§ 709 BGB, 114 HGB) Geschäftsführungsregeln verdrängt an (nicht von Vertretungsregeln, da es sich ja um Geltendmachung im Namen des Gesellschafters handelt). Soweit jedoch diese Fälle nicht vorliegen, gilt die externe Gesellschafterklage, vgl. BGH BB 73, 1506. aa) In der BGB-Gesellschaft soll danach eine externe Gesellschafterklage einmal dann möglich sein, wenn die anderen Gesellschafter die Einziehung aus gesellschaftswidrigen Gründen verweigern und der Schuldner an diesem Verhalten beteiligt ist. In diesem Falle geht das Interesse des einzelnen Gesellschafters, der sonst auf den umständlichen Weg der Doppelklage verwiesen wäre und es in allen anderen Fällen auch ist, dem Interesse der Mitgesellschafter an der Entscheidung über die Klageerhebung und dem Interesse des Dritten an Rechtssicherheit (Klagebefugnis nur der Gesellschaft; keine Gefahr erneuter Klageerhebung) vor, BGHZ 39, 14 = Fikentscher, ESJ 63. Auch aus § 744 II BGB, einer Regel aus dem Gemeinschaftsrecht, die subsidiär im Gesellschaftsrecht gilt, kann sich unter engen Voraussetzungen eine Befugnis, im eigenen Namen zu klagen, ergeben (BGHZ 17, 183; BGHZ 39, 14, 20 = ESJ 63, wo jedoch in der bloßen Gefahr eines Fristversäumnisses kein Fall des § 744 II BGB gesehen wurde, da es Sache der Gesellschaft sei, rechtzeitig Klage zu erheben; s. a. BGHZ 102, 154; BGH NJW 2000, 734). bb) Für die OHG nimmt der BGH dagegen an, dass die Geschäftsführungsregeln generell keine externe Gesellschafterklage zulassen, BHG BB 73, 1506: Bei der OHG (und KG), die gegenüber der BGB-Gesellschaft größere Selbständigkeit (§ 124 HGB) und stärkere Organisation aufweise, müsse die Geschäftsführungsregelung uneingeschränkt befolgt werden. Die (interne) actio pro socio ist hier aber weiterhin zulässig, oben Rdn. 785. Diederichsen, MDR 63, 632; Hadding, Actio pro socio, Marburg 1966; ders., Zur Einzelklagebefugnis des Gesellschafters einer Personengesellschaft, JZ 1975, 159; Hueck, Alfred, Das Recht der Offenen Handelsgesellschaft, 1971, § 16, 18; ders., ZAkDR 44, 103; Lindacher, JuS 81, 431; 578; 818; ders., JuS 82, 36; 349; 504; 592; Nitschke, ZHR 128 (1966), 48; Ulmer, P., FS R. Fischer, 1975, 785; Walter, JuS 82, 81.

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Im Übrigen stehen die Rechte allen gemeinschaftlich zu, und zwar in gesamthänderischer Verbundenheit. Über die Rechte kann also nur gemeinsam verfügt werden, nur alle zusammen können Forderungen abtreten, mahnen, kündigen usw., § 719 I. Zur Teilrechtsfähigkeit der Außen-Gesellschaft s. u. Rdn. 1308. 2. Gesamthandsschulden

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Gesamthandsschulden sind von geringer Bedeutung. Eine Gesamthandsschuld ist notwendig eine in ihrer Haftung auf das Sondervermögen begrenzte Schuld. Darum findet man sie nur bei den drei genannten Gesamthandsgemeinschaften. Teilweise ist dort gesetzlich vorgeschrieben, dass eine Schuld aus dem gesamthänderischen Vermögen, also aus einem Sondervermögen, zu bezahlen ist, z. B. §§ 2059 II, 1459 I. Zur Vollstreckung bedarf es eines gegen alle Gesamthänder als Schuldner erwirkten vollstreckbaren Schuldtitels, 736, 740 II, 747 ZPO. Nach der Lehre von der Teilrechtsfähigkeit reicht hierzu ein gegen die (parteifähige) Gesellschaft als

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§ 65 II 2

Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten

solche gerichteter Titel aus (BGH NJW 2001, 1056, 1059). Dies entspricht der Lage bei den „verselbständigten“ Gesamthandsvermögen der OHG und KG, 124 II HGB. Gesamthandsschuldnerische Haftung bedeutet, dass nur alle Gesamthänder zusammen haften, dazu beschränkt auf das gemeinsame Vermögen. Daraus folgt, dass sie an sich, wie Gesamtschuldner, auf das Ganze haften, nicht wie Teilschuldner auf Bruchteile der Verbindlichkeit. Da sie aber jeder nur bis zur Höhe ihres Anteils am Gesamtgut haften und nur alle zusammen in Anspruch genommen werden können, macht sich der gesamtschuldnerische Charakter der Verbindlichkeit nicht bemerkbar. Die in § 2058 vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung wirkt sich erst nach Erbteilung oder bei unbeschränkter Erbenhaftung aus, 2058 i. V. m. 2060, 2059 I 2. Trotzdem gilt, dass jeder Gesamthandsschuldner auf das Ganze haftet, wenn auch beschränkt auf die Höhe seiner Anteile am Gesamtgut. Die vorstehende Überlegung gilt auch für den Fall, dass sich ein Bereicherungsanspruch, z. B. aus §§ 951 I 1, 812 I 1 Fall 2, gegen die Mitglieder einer Gesamthand richtet: Gesellschafter bauen auf ihrem zum Gesellschaftsvermögen gehörigen Grundstück fremdes Baumaterial ein. Hier haften alle zusammen als Gesamthänder, d. h. jeder auf den vollen Betrag, aber begrenzt durch das Gesamthandsvermögen. Von Belang in diesem Zusammenhang ist, dass die Gesamthänder möglicherweise nicht nur als Gesamthänder schulden, sondern auch persönlich als Gesamtschuldner. Namentlich § 427, wonach im Zweifel gesamtschuldnerisch haftet, wer sich gemeinsam durch Vertrag zu einer teilbaren Leistung verpflichtet hat, führt zumeist zur persönlichen gesamtschuldnerischen Haftung. Für Gesellschaftsverbindlichkeiten einer Außen-Gesellschaft haften die Gesellschafter gesamtschuldnerisch analog § 128 HGB, s. u. Rdn. 1308, 1331 ff. Auch Ehegatten, die beide für Gesamtgutsverbindlichkeiten haften, sind Gesamtschuldner, 1437 II, 1459 II. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für Miterben, 2058. Teilschulden finden sich bei Gesellschaften nur, wenn mit den Gesellschaftern eine anteilsmäßige Haftung vereinbart ist, 420; bei Miterben nach der Teilung in besonderen Fällen, z. B. in § 2060.

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Der Besondere Teil des Schuldrechts (Die einzelnen Schuldverhältnisse) 8. Abschnitt

Einleitung § 66 Überblick über das besondere Schuldrecht I. Der 8. Abschnitt des 2. Buches des BGB behandelt die „einzelnen Schuldverhältnisse“, Kauf, Miete, Dienstvertrag, ungerechtfertigte Bereicherung, unerlaubte Handlung usw. Was in den ersten 7 Abschnitten des 2. Buches, die die allgemeinen Regeln des Schuldrechts betreffen, gesagt wurde, gilt grundsätzlich für alle einzelnen Schuldverhältnisse. So bemisst sich z. B. die Schadensberechnung bei unerlaubten Handlungen nach §§ 249 ff; die Theorie der Schadenszurechnung (oben § 51) gilt auch im Recht der unerlaubten Handlungen; bei einem Rücktritt vom Kauf gelten neben §§ 433ff die §§ 346 ff; wer mit einer Bereicherungsschuld in Verzug ist, haftet für zufälligen Untergang, §§ 812ff, 287 S. 2, usw.

II. Das Wort „Schuldverhältnis“ hat in der Überschrift des 8. Abschnitts einen anderen Sinn als in § 241. In § 241 ist das einzelne Forderungsrecht, der Anspruch, gemeint (Schuldverhältnis im engeren Sinne, z. B. § 433 II 1. Halbs.), in der Überschrift des 8. Abschnitts die Gesamtheit von Rechten und Pflichten aufgrund einer schuldrechtlichen Bindung (Schuldverhältnis im weiteren Sinne). III. Die Einteilung und der Aufbau des 8. Abschnittes sind historisch-empirisch, nicht logisch-systematisch bedingt. Woraus Schuldverhältnisse entstehen, und welchen Inhalt sie haben können, ist logisch nicht erfassbar. Die Lebensumstände sind zu vielfältig und wandelbar, als dass man bisher über eine bloßer Erfahrung entspringende Aneinanderreihung einzelner Schuldverhältnisse hinausgekommen wäre. Man könnte die besonderen Schuldverträge ableiten aus einer Kombination von sozialen Werten (z. B. Raumnutzung, Buchlektüre, Urlaubsreise) und individuellen Risikobeteiligungen 1. Dadurch würden die besonderen Schuldverhältnisse ins allgemeine Schuldrecht einbezogen.

Altbekannte Schuldverhältnisse wie der Tausch (§ 480), der Kauf auf Probe (§§ 454 f, die Einbringung von Sachen bei Gastwirten (§§ 701–704) gehen – manchmal nur zeitweilig (Tausch! vgl. Rdn. 971 f) – an Bedeutung zurück, bedingt durch wirtschaftliche Umstände oder rechtliche Vorkehrungen, z. B. Allgemeine Geschäftsbedingungen (oben Rdn. 162 ff). Bisher unbekannte Schuldverhältnisse tauchen auf und nehmen schlagartig an Bedeutung zu: Garantievertrag, Versicherungsvertrag, Reisevertrag, Verlagsvertrag, Tarifvertrag, Franchisevertrag, usw. Soweit das BGB keine Regeln zur Verfügung stellt, entwickeln sich neue Rechtsgebiete neben ihm. 1 Ansätze bei Gordley, James, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991; Zimmermann, R., The Law of Obligations, 1990.

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790

§ 66 V

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Einleitung

IV. Die vorliegende Einteilung des BGB verwendet zwei verschiedenartige Einteilungsgesichtspunkte der einzelnen Schuldverhältnisse. 1. Einteilung nach Art der Entstehung: Schuldverhältnisse können entstehen a) weil man etwas rechtlich bindend verspricht: Schuldverhältnisse aus rechtsgeschäftlichem Verkehr, §§ 433–676h, 688–700, 705–740, 759–808 – Beispiele: Kauf, Tausch, Miete, Dienstvertrag. b) aus Gesetz: Hierzu zählen die Schuldverhältnisse nach §§ 677–687, 701–704, 741–758, 809–811. – Beispiele: Geschäftsführung ohne Auftrag, Gemeinschaft. Zu den Schuldverhältnissen aus Gesetz gehören auch die §§ 812ff, 823ff. c) weil man etwas erhalten hat, was einem nach dem Recht nicht zusteht: Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812–822. – Beispiel: Ein Minderjähriger kauft sich gegen den Willen der Eltern ein Motorrad, §§ 433 ff, 929, 107, 108, 812 I 1 bezüglich des Motorrads. d) weil man in bestimmter, im Gesetz beschriebener Weise einen andern schädigt und dafür Ersatz zu leisten hat: Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung, §§ 823–853 und Nebenvorschriften, insb. StVG. – Beispiele: Verschuldeter Autounfall, Sachbeschädigung, unlauterer Wettbewerb. Nicht etwa verpflichtet jede Schädigung zum Ersatz. Der Grundsatz des neminem laedere gilt im deutschen Recht nicht, str. – Beispiele: Streik, lauterer Wettbewerb, erlaubte Herstellung gefährlicher Produkte. 2. Einteilung nach der Art der geschuldeten Leistung Unter diesem Gesichtspunkt sind fünf Gruppen zu unterscheiden: a) Schuldverhältnisse aus Veräußerungsgeschäften (Kauf, Tausch, Schenkung) b) Schuldverhältnisse aus Gebrauchsüberlassungen (Miete, Pacht, Leihe, Darlehen) c) Schuldverhältnisse über menschliche Tätigkeiten (Dienstvertrag, Werkvertrag, Reisevertrag, Maklervertrag, Auslobung, Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag, Verwahrung) d) Schuldverhältnisse über menschliche Gemeinschaften (Gesellschaft, Rechtsgemeinschaft) e) Schuldverhältnisse über besondere Versprechen, nämlich zur Begründung, Sicherung, Feststellung oder Bekräftigung bestimmter Verpflichtungen (Leibrente, Spiel, Wette, Bürgschaft, Vergleich, Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis, Anweisung, Schuldverschreibung auf den Inhaber). Dieser Einteilung des BGB folgt auch die nachstehende Darstellung der einzelnen Schuldverhältnisse. Das Schwergewicht liegt dabei der praktischen Bedeutung entsprechend auf Kauf, Miete, Dienst- und Werkvertrag, Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag, Gesellschaft, ungerechtfertigter Bereicherung, unerlaubter Handlung.

V. Typische und atypische Verträge (vgl. auch oben § 10) Köhler, Vertragstypenzuordnung oder Sachnähe der Einzelnorm als Entscheidungskriterium?, Festschrift H. Honsell, 2002, 29 ff.

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1. Die genannten, in den Titeln des 2. Buches aufgezählten Schuldverhältnisse sind die „typischen“. Sie sind die vom BGB zur Verfügung gestellten Vertragstypen. Da aber im Schuldrecht, etwa im Gegensatz zum Sachenrecht und zum Ehegüterrecht, kein

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Überblick über das besondere Schuldrecht

§ 66 V

Typenzwang herrscht, sind die Parteien in den Grenzen der Vertragsfreiheit frei, Schuldverträge beliebigen Inhalts = atypische Verträge zu schließen. Der Typenzwang des Sachenrechts und auch des Ehegüterrechts folgt einerseits aus dem Spezialitätsprinzip, andererseits aus Gründen der Rechtsklarheit. Dingliche Rechtszuständigkeiten, wie z. B. das Eigentum, können nur an der einzelnen Sache begründet werden (Spezialitätsgrundsatz). Darum ist z. B. die Vereinbarung von Stockwerkseigentum bundesrechtlich nicht möglich (vgl. §§ 93, 94 und die Legaldefinition des Wohnungseigentums in § 1 II WEG). Auch würde es Gründen der Rechtsklarheit widersprechen, wenn die Vereinbarung qualitativ neuer Sachenrechte der Parteivereinbarung zugänglich wäre. So ist z. B. die Begründung lehnsrechtlichen Ober- und Untereigentums nicht mehr zulässig. Im Schuldrecht gilt kein Spezialitätsprinzip. Man kann daher auch sog. Sachgesamtheiten wie eine Kuhherde, einen Bauernhof, ein Unternehmen kaufen und verkaufen, §§ 433 ff. (Man kann aber nur die einzelnen jeweils dazugehörigen Sachen in Vollzug des Kaufs übereignen, §§ 873 ff, 929ff.) Die Vertragsfreiheit steht verfassungsrechtlich (Art. 2 I GG) und bürgerlichrechtlich (§ 311 I BGB) als allgemein bekannt und anerkannt im Vordergrund (vgl. oben § 20). So sind die Parteien nicht auf die „einzelnen Schuldverhältnisse“ des BGB angewiesen. Sie können neue erfinden, und das geschieht häufig.

2. Zwei Gruppen atypischer Verträge sind zu unterscheiden: a) Die weder im BGB noch an anderer Stelle der Rechtsordnung geregelten (atypische im engeren Sinne): Beispiele: Kumulative Schuldübernahme (oben Rdn. 753), Garantievertrag (unten Rdn. 1358ff); Vertrag zwischen Schiedsrichter und Parteien (unten Rdn. 1254); Trödelvertrag (oben Rdn. 57); Leasing (unten Rdn. 1069ff).

Grundlage dieser Verträge ist allein § 311 I. Es kommt also wesentlich auf die Vereinbarungen der Parteien an sowie auf das, was nach der Verkehrssitte allgemein und nach Treu und Glauben zwischen diesen Parteien zu erwarten ist. Helfen Vereinbartes, Auslegung, Verkehrssitte und Treu und Glauben nicht weiter, ist an einen Vergleich mit typischen Verträgen sowie an Abgrenzungen zu ihnen zu denken. So ist die kumulative Schuldübernahme wirtschaftlich der Bürgschaft ähnlich, aber in bestimmter Weise von ihr und von der privativen Schuldübernahme abzugrenzen (oben Rdn. 753f). Zum Garantievertrag s. Rdn. 1358ff. Im Schiedsrichtervertrag stecken Elemente des Werkvertrages (§§ 631ff) und der Geschäftsbesorgung (§ 675), im Trödelvertrag Elemente des Kauf-, Auftrags-, Werkvertrags- und Kommissionsrechts. So wird man dem Trödler gegen den Auftraggeber sowohl Ansprüche aus Sachmängelhaftung (§§ 437, 434) als auch solche auf Auslagenersatz (§ 670) zuerkennen müssen.

b) Die außerhalb des BGB sondergesetzlich geregelten Verträge sind nur in einem weiteren Sinne „atypisch“: Sie zählen nicht zu den im BGB genannten Vertragstypen. Sie wurden – meist nachdem sie eine Zeit lang im echten Sinne atypisch waren – in besonderen Gesetzen zu neuen Typen ausgebildet. (Diese Gruppe von Verträgen wird häufig zu den typischen – i. S. von im Gesetz „benannten“ – Verträgen gezählt, z. B. Palandt/ Heinrichs, Einf. § 311 Rdn. 11). Versicherungs-, Verlags-, Tarifverträge; landesrechtliche Leibzucht- und Auszugsverträge, vgl. Art. 96 EGBGB. Sie regeln sich nach dem jeweiligen Sondergesetz (VVG, VerlG, TVG). 3. Die Parteien können aufgrund der Vertragsfreiheit auch Vertragstypen miteinander mischen. Dann entstehen die Fragen der Vertragsverbindungen und der gemischten Verträge.

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§ 67 I

Einleitung

§ 67 Vertragsverbindungen und gemischte Verträge Bartl, BB 88, 2122; Charmatz, Zur Geschichte und Konstruktion der Vertragstypen im Schuldrecht mit besonderer Berücksichtigung der gemischten Verträge, 1937; Dellias, Zur Präzisierung der Rechtsfindungsmethode bei „gemischten“ Verträgen, Diss. Regensburg 1981; Droste, Der Liefervertrag mit Montageverpflichtung, 1991; Geßner, AcP 186 (1986), 325; Hoeniger, Untersuchungen zum Problem der gemischten Verträge, Bd. I, Gemischte Verträge in ihren Grundformen, 1910; Kuhlen, Typuskonzeptionen in der Rechtstheorie 1977; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971; Lotmar, Arbeitsvertrag, 1902, 176 ff; Rohe, Netzverträge, 1998; Rümelin, G., Dienstvertrag und Werkvertrag, 1905, 320 f; Schelp, FS Herschel, 1955, 87; Schreiber, IherJb. 60, 106; Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, 2001; Wacke, MDR 83, 4; Weick, NJW 78, 11; Wolff, Ernst; FS H. Lewald, 1953, 633.

I. Vertragsverbindungen 794

Bei Vertragsverbindungen bestehen mehrere Verträge nebeneinander. Sie sind miteinander entweder rein äußerlich oder in bestimmter Abhängigkeit verbunden. 1. Eine rein äußerliche Verbindung von Verträgen liegt z. B. vor, wenn jemand sein Auto zur Reparatur gibt und sich für die Dauer der Reparatur von dem Werkstattinhaber ein anderes Auto mietet.1 Die Verträge gehen in solchen Fällen getrennte Wege. Für den ersten Vertrag gelten die Regeln des Werkvertrags, beim zweiten Vertrag handelt es sich um eine Miete. Trotz der rechtlichen Selbständigkeit der beiden Verträge kann die Wirksamkeit und Durchführbarkeit des einen Vertrags Geschäftsgrundlage des anderen sein. 2. Die Verbindung mehrerer Verträge kann aber auch in einer Abhängigkeit voneinander bestehen. Beispiele sind das Brauereidarlehen an einen Gastwirt mit einem ausschließlichen Bierbezugsvertrag; die Lizenzierung eines Patents mit Übertragung des dazugehörigen know-how (Betriebserfahrung; Betriebsgeheimnisse); die Pacht einer Fabrik mit einem dazugehörigen Energieabkommen; der Kauf und die Montage einer Maschine; der Pachtvertrag über eine Maschine mit anschließender Montage; Darlehensgewährung mit Geschäftsbesorgung beim Bankkontokorrent und Akzeptkredit (unten Rdn. 1094).2 Auch hier beurteilen sich die rechtlichen Verhältnisse grundsätzlich nach Maßgabe der einzelnen miteinander verbundenen Verträge. Der Parteiwille kann aber die einzelnen Verträge zu einem Gesamtvertrag zusammenfassen, so dass sie rechtlich einheitlich zu behandeln sind. Vertragseinheit ist dann anzunehmen, wenn die Verträge nach dem Parteiwillen miteinander stehen und fallen. Indizien dafür sind der Abschluss in einer Urkunde oder gleichzeitiger Abschluss. Umgekehrt spricht der Abschluss in äußerlich getrennten Urkunden für rechtliche Selbständigkeit. Für § 139 reicht eine wirtschaftliche Abhängigkeit mehrerer Rechtsgeschäfte voneinander aus, wenn sie als ein einheitliches Ganzes gewollt erscheinen, RGZ 79, 434; BGH NJW 83, 2027. Das bedeutet, dass Anfechtung, Rücktritt, Kündigung (u. dergl.) des einen Vertrags sich auf den anderen automatisch auswirken. Nach § 311b I muss bei derartiger Verbindung das ganze Geschäft beurkundet werden. Die Abhängigkeit kann auch alternativ bestehen. Man kann z. B. eine Sache vermieten, verbunden mit einem befristeten Kaufangebot (Mietkauf). Der Vertragsgegner entscheidet sodann, ob fortan Miete oder Kauf gelten soll (vgl. dazu die französische vente à louage). Der Mietkauf ist, im Windschatten des Leasing (u. § 79), im Vordringen.

1 Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Jauernig/Stadler § 311 Rdn. 28; Palandt/Heinrichs, Einf. § 311 Rdn. 17. 2 Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Jauernig/Stadler § 311 Rdn. 29; Palandt/Heinrichs, Einf. § 311 Rdn. 16.

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Vertragsverbindungen und gemischte Verträge

§ 67 II 2

II. Gemischte Verträge Bei gemischten Verträgen liegt meist nur ein Vertrag vor. Er weist aber die Bestandteile mehrerer typischer oder atypischer Verträge auf. Zur Behandlung gemischter Verträge wurden verschiedene Theorien entwickelt, z. B. die Absorptionstheorie (Lotmar), nach welcher der wichtigste Bestandteil zu suchen und die rechtliche Beurteilung danach vorzunehmen ist: Die weniger wichtigen Bestandteile werden von dem Hauptbestandteil absorbiert. Demgegenüber vertritt die Kombinationstheorie (Hoeniger; Rümelin), dass in gemischten Verträgen die Regeln aller miteinander gemischten Vertragstypen zur Anwendung kommen sollen.3

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1. Typische Verträge mit untergeordneten andersartigen Leistungen Hierher zählt der Kauf einer Selterswasserflasche „mit Pfand“; die Miete einer Studentenbude „mit Bedienung“ (gemeint ist in der Regel die Reinigung des Zimmers); Miete einer Wohnung unter Übernahme von Reparaturen. Die Annahme derartiger andersartiger Leistungen in typischen Verträgen ist überaus häufig. Rechtlich entscheidend ist der typische Vertrag, so dass insoweit die Absorptionstheorie für die untergeordneten andersartigen Leistungen gilt. Im Einzelfall können Vorschriften des der Nebenleistung entsprechenden Vertragstyps analog angewendet werden, wie z. B. Mietvorschriften auf den Nutzkauf (Finanzierungs-Leasing), unten § 79.

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2. Kombinationsverträge (Typenverbindungsverträge) Davon zu unterscheiden sind die sog. Kombinationsverträge, besser: Typenverbindungsverträge. Die eine Partei verspricht Leistungen, die verschiedenen Vertragstypen angehören, untereinander jedoch nahezu gleichwertig sind. Die Vertragsleistung umfasst dabei – im Gegensatz zur bloßen Vertragsverbindung – eine im Verkehr als wirtschaftlich zusammengehörig betrachtete, meist auch einheitlich benannte Summe von Einzelleistungen aus verschiedenen Vertragstypen. Der Hotel- und Pensionsvertrag umfasst in der Regel die Gewährung von Kost, Wohnung und Bedienung; Personentransportverträge, namentlich auf Schiffen, umfassen in der Regel den Transport, die Beköstigung und die Gewährung einer Unterkunft; Reiseverträge enthalten mitunter außer Transport, Beköstigung und Bedienung noch weitere Bestandteile, z. B. Geschäftsbesorgungen, Werkverträge. Der Heimvertrag enthält Miet-, Kauf-, Dienst-, Darlehens-, Bürgschafts- und Geschäftsbesorgungsrecht und unterliegt auch öffentlich-rechtlichen (Aufsichts-)Regeln. Diesen aus verschiedenen Vertragstypen zusammengesetzten Leistungen steht meist eine einheitliche Gegenleistung, in der Regel in Geld ausgedrückt, gegenüber, was aber für das Vorliegen eines Typenverbindungsvertrags nicht notwendig ist. Das Abonnement eines Börsendienstes ist ein Typenkombinationsvertrag, bei dem gem. §§ 311, 675 II jede Einzelverpflichtung nach den für sie maßgeblichen Bestimmungen zu prüfen ist, Sachmängelhaftung (§§ 437, 434) und schlechterfüllte Geschäftsbesorgung (§§ 675 I, 611, 280 I) aber nicht anwendbar sind, BGHZ 70, 356 – unrichtige Anlageempfehlung –. Andere Beispiele: BGH NJW 83, 2440 – Kauf mit Montage –; BGHZ 2, 331; 13, 119. Für die rechtliche Beurteilung der Kombinationsverträge gilt, dass für jeden Teil das Recht des Vertragstyps maßgeblich ist, der der Einzelleistung entspricht. So kommen beim Pensionsvertrag Kauf-, Miet- und Dienstvertragsregeln zur Anwendung, beim Personentransportvertrag Werk-, Kauf-, Miet- und Beförderungsrecht. Die Unwirksamkeit oder die rechtliche Umgestaltung des einen Teiles betrifft zunächst nur den einzelnen Bestandteil. Die einheitliche Gegenleistung mindert sich entsprechend. So können z. B. beim Pensionsvertrag oder beim Schiffstransportvertrag der Gast wegen schlechten Essens die Wandlungsregeln und der Vermieter (Beförderer) das Vermieterpfandrecht in Anspruch nehmen. Störungen des einen Leistungsteils haben i. d. R. jedoch auch Auswirkun3 Vgl. auch die jeweilige Einteilung bei Larenz, II, § 62 II; Medicus, II, § 121; Esser/Schmidt, § 11 II; Beispiele aus der neuesten Rechtsprechung finden sich bei Jauernig/Stadler § 311 Rdn. 30; Palandt/Heinrichs, Einf. § 311 Rdn. 19.

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§ 67 IV

Einleitung

gen auf die anderen Leistungsteile. Ob solche Störungen Gesamtwirkung auch für die nur mittelbar betroffenen Leistungen entfalten, ist abhängig von der Bedeutung der gestörten Leistungen im Verhältnis zu den übrigen und von den Interessen des Schuldners der gestörten Leistung (vgl. §§ 281 I 2, 323 V 1). Der Vertrag im Ganzen bleibt deshalb von einem Teilmangel nur dann unberührt, wenn die einzelnen Teile wirtschaftlich selbständig sinnvoll sind, d. h. die Durchführung eines Teils für den Gläubiger noch von Interesse ist. Bilden sie dagegen eine wirtschaftliche Einheit, stehen und fallen sie miteinander, vgl. BGH NJW 63, 1449 = ESJ 64; BGH NJW 72, 76. Selbständige Teile: Die Rücktrittsrechte des Schiffspassagiers wegen schlechter Mahlzeiten lassen die Beförderungspflicht und eine – gegebenenfalls geminderte – Entgeltspflicht unberührt. Wirtschaftliche Einheit: Ein „Service-Vertrag“ berechtigt den Autobesitzer A zur Benutzung einer Sammelgarage mit laufender Wagenpflege. „Kündigt“ der Garagenbesitzer den Garagenanteil (Vertragsaufsage), ist A an die Wagenpflege nicht mehr gebunden. Aus der Rechtsprechung: BGHZ 1, 23, 28 (Gemüseanbau- und Lieferungsvertrag). Will man den Nutzkauf (Leasing-Vertrag) nicht als typischen Vertrag mit untergeordneten andersartigen Leistungen (oben 1) ansehen, was die Mehrheit der Gründe für sich hat (§ 79 unten), müsste man ihn als Kombinationsvertrag mit wirtschaftlicher Einheit einstufen. Er enthält dann Elemente des Kaufs und der entgeltlichen Überlassungsverträge (Miete, Pacht).

III. Doppeltypische Verträge (Zwitterverträge) 798

Bei ihnen stehen sich Leistungen verschiedener Vertragstypen gegenüber. Die Problematik dieser Verträge liegt in dem Verhältnis von Leistung zu Gegenleistung: die Leistung gehört zu einem anderen Vertragstyp als die Gegenleistung: Einem Hausmeister wird freie Wohnung gewährt; einer Haushaltshilfe werden außer Lohn und Kost freies Wohnen versprochen. Bei diesen Zwitterverträgen unterliegt jede Seite ihrem Vertragstyp. Kollidieren die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften der beteiligten Typen (z. B. bei Kündigung oder Rücktritt), gelten die Normen desjenigen Typs, der den Vertrag überwiegend bestimmt. Doppeltypische Verträge können zugleich auf einer oder auf beiden Seiten Kombinationsverträge sein: Ein Pförtner und Hausmeister erhält freie Wohnung und ein monatliches Gehalt. Der Pförtner ist aus Dienst-, Miet- und gegebenenfalls Werkvertrag berechtigt und verpflichtet, der Hauseigentümer ebenso.

IV. Verträge mit Typenvermengung Diese Verträge (auch Typenverschmelzungsverträge genannt) sind eindeutig atypische. Während beim Typenkombinationsvertrag mehrere Leistungen einer Partei kombiniert werden, die verschiedenen Vertragstypen entsprechen, besteht die Besonderheit des Typenverschmelzungsvertrages darin, dass eine einzige Leistung einer Partei Elemente verschiedener Vertragstypen untrennbar miteinander verbindet. Der Hauptfall ist die gemischte Schenkung, die man auch als Freundeskauf oder Schenkung unter Wert bezeichnet. Gemeint ist die Veräußerung einer Sache weit unter ihrem Wert, „unter Freunden“. In einem solchen Fall ist die Veräußerung der Sache zugleich Schenkung und Kauf. Für die rechtliche Beurteilung bedarf es der Anwendung der Regeln aus beiden Typen. Bei mangelhafter Sache finden die Gewährleistungsregeln des Kaufrechts und bei Undank des Empfängers die Regeln des groben Undanks aus dem Schenkungsrecht Anwendung. Ein anderes Beispiel der Typenvermengung ist die Vermischung von Vergleich und Kauf: Jemand verzichtet auf eine dubiose Forderung gegen Lieferung einer Ware unter ihrem Wert. Auch hier gelten die Regeln der verschiedenen Vertragstypen nebeneinander. Vgl. BGHZ 30, 121 (gemischte Schenkung) und 1, 28 (Gemüseanbau mit Lieferung). Widersprechen sich die jeweils einschlägigen Normen, muss auf den Zweck des jeweiligen Geschäfts abgestellt werden.

390

Umgestaltung des Kaufrechts

§ 68

9. Abschnitt

Veräußerungsverträge § 68 Umgestaltung des Kaufrechts durch Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und Schuldrechtsmodernisierung Ehmann/Rust, JZ 1999, 853; Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1462; Gsell, JZ 2001, 65; Haas, BB 2001, 1313; Hoffmann, ZRP 2001, 347; Honsell, JZ 2001, 278; Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952; Lehmann, JZ 2000, 280; Mansel, AcP 204 (2004) 396; Medicus, ZIP 1996, 1925; Micklitz, EuZW 1999, 485; Schäfer/Pfeiffer, ZIP 1999, 1829; Schellhammer, MDR 2002, 301 und 485; Schmidt-Räntsch, ZEuP 1999, 294; Westermann, JZ 2001, 530; ders, NJW 2002, 241; von Westphalen, DB 2001, 799.

Die EG-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie verpflichtet die EG-Mitgliedstaaten zur Anpassung der nationalen Kaufrechte in Bezug auf Kaufverträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (s. bereits oben Rdn. 11). Es stellte sich in Deutschland die Frage, wie man dieser Pflicht nachkommen solle (Umsetzungsfrist war der 31. 12. 2001), etwa im Wege einer „Eins-zu-eins“-Umsetzung durch ein spezielles Verbrauchsgüterkaufgesetz, oder durch eine „kleine Lösung“ mittels vorsichtiger Anpassung des deutschen Kaufrechts unter Aufrechterhaltung der Grundstrukturen.1 Es setzte sich demgegenüber die „große Lösung“ durch: Der europäische Anpassungsbedarf wurde zum Anlass genommen, unter Rückgriff auf die Arbeiten der Schuldrechtskommission eine umfassende Reform des Schuldrechts im allgemeinen und des Kaufrechts im besonderen vorzunehmen. Der Grund hierfür bestand darin, dass andernfalls die Unterschiede zwischen Verbraucherkaufrecht einerseits und allgemeinem Kaufrecht andererseits zu Rechtszersplitterung und neuen Ungereimtheiten geführt hätten. Außerdem hätten die bekannten Schwächen des alten Kaufrechts auf unbestimmte Zeit fortbestanden. Im Folgenden wird auf das alte Kaufrecht nur dann eingegangen, wenn es für das Verständnis des geltenden Rechts unabdingbar ist. An dieser Stelle seien die Schwächen des alten Kaufrechts nur stichwortartig aufgeführt.2 Es bestanden unterschiedliche Regeln für Stück- und Gattungskauf, wobei insbesondere beim Stückkauf umstritten war, ob zur Erfüllungspflicht des Verkäufers die Lieferung einer mangelfreien Sache gehörte („Erfüllungstheorie“ gegen „Gewährleistungstheorie“). Es bestanden unterschiedliche Regeln für Rechts- und Sachmängel, wobei die Regelung der Sachmängel vollständig vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht abgekoppelt war. Der Käufer konnte bei einem (erheblichen) Sachmangel sofort die Wandelung betreiben, ohne dem Verkäufer eine „zweite Chance“ einräumen zu müssen. Wandelung und Minderung waren nicht (wie nach geltendem Recht) als Gestaltungsrechte, sondern als Vertrag konzipiert, was komplizierte Konstruktionen erforderlich machte. Schadensersatzansprüche waren lediglich bei Zusicherung einer Eigenschaft oder bei Arglist vorgesehen. Die Gewährleistungsfrist von sechs Monaten (nicht anwendbar auf Rechtsmängel oder aliud-Lieferungen) wurde als zu kurz angesehen und über verschiedene Ausweichstrategien umgangen (Annahme von selbständigen Nebenpflichtverletzungen, Weg ins Deliktsrecht bei den „Weiter-

1 Ein konkreter Vorschlag findet sich bei Ernst/Gsell ZIP 2000, 1410, 1462. 2 Schwachstellenanalysen zum alten Kaufrecht finden sich z. B. in GesBegr BT-Drs 14/6040, 86 ff, 202 ff; Büdenbender in Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht § 8 Rdn. 1 ff; Medicus in Schulze/Schulte-Nölke Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts S. 33 ff.

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§ 69 II

Veräußerungsverträge

fresserschäden“, Umqualifikation von Kauf- in Werkverträge beim Immobilienkauf). In all diesen Punkten hat das modernisierte Kaufrecht zu Änderungen geführt, wenn auch nicht alle alten Probleme gelöst wurden. Die zentralen Änderungen des neuen Kaufrechts sind die Verlängerung der Gewährleistungsfrist von sechs Monaten auf zwei Jahre, sowie die Einführung einer Schadensersatzpflicht für alle zu vertretenden Pflichtverletzungen. Sonderregeln über den Viehkauf bestehen nun nicht mehr.

§ 69 Kauf. Begriff, Abschluss, Pflichten im Allgemeinen Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht, 3 Bde., 1876–1908; Büdenbender in: Dauner-Lieb/ Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht (2002) § 8; ders., ZEuP 2004, 36; Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) S. 5 (54 ff); Coester-Waltjen, JURA 2002, 534; Derleder, NJW 2005, 2481; v. Hoffmann, Das Recht des Grundstückskaufs, 1982; Hübsch/Hübsch, WM 2006 (Beilage 1), 1; Ihering, IherJb. 4, 366; Köhler, JZ 84, 393; Lieb, AcP 183 (1983), 327; Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. I, 1936; Bd. II, 1958; Reinicke, D./Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004; Schubel, JuS 2002, 313.

I. Begriff 800

Der Kauf ist ein gegenseitiger schuldrechtlicher Vertrag, in dem sich der eine Teil (Verkäufer) zur Übertragung eines Vermögensgegenstandes in das Vermögen eines anderen (Käufer) verpflichtet, wofür ihm dieser die Zahlung einer Geldsumme verspricht, 433 I 1, II. Wirtschaftlich ist der Kauf Umsatz von Ware gegen Geld. Mit Hilfe des Kaufvertrages entscheidet der Mensch selbstverantwortlich über die Gradskala seiner Bedürfnisse. Das Gesetz hat in § 433 I 1 den Sachkauf in den Mittelpunkt der gesetzlichen Regelung gestellt. Die Regeln über den Sachkauf sind aber gem. § 453 I auf den Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen entsprechend anwendbar.

II. Der Kauf als Verpflichtungsgeschäft 801

1. Der Kauf ist ein obligatorischer Vertrag. Sein Abschluss wirkt keineswegs auf bestehende Rechte ein. Der Kauf erzeugt nur neue Verpflichtungen. Der Kauf enthält damit keine Verfügung. Beim Kauf eines Autos z. B. folgt aus der Einigung des Käufers und des Verkäufers über Ware und Preis lediglich die Verpflichtung des Käufers, das Auto zu bezahlen und es abzunehmen, 433 II. Erst im Vollzug dieses Verpflichtungsgeschäfts wird das Auto übereignet, 929. Die Übereignung besteht aus dem Einigsein über den Eigentumsübergang und der Übergabe. Die Übereignung ist die Verfügung, durch welche das Verpflichtungsgeschäft erfüllt wird, 362. Durch den Kaufvertrag geht daher das Eigentum noch nicht über („strenges Abstraktionsprinzip“). Daraus folgt z. B., dass der Käufer erst nach der Übereignung den Anspruch aus § 985 hat; vorher ist er auf seinen obligatorischen Anspruch aus dem Kaufvertrag angewiesen. Durch den Abschluss des Kaufvertrages wird der Kaufgegenstand auch noch nicht dem Vermögen des Verkäufers entzogen. Er kann weiter von Gläubigern des Verkäufers gepfändet und im Konkurs des Verkäufers für seinen Gläubiger verwertet werden: Er kann das Auto auch noch wirksam an einen Dritten verkaufen und übereignen. All das ändert sich erst mit der Übereignung. Wenn ohne gültigen Kauf übereignet wurde, ist die Übereignung nach §§ 812ff als ungerechtfertigte Bereicherung rückgängig zu machen.1 Wenn es an einer Einigung über den Eigentumsüber1 S. unten Rdn. 1442.

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Kauf. Begriff, Abschluss, Pflichten im Allgemeinen

§ 69 III 1

gang fehlt, das Auto aber schon übergeben wurde, ist lediglich der Besitz übergegangen. Der Verkäufer ist noch Eigentümer, und er kann das Auto als sein Eigentum nach § 985 zurückverlangen (Vindikation des Besitzes, 985, im Unterschied zur Kondiktion des Eigentums, 812).

2. An dieser Trennung von Verpflichtung und Verfügung, wobei der Kauf allein die Verpflichtung bewirkt, ist bei allen Verkaufsverträgen festzuhalten, auch beim sog. Handkauf. Beim Handkauf fallen Verpflichtung und Verfügung praktisch zusammen. Wenn die Hausfrau auf dem Markt Apfelsinen kauft, lassen sich Verpflichtungs- und Verfügungserklärungen der Beteiligten regelmäßig kaum unterscheiden. Das hindert nicht, den Vorgang rechtlich in zwei Teile zu zerlegen, den Kauf als Verpflichtungsgeschäft, die Übereignung als Verfügung, durch welche die Verpflichtung erfüllt wird.

802

3. Das strenge Abstraktionsprinzip ist für das deutsche Recht kennzeichnend. Historisch geht es auf das gemeine und mittelbar auf das römische Recht zurück, in dem allerdings das Abstraktionsprinzip nicht eindeutig herrscht.2 In der Gestaltung von Kauf und Übereignung unterscheiden sich fast alle nationalen Rechte. So geht z. B. nach französischem Recht das Eigentum durch den Kauf über (principe moderne). Eine Übergabe der Sache ist ebenso wenig erforderlich wie die Eintragung der Übereignung ins Grundbuch oder eine getrennte Einigung über den Eigentumsübergang.3 Im englischen Recht wird zwischen dinglichem und obligatorischem Geschäft unterschieden. Bei beweglichen Sachen geht allerdings durch unbedingten und unbefristeten Kauf (sale) Eigentum über. Bei unbeweglichen Sachen wird der Erwerber durch den Kauf noch nicht zum Eigentümer. Er erhält lediglich ein „equitable interest“ und ein dingliches Verfügungsrecht von bestimmtem Umfang. Im Einzelnen können hier Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung nicht vertieft werden. Dabei sind aber stets drei Fragen zu unterscheiden, die häufig vermischt werden: (1) Ist ein besonderes Verfügungsgeschäft erforderlich? (2) Ist diese Verfügung gegenüber dem Verpflichtungsgeschäft abstrakt? (3) Bedarf es eines Verlautbarungsaktes (z. B. Besitzübergabe)? Für das deutsche Recht hat sich das Abstraktionsprinzip bisher bewährt. Es ist klar und nicht unbillig. Beim Handkauf führt es zu einer vielleicht gekünstelten Konstruktion, die von den wirklichen Vorgängen erheblich abweicht. Dafür leistet das Abstraktionsprinzip bei komplizierteren Kaufverträgen gute Dienste; beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt gibt es eine Grundlage für die Unterscheidung des unbedingten Kaufvertrags von der bedingten Übereignung. Aus diesen Gründen kommen Rechtsordnungen, welche durch den Kauf ohne weiteres Eigentum übergehen lassen, beim Abzahlungsgeschäft leicht in konstruktive Schwierigkeiten: Sie müssen dann meist doch abstrahieren. Der Kauf ist ein Vertrag. Auf seinen Abschluss finden die §§ 145ff sowie alle Regeln für Verträge, z. B. §§ 134, 138 usw. Anwendung. Die §§ 145 ff beschreiben und regeln die Abhängigkeit der Willenserklärungen der Parteien des Kaufvertrages bei dessen Zustandekommen (genetische Abhängigkeit). Der Kauf ist ein typischer gegenseitiger Vertrag. Die Pflicht des einen Teiles wird um der Gegenpflicht willen eingegangen; sie stehen im Synallagma, vgl. dazu oben Rdn. 53, §§ 320 ff. In den §§ 320–326 ist die funktionelle Abhängigkeit der Willenserklärungen der Vertragsparteien geregelt.

803

III. Abschluss 1. Kaufgegenstand a) Auf der Seite des Verkäufers wird nach § 433 I 1 eine Sache geschuldet, wozu auch Sachgesamtheiten gehören (z. B. eine Bibliothek). In § 453 I ist der Verkauf von Rechten und sonstigen Gegenständen geregelt. Rechte können obligatorischer oder dinglicher Natur sein. Erfasst wird also z. B. der Verkauf von Forderungen, Immaterialgüterrechten (z. B. Patenten und Marken), Anwartschaftsrechten und Gesellschafts2 Zur Unterscheidung zwischen causa und traditio, vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht 17, § 24. 3 Zu den artt. 1138, 1583 code civil s. Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 G 201ff.

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§ 69 III 1

Veräußerungsverträge

anteilen. Der Begriff des „sonstigen Gegenstands“ stellt klar, dass auch alle anderen Gegenstände, die weder Sachen noch Rechte darstellen, Kaufobjekt sein können. Die genaue Qualifikation eines Gegenstands kann deshalb in Grenzfällen offen bleiben. Sonstige Gegenstände sind z. B. Standardsoftware,4 Unternehmen einschließlich freiberuflicher Praxen, Kundendateien, Betriebserfahrungen und -geheimnisse (Know-how), Elektrizität und Wärme. Einen besonderen Kaufgegenstand, die Erbschaft, regeln die §§ 2371– 2385. Die Übertragung des Eigentums (auch von Miteigentum, § 1008) ist nicht Rechts-, sondern Sachkauf. Besitz kann nicht gekauft und verkauft werden. Die entgeltliche Übertragung des Besitzes ist in der Regel Miete. Wenn Arbeit gekauft oder verkauft werden soll, handelt es sich zumeist um Dienstverträge. – Gem. § 311a I steht es der Wirksamkeit eines Kaufvertrags nicht entgegen, dass der verkaufte Gegenstand nicht übertragbar ist, z. B. der Nießbrauch (§ 1059 S. 1), Forderungen, deren Abtretbarkeit ausgeschlossen wurde (§ 399 Alt. 2) oder das Urheberrecht (§ 29 I UrhG). Hier kommen aber Schadensersatzansprüche nach § 311a II in Betracht. – Schwierigkeiten bereitet die Qualifikation von Verträgen, in denen ein Immaterialgüterrecht nicht vollständig übertragen, sondern lizenziert wird. Die klassische Streitfrage besteht darin, ob der Lizenzvertrag als Rechtskauf, Rechtspacht oder typengemischter Vertrag sui generis mit Elementen aus beidem zu werten ist.5

805

b) Zukünftige Sachen können verkauft werden, z. B. die Ernte des nächsten Jahres, das nächste Kalb einer Kuh, die nächste „Produktion“ des hochberühmten Kunstmalers X. Rechtlich gesehen bestehen beim Kauf künftiger Sachen zwei Gestaltungsmöglichkeiten: aa) Kauf unter der aufschiebenden Bedingung der Entstehung der Sache (emtio rei speratae). Der Kaufpreis ist nur geschuldet, wenn die Sache entstanden ist. Dann aber voll, auch wenn die Sache etwa zu klein ausfällt, § 158. Es handelt sich um ein Risikogeschäft, vgl. z. B. RG JW 36, 1824 (Ausbeute eines Bergwerks). bb) Unbedingter Kauf, wobei der Kaufpreis stets geschuldet ist, auch dann, wenn die Sache nicht zur Entstehung kommt (emtio spei). Hier geht es um reine Spekulationen (z. B. der Kauf eines Fischzugs). Der Kaufpreis wird für eine Chance bezahlt, die der Verkäufer als Leistung verkauft, z. B. beim Lotterielos, RGZ 77, 342, 344.

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c) Zu unterscheiden ist der Stückkauf vom Gattungskauf. Beim Gattungskauf ist die verkaufte Sache noch nicht konkretisiert, 243. Es liegt noch eine Gattungsschuld vor. Siehe dazu oben Rdn. 244ff. Zwei Sonderfälle: Bestimmung des genauen Kaufgegenstandes durch eine der beiden Parteien oder durch einen Dritten, 315ff; handelsrechtlicher Spezifikationskauf, 375 HGB (wichtig bei stark unterteilten Sorten, wie Nägeln, Garnen usw.).

Einen Sonderfall stellt der Sukzessivlieferungsvertrag dar, auf den nach h. M. die Kaufregeln ebenso Anwendung finden wie für die einzelnen Lieferungen.6 Die getrennte Anwendung der Kaufregeln auf Einzellieferung und Gesamtvertrag kann z. B. im Einzelfall dazu führen, dass nur einzelne Lieferungen beanstandet werden können, oder dass wegen wiederholter Mangelhaftigkeit einzelner Lieferungen der gesamte

4 BGH NJW 2000, 1415: Die Überlassung von Standardsoftware zur dauerhaften Benutzung gegen einmaliges Entgelt wird dem Kaufrecht unterstellt. Zu Einzelheiten s. unten Rdn. 927 f. 5 Zum Meinungsstand s. Haedicke Rechtskauf und Rechtsmängelgewährleistung (2003) S. 100ff, der selber zu folgendem Ergebnis kommt: Einfache Lizenzverträge sind als Rechtspacht (S. 108), ausschließliche Lizenzen als Rechtskauf zu qualifizieren (S. 107). Die in diesem Lehrbuch bisher vertretene Meinung (Rdn. 980: einheitlich Rechtspacht) wird beibehalten. 6 S. oben zur Unterscheidung von Sukzessivlieferungsvertrag und Ratenlieferungsvertrag Rdn. 47 f.

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Kauf. Begriff, Abschluss, Pflichten im Allgemeinen

§ 69 IV

Sukzessivlieferungsvertrag mit Wirkung für die Zukunft gekündigt werden kann. Entsprechendes gilt für andere Leistungsstörungen, insb. den Verzug. 2. Kaufpreis Aufseiten des Käufers ist Geld geschuldet. Hier unterscheidet sich der Kauf vom Tausch, bei dem Ware gegen Ware getauscht wird. Geld kann man nicht verkaufen, es sei denn, es handelt sich um Sammlermünzen oder ausländisches Geld (Devisenkauf). Man kann Geld nur gegen Geld tauschen. Die Höhe des Kaufpreises unterliegt grundsätzlich freier Vereinbarung. Grenzen ziehen z. B. §§ 134 und 138, namentlich die Wucherbestimmungen des § 138 II.

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In Ausnahmefällen sind die Preise staatlich reguliert, wie z. B. im Pharmabereich, in der Landwirtschaft, in manchen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge (Energie, Wasser, Post oder Telekommunikation) oder den Mieten des sozialen Wohnungsbaus. Ein wichtiger allgemeiner Grundsatz besteht darin, dass Verträge, die mit einem unzulässigen Preis zustande gekommen sind, nicht nichtig sind, sondern mit dem zulässigen Preis aufrecht erhalten werden, s. z. B. § 8 II WoBindG. – Auch das Wettbewerbsrecht (GWB, UWG) greift in die freie Preisbestimmung ein. – Die Vereinbarung, dass eine Partei nachträglich unter gewissen Voraussetzungen den Preis erhöhen darf, unterliegt den Billigkeitsschranken der §§ 315ff. – Die Verwendung von Preisänderungsvorbehalten in AGB ist nur eingeschränkt zulässig, vgl. §§ 307, 309 Nr. 1.

3. Form Grundsätzlich ist der Kauf formfrei, d. h. auch mündlich, gültig. Ausnahmen regelt das Gesetz an besonderer Stelle, z. B. in § 311 b I (Verträge über Grundstücke), III (Verträge über das gegenwärtige Vermögen); 2371 (Erbschaftskauf); 15 IV GmbH-Gesetz (Verkauf von GmbH-Anteilen); § 501, 502 III, 492 I (Teilzahlungsgeschäft).

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IV. Die Vertragspflichten im Allgemeinen 1. Den Verkäufer treffen drei synallagmatische Pflichten. a) Nach § 433 I 1 muss der Verkäufer dem Käufer das Eigentum an der Sache verschaffen. Die Verpflichtung erstreckt sich auch auf das Zubehör der Sache, § 311c. Der Verkäufer muss das Sacheigentum und im Falle eines Rechts die Inhaberschaft des Rechts verschaffen (Rechtsverschaffungspflicht). Das volle Eigentum bzw. das volle einredefreie Recht muss übertragen werden. Gelingt dies dem Verkäufer nicht, so greift die Rechtsmängelgewährleistung ein. b) Der Verkäufer muss zusätzlich die verkaufte Sache dem Käufer übergeben. Bei beweglichen Sachen ist die Übergabe schon Teil der Übereignung, 929. Die von der Übereignungspflicht getrennte Übergabepflicht hat daher hauptsächlich Bedeutung bei Grundstücken, vgl. §§ 873, 925. Übergeben heißt, dass der Käufer den unmittelbaren Besitz erhalten muss. Besitzverschaffung bedeutet die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache, 854. Verschaffung mittelbaren Besitzes reicht nur dann aus, wenn das ausdrücklich im Vertrag vereinbart war, h. M.7 c) Gem. § 433 I 2 hat der Verkäufer dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Diese durch die Schuldrechtsmodernisierung eingeführte Vorschrift ist von elementarer Bedeutung für die Verzahnung des Kaufrechts mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht. Die Vorschrift stellt klar, dass die Lieferung einer mangelhaften Sache eine Pflichtverletzung darstellt, welche die Rechte aus den §§ 280ff, 311 a II, 323ff – nämlich Rücktritt und Schadensersatz (sowie die speziell kaufrechtliche Minderung, § 441) – auslösen kann. Das Gesetz hat in § 433 I 2 die Auseinandersetzung zwischen Erfüllungs- und Gewährleistungstheorie zu Gunsten der Erfüllungstheorie gelöst: 8

7 S. z. B. Staudinger/Köhler, § 433 Rdn. 37. 8 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, S. 208 f.

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§ 69 V

Veräußerungsverträge

mangelhafte Leistung ist Nichterfüllung, nicht Schlechterfüllung. Man kann heute nicht mehr sagen: „Der Verkäufer hat erfüllt, aber schlecht“. Das allgemeine Leistungsstörungsrecht wird in diesen Fällen allerdings durch die speziellen Gewährleistungsregeln überlagert.

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2. a) Unter den synallagmatischen Pflichten des Käufers steht die Zahlungspflicht im Vordergrund, 433 II. aa) Zahlenmüssen bedeutet, dass der Käufer Eigentum an soviel Geld(-scheinen oder -stücken) verschaffen muss, wie dies dem Kaufpreis entspricht. Grundsätzlich hat die Zahlung Zug um Zug gegen Übereignung der Ware zu erfolgen, 320. Jedoch kann im Einzelfall eine Vorleistungspflicht des Käufers vereinbart werden. Dies ist etwa bei der Klausel „Kasse gegen Dokumente bei Ankunft des Dampfers“ der Fall. Der Käufer kann dann eine Zahlung nicht von einer vorherigen Besichtigung der Ware abhängig machen, vgl. BGHZ 41, 215. bb) Im Falle des unbaren Zahlungsverkehrs tritt an die Stelle der Übereignung von Geldstücken und -scheinen die Verschaffung von Forderungen gegen ein für den Gläubiger tätiges Geldinstitut oder gegen andere Personen. Einzelheiten und der Streitstand sind oben Rdn. 260 (ausführlich) und Rdn. 324 dargestellt. b) Den Käufer trifft nach § 433 II auch eine Pflicht zur Abnahme der gekauften Sache. Da aber die Abnahmepflicht des § 433 II in der Regel keine synallagmatische (in das Gegenseitigkeitsverhältnis des Kaufs einbezogene) Pflicht 9 ist, finden die §§ 320–322 keine Anwendung; es handelt sich also in der Regel um eine Nebenpflicht. Der Verkäufer kann somit im Allgemeinen nicht deshalb vom Vertrag zurücktreten, weil der Käufer die Ware nicht abnimmt. Etwas anderes gilt nur, wenn der Verkäufer ein besonderes Interesse an der Abnahme hat. Die Auslegung kann dann ergeben, dass die Abnahme synallagmatische Pflicht ist mit der Folge, dass die §§ 320–322 zur Anwendung kommen (Beispiele: Verkauf eines Gebäudes auf Abbruch, leicht verderbliche Ware). 3. Nebenpflichten sind im Kaufvertrag auf beiden Seiten sehr häufig. Es können nur einige Beispiele genannt werden. Den Verkäufer kann die Nebenpflicht treffen, eine behördliche Genehmigung zur Durchführung des Kaufgeschäfts herbeizuführen (vgl. RGZ 129, 357, 376 = ESJ 65). Wer ein öffentliches Verkaufslokal eröffnet, ein Warenhaus, einen Laden, ein Büro betreibt, den treffen Schutzpflichten, die dahin gehen, dass die Kunden ungestört und ungefährdet die zum Kauf angebotenen Waren betrachten und prüfen können. Eine Verletzung dieser Schutzpflichten bedeutet Schlechterfüllung des Kaufvertrags, vgl. oben Rdn. 37 ff. Wie jeder Vertrag entstehen auch im Kaufvertrag zahlreiche Nebenpflichten zu Lasten beider Parteien. Der Verkäufer hat beispielsweise Auskunft zu erteilen über die rechtlichen Verhältnisse des verkauften Gegenstands und muss zum Beweis dienende Urkunden herausgeben, was insbesondere bei Grundstücken von Bedeutung ist. Bewegliche Sachen hat der Verkäufer je nach den Umständen des Einzelfalls zu verpacken oder zu versichern. Werden komplexe Sachen, z. B. Maschinen verkauft, schuldet der Verkäufer in der Regel eine Gebrauchsanweisung, Montageanweisungen, Aufklärung über Gefahren bei der Verwendung, Mitteilung wichtiger Erfahrungen. Spezielle Nebenpflichten enthält das Gesetz in den §§ 448, 453 II. Ansonsten gelten ganz allgemein auf beiden Seiten, wie in jedem Vertrag, die Schutzpflichten aus § 241 II, sowie die Pflicht aus § 242 zur Leistung nach Treu und Glauben (s. hierzu oben § 26).

V. Der Handelskauf (§§ 373–382 HGB) 812

Die handelsrechtlichen Besonderheiten gelten grundsätzlich neben dem Kaufrecht nach BGB (Art. 2 I EGHGB), so dass auch für Handelskäufe die §§ 433ff BGB gelten. Darum ist der Handelskauf auch entweder Gattungs- oder Stückkauf (a. A. Medicus, II § 74 VIII 2: nur Gattungskauf). Ist auch nur für eine Partei der Kauf ein Handelsgeschäft (343 I HGB), so gelten die §§ 373–376, 380 HGB zusätzlich zu den Kaufvorschriften des BGB, 345 HGB. Ebenfalls zusätzlich § 377 HGB über die Mängelrüge und § 379 HGB über Aufbewahrung und Notverkauf, aber diese Vorschriften

9 Zu dem Begriff „Haupt“- und synallagmatische Pflicht o. Rdn. 36, 53.

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Gefahrtragung. Verwendung, Nutzungen, Lasten, Zinsen, Kosten

§ 70 I

setzen ein beiderseitiges Handelsgeschäft voraus. Alle Handelskaufbestimmungen sind auch anwendbar auf Wertpapierkäufe i. S. d. § 381 I und auf Werklieferungsverträge über bewegliche Sachen i. S. v. § 381 II HGB. Die wichtigste Erweiterung des bürgerlichen Kaufrechts findet sich in § 377 HGB; bei Sachmängeln muss der Käufer unverzüglich untersuchen und gegebenenfalls unverzüglich rügen. Unterlässt der Käufer dieses, so gilt die Ware als genehmigt, 377 II HGB. Danach entfallen alle Sachmängelansprüche.10 Die kurzen Verjährungsfristen des § 438 BGB (!) laufen trotzdem (zusätzliche Geltung von § 377 HGB).

§ 70 Gefahrtragung. Verwendung, Nutzungen, Lasten, Zinsen, Kosten Biderbeck, Gefahrenübergang bei Säumnis des Käufers im deutschen und amerikanischen Recht, Diss. Marburg 1982; Cuno, Übergang der Gefahr bei Gattungsschulden nach dem BGB, 1902; Dreher, Gefahrtragungsmomente beim Versendungskauf, Diss. Münster 1970; Eißer, Die Gefahrtragung beim Kaufvertrag in rechtsvergleichender Darstellung, 1927; Filios, Die Gefahrtragung beim Kauf im Rahmen des Synallagmas, 1964; Hager, Die Gefahrtragung beim Kauf, 1982; Oetker, JuS 2001, 833; Wertenbruch, JuS 2003, 625; Zimmermann/Bischoff, NJW 2003, 2506.

I. Die Gefahrenlehre 1. Wird ein Kaufvertrag den im vorigen § 69 beschriebenen Pflichten gemäß abgewickelt, so ergeben sich im Prinzip keine weiteren Rechtsfragen. Treten aber Störungen ein, so entsteht eine Reihe von Problemen, die man grob in Gefahrtragung (§ 70), Rechts- (§ 72) und Sachmängelgewährleistung (§ 71) einteilen kann. Hier soll von der Gefahrtragung die Rede sein. Die untergeordneten, verwandten Fragen des Verwendungsersatzes, der Nutzungen und der Tragung von Lasten, Zinsen und Kosten werden daran anschließend mitbehandelt. 2. Von „Gefahrtragung“ ist beim Kauf in dreierlei Hinsicht zu sprechen. Man muss streng unterscheiden: a) Die Sachgefahr: Die Regeln über die Sachgefahr beantworten die Frage, wer den Sachschaden trägt, wenn die Kaufsache zwischen Abschluss und Erfüllung des Vertrags untergeht. Wer trägt den Sachschaden? b) Die Leistungsgefahr: Die Regeln über die Leistungsgefahr beantworten die Frage, ob der Schuldner der Sache, also der Verkäufer, in einem solchen Fall noch einmal leisten muss. Muss, wenn die Kaufsache zwischen Abschluss und Erfüllung des Vertrags untergeht, noch einmal geleistet werden? c) Die Gegenleistungsgefahr, auch Vergütungs- oder Preisgefahr genannt: Ihre Regeln geben Antwort auf die Frage, ob der Schuldner der Gegenleistung, also der Käufer, in einem solchen Fall trotz Untergangs der Kaufsache zahlen muss. Ein Beispiel: K bestellt beim Autohändler V einen Pkw bestimmten Typs aus der laufenden Produktion. Nach Ablauf der üblichen Lieferfrist ruft V bei K an, der Wagen sei eingetroffen und stehe in der Werkstatt zur Abholung bereit. K macht sich sogleich auf den Weg, findet aber, als er bei V eintrifft, nur noch rauchende Trümmer vor. Ein Brand hat die gesamte Händlerwerkstatt mit dem bereitgestellten Pkw vernichtet. Wer trägt den Sachschaden bezüglich des Pkw (Sachgefahr)? Muss V

10 Dagegen bleiben Deliktsansprüche anwendbar, BGHZ 101, 337, 341f; dazu H. Roth, JuS 88, 938.

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§ 70 III

Veräußerungsverträge

einen Pkw gleichen Typs nachliefern (Leistungsgefahr)? Muss K, obwohl er nur noch glühende Eisenstücke findet, den Preis des bestellten Pkw bezahlen (Gegenleistungs-, Vergütungs-, Preisgefahr)? – Im Gutachten sind die drei Fragen zweckmäßig in dieser Reihenfolge zu erörtern.1

II. Die Sachgefahr 815

Die Sachgefahr trägt der dinglich Berechtigte, regelmäßig also der Eigentümer. Die Antwort auf die Frage nach der Sachgefahr folgt also aus einer Prüfung der Eigentumslage. Da im Beispiel des bestellten Pkw zumindest noch die Übergabe fehlt, ist der Händler (oder der Hersteller, je nach Art des Verkaufswegs) noch Eigentümer und trägt die Sachgefahr: casum sentit dominus, 903.

III. Die Leistungsgefahr 816

1. Solange nicht erfüllt ist, muss der Schuldner (im Beispiel Verkäufer V) noch leisten. Ob gem. § 362 I erfüllt ist, bestimmt sich nach dem Inhalt des zu erfüllenden Schuldverhältnisses, hier Kauf. Nach § 433 I 1 schuldet der Verkäufer Eigentumsverschaffung und Übergabe. Daran fehlt es, solange noch nicht übergeben ist. Im Beispiel des bestellten Pkw ist also von seiten des Verkäufers V noch nicht erfüllt. Danach bestünde seine Leistungspflicht noch. 2. Der Schuldner kann aber nicht mehr mit einer Leistungspflicht belastet werden, wenn die Erfüllung dieser Pflicht unmöglich ist oder wird. Darum befreit § 275 den Schuldner von der Leistungspflicht in allen Fällen der anfänglichen oder nachträglichen, objektiven oder subjektiven Unmöglichkeit (s. o. Rdn. 371 ff). Bei Gattungsschulden führt der Untergang des zur Erfüllung vorgesehenen Stücks allerdings nur dann zur Unmöglichkeit, wenn Konkretisierung erfolgt ist (§ 243 II). Ansonsten besteht die Leistungspflicht fort, solange noch Exemplare aus der vereinbarten Gattung existieren. Bei Gattungsschulden trägt also der Schuldner die Leistungsgefahr, solange Sachen aus der Gattung vorhanden sind. Im Beispiel des bestellten Pkw handelte es sich bei dem typenmäßig bestimmten Fabrikat aus laufender Produktion zunächst um eine Gattungsschuld, 243 I. Nach Bereitstellung in der Werkstatt und Anruf bei K zur Abholung hatte V aber alles „zur Leistung einer solchen Sache Erforderliche getan“. Damit beschränkte sich der Kaufvertrag auf diesen konkreten Pkw, 243 II; es entstand eine Stückschuld.

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3. Die Beendigung der Leistungsgefahr durch Erfüllung oder Untergang einer Stück- oder konkretisierten Gattungsschuld sind die typischen Fälle. Daneben besteht noch eine besondere Gestaltungsmöglichkeit: Wenn der Schuldner alles tat, was er zur Erfüllung seinerseits tun konnte, die Erfüllung aber nicht zustande kommt, weil der Gläubiger die Leistung nicht annimmt, muss der Schuldner billigerweise ebenfalls von der Leistungsgefahr befreit werden. Nun tritt Leistungsbefreiung bei Stückschulden und konkretisierten Gattungsschulden schon nach § 275 ein (s. o.), so dass es auf den Annahmeverzug nicht mehr ankommt. Bei noch nicht konkretisierten Gattungsschulden kann es dagegen vorkommen, dass der Schuldner alles seinerseits Erforderliche tut, den Gläubiger also in Annahmeverzug versetzt, ohne dass Konkretisierung eintritt. Dies ist der Fall bei den Schickschulden des § 270 und bei Bringschulden (dazu oben Rdn. 280ff). Gerade bei ihnen kann der Gläubiger durch Verweigerung der Annahme Konkretisierung und Erfüllung verhindern. Darum sieht § 300 II vor, dass die Leistungsgefahr des Schuldners ebenfalls endet, wenn der Gläubiger in Annahmeverzug kommt.

1 Beispielsfälle bei Hüffner, JuS 88, 123.

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Gefahrtragung. Verwendung, Nutzungen, Lasten, Zinsen, Kosten

§ 70 V

IV. Die Gegenleistungsgefahr Die Gegenleistungs- (Vergütungs-, Preis-)gefahr beantwortet die Frage, ob der Gläubiger der Leistung (und gleichzeitiger Schuldner der Gegenleistung) trotz Ausbleibens der Leistung dem Schuldner die Gegenleistung erbringen, hier den Kaufpreis bezahlen muss. Regelmäßig trägt der Gläubiger der Gegenleistung die Preisgefahr: Wenn er nicht liefert, bekommt er kein Geld, 433, 326 I 1 Halbs. 1. In den verschiedenen Rechtsordnungen lassen sich unterschiedliche Zeitpunkte des Gefahrenübergangs finden: vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, der Übergabe der Sache, des Eigentumsübergangs bis zur vollständigen Erfüllung. Während das römische Recht dem aus dem Handkauf entwickelten Grundsatz des „periculum est emptoris“ folgt, nämlich Gefahrübergang bei Vertragsschluss, stellt das BGB in folgerichtiger Durchführung des Synallagmas auf den Zeitpunkt der Vertragserfüllung, 326 I 1, ab: „periculum est venditoris“.2 Daraus folgt: Wird der Gläubiger nach § 275 von seiner Leistungspflicht frei, entfällt auch die Gegenleistungspflicht, § 326 I 1 Halbs. 1, dazu oben Rdn. 447. Von diesem Grundsatz bestehen einige Ausnahmen, in denen der Käufer die Gefahr trägt, trotz Ausbleibens der Leistung zahlen zu müssen (s. hierzu bereits oben Rdn. 448 ff). 1. Im Allgemeinen Schuldrecht findet sich die Ausnahme des § 326 II 1 Alt. 2: Wird während des Gläubigerverzugs die Leistung unmöglich, so muss der Gläubiger trotzdem die Gegenleistung erbringen.

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Im Falle des bestellten Pkw entfällt die Leistungspflicht des V aufgrund von § 275 I. Befand sich K im Annahmeverzug? Davon hängt ab, ob er trotzdem zahlen muss. Da Abholung vereinbart war, genügte ein wörtliches Angebot des V in der Form, K möge den Wagen abholen, 295 S. 1 a. E., S. 2. Aber der Gläubiger, hier K, muss in solchen Fällen zumindest die Zeit haben, sich zum Schuldner zu begeben, um die Sache abzuholen. Die nach der Verkehrssitte und Treu und Glauben übliche Abholzeit ist zugrunde zu legen. Da K sich sogleich auf den Weg machte, tat er alles, wozu ihn V aufgefordert hatte. K geriet also durch den Anruf des V nicht in Annahmeverzug. K’s Gegenleistungspflicht entfällt nach § 326 I 1 Halbs. 1, § 326 II 1 Alt. 1 ist nicht anwendbar, da den K keine Schuld an dem Brand trifft.

2. Zwei weitere Ausnahmen zu dem aus § 323 I folgenden Grundsatz, dass die Preisgefahr der Verkäufer trägt, enthalten § 2380 BGB und § 56 ZVG. Beim Erbschaftskauf gilt ausnahmsweise: periculum est emptoris; in der Zwangsversteigerung geht die Gefahr mit dem Zuschlag über.

V. Sonderregeln beim Kauf Im Kaufrecht wird der Übergang der Preisgefahr, der nach § 323 erst durch die Vertragserfüllung stattfindet, in zwei Fällen vorverlegt: bei Übergabe der Kaufsache, 446 I 1 und bei Auslieferung der Kaufsache an eine Transportperson im Falle des Versendungskaufs, 447.3 Die drei Vorschriften sind also Spezialvorschriften im Verhältnis § 326 I 1;

2 S. zum römischen Recht, Paul. D. 18, 6, 8 pr.; Inst. 3, 23, 3/3a; Kaser, Römisches Privatrecht, § 41 IV und rechtsvergleichend Filios, 9ff; Rabel, Recht des Warenkaufs, II, § 113. Im schweizerischen Kaufrecht erfolgt Gefahrübergang ebenfalls bereits mit Vertragsschluss, Art. 185 OR. 3 §§ 446, 447 bewirken den Übergang der Preisgefahr. Bei Gattungskäufen geschieht zumeist im gleichen Zeitpunkt gem. § 243 II der Übergang der Leistungsgefahr: Im Verlustfalle braucht nicht noch einmal geliefert zu werden.

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sie sind also nur bei zufälligem Untergang anwendbar, wenn der Untergang von keiner Partei zu vertreten ist. Folglich bleiben bei vom Käufer zu vertretender Unmöglichkeit § 326 II 1 Alt. 1 und bei vom Verkäufer zu vertretender Unmöglichkeit § 283 weiterhin anwendbar. 1. Die wichtigste Ausnahme bildet § 446 S. 1: Wenn die Kaufsache übergeben ist, muss sie trotz Untergangs beim Käufer bezahlt werden. Der Grund ist darin zu suchen, dass der Käufer von der Übergabe an die Sache in seinem Macht- und Kontrollbereich hat, so dass unverschuldete Zerstörung gerechterweise zu seinen Lasten gehen muss. Mit der Übergabe der Kaufsache geht die Preisgefahr auf den Käufer über. Das gilt auch dann, wenn der Verkäufer im Übrigen noch nicht erfüllt, z. B. noch nicht übereignet hat, sogar selbst dann, wenn Rechts- oder Sachmängel vorliegen, vgl. auch OGHZ 1, 14.4 Allerdings ist der Käufer auch nach Verschlechterung oder Untergang der Sache nicht daran gehindert, von seinem Rücktrittsrecht nach § 437 Nr. 2 Gebrauch zu machen. Wegen § 346 III 1 Nr. 3 hat er auch keinen Wertersatz zu leisten, wenn er nur die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (§ 277) beobachtet hat. Im Ergebnis kommt es damit zu einer Rückverlagerung der Preisgefahr auf den Verkäufer (s. o. Rdn. 538). – Übergabe ist die Verschaffung unmittelbaren Besitzes, 854. Besitzübertragungssurrogate nach §§ 930, 931 sind ausreichend, wenn dies im Vertrag vorgesehen ist. Jedoch ist in diesem Fall zu prüfen, ob überhaupt noch ein kaufvertraglicher Anspruch auf Verschaffung des unmittelbaren Besitzes bestehen bleibt oder ob nicht erfüllt ist; dann findet § 446 keine Anwendung. Praktisch ist der wichtigste Fall der des Kaufs unter Eigentumsvorbehalt. Wird z. B. dem Vorbehaltskäufer die Sache ohne seine Schuld unwiderbringlich gestohlen, muss er trotzdem die restlichen Raten zahlen. Ist die Sache bedingt verkauft, aber schon übergeben, und geht sie dann beim Käufer unverschuldet unter, so ist der Käufer zur Zahlung verpflichtet, wenn die Bedingung dann eintritt, 159 (Köhler/Lorenz, PdW SchR II Nr. 6). Untergang i. S. des § 446 ist dabei nicht nur die körperliche Vernichtung, sondern jeder tatsächliche Verlust, welcher zur Folge hat, dass die Kaufsache für den Verkäufer nicht mehr vorhanden und ihm die Bewirkung seiner Leistung unmöglich ist, vgl. RGZ 114, 405 – Beschlagnahme –. Vom Augenblick der Übergabe und Übereignung an hat der Verkäufer erfüllt. 2. Nach altem Recht (§ 446 II a. F.) ging beim Grundstücksverkauf mit Eintragung in das Grundbuch die Preisgefahr auf den Käufer über. Diese Regelung wurde durch die Schuldrechtsmodernisierung unter Hinweis darauf abgeschafft, dass in der Praxis regelmäßig eine besondere vertragliche Abrede über den Gefahrübergang getroffen wird.5 Es gilt deshalb jetzt auch für Grundstücke die Regel des § 446 S. 1, dass die Gefahr mit Übergabe des Grundstücks auf den Käufer übergeht. Schließen die Parteien die Gewährleistungspflicht aus, erfasst dieser Haftungsausschluss nicht solche Mängel, die nach Vertragsschluss und vor Gefahrübergang, also vor Übergabe des Grundstücks entstehen. Die Parteien haben aber die Möglichkeit, den Haftungsausschluss durch eine ausdrückliche Regelung auch auf solche Mängel zu erstrecken.6 Dies wird allerdings

4 Der Übergang der Gefahr beim Kauf vollzieht sich mit der Übergabe des Besitzes, ohne Rücksicht auf die Annahme der Ware als Erfüllung oder die Billigung ihrer Beschaffenheit, OGHZ 1, 149. 5 GesBegr BT-Drs 14/6040, S. 203. 6 BGH NJW 2003, 1316 (zum alten Recht), anders noch BGH NJW 1991, 1675.

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Gefahrtragung. Verwendung, Nutzungen, Lasten, Zinsen, Kosten

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nur durch Individualvereinbarung, wegen § 307 II Nr. 1 i. V. m. § 446 nicht durch AGB möglich sein.7 3. Beim Versendungskauf geht gemäß § 447 I die Preisgefahr nicht erst mit der Übergabe an den Käufer, sondern schon mit der Auslieferung der Sache an die Transportperson auf den Käufer über. Da der Käufer regelmäßig zur Abholung verpflichtet ist, 269 I, soll er die Preisgefahr tragen, wenn die Sache ihm zugesandt wird, zumal der Verkäufer mit der Auslieferung die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung vollständig erbracht hat, vgl. BGHZ 74, 142. Im Einzelnen ist der Versendungskauf von verwandten Tatbeständen wie folgt zu unterscheiden: a) Regelmäßig ist als Erfüllungs- oder Leistungsort der Wohnsitz des Schuldners anzusehen, so bei der Hol- und auch bei der Schickschuld. Die Regel bildet die Holschuld, sei es am Ort oder von Ort zu Ort, 269 I, II. Sowohl bei Orts- wie bei Fernabholung wird am Schuldnerwohnsitz erfüllt. Geht zuvor die Sache zufällig zugrunde, werden Schuldner und Gläubiger frei, 275, 326 I 1. – Verlangt der Gläubiger wie bei der Schickschuld Versendung, meist unter Übernahme der Kosten dafür, so spricht man vom Versendungskauf; wenn die Versendung am Ort erfolgen soll, vom Ortsversendungskauf („Platzkauf“); bei Versendung von Ort zu Ort vom Fernversendungskauf. Der Erfüllungsort wird dadurch noch nicht geändert, der Schuldnerwohnsitz bleibt Erfüllungsort, 269 III, 447. Hinzu tritt ein eigener Ablieferungsort. Geht die Sache unterwegs zufällig unter, wird der versendende Schuldner frei, 275, der Gläubiger dagegen nicht, 447 als Sondervorschrift zu 326 I 1. Dazu allgemein oben Rdn. 279ff. b) Im Gegensatz zur Holschuld mit ihren Unterfällen steht die Bringschuld. Erfüllungsort ist der Gläubigerwohnsitz. Der Schuldner muss dem Gläubiger die Sache bringen. Bringschuldkäufe („Bringkäufe“) am Ort kann man „Ortsbringkäufe“ nennen, von Ort zu Ort „Fernbringkäufe“. Geht die Sache unterwegs zugrunde, muss der Schuldner noch einmal leisten, denn erst mit Ablieferung hat er erfüllt. Solange er dies nicht tut, braucht der Gläubiger die Gegenleistung nicht zu erbringen. Bei der Bringschuld trägt also der Verkäufer bis zur Erfüllung Leistungs- und Gegenleistungsgefahr; § 447 findet keine Anwendung. – Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die hauptsächliche Abgrenzungsschwierigkeit zwischen Versendungskauf (Platz- und Fernversendungskauf) einerseits und Kaufbringschuld (Zusendungs- und Fernkauf) andererseits besteht. Beim Versendungskauf trägt der Käufer die Gegenleistungsgefahr nach § 447, beim „Bringkauf“ trägt sie der Verkäufer.8

c) § 447 setzt voraus, dass der Verkäufer die Kaufsache auf Verlangen des Käufers an einen anderen als den Erfüllungsort schickt. Verschickt der Verkäufer eigenmächtig die Sache, findet § 447 keine Anwendung. § 447 gilt nur, wenn die Versendung vom Erfüllungsort aus erfolgt. Nur wenn der Käufer mit der Versendung von einem dritten Ort aus einverstanden ist, findet § 447 auch dann Anwendung, BGH NJW 65, 1324; NJW 1991, 915. d) Die Preisgefahr geht beim Versendungskauf erst mit der Auslieferung an den Spediteur, Frachtführer oder die sonst zur Ausführung der Versendung bestimmte Person oder Anstalt über, 447 I. Dazu zählen namentlich auch Post und Bahn. Der Grundgedanke ist, dass der Verkäufer Anspruch auf den Preis haben soll, wenn er alles seinerseits Erforderliche getan hat. e) Wie auch § 446 verlangt § 447 einen Untergang oder eine Verschlechterung der Kaufsache durch Zufall. Darunter fallen nur sog. Transportrisiken, nicht Schäden, die unabhängig von der Tatsache der Versendung, z. B. durch Krieg und Aufruhr, eintreten, vgl. BGH NJW 65, 1324. f) Ob auch die Verwendung eigener Leute des Verkäufers die Preisgefahr übergehen lässt, ist streitig. Meist wird es sich dabei überhaupt nicht um einen Versendungs-, sondern um einen Bringkauf 7 Zimmermann/Bischoff NJW 2003, 2506 8 Zur Abgrenzung zwischen Schick- und Bringschuld, oben Rdn. 280ff.

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handeln, bei dem der Verkäufer bis zur Ablieferung Leistungs- und Preisgefahr trägt. Denn die Verwendung eigener Leute spricht für die Vereinbarung eines Bringkaufs.

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Sollten ausnahmsweise einmal bei einem Versendungskauf eigene Leute als Transportperson Verwendung finden, so möchte eine Auffassung § 447 überhaupt nicht anwenden, weil bei dem Selbsttransport durch eigene Leute die Kaufsache den Gefahrenbereich des Verkäufers noch nicht verlassen hätte.9 Überzeugender erscheint u. E., den § 447 auch beim Transport durch eigene Leute anzuwenden, weil die Interessenlage bestehen bleibt: Leistungs- und Erfüllungsort fallen auseinander und auch die vom Käufer gewünschte zusätzliche Belastung des Verkäufers („Versendung auf Verlangen des Käufers“) bleibt bestehen.10 Die verschiedenen Auffassungen nähern sich allerdings insoweit an, als der Verkäufer für ein Verschulden eigener Leute nach § 278 haftet.11 g) Da die Versendung auf Wunsch und Rechnung des Käufers erfolgt, zählt nur die sorgfältige Auswahl der Transportperson und die Ablieferung an sie zu den vertraglichen Nebenpflichten des Verkäufers. Eine diesbezügliche Pflichtverletzung macht den Verkäufer schadensersatzpflichtig. Das Gleiche gilt für grundloses Abweichen von Weisungen des Käufers, 447 II. Hingegen ist ein Verschulden der Transportperson dem Verkäufer nicht nach § 278 zuzurechnen, da der Verkäufer die Transportleistung nicht schuldet. Die Haftungsfreistellung des Verkäufers beim Versendungskauf bedeutet, dass der Käufer bei Verlust der Sache leer ausgehen würde, wenn man ihm nicht eine Drittschadensliquidation zubilligt, s. o. Rdn. 611ff. Der Verkäufer steht mit der Transportperson in Vertragsbeziehung, könnte sie im Verschuldensfalle also haftbar machen; er hat aber im Allgemeinen keinen Schaden, weil der Käufer nach § 447 I auch dann bezahlen muss, wenn wegen Verschuldens der Transportperson die Kaufsache nicht ankommt. Zu Recht verpflichtet man daher den Verkäufer aus kaufvertraglicher Treupflicht, entweder für den Käufer dessen Schaden bei der Transportperson geltend zu machen (Drittschadensersatz wegen gesetzlich veranlassten Auseinanderfallens von Anspruchsberechtigung und Schaden) oder dem Käufer diesen Drittschadensanspruch abzutreten, § 285. Der Käufer kann auch eigene Ansprüche haben, z. B. aus § 823 I wegen Verletzung des Anwartschaftsrechts oder aus § 421 I 2 HGB. h) § 447 ist auch auf den Versandhandel anwendbar (str.).12 Unbilligkeiten sind durch Verbraucherschutzrecht zu korrigieren. Gem. § 474 II ist § 447 gerade nicht auf den Verbrauchsgüterkauf anwendbar, also auf den Verkauf beweglicher Sachen von einem Unternehmer an einen Verbraucher. Hier reist die Sache also auf Gefahr des Verkäufers (s. u. Rdn. 942).

VI. Nutzungen und Lasten. Kosten 1. Nutzungen und Lasten 827

Nutzungen und Lasten der Kaufsache gebühren ab Übergabe dem Käufer, § 446 S. 2 (dasselbe gilt ab Annahmeverzug des Käufers, § 446 S. 3). Der dahinter stehende Grundgedanke lautet: Wer die Preisgefahr für die Kaufsache trägt, soll auch die aus ihr fließenden Vorteile haben. Oder: cuius est periculum eius est commodum. Die Übergabe ist aber für den Übergang von Nutzungen und Lasten auch dann entscheidend, wenn die Gefahr unabhängig von der Übergabe der Sache auf den Käufer übergeht. Das 9 Hager, S. 84f; Jauernig/Berger § 447 Rdn. 12; Medicus, Rdn. 275. 10 MünchKomm/Westermann, § 447 Rdn. 15; Soergel/Huber, § 447 Rdn. 36; Erman/Weitnauer, § 447 Rdn. 32. 11 S. bereits RGZ 96, 258; a. A. Bamberger/Roth/Faust § 447 Rdn. 26. 12 Palandt-Putzo § 447 Rdn. 5; a. A. Medicus Bürgerliches Recht17 Rdn. 275: Es liege kein „Verlangen des Käufers“ i. S. v. § 447 I vor, da der Verkäufer die Verwendung anbiete. S. hierzu GesBegr BT-Drs 14/6040, S. 244.

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Gefahrtragung. Verwendung, Nutzungen, Lasten, Zinsen, Kosten

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kann z. B. beim Versendungskauf (§ 447) im Einzelfall zu Härten für den Käufer führen. Beispiel: Die trächtige Kuh kalbt schon auf dem Transport zum Käufer und stirbt anschließend. Der Käufer muss den Kaufpreis bezahlen, bekommt aber das Kalb nicht, §§ 447 I, 446 S. 2. Ergeben sich Härten für den Käufer, ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die Parteien entgegen § 446 S. 2 eine anderweitige Aneignungsgestattung vereinbart haben. § 446 S. 2 ist nachgiebiges Recht.

Unter Nutzungen versteht das Gesetz in § 100 die Früchte einer Sache oder eines Rechts i. S. v. § 99 sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt. Unter Lasten sind Steuern, Abgaben, Wasserzins, Schornsteinfegergebühren, Straßenanliegerkosten, Versicherungsprämien zu verstehen, aber auch die Fütterung des Viehs, das Beschneiden von Obstbäumen und dergl. 2. Kosten § 448 nimmt eine Kostenteilung vor. Die Übergabekosten fallen dem Verkäufer, die praktisch wichtigeren Kosten der Abnahme und der Versendung der Sache nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort dem Käufer zur Last. Hier wird der Grundsatz wiederholt, dass beim Versendungskauf der Erfüllungsort unberührt bleibt, der Käufer aber die Kosten der Versendung an den von ihm gewünschten Ablieferungsort übernimmt, vgl. §§ 269 III, 447. Es kommt also wesentlich darauf an, ob eine Holschuld mit Versendung oder eine Bringschuld vereinbart sind. Im Fall der Holschuld mit Versendung trägt der Käufer die Versendungskosten, im Falle einer Bringschuld der Verkäufer. § 448 II regelt die Kostenverteilung im Fall des Grundstückskaufs. Hier trägt der Käufer die Beurkundungskosten für Kaufvertrag und Auflassung sowie die Kosten für die Formalitäten, die zur Eintragung ins Grundbuch erforderlich sind. Für die Übergabekosten bleibt es bei § 448 I, sie sind also vom Verkäufer zu tragen. Die Regeln über Grundstücke gelten gem. § 452 auch für den Schiffskauf. – Beim Rechtskauf trägt der Verkäufer die Kosten der Begründung und Übertragung des Rechts, § 453 II.

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3. Verwendungen, Zinsen Früher existierende Regeln über Verwendungen und Zinsen wurden durch die Schuldrechtsmodernisierung abgeschafft. Es gelten deshalb jetzt die allgemeinen Regeln. Wenn der Verkäufer nach Gefahrübergang, aber vor Übergabe (z. B. Versendungskauf oder Annahmeverzug des Käufers) Verwendungen auf die Sache macht, z. B. das verkaufte Tier füttert, entscheidet in erster Linie der Vertrag darüber, wer für diese Verwendungen aufzukommen hat. Befindet sich der Käufer im Annahmeverzug, ergibt sich der Anspruch des Verkäufers auf Kostensersatz aus § 304. Gleichzeitig kann der Käufer mit seiner Abnahmepflicht (§ 433 II Alt. 2) in Verzug kommen, und Schadensersatz nach den Regeln über den Schuldnerverzug schulden. – Nach altem Recht hatte der Käufer den Kaufpreis ab dem Zeitpunkt zu verzinsen, von welchem ihm die Nutzungen gebührten. Jetzt besteht eine solche Verzinsungspflicht nur unter den allgemeinen Voraussetzungen, also in erster Linie, wenn der Käufer mit der Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises in Schuldnerverzug gerät.13

13 GesBegr BT-Drs 14/6040, 204.

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4. Incoterms 830

In diesem Zusammenhang sind zwei wichtige Klauseln des internationalen Überseeverkehrs („Incoterms“) von Bedeutung: Die Klausel c. i. f. (cost insurance freight) bedeutet, dass der Verkäufer die Kosten der Verladung, der Versicherung während des Transports und der Fracht zum Bestimmungshafen sowie die der Abladung übernimmt. Unberührt bleibt dabei aber der Erfüllungsort. Erfüllungsort ist, wie es der Regel des § 269 entspricht, nach wie vor Schuldnerwohnsitz, also der Sitz des Verkäufers. Die Klausel c. i. f. bedeutet also die Vereinbarung einer Holschuld, bei der die Versendung entgegen § 448 I zu Lasten des Verkäufers geht. Die Gefahr des Transportes bis zum Abgangshafen trägt der Verkäufer, die Gefahr des Seetransports liegt beim Käufer. Die andere verbreitete Klausel lautet f. o. b. (free on board). Hier sichert der Verkäufer die kostenund spesenfreie Verladung der Ware bis an Bord eines Schiffes zu. Dabei wird der Erfüllungsort an Bord des Schiffes verlagert. Der Verkäufer trägt die Gefahr, bis die Ware im Abgangshafen die Reling passiert, RGZ 106, 212.14

5. Nachgiebiges Recht Die gesetzlichen Regeln über den Gefahrenübergang, Nutzungen und die Tragung von Lasten und Kosten sind durchweg nachgiebiger Natur. Die Parteien können anders vereinbaren. Darum ist gerade dieses Feld ein wichtiger Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

§ 71 Sachmängelgewährleistung Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005) 520; Berger, JZ 2004, 276; Brömmelmeyer, JZ 2006, 493; Canaris, JZ 2003, 831; Derleder, NJW 2004, 969; Ebert, NJW 2004, 1761; Ehmann/Sutschet, JZ 2004, 62; Emmerich, FS Honsell (2002) 209; Emmert, NJW 2006, 1765; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118; dies., JZ 2003, 233; Gröschler, NJW 2005, 1601; Gruber, JZ 2005, 707; Gsell, JZ 2002, 1089; Hammen, NJW 2003, 2588; Heiderhoff/Skamel, JZ 2006, 383; P. Huber, NJW 2002, 1004; Jost, Jura 2005, 750; Köhler, JZ 1989, 761; Leenen, § 477 BGB: Verjährung oder Risikoverlagerung? (1997); Lehmann, JZ 2000, 280; ders., DB 2002, 1090; Lettl, JuS 2002, 866; S. Lorenz, NJW 2002, 2497; Müller/Hempel, AcP 205 (2005) 246; Oechsler, NJW 2004, 1825; von Olshausen, ZGS 2002, 194; Recker, NJW 2002, 1247; H. Roth, NJW 2004, 330; Spickhoff, BB 2003, 589; Stöber, Beschaffenheitsgarantien des Verkäufers (2006); Thier, AcP 203 (2003) 399; Tiedtke/Schmitt, JZ 2004, 1092; Tröger, JuS 2005, 503; Wagner, JZ 2002, 475, 1092; Wertenbruch, JZ 2002, 862; ders., NJW 2004, 1977; Windel, Jura 2003, 793; Zimmer/Eckhold, Jura 2002, 145.

I. Leistungsstörungen beim Kauf im Allgemeinen 831

Grundsätzlich können sich bei der Abwicklung eines Kaufs alle Leistungsstörungen im Sinne des allgemeinen Schuldrechts einstellen, nämlich Unmöglichkeit, Schuldnerverzug, Schlechterfüllung und Verletzung von begleitenden Schutzinteressen (§ 241 II, vgl. oben §§ 43 ff). Historisch haben sich außerdem zwei spezielle Arten von Leistungsstörungen entwickelt, nämlich die Sachmängel- und die Rechtsmängelhaftung. Diese folgten nach altem Recht unterschiedlichen Regeln, wobei die Sachmängelhaftung zunächst völlig losgelöst vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht gestaltet war (sog. 14 Über weitere Klauseln zur Bestimmung von Hol- oder Bringschuld siehe oben Rdn. 280 ff. Zu den Incoterms z. B. Grill/Perczynski, Wirtschaftslehre des Kreditwesens, 25. Aufl. 1990, 505 ff. (sehr vollständig).

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 II

ädilizische Rechtsbehelfe: die actio redhibitoria als Wandlungs- und die actio quanti minoris als Minderungsklage, beide verschuldensunabhängig 1). Die Rechtsmängelhaftung war z. T. an die allgemeinen Regeln über Leistungsstörungen angebunden. Die Schuldrechtsmodernisierung hat zu einem radikalen Umbau des Gewährleistungsrechts geführt. Zwar existieren mit den §§ 434 – 445 immer noch speziell kaufrechtliche Regeln über die Gewährleistung. Zum einen unterstehen Sach- und Rechtsmängelgewährleistung aber nun demselben Regime. Zum anderen wurde das Gewährleistungsrecht mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht auf neuartige Weise verbunden. § 433 I 2, wonach der Verkäufer zur mangelfreien Leistung verpflichtet ist, entscheidet sich zwar für die sog. Erfüllungstheorie, nach der mangelhafte Leistung Nichterfüllung, nicht Schlechterfüllung bedeutet. Aber die Folgen einer Verletzung dieser Pflicht bestimmen sich aufgrund der Verweise in § 437 Nr. 2 und 3 nach den allgemeinen Leistungsstörungsregeln, modifiziert durch die §§ 437 Nr. 1, 438 ff. Insoweit hat die früher herrschende Gewährleistungstheorie, welche die Mängelhaftungen des besonderen Schuldrechts als Sondervorschriften zur Schlechterfüllung ansah („erfüllt, aber schlecht erfüllt“), doch noch überlebt. Ein Sachmangel liegt vor, wenn die verkaufte Sache nicht die versprochene oder übliche Qualität aufweist: Die verkaufte Uhr geht nicht. Um einen Rechtsmangel handelt es sich dagegen, wenn der Verkäufer dem Käufer nicht das volle Recht verschaffen kann, das er ihm nach § 433 I schuldet, bzw. wenn Dritte in Bezug auf die Sache Rechte geltend machen können, die vom Käufer im Kaufvertrag nicht übernommen wurden, § 435. Den Hauptfall bildet der Verkauf gestohlener Sachen: V verkauft dem K eine Uhr. Dann stellt sich heraus, dass die Uhr dem E gestohlen wurde. An gestohlenem Gut kann kein Eigentum begründet werden, § 935 I. Man sagt: „Die Uhr ist mit einem Rechtsmangel behaftet.“

Die §§ 434–445 beziehen sich auf den Sachkauf, wobei kein Unterschied zwischen Stück- und Gattungskauf gemacht wird. Durch den Verweis in § 453 I gelten diese Regeln entsprechend auch für den Rechtskauf, nämlich den Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen. Für den Rechtskauf sind in erster Linie die Regeln über die Rechtsmängelgewährleistung einschlägig. Wie § 453 III veranschaulicht, ist aber auch hier die Anwendung von Sachmängelvorschriften relevant. – Gang der Darstellung: Zunächst werden die Vorschriften über die Sachmängelgewährleistung dargestellt. Die Besonderheiten der Rechtsmängelgewährleistung folgen in § 72.

II. Einfluss des Gemeinschaftsrechts: Richtlinienkonforme Auslegung? Die Strukturänderung des Mängelgewährleistungsrechts wurde durch die europäische Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie veranlasst. Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zwar lediglich zur Anpassung ihres Kaufrechts im Verhältnis Unternehmer zu Verbraucher. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich aber im Wege der „großen Lösung“ für eine Reform des Kaufrechts ganz allgemein (s. o. Rdn. 799). Es stellt sich deshalb die Frage, ob das deutsche Kaufrecht nur insoweit richtlinienkonform auszulegen ist, als Verkäufe zwischen Unternehmer und Verbraucher betroffen sind, oder ob auch darüber hinaus ganz allgemein eine Interpretation im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zu erfolgen hat. Gemeinschaftsrechtlich besteht die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nur soweit, wie der Anwendungsbereich der Richtlinie reicht, also nur für den Verbrauchsgüterkauf. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob das deutsche Recht nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch freiwillig hierüber 1 Ulp. D. 21, 1; 23, 9; Iul. D. 44, 2; 25, 1. S. Kaser/Knütel Römisches Privatrecht § 41 Rdn. 38ff.

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§ 71 III 1

Veräußerungsverträge

hinausgeht. Diese Frage ist zu bejahen: Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Reform das Ziel verfolgt, eine Spaltung des Kaufrechts zwischen Verbrauchsgüterkauf einerseits und sonstigem Kauf andererseits möglichst weitgehend zu vermeiden.2 Deshalb ist das deutsche Sachmängelgewährleistungsrecht insgesamt, also auch in seinen „überschießenden“ oder „autonomen“ Teilen im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie auszulegen.3 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die nationalen Gerichte sogar dazu berechtigt, ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG beim Gerichtshof anhängig zu machen, soweit nationales Recht (autonom) auf Gemeinschaftsrecht verweist.4

III. Übersicht zur Sachmängelgewährleistung 1. Rechte des Käufers nach Gefahrübergang 833

Der Verkäufer ist nicht nur verpflichtet, die verkaufte Sache zu übergeben und zu übereignen (§ 433 I 1), er hat die Sache vielmehr auch frei von Sach- (und Rechts-)mängeln zu verschaffen (§ 433 I 2). Die Pflicht zur Mangelfreiheit ist Bestandteil der Erfüllungspflicht des Verkäufers („Erfüllungstheorie“). Kommt er dieser Pflicht nicht nach, begeht er eine Pflichtverletzung. Der Käufer hat dann die in § 437 aufgelisteten Rechte: 1. Er kann Nacherfüllung verlangen, nämlich Nachbesserung oder Nachlieferung, § 439 (wichtige Neuerung der Schuldrechtsreform). 2. Er kann vom Vertrag zurücktreten und die mangelhafte Sache zurückgeben (die frühere „Wandelung“ wurde in ein gesetzliches Rücktrittsrecht umgestaltet). Er kann aber auch beim Vertrag stehen bleiben und Minderung des Kaufpreises geltend machen, § 441. 3. Schließlich kann der Käufer einen Schadensersatzanspruch oder einen Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284) haben. Die Verweise in Nr. 2 und Nr. 3 machen deutlich, dass für das Rücktrittsrecht und den Schadensersatzanspruch die allgemeinen Regeln, also das allgemeine Leistungsstörungsrecht gelten. Diese werden durch einige besondere kaufrechtliche Vorschriften überlagert, wie z. B. durch § 440 über die Entbehrlichkeit der Fristsetzung oder durch die besondere Verjährungsregel des § 438. Hervorzuheben ist, dass der Katalog des § 437 nur die wichtigsten Rechtsbehelfe aufführt. Ein Umkehrschluss ist nicht zulässig. Beispielsweise ist auch im Rahmen des Gewährleistungsrechts § 282 anzuwenden, obwohl er in § 437 Nr. 3 ausgelassen wurde. Das Gleiche gilt für § 285, also den Anspruch auf Herausgabe der Surrogate (s. u. Rdn. 875). Der Nacherfüllungsanspruch sowie das Rücktritts- und Minderungsrecht bestehen unabhängig von einem Vertretenmüssen des Verkäufers. Diese verschuldenslose Haftung ist rechtlich sinnvoll und wirtschaftlich unentbehrlich. Fabrikmäßig hergestellte Waren haben ihre etwaigen Fehler und Mängel schon seit der Herstellung, und das Verschulden hierfür liegt, wenn es überhaupt besteht, auf der Seite des Fabrikanten. Vertragspartner des Käufers ist aber in der Regel der Händler, der die Ware vom Fabrikanten zum Weiterabsatz erhält und keinen Einblick in den Herstellungsvorgang hat. Würde man ein Verschulden als Voraussetzung der Sachmängelgewährleistung verlangen, würde der Käufer nur selten durchdringen. Der Verkäufer könnte sich regelmäßig darauf berufen, dass er mit

2 So ausdrücklich am Beispiel des Fehlerbegriffs GesBegr BT-Drs 14/6040, 211. 3 Canaris FS Bydlinski (2002) 47; Dörner in: Schulze/Schulte-Nölke Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts S. 177 (184); Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (119); S. Lorenz Neues Leistungsstörungs- und Kaufrecht (2004) 15ff. 4 EuGH, 18.10.1990, Verb. Rs. C-297/88 und C-197/89 – Massam Dzodzi, Slg 1990, I-3763 Rdn. 41.

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§ 71 III 3

der Herstellung der Ware nichts zu tun gehabt habe. – Hat der Verkäufer dagegen den Mangel zu vertreten (etwa weil er die Ware unsorgfältig untersucht hat), ist es gerechtfertigt, ihn mit einem Schadensersatzanspruch des Käufers zu belasten. In Bezug auf den Produzenten ist das Produkthaftungsgesetz mit der Einführung einer Gefährdungshaftung noch einen Schritt weitergegangen: Der Produzent haftet auch ohne Verschulden auf Schadensersatz.

2. Rechte des Käufers vor Gefahrübergang Vor Gefahrübergang hat der Käufer die Rechte des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, also beispielsweise Schadensersatzansprüche nach den §§ 280 ff oder ein Rücktrittsrecht nach den §§ 323 ff. Hervorzuheben ist, dass der Käufer zur Annahme einer mangelhaften Sache nicht verpflichtet ist. Das Verweigerungsrecht besteht selbst dann, wenn der Mangel unerheblich i.S. d. §§ 281 I 3, 323 V 2 ist. Zwar könnte der Käufer nach diesen Vorschriften die Sache nicht mehr zurückgeben, wenn er sie einmal angenommen hat, sondern wäre dann auf Minderung (s. § 441 I 2) oder auf kleinen Schadensersatz beschränkt. Diese Beschränkung besteht vor der Annahme der Sache aber nicht. Das unbeschränkte Annahmeverweigerungsrecht beruht darauf, dass der Verkäufer eine mangelfreie Leistung zu erbringen hat.5 Bei unbehebbaren Mängeln ist der Anspruch des Käufers auf mangelfreie Leistung allerdings gem. § 275 ausgeschlossen. Soweit unbehebbare Mängel unerheblich sind, ist er deshalb ausnahmsweise zur Annahme der Sache verpflichtet (§ 433 II Alt. 2).6

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3. Der maßgebliche Zeitpunkt Für die Prüfung der Frage, ob ein Sachmangel vorliegt, ist der Zeitpunkt des Gefahrübergangs entscheidend, § 434 I 1. Sachmängel, die erst nach Vertragsschluss, aber vor Gefahrübergang entstehen, fallen daher unter die Mängelhaftung. Gefahrübergang ist in der Regel die Übergabe, § 446 S. 1, beim Versendungskauf die Auslieferung der Sache an die Transportperson, § 447, ansonsten auch der Annahmeverzug des Käufers, § 446 S. 3 (s. o. Rdn. 820 ff). Im modernisierten Schuldrecht ist der Übergang von den allgemeinen Rechtsbehelfen des Käufers zum Gewährleistungsregime nicht mehr von überragender Bedeutung, da durch die Verzahnung des Gewährleistungsrechts mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht eine weitgehende Vereinheitlichung stattgefunden hat. Dennoch bestehen weiter Unterschiede zwischen Erfüllungsphase und Gewährleistungsphase, z. B. aufgrund der Modifikationen in den §§ 434 III, 438, 439 III, die nur für die Gewährleistungsphase gelten.7 Es muss deshalb der maßgebliche Zeitpunkt bestimmt werden, ab dem die Gewährleistungsvorschriften gelten. Die h. M. stellt hierfür auf denselben Zeitpunkt ab, der auch über das Vorliegen eines Sachmangels entscheidet, also auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs.8 Dies hat allerdings den Nachteil, dass beim Versendungskauf das Gewährleistungsregime bereits mit der Ablieferung der verkauften Sache an die Transportperson beginnt. Der Käufer hätte hier also nicht die Möglichkeit, durch Zurückweisung der Sache im Genuss der allgemeinen Leistungsstörungsregeln zu bleiben. Aus diesem Grund ist für den Übergang in die Gewährleistungsphase auf die Ablieferung der Sache beim Käufer und nicht auf den 5 6 7 8

Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (74); a. A. Jansen ZIP 2002, 877 (878). Coester-Waltjen Jura 2002, 534 (540). Umfassende Darstellung der Unterschiede bei Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (70ff). P. Huber NJW 2002, 1004 (1005); S. Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 497; Palandt/Putzo § 437 Rdn. 49.

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Veräußerungsverträge

Gefahrübergang abzustellen.9 Der Käufer hat es also auch hier in der Hand, durch Verweigerung der Annahme der mangelhaften Sache die Anwendung ihm nachteiliger Gewährleistungsregeln (z. B. § 439 III) abzuwenden. Der Meinungsstreit wird allerdings dadurch relativiert, dass jedenfalls die dem Käufer (beweglicher Sachen) nachteilige Frist des § 438 nach der ausdrücklichen Regelung in § 438 II nicht bereits mit Gefahrübergang, sondern erst mit Ablieferung der Sache beginnt. Vor Ablieferung gilt also die regelmäßige (dreijährige und subjektiv beginnende) Verjährungsfrist der §§ 195, 199. Ab Ablieferung gilt die (zweijährige und objektiv beginnende) Verjährungsfrist des § 438 I Nr. 3, II. Dies gilt auch für den Versendungskauf, Beginn der kurzen Verjährung also noch nicht mit Auslieferung an die Transportperson, sondern erst mit Ablieferung beim Käufer.

IV. Begriff des Sachmangels 1. Vereinbarte Beschaffenheit 836

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Die Definition des Sachmangels in § 434 ist eng an die Vorgabe in Art. 2 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie angelehnt. Nach § 434 I 1 ist die verkaufte Sache frei von Sachmängeln, wenn sie (bei Gefahrübergang) die vereinbarte Beschaffenheit hat. Damit legt das Gesetz im Ausgangspunkt den subjektiven Fehlerbegriff zugrunde.10 Ein Sachmangel liegt vor, wenn die wirkliche Beschaffenheit der Kaufsache (also der tatsächliche Zustand als Ist-Beschaffenheit) von der von den Vertragsparteien vereinbarten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit) in einer für den Käufer nachteiligen Weise abweicht. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt bereits dann vor, wenn die Kaufsache auf eine bestimmte Art und Weise beschrieben wurde. Es ist nicht erforderlich, dass der Verkäufer hierfür eine besondere Einstandspflicht übernimmt (wie es bei der Zusicherung von Eigenschaften nach altem Recht der Fall zu sein hatte). a) Häufigste Mangelform sind die Qualitätsabweichungen (peius = lat.: schlechter): An dem zum Verkauf ausgestellten Gebrauchtwagen wird ein Schild angebracht, auf dem das Baujahr und/oder die gefahrenen Kilometer vermerkt sind. Das Fahrzeug hat in Wirklichkeit aber ein älteres Baujahr oder eine größere Kilometerleistung. – Der Verkäufer gibt einen bestimmten Benzinverbrauch an, der tatsächliche Verbrauch liegt höher.11 – Der Verkäufer bezeichnet das Fahrzeug als „werkstattgeprüft“. Dann müssen alle Defizite beseitigt sein, die bei einer sorgfältigen Untersuchung in einer hierfür ausgerüsteten Werkstatt unter Einsatz der üblichen technischen Hilfsmittel (Hebebühne, Bremsprüfstand) feststellbar waren.12 – Wird ein Grundstück als bebaubar bezeichnet, ist die Erteilung einer Baugenehmigung nach öffentlichem Baurecht aber ausgeschlossen, ist das Grundstück mangelhaft. Gegenbeispiele: Ein Haus wird zum Abbruch, ein Wagen zum Ausschlachten, Bücher als Mängelexemplare verkauft. Hier gehört die „Mangelhaftigkeit“ zur vertraglichen Vereinbarung, so dass kein Sachmangel im Rechtssinn vorliegt.

9 Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 75 f; Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 6: Annahme als Erfüllung i. S. v. § 363. A. A. Canaris, Karlsruher Forum 2002 (2003) S. 5 (72). 10 GesBegr BT-Drs 14/6040, 212. Der subjektive Fehlerbegriff entsprach auch im alten Recht der ganz h. M. Der objektive Fehlerbegriff stellte demgegenüber – ohne Rücksicht auf die Parteivereinbarungen – darauf ab, ob die Sache von den Merkmalen der objektiven Gattung abweicht. Zur Kontroverse zwischen objektivem und subjektivem Fehlerbegriff im alten Recht s. 9. Aufl. Rdn. 701 ff. 11 BGH NJW 1997, 2590. 12 BGH NJW 1983, 2192.

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b) Über die Qualitätsabweichungen hinaus ist aber auch jede andere dem Käufer nachteilige Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit ein Sachmangel. Dies ist z. B. der Fall bei der Individualabweichung: Ein Sachmangel liegt schon dann vor, wenn dem verkauften Einzelstück ein vertraglich geschuldetes individualisiertes Merkmal fehlt. Häufiges Beispiel ist ein Irrtum über die Urheberschaft. Das gekaufte Bild stammt nicht, wie vereinbart, von Jakob I. Ruysdael, sondern von Jakob S. Ruysdael.13 Zwar ist das Bild qualitativ einwandfrei, es stammt aber nun einmal nicht vom vereinbarten Maler. – Einen Sachmangel stellen auch die Artabweichungen dar, bei denen das verkaufte Einzelstück nicht der vertraglich geschuldeten Gattung angehört. Berühmt wurde die „Haakjöringsköd“-Entscheidung des Reichsgerichts: Die als Walfisch verkaufte konkrete Schiffsladung besteht aus einwandfreiem Haifischfleisch.14 Da dies nicht der Vereinbarung entspricht, liegt ein Sachmangel vor. c) Nach altem Recht war beim Gattungskauf die Abgrenzung zwischen peius und aliud heftig umstritten. Liegt ein Sachmangel oder eine Falschlieferung vor, wenn die gelieferten Stücke von der vereinbarten Gattung abweichen, z. B. Lieferung von Winterstatt Sommerweizen 15 oder von Inlandschrott statt Einfuhrschrott 16? Dieser Meinungsstreit hat sich durch § 434 III erledigt, wonach mangelhafte Leistung und Falschlieferung einheitlich dem Mängelgewährleistungsrecht unterstellt werden (s. u. 6). d) Das Vorliegen eines Sachmangels setzt nach § 434 I 1 die Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit voraus. Zur Beschaffenheit gehören einerseits die physischen Eigenschaften der Kaufsache, also Faktoren, die der Kaufsache unmittelbar anhaften, wie z. B. Alter, Größe, Gewicht, Farbe, Material, Authentizität, Energieverbrauch, Höchstgeschwindigkeit, etc. Der Beschaffenheit sind nach der bisherigen Rechtsprechung auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen der Sache zur Umwelt zuzuordnen, soweit sie in der physischen Beschaffenheit der Sache ihren Grund haben, von ihr ausgehen und ihr für eine gewisse Dauer anhaften.17 Entsprechen diese Beziehungen nicht der vertraglichen Vereinbarung, spricht man von einer Umstandsabweichung.

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Beispiele: Verbaute Aussicht; 18 Geruchs- und Lärmbeeinträchtigung eines Grundstücks.

Die Gesetzesbegründung lässt offen, ob solche Umstandsabweichungen auch nach der Schuldrechtsmodernisierung unter den Begriff des Sachmangels fallen.19 Diese Frage ist von Bedeutung, da bei Vorliegen eines Sachmangels die Erfüllungshaftung des § 433 I 2 i. V. m. den §§ 434 ff eingreift. Liegt dagegen kein Sachmangel vor, haftet der Verkäufer für die Umstandsabweichung nur dann auf das positive Interesse, wenn ein besonderer Verpflichtungsgrund, z. B. eine Garantie vorliegt. Anderenfalls kommt nur eine Haftung auf das negative Interesse auf der Grundlage der §§ 311 II, 241 II i. V. m. § 280 I – also aus vorvertraglicher Informationshaftung – in Betracht.20 Es ist sachgemäß, die Beziehungen zur Umwelt insoweit in den Beschaffenheitsbegriff einzubeziehen, als ein Bezug zu den physischen Eigenschaften der Sache besteht. Eine darüber

13 14 15 16 17 18 19 20

RGZ 135, 340. RGZ 99, 147. BGH NJW 1968, 640. BGH NJW 1969, 787. BGH NJW 1992, 2564 m. w. N. RGZ 161, 330 (334). GesBegr BT-Drs 14/6040, 213. Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (123).

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hinausgehende Ausdehnung des Beschaffenheitsbegriffs auf sämtliche Abweichungen von der vertraglichen Vereinbarung ist demgegenüber abzulehnen.21 Beispiele: Ein Sachmangel liegt vor, wenn die gekaufte Sache aufgrund der vertraglichen Vereinbarung nach ihren physischen Merkmalen (z. B. Größe oder technischen Merkmalen) mit einer anderen Sache zusammenpassen soll, dies aber nicht tut (z. B. eine Maschine soll in eine bestimmte Ecke passen (str.); 22 ein bestimmtes Zubehörteil soll mit einem anderen Gerät kompatibel sein). – Kein Sachmangel liegt dagegen vor, wenn im vorherigen Beispiel die Kompatibilität der Kaufsache mit einer anderen Sache keinen Eingang in den Kaufvertrag gefunden hat; der Käufer handelt dann auf eigenes Risiko. Werden dagegen ein Computer und ein Drucker als zusammengehörig gekauft, gehört die Kompatibilität zur Sollbeschaffenheit. – Ein Sachmangel liegt auch dann nicht vor, wenn ein Sachverständigengutachten in Bezug auf die verkaufte Sache in Wirklichkeit nicht vorliegt: Die Existenz des Gutachtens hat keinen Bezug zu den physischen Eigenschaften der Sache. – Zur Beschaffenheit einer Sache gehören deren wertbildende Faktoren (z. B. Echtheit, Material, etc.), nicht aber der Preis oder Wert selbst.

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e) Die Vereinbarung einer bestimmten Beschaffenheit kann im Prinzip ausdrücklich oder konkludent erfolgen.23 Erforderlich ist allerdings, dass sich beide Seiten über die betreffende Beschaffenheit einig sind. Bloß einseitige Vorstellungen einer Partei führen zu keiner Festlegung der Sollbeschaffenheit. Die Annahme einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung darf nicht überdehnt werden, da sonst die Regelung des § 434 I 2 und 3 keinen eigenen Anwendungsbereich mehr hätte. Die Eignung zur vertraglich vorausgesetzten Verwendung (§ 433 I 2 Nr. 1) oder zur gewöhnlichen Verwendung (Nr. 2) lässt sich nämlich auch als konkludente Beschaffenheitsvereinbarung deuten.24 Haben deshalb die Parteien die Beschaffenheit nicht durch ausdrückliche Erklärung festgelegt, wird man im Regelfall auf § 434 I 2 und 3 zurückzugreifen haben. Für die Annahme konkludenter Beschaffenheitsvereinbarungen nach § 434 I 1 bleibt deshalb nur Raum, wenn die Kriterien in § 433 I 2 und 3 nicht weiterhelfen.25 Beschaffenheitsvereinbarungen können ausnahmsweise formbedürftig sein, wenn nämlich für den Vertrag insgesamt eine bestimmte Form vorgeschrieben ist. So erfasst beim Grundstückskaufvertrag das Erfordernis der notariellen Beurkundung (§ 311 b I) auch die Vereinbarung einer bestimmten Beschaffenheit. Die besonders vereinbarte Beschaffenheit muss in der Vertragsurkunde deshalb zumindest „angedeutet“ werden.26

2. Eignung zur nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung 843

Häufig treffen die Vertragsparteien keine besondere Beschaffenheitsvereinbarung, es wird aber zumindest zum Ausdruck gebracht, wofür der Käufer die Sache verwenden möchte. Bleibt dies nicht eine einseitige Vorstellung des Käufers, sondern erklärt der 21 Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (61); Bamberger/Roth/Faust § 434 Rdn. 22 f; Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (123f); a. A. Berger JZ 2004, 276 mit Nachweis der Vertreter des weiten Mangelbegriffs. 22 Der BGH (NJW 1962, 1162 „Kreissäge“) lehnte zum alten Recht Ansprüche aus Sachmängelgewährleistung ab; so auch nach neuem Recht Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (64). Wie hier dagegen Bamberger/Roth/Faust § 434 Rdn. 22. 23 H. Roth NJW 2004, 330. 24 Die Gesetzesbegründung lässt es ausdrücklich offen, ob die Eignung zur vertraglich vorausgesetzten Verwendung eine echte vertragliche Vereinbarung oder aber die Einbeziehung von Parteivorstellungen im Vorfeld des Vertrags darstellt: „Die Formulierung macht jedenfalls deutlich, daß eine konkludente Übereinstimmung der Parteien ausreicht“ (GesBegr BT-Drs 14/6040, 213). 25 Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233 (234). 26 Zur „Andeutungstheorie“ s. Palandt-Heinrichs § 133 Rdn. 19.

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Verkäufer sich hiermit (konkludent) einverstanden, so ist die Sache gem. § 434 I 2 Nr. 1 mangelhaft, wenn sie sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Beispiele: Bei Verkauf eines Grundstücks als „Baugrundstück“ wird die tatsächliche Bebaubarkeit vertraglich vorausgesetzt; Verkauf von Billardtischen zur Veranstaltung eines offiziellen Turniers, die Tische haben aber nicht die vorgeschriebenen Turniermaße; Sportschuhe werden „zur Verwendung in der Halle“ gekauft, sie eignen sich aber nur für draußen.

3. Eignung zur gewöhnlichen Verwendung Beim Verkauf von Konsumgütern im Massengeschäft wird in der Regel weder eine besondere Beschaffenheit vereinbart, noch über eine besondere Verwendungsart gesprochen. Der gekaufte Apfel soll einfach nicht faul sein, der Fernseher soll funktionieren und der gekaufte Gebrauchtwagen soll fahrtüchtig sein. Die Sollbeschaffenheit der Kaufsache in diesen Fällen wird durch § 434 I 2 Nr. 2 bestimmt, wonach (kumulativ) zwei Kriterien gelten: Die Sache ist vertragsgemäß, wenn sie sich a) für die gewöhnliche Verwendung eignet und b) eine übliche und erwartungsgemäße Beschaffenheit aufweist. Weder ein fauler Apfel, noch ein nicht funktionierender Fernseher oder ein sofort ausfallender Gebrauchtwagen erfüllen diese Kriterien. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift ist bei dem zweiten Kriterium auf die Beschaffenheit abzustellen, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist. Dies zwingt zu Differenzierungen insbesondere zwischen neuen und gebrauchten Sachen. Was man von einem Gebrauchtwagen erwarten kann, hängt nicht vom Standard eines Neuwagens, sondern von der Vergleichsgruppe ähnlicher Gebrauchtwagen ab. Beispiele: Bei Gebrauchtwagen gehört zur üblichen Beschaffenheit, dass sie „unfallfrei“ sind, dass jedenfalls keine Unfallschäden vorliegen, die über bloße Bagatellschäden hinausgehen. – Lebensmittel sind schon dann mangelhaft, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten wurde, auch wenn das Erzeugnis (noch) einwandfrei ist; es kann dem Verbraucher nicht zugemutet werden, das Produkt erst einmal auszuprobieren. – Ein Computer muss virenfrei sein und darf nicht ständig abstürzen. – Möbel dürfen nicht chemisch verseucht sein, z. B. mit Formaldehyd. – Ganz allgemein müssen gekaufte Sachen den öffentlichen Vorschriften (z. B. dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz – GPSG) und den einschlägigen Normen (z. B. DIN) entsprechen. Gegenbeispiele: Keinen Sachmangel stellen bei gebrauchten Sachen die gewöhnlichen Verschleißerscheinungen dar. – Ein Neuwagen ist dann noch „fabrikneu“, wenn zwischen Herstellung des Wagens und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen, keine standbedingten Mängel vorliegen und das betreffende Modell noch gebaut wird.27 – Druckfehler im Buch – Schlechtes Abschneiden bei einem Warentest (außer wenn hieraus die Nichteignung zur gewöhnlichen Verwendung oder die Abweichung von der üblichen Beschaffenheit folgt).

Ein Sachmangel braucht nicht nachweislich vorzuliegen; es genügt ein nicht mit zumutbaren Mitteln auszuräumender Verdacht der Mangelhaftigkeit, der die Ware unverkäuflich macht, z. B. Salmonellenverdacht bei Fleisch, das zum Weiterverkauf bestimmt ist,28 oder Glykolverdacht bei Wein.29

27 BGH NJW 2004, 160. 28 BGHZ 52, 51. 29 BGH NJW 1989, 218: Allerdings stellt ein solcher Verdacht keinen Sachmangel mehr dar, wenn er sich nachträglich als unbegründet herausstellt. Ist dann das Schuldverhältnis noch nicht abgewickelt, wurde mangelfrei erfüllt. S. auch BGH RIW 2005, 547: Dioxinverdächtiges Fleisch ist jedenfalls dann nicht vertragsgemäß i. S. des UN-Kaufrechts, wenn öffentlich-rechtliche Maßnahmen die Handelbarkeit der Ware ausschließen.

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Die Kriterien 1, 2 und 3 stehen in einem Stufenverhältnis. Die Sollbeschaffenheit bestimmt sich in erster Linie nach der vertraglichen Beschaffenheit. Nur „soweit“ keine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt, ist auf die Eignung zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung abzustellen. Erst wenn diese nicht zu ermitteln ist, ist die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung einschlägig (s. das Wort „sonst“ in § 434 I 2 Nr. 1 a. E.).

4. Werbeangaben 845

In die Bestimmung der gewöhnlichen Verwendung, bzw. der üblichen Beschaffenheit fließen nach der ausdrücklichen Regelung in § 434 I 3 auch die öffentlichen Äußerungen ein, die z. B. in der Werbung oder bei der Kennzeichnung der Sache gemacht wurden. Diese auf Art. 2 II d) der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zurückgehende Regelung wurde durch die Schuldrechtsmodernisierung eingeführt und hat die Verantwortung für Werbeangaben erheblich ausgebaut. Der Käufer darf berechtigterweise erwarten, dass die gekaufte Sache diejenigen Eigenschaften besitzt, die in der Werbung angepriesen wurden. Die Form der öffentlichen Äußerung ist unerheblich, es kann sich um Fernsehen oder Radio, Zeitungen und Zeitschriften, Plakate oder das Internet handeln. Zur Kennzeichnung eines Produkts gehört auch die beiliegende Gebrauchsanweisung. Wichtig ist, dass in die Vertragsgemäßheit des Produkts nicht nur die öffentlichen Äußerungen des Vertragspartners, also des Verkäufers einfließen, sondern auch diejenigen des Herstellers und seiner Gehilfen, wie z. B. einer Werbeagentur. Der Verkäufer hat also auch für Äußerungen einzustehen, die er selber gar nicht gemacht hat. Beispiele: Der Autohersteller gibt für einen Fahrzeugtyp einen bestimmten Kraftstoffverbrauch an. Der Produzent von Computer-Hardware bewirbt den hohen Auflösungsgrad eines Bildschirms. Der Hersteller von elektrischen Rasierapparaten bewirbt deren Selbstreinigungsmechanismus. – In all diesen Fällen bestimmen die Angaben des Herstellers die Sollbeschaffenheit der Sache im Verhältnis Verkäufer zu Käufer.

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Eine Ausnahme gilt nach § 434 I 3 a. E. nur dann, wenn der Verkäufer die öffentlichen Äußerungen nicht kannte und auch nicht kennen musste, wenn sie bei Vertragsschluss schon wieder in gleichwertiger Weise (also z. B. durch ein Medium gleicher Verbreitung) berichtigt waren, oder wenn sie für den Kaufentschluss unerheblich waren. Die Anforderungen an den Verkäufer bezüglich des Kennenmüssens (§ 122 II) werden relativ streng sein: Auf öffentliche Äußerungen über ein Produkt, das er zum Verkauf anbietet, wird der Verkäufer ein besonders waches Auge haben müssen. Andererseits kann man von ihm nicht verlangen, sämtliche Werbewege zu verfolgen. Die Grenzziehung bereitet Schwierigkeiten; der Verkäufer hat zu beweisen, dass seine Unkenntnis nicht auf Fahrlässigkeit beruht („es sei denn“). – Hat der Verkäufer sich im Verkaufsgespräch von einer Werbeangabe des Herstellers distanziert, so liegt zwar keine Berichtigung „in gleichwertiger Weise“ vor, die Werbeangabe konnte dann aber nicht mehr die Kaufentscheidung beeinflussen, § 434 I 3, letzte Alternative. Werbung enthält nicht nur sachliche Aussagen, sondern viele gefühlsbetonte Elemente. Im Rahmen der Sachmängelhaftung sind lediglich die öffentlichen Äußerungen über konkrete Produkteigenschaften zu berücksichtigen.30 Ist unklar, ob eine bestimmte Werbung eine solche konkrete Aussage treffen möchte, ist nicht auf den flüchtigen, sondern auf den verständigen Rezipienten abzustellen.31 Werden völlig übertriebene oder

30 M. Lehmann JZ 2000, 280 (284). 31 Dies ergibt die richtlinienkonforme Auslegung: Art. 2 II d der Verbrauchsgüterkauf-RiLi spricht von der Qualität, „die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann“.

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reißerische Aussagen gemacht, die der Käufer vernünftigerweise nicht als Aussage über eine konkrete Eigenschaft deuten darf, fließen sie nicht in die Bestimmung der Sollbeschaffenheit ein. Beispiele: „Das Getränk x verleiht Flügel“. „Das Waschmittel y wäscht weißer als weiß“: Weil sich diese Aussagen vernünftigerweise nicht auf konkrete Produkteigenschaften beziehen können, beeinflussen sie die Sollbeschaffenheit nicht.

5. Montagemängel § 434 II enthält Beispiele für Sachmängel, die im Vergleich zum sonstigen Abstraktionsgrad des BGB ungewohnt speziell sind. Die Regelung beruht auf Art. 2 V der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und unterscheidet zwei unterschiedliche Mangelformen: War die Montage einer (komplexen) Kaufsache nach dem Kaufvertrag Bestandteil der Verkäuferpflichten, so liegt bei unsachgemäßer Ausführung der Montage ein Sachmangel vor. Ein Sachmangel liegt unabhängig davon vor, ob die falsche Montage zu einer Beschädigung der Kaufsache führt oder nicht.32

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Beispiel: Die inklusive Aufbau zu Hause gekaufte Schrankwand wird vom Verkäufer nicht korrekt zusammengeschraubt und wackelt. Dieser Defekt stellt zwar bereits einen Sachmangel i. S. v. § 434 I 2 Nr. 2 dar, hat in § 434 II 1 aber eine Spezialregelung erfahren. Für das Vorliegen eines Sachmangels ist es unerheblich, ob die mangelhafte Montage zu einer Beschädigung der Sache (Risse, Kratzer, etc.) führt oder nicht.

Eine andere Form des Montagemangels beschreibt die „IKEA-Klausel“ des § 434 II 2. Soll nicht der Verkäufer, sondern der Käufer (oder ein anderer) die in Einzelteilen gelieferte Kaufsache zusammenbauen, liegt ein Sachmangel schon dann vor, wenn die Montageanleitung mangelhaft ist. Dies gilt nicht, wenn trotz mangelhafter Anleitung eine fehlerfreie Montage gelingt. Beispiel: Die Schrankwand soll nicht vom Verkäufer oder seinen Erfüllungsgehilfen, sondern vom Käufer selbst aufgebaut werden. Die Montageanleitung gibt für die verschiedenen Arbeitsschritte eine falsche Reihenfolge vor. Oder: Die Anleitung ist für einen nicht unerheblichen Teil der Käufer unverständlich. Gelangt der Käufer dennoch zu einem korrekten Aufbau der Sache, liegt kein Sachmangel vor.

Eine mangelhafte Montageanleitung liegt auch dann vor, wenn die beigefügte Anleitung an sich korrekt ist, sich aber auf eine andere Sache bezieht, oder wenn eine Montageanleitung gänzlich fehlt. – Gebrauchs- oder Bedienungsanleitungen sind den Montageanleitungen nicht gleichzustellen. Hier ist der Ausschlussgrund der fehlerfreien Montage nicht sinnvoll. Insofern ist aber der allgemeine Mangelbegriff des § 434 I einschlägig.33 6. Aliud-Lieferung und Quantitätsabweichungen a) Aliud-Lieferung Gem. § 434 III steht es einem Sachmangel gleich, wenn der Verkäufer „eine andere Sache“ liefert. Die Fälle der aliud-Lieferung sollen hierdurch einheitlich dem Sachmängelgewährleistungsrecht unterstellt werden. Hiermit hat die Schuldrechtsmodernisie32 GesBegr BT-Drs 14/6040, 215. 33 Bamberger/Roth/Faust § 434 Rdn. 96; Coester-Waltjen Jura 2002, 534 (540). A. A. Emmerich BGB SchR BT § 4 Rdn. 27; Erman/B. Grunewald § 434 Rdn. 58: Gleichstellung von Bedienungs- und Montageanleitung.

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rung einen vorher nur im Handelsrecht geltenden Grundsatz (§ 378 HGB a. F.) ins allgemeine Zivilrecht überführt. Wird im Fall der Stückschuld eine andere Sache geleistet (sog. „Identitäts-aliud“), gelten also für den Anspruch auf Lieferung der eigentlich geschuldeten Sache nicht mehr die allgemeinen Regeln, sondern die speziellen Gewährleistungsvorschriften, z. B. die kurze Verjährung des § 438.34 Bei der Gattungsschuld fallen die Schwierigkeiten weg, die sich vor der Schuldrechtsmodernisierung hinsichtlich der Abgrenzung von Falsch- und Schlechtlieferung stellten (s. o. Rdn. 839). Ohne Rücksicht auf das Kriterium der „Genehmigungsfähigkeit“ führen Qualitäts- und Artabweichungen auch hier stets zur Anwendung der Gewährleistungsvorschriften. Voraussetzung ist lediglich, dass der Verkäufer die Leistung als Erfüllung seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag erbracht, also zumindest konkludent eine entsprechende Tilgungsbestimmung vorgenommen hat.35 Die Reichweite der Einbeziehung von Falschlieferungen in den Mangelbegriff ist zuweilen problematisch. Relativ einfach sind die extrem gelagerten (Lehrbuch-)Fälle zu lösen: Ist Sachmängelgewährleistungsrecht z. B. auch dann anwendbar, wenn eine Waschmaschine verkauft wird, aber ein Gemälde geliefert wird? Hier wird die Leistung in aller Regel nicht zur Erfüllung der Pflicht aus dem Kaufvertrag erbracht. Es liegt also keine aliud-Lieferung i. S. v. § 434 III, sondern eine Nichterfüllung vor. – Anders sind die Fälle zu beurteilen, in denen die geschuldete und die tatsächlich erbrachte Leistung näher beieinander liegen. Z. B. wird ein bestimmter VW verkauft, versehentlich aber ein BMW geliefert. Für den Käufer ist es nicht unbillig, hier Sachmängelgewährleistungsrecht, also z. B. die kurze Verjährungsfrist des § 438 anzunehmen. Wie aber verhält es sich, wenn der BMW mehr wert ist als der VW und der Käufer keine Gewährleistungsrechte geltend macht? Kann der Verkäufer in diesem Fall den BMW zurückverlangen? Dies erscheint nur billig, da sich die Höhe des Kaufpreises durch die Falschlieferung nicht ändert und der Verkäufer deshalb ein berechtigtes Interesse an der Rückforderung hat. Ein Anspruch aus § 812 I 1 Alt 1 scheitert daran, dass die Lieferung des BMW ihren Rechtsgrund im Kaufvertrag hat, und zwar auch dann, wenn ein Mangel – hier i. S. v. § 434 III – vorliegt.36 Im Fall der versehentlichen Lieferung einer anderen Sache hat der Verkäufer aber die Möglichkeit, die Tilgungsbestimmung wegen Irrtums anzufechten (i. d. R. Eigenschaftsirrtum i. S. v. § 119 II).37 Der Bezug zum Kaufvertrag wird hierdurch zerstört; der Leistungskondiktion steht nichts mehr im Wege.

Das Bestehen eines Kaufvertrags unterscheidet die Fälle der aliud-Lieferung von der Lieferung unbestellter Sachen i. S. v. § 241a. § 434 III sollte deshalb als lex specialis im Verhältnis zu § 241a angesehen werden. Es kommt in diesen Fällen also nicht zum Anspruchsauschluss nach § 241 a I (str.).38

34 A. A. Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (68 ff), der auf das Identitäts-aliud die Nichterfüllungsregeln anwenden, § 434 III also im Wege der teleologischen Reduktion der Gattungsschuld vorbehalten möchte. Das neue Kaufrecht möchte demgegenüber die gewährleistungsrechtlichen Differenzierungen zwischen Stück- und Gattungsschuld beseitigen. Die Anwendung der kurzen Verjährung auf das Identitäts-aliud erscheint auch nicht unbillig, da der Käufer eine solche Abweichung schnell bemerken kann. 35 GesBegr BT-Drs 14/6040, 216. 36 Anders S. Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 493, die ohne den Umweg über die Anfechtung den Anspruch aus Leistungskondiktion bejahen. Anders auch Canaris in Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (66f), der in diesen Fällen das Vorliegen einer entsprechenden Tilgungsbestimmung verneint. 37 Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 197. 38 Emmerich BGB SchR BT § 4 Rdn. 30; Palandt/Heinrichs § 241 a Rdn. 4: Anspruchsausschluss nur bei absichtlicher Falschlieferung.

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b) Quantitätsabweichungen Die Gleichstellung in § 434 III erfasst auch den Fall der Lieferung einer zu geringen Menge, also einer dem Käufer nachteiligen Quantitätsabweichung („Mankoleistung“). Werden 1000 Flaschen verkauft, aber nur 950 geliefert, liegt deshalb ein Sachmangel vor. Den Anspruch auf Lieferung der restlichen 50 Flaschen kann der Käufer nur als Nacherfüllungsanspruch, nicht mehr als primären Erfüllungsanspruch geltend machen, wobei die kurze Verjährung des § 438 gilt. – Die Regelung des § 434 III gilt nicht im Rahmen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, also nicht für die §§ 281 I 2, 3 und § 323 V (str., s. o. Rdn. 383 f). – Umstritten ist, ob § 434 III nur dann einschlägig ist, wenn die geringere Menge als Erfüllung der gesamten Verbindlichkeit geleistet worden ist („verdeckte Mankoleistung“),39 oder auch dann, wenn von vornherein nur die Begleichung eines Teils der Verbindlichkeit beabsichtigt ist (Teilleistung, bzw. „offene Mankoleistung“).40 Überzeugender erscheint die erste Auffassung: Wenn deutlich zum Ausdruck kommt, dass durch die Leistung nur ein Teil der Verbindlichkeit getilgt werden soll, bleibt der ursprüngliche Erfüllungsanspruch (mit der Regelverjährung der §§ 195, 199) bestehen.

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Werden im Beispielsfall also die 950 Flaschen in der erkennbaren Absicht geliefert, die gesamte Verbindlichkeit zu erfüllen, liegt ein Sachmangel i. S. v. § 434 III vor (die Gewährleistungsansprüche unterliegen der kurzen Verjährung des § 438). Bringt der Verkäufer hingegen zum Ausdruck, dass er momentan nur 950 Flaschen liefern könne, die 50 fehlenden aber später nachliefern werde, liegt eine Teilleistung vor. Der Käufer kann diese entweder gem. § 266 zurückweisen (wenn keine abweichende Parteivereinbarung vorliegt oder die Zurückweisung im Einzelfall nicht treuwidrig ist). Oder er nimmt die Teilleistung an und hat noch seinen primären Erfüllungsanspruch in Bezug auf die 50 Flaschen, welcher der Regelverjährung unterliegt.

§ 434 III ist nicht einschlägig, wenn die Quantitätsabweichung außer dem „zu wenig“ noch eine andere Fehlerquelle birgt. Dann liegt ein Sachmangel i. S. v. § 434 I vor.

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Beispiel: Wer 3,20 m Stoff für ein Kleid kauft und nur 3,00 m erhält, so dass aus dem Schneidern nichts wird, hat einen Sachmangel i. S. v. § 434 I erlitten. – Das gleiche gilt, wenn zu kurze Bretter oder zu kleine Kleidungsstücke geliefert werden.

Die Vorschrift erfasst nur die Zuwenig- nicht aber die Zuviellieferung.41 Leistet der Verkäufer mehr als geschuldet, kann er gem. § 812 I 1 Alt 1 kondizieren, nicht aber für die zu viel geleistete Menge einen Kaufpreis verlangen. Wie bei der Mankoleistung ist § 241a nicht einschlägig, da ein wirksamer Kaufvertrag besteht. Auch im Verhältnis Unternehmer – Verbraucher ist die Kondiktion des zuviel geleisteten also nicht ausgeschlossen. 7. Garantie a) Anwendungsbereich Die §§ 433 I 2, 434 stellen das gesetzliche Minimalprogramm auf: Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sachmängeln zu verschaffen. Über diese Mindestanforderungen kann der Verkäufer hinausgehen, indem er eine Garantie abgibt, § 443. Eine Garantie ist eine vertragliche Vereinbarung, durch welche die Rechte des Käufers im 39 So Bamberger/Roth/Faust § 434 Rdn. 113; S. Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 496. 40 So Windel Jura 2003, 793 (794 f). 41 Bamberger/Roth/Faust § 434 Rdn. 117.

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Vergleich zu seinen gesetzlichen Rechten ergänzt und gestärkt werden. § 443 spricht die Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantien an, aber selbstverständlich können aufgrund der Vertragsfreiheit Garantien über jedes Thema abgegeben werden. § 443 spricht zwar nur von Sachen; eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den Rechts- oder Unternehmenskauf oder andere Formen der Garantie ist aber geboten. § 443 I stellt klar, dass dem Käufer die Rechte aus der Garantie „unbeschadet der gesetzlichen Ansprüche“ zustehen.42 Die Rechte aus § 437 werden also durch die Abgabe der Garantie nicht berührt, sondern lediglich erweitert. – Zur Einräumung einer Garantie ist nicht die Benutzung des Wortes „Garantie“ erforderlich. Entscheidend ist, dass der Garantiegeber zum Ausdruck bringt, dass er für die betreffende Beschaffenheit oder Haltbarkeit „voll einstehen“ möchte, dass er sie „zusichert“. Damit erstreckt sich die Garantie auf einen Anwendungsbereich, der vor der Schuldrechtsmodernisierung durch die „zugesicherte Eigenschaft“ abgedeckt wurde. Die Zusicherung einer Eigenschaft war eine der Fallgruppen, in denen der Käufer zu einem Schadensersatzanspruch gelangen konnte, der verschuldensunabhängig ausgestaltet war (§ 463 a. F.). Werden bestimmte Eigenschaften zugesichert, so kann es sich nach neuem Recht um eine bloße Beschaffenheitsvereinbarung i. S. v. § 434 I 1 oder um eine darüber hinausgehende Beschaffenheitsgarantie handeln.43 Liegt die garantierte Beschaffenheit nicht vor, kann es auch nach modernisiertem Schuldrecht zu einer verschuldensunabhängigen Schadensersatzhaftung kommen, wenn nämlich die Garantie eine solche vorsieht, § 276 I 1. Dies ist bei einer Garantieübernahme in der Regel der Fall, außer wenn der Garantiegeber seine Einstandspflicht ausdrücklich von einem Verschulden abhängig gemacht hat.44 Die Nichteinhaltung garantierter Eigenschaften ist zudem nie unerheblich i. S. v. 281 I 3, 323 V 2, so dass der Käufer (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) auf großen Schadensersatz und/oder Rücktritt gehen kann.45 – Der Begriff der Garantie taucht außerdem in den §§ 442 I 2, 444, 445 und 477 auf. Die Einfügung der Vorschriften über die Garantie beruht auf der VerbrauchsgüterkaufRiLi, insbesondere deren Art. 6.

b) Selbständige und unselbständige Garantie 852

Meistens wird die Garantie durch den Verkäufer eingeräumt. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 443 I kann Garantiegeber aber auch ein Dritter sein, häufig der Hersteller („Herstellergarantie“). In diesem Fall erklärt der Hersteller über den Verkäufer (als Stellvertreter oder Bote) dem Käufer das Angebot zum Abschluss eines Garantievertrags (z. B. durch eine dem Produkt beigefügte Garantiekarte). Die Annahme dieses Angebots durch den Käufer erfolgt nach § 151. Da hier ein vom Kaufvertrag getrennter Garantievertrag vorliegt, spricht man von einem selbständigen Garantievertrag. Aber auch, wenn der Garantievertrag zwischen Verkäufer und Käufer abgeschlossen wird, wird herkömmlich zwischen der unselbständigen und der selbständigen Garantie unterschieden. Die unselbständige Garantie ist die Erweiterung der gewährleistungsrechtlichen Verkäuferhaftung zugunsten des Käufers, z. B. Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist oder Haftung auch für Sachmängel, die erst nach Gefahrübergang auftreten. Die selbständige Garantie schafft demgegenüber eine eigene

42 Der Begriff „Ansprüche“ ist dabei nicht technisch i. S. v. § 194 I zu verstehen, sondern erfasst auch die gewährleistungsrechtlichen „Rechte“, die nicht Ansprüche sind, nämlich Rücktritt und Minderung, Hammen NJW 2003, 2588 ff. 43 S. Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (82). 44 Canaris, ebd. Für hohe Anforderungen an eine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht dagegen Bamberger/Roth/Faust § 443 Rdn. 30, 35. 45 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 223.

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Haftungsgrundlage außerhalb des Gewährleistungsrechts. § 443 erfasst sowohl die selbständige als auch die unselbständige Garantie, wie die Einbeziehung der Herstellergarantie zeigt (str.).46 c) Inhalt der Garantie Der Inhalt der Garantierechte ergibt sich gem. § 443 I aus der Garantieerklärung und der einschlägigen Werbung. Werbeangaben haben also nicht nur Bedeutung für den Sachmangelbegriff (§ 434 I 3), sondern auch für die nähere Ausgestaltung der Garantie. Für den Inhalt der Garantie gibt es somit keine allgemeinen Vorgaben; er ist vielmehr durch Auslegung der Garantieerklärung zu bestimmen. Wenn die Garantieerklärung keine Angaben hierzu enthält, hat der Käufer alle im Gesetz bei Sachmängeln vorgesehenen Rechte, § 437 analog.47 Die Beschaffenheitsgarantie muss sich nicht auf alle Eigenschaften der Kaufsache beziehen, sondern kann sich auf einzelne Teile oder bestimmte Eigenschaften beschränken („beschränkte Garantie“). Für Beschaffenheit und Haltbarkeit wird stets eine Garantiefrist bestimmt. Diese muss nicht notwendigerweise in einem bestimmten Zeitraum bestehen, sondern kann auch durch andere Angaben festgelegt werden, z. B. durch die Kilometerleistung eines Fahrzeugs oder die Betriebsstunden einer Maschine. Wird die Garantie für einen bestimmten Zeitraum übernommen, kann auch der Beginn der Garantiefrist individuell festgelegt werden. Wird keine Aussage über den Fristbeginn getroffen, beginnt die Frist in der Regel mit Übergabe der Sache an den Käufer.48 Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit Garantien sind auch Fragen der Beweislast. § 443 II enthält in Bezug auf Haltbarkeitsgarantien die widerlegliche Vermutung, dass ein in der Garantiezeit auftretender Sachmangel die Rechte aus der Garantie begründet. Die Regelung hat folgenden Hintergrund: Haltbarkeitsregeln beziehen sich in aller Regel nicht auf Mängel, auf die der Verkäufer oder Hersteller keinen Einfluss hat, z. B. auf Verschlechterungen, die vom Käufer verschuldet werden, oder die auf dem Verhalten von Dritten oder auf Zufall beruhen. § 443 II legt als Regelfall zugrunde, dass der Sachmangel nicht auf solchen externen Faktoren beruht, sondern dem Verantwortungsbereich des Verkäufers zuzuweisen ist. Macht der Käufer also seine Rechte aus der Haltbarkeitsgarantie geltend, ist es Sache des Verkäufers nachzuweisen, dass der Mangel auf unsachgemäßem Verhalten des Käufers oder auf externen Einwirkungen beruht.

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d) Garantiefrist; Verjährung Aus der Garantieerklärung folgt auch die Länge der Garantiefrist. Da die Garantie vom Verkäufer oder vom Dritten freiwillig übernommen wird, kann die Garantiefrist

46 Zum Garantievertrag als Innominatvertrag (unbenannter Vertrag) s. Rdn. 1358ff. S. auch die Stellungnahme des Bundesjustizministeriums ZGS 2003, 307ff; Palandt/Putzo § 443 Rdn. 5; für die Abschaffung der Unterscheidung von selbständiger und unselbständiger Garantie Bamberger/ Roth/Faust § 443 Rdn. 12. Nach Brox/Walker Besonderes Schuldrecht § 4 Rdn. 115f erfaßt § 443 nur die unselbständige Garantie. 47 GesBegr BT-Drs 14/6040, 239: jedenfalls bei einer Garantie des Verkäufers. Bei der Herstellergarantie sind einzelne Rechte u. U. unpassend, z. B. Rücktritt und Minderung, s. Bamberger/ Roth/Faust § 443 Rdn. 34. 48 GesBegr BT-Drs 14/6040, 239.

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Veräußerungsverträge

beliebig ausgestaltet werden. Folgende Varianten sind in der Praxis von besonderer Bedeutung: aa) Wird lediglich die „gesetzliche Garantie“ übernommen, liegt keine Garantie im Rechtssinn vor, sondern wird lediglich die gesetzliche Sachmängelgewährleistung aufrechterhalten. bb) Werden längere Fristen als die in § 438 genannten mit dem Garantieversprechen gewährt, ergibt sich aber aus dem Inhalt des Garantieversprechens, dass sachlich nicht über den Bereich der Sachmängelgewährleistung hinausgegangen werden soll, so handelt es sich bei dem Garantieversprechen einfach um eine Verlängerung der in § 438 genannten kurzen Verjährungsfrist (Form der unselbständigen Garantie). Das ist z. B. der Fall, wenn es heißt: „Drei Jahre Garantie“. Verjährungsbeginn ist wie in § 438 II die Ablieferung der Sache, nicht erst die Entdeckung des Mangels. cc) Denkbar ist auch, dass zusätzlich zu der Sachmängelgewährleistung eine Garantie zur Verstärkung der Sachmängelgewährleistung übernommen wird. Das bietet sich namentlich an, wenn für bestimmte Eigenschaften der Sache eine besondere Garantie versprochen wird. Es muss sich aus den Erklärungen des Verkäufers, mit denen sich der Käufer einverstanden erklären muss, mit Deutlichkeit ergeben, dass er für einen besonderen Erfolg einstehen will. Der Verkäufer will für die während der Garantiefrist auftretenden Mängel einstehen (ebenfalls eine Form der unselbständigen Garantie). Die Verjährungsfrist richtet sich nach § 438 (str.),49 sie beginnt (entgegen § 438 II) aber erst mit Entdeckung des Mangels (str.).50 Beispiel: Für eine Haushaltsmaschine werden drei Jahre Garantie auf bestimmte Maschinenteile ausgesprochen. Zeigt sich in dieser Zeit ein Mangel der betreffenden Teile, hat der Käufer die Rechte aus der Garantie. Diese verjähren gem. § 438 I Nr. 3 in zwei Jahren ab Entdeckung des Mangels. Durch das Zusammenwirken von Garantiefrist und Verjährungsfrist können Rechte aus der Garantie in diesem Fall also noch bis zu fünf Jahren nach Lieferung geltend gemacht werden. Grob fahrlässige Unkenntnis des Mangels ist der Kenntnis gleichzustellen.51

dd) Die selbständige Garantie steht neben dem Kaufvertrag und unterliegt deshalb den allgemeinen Regeln.52 Es ist nicht die kurze Verjährung des § 438, sondern die Regelverjährung anwendbar, §§ 195, 199 (str.).53 Beispiele: Umsatzgarantie beim Verkauf einer Gastwirtschaft oder einer Fabrik; Absatzgarantie beim Verkauf eines Steinbruchs; Liefergarantie für Rohmaterial beim Verkauf einer zur Bearbeitung dieses Materials bestimmten Maschine; allgemein die selbständige Garantie des Herstellers, der nicht Vertragspartei ist, z. B. die Mehrjahresgarantie der Kfz-Hersteller.54

ee) Da die Abgrenzung zwischen den vorstehenden Fallgruppen im Einzelfall schwierig sein mag, die Modalitäten der Garantiehaftung zudem im Detail höchst umstritten sind, empfiehlt es sich für den Garantiegeber, in der Garantieerklärung die

49 A. A. Palandt/Putzo § 443 Rdn. 15: regelmäßige Verjährungsfrist (§§ 195, 199). Wie hier Bamberger/Roth/Faust § 443 Rdn. 31. 50 BGHZ 75, 81; a. A. Mansel/Budzikiewicz Das neue Verjährungsrecht (2002) § 5 Rdn. 178: Beginn der (längeren) Verjährungsfrist bereits mit Ablieferung wie in § 438 II. 51 Bamberger/Roth/Faust § 443 Rdn. 31. Anders BGH NJW 1983, 392: vollumfängliche Kenntnis des Mangels. 52 Zum Garantievertrag als sicherndes Versprechen s. Rdn. 1358ff. 53 Zum alten Recht s. MüKo/Westermann 3 § 459 Rdn. 96; a. A. Bamberger/Roth/Faust § 443 Rdn. 31, 36: § 438. 54 Vgl. BGH NJW 1981, 275.

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Voraussetzungen, den Umfang und die Dauer seiner Garantiehaftung so präzise wie möglich zu bestimmen. 8. Beweislast Die Verteilung der Beweislast richtet sich nach § 363.55 Bis zur Annahme der Leistung als Erfüllung hat der Verkäufer zu beweisen, dass die Sache frei von Sachmängeln ist. Danach liegt die Beweislast beim Käufer. Beweisrechtlich ist dem Käufer also zu raten, eine Sache vor der Annahme als Erfüllung zu untersuchen und bei Entdeckung eines Mangels zurückzuweisen. Die Beweislast für die Mangelfreiheit verbleibt dann beim Verkäufer. Auch vor Annahme muss der Käufer allerdings beweisen, dass eine besondere Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt, aufgrund derer eine Sache mit üblicher Beschaffenheit gleichwohl mangelhaft ist.

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V. Rechte des Käufers im Gewährleistungsfall Ist die Sache mangelhaft, ist der Käufer zur Entgegennahme nicht verpflichtet. Er kann die Annahme ablehnen (ohne in Annahmeverzug zu geraten) und die Zahlung des Kaufpreises gem. § 320 verweigern (s. bereits oben Rdn. 834). Nimmt er die mangelhafte Sache an, hat der Käufer die in § 437 aufgeführten Rechte (s. hierzu bereits oben Rdn. 833). Die Auflistung bringt die enge Anbindung des Gewährleistungsrechts an das allgemeine Leistungsstörungsrecht zum Ausdruck. Es gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 280–284, 311 a, 323, 326 V, überlagert durch die kaufrechtlichen Sonderbestimmungen der §§ 438 ff. Im folgenden Überblick über die Käuferrechte kann deshalb in großem Umfang auf die Ausführungen zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht verwiesen werden. – § 437 ist Rechtsgrundverweisung, d. h. alle Voraussetzungen der in Bezug genommenen Vorschriften müssen vorliegen.56 Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung ergibt sich allerdings bereits aus dem Vorliegen eines Mangels, § 433 I 2.

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1. Nacherfüllung Der Käufer kann zunächst Nacherfüllung verlangen, §§ 437 Nr. 1, 439. Er hat hierzu gem. § 439 die Wahl zwischen Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) und Lieferung einer mangelfreien Sache (Nachlieferung). Der Nacherfüllungsanspruch ist rechtlich als modifizierter Erfüllungsanspruch zu qualifizieren.57 Die Nacherfüllung ist das vorrangige Gewährleistungsrecht des Käufers. Der Nacherfüllungsanspruch setzt kein Verschulden voraus (§ 276). Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung kann der Käufer im Grundsatz erst verlangen, wenn er dem Verkäufer erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Der Verkäufer hat damit ein „Recht zur zweiten Andienung“. Er kann durch Nacherfüllung den vertragsgemäßen Zustand herstellen und hierdurch den anderen Gewährleistungsrechten entgehen. Hervorhebung verdient die Tatsache, dass das Wahlrecht zwischen den verschiedenen Formen der Nacherfüllung in Kauf- und Werkvertragsrecht unterschiedlich ausgestaltet ist. Im Kaufrecht liegt das Wahlrecht beim Käufer, also beim Gläubiger des Nacherfüllungsanspruchs, während es im Werk-

55 Entgegen dem Wortlaut erfasst § 363 nicht nur die aliud- und die Zuweniglieferung, sondern auch die mangelhafte Leistung, s. GesBegr BT-Drs 14/6040, 217. 56 Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (120). 57 P. Huber NJW 2002, 1004 (1005).

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vertragsrecht dem Unternehmer, also dem Schuldner des Nacherfüllungsanspruchs zusteht, §§ 439 I, 635 I. Der Grund hierfür liegt darin, dass beim Kauf in der Regel der Leistungsgegenstand bereits existiert, während er beim Werkvertrag erst hergestellt werden muss. Die stärkere Einbindung des Unternehmers rechtfertigt es, ihn entscheiden zu lassen, wie er den Nacherfüllungsverlangen des Bestellers nachkommen möchte.58 Das Wahlrecht des Käufers ist zudem durch Art. 3 III der Verbrauchsgüterkauf-RiLi zwingend vorgegeben (für Verbrauchsgüterkäufe, d. h. Kaufverträge über bewegliche Sachen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, s. § 474).

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Die dogmatische Einordnung des Wahlrechts ist umstritten. Teilweise wird von einer Wahlschuld i. S.d. §§ 262 ff ausgegangen, bei der entgegen der Auslegungsregel des § 262 das Wahlrecht dem Gläubiger, also dem Käufer zusteht.59 Die (missliche) Konsequenz besteht allerdings darin, dass nach Ausübung der Wahl die gewählte Leistung gem. § 263 II als die von Anfang an allein geschuldete gilt. Der Käufer ist also mit Ausübung des Wahlrechts an seine Wahl gebunden, im Grundsatz selbst dann, wenn die gewählte Variante wegen Unmöglichkeit nicht erbracht werden kann (Ausnahme: Vertretenmüssen des Verkäufers, § 265 S. 2). Es ist deshalb sachgemäß, für § 439 I von elektiver Konkurrenz auszugehen.60 Bei dieser – im Gesetz nicht geregelten – Figur konkurrieren mehrere Rechte, unter denen der Gläubiger auswählen kann. Die §§ 262ff finden keine, auch nicht analoge Anwendung. Der Gläubiger wird durch Ausübung der Wahl also nicht gebunden, sondern kann später noch auf ein anderes Recht übergehen.61 Man spricht insofern von seinem ius variandi (nämlich der Befugnis, zu einem anderen Recht zu wechseln). Gegen missbräuchliche Ausübung des Wahlrechts ist der Verkäufer durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242) geschützt: Das ius variandi ist durch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) eingeschränkt.62 Beispiel: Macht K bei V Reparatur der mangelhaften Sache geltend, kann er nicht ohne berechtigten Grund auf Nachlieferung übergehen, wenn V bereits Dispositionen zur Reparatur getroffen hat.

a) Nachbesserung und Nachlieferung 859

Das modernisierte Gewährleistungsrecht sieht (im Gegensatz zum vorherigen Rechtszustand) keine unterschiedlichen Regeln für Stück- und Gattungskauf vor.63 Das Recht auf Nachbesserung und Nachlieferung besteht also im Grundsatz für beide Arten des Kaufs. Der Nachbesserungsanspruch geht auf Beseitigung des Mangels, d. h. Versetzung der geleisteten Sache in den vertragsgemäßen Zustand, z. B. durch Reparatur oder Austausch mangelhafter Einzelteile. Bestehen mehrere Möglichkeiten der Nachbesserung (z. B. ist gleichermaßen die Reparatur oder der Austausch eines mangelhaften Einzelteils möglich), liegt das Wahlrecht beim Verkäufer. Er hat für die hier zu treffenden Entscheidungen die größere Kompetenz.64 – Bei Geltendmachung des Nach58 GesBegr BT-Drs 14/6040, 265. 59 Büdenbender AcP 205 (2005) 386; Jaensch Jura 2005, 649 (653f); MüKo-Krüger Bd. 2 a § 262 Rdn. 13. 60 BGH NJW 2006, 1198; Spickhoff BB 2003, 589 (592); Schroeter NJW 2006, 1761. 61 Bamberger/Roth/Faust § 439 Rdn. 10: Erlöschen des Wahlrechts erst, wenn der Verkäufer in der gewählten Form nacherfüllt hat, oder er zu einer bestimmten Form der Nacherfüllung rechtskräftig verurteilt wurde. 62 Spickhoff BB 2003, 589 (593). 63 Nach § 480 a. F. gab es einen Anspruch auf Nachlieferung nur beim Gattungskauf; einen gesetzlichen Nachbesserungsanspruch gab es demgegenüber überhaupt nicht. 64 Bamberger/Roth/Faust § 439 Rdn. 26.

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lieferungsanspruchs hat der Verkäufer eine Sache zu liefern, die mangelfrei ist. Ist sie dies nicht, liegt ein „Fehlschlagen“ der Nacherfüllung i. S. v. § 440 vor,65 mit der Folge, dass der Käufer auf Rücktritt und/oder Schadensersatz übergehen kann, ohne dass es einer Fristsetzung bedürfte. Heftig umstritten ist die Frage, ob der Anspruch auf Nachlieferung auch beim Stückkauf in Frage kommt. Die Stückschuld zeichnet sich dadurch aus, dass sich die primäre Leistungsverpflichtung auf eine individuell bestimmte Sache beschränkt. Kann der Käufer bei Mangelhaftigkeit dieser Sache eine vergleichbare andere Sache im Wege der Nachlieferung verlangen, oder ist er bei der Stückschuld von vornherein auf Nachbesserung, also z. B. Reparatur beschränkt? Beispiel: V verkauft an K ein gebrauchtes Motorrad (Stückschuld), das sich nachträglich als mangelhaft erweist. Zufällig ist V Eigentümer eines anderen Motorrads desselben Typs und vergleichbaren Erhaltungszustands. Kann K von V gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I, Alt. 2 Lieferung des anderen Motorrads verlangen? 66

Nach verbreiteter Auffassung ist der Nacherfüllungsanspruch beim Stückkauf von vornherein auf Nachbesserung beschränkt. Wie der ursprüngliche Erfüllungsanspruch sei auch der Nacherfüllungsanspruch auf den Inhalt des vertraglichen Schuldverhältnisses bezogen. Da beim Stückkauf lediglich die Leistung einer präzise bestimmten Sache geschuldet sei, könne der Verkäufer niemals zur Lieferung einer anderen Sache verpflichtet sein.67 Die Gegenmeinung hält auch bei der Stückschuld einen Nachlieferungsanspruch für prinzipiell denkbar. Teilweise wird dies allerdings auf die Fälle beschränkt, in denen der Kaufgegenstand eine vertretbare Sache (§ 91) ist.68 Nach dieser Variante wäre ein Nachlieferungsanspruch im Beispielsfall ausgeschlossen, da gebrauchte Sachen nach der Verkehrsanschauung nicht als vertretbare Sachen angesehen werden. Nach anderer Auffassung ist dagegen bei der Stückschuld ein Nachlieferungsanspruch allgemein immer dann gegeben, wenn es dem Käufer auf die Individualisierung der Kaufsache nicht ankommt, so dass sein Leistungsinteresse auch durch die Lieferung einer vergleichbaren Ersatzsache befriedigt werden kann.69 Letztere Auffassung überzeugt: Durch die Schuldrechtsmodernisierung sollten die Gewährleistungsansprüche des Käufers für Stück- und Gattungskauf vereinheitlicht werden. Eine Beschränkung des Nachlieferungsanspruchs auf den Gattungskauf würde dieses Regelungsziel konterkarieren. Zudem wird dieses Ergebnis durch die richtlinienkonforme Auslegung gestützt: Art. 3 III VerbrauchsgüterkaufRiLi sieht keine Beschränkung des

65 Palandt/Putzo § 440 Rdn. 7; differenzierend Bamberger/Roth/Faust § 440 Rdn. 33. 66 Fallbeispiel mit Musterlösung bei Heinemann/Pickartz ZGS 2003, 149. 67 Die Begründungen variieren. Nach Ackermann JZ 2002, 378 Fn. 6 fehlt es wegen mangelnden Vertragsbezugs schon an einer entsprechenden Verpflichtung. Andere nehmen Unmöglichkeit der Nachlieferungspflicht an, so z. B. S. Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 505; Huber/Faust Schuldrechtsmodernisierung § 13 Rdn. 20. 68 Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland Das neue Schuldrecht § 5 Rdn. 85; Pammler NJW 2003, 1992 (1993). In diesem Sinn auch GesBegr BT-Drs 14/6040, 209: „Bei nicht vertretbaren Kaufsachen scheidet auch die Ersatzlieferung aus.“ Zum (niedrigen) Stellenwert dieser Begründungspassage s. allerdings Canaris JZ 2003, 831 (835). 69 Bitter/Meidt ZIP 2001, 2114 (2120); Canaris JZ 2003, 831; Erman/B. Grunewald § 439 Rdn. 3; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 93f. In diesem Sinn auch OLG Braunschweig NJW 2003, 1053.

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Ersatzlieferungsanspruchs auf den Gattungskauf vor.70 Eine Unterscheidung nach vertretbaren und unvertretbaren Sachen ist der Richtlinie ohnehin fremd.71 Folgt man dieser Auffassung, hat K im Beispielsfall einen Anspruch gegen V auf Lieferung des anderen Motorrads, da dieses dem primär geschuldeten Motorrad gleichwertig ist und das Leistungsinteresse des K in gleicher Weise befriedigt. Voraussetzung dieses Anspruchs ist es nicht einmal, dass V über ein gleichwertiges Motorrad bereits verfügt. Er wäre (in den Grenzen der §§ 275, 439 III) auch zur Beschaffung eines gleichwertigen Motorrads verpflichtet.72

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In einer Fallgruppe besteht allerdings Einigkeit über die Existenz eines Nachlieferungsanspruchs auch beim Stückkauf: Wird ein Identitäts-aliud geliefert, so liegt wegen § 434 III ein Sachmangel vor (s. o. Rdn. 848). Der Käufer kann in diesem Fall Lieferung der primär geschuldeten Sache nach § 439 I Alt. 2 verlangen.73 Da es sich nun um den modifizierten Erfüllungsanspruch handelt (vgl. § 433 I 2 und oben Rdn. 857), sind die Gewährleistungsregeln, z. B. die kurze Verjährung des § 438 anwendbar. Sämtliche Aufwendungen, die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlich sind, hat der Verkäufer zu tragen, § 439 II. Hierzu gehören insbesondere die Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten. Die Kostenpflicht des Verkäufers beruht darauf, dass er zur mangelfreien Leistung verpflichtet ist. Eine Überwälzung der Kosten auf den Käufer durch AGB ist – zumindest bei neu hergestellten Sachen oder bei Werkleistungen – gem. § 309 Nr. 8 b) cc) ausgeschlossen. Beim Verbrauchsgüterkauf ist § 439 II wegen § 475 I überhaupt nicht abdingbar. Hat der Käufer die Nachbesserung selber vorgenommen, kann er hierfür aus § 439 keinen Ersatz verlangen. Das Kaufrecht kennt im Gegensatz zum Werkvertragsrecht (§ 637) kein Selbstvornahmerecht. Der Verkäufer muss sich die ersparten Nacherfüllungskosten aber nach § 326 II 2 auf seine Kaufpreisforderung anrechnen lassen.74 Die Rechtsprechung lehnt diesen Weg ab, da die §§ 437 ff eine abschließende Regelung enthielten.75 Es ist aber nicht einzusehen, warum das Gewährleistungsrecht gegenüber einem Anspruch des Käufers sperren sollte, der lediglich auf die durch den Verkäufer eingesparten Kosten und nicht auf Aufwendungsersatz abzielt.76 Erfüllungsort der Nacherfüllung ist der tatsächliche Belegenheitsort der Sache. Es kommt nicht (mehr) darauf an, wo sich die Sache vertragsgemäß befindet. Der Gesetzgeber hat (unter Bezugnahme auf Art. 3 IV Verbrauchsgüterkauf-RiLi) deutlich gemacht, dass die Nacherfüllung für den Käufer stets unentgeltlich zu sein hat, also auch dann, wenn der Käufer die Sache an einen anderen Ort als den ursprünglichen

70 Etwas anderes folgt auch nicht aus Erwägungsgrund 16 der Richtlinie. Hiernach hat der Verbraucher zwar bei gebrauchten Gütern „in der Regel“ keinen Anspruch auf Ersatzlieferung. Hieraus folgt aber im Umkehrschluß, daß der Ersatzlieferungsanspruch auch bei gebrauchten Sachen eben nicht prinzipiell ausgeschlossen ist. 71 Canaris JZ 2003, 831 (835). 72 So zu Recht OLG Braunschweig (oben Fn. 69). 73 GesBegr BT-Drs 14/6040, 216. Nachweise bei Spickhoff BB 2003, 589 (590 Fn. 7). 74 Für eine direkte oder analoge Anwendung von § 326 II 2 die h. L., s. z. B.: Ebert NJW 2004, 1761; S. Lorenz NJW 2003, 1417 (1418f); Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S 102; ablehnend Dauner-Lieb/Dötsch ZGS 2003, 250; für § 684 Oechsler NJW 2004, 1825 (1826). 75 BGH NJW 2005, 1348; 2006, 1195. Etwas anderes gilt bei Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 281 II Alt. 2, s. BGH NJW 2005, 3211: Eilbedürftige tierärztliche Behandlung des gekauften Hunds; BGH NJW 2006, 988. 76 So überzeugend Gsell ZIP 2005, 922; Herresthal/Riehm NJW 2005, 1457; S. Lorenz NJW 2005, 1321; ders. NJW 2006, 1175.

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 V 1

Erfüllungsort verbringt. Auch in diesem Fall hat der Verkäufer also die Kosten der Nacherfüllung zu tragen, außer wenn sie unverhältnismäßig i. S. v. § 439 III sind.77 Kommt es zur Nacherfüllung in Form der Nachlieferung, kann der Verkäufer vom Käufer die mangelhafte Sache zurückverlangen. Die Rückabwicklung richtet sich nach Rücktrittsrecht. Dies bedeutet, dass der Käufer gem. §§ 439 IV, 346 I, II nicht nur die mangelhafte Sache, sondern auch die gezogenen Nutzungen herauszugeben hat (sehr streitig!).78 Ist Kaufgegenstand beispielsweise ein Kfz, hat der Verkäufer einen Anspruch auf Wertersatz für die gefahrenen Kilometer (s. bereits oben Rdn. 537). – Wenn der Käufer ein besonderes Interesse an der Rücknahme der mangelhaften Sache hat, ist der Verkäufer nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Sache auf seine Kosten (§ 439 II) abzuholen.

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b) Ausschluss von Nacherfüllungsansprüchen Der Verkäufer hat grundsätzlich diejenige Nacherfüllungsvariante zu erbringen, welche der Käufer gewählt hat. Der Käufer ist also im Ausgangspunkt frei in seiner Wahl zwischen Nachlieferung und Nachbesserung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn in Bezug auf eine oder gar beide Nacherfüllungsvarianten ein Fall des § 275 vorliegt oder Unverhältnismäßigkeit i. S. v. § 439 III gegeben ist. Für § 275 kann auf die Ausführungen zum allgemeinen Schuldrecht verwiesen werden (s. o. Rdn. 369ff). Wegen § 326 I 2 fällt der Gegenleistungsanspruch nicht automatisch weg, wenn beide Arten der Nacherfüllung unmöglich sind (s. o. Rdn. 449).

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Beispiel: Wenn das mangelhafte Auto verbrennt, kann nicht mehr Nachbesserung verlangt werden, § 275 I. Der Käufer ist dann auf Nachlieferung festgelegt. Handelt es sich um eine Stückschuld, und existiert keine vergleichbare Ersatzsache, welche das Leistungsinteresse des Käufers gleichermaßen befriedigt (s. o. Rdn. 860), kommt auch Nachlieferung nicht in Frage. Es liegt dann ein Fall des § 326 I 2 vor: Der Gegenleistungsanspruch entfällt nicht ex lege, sondern der Käufer muss sich zwischen Rücktritt und Minderung entscheiden. – Unmöglichkeit der Nachbesserung liegt generell bei unbehebbaren Mängeln vor. Wenn z. B. ein Kfz fälschlich als unfallfrei verkauft wird, kann der Unfall nicht ungeschehen gemacht werden. Eine fälschlich als „Picasso“ verkaufte Zeichnung kann nicht zu einem Original umgestaltet werden.

Neben § 275 Abs. 1 kommen auch die Leistungsverweigerungsrechte in Abs. 2 und 3 der Vorschrift in Betracht. § 275 II greift ein, wenn der Aufwand für den Verkäufer in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Ein weitergehendes Leistungsverweigerungsrecht enthält § 439 III. Hiernach kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Nacherfüllungsalternative verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Die Voraussetzungen des § 439 III sind niedriger als die von § 275 II.79 Eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist erforderlich, wobei § 439 III 2 wichtige Abwägungsfaktoren aufzählt. Die beiden ersten Kriterien (Wert der Sache in mangelfreiem Zustand; Bedeutung des Mangels) bestimmen die absolute Grenze der Unverhältnismäßigkeit, während das dritte

77 GesBegr BT-Drs 14/6040, 231. In diesem Sinn auch Bamberger/Roth/Faust § 439 Rdn. 13; Palandt/Putzo § 439 Rdn. 12; OLG München NJW 2006, 449. Anders noch § 476 a S. 2 a. F. 78 GesBegr BT-Drs 14/6040, 232f; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 103 f. A. A. Brömmelmeyer JZ 2006, 493; Gsell NJW 2003, 1969; Rott BB 2004, 2478; Schwab/Witt Examenswissen zum neuen Schuldrecht S. 373 ff; OLG Nürnberg NJW 2005, 3000 m. abl. Anm. Fest NJW 2005, 2959. 79 GesBegr BT-Drs 14/6040, 232; Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (24).

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§ 71 V 2

Veräußerungsverträge

Kriterium (Rückgriff auf die andere Art der Nacherfüllung) eine relative Grenze vorgibt, nämlich auf einen Kostenvergleich der Nacherfüllungsalternativen abstellt. Was die absolute Grenze betrifft, werden in der Literatur bestimmte Prozentwerte diskutiert: Unverhältnismäßigkeit soll danach vorliegen, wenn die Kosten der jeweiligen Nacherfüllung (unter Anrechnung der bereits erbrachten, mangelhaften Leistung) 150 % des Wertes der Sache in mangelfreiem Zustand übersteigen. Hat die Sache einen Restwert, sollen die Nachbesserungskosten zudem auf 200 % des Mangelunwerts zu begrenzen sein.80 Nach anderer Auffassung liegt die Grenze bereits bei 100 % des Wertes der mangelfreien Sache.81 Für die relative Grenze werden Werte von 5–25 % genannt: Danach scheidet die eine Form der Nacherfüllung aus, wenn sie 5–25 % teurer als die andere ist.82 Bei Vertretenmüssen des Verkäufers werden diese Grenzen angehoben.83 Die vorgeschlagenen Faustregeln sollten allerdings nicht verabsolutiert werden. Das Leistungsverweigerungsrecht des § 439 III ist eine Ausnahme von der Regel, nach welcher der Käufer die ihm passende Nacherfüllungsvariante auswählen kann. Das spezielle Interesse des Käufers an der von ihm gewählten Alternative ist deshalb ein wichtiger Abwägungsfaktor. Ganz allgemein muss die Unverhältnismäßigkeit aus der Gesamtsituation abgleitet und vom Verkäufer bewiesen werden.

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Entfällt eine der beiden Nacherfüllungsvarianten, steht dem Käufer nur noch die andere zu, § 439 III 3 Halbs. 1. Auch diese kann unter den Voraussetzungen von § 439 III ausgeschlossen sein, § 439 III 3 Halbs 2. Dann entfällt für den Käufer der Anspruch auf Nacherfüllung insgesamt. Er kann dann nur die anderen Rechte aus § 437 geltend machen, also Rücktritt, Minderung und/oder Schadensersatz. Einer Fristsetzung bedarf es dann gem. § 440 S. 1 nicht mehr: Sie hätte auch keinen Sinn, da der Verkäufer durch die Verweigerung der Nacherfüllung deutlich macht, dass er von seinem „Recht zur zweiten Andienung“ keinen Gebrauch machen möchte. 2. Rücktritt

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Der Käufer einer mangelhaften Sache hat nach § 437 Nr. 2 das Recht, nach den §§ 440, 323 und 326 V vom Vertrag zurückzutreten. Das Rücktrittsrecht hat das Wandelungsrecht des alten Schuldrechts (actio redhibitoria) ersetzt. Die Wandelung war als Vertrag und nicht als Gestaltungsrecht ausgestaltet, was zu konstruktiven Schwierigkeiten führte.84 Im geltenden Kaufrecht haben sich diese Komplikationen erledigt, da durch die Schaffung eines echten Rücktrittsrechts ein Gestaltungsrecht vorliegt, welches den allgemeinen Regeln folgt. Auf die Ausführungen zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen (s. o. Rdn. 528 ff) des Rücktritts im allgemeinen Schuldrecht kann deshalb verwiesen werden. Das Rücktrittsrecht setzt (im Gegensatz zum Schadensersatzanspruch) kein Vertretenmüssen des anderen Teils voraus (insoweit hat sich die verschuldensfreie Haftung der actio redhibitoria erhalten). Es ist gem. § 323 V 2 ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist, also bei Bagatellfällen. Die Unerheblichkeit ist vom Verkäufer zu beweisen. Beispiel: Nicht erheblich sind Mängel, die leicht abgrenzbar und unschwer zu beheben sind,85 z. B. eine defekte Glühbirne beim Kauf eines Pkw.86 Erheblich ist dagegen bei einem Kfz bereits ein

80 81 82 83 84

Bitter/Meidt ZIP 2001, 2114 (2121 f). P. Huber NJW 2002, 1004 (1008). Bamberger/Roth/Faust § 439 Rdn. 46. Anwendung der Kriterien in einem konkreten Fall bei Heinemann/Pickartz (oben Fn. 66). Zum damaligen Streit zwischen Vertrags-, Herstellungs- und Theorie des richterlichen Gestaltungsakts s. 9. Aufl. Rdn. 722. 85 GesBegr BT-Drs 14/6040, 140 (zu § 281 I 3). 86 Gegenäußerung BReg BT-Drs 14/6857, 49 (zu § 281 I 3).

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 V 2

Kraftstoffmehrverbrauch i. H. v. 13 %.87 Erheblichkeit ist angeblich zu bejahen, wenn der Verkäufer über das Vorhandensein eines Mangels arglistig getäuscht hat, BGH NJW 2006, 1960 mit ablehnender Anmerkung St Lorenz, NJW 2006, 1925.

Hervorzuheben ist, dass der Rücktritt gem. § 323 I die Setzung einer angemessenen Frist voraussetzt. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 323 I bezieht sich dieses Erfordernis gerade auch auf die Frist zur „Nacherfüllung“, also auf das Mängelgewährleistungsrecht. In diesem Fristersetzungserfordernis kommt zum Ausdruck, dass der Verkäufer eine zweite Chance zur mangelfreien Leistung hat. Ist die gesetzte Frist zu kurz, wird eine angemessene Frist in Gang gesetzt. Das Fristsetzungserfordernis entfällt gem. § 326 V Halbs. 2 im Falle der Unmöglichkeit, also wenn beide Nacherfüllungsvarianten unmöglich i. S. v. § 275 sind; außerdem unter den Voraussetzungen von § 323 II, also z. B. wenn der Verkäufer kategorisch jede Form der Nacherfüllung verweigert (Nr. 1). – Außerdem ist die Fristsetzung gem. § 440 S. 1 Alt. 1 dann entbehrlich, wenn der Verkäufer in Bezug auf beide Arten der Nachbesserung von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 439 III Gebrauch macht (s. o.). Das Gleiche gilt, wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist. Dem Käufer steht diejenige Art der Nacherfüllung zu, die er gewählt hat. Das Fehlschlagen ist in § 440 S. 2 nur für den Fall der Nachbesserung definiert. Im Prinzip ist hier nach einem erfolglosen zweiten Versuch ein Fehlschlagen anzunehmen. Der Verkäufer hat also zwei Nachbesserungsversuche. Etwas anderes kann sich allerdings aus den näheren Umständen ergeben. Wird Nachlieferung geltend gemacht, ist ein Fehlschlagen dann anzunehmen, wenn beim zweiten Erfüllungsversuch wieder keine mangelfreie Sache geleistet wird.88 Im Übrigen liegt ein Fehlschlagen auch dann vor, wenn der Verkäufer auf ein Nacherfüllungsverlangen des Käufers in angemessener Zeit überhaupt nicht reagiert.89 Liegt ein solcher Fall vor, kann der Käufer also wegen § 440 S. 1 Alt. 2 ohne Fristsetzung direkt auf die anderen Mängelrechte (Rücktritt, Minderung, Schadensersatz) übergehen.

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Im Übrigen unterliegt das Rücktrittsrecht den allgemeinen, noch zu besprechenden Sonderregeln des Gewährleistungsrechts. Hierzu gehören die Ausschlussgründe der §§ 442, 444 f, sowie die spezielle Verjährungsvorschrift des § 438. Zu beachten ist, dass nur Ansprüche der Verjährung unterliegen (§ 194 I). Das Rücktrittsrecht ist dagegen ein Gestaltungsrecht und kein Anspruch. Über §§ 438 IV, 218 gilt aber dieselbe zeitliche Beschränkung.

Da der Rücktritt ein Gestaltungsrecht ist, treten seine Wirkungen mit Erklärung des Rücktritts ein, § 349. Mit der Rücktrittserklärung legt der Käufer sich also fest. Er ist nun an seinen Rücktritt gebunden und kann nicht weiterhin Nacherfüllung verlangen oder einseitig auf Minderung übergehen, er verliert also sein ius variandi.90 Da das Recht, Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt allerdings nicht ausgeschlossen wird (§ 325), bleibt es ihm unbenommen, neben den Rücktrittsfolgen auch Schadensersatz geltend zu machen. – Mit Erklärung des Rücktritts sind gem. § 346 I, II die 87 BGH NJW 1996, 1337. Zur gemeinschaftsrechtlich veranlassten Pkw-EnVKV (Pflichtangaben zu Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen) s. M. Schmidt NJW 2005, 329. 88 S. o. Fn. 65. 89 GesBegr BT-Drs 14/6040, 222. Art. 3 V Verbrauchsgüterkauf-RiLi sieht kein Fristsetzungserfordernis, sondern nur den Ablauf einer angemessenen Frist seit dem Nacherfüllungsverlangen vor. Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 17 ff leitet hieraus die generelle Entbehrlichkeit der Fristsetzung für Verbrauchsgüterkäufe nach § 323 II Nr. 3 ab. 90 Zimmer/Eckhold Jura 2002, 145 (151). Wertenbruch (JZ 2002, 862 ff) hält den Käufer für nicht an seine Erklärung gebunden, wenn der Verkäufer die Durchführung der vom Käufer gewählten Gewährleistung verweigert (Verbot des venire contra factum proprium zu Lasten des Verkäufers).

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§ 71 V 3

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Veräußerungsverträge

empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Dem Käufer steht die Nutzung der mangelhaften Sache (z. B. eines Kfz) also nicht gratis zu, der Mangel fließt aber (wertmindernd) in die Berechnung des Nutzungsentgelts ein. Wenn der Käufer ein besonderes Interesse an der Rücknahme der mangelhaften Sache hat, ist der Verkäufer (wie bei der Nachlieferung, s. o. Rdn. 862) nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Sache auf seine Kosten abzuholen.91 Der Rücktritt gem. § 437 Nr. 2 Alt. 1 setzt danach voraus: 1. Anspruch des Käufers auf Verschaffung einer mangelfreien Sache, § 433 I 2: Fällig (Ausnahme: § 323 IV) und durchsetzbar. 2. Mangelhaftigkeit der Sache: Dies ist zugleich die Vertragswidrigkeit i. S. v. § 323 I; 3. Setzung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung und deren fruchtloser Ablauf, § 323 I (wenn Fristsetzung nicht entbehrlich nach § 323 II, 326 V Halbs. 2, 440); 4. Mangel nicht unerheblich (§§ 323 V 2, 326 V Halbs. 2); 5. Kein Ausschluss der Gewährleistungsrechte (z. B. §§ 442, 444f) oder des Rücktrittsrechts (§ 323 VI); 6. Kein Ausschluss des Rücktrittsrechts wegen Verjährung der Mängelansprüche (§§ 438 IV, 218).

Für Ansprüche aus Rücktritt (§§ 346ff) ist daneben eine wirksame Rücktrittserklärung erforderlich, § 349. Es ist zu beachten, dass sich die aus dem Rücktritt ergebenden Verpflichtungen der Vertragsparteien gem. § 348 Zug um Zug zu erfüllen sind. 3. Minderung 870

871

Gem. den §§ 437 Nr. 2, 441 kann der Käufer Minderung des Kaufpreises (actio quanti minoris) verlangen, „statt zurückzutreten“. Aus dieser Formulierung folgt, dass das Minderungsrecht denselben Voraussetzungen unterliegt, die auch für das Rücktrittsrecht gelten. So ist auch die Minderung nicht von einem Vertretenmüssen des Verkäufers abhängig (auch nach altem Recht setzte die actio quanti minoris kein Verschulden voraus). Auch vor einer Minderung hat der Verkäufer das Recht zur zweiten Andienung; ihm ist also zunächst eine Frist zur Nacherfüllung zu setzen. – Eine Abweichung von den Rücktrittsvoraussetzungen gilt gem. § 441 I 2 für § 323 V 2. Danach besteht das Minderungsrecht auch dann, wenn der Mangel unerheblich ist. Auch unerhebliche Mängel bleiben also (im Gegensatz zum alten Recht, § 459 I 2 a. F.) nicht sanktionslos, sondern berechtigen den Käufer zur Herabsetzung des Kaufpreises. Die Minderung ist wie das Rücktrittsrecht als Gestaltungsrecht konzipiert, bedarf also der Erklärung durch den Käufer. Die Berechnung des Minderungsbetrags erfolgt nach § 441 III proportional. Vier Posten sind zueinander in Beziehung zu setzen: der geschuldete Preis, der geminderte Preis, der geschuldete Wert und der wahre Wert der Sache. Nach § 441 III 1 ist bei der Minderung der Kaufpreis in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. Daraus gibt sich folgende Formel: Wert der Sache in mangelfreiem Zustand Vereinbarter Kaufpreis ––––––––––––––––––––––––––––––––––– = –––––––––––––––––––––– Wirklicher Wert (mit Mangel) Geminderter Kaufpreis X Beispiel: K kauft von V für 3.300 Euro einen gebrauchten Wagen, der, wenn er in Ordnung wäre, einen Marktwert von 3.000 Euro hätte. Infolge eines Unfalls ist der Wagen in Wirklichkeit nur 2.400

91 Zum „Dachziegel“-Fall des BGH s. bereits oben Rdn. 536.

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 V 4

Euro wert. Setzt man diese Beträge in die Formel ein und löst diese nach x auf, ergibt sich folgende Rechung: 3.300 × 2.400 X = ––––––––––– = 2.640 Euro 3.000 Der geminderte Kaufpreis beträgt also 2.640 Euro. Hat K bereits gezahlt, ergibt sich der Minderungsbetrag aus der Differenz des vereinbarten Kaufpreises i. H.v. 3.300 Euro und des geminderten Kaufpreises i. H. v. 2.640 Euro, also 660 Euro, die K von V zurückverlangen kann.

Aufgrund dieses Berechnungsmodus ist die Minderung für den Käufer besonders dann interessant, wenn er einen ungünstigen Kauf gemacht hat. Sie ist für ihn dann vorteilhafter als Schadensersatz, allerdings ungünstiger als ein Rücktritt.92 – Rechtsgrundlage für das zu viel Gezahlte ist nicht Bereicherungsrecht, sondern § 441 IV 1 als selbständige Anspruchsgrundlage mit (lediglich ergänzendem) Verweis ins Rücktrittsrecht in S. 2 der Vorschrift.93 § 441 III 2 erlaubt die Schätzung der zum Teil schwierig zu ermittelnden Werte. Nach § 441 II ist bei Personenmehrheit auf Käufer- oder Verkäuferseite die Minderung von allen Käufern, bzw. gegenüber allen Verkäufern vorzunehmen. 4. Schadensersatz und Ersatz vergeblicher Aufwendungen Schließlich kann der Käufer gem. § 437 Nr. 3 Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen. Die Vorschrift verweist auf die Schadensersatznormen des allgemeinen Schuldrechts. Wie beim Rücktrittsrecht wird auch hier deutlich, dass das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht seine selbständige Stellung weitgehend verloren hat und an das allgemeine Schuldrecht angeschlossen wurde. Auf die dort gemachten Ausführungen kann also in großem Umfang verwiesen werden (s. o. §§ 43– 46). Für die verschiedenen Typen von Pflichtverletzungen (Unmöglichkeit, Verzögerung, Schlechtleistung, Schutzpflichtverletzung) und Schadensarten (Schadensersatz statt der Leistung, Verzögerungsschaden, einfacher Schadensersatz) wurden sieben verschiedene Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz unterschieden (s. o. Rdn. 521). Über den Verweis in § 437 Nr. 3 sind diese Differenzierungen gerade auch im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht anwendbar. Das gleiche gilt für den Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen nach § 284 (s. o. Rdn. 439 ff). Die kaufrechtliche Schadensersatzhaftung hat sich durch die Schuldrechtsmodernisierung entscheidend geändert: Während der Verkäufer nach altem Recht nur unter speziellen Voraussetzungen auf Schadensersatz haftete (für Mangelschäden nur bei Zusicherung einer Eigenschaft oder bei Arglist; für Mangelfolgeschäden aus pVV; für Verletzung vorvertraglicher Pflichten aus c. i. c.), haftet der Verkäufer nach neuem Recht prinzipiell für jede zu vertretende Pflichtverletzung. Damit besteht – im Gegensatz zu früher – auch eine allgemeine Schadensersatzhaftung für Mangelschäden.94 Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Schadensersatz statt der Leistung im Prinzip nur nach erfolglosem Ablauf einer angemessenen Frist verlangt werden kann; nach altem Recht konnte Schadensersatz wegen Nichterfüllung sofort verlangt werden. Auch im Schadensersatzrecht hat der Verkäufer also das „Recht zur zweiten Andienung“.

92 S. das Zahlenbeispiel bei Coester-Waltjen Jura 2002, 534 (541 Fn. 60). 93 GesBegr BT-Drs 14/6040, 236. 94 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 224.

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§ 71 V 4

Veräußerungsverträge

a) Anwendungsfälle 873

Die Hauptschwierigkeit im neuen Kaufrecht besteht darin, die einschlägigen Schadensersatzansprüche den verschiedenen Anspruchsgrundlagen zuzuweisen. Von der Abgrenzung der verschiedenen Normen hängt ab, welche Voraussetzungen für das Vorliegen eines Schadensersatzanspruchs erfüllt sein müssen (s. hierzu bereits oben Rdn. 522). Beispiel: V verkauft an K eine automatische Schleifmaschine, die einen Programmfehler hat. Zehn Werkstücke werden durch die Maschine beschädigt, bis der Mangel erkannt ist. Es dauert eine Woche, bis der Fehler behoben, bzw. eine Ersatzmaschine geliefert werden kann. Aufgrund der Produktionsverzögerung verliert K einen wichtigen Kunden und erleidet eine Gewinneinbuße. K fragt, welche Schadensersatzansprüche ihm zustehen. 1. Der eigentliche Mangelschaden, nämlich der Minderwert der Schleifmaschine infolge des Programmfehlers, beruht auf einer „nicht wie geschuldet“ erbrachten Leistung i. S. v. §§ 437 Nr. 3, 281 I 1 Alt 2. Es geht hier um „Schadensersatz statt der Leistung“ („Äquivalenzinteresse“), welcher nur nach einer erfolglosen Nachfristsetzung verlangt werden kann. K muss also zunächst Nacherfüllung verlangen und kann erst nach erfolglosem Fristablauf auf Schadensersatz übergehen. Er hat dann die Wahl zwischen „großem“ und „kleinem“ Schadensersatz (s. o. Rdn. 422), da die Pflichtverletzung hier nicht unerheblich ist, § 281 I 3. Wie beim Rücktritt kann auch beim Schadensersatz die Fristsetzung gem. § 440 entbehrlich sein (s. o. Rdn. 867). 2. Die Beschädigung der zehn Werkstücke stellt einen Mangelfolgeschaden dar: Das Integritätsinteresse des K wurde verletzt, nämlich sein Eigentum an den Stücken. Richtige Anspruchsgrundlage hierfür sind die §§ 437 Nr. 3, 280 I, also § 280 I in isolierter Anwendung: Eine Fristsetzung wäre sinnlos, da der Schaden an den Werkstücken bereits eingetreten ist. 3. Umstritten ist die Einordnung des auf dem Sachmangel beruhenden Betriebsausfallschadens. Teilweise wird hierin eine Verzögerung bei Erfüllung der Pflicht zur mangelfreien Leistung gesehen und Schadensersatz nur unter den Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 3, 280 II, 286 zugesprochen. Nach der hier vertretenen Auffassung liegt dagegen ein Fall des § 437 Nr. 3 i. V. m. § 280 I in isolierter Anwendung vor, so dass K unabhängig von Verzugseintritt seine Gewinneinbuße von V ersetzt verlangen kann (zum „Betriebsausfallschaden“ s. o. Rdn. 506).

874

Auch die Schadensersatzansprüche für den Fall der Unmöglichkeit sind über § 437 Nr. 3 anwendbar. Im Zusammenhang mit der Sachmängelgewährleistung ist hier in erster Linie die Unmöglichkeit der Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 1, 439) von Bedeutung. Bei einem unbehebbaren Sachmangel ist die Nachbesserung ausgeschlossen. Scheidet auch die Nachlieferung aus, kann der Käufer einen Schadensersatzanspruch nach § 437 Nr. 3 i. V. m. § 283 (nachträgliche Unmöglichkeit) oder § 311 a II (anfängliche Unmöglichkeit) haben. In der Regel liegen unbehebbare Sachmängel schon von Anfang an vor, so dass § 311a II die richtige Anspruchsgrundlage ist. Beispiel: Im „Ruysdael“-Fall des Reichsgerichts (oben Rdn. 838) liegt ein Sachmangel vor, weil das Bild nicht wie vereinbart von Jakob I. Ruysdael, sondern von Jakob S. Ruysdael stammt. Nachbesserung ist ausgeschlossen, da niemand das Bild zu einem „Jakob I. Ruysdael“ machen kann. Da bei einem Unikat auch Nachlieferung ausscheidet, liegt anfängliche Unmöglichkeit vor. Die Haftung des Verkäufers nach §§ 437 Nr. 3, 311a II hängt davon ab, ob er den Sachmangel kannte oder seine Unkenntnis zu vertreten hatte (wird vermutet). Der Käufer kann „großen Schadensersatz“ gem. §§ 311a II 3, 281 I 3 verlangen, da die Individualabweichung auch erheblich ist.

875

Der Käufer hat gegen den Verkäufer auch einen Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes, den der Verkäufer infolge eines nicht behebbaren Mangels erhält. § 285 ist zwar in § 437 nicht aufgeführt. Es geht aber nicht an, dass der Verkäufer einen Ersatz, den er aufgrund der Mangelhaftigkeit, also einer eigenen Pflichtverletzung bekommt, behalten darf.95 Beispiele sind der Anspruch auf eine Versicherungsleistung für die 95 von Olshausen ZGS 2002, 194ff.

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 V 4

Beschädigung der Sache (vor Gefahrübergang) oder die Ansprüche, die der Verkäufer gegen seine Lieferanten infolge des unbehebbaren Mangels hat. Der Anspruch besteht schon dann, wenn eine Form der Nacherfüllung gem. § 275 ausscheidet.96 Er unterliegt der kurzen Verjährung des § 438 (str.).97 Verzögerungsschäden sind über §§ 437 Nr. 3, 280 I, II, 286 zu erstatten, setzen also Verzugseintritt voraus. Dies bezieht sich im Zusammenhang mit Sachmängelgewährleistung auf den Nacherfüllungsanspruch. In der Aufforderung zur Nacherfüllung ist in der Regel eine Mahnung zu sehen.98 Typische Verzögerungsschaden sind die Kosten der Rechtsverfolgung, also z. B. die Kosten eines Rechtsanwalts, den man zur Durchsetzung der Gewährleistungsansprüche engagiert hat, die Kosten für die Anmietung einer Ersatzsache oder eine Schadensersatzpflicht gegenüber einem Abnehmer wegen Verspätung der Leistung. In der Aufzählung des § 437 Nr. 3 wurde § 282 ausgespart, also der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung infolge Schutzpflichtverletzung. Dies beruht wohl darauf, dass § 437 Sachmängel betrifft, also vertragsleistungsbezogene Pflichtverletzungen. Der Reformgesetzgeber ging offensichtlich davon aus, dass in den Fällen des § 282 keine mangelbezogenen Pflichtverletzungen in Frage kommen. Bei typischen Schutzpflichtverletzungen ist also § 282 ohne die Modifikationen des Gewährleistungsrechts anwendbar, nicht etwa gilt ein Umkehrschluss. Allerdings sind auch Fälle denkbar, in denen eine nicht leistungsbezogene Nebenpflichtverletzung in Zusammenhang mit einem Sachmangel steht. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Verkäufer den Käufer nicht auf Mängel der Sache hinweist, welche zu Folgeschäden führen können. § 282 ist in diesen Fällen anwendbar. Aufgrund des engen Mangelbezugs besteht ein Bedürfnis nach Anwendung der kurzen Verjährung des § 438. Im Ergebnis ist also § 282 in § 437 Nr. 3 hineinzulesen.99 Gem. § 437 Nr. 3 kann der Käufer anstelle des Schadensersatzes Ersatz vergeblicher Aufwendungen nach § 284 verlangen (s. bereits oben Rdn. 439 ff). Alle Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs müssen vorliegen, insbesondere auch das Vertretenmüssen. Der Aufwendungsersatz umfasst beispielsweise auch die Vertragskosten, die sich infolge des Sachmangels als vergeblich erweisen.100 Hat der Käufer also Material-, Montage- oder Transportkosten investiert, die sich infolge der Mangelhaftigkeit als nutzlos erweisen, kann er sie nach §§ 437 Nr. 3, 284 ersetzt verlangen. Dazu gehören auch Aufwendungen des Käufers auf die Kaufsache, welche er später wegen ihrer Mangelhaftigkeit zurückgibt.101

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b) Pflichtverletzung und Vertretenmüssen Im Sachmängelgewährleistungsrecht kommen häufig zwei getrennte Pflichtverletzungen in Betracht. Zunächst liegt bereits in der Lieferung einer mangelhaften Sache wegen

96 Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 148. 97 Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 149. A. A. von Olshausen ZGS 2002, 194 (197f): Regelmäßige Verjährung der §§ 195, 199. 98 GesBegr BT-Drs 14/6040, 225. 99 Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 118 ff. 100 GesBegr BT-Drs 14/6040, 225. 101 BGH NJW 2005, 2848; a. A. MüKo/Ernst Bd. 2a § 284 Rdn. 16, der aus dem Vorrang des Rücktrittsrechts folgert, dass Verwendungen auf das Leistungsobjekt nicht unter § 284 fallen.

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Veräußerungsverträge

§ 433 I 2 eine (kraft der Erfüllungstheorie: primäre) Pflichtverletzung.102 Für sie haftet der Verkäufer ohne Verschulden (!) auf Nacherfüllung. Eine Pflichtverletzung kann aber – sekundär – auch darin bestehen, dass der Verkäufer seiner Pflicht zur Nacherfüllung schlecht oder gar nicht nachkommt, z. B. eine notwendige Reparatur schlecht durchführt oder auf ein Nacherfüllungsverlangen überhaupt nicht eingeht. Die präzise Bestimmung der Pflichtverletzung ist wichtig für den Bezugspunkt des Vertretenmüssens, das gem. § 280 I 2 als Haftungsvoraussetzung für die Sekundärfolge Schadensersatz hinzutritt. Häufig wird ein Händler den Mangel der verkauften Sache nicht zu vertreten haben. Er haftet nämlich nicht für ein Verschulden des Herstellers bei der Produktion, da der Produzent nicht Erfüllungsgehilfe (§ 278) des Händlers ist. Wenn der Händler außerdem den Mangel nicht kannte und auch nicht kennen musste, etwa weil der Mangel auch bei sorgfältiger Untersuchung nicht erkennbar war, hat er den Mangel nicht zu vertreten. Ein Vertretenmüssen liegt aber vor, wenn der Händler dem Nacherfüllungsverlangen des Käufers schuldhaft (!) nicht nachkommt. Beispiel: V, Inhaber eines Elektronikladens, verkauft dem K einen Fernsehapparat. Das Gerät ist schadhaft, der Mangel war aber auch bei sorgfältiger Untersuchung nicht zu entdecken. V verweigert deshalb jegliche Gewährleistung. – Hier hat V zwar seine Pflicht zur Lieferung eines mangelfreien Fernsehgeräts (§ 433 I 2) verletzt. Diese Pflichtverletzung hat er aber nicht zu vertreten (§ 276), da er als bloßer Händler den Mangel nicht selbst verursacht hat, und er ihn laut Sachverhalt auch bei gehöriger Untersuchung nicht finden konnte. Dem V gelingt also die Widerlegung der Vermutung aus § 280 I 2. Kommt er allerdings dem Nacherfüllungsverlangen des K nicht nach, begeht er eine erneute Pflichtverletzung, welche er auch zu vertreten hat. Aufgrund dieser zweiten Pflichtverletzung kann K von V Schadensersatz verlangen.

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Inwieweit der Verkäufer im Verhältnis zum Käufer zur Untersuchung der Kaufsache verpflichtet ist, hängt vom Einzelfall ab. Beim bloßen Umschlag von Massenartikeln kann keine besondere Untersuchung erwartet werden. Der strenge Maßstab des § 377 HGB findet hier keine analoge Anwendung. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn die Kaufsache besonders wertvoll oder anfällig ist, bzw. wenn der Verkäufer besondere Sachkunde in Anspruch nimmt.103 Der Verkäufer hat gem. § 276 nicht nur Verschulden zu vertreten, sondern haftet auch ohne Verschulden, wenn der Kaufvertrag eine strengere Haftung vorsieht, z. B. aufgrund einer Garantie (s. o. Rdn. 851 ff) oder der Übernahme eines Beschaffungsrisikos. Ob eine Garantie auch Mangelfolgeschäden abdeckt, ist im Einzelfall durch Auslegung der Garantieerklärung zu ermitteln. Eine strengere Haftung kann gem. § 276 I auch aus der Übernahme eines Beschaffungsrisikos folgen. Insbesondere bei Vereinbarung einer Gattungsschuld ist der Schuldner zur Beschaffung einer Sache von mittlerer Art und Güte verpflichtet (§ 243 I), muss also erneut beschaffen, wenn die gelieferte Sache diesen Qualitätsstandard nicht erreicht. Streitig ist, wie weit die Haftungsverschärfung bei der Gattungsschuld reicht. Haftet der Gattungsschuldner verschärft auch für Mangelfolgeschäden, die durch eine Sache verursacht werden, welche nicht von mittlerer Art und Güte ist? Dagegen spricht, dass der Schuldner bei der Gattungsschuld zwar die Verantwortung dafür übernimmt, eine Sache von mittlerer Art und Güte zu beschaffen und zu liefern; ansonsten gleicht sein Pflichtenprogramm aber dem der 102 Ablehnend Ehmann/Sutschet (JZ 2004, 62, 67), welche für die Frage der Pflichtverletzung darauf abstellen, ob die Leistung der fehlerhaften Sache auf einem rechtswidrigen Verhalten des Schuldners beruht. 103 Vgl. GesBegr BT-Drs 14/6040, 210: Beim Autoverkauf wird dem Händler mit Werkstatt eine intensivere Prüfungspflicht aufzuerlegen sein als dem Händler ohne Werkstatt.

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Stückschuld. Hier ist aber anerkannt, dass ohne besondere Vereinbarung keine verschuldensunabhängige Einstandspflicht für die Mangelfreiheit der Sache übernommen wird.104 Auch bei der Gattungsschuld hängt deshalb die Schadensersatzpflicht für Mangelfolgeschäden im Grundsatz von einem Vertretenmüssen ab.105 Beispiel: K kauft bei V 10 kg Pferdefutter (Gattungsschuld). Das gelieferte Futter ist giftig, die Pferde des K verenden. – Hier liegt ein typischer Mangelfolgeschaden vor, für den K gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I Schadensersatz verlangen kann. Der Anspruch hängt gem. § 280 I 2 von einem Vertretenmüssen des V ab; der Maßstab hierfür ist § 276 zu entnehmen. Nach der hier vertretenen Auffassung trifft den V zwar ein verschuldensunabhängiges Beschaffungsrisiko, was die Hauptleistungspflicht zur Lieferung von Pferdefutter mittlerer Art und Güte betrifft. In Bezug auf den Mangelfolgeschaden besteht in Abwesenheit einer besonderen Vereinbarung aber kein strengerer Haftungsmaßstab, so dass der Schadensersatzanspruch ein Verschulden des V voraussetzt.

5. Verhältnis zwischen den einzelnen Käuferrechten Von zentraler Bedeutung für das Verhältnis der Käuferrechte zueinander ist der Vorrang der Nacherfüllung. Rücktritt, Minderung, Schadensersatz statt der Leistung und Ersatz vergeblicher Aufwendungen können erst geltend gemacht werden, wenn die Nacherfüllung ausscheidet, bzw. erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt wurde („Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung“), §§ 437 Nr. 2 und 3, 323 I, 281 I 1. Etwas anderes gilt lediglich für den einfachen Schadensersatzanspruch, welcher durch eine Nacherfüllung nicht berührt wird, z. B. der Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Mangelfolgeschadens. – Erst mit Ausübung, bzw. Geltendmachung eines der weiteren Käuferrechte entfällt der Anspruch auf Nacherfüllung (§§ 346 I, 281 IV). In der Zeit zwischen Fristablauf und Geltendmachung eines bestimmten Gewährleistungsrechts kann der Käufer also weiter Nacherfüllung verlangen. Er muss eine (verspätete) Nacherfüllung in dieser Periode allerdings nicht annehmen; der Verkäufer hat kein Recht zur dritten Andienung (str.).106 – Der Rücktritt schließt Schadensersatzansprüche nicht aus, § 325.107 Stellt sich beispielsweise erst später heraus, dass der Verkäufer den Mangel zu vertreten hat, kann nachträglich noch Schadensersatz verlangt werden, obwohl bereits ein Rücktritt erfolgt war. Da der Käufer aufgrund des Rücktritts zur Rückgewähr der mangelhaften Kaufsache verpflichtet ist, kann er nicht mehr kleinen Schadensersatz, sondern nur noch großen verlangen (str.).108 Für die Minderung gilt umgekehrt: Da die Erklärung der Minderung impliziert, dass der Käufer die mangelhafte Sache behalten möchte, kann sie nur mit dem kleinen, nicht aber mit dem großen Schadensersatz kumuliert werden (str.).109

104 Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 76. 105 Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (44); a. A. Medicus JuS 2003, 521 (528). 106 Wie hier Finn ZGS 2004, 32; Schwab JR 2003, 133 (134). A. A. offenbar GesBegr BT-Drs 14/ 6040, 140; Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 51. 107 Zum Verhältnis von Rücktritt und Schadensberechnung nach Surrogations- oder Differenztheorie s. o. Rdn. 434. 108 Althammer/Löhnig AcP 205 (2005) 520 (539 f); a. A. Derleder NJW 2003, 998 (1000). 109 A. A. Derleder NJW 2003, 998 (1002).

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§ 71 VI 2

Veräußerungsverträge

VI. Ausschluss der Gewährleistung Die Mängelhaftung ist in folgenden Fällen ausgeschlossen. 1. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis bei Vertragsschluss 882

Die Gewährleistungshaftung ist ausgeschlossen, wenn der Käufer bei Vertragsschluss den Mangel kennt, § 442 I 1. Bei (gemeinsamer) Kenntnis wird allerdings bereits häufig eine Genehmigung des Mangels vorliegen, so dass keine Abweichung der Kaufsache von der Sollbeschaffenheit vorliegt.110 Der Kenntnis steht grob fahrlässige Unkenntnis gleich, § 442 I 2. Grobe Fahrlässigkeit des Käufers liegt nicht schon dann vor, wenn er die Ware vor Vertragsschluss nicht untersucht. Eine Untersuchungsobliegenheit des Käufers bei Vertragsschluss besteht nicht. Die gilt auch für das Handelsrecht: Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des § 377 HGB bezieht sich nicht auf Erkundigungen, die vor Vertragsschluss einzuziehen sind, sondern auf Obliegenheiten nach Ablieferung. Ausnahmsweise ist der Käufer (im Bürgerlichen wie im Handelsrecht) zur Untersuchung der Kaufsache vor Vertragsschluss verpflichtet, wenn die Umstände des Einzelfalls Anlass hierzu geben.111 Beispiele: Ein gebrauchter Pkw muss normalerweise vor dem Kauf besichtigt werden; eine vom Verkäufer angebotene Probefahrt ist anzutreten. – Grundstücke sind ebenfalls zu besichtigen, außer wenn es sich um entfernt gelegene Anlageobjekte handelt. – Grobe Fahrlässigkeit eines nicht sachkundigen Käufers liegt aber regelmäßig nur dann vor, wenn die bei der Untersuchung auftretenden Mängel dem Laien erkennbar sind. – Eine Obliegenheit zur Heranziehung von Sachverständigen besteht im Prinzip nicht. Ein renommiertes Kunsthaus ist aber bei Ankauf eines Gemäldes von einer Privatperson zur Einschaltung eines Experten verpflichtet.112

Der Verkäufer haftet bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers dennoch, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Beschaffenheitsgarantie übernommen hat. Arglist bedeutet in diesem Zusammenhang Kenntnis des Mangels und Verschweigen unter Verletzung einer Aufklärungspflicht. Eine Aufklärungspflicht kann sich nach Treu und Glauben aus den Umständen des Einzelfalls ergeben. Beispiele: Fragen des anderen Teils sind stets wahrheitsgemäß zu beantworten.113 – Beim Verkauf eines gebrauchten Pkw ist ungefragt auf bekannte Mängel oder einen früheren Unfall hinzuweisen.114 Dies gilt allerdings nicht für Bagatellschäden (z. B. Lackschäden, nicht aber Blechschäden).115 – Beim Verkauf eines Grundstücks ist auf Altlasten hinzuweisen (z. B. Ölkontamination),116 oder darauf, dass ein Bauwerk ohne Baugenehmigung errichtet wurde.117

2. Vertraglicher Haftungsausschluss 883

Im Ausgangspunkt sind die Gewährleistungsrechte des Käufers dispositives Recht. Die Parteien können also vertraglich einen Ausschluss der Gewährleistung vereinbaren. Dies kann ausdrücklich geschehen, z. B. durch die gängigen Formulierungen „unter 110 Köhler JZ 1989, 761 (762). 111 RGZ 131, 343 (353). 112 Weitere Beispiele bei Erman/B. Grunewald § 442 Rdn. 10ff; für eine restriktive Fassung der Untersuchungsobliegenheiten Bamberger/Roth/Faust § 442 Rdn. 21 ff. 113 BGHZ 74, 383 (392). 114 BGHZ 63, 382 (386 f); BGHZ 74, 383 (391f); BGH NJW 1981, 928 (929). 115 BGH NJW 1982, 1386. 116 BGH NJW 2001, 64; NJW 2002, 1867. 117 BGH NJW 2003, 2380 (2381).

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 VI 3

Ausschluss jeder Gewährleistung“, „wie er steht und liegt“ (jeweils vollständiger Ausschluss) oder „wie besichtigt“ (Ausschluss nur in Bezug auf Mängel, die vom Laien entdeckt werden können).118 Daneben ist auch ein konkludenter Haftungsausschluss möglich. So nimmt die Rechtsprechung beim Gebrauchtwagenkauf auch bei Abwesenheit einer ausdrücklichen Vereinbarung einen konkludenten Haftungsausschluss für Verschleißmängel an.119 Es ist allerdings stets zu prüfen, ob nicht bereits die Sollbeschaffenheit der Kaufsache entsprechend festgelegt war, so dass überhaupt kein Mangel vorliegt. Ebenfalls ist jeweils zu untersuchen, wie weit der Haftungsausschluss reichen soll. – Ansprüche aus § 285 auf das stellvertretende commodum (Versicherungsleistungen, Gewährleistungsansprüche des Verkäufers gegen seinen eigenen Lieferanten) werden vom Haftungsausschluss in der Regel nicht erfasst.120 Im Gegenteil: Der Vereinbarung eines Haftungsausschlusses wird man bei Vorliegen besonderer Umstände die Abtretung der Gewährleistungsrechte des Verkäufers gegen einen früheren Verkäufer entnehmen können.121 Der Möglichkeit von Haftungsbeschränkungen sind Grenzen gesetzt. Gem. § 444 kann der Verkäufer seine Haftung nicht wirksam ausschließen oder beschränken, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Beschaffenheitsgarantie übernommen hat. Darüber hinaus ergeben sich Einschränkungen aus den allgemeinen Regeln der §§ 138, 242. Vorformulierte Haftungsausschlüsse unterliegen der Klauselkontrolle (vgl. insbesondere §§ 309 Nr. 7, 307); bei neu hergestellten Sachen gilt § 309 Nr. 8b). Beim Verbrauchsgüterkauf ist ein großer Teil des Gewährleistungsrechts zwingendes Recht, § 475 (s. u. Rdn. 944).

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3. Kenntnis des Mangels bei Annahme der Sache Nach altem Recht verlor der Käufer seine Gewährleistungsrechte, wenn sich der Käufer bei Abnahme der Ware trotz Kenntnis des Sachmangels seine Ansprüche nicht vorbehielt, § 464 a. F. Diese Vorschrift wurde nicht ins modernisierte Schuldrecht übernommen, da sie von der VerbrauchsgüterkaufRiLi nicht gedeckt war.122 Erlangt der Käufer also nach Vertragsschluss (sonst § 442 !), aber vor Abnahme der Kaufsache Kenntnis vom Mangel, ist dies für seine Rechte unschädlich, selbst wenn er hierauf nicht mit einem Vorbehalt reagiert. Nur in Ausnahmefällen wird man aus dem Schweigen des Käufers eine vertragsändernde Beschaffenheitsvereinbarung ableiten können. – Anders verhält es sich im Handelsrecht, genauer gesprochen beim beiderseitigen Handelskauf: Kommt der Käufer seiner Untersuchungs- und Rügeobliegenheit aus § 377 I HGB nicht nach, gilt die Ware gem. § 377 II HGB als genehmigt. In Bezug auf Mängel, die durch eine ordnungsgemäße Untersuchung erkennbar gewesen wären, bestehen dann keine Gewährleistungsrechte mehr. – Gem. Art. 5 II Verbrauchsgüterkauf-RiLi wäre auch beim Zivilkauf die Einführung einer allgemeinen Rügeobliegenheit (Mittei-

118 S. BGH NJW 2005, 3205: Der Ausschluss „jeder Gewährleistung“ setzt sich gegenüber dem Zusatz „gekauft wie gesehen“ durch, d. h. es bleibt beim vollständigen Gewährleistungsausschluss. 119 BGHZ 83, 334 (338 ff). Zum Gewährleistungsausschluss bei gebrauchten Sachen s. Tiedtke/Burgmann NJW 2005, 1153. 120 von Olshausen ZGS 2002, 194 (198 f). 121 BGH NJW 1997, 652 (der frühere Verkäufer hatte Mängel arglistig verschwiegen); Erman/ B. Grunewald § 444 Rdn. 3. 122 GesBegr BT-Drs 14/6040, 205.

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§ 71 VII

Veräußerungsverträge

lung des Mangels spätestens zwei Monate nach Entdeckung) möglich gewesen. Der deutsche Gesetzgeber hat hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht, da eine Rügeobliegenheit außerhalb des kaufmännischen Verkehrs als unangemessen angesehen wurde.123

VII. Verjährung 886

1. Eine der wichtigsten Normen des Mängelgewährleistungsrechts ist § 438. Gem. Abs. 1 Nr. 3 der Vorschrift verjähren die Mängelansprüche des Käufers einer beweglichen Sache in zwei Jahren. Diese Frist ist einerseits ein Jahr kürzer als die dreijährige Regelverjährung des § 195. Andererseits ist der Verjährungsbeginn strenger geregelt, beginnt nämlich „objektiv“ mit Ablieferung der Sache und nicht „subjektiv“ mit Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Anspruchs und der Person des Schuldners wie in § 199 I. Die kurze Verjährung ist der Ausgleich dafür, dass der Verkäufer auch für solche Mängel haftet, die schwer erkennbar sind. Außerdem soll die Privilegierung des Verkäufers den Warenumschlag erleichtern; Unternehmen sollen nur für einen relativ begrenzten Zeitraum dazu verpflichtet sein, Ressourcen für die Erfüllung von Gewährleistungsrechten vorzuhalten.124 Wenn der Käufer einen nicht erkennbaren Fehler bis zum Ablauf der Verjährungsfrist nicht entdeckt hat, so tritt trotzdem Verjährung ein.125 Wenn z. B. der mangelhafte Feuerlöscher erst nach drei Jahren – vergeblich – eingesetzt wird, weil es vorher nicht gebrannt hat, sind die Gewährleistungsansprüche verjährt. Vor der Schuldrechtsmodernisierung verjährten die Mängelansprüche beim Kauf beweglicher Sachen in sechs Monaten. Diese Frist wurde weithin als zu kurz empfunden. Ursprünglich war sogar eine Verlängerung auf drei Jahre erwogen worden (§§ 195, 198 IV DiskE). Schließlich beließ man es bei der von Art. 5 der Verbrauchsgüterkauf-RiLi geforderten Minimalfrist von zwei Jahren. Die Verlängerung der gewährleistungsrechtlichen Verjährungsfrist war eine der wichtigsten Änderungen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz.

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2. Die kurze Verjährung erstreckt sich auf alle Ansprüche, die unter § 437 Nr. 1 und 3 fallen, also auch auf den Anspruch auf Ersatz des Mangelfolgeschadens aus §§ 437 Nr. 3, 280 I.126 Dies wird teilweise bestritten,127 folgt aber aus der Konzeption des Gesetzes und dem Anliegen des Gesetzgebers, die Verjährungsfristen für Mangel- und Mangelfolgeschäden zu vereinheitlichen.128 Sie gilt auch für Ansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten und vertraglicher Nebenpflichten, soweit ein unmittelbarer

123 Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland Das neue Schuldrecht § 5 Rdn. 287. 124 Eidenmüller JZ 2001, 283 (285 f); Leenen § 477 BGB: Verjährung oder Risikoverlagerung? (1997) 16ff. 125 Es gab immer wieder Vorschläge, die gewährleistungsrechtliche Verjährungsfrist erst mit Erkennbarkeit des Mangels beginnen zu lassen; der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung hat sich aber ausdrücklich dagegen entschieden, s. GesBegr BT-Drs 14/6040, 96, 228. 126 De lege ferenda kritisch zur undifferenzierten Einbeziehung von Mangelfolgeschäden in die kurze Verjährung Canaris ZRP 2001, 329 (335f); Eidenmüller in: Schulze/Schulte-Nölke Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts S. 405 (410 f, 414f). 127 Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (98f); Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62 (69); Wagner JZ 2002, 475 (478 f). 128 GesBegr BT-Drs 14/6040, 133, 229; in diesem Sinn auch Bamberger/Roth/Faust § 438 Rdn. 9; Gsell JZ 2002, 1089; Medicus JuS 2003, 521 (529).

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 VII

Zusammenhang mit einem Mangel besteht (str.).129 Auf konkurrierende deliktische Ansprüche findet § 438 hingegen keine (analoge) Anwendung (s. hierzu Rdn. 908). 3. Längere Verjährungsfristen bestehen in den Fällen von § 438 I Nr. 1 und 2. Nr. 1 a) betrifft die Rechtsmängelhaftung in den sog Eviktionsfällen. Da Herausgabeansprüche aus dinglichem Recht gem. § 197 I Nr. 1 in 30 Jahren verjähren, soll der Käufer seine Gewährleistungsrechte ebenso lang geltend machen dürfen. Das Gleiche gilt nach Nr. 1b) für sonstige Rechte, die im Grundbuch eingetragen sind, z. B. Grundpfandrechte.130

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Wurde beispielsweise eine abhanden gekommene Sache verkauft und nicht wirksam übereignet (§ 935 I !), kann der Eigentümer seinen Herausgabeanspruch aus § 985 dreißig Jahre lang geltend machen. Der Käufer soll deshalb ebenso lang gegen seinen Verkäufer vorgehen dürfen. Allerdings wird es in der Praxis häufig zur Ersitzung in der Zehn-Jahres-Frist des § 937 kommen. Der gute Glaube des Ersitzenden wird vermutet, Besitzzeiten von Rechtsvorgängern werden angerechnet, § 943.

Für den Verkauf von Bauwerken gilt nach § 438 I Nr. 2 a) eine fünfjährige Verjährungsfrist. Wegen der Komplexität des Kaufgegenstands wäre die kurze zweijährige Verjährung hier nicht angemessen. Außerdem wird ein Gleichlauf mit dem Werkvertragsrecht erzielt, s. § 634 a I Nr. 2. Die frühere Rechtsprechung, nach der zur Vermeidung der kurzen Verjährung auf den Verkauf von neu errichteten Bauwerken das werkvertragliche Gewährleistungsrecht anzuwenden war,131 ist hierdurch obsolet geworden: Auch auf den Verkauf von neu errichteten Bauwerken sollte jetzt immer Kaufrecht angewendet werden (s. u. Rdn. 1227). – Die fünfjährige Verjährungsfrist gilt gem. § 438 I Nr. 2 b) auch für Baumaterial. Hierdurch soll die „Regressfalle“ zu Lasten des Bauhandwerkers (und von Zwischenhändlern) vermieden werden. Der Bauhandwerker haftet seinem Besteller gem. § 634 a I Nr. 2 fünf Jahre lang. Wurde der Mangel des Werks durch mangelhaftes Baumaterial verursacht, sollen die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche des Bauhandwerkers gegen seine Lieferanten derselben Verjährungsfrist unterliegen. Der Bauhandwerker trägt damit lediglich das Risiko des unterschiedlichen Verjährungsbeginns, das er aber durch rasche Verwendung des Baumaterials klein halten kann.132 4. Die Verjährung beginnt gem. § 438 II bei Grundstücken mit der Übergabe, ansonsten mit Ablieferung der Sache. Ablieferung bedeutet (wie in § 377 HGB) Überlassung der Sache an den Käufer, so dass er die Möglichkeit hat, sie auf Mängel zu untersuchen. – Etwas anderes gilt bei arglistigem Verhalten des Verkäufers (zum Begriff der Arglist s. bereits oben Rdn. 882). Gem. § 438 III gilt bei Arglist die Regelverjährung mit subjektivem Verjährungsbeginn, §§ 195, 199. Arglist setzt zumindest bedingten Vorsatz voraus, der auch bei Angaben „ins Blaue hinein“ vorliegt, wenn der Verkäufer weiß, dass ihm hierfür nicht die notwendigen Informationen vorliegen. 5. Der Verjährung unterliegen gem. § 194 I nur Ansprüche. Rücktritt und Minderung sind keine Ansprüche, sondern Gestaltungsrechte, die somit nicht verjähren können. Da sie aber notwendigerweise derselben Frist wie die Gewährleistungsansprüche unter129 Gegen die Anwendung von § 438 auf die Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten Palandt/ Heinrichs § 280 Rdn. 22f. Differenzierend Müller/Hempel AcP 205 (2005) 246 (260f, 272f): Für leistungsbezogene Nebenpflichten mit Dauercharakter (z. B. Wettbewerbsverbote) gelte die regelmäßige Verjährungsfrist der §§ 195, 199. 130 Zum Hintergrund s. Rechtsausschuss BT-Drs 14/7052, 196. 131 S. z. B. BGH NJW 1987, 2373 (2374). 132 Zu den Einzelheiten s. GesBegr BT-Drs 14/6040, 227f.

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Veräußerungsverträge

liegen müssen, nimmt § 438 IV, V folgende Konstruktion vor: Rücktritt und Minderung sind nach § 218 unwirksam, wenn der Nacherfüllungsanspruch (§ 439) verjährt ist und der Verkäufer sich hierauf beruft. Über diesen Umweg gelten die gewährleistungsrechtlichen Fristen also auch für Rücktritt und Minderung. Hat der Käufer noch nicht gezahlt, kann er gem. § 438 IV 2, V auch nach Eintritt der Verjährung die Zahlung des Kaufpreises ganz oder teilweise verweigern. Im Gegensatz zur alten Rechtslage ist eine Mängelanzeige vor Verfristung nicht erforderlich. Auch Mängel, die erst nach der Verjährung der Mängelansprüche entdeckt werden, berechtigen also im geltenden Recht zur Verweigerung der Kaufpreiszahlung.133 Verweigert der Käufer die Kaufpreiszahlung, kann der Verkäufer gem. § 438 IV 3 mit Rücktritt reagieren; er bekommt dann wenigstens die (mangelhafte) Kaufsache zurück. 6. Nach § 203 ist die Verjährung gehemmt, wenn Verkäufer und Käufer in Verhandlungen über den Mangel eingetreten sind. Erkennt der Verkäufer die Rechte des Käufers an, beginnt gem. § 212 die Verjährung erneut. Bestreitet der Verkäufer die Rechte des Käufers, muss dieser eine Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung betreiben, § 204, z. B. Klage erheben (Nr. 1) oder einen Mahnbescheid erwirken (Nr. 3). Das ist in Kreisen, die dem Rechtsleben ferner stehen, vielfach nicht bekannt. – Vereinbarungen über die Verjährung sind möglich, und zwar sowohl die Verkürzung als auch die Verlängerung der Verjährung, s. § 202. Dies kann durch Individualvereinbarung, aber auch durch AGB geschehen, allerdings mit Einschränkungen durch §§ 309 Nr. 7, Nr. 8 b) ff), 307. Im Verbrauchsgüterkauf kann gem. § 475 II die Verjährungsfrist auf höchstens zwei Jahre, bei gebrauchten Sachen auf ein Jahr verkürzt werden. Diese Einschränkungen gelten gem. § 475 III nicht für Schadensersatzansprüche.

VIII. Verhältnis der Sachmängelgewährleistung zu anderen Rechten 892

Der Anwendungsbereich der Sachmängelgewährleistung ist abzugrenzen im Verhältnis zu den Auslegungs-, Dissens- und Anfechtungsregeln einerseits (1.), im Verhältnis zu anderen Anspruchsgrundlagen und Rechten andererseits (unten 2.–7.). 1. Auslegungs-, Dissens- und Anfechtungsregeln Die Regeln über Sachmängelgewährleistung setzen einen wirksamen Kaufvertrag voraus. Ist aufgrund eines Willensmangels kein Vertrag zustande gekommen, oder wird der wirksam zustande gekommene Vertrag angefochten, ist für Sachmängelgewährleistung kein Raum. Die Regeln über Willensmängel gehen deshalb dem Sachmängelgewährleistungsrecht vor und werden durch dieses nicht ausgeschlossen. Dies betrifft die Regeln über die Auslegung (§§ 133, 157), den Dissens (§§ 154, 155) und über Inhaltsund Erklärungsirrtum (§ 119 I). a) Zunächst ist der Inhalt der ausgetauschten Erklärungen durch Auslegung zu ermitteln. Wenn sich der Inhalt der beiderseitigen Erklärungen nicht deckt, liegt ein offener (§ 154) oder versteckter Dissens (§ 155) vor; es kommt gar nicht zu einem Kaufvertrag. Beispiel: Der Käufer möchte einen vergoldeten Ring kaufen, der Verkäufer einen echt goldenen verkaufen. Kommt dies jeweils für den Empfänger der Willenserklärung objektiv zum Ausdruck, fehlt es an einer Einigung, also auch an einem Kaufvertrag.

133 GesBegr BT-Drs 14/6040, 230; anders § 478 a. F.

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b) Das Rechtsgeschäft kann wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums anfechtbar sein, § 119 I. Irrtum ist ein Auseinanderfallen von Wille und Erklärung. Beim Inhaltsirrtum (§ 119 I Alt. 1) setzt der Erklärende ein Erklärungszeichen, das er auch setzen wollte, über dessen Bedeutung er aber irrt (daher auch: Bedeutungsirrtum).134 Beim Erklärungsirrtum („Verschreiben, Versprechen, Vergreifen“, § 119 I Alt. 2) setzt der Erklärende ein Erklärungszeichen, das er gar nicht setzen wollte.

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Beispiel: K bestellt bei Buchhändler B ein Buch über „Feng Shui“ in dem Glauben, es handele sich dabei um ein Werk über ein meditatives Bewegungsprogramm. In Wirklichkeit ist „Feng Shui“ die asiatische Lehre über Wohnen und Leben im Einklang mit der Umgebung; K hat den Begriff mit „Tai Chi“ verwechselt. Es liegt ein Inhaltsirrtum vor. – Auf dem Etikett eines Rings hat sich der Verkäufer verschrieben und eine Null weggelassen (1.000 statt 10.000 €). Da über den Preis nicht weiter geredet wurde, ist diese Preisangabe objektiv Bestandteil des Verkaufsangebots geworden. Es liegt ein Erklärungsirrtum vor. – Ein Erklärungsirrtum liegt auch dann vor, wenn aufgrund eines Fehlers im Datentransfer ein Preis im Internet falsch ausgezeichnet wird (BGH NJW 2005, 976 m. Anm. Spindler JZ 2005, 793).

In den Fällen des § 119 I kann der sich Irrende anfechten. Die Regeln über Sachmängelgewährleistung stehen nicht entgegen. Dies gilt für Verkäufer und Käufer.135 Im Gutachten prüft man zweckmäßig den – oft mit kurzen Worten abschichtbaren – Erklärungsirrtum als erstes vorab. Dann folgt der Inhalts-, dann der Eigenschaftsirrtum.

c) Demgegenüber stimmen beim Motivirrtum Wille und Erklärung überein, nur geht der Erklärende von falschen Voraussetzungen aus. Motivirrtümer sind grundsätzlich unbeachtlich; nur zwei Arten von Motivirrtümern sind ausnahmsweise Anfechtungsgrund: solche über verkehrswesentliche Eigenschaften der Person der der Sache, sog. Eigenschaftsirrtum (§ 119 II). Verkehrswesentliche Eigenschaften i. S. v. § 119 II sind entweder Eigenschaften einer Person (z. B. des Vertragspartners) oder die wertbildenden Faktoren einer Sache, soweit sie dieser unmittelbar anhaften, z. B. Material, Echtheit, Urheberschaft, Alter, nicht dagegen der Wert der Sache selbst, ihr Preis oder eine darauf bezügliche Kalkulation. Beispiel 1: K kauft bei V einen Ring als „vergoldet“. In Wirklichkeit ist dieser Ring echt golden. Beispiel 2: K kauft bei V einen Ring als „echt golden“. In Wirklichkeit ist dieser Ring nur vergoldet.

In beiden Fällen ist ein Vertrag zustande gekommen, da eine Einigung über einen konkreten Kaufgegenstand erfolgte. Ein Erklärungsirrtum scheidet aus, da kein Irrtum über das Erklärungszeichen vorliegt. Ebenso wenig ist ein Inhaltsirrtum gegeben, da ein konkreter Ring verkauft werden sollte, und beide Parteien dies auch so wollten. Dass sie davon ausgingen, der Ring sei „vergoldet“, bzw. „echt golden“, ist bloßes Motiv. In den Fällen des § 119 II berechtigt aber ausnahmsweise auch ein Motivirrtum zur Anfechtung.136

134 Lessmann JuS 1969, 480: „Der Erklärende weiß, was er sagt, er weiß aber nicht, was er damit sagt.“ Fallgruppen sind: Irrtum über die Geschäftsart (error in negotio), über die Person des Geschäftspartners (error in persona), über die Identität des Geschäftsgegenstands (error in objecto) oder über gestaltgebende Merkmale des vom Erklärenden anvisierten Geschäftsgegenstands (error in substantia), s. Köhler BGB – Allgemeiner Teil § 14 Rdn. 17. 135 H. L.; abweichend Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 193. 136 H. L.; nach anderer Auffassung liegt ein Unterfall des Erklärungsirrtums vor, s. die Nachweise bei Larenz/Wolf AT § 36 Rdn. 37.

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§ 71 VIII 1

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Veräußerungsverträge

Für Erklärungs- und Inhaltsirrtümer gilt nichts Besonderes: Sie berechtigen zur Anfechtung. Eigenschaftsirrtum und Sachmängelgewährleistung überschneiden sich in ihren Anwendungsbereichen, so dass ihr Verhältnis zu klären ist. Zu unterscheiden ist zwischen Verkäufer und Käufer. Der Verkäufer ist grundsätzlich zur Anfechtung nach § 119 II berechtigt, da die Sachmängelgewährleistung lediglich spezielle Rechte des Käufers regelt. Eine Einschränkung ergibt sich lediglich aus dem Gesichtspunkt, dass sich der Verkäufer durch die Anfechtung nicht rechtsmissbräuchlich den Gewährleistungsrechten des Käufers entziehen darf (s. bereits oben Rdn. 415). In Beispiel 1 kann V also das für ihn nachteilige Geschäft gem. § 119 II anfechten. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs steht nicht entgegen, da er sich nicht den Gewährleistungsrechten des K entziehen, sondern nur den zu billig verkauften Ring wiedererlangen möchte.

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Anders verhält es sich beim Käufer. Nach h. M. ist für ihn die Anfechtung nach § 119 II wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Kaufsache durch die Sonderregeln der Sachmängelgewährleistung ausgeschlossen.137 In Beispiel 2 kann K nach dieser Auffassung nicht gem. § 119 II anfechten, da die Materialabweichung zugleich einen Sachmangel darstellt. Er muss seine Sachmängelgewährleistungsrechte aus § 437 geltend machen.

Für die h. M. sprechen folgende Argumente. Bei jedem Sachmangel liegt zugleich ein Eigenschaftsirrtum über die Kaufsache vor. Eine uneingeschränkte Zulassung der Anfechtung würde die spezifischen Modalitäten des Gewährleistungsrechts gegenstandslos machen. So gilt im Gewährleistungsrecht die kurze Verjährung des § 438, während die Anfechtung gem. § 121 II auch noch bis zu zehn Jahren seit Abgabe der Willenserklärung möglich ist. Außerdem steht wegen § 442 I 2 bereits grobe Fahrlässigkeit den Rechten des Käufers entgegen, während bei § 119 II erst Kenntnis der wahren Sachlage den Eigenschaftsirrtum und damit die Anfechtbarkeit ausschließt. Die Gegenmeinung verweist demgegenüber auf die Eigenständigkeit der Regeln über Willensmängel, welche den Schutz der Privatautonomie bezwecken. Außerdem sei nicht einzusehen, dass zwar der Verkäufer den Verkauf einer unerkannt edlen Sache anfechten könne, der Käufer einer zu teuer bezahlten Fälschung diese Möglichkeit aber nicht habe.138 Der Hinweis auf die fehlende Waffengleichheit ist bedenkenswert. Allerdings hat die Schuldrechtsmodernisierung die Argumente zugunsten der h. M. gestärkt. Schließlich hat der Verkäufer nun das „Recht zur zweiten Andienung“. Dies würde durch das Brachialinstrument der Anfechtung unterlaufen.139 Es hat deshalb beim Vorrang der Gewährleistung vor § 119 II sein Bewenden. – Dies gilt für die Zeit vor und nach Gefahrübergang (str.).140 – § 119 II bleibt aber anwendbar, soweit verkehrswesentliche Eigenschaften der Kaufsache geltend gemacht werden, die keine Sachmängel i. S. v. § 434 sind.

137 GesBegr BT-Drs 14/6040, 210; Erman/B. Grunewald Vor § 437 Rdn. 20; P. Huber FS Hadding (2004) 105 ff; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 130 ff. 138 Larenz/Wolf AT § 36 Rdn. 49 f; Wasmuth FS Piper (1996) 1083 ff. So auch die Lösung im schweizerischen Recht, s. BGE 114 II 131 (mit Ausnahme beim Viehkauf, BGE 111 II 67). 139 Differenzierend deshalb Schur AcP 204 (2004) 883, der die Anfechtung nach § 119 II dann zulassen möchte, wenn im Einzelfall ein Nacherfüllungsanspruch nicht besteht oder nachrangig ist. 140 GesBegr BT-Drs 14/6040, 210; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse (2002) 131. A. A. BGHZ 34, 32; Erman/B. Grunewald Vor § 437 Rdn. 22: Kein Ausschluß von § 119 II vor Gefahrübergang.

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 VIII 3

d) Stets möglich ist die Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung gem. § 123. Wird der Käufer arglistig über einen Sachmangel getäuscht, kann er entweder seine Mängelrechte aus dem Kaufvertrag geltend machen oder den Kaufvertrag durch Anfechtung nach § 123 beseitigen (mit Wirkung ex tunc).141 Fechtet er an, kann er das von ihm bereits Geleistete nach § 812 kondizieren und einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 I, § 311 II, 241 II (c.i.c.), bzw. §§ 826, 823 II z. B. i. V. m. § 263 StGB geltend machen. Wenn der Vertrag einmal wirksam angefochten wurde, ist die Berufung auf die Rechte des § 437 nicht mehr möglich, da kein wirksamer Kaufvertrag mehr vorliegt.142

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2. Einrede des nicht erfüllten Vertrags Zur Annahme einer mangelhaften Sache ist der Käufer grundsätzlich nicht verpflichtet. Er kann die mangelhafte Sache zurückweisen und die Zahlung des Kaufpreises gem. § 320 verweigern; er kommt hierdurch nicht in Gläubigerverzug (s. bereits oben Rdn. 856). Nach Gefahrübergang hat der Käufer i. d. R. einen Nacherfüllungsanspruch, einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung oder auf Herausgabe eines Surrogats. Da diese Ansprüche an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs treten, stehen sie im Gegenseitigkeitsverhältnis und berechtigen den Käufer ebenfalls zur Verweigerung der Kaufpreiszahlung gem. § 320 (s. näher o. Rdn. 524). Der Käufer ist im Prinzip zur Verweigerung des gesamten Kaufpreises berechtigt. Eine Vorschrift wie 641 III existiert im Kaufrecht nicht.143 Eine Einschränkung folgt allerdings aus § 320 II, bzw. allgemein aus dem Prinzip von Treu und Glauben. Bei geringfügigen Mängeln kann sich das Leistungsverweigerungsrecht ausnahmsweise auf einen Teil der Gegenleistung beschränken.

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3. Verletzung vorvertraglicher Pflichten Vor der Schuldrechtsmodernisierung waren Schadensersatzansprüche im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht nur in Sondertatbeständen vorgesehen, setzten nämlich die Zusicherung einer Eigenschaft oder Arglist voraus (§§ 463, 480 II a. F.). Auf verschiedenen Wegen versuchte man, die Voraussetzungen für Schadensersatz zu erleichtern. Eine dieser Möglichkeiten war die Zuerkennung von Ansprüchen aus culpa in contrahendo durch die Konstituierung vorvertraglicher Pflichten. Allerdings waren nach h. M. Ansprüche aus c.i.c. ausgeschlossen, soweit sich die Verletzung der vorvertraglichen Pflicht auf Eigenschaften der Kaufsache bezog, deren Fehlen einen Sachmangel darstellte.144 Im geltenden Recht besteht mit § 280 I eine schadensersatzrechtliche Generalklausel für Sonderverbindungen, so dass sich die Diskussion um vorvertragliche Pflichten nicht mehr auf das Ob, sondern lediglich das Wie einer Schadensersatzhaftung bezieht: Bei jeder zu vertretenden Pflichtverletzung wird auf Schadensersatz gehaftet. Im Anwendungsbereich der Mängelgewährleistung wird dieser Anspruch allerdings 141 Nach Auffassung des BGH kann die Rechtskraft eines erfolglosen Gewährleistungsprozesses allerdings der Geltendmachung der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung entgegenstehen, BGH NJW 2004, 1252; Althammer/Löhnig AcP 205 (2005) 520 (522ff). Dies ist allerdings abzulehnen, soweit der Käufer die Arglist des Verkäufers im Vorprozeß gar nicht kannte, so zu Recht Schulze-Schröder NJW 2004, 1364. 142 H. M.; a. A. Derleder NJW 2004, 969 (§ 325 analog), hiergegen Höpfner NJW 2004, 2865. 143 A. A. Palandt/Grüneberg § 320 Rdn. 11: Entscheidet sich der Käufer für Nachbesserung, kann er das Dreifache des Beseitigungsaufwands einbehalten. 144 S. die Nachweise in der 9. Aufl. Rdn. 742.

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Veräußerungsverträge

modifiziert, nämlich z. B. durch den Vorrang der Nacherfüllung, den Anspruchsausschluss bei Kenntnis oder grobfahrlässiger Unkenntnis des Mangels (§ 442 I) oder die besondere Verjährungsregel des § 438. Aufgrund dieser Unterschiede schließt das Gewährleistungsrecht nach herrschender und zutreffender Meinung Ansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten in seinem Anwendungsbereich aus. Anderenfalls würden die Sonderregeln des Gewährleistungsrechts unterlaufen.145 Beispiel: V verkauft K ein krankes Pferd. V hat keine Kenntnis von der Erkrankung, hätte sie aber erkennen können und dem K mitteilen müssen. V haftet dem K gem. den §§ 437 ff, 90 a. K hat gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I zunächst Nacherfüllung geltend zu machen, nämlich Nachbesserung (Einschaltung eines Tierarztes) oder Nachlieferung (eines gesunden Pferds). Erst nach erfolgloser Bestimmung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung kann er auf Schadensersatz übergehen. Seine Ansprüche verjähren gem. § 438 I Nr. 3, II in zwei Jahren seit Übergabe des Tiers. Ist dem K die Krankheit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, sind Gewährleistungsrechte gem. § 442 I 2 gänzlich ausgeschlossen. – Spräche man dem K daneben einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 II zu (fahrlässige Verletzung der vorvertraglichen Pflicht zur Mitteilung der Erkrankung), könnte K sofort auf Schadensersatz gehen, ohne vorher Nacherfüllung verlangen zu müssen. Dieser Anspruch bestünde auch, wenn er die Erkrankung grob fahrlässig verkannt hätte (sein Anspruch wäre dann lediglich gem. § 254 gemindert). Der Anspruch würde der regelmäßigen Verjährung (§§ 195, 199) unterliegen (jedenfalls wenn man in diesen Fällen nicht § 438 analog anwendet). – Da dies mit dem Regelungssystem der §§ 437ff nicht vereinbar ist, wird der Anspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 II durch das speziellere Gewährleistungsrecht verdrängt. Steckt das kranke Pferd andere Tiere des K an, hat dieser einen Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I auf Ersatz des Mangelfolgeschadens. Diesbezüglich ist eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht erforderlich (s. o. Rdn. 504 ff). Es bleibt aber beim Anspruchsausschluss nach § 442, wenn der K den Mangel kannte oder grob fahrlässig verkannte, und bei der kurzen Verjährung des § 438.

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Entgegen der h. M. sind die Gewährleistungsvorschriften auch dann exklusiv anzuwenden, wenn der Verkäufer arglistig über die Beschaffenheit der Sache getäuscht hat.146 Es ist nicht zu erkennen, warum hier der Vorrang des Gewährleistungsrechts nicht gelten sollte, zumal bei Arglist nicht die kurze Verjährung gilt (§ 438 III), dem Käufer grob fahrlässige Unkenntnis des Mangels bei Vertragsschluss nicht schadet (§ 442 I 2) und Haftungsausschlüsse gem. § 444 unwirksam sind. Der Vorrang des Gewährleistungsrechts vor dem Anspruch aus Vertragsanbahnung gilt allerdings nur soweit, wie der Anwendungsbereich des Gewährleistungsrechts reicht. Bezieht sich die Pflichtverletzung auf Umstände, die mit der Beschaffenheit der Kaufsache nichts zu tun haben (z. B. Kreditwürdigkeit eines Vertragspartners; steuerliche Aspekte der Transaktion, die nicht von der Beschaffenheit der Sache abhängen), sind Ansprüche aus Vertragsanbahnung nicht ausgeschlossen. Aber auch bei einem unmittelbaren Bezug der Pflichtverletzung zur Beschaffenheit der Sache bleiben Ansprüche aus Vertragsanbahnung unberührt, wenn über den betreffenden Umstand keine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen werden konnte (es wird z. B. pflichtwidrig 145 Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (87 ff); Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (126); S. Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 576ff; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 135 f; Palandt-Heinrichs § 311 Rdn. 25, 43ff. A. A. Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 181; Emmerich Das Recht der Leistungsstörungen § 7 II 5 c); ders., FS Honsell (2002) 209 (217 ff): Selbständige Anwendung der vorvertraglichen Haftung mit Regelverjährung; Häublein NJW 2003, 388 ff. 146 Anders z. B. BGH NJW 2002, 208 (210 m. w. N.); Erman/B. Grunewald Vor § 437 Rdn. 29. Wie hier Palandt/Heinrichs § 311 Rdn. 26.

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 VIII 4

nicht über besondere Gefahren der Kaufsache informiert). Ansprüche aus Vertragsanbahnung kommen selbst dann in Betracht, wenn zwar eine Beschaffenheitsvereinbarung möglich gewesen, von den Parteien tatsächlich aber nicht getroffen wurde.147 Ein selbständiger Anspruch aus § 280 I außerhalb der Mängelgewährleistung besteht schließlich dann, wenn der Verkäufer gegenüber dem Käufer (ausnahmsweise) eine besondere Beratungspflicht übernommen hat.148 Sperrt das Gewährleistungsrecht nicht, kommen also Ansprüche aus Vertragsanbahnung in Betracht (§§ 280 I, 311 II, 241 II). Es ist dann aber im Einzelfall zu klären, ob tatsächlich eine vorvertragliche Pflicht bestand, die verletzt wurde. In diesem Zusammenhang kommen in erster Linie vorvertragliche Aufklärungs- und Beratungspflichten, also Informationspflichten in Betracht. Im Grundsatz hat sich jede Partei selbständig um die Einholung aller relevanten Informationen zu bemühen, es besteht also keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die andere Seite von Bedeutung sein könnten. Nach ständiger Rechtsprechung trifft den Vertragspartner aber dann eine Aufklärungspflicht, wenn es um Umstände geht, welche für den anderen Teil erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind, und dieser nach der Verkehrsauffassung eine Mitteilung hierüber erwarten kann.149 Informationspflichten hängen also von den Umständen des Einzelfalls ab, z. B. von der Komplexität der Kaufsache, der besonderen Sachkunde des Verkäufers oder der Schutzwürdigkeit des Käufers.

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Der Käufer kann beispielsweise vom Hersteller größere Sachkunde erwarten als von einem Fachgeschäft, von einem Fachgeschäft größere Sachkunde als von einem Warenhaus, etc. Ganz entfernt liegende Risiken braucht der Verkäufer nicht zu kennen, jedenfalls wenn er nicht zugleich der Hersteller ist. Durch Bitte um Beratung kann der Käufer solche Risiken nicht auf den Verkäufer abwälzen.150

Für Ansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten gilt im Grundsatz die Regelverjährung der §§ 195, 199. Steht die vorvertragliche Pflicht allerdings in engem Zusammenhang zur Beschaffenheit der Kaufsache, ist die analoge Anwendung von § 438 geboten.151 4. Verletzung vertragsbegleitender Schutz- und Verhaltenspflichten Abgrenzungsprobleme stellen sich auch bei der Verletzung vertragsbegleitender Schutz- und Verhaltenspflichten (s. o. Rdn. 37 ff, dort auch zur Mehrdeutigkeit des Ausdrucks „Nebenpflichten“). Auf (die dazu zählenden Pflichten zur Verhütung von) Mangelfolgeschäden finden über § 437 Nr. 3 die Gewährleistungsvorschriften, also auch die kurze Verjährung des § 438 Anwendung. Steht der geltend gemachte Schaden dagegen nicht mit einem Mangel in Verbindung, ergeben sich vertragliche Schadensersatzansprüche aus § 280 I (ggf. in Verbindung mit § 241 II) in isolierter Anwendung, also unter Anwendung der Regelverjährung (§§ 195, 199). Beispiele: Da der verkaufte Tisch schlecht montierte Beine hat, bricht er eines Tages zusammen. Die auf ihm postierte Ming-Vase geht zu Bruch. In Bezug auf die Vase liegt ein Mangelfolgeschaden vor, der Anspruch des Käufers auf Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I verjährt deshalb gem.

147 Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (89f); Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (126). A. A. die Rechtsprechung zum alten Recht, BGHZ 114, 263 (266); NJW 1992, 2564 (2565f). 148 BGH NJW 2001, 2021f; s. MüKo/Emmerich Bd. 2a § 311 Rdn. 128f. 149 BGH NJW 2000, 803 (804); NJW 2001, 2163 (2164). 150 BGH NJW 2004, 2301f. 151 Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (99f); Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (126).

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Veräußerungsverträge

§ 438 I Nr. 3, II in zwei Jahren seit Ablieferung des Tischs.152 – Bei Lieferung des Tischs stoßen die Leute des Verkäufers eine Designer-Lampe um. Der Schaden an der Lampe beruht nicht auf einem Mangel des Tischs, sondern auf der Verletzung der selbständigen Pflicht zur Rücksicht auf das Eigentum des K, also einer Schutzpflicht i. S. v. § 241 II. Der Schadensersatzanspruch unterfällt deshalb nicht den §§ 437 ff, sondern folgt aus den §§ 280 I, 241 II in isolierter Anwendung. Der Anspruch verjährt gem. den §§ 195, 199.

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Die Abgrenzung von Gewährleistungsrecht und mangelunabhängiger Pflichtverletzung kann im Einzelfall erhebliche Probleme bereiten. Beispiele: BGHZ 47, 312: Eine Bedienungsanleitung ist fehlerhaft; BGHZ 66, 208 („Batterien“): Statt ungefüllter werden gefüllte Batterien geliefert. Da die Pole einer Batterie nicht abgedeckt sind, kommt es zu einem Brand. Rechtsgüter des Käufers werden beschädigt; BGHZ 107, 249 („Benzintank“): Für seine Tankanlage kauft K Super- und Normalbenzin. Der Verkäufer betankt aufgrund eines Versehens den Normalbenzintank mit Super und den Superbenzintank mit Normalbenzin. Fahrzeuge des K werden deshalb versehentlich mit Normaltreibstoff betankt und hierdurch beschädigt; BGHZ 132, 175 („Extremschuhe“): In einer langjährigen Geschäftsbeziehung wird auf einmal mangelhaftes Leder geliefert. Der Verkäufer weist auf die Qualitätsänderung nicht hin.

Der BGH hat in allen Fällen eine Nebenpflichtverletzung angenommen (uneinheitlich allerdings die Anwendung gewährleistungsrechtlicher Vorschriften wie z. B. der kurzen Verjährung oder von § 377 HGB). Dahinter ist das Bestreben erkennbar, den Restriktionen für Schadensersatzansprüche im alten Gewährleistungsrecht auszuweichen. Dies ist im modernisierten Schuldrecht aufgrund der schadensersatzrechtlichen Generalklausel des § 280 I nicht mehr erforderlich. Die genannten Fälle sind deshalb durchweg dem Gewährleistungsrecht zuzuordnen. Die Pflicht zur Aushändigung einer ordnungsgemäßen Bedienungsanleitung stellt zwar eine Nebenleistungspflicht dar (s. o. Rdn. 36); soweit die Anleitung für die Benutzung der Kaufsache erforderlich ist, führt die Verletzung dieser Pflicht aber zu einem Sachmangel und zur Anwendung der Gewährleistungsvorschriften. – Die gefüllten und nicht gesicherten Batterien sind mangelhaft. – Das in den Superbenzintank eingefüllte Normalbenzin weicht von der für diesen Tank vereinbarten Sollbeschaffenheit ab und stellt deshalb ebenfalls einen Sachmangel dar. – Das gelieferte Leder ist mangelhaft. – In allen Fällen ist deshalb Gewährleistungsrecht, also auch die kurze Verjährung des § 438 anzuwenden (str.).153

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Die Grenzen zwischen vorvertraglicher und vertraglicher Pflichtverletzung sind fließend, da sie von der Verhältnisbestimmung zwischen Mängelgewährleistung und Haftung aus Vertragsanbahnung abhängen (s. o. Rdn. 899 ff). Beispiel: BGHZ 88, 131 („Dispersionskleber“): Der Verkäufer informierte pflichtwidrig nicht über die besondere Feuchtigkeitsempfindlichkeit des verkauften Klebers; der verklebte Bodenbelag wird beschädigt. Der BGH sah Ansprüche aus c. i. c. für ausgeschlossen an, da es sich um eine Eigenschaft der Kaufsache handele (Vorrang des Gewährleistungsrechts), nahm aber die Verletzung einer

152 Zwar liegt zugleich eine Schutzpflichtverletzung i. S. v. § 241 II vor, da das Eigentumsrecht des Käufers an der Vase verletzt wurde. Diese tritt aber hinter die Verletzung der Pflicht zur mangelfreien Leistung zurück, s. o. Rdn. 42. 153 In diesem Sinn Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 183, 187; für den „Benzintank“-Fall Erman/ B. Grunewald Vor § 437 Rdn. 13; für die Bedienungsanleitung Medicus Schuldrecht II Rdn. 50. A. A. für die Bedienungsanleitung Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 137, 85f: Teilweise Nichterfüllung mit Anwendung der allgemeinen Regeln. Allgemein gegen die Anwendung der kurzen kaufrechtlichen Verjährung auf die Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten Palandt/Heinrichs § 280 Rdn. 22f.

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Sachmängelgewährleistung

§ 71 VIII 6

selbständigen „Nebenpflicht“ aus dem Kaufvertrag an, worauf er die kurze kaufvertragliche Verjährungsfrist anwendete. Geht man (mit dem BGH) davon aus, dass der Kleber nicht mangelhaft ist, ist der Fall nach modernisiertem Schuldrecht demgegenüber wie folgt zu lösen: Da in Bezug auf das Feuchtigkeitsverhalten keine Beschaffenheitsfestlegung i. S. v. § 434 erfolgte, sind Ansprüche aus Vertragsanbahnung nicht ausgeschlossen (s. o. Rdn. 901). V haftet dem K deshalb aus §§ 280 I, 311 II, 241 II auf den Schaden am Bodenbelag, weil er seine Informationspflicht verletzt hat. Gehaftet wird also aus vorvertraglicher und nicht aus vertraglicher Pflichtverletzung. Da sich die Pflichtverletzung hier auf eine Eigenschaft der Kaufsache bezieht, ist allerdings Gewährleistungsrecht, insbesondere die kurze Verjährung des § 438 analog anzuwenden.

5. Störung der Geschäftsgrundlage Die Gewährleistungsregeln schließen als lex specialis Ansprüche aus Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313) aus. Dies gilt auch dann, wenn die Gewährleistungsrechte im Einzelfall vertraglich ausgeschlossen wurden oder bereits verjährt sind.154 Der Vorrang des Gewährleistungsrechts gilt auch für die Zeit vor Gefahrübergang.155 Außerhalb des Anwendungsbereichs des Gewährleistungsrechts ist ein Rückgriff auf § 313 aber möglich. Dies ist immer dann der Fall, wenn es um Umstände geht, die nicht zu einem Mangel der Kaufsache i. S. v. § 434 führen können.156 Dies ist z. B. der Fall, wenn die Parteien davon ausgegangen sind, dass das verkaufte Grundstück in Zukunft bebaubar werde.157 Da ein Sachmangel nur bei einer Beschaffenheitsabweichung bei Gefahrübergang vorliegt, fallen solche Vorstellungen für die Zukunft nicht in den Anwendungsbereich der Sachmängelgewährleistung. Ein Rückgriff auf § 313 ist möglich. Dessen Voraussetzungen sind allerdings stets sorgfältig zu prüfen. Die bloß einseitigen Vorstellungen einer Partei werden nicht zur Geschäftsgrundlage erhoben; außerdem ist § 313 nicht anwendbar, wenn das betreffende Risiko einer Partei zugewiesen wurde (s. o. Rdn. 233).

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6. Ungerechtfertigte Bereicherung Solange ein wirksamer Kaufvertrag vorliegt, besteht ein „rechtlicher Grund“ i. S. v. § 812, so dass Bereicherungsansprüche ausgeschlossen sind. Der Käufer hat also bei einem Sachmangel seine Gewährleistungsrechte aus § 437 geltend zu machen, und kann nicht etwa den bereits gezahlten Kaufpreis nach § 812 kondizieren. Wie steht es aber mit Bereicherungsansprüchen des Verkäufers? Die Frage ist von Bedeutung in den Fällen, in denen der Verkäufer einen wertvolleren Gegenstand leistet als beabsichtigt. Es ist wie folgt zu differenzieren: Wurde bereits der Kaufvertrag über eine wertvollere Sache als beabsichtigt abgeschlossen (die vermeintliche Kopie ist in Wirklichkeit ein Original), kann der Verkäufer den Kaufvertrag gem. § 119 II anfechten und die Sache im Wege der Leistungskondiktion zurückverlangen (s. o. Rdn. 895). Ist der Kaufvertrag dagegen nicht mit einem Irrtum behaftet, sondern wird lediglich versehentlich ein höherwertiges aliud geleistet (anstelle des geschuldeten goldenen Rings wird ein Brillantring geliefert), liegt wegen § 434 III ein Sachmangel vor. Das aliud wurde deshalb mit Rechtsgrund geleistet, kann also vom Verkäufer im Ausgangspunkt nicht kondiziert werden. Die Tilgungsbestimmung, nämlich die Zuordnung des geleisteten aliud zu der konkreten Ver154 155 156 157

BGHZ 98, 100 (104). Erman/B. Grunewald Vor § 437 Rdn. 18. Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 134. BGHZ 47, 48; WM 1977, 118; Staudinger/Matusche-Beckmann § 437 Rdn. 40.

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§ 72

Veräußerungsverträge

pflichtung aus dem Kaufvertrag, unterliegt aber einem Irrtum und kann deshalb gem. § 119 II angefochten werden (hierzu s. bereits oben Rdn. 848). Nach der Anfechtung kann der Verkäufer die Sache dann vom Käufer kondizieren. Nach § 242 wird man den Verkäufer für verpflichtet ansehen dürfen, Zug um Zug gegen Rückgabe des aliud die eigentlich geschuldete Sache an den Käufer zu leisten. 7. Ansprüche aus unerlaubter Handlung 908

Neben den vertraglichen Ansprüchen aus Sachmängelgewährleistung können auch solche aus unerlaubter Handlung bestehen. Es besteht im deutschen Recht kein Spezialitätsverhältnis, sondern Anspruchskonkurrenz (s. u. Rdn. 1545). Werden also durch die Lieferung einer mangelhaften Sache Rechtsgüter des Käufers verletzt („Mangelfolgeschäden“), kommen neben den gewährleistungsrechtlichen auch deliktische Ansprüche in Frage. Beispiel: V verkauft an K eine mangelhafte Espressomaschine, welche bei Inbetriebnahme explodiert. K wird verletzt, seine Küche verwüstet. Hat V den Mangel zu vertreten, hat K einen Anspruch auf Ersatz seines Personen- und Sachschadens gem. § 437 Nr. 3, 280 I und § 823 I. Außerdem können dem K Ansprüche gegen den Hersteller der Maschine aus Produzentenhaftung (§ 823 I) und Produkthaftung (ProdHaftG) zustehen.

§ 823 I setzt eine Eigentumsverletzung voraus. Dieses Merkmal ist problematisch, wenn es um den Ersatz von Schäden an der verkauften Sache selbst geht. Die Lieferung einer mangelhaften Sache ist für sich genommen noch keine Eigentumsverletzung. Nach h. M. sind Schäden an der Kaufsache dann nach § 823 I ersatzfähig, wenn der Mangel mit dem geltend gemachten Schaden nicht „stoffgleich“ ist (zu den „Weiterfresserschäden“ s. u. Rdn. 1565). Die Übernahme der „Weiterfresser“-Lehre in das ProdHaftG ist allerdings wegen § 1 I 2 ProdHaftG ausgeschlossen (str.).158 – Der Anspruch aus § 823 I verjährt in der allgemeinen Verjährungsfrist der §§ 195, 199, also kenntnisabhängig in drei Jahren. § 438 findet keine analoge Anwendung, auch nicht, wenn es um Folgen eines Sachmangels geht.159 Für Ansprüche aus dem ProdHaftG besteht die besondere Verjährungsregel des § 12 ProdHaftG.

§ 72 Rechtsmängelgewährleistung. Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen Eidenmüller, NJW 2002, 1625; ders., ZGS 2002, 290; Ernst, Rechtsmängelhaftung (1995); Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung (2003).

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Der Verkäufer muss gem. § 433 I 2 dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln verschaffen (zum Begriff des Rechtsmangels s. bereits oben Rdn. 831). Die Regeln über Sach- und Rechtsmängel wurden im modernisierten Schuldrecht in Inhalt

158 Heinemann/Ramsauer Jura 2004, 198 (201) m. w. N. 159 Bamberger/Roth/Faust § 437 Rdn. 188; Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (96f); a. A. Mansel NJW 2002, 89 (95), der die Regelverjährung nur auf die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit anwenden möchte.

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Rechtsmängelgewährleistung. Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen

§ 72 I

und Struktur vereinheitlicht. § 437 listet die Rechte des Käufers ganz allgemein für das Vorliegen eines Mangels auf, wobei nicht zwischen den beiden Arten des Mangels unterschieden wird. Die §§ 433ff regeln im Ausgangspunkt lediglich den Sachkauf; über den Verweis in § 453 I sind diese Vorschriften, also auch die Regeln über die Rechtsmängelhaftung auf den Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen entsprechend anwendbar. Beim Rechtskauf sind ohnehin in erster Linie die Rechtsmängel, nicht aber Sachmängel von Bedeutung (Ausnahme: § 453 III). Im folgenden wird zunächst die Rechtsmängelhaftung beim Sach- und Rechtskauf behandelt, bevor auf die Besonderheiten des Unternehmenskaufs eingegangen wird.

I. Allgemeines, insbesondere der Sachkauf Gem. § 433 I 1 ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Gem. §§ 453 I, 433 I 1 ist der Verkäufer eines Rechts verpflichtet, dem Käufer das Recht zu verschaffen. Anders noch musste im römischen und im gemeinen Recht der Verkäufer nur die Handlungen vornehmen, die erforderlich waren, um dem Käufer die Sachherrschaft zu verschaffen. Der Verkäufer haftete dagegen nicht auf den Erfolg, dass der Käufer Eigentümer der Sache bzw. Inhaber des verkauften Rechts wurde.1 Heute dagegen trifft den Verkäufer die Rechtsverschaffungspflicht, d. h. die Verpflichtung, dem Käufer das Eigentumsrecht an der verkauften Sache oder die Inhaberschaft des verkauften Rechts zu verschaffen. Hierin drückt sich ein abstraktes Denken aus, das außer der tatsächlichen Herrschaft über die Sache den rechtlich abstrakten Eigentumstitel und die abstrakte Inhaberschaft der Forderung oder des sonstigen Rechts anerkennt und sie sogar in den Vordergrund der rechtlichen Betrachtung rückt.

Ein Rechtsmangel im Sinne des Kaufrechts ist damit ein Mangel, der dem verkauften Gegenstand (Sache oder Recht) deshalb anhaftet, weil der Verkäufer die ihm nach §§ 433 I 1, 453 I obliegende Pflicht zur Verschaffung des vollen, lastenfreien Rechts nicht erfüllt hat. Teilweise wird die Nichtverschaffung des Eigentums aus dem Begriff des Rechtsmangels herausgenommen, da die Rechtsverschaffungspflicht bereits aus § 433 I 1 folge.2 Die §§ 437 ff wären dann nicht anwendbar.3 Das fehlende Eigentum ist aber der klassische Fall eines Rechtsmangels, der ohne weiteres unter § 435 subsumiert werden kann. Außerdem ist es der in der Praxis (wegen § 935) am häufigsten auftretende Defekt. Das Ergebnis folgt auch (trotz der anderen Formulierung in § 197 I Nr. 1) aus § 438 I Nr. 1 a). Die §§ 437ff finden deshalb direkte Anwendung.4

Der Inhalt der Rechtsverschaffungspflicht besteht zunächst darin, dass der Verkäufer dem Käufer Eigentum nach den dafür einschlägigen Regeln des Sachenrechts zu verschaffen hat, für bewegliche Sachen nach §§ 929 ff, für unbewegliche nach §§ 873, 925. Es ist unerheblich, auf welche Weise der Käufer das Eigentum erlangt: Auch bei gutgläubigem Erwerb vom Nichtberechtigten (§§ 932ff, 892) ist der Verkäufer seiner Pflicht zur Eigentumsverschaffung nachgekommen. Ist ein Recht verkauft, so muss der 1 Der Verkäufer war danach nur zur Übergabe (traditio), nicht aber zur Eigentumsverschaffung an der Sache verpflichtet. Er haftete aber für die Eviktion (Entwehrung), also in dem Fall, dass ein Dritter den Besitz oder das Eigentum in einem Prozeß erfolgreich geltend machte, vgl. § 435 S. 1 und Ernst Rechtsmängelhaftung (1995) 1 ff; Kaser/Knütel Römisches Privatrecht §§ 24 V, 41 V. 2 So z. B. Erman/B. Grunewald § 435 Rdn. 2; Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse S. 51. 3 Anders Bamberger/Roth/Faust § 435 Rdn. 15: analoge Anwendung von § 438 I Nr. 1 a). 4 So auch Canaris JZ 2003, 831 (832); Eidenmüller NJW 2002, 1625 (1626); Scheuren-Brandes ZGS 2005, 295.

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Verkäufer in Vollzug des Kaufvertrags dem Käufer das Recht nach §§ 398, 413 übertragen. 1. Begriff des Rechtsmangels 911

a) Die Verschaffung des Rechts reicht allerdings nicht aus. Der Verkäufer muss dem Käufer den Gegenstand auch frei von Rechten Dritter verschaffen, §§ 433 I 2, 435 S. 1. Dies ist auch durch gutgläubigen lastenfreien Erwerb (§§ 892, 936) möglich. Auch Rechte des Verkäufers selber dürfen auf dem Gegenstand nicht mehr lasten (z. B. eine Eigentümergrundschuld). Maßgeblicher Zeitpunkt ist nicht der Abschluss des Kaufvertrags, sondern der Erwerb des Gegenstands. Rechtsmängel in diesem Sinn können absolute oder obligatorische, öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechte sein. Absolute Rechte: Beschränkte dingliche Rechte eines Dritten, wie z. B. Dienstbarkeiten, Reallasten, Pfandrechte – Anwartschaftsrechte – Gewerbliche Schutzrechte (Patente, Geschmacksmuster, Marken), Urheberrechte und Persönlichkeitsrechte, welche dem Gebrauch oder der Weiterveräußerung entgegenstehen.5 Obligatorische Rechte: Recht des Mieters aus § 566 gegen den Käufer von Wohnraum; ein Rechtsmangel liegt in diesen Fällen auch vor, wenn die Laufzeit des Mietvertrags länger ist als vom Verkäufer angegeben (oder der Mieter eine Verlängerungsoption hat).6 – Einwendungen des Besitzers gegenüber neuem Eigentümer nach § 986 II. Öffentlich-rechtliche Belastungen: Nutzungsbeschränkungen wie z. B. Sozialbindung einer Wohnung; 7 die aus öffentlichem Baurecht folgende Verpflichtung, als Straßenland ausgewiesenes Gelände an die Gemeinde zu verkaufen; 8 Beschlagnahme der Kaufsache in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.9 Ein Sachmangel liegt dagegen vor, wenn die öffentlich-rechtliche Belastung ihren Grund in der Beschaffenheit der Sache hat, z. B. Beschlagnahme giftiger Lebensmittel 10 oder Beschränkungen der Bebaubarkeit eines Grundstücks, die in dessen Beschaffenheit wurzeln.11

Einem Rechtsmangel steht gem. § 435 S. 2 die Eintragung eines in Wirklichkeit nicht existierenden Rechts im Grundbuch gleich (sog. Buchrechte). Hierdurch können Verfügungen über das Grundstück behindert und die Grundlage für gutgläubigen Erwerb geschaffen werden. Abgesehen von diesem Ausnahmefall liegt ein Rechtsmangel nur dann vor, wenn das Recht des Dritten tatsächlich besteht.12 – Keine Rechtsmängel sind hingegen Beschränkungen, die nicht speziell den Käufer, sondern jedermann treffen, s. § 903. Dazu zählen die Beschränkungen aus dem privaten Nachbarrecht (§§ 905 – 924) oder die allgemeinen öffentlich-rechtlichen Schranken des Eigentums, wie z. B. aus Natur- oder Denkmalschutzrecht. Eine ausdrückliche Klarstellung enthält § 436 II. Zu den hier angesprochenen öffentlichen Abgaben und Lasten, die zur Eintragung in das

5 H. M.; a. A. Ernst Rechtsmängelhaftung (1995) 155 ff; Bamberger/Roth/Faust § 435 Rdn. 11: Sachmangel, da das Recht des Dritten seinen Grund in einer besonderen Beschaffenheit der Sache habe. 6 BGH NJW 2001, 2875. 7 BGH NJW 2000, 1256 8 BGH NJW 1983, 275. 9 BGH NJW 2004, 1802. 10 BGH NJW 1972, 1462. 11 RGZ 131, 343 (348f); BGH NJW 1989, 2388; NJW 1992, 1384. 12 Nach altem Recht konnte der Käufer seine Ansprüche aus Rechtsmängelhaftung teilweise nur geltend machen, wenn er dem Dritten die Sache tatsächlich hatte herausgeben müssen („Eviktionsprinzip“ in § 440 II, III a. F.; zur Kritik hieran s. 9. Aufl. Rdn. 693). Im geltenden Recht reicht bereits die Tatsache, dass einem Dritten ein Recht in bezug auf die verkaufte Sache zusteht; er muss es nicht ausgeübt haben.

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Rechtsmängelgewährleistung. Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen

§ 72 I 2

Grundbuch nicht geeignet sind, zählen z. B. die Müllabfuhr- oder Schornsteinfegergebühr, Grundsteuern, Räum- und Streupflichten. Der Käufer muss hiermit rechnen und sich ggf erkundigen. Was Erschließungs- und Anliegerbeiträge betrifft, so nimmt § 436 I eine (dispositive) Kostenverteilung im Verhältnis von Verkäufer und Käufer vor. b) Der Begriff des Rechtsmangels wird nach h. M. objektiv bestimmt (also anders als der subjektive Fehlerbegriff bei Sachmängeln).13 Rechte Dritter stellen allerdings keinen Rechtsmangel dar, wenn der Käufer das betreffende Recht im Kaufvertrag übernommen hat, s. § 435 S. 1. Hierin kommt ein subjektiver Einschlag des Rechtsmangelbegriffs zum Ausdruck. Gerade bei Grundstückskäufen ist eine detaillierte vertragliche Regelung mit einer genauen Verteilung der bestehenden Lasten die Regel.

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Beispiel: V verkauft K ein Grundstück, auf dem zugunsten des D eine Grundschuld bestellt ist. K übernimmt im Kaufvertrag diese Belastung. Trotz des Grundpfandrechts liegt kein Rechtsmangel vor. V und K werden die Übernahme der Belastung auf den Kaufpreis angerechnet haben. – Hat K die Belastung nicht übernommen, bleibt es bei der Pflicht des Verkäufers zur Leistung frei von Rechtsmängeln. Gem. § 442 II hat dieser ein im Grundbuch eingetragenes Recht selbst dann zu beseitigen, wenn der Käufer es kennt.

2. Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen eines Rechtsmangels ergeben sich aus den §§ 437ff. „Mangelhaft“ i. S. v. § 437 a. A. bedeutet Sach- oder Rechtsmangel. Die Rechtsfolgen für beide Formen des Mangels sind seit der Schuldrechtsmodernisierung vereinheitlicht. Auch wenn weiterhin die Abgrenzung von Sach- und Rechtsmängeln im Einzelfall schwierig sein kann, ist die praktische Relevanz der Abgrenzung deshalb gering.14 Es gelten mutatis mutandis die Ausführungen zu den Rechtsfolgen bei Sachmängeln (s. o. Rdn. 856 ff). Hat der Käufer den Rechtsmangel bei Vertragsschluss gekannt oder grob fahrlässig verkannt, sind seine Gewährleistungsrechte gem. § 442 ausgeschlossen.15 Erfährt er vom Rechtsmangel zwischen Vertragsschluss und Übergabe, kann er die Annahme der Sache und die Zahlung des Kaufpreises gem. § 320 verweigern. Nimmt er die Sache an, hat er die in § 437 aufgeführten Rechte. Durch die dort ausgesprochenen Verweise gelten zahlreiche Normen des allgemeinen Schuldrechts, überlagert durch die §§ 438 ff. Daraus ergibt sich folgender Katalog: a) Der Käufer hat zunächst Nacherfüllung geltend zu machen, §§ 437 Nr. 1, 439. Er hat die Wahl zwischen Nachbesserung, d. h. Inanspruchnahme des Verkäufers auf Beseitigung des Rechts des Dritten, und Nachlieferung, d. h. Lieferung einer Sache ohne Rechtsmangel. Diese Ansprüche können gem. §§ 275, 439 ausgeschlossen (bzw. einem Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers unterworfen) sein, etwa weil der Berechtigte nicht dazu bereit ist, dem Verkäufer oder Käufer das volle Recht zu verschaffen, oder wenn dies unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. b) Liegt in diesem Sinn ein nicht behebbarer Rechtsmangel vor, kann der Verkäufer gem. §§ 437 Nr. 2, 326 V zurücktreten (s. auch § 326 I 2). Bei behebbaren Rechtsmängeln

13 Ernst Rechtsmängelhaftung (1995) 169; Haedicke Rechtskauf und Rechtsmängelgewährleistung (2003) 168 ff; vgl. GesBegr BT-Drs 14/6040, 218; für einen subjektiven Begriff des Rechtsmangels Möller GRUR 2005, 468. 14 Zum Diskussionsstand s. Haedicke Rechtskauf und Rechtsmängelgewährleistung (2003) 116 ff. 15 Die bloße Kenntnis der zugrundeliegenden Tatsachen reicht hierfür nicht aus; es muss Kenntnis über den Umfang der Drittrechte bestehen. Zu den schwierigen Abgrenzungsfragen s. Bamberger/Roth/Faust § 442 Rdn. 16 f m. w.N.

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Veräußerungsverträge

hat der Käufer ein Rücktrittsrecht nach erfolgloser Fristsetzung, § 323 I. Er kann aber auch gem. §§ 437 Nr. 2, 441 mindern, z. B. wenn er das mit einer Grunddienstbarkeit belastete Grundstück eigentlich behalten, aber Ausgleich für die Wertminderung erhalten möchte. c) Hat der Verkäufer den Rechtsmangel zu vertreten, kann der Käufer Schadensersatz statt der Leistung gem. § 437 Nr. 3 verlangen, und zwar: – bei anfänglichen, nicht behebbaren Rechtsmängeln nach § 311 a II; – bei nachträglichen, nicht behebbaren Rechtsmängeln nach § 283; – bei behebbaren Rechtsmängeln nach § 281, allerdings erst, wenn dem Verkäufer erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung bestimmt wurde; – der Schadensersatz statt der Leistung kann gem. § 284 auch durch einen Aufwendungsersatzanspruch ersetzt werden. d) Daneben können Ansprüche auf einfachen Schadensersatz (ebenfalls in Verbindung mit § 437 Nr. 3) stehen: – nach § 280 I z. B. für Mangelfolgeschäden; – nach §§ 280 II, 286 für Verzögerung der Nacherfüllung: Der Verkäufer bemüht sich nicht darum, den Dritten zur Aufgabe seines Rechts zu bewegen. e) Obwohl in § 437 Nr. 3 nicht erwähnt, hat der Käufer bei unbehebbaren Rechtsmängeln auch einen Anspruch auf Herausgabe der Surrogate gem. § 285, z. B. auf eine Versicherungsleistung für den Rechtsmangel, oder auf die Ansprüche, die der Verkäufer gegen seine Lieferanten infolge des unbehebbaren Rechtsmangels hat (s. o. Rdn. 875). Die Ansprüche aus Rechtsmängelhaftung verjähren in den Fristen des § 438, also in fünf Jahren bei Bauwerken und Baumaterial, in zwei Jahren bei allen anderen Sachen. Eine spezielle, dreißigjährige Verjährungsfrist für Rechtsmängel enthält § 438 I Nr. 1 (s. hierzu bereits oben Rdn. 888). Es ist darauf zu achten, dass sich die dreißigjährige Frist nur auf bestimmte Rechtsmängel bezieht, nämlich nur auf dingliche, nicht aber auf obligatorische Rechte Dritter, und nur auf solche, auf Grund derer Herausgabe der Kaufsache verlangt werden kann. Nach Nr. 1b) sind sonstige, im Grundbuch eingetragene Rechte gleichgestellt. Wichtigster Anwendungsfall von Nr. 1a) ist das Eigentum eines Dritten (str.).16 Beispiele: Besteht der Rechtsmangel in einer eingetragenen Grundschuld, liegt kein Fall von § 438 I Nr. 1 a) vor (zwar dingliches Recht, aber die Grundschuld gibt keinen Herausgabeanspruch), wohl aber von Nr. 1 b). – Beim Verkauf von Wohnraum stellt der Übergang bestehender Mietverhältnisse auf den Erwerber gem. § 566 ein bloß obligatorisches Recht dar. § 438 I Nr. 1a) ist also nicht anwendbar, wohl aber Nr. 2 a), da ein Bauwerk verkauft wurde.

3. Besonderheiten der Rechtsmängelgewährleistung 915

1. Besondere Regeln über die Beweislast existieren nicht (anders noch § 442 a. F.). Es gelten deshalb die allgemeinen Vorschriften, insbesondere § 363. Bis zur Annahme der Leistung als Erfüllung hat der Verkäufer zu beweisen, dass die Sache frei von Rechtsmängeln ist. Der Käufer muss jedoch zunächst einen konkreten Rechtsmangel vorbringen. Es obliegt dann dem Verkäufer, zu beweisen, dass der behauptete Rechtsmangel nicht besteht. Nach der Annahme als Erfüllung liegt die Beweislast dann beim Käufer.17

16 Zu dieser Streitfrage s. o. Rdn. 910. 17 GesBegr BT-Drs 14/6040, 202f.

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Rechtsmängelgewährleistung. Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen

§ 72 II 1

2. Beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt ist zweifelhaft, in welchem Zeitpunkt die Rechtsverschaffungspflicht erfüllt sein muss, bei Übergabe oder erst bei vollständiger Bezahlung des Kaufpreises. Grundsätzlich ist der letztgenannte Zeitpunkt entscheidend, jedoch haftet der Verkäufer auch vorher, wenn das Besitzrecht des Vorbehaltskäufers durch Rechtsmängel beeinträchtigt wird.18 3. Die Rechtsmängelgewährleistung ist ausgeschlossen, wenn der Käufer den Rechtsmangel kannte oder grob fahrlässig verkannte, § 442 I. Eine Ausnahme gilt für im Grundbuch eingetragene Rechte, § 442 II. Vertragliche Haftungsausschlüsse sind in den Grenzen des § 444 möglich (s. o. Rdn. 883f). 4. Konkurrenzen Auch was das Verhältnis der gewährleistungsrechtlichen Rechte zu anderen Rechtsinstituten betrifft, gelten die Ausführungen zur Sachmängelgewährleistung entsprechend (s. o. Rdn. 892 ff). Früher zum Teil vertretene Besonderheiten sollten nach der Schuldrechtsmodernisierung nicht mehr aufrechterhalten werden. Nach altem Recht ließ die h. M. beispielsweise eine Anfechtung nach § 119 II (Eigenschaftsirrtum) auch im Anwendungsbereich der Rechtsmängelgewährleistung zu. Dies hatte seinen Grund in der unterschiedlichen Ausgestaltung von Sach- und Rechtsmängelgewährleistung; für letztere galt beispielsweise keine kurze Verjährungsfrist, der man sich durch Anfechtung hätte entziehen können. Da die Schuldrechtsmodernisierung hier zu einer Vereinheitlichung geführt hat, besteht für eine unterschiedliche Beurteilung kein Anlass mehr.19 Auch im Anwendungsbereich der Rechtsmängelgewährleistung ist also die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (nicht aber diejenige aufgrund von §§ 119 I, 123) ausgeschlossen (s. o. Rdn. 892ff). Dasselbe gilt für die Haftung aus Vertragsanbahnung. Im Anwendungsbereich der Rechtsmängelhaftung sind Ansprüche des Käufers aus §§ 280 I, 311 II, 241 II ausgeschlossen (str.).20

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II. Rechtskauf 1. Allgemeines Die §§ 433ff sind nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut auf den Verkauf von Sachen bezogen. Nach § 453 I sind die Vorschriften über den Sachkauf auf den Kauf von Rechten aber entsprechend anwendbar, also z. B. auf den Kauf von Forderungen, Immaterialgüterrechten (z. B. Patent-, Marken-, Geschmacksmusterrechte), Gesellschaftsanteilen (s. o. Rdn. 804) oder Wertpapieren als verbrieften Rechten.21 Es ist jeweils zu untersuchen, ob die betreffende Norm über den Sachkauf auch auf den Rechtskauf passt, und welchen Sinn sie dort entfaltet. Das Gesetz beschränkt sich in § 453 II, III auf zwei Sonderregeln für den Rechtskauf. Danach hat der Verkäufer die Kosten der Begründung und Übertragung des Rechts zu tragen (II), z. B. Eintragungs- und Beur18 BGH JZ 1961, 697; Erman/B. Grunewald § 449 Rdn. 9. 19 GesBegr BT-Drs 14/6040, 210; Erman/B. Grunewald Vor § 437 Rdn. 20; Haas/Medicus/Rolland/ Schäfer/Wendtland Das neue Schuldrecht § 5 Rdn. 259. 20 Anders die Rechtsprechung zum alten Recht BGH NJW 1985, 2697 (2698); NJW-RR 1992, 91 (92). Für parallele Anwendbarkeit nach neuem Recht auch Haedicke Rechtskauf und Rechtsmängelgewährleistung (2003) 173f. 21 Zu den Unterschieden der verschiedenen Wertpapierarten und ihrer Stellung zwischen Sache und Recht s. etwa MüKo/Westermann § 433 Rdn. 14.

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§ 72 II 2

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Veräußerungsverträge

kundungskosten.22 Berechtigt das verkaufte Recht zum Besitz einer Sache, so hat diese frei von Sach- und Rechtsmängeln zu sein (III), z. B. beim Erbbaurecht (§ 1 ErbbauVO), Nießbrauch (§ 1036 I), Teilzeit-Wohnrechtevertrag (§ 481) oder auch beim Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers.23 Andere Sonderregeln, die vor der Schuldrechtsmodernisierung für den Rechtskauf bestanden, wurden ersatzlos gestrichen. Dies hat für erhebliche Unsicherheit gesorgt. Im alten Recht war ausdrücklich geregelt, dass der Verkäufer eines Rechts für die Verität, nicht aber für die Bonität haftet (§§ 437, 438 a. F.). Der Verkäufer haftete also im Wege der Garantiehaftung dafür, dass das Recht wirklich bestand; er hatte aber nicht dafür einzustehen, dass der Schuldner der verkauften Forderung auch zahlungsfähig war. Im modernisierten Schuldrecht gilt über die Anwendung der allgemeinen Regeln hingegen folgendes: Wird ein Recht verkauft, das in Wirklichkeit niemals existierte (z. B. eine nicht bestehende Forderung, objektive Unmöglichkeit), oder das einem anderen zusteht, der zur Übertragung nicht bereit ist (subjektive Unmöglichkeit), liegt ein Fall anfänglicher Unmöglichkeit vor. Der Kaufvertrag ist gem. § 311a I wirksam. Der Verkäufer haftet nach § 311a II, wenn er die Nichtexistenz der Forderung oder die mangelnde Berechtigung kannte oder seine Unkenntnis zu vertreten hat. Für das Vertretenmüssen gilt § 276, wonach eine Haftung im Prinzip Verschulden voraussetzt, außer wenn im Vertrag eine schärfere Haftung, z. B. eine Garantie übernommen wurde. Es ist deshalb jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob der Verkäufer eine besondere Einstandspflicht übernommen hat.24 Allerdings wird auch hier das Vertretenmüssen des Verkäufers aufgrund der negativen Formulierung in § 311a II 2 vermutet. – In Bezug auf die Bonität eines Schuldners bleibt es beim Alten. Wie vor der Reform haftet der Verkäufer für die Zahlungsfähigkeit des Schuldners der verkauften Forderung nur soweit, als er eine besondere Einstandspflicht übernommen hat.25 2. Rechtsmängelhaftung

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Über § 453 I ist auch § 435 auf den Rechtskauf anwendbar. Rechtsmängel sind beim Rechtskauf die häufigste Mangelform. Über § 453 III sind aber auch die Vorschriften über Sachmängel relevant. Darüber hinaus ist die Sachmängelhaftung dann einschlägig, wenn das Substrat des Rechts eine bestimmte Beschaffenheit aufzuweisen hat.26 Dies ist für Immaterialgüterrechte relevant. Wenn das verkaufte (oder lizenzierte) Patentrecht existiert und nicht mit Rechten Dritter belastet ist (z. B. §§ 12, 13, 15, 24 PatG), die zugrunde liegende Erfindung aber nicht die vereinbarte Gebrauchstauglichkeit hat, liegt ein Sach- und kein Rechtsmangel vor. Ebenso verhält es sich beim Kauf

22 Für Rechte an einem Grundstück geht allerdings 448 II vor, Bamberger/Roth/Faust § 453 Rdn. 15; a. A. Erman/B. Grunewald § 453 Rdn. 13. 23 Bamberger/Roth/Faust § 453 Rdn. 5. 24 Bamberger/Roth/Faust § 453 Rdn. 18; Eidenmüller ZGS 2002, 290 (292 f); Zimmer/Eckhold Jura 2002, 145 (146). A. A. Haedicke Rechtskauf und Rechtsmängelgewährleistung (2003) 154: Verkäufer haftet prinzipiell auf Schadensersatz, da das Risiko in seiner Sphäre liegt. 25 Eidenmüller ZGS 2002, 290 (293f). 26 Für grundsätzlichen Ausschluss der Sachmängelhaftung beim Rechtskauf (außerhalb von § 453 III) dagegen U. Huber AcP 202 (2002) 179 (229 ff).

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§ 72 III

von Computersoftware, der als Kauf eines sonstigen Gegenstands zu qualifizieren ist (s. u. Rdn. 927).27 Typische Rechtsmängel beim Rechtskauf sind die Belastung des verkauften Rechts mit einem Pfandrecht (§§ 1273 ff), einem Nießbrauch (§§ 1068 ff), einem im Grundbuch eingetragenen Recht (§ 442 II), auch wenn es nicht wirklich existiert (§ 435 S. 2), bzw. bei einer Forderung die Einwendungen, die der Schuldner gem. § 404 dem neuen Gläubiger entgegensetzen kann. – Es finden die §§ 437 ff Anwendung.

Erhebliche Schwierigkeiten bereitet beim Rechtskauf die Abgrenzung der Pflicht zur Rechtsverschaffung von der Rechtsmängelgewährleistung.28 Heftig umstritten ist insbesondere die Frage, wann die vollständige Nichtverschaffung eines Rechts einen Rechtsmangel darstellt. Aufgrund der Besonderheiten des Rechtskaufs muss diese Frage anders als beim Sachkauf beantwortet werden. Sowohl bei Nichtexistenz des verkauften Rechts als auch bei Inhaberschaft eines nicht übertragungswilligen Dritten sind die allgemeinen Vorschriften, also kein Rechtsmängelgewährleistungsrecht anwendbar. Beim Sachkauf wurde die Berechtigung eines Dritten zwar als Rechtsmangel eingestuft (str., s. o. Rdn. 910). Beim Sachkauf erhält der Käufer allerdings wenigstens den Besitz, beim Rechtskauf erhält er dagegen nichts, auf das ein Dritter i. S. v. § 435 zugreifen könnte. Beim Rechtskauf finden deshalb auch in den Fällen der Drittberechtigung die allgemeinen Vorschriften Anwendung, also auch die Verjährungsregelungen der §§ 195, 199 (str.).29

III. Unternehmenskauf Bergjan Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform 2002 auf den Unternehmenskauf (2003); U. Huber, AcP 202 (2002) 179; Gaul, ZHR 166 (2002) 35; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 12. Aufl. 2005; Jaques, BB 2002, 417; Knott, NZG 2002, 249; Seibt/Reiche, DStR 2002, 1135; Weigl, DNotZ 2005, 246; Weitnauer, NJW 2002, 2511; Zimmer, NJW 1997, 2345.

Auch Unternehmen können verkauft werden. Dies kann auf zweierlei Arten geschehen. Zum einen kann ein Unternehmen als eine Gesamtheit verkauft werden. Da diese Gesamtheit kein einheitliches Rechtsobjekt bildet, sondern aus einer Vielzahl von Sachen, Rechten und anderen Gütern besteht, geschieht die Erfüllung des Kaufvertrags nach dem Spezialitätsprinzip durch die Einzelübertragung aller Gegenstände (Übereignung der einzelnen Grundstücke und beweglichen Sachen, Übertragung von Forderungen und anderen Rechten wie z. B. gewerblichen Schutzrechten, etc.). Man spricht in diesem Fall von Einzelrechtsnachfolge oder einem „asset deal“. Häufig werden Unternehmen in der Form einer Gesellschaft geführt. Dann kann das Unternehmen auch dadurch erworben werden, dass die Anteile an der Gesellschaft gekauft werden. Dies führt zur Gesamtrechtsnachfolge in der Form eines „share deal“ (Einzelübertragung der einzelnen Unternehmensgegenstände ist nicht erforderlich). Wie immer beim Kauf kann es vorkommen, dass das gekaufte Unternehmen nicht den Vereinbarungen im

27 Eine eingehende Unterscheidung zwischen Mängeln des Schutzrechts (Rechtsmängelgewährleistung) und Beschaffenheitsmängeln des Immaterialguts (Sachmängelgewährleistung) findet sich bei Haedicke a. a. O. S. 222ff, 228 ff, 282 ff. 28 Hierzu eingehend Haedicke Rechtskauf und Rechtsmängelgewährleistung (2003) S. 158ff. 29 Haedicke a. a. O. S. 161; a. A. Eidenmüller NJW 2002, 1625 (1626): analoge Anwendung von § 438 I Nr. 1 auf die Fälle des einem Dritten zustehenden Rechts; noch anders Bamberger/Roth/Faust § 438 Rdn. 18: analoge Anwendung von § 438 I Nr. 1 auch auf den Fall der Nichtexistenz des Rechts.

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§ 72 III

Veräußerungsverträge

Kaufvertrag entspricht (z. B. die Geschäftsräume sind marode; dem Kerngeschäft steht ein fremdes Patent entgegen; die Angaben über Umsatz und Ertrag oder über bestehende Verbindlichkeiten erweisen sich als unzutreffend). Es stellt sich dann die Frage, welche Rechte der Käufer hat. Diese Frage war nach altem Recht sehr umstritten; auch die Schuldrechtsmodernisierung hat zu keiner definitiven Klärung geführt. Rechtsprechung und h. L. gingen vor der Reform davon aus, dass der Verkäufer für Mängel des Unternehmens als Ganzem prinzipiell nach Sachmängelgewährleistungsrecht hafte (Nachteile: Wandelung passte nicht, da Rückabwicklung i. d. R. unerwünscht ist; kein allgemeiner Schadensersatzanspruch für Fahrlässigkeit nach altem Recht; kurze, sechsmonatige Verjährung).30 Allerdings wurden Angaben über Unternehmenskennziffern wie Umsatz und Ertrag nicht der Beschaffenheit des Kaufgegenstands zugeordnet, so dass insofern der Weg zu Schadensersatzansprüchen aus c. i. c. eröffnet war (mit Anwendung der Regelverjährung).31 Diese Grundsätze galten nicht nur für den asset deal, sondern auch für den share deal, setzten aber einen nahezu vollständigen Anteilserwerb voraus. Bei Erwerb niedrigerer Beteiligungen war allerdings ebenfalls der Weg zur c. i. c. eröffnet.32 In der Literatur wurde teilweise die Anwendung von Sachmängelgewährleistungsrecht prinzipiell abgelehnt und immer der Weg über die c. i. c. favorisiert.33 Vereinzelt wurde auch die Lehre von der Geschäftsgrundlage herangezogen.34

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Im modernisierten Schuldrecht finden gem. § 453 I die Vorschriften über den Sachkauf auf den Kauf von sonstigen Gegenständen entsprechende Anwendung. Hierunter fällt auch der Unternehmenskauf (zu den anderen „Gegenständen“ s. bereits oben Rdn. 804).35 Eine nähere Ausgestaltung, insbesondere in Bezug auf die Mängelhaftung ist nicht erfolgt. So werden die zum alten Recht vertretenen Meinungen fortgeführt, insbesondere der Vorschlag, ausschließlich die Regeln über die c.i.c. anzuwenden,36 Sachmängelhaftung und c. i. c. frei konkurrieren zu lassen,37 sowie die von der Rechtsprechung favorisierte zweispurige Lösung mit einem (exklusiven) Nebeneinander aus Sachmängelhaftung und c.i.c.38 Hinzu tritt eine dritte Auffassung, welche sich für die Ausdehnung der Sachmängelhaftungsregeln ausspricht, und zwar auch auf den Bereich der Unternehmenskennziffern.39 Dies erscheint sachgemäß: Umsatz und Ertrag sind wertbildende Faktoren, die sich durchaus als Eigenschaften des verkauften Unternehmens begreifen lassen. Mit der Einführung einer allgemeinen Schadensersatzhaftung bei Fahrlässigkeit und der Verlängerung der gewährleistungsrechtlichen Verjährungsfrist besteht kein Grund mehr, in die Vorschriften über vorvertragliche Haftung auszuweichen. – Es bleibt zu ergänzen, dass auch die Regeln über Rechtsmängelgewährleistung für den Unternehmenskauf relevant sein können. Dies ist z. B. der Fall, wenn

30 Grundlegend RGZ 63, 57; 67, 86: analoge Anwendung der §§ 459ff a. F., da das Unternehmen als Gesamtheit keine „Sache“ ist. 31 S. z. B. BGH NJW 1970, 653; 1977, 1536. 32 BGH NJW 1980, 2408. 33 J. Baur BB 1979, 381ff; vgl. auch Zimmer NJW 1997, 2345 (2349 f): (analoge) Anwendung von Sachmängelgewährleistungsrecht nur bei Mängeln einer zum Unternehmen gehörenden Sache. 34 Canaris ZGR 1982, 395 ff; s. auch ders. AcP 200 (2000) 273. 35 Ein Übungsfall findet sich bei Horn/Bernau Jura 2003, 702. 36 In diese Richtung tendiert U. Huber AcP 202 (2002) 179 (211ff, 241f). 37 Emmerich Das Recht der Leistungsstörungen § 7 II 5c). 38 Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118 (125 f). 39 Dauner-Lieb/Thiessen ZIP 2002, 108 (110); Gaul ZHR 166 (2002) 35 (45 ff); Triebel/Hölzle BB 2002, 521 (525); von Westphalen/Meier-Göring Neues Schuldrecht (2004) 56; in diesem Sinn auch GesBegr BT-Drs 14/6040, 242. Früher bereits Immenga AcP 171 (1971) 1 (12).

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Rechtsmängelgewährleistung. Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen

§ 72 III

einem wichtigen Tätigkeitsbereich des verkauften Unternehmens ein fremdes Patent entgegensteht.40 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass der Verkäufer für die versprochene Qualität des verkauften Unternehmens einzustehen hat. Wird dagegen nur ein Unternehmensanteil, z. B. ein Gesellschaftsanteil, verkauft, handelt es sich regelmäßig um einen Rechtskauf, der Verkäufer haftet also nur für die Verität, nicht für die Bonität (s. o. Rdn. 918).

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Beispiel: Kauft Kleinaktionär K 20 Aktien der X-AG, haftet sein Verkäufer lediglich dafür, dass die X-AG und die verkauften Aktien existieren; der Verkäufer der Wertpapiere haftet nicht für die Qualität des Unternehmens.

Andererseits wurde bereits angesprochen, dass ein Unternehmen auch im Wege des share deal verkauft werden kann. Es stellt sich die Frage, ab welcher prozentualen Schwelle die Regeln über den Unternehmenskauf Anwendung finden. Die Rechtsprechung verlangt, dass alle, bzw. annähernd alle Anteile am Unternehmen verkauft werden. In der Literatur werden verschiedene Grenzwerte diskutiert.41 Richtigerweise sollte die Schwelle nicht zu hoch angesetzt werden. Entscheidend für einen Unternehmenskauf ist, dass nicht lediglich Anteile an dem Unternehmen übernommen werden sollen, sondern ein Eintritt in die unternehmerische Stellung erfolgt. Dies ist dann der Fall, wenn durch den Anteilskauf die Kontrolle über das Unternehmen erlangt wird. Auf den Begriff des Kontrollerwerbs i. S. v. § 37 I Nr. 2 GWB kann zurückgegriffen werden: er berücksichtigt am besten alle Umstände des Einzelfalls.42 Kontrollerwerb in diesem Sinn liegt in der Regel bei Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung vor (50 % + x der Stimmrechte), kann je nach den Besonderheiten des Einzelfalls aber auch darunter liegen. Die Regeln über den Unternehmenskauf finden nur dann Anwendung, wenn nicht nur einzelne Wirtschaftsgüter, sondern ein Inbegriff von Sachen, Rechten und sonstigen Vermögenswerten verkauft wird.43 Der sog Inventarkauf, bei dem lediglich die einzelnen Gegenstände eines Unternehmens verkauft werden, ist deshalb kein Unternehmenskauf.44 Beim echten Unternehmenskauf sind Mängel an einzelnen Gegenständen nur dann Mängel des gesamten Unternehmens, wenn der betreffende Gegenstand von wesentlicher Bedeutung für das Unternehmen ist (sog. Substanzwerte, wie z. B. der Befall des Geschäftsraums mit Ungeziefer bei Verkauf einer Imbissbude 45 oder ein erheblicher Fehlbestand an Gerüsten bei Verkauf eines Gerüstbauunternehmens 46). Ist dies nicht der Fall, können immer noch Gewährleistungsrechte hinsichtlich des einzelnen Gegenstands geltend gemacht werden (str.).47 Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Sollbeschaffenheit einzelner Gegenstände beim Unternehmenskauf qualitativ niedrig sein kann. Wird z. B. ein Industrieunternehmen verkauft, ist es normal, dass ein Teil der Maschinen, Fahrzeuge etc. wegen einer Panne nicht einsetzbar oder übermäßig abgenutzt ist. Bestehen Verbindlichkeiten, die im Unternehmenskaufvertrag nicht vorge40 Canaris Handelsrecht § 8 Rdn. 17; Erman/B. Grunewald § 435 Rdn. 14. 41 S. die Nachweise bei Erman/B. Grunewald § 453 Rdn. 20; U. Huber AcP 202 (2002) 179 (186). 42 Dagegen ist die 30 %-Schwelle in § 29 II WpÜG zu pauschal und nur durch das besondere Bedürfnis nach Anwendungssicherheit im Übernahmerecht erklärbar. 43 BGH NJW 2002, 1042 (1043). 44 Erman/B. Grunewald § 453 Rdn. 22. 45 BGH WM 1978, 326. 46 BGH NJW 1979, 33. 47 Erman/B. Grunewald § 434 Rdn. 44; MüKo/Westermann § 453 Rdn. 27. A. A. Bamberger/Roth/ Faust § 453 Rdn. 27; Canaris Handelsrecht § 8 Rdn. 28.

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sehen waren, liegt ein Rechtsmangel vor, da dann Dritte in Bezug auf das Unternehmen ein nicht im Kaufvertrag übernommenes Recht gegen den Käufer geltend machen können, §§ 453 I, 435 (str.).48 Kein Rechtsmangel ist dagegen fremdes Sicherungseigentum am Betriebsvermögen, wenn Kreditverbindlichkeiten bestehen, die der Käufer im Kaufvertrag übernommen hat, und die üblicherweise durch Kreditsicherheiten abgesichert sind.49 Die Gewährleistung des Verkäufers kann auch beim Unternehmenskauf nach den allgemeinen Regeln ausgeschlossen sein. Dies ist gem. § 442 I der Fall, wenn der Käufer bei Vertragsschluss den Mangel kannte oder grob fahrlässig verkannte. Beim Verkauf von Unternehmen ist es nach US-amerikanischem Vorbild üblich geworden, eine due diligence-Prüfung durchzuführen. Mit diesem Begriff (wörtlich: „gebotene Sorgfalt“) bezeichnet man ein professionelles Überprüfungsverfahren, das der Käufer im Hinblick auf die rechtlichen Verhältnisse und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Zielunternehmens unternimmt.50 Im juristischen Teil der Prüfung werden Rechtsanwälte mit der Aufgabe betraut, z. B. die konzernrechtlichen Beziehungen, den Bestand an Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, die Haftungsrisiken, Patentstreitigkeiten oder arbeitsrechtliche Fragen zu untersuchen. Das Ergebnis der Prüfung hat Einfluss auf die Sollbeschaffenheit des Unternehmens: Die ermittelten Eigenschaften des Unternehmens fließen regelmäßig in die vertragliche Bestimmung des Kaufobjekts ein. Was aber, wenn der Käufer eines Unternehmens bei der Prüfung bestimmte Schwachstellen übersieht? Oder wenn er eine due diligence-Prüfung gänzlich unterlässt? Handelt er dann grob fahrlässig i. S. v. § 442 I 2 mit der Konsequenz, dass seine Gewährleistungsrechte ausgeschlossen sind? Es gelten die allgemeinen Grundsätze (s. o. Rdn. 882). Danach trifft den Käufer bei einem so komplexen Kaufgegenstand wie einem Unternehmen zwar eine Besichtigungspflicht, die Anforderungen an die Intensität der Prüfung dürfen jedoch nicht überspannt werden. Im Gegenteil: Beim Unternehmenskauf treffen den Verkäufer des Unternehmens gesteigerte Aufklärungspflichten.51 Den Käufer trifft deshalb nach wie vor keine Obliegenheit, eine due diligence-Prüfung durchzuführen.52 Seine Gewährleistungsrechte sind nach § 442 I 2 nur dann ausgeschlossen, wenn er leicht erkennbaren Mängeln nicht nachgeht oder die vom Verkäufer gelieferten Informationen leichtsinnig beiseite schiebt. In der Praxis werden Gewährleistungs- und Haftungsfragen beim Unternehmenskauf üblicherweise detailliert im Kaufvertrag geregelt. Angesichts der vorstehend zusammengefassten Meinungsunterschiede und Unsicherheiten ist dies auch dringend zu empfehlen. Es werden beispielsweise umfangreiche „Garantielisten“ erstellt, welche bis ins Einzelne regeln, wofür der Verkäufer einzustehen hat.53 Der Umfang der Haftung wird differenziert geregelt, z. B. durch summenmäßige Haftungsbeschränkungen, gestaffelte Garantiefristen oder Rechtsfolgenlimitierungen. Solche Einschränkungen treten in Konflikt mit § 444. Die Vorschrift ordnete ursprünglich an, dass Haftungsbeschränkungen unwirksam sind, „wenn“ eine Garantie übernommen worden ist. Teil-

48 A. A. RGZ 88, 103; MüKo/Westermann § 453 Rdn. 35: Sachmängelhaftung. 49 Canaris Handelsrecht § 8 Rdn. 19. 50 Zur due diligence s. Fleischer/Körber BB 2001, 841; U. Huber AcP 202 (2002) 179 (193 ff); Merkt BB 1995, 1041; H. P. Westermann ZHR 169 (2005) 248. 51 BGH NJW 2002, 1042 (1043). 52 Zum Diskussionsstand s. Erman/B. Grunewald § 442 Rdn. 14 m. w. N.; Müller NJW 2004, 2196. 53 S. hierzu U. Huber AcP 202 (2002) 179 (204 ff).

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§ 72 IV

weise wurde hieraus abgleitet, dass Haftungsbeschränkungen im Zusammenhang mit unselbständigen (oder auch selbständigen 54) Garantien nicht wirksam vereinbart werden können (zur Garantie s. o. Rdn. 851 ff). Der Gesetzgeber hat das Wort „wenn“ im Jahr 2004 durch ein „soweit“ ersetzt.55 Damit ist klargestellt, dass auch eine von vornherein beschränkte Garantie Bestand hat. Die weit verbreitete Praxis ausdifferenzierter Haftungszusagen ist also mit § 444 vereinbar.56 § 444 verhindert, dass gegebene Garantien in intransparenter oder überraschender Weise, z. B. an anderer Stelle des Vertrags wieder eingeschränkt werden.57 Auf der Rechtsfolgenseite ist zu beachten, dass ein Rücktritt, bzw. Schadensersatz statt der ganzen Leistung nur möglich ist, wenn die Pflichtverletzung erheblich ist, §§ 323 V 2, 281 I 3. Hieran wird man beim Unternehmenskauf erhöhte Anforderungen zu stellen haben, insbesondere wenn die Ursache des Mangels in einzelnen Unternehmenswerten liegt. Ganz allgemein sind Rücktritt und großer Schadensersatz beim Unternehmenskauf in der Regel unpassend, da die praktischen Schwierigkeiten bei einer Rückübertragung des Unternehmens immens sind. Häufig ist die Rückgewährpflicht deshalb nach § 346 II Nr. 2 (für den großen Schadensersatz über § 281 V) ausgeschlossen: Die laufende Geschäftstätigkeit führt zu einer „Umgestaltung“ des Unternehmens.58 – Die Verjährung der Gewährleistungsansprüche beginnt mit dem Betriebsübergang.59 Die Verjährungsfrist beim Unternehmenskauf beträgt gem. § 438 I Nr. 3 zwei Jahre.60 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Mangel des Unternehmens auf dem Mangel eines Einzelgegenstands beruht, der unter § 438 I Nr. 1 oder 2 fällt (z. B. bei einem mangelhaften Gebäude, das von wesentlicher Bedeutung für das Unternehmen ist).

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IV. Verträge über Computersoftware Goldmann/Redecke, MMR 2002, 3; Hoeren, Softwareüberlassung als Sachkauf (1989); Junker/ Benecke, Computerrecht, 3. Aufl. (2003); Kotthoff, K & R 2002, 105; Lehmann, (Hrsg.) Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 2. Aufl. (1993); Marly, Softwareüberlassungsverträge, 4. Aufl. (2004); Müller-Hengstenberg, CR 2004, 161; Thewalt, CR 2002, 1.

1. Von großer praktischer Bedeutung und rechtlichem Interesse Haftung im Zusammenhang mit Computersoftware. Schwierig ist rechtliche Einordnung in einen bestimmten Vertragstyp. Dies liegt fassbaren Vertragsgegenstand als auch an der Vielschichtigkeit der

ist die vertragliche hier vor allem die sowohl am schwer Vertragsgestaltung

54 von Westphalen BB 2002, 209 f; Hermanns ZIP 2002, 696 (698). 55 G. v. 2. 12. 2004, BGBl. I 3102 (3103). 56 In diesem Sinn auch die h. L. vor der Gesetzesänderung; s. die Stellungnahme des BMJ ZGS 2003, 307; Canaris in: Karlsruher Forum 2002 (2003) 5 (84ff); Gaul ZHR 166 (2002) 35 (62f); Müller NJW 2002, 1026. 57 S BT-Drs 15/3483, 22f. 58 Gaul ZHR 166 (2002) 35 (55 f). 59 GesBegr BT-Drs 14/6040, 227. 60 HM, s. z. B. Erman/B. Grunewald § 453 Rdn. 24. Nach anderer Auffassung soll die fünfjährige Frist des § 438 I Nr. 2 (Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland Das neue Schuldrecht § 5 Rdn. 554), bzw die regelmäßige Verjährungsfrist analog § 634a I Nr. 3 (Canaris Schuldrechtsmodernisierung 2002 S. XXIX: auch immer beim Rechtskauf) gelten. Abweichende Verjährungsfristen sollten aber nach Bedarf durch Vereinbarung bestimmt werden.

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§ 72 IV

Veräußerungsverträge

in der Praxis. Ist der Vertrag über die Überlassung von Software als Kauf-, Miet-, Pacht-, Werk- oder Werklieferungsvertrag zu qualifizieren? 2. Bei Verträgen im Computerbereich ist zunächst zwischen der Hardware, d. h. dem technischen Gerät (Rechner, Bildschirm, Keyboard, etc.) und der Software (Computerprogramm) zu unterscheiden. Bei der Hardware handelt es sich eindeutig um eine Sache. Wird sie lediglich zum Gebrauch überlassen, liegt ein Mietvertrag vor, soll sie in das Eigentum des Erwerbers übergehen, finden die Regeln über den Sachkauf einschließlich der Sachmängelgewährleistung direkte Anwendung, §§ 433ff. Computerprogramme sind dagegen keine „Sache“ i. S. v. § 90, und zwar auch dann nicht, wenn sie auf einem Datenträger, z. B. einer DVD fixiert sind (str.).61 Im Gegensatz zu einem körperlichen Gegenstand ist ein Computerprogramm ein Immaterialgut, das gem. §§ 2 I Nr. 1, 69 a ff UrhG Urheberrechtsschutz genießt, wenn die Schutzvoraussetzungen – insbesondere auch des § 69 a III UrhG – vorliegen. Dem Abnehmer wird ein Nutzungsrecht am Urheberrecht eingeräumt. Der Lizenzvertrag als schuldrechtliche causa ist als Rechtspacht (nach a. A. teilweise auch als Rechtskauf) zu qualifizieren (s. u. Rdn. 1062).

Auch wenn Software keine Sache ist, wird hierdurch die Anwendung von Kaufrecht nicht ausgeschlossen. Gem. § 453 I finden die Regeln über den Sachkauf auch auf den Kauf von sonstigen Gegenständen entsprechende Anwendung. Zu den sonstigen Gegenständen gehört ausweislich der Gesetzesbegründung die Computersoftware.62 Über § 453 I kann also Kaufrecht auf die Softwareüberlassung angewendet werden, es kommen aber auch andere Vertragstypen in Frage. Beispiele: K erwirbt im Elektronikmarkt ein Standard-Textverarbeitungsprogramm gegen einmalige Zahlung. – L least für drei Jahre einen Computer samt Software. – M lässt sich von einem Programmierer eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Spezialsoftware entwickeln. Welcher Vertragstypus liegt jeweils vor?

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3. Wird Software auf einem Datenträger (z. B. einer DVD) erworben (also nicht durch Download aus dem Internet), und ist der Datenträger defekt, liegt insoweit ein Sachkauf vor. Sachmängelgewährleistungsrecht findet direkte Anwendung. – Was aber, wenn der Datenträger einwandfrei ist, die gelieferte Software aber nicht ordnungsgemäß funktioniert? Die Rechtsprechung wendet Kaufrecht und die Regeln über die Sachmängelgewährleistung an, wenn Standardsoftware zur dauerhaften Benutzung gegen ein festes Entgelt überlassen wird.63 Erfolgt die Überlassung der Software lediglich auf Zeit, soll Miet- oder Pachtrecht anwendbar sein.64 Wird Software individuell erstellt, wendet die Rechtsprechung Werkvertragsrecht an.65 Diese Klassifikation ist grundsätzlich überzeugend und auch mit dem modernisierten Schuldrecht vereinbar. Dies gilt auch für die Einordnung von Softwareentwicklungsverträgen als Werkvertrag. § 651 verweist zwar für die Lieferung herzustellender beweglicher Sachen im Prinzip ins Kaufrecht; Software ist aber – wie soeben festgestellt wurde – keine „Sache“, so dass es bei der Anwendung von Werkvertragsrecht bleibt.66 – Was die zeitweise Überlassung von Software betrifft, sollte allerdings durchgängig Pachtvertrag angenommen werden. 61 62 63 64

Junker/Benecke Computerrecht Rdn. 156; a. A. Kotthoff K & R 2002, 106. GesBegr BT-Drs 14/6040, 242. BGH NJW 2000, 1415. BGH NJW 1981, 2684: Pachtvertrag. BGH NJW 1982, 696: Einheitlicher Mietvertrag bei Gebrauchsüberlassung von Computer und Programm. 65 BGH NJW 1990, 3008. 66 Junker/Benecke Computerrecht Rdn. 156, 166; a. A. Thewalt CR 2002, 1 (4). S. auch Bräutigam/ Rücker CR 2006, 361.

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Besondere Arten des Kaufs. Internationales Kaufrecht

§ 73 I

Mietverträge sind nur in Bezug auf Sachen möglich (§ 535), während Objekt der Pacht jeder Gegenstand sein kann (§ 581), also auch gerade die immaterielle Computersoftware (str.).67 Die Beispielsfälle sind deshalb wie folgt zu lösen: Der dauerhafte Erwerb eines Standardprogramms ist Kauf; das dreijährige Leasing ist teils Miete (Computer), teils Pacht (Software); der Vertrag über die Erstellung von Individualsoftware ist Werkvertrag. – Allerdings ist im letzteren Fall sorgfältig zu prüfen, ob der Entwickler einen bestimmten Leistungserfolg, nämlich eine funktionierende Individualsoftware schuldet, oder ob sich seine Pflicht auf eine beratende Tätigkeit beschränkt, dann Dienstvertrag.

4. Softwareüberlassungsverträge werfen hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Parteien eine Vielzahl von Problemen auf. Vielfach sind sie begründet durch die Überlagerung von Schuldrecht und Urheberrecht.68 Für die Einzelheiten muss im Rahmen dieses Lehrbuchs auf die Spezialliteratur verwiesen werden (s. o. die Literaturhinweise am Abschnittsbeginn).

§ 73 Besondere Arten des Kaufs. Internationales Kaufrecht Burkert, NJW 87, 3157; Georgiades, FS Larenz, 1973, 409; Hahn, Der Wiederkauf, 1902; Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965; Karger, Die Billigung beim Kauf auf Probe, 1913; Klemm, Der Kauf auf Wiederkauf, 1925; Lorenz, FS Dölle, Bd. I, 1963, 103; Mayer-Maly, FS Wieacker, 1978, 424; Muskat, Gruchot 48, 205; Nipperdey, ZblHR 1930, 300; Oertmann, SeuffBl. 1906, 685; Pikart, WM 71, 490; Schmidt, Hans P., Das Vorkaufsrecht, 1934; Schurig, Das Vorkaufsrecht im Privatrecht, 1975; Stöber, NJW 88, 3121; Tiedtke, NJW 87, 874; Wickmann, Die Beweislast beim Kauf auf Probe, 1905.

Einige besondere Arten des Kaufs verdienen Erwähnung, nämlich der Kauf nach Probe, der Kauf auf Probe (§§ 454, 455), der Wiederkauf (§§ 456–462), der Vorkauf (§§ 463–473); der Verkauf im Wege der Zwangsvollstreckung (§§ 450, 451) und das Internationale Kaufrecht. In besonderen Kapiteln werden der Verbrauchsgüterkauf, Teilzeit-Wohnrechteverträge sowie der Verkauf unter Eigentumsvorbehalt dargestellt.

I. Kauf nach Probe Bisweilen wird dem Käufer zur Vorbereitung seines Kaufentschlusses eine Probe oder ein Muster der angebotenen Ware vorgelegt. In aller Regel wird hierdurch die Sollbeschaffenheit der Kaufsache festgelegt: Die Kaufsache soll genau so sein wie die Probe oder das Muster. Weicht sie hiervon ab, ist sie mangelhaft. Hat der Verkäufer den Mangel zu vertreten, haftet er gem. §§ 437 Nr. 3 auf Schadensersatz. Ob ihn auch unabhän-

67 A. A. Köhler/Fritzsche in Lehmann (Hrsg.) Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen Kapitel XIII Rdn. 27, 190: Mietvertrag. 68 Zur Zulässigkeit von Nutzungsbeschränkungen s. z. B. BGH NJW 2003, 2014 – CPU-Klausel m. Anm. Metzger NJW 2003, 1994.

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§ 73 III

Veräußerungsverträge

gig von einem Verschulden eine Einstandspflicht trifft, richtet sich nach den allgemeinen Regeln,1 ist also nach § 276 I 1 von der Übernahme einer Garantie abhängig.

II. Kauf auf Probe 930

Ein Kauf auf Probe (auf Besicht) ist ein Kauf, dessen Wirksamkeit in das Belieben des Käufers gestellt ist, 454 I 1. Der Käufer kann die Ware billigen oder nicht. Die Entscheidung steht in seinem freien Belieben, er unterliegt keiner Pflichtbindung dabei. Der Kauf ist im Zweifel unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen, dass der Käufer den Kaufgegenstand durch Willenserklärung gegenüber dem Verkäufer billigt, 158 I, 454 I 2. Auch eine konkludente Vereinbarung eines Kaufes auf Probe ist möglich. Sie ist dann anzunehmen, wenn der endgültige Entschluss des Käufers nach Treu und Glauben erst nach Besichtigung der Kaufsache, eventuell auch anhand eines Prospekts, erwartet werden kann (z. B. wenn der Kaufgegenstand nur gattungsmäßig bezeichnet ist: „Möbel im Wert von 5000,–“), KG NJW 74, 1954. Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Käufer die Untersuchung des Gegenstandes zu gestatten, 454 II. Die Parteien können entgegen § 454 I 2 auch eine auflösende Bedingung vereinbaren, RGZ 94, 287. Dem Käufer kann der Verkäufer eine Frist für die Billigung setzen. Die Billigung kann dann nur innerhalb dieser Frist erfolgen, 455 S. 1. War die Sache dem Käufer zum Zweck der Probe oder der Besichtigung übergeben, so gilt sein Schweigen als Billigung (qui tacet consentire videtur), 455 S. 2. Es handelt sich um einen der seltenen Fälle, in denen Schweigen als Zustimmung gilt. Der Kauf auf Probe ist ein „vorläufiger Vertrag“. Seine systematische Stellung ist oben (Rdn. 134) erläutert. Kein Kauf auf Probe ist der Kauf mit Umtauschvorbehalt. Der Kauf ist unbedingt. Der Käufer hat nur das Recht, eine gleichwertige Ware zu verlangen.

III. Wiederkauf 931

1. Es ist möglich, dass sich der Verkäufer in dem Kaufvertrag das Recht vorbehält, die Sache wiederzukaufen. Der Wiederkauf ist ein Unterfall des Kaufs. Beim Wiederkauf behält sich der Verkäufer in dem Kaufvertrag oder in einem späteren Zusatz zum Kaufvertrag das Recht vor, die verkaufte Sache vom Käufer wiederzukaufen. Zu deuten ist der Wiederkauf als aufschiebend bedingter Rückkauf, wobei die Bedingung die Wiederkaufserklärung des Verkäufers ist.2 Mit der Wiederkaufserklärung, einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung (Gestaltungsrecht) des Verkäufers gegenüber dem Käufer, kommt der Wiederkaufsvertrag zustande, 456 I 1. Gleichzeitig wird der ursprüngliche Kaufvertrag aufgelöst, so dass ein Rücktritt von ihm nicht mehr möglich ist, BGHZ 29, 110. Die Vereinbarung des Wiederkaufs bedarf der Form, die für den Kaufvertrag nötig ist, z. B. bei Grundstückswiederkäufen, gem. § 311 b I. Die Wiederkaufserklärung des Verkäufers bedarf dagegen nicht der für den Kaufvertrag bestimmten Form, 456 I 2. Zur systematischen Stellung des Wiederkaufsrechts unter den „vorläufigen Verträgen“ oben Rdn. 134.

1 Eine Spezialregelung für den Kauf nach Probe enthielt demgegenüber § 494 a. F. 2 BGHZ 38, 371; BayObLG NJW 78, 167. A. A. Larenz, II, § 44 II; Medicus, II, § 83 II: Der Wiederkauf begründet das Gestaltungsrecht des Verkäufers, durch einseitige Willenserklärung einen neuen Kaufvertrag zustandezubringen, kraft dessen er vom Käufer die Rückübereignung des Kaufgegenstandes verlangen kann.

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Besondere Arten des Kaufs. Internationales Kaufrecht

§ 73 IV 1

Der Wiederkauf wirkt nur obligatorisch, nicht dinglich. Bei Grundstücken ist daher eine Vormerkung (883), bei beweglichen Sachen eine auflösend bedingte Übereignung beim Erstverkauf zu empfehlen. Im Zweifel gilt der Kaufpreis auch als Wiederkaufpreis, 456 II. Einer Geldentwertung kann man durch die Vereinbarung eines Schätzpreises in gewissem Umfang vorbeugen, 460. § 457 behandelt die Haftung des Wiederverkäufers. Er muss nach § 457 I den gekauften Gegenstand nebst Zubehör herausgeben, d. h. zurückübereignen, 929, 873 ff. Wenn der Wiederverkäufer vor Ausübung des Wiederverkaufsrechts die Kaufsache verschlechtert hat, so ist er schadensersatzpflichtig. Denn er muss mit der Ausübung des Wiederkaufsrechtes rechnen, 457 II 1. Wenn der Gegenstand ohne Verschulden des Wiederverkäufers verschlechtert wurde, was der Wiederverkäufer zu beweisen hat, kann der Wiederkäufer keine Minderung des Kaufpreises verlangen, 457 II 2. Zwischenverfügungen des Käufers und Wiederverkäufers über den gekauften Gegenstand sind dinglich wirksam. Es gibt auch keine nachträglich eintretende Unwirksamkeit wie in § 161. Gerade deshalb würde sich eine Vormerkung wegen der §§ 883, 888 bei Grundstücken und eine von vornherein auflösend bedingte Übereignung beim Erstverkauf beweglicher Sachen empfehlen. Wird das Wiederverkaufsrecht ausgeübt, so muss der Wiederverkäufer inzwischen begründete Rechte beseitigen, 458 S. 1. Kann er das nicht, ist er schadensersatzpflichtig, 283.

IV. Das Vorkaufsrecht Das Vorkaufsrecht ist an zwei Stellen im BGB geregelt. Die §§ 463–473 betreffen das obligatorische Vorkaufsrecht, die §§ 1094–1104 das dingliche Vorkaufsrecht. Neben dem rechtsgeschäftlich begründeten Vorkaufsrecht gibt es noch gesetzliche Vorkaufsrechte wie § 24 BauGB, das Vorkaufsrecht der Miterben, 2034 , oder des Mieters, 577 (zu diesem s. BGH NJW 2006, 1869.

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1. Voraussetzungen a) Das Vorkaufsrecht stellt die Berechtigung dar, einen Gegenstand von einem anderen zu kaufen, sobald dieser den Gegenstand an einen Dritten verkauft, 463. Das Wesen des obligatorischen Vorkaufsrechtes ist ein doppelt bedingter Verkauf an den Vorkaufsberechtigten.3 b) Die erste Bedingung, die eintreten muss, damit der Vorkaufsberechtigte sein Vorkaufsrecht ausüben kann, ist, dass der Vorkaufsverpflichtete die Sache an einen Dritten verkauft.4 Voraussetzung ist aber, dass dieser Vertrag gültig ist. Bedarf ein Grundstücksverkauf einer behördlichen Genehmigung, so kann das Vorkaufsrecht wirksam erst nach deren Erteilung ausgeübt werden, BGHZ 14, 1; vgl. auch BGHZ 23, 342, 348. Es kann auch dann noch ausgeübt werden, wenn der Dritte aufgrund eines vertraglichen Vorbehalts vom Kaufvertrag zurücktritt, bevor das Vorkaufsrecht ausgeübt worden ist. Denn mit dem Eintritt der Doppelbedingung lässt sich das Vorkaufsrecht nicht mehr beseitigen, BGHZ 67, 395. Ebenso verhält es sich, wenn der Vorkaufsverpflichtete

3 So die h. M. in der Rechtsprechung, vgl. Staudinger/Mayer-Maly, § 504 Rdn. 26 m. N.; anders dagegen Larenz, II, § 44 III; Medicus, II, § 83 I 1 und wohl auch BGH JR 77, 241: mit der Einräumung des Vorkaufsrechts erhält der Vorkaufsberechtigte das Gestaltungsrecht, durch seine Willenserklärung einen Kaufvertrag zustandezubringen, vgl. zum Wiederkauf auch oben III 1. 4 Kein Vorkaufsrecht z. B. bei gemischter Schenkung, vgl. RGZ 101, 99 = ESJ 73.

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§ 73 IV 2

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Veräußerungsverträge

vor oder nach Ausübung des Vorkaufsrechts zurücktritt, etwa weil es ausgeübt wird. Hierdurch kann der Eintritt des Vorkaufsfalls nicht mehr beseitigt werden, s. § 465.5 c) Mit dem Verkauf an den Dritten tritt die Lage ein, die der Vorkaufsberechtigte bei der Vereinbarung seines Vorkaufsrechts im Auge gehabt hat. Er kann jetzt mit seinem Vorkaufsrecht dem Dritten zuvorkommen und die Sache an sich ziehen. Die zweite Bedingung ist daher die Ausübung des Vorkaufsrechts (Option, dazu oben Rdn. 135). Das Vorkaufsrecht ist wie das Wiederkaufsrecht ein Gestaltungsrecht. Es wird ausgeübt durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Berechtigten. Auch die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts gem. § 24 BauGB ist privatrechtliche Willenserklärung und nicht etwa Verwaltungsakt, BGH NJW 73, 1278. Die Vereinbarung des Vorkaufsrechts bedarf der für den Kaufvertrag erforderlichen Form. Die Vereinbarung des Vorkaufsrechts über ein Grundstück muss deshalb gem. § 311b I notariell beurkundet werden, weil damit bereits eine bedingte Verpflichtung zur Veräußerung des Grundstücks eingegangen wird. Die Erklärung selbst bedarf dieser Form nicht; 464 I 2. Der Vorkaufsverpflichtete hat dem Vorkaufsberechtigten den Inhalt des mit dem Dritten geschlossenen Vertrages unverzüglich mitzuteilen. Das Vorkaufsrecht kann bei Grundstücken nur bis zum Ablauf von 2 Monaten, bei anderen Gegenständen nur bis zum Ablauf einer Woche ausgeübt werden. Die Frist beginnt mit dem Empfang der Mitteilung. Die Frist beginnt nur zu laufen, wenn der Vorkaufsberechtigte umfassend und wahrheitsgemäß unterrichtet wird, auch z. B. über nachträgliche Vertragsänderungen, BGH NJW 73, 1365. Die Fristen können vertraglich geändert werden, 469. Verletzung der Pflicht macht schadensersatzpflichtig.

2. Folgen 935

a) Treten beide Bedingungen ein, so kommt mit der Ausübung des Vorkaufsrechts der Kaufvertrag zwischen dem Vorkaufsverpflichteten und dem Vorkaufsberechtigten grundsätzlich mit dem Inhalt zustande, mit dem der Vorkaufsverpflichtete den Kaufvertrag mit dem Dritten abgeschlossen hat, 464 II (problematisch in BGHZ 131, 318). Ein dingliches Vorkaufsrecht zu einem vorbestimmten Preis ist wegen des numerus clausus der Sachenrechte (hier 1094, 1098) unzulässig. Daher ist das Ankaufsrecht (oben Rdn. 134) in diesen Fällen beliebter, vgl. Soergel/Siebert, § 1198 Rdn. 2. Beispiel: Der Gutsbesitzer Ritter vereinbart mit seinem Nachbarn, wenn der Nachbar eine bestimmte Wiese verkauft, solle er, Ritter, das Recht haben, in den Kaufvertrag „einzusteigen“. In einem solchen Falle handelt es sich um einen doppelt bedingten Kaufvertrag über ein Grundstück, welcher der Form des § 311 b I bedarf, vgl. RGZ 148, 108. b) Da durch die Ausübung des Vorkaufsrechts die Gültigkeit des mit dem Dritten geschlossenen Kaufvertrags nicht berührt wird, muss der Vorkaufsverpflichtete dafür sorgen, dass er nicht doppelt verpflichtet wird und Schadensersatzansprüchen des Dritten ausgesetzt ist. Er sollte deshalb seine Verpflichtung zur Erfüllung dem Dritten gegenüber davon abhängig machen, dass das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt wird. Er kann das erreichen durch Vereinbarung eines Rücktrittsrechts, vgl. § 465, oder durch Abschluss des Kaufvertrags unter der Bedingung, vgl. § 158, dass das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt wird. c) Der Vorkaufsberechtigte hat gegenüber dem Dritten, mit dem der Verkäufer den Kaufvertrag abgeschlossen hat, keine Ansprüche. d) Das Vorkaufsrecht erstreckt sich auf den nächsten Verkaufsfall. Da es nur den Besteller verpflichtet, erstreckt es sich nicht auf spätere Verkaufsfälle. Jedoch erlauben die §§ 1094ff eine Verdinglichung des Vorkaufsrechts. Es wirkt dann gegenüber Dritterwerbern wie eine Vormerkung, §§ 1098 II, 883 II, 888, kann also auch gegenüber Dritten durchgesetzt werden. Dieses kann entweder als persönliches oder subjektiv dingliches Vorkaufsrecht bestellt werden; zur Abgrenzung vgl. BGHZ 37, 147 (Vorkaufsrecht für Berechtigte und Rechtsnachfolger). 5 Erman/B. Grunewald 11, § 463 Rdn. 15.

460

Besondere Arten des Kaufs. Internationales Kaufrecht

§ 73 VI 1

e) Steht das Vorkaufsrecht mehreren gemeinschaftlich zu, so gilt das Gleiche wie beim Wiederkaufsrecht, vgl. §§ 461, 472, BGH NJW 82, 330. Das Vorkaufsrecht ist im Zweifel höchstpersönlich; es ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben des Berechtigten über. Dies kann aber von den Parteien anders bestimmt werden. Ist das Vorkaufsrecht auf eine bestimmte Zeit befristet, so ist es im Zweifel vererblich, 473.

V. Verkauf im Wege der Zwangsvollstreckung. Pfandversteigerung Die §§ 450, 451 enthalten für Verkäufe im Wege der Zwangsvollstreckung gewisse Einschränkungen der allgemeinen vertraglichen Abschlussfreiheit. Bei einem Verkauf im Wege der Zwangsvollstreckung dürfen der mit der Vornahme oder Leitung des Verkaufs Beauftragte, die von diesem zugezogenen Gehilfen sowie der Protokollführer den angebotenen Gegenstand weder für sich persönlich noch durch einen anderen oder als Vertreter eines anderen kaufen. Sinn dieser Vorschriften ist es, die Unparteilichkeit des Verfahrens zu gewährleisten. Gem. §§ 806 ZPO, 56 S. 3 ZVG stehen dem Erwerber bei einer Veräußerung im Weg der Zwangsvollstreckung keinerlei Gewährleistungsansprüche zu. Nach § 445 gilt eine Einschränkung der Gewährleistung auch dann, wenn eine Sache auf Grund eines Pfandrechts (§ 1204) in einer öffentlichen Versteigerung (§ 383 III) unter der Bezeichnung als Pfand verkauft wird. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Verkäufer in diesen Fällen die verkaufte Sache nur schlecht kennt. Beim Verbrauchsgüterkauf findet die Vorschrift gem. § 474 II keine Anwendung. Eine Einschränkung der Gewährleistung entfällt selbstverständlich auch dann, wenn der Verkäufer eine besondere Beschaffenheitsgarantie übernommen hat.

936

VI. Internationaler Kauf Barfuß, FS Neumayer, 1985, 59; Bucher, Mélanges Paul Piotet, 1990; von Caemmerer, RabelsZ 29 (1965), 101 ff; ders., AcP 178 (1978), 121; ders., FS Beitzke, 1979, 35; Dölle (Hrsg.), Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht, 1976; Gordley, J., An American Perspective on the Unidroit Principles, 1996; Fox, Th., Das Wiener Kaufrechtsübereinkommen, 1994; Herber, Wiener UNCITRAL-Übereinkommen über internationale Warenkaufverträge vom 11. 4. 1980, 2. Aufl. 1983; Heldrich, NJW 74, 2156, Henninger, M., Die Frage der Beweislast im Rahmen des UN-Kaufrechts, 1994; Honsell, H. (Hrsg.) Kommentar zum UN-Kaufrecht, 1996; Huber, U., FS von Caemmerer, 78, 837; Jagert/ Derichsweiler, JuS 89, 972; Karollus, UN-Kaufrecht, 1991; ders., JuS 1993, 378; Krebs, Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, 2000; Langenecker, UN-Einheitskaufrecht und Immaterialgüterrechte, 1993; Leser/von Marschall, Das Haager EKG und das deutsche Schuldrecht, 1973; Mertens/Rehbinder, Internationales Kaufrecht, 1975; Neumayer, FS von Caemmerer, 1978, 955; Piltz, NJW 2005, 2126; Pünder, RIW 1990, 869; Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987; ders., Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 3. Aufl. 2000; ders., Internationales UN-Kaufrecht, 2. Aufl. 2003; Schmid, Chr., Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht, 1996; Schwenzer, NJW 90, 602; Stötter, Internationales Einheitskaufrecht, 1975; Tietz, NJW 89, 615; Will, Michael R., Internationale Bibliographie zum UN-Kaufrecht, Saarbrücken 1989; Witz/Salger/Lorenz, International Einheitliches Kaufrecht, 2000; Witz u. a., Les Ventes Internationales, 1998; Ziegler, U., Leistungsstörungsrecht nach dem UN-Kaufrecht, 1994.

1. Vereinheitlichung des materiellen Kaufrechts

937

Das Internationale Privatrecht (IPR) regelt als Kollisionsrecht, welches nationale Recht anwendbar sein soll.6 Art. 27 EGBGB überlässt es den Parteien, welche Rechts6 S. u. Rdn. 1727ff.

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§ 73 VI 2

Veräußerungsverträge

ordnung anzuwenden ist.7 Art. 28 EGBGB bestimmt, dass mangels Rechtswahl das Recht mit der engsten Verbindung zum Vertrag gelten soll. Kollisionen materiellen Rechts verschiedener Rechtsordnungen lassen sich vermeiden, wenn das Recht dieser Rechtsordnungen inhaltlich vereinheitlicht worden ist. Tendenziell treten also Kollisionsnormen in ihrer Bedeutung zurück, je mehr die Rechte verschiedener Rechtsordnungen materiell übereinstimmen. Schon früh haben daher Versuche eingesetzt, das Recht des Kaufs allgemein (oder zumindest das Recht grenzüberschreitender Kaufverträge) inhaltlich zu vereinheitlichen. Zu nennen sind besonders die Bemühungen von Ernst Rabel 8 und des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts (Unidroit, Rom-Institut) seit 1926 auf diesem Gebiet.9 Ein Ergebnis dieser Bemühungen waren die beiden Haager Kaufrechtsübereinkommen von 1964, die einheitliches Sachrecht enthielten. Sie wurden allerdings nur von wenigen Staaten ratifiziert (Inkrafttreten für Deutschland im Jahr 1974), da Länder außerhalb Westeuropas ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt sahen. Es wurde deshalb ein neuer Anlauf unternommen, diesmal im Rahmen der UNO. Die UNCITRAL (United Nations Commission on International Trade Law) mit Sitz in Wien erarbeitete das „UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf“, das 1980 auf einer diplomatischen Konferenz angenommen wurde. Das UN-Kaufrecht, auch „Wiener Kaufrecht“, bzw. nach der englischen Bezeichnung „CISG“ genannt,10 ist außerordentlich erfolgreich und wurde von einer Vielzahl von Staaten angenommen, darunter auch von den wichtigsten Industrieländern einschließlich der USA und Kanada. Für Deutschland ist es 1991 in Kraft getreten. Noch nicht beigetreten sind z. B. Großbritannien, Irland, Portugal und Japan. Das CISG vereinheitlicht das Recht der grenzüberschreitenden Kaufverträge in den Vertragsstaaten. Sobald seine Anwendungsvoraussetzungen vorliegen, ist es unmittelbar anwendbar und geht nationalem Kollisions- und Sachrecht vor. 2. Inhalt des UN-Kaufrechts 938

Das CISG ist keine kaufrechtliche Gesamtregelung. Geregelt werden lediglich der „Abschluss des Kaufvertrages und die aus ihm erwachsenden Rechte und Pflichten des Verkäufers und des Käufers“ (Art. 4 CISG), nicht aber beispielsweise die Gültigkeit des Vertrags, dingliche Wirkungen, Geschäftsfähigkeit, Irrtum oder Dissens. Das CISG ist anwendbar, wenn der sachliche, persönliche und räumliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Sachlich ist es auf Kaufverträge und bestimmte Werklieferungsverträge anwendbar, wenn es sich um bewegliche Sachen handelt und keiner der Ausschlussgründe in Art. 2 b)–f) CISG vorliegt. Persönlich ist es im Prinzip auf jedermann anwendbar, Kaufmannseigenschaft ist nicht erforderlich. Nach Art. 2a) CISG werden aber Verbrauchergeschäfte vom Anwendungsbereich ausgenommen, soweit die Verbrauchereigenschaft für den Verkäufer erkennbar war. In räumlicher Hinsicht ist erforderlich, dass die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben (ihre Staatsangehörigkeit ist hingegen nicht von Bedeutung, Art. 1 III CISG), das CISG ist also nur auf 7 S. aber die Beschränkung für Verbraucher- und Arbeitsverträge in Art. 29, 29a, 30 EGBGB, s. u. Rdn. 1733. 8 Rabel, Das Recht des Warenkaufs I (1936); ders., RabelsZ 9 (1935) Sonderheft. 9 Zu Unidroit s. z. B. Kropholler, Internationales Einheitsrecht (1975) 57 ff; Gordley, An American Perspective on the Unidroit Principles (1996). 10 United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods.

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Verbrauchsgüterkauf. Teilzeit-Wohnrechteverträge

§ 74 I

grenzüberschreitende Kaufverträge anwendbar. Außerdem müssen diese beiden Staaten entweder selbst Vertragsstaaten des CISG sein („autonome Anknüpfung“), oder das nationale Kollisionsrecht führt zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaats („kollisionsrechtliche Anknüpfung“), Art. 1 I CISG. Beispiel: Das schottische Einzelhandelsunternehmen S kauft beim deutschen Fabrikanten D 200.000 Packungen Papier-Taschentücher. Besondere Vereinbarungen werden nicht getroffen. Welches Recht ist anwendbar? – Da Großbritannien nicht Vertragsstaat des CISG ist, scheidet die autonome Anknüpfung des UN-Kaufrechts nach Art. 1 Ia) CISG aus. Die Regeln des deutschen IPR, nämlich Art. 28 I, II EGBGB, führen zur Anwendbarkeit deutschen Sachrechts: Der Verkäufer hat nämlich seinen Sitz in Deutschland. Da Deutschland Vertragsstaat des CISG ist, findet UN-Kaufrecht gem. Art. 1 I b) CISG Anwendung. Auf den Kaufvertrag findet also UN-Kaufrecht, nicht etwa die §§ 433ff Anwendung.

Das CISG gilt automatisch, es sei denn, die Parteien schließen die Anwendung dieses Übereinkommens aus, Art. 6 CISG (sog. „opting out“-Klausel). Für den Ausschluss des CISG reicht es allerdings nicht aus, die Anwendbarkeit deutschen Rechts zu vereinbaren: Das UN-Kaufrecht ist in Deutschland geltendes Recht. UN-Kaufrecht muss explizit ausgeschlossen werden; oder die Geltung bestimmter Normen, z. B. des BGB muss vereinbart werden. In der Praxis findet sich häufig folgende Klausel: „Es gilt deutsches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts.“ Das UN-Kaufrecht enthält in Teil II Regeln über den Abschluss des Vertrags und in Teil III Regeln über die Pflichten der Parteien bei der Vertragsdurchführung einschließlich der Leistungsstörungen. Der Vertrag kommt wie gewohnt durch Angebot und Annahme zustande. Die Art. 14ff CISG enthalten hierzu detaillierte Regelungen. Hervorzuheben ist, dass im Unterschied zu § 145 BGB das Angebot nach Art. 16 I CISG grundsätzlich widerruflich ist. Das entspricht englischer Rechtstradition.11 – Im Bereich der Leistungsstörungen unterscheidet das CISG nicht zwischen Verzug, Unmöglichkeit, Gewährleistung usw., sondern es gilt der einheitliche Tatbestand der Vertragsverletzung. Diese Grundkonzeption hatte maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Schuldrechtsmodernisierung und die Einführung der zentralen Leistungsstörungskategorie der Pflichtverletzung.12 Überhaupt hat sich die Reform in Deutschland eng an das UNKaufrecht angelehnt, so dass heute die Gemeinsamkeiten zwischen deutschem und internationalem Kaufrecht die Unterschiede bei weitem überwiegen.

§ 74 Verbrauchsgüterkauf. Teilzeit-Wohnrechteverträge I. Verbrauchsgüterkauf Bitterich, JR 2004, 485; Böhle, Der Rückgriff in der Lieferkette gemäß der §§ 478, 479 BGB nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (2004); ders., NJW 2003, 3680; Brüggemeier, JZ 2000, 529; Drexl, Europäischer Verbraucherschutz im Netz, in: Drexl/Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.), Europarecht im Informationszeitalter, 2000, 75 ff.; ders., JZ 1998, 1046; Jacobs, JZ 2004, 225; Matthes, NJW

11 Herber, S. 23. Ausnahmsweise ist allerdings ein Angebot bindend, wenn eine feste Frist zur Annahme bestimmt wurde oder wenn sich der Empfänger vernünftigerweise auf die Unwiderruflichkeit des Angebots verlassen konnte und er im Vertrauen darauf handelte, Art. 16 II CISG. 12 GesBegr BT-Drs 14/6040, 86, 92, 133 f, 135.

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§ 74 I 1

Veräußerungsverträge

2002, 2505; Müller, NJW 2003, 1975; von Sachsen Gessaphe, RIW 2001, 721; Tiedtke/Schmitt, ZIP 2005, 681; Tröger, AcP 204 (2004) 115; von Westphalen, DB 1999, 2553.

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Die europäische Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, umzusetzen bis zum 1. 1. 2002, hatte den Anstoß zur Modernisierung des deutschen Schuldrechts gegeben (s. o. Rdn. 799). Die Richtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten zwar in erster Linie nur dazu, das Kaufrecht im Verhältnis zwischen professionellen Verkäufern und Verbrauchern anzupassen. Der deutsche Gesetzgeber entschloss sich aber, das Kaufrecht insgesamt zu ändern, um eine Rechtszersplitterung zwischen allgemeinem Kauf und Verbraucherkauf zu verhindern. So ist es zu erklären, dass der Untertitel über den Verbrauchsgüterkauf in den §§ 474ff mit nur wenigen Vorschriften auskommt. Die anderen Richtlinienvorgaben wurden vom Gesetzgeber bereits im allgemeinen Kaufrecht der §§ 433ff berücksichtigt. Ziel der Sonderregeln über den Verbrauchsgüterkauf ist der Verbraucherschutz. Außerdem soll der europäische Binnenmarkt gestärkt werden: Da die Vorgaben der Richtlinie in allen EG-Mitgliedstaaten umzusetzen sind, kann der Verbraucher sich darauf verlassen, dass er überall dieselben Mindestrechte hat. Der gemeinschaftsweite Warenabsatz soll hierdurch gefördert werden (s. Erw-Gr 4 der Richtlinie). 1. Begriff

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Nach der Legaldefinition in § 474 I ist ein Verbrauchsgüterkauf der Kauf einer beweglichen Sache durch einen Verbraucher (§ 13) bei einem Unternehmer (§ 14).1 Entgegen der missglückten Begriffsbildung kommt es also nicht darauf an, dass ein „Verbrauchsgut“ verkauft wurde, sondern dass ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft. Wird dagegen ein Kaufvertrag zwischen Unternehmern oder zwischen Verbrauchern abgeschlossen, oder verkauft ein Verbraucher eine Sache an einen Unternehmer, liegt kein Verbrauchsgüterkauf vor. Da Kaufgegenstand eine bewegliche Sache zu sein hat, fällt der Grundstückskauf nicht unter die §§ 474ff. Im Übrigen bestehen einige Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Verbrauchsgüterkauf-RiLi erlaubt in Art. 1 II b) Ausnahmen für Wasser und Gas, „wenn sie nicht in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge abgefüllt sind“, sowie für Strom. Der deutsche Gesetzgeber hat hierfür zwar keine Sondervorschriften ins Gesetz aufgenommen; über den Begriff der „beweglichen Sache“ soll aber die Lieferung von fließendem Wasser und Energie aus dem Anwendungsbereich der §§ 474 ff herausgenommen werden.2 Nur in den praktisch weniger wichtigen Fällen (Abfüllung von Gas z. B. in Camping-Gasflaschen, Speicherung von Strom in Batterien oder Akkus) liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor. – Art. 1 IIb) der Verbrauchsgüterkauf-RiLi schließt Verkäufe im Wege der Zwangsvollstreckung aus ihrem Anwendungsbereich aus. § 806 ZPO, nach dem bei solchen Verkäufen jegliche Gewährleistung ausgeschlossen ist (und zwar auch im Verhältnis zum Verbraucher), ist also gemeinschaftsrechtskonform. – Schließlich hat der deutsche Gesetzgeber in § 474 I 2 auch von der Option in Art. 1 III der Verbrauchsgüterkauf-RiLi Gebrauch gemacht: Beim Verkauf gebrauchter Sachen in einer öffentlichen Versteigerung (§ 383 III, s. BGH NJW 2006, 613), an welcher der Verbraucher persönlich teilnehmen kann, sind die Regeln über den Verbrauchsgüterkauf ausgeschlossen. Dies ist von Bedeutung für die Versteigerung von Fundsachen (s. § 979). Da der Versteigerer die Sache nicht näher kennt, soll er nicht nach den strengeren Regeln des Verbrauchsgüterkaufs haften, allerdings nur wenn der Verbraucher persönlich teilnehmen, sich also einen unmittelbaren Eindruck von der Sache verschaffen konnte.

1 Täuscht der Käufer einen gewerblichen Verwendungszweck vor, kann er sich auf die §§ 474 ff nicht berufen, BGH NJW 2005, 1045 (Verbot des venire contra factum proprium, 242). 2 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 243; Gegenäußerung BReg BT-Drs 14/6857, 62. Ablehnend Erman/ B. Grunewald, § 474 Rdn. 5: Anwendung der §§ 474ff direkt, bzw. analog.

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Verbrauchsgüterkauf. Teilzeit-Wohnrechteverträge

§ 74 I 2

Zweifelhaft ist die Anwendung der §§ 474 ff auf Softwareüberlassung. Soweit kein Werk- oder Pachtvertrag vorliegt, findet im Prinzip Kaufrecht Anwendung (s. o. Rdn. 927 f). Die Regeln über den Verbrauchsgüterkauf setzen aber den Verkauf einer beweglichen Sache voraus. Selbst wenn die Software auf einem Datenträger, z. B. einer DVD überlassen wird, steht nicht der Sachaspekt, sondern der Charakter als Immaterialgut im Vordergrund. Es liegt deshalb ein „sonstiger Gegenstand“ i. S. v. § 453 I vor (s. o. Rdn. 927). Die §§ 474ff finden hierauf keine direkte Anwendung. Allerdings ist eine analoge Anwendung angezeigt: Der Verbraucher ist beim Kauf vorgefertigter Standardsoftware genauso schutzwürdig wie beim Kauf beweglicher Sachen.3 2. Besonderheiten Gem. § 474 I 1 gelten die Regeln über den Verbrauchsgüterkauf „ergänzend“. In erster Linie ist also das allgemeine Kaufrecht der §§ 433ff anwendbar, das durch die §§ 474ff lediglich modifiziert wird. Im Einzelnen bestehen folgende Besonderheiten. a) Pfandversteigerung § 474 II erklärt zwei Vorschriften des allgemeinen Kaufrechts für nicht anwendbar auf den Verbrauchsgüterkauf. Dazu gehört die Vorschrift des § 445 über die Pfandversteigerung. Der Verkäufer kommt beim Verbrauchsgüterkauf also nicht in den Genuss der dort vorgesehenen Haftungsbeschränkung. Etwas anderes gilt nach § 474 I 2 nur bei der Versteigerung gebrauchter Sachen. b) Versendungskauf Ebenfalls ausgeschlossen ist gem. § 474 II die Vorschrift über den Gefahrübergang beim Versendungskauf, § 447. Beim Verbrauchsgüterkauf führt die Aushändigung der Sache an die Transportperson nicht zum Übergang der Preisgefahr auf den Käufer. Der Gefahrübergang erfolgt vielmehr erst nach dem Transport mit Übergabe der Sache an den Käufer, § 446. Die Sache reist beim Verbrauchsgüterkauf also auf Gefahr des Verkäufers. Geht die Sache auf dem Transport unter, bleibt es bei § 326 I 1, also dem Wegfall der Gegenleistungspflicht; bei einer Beschädigung auf dem Transport hat der Käufer die Gewährleistungsrechte des § 437. Die Belastung des Verkäufers beruht auf der Überlegung, dass er in diesen Fällen am besten in der Lage ist, das Transportrisiko zu versichern. Beispiel: Verbraucher K bestellt beim Versandhändler V eine CD, die per Post versandt werden soll (Gattungs- und Schickschuld). Auf dem Transport wird die CD zerstört. Mit Aussonderung der CD und Einlieferung beim Postamt hat V das seinerseits Erforderliche getan, so dass Konkretisierung gem. § 243 II eintritt. Die Leistungsgefahr geht damit auf K über; wegen § 275 I kann er nicht mehr Lieferung dieser CD verlangen. Normalerweise würde gem. § 447 I mit Auslieferung der Sache an die Transportperson auch die Preisgefahr auf K übergehen. K müsste also zahlen, obwohl die CD auf dem Transport zerstört wurde. Da hier aber ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt, findet § 447 gem. § 474 II keine Anwendung. Es bleibt bei § 326 I 1, so dass der Anspruch des V auf Kaufpreiszahlung entfällt (allgemein zur Leistungs- und Preisgefahr s. o. § 70).

3 Im Ergebnis auch Bamberger/Roth/Faust, § 474 Rdn. 9; Erman/B. Grunewald, § 474 Rdn. 3, die allerdings bei Software auf Datenträgern von einem Sachkauf ausgehen.

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§ 74 I 2

Veräußerungsverträge

Wegen § 475 I ist § 474 II nicht zum Nachteil des Verbrauchers abdingbar. Die Preisgefahr kann also nicht durch Vereinbarung auf den Verbraucher-Käufer vorverlagert werden (str.).4 c) Nachfristsetzung 943

Rücktritt oder Minderung setzen nach § 437 Nr. 2, 323 die Bestimmung einer angemessenen Nachfrist voraus. Die Verbrauchsgüterkauf-RiLi kennt dieses Erfordernis nicht, sondern räumt Rechte dem Käufer die Gewährleistungsrechte schon dann ein, „wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat“. Hierfür reicht es aus, wenn der Käufer den Verkäufer ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung auffordert, und dieser innerhalb einer angemessenen Frist dem Verlangen nicht nachkommt. In richtlinienkonformer Auslegung ist deshalb für Rücktritt und Minderung beim Verbrauchsgüterkauf auf das Erfordernis der Nachfristsetzung zu verzichten.5 Für den Schadensersatzanspruch ist die Nachfristsetzung allerdings weiterhin erforderlich, da die Richtlinie insofern keine Vorgaben macht. d) Halbzwingendes Recht

944

Die wichtigste Norm des Verbrauchsgüterkaufrechts ist § 475. Zahlreiche Normen werden für halbzwingend erklärt, können also nicht durch Vereinbarung zum Nachteil des Verbrauchers abbedungen werden (daher: halbzwingend). Das ansonsten dispositive Recht ist also nicht nur klauselfest (= nicht durch AGB veränderbar), sondern auch gegenüber Individualvereinbarungen resistent.6 Aus den in Bezug genommenen Vorschriften ergibt sich insbesondere, dass der Verkäufer nicht von der Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache, bzw. von den Rechten des Käufers im Mangelfall befreit werden kann. So kann etwa die Einstandspflicht des Verkäufers für Werbeaussagen des Herstellers (§ 434 I 3) nicht ausgeschlossen werden. Auch ist der Ausschluss der Mängelgewährleistungsrechte beim Verkauf gebrauchter Sachen – im Gegensatz zur Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung – nicht mehr möglich.7 Davon unberührt bleiben Vereinbarungen über die Sollbeschaffenheit: Erst auf der Grundlage der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit kann nach dem subjektiven Fehlerbegriff überhaupt beurteilt werden, ob ein Sachmangel vorliegt. Beispiel: Kfz-Händler V verkauft einen Gebrauchtwagen (sechs Jahre alt, Laufleistung 120.000 km) an den Verbraucher K „gekauft wie besehen unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung“. Später stellt sich heraus, dass die Bremsbeläge stark abgefahren sind und der Unterboden schwere Rostschäden

4 Es ist streitig, ob sich § 475 I auch auf die vorangehende Vorschrift des § 474 bezieht. Wie hier BGH NJW 2003, 3341; Erman/B. Grunewald, § 475 Rdn. 5; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 207 f; Westermann, NJW 2002, 241 (251); a. A. Bamberger/Roth/Faust, § 475 Rdn. 5; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. XXXIV; S. Lorenz, JuS 2004, 105 (106 f), der allerdings eine von § 474 II abweichende Vereinbarung in AGB für unwirksam hält. 5 Kaiser, in Staudinger/Eckpfeiler (2005) 302f mit Nachweis der vorgeschlagenen Konstruktionen: Teleologische Reduktion von § 323, extensive Auslegung von § 323 II Nr. 3 oder Subsumtion unter § 440. 6 Art. 7 I der Verbrauchsgüterkauf-RiLi ordnet die Unabdingbarkeit der Verbraucherrechte an. Nach Art. 7 II der Richtlinie setzen sich die Verbraucherrechte auch bei Wahl eines ausländischen Rechts durch, s. hierzu Art. 29, 29a EGBGB. 7 Kritisch hierzu Drexl, FS Sonnenberger (2004) 771 (778 f); S. Lorenz, Neues Leistungsstörungsund Kaufrecht (2004) 28 ff.

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Verbrauchsgüterkauf. Teilzeit-Wohnrechteverträge

§ 74 I 2

aufweist. Rechte des K? Was die abgefahrenen Bremsbeläge betrifft, so liegt kein Sachmangel vor, da es sich um gewöhnliche Verschleißerscheinungen handelt (s. o. Rdn. 844). Der schwere Rostschaden ist hingegen bei einem sechs Jahre alten Wagen kein gewöhnlicher Verschleiß, sondern ein Mangel. Der Gewährleistungsausschluss im Vertrag ist gem. § 475 I 1 unwirksam, K hat also die in § 437 vorgesehenen Rechte. V hätte durch Offenlegung des Rostschadens die Sollbeschaffenheit des Wagens entsprechend ändern können. Er hätte dann nicht auf Gewährleistung gehaftet, dagegen möglicherweise Abstriche beim Kaufpreis hinnehmen müssen.

Nach § 475 I 2 setzt sich der (halb-)zwingende Charakter der in Bezug genommenen Vorschriften auch gegen Umgehungen durch. Eine Umgehung liegt z. B. vor, wenn der verkaufte, ganz normal zum Fahrbetrieb vorgesehene Gebrauchtwagen als „Bastlerfahrzeug“ oder „rollender Schrott“ verkauft wird, um durch diese künstliche Absenkung der Sollbeschaffenheit Gewährleistungsrechte de facto auszuschließen. Eine Umgehung liegt auch dann vor, wenn der Gebrauchtwagenhändler beim Agenturvertrag nur als Vertreter des (privaten) Verkäufers auftritt (so dass mangels Unternehmereigenschaft des Verkäufers kein Verbrauchsgüterkauf vorliegt), obwohl er das wirtschaftliche Risiko des Verkaufs übernommen hat, z. B. indem er dem Verkäufer einen Mindestverkaufspreis garantiert hat.8 § 475 I bezieht sich nur auf Vereinbarungen, die vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer getroffen werden. Ab diesem Zeitpunkt sind Vereinbarungen also auch beim Verbrauchsgüterkauf möglich. Dies soll die einverständliche Problemlösung, z. B. durch Abschluss eines Vergleichs fördern. Vom Grundsatz der Unabdingbarkeit der Verbraucherrechte existieren zwei Ausnahmen. Gem. § 475 III gelten die Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit nicht für Schadensersatzansprüche. Die Richtlinie macht hierzu keine Vorgaben (vgl. Art. 8 I der Verbrauchsgüterkauf-RiLi). Schadensersatzansprüche können also – in den Grenzen des § 444 – durch Vereinbarung beschränkt oder ausgeschlossen werden. Geschieht dies durch AGB, muss der Ausschluss mit den Regeln über die Klauselkontrolle vereinbar sein, s. insbesondere § 309 Nr. 7 und 8. – Die andere Ausnahme gilt gem. § 475 II für Verjährungsabreden. Sie können auf zwei Jahre, für gebrauchte Sachen auf ein Jahr verkürzt werden.

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Da die normale gewährleistungsrechtliche Verjährungsfrist zwei Jahre beträgt, ist die Abkürzungsmöglichkeit auf zwei Jahre für die längeren Fristen in § 438 I 1 und 2 von Bedeutung: Die Gewährleistung für Rechtsmängel kann von 30 auf zwei, bzw. bei gebrauchten Sachen auf ein Jahr abgekürzt werden, bei Bauwerken und Baumaterial von fünf Jahren ebenfalls auf zwei, bzw. ein Jahr (allerdings nicht durch AGB, s. § 309 Nr. 8 b) ff)). – Die Abgrenzung zwischen „neu“ und „gebraucht“ ist bei Tieren (§ 90 a) problematisch. Nach der Rechtsprechung sind Tiere i. d. R. „gebraucht“; junge Haustiere und Fische werden dagegen als „neu“ eingestuft.9

e) Beweislastumkehr Normalerweise muss der Käufer zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen alle Anspruchsvoraussetzungen beweisen, also z. B., dass die gekaufte Sache mangelhaft ist, und dass der Sachmangel bereits bei Gefahrübergang vorlag (genauer s. o. Rdn. 855). Der Verkäufer wird häufig gerade den letzteren Punkt bestreiten und 8 BGH NJW 2005, 1039; s. Hofmann, JuS 2005, 8; Müller, NJW 2003, 1975. Keine Umgehung dagegen beim Finanzierungsleasing, auch wenn Leasinggeber und Lieferant die an den Leasingnehmer abzutretenden kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte ausschließen oder beschränken, BGH NJW 2006, 1066. 9 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 245.

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§ 74 I 2

Veräußerungsverträge

vortragen, dass die Sache ursprünglich einwandfrei war, dann aber vom Käufer beschädigt wurde. Der Käufer ist dann beweispflichtig. Beim Verbrauchsgüterkauf kehrt sich die Beweislast um: Nach § 476 muss der Verbraucherkäufer lediglich beweisen, dass die Sache mangelhaft ist.10 Wenn sich der Mangel innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang zeigt (was ebenfalls vom Käufer zu beweisen ist), wird vermutet, dass der Mangel schon bei Gefahrübergang vorlag. Dies gilt auch dann, wenn der Verbraucher die gekaufte Sache durch einen Dritten hat einbauen lassen.11 Etwas anderes gilt gem. § 476 a. E. dann, wenn eine solche Vermutung mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist, z. B. bei verderblicher Ware („Art der Sache“) oder bei Erkrankungen des verkauften Tiers nach Ablauf der Inkubationszeit, berechnet vom Zeitpunkt des Gefahrübergangs („Art des Mangels“). Zu weit geht es, den Käufer gebrauchter Sachen pauschal nicht in den Genuss der Beweislastumkehr kommen zu lassen. Auch bei gebrauchten Sachen kann je nach Mangel die Vermutung begründet sein, dass der Defekt bereits vor Gefahrübergang vorlag.12 Dies gilt auch für Mängel, welche jederzeit auftreten können, z. B. Unfallschäden. Nur wenn der Schaden so auffällig ist, dass auch der fachlich nicht versierte Käufer ihn bei Übergabe hätte erkennen müssen, greift die Vermutung des § 476 wegen der „Art des Mangels“ nicht ein.13 Beispiele: An der (offen) verkauften Lautsprecherbox wird nach zwei Monaten eine gut sichtbare Delle in einer Membran entdeckt: Da dies dem Käufer bei Übergabe hätte auffallen müssen, wird nicht vermutet, dass der Schaden bereits bei Gefahrübergang vorlag. – Der gebraucht gekaufte Bürostuhl dreht sich nach drei Monaten nicht mehr. Die Beweislastumkehr greift, da ein gebrauchter Bürostuhl zwar abgenutzt sein darf, typischerweise aber jahrelang drehbar bleiben muss. Zudem war der Mangel bei Gefahrübergang nicht bemerkbar.

f) Garantien 947

§ 477 enthält Sondervorschriften für die Garantie beim Verbrauchsgüterkauf, welche die allgemeine Norm des § 443 ergänzen (s. o. Rdn. 851 ff). Entsprechend den Vorgaben in Art. 6 der Verbrauchsgüterkauf-RiLi verlangt § 477 I 1, dass die Garantie einfach und verständlich abgefasst sein muss. Der deutsche Gesetzgeber hat keinen Gebrauch von der in Art. 6 IV eingeräumten Möglichkeit gemacht, eine bestimmte Sprache, also in diesem Fall deutsch vorzuschreiben. Aus dem Gebot der Einfachheit und Verständlichkeit folgt allerdings, dass die Garantie in der Regel auf deutsch abgefasst sein muss. Je nach Schwierigkeitsgrad der Garantie und dem durch das Produkt angesprochenen Personenkreis kann ausnahmsweise auch Englisch erlaubt sein.14 Die Garantie muss den Verbraucher darauf hinweisen, welche gesetzlichen Rechte er hat, und dass diese durch die Garantie nicht eingeschränkt werden (§ 477 I 2 Nr. 1). Ansonsten könnte beim Verbraucher der Eindruck entstehen, dass seine gesetzlichen Rechte durch die Rechte aus der Garantie ersetzt (und nicht lediglich erweitert) werden.

10 Insofern gilt die Beweislastumkehr also nicht, s. BGH NJW 2004, 2299; 2006, 434. A. A. S. Lorenz, NJW 2004, 3020: Bei Auftreten eines Mangels innerhalb der sechs Monate Vermutung für einen Grundmangel bei Gefahrübergang. 11 BGH NJW 2005, 283: Einbau des gekauften Plastik-Teichbeckens in ein Grundstück durch einen Dritten. 12 Erman/B. Grunewald § 476 Rdn. 5; a. A. GesBegr BT-Drs 14/6040, 245. 13 BGH NJW 2005, 3490. 14 GesBegr BT-Drs 14/6040, 246.

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Außerdem sind Pflichtangaben über Inhalt, Tragweite und praktische Geltendmachung der Garantie zu machen (§ 477 I 2 Nr. 2). Der Verbraucher hat nach § 477 II Anspruch auf eine Ausfertigung der Garantieerklärung in Textform (§ 126b). Hierzu ist kein Schriftstück erforderlich; auch eine E-mail reicht aus.15 § 477 III macht deutlich, dass ein Verstoß gegen diese Anforderungen die Garantie nicht unwirksam macht (andernfalls hätte der Verkäufer einen Vorteil aus der Missachtung des § 477!). Die Zuwiderhandlung kann aber Schadensersatzansprüche des Käufers auslösen und Ansprüche von Wettbewerbern und Verbänden aus dem UWG, bzw. nach § 2 UKlaG nach sich ziehen.16 3. Regress des Letztverkäufers Der Verkauf von Konsumgütern erfolgt i. d. R. über mehrere Stationen, beispielsweise vom Produzenten über einen Großhändler, einen Einzelhändler bis hin zum Verbraucher. Die besonderen Regeln über den Verbrauchsgüterkauf gelten nur für den letzten Verkauf, nämlich den Kaufvertrag mit dem Verbraucher. Die Stärkung der Verbraucherrechte in den §§ 474 ff belastet also zunächst einmal den Letztverkäufer. Im Gegenzug wird diesem in den §§ 478, 479 ein Ausgleich eingeräumt, indem der Rückgriff gegen den eigenen Verkäufer („Lieferanten“ nach der Legaldefinition in § 478 I) erleichtert wird: § 478 II stellt eine eigene Anspruchsgrundlage zur Verfügung. Außerdem wird zugunsten des Letztverkäufers von den sonst geltenden Fristsetzungserfordernissen, Möglichkeiten eines Haftungsausschlusses oder Verjährungsregeln abgewichen. § 478 V erstreckt diese Regeln auf die gesamte Lieferkette, immer vorausgesetzt, dass die Verkäufer Unternehmer sind. Die §§ 478, 479 beruhen auf Art. 4 der Verbrauchsgüterkauf-RiLi. Die Vorschrift ordnet an, dass der Letztverkäufer den Hersteller oder andere Glieder der Lieferkette in Regress nehmen kann, wenn er dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit haftet, die in den Verantwortungsbereich einer dieser Personen fällt. Den Mitgliedstaaten wird ein großer Umsetzungsspielraum belassen. Das im englischen Recht geltende Prinzip der privity of contract, nach dem Ansprüche nur unmittelbar gegen den Vertragspartner bestehen (wie grundsätzlich auch im deutschen Recht, Ausnahmen in §§ 546 II, 556 III), ist deshalb mit der Richtlinie ebenso vereinbar wie die französische action directe, nach der alle Glieder der Absatzkette – vom Hersteller bis zum Letztverkäufer – als Gesamtschuldner haften. Das deutsche Recht sieht wie das englische lediglich Ansprüche gegen den Vertragspartner, nicht aber gegen den Hersteller oder entfernte Glieder der Absatzkette vor.17

Die §§ 478, 479 zielen damit auf die Vermeidung einer Gewährleistungsfalle: Der Letztverkäufer soll bei Mängeln, die nicht aus seinem Verantwortungsbereich stammen, nicht den Gewährleistungsrechten des Verbrauchers ausgesetzt sein, ohne seinerseits Ansprüche gegen seinen eigenen Lieferanten zu haben. Anspruchsgrundlage des Letztverkäufers sind – abgesehen von der Spezialvorschrift des § 478 II – die allgemeinen Vorschriften, nämlich § 437 mit den dort in Bezug genommenen Normen. Es sind also für jedes Vertragsverhältnis die Voraussetzungen der jeweiligen Anspruchsgrundlage separat zu prüfen, insbesondere das Vorliegen eines Mangels bei Gefahrübergang. Auf-

15 A. A. Bamberger/Roth/Faust, § 477 Rdn. 10: Anspruch auf schriftliche Form. 16 GesBegr BT-Drs 14/6040, 246 f. 17 Die europäische Kommission hatte ursprünglich die Einführung einer gemeinschaftsrechtlichen action directe mit gesamtschuldnerischer Herstellerhaftung vorgeschlagen, hatte sich damit aber nicht durchgesetzt, s. M. Lehmann, JZ 2000, 280 (291 Fn. 120). Zu einem Überbleibsel dieser Diskussion s. Art. 12 der RiLi.

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grund des subjektiven Fehlerbegriffs ist es durchaus möglich, dass im Vertragsverhältnis zwischen Lieferant und Letztverkäufer kein Mangel vorliegt, wohl aber im Verhältnis Letztverkäufer zum Verbraucher, z. B. weil der Lieferant ein Defizit der verkauften Sache offen gelegt und damit in die Sollbeschaffenheit eingebracht hat, der Letztverkäufer im Verhältnis zum Verbraucher dagegen nicht. Im Einzelnen bestehen folgende Besonderheiten: Die §§ 478, 479 sind nur auf den Kauf neu hergestellter Sachen anwendbar.18 Muss der Letztverkäufer die Sache als Folge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen (z. B. wegen Nachlieferung, Rücktritts oder großen Schadensersatzes; die Minderung ist gleichgestellt), kann er gegen seinen Lieferanten die Rechte des § 437 geltend machen, ohne eine Frist setzen zu müssen. Im Ergebnis entfällt damit zu Lasten des Lieferanten das Recht zur zweiten Andienung. Der Letztverkäufer kann beispielsweise gem. §§ 437 Nr. 2, 323 vom Kaufvertrag mit dem Lieferanten zurücktreten, ohne eine Frist zur Nacherfüllung (§ 323 I) setzen zu müssen. Damit soll erreicht werden, dass der Letztverkäufer die Sache möglichst schnell an seinen Lieferanten „durchreichen“ kann.19 Ein Interesse auf Nacherfüllung hat der Letztverkäufer in diesen Fällen typischerweise nicht, da er für die nachgebesserte oder nachgelieferte Sache einen neuen Abnehmer finden müsste. Schon aus dem Wortlaut, aber auch dem Sinn der Regelung folgt, dass der Letztverkäufer nicht in den Genuss der Privilegierung kommt, wenn er die Sache nicht zurücknehmen „musste“, sondern freiwillig, etwa aus Kulanz zurückgenommen hat, z. B. im Rahmen eines freiwilligen Umtauschs.

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§ 478 II gibt dem Letztverkäufer eine eigene, verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage, auf Grundlage derer er vom Lieferanten Ersatz für die Aufwendungen verlangen kann, die im Zuge der Nacherfüllung angefallen sind.20 Der Anspruch besteht nur dann, wenn der Mangel bereits beim Übergang der Gefahr vom Lieferanten auf den Letztverkäufer vorhanden war. Aus der Formulierung „zu tragen hatte“ folgt wiederum, dass freiwillige Kulanz-Aufwendungen nicht erstattungspflichtig sind. – Gem. § 478 III profitiert der Letztverkäufer auch von der dem Verbraucher gem. § 476 eingeräumten Beweislastumkehr. Anderenfalls käme er im Verhältnis zu seinem Lieferanten in Beweisschwierigkeiten, die in der Praxis seinen Rückgriff entwerten würden. – § 478 IV schränkt schließlich die vertragliche Gestaltungsfreiheit im Verhältnis zwischen Lieferant und Letztverkäufer ein. Der Letztverkäufer soll nicht dadurch in eine Gewährleistungsfalle geraten, dass er dem Verbraucher gegenüber zwingend haftet (§ 475!), seine eigenen Ansprüche gegen den Lieferanten aber vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden können. Aus diesem Grund können die Rechte des Letztverkäufers gem. § 478 IV nur dann eingeschränkt werden, wenn ihm ein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt wird. Lediglich Schadensersatzansprüche können – vorbehaltlich einer AGB-Kontrolle – ausgeschlossen werden, § 478 IV 2. Als gleichwertigen Ausgleich nennt die Gesetzesbegründung pauschale Abrechnungssysteme, in denen die Interessen des Handels ausreichend berücksichtigt werden.21 Die handelsrechtliche Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des § 377 HGB bleibt von den Vorschriften über den Unternehmerrückgriff unberührt, § 478 VI. Die Klarstellung macht deutlich, dass

18 Auf Zulieferer, nämlich Lieferanten von Teilen, die zu einer neuen Sache zusammengesetzt werden, sind die Vorschriften nicht anwendbar, so Jacobs, JZ 2004, 225 (227f); Matthes, NJW 2002, 2505 (2506) m. w. N. 19 GesBegr BT-Drs 14/6040, 247. 20 Zum Umfang des Anspruchs s. Böhle, NJW 2003, 3680 (3681 f); Jacobs, JZ 2004, 225 (230f). 21 GesBegr BT-Drs 14/6040, 249.

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wir uns bei den Vorschriften über den Unternehmerregress systematisch im Verkehr zwischen Unternehmen, also im Handelsrecht befinden. Der Bezug zum Zivilrecht besteht nur insofern, als eine Kompensation für die Stärkung der Verbraucherrechte geleistet werden soll. Aus § 478 VI folgt, dass die Gewährleistungsrechte eines Unternehmers, der seiner Rügeobliegenheit nicht rechtzeitig nachgekommen ist, nicht aufgrund der Regressregeln wieder aufleben. Er bleibt vielmehr mit seinen Rechten ausgeschlossen. – Dies zeigt im übrigen auch, dass die Einführung einer action directe mit der Systematik des deutschen Rechts nicht vereinbar wäre. Sie könnte nämlich sinnvollerweise nicht davon abhängig gemacht werden, dass in der Lieferkette die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten des § 377 HGB eingehalten wurden. Der Hersteller müsste also auch dann haften, wenn ein Glied der Lieferkette wegen Verstoßes gegen die Rügeobliegenheit bereits alle Gewährleistungsansprüche verloren hat. Die Einführung einer Direktklage würde also zu einer schleichenden Aushöhlung des § 377 HGB führen. Außerdem ist die action directe nicht mit dem subjektiven Fehlerbegriff vereinbar, der das Vorliegen eines Mangels von den Absprachen zwischen den Parteien abhängig macht.

Ein Teilaspekt der Gewährleistungsfalle ist die Verjährungsfalle. Auch wenn er im Prinzip Rückgriffsrechte hat, kann der Letztverkäufer dennoch auf seinem Schaden sitzen bleiben, wenn seine Rechte gegen den Lieferanten verjährt sind, die Gewährleistungsrechte des Käufers gegen ihn aber noch durchsetzbar sind. Diese Gefahr besteht deshalb, weil der Verjährungsbeginn, nämlich die Ablieferung der Sache, sich in jedem Vertragsverhältnis unterschiedlich beurteilt. Aus diesem Grund ordnet § 479 II eine Ablaufhemmung an. Die Verjährung der Ansprüche aus §§ 437, 478 II gegen den Lieferanten tritt frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem der Unternehmer die Ansprüche des Verbrauchers erfüllt hat, allerdings spätestens fünf Jahre nach Ablieferung der Sache beim Unternehmer. Auch die Verjährungsregeln werden gem. § 479 III auf die gesamte Lieferkette angewendet. Beispiel: Am 3. 2. 2002 verkauft und liefert L einen Neuwagen an U, der einen verborgenen Mangel aufweist (beide sind Unternehmer). Am 3. 7. 2002 verkauft und übergibt U den Wagen an den Verbraucher K. Am 27. 4. 2004 entdeckt K den Mangel. U nimmt am 29. 4. 2004 eine Nachbesserung vor, die ihn 2.000 Euro kostet, § 439 II. U möchte diesen Betrag von L ersetzt haben. – Die Voraussetzungen von § 478 II liegen vor. Der Anspruch verjährt gem. § 479 I in zwei Jahren ab Ablieferung. Verjährung wäre also eigentlich am 3. 2. 2004 eingetreten, §§ 187 I, 188 II. Wegen § 479 II ist der Ablauf der Verjährung aber gehemmt. Die Verjährung tritt erst zwei Monate nach Erfüllung der Verbraucheransprüche ein, also am 29. 6. 2004. U kann also noch zwei Monate, nachdem er die Ansprüche des K erfüllt hat, seine Ansprüche gegen den Lieferanten geltend machen. Anmerkung: Es bliebe dagegen bei der Verjährung der Ansprüche, wenn es sich um einen Gebrauchtwagen gehandelt hätte, da auch § 479 II nur auf neu hergestellte Sachen anwendbar ist. Dasselbe würde gelten, wenn der Endabnehmer nicht ein Verbraucher, sondern ein Unternehmer gewesen wäre.22

Entgegen dem zu weit geratenen Wortlaut ist § 479 II nicht immer dann anwendbar, wenn der Unternehmer die Ansprüche des Verbrauchers „erfüllt hat“. Wie in § 478 I („zurücknehmen musste“) und II („zu tragen hatte“) ist darauf abzustellen, dass der Unternehmer die Ansprüche des Verbrauchers erfüllen musste. Kommt der Unternehmer dem Verbraucher beispielsweise aus Kulanz entgegen, obwohl dessen Rechte bereits verjährt waren, ist für eine Ablaufhemmung kein Platz.23

22 Kritisch zu diesen Differenzierungen Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002 S. XXXII f. 23 Für eine teleologische Reduktion von § 479 II Böhle, NJW 2003, 3680 (3681); Heinemann/Ramsauer, Jura 2004, 198 (202). Anders Harke, ZGS 2004, 14: Die freiwillige Erfüllung könne eine Pflichtverletzung i. S. v. § 280 im Verhältnis zum Lieferanten sein.

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II. Abzahlungskauf 952

Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, dass der Kaufvertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher einigen Sonderregeln unterliegt. Das Gesetz sieht aber im Gegensatz zu anderen verbraucherschützenden Materien keine spezifischen Informationspflichten, Formvorschriften (s. aber § 477 II, III) und auch kein Widerrufsrecht vor (vgl. oben Rdn. 545). Dies ändert sich erst, wenn im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag Kredit gewährt wird, z. B. ein Zahlungsaufschub eingeräumt oder Teilzahlung vereinbart wird, oder wenn durch einen Ratenlieferungsvertrag langdauernde Verpflichtungen eingegangen werden. Hier tritt gem. den §§ 499ff das verbraucherschützende Instrumentarium (Informationspflichten, Formvorschriften, Widerrufsrecht) auf den Plan. Auch wenn die §§ 499 ff allgemein von „Verträgen“ sprechen, wird es sich häufig um Kaufverträge handeln. Da die Parteien Unternehmer und Verbraucher sein müssen, liegt also vielfach ein Verbrauchsgüterkauf vor, auf den dann kumulativ die §§ 474 ff und 499 ff anwendbar sind. Da die §§ 499ff weitgehend auf die Vorschriften über den Verbraucherdarlehensvertrag (§§ 491ff) verweisen, sollen sie in diesem Zusammenhang besprochen werden (s. u. Rdn. 1095ff).

III. Teilzeit-Wohnrechteverträge (§§ 481ff) Mäsch, DNotZ 1997, 180; Martinek, NJW 1997, 1393.

1. Allgemeines 953

Auch der Teilzeit-Wohnrechtevertrag ist häufig (wenn auch nicht immer) ein Kaufvertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Dennoch handelt es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. v. § 474 I 1, da nicht eine bewegliche Sache, sondern ein Recht zu verschaffen ist, nämlich das Recht, ein Wohngebäude, bzw. eine Wohnung (s. § 481 III) zu nutzen. Die §§ 481ff sind nur anwendbar, wenn dieses Recht für mindestens drei Jahre jeweils für einen bestimmten oder zu bestimmenden Zeitraum (häufig einige Wochen) eingeräumt wird. Die Nutzung muss zu Erholungs- oder Wohnzwecken erfolgen. Oft hat der Verbraucher nicht nur das Recht, eine bestimmte Wohnung zu benutzen, sondern aus einem ganzen (europa- oder weltweiten) Bestand zu wählen, § 481 II. Die Betonung des Erholungszwecks weist auf die Entstehung der Spezialvorschriften hin: In den neunziger Jahren kam es zu einem sprunghaften Anstieg des Vertriebs sog. Timesharing-Produkte für Ferienwohnungen. Verbraucher verpflichteten sich zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrags. Dafür wurde ihnen das Recht eingeräumt, eine oder mehrere Ferienwohnungen für einen bestimmten Zeitraum im Jahr zu nutzen. In der Praxis kam es zu Missbräuchen: Die komplizierten TimesharingGestaltungsformen waren für den Verbraucher nur schwer durchschaubar; das vereinbarte Entgelt erwies sich öfters als zu hoch; häufig wurde der Verbraucher am Ferienort im In- und Ausland angesprochen und bereute nach der Heimreise den in gehobener Urlaubsstimmung vorgenommenen Vertragsschluss. Der europäische Gesetzgeber erließ zur Lösung dieser Probleme die Timesharing-Richtlinie,24 welche der deutsche Gesetzgeber durch das Teilzeit-Wohnrechtegesetz (TzWrG) von 1996 (neugefasst 2000) umsetzte. Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung wurden die Vorschriften des TzWrG weitgehend unverändert ins BGB übernommen.

24 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 10. 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien (ABl. L 280/83).

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Verbrauchsgüterkauf. Teilzeit-Wohnrechteverträge

§ 74 III 2

2. Rechtsnatur Trotz seiner systematischen Stellung in einem eigenen Titel des Besonderen Schuldrechts („Titel 2. Teilzeit-Wohnrechteverträge“) ist der Teilzeit-Wohnrechtevertrag kein eigener, „autarker“ Vertragstypus, sondern enthält zusätzliche, im Wesentlichen verbraucherschützende Vorschriften. Von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall hängt ab, welcher Vertragstypus „eigentlich“ vorliegt. Die §§ 481ff finden dann ergänzende Anwendung.

954

a) Rechtskauf In seiner Grundform ist der Teilzeit-Wohnrechtevertrag ein Rechtskauf i. S. v. § 453. Der Käufer verpflichtet sich zur Zahlung eines „Gesamtpreises“. Der Verkäufer verpflichtet sich dazu, dem Käufer ein Recht zu verschaffen. § 481 I 2 nennt Beispiele, nämlich die Verschaffung eines dinglichen Rechts (z. B. eines Dauerwohnrechts i. S. v. § 31 WEG) oder eines anderen, d. h. obligatorischen Rechts (z. B. von schuldrechtlichen Ansprüchen gegen einen Treuhänder).25 Außerdem kann nach § 481 I 2 eine mitgliedschaftliche Ausgestaltung erfolgen, nämlich Einräumung eines Nutzungsrechts über die Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Gesellschaft. b) Sachkauf Wird ein Miteigentumsanteil (§ 1008) an einem Grundstück oder Wohnungseigentum nach dem WEG verkauft, liegt kein Rechtskauf vor: Der Kauf eines Miteigentumsrechts oder von Wohnungseigentum ist wie der Kauf von „Eigentum“ nicht Rechts-, sondern Sachkauf.26 Es handelt sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf, da Gegenstand des Kaufvertrags keine bewegliche Sache, sondern eine Immobilie ist. c) Miete Theoretisch können auch Ansprüche aus einem bereits existierenden Mietvertrag Gegenstand eines Rechtskaufs sein und damit unter lit. a) fallen.27 Üblicherweise wird in den Timesharing-Verträgen ein mietvertragliches Nutzungsrecht aber originär durch Abschluss eines neuen Mietvertrags eingeräumt. Dann liegt nicht Rechtskauf, sondern eben ein Mietvertrag vor. Dies reicht für die Einräumung eines Nutzungsrechts i. S. v. § 481 I 1 aus.28 Die Einräumung eines bloß schuldrechtlichen Nutzungsrechts ist für den Verbraucher ungünstiger als die Übertragung eines dinglichen Rechts. Da auch bei einer Ferienwohnung ein „Mietverhältnis über Wohnraum“ vorliegt, sind immerhin die mieterschützenden Vorschriften der §§ 549ff anwendbar, allerdings mit der Einschränkung des § 549 II Nr. 1, da beim Teilzeit-Wohnen nur vorübergehender Gebrauch vorliegt. Eine Ausnahme im Hinblick auf § 566 („Kauf bricht nicht Miete“) ist dort nicht

25 Zu den sachenrechtlichen Problemen s. Baur/Stürner, Sachenrecht § 29 Rdn. 84ff. 26 MüKo/Westermann, § 433 Rdn. 14 und oben Rdn. 804. 27 Auf der Ebene des Verfügungsgeschäfts besteht zwar im Grundsatz für Ansprüche auf Gebrauchsüberlassung ein Abtretungsverbot gem § 399 Alt. 1 (RGZ 134, 91, 96). Dies ist aber durch entsprechende Parteivereinbarung überwindbar. 28 1. Alt.: „das Recht verschafft“ im Gegensatz zur 2. Alt.: „zu verschaffen verspricht“, die im Sinn des Trennungsprinzips auf einen Kaufvertrag anspielt.

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§ 74 III 3

Veräußerungsverträge

vorgesehen, so dass der Mieter gegen Veräußerungen des Wohnungsobjekts geschützt ist (str.).29 d) Typengemischte Verträge Häufig wird die komplexe Vertragsgestaltung auch die Annahme eines typengemischten Vertrags nahe legen, so wenn bestimmte Serviceleistungen eingeschlossen werden (Reinigung, Wartung, Unterhaltung von Sporteinrichtungen). Es gelten die allgemeinen Regeln (s. o. § 67). In der Regel werden die hiermit verbundenen dienst- oder werkvertraglichen Elemente hinter Kauf- oder Mietvertrag zurückstehen.30 e) Folgerungen Die Rechte und Pflichten der Parteien richten sich im Grundsatz nach dem gewählten Vertragstypus. Liegt ein Rechtskauf vor, ist an § 453 III zu denken: Da das verkaufte Recht zum Besitz der Wohnung berechtigt, muss diese frei von Sach- und Rechtsmängeln sein. Hat die Wohnung beispielsweise Sachmängel (Schimmel, Heizungsprobleme, etc.), kann der Rechtskäufer die Rechte des § 437 geltend machen. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein Sachkauf vorliegt. Wurde hingegen ein Mietvertrag abgeschlossen, gelten die §§ 535 ff, 549ff. In der Praxis werden die gesetzlichen Regelungen durch detaillierte vertragliche Abreden geändert oder ergänzt. Im Einzelfall ist zu prüfen, inwieweit die gesetzlichen Vorschriften dispositiv sind, bzw. die AGB-Kontrolle entgegensteht. 3. Verbraucherschutz 956

Die §§ 481 ff gelten nur für Verträge zwischen Unternehmer (§ 14) und Verbraucher (§ 13), stellen also Verbraucherschutzrecht dar. Die Vorschriften enthalten das übliche verbraucherschützende Instrumentarium, nämlich Informationspflichten, Formvorschriften und ein Widerrufsrecht; hinzu tritt ein Anzahlungsverbot. Der starke Auslandsbezug macht eine kollisionsrechtliche Absicherung erforderlich. Die verbraucherschützenden Vorschriften sind gem. § 487 halbzwingend, d. h. es darf hiervon nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden. Sie setzen sich auch gegenüber Umgehungen durch. a) Informationspflichten Der Unternehmer hat dem Verbraucher einen Prospekt auszuhändigen. § 482 regelt im Zusammenhang mit § 2 BGB-InfoV den Pflichtinhalt eines solchen Prospekts. Neben der Identität des Anbieters, einer Beschreibung des Wohnobjekts und der Art des Nutzungsrechts sind insbesondere der Preis und die laufenden Kosten zu beziffern. Auf das Recht zum Widerruf und seine Modalitäten ist hinzuweisen. Kommt ein Vertrag zustande, werden die Angaben im Prospekt Vertragsinhalt, § 484 I 3. In den Vertrag sind bestimmte Pflichtangaben aufzunehmen, z. B. über die Geltungsdauer des Nutzungsrechts und den Zeitraum, innerhalb dessen das Nutzungsrecht jeweils ausgeübt werden kann. Dem Verbraucher ist eine Vertragsurkunde auszuhändigen, 29 Wie hier Erman/Saenger, Vorbemerkung §§ 481–487 Rdn. 9, 13; a. A. Staudinger/Martinek, Einl. TzWrG Rdn. 14. 30 Erman/Saenger, Vorbemerkung, §§ 481–487 Rdn. 14.

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Verbrauchsgüterkauf. Teilzeit-Wohnrechteverträge

§ 74 III 3

§ 484 II 1. Wenn der Verbraucher seinen Wohnsitz in einem Land der EU (oder des EWR) hat, sind Prospekt und Vertrag in der Sprache dieses Landes abzufassen (s. auch § 484 II 2). Hat der Verbraucher die Staatsangehörigkeit eines anderen EU- oder EWRLandes, kann er für die Amtssprache dieses Landes optieren, § 483 I. Ist der Vertrag in einer anderen Sprache abgefasst, ist er nichtig, § 483 III. Wurde der Prospekt nicht in der richtigen Sprache ausgehändigt, führt dies nicht zur Nichtigkeit, es sind aber Schadensersatzansprüche aus §§ 280 I, 311 II, 241 II (c.i.c.) denkbar. b) Form Der Teilzeit-Wohnrechtevertrag bedarf der Schriftform unter Ausschluss der elektronischen Form (§§ 484, 126), wenn nicht in anderen Vorschriften eine strengere Form vorgeschrieben ist. Wird Miteigentum an einem Grundstück oder Wohnungseigentum verkauft, ist gem. § 311b I notarielle Beurkundung erforderlich. Für den Verkauf eines Dauerwohnrechts (vgl. §§ 33, 35 WEG) gilt dagegen § 311b I nicht.31

957

c) Widerrufsrecht Der Verbraucher hat ein Widerrufsrecht gem. § 485. Es gelten die allgemeinen Vorschriften über das Widerrufsrecht in den §§ 355ff (s. o. Rdn. 563 ff), mit einigen Besonderheiten bei den Widerrufsfolgen in § 485 V. Die Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen (bei Verstoß gegen die Prospektpflichten einen Monat, § 485 III) und beginnt, sobald der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, § 355. Erfolgt keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung, besteht das Widerrufsrecht zeitlich unbeschränkt, § 355 III 3. Bei einem Verstoß gegen die Pflichtangaben des § 485 IV gilt die Sechs-Monats-Frist des § 355 III 1. Eine Widerrufsfrist von zwei Wochen erscheint angesichts der Tatsache, dass Timesharing-Verträge Laufzeiten von mindestens drei Jahren haben, zu kurz. Wurde man im Urlaub angesprochen, ist man bei Ablauf der Frist u. U. noch nicht einmal nach Hause zurückgekehrt. Zudem wird die erste konkrete Erfahrung mit der Nutzung eines Timesharing-Objekts häufig erst ein Jahr später, nämlich im nächsten Urlaub erfolgen. Der Wunsch nach einer uniformen Ausgestaltung des Widerrufsrechts für alle Anwendungsfälle (§ 355!) sollte hinter den Besonderheiten des Timesharing zurückstehen. Art. 11 der Timesharing-RiLi räumt dem nationalen Gesetzgeber den hierzu erforderlichen Spielraum ein.32

d) Anzahlungsverbot Anzahlungen vor Ablauf der Widerrufsfrist dürfen weder gefordert noch angenommen werden, § 486. Der Verbraucher soll in seiner Entscheidung über den Widerruf frei sein und nicht durch den Gedanken an die bereits geleistete Anzahlung vom Widerruf abgehalten werden. Verstöße führen zu Schadensersatzansprüchen des Verbrauchers (§§ 280 I, 823 II 33) sowie zu Ansprüchen von Wettbewerbern und Verbänden aus dem UWG, bzw. nach § 2 UKlaG.

31 Palandt/Bassenge, § 33 WEG Rdn. 1. 32 Zur Kritik am deutschen Recht s. Martinek, NJW 1997, 1393 (1397); zur Kritik an der europäischen Richtlinie s. Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, § 19 Rdn. 47 ff. 33 Hk-BGB/Staudinger § 486 Rdn. 6 spricht darüber hinaus einen Bereicherungsanspruch zu; nach Erman/Saenger, § 486 Rdn. 4 ist § 486 eine eigene Anspruchsgrundlage auf Rückgewähr der Anzahlung.

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Veräußerungsverträge

e) Internationales Privatrecht Der Verbraucherschutz soll nicht durch Anwendung einer ausländischen Rechtsordnung ausgehebelt werden. Durch eine Sonderanknüpfung versuchen die Art. 29 und 29a EGBGB, dieses Problem zu regeln. Art. 29 EGBGB ist allerdings auf TeilzeitWohnrechteverträge nicht anwendbar, da typischerweise keine als Hauptpflicht ausgestaltete Dienstleistung enthalten ist.34 Anwendbar ist aber Art. 29 a EGBGB (s. Abs. 4 Nr. 2). Wird der Verbraucher in einem Land der EU bzw. des EWR angesprochen, sind trotz Wahl einer nicht zur EU oder zum EWR gehörenden Rechtsordnung die Verbraucherschutzvorschriften des dortigen Landes anwendbar, soweit sie der Umsetzung der europäischen Richtlinie dienen, und der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land der EU oder des EWR hat. Liegt das Wohnobjekt in einem EU- oder EWR-Land, ist sogar immer deutsches Recht, nämlich die §§ 481ff anwendbar, Art. 29 a III EGBGB.35 Beispiel: V aus Deutschland wird am Strand von Mallorca von freundlichen jungen Leuten angesprochen und unterzeichnet noch am selben Abend einen Teilzeit-Wohnrechtevertrag über ein Wohnobjekt auf der Insel. Weil er sich mit der Anwendung kenianischen Rechts einverstanden erklärt, gibt es auch noch eine Flasche Sekt und ein T-Shirt dazu. Am nächsten Tag bereut V den Vertragsschluss und möchte widerrufen. Kann er das? – Gem. Art. 27 EGBGB unterliegt der Vertrag kenianischem Recht. Für die verbraucherschützenden Normen zum Timesharing sieht Art. 29a EGBGB allerdings eine Sonderanknüpfung vor. Nach Art. 29a I, II EGBGB wären eigentlich die spanischen Timesharing-Vorschriften anwendbar. Da sich das betreffende Wohnobjekt aber auf Mallorca, also in der EU befindet, sind gem. der Spezialvorschrift des Art. 29 a III EGBGB die deutschen Vorschriften über Teilzeit-Wohnrechteverträge anwendbar. V hat also ein Widerrufsrecht nach § 485.

§ 75 Verkauf unter Eigentumsvorbehalt Habersack/Schürnbrand, JuS 2002, 833; Lux, Jura 2004, 145; L. Raiser Dingliche Anwartschaften (1961); Serick Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, 6 Bände 1963–1986; Stehle, Jura 2005, 78.

I. Begriff und Bedeutung 959

Art. 4 der EG-Zahlungsverzug-RiLi 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, eine Regelung über den Eigentumsvorbehalt vorzusehen. Das deutsche Recht stand schon seit jeher in Einklang mit dieser Verpflichtung. Der Eigentumsvorbehalt ist seit der Schuldrechtsmodernisierung in § 449 geregelt. Angesichts der außerordentlichen praktischen Bedeutung des Eigentumsvorbehalts ist diese Regelung sehr knapp geraten. § 449 I bestimmt im Weg der Legaldefinition, dass bei dem Verkauf einer beweglichen Sache unter Eigentumsvorbehalt im Zweifel anzunehmen ist, dass die Übertragung des 34 BGH NJW 1997, 1697 (1698); Mäsch, DNotZ 1997, 180 (205 f). 35 Näher läge es, das Recht des Belegenheitsstaates anzuwenden, zu Recht kritisch gegenüber Art. 29 a III deshalb Kropholler, Internationales Privatrecht, § 52 V 6. 1 RiLi 2000/35/EG zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr v. 29. 6. 2000 (ABl. L 200/35).

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Verkauf unter Eigentumsvorbehalt

§ 75 II

Eigentums unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Zahlung des Kaufpreises geschieht, §§ 929, 158 I. Das Wesen des Kaufs unter Eigentumsvorbehalt ist demnach ein unbedingter Kauf, verbunden mit einer bedingten Übereignung. Gerade hier bewährt sich das Abstraktionsprinzip des BGB. Der Eigentumsvorbehalt ist wirtschaftlich eines der wichtigsten Sicherungsmittel des vorleistenden Verkäufers. Der Käufer braucht die Sache, die er kaufen will, nicht oder noch nicht ganz zu bezahlen. Andererseits braucht der Verkäufer den Käufer als Kunden nicht abzuweisen. Hier liegt es nahe, dass der Verkäufer die Sache schon zur Nutzung übergibt, die Eigentumsübertragung aber zurückhält, bis er wegen des Kaufpreises voll befriedigt ist. Der Eigentumsvorbehalt ist also eine Kreditsicherheit für den gestundeten Kaufpreis. Als solche tritt er neben andere Sicherungsmittel, wie Bürgschaft, Pfandrecht, Sicherungsübereignung, Hypothek oder Grundschuld. Da der Verkäufer Eigentümer bleibt, kann er die Verwertung seines Eigentums durch die Gläubiger des Vorbehaltskäufers in der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz abwehren, §§ 771 ZPO, 47 InsO.2 Ein Eigentumsvorbehalt ist nur bei beweglichen Sachen, nicht aber bei Grundstücken möglich, s. § 925 II.

II. Voraussetzungen Erforderlich ist, dass die Parteien den Eigentumsvorbehalt im Kaufvertrag selbst vereinbaren. Danach ist die Einführung der obligatorischen Geltung nur durch Abänderungsvertrag, insbesondere durch einen Erfüllungsaufhebungsvertrag möglich.3 Widersprechen sich die AGB der Parteien (z. B. die AGB des Verkäufers sehen einen Eigentumsvorbehalt vor, die AGB des Käufers schließen ihn aus), so gilt nicht etwa das letzte Angebot, sondern es kommt wegen Dissens keine Einigung zustande, Rdn. 176. Der Aufdruck auf Geschäftspapieren oder gar erst auf der Rechnung bewirkt als solcher den Eigentumsvorbehalt nicht. Ein einseitiger, vertragswidriger Vorbehalt wirkt aber dinglich, d. h. das Eigentum geht mangels Einigung nicht auf den Käufer über, selbst wenn er erst bei Übergabe erklärt wird.4 Dann aber liegt eine Vertragsverletzung des Verkäufers vor. Der Käufer hat weiterhin den Anspruch auf unbedingte Übereignung. Um eine dingliche Wirkung erzeugen zu können, muss der einseitige, vertragswidrige Eigentumsvorbehalt dem Empfänger zugehen, d. h. ihm gegenüber deutlich erklärt werden, wobei an die Klarheit einer solchen Erklärung ein strenger Maßstab anzulegen ist.5 Durch die Konstruktion der aufschiebend bedingten Übereignung wird der Eigentumsvorbehalt eng an das Schicksal des Kaufvertrags geknüpft. Fällt der Kaufvertrag weg (z. B. wegen Anfechtung), kann der Kaufpreis im Rechtssinn nicht mehr gezahlt werden. Die Bedingung ist dann ausgefallen. Die aufschiebend bedingte Übereignung fällt in sich zusammen. Das Eigentum bleibt endgültig beim Verkäufer.

2 Der Insolvenzverwalter kann aber sein Wahlrecht aus § 103 InsO ausüben und den ausstehenden Kaufpreis zahlen, wodurch das Eigentum an der Sache in die Insolvenzmasse fällt (s. auch § 107 II InsO). Zu den anderen Konstellationen vgl. Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 479 ff. 3 L. Raiser, NJW 1953, 217. 4 BGH NJW 1953, 277. 5 BGH NJW 1975, 169; NJW 1982, 1749.

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§ 75 IV

Veräußerungsverträge

III. Schuldrechtliche Wirkungen 961

Der Eigentumsvorbehalt hat eine schuldrechtliche und eine sachenrechtliche Seite. 1. In schuldrechtlicher Hinsicht gilt: Der Kaufvertrag wird unbedingt abgeschlossen. Der Verkäufer stundet dem Käufer den Kaufpreis in vereinbarter Höhe. In Abweichung von § 433 I 1 ist der Verkäufer nicht zur unbedingten, sondern lediglich zur bedingten Übereignung verpflichtet. Die Pflicht zur Übergabe bleibt unverändert bestehen. Gem. § 160 I darf der Verkäufer während der Schwebezeit (also bis zum Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung) das von der Bedingung abhängige Recht weder vereiteln noch beeinträchtigen. Erst mit Eintritt der Bedingung kommt es zum Übergang des Volleigentums: Erst jetzt hat der Verkäufer gem. § 362 vollständig erfüllt. 2. Kommt der Käufer seiner Pflicht zur Zahlung des restlichen Kaufpreises nicht nach, kann der Verkäufer unter den Voraussetzungen von § 323 zurücktreten. Verzugseintritt reicht (im Gegensatz zu § 455 a. F.) nicht aus, es müssen die anderen Voraussetzungen der Vorschrift, also insbesondere eine Fristsetzung vorliegen. Neben dem Rücktritt kann der Verkäufer gem. § 281 Schadensersatz statt der Leistung verlangen (s. § 325). Der Schaden berechnet sich wie folgt: Vom Kaufpreis ist der Wert der verkauften Sache abzuziehen, die der Verkäufer aufgrund seines Eigentums gem. § 985 wieder an sich nehmen und anderweitig verwerten kann.6 Beim Verkauf unter Eigentumsvorbehalt sind häufig zusätzlich die §§ 499 ff einschlägig, nämlich dann, wenn der Verkäufer ein Unternehmer und der Käufer ein Verbraucher ist. Zu den Einzelheiten s. u. Rdn. 1110 ff. Typischerweise liegt ein Zahlungsaufschub (§ 499), z. B. in der Form eines Teilzahlungsgeschäfts (§ 501, s. auch § 502 I 1 Nr. 6) vor. Der Unternehmer kann dann nur unter qualifizierten Voraussetzungen vom Vertrag zurücktreten, s. §§ 499 I, 501 S. 1, 503 II 1, 498 I, nämlich nur dann, wenn sich der Verbraucher mit mindestens zwei Raten in Verzug befindet, und der ausstehende Betrag gewisse Schwellenwerte überschreitet. Zudem wird gem. § 503 II 4 ein Rücktritt fingiert, wenn der Unternehmer die gelieferte Sache wieder an sich nimmt.

3. Mit der Übergabe geht die Preisgefahr auf den Käufer über, § 446 I 1.

IV. Sachenrechtliche Wirkungen 962

1. Der Verkäufer ist bis zum Eintritt der Bedingung – also bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises – Eigentümer der Kaufsache (§§ 929, 158 I). Außerdem ist er mittelbarer Eigenbesitzer (§§ 868, 872), der Vorbehaltskäufer ist unmittelbarer Fremdbesitzer. Das Besitzkonstitut i. S. v. § 868 ist der Kaufvertrag. Dem Herausgabeanspruch des Verkäufers gegen den Käufer steht ein Recht des Käufers zum Besitz gegenüber, § 986. Es bedarf also eines Rücktritts, ehe der Verkäufer die Herausgabe der Sache verlangen kann, § 449 II. Gem. § 216 II 2 kann der Rücktritt selbst dann erfolgen, wenn der gesicherte Anspruch bereits verjährt ist (Ausnahme zu § 218 I 1).7 Dies ist wichtig wegen § 449 II: Ohne Rücktritt könnte der Verkäufer die Sache nicht zurückverlangen.

2. Da der Übereignungstatbestand gem. § 929 bereits erfüllt ist, nur der Eigentumsübergang unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises steht, erhält der Käufer gem. §§ 158 ff, 929ff eine gesicherte Rechtsposition: Nach § 160 I hat der Verkäufer Schadensersatz zu leisten, wenn er das von der Bedin-

6 RGZ 144, 62. 7 Zum selben Ergebnis kam vor der Schuldrechtsmodernisierung bereits die Rechtsprechung durch eine Analogie zu § 223 a. F., s. BGHZ 70, 96 (98 ff). S. hierzu GesBegr. BT-Drs 14/6040, 123.

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Verkauf unter Eigentumsvorbehalt

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gung abhängige Recht vereitelt oder beeinträchtigt. Vor allem aber sind Verfügungen des Verkäufers (auch Verfügungen dessen Gläubiger in der Einzelzwangsvollstreckung oder des Insolvenzverwalters) gem. § 161 I 1 und 2 unwirksam, da sie die von der Bedingung abhängige Wirkung, nämlich den Eigentumserwerb des Käufers vereiteln oder beeinträchtigen würden. Rechtsprechung und Lehre haben diese Rechtsposition als dingliches Recht, als „Vorstufe zum Eigentum“, nämlich als Anwartschaftsrecht anerkannt und lassen daher eine selbständige Übertragung, Pfändung und eigenen Delikts- und quasinegatorischen Schutz dieses Anwartschaftsrechts zu. Es handelt sich um typisches „Richterrecht“, geboren aus dem Sicherungsbedürfnis des Kreditverkehrs, das nur schwache Anhaltspunkte im Gesetz hat, denn die §§ 160–162 regeln nur das Verhältnis der Vertragsparteien untereinander; die für dingliche Rechte typische „Drittwirkung“ ist in § 161 nur schwach ausgeprägt.8 a) Übertragung des Anwartschaftsrechts

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Der Käufer kann über die Anwartschaft als bereits gegenwärtiges Vermögensrecht verfügen. Es besteht auch ein Verkehrsbedürfnis dafür, dass der Käufer den wirtschaftlichen Wert, den er durch die teilweise Abbezahlung des Kaufpreises erworben hat, durch Weiterveräußerung nutzen kann. Schon lange hat die Rechtsprechung die selbständige Übertragbarkeit des Anwartschaftsrechts analog §§ 929 ff anerkannt, jedoch hat erst der BGH den konsequenten Schritt zur Anerkennung als selbständiges Recht vollzogen. Das RG vertrat noch die Auffassung, der Erwerber des Anwartschaftsrechts erwerbe bei Bedingungseintritt mittelbar, nachdem der Eigentumserwerb zuvor eine „logische Sekunde“ beim Veräußerer des Anwartschaftsrechts eintrat (sog. Durchgangserwerb, RGZ 140, 223), sofern nicht der Eigentümer vorher zugestimmt hat. Es wandte also im Ergebnis § 185 II analog an. Der BGH (BGHZ 20, 88) nimmt dagegen unmittelbaren Eigentumserwerb (Direkterwerb) beim Erwerber des Anwartschaftsrechts an. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die Sache beim Vorbehaltskäufer gepfändet wird, dieser aber sein Anwartschaftsrecht an einen Dritten zur Sicherheit übertragen hat. Tritt die Bedingung ein, so erwirbt der Vorbehaltskäufer nach Ansicht des RG für eine logische Sekunde Eigentum, die Pfändung wird damit wirksam, der Dritte erwirbt ein mit einem Pfändungspfandrecht belastetes Eigentum. Nach der Lehre des BGH fällt die Pfändung dagegen ins Leere. Dem Dritten soll nach dieser Ansicht bei Bedingungseintritt die Widerspruchsklage nach § 771 ZPO zustehen.9

Im Einzelfall ist deshalb genau zu prüfen, ob das Anwartschaftsrecht übertragen wurde oder ob der Vorbehaltskäufer als Nichtberechtigter über die Sache verfügt hat. Bei Verfügung über die Sache durch den Vorbehaltskäufer findet Durchgangserwerb statt, da der Vorbehaltskäufer zunächst selber Eigentümer werden muss. Natürlich kann derjenige, der vom Vorbehaltskäufer erwirbt, Eigentum nach den Regeln über den gutgläubigen Erwerb erwerben, §§ 932ff. Dies wird bei der Sicherungsübereignung wegen § 933 aber eher selten sein. Eine wegen § 933 unwirksame Übertragung des Volleigentums ist in eine Übertragung des Anwartschafsrechts umzudeuten, § 140.10 Bei Verfügung über das Anwartschaftsrecht sind drei Fälle zu unterscheiden:

8 Zum Wesen des Anwartschaftsrechts vgl. BGHZ 35, 85 (94). 9 BGHZ 20, 88. 10 BGHZ 20, 88; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 52 Rdn. 19.

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(1) Überträgt der Anwartschaftsinhaber, der noch nicht Eigentümer ist, sein Anwartschaftsrecht, so wird dieses analog §§ 929 ff erworben. Der Eigentumsvorbehalt kann dann nicht mehr auf zusätzliche Forderungen des Verkäufers erweitert werden.11 (2) Ein Nichteigentümer bestellt an der Sache für einen Käufer, der ihn gutgläubig für den Eigentümer hält, ein Anwartschaftsrecht. Der Käufer erwirbt analog §§ 932 ff ein Anwartschaftsrecht, mit Bedingungseintritt Volleigentum. Dabei genügt Gutgläubigkeit im Zeitpunkt der Übergabe.12 (3) Jemand, der nicht Eigentümer und nicht Anwartschaftsberechtigter ist, überträgt ein Anwartschaftsrecht. Ein gutgläubiger Erwerb ist nur möglich, wenn das Anwartschaftsrecht wirklich besteht, also einem Dritten zusteht, und die causa, aufgrund derer es bestellt, ist, noch Bestand hat (str.).13

b) Erlöschen des Anwartschaftsrechts Das Anwartschaftsrecht erlischt, aa) wenn es durch Bedingungseintritt zum Vollrecht erstarkt, bb) wenn die Bedingung ausfällt, d. h. der Bedingungseintritt unmöglich wird, z. B. durch Rücktritt des Verkäufers, cc) sobald ein Dritter gutgläubig lastenfrei Eigentum erwirbt, §§ 161 III, 932 ff, dd) bei Verbindung, Vermischung, Verarbeitung, §§ 946ff, ee) bei Verzicht durch den Vorbehaltsverkäufer.14 965

c) Schutz des Anwartschaftsrechts Eine Inkonsequenz zeigt die Rspr. bei der Frage, ob das Anwartschaftsrecht ein selbständiges Recht zum Besitz gibt oder ob das Recht zum Besitz nur aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis (nämlich aus dem Kaufvertrag) folgt. Wichtig wird dies vor allem bei der Verfügung eines Nichtberechtigten, da dann kein schuldrechtliches Band zwischen dem Erwerber und dem Eigentümer i. S. v. § 986 besteht. Der BGH behilft sich in diesem Fall mit der exceptio doli. Da der Eigentümer nach Eintritt der Bedingung sein Eigentum verliert und die Sache wieder an den Erwerber herausgeben müsste, verstößt er gegen Treu und Glauben, wenn er vor Eintritt der Bedingung aufgrund seines Eigentums die Sache herausverlangt.15 Diese Begründung ist jedoch nur geeignet, wenn der Eintritt der Bedingung unmittelbar bevorsteht, andernfalls kann die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs nicht arglistig sein. Deshalb sollte man den Charakter des Anwartschaftsrechts als selbständiges dingliches Recht konsequent dahin verfolgen, dass aus dem Anwartschaftsrecht selbst ein dingliches Recht zum Besitz folgt (str.).16 Dieses Ergebnis lässt sich auch auf § 449 II stützen, wenn man die Vorschrift ganz allgemein so interpretiert, dass der Vorbehaltskäufer die Sache erst dann herausgeben muss, wenn die primären Leistungspflichten in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt wurden, sein Anwartschaftsrecht also erloschen ist. Das Anwartschaftsrecht wird als „sonstiges Recht“ gemäß § 823 I geschützt.17 Zweifelhaft ist nur die Konkurrenz der Ansprüche des Eigentümers und des Anwartschaftsberechtigten. Eine Möglichkeit bestünde darin, je nach dem Wert des Anwartschaftsrechts den darauf entfallenden Teil dem Anwartschaftsberechtigten, den Rest dem Eigentümer zuzugestehen. Hiergegen spricht aber, dass der

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BGHZ 75, 221. BGHZ 10, 69 (72). Baur/Stürner, Sachenrecht § 59 Rdn. 39 f; a. A. Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 475. BGH NJW 1958, 1231. BGHZ 10, 69 (72). In diesem Sinn bspw. Baur/Stürner, Sachenrecht, § 59 Rdn. 47, Palandt/Bassenge, § 929 Rdn. 41; a. A. Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 465. 17 RGZ 170, 1 (6); BGHZ 55, 20 (25 f).

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Vorbehaltskäufer gem. § 446 die Preisgefahr trägt, sein Schaden aufgrund Zerstörung der Sache deshalb den vollen Kaufpreis ausmacht. Als zweite Möglichkeit bietet es sich deshalb an, den vollen Ersatz dem Vorbehaltskäufer zu überlassen.18 Dies widerspräche allerdings dem Sicherungsbedürfnis des Vorbehaltseigentümers: Nach Zerstörung der Sache und Zahlung des vollen Schadensersatzes an den Vorbehaltskäufer hätte er keine Sicherheit mehr in der Hand. Zu bevorzugen ist deshalb eine Analogie zu den §§ 1281, 1247. Ähnlich wie beim Pfandrecht ist die dingliche Berechtigung „aufgespalten“. Der Verletzer hat deshalb an Vorbehaltsverkäufer und -käufer gemeinschaftlich zu leisten (und zwar als Mitgläubiger i. S. v. § 432). Sodann gebührt der Ersatz dem Eigentümer in Höhe seiner noch nicht beglichenen Kaufpreisforderung unter Anrechnung auf diese.19 Leistet der Verletzer in Unkenntnis des Anwartschaftsrechts den gesamten Betrag an den besitzenden Vorbehaltskäufer, wird er gem. § 851 geschützt. Der Anerkennung des Anwartschaftsrechts als selbständigem dinglichen Recht entspricht schließlich die Zuerkennung der Ansprüche aus den §§ 985 ff sowie aus § 1004 (vgl. §§ 1065, 1227). Für die Konkurrenz der Ansprüche von Eigentümer und Anwartschaftsberechtigtem gilt: Der Eigentümer kann analog § 986 I 2 Herausgabe nur an den Anwartschaftsberechtigten verlangen. Die Nutzungsherausgabe hat ebenfalls an den Anwartschaftsberechtigten zu erfolgen (§ 446 I 2), während Schadensersatz gemeinsam an beide zu leisten ist.

V. Erweiterungen des Eigentumsvorbehalts Die Häufigkeit der Verwendung des Eigentumsvorbehalts als Sicherungsmittel bringt Schwierigkeiten regelmäßig dann mit sich, wenn der Vorbehaltskäufer über die Sache weiter verfügen will. Deshalb wurden verschiedene Erweiterungen des Eigentumsvorbehalts entwickelt, durch die der Vorbehaltsverkäufer versucht, sich in einem solchen Fall zu schützen. Es handelt sich um die sog vertraglichen Erweiterungen des Eigentumsvorbehalts. Drei sind von besonderer Bedeutung: 1. Verlängerter Eigentumsvorbehalt (VEV) a) Der Verkäufer lässt sich beim verlängerten Eigentumsvorbehalt in seiner verbreitetsten Form die Forderungen, die der Vorbehaltskäufer durch die Weiterveräußerung der Vorbehaltssache erwirbt, (1) im Voraus zur Sicherheit abtreten, sog. Vorausabtretung, § 398. (2) Dafür ermächtigt der Verkäufer den Käufer, die Weiterveräußerung im eigenen Namen vorzunehmen, § 185 I. Jedoch gilt diese Ermächtigung nur im Rahmen eines ordnungsmäßigen Geschäftsbetriebs (d. h. nur bei Verkauf gegen angemessenes Entgelt und nur, wenn die Abtretung nicht durch Vereinbarung mit dem Zweitkäufer gem. § 399 2. Alt ausgeschlossen wird).20 (3) Der Umfang der abgetretenen Forderungen muss im Einzelfall bestimmbar sein.21 (4) Schließlich wird regelmäßig die mit der Vorausabtretung verbundene Einziehungsermächtigung gem. §§ 362 II, 185 I den Vorbehaltskäufer instand setzen, die aus der Weiterveräußerung folgende Kaufpreisforderung im eigenen Namen einzuziehen. Dies ist zulässig, weil eine Schlechterstellung des Schuldners nicht eintritt.22 In Abwesenheit einer solchen Einziehungsermächtigung wird der Zweitkäufer durch § 407 geschützt.

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So RGZ 170, 1 (6ff). So im Ergebnis auch BGH WM 1957, 517. BGHZ 14, 114; 27, 306. Vgl. BGZ 26, 185 (189); BGH NJW 1974, 1130. Medicus, Schuldrecht II § 80 Rdn. 123. Beim sog. Streckengeschäft, bei dem eine Kette von Veräußerern jeweils gegen VEV verkauft, vollzieht sich die Übereignung zwischen den einzelnen Gliedern der Kette nach § 929 im Wege des sog. Geheißerwerbs, s. dazu BGH NJW 1982, 2371.

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Mit der Zahlung des Zweitkäufers an den Erstkäufer erlischt der Schutz des Vorbehaltsverkäufers ganz. Es entsteht keine Sicherheit am gezahlten Geld, etwa durch Surrogation. – Bei mehrfacher Abtretung gilt der Grundsatz der Priorität, d. h. nur die erste Abtretung ist wirksam. Dies ist vor allem beim Verhältnis von Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt von Bedeutung (s. o. 743). Der Vorbehaltskäufer ist zur Weiterveräußerung nur dann ermächtigt, wenn die aus der Weiterveräußerung resultierenden Forderungen an den Vorbehaltsverkäufer abgetreten werden. Von der Ermächtigung sind folglich solche Geschäfte nicht gedeckt, bei denen Vorbehaltskäufer und Zweitkäufer die Abtretbarkeit der Forderung nach § 399 2. Alt ausschließen. Für die praktisch wichtigsten Fälle erklärt allerdings § 354 a HGB den Ausschluss der Abtretbarkeit für unwirksam. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um ein beiderseitiges Handelsgeschäft handelt, oder der Schuldner eine öffentliche Stelle ist.23 Die Vorschrift soll es dem Vorbehaltskäufer ermöglichen, durch die Abtretung der Forderung aus der Weiterveräußerung eine rasche Refinanzierung zu erlangen. Die Interessen des Zweitkäufers bleiben gewahrt, weil er gem. § 354a S. 2 HGB weiterhin mit befreiender Wirkung an den bisherigen Gläubiger leisten kann, und zwar – anders als in § 407 – auch dann, wenn er die Abtretung kennt. Wurde die Abtretung wirksam ausgeschlossen (weil insbesondere § 354a HGB nicht eingreift), ist die Verfügung des Vorbehaltskäufers nicht von der Ermächtigung des Vorbehaltsverkäufers gedeckt, der Erstkäufer verfügt also als Nichtberechtigter. Kennt der Zweitkäufer den Eigentumsvorbehalt, oder ist er insofern grob fahrlässig, kann er auch nicht gem. § 932 erwerben. Die Sache bleibt dann im Eigentum des Vorbehaltsverkäufers.24 S. auch BGHZ 109, 297: Wird ein Abtretungsverbot wirksam vereinbart, haftet der Geschäftsführer einer GmbH aus § 823 I auch persönlich, wenn er die gelieferten Sachen in ein Grundstück einbaut. Der damit einhergehende Eigentumsverlust aufgrund §§ 946, 93, 94 stellt eine Verletzung des Eigentums des Vorbehaltsverkäufers dar.

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b) Der Verkäufer ist trotz Eigentumsvorbehalts auch dann nicht genügend gesichert, wenn der Käufer die gelieferte Ware verarbeitet und dadurch gem. § 950 Eigentümer wird. Um dies zu verhindern, sieht der Kaufvertrag in den AGB oft eine zweite Form des VEV, nämlich eine Verarbeitungsklausel vor, wonach der Lieferant auch nach der Verarbeitung das Eigentum behalten soll. Beispiel: 25 Aluminiumwerk A liefert Aluminiumbleche unter EV an Hersteller H. Folgende Vertragsklausel wird vereinbart: „Soweit die gelieferte Ware vor der Bezahlung be- oder verarbeitet wird, bleibt sie in jeder Be- oder Verarbeitungsstufe und auch als fertige Ware Eigentum des Lieferers. Eigentumserwerb des Bestellers gemäß § 950 BGB wird ausgeschlossen, da der Besteller das Eigentum für den Lieferer erwirbt und alles Material für diesen lediglich verwahrt.“ H verarbeitet die Bleche zu Gehäusen für Hochfrequenzgeräte und übereignet die fertigen Geräte zur Sicherheit an die Bank B. Wem steht das Eigentum an den Geräten zu?

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Teilweise wird § 950 als dispositives Recht aufgefasst. Vertragliche Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Hersteller gehen also vor.26 Nach Auffassung des BGH ist § 950 zwar nicht abdingbar. Es sei aber vertraglich vereinbar, wer Hersteller i. S. v. § 950 sein soll.27 Nach einer dritten Auffassung, die ebenfalls vom zwingenden Charakter des § 950 ausgeht, ist die Herstellereigenschaft nicht frei vereinbar, sondern richtet sich

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Näher hierzu s. Canaris, Handelsrecht, § 28 Rdn. 5 ff. Vgl. BGH NJW 1999, 425. BGHZ 20, 159 – Hochfrequenzgeräte. Flume, NJW 1950, 841; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 53 Rdn. 15. BGHZ 20, 159 – Hochfrequenzgeräte.

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nach objektiven Kriterien.28 Nur wenn die Verarbeitung typischerweise fremdbestimmt erfolgt, ist nicht der Verarbeiter, sondern der Lieferant der Hersteller. Dieser Auffassung ist zu folgen: Aufgrund seiner Stellung im Untertitel über den originären Eigentumserwerb handelt es sich bei § 950 um zwingendes Recht. Damit ist es nicht vereinbar, die Herstellereigenschaft frei vereinbaren zu lassen. Objektive Kriterien haben darüber zu entscheiden, wer Hersteller ist.29 Handelt es sich bei dem Verarbeiter um einen selbständigen Unternehmer, so ist er als Hersteller anzusehen, der gem. § 950 Eigentum an der neuen Sache erwirbt. Der Vorbehaltsverkäufer kann sich dieses Eigentum gem. § 930 zur Sicherheit übertragen lassen, auch durch antizipiertes Besitzkonstitut. Die Konsequenz besteht allerdings darin, dass der Vorbehaltsverkäufer erst nach Durchgangserwerb des Verarbeiters Eigentum erlangt. Die beiden anderen Auffassungen führen zum Direkterwerb des Vorbehaltsverkäufers. Im Beispiel führen die beiden ersten Auffassungen dazu, dass A Eigentümer an den Gehäusen im Weg des Direkterwerbs wird. Nach der hier vertretenen Auffassung wird dagegen H gem. § 950 Eigentümer der Gehäuse, da er, bzw. seine Arbeitnehmer die gelieferten Bleche verarbeitet haben. Deutet man die Verarbeitungsklausel in eine Sicherungsübereignung gem. § 930 unter Einschluss eines antizipierten Besitzkonstituts um (§ 140),30 erwirbt A Sicherungseigentum, bevor die Übereignung an die Bank B erfolgt.

Auch wenn die Übereignung an die Bank vorher geschehen wäre (etwa im Weg der Globalzession), würde sich an diesem Ergebnis nichts ändern. Zwar ist nach dem Prioritätsprinzip die erste Übereignung wirksam. Nach der vom BGH vertretenen Vertragsbruchtheorie wäre die Globalzession aber sittenwidrig und damit nach § 138 I nichtig, wenn sie auch solche Forderungen umfassen soll, die der Schuldner seinen Lieferanten aufgrund verlängerten Eigentumsvorbehalts künftig abtreten muss.31 c) Der Sicherungsnehmer darf sich nicht übersichern. Eine Übersicherung führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gem. § 138 I. Im Beispielsfall muss der Lieferant der Bleche also darauf achten, dass er sich nicht das volle Eigentum an den fertigen Hochfrequenzgeräten einräumen lässt. Sein Sicherungsinteresse beschränkt sich lediglich auf einen Teil dieser Geräte, der ungefähr dem Wert der gelieferten Bleche entspricht. Der Vorbehaltslieferant kann sich also nur einen Miteigentumsanteil an den fertigen Geräten einräumen lassen.32 2. Weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt

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Beim weitergeleiteten Eigentumsvorbehalt ist der Vorbehaltskäufer verpflichtet, dem Nächsterwerber das Eigentum nur unter der Bedingung zu übertragen, dass der Vorbehaltsverkäufer Eigentümer bleibt. Praktisch bedeutet das, dass der Vorbehaltskäufer den Nächsterwerber darauf hinweisen muss, dass hier in Wahrheit kein Eigentum, sondern nur eine Anwartschaft übertragen wird. In dieser Weise wird der gute Glaube des Erwerbers ausgeschlossen, wenn der Vorbehaltskäufer dieser Verpflichtung nachkommt. Der weitergeleitete Eigentumsvorbehalt ist also gekennzeichnet durch eine Erstreckung auf neue Personen. Bei vertraglich vorausgesetztem Weiterverkauf ver-

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Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 519; H. Westermann, Sachenrecht, § 53 III 2e m. w. N. Zu den Einzelheiten s. MüKo/Füller, § 950 Rdn. 16 ff. So zu Recht Staudinger/Wiegand, § 950 Rdn. 45; MüKo/Füller, § 950 Rdn. 25. BGH NJW 1999, 2588; s. o. Rdn. 743. Zu den Einzelheiten s. MüKo/Füller, § 950 Rdn. 27f; zur Übersicherung s. o. Rdn. 743.

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stößt der weitergeleitete Eigentumsvorbehalt gegen § 307 I 1.33 Er ist in der Praxis deshalb unüblich. 3. Kontokorrentvorbehalt Beim Kontokorrentvorbehalt wird der Eigentumserwerb hinausgeschoben, bis sämtliche Schulden des Vorbehaltskäufers beim Vorbehaltsverkäufer beglichen sind. Der Eigentumsvorbehalt dient also nicht nur zur Sicherung der Forderung aus einem einzelnen Kauf, sondern aller Forderungen aus einer laufenden Geschäftsverbindung. Sind alle Forderungen beglichen worden, erlischt er. Bei Entstehung neuer Forderungen lebt er nicht wieder auf. Gegenüber Nichtkaufleuten ist der Kontokorrentvorbehalt gem. § 307 II Nr. 2 unwirksam: Die für den Kaufvertrag wesentliche Pflicht zur Eigentumsverschaffung wird so stark eingeschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird. Gegenüber Kaufleuten ist der Kontokorrentvorbehalt dagegen grundsätzlich wirksam. Allerdings darf auch hier der Vorbehalt weder über den ausdrücklich im Einzelfall vereinbarten Umfang hinaus ausgedehnt werden, noch darf er Forderungen umfassen, die in missbräuchlicher Weise mit dem Kaufvertrag als Kreditsicherungsmittel in Verbindung gebracht werden.34 4. Konzernvorbehalt Beim Konzernvorbehalt wird der Eigentumsübergang davon abhängig gemacht, dass der Käufer nicht nur die Forderungen des Gläubigers, sondern auch die von Dritten, nämlich von anderen Konzernunternehmen erfüllt hat. Ein solcher Vorbehalt ist nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 449 III nichtig.

§ 76 Tausch. Schenkung, Schenkungsversprechen In diesem Paragraphen werden zwei weitere im BGB geregelte Austauschverträge zusammengefasst, bei denen die Entgeltregelung vom Kauf abweicht: Tausch und Schenkung (einschl. Schenkungsversprechen).

I. Tausch 971

1. Gemäß § 480 dem einzigen Paragraphen, den das Gesetz für den Tausch vorsieht, finden die Vorschriften über den Kauf auch auf den Tausch entsprechende Anwendung. Das Wesen des Tausches ist der Austausch von Sachen, Vermögenswerten oder Rechten, während beim Kaufvertrag die Zahlung eines Kaufpreises vereinbart wird. Wichtig war und ist der Tausch in urtümlichen wirtschaftlichen Verhältnissen sowie in Zeiten, in denen das Geld seine Funktion als allgemeines Tauschmittel nicht erfüllt, so wenn es nicht viel Wert ist, eine freie Marktwirtschaft nicht besteht, oder wenn im internationalen Handel auf der einen oder auf beiden Seiten Devisenknappheit besteht. Jeder Vermögensgegenstand, der nach der Verkehrsauffassung als Kaufobjekt in Betracht kommt, kann Gegenstand eines Tauschvertrages werden. Die „Praxis“ eines Arztes oder eines anderen Freibe-

33 BGH NJW 1991, 2286. 34 BGH JR 1969, 58; NJW 1978, 632.

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Tausch. Schenkung, Schenkungsversprechen

§ 76 II 1

ruflers ist z. B. ein zulässiges Tauschobjekt.1 Kein Tausch liegt vor beim „Wohnungstausch“ (nur Besitzwechsel zwischen den Mietern) sowie bei der Inzahlungnahme eines Gegenstandes beim Kauf. Der Tausch im internationalen Handel ist eine Form des sog. „Gegengeschäfts“.2 Die wichtigsten Arten des Gegengeschäfts (Countertrade) sind Tausch (barter, keine Geldforderungen), Kompensationsgeschäft (Geldforderungen werden verrechnet, aber es liegt nur ein Vertrag vor wie beim Tausch), Rückkauf (buyback, Produktabnahmevertrag; in einem getrennten Vertrag verpflichtet sich der Exporteur, Produkte zu kaufen, die mit den exportierten Maschinen hergestellt werden) und Gegenkauf (Counterpurchase, indirect compensation: zwei Verträge mit unabhängiger Abwicklung, aber im Bedingungsverhältnis, und mit kreditierten und dann verrechneten Devisen schulden). 2. Auf den Tausch finden die Kaufregeln entsprechende Anwendung. Das bedeutet, die Sachübereignungspflichten gemäß § 433 I bestehen nun auf beiden Seiten. 3. Zwei besondere Probleme wirft der Tausch auf: a) Wie soll bei einem Tausch die als Gegenleistung gelieferte Ware „gemindert“ werden, wenn im Falle der Mangelhaftigkeit einer Ware die Minderung beansprucht wird? Die Lösung kann nur sein, dass der Lieferer der mangelhaften Ware nach Maßgabe der Minderungsvorschriften den fehlenden Betrag „zuzahlen“ muss. b) Wenn Schadensersatz wegen zu vertretender Unmöglichkeit nach §§ 280 I, III, 283, bzw. § 311a II verlangt wird, gewinnt das Wahlrecht des Gläubigers (zur h. M. s. oben Rdn. 433 f) der unmöglich gewordenen Leistung besondere Bedeutung. Verlangt er Schadensersatz nach der Differenzmethode, so erhält er den Mehrwert der unmöglich gewordenen Leistung im Verhältnis zu seiner Leistung. Wenn er dagegen nach der Austauschtheorie seinen Schadensersatz berechnet, dann muss er seine ihm obliegende und noch mögliche Leistung erbringen und kann vollen Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Die unmöglich gewordene Leistung wird dann vollständig in Geld bewertet. Eigentlich hat dieses Wahlrecht zwischen der Berechnung nach dem Differenz- und dem Austauschmodus nur beim Tausch volle Bedeutung. Beim Kauf ergibt sich, wenn der Gläubiger der unmöglich gewordenen Leistung die Austauschtheorie bevorzugt, notwendig eine Aufrechnung, 387 ff. Entsprechendes gilt für Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht erbrachter Leistung nach den §§ 280 I, III, 281.

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II. Schenkung, Schenkungsversprechen Böhr, NJW 2001, 2059; Grundmann, AcP 198 (1998) 457; Reischl, Zur Schenkung von Todes wegen, 1996; Zeranski, Der Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkens, 1998.

1. Begriff § 516 I versteht unter Schenkung eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, wenn beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Das Charakteristische bei der Schenkung ist also das Einigsein über die Unentgeltlichkeit. Die Zuwendung muss aus dem Vermögen des Schenkers kommen und den Beschenkten bereichern. Insoweit weicht die Natur der Schenkung von der eines üblichen obligatorischen Geschäfts ab. Von Savigny behandelte die Schenkung überhaupt nicht als Schuldvertrag, sondern als Modus einer Zuwendung im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts. Nach dem BGB ist aber die Schenkung (§§ 516, 518) ein Vertrag; sein Wesen besteht im Einigsein über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung. Unentgeltlich ist ein Erwerb, wenn durch Gesetz oder Rechtsgeschäft festgesetzt ist, dass er von einer eigenen Zuwendung des Erwerbers rechtlich nicht abhängen soll. Die Abhängigkeit des

1 BGHZ 16, 74; BGH NJW 59, 1584. 2 Fülbier, DB 1992, 977.

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§ 76 II 4

Veräußerungsverträge

Erwerbs von einer als Ausgleichung aufgefassten eigenen Zuwendung und damit Entgeltlichkeit liegt in folgenden Fällen vor: Wechselseitige Verpflichtung, Setzung einer entsprechenden Bedingung oder eines entsprechenden Rechtszwecks (synallagmatische, konditionale, kausale Verknüpfung), RGZ 163, 356; BGHZ 5, 302; Zuwendungen unter Ehegatten im Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft, BGH NJW 82, 1093; 83, 1611. Nur völlig unentgeltliche Zuwendungen sind Schenkungen. Bereits ein geringes Entgelt beseitigt die Unentgeltlichkeit. Ein Kauf zum Freundespreis („halb geschenkt“) ist eine sog. gemischte Schenkung. Die gemischte Schenkung ist ein besonderer Fall der gemischten Verträge, vgl. dazu oben Rdn. 799; BGHZ 30, 120; Larenz, II 62 IIc. Auf sie finden sowohl Kauf- als auch Schenkungsregeln Anwendung. Unentgeltliche Gebrauchsüberlassung ist Leihe, 598ff, nicht Schenkung, BGH NJW 82, 820; unentgeltliche Dienstleistung ist, wenn Dienste i. S. d. §§ 611ff gemeint sind, Dienstvertrag, arg. § 612 I. Entsprechendes gilt für unentgeltliche Werkleistungen, arg. § 632 I. Nur sonstige unentgeltliche Geschäftsbesorgung ist, sofern sie rechtsgeschäftlich übernommen wird, Erfüllung eines Auftrages, 662 ff.

2. Die Realschenkung (Handschenkung) 974

Das Gesetz behandelt die Realschenkung (Handschenkung) als den Normalfall, vgl. dazu oben § 11. Sie besteht lediglich aus dem Einigsein über die Unentgeltlichkeit einer Zuwendung. Die Realschenkung begründet keine Pflicht zur Übereignung. Sie ist lediglich, als Abrede der Unentgeltlichkeit, die Vereinbarung eines Rechtsgrundes für eine dingliche Zuwendung. Auch bei der Schenkung wird daher das Kausalgeschäft und das dingliche Vollzugsgeschäft unterschieden. Das Kausalgeschäft ist die Abrede der Unentgeltlichkeit (Abrede einer causa). Das dingliche Vollzugsgeschäft ist die Übereignung der geschenkten Sache, die Zession der geschenkten Forderung usw. Die Realschenkung ist aber doch Schuldvertrag. Sie ist Realvertrag im oben (Rdn. 59) entwickelten Sinne. Dem steht nicht entgegen, dass Pflichten nur aus vollzogener Schenkung entstehen, z. B. § 524.

3. Das Schenkungsversprechen 975

Beim Schenkungsversprechen verspricht der Schenker dem Beschenkten, ihm unentgeltlich etwas zuzuwenden: Im Unterschied zur Realschenkung ist das Schenkungsversprechen formgebunden, 518. Zur Gültigkeit eines Schenkungsversprechens ist die gerichtliche oder notarielle Beurkundung des Versprechens erforderlich. Das Gleiche gilt, wenn ein Schuldversprechen oder ein Schuldanerkenntnis schenkweise erteilt wird. Ohne Einhaltung der Form ist das Schenkungsversprechen nichtig. Die Formvorschrift des § 518 will den Schenker vor übereilten Entschlüssen bewahren. Ist aber einmal die Schenkung vollzogen, entfällt das Bedürfnis an solcher Sicherung. Daher ist rückwirkende Heilung nach Vollzug der Schenkung vorgesehen, 518 II; vgl. BGH NJW 78, 2027 (nichtige, dann durch Einlösung geheilte Scheckbegebung). Das Schenkungsversprechen als Schuldvertrag ist dem Kauf wesentlich ähnlicher. Es handelt sich praktisch um einen unentgeltlichen Kauf, der zudem noch formgebunden ist. 4. Besonderheiten des Schenkungsrechts

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Die Unentgeltlichkeit bewirkt aber, dass das Schenkungsrecht vom Kaufrecht wesentlich abweicht. Von den Vorschriften der §§ 516–534 verdienen folgende besondere Hervorhebung: a) Ist bei der Realschenkung die Zuwendung ohne den Willen des Beschenkten erfolgt, so kann der Schenker den Beschenkten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme auffordern. Äußert sich der Beschenkte daraufhin nicht, gilt die Schenkung als angenommen, 516 II. Ausnahmsweise gilt: qui tacet consentire videtur. Lehnt der Beschenkte die Schenkung ab, so muss er das, was er erhalten hat, nach §§ 812ff herausgeben. Insbesondere kann er die Einrede des Wegfalls der Bereicherung gemäß § 818 III erheben.

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Tausch. Schenkung, Schenkungsversprechen

§ 76 II 4

b) Keine Schenkung liegt vor, wenn jemand zum Vorteil eines anderen einen Vermögenserwerb unterlässt, auf ein angefallenes, noch nicht endgültig erworbenes Recht verzichtet oder eine Erbschaft oder ein Vermächtnis ausschlägt, 517. c) Wenn der Schenker in Not gerät, dann darf er die Erfüllung eines Schenkungsversprechens verweigern, 519. Ihm muss das verbleiben, was er zur Bestreitung seines standesgemäßen Unterhalts und zur Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflichten benötigt. § 519 ist einer der gesetzlichen Fälle der clausula rebus sic stantibus, vgl. §§ 313, 321, 490 I. d) Verspricht der Schenker eine Rente, so erlischt die Verbindlichkeit mit seinem Tode, sofern sich aus dem Versprechen nicht ein anderes ergibt. § 520 ergänzt die §§ 759–761 über die Leibrente für den Fall, dass die Leibrente unentgeltlich gewährt wird. Hinzu muss kommen, dass die Rente Unterstützungscharakter hat, 520. e) Nach § 521 hat der Schenker nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Die Vorschrift ist z. B. von Bedeutung, wenn die verschenkte Sache geeignet ist, dem Beschenkten Schaden zuzufügen. f) Zur Errichtung von Verzugszinsen ist der Schenker nach § 522 nicht verpflichtet. Immerhin ist es möglich, dass der Schenker mit der Erfüllung seines Schenkungsversprechens in Verzug gerät. Er haftet dann nach § 280 I, II, 286 auf Schadensersatz. g) Für Rechtsmängel gilt nach § 523, dass der Schenker dem Beschenkten zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er ihm arglistig einen Rechtsmangel verschwiegen hat. Hatte sich der Schenker zu einer Schenkung verpflichtet, deren Gegenstand er erst erwerben muss, so kann der Beschenkte wegen eines Rechtsmangels Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, wenn der Mangel dem Schenker beim Erwerb der Sache bekannt gewesen oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Dabei finden die Vorschriften über die Rechtsmängelgewährleistung beim Kauf entsprechende Anwendung, siehe den Verweis in § 523 II 2, vgl. dazu oben Rdn. 909ff. Nach § 523 II ist das Erfüllungsinteresse zu ersetzen („Schadensersatz wegen Nichterfüllung“, gleichbedeutend mit „Schadensersatz statt der Leistung“). Im Rückschluss daraus ergibt sich, dass nach § 523 I nur das Vertrauensinteresse verlangt werden kann: Der Beschenkte ist so zu stellen, wie er stünde, wenn er sich mit dem Schenker niemals eingelassen hätte. h) Die Haftung für Sachmängel ist förmlich gestaltet. Verschweigt der Schenker arglistig einen Fehler der geschenkten Sache, z. B. dass der geschenkte Hund bissig ist, so ist er verpflichtet, dem Beschenkten Schadensersatz zu leisten, 524 I. Bei einer Gattungsschenkung gilt, in konsequenter Durchführung aller Grundsätze des Schenkungsrechts, § 524. Der Schenker haftet bei Kenntnis und grobfahrlässiger Unkenntnis eines Mangels der Sache, die er aus einer Gattung verschenken wollte, auf Nachlieferung einer fehlerfreien Sache. Hat der Schenker den Fehler arglistig verschwiegen, kann der Beschenkte statt der Nachlieferung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Die Regeln des Kaufrechts finden dabei entsprechende Anwendung, 524 II. Ein Teil der Lehre möchte die schenkungsrechtlichen Haftungsmilderungen der §§ 521, 524 nicht auf die Verletzung von Schutzpflichten, insbesondere auf Begleitschäden anwenden.3 Verursacht der geschenkte Fernseher aufgrund eines Fehlers einen Zimmerbrand, soll der Schenker nach allgemeinen Regeln – nämlich gem. § 276 schon bei einfacher Fahrlässigkeit – hierfür einstehen müssen. Diese Auffassung würde die Tragweite der §§ 521, 524 allerdings erheblich einschränken, und zwar gerade für die größten Haftungsrisiken. Eine Einschränkung der §§ 521, 524 ist deshalb abzulehnen.4 Aus demselben Grund sollten die §§ 521, 524 auch auf konkurrierende Deliktsansprüche erstreckt werden. Das Haftungsprivileg gilt nur dann nicht, wenn die verletzte Pflicht keinen Bezug zum geschenkten Gegenstand hat. i) § 525 regelt die Schenkung unter einer Auflage. Eine Auflage ist die einer Schenkung oder einer letztwilligen Verfügung (§ 1940) hinzugefügte Bestimmung, dass der Empfänger zu einer Leistung verpflichtet sein soll. Die Leistung des Empfängers soll aber nicht die Bedeutung einer Gegenleistung, z. B. eines Entgelts haben. Sonst würde es sich um einen Tausch oder einen anderen entgelt-

3 MüKo-Kollhosser, § 521 Rdn. 5 ff m. w. N. 4 Medicus, Schuldrecht II Rdn. 176.

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Veräußerungsverträge

lichen Vertrag handeln. Vielmehr kommt es dem Schenker darauf an, dass der Beschenkte im Hinblick auf den ihm unentgeltlich zugewandten Vorteil seinerseits, gleichsam zum Dank, etwas leistet. Der Leistungscharakter ist dabei kennzeichnend für die Auflage (im Unterschied zu der Bedingung). Damit ändert sich also nicht der Charakter als Schenkung. So lassen sich auch die Fälle der gemischten Schenkung und der Schenkung unter Auflage abgrenzen. Wird für die Leistung eines Vermögensgegenstandes eine, wenn auch geringe, Gegenleistung erbracht, so kommt gemischte Schenkung in Betracht. Soll dagegen aus dem erhaltenen Wert etwas an einen Dritten geleistet werden, so handelt es sich um eine Schenkung unter Auflage, OGHZ 1, 261. Steuerrechtlich interessant ist folgende Konstruktion: Der Vater schenkt seinem minderjährigen Kind einen Betrag, der ihm als verzinsliches Darlehen zurückgewährt wird. Die Zinsen kann er von der Steuer absetzen. Da hier aus dem erhaltenen Wert geleistet wird, liegt eine Schenkung unter Auflage vor. Das Geschäft ist nicht wegen Steuerhinterziehung (§ 134) nichtig, BayOblG NJW 74, 1142. Wer eine Schenkung unter Auflage macht, kann die Vollziehung der Auflage verlangen, wenn er seinerseits geleistet hat. Liegt die Ausführung der Auflage im öffentlichen Interesse, dann kann nach dem Tode des Schenkers auch die zuständige Behörde die Vollziehung verlangen, 525 II. Die Zuständigkeit der Behörde ergibt sich aus Ausführungsgesetzen der Länder zum BGB. Ist im Falle einer Schenkung unter einer Auflage die Sache mangelhaft, so kann der Beschenkte, wenn er den Mangel bemerkt, die Vollziehung der Auflage einredeweise verweigern (BGH NJW 82, 818), andernfalls vom Schenker Ersatz verlangen, 526. Unterbleibt die Vollziehung der Auflage, so kann der Schenker sein Geschenk zurückverlangen. Es gilt ein gesetzliches Rücktrittsrecht, 527. Die Rückforderung erfolgt nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung, 812ff. Allerdings kann der Schenker nur insoweit ein Geschenk zurückfordern, als das Geschenk zur Vollziehung der Auflage hätte verwendet werden müssen, 527 I. j) Ebenfalls wie die Rückforderung wegen Nichtvollziehung der Auflage ist die Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers eine Eigenheit des Schenkungsrechts, 528. Sobald der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und seine Unterhaltspflichten zu erfüllen, kann er von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach Bereicherungsregeln verlangen. Der Beschenkte kann die Herausgabe aber durch Zahlung der Unterhaltsbeträge abwenden. Von mehreren Beschenkten haftet zunächst einmal der später Beschenkte, der früher Beschenkte nur insoweit, als der später Beschenkte nicht verpflichtet ist. Der Anspruch auf Herausgabe des Geschenkes ist aber ausgeschlossen, wenn der Schenker seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat oder wenn zur Zeit des Eintritts seiner Bedürftigkeit 10 Jahre seit der Leistung der Schenkung verstrichen sind, 529 I. Der Anspruch auf Herausgabe des Geschenks ist ebenfalls ausgeschlossen, wenn der Beschenkte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen selbst außerstande ist, das Geschenk herauszugeben, ohne dass er dabei seinen Unterhalt gefährdet oder seine Unterhaltspflichten vernachlässigt, 529 II (s. hierzu BGH NJW 2000, 3488; 2005, 3638). k) Eine weitere Besonderheit des Schenkungsrechts ist die Regelung des groben Undanks, 530. Erweist sich der Beschenkte als grob undankbar, indem er gegen den Schenker oder gegen einen nahen Angehörigen des Schenkers eine schwere Verfehlung begeht, kann der Schenker die Schenkung widerrufen, 530; z. B. schwere Beleidigung, körperlicher Angriff, belastende Aussagen trotz Zeugnisverweigerungsrechts, Ehebruch, s. Nachweise in BGH NJW 2002, 2461 (2463). Für den Erben des Schenkers besteht das Widerrufsrecht nur begrenzt, 530 II. Der Widerruf ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Schenkers gegenüber dem Beschenkten, 531 I. Ist die Schenkung widerrufen, so muss sie nach Bereicherungsregeln herausgegeben werden, 531 II. Dabei ist aber § 817 S. 2 zu beachten, BGHZ 35, 108: Schenkung, um Geliebte zur Fortführung der geschlechtlichen Beziehung zu bewegen. Bei gemischter Schenkung ist § 530 dann anwendbar, wenn der Schenkungscharakter des Geschäfts überwiegt (BGHZ 30, 120; weitergehend OGHZ 1, 261). Verzeihung des Schenkers beseitigt sein Widerrufsrecht. Es erlischt auch binnen Jahresfrist, nachdem der Schenker von dem Grunde seiner Widerrufsberechtigung Kenntnis erhalten hat. Nach dem Tod des Beschenkten ist der Widerruf ebenfalls nicht mehr zulässig, 532 S. 2. Auf das Widerrufsrecht kann erst verzichtet werden, wenn der grobe Undank dem Widerrufsberechtigten bekannt geworden ist, 533. l) § 534 regelt abschließend noch die Pflicht- und Anstandsschenkungen. Unter Pflicht- und Anstandsschenkungen versteht man Geschenke, die auf Erfüllung einer sittlichen Pflicht oder auf

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Gebrauchsüberlassungsverträge

§ 76 II 4

konventioneller Übung beruhen, namentlich Geburtstags-, Weihnachts-, Hochzeitsgeschenke u. dergl. Derartige Schenkungen unterliegen weder der Rückforderung noch dem Widerruf. Die §§ 527–533 finden insoweit keine Anwendung.

10. Abschnitt

Gebrauchsüberlassungsverträge Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 1988.

Im Anschluss an die Veräußerungsverträge Kauf (§§ 433ff), Tausch (§ 480), TeilzeitWohnrechteverträge (§§ 481 ff) und Schenkung (§§ 516ff) behandelt das BGB Miete (§§ 535ff), Pacht (§§ 581 ff), Leihe (§§ 598ff) und Sachdarlehen (§§ 607ff). Bereits in den §§ 488ff findet sich das Gelddarlehen.1 Bei den genannten Vertragstypen handelt es sich um Gebrauchsüberlassungsverträge, da sie auf die zeitweilige Überlassung von Gegenständen gerichtet sind und nicht, wie die Veräußerungsverträge, auf deren vollständige und dauerhafte Übertragung. Durch die Überlassung wird lediglich der unmittelbare Besitz auf den Mieter, Pächter oder Entleiher übertragen – der Vermieter bleibt also selbst Eigentümer (und mittelbarer Besitzer) und ist gegen den Zugriff von Gläubigern des Mieters, Pächters oder Entleihers geschützt (Vollstreckungsmaßnahmen kann er nach § 771 ZPO abwehren). In Abgrenzung zur Leihe erfolgen Miete und Pacht entgeltlich. Der allgemeine Sprachgebrauch ist in dieser Hinsicht häufig ungenau. Auch das „Ausleihen“ einer DVD in der Videothek oder die Verträge eines Fahrrad„verleihs“ sind daher juristisch nicht als Leihe, sondern als Miete zu qualifizieren. Die Pacht unterscheidet sich von der Miete und der Leihe zunächst dadurch, dass als Gegenstand des Pachtvertrags auch Rechte in Betracht kommen (vgl. § 581 I „Gegenstands“ einerseits und § 535 I „Mietsache“, bzw. § 598 „Sache“ andererseits).2 Wird also einem anderen die entgeltliche vorübergehende Nutzung eines Rechts vertraglich gestattet, handelt es sich hierbei um einen Pachtvertrag. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die praktisch bedeutsamen Lizenzverträge, durch die ein gewerbliches Schutzrecht (z. B. Patent, Marke) oder ein Urheberrecht einem anderen zur Nutzung überlassen wird, und die nach der hier vertretenen Auffassung pachtrechtlich zu qualifizieren sind (s. o. Rdn. 804). Sind Gegenstand des Vertrags Sachen, Sachteile oder Sachgesamtheiten, so handelt es sich um Miete (entgeltlich) oder Leihe (unentgeltlich), wenn dem Nutzer nur der Gebrauch des überlassenen Gegenstands gestattet ist, während ein Pachtvertrag vorliegt, wenn dem Gebrauchenden darüber hinaus auch die Fruchtziehung erlaubt ist. Soll – vereinfacht gesprochen – mit dem Gegenstand etwas verdient werden, liegt Pacht vor. 1 Auch das Gelddarlehen ist ein Gebrauchsüberlassungsvertrag. Seine Regelung inmitten der Veräußerungsverträge ist systematisch deshalb nicht stimmig. Die schlechte Positionierung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz beruht einerseits darauf, daß die entsprechenden Paragraphennummern durch die Straffung des Kaufrechts frei wurden, andererseits auf dem Zusammenhang insbesondere des Verbraucherdarlehensvertrags (§§ 491 ff) mit dem Kaufvertrag. In diesem Lehrbuch wird das Gelddarlehen seiner Systematik entsprechend im Abschnitt über die Gebrauchsüberlassungsverträge behandelt. 2 Schellhammer, Schuldrecht, Rdn. 197.

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§ 77 I

Gebrauchsüberlassungsverträge

Davon ist beispielsweise auszugehen, wenn bereits fertig eingerichtete Räume zum Betrieb eines Unternehmens, einer Apotheke oder einer Praxis überlassen werden.

§ 77 Miete Blank/Börstinghaus, Miete – Kommentar, 2. Aufl. (2004); Börstinghaus, Beilage zu NJW 25/2001; ders., ZGS 2002, 102; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. (1999); Canaris, FS Flume, Bd I (1978) 371; ders., FS Fikentscher (1998) 11; Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte (1951); Emmerich, NZM 2002, 362; ders., FS Honsell (2002) 209; Emmerich/ Sonnenschein, Miete – Handkommentar, 8. Aufl. (2003); Gramlich, Mietrecht, 9. Aufl. (2003); B. Grundmann, NJW 2001, 2497; Honsell, AcP 186 (1986) 115; Kießling, JZ 2004, 1146; Klein-Blenkers, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das Neue Schuldrecht § 17; Kossmann, Handbuch der Wohnraummiete, 6. Aufl. (2003); Leenen, MDR 1980, 353; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht – Kommentar, 8. Aufl. (2003).

I. Grundlagen 981

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Der Mietvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, durch den sich der eine Teil (Vermieter) verpflichtet, dem anderen Teil (Mieter) den Gebrauch einer Sache zu gewähren (§ 535 I 1) und sich der Mieter zur Zahlung der Miete verpflichtet (§ 535 II). Zwar assoziiert der Laie mit der Miete häufig nur die Wohnraummiete, doch können Gegenstand des Mietvertrags alle Sachen, Sachteile oder Sachgesamtheiten sein 1 – sowohl bewegliche (Fahrnismiete; z. B. Kfz, Fahrrad, Skier etc.), als auch unbewegliche (Grundstücks- und Raummiete; z. B. Tennisplatz, Squashcourt, Lagerhalle etc.). Bei einer Sachgesamtheit, wie z. B. bei der Vermietung einer Bücherei, liegt daher – ebenso wie beim Kauf – nur ein Vertrag vor und nicht etwa so viele Verträge, wie die Bücherei Bücher enthält. Als Beispiel für die Miete eines Sachteils kann die vorübergehende Überlassung einer einzelnen Hauswand zu Reklame-Zwecken genannt werden. Der schuldrechtliche Mietvertrag begründet nur Forderungen und Verpflichtungen der Vertragsparteien, gewährt jedoch kein dingliches Gebrauchsrecht an der Mietsache. Hierdurch unterscheidet sich der Mietvertrag vom Nießbrauch (§ 1030), der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1093 – Wohnrecht) und dem Dauerwohnrecht (§ 31 WEG), die dinglich gegen jedermann wirken. Es ist daher auch nicht erforderlich, dass der Vermieter Eigentümer der Mietsache ist (Beispiel: Untermiete). Wie alle Gebrauchsüberlassungsverträge ist die Miete ein Dauerschuldverhältnis, d. h. ihre Pflichten, und nicht nur ihre Wirkungen, bestehen in der Zeit. Die Pflichten aus einem Kauf enden mit ihrer Erfüllung, die kraft der Miete geschuldete Gebrauchsüberlassung wird aber dauernd, die Miete als Entgelt (zumeist) wiederholt geschuldet. Die Zeit bestimmt also den Umfang der Leistung: Diese ist auf Seiten des Vermieters um so größer, je länger er dem Mieter die Sache überlässt. Der Mieter muss dementsprechend mehr Miete zahlen. Die Eigenschaft als Dauerschuldverhältnis bedingt zusätzliche Möglichkeiten, das Schuldverhältnis aufzulösen. Die Lösungsbehelfe des allgemeinen Teils (z. B. Berufung auf Nichtigkeit, Anfechtung, Eintritt einer auflösen-

1 Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, § 10 Rdn. 3.

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Miete

§ 77 II

den Bedingung) und die des allgemeinen Schuldrechts (z. B. ein vertragliches oder gesetzliches Rücktrittsrecht, Aufhebungsvertrag, Berufung auf fehlende oder weggefallene Geschäftsgrundlage) bestehen auch weiterhin grundsätzlich fort und erfahren nur in bestimmten Bereichen Einschränkungen durch das Mietrecht (vgl. § 572 für ein vereinbartes Rücktrittsrecht oder eine auflösende Bedingung bei einem Mietverhältnis über Wohnraum). Daneben treten die von vornherein vertraglich vorgesehene Beendigung durch Zeitablauf, § 542 II, und die – auch gegen den Willen der Gegenseite wirksam erklärbare – Kündigung, § 542 I. Umgekehrt: Wo sich diese Lösungsbehelfe finden, hat man i. d. R. ein Dauerschuldverhältnis vor sich. Die wirtschaftliche Bedeutung der Wohnraummiete ist enorm. Nach wie vor wohnt der deutlich größere Teil der Haushalte in Deutschland zur Miete.2 Mietsuchende sind auf vorhandenen Wohnraum angewiesen, woraus eine wirtschaftliche Abhängigkeit resultiert, die bei Wohnraumknappheit krasse Formen annehmen kann. Hieraus rührt auch die „Zwiespältigkeit“ des geltenden Mietrechts, das einerseits die individualrechtlichen Züge des BGB, andererseits die sozialen Tendenzen des Mieterschutzes trägt. Mittlerweile sind die sozialen Tendenzen so weit in den Vordergrund gerückt, dass sich der Wohnraummietvertrag einem gesetzlichen Rechtsverhältnis angenähert hat, das durch Parteivereinbarung nicht geändert werden kann.3 Die Privatautonomie wird hierdurch erheblich eingeschränkt. Diese Einschränkung ist aber durch die Sozialstaatsverpflichtung (Art. 20 GG) gerechtfertigt. Die überragende Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt des menschlichen Daseins gebietet es, den vertragstreuen Mieter vor willkürlichen Kündigungen zu schützen.4 Das BVerfG hat die schutzrechtlichen Bestimmungen, soweit sie ihm zur Prüfung vorgelegt wurden, für verfassungsmäßig erklärt.5 Insbesondere ist die Einschränkung der ordentlichen Kündigung zu Lasten des Vermieters mit Art. 14 I 1 GG vereinbar.6

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In wirtschaftspolitischer Hinsicht ist darauf zu achten, dass das Mietrecht nicht die Investitionsanreize zerstört. Eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum gibt es – trotz vielfältiger staatlicher Aktivitäten – nur dann, wenn der Wohnungsbau für private Investoren attraktiv ist. Das Mietrecht ist (z. B. neben den Finanzierungskosten oder dem steuerlichen Rahmen) einer der Faktoren, der hierfür von Bedeutung ist. Insofern geht es beim Mietrecht nicht nur um die statische Abwägung von Vermieter- und Mieterinteressen, sondern auch um die mittel- und langfristige Sicherung der Wohnraumversorgung. – Die sozialstaatliche Wohnungspolitik kommt insbesondere im Wohnraumförderungsgesetz, Wohnungsbindungsgesetz und im Wohngeldgesetz zum Ausdruck. Öffentlich geförderte Sozialwohnungen können nur von Mietern bezogen werden, welche bestimmte Einkommensschwellen nicht überschreiten (nachzuweisen durch einen „Wohnberechtigungsschein“). Einkommensschwache Mieter können als Wohngeld einen Mietzuschuss vom Staat erhalten.

II. Systematik Das derzeitige System des Mietrechts geht auf das Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts vom 19. Juni 2001 7 (Mietrechtsreformgesetz) zurück, das am 1. September 2001 in Kraft getreten ist (also vier Monate vor und unabhängig vom Schuldrechtsmodernisierungsgesetz). Bis zu diesem Zeitpunkt war die 2 3 4 5 6 7

Im Jahre 2002 57,8 % – vgl. http://www.destatis.de/basis/d/bauwo/wositab6.htm. Oechsler, Vertragsrecht, Rdn. 532. Vgl. die amtliche Begründung, BT-Drs 7/2011. BVerfG NJW 1974, 1499. BVerfG 68, 361; 81, 29. BGBl I 1149.

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§ 77 III

Gebrauchsüberlassungsverträge

gesetzliche Regelung an der Miete beweglicher Sachen ausgerichtet. Für die Grundstücks- und Wohnraummiete galten zahlreiche Sonderregelungen, die teils nachträglich in das BGB eingefügt worden waren oder sich in Sondergesetzen fanden. Dies führte zu einer nur noch schwer überschaubaren Gesetzessystematik und wurde der besonderen Stellung der Wohnraummiete nicht gerecht. Mit dem Mietrechtsreformgesetz hat der Gesetzgeber das Mietrecht grundlegend neu geordnet und zugleich das wichtigste frühere Nebengesetz – das Miethöheregelungsgesetz – abgeändert in das BGB integriert. Im ersten Untertitel (§§ 535 ff) finden sich nun allgemeine Vorschriften für sämtliche Mietverhältnisse, im zweiten zentralen Untertitel (§§ 549 ff) die Regelungen für Mietverhältnisse über Wohnraum und im dritten Untertitel (§§ 578 ff) die Normen für Mietverhältnisse über andere Sachen – Grundstücke, sonstige Räume (worunter die praktisch bedeutsame Miete von Geschäftsräumen fällt) und Schiffe. Der mittlere Teil über die Wohnraummiete hat den weitaus größten Umfang und untergliedert sich in die Kapitel „Allgemeine Vorschriften“, „Die Miete“, „Pfandrecht des Vermieters“, „Wechsel der Vertragsparteien“, „Beendigung des Mietverhältnisses“ und „Besonderheiten bei der Bildung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnungen“. Die inhaltlichen Änderungen im Vergleich zur früheren Gesetzeslage sind freilich gering, so dass größtenteils noch auf Literatur und Rechtsprechung aus dieser Zeit zurückgegriffen werden kann. Auch wenn das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz von 2001 bereits erste Änderungen der Reform gebracht hat, so wurde bedauerlicherweise das mietrechtliche Gewährleistungsrecht nicht an das neue Leistungsstörungsrecht angeglichen. Das Mietrecht folgt weiterhin dem Paradigma der Gewährleistung, wie sich schon an der Garantiehaftung des § 536a I erster Fall zeigt: Der Vermieter haftet für bereits bei Vertragsschluss vorhandene Mängel unabhängig von Verschulden und ohne die Möglichkeit einer Mangelbeseitigung auf Schadensersatz. Ein Verweis auf die §§ 280 ff, 311 a, 323, 326 V wie im Kaufrecht (§ 437) oder Werkvertragsrecht (§ 634) ist nicht vorhanden.

III. Begründung des Mietverhältnisses 985

Das Mietverhältnis ist ein vertragliches Schuldverhältnis (§ 311 I) und wird begründet durch Abschluss eines Mietvertrags. Hierfür ist lediglich eine Einigung der Parteien über Mietgegenstand und Entgelt erforderlich, sowie darüber, dass die Überlassung zum Gebrauch erfolgt. Für alle anderen Punkte hält das Gesetz teils dispositive, teils zwingende Regelungen bereit. In der Literatur wird der Begriff „Mietverhältnis“ nicht einheitlich verwendet. Zum Teil wird erst der Zeitraum ab Beginn der tatsächlichen Gebrauchsüberlassung als Mietverhältnis bezeichnet (vgl. nur Palandt/Weidenkaff Einf. v. § 535 Rdn. 2: „Abschluss des Mietvertrages (…) und Beginn des Mietverhältnisses (…) fallen meist nicht auf denselben Zeitpunkt.“), während andere ein Mietverhältnis immer schon mit Abschluss eines Mietvertrages annehmen (vgl. Schellhammer Schuldrecht Rdn. 175: „Der Mietvertrag begründet ein vertragliches Schuldverhältnis (…): das Mietverhältnis. Es entsteht schon mit Vertragsschluss, nicht erst mit Überlassung der Mietsache.“ – so auch BGHZ 73, 350). Da unbestritten sein dürfte, dass schon ab Vertragsschluss ein Schuldverhältnis besteht – der Vermieter wird zur Überlassung der Mietsache verpflichtet, § 241 I – reduziert sich das Problem auf die Frage, ob man dieses Schuldverhältnis schon ab Vertragsschluss als „Miet“verhältnis bezeichnet oder erst ab Beginn der Gebrauchsüberlassung. In dieser Darstellung wird der erstere Weg beschritten, da auch das Gesetz den Begriff „Mietverhältnis“ bereits ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses verwendet – vgl. z. B. § 557 I: Selbstverständlich können die Parteien eine Erhöhung der Miete auch schon vor Beginn der Gebrauchsüberlassung vereinbaren.

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Miete

§ 77 III 2

Inhaltlich reicht die Bestimmbarkeit der wesentlichen Vertragsbestandteile aus – so z. B., wenn die Parteien sich darüber einigen, dass die Höhe der Miete nach billigem Ermessen durch den Vermieter bestimmt werden soll (vgl. §§ 315, 316). Hinsichtlich des Mietobjekts geht das Gesetz von einer durch die Parteien konkret bestimmten Sache aus (Stückschuld), doch kommt auch eine gattungsmäßige Bezeichnung in Betracht – beispielsweise die Miete eines (beliebigen) Mittelklassewagens mit Automatikgetriebe bei einer Autovermietung. In diesem Fall müssen die auf Stückschuld ausgerichteten Regelungen des Mietrechts teilweise durch die Vorschriften des allgemeinen Teils zur Gattungsschuld modifiziert werden. So kann bei der Anwendung des § 536a I erster Fall beispielsweise nicht darauf abgestellt werden, ob der Mangel bereits bei Vertragsschluss vorhanden ist (es gibt bei Vertragsschluss ja noch gar keine konkrete Mietsache, die mangelhaft sein könnte), sondern es kommt gem. § 243 II auf den Zeitpunkt der Konkretisierung durch den Vermieter an. 1. Vertragsparteien Die Wahl des Mietpartners ist der privatautonomen Entscheidung der Parteien überlassen. Zu einem Vertragsabschluss mit einer bestimmten Person zwingen aber z. B. der Mietvorvertrag 8 und die Nachfolgeklausel im Mietvertrag, durch die sich der Vermieter verpflichtet, an einen geeigneten vom Mieter gestellten Nachmieter zu vermieten. Ohne eine solche Nachfolgeklausel ist der Vermieter grundsätzlich nicht verpflichtet, den Mieter vorzeitig aus dem Mietverhältnis zu entlassen und einen Nachmieter zu akzeptieren (hierzu unten Rdn. 1032 f).9 Stehen auf Vermieterseite mehrere Personen, sind diese grundsätzlich nach Bruchteilen berechtigt (§ 741) und nicht als Gesamthänder. Die Vermieter sind Mitgläubiger, so dass die Miete von ihnen nur gem. § 432 – also durch Forderung auf Leistung an alle – und nicht anteilig (§ 420) eingezogen werden kann. Den Mietgebrauch schulden sie gem. § 431 als Gesamtschuldner. Mehrere Mieter bilden im Innenverhältnis ebenfalls eine Bruchteilsgemeinschaft (§ 741), die Miete schulden sie jedoch gem. § 427 als Gesamtschuldner, sofern nicht mit dem Vermieter eine abweichende Vereinbarung getroffen worden ist.

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2. Miethöhe Treffen die Parteien keine Vereinbarung über die Miethöhe, wird nach h. M. die angemessene Miete geschuldet (Rechtsanalogie zu §§ 612 II, 632 II).10 Dies wird jedoch in der Praxis der Ausnahmefall sein. Grundsätzlich unterliegt die Miethöhe der freien Vereinbarung der Parteien. Für die Wohnraummiete setzen allerdings § 5 I WiStrG (Ordnungswidrigkeit durch Vereinbarung einer unangemessen hohen Miete) und § 291 I 1 Nr. 1 StGB (Mietwucher) – jeweils in Verbindung mit § 134 – der Vertragsfreiheit der Parteien Grenzen. Ein Verstoß gegen eine dieser Vorschriften führt nach § 134 jedoch nicht zur Nichtigkeit des Vertrags, da dies den Mieterschutz in sein Gegenteil verkehren würde, sondern lediglich zu einer Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Miethöhe. Es stellt sich dann das Problem, was an die Stelle der vereinbarten Miete tritt. Teilweise wird vertreten, der Mieter schulde in diesem Fall die höchste gesetzlich zulässige 8 Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 Rdn. 4. 9 Vgl. BGH NJW 1963, 1299; BGH NJW 1981, 43; OLG Karlsruhe NJW 1981, 1741. 10 Soergel/Heintzmann, §§ 535, 536 a. F. Rdn. 232.

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Miete.11 Hierdurch wird zwar der Parteiwille in größtmöglichem Umfang aufrechterhalten, doch sprechen die besseren Argumente dafür, in diesem Fall die ortsübliche Vergleichmiete i. S. d. § 558 II als vereinbart anzusehen,12 da ansonsten der Vermieter für sein rechtswidriges Verhalten durch eine geltungserhaltende Reduktion belohnt würde. Ausnahmen von der Freiheit der Preisgestaltung bestehen außerdem im öffentlichen Wohnungsbaurecht für preisgebundenen Wohnraum: Die Miete für Sozialwohnungen und solchen Wohnraum, der staatlich gefördert errichtet wurde, unterliegt nach dem Wohnungsbindungsgesetz und nach dem Wohnraumförderungsgesetz einer Preisbindung. Auch nach der Mietrechtsreform gilt weiterhin der Grundsatz der Warmmiete. Mit der vereinbarten Miete sind grundsätzlich auch die Betriebskosten (Nebenkosten) abgegolten, solange die Parteien nichts anderes vereinbaren. Für die Wohnraummiete wird die Vereinbarung einer Kostentragungspflicht des Mieters durch die §§ 556 ff reglementiert. Möglich ist die Abwälzung jedoch nur für bestimmte Betriebskosten, die in § 19 II des Wohnraumförderungsgesetzes i. V. m. der Betriebskostenverordnung (BetrKV) 13 aufgeführt sind, 556 I (z. B. Grundsteuer, Wasser, Heizkosten, Müll, Gebäude- und Schornsteinreinigung, nicht aber allgemeine Verwaltungs- oder Finanzierungskosten, Instandhaltungskosten). Für die Umlage der Heizkosten gilt die Heizkostenverordnung: 14 Im Gegensatz zu den anderen Betriebskosten ist die Vereinbarung einer Pauschale hier unzulässig. Möchte der Vermieter eine Mieterhöhung durchsetzen, ist für diese Vertragsänderung grundsätzlich eine Vereinbarung zwischen den Parteien erforderlich (vgl. §§ 311 I, 557 I 15). Diese Einigung kann aber auch mit Wirkung für die Zukunft bereits im Mietvertrag enthalten sein. Für die Wohnraummiete sieht das Gesetz in dieser Hinsicht die Möglichkeit vor, dass die Parteien für bestimmte Zeiträume die Miete in unterschiedlicher Höhe vereinbaren (Staffelmiete, § 557a), oder dass sie die Miete an den vom Statistischen Bundesamt ermittelten Preisindex für die Lebenshaltung privater Haushalte in Deutschland koppeln (Indexmiete, § 557b). Wohnraummiete liegt vor, wenn Räume nach dem vereinbarten Vertragszweck zum Bewohnen durch den Mieter (also insbesondere Schlafen, Essen, Kochen, dauernde private Benutzung) vermietet werden. Daher begründet z. B. die Vermietung eines Gebäudes an eine Person, die in diesem Gebäude ein Studentenwohnheim betreiben will, kein Mietverhältnis über Wohnraum. Der Zweck ist in diesem Falle nicht das Wohnen durch den Mieter, sondern die Untervermietung.16

Haben sich die Parteien nicht bereits im Vertrag über eine Erhöhung der Miete geeinigt, könnte eine solche Änderung nach der Grundregel des § 557 I („vereinbaren“) nicht einseitig vom Vermieter durchgesetzt werden, obwohl hierfür (z. B. nach umfangreichen Modernisierungsmaßnahmen) ein dringendes und nachvollziehbares Bedürfnis bestehen kann. Dem Vermieter bliebe in diesem Fall nur die Möglichkeit einer Kündigung des Mietvertrags zum Zwecke der Erhöhung der Miete – sei es, dass sich der Mieter unter dem Druck der Kündigung mit einer Mieterhöhung einverstanden erklärt, sei 11 12 13 14 15

Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 330. Kohte, NJW 1982, 2803 (2806 f); Zimmermann, JR 1982, 96; Oechsler, Vertragsrecht, Rdn. 582. BGBl. 2003 I 2346. I. d. F. v. 20. 1. 1989, BGBl. I 115. § 557 I ist ein Beispiel dafür, dass weniger manchmal mehr ist: Er ist nicht nur wegen Selbstverständlichkeit überflüssig, sondern könnte zu dem fehlerhaften Umkehrschluss verleiten, dass eine Mietsenkung nicht vereinbart werden kann. 16 Vgl. BGH WM 1979, 148; BGH WM 1982, 1390.

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es, dass der Vermieter die Wohnung nach der Kündigung zu einer höheren Miete an einen neuen Mieter vermieten kann. Gerade eine solche Änderungskündigung wird aber für die Wohnraummiete durch § 573 I 2 ausgeschlossen. Damit der Bau und die Unterhaltung von Mietwohnungen nicht auf Dauer unrentabel werden, hat der Gesetzgeber drei Möglichkeiten vorgesehen, die dem Vermieter eine Anpassung der Miethöhe auch ohne Zustimmung des Mieters ermöglichen (vgl. § 557 III). Erstens hat der Vermieter gem. §§ 558–558 e unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete, wenn diese bisher unter dem Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Zweitens kommt gem. §§ 559–559 b eine Erhöhung der Miete in Betracht, nachdem der Vermieter Modernisierungsmaßnahmen i. S. d. § 554 II durchgeführt hat. Drittens können Erhöhungen der Betriebskosten gem. § 560 umgelegt werden. Diese Vorgaben sind einseitig zwingend, d. h. von ihnen kann nur zum Vorteil, nicht aber zum Nachteil des Mieters abgewichen werden. Zu Einschränkungen s. § 549 II, zum Sonderkündigungsrecht des Mieters nach Mieterhöhung s. § 561. 3. Form Mietverträge können grundsätzlich formlos geschlossen werden. Eine Ausnahme findet sich in den §§ 550, 578 I, II S. 1 für Mietverträge über Wohnraum, sonstige Räume und Grundstücke, die für eine längere Zeit als ein Jahr abgeschlossen werden. In diesem Fall bedarf es der Schriftform (bzw. wegen § 126 III i. V. m. § 126 a der elektronischen Form). Zweck dieses Formerfordernisses ist in erster Linie, einem eventuellen Erwerber des Grundstücks die Möglichkeit zu geben, sich über die übernommenen Rechte und Pflichten aus einem langfristigen Mietvertrag (vgl. § 566 – hierzu unten Rdn. 1027ff) zu informieren.17 Wird gegen das Formerfordernis verstoßen, hat dies nicht gem. § 125 S. 1 die Nichtigkeit des Vertrags zur Folge, sondern lediglich die Unwirksamkeit der Mietzeitabrede: Der Vertrag gilt gem. § 550 S. 1 als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er kann durch Kündigung beendet werden, jedoch nicht vor Ablauf eines Jahres nach Überlassung des Wohnraums (§ 550 S. 2).

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IV. Rechte des Mieters – Pflichten des Vermieters Hauptpflicht des Vermieters ist es gem. § 535 I S. 1, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache zu gewähren. Hierzu gehört nach S. 2 vor allem, dass er dem Mieter die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand überlässt und sie während der Mietzeit in diesem Zustand erhält.

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1. Überlassung Überlassen bedeutet Übergeben (§ 854): Der Vermieter hat dem Mieter im Regelfall den unmittelbaren (Allein- oder Mit-)Besitz an der Mietsache und deren Zubehör (z. B. Hausschlüssel) einzuräumen. Er selbst bleibt nur noch mittelbarer Besitzer (§ 868). Die Sache muss in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand – also frei von Mängeln – übergeben werden. Bestehen Mängel, ist der Vermieter verpflichtet,

17 BGHZ 72, 394 (399); Emmerich, BGB-Schuldrecht BT § 7 Rdn. 14. Vgl. BGH NJW 2004, 2962.

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diese zuvor zu beseitigen. Die Vereinbarung der Parteien und die Verkehrssitte entscheiden über die Reichweite des vertragsgemäßen Gebrauchs. Beispiele: Ein Mietwagen muss sich in verkehrssicherem Zustand befinden. Räume, die zum Zwecke des Betriebs einer Gaststätte vermietet werden, müssen die Anforderungen an die Erteilung einer Gaststättenerlaubnis erfüllen.

Mit der Pflicht zur Überlassung ist zugleich eine Pflicht zur Belassung verbunden. Der Vermieter darf dem Mieter während der Mietzeit den Besitz an der Sache nicht entziehen, wenn der Gebrauch ohne Besitz nicht möglich ist. 2. Erhaltung 993

Neben der Pflicht zur Überlassung steht in § 535 I S. 2 gleichrangig die Pflicht zur Erhaltung der vertragsgemäßen Gebrauchsmöglichkeit (Instandhaltungspflicht). Diese erfordert, dass der Vermieter während der Mietzeit alle erforderlichen Erhaltungs- und Reparaturarbeiten vornimmt, wozu auch die Beseitigung der durch den Gebrauch des Mieters resultierenden Abnutzungserscheinungen an der Mietsache gehört. Diese Veränderungen oder Verschlechterungen, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt werden, hat der Mieter nämlich nach § 538 nicht zu vertreten. Da § 536 I S. 3 nicht für die Instandhaltungspflicht des Vermieters gilt, hat dieser auch unerhebliche Minderungen der Gebrauchstauglichkeit zu beseitigen. Die Pflicht zur Instandhaltung ist – anders als die Pflicht zur mangelfreien Überlassung (vgl. § 536 IV) – abdingbar. Häufig wird dem Mieter die Durchführung von sog. Schönheitsreparaturen aufgebürdet (vgl. Rdn. 1017f). 3. Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs

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Der genaue Umfang der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien richtet sich nach dem Mietvertrag und nach der (örtlichen) Verkehrssitte (§§ 133, 157, 242, 535). Die Rechte des Mieters werden hierbei häufig unter dem Stichwort „vertragsgemäßer Gebrauch“ zusammengefasst. Die Pflicht des Vermieters zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache stellt dabei nur einen Ausschnitt dar; er ist darüber hinaus verpflichtet, den vertragsgemäßen Gebrauch des Mieters zu dulden und alles zu unterlassen, was den Mieter in diesem Gebrauch stören könnte. Beispiel: Werden Geschäfts- oder Praxisräume vermietet, darf der Vermieter dem Mieter in unmittelbarer Nähe weder selbst Konkurrenz machen noch Räume an Konkurrenten des Mieters vermieten, wenn dies dem wirtschaftlichen Sinn des Mietvertrags widerspricht.18

Mangels abweichender Vereinbarung gehören bei der Wohnraummiete zum vertragsgemäßen Gebrauch beispielsweise die Aufnahme der nächsten Angehörigen in die Wohnung, die Benutzung und Beleuchtung von Keller, Fluren, Treppen und sonst. Nebenräumen, die Einrichtung eines Telefonanschlusses, das Aufstellen und die Nutzung von Rundfunk-, Fernseh- und Küchengeräten, das Musizieren im angemessenen Rahmen, bei einer Wohnung mit Heizung die angemessene Beheizung der Räume etc.19 In diesem Zusammenhang ist auch auf § 554a hinzuweisen, die sog. Barrierefreiheit. Danach kann der Mieter unter bestimmten Voraussetzungen die Zustimmung des Vermieters zu

18 BGHZ 70, 79 (80 f); Oechsler, Vertragsrecht, Rdn. 536. 19 Vgl. die 75-seitige Kommentierung zur Kasuistik des vertragsgemäßen Gebrauchs bei SchmidtFutterer/Eisenschmid, § 535 Rdn. 220–532.

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baulichen Veränderungen der Mietsache verlangen, wenn dies erforderlich ist, eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache zu ermöglichen. Dagegen überschreitet der Mieter die Grenze des ihm zustehenden Gebrauchsrechts, wenn er beispielsweise durch übermäßige Geräusch- oder Geruchsbildung Mitmieter oder Dritte stört, große Tiere in der Wohnung hält, die Mietsache beschädigt, gefährdet oder weitervermietet. Im Falle eines vertragswidrigen Gebrauchs kann der Vermieter nach einer entsprechenden Abmahnung des Mieters auf Unterlassung klagen (§ 541 – hierzu Rdn. 1016). 4. Erfüllungsanspruch und Gewährleistungsrechte a) Erfüllungsanspruch Erfüllt der Vermieter die oben genannten Hauptpflichten nicht, so behält der Mieter zunächst seinen ursprünglichen Erfüllungsanspruch, den er auch neben den Gewährleistungsrechten geltend machen und mit Hilfe der Einrede des nichterfüllten Vertrags (§ 320) effektiv durchsetzen kann.20

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Beispiel: Wird die Mietsache im Lauf der Zeit mangelhaft, so richtet sich der Anspruch des Mieters aus § 535 I S. 2 Alt. 2 auf Beseitigung des Mangels; diesen Anspruch kann der Mieter durchsetzen, indem er die Zahlung desjenigen Teils der Miete nach § 320 (teilweise) verweigert, der nicht ohnehin schon wegen des Mangels nach § 536 I durch Minderung entfallen ist.

Die Einrede des nichterfüllten Vertrags ist Ausfluss des Erfüllungsanspruchs aus § 535 I, der nicht durch die Gewährleistungsregel des § 536 berührt wird. § 536 berücksichtigt den aktuellen Minderwert der Mietsache für den Mieter, während § 320 den Zweck hat, den Vermieter zur Beseitigung des Mangels anzuhalten. Diese unterschiedlichen Funktionen werden nach einer Mängelbeseitigung durch den Vermieter deutlich: Der nach § 320 einbehaltene Teil der Miete muss vom Mieter Zug um Zug gegen Beseitigung des Mangels gezahlt werden,21 während die Miete für die Zeit der Mangelhaftigkeit der Sache nach § 536 endgültig gemindert bleibt. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Mieter nach § 320 II i. V. m. § 242 nicht berechtigt ist, die gesamte Miete zurückzuhalten.22 Die Höhe des Teils, der vom Mieter zurückbehalten werden darf, ist im Einzelfall schwer zu bestimmen; er richtet sich nach dem Grad der Vertragsuntreue des Vermieters und dem Maß der Beeinträchtigung des Mieters. Der Mieter verliert seinen Erfüllungsanspruch, wenn dem Vermieter die Gewährung des Gebrauchs unmöglich wird (§ 275 I) oder die Leistung des Vermieters „einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse“ des Mieters steht (§ 275 II). In letzterem Fall erlischt der Erfüllungsanspruch zwar nicht, aber das Gesetz gewährt dem Vermieter ein Leistungsverweigerungsrecht. Zum alten Recht hatte der BGH entschieden, dass der Vermieter bei einem unverschuldeten Untergang eines Gebäudes nicht zu einer Neuerrichtung verpflichtet ist, sondern wegen Unmöglichkeit von seiner Leistungspflicht befreit wird.23 Nach neuem Recht ist wie folgt zu differenzieren: Haben die Parteien einen Mietvertrag über eine genau bezeichnete Mietsache geschlossen und wird diese zerstört, wird

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BGH NJW 1982, 2242; BGH NJW 1995, 254. Vgl. Joachim, DB 1986, 2649. Staudinger/Emmerich, § 536 Rdn. 61. BGH NJW 1992, 1036.

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der Vermieter nach § 275 I von seiner Leistungspflicht befreit, wenn eine Wiederherstellung der Mietsache unmöglich ist. Beispiel: Der Prado in Madrid mietet vom Louvre in Paris da Vinci’s „Mona Lisa“ für eine zweimonatige Ausstellung. Das Gemälde wird durch einen Brand zerstört. Der Vermieter wird hierdurch von seiner Pflicht zur Gebrauchsüberlassung des Gemäldes befreit (§ 275 I).

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Fraglich ist, ob sich an diesem Ergebnis etwas ändert, wenn eine Wiederherstellung der Mietsache zwar nicht möglich ist, die Parteien die Mietsache aber im Vertrag nur gattungsmäßig bezeichnet haben. Beispiel: Der bei einer Autovermietung gemietete „Mittelklassewagen mit Automatikgetriebe“ wird bei einem Unfall zerstört, wobei keine der Mietparteien den Untergang des Fahrzeugs zu vertreten hat. Eine Reparatur des Fahrzeugs ist nicht möglich. Kann der Mieter Überlassung eines anderen gleichwertigen Fahrzeugs nach § 535 I S. 1 verlangen?

Im Kaufrecht ergibt sich die Lösung aus § 243 II: Mit Übergabe (und Übereignung) des verkauften Fahrzeugs tritt – da der Verkäufer das zur Leistung seinerseits Erforderliche getan hat – Konkretisierung ein, so dass sich das Schuldverhältnis auf diese Sache beschränkt und der Verkäufer im Falle des Untergangs der Sache nicht zur Lieferung einer anderen gleichwertigen verpflichtet ist. Im Mietrecht könnte man an diesem Ergebnis zweifeln, da die Pflicht des Vermieters zur Überlassung der vereinbarten Sache nicht mit Übergabe endgültig erlischt, sondern als Gebrauchsgewährungspflicht fortbesteht. Folglich hätte der Vermieter mit Übergabe nicht alles seinerseits zur Erfüllung des Mietvertrags erforderliche getan, da als weitere Hauptpflicht die Pflicht zur Erhaltung und Gewährung des Gebrauchs andauert. Auf diese Weise darf § 243 II jedoch nicht interpretiert werden. Die Vorschrift lässt zugunsten des Schuldners nach Konkretisierung der Sache die Leistungsgefahr auf den Gläubiger übergehen. Hat der Vermieter also eine Mietsache „mittlerer Art und Güte“ ausgesondert und dem Mieter zum Gebrauch überlassen, so hat der Vermieter insofern alles Erforderliche getan. Folge ist, dass sich das Mietverhältnis von diesem Zeitpunkt an auf die überlassene Sache beschränkt: Erhaltungs- und Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters beziehen sich nur noch auf diese Sache. Dies ermöglicht dem Vermieter eine uneingeschränkte Disposition über die anderen verfügbaren Gattungssachen, da er nicht damit rechnen muss, diese eventuell dem Mieter zur Verfügung stellen zu müssen. Wenn eine Wiederherstellung der Mietsache hingegen prinzipiell möglich ist, so wird der Vermieter allenfalls nach § 275 II von seiner Leistungspflicht frei. Beispiel: Eine (teilweise) abgebrannte Lagerhalle könnte wiederaufgebaut, ein zerstörtes Gebäude neu errichtet werden. Auch in diesem Fall wird man häufig zu dem Ergebnis kommen, dass die Opfergrenze des Vermieters überschritten ist und er sich auf das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II berufen kann. Allerdings kann nach § 275 II S. 2 bei dem Maß der dem Vermieter zuzumutenden Anstrengungen auch berücksichtigt werden, ob er das Leistungshindernis zu vertreten hat.

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Die Gewährleistungsrechte des Mieters sind in den §§ 536–536d geregelt – Minderung, Schadensersatz und (subsidiär) Aufwendungsersatz. Haftungsgrund ist die gesetzliche Garantie, dass sich die Mietsache bei Übergabe uneingeschränkt zum vertragsgemäßen Gebrauch eignet.24 Als dritte Sanktion auf eine Pflichtverletzung des Vermieters kommt neben dem Anspruch auf Erfüllung und den Gewährleistungsrechten eine außerordentliche fristlose Kündigung (§ 543) in Betracht, die im Zusammenhang mit der Beendigung des Mietverhältnisses behandelt wird (Rdn. 1052ff). 24 BGHZ 9, 320; 49, 350; 63, 333; 93, 142; BGH NJW 1991, 3277.

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b) Mangel Der Begriff des Sachmangels ist weitgehend identisch mit dem des Kaufrechts. Auch im Mietrecht gilt der subjektive Fehlerbegriff: Ein Sachmangel liegt vor, wenn die Istbeschaffenheit der Mietsache hinter der vereinbarten Sollbeschaffenheit zurückbleibt. Dieser Mangel muss die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch aufheben oder mindern. Maßstab für die Sollbeschaffenheit ist der Gebrauchszweck, der in erster Linie durch die Vereinbarung der Parteien und sekundär durch die Verkehrsanschauung bestimmt wird. Eine Abweichung zum Kaufrecht ergibt sich aus § 536 I 3, wonach eine nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit unberücksichtigt bleibt.25 Als Mängel kommen zunächst solche in Betracht, die der Substanz der Mietsache anhaften. Beispiele: Defekte Fenster, übermäßige Feuchtigkeitsbildung in den Mieträumen trotz ausreichender Lüftung, kleinere Wohnfläche als vereinbart,26 statische Unsicherheit, schlechte Isolation, unwirtschaftliche Heizung, eine defekte Bremsanlage beim gemieteten Kfz, etc.

Ferner kann ein Mangel begründet sein durch mangelhafte Beziehungen der Mietsache zur Umwelt. Beispiele: Das Wohnhaus liegt in einem hochwassergefährdeten Gebiet 27 oder hält bautechnisch nicht einem gewöhnlichen Hochwasser stand; 28 Beeinträchtigung des Mietgebrauchs durch Lärm, Gestank, Ruß, Rauch oder Abgase vom Nachbargrundstück, gegen die der Vermieter vorgehen kann. Muss der Vermieter die Beeinträchtigungen im Außenverhältnis zum Verursacher nach § 906 dulden, ist umstritten, ob der Mieter dennoch zu einer geminderten Mietzahlung berechtigt ist. Das BayOblG 29 bejaht dies mit der Erwägung, dass in diesem Fall dem Vermieter ein Ausgleichsanspruch gegen den Nachbarn gem. § 906 II S. 2 entstehe. Dagegen spricht jedoch zweierlei: Zum einen wäre der Vermieter gezwungen, zwei Rechtsstreite zu führen (einen mit dem Mieter über die Höhe des Minderungsbetrags und einen mit dem Nachbarn auf Entschädigung) und zum anderen wird der Anspruch aus § 906 II S. 2 nach Enteignungsgrundsätzen bemessen und kann daher hinter dem Minderungsbetrag (also der tatsächlichen Tauglichkeitseinbuße) zurückbleiben. Daher erscheint es vorzugswürdig, § 906 I analog auf das Innenverhältnis zwischen Vermieter und Mieter zu übertragen und – jedenfalls bei Fehlen vorrangiger Beschaffenheitsvereinbarungen oder Zusicherungen – die Normalbeschaffenheit der Mietsache am Maßstab des § 906 zu beurteilen.30

Schließlich werden auch öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen als Sachmängel eingeordnet, was der Rechtslage bei § 434 I entspricht (vgl. Rdn. 911). Beispiele: Abbruchverfügung, Bau-,31 Bezugs-32 oder Benutzungsverbot,33 Verbot einer Diskothek im Wohngebiet,34 vereinbarter Umbau einer Praxis scheitert am bestehenden Denkmalschutz,35 Verweigerung einer Gaststättenerlaubnis wegen ungeeigneter Räume oder fehlender Autostellplätze.36

25 Dies entspricht dem Stand des Kaufrechts vor dem SMG, s. § 459 I 2 a. F. 26 Ohne weiteres bei Abweichung von mehr als 10 %: BGH NJW 2004, 1947; 2004, 3115; 2005, 2152 (gilt auch bei der Miete von Geschäftsräumen). 27 BGH NJW 1971, 424. 28 BGH DB 1976, 816. 29 BayObLG NJW 1987, 1950. 30 Vgl. Oechsler, Vertragsrecht, Rdn. 549 m. w. N. 31 BGH NJW 1992, 1384. 32 BGH NJW 1963, 804. 33 BGH NJW 1980, 777. 34 BGHZ 68, 294. 35 BGH NJW 1999, 635. 36 BGH NJW 1992, 3226.

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Mangelhaft ist eine Mietsache nach § 536 II auch dann, wenn ihr eine zugesicherte Eigenschaft fehlt oder diese später wegfällt. Eine Zusicherung des Vermieters erfordert, dass dieser die vertragliche Garantie übernimmt, für das Fehlen der Eigenschaft einzustehen. Nach § 536 III werden Rechtsmängel den Sachmängeln gleichgestellt. Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache durch das Recht eines Dritten ganz oder zum Teil entzogen wird. Klassisches Beispiel eines Rechtsmangels ist der Fall der Doppelmiete. Beispiel: Der Vermieter vermietet die Mietsache zu früh an einen neuen Mieter, wobei er übersieht, dass das Mietverhältnis zum Vormieter noch nicht beendet ist. Der Vormieter verweigert daraufhin zu Recht die Herausgabe der Sache. – Ein Rechtsmangel (des Untermietverhältnisses) liegt auch dann vor, wenn der Vermieter die Zustimmung zur Untervermietung verweigert und die Mietsache vom Untermieter herausverlangt.

c) Minderung 1000

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Nach § 536 I 1 ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch durch das Vorliegen eines Mangels aufgehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit. Die Minderung im Mietrecht ist vom Gesetzgeber nicht als ein Gestaltungsrecht des Mieters oder als Anspruch des Mieters auf Herabsetzung der Miete konzipiert worden, sondern tritt unmittelbar kraft Gesetzes ein. Gleiches gilt in dem häufigeren Falle des S. 2: Bei einer Minderung der Tauglichkeit reduziert sich die Verpflichtung zur Mietzahlung auf ein angemessen herabgesetztes Maß. Die Minderung setzt zwar nicht voraus, dass der Vermieter den Mangel zu vertreten hat, wohl aber, dass dieser nicht vom Mieter allein oder weit überwiegend verschuldet wurde (§ 326 II S. 1 Alt. 1 analog). In diesem Fall besteht ein Schadensersatzanspruch des Vermieters (hierzu Rdn. 1016), der darüber hinaus den Anspruch auf die volle Miete behält. Die genaue Höhe der Minderung ist häufig schwer zu beziffern, da sie sich nach den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall richtet (Größe der Wohnung, Maß der Beeinträchtigung etc.).37 Deshalb können auch die in der Praxis gebräuchliche Minderungstabellen die Mietparteien im Streitfall nicht völlig von dem Risiko eines (teilweisen) Prozessverlusts bewahren (vgl. § 287 ZPO). Ein vollständiges Entfallen der Pflicht zur Mietzahlung kommt nur in Betracht, wenn die Gebrauchstauglichkeit völlig entfällt, beispielsweise für den Zeitraum, für den der Vermieter die Sache in Besitz nimmt, um einen Mangel beseitigen zu lassen.38 Hat der Mieter die wegen Minderung nicht geschuldete Miete bereits gezahlt, stellt sich die Frage nach einer Rückforderung des zuviel gezahlten Teils. Anders als im Kaufoder Werkvertragsrecht (§§ 441 IV, 638 IV) kennt das Mietrecht keinen eigenen vertraglichen Rückabwicklungsanspruch. Deshalb muss der Mieter die rechtsgrundlos gezahlte Miete kondizieren, wovon auch der Gesetzgeber – wie § 556b II S. 1 zeigt – ausgeht. Hierzu steht ihm die condictio indebiti (§ 812 I 1 Alt. 1) zur Verfügung, wenn der Mangel zum Zeitpunkt der Mietzahlung bereits vorlag, oder die condictio ob causam finitam (§ 812 I 2 Alt. 1), wenn der Mangel erst nach der Zahlung der Miete entsteht.

37 Franke, ZMR 1996, 297; Rspr.-Übersicht bei Mutter ZMR 1995, 189. 38 BGH NJW 1987, 432.

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d) Schadensersatz Neben der Minderung kann der Mieter nach § 536a Schadensersatz verlangen. Die Norm umfasst drei Fälle: Zum einen die Garantiehaftung des Vermieters für Mängel, die bereits bei Vertragsschluss vorlagen und für die er unabhängig von einem Vertretenmüssen auf Schadensersatz haftet (1. Fall). Für nach Vertragsschluss entstehende Mängel haftet der Vermieter, wenn er den mangelbegründenden Umstand zu vertreten hat (2. Fall) oder wenn er mit der Beseitigung eines Mangels in Verzug kommt (3. Fall). Für das Vorliegen eines Mangels bei Vertragsschluss reicht es aus, dass die Mangelursache als Gefahrenquelle bereits angelegt war, zu einem Schaden muss es noch nicht gekommen sein.

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Beispiel: Drohen aufgrund mangelhafter Isolierung Feuchtigkeitsschäden in der Wohnung, so ist die Sache auch dann mangelhaft, wenn noch keine Wasserflecken oder sonstigen Schäden aufgetreten sind.

Der Anspruch erfasste nach früherer Terminologie den Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Seit dem SMG spricht § 536a nur noch von „Schadensersatz“, womit jedoch keine inhaltliche Änderung verbunden ist – ersetzt werden immer noch alle Schäden, die der Mieter aufgrund der mangelhaften Leistung erlitten hat, wozu auch Mangelfolgeschäden gehören.39 Andernfalls hätte § 536a kaum einen eigenen Anwendungsbereich, da der Mangelschaden als Minderwert der Sache bereits über die Minderung der Miete berücksichtigt wird. Zu ersetzen sind dem Mieter daher beispielsweise auch Vertragskosten, entgangener Gewinn und sonstige Umsatzeinbußen (§ 252), nutzlose Aufwendungen, Kündigungsfolgeschaden und Schäden, die der Mieter an seiner Gesundheit oder seinem Vermögen erleidet. Die uneingeschränkte Garantiehaftung des § 536 a I erster Fall wird vielfach als unbillig angesehen, was zu verschiedenen Versuchen einer Begrenzung der Haftung geführt hat. Ein häufig zitiertes Beispiel von Siber 40: Der Benutzer einer Mietbücherei erkrankt an einer ansteckenden Krankheit, deren Erreger der Vormieter auf dem Buch hinterlassen hatte. Ohne eine Begrenzung der Garantiehaftung würde der Vermieter für sämtliche (Mangelfolge-)Schäden einstehen müssen.

Ein Teil der Lehre versucht eine Begrenzung der Haftung durch eine Differenzierung zwischen Mangel- und Mangelfolgeschaden zu erreichen.41 Während die Garantiehaftung für Mangelschäden uneingeschränkt gelte, solle der Vermieter für Mangelfolgeschäden nur im Falle von Verschulden einzustehen haben. Damit würde die Garantiehaftung des Vermieters aber nahezu entwertet, da § 536a gerade bei Mangelfolgeschäden entscheidende Bedeutung erlangt. Der Zweck der strengen Haftung des Vermieters für anfänglich vorhandene Mängel kann darin gesehen werden, dass der Mieter darauf vertrauen können soll, eine Sache von einwandfreier Beschaffenheit vom Vermieter zu erhalten. Bis zur Übergabe der Sache ist es nämlich nur dem Vermieter möglich, die Sache auf Mängel zu untersuchen und diese vor der Gebrauchsüberlassung an den Mieter zu beseitigen. Dieses Vertrauen ist aber auch und gerade hinsichtlich der den Mieter besonders empfindlich treffenden Mangelfolgeschäden schutzwürdig.

39 BGH NJW 1962, 908; BGH NJW 1971, 424. 40 Siber, Schuldrecht S. 284. 41 Weimar, MDR 1960, 555; MüKo/Voelskow 3, § 538 a. F. Rdn. 13.

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Anders als bei § 276 I 1, wo die Haftung ohne Verschulden aus einer vom Schuldner selbst übernommenen Garantie resultieren kann, wird dem Vermieter die mietrechtliche Garantiehaftung aber durch das Gesetz auferlegt. Eine vernünftige Begrenzung dieser gesetzlichen Garantie und der Einstandspflicht des Vermieters kann daher über den Schutzzweck der Norm erreicht werden. Wenn dieser Zweck im Vertrauensschutz des Mieters zu sehen ist, geht der Schutz des Mieters nur so weit, wie sein Vertrauen schutzwürdig ist. Entscheidend ist, was ein objektiver Dritter in der Position des Mieters vom Vermieter an Einstandspflichten erwarten darf.42 Sicherlich darf erwartet werden, dass der Vermieter die Mietsache gründlich auf Mängel untersucht; dagegen darf sich der Mieter nicht darauf verlassen, dass keine Mängel vorliegen, die selbst bei äußerster Sorgfalt für niemanden erkennbar waren. Für solche verborgenen Mängel, die sich faktisch jeder Feststellungsmöglichkeit entziehen, haftet der Vermieter daher nicht. Auf diese Weise kann die Garantiehaftung auf den Kernbereich schutzwürdigen Vertrauens zurückgeführt werden (str.). e) Aufwendungsersatz 1004

Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Mieter gem. § 536a II einen Mangel der Mietsache selbst beseitigen und Ersatz der dafür erforderlichen Aufwendungen verlangen – zum einen, wenn der Vermieter mit der Beseitigung des Mangels in Verzug ist (Nr. 1) und zum anderen, wenn die umgehende Beseitigung des Mangels zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Mietsache notwendig ist (Nr. 2). Andere Aufwendungen kann der Mieter gem. § 539 I nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683) ersetzt verlangen oder aufgrund eines Bereicherungsanspruchs herausverlangen (vgl. hierzu Rdn. 1058). f) Ausschluss der Gewährleistungsrechte

1005

Die Gewährleistungsrechte sind nach § 536b ausgeschlossen, wenn der Mieter bei Vertragsschluss den Mangel der Mietsache kannte oder – wenn der Vermieter ihn nicht arglistig verschwiegen hat – infolge grob fahrlässiger Unkenntnis nicht kannte (§ 536 b S. 2). § 536 b berührt nicht den Erfüllungsanspruch aus § 535 I 2, so dass der Mieter trotz Kenntnis des Mangels bei Vertragsschluss die Beseitigung vom Vermieter verlangen kann.43 Wird dem Mieter eine mangelhafte Sache übergeben und kennt er den Mangel bei der Übergabe, so behält er seine Gewährleistungsrechte nur, wenn er sich diese bei der Annahme vorbehält (§ 536 b S. 3). Andernfalls gibt er durch die vorbehaltlose Annahme zu erkennen, dass der durch den Mangel beeinträchtigte Gebrauch vertragsgemäß ist, selbst wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat.44 Umstritten ist, ob der Haftungsausschluss des § 536b S. 1 (§ 539 a. F.) analog auf den Fall anzuwenden ist, dass der Mieter den Mangel der Mietsache erst später erkennt und dennoch die volle Miete weiterzahlt. Unter Geltung des alten § 539 hatte der BGH die vorbehaltlose Weiterzahlung der Miete über einen längeren Zeitraum als Verwirkungstatbestand angesehen und die analoge Anwendung des § 539 a. F. bejaht.45 Zum neuen Recht ist der BGH hiervon abgekehrt.46 Dies ist zu

42 Hassold, JuS 1975, 550 (551); Jauernig/Teichmann, § 536 a Rdn. 8; Oechsler, Vertragsrecht, Rdn. 559. 43 OLG Köln NJW-RR 1993, 466 (467); Schenkel, NZM 1998, 502. 44 BGH WM 1978, 227. 45 BGH NJW-RR 1992, 267; NJW 1997, 2674.

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begrüßen. Nach der Systematik des Gesetzes bezieht sich § 536b auf die Kenntnis des Mieters zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, § 536c dagegen auf die nachträgliche Kenntniserlangung. Danach gilt folgendes: Zahlt der Mieter über einen längeren Zeitraum und ohne jeden Vorbehalt die Miete trotz Kenntnis eines Mangels ungekürzt weiter, kann er zwar – soweit ihm sein Recht zur Herabsetzung der Miete bekannt ist – die „Überzahlung“ nicht zurückfordern (§ 814 BGB); jedoch ist er nicht mehr durch sein bisheriges Verhalten an einer Minderung der Miete für die Zukunft gehindert. Ein solcher Ausschluss auch für die Zukunft kommt daher nur noch im Ausnahmefall in Betracht – bei einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht oder wenn die Voraussetzungen einer Verwirkung gegeben sind (§ 242).47

Ein Ausschluss der Gewährleistungsrechte ergibt sich ferner aus § 536 c II S. 2. Nach § 536c I S. 1 Alt 1 obliegt es dem Mieter, dem Vermieter unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 I S. 1) – anzuzeigen, wenn sich im Laufe der Mietzeit ein Mangel an der Mietsache zeigt. Die Anzeigeobliegenheit ist Folge der dem Mieter obliegenden Obhutspflicht für die Mietsache. Die Obhutspflicht ergibt sich aus dem umfassenden Besitzrecht des Mieters an der Sache, das den Vermieter von jeglichem Zugriff ausschließen kann.48 Der Begriff des Mangels in § 536 c erfasst jede Verschlechterung der Mietsache, die dem Vermieter Anlass geben kann, zu deren Schutz einzuschreiten; unerheblich ist, ob die Brauchbarkeit der Mietsache durch den Mangel beeinträchtigt wird oder nicht.49 Die Obliegenheit zur Anzeige besteht nach § 536c I S. 1 Alt. 2 auch, wenn eine Maßnahme zum Schutz der Mietsache gegen eine nicht vorhergesehene Gefahr erforderlich wird (drohendes Hochwasser, Sturm, Frost etc.) oder wenn ein Dritter sich ein Recht an der Sache anmaßt (§ 536 c I S. 2). Unterlässt der Mieter die erforderliche Anzeige, so verliert der Mieter nach § 536c II S. 2 Nr. 1–3 sein Recht zur Minderung (§ 536), seinen Anspruch auf Schadensersatz (§ 536 a I) und sein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ohne Abhilfefrist (§ 543 III S. 1), soweit der Vermieter infolge der Unterlassung der Anzeige nicht Abhilfe schaffen konnte. – Trotz seiner Obliegenheitsverletzung behält der Mieter sowohl seinen Anspruch auf Aufwendungsersatz (§ 536a II) als auch deliktische Ansprüche aus den §§ 823ff wegen einer Verletzung der Sicherungs- und Prüfungspflicht durch den Vermieter.50 Schließlich kann sich ein Ausschluss der Gewährleistungsrechte auch aus einer Vereinbarung der Parteien ergeben, wobei jedoch § 536 d und – bei einem Haftungsausschluss in allgemeinen Geschäftsbedingungen – § 309 Nr. 7 lit. a und b zu beachten sind. Die Rspr hat eine isolierte Abbedingung der Garantiehaftung (§ 536 a I erster Fall) in AGB nicht als Verstoß gegen § 307 II Nr. 2 angesehen, da der Garantiehaftung kein Leitbildcharakter im Mietrecht zukomme.51

46 BGH NJW 2003, 2601. 47 Vgl. hierzu Bamberger/Roth/Ehlert, § 536b Rdn. 9 m. w. N. 48 Aus diesem Grund kommt eine teleologische Reduktion der Vorschrift in Betracht, wenn der Vermieter im Einzelfall nicht von dem Zugriff auf die Mietsache ausgeschlossen ist und daher mindestens ebenso wie der Mieter in der Lage ist, auftretende Mängel oder Gefahren zu erkennen (Beispiel: Vermietung einer Hauswand am Wohnhaus des Vermieters zu Werbezwecken). 49 BGHZ 68, 281 (283); Bamberger/Roth/Ehlert, § 536 c Rdn. 6. 50 Staudinger/Emmerich, § 536 c Rdn. 19; Bamberger/Roth/Ehlert, § 536c Rdn. 13. 51 BGH NJW-RR 1991, 74 (75) m. w. N.

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Gebrauchsüberlassungsverträge

g) Verhältnis der Gewährleistung zu anderen Rechten 1008

Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Gewährleistungsrechte ergeben sich Abgrenzungsfragen zu Rechtsbehelfen des Allgemeinen Teils und des allgemeinen Schuldrechts. Grundsätzlich gilt, dass das mietrechtliche Gewährleistungsrecht in seinem Anwendungsbereich die allgemeinen Rechtsinstitute ausschließt. Die Einzelheiten sind heftig umstritten, die Rechtslage unklar. aa) Verhältnis zur Anfechtung

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Die §§ 119 I, 123 sind neben den §§ 536 ff anwendbar, da kein innerer Bezug zum Gewährleistungsrecht besteht. Die Anfechtung nach § 119 II ist dagegen für den Mieter ausgeschlossen, soweit die verkehrswesentliche Eigenschaft zugleich einen Sachmangel darstellt (str.).52 bb) Verhältnis zu den allgemeinen Schadensersatz- und Rücktrittsregelungen

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Ein Abgrenzungsproblem zwischen den §§ 536 f und den allgemeinen Regeln zu Schadensersatz und Rücktritt stellt sich nur bei Vorliegen eines Sachmangels: Beruht die nicht ordnungsgemäße Erfüllung des Mietvertrags also nicht auf einem Sachmangel (z. B. verspätete Übergabe der Mietsache) oder liegt (nachträgliche) Unmöglichkeit vor, sind ohne weiteres die §§ 326, 283, 286, 280 anwendbar. Teilweise wird eine Anwendung des § 536a I zweiter und dritter Fall auch bei einer nachträglichen Zerstörung der Mietsache angewendet, wenn die Zerstörung auf einen Mietmangel zurückzuführen ist; 53 sachliche Unterschiede ergeben sich jedoch nicht, da eine Haftung des Vermieters nur bei Vertretenmüssen in Betracht kommt und die Verjährung sich in beiden Fällen nach den §§ 195, 199 richtet. Von Bedeutung ist diese Frage allerdings bei anfänglicher Unmöglichkeit. Schadensersatz nach § 311 a II setzt Vertretenmüssen voraus, während § 536 a I Alt. 1 eine Garantiehaftung vorsieht. Zu differenzieren ist zwischen vollständiger Unmöglichkeit und unbehebbaren Mängeln. Bei Zerstörung der Mietsache vor Vertragsschluss gilt § 311 a. Bei unbehebbaren Mängeln, welche bereits bei Vertragsschluss vorliegen, geht § 536a vor. Ohne Vorrang des § 536 a würde die hier vorgesehene Garantiehaftung ausgehebelt (str.).54 Ähnlich wie beim Kaufrecht sollte der Vorrang der Gewährleistungsregeln erst ab Gebrauchsüberlassung angenommen werden (Ausnahme: § 536 a I letzter Fall); vorher ist allgemeines Leistungsstörungsrecht anwendbar (str.).55 – Verlangt der Mieter Rücktritt bzw. Kündigung, stehen ihm vor Übergabe sowohl die Rechte aus § 323 als auch die aus § 543 (ggf. i. V. m. § 569) zu. Nach der Gebrauchsüberlassung kann sich der Mieter nur noch über § 543 (ggf. i. V. m. § 569) durch Kündigung vom Vertrag lösen.

52 Jauernig/Teichmann, § 536 Rdn. 2; a. A. Palandt/Weidenkaff, § 536 Rdn. 12; zur Parallelproblematik beim Kauf s. o. Rdn. 896. 53 Larenz, II/1 § 48 III b. 54 Überblick über den Meinungsstand beispielsweise bei Palandt/Weidenkaff § 536a Rdn. 3ff. 55 Bamberger/Roth/Ehlert, § 536 Rdn. 6, § 536a Rdn. 5; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 320 f; Palandt/Weidenkaff, § 536 Rdn. 8, § 536a Rdn. 3; a. A. Jauernig/Teichmann, § 536 Rdn. 2; Oechsler, Vertragsrecht Rdn. 574.

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cc) Verhältnis zu §§ 311 II, 280 I Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 311 II, 280 I (vor der Schuldrechtsreform aus c.i.c.) wird grundsätzlich durch die §§ 536 f verdrängt, soweit der Anwendungsbereich dieser Vorschriften reicht (str.).56 Für Ansprüche aus §§ 311 II, 280 I ist dagegen Raum, wenn sich das vorvertragliche Verschulden nicht auf einen Sachmangel bezieht.57

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V. Rechte des Vermieters – Pflichten des Mieters 1. Miete Die Zahlung der Miete ist Hauptleistungspflicht des Mieters. Zumeist ist die Miete in wiederkehrenden Zeitabständen zu entrichten; notwendig ist dies jedoch nicht. Insbesondere bei kurzfristigen Mietverhältnissen (z. B. der Miete eines Autos oder eines Buches) kommt auch eine einmalige Mietzahlung in Betracht, mit der die gesamte Dauer der Gebrauchsüberlassung abgegolten wird. In der Praxis wird als Miete nahezu immer eine Geldzahlung vereinbart, doch ist auch dies nicht zwingend. Möglich ist, dass die Überlassung der Mietsache (z. B. einer Wohnung) mit einer regelmäßigen Dienstleistung (z. B. Gartenarbeit oder Hausmeistertätigkeit) oder einer sonstigen Gegenleistung abgegolten wird. Zur Fälligkeit der Miete finden sich Regelungen in § 556b I für die Wohnraummiete und in § 579 für die sonstigen Mietverhältnisse. Nach § 556 b I ist die Miete für Wohnraum – soweit nichts anderes vereinbart ist – im Voraus, spätestens bis zum dritten Werktag der vereinbarten Abrechnungsperiode zu zahlen. Gleiches gilt nach § 579 II für die Raummiete. Die Miete für sonstige Sachen ist nach § 579 I weiterhin erst am Ende der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten. Die periodisch zu zahlende Mietforderung entsteht nicht bereits insgesamt mit Abschluss des Mietvertrags, sondern erst mit Beginn des jeweiligen Zeitabschnitts, für den die Miete bemessen ist.58 Der Anspruch auf die Miete ist daher befristet und nicht betagt, was Relevanz für die Vorausabtretung oder Pfändung künftiger Mietforderungen hat. Insofern regeln die §§ 556b I, 579 nicht die Fälligkeit, sondern die Entstehung des Mietanspruchs. Nach § 537 I 1 wird der Mieter nicht dadurch von der Entrichtung der Miete befreit, dass er die Mietsache aus persönlichen Gründen nicht gebrauchen kann. Die Miete ist die Gegenleistung für die Gebrauchsmöglichkeit, nicht für die tatsächliche Inanspruchnahme. Beispiel: Aufgrund einer Augenerkrankung kann der Bibliotheksbenutzer das gemietete Buch nicht lesen; der Mieter zieht vorzeitig aus der gemieteten Wohnung aus und verweigert die weitere Vertragserfüllung oder zieht gar nicht erst ein.59

Der Vermieter muss sich aber nach § 537 I 2 das anrechnen lassen, was er aus einer anderweitigen Verwertung des Gebrauchs erlangt. Befreit wird der Mieter von der Pflicht zur Mietzahlung nach § 537 II, wenn der Vermieter den Gebrauch der Mietsache einem Dritten überlässt. Diese Befreiung tritt jedoch nicht ein, wenn der sonst vertragstreue Vermieter die Wohnung weitervermietet, da der Mieter ohne Rücksicht auf den weiter bestehenden Mietvertrag einfach ausgezogen ist und keine Miete mehr bezahlt

56 57 58 59

BGH NJW 1980, 777; a. A. Emmerich, FS Honsell (2002) 209 (217 ff). Zu den notwendigen Differenzierungen s. o. im Zusammenhang mit dem Kaufrecht Rdn. 899ff. Vgl. BGH NJW 2003, 2601. BGH NJW 2000, 1105.

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hat; in einem solchen Fall ist dem Mieter die Berufung auf ein Unvermögen des Vermieters als gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung verwehrt.60 Wird die Miete nicht gezahlt, kann der Vermieter seinen Erfüllungsanspruch nach § 535 II einklagen. Daneben steht ihm aus §§ 280 II, 286 ein Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens zu, wobei eine Mahnung nach § 286 II Nr. 1 entbehrlich ist, wenn für die Leistung der Miete – wie im Regelfall – eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Ein Rücktritt des Vermieters nach § 323 kommt jedoch nach Übergabe der Mietsache nicht mehr in Betracht, da diese Vorschrift durch die Regelungen zur Kündigung aus wichtigem Grund (§§ 543, 569) verdrängt wird (vgl. hierzu Rdn. 1052ff). 2. Obhuts- und Sorgfaltspflicht

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Da der Vermieter im Regelfall während der Mietzeit von dem Zugriff auf die Sache ausgeschlossen ist, muss der Mieter ihr aufgrund des Mietvertrags die erforderliche Obhut und Sorgfalt zukommen lassen, vgl. § 536c. Hierzu gehört, dass der Mieter die Sache pflegt, eine gemietete Wohnung also beispielsweise sauber hält und lüftet. Andererseits muss der Vermieter akzeptieren, dass der Mieter innerhalb der Grenzen des vertragsgemäßen Gebrauchs grundsätzlich frei darin ist, auf welche Weise er sich in der Wohnung einrichtet. Auch eine völlig chaotische, unaufgeräumte oder sogar verwahrloste Einrichtung der Wohnung stellt keine Verletzung der Sorgfaltspflicht dar, solange keine Schäden an der Wohnung selber drohen. Beispiel: 61 Ein unter dem sog. „Messie-Syndrom“ leidender Mieter einer Wohnung stapelt eine Unzahl von Gegenständen weitgehend auch auf dem Fußboden, wobei es sich aber nicht um biologischen Müll, sondern um Gegenstände wie Flaschen, Kartons, Plastiksäcke, Zeitschriften und Kleidungsstücke handelt. Solange der Wohnung keine Gefahr droht, überschreitet dieses Verhalten nicht die Grenzen des mietrechtlich Zulässigen. Zu der Frage, ob dies den Vermieter zu einer (fristlosen) Kündigung berechtigt, vgl. unten Rdn. 1054.

Nach § 536 c I hat der Mieter dem Vermieter jeden Sachmangel, jede unvorhergesehene Gefahr für die Mietsache und jede Rechtsanmaßung eines Dritten unverzüglich anzuzeigen, damit dieser rechtzeitig Abhilfe schaffen kann. Unterlässt der Mieter die Anzeige, so verliert er nicht nur nach § 536 c II S. 2 seine Gewährleistungsrechte und sein Kündigungsrecht nach § 543 III S. 1, sondern er ist auch dem Vermieter zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 536 c II 1). Erforderlich ist, dass der Mieter schuldhaft gehandelt hat (§§ 276, 278). Dies ergibt sich daraus, dass „Anzeige“ in § 536c II 1 die unverzügliche Anzeige nach § 536 c I 1 meint und damit ein Verschuldenselement in Bezug genommen wird – vgl. § 121 I 1: „ohne schuldhaftes Zögern“. Der Vermieter ist so zu stellen, wie er bei rechtzeitiger Anzeige des Mangels oder der Gefahr stünde; erforderlich ist also auch hier ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Unterlassung der Anzeige und dem eingetretenen Schaden. 3. Einhaltung des vertragsmäßigen Gebrauchs 1016

Der Mieter darf die Mietsache nur innerhalb der durch den Vertrag gezogenen Grenzen gebrauchen. Zum Gebrauch verpflichtet ist der Mieter nur ausnahmsweise dann, wenn der Nichtgebrauch zu einem Schaden an der Mietsache führen kann, z. B.

60 BGH NJW 1993, 1645. Es bleibt aber auch in diesem Fall bei der Anrechnung nach § 537 I 2. 61 AG München NJW-RR 2003, 944.

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bei einem Reitpferd, das regelmäßigen Auslauf braucht. In diesem Fall ist der Nichtgebrauch kein „vertragsmäßiger Gebrauch“ im Sinn des § 538. Die Pflicht zur Einhaltung des vertragsmäßigen Gebrauchs ergibt sich konkludent aus den §§ 538, 540, 541, 543, welche die Folgen einer Verletzung dieser Pflicht regeln. Insbesondere bei der Wohnraummiete ist die Bestimmung der Grenzen häufig schwierig. Beispiele: Darf der Mieter fremde Personen in die Wohnung aufnehmen oder ihnen Teile der Wohnung überlassen? Darf der Mieter in der Wohnung zugleich seinem Beruf nachgehen, also ein Büro einrichten oder als Tagesmutter fremde Kinder betreuen? Darf er Wohnungsfenster zur Wahlwerbung benutzen? Darf er Haustiere halten? Darf er bauliche Veränderungen vornehmen?

In erster Linie ist auf die getroffenen Vereinbarungen zwischen Vermieter und Mieter abzustellen; ist eine bestehende Hausordnung Bestandteil des Mietvertrags geworden, ist auch diese für den Mieter verbindlich. In zweiter Linie werden die Grenzen des vertragsmäßigen Gebrauchs durch eine Abwägung der gegenläufigen Interessen von Mieter und Vermieter bestimmt. Genauer geregelt ist im Gesetz die Gebrauchsüberlassung an Dritte. Hierzu ist der Mieter ohne Erlaubnis des Vermieters grundsätzlich nicht berechtigt (§ 540). Grundsätzlich fällt unter § 540 die Einräumung des Besitzes an der ganzen Mietsache oder eines Teiles davon an einen Dritten zum Allein- oder Mitgebrauch. Die Gebrauchsgewährung an andere Personen wird jedoch dann nicht von § 540 erfasst, wenn sich diese Überlassung lediglich als Ausübung des vertragsmäßigen Gebrauchs durch den Mieter darstellt. Dies wird angenommen bei Personen, die zum Zwecke der gemeinschaftlichen Haushaltsführung vom Mieter in die Wohnung aufgenommen werden – beim Ehegatten oder Lebenspartner, näheren Familienangehörigen, Hauspersonal etc. Diese gelten dann nicht als „Dritte“ im Sinne des § 540. Bei der Wohnraummiete hat der Mieter unter bestimmten Voraussetzungen bei berechtigtem Interesse einen Anspruch auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an Dritte (§ 553). Überschreitet der Mieter den vertragsmäßigen Gebrauch, kann der Vermieter nach einer Abmahnung des Mieters auf Unterlassung klagen (§ 541) oder nach § 543 II Nr. 2 fristlos kündigen. Bei einer schuldhaften Überschreitung des Gebrauchs steht dem Vermieter außerdem nach § 280 (evtl. auch § 823 I) ein Schadensersatzanspruch zu. Beispiel: Einem Mann wird bei einem Kneipenbesuch zunächst der Wagenschlüssel seines Mietwagens aus einem Rucksack neben seinem Stuhl und dann das gemietete Auto gestohlen. Das OLG Düsseldorf 62 verneinte einen Schadensersatzanspruch des Vermieters, da der Mieter aufgrund der AGB des Vermieters nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haftete. Der Mieter sei aber nicht verpflichtet gewesen, den Schlüssel am Körper zu tragen. Das OLG Hamm 63 sprach einer Mietfirma in einem ähnlichen Fall einen Schadenersatz in Höhe von mehr als 20.000 Euro zu. Die Mieterin hatte nach einer Karnevalsfeier im betrunkenen Zustand ihre Jacke mit dem Mietwagenschlüssel in der Gaststätte zurückgelassen. Am nächsten Morgen hatte sie den Diebstahl des Fahrzeugs bemerkt.

4. Schönheitsreparaturen Unter Schönheitsreparaturen versteht man das Ausbessern von Dekorationsmängeln, die durch das Abwohnen der Mietwohnung entstehen. Umfasst werden das Streichen, Tapezieren oder Kalken von Wänden, Decken, Fußböden, Innentüren, Heizkörpern und -rohren, Außentüren und Fenstern von innen. Die Pflicht zur Durchführung dieser Reparaturen obliegt grundsätzlich nach § 535 I 2 dem Vermieter, doch kann sie jedenfalls durch eine Individualvereinbarung ohne weiteres auf den Mieter abgewälzt 62 OLG Düsseldorf NJW-RR 2004, 971. 63 OLG Hamm NJW-RR 2004, 1097.

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werden.64 Auch in diesem Fall bleibt die Pflicht zur Durchführung der Reparaturen Hauptleistungspflicht, da sie als Ersatz für die andernfalls höher ausfallende Mietzahlungspflicht fungiert.65 Gegen eine Übertragung der Pflicht in einem Formularvertrag spricht an sich § 307 II in Verbindung mit § 535 I, doch wird auch dies von der überwiegenden Meinung mit gewissen Beschränkungen zugelassen. Zulässig ist es, den Mieter zur Vornahme der Schönheitsreparaturen nach dem Grad der Abnutzung zu verpflichten,66 wenn sichergestellt ist, dass der Mieter nicht für Abnutzungen vor Mietbeginn einzustehen hat. Danach ist eine Klausel unzulässig, die dem Mieter die Verpflichtung einer Anfangsrenovierung auferlegt.67 Zwar kann dem Mieter eine unrenovierte Wohnung übergeben werden, doch muss in diesem Fall sichergestellt sein, dass die für die Schönheitsreparaturen vorgesehenen Fristen erst mit Übergabe zu laufen beginnen.68 Die Fälligkeit der Schönheitsreparatur richtet sich nach der Vereinbarung der Parteien; in der Praxis werden häufig Fristenpläne vereinbart, die eine Renovierung von Küchen und Bädern nach drei Jahren, von Wohn- und Schlafräumen, Fluren, Dielen und Toiletten nach fünf Jahren und anderer Nebenräume nach sieben Jahren vorsehen. Diese Fristen sind nicht zu beanstanden, wenn sie nicht „starr“ gehandhabt werden, d. h. es muss eine Ausnahme für den Fall aufgenommen werden, dass trotz Ablauf der Fristen ein Renovierungsbedarf noch nicht eingetreten ist (z. B. bei geringer Nutzung oder langlebigen Tapeten oder Farben).69 Eine unangemessene Unterschreitung der Fristen führt dagegen zur Unwirksamkeit der Klausel nach §§ 307, 535 I. Dem Mieter die Endrenovierung zu übertragen ist nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt dieser Renovierung ohnehin die übliche oder vereinbarte Frist seit der letzten Schönheitsreparatur abgelaufen ist.70 Unzulässig ist daher eine Klausel in einem Formularvertrag, die den Mieter verpflichtet, die Mieträume bei Beendigung des Mietverhältnisses unabhängig vom Zeitpunkt der Vornahme der letzten Schönheitsreparaturen renoviert zu übergeben.71 Der Mieter kann aber durch eine sog Abgeltungsklausel dazu verpflichtet werden, sich angemessen an den Kosten der noch nicht fälligen Reparatur zu beteiligen.72 Bei Nichtdurchführung der Schönheitsreparaturen kann der Vermieter zunächst seinen Erfüllungsanspruch auf Vornahme einklagen und nach § 887 ZPO durch Ersatzvornahme vollstrecken. Schadensersatz statt der Leistung kann der Vermieter unter den Voraussetzungen der §§ 280 I, 281 I bzw. §§ 280 I, 283 S. 1 fordern. Insofern ist jedoch zu differenzieren, ob der Vermieter den Schadensersatzanspruch während des Mietverhältnisses oder erst nach dessen Beendigung geltend macht. Zieht der Mieter am Ende des Mietverhältnisses aus der Wohnung aus, ohne die Schönheitsreparaturen vorgenommen zu haben, zu denen er vertraglich verpflichtet war, so kann der Vermieter nach 64 Viel zu weitgehend allerdings BGH NJW 2004, 2961, wonach die Parteien es aufgrund Verkehrssitte als „selbstverständlich“ ansehen, daß der Mieter die Schönheitsreparaturen zu tragen hat. 65 BGH NJW 1977, 36; BGHZ 77, 301 (305). 66 BGH NJW 1998, 3114. 67 OLG Hamburg NJW-RR 1992, 10. 68 BGH NJW 2005, 425. 69 BGH NJW 2004, 2586. 70 BGH NJW 1998, 3140. 71 BGH NJW 2003, 2234; NJW 2005, 2006 (auch bei der Miete von Geschäftsräumen). 72 BGH NJW 1988, 2790; BGH NJW 1998, 3114. Die Abgeltungsklausel ist allerdings hinfällig, wenn der Fristenplan unwirksam ist, BGH NJW 2006, 1728.

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erfolglosem Ablauf einer angemessenen Frist – die nach § 281 II entbehrlich sein kann – nach §§ 280 I, 281 I Schadensersatz verlangen.73 Selbst wenn der Vermieter die Schönheitsreparaturen durch den Nachmieter auf dessen Kosten hat vornehmen lassen, kommt ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, 283 S. 1 in Betracht: Die Herbeiführung des Leistungserfolges ist dem Vormieter – nachdem der Nachmieter die Reparaturen durchgeführt hat – unmöglich geworden. Ein Schaden des Vermieters liegt bei normativer Betrachtung ebenfalls vor, da eine Vorteilsanrechnung aufgrund der Vornahme der Reparaturen durch den Nachmieter nicht in Betracht kommt. Der Nachmieter bezweckte durch seine Leistung nicht, den Vormieter zu entlasten. Der Gefahr, dass der Vermieter die Schönheitsreparatur zweimal verlangt 74 – als Schadensersatz vom Vormieter, und in natura vom Nachmieter – kann man begegnen, indem man dem Nachmieter einen Anspruch auf Abtretung der Ansprüche des Vermieters gegen den Vormieter zubilligt. Während des Mietverhältnisses kommt nach Ansicht des BGH ein Schadensersatzanspruch des Vermieters nach §§ 280 I, 281 I nicht in Betracht.75 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die Durchführung der Schönheitsreparaturen während der Mietzeit lediglich dem Mieter zugute kommt. Sinn und Zweck der vom Mieter übernommenen Schönheitsreparaturen erschöpfe sich daher bei fortbestehendem Mietverhältnis in der tatsächlichen Erbringung der geschuldeten Leistung. Dieser Besonderheit würde eine Umwandlung des Erfüllungsanspruchs in einen Schadensersatzanspruch, in dessen Verwendung der Vermieter frei wäre, nicht gerecht. Der BGH billigt dem Vermieter bei fortbestehendem Mietverhältnis daher nur einen Anspruch auf Kostenvorschuss nach §§ 536a II, 637 III analog zu und stellt ihn damit so, wie er nach einem erstrittenen Leistungsurteil auf Vornahme der Reparaturen stünde, das er dann nach § 887 ZPO durch Ersatzvornahme vollstrecken könnte. 5. Sonstige Reparaturen Bei der Verpflichtung des Mieters zu sonstigen Reparaturen ist die Rechtsprechung wesentlich restriktiver. Uneingeschränkt möglich ist die Abwälzung der gesamten Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht nur durch Individualvertrag und bei der gewerblichen Miete, solange die Grenzen der §§ 138, 242 eingehalten werden. Die formularvertragliche Übertragung bei der Wohnraummiete wird hingegen zum Schutz des Mieters nur zugelassen bei sog Bagatellschäden, die an solchen Teilen des Mietobjekts auftreten, die der Mieter häufig nutzt und die seinem ständigen Zugriff ausgesetzt sind. Zudem ist bei der Überwälzung dieser Kleinreparaturen die Angabe einer betragsmäßigen Grenze für jede einzelne Reparatur und für die Summe aller Kleinreparaturen in einem bestimmten Zeitraum (z. B. Kalenderjahr) erforderlich, um ein für den Mieter unkalkulierbares Risiko zu vermeiden.76 Weitergehende Klauseln sind in Formularverträgen über Wohnraum nach §§ 307 I, II Nr. 1, 535 I S. 2 unzulässig. 73 Nimmt der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses Umbauarbeiten vor, hat er lediglich einen Ausgleichsanspruch in Geld, aber keinen Schadensersatzanspruch, BGH NJW 1985, 480; 2005, 425. 74 Emmerich, BGB-Schuldrecht, § 7 Rdn. 35. 75 BGH NJW 1990, 2376 (zu § 326 a. F.); 2005, 1862; vgl. zum alten Recht Sonnenschein, JZ 1991, 567; Enderlein, AcP 192 (1992), 288 (294 ff). 76 BGH NJW 1989, 2247; BGH NJW 1992, 1759: Als Grenze für einen einzelnen Schaden wurde ein Betrag von 150 DM, als Höchstbetrag für das gesamte Jahr 6 % der Jahresbruttomiete nicht beanstandet.

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6. Duldungspflicht 1020

Nach § 554 hat der Mieter von Wohnraum bestimmte Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zu dulden. Während dies nach Abs. 1 für Maßnahmen, die der Erhaltung der Mietsache dienen, einschränkungslos gilt, findet sich für Modernisierungsmaßnahmen in Abs. 2 S. 2 eine Einwendung gegen den Anspruch des Vermieters auf Duldung. Der Mieter muss diese Maßnahmen dann nicht dulden, wenn sie für ihn oder Haushaltsangehörige eine Härte darstellen, die bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht zu rechtfertigen ist. Anhaltspunkte für die Interessenabwägung sind in Abs. 2 S. 3 und 4 genannt. Sowohl Abs. 1 als auch Abs. 2 lassen jedoch die Rechte des Mieters aus den §§ 536, 536 a unberührt.77 Wenn der Mieter beispielsweise nach Abs. 1 Erhaltungsmaßnahmen zu dulden hat, kann er trotzdem die Miete mindern, wenn die Maßnahmen zu einer nicht nur unerheblichen Minderung der Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch führen. Art, Umfang, Beginn, Dauer und Folgen von geplanten Modernisierungsmaßnahmen muss der Vermieter dem Mieter spätestens drei Monate vorher in Textform mitteilen (§ 554 III S. 1 mit Ausnahme in III S. 3). Der Mieter kann den Modernisierungsmaßnahmen und einer damit verbundenen Mieterhöhung (vgl. § 559) durch außerordentliche Kündigung nach Abs. 3 S. 2 entgehen. Dieses Sonderkündigungsrecht besteht für den Mieter auch bei befristeten Mietverhältnissen oder im Falle eines Kündigungsausschlusses und unabhängig davon, ob der Mieter zur Duldung der Maßnahmen verpflichtet war oder nicht.78 Ferner gibt § 554 IV dem Mieter einen Anspruch auf angemessenen Ersatz der baubedingten Aufwendungen, die der Mieter infolge einer Erhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahme machen musste. Nach § 554 V kann von den Abs. 2 bis 4 nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden.

VI. Sicherung der Rechte des Vermieters 1. Vermieterpfandrecht 1021

Bleibt der Mieter eines Wohnraums, sonstigen Raums oder Grundstücks die Miete schuldig, so soll sich der Vermieter aus den eingebrachten Sachen befriedigen können. Nicht zuletzt wegen der Vorleistungspflicht des Vermieters liegt in der Überlassung des Mietraums so viel Vertrauen, dass es gerechtfertigt scheint, den Vermieter gewöhnlichen Gläubigern vorzuziehen, deren Vertrauen enttäuscht wird. Darum bestimmt § 562, dass der Vermieter für grundsätzlich alle seine Forderungen aus dem Mietverhältnis ein gesetzliches Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters mit dem tatsächlichen Vorgang der Einbringung erwirbt. a) Entstehung

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Die Entstehung des Vermieterpfandrechts ist von drei Voraussetzungen abhängig. Zunächst muss ein wirksamer Mietvertrag über Wohnraum, ein Grundstück (§ 578 I) oder sonstige Räume (§ 578 II 1) bestehen. Wegen der Akzessorietät des Pfandrechts ist desweiteren eine Forderung des Vermieters erforderlich, wobei jedoch unerheblich ist, ob es sich um einen Miet- oder Scha77 Vgl. BGH NJW 1990, 453 (offengelassen); Bamberger/Roth/Ehlert, § 554 Rdn. 34, 38; SchmidtFutterer/Eisenschmid, § 554 Rdn. 302; Staudinger/Emmerich, § 554 Rdn. 50. 78 Bamberger/Roth/Ehlert, § 554 Rdn. 36.

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densersatzanspruch handelt. Selbst künftige, noch nicht fällige Forderungen werden durch das Pfandrecht gesichert, wobei § 562 II jedoch zwei Ausnahmen macht: Ausgenommen sind künftige Entschädigungsforderungen und Mietforderungen für eine spätere Zeit als das laufende und folgende Miet- (nicht Kalender-)Jahr. Auch bei unbefristeten Mietverhältnissen erstreckt sich also das Pfandrecht auf noch nicht fällige Mietforderungen. Schließlich ist eine eingebrachte Sache (§ 90) des Mieters erforderlich (bei Wertpapieren nur Inhaberpapiere und indossable Papiere, nicht aber Namens- oder Legitimationspapiere wie z. B. das Sparbuch 79). Nicht erfasst werden Sachen, die dem Mieter nicht gehören, wie z. B. Sachen des Untermieters, unter Eigentumsvorbehalt erworbene Sachen oder Sachen der Ehefrau, die den Mietvertrag nicht mit unterschrieben hat. Ist der Besitzer zwar nicht Allein-, aber Miteigentümer einer eingebrachten Sache, so unterfällt der Miteigentumsanteil dem Vermieterpfandrecht.80 Behauptet der Mieter dem Vermieter gegenüber fälschlich, eine eingebrachte Sache gehöre ihm, so findet kein gutgläubiger Erwerb des Pfandrechts an der Sache durch den Vermieter statt, da § 1207 nur auf das Vertragspfand Anwendung findet und § 1257 nur das bereits entstandene Pfandrecht meint, nicht die Entstehung selbst. Selbst wenn man entgegen der h. M.81 einen gutgläubigen Erwerb gesetzlicher Pfandrechte vom Nichtberechtigten grundsätzlich zuließe, könnte ein Vermieterpfandrecht dennoch nicht gutgläubig erworben werden: Dazu müsste der Vermieter nach §§ 1207, 932, 934 Besitzer sein. Das Vermieterpfandrecht entsteht aber besitzlos; Besitzer der eingebrachten Sachen ist allein der Mieter. Bei dem Erwerb einer Sache unter Eigentumsvorbehalt erwirbt der Vermieter aber ein gesetzliches Pfandrecht an der Anwartschaft.82 Vor der vollen Bezahlung des Kaufpreises nützt dem Vermieter das Pfandrecht an der Anwartschaft nicht viel. Nach Vollzahlung wird es aber zum Pfandrecht an der Sache. Der Vermieter kann durch Zahlung des Restkaufpreises an den Vorbehaltsverkäufer das Pfandrecht an der Sache erlangen. Überträgt der Mieter die Anwartschaft weiter, bleibt das Pfandrecht grundsätzlich bestehen.83 Problematisch ist die Eigentümerstellung des Mieters bei einem Zusammentreffen von Vermieterpfandrecht und Sicherungsübereignung durch Raumsicherungsvertrag. Ein solcher Raumsicherungsvertrag wird häufig zwischen Gewerbetreibenden und Banken vereinbart. Zur Sicherung der Forderungen der Bank aus der Geschäftsbeziehung zu dem Schuldner übereignet dieser alle ihm zustehenden gegenwärtigen und zukünftigen Rechte an den in einer bestimmten Lagerhalle deponierten Waren. Hat der Schuldner die vereinbarte Lagerhalle gemietet und bringt nach Abschluss eines solchen Raumsicherungsvertrags eine ihm gehörende Sache in die Lagerhalle ein, so geht das Eigentum an der Sache im selben Augenblick auf die Sicherungsnehmerin (Bank) über. Fraglich ist nur, ob die Sicherungsnehmerin das Eigentum mit dem Vermieterpfandrecht belastet erwirbt oder lastenfrei. Einen Blick auf die zeitliche Abfolge zwischen Eigentumsübergang und Pfandrechtsentstehung zu werfen, hilft nicht weiter: Die Voraussetzungen der Pfandrechtsentstehung liegen im selben Zeitpunkt vor wie der Eigentumsübergang auf die Sicherungsnehmerin (Einbringung der Sache ins Lager). Nach einem Teil der Literatur muss daher beiden Rechten gleicher Rang zukommen.84 Im Ergebnis

79 80 81 82 83 84

Palandt/Weidenkaff, § 562 Rdn. 7. RGZ 146, 334. BGHZ 34, 153. BGHZ 35, 85 (93); BGH NJW 1965, 1475. BGHZ 35, 85 (87). Von Martius, in Bub/Treier Handbuch der Geschäftsraummiete III A 857; Gnamm, NJW 1992, 2806; Weber/Rauscher, NJW 1988, 1571.

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führt dies bei einer Verwertung der Sachen zu einer Verteilung des Erlöses im Verhältnis der gesicherten Forderungen. Die Rspr. entscheidet sich jedoch für einen Vorrang des Vermieterpfandrechts.85 Dieses entsteht und geht mit der Übereignung an die Sicherungsnehmerin auf diese über. Für den BGH war u. a. entscheidend, dass es andernfalls zu einer Aushöhlung des Vermieterpfandrechts komme. Die durch Raumsicherungsvertrag besicherten Warenlager sind häufig auf einen Wechsel ihres Bestandes hin angelegt. Wenn alle neu – also nach Abschluss des Sicherungsvertrags – eingelagerten Sachen gleichrangig von Vermieterpfandrecht und Sicherungsübereignung erfasst würden, würde die Zahl der allein zu Gunsten des Vermieters verpfändeten Sachen stetig abnehmen. Nach einem kompletten Wechsel des Warenbestandes wären schließlich keine Sachen mehr vorhanden, die allein mit dem Vermieterpfandrecht belastet wären. Da aber Raumsicherungsverträge häufig als Kreditsicherungsmittel von Banken abgeschlossen werden, deren Forderungen die des Vermieters bei weitem übersteigen, fiele der Vermieter bei Eintritt des Sicherungsfalles mit dem größten Teil seiner Forderungen aus. Außerdem können die Banken die Forderungen des Vermieters bei der Bestimmung des Sicherungsvolumens leicht einkalkulieren, während der Vermieter diese Möglichkeit nicht hat. Insofern spricht vieles für einen Vorrang des Vermieterpfandrechts.

Dem Pfandrecht unterfallen nicht unpfändbare Sachen (§ 562 I S. 2), deren Umfang in § 811 I ZPO bestimmt ist. Eingebracht ist eine Sache, die der Mieter vor Beendigung des Mietverhältnisses willentlich und nicht lediglich zu einem vorübergehenden Zweck in die Mieträume schafft,86 wobei der Wille des Mieters nicht auf die Entstehung des Pfandrechts gerichtet zu sein braucht. Das Einbringen stellt einen Realakt dar, so dass Willensmängel oder Geschäftsfähigkeit unbeachtlich sind. b) Erlöschen 1023

Für das Vermieterpfandrecht gelten die allgemeinen Erlöschensgründe der pfandrechtlichen Vorschriften i. V. m. § 1257; es erlischt bei Pfandverkauf (§ 1242 II 1), bei Übertragung der Forderung und ausgeschlossenem Übergang des Pfandrechts (§ 1250 II), bei Erlöschen der Forderung aus dem Mietverhältnis (§ 1252), bei Aufhebung (§ 1255) und wenn der Vermieter Eigentümer der Sache wird (§ 1256). Ferner erlischt das Pfandrecht bei gutgläubigem lastenfreien Erwerb durch einen Dritten (§§ 936 I, II, 932 II). Eine grobfahrlässige Nichtkenntnis des Vermieterpfandrechts ist jedoch regelmäßig schon dann anzunehmen, wenn der Dritte die Sache in den Mieträumen erwirbt, da er in diesem Fall mit dem Bestehen eines Vermieterpfandrechts rechnen muss.87 Darüber hinaus enthält das Mietrecht noch einen eigenen Erlöschenstatbestand in § 562a: Das Pfandrecht erlischt mit der Entfernung der Sache vom Grundstück, es sei denn, die Entfernung erfolgt ohne Wissen oder unter Widerspruch des Vermieters, was der Vermieter zu beweisen hat („außer…“). In zwei Fällen ist der Widerspruch des Vermieters unbeachtlich: Wenn die Entfernung den gewöhnlichen Lebensverhältnissen des Mieters entspricht (z. B. Erneuerung verschlissener Möbel, Autobenutzung, Reisegepäck, normaler Warenverkauf und Verbringen der Tageseinnahmen zur Bank), und wenn sie das Sicherungsinteresse des Vermieters nicht beeinträchtigt, § 562 a S. 2. Falls dem Vermieter kein Widerspruchsrecht zusteht, führt eine Entfernung ohne Wissen

85 BGHZ 117, 200. 86 RGZ 132, 116 (118); Palandt/Weidenkaff, § 562 Rdn. 6; Bamberger/Roth/Ehlert, § 562 Rdn. 12; Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht § 11 Rdn. 47. 87 BGH WM 1965, 704.

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gleichwohl zum Pfandrechtsverlust: Der Vermieter ist in diesem Fall nicht schutzwürdig.88 Mit Abtretung der Mietforderung geht auch das Vermieterpfandrecht auf den Zessionar über, § 401. Nach § 562c kann der Mieter durch Sicherheitsleistung (§§ 232ff) jede Sache von dem Pfandrecht befreien und dessen Geltendmachung abwenden. c) Rechte aus dem Pfandrecht Das Pfandrecht gibt dem Vermieter ein – über § 229 hinausgehendes – Selbsthilferecht, durch das er die unberechtigte Entfernung von Sachen mit Gewalt und ohne Anrufung des Gerichts verhindern kann, soweit er dieser Entfernung zu Recht widersprechen kann (§ 562 b); beim Auszug des Mieters darf er die Sachen in seinen Besitz nehmen. Sind Sachen unberechtigt entfernt worden, kann der Vermieter (vom Mieter oder von Dritten) Rückschaffung oder Aushändigung an sich verlangen. Macht der Vermieter innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Monat seinen Herausgabeanspruch nicht gerichtlich geltend, erlischt das Pfandrecht, 562b II. Das gleiche gilt, wenn das Pfandrecht an der Anwartschaft auf die Sache besteht.89 Tritt Pfandreife ein, darf der Vermieter die dem Pfandrecht unterliegenden Sachen durch Verkauf verwerten (§§ 1257, 1228 ff). Schließlich hat der Vermieter ein Recht auf vorzugsweise Befriedigung gem. § 805 ZPO: Er kann zwar nicht die Pfändung der eingebrachten Sache durch einen Dritten verhindern, hat aber bei einer anschließenden Verwertung Recht auf vorrangige Befriedigung. Nur soweit der Erlös die gesicherte Forderung des Vermieters übersteigt, wird er an den die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger ausgekehrt.90 In der Insolvenz des Mieters hat der Vermieter aufgrund seines Pfandrechts ein Recht zu abgesonderter Befriedigung, § 50 InsO. Ungesichert sind jedoch Mietforderungen des Vermieters, die aus einer früheren Zeit als dem letzten Jahr vor der Pfändung bzw. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stammen (§ 562d und § 50 II InsO).

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2. Kaution In der Praxis hat die Stellung einer Kaution als Sicherungsmittel das Vermieterpfandrecht zu einem Großteil abgelöst, da sich die Verwertung einer zumeist in bar gestellten Kaution, die sich zudem bereits in Vermieterhand befindet, einfacher gestaltet als die Verwertung der mit dem Vermieterpfandrecht belasteten Sachen in der Wohnung des Mieters. Eine Regelung zur Kaution findet sich in § 551, der auf alle Mietsicherheiten Anwendung findet. Nach § 551 I 1 darf die Sicherheit höchstens das Dreifache einer Monatsmiete ohne die als Pauschale oder Vorauszahlung ausgewiesenen Betriebskosten betragen. Diese Summe muss der Vermieter nach Abs. 3 verzinslich von seinem eigenen Vermögen getrennt anlegen, also beispielsweise auf einem Anderkonto. Hierdurch wird der Mieter davor geschützt, dass Gläubiger des Vermieters in den Kautionsbetrag vollstrecken

88 BGHZ 120, 368 (375); Palandt/Weidenkaff, § 562 a Rdn. 7; Bamberger/Roth/Ehlert, § 562a Rdn. 8; a. A. Werner, JR 1972, 235. 89 BGHZ 35, 85. 90 Der Pfändungspfandgläubiger kann den Vermieter jedoch u. U. darauf verweisen, dass die übrigen, seinem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen zu seiner Sicherung ausreichen (Rechtsgedanke des § 562a S. 2 Alt. 2), BGHZ 27, 227.

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können. Auch wenn der Vermieter formal Vollrechtsinhaber der Kaution ist, steht der Betrag bis zum Eintritt des Sicherungsfalles wirtschaftlich dem Mieter zu, so dass dieser Vollstreckungsmaßnahmen anderer Gläubiger mit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO abwenden kann. Im Rahmen der Insolvenz des Vermieters steht dem Mieter ein Aussonderungsrecht zu, welches den Schutz des Mieters abrundet.91 Dem Vermieter kommt eine Treuhandstellung zu, da er sein Recht trotz seiner Vollrechtsinhaberschaft im Innenverhältnis zum Mieter nur im Rahmen der Sicherungsabrede zu dem dort bestimmten Zweck ausüben darf. Grundsätzlich muss der Vermieter die Geldsumme bei einem Kreditinstitut zu dem für Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist üblichen Zinssatz anlegen. Die Zinsen aus der Anlage der Mietsicherheit stehen dem Mieter zu und erhöhen die Sicherheit, § 551 III S. 3 u 4. Seit der Mietrechtsreform 2001 können die Parteien aber andere Anlageformen vereinbaren, wobei auch eine spekulative Investition in Aktienoder Immobilienfonds in Betracht kommt. Dies ist jedoch mit Risiken für beide Parteien verbunden – den Mieter trifft ein Kursverlust unmittelbar; der Vermieter verliert seine Sicherheit.92 Nach Beendigung des Mietverhältnisses ist der Vermieter verpflichtet, innerhalb einer angemessenen Frist (i. d. R. 3 bis 6 Monate) über die Kaution abzurechnen. Versäumt er dies, wird der Anspruch des Mieters auf Rückzahlung der Kaution fällig.93 Hingegen kann der Vermieter sich während des Mietverhältnisses bezüglich seiner offenen Forderungen jederzeit aus der Kaution befriedigen und Ergänzung der Kautionssumme verlangen.94

VII. Wechsel der Vertragsparteien 1. Wechsel des Vermieters a) Veräußerung der Mietsache 1027

Um den Mieter wäre es schlecht bestellt, wenn sein obligatorisches Recht aus § 535 gegen den Vermieter mit dessen Eigentum an der Mietsache enden würde. Jede Übereignung würde zwar den Vertrag mit dem bisherigen Eigentümer fortbestehen lassen, diesem aber die Gewährung des Gebrauchs an den Mieter unmöglich machen. Der Mieter hätte statt des Anspruchs auf Gebrauchsüberlassung ein Recht auf Leistung von Schadensersatz nach §§ 280 I, 283 S. 1, bzw. § 536 a. Das ist an sich die Konsequenz aus der Relativität eines Schuldverhältnisses. Darum bestimmt § 986 II die Aufrechterhaltung der Besitzeinwendung gegen den Erwerber einer beweglichen Sache nach § 931. Dieser Schutz greift bei unbeweglichen Sachen jedoch nicht, da sich die Übereignung bei diesen nach §§ 873, 925 durch Auflassung und Eintragung vollzieht und nicht nach den §§ 929 ff. Bei der Übereignung eines (Wohn-)Raums oder Grundstücks wird der Schutz des Mieters durch §§ 566, 578 erreicht. Der Erwerber der Mietsache tritt in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Recht 91 BayObLG NJW 1988, 1796; OLG München ZMR 1990, 413; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 782. 92 Palandt/Weidenkaff, § 551 Rdn. 12; zur Frage einer Ergänzungspflicht des Mieters bei Kursverlusten Kraemer, NZM 2001, 737. 93 BGH NJW 1987, 2372. 94 Emmerich, BGB-Schuldrecht, § 7 Rdn. 52; BGH NJW 1981, 976; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 651.

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und Pflichten ein. § 566 stellt damit einen Fall des gesetzlichen Vertragsübergangs dar. Bezeichnet wird diese Vertragsübernahme häufig mit dem Schlagwort „Kauf bricht nicht Miete“, das jedoch in dreifacher Hinsicht ungenau ist: Erstens muss der schuldrechtliche Veräußerungsvertrag kein Kauf sein; in Betracht kommen z. B. auch Tausch oder Schenkung. Zweitens würde die Miete selbst dann nicht „gebrochen“, wenn es § 566 nicht gäbe; der Mietvertrag hätte weiter Bestand und Sekundäransprüche, z. B. auf Schadensersatz wären die Folge. Und drittens führt nicht das schuldrechtliche Geschäft den Vertragsübergang herbei, sondern erst die Übereignung. § 566 knüpft den Eintritt des Erwerbers in die Rechte und Pflichten des bestehenden Mietverhältnisses an drei Voraussetzungen. Erstens muss ein Mietvertrag über einen (Wohn-) Raum oder ein Grundstück bestehen. Zweitens muss die Veräußerung zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem die Mietsache dem Mieter bereits überlassen worden ist; vor der Überlassung der Mietsache kommt ein Vertragsübergang nur unter den Voraussetzungen des § 567 a in Betracht. Und drittens ist erforderlich, dass das Eigentum am (Wohn-)Raum oder am Grundstück in Folge einer Veräußerung – also aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags – durch den Vermieter auf einen Dritten übergeht.

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Bei einem Eigentumsübergang aufgrund einer Zwangsversteigerung des Grundstücks gelten die §§ 566, 578 nicht direkt. Zwar tritt auch hier der Erwerber nach § 57 ZVG i. V. m. § 566 in das Mietverhältnis ein, doch ist er berechtigt, den Mietvertrag unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zu kündigen.

Rechtsfolge des gesetzlichen Vertragsübergangs ist, dass der Erwerber ab dinglichem Erwerb und für die Dauer seines Eigentums in die sich aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eintritt. Ob der Erwerber die einzelnen Rechte und Pflichten kennt, ist nicht erheblich, jedoch erwirbt er nur diejenigen Ansprüche und Verpflichtungen, die nach seinem Erwerb – also nach Auflassung und Eintragung – fällig werden.95 Alle vor dem Eigentumswechsel entstandenen und fällig gewordenen Ansprüche bleiben hingegen beim bisherigen Vermieter; sie können jedoch an den Erwerber abgetreten werden. Erfüllt der Erwerber die ihm aus dem Mietvertrag erwachsenden Pflichten nicht, haftet der bisherige Eigentümer dem Mieter für die sich aus der Pflichtverletzung des Neu-Eigentümers ergebenden Schadensersatzansprüche wie ein selbstschuldnerischer Bürge, § 566 II 1. Diese Haftung erlischt erst, wenn der Veräußerer den Eigentumsübergang mitteilt und der Mieter durch Unterlassen einer Kündigung zu erkennen gibt, dass er mit dem neuen Vermieter einverstanden ist, § 566 II 2. Nach § 566a tritt der Erwerber auch in die durch eine eventuell gestellte Sicherheit begründeten Rechte und Pflichten ein.96 Bei dieser umfassenden Pflichtenübernahme durch den Erwerber soll er sich im Gegenzug darauf verlassen dürfen, die Miete für die Zeit beanspruchen zu dürfen, in der er dem Mieter den Gebrauch der Sache zu überlassen hat. Zu diesem Zweck hat das Gesetz in § 566 b Vorausverfügungen über die Miete und der Wirkung von Vorausleistungen des Mieters enge Grenzen gesetzt. – Die §§ 566 c, 566 d schützen entsprechend der Vorschrift des § 407 den Mieter, der von der Veräußerung nichts weiß und bewahren ihn bis zur Kenntnis des Eigentumsübergangs vor der Gefahr, die Miete doppelt zahlen zu müssen. § 566e korrespondiert mit § 409 und schützt das Vertrauen des Mieters auf eine Übereignungsanzeige des Vermieters.

95 BGH NJW 1988, 705; BGH NJW 1989, 451. 96 BGHZ 95, 88; BGH NJW 1999, 1857.

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Die §§ 566 bis 566e finden entsprechende Anwendung bei Grundstücksbelastungen, die das Mieterrecht beeinträchtigen (§ 567, z. B. Nießbrauch oder dingliches Wohnrecht 97), bei der Vermietung durch Erbbauberechtigte (§ 11, s. auch § 30 ErbbauRVO), Nießbraucher (§ 1056) oder Vorerben (§ 2135) und bei der Pacht (§ 581 II). b) Gewerbliche Untervermietung zum Wohnen

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Der Schutz des Mieters nach § 566 setzt – wie die systematische Stellung der Vorschrift im 2. Untertitel zeigt – ein Mietverhältnis über Wohnraum voraus. Werden Räume einem Mieter zur gewerblichen Untervermietung überlassen, so entsteht ein Wohnraummietverhältnis nur zwischen dem Mieter und dem Untermieter, da nur in diesem Verhältnis die Räume zum Wohnen ge- bzw. vermietet werden. Im Verhältnis des Vermieters zum Mieter hingegen liegt kein Wohnraummietverhältnis vor – die Räume werden nicht zum Wohnen, sondern zur Weitervermietung überlassen. Damit der Wohnraum-Untermieter nicht schutzlos ist, wenn das Hauptmietverhältnis endet, bestimmt § 565, dass der Vermieter (Abs. 1 S. 1) bzw. der neue Mieter (Abs. 1 S. 2) an Stelle des alten Mieters in den Untermietvertrag eintreten. Die §§ 566 a bis 566 e gelten in diesem Fall entsprechend, § 565 II. 2. Wechsel des Mieters a) Unter Lebenden

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Bei Mietverträgen, die über einen längeren Zeitraum befristet abgeschlossen wurden oder die nur mit relativ langer Frist gekündigt werden können, entsteht für den Mieter häufig das Bedürfnis, vorzeitig aus dem Mietvertrag entlassen zu werden. Als Gründe können beispielhaft Wechsel der Arbeitsstelle, Familienzuwachs oder langfristige Krankheit genannt werden. In der Praxis stößt ein Beharren des Vermieters auf Einhaltung der zuvor vertraglich vereinbarten Laufzeit häufig auf Unverständnis des Mieters, zumal wenn dieser einen Nachmieter präsentiert, der bereit ist, den Vertrag des Mieters zu übernehmen. Diese Vertragsübernahme durch einen Nachmieter darf nicht mit einer Untervermietung (vgl. §§ 540, 553) verwechselt werden. Bei der Untermiete bleibt der ursprüngliche Mieter dem Vermieter als Vertragspartner und damit als Schuldner der mietvertraglichen Pflichten erhalten. Bei der vorzeitigen Entlassung aus dem Mietvertrag geht es dem Mieter jedoch darum, die vertragliche Beziehung zum Vermieter vollständig zu beenden und einen neuen Mieter als Vertragspartner zu bestimmen.

Der Vermieter ist jedoch – soweit sich keine Ersatzmieterklausel im Vertrag findet – grundsätzlich nicht verpflichtet, den Mietvertrag auf Verlangen des Mieters aufzuheben, auch wenn dieser einen geeigneten, solventen und zumutbaren Nachmieter stellt. Die Miete ist ein persönliches, von gegenseitigem Vertrauen getragenes Rechtsverhältnis, dem es zuwiderliefe, wenn der Vermieter sich gegen seinen Willen einen neuen Mieter aufdrängen lassen müsste.98 Dieses Ergebnis wird auch durch einen Blick in das allgemeine Schuldrecht bestätigt: Während sich ein Schuldner nach § 398 ohne weiteres das Auswechseln des Gläubigers gefallen lassen muss, kann dieser nach den §§ 414ff einen Wechsel der Schuldnerposition verhindern (s. o. Rdn. 716).

97 BGHZ 59, 51. 98 Emmerich, BGB-Schuldrecht, § 7 Rdn. 79.

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Dennoch erkennt die Praxis in bestimmten eng begrenzten Situationen eine Pflicht des Vermieters an, einen vom Mieter gestellten Nachmieter vor regulärer Beendigung des Mietverhältnisses zu akzeptieren. Dogmatisch wird diese Pflicht damit begründet, dass bei Vorliegen besonderer Umstände die Weigerung des Vermieters gegen Treu und Glauben (§ 242) verstößt und mithin unbeachtlich ist.99 Bei der Wohnraummiete haben sich in der Rechtsprechung zwei Voraussetzungen herausgebildet, bei deren kumulativem Vorliegen der Vermieter zu einer vorzeitigen Entlassung des Mieters aus dem Mietvertrag verpflichtet ist. Zum einen muss der Mieter einen geeigneten, d. h. solventen, zumutbaren und zur unbeschränkten Übernahme des Vertrags bereiten Nachmieter stellen, und zum anderen muss das Interesse des Mieters an der Vertragsauflösung das Interesse des Vermieters an der Fortsetzung des Vertrags (erheblich) überragen.100 Erforderlich ist also zumindest ein berechtigtes Interesse des Mieters an der Vertragsbeendigung 101, das diesem zuzugestehen ist, wenn das Festhalten am Vertrag für ihn eine gewisse Härte bedeutet. Als Härte anerkannt wurden z. B. schwere Krankheit, berufliche Versetzung, Familienzuwachs oder unverschuldete Arbeitslosigkeit; nicht aber bloßer Wunsch zur Veränderung der Wohnsituation oder Ereignisse, die für den Mieter vorhersehbar waren.102 Auch wenn die Interessenabwägung zu Ungunsten des Mieters ausfällt, hat dieser noch die Möglichkeit, sich über § 540 vom Vertrag zu lösen. Er kann den Vermieter zur Erlaubnis einer Untervermietung der Mietsache auffordern. Stimmt der Vermieter einer Untervermietung zu, bleibt der Mieter dem Vermieter als zur Zahlung der Miete Verpflichteter erhalten. Verweigert der Vermieter hingegen die Erlaubnis, hat der Mieter zwar keinen Anspruch auf sie – § 553 greift nämlich nur ein, wenn ein Teil des Wohnraums einem Dritten zum Gebrauch überlassen werden soll – doch kann der Mieter das Mietverhältnis nach § 540 I 2 außerordentlich mit gesetzlicher Frist kündigen und so eine vorzeitige Lösung vom Vertrag erreichen. Diese Möglichkeit besteht allerdings nicht, wenn Untervermietung vertraglich ausgeschlossen wurde.103

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§ 553 III steht der Abdingbarkeit von § 540 in diesem Fall nicht entgegen. Da § 553 und § 540 im Zusammenhang gesehen werden müssen, ist § 540 zwar, soweit der Anwendungsbereich von § 553 reicht, zwingend. § 553 erfasst aber gerade nicht den Fall einer vollständigen Überlassung des Wohnraums an Dritte.104

b) Von Todes wegen Ohne spezielle Regelung würden bei Tod des Mieters dessen Erben nach §§ 1922, 1967 in das Mietverhältnis eintreten (vgl. §§ 564, 580). Dies würde jedoch dazu führen, dass Personen, die mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt geführt haben und daher in besonderer Weise auf eine Fortführung des Mietverhältnisses angewiesen sind, keinen ausreichenden Schutz genießen würden. Das Gesetz sieht deshalb in den §§ 563ff eine Sonderrechtsnachfolge vor für Ehegatten, Lebenspartner, Kinder, andere Familienangehörige und sonstige Personen, die mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt führten. Der Eintritt in das Mietverhältnis erfolgt von Gesetzes wegen; die eingetrete99 100 101 102 103 104

OLG München NJW-RR 1995, 393. Vgl. OLG Hamm NJW-RR 1995, 1478; OLG Karlsruhe NJW 1981, 1741. BGH NJW 2003, 1246. OLG Karlsruhe NJW 1981, 1741. Oechsler, Vertragsrecht, Rdn. 587. Palandt/Weidenkaff, § 540 Rdn. 2.

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nen Personen können diese Wirkung aber durch Erklärung gem. § 563 III verhindern. Der Vermieter muss den Eintritt akzeptieren (s. § 563 V); er kann nur bei wichtigem Grund kündigen, § 563 IV.

VIII. Dritte im Mietverhältnis 1. Schutz des Mieters gegenüber Dritten 1036

Der Mieter ist unmittelbarer Besitzer der Mietsache, der durch den Mietvertrag ein obligatorisches Recht zum Besitz hat. Ihm stehen daher alle Ansprüche gegen Dritte zu, die einen berechtigten Besitz voraussetzen: Verlangt der Vermieter als Eigentümer gem. § 985 Herausgabe der Sache, kann er diesem Anspruch sein Besitzrecht entgegenhalten und die Herausgabe nach § 986 I verweigern. Gegen Besitzstörung und -entziehung kann sich der Mieter mit den Ansprüchen aus §§ 859, 861, 862 und 1007 wehren. Liegt zudem ein Verschulden des Störers vor, kann der Mieter aus § 823 (I, bzw. II i. V. m. § 858) Ersatz des durch die Störung oder Entziehung entstandenen Schadens ersetzt verlangen.105 Darüber hinaus kommen Ansprüche aus § 812 in Betracht, da der Besitz als „etwas“ im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist. 2. Untermiete

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Bei der Untermiete handelt es sich um eine ganz gewöhnliche Miete zwischen Mieter und Untermieter, auf welche die §§ 535 ff Anwendung finden. Der Umstand, dass der Mieter nicht Eigentümer der von ihm vermieteten Sache ist, steht der Wirksamkeit des Untermietvertrags nicht entgegen, wie auch sonst im Schuldrecht eine „Berechtigung“ der Vertragsschließenden nicht erforderlich ist. Vertragliche Beziehungen bestehen nur zwischen Vermieter und Mieter einerseits und zwischen Mieter und Untermieter andererseits, nicht aber zwischen Vermieter und Untermieter. Ist der Mieter zu einer Gebrauchsüberlassung an den Untermieter nicht befugt, kann der Vermieter als Eigentümer nach §§ 985, 986 I 2 Herausgabe der Sache an den Mieter verlangen, da dem Untermieter gegenüber dem Vermieter in diesem Fall kein Recht zum Besitz zusteht. Dieses entsteht erst mit Erlaubnis der Untervermietung. Eine Besonderheit besteht aber nach Beendigung des Mietverhältnisses zwischen Mieter und Vermieter. In diesem Fall hat der Vermieter nach § 546 II einen vertraglichen Anspruch gegen den Untermieter auf Herausgabe der Sache. Zur Untermiete finden sich Regelungen in § 540, der auf alle Mietverhältnisse Anwendung findet, und in § 553, der auf die Wohnraummiete zugeschnitten ist und als Ergänzung zu § 540 gelesen werden muss. § 540 regelt generell die Gebrauchsüberlassung der Mietsache an Dritte und umfasst als wichtigsten Unterfall die Untervermietung. Danach ist der Mieter zu einer Überlassung des Gebrauchs nur bei entsprechender Erlaubnis des Vermieters berechtigt, jedoch kann er nach § 540 I 2 das Mietverhältnis bei einer Erlaubnisverweigerung außerordentlich kündigen, wenn nicht in der Person des Dritten ein wichtiger Grund vorliegt. Die Verweigerung der Erlaubnis berührt jedoch nicht die Wirksamkeit eines gleichwohl abgeschlossenen Untermietvertrags – § 540 ist kein gesetzliches Verbot i. S. v. § 134. – Einen Anspruch auf Erlaubnis der Gebrauchsüberlassung an den Dritten hat der Mieter nicht. Dies ist gem. § 553 anders

105 Vgl. zum (rechtmäßigen) Besitz als sonstigem Recht i. S. v. § 823 I unten Rdn. 1568.

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bei der Wohnraummiete, wenn es – erstens – nur um die Überlassung eines Teils des Wohnraums geht und – zweitens – für den Mieter nach Abschluss des Mietvertrags ein berechtigtes Interesse an der Überlassung entsteht. Dies gilt gem. § 553 I 2 nicht, wenn in der Person des Dritten ein wichtiger Grund vorliegt, der Wohnraum übermäßig belegt würde oder dem Vermieter die Überlassung aus sonstigen Gründen nicht zugemutet werden kann. Im Falle einer vertragswidrigen Untervermietung stehen dem Vermieter verschiedene Rechte zu, die auf Wiederherstellung eines vertragsgemäßen Zustandes gerichtet sind. Beispiel: Mieter M hat seine bei V gemietete Wohnung für ein halbes Jahr an U zwischenvermietet, da er sich selbst während dieser Zeit beruflich im Ausland aufhält. U zerstört fahrlässig eine in der Wohnung befindliche Glastüre. Der Zwischenvermietung hat V nicht zugestimmt. Von U kann V gem. § 985, 986 I 2 die Herausgabe der Sache an M verlangen. Außerdem haftet U für die zerstörte Tür auf Schadensersatz aus §§ 989, 990, wenn er hinsichtlich seines Rechts zum Besitz bösgläubig war. Auch bei Gutgläubigkeit entfällt die Haftung des U jedoch nicht nach § 993 I a. E., da er in diesem Fall aus § 991 II haftet: Er wäre ohnehin aus dem Mietvertrag mit M diesem schadensersatzpflichtig, da M zwar keinen Schaden an seinem Eigentum, aber einen Haftungsschaden gegenüber V erleidet, dem er aus §§ 280 I, 540 II für die zerstörte Tür verantwortlich ist. Wegen dieses Haftungsschadens kann M bei U nach § 280 I Regress nehmen. Von M kann V Unterlassung des vertragswidrigen Gebrauchs verlangen und – nach erfolgter Abmahnung – gem. § 541 auf Unterlassung klagen. Wahlweise kann er, nachdem eine Abmahnung erfolglos geblieben oder eine zur Abhilfe gesetzte angemessene Frist verstrichen ist, das Mietverhältnis fristlos kündigen (§ 543 I 1, II 1 Nr. 2, III 1). Hinsichtlich der zerstörten Tür kann V von M Schadensersatz nach § 280 I verlangen, da M das dem U zur Last fallende Verschulden nach § 540 II zu vertreten hat. Natürlich kann V den Schaden an der Tür nicht doppelt von U und M ersetzt verlangen. Dies verhindert § 255: Danach ist M zur Ersatzleistung nur gegen Abtretung der Ansprüche des V gegen U verpflichtet. Umstritten ist, ob der Vermieter vom Mieter die Herausgabe der durch die unrechtmäßige Untervermietung erzielten Miete verlangen kann. Dies wird von der Rechtsprechung verneint.106 Ein Anspruch aus § 535 II scheitert daran, dass die vom Mieter erzielte Untermiete nicht zur Miete des Vermieters gehört. Nur auf letztere hat der Vermieter aber einen Anspruch. Schadensersatzansprüche aus § 280 I oder § 823 I würden voraussetzen, dass der Vermieter durch die bloße Untervermietung einen Schaden erleidet, was nicht der Fall ist.107 An diesem Umstand ändert auch § 553 II nichts, da der Vermieter keinen Anspruch auf eine angemessene Mieterhöhung hat, sondern lediglich berechtigt ist, sein Einverständnis zur Untervermietung von einer solchen Erhöhung abhängig zu machen. Dem Mieter stände es dann immer noch frei, die Untervermietung zu unterlassen, so dass es jedenfalls – wenn man in der entgangenen Mieterhöhung einen Schaden sehen will – an der Kausalität zwischen diesem Schaden und der unberechtigten Untermietung mangelt.108 Ein Anspruch aus angemaßter Eigengeschäftsführung gem. §§ 687 II 1, 681 S. 2, 667 scheitert daran, dass der Mieter mit der Untervermietung kein objektiv fremdes Geschäft vornimmt. Die Untervermietung ist ja gerade „Geschäft“ des Mieters – der Vermieter selbst kann zwar vermieten, nicht aber untervermieten. Der Mieter, der vertragswidrig untervermietet, übt nur den ihm überlassenen Gebrauch in einer ihm nicht zustehenden Weise aus. Der Vermieter kann auch nicht aus §§ 987, 990 die vom Mieter durch die Untervermietung gezogenen Nutzungen herausverlangen. Es fehlt an der erforderlichen Vindikationslage, da der Mieter ein Recht zum Besitz hat. Bereicherungsrechtliche Ansprüche lehnt die Rechtsprechung ebenfalls ab. Eine unmittelbare Anwendung des § 816 I 1 scheitert bereits daran, dass die Untervermietung einer Sache keine Verfügung über das Eigentum des Vermieters darstellt; doch wird auch eine entsprechende Anwendung 106 BGH NJW 1964, 1853; 1996, 838; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 596; OLG Celle ZMR 1995, 159 (160). 107 BGH NJW 1996, 838 (840). 108 Dieses Ergebnis ist nicht unumstritten; vgl. Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 833 m. w. N.

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dieser Vorschrift abgelehnt, da der Untermietzins keinen Gegenwert darstellt, den der Mieter anstelle des Eigentümers erzielt. Zum einen hätte dieser die an den Mieter vermietete Sache nicht mehr selbst an einen Dritten untervermieten können, und zum anderen erlangt der Untermieter gegenüber dem Vermieter kein Recht zum Besitz, so dass die Untervermietung nicht wirksam in dessen Rechtsposition eingreift. Ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 2) kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Mieter den Untermietzins nicht auf Kosten des Vermieters erlangt. Die Untermiete ist – auch wenn sie unberechtigt erfolgt – ein dem Mieter zugewiesenes Geschäft, das keine Verwertungs- oder Gebrauchsmöglichkeiten des Vermieters vereitelt, da dieser selbst gar nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Mietsache einem Dritten zu überlassen. – Gerade hier teilen sich die Meinungen. Die Lösung hängt davon ab, wie man das ungeschriebene Merkmal des „Eingriffs“ in § 812 I 1 Alt. 2 bestimmt. Stellt man – wie in diesem Buch vertreten, s. u. Rdn. 1467 – auf den Zuweisungsgehalt fremden Rechts und nicht auf die Rechtswidrigkeit des kondiktionsauslösenden Eingriffs ab, scheidet ein Bereicherungsanspruch aus.109 – Der Vermieter kann also unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Herausgabe der durch die unrechtmäßige Untervermietung erzielten Miete verlangen.

3. Schutzwirkung des Mietvertrags zugunsten Dritter 1040

Der Wohnraum-Mietvertrag ist das Musterbeispiel eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte (s. hierzu oben Rdn. 305 ff). Familienmitglieder, Haushaltsangehörige, Hausangestellte und sonstige Hilfspersonen, die nach dem Inhalt des Mietvertrags bestimmungsgemäß an dem Gebrauch der Mietsache teilhaben, werden als Dritte in die Schutzwirkungen des Mietvertrags einbezogen. Gleiches gilt für die gewerbliche Miete, bei der die Betriebsangehörigen unter den Schutz des Mietvertrags fallen. Diese Dritte erfüllen im Regelfall das Kriterium der Leistungsnähe, sind also den Gefahren einer Schlechtleistung des Schuldners (Vermieters) etwa ebenso stark ausgesetzt wie der Gläubiger (Mieter) selbst. Auch hat der Mieter zumeist ein Interesse am Schutz dieser Dritten (Gläubigernähe), da er ihnen unterhaltspflichtig oder zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn sie durch die mangelhafte Leistung Schaden erleiden (beachte § 618). Insbesondere bei Körper- und Sachschäden verwendet die Rechtsprechung häufig die Formulierung, der Gläubiger müsse „sozusagen für das Wohl und Wehe des Dritten mitverantwortlich“ sein, weil er ihm zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist.110 Sind diese beiden Umstände – Leistungsnähe und Gläubigernähe – für den Vermieter auch erkennbar gewesen, so erlangt der geschädigte Dritte aus dem Mietvertrag zwischen Vermieter und Mieter einen eigenen vertraglichen Anspruch gegen den Vermieter.

IX. Beendigung des Mietverhältnisses 1041

Die Pflichten aus dem Mietverhältnis erlöschen – entsprechend der Natur der Miete als Dauerschuldverhältnis – nicht mit Erfüllung, sondern dauern bis zur Beendigung des Mietverhältnisses an. Betrachtet man die verschiedenen Beendigungsmöglichkeiten des Mietvertrags vor dem Hintergrund des Parteiwillens, so kann man jene, bei denen beide Parteien gemeinsam eine Beendigung des Vertrags anstreben (Vertragsaufhebung, Zeitablauf), von der Kündigung unterscheiden, bei der sich nur eine Vertragspartei vom Vertrag lösen will. Durch das Rechtsinstitut der Kündigung wird jedem Teil die Möglichkeit eingeräumt, sich nach Ablauf einer vom Gesetz als angemessen bestimmten Kündigungsfrist vom Vertrag zu lösen. Gerade im Bereich der Wohnungsmiete ist die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters aber Beschränkungen unterworfen. Die Woh-

109 Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 707; Oechsler, Vertragsrecht, Rdn. 542f. 110 BGHZ 51, 91 (96).

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nung ist häufig der Lebensmittelpunkt des Mieters und seiner Familie, weshalb der Gesetzgeber für Wohnungsmietverhältnisse das soziale Mietrecht geschaffen hat (insbesondere Schutz bei Kündigung; Schutz vor übermäßiger Mieterhöhung). Ausdruck dieses Schutzes ist auch, dass der Vermieter – will er sich einseitig vom Vertrag lösen – auf die Kündigung beschränkt ist. Nach § 572 I kann der Vermieter nach Überlassung des Wohnraums nicht mehr vertraglich zurücktreten und nach § 572 II kann er sich nicht darauf berufen, dass das Mietverhältnis zum Nachteil des Mieters auflösend bedingt ist. In fast allen Fällen einer Beendigung des Mietverhältnisses – auch und insbesondere bei einer außerordentlichen Kündigung 111 – ist § 545 zu beachten. Danach verlängert sich das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit, wenn der Mieter den Gebrauch der Mietsache nach Ablauf der Mietzeit fortsetzt und keine Vertragspartei ihren entgegenstehenden Willen innerhalb von zwei Wochen dem anderen Teil erklärt (relocatio tacita).112 1. Vertragsaufhebung Die Parteien können das Mietverhältnis jederzeit durch Aufhebungsvertrag (§ 311 I) beenden. Maßgeblich ist ein feststellbarer übereinstimmender Wille der Parteien. Es reicht also beispielsweise nicht aus, dass der Mieter vorzeitig auszieht und den Wohnungsschlüssel an den Vermieter zurücksendet.113

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2. Zeitablauf Ist ein Mietvertrag von den Parteien nur für eine bestimmte Zeit abgeschlossen worden, so endet das Mietverhältnis mit Ablauf dieser Zeit (§ 542 II). Dies gilt nach Abs. 2 Nr. 1 u. 2 dann nicht, wenn es in den gesetzlich zugelassenen Fällen bereits vorher außerordentlich gekündigt wird oder wenn es über den vereinbarten Zeitpunkt hinaus verlängert wird. Eine ordentliche Kündigung kommt bei befristeten Mietverhältnissen grundsätzlich nicht in Betracht (§ 542 I), sofern nicht durch Auslegung ein entgegenstehender Wille ermittelt werden kann. Allerdings können Mietverträge über eine längere Zeit als 30 Jahre gem. § 544 S. 1 nach Ablauf von 30 Jahren außerordentlich mit der gesetzlichen Frist gekündigt werden, wenn der Vertrag nicht für die Lebenszeit von Vermieter oder Mieter abgeschlossen wurde (S. 2). Für Wohnraum ist die Möglichkeit zum Abschluss befristeter Mietverträge durch § 575 eingeschränkt. Zulässig ist nur noch der Abschluss sog qualifizierter Zeitmietverträge, welche die engen Voraussetzungen des § 575 I 1 Nr. 1–3 erfüllen. Der Befristungsgrund muss dem Mieter bei Vertragsschluss schriftlich mitgeteilt werden; andernfalls gilt das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit geschlossen.

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3. Ordentliche Kündigung – Kündigungsschutz des Wohnungsmieters Regelfall der Beendigung eines unbefristeten Mietverhältnisses ist die ordentliche – also keinen besonderen Grund voraussetzende – Kündigung.

111 BGH NJW 1980, 1577 (1578). 112 § 545 ist nicht anwendbar, wenn ein Vertragsteil geschäftsunfähig ist. Zur Streitfrage, ob § 545 bei vertraglicher Aufhebung des Mietverhältnisses gilt, s. Palandt/Weidenkaff, § 545 Rdn. 2. 113 OLG Köln ZMR 1998, 91.

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a) Kündigungserklärung Die Kündigungserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die bei der ordentlichen Kündigung auf Beendigung des Mietverhältnisses nach einer bestimmten Frist gerichtet ist. Die Kündigung ist wie alle Gestaltungsrechte grundsätzlich bedingungsfeindlich, da der Vertragspartner Klarheit über die Rechtsänderung haben soll. Zulässig sind daher allenfalls Bedingungen, auf deren Eintritt der Kündigungsempfänger Einfluss hat 114 (sog. Potestativbedingungen, z. B. Kündigung unter der Bedingung, dass bestimmte rückständige Mietzahlungen nicht bis zu einem bestimmten Termin beglichen werden). Grundsätzlich muss die Kündigungserklärung weder Formnoch Begründungserfordernisse erfüllen. Eine Ausnahme besteht jedoch für die Kündigung von (nicht unter § 549 II fallenden) Wohnraum. Hier muss die Kündigung schriftlich erfolgen (§ 568 I) und soll außerdem vom Vermieter begründet (§ 573 III S. 1, vgl. auch S. 2 und § 574 III) und mit dem Hinweis auf die Möglichkeit des Widerspruchs versehen werden (§ 568 II). b) Kündigungsfristen 1046

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Die ordentliche Kündigung ist an die Einhaltung bestimmter Fristen gebunden, deren Länge u. a. von der Mietsache abhängt. Bei einem Mietverhältnis über bewegliche Sachen richtet sich die Kündigungsfrist nach § 580a III, bei Geschäftsräumen nach § 580 a II, bei Wohnräumen nach § 573c und bei Grundstücken, sonstigen Räumen und eingetragenen Schiffen nach § 580a I. Seit der Mietrechtsreform sieht § 573c bei der Kündigung von Wohnraum nach Ablauf einer bestimmten Mietzeit unterschiedliche Fristen für Mieter und Vermieter vor. Bis zum Ablauf einer Mietzeit von fünf Jahren kann das Mietverhältnis von beiden Parteien mit der gesetzlichen Frist von drei Monaten gekündigt werden. Danach verlängert sich jedoch die Kündigungsfrist einseitig für den Vermieter nach fünf bzw. acht Jahren seit der Überlassung des Wohnraums um jeweils drei Monate, während der Mieter weiterhin mit der gesetzlichen Frist von drei Monaten kündigen kann. Von diesen Fristen kann nach § 573c IV jedenfalls für Wohnraum, der nicht nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet worden ist (s. § 573c II), nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden.115 Das Recht zur ordentlichen Kündigung kann auch für unbefristete Verträge für einen bestimmten Zeitraum vertraglich ausgeschlossen werden. Dies folgt aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und gilt auch für Mietverhältnisse über Wohnraum (str.).116 § 573 IV steht nicht entgegen, da die Vorschrift lediglich verbietet, zum Nachteil des Mieters längere Kündigungsfristen zu vereinbaren, nicht aber, das Kündigungsrecht für einen gewissen Zeitraum gänzlich auszuschließen. Auch aus § 575, der Zeitmietverträge nur unter engen Voraussetzungen zulässt, lässt sich nichts anderes ableiten: Die Vorschrift bewahrt den Mieter davor, die Mietsache grundlos nach Ablauf einer bestimmten Zeit ohne Kündigungsschutz zu verlieren; § 575 schützt aber nicht

114 BGH WM 1973, 694. 115 Für Wohnraum nach § 549 II Nr. 2 ist § 573c III zu beachten; außerdem bestehen für Werkmietwohnungen, die mit Rücksicht auf das Bestehen eines Dienstverhältnisses vermietet wurden, Sonderregeln in den §§ 576ff. 116 Begr RegE BT-Drs 14/4553 S. 69; BGH NJW 2004, 1448 (fünfjähriger Ausschluss durch Individualvereinbarung); 2004, 3117 (beiderseitiger, zweijähriger Ausschluss in Formularvertrag); a. A. Bamberger/Roth/Ehlert, § 573c Rdn. 21.

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davor, während der Laufzeit eines befristeten Vertrag ohne Kündigungsmöglichkeit an diesen gebunden zu sein. – Allerdings sind dem Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts zeitliche Grenzen zu ziehen. Für den Ausschluss des Kündigungsrechts in AGB darf analog § 557 a IV (Staffelmiete) eine vierjährige Frist nicht überschritten werden, § 307 I 1.117 Das Stabilitätsinteresse des Vermieters und das Mobilitätsinteresse des Mieters erhalten hierdurch einen angemessenen Ausgleich. – Für den befristeten Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts durch Individualvereinbarung gelten diese Vorgaben nicht. Eine übermäßig lange Bindung mag aber im Einzelfall gegen § 138 I verstoßen. c) Schutz des Wohnraummieters Die ordentliche Kündigung von Wohnraummietverhältnissen durch den Vermieter unterliegt nach § 573 weitgehenden Einschränkungen.118 Der Vermieter darf nicht zum Zweck der Mieterhöhung kündigen (§ 573 I 2). Damit sind sog Änderungskündigungen, mit denen Vermieter einen beträchtlichen Druck auf Mieter ausüben könnten, verboten. Der Vermieter kann die Miete nur im Mieterhöhungsverfahren erhöhen (s. o. Rdn. 989). Im Übrigen kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, 573 I 1. Als Kündigungsgründe zählt § 573 II folgende, nicht abschließende Regelbeispiele auf: Die nicht unerhebliche, schuldhafte (§§ 276, 278) Verletzung des Mietvertrags durch den Mieter (Nr. 1). Die Erheblichkeit liegt dabei unterhalb der Schwelle der außerordentlichen fristlosen Kündigung nach §§ 543, 569, da § 573 nur eine befristete Kündigung zulässt. Der Vermieter benötigt die Räume als Wohnung für sich, die zu seinem Haushalt gehörenden Personen oder seine Familienangehörigen (Nr. 2, „Eigenbedarf“). Insbesondere dieser Kündigungsgrund hat einen starken Verfassungsbezug. Die Funktion des Eigentums (Art. 14 GG) liegt vor allem in seiner Nutzung durch den Eigentümer selbst. Die Anforderungen an das „Benötigen“ des Wohnraums dürfen daher nach der Rechtsprechung des BVerfG – entgegen einer zuvor h. M. – nicht zu hoch angesetzt werden: Der Vermieter darf grundsätzlich in seinem eigenen Haus wohnen bzw. die in Nr. 2 genannten Personen dort wohnen lassen.119 Der Grund, der zum Eigenbedarf geführt hat, ist unerheblich.120 Die Entscheidung des Eigentümers, welche die Eigenbedarfslage geschaffen hat, ist wegen Art. 14 GG grundsätzlich zu achten; sie muss nur auf vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen beruhen.121 Solche liegen nach einer Entscheidung des BVerfG 122 nicht vor, wenn dem Vermieter eine andere geeignete Wohnung zur Verfügung steht, auch wenn diese inzwischen anderweitig vermietet ist. Der Vermieter kann auf eine Alternativwohnung aber nur dann verwiesen werden, wenn der von ihm selbst bestimmte Wohnbedarf darin „ohne wesentliche Abstriche“ zu verwirk-

117 BGH NJW 2005, 1574. 118 Einen Sonderstatus nehmen wiederum Werkmietwohnungen (§§ 576ff) und die in § 549 II Nr. 1–3 genannten Wohnungen ein. 119 BVerfG NJW 1989, 970. 120 Beruflicher Eigenbedarf (nämlich Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in dem betreffenden Objekt) ist deshalb ebenfalls anzuerkennen und unterliegt den gleichen Voraussetzungen, BGH NJW 2005, 3782. 121 BVerfG NJW 1988, 1075; BGHZ 103, 91; vgl. Lammel, NJW 1994, 3320. 122 BVerfG NJW 1991, 157.

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lichen ist.123 – Für die Eigenbedarfskündigung ist ein konkreter Nutzungswunsch erforderlich; „Vorratskündigungen“ sind nicht zulässig. Wird der ursprünglich geplante Eigenbedarf später nicht verwirklicht, hat der Vermieter seinen Sinneswandel plausibel darzulegen.124 Eine zunächst wirksame Kündigung wegen Eigenbedarfs wird unwirksam, wenn der Eigenbedarf vor Ablauf der Kündigungsfrist entfällt. Auf einen erst nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgten Wegfall des Eigenbedarfs kann sich der Mieter demgegenüber nicht berufen.125 Der Vermieter wird durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und erleidet dadurch erhebliche Nachteile (Nr. 3, „Verwertungskündigung“). Das bedeutet aber nicht, dass der Vermieter andernfalls in Existenznöte geraten muss.126 Eine Ausnahme vom Kündigungsschutz besteht nach § 573 a für Wohnungen in einem vom Vermieter selbst bewohnten Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen (Zweifamilienhäuser). Wegen des engen Zusammenlebens der Parteien, das zu Unzuträglichkeiten führen kann, ist es gerechtfertigt, hier dem Vermieter eine erleichterte Kündigungsmöglichkeit einzuräumen: Der Vermieter kann kündigen, ohne ein berechtigtes Interesse darlegen zu müssen. Allerdings verlängert sich die Kündigungsfrist in diesem Fall um drei Monate, § 573 a I 2. Gleiches gilt für Wohnraum innerhalb der vom Vermieter selbst bewohnten Wohnung, sofern dieser nicht nach § 549 II Nr. 2 vom Mieterschutz ausgenommen ist (§ 573a II). In dem Kündigungsschreiben ist anzugeben, dass die Kündigung auf § 573a I oder II gestützt wird (§ 573a III). – Zur Teilkündigung s. § 573b.

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In jedem Fall werden im Kündigungsprozess nur solche Gründe berücksichtigt, die der Vermieter im Kündigungsschreiben angegeben hat oder die nachträglich entstanden sind (§ 573 III und § 574 III). Selbst wenn ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Kündigung besteht, kann dem Mieter ein Widerspruchsrecht gem. § 574 zustehen. Die sog. Sozialklausel schreibt eine Interessenabwägung vor, die von der Gleichwertigkeit der Belange des Mieters und des Vermieters ausgeht. Überwiegen die Interessen des Mieters an der Fortführung des Mietverhältnisses, weil die Kündigung eine nicht zu rechtfertigende Härte für ihn darstellen würde, so kann er der Kündigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, u. U. nur zu angemessenen Bedingungen (etwa zu einer höheren Miete), § 574 a I 2. Eine besondere Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum nicht beschafft werden kann, § 574 II. Der Mieter muss sich allerdings tatsächlich um eine Ersatzwohnung bemühen. Er braucht sich jedoch nicht auf irgendeine freistehende Wohnung verweisen lassen, sondern nur auf Wohnungen, die in Größe, Beschaffenheit, Lage und Preis mit der alten Wohnung vergleichbar sind. Ein Schutz durch die Sozialklausel besteht nicht, wenn der Vermieter zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt ist, 574 I 2. Der Mieter muss seinen Widerspruch schriftlich erklären und auf Verlangen des Vermieters begründen, 574b I. Diese Begründungspflicht ist das Gegenstück zu der des Vermieters nach § 573 III. Das Unterlassen der Begründungen kann Folgen für die Verteilung der Kosten des Räumungsprozesses haben, 93b ZPO. Der Widerspruch ist fristgebunden, § 574 b II 1: Er muss grundsätzlich zwei Monate vor Beendigung des Mietverhältnisses erfolgt sein. Hat der Vermieter allerdings den Mieter nicht auf sein Widerspruchsrecht hingewiesen (§ 568 II), so kann der Mieter ihn noch im ersten Ter123 124 125 126

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BVerfG NJW 1991, 158. BGH NJW 2005, 2395. BGH NJW 2006, 220. Dies ist verfassungsgemäß, BVerfG NJW 2006, 2033 BVerfG NJW 1989, 970 (972).

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min des Räumungsprozesses erklären, 574 b II 2. Der Widerspruch macht die Kündigung nicht unwirksam; er gibt dem Mieter nur einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses für eine angemessene Zeit und zu angemessenen Bedingungen, 574a I. Kommt eine gütliche Einigung, eventuell auch über eine Erhöhung der Miete, nicht zustande, so muss das Gericht durch Urteil entscheiden, 574a II. 4. Außerordentliche befristete Kündigung Bei Vorliegen bestimmter Ereignisse wollte der Gesetzgeber den Parteien des Mietvertrags die Möglichkeit geben, sich kurzfristig vom Vertrag zu lösen, obwohl dieser für eine bestimmte Zeit – und damit regelmäßig nicht ordentlich kündbar – abgeschlossen wurde oder mit vertraglich längeren Kündigungsfristen versehen worden ist. Da andererseits diese Ereignisse keine fristlose Kündigung rechtfertigen, sieht das Gesetz an bestimmten Stellen eine außerordentliche – also einen besonderen Grund erfordernde – fristgebundene Kündigung vor. Diese führt dazu, dass befristete Mietverhältnisse vorzeitig mit gesetzlicher Frist bzw. unbefristete Mietverhältnisse, bei denen eine verlängerte Kündigungsfrist vereinbart worden ist, mit einer kürzeren gesetzlichen Frist gekündigt werden können. Bei der Vermietung von Wohnraum kann sich der Vermieter jedoch nur auf diese besonderen Kündigungstatbestände berufen, wenn er zugleich ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses geltend machen kann (§§ 573d I, 575 a I). Eine solche außerordentliche befristete Kündigung ist beispielsweise vorgesehen, wenn der Vermieter die Erlaubnis zur Untervermietung verweigert (§ 540 I 2 mit Ausnahme in S. 2 a. E.), wenn ein Mietvertrag für eine längere Zeit als 30 Jahre abgeschlossen wurde nach Ablauf von 30 Jahren nach Überlassung der Mietsache (§ 544 S. 1 mit Ausnahme in S. 2), vor der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen (§ 554 III 2, evtl. i. V. m. § 578 II), nach einer Mieterhöhung im Rahmen der §§ 558, 559 (§ 561 I 1), wenn in der nach dem Tod des Mieters eingetretenen Person ein wichtiger Grund vorliegt (§ 563 IV), wenn nach dem Tod eines Mitmieters die übrigen das Mietverhältnis nicht fortsetzen wollen (§ 563a II), wenn nach dem Tod des Mieters die Voraussetzungen der §§ 563, 563 a nicht vorliegen (§ 564 S. 2), bei Beendigung eines Nießbrauchs (§ 1056 II), bei Eintritt der Nacherbfolge (§ 2135), im Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter bzw. den Erwerber des Grundstücks (§§ 109 I, 111 InsO) und im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Ersteher des Grundstücks (§ 57a ZVG).

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5. Außerordentliche fristlose Kündigung Liegt ein wichtiger Grund vor, kommt ausnahmsweise eine Kündigung in Betracht, die der Vertragspartei eine sofortige Lösung der Vertragsbeziehungen zu der anderen Partei erlaubt. Diese Möglichkeit einer Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist besteht bei allen Dauerschuldverhältnissen (§ 314) und ist für das Mietrecht in den §§ 543, 569 näher konkretisiert. § 543 gilt für alle Mietverhältnisse, während § 569 ergänzende Regelungen für die Wohnraummiete trifft.

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a) Kündigungserklärung Grundsätzlich kann die Kündigung formlos erfolgen,127 nur für das Wohnmietverhältnis muss sie schriftlich sein (§ 568 I) und außerdem den wichtigen Grund nennen 127 Schellhammer, Schuldrecht, Rdn. 251.

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(§ 569 IV). Die außerordentliche Kündigung ist grundsätzlich nicht zeitgebunden; mit einer längerfristigen Untätigkeit nach Kenntnis des Kündigungsgrundes riskiert der Kündigende jedoch eine Verwirkung seines Kündigungsrechts (zu deren Voraussetzungen s. o. Rdn. 1005).128 b) Kündigungsgrund 1054

Nach § 543 I 2 liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. die entsprechende Formulierung in § 314). Eine Konkretisierung dieser Generalklausel erfolgt durch die Beispiele in § 543 II 1 Nr. 1–3. Nach Nr. 1 liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird. Unter „Vorenthalten“ fallen insbesondere Sach- und Rechtsmängel sowie Erfüllungsverweigerung; ein Verschulden des Vermieters ist nicht erforderlich, wohl aber darf die Gebrauchsbehinderung regelmäßig nicht nur unerheblich sein, da ansonsten die Vertragsfortsetzung noch zumutbar ist.129 Bei Nr. 1 ist auf § 543 IV zu achten, wonach die Kündigung des Mieters unter den Voraussetzungen der §§ 536b, 536d ausnahmsweise ausgeschlossen sein kann. Nr. 2 erfasst zwei Spezialfälle einer Vertragsverletzung des Mieters: Zum einen die erhebliche Gefährdung der Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt und zum anderen die unbefugte Gebrauchüberlassung an einen Dritten, woraus jeweils eine Rechtsverletzung des Vermieters in erheblichem Maße resultieren muss. Beispiele: Verletzung der Obhuts- und Anzeigepflicht; Nichterfüllung einer übernommenen Instandhaltungspflicht; bauliche Veränderungen; 130 Überbelegung, wenn diese mit einer Gefährdung der Wohnsubstanz oder erheblicher Störung der anderen Hausbewohner einhergeht; 131 übermäßige Tierhaltung (100 frei fliegende Vögel in einer Zweizimmerwohnung); 132 Benutzung der in einem bürgerlichen Wohnhaus gemieteten Wohnung zur Prostitution; 133 in dem Fall eines Mieters, der unter dem sog „Messie-Syndrom“ leidet (oben Rdn. 1015) hat das AG München 134 das Vorliegen eines wichtigen Grundes verneint. Der Umstand allein sei nicht ausreichend, dass der Mieter in der Wohnung eine Unzahl von Gegenständen weitgehend auch auf dem Fußboden stapelt, wobei es sich aber im konkreten Fall nicht um biologischen Müll, sondern um Gegenstände wie Flaschen, Kartons, Plastiksäcke, Zeitschriften und Kleidungsstücke handelte. Dies gelte auch dann, wenn die Ansammlung von Gegenständen zu einem muffigen oder sonst unzuträglichen Geruch in der Wohnung führe. Eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses sei allenfalls dann gegeben, wenn der Zustand der Wohnung Außenwirkung auf andere Mieter, etwa in Form von Gerüchen im Treppenhaus habe. Dieser Fall ist ein gutes Beispiel dafür, dass bei der Frage nach einem wichtigen Grund zur

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BGH NJW 1997, 2674; 2000, 2663. Palandt/Weidenkaff, § 543 Rdn. 19. LG Hamburg WuM 1992, 190. BVerfG NJW 1994, 41; BGH NJW 1993, 2528; LG Kempten NJW-RR 1996, 264. LG Karlsruhe NZM 2001, 891 m. w. N. LG Lübeck NJW-RR 1993, 525. AG München NJW-RR 2003, 944.

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Kündigung zwar Fallgruppen („Verwahrlosung der Wohnung“) einen Anhaltspunkt geben können, letztlich aber immer die Umstände des Einzelfalls gewürdigt werden müssen.

Nach Nr. 3 schließlich liegt ein wichtiger Grund auch dann vor, wenn der Mieter in bestimmter Höhe in Zahlungsverzug gerät. Für Mietverhältnisse über Wohnraum ist ergänzend § 569 III zu beachten, der die Voraussetzungen der Nr. 3 näher konkretisiert und modifiziert. Liegt keines der gesetzlichen Beispiele vor, kann sich ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung immer noch aus der Generalklausel des § 543 I 2 ergeben. Beispiele: Fortdauernde unpünktliche Zahlung, die nicht unter II 1 Nr. 3 fällt, jedenfalls bei gewerblichem Miet- oder Pachtverhältnis; 135 Nichtzahlung der Kaution bei gewerblichem Mietverhältnis; 136 Täuschungsversuche einer Partei; Wiederanbringen einer Parabolantenne trotz rechtskräftiger Verurteilung und Vollstreckung; 137 Beleidigung oder Misshandlung des Vermieters; 138 Betäubungsmittelhandel im Hausgang.139

Speziell für die Wohnraummiete nennt § 569 noch zwei weitere Beispielfälle, in denen vom Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgegangen werden kann: Zum einen, wenn der Wohnraum so beschaffen ist, dass seine Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist, selbst wenn der Mieter die Beschaffenheit der Mietsache kannte oder auf seine Mängelrechte verzichtet hat (§ 569 I – anwendbar gem. § 578 II 2 auch auf alle sonstigen Räume, die dem Aufenthalt von Menschen dienen); zum anderen, wenn eine Partei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden eine Fortsetzung des Vertrags unzumutbar wird (§ 569 II).

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Die Regelung des § 569 II ist überflüssig: Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes müssen danach kumulativ folgende Voraussetzungen gegeben sein: Es muss eine Störung des Hausfriedens vorliegen und daraus folgend muss „dem Kündigenden unter Berücksichtigung des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses“ unzumutbar sein. Allein die letzte Voraussetzung begründet aber ohnehin schon nach § 543 I 2 einen wichtigen Grund.

Für das Wohnraummietverhältnis sind weder abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des Mieters zulässig noch die Vereinbarung weiterer Kündigungsgründe (§ 569 V). In allen Fällen – auch denen des § 569 – ist § 543 III zu beachten, wonach eine Kündigung im Regelfall (Ausnahmen in § 543 III 2 Nr. 1–3) erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig ist, wenn der wichtige Grund in einer Pflichtverletzung des Mietvertrags liegt. 6. Rechtsfolgen Die Beendigung des Mietvertrags begründet verschiedene (Neben-)Pflichten der Parteien, die auf eine komplette Abwicklung des Mietverhältnisses abzielen.

135 BGH NJW-RR 1997, 203; OLG München NJW-RR 2002, 631; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 945. 136 OLG Celle NJW-RR 2003, 155; OLG München NJW-RR 2000, 1251. 137 BVerfG NJW 1996, 1736; zum Anspruch des Mieters auf Duldung einer solchen Antenne s. bspw. BGH NJW 2006, 1062. 138 LG Köln WuM 1993, 349; LG Köln DWW 1988, 325; LG Stuttgart WuM 1997, 492. 139 AG Pinneberg NJW-RR 2003, 944.

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§ 77 IX 6

Gebrauchsüberlassungsverträge

a) Rückgabe der Mietsache und Nutzungsentschädigung

1057

Zunächst trifft den Mieter gem. § 546 I die Pflicht, die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses dem Vermieter zurückzugeben. Dies geschieht durch Einräumung des unmittelbaren Besitzes; die Übertragung mittelbaren Besitzes reicht nicht. Der Anspruch besteht auch dann, wenn der Mieter weder unmittelbarer noch mittelbarer Besitzer ist.140 Der Mieter kann diesen schuldrechtlichen Anspruch nicht dadurch zum Erlöschen bringen, dass er den Besitz an der Sache aufgibt. Bei Räumen erfolgt die Rückgabe durch Räumung – also Entfernung der Sachen, die nicht zurückzugeben sind (vgl. § 885 I, II ZPO) – und Herausgabe der Schlüssel; mit der Mietsache verbundene Einrichtungen und Umbauten sind zu entfernen.141 Solange der Mieter noch Sachen in den gemieteten Räumen zurücklässt oder Einrichtungen noch nicht vollständig entfernt hat, hat er seine Rückgabepflicht noch nicht vollständig erfüllt. Gleichwohl hat er die Mietsache in dem Zustand zurückzugeben, in dem sie sich bei Vertragsende befindet. Zwar können dem Vermieter Schadensersatzansprüche zustehen, wenn der Mieter die Mietsache beschädigt hat, doch muss der Vermieter sie gleichwohl annehmen, wenn er nicht in Annahmeverzug kommen will.142 Bei der Wohnungs-, Raum- oder Grundstücksmiete ist zu beachten, dass dem Mieter entgegen der §§ 273, 274 wegen eigener Ansprüche kein Zurückbehaltungsrecht an der Mietsache zusteht (§§ 570, 578). Hat der Mieter die Mietsache (mit oder ohne Erlaubnis des Vermieters) einem Dritten überlassen, so kann der Vermieter die Sache nach Beendigung des Mietverhältnisses auch von dem Dritten zurückfordern (§ 546 II). Irrelevant ist, ob das Mietverhältnis zwischen dem Mieter und dem Untermieter noch fortbesteht. Da dem Untermieter gegenüber dem Vermieter ein Recht zum Besitz nur dann zusteht, wenn auch der Mieter dem Vermieter gegenüber zum Besitz und zur Überlassung der Sache an einen Dritten berechtigt ist, verliert der Untermieter sein Recht zum Besitz schon mit Beendigung des „Ober“-Mietverhältnisses. Eventuell stehen ihm aber aus §§ 536 III, 536a Ansprüche gegen den Mieter zu.143 Gibt der Mieter die Mietsache nicht zurück, so kann der Vermieter für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte oder wahlweise die (höhere) ortsübliche Miete verlangen, 546 a. Der Mieter, der die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt, soll nicht besser stehen, als er stünde, wenn der Mietvertrag noch fortdauern würde. Bei § 546 a handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch (s. dazu §§ 546 a II, 571), sondern um einen vertraglichen Anspruch eigener Art.144 Ansprüche des Vermieters aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 I 2 Alt. 1, 818 I, II) werden durch § 546 a nicht ausgeschlossen.145 b) Schadensersatz

1058

Bei einer Beschädigung der Mietsache haftet der Mieter aus §§ 280 I 1, 281 und aus § 823 I auf Schadensersatz (s. o. Rdn. 1016). Veränderungen oder Verschlechterungen,

140 141 142 143 144 145

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BGHZ 56, 308. BGHZ 81, 146; 96, 141. BGH NJW 1983, 1049. BGH NJW 1993, 55. BGHZ 68, 307; 90, 145; 104, 285. BGH NJW-RR 2000, 382.

Miete

§ 77 IX 6

die durch vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt wurden (§ 538), hat der Mieter nicht zu vertreten.146 c) Aufwendungsersatz Hat der Mieter Aufwendungen auf die Mietsache gemacht, die ihm nicht schon nach § 536a II vom Vermieter zu ersetzen sind, kann er diese nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag vom Vermieter ersetzt verlangen (§ 539 I). Die Geltendmachung dieses Anspruchs ist nicht an die Beendigung des Mietvertrags geknüpft, wird in der Praxis aber meist zu diesem Zeitpunkt relevant. Unter den Begriff der Aufwendung fallen alle Vermögensverwendungen, die (zumindest auch) der Sache zugute kommen, indem sie ihrer Wiederherstellung, Erhaltung oder Verbesserung dienen.147 Beispiele: Legen von neuen Fliesen im Bad, Bepflanzung des Gartens, Tapezieren der Wände, Einbau eines Wandschranks, Anbringen von Sicherheitsschlössern etc.

Da es sich nach h. M.148 bei § 539 I um eine Rechtsgrundverweisung handelt, ist erforderlich, dass der Mieter bei Vornahme der Aufwendung mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt hat und diese dem Interesse und wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Vermieters entspricht (§ 683). Ist letzteres nicht der Fall, kommt ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nur dann in Betracht, wenn der Vermieter die Geschäftsführung genehmigt (§ 684 S. 2) oder ihre Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt (§ 679). Ein Fremdgeschäftsführungswille des Mieters liegt nicht vor, wenn er die Aufwendung auf die Mietsache für eigene Zwecke und im eigenen Interesse gemacht hat, etwa wenn er die an sich vertragsgemäße Sache nach eigenem Geschmack umgestaltet (Fliesen in einer anderen Farbe, anderer Bodenbelag etc.). Dagegen kann ein Handeln mit Fremdgeschäftsführungswille angenommen werden, wenn die Aufwendungen zum Geschäftskreis des Vermieters gehören, also Substanzeingriffe in die Mietsache vorgenommen werden, die dem Vermieter unabhängig vom jeweiligen Nutzer einen zeitlosen Vorteil bringen (z. B. Einbau wärme- und schalldämmender Fenster).149 Entspricht die Maßnahme zudem dem Interesse und wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Vermieters, kann der Mieter alle erforderlichen Aufwendungen nach §§ 683 S. 1, 670 ersetzt verlangen. – Bei unberechtigter GoA hat der Mieter einen Bereicherungsanspruch aus §§ 684 I S. 1, 812 ff, ansonsten aus §§ 951 I, 812 I 1 Alt. 2 (Verwendungskondiktion). Der Vermieter ist vor aufgedrängten Bereicherungen zu schützen (s. u. Rdn. 1521). Er kann den Mieter gem. §§ 242, 539 II möglicherweise auch auf Wegnahme verweisen.150 d) Ablösungs- und Abstandsvereinbarungen In der Praxis häufig sind Ablösungsvereinbarungen. Gegen eine Geldzahlung übernimmt der (potentielle) Neumieter vom Altmieter Einrichtungsgegenstände. Es handelt sich dabei um einen gewöhnlichen Kaufvertrag. Von der Ablösungsvereinbarung ist die Abstandsvereinbarung zu unterscheiden: Der Altmieter verlangt von einem (potentiellen) Neumieter ein Entgelt dafür, dass er aus dem Mietverhältnis ausscheidet und so

146 Die Vorschrift ist abdingbar; zu Schönheitsreparaturen und Bagatellschäden s. o. Rdn. 1017ff. 147 Palandt/Weidenkaff, § 539 Rdn. 5. 148 GesBegr BT-Drs 14/4553 S. 42; OLG München NJW-RR 1997, 650; Bamberger/Roth/Ehlert, § 539 Rdn. 8; Soergel/Heintzmann, § 547 a. F. Rdn. 6. 149 Bamberger/Roth/Ehlert, § 539 Rdn. 9. 150 S. näher hierzu Bamberger/Roth/Ehlert, § 539 Rdn. 10ff.

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§ 77 X

Gebrauchsüberlassungsverträge

eine Neuvermietung möglich macht. – Ablösungs- und Abstandsvereinbarungen über Geschäftsräume sind in den Grenzen von § 138 möglich. Für Wohnungen gilt § 4 a WoVermittG: Danach sind Abstandsvereinbarungen unwirksam (Ausnahme: § 4 a I 2 WoVermittG), da der Altmieter keine eigene Leistung erbringt. Ablösungsvereinbarungen sind hingegen möglich. Sie sind im Zweifel aufschiebend bedingt (§ 158 I) durch das Zustandekommen des Mietvertrags (der Vermieter ist ja nicht durch die Vereinbarung zwischen Mieter und Interessent gebunden). Die Entgeltvereinbarung ist unwirksam, soweit Entgelt und Wert der übernommenen Gegenstände in einem auffälligen Missverhältnis stehen. Hiervon ist bei einer Überschreitung des objektiven Werts um 50 % auszugehen.151 Zu viel Gezahltes kann nach § 5 II WoVermittG zurückgefordert werden. e) Duldung der Wegnahme von Einrichtungen 1060

Nach § 539 II hat der Mieter das Recht, Einrichtungen wegzunehmen, die er mit der Mietsache verbunden hat. Die Wegnahme hat nicht die Beendigung des Mietvertrags zur Voraussetzung, wird aber – ebenso wie der Anspruch auf Aufwendungsersatz – zumeist zu diesem Zeitpunkt erst relevant. Unter einer Einrichtung ist eine bewegliche Sache zu verstehen, die vom Mieter körperlich mit dem Mietobjekt fest verbunden wurde und die dem wirtschaftlichen Zweck der Mietsache dient (z. B. Wandschrank, Badewanne, Deckenlampe).152 Gehört die Sache nicht (mehr) dem Mieter (s. §§ 93, 94, 95), ergibt sich aus § 539 II zugleich ein Aneignungsrecht.153 Hat er bereits den Besitz der Mietsache aufgegeben, wandelt sich sein Wegnahmerecht in einen Anspruch auf Duldung der Wegnahme (§ 258 S. 2). Bei der Wohnraummiete kann der Vermieter die Ausübung des Wegnahmerechts durch Zahlung einer angemessenen Entschädigung abwenden, wenn nicht der Mieter ein berechtigtes Interesse an der Wegnahme hat (§ 552 I). Das Wegnahmerecht des Mieters besteht nicht, wenn er dem Vermieter die Sache vertraglich schuldet, wenn sie dem Vermieterpfandrecht unterfällt,154 oder wenn die Parteien das Wegnahmerecht des Mieters vertraglich ausgeschlossen haben.155 Letzteres ist bei der Wohnraummiete nur zulässig, wenn zugunsten des Mieters ein angemessener Ausgleich vorgesehen ist (§ 552 II).

X. Verjährung 1061

Nach § 548 I verjähren die Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderung oder Verschlechterung der Mietsache in sechs Monaten vom Zeitpunkt des Zurückerhalts der Sache an. Die gleiche Frist gilt beginnend mit Beendigung des Mietverhältnisses nach § 548 II für die Ansprüche des Mieters auf Aufwendungsersatz und Gestattung der Wegnahme einer Einrichtung. Der Zweck des § 548 I liegt in einer raschen Abwicklung von Nebenansprüchen aus dem Mietverhältnis, die vom Zustand der Mietsache im Zeitpunkt der Rückgabe abhängen.156 In Übereinstimmung mit dem Normzweck ist die Vorschrift weit auszulegen und erfasst alle vertraglichen und gesetzlichen Anspruchs-

151 152 153 154 155 156

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BGH NJW 1997, 1845 (1846). BGHZ 101, 41. Schellhammer, Schuldrecht Rdn. 223. BGHZ 101, 41 (44). BGH NJW 1958, 2109; 1967, 1223. BGHZ 98, 235 (237) m. w. N.

Pacht

§ 78 I

grundlagen. Ausgenommen sind Ansprüche des Vermieters auf Vertragserfüllung, auf Rückgabe der Mietsache oder auf Schadensersatz wegen völliger Zerstörung der Sache, da in diesem Fall keine bloße „Veränderung oder Verschlechterung“ vorliegt.157

§ 78 Pacht Cebulla, Die Pacht nichtsächlicher Gegenstände (1999); Faßbender/Hötzel/Lukanow, Landpachtrecht (Kommentar), 3. Aufl. (2005); Gerber/Eckert, Gewerbliches Miet- und Pachtrecht – Aktuelle Fragen, 5. Aufl. (2005); Harke, Locatio conductio, Kolonat, Pacht, Landpacht (2005); Hilty, Lizenzvertragsrecht (2001); Knoppe, Verpachtung eines Gewerbebetriebs (Musterverträge), 9. Aufl. (2005); Kroeschell, Deutsches Agrarrecht (1983); Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery, Landpachtrecht, 4. Aufl. (1997); Pfaff, Lizenzverträge, 2. Aufl. (2004); Pikalow, NJW 1986, 1472; Stumpf/Groß, Der Lizenzvertrag, 8. Aufl. (2005); Voelskow, NJW 1983, 910; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 9. Aufl. (2004)

I. Grundlagen Die Pacht ist ein gegenseitiger Vertrag, durch den sich der eine Teil (Verpächter) verpflichtet, dem anderen Teil (Pächter) den Gebrauch eines Gegenstands und den Genuss der Früchte für die Dauer der Pachtzeit zu gewähren, wogegen sich der andere Teil zur Zahlung des Pachtzinses verpflichtet (§ 581 I). Im Unterschied zur Miete hat der Pächter das Recht, den Gegenstand nicht nur zu gebrauchen, sondern auch seine Früchte zu ziehen, ihn also insgesamt zu nutzen (Nutzungen sind Früchte, § 99, und Gebrauchsvorteile, § 100). Da man ein Recht – entgegen § 100 – zwar nicht gebrauchen, wohl aber nutzen kann, können Rechte zwar gepachtet, nicht aber gemietet werden. Daher spricht § 581 I im Unterschied zu § 535 nicht von „Sache“ (§ 90), sondern von „Gegenstand“.1 „Gewährung des Fruchtgenusses“ bedeutet, dass der Verpächter dem Pächter die Möglichkeit geben muss, die Früchte des Gegenstands zu Eigentum zu erwerben, weshalb der Verpächter aus dem Pachtvertrag insbesondere verpflichtet ist, die „Gestattung“ i. S. d. § 956 I 1 zu erklären. Die Pacht ist ein wirtschaftlich wichtiger Vertrag vor allem in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Unternehmensrecht (Betriebspacht). Umstritten ist die Rechtsnatur des Lizenzvertrags im gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht (s. dazu bereits oben Rdn. 927): Entgegen den Auffassungen, welche von Rechtskauf, Gesellschaftsvertrag oder Vertrag sui generis ausgehen, sollten Lizenzverträge als Rechtspacht qualifiziert werden, welche allerdings wesentlichen Besonderheiten der immaterialgüterrechtlichen Spezialgesetze wie z. B. des Patent- oder Urheberrechtsgesetzes unterliegen.2 Entsprechend sollten Verträge über die Einräumung von Rundfunkübertragungsrechten als Rechtspacht eingeordnet werden. Rundfunkübertragungsrechte bspw. für Sportveranstaltungen sind zwar i. d. R. nicht durch gewerbliche Ausschließlichkeitsrechte geschützt. Der Begriff des „Gegenstands“ in § 581 I 1 sollte aber wie in § 453 I nicht nur auf Sachen und Rechte, sondern auch auf 157 BGH NJW 1993, 2797. § 548 ist dagegen anwendbar auf Ansprüche aus Vertragsanbahnung, BGH NJW 2006, 1963. 1 Zur Abgrenzung von Miete und Pacht vgl. Voelskow, NJW 1983, 910. 2 Zur Diskussion s. beispielsweise Stumpf/Groß, Der Lizenzvertrag Rdn. 19ff; Kraßer/Schmidt, GRUR 1982, 324 (335 ff).

531

1062

§ 78 III 2

Gebrauchsüberlassungsverträge

„sonstige Gegenstände“ erstreckt werden.3 Schließlich ist der Franchisingvertrag, welcher den Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen betreffen kann, der Rechtspacht verwandt.4

II. Systematik 1063

Im Zuge der Neukonzeption der Landpacht ist das Pachtrecht durch Gesetz vom 8. 11. 1985 5 umgestaltet und auch in den allgemeinen Bestimmungen überarbeitet worden. Die §§ 581–584 b regeln jetzt die Verpachtung von Gegenständen, die §§ 585–597 die Landpacht. Daneben gibt es für einige Spezialfälle der Pacht Sonderregeln außerhalb des BGB. Innerhalb der Vorschriften der Verpachtung von Gegenständen (§§ 581–584 b) muss weiter unterteilt werden zwischen der Pacht im Allgemeinen und der Pacht eines Grundstücks mit Inventar, das die §§ 582–583a regeln.

III. Regelung der verschiedenen Pachtverträge 1. Allgemeine Pacht 1064

1065

Wegen der Verweisung in § 581 II gilt bei der Pacht grundsätzlich Mietrecht; insbesondere sind also bei Sach- oder Rechtsmängeln die §§ 536ff anzuwenden. Besonderheiten enthalten aber die §§ 584–584b: Nach § 584 I ist entgegen § 580 a im Zweifel die Kündigung eines Grundstücks- oder Rechtspachtvertrags nur für den Abschluss eines Pachtjahres zulässig. § 584 II erweitert diese Regelung auf die außerordentliche befristete Kündigung (anders § 580a IV). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Pächter i. d. R. in Erntejahren oder ähnlichen Perioden wirtschaftet. § 584 a schließt die außerordentliche Kündigung nach § 540 I für den Pächter (Kündigung bei Verweigerung der Genehmigung der Gebrauchsüberlassung an Dritte) und nach § 580 für den Verpächter (Kündigung bei Tod des Mieters) aus. § 584b schließlich modifiziert gegenüber § 546 a die Entschädigungshöhe bei verspäteter Rückgabe des Pachtgegenstands dahin, dass der Pachtzins im Verhältnis zur Nutzungsmöglichkeit zu entrichten ist, da die Nutzungen oft innerhalb des Pachtjahres stark variieren (z. B. Ernte). Der Eigentumserwerb des Pächters richtet sich nicht nach schuldrechtlichem Pachtrecht, sondern nach der sachenrechtlichen Vorschrift des § 956 I 1 Fall 1. Danach erwirbt der rechtmäßig die Muttersache besitzende Pächter Eigentum an Früchten und Erzeugnissen mit der Trennung, bei Rechtsfrüchten (also den Erträgen, die ein Recht unmittelbar, § 99 II, oder vermöge eines Rechtsverhältnisses abwirft, § 99 III) mit der Entstehung des die Frucht bildenden Rechts (z. B. Anspruch auf Zinsen, Unterlizenzgebühren). 2. Pacht eines Grundstücks mit Inventar

1066

Die §§ 582–583a regeln die rechtliche Behandlung von Inventar bei der Grundstückspacht. Der gesetzlich zunächst nicht geregelte Begriff des Inventars hat über die neue amtliche Überschrift des § 98 eine Bestimmung im Gesetz erfahren, wobei die in § 98 3 Zur Rechtsnatur der Fernsehübertragungsrechte s. beispielsweise Helbig, Die Verwertung von Sportereignissen im Fernsehen (2005) 26 ff, 146ff (über § 453 I Anwendung von Kaufrecht); Mestmäcker, FS Sandrock (2000) 689 ff; Petersen, Medienrecht Rdn. 274ff; BGH NJW 2006, 377 – Hörfunkrechte. 4 Medicus, II Rdn. 609; Möller, AcP 203 (2003) 319; Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 581 Rdn. 22. Überblick über jüngere Entwicklungen bei Haager, NJW 2005, 3394; Prasse, ZGS 2005, 379. 5 BGBl. I 2065.

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Pacht

§ 78 III 3

aufgeführten Positionen zwar einen Überblick geben, aber nicht abschließend sind. Der Begriff umfasst alle dem Zweck des Grundstücks dienenden Sachen – also Zubehör (§§ 97, 98) und Bestandteile (§§ 93ff) –, die in einem räumlichen Verhältnis zu dem Grundstück stehen. Bei der Pacht eines Grundstücks mit Inventar gibt es drei Möglichkeiten: Nach § 582 wird das Inventar ohne Besonderheiten mitverpachtet. Der Verpächter bleibt Eigentümer. Entgegen § 535 I 2 Alt. 2 obliegt dem Pächter die Erhaltung des Inventars, § 582 I. Deshalb muss der Verpächter Inventarstücke – mit Ausnahme von Tieren – nur dann ersetzen, wenn sie infolge eines vom Pächter nicht zu vertretenden Umstandes in Abgang kommen (§ 582 II). § 583 gewährt dem Pächter wegen seiner Forderungen (insbesondere aus § 582 II S. 1) gegen den Verpächter bezüglich des Inventars ein Pfandrecht an in seinen Besitz gelangten Inventarstücken. Gem. § 582a wird das Inventar ebenfalls mitverpachtet, der Pächter übernimmt es aber zu einem Schätzwert und muss es bei Beendigung der Pacht zum Schätzwert zurückgeben. Auch hier bleibt der Verpächter Eigentümer; die Übernahme erfolgt nur zur Nutzung. Jedoch darf der Pächter innerhalb ordentlicher Wirtschaft als Berechtigter über die Inventarstücke verfügen. Noch weiter als durch § 582 I ist der Pächter zur Erhaltung des Inventars verpflichtet, da er sogar die Gefahr zufälligen Verlustes trägt (§ 582 a II S. 1). Ersetzt der Pächter fehlende Stücke des Inventars, erwirbt der Verpächter durch „Einverleibung“ das Eigentum an diesen neu angeschafften Sachen, § 582a II S. 2. Bei Pachtende hat der Pächter das Inventar an den Verpächter zurückzugeben. Die Differenz zwischen dem Schätzwert des übernommenen und des zurückzugewährenden Inventars ist auszugleichen, doch kann der Verpächter vom Pächter angeschaffte überflüssige oder zu wertvolle Inventarstücke (sog. Überinventar) ablehnen; dann wird der Pächter ihr Eigentümer, § 582 a III S. 2. Der Pächter kann schließlich die Inventarstücke vom Verpächter zu Eigentum erwerben. Dann wird der Pächter Eigentümer auch des von ihm später angeschafften Inventars. Diese Möglichkeit spielt pachtrechtlich jedoch keine Rolle. 3. Landpacht Seit dem 1. 7. 1986 gelten für die Landpacht die §§ 585–597. Zuvor war sie außer in den §§ 582 ff im nunmehr aufgehobenen LandpachtG geregelt. Der neu geschaffene Art. 219 EGBGB enthält eine materiell-rechtliche Übergangsvorschrift. Besondere Verfahrensvorschriften finden sich im LandpachtverkehrsG und im LwVG. Landpacht ist nach § 585 I die Grundstückspacht zum Betrieb von Landwirtschaft. Wichtig ist, dass die Mietrechtsvorschriften auf die Landpacht nicht generell subsidiäre Anwendung finden, §§ 581 I, 585 II. Die §§ 585 ff sind in sich abgeschlossene Sonderregeln. Deshalb verweisen einige Vorschriften speziell ins Mietrecht (§§ 586 II, 587 II 2, 592 S. 4, 593b, 594e I), andere wiederholen teilweise modifiziert mietrechtliche Normen (§§ 588, 589, 596). – Zwei Vorschriften sind hervorzuheben: Nach § 586 I 3 ist der Landpächter (im Gegensatz zur allgemeinen Pacht) nicht lediglich zur Bewirtschaftung der Pachtsache berechtigt, sondern dazu verpflichtet. Diese Betriebspflicht ist Hauptleistungspflicht; sie soll vor Verwilderung der Pachtsache schützen und dazu beitragen, dass landwirtschaftliche Betriebe nicht zweckentfremdet werden. Nach § 593 kann die Änderung eines Landpachtvertrags verlangt werden, wenn sich die maßgeblichen Verhältnisse nachhaltig geändert haben. Die Beurteilung ist auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (allgemeine Wirtschaftslage der Landwirtschaft, Änderung von Steuern und Abgaben, staatliche Lenkungsmaßnahmen, Naturereignisse und Unglücksfälle).

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§ 79 I

Gebrauchsüberlassungsverträge

Die Vorschrift konkretisiert für den Landpachtvertrag die Störung der Geschäftsgrundlage und verdrängt in ihrem Anwendungsbereich § 313.6 4. Pachtverträge außerhalb des BGB 1068

Besondere, außerhalb des BGB geregelte Pachtverhältnisse sollen hier nur im Überblick aufgeführt werden. Für die Kleingartenpacht gilt seit dem 1. 4. 1983 das Bundeskleingartengesetz vom 28. 2. 1983.7 Für die Jagdpacht gilt das BJagdG, für die Fischereipacht gelten jeweilige Landesgesetze. Die Apothekenpacht als Unterfall der Unternehmenspacht ist geregelt im Gesetz über das Apothekenwesen i. d. F. vom 15. 10. 1980.8

§ 79 Leasing, insb. der Finanzierungsleasingvertrag Beckmann, Finanzierungsleasing, 3. Aufl. 2006; Berger, Typus und Rechtsnatur des Herstellerleasing, 1988; Canaris, NJW 82, 305; ders., AcP 190 (1990) 411; Coester-Waltjen, Jura 80, 123; dies., Jura 80, 186; Dageförde, Internationales Finanzierungsleasing, 1992; Dietz, A., AcP 190 (1990) 233; Eckstein/Feinen, Leasing-Handbuch, 7. Aufl. 2000; Emmerich, JuS 90, 1; Engel, Handbuch Kraftfahrzeug-Leasing, 2. Aufl. 2004; Figge, AcP 190 (1990) 219; Giger, Der Leasingvertrag, 1977; Habersack, BB 2003, 2*; Hager, AcP 190 (1990) 324; Gzuk, AcP 190 (1990) 208; Koch, Störungen beim Finanzierungs-Leasing, 1981; Kronke, AcP 190 (1990) 383; Leenen, AcP 190 (1990) 260; Lieb, DB 88, 946; 88, 2495; Lienhard, Finanzierungs-Leasing als Bankgeschäft, 1976; Löbbe, BB 2003, 7*; Lwowski, Erwerbersatz durch Nutzungsvertrag, Diss. Hamburg 1967; Frhr. Marschall v. Bieberstein (Hrsg.), Leasingverträge im Handelsverkehr, 1980; Martinek, Moderne Vertragstypen I: Leasing und Factoring, 1991, §§ 3–8; Meincke, AcP 190 (1990) 358; Michalski/Schmitt, Der Kfz-Leasingvertrag, 1995; Papastolou, Die Risikoverteilung beim Finanzierungsleasing über bewegliche Sachen, 1987; Reich, JuS 73, 480; ders., Leasing, in: Gitter u. a., Vertragsschuldverhältnisse (ohne Kaufrecht), 1974; Reinking, ZGS 2002, 229; Roth, H., AcP 190 (1990) 292; Sannwald, Der Finanzierungsleasing über bewegliche Sachen mit Nichtkaufleuten, 1982; Sonnenberger, NJW 83, 2217; Städtler, AcP 190 (1990) 204; Weber, NJW 2003, 2348; ders., NJW 2005, 2195; Graf v. Westphalen, Der Leasingvertrag, 5. Aufl. 1998; ders., ZIP 2001, 2249; ders., DB 2001, 1291; Wolf, JuS 2002, 335; Zöllner, AcP 190 (1990) 471.

I. Begriff und wirtschaftliche Bedeutung 1069

Beim Teilzahlungsgeschäft zahlt der Käufer in Raten, weil er den gesamten Preis noch nicht zahlen kann oder will, um nach Vollzahlung das Eigentum an der Kaufsache zu erlangen. Nicht selten kommt es aber dem Erwerber gar nicht entscheidend auf das Eigentum, sondern auf die Nutzung der Sache an. Dann liegt als Vertragstyp, den das BGB zur Verfügung stellt, Miete, im Falle beabsichtigter Fruchtziehung auch Pacht nahe. Miete und Pacht setzen aber typischerweise voraus, dass die zur Nutzung überlassene Sache nach Vertragsende zurückgegeben und dann vom Vermieter (Verpächter) anderweit entgeltlich in Nutzung gegeben wird. Wie aber, wenn dies nicht zutrifft, wenn also zum Ende der vorgesehenen Nutzungsdauer das Wirtschaftsgut im 6 BGH NJW 1997, 1066; s. eingehend Harke. 7 BGBl. I 210. 8 BGBl. I 1994.

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Leasing, insb. der Finanzierungsleasingvertrag

§ 79 I

Wesentlichen verbraucht ist? Dann passt mangels angestrebtem Eigentumsübergang einerseits und fehlender Rücknahme- und Wiederverwendungsabsicht andererseits weder Kauf noch Miete oder Pacht. Im Anschluss an US-amerikanische Vorbilder hat sich zur Deckung dieses wirtschaftlichen Bedarfs der Finanzierungsleasingvertrag seit etwa 1970 eingebürgert: Der Leasingnehmer zahlt (meist monatliche) Teilbeträge, erhält dafür aber nicht das Eigentum an der Sache, sondern nur die Nutzung. Die Teilzahlungsbeträge sind so bemessen, dass sie den Wert der Sache zuzüglich der Finanzierungskosten und des Gewinns des Leasinggebers innerhalb der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer der Sache ganz oder jedenfalls nahezu einbringen. Das FinanzierungsLeasing ist eine Finanzierungsform, die sich angesichts der immer noch sinkenden Eigentumsausstattung der deutschen Unternehmen immer größerer Beliebtheit erfreut, weil Investitionen mit laufenden Monatszahlungen bestritten werden können. Eine Investitionsgüter vermarktende Firma ist heute häufig darauf angewiesen, der Kundschaft ein Bündel von Miet-, Leasing- und Abzahlungsmodellen vorzulegen, aus dem für den Interessenten eine „maßgeschneiderte“, seinen konkreten Bedarf deckende Lösung entnommen werden kann. Steuerlich bietet das Finanzierungs-Leasing dem Leasingnehmer den Vorteil, dass das geleaste Eigentum beim Leasinggeber bilanziert wird und die monatlichen Teilzahlungen vom Leasingnehmer als Betriebsausgaben abgesetzt werden können. Statt Investitionen zu aktivieren, werden die Leasingraten passiviert. In der Insolvenz kann zudem der Leasingnehmer darauf verweisen, die genutzte Sache sei nicht sein Eigentum. Doch hat der Leasinggeber kein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO, da das Eigentum für ihn nur Sicherungsfunktion hat.1 Anders als der Vermieter hat der Leasinggeber zunächst keine Sache, sondern Kapital. Dieses Kapital setzt er ein, um eine vom Leasingnehmer benötigte und regelmäßig ausgesuchte Sache beim Lieferanten (Hersteller, Händler) zu kaufen. Die dann im Eigentum des Leasinggebers stehende Sache überlässt dieser zur Nutzung entgeltlich dem Leasingnehmer, wobei eine längere, feste Grundmietzeit vereinbart wird. Bei diesem Dreiecksverhältnis besteht zwischen Lieferant und Leasinggeber ein Kaufvertrag, zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer der Leasingvertrag. Der Leasingnehmer erhält hier also eine Sache zur Nutzung, ohne dass er eigenes Kapital einsetzen muss (was er vielleicht auch gar nicht hat). Hier steht deshalb die Finanzierungsfunktion ganz im Vordergrund (deshalb spricht man insoweit vom „Finanzierungsleasing“). Der Leasingvertrag kommt aber auch im Zweipersonenverhältnis vor, wenn Leasinggeber und Lieferant identisch sind oder als Leasinggeber eine Tochtergesellschaft des Herstellers auftritt (sog. „direktes“ oder „Hersteller-Leasing“, unten Rdn. 1074). Dabei tritt die Finanzierungsfunktion hinter das Absatzinteresse des Lieferanten/ Leasinggebers zurück. Im System des Schuldrechts wird das Leasing (insgesamt) meist bei den Gebrauchsüberlassungsverträgen, insb. bei der Miete, behandelt. Das entspricht der Mehrzahl der BGH-Entscheidungen, die das „Leitbild Miete“ zugrunde legen. Damit ist der Antwort auf die vor allem im Schrifttum erörterte Frage, ob Miete, Pacht, Kauf oder Geschäftsbesorgung der dem Leasing zuzuordnende Vertragstyp sei oder ob ein Vertrag sui generis zu bejahen sei, noch nicht vorgegriffen. Nachstehend wird das „Leitbild Kauf“ vertreten. Doch rechtfertigt der Abstand vom Kaufrecht die Erörterung an dieser Stelle (anders noch die 6. Auflage).

1 Dafür steht dem Leasinggeber ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zu, a. A. MüKo/Habersack, Leasing Rdn. 136. Der Insolvenzverwalter hat das Wahlrecht nach § 103 InsO.

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§ 79 II

Gebrauchsüberlassungsverträge

II. Verhältnis des Finanzierungsleasing zu anderen Leasingformen. Das rechtliche „Leitbild“: Miete oder Kauf ? 1071

Das Finanzierungsleasing findet sich z. B. beim Absatz von Kraftfahrzeugen, Büromaschinen und Einrichtungsgegenständen. Wer ein Auto least, wird zwar nicht Eigentümer 2, kann aber, wenn er den Leasingvertrag erneuert, „stets das neueste Modell fahren“. Der Leasinggeber ist es, der oft unter Einsatz erheblicher Finanzmittel investiert und seinerseits „vermietet“. Trotz verbreiteter Verwendung des Miet-Vokabulars fehlt dem Finanzierungsleasing das Miete und Pacht kennzeichnende Interesse des Eigentümers, die Sache in ihrer Grundbeschaffenheit nach Beendigung der Gebrauchsüberlassung zum eigenen Gebrauch oder zu weiterer Gebrauchsüberlassung an neue Mieter oder Pächter zurückzunehmen. Vielmehr geht typischerweise beim Finanzierungsleasing das Interesse des Leasinggebers auf einen endgültigen Warenumsatz, der allerdings in laufenden Raten abgegolten wird, so dass das Eigentum nicht nur aus steuerrechtlichen Gründen, sondern auch zu Sicherungszwecken zurückbehalten wird. Das Finanzierungsleasing ist daher in seinem „Leitbild“ nicht eine Form von Miete, sondern ein in besonderer Weise, nämlich durch Umrechnung des Preises in Raten für die Zeit der wahrscheinlichen Nutzbarkeit der Sache finanzierter und mit erheblichen Geschäftsbesorgungselementen (Canaris) ausgestatteter Kauf (str., a. A. der BGH).3 Dafür spricht auch die systematische Stellung der rudimentären gesetzlichen Regelung: Der Gesetzgeber hat die verbraucherschützenden Aspekte des Finanzierungsleasings in den §§ 499 II, 500, also in unmittelbarem Zusammenhang mit den Teilzahlungsgeschäften, also in erster Linie dem Teilzahlungskauf geregelt.4 Kaufobjekt ist die Nutzung (6. Auflage: Nutzkauf) als sonstiger Gegenstand i. S. v. § 453 I. Dem Argument von Flume (DB 72, 1, 3), jede Miete sei ein „Kauf von Nutzungen“, so dass Nutzungskauf grundsätzlich ohnehin Mietrecht unterliege, steht entgegen, dass die rechtliche Einordnung des Leasing nicht nach der Faustregel: Eigentum für Geld = Kauf, Gebrauch für Geld = Miete, getroffen werden kann, sondern dass die Gesamtstellung des Leasingnehmers mit der des Käufers und der des Mieters verglichen werden muss. Dabei ist weder die Wahl der Ausdrücke in der Praxis noch der wirtschaftliche Grundgedanke der Finanzierung eines Kaufpreises durch Teilzahlungen noch der Gesichtspunkt der Eigentumsübertragung entscheidend (letzteres mit Ausnahme verdeckter Abzahlungsgeschäfte), sondern vor allem die Überlegung, ob ein Wirtschaftsgut in seiner Grundbeschaffenheit entgeltlich im Wesentlichen allein einem Nutzer, oder nacheinander mehreren Nutzern überlassen werden soll. Viel hängt dabei von der Festlegung des Wirtschaftsguts ab: Die Verkehrssitte erblickt in einem neuen KfZ ein anderes Wirtschaftsgut als in einem Gebrauchtwagen. Auch wettbewerbsrechtlich handelt es sich insoweit um zwei verschiedene Märkte. Decken also die Teilzahlungsbeträge beim Finanzierungsleasing im Wesentlichen den Wert eines Kfz, bis es nach der Marktüblichkeit als Gebrauchtfahrzeug gehandelt wird, geht es um einen Nutzer, nicht um mehrere, also um (mindestens) zwei Wirtschaftsgüter, nicht um eines. Solange daher das Interesse des Leasingsnehmers vorwiegend auf Finanzierung des Erwerbs eines Wirtschaftsgutes (wenn auch nur zur Nutzung) und das des Leasinggebers vorwiegend auf Rückbehalt des Eigentums als Sicherungsmittel und als Steueranreiz, nicht aber als Quelle späterer eigener Nutzung oder entgeltlicher Gebrauchsüberlassung an andere auf Zeit gerichtet ist, liegt tendenziell eine Übertragung der Zuordnung und damit Kauf, nicht Miete oder Pacht vor. Wird, wie beim Finanzierungsleasing, die „betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer“ voll oder zu einem

2 Wohl aber Halter des Kfz, BGHZ 87, 133 mit den Haftungsfolgen. 3 Wie hier Ebenroth, JuS 78, 588 (593); Staudinger/Emmerich, Vorb. zu §§ 535, 536 Rdn. 50; – der BGH wendet mietrechtliche Grundsätze an, BGH NJW 77, 195; BGHZ 71, 189; BGH NJW 88, 198; 89, 461; 90, 1113 (die mietrechtliche Sicht beginnt sich durchzusetzen). – Canaris, Bankvertragsrecht Rdn. 1718; ders., NJW 82, 306 vertritt eine Orientierung am Darlehens- und Geschäftsbesorgungsrecht. 4 Ist der Leasingnehmer Verbraucher, profitiert er also beispielsweise von den Regeln über verbundene Verträge (§§ 358 f) und hat ein Widerrufsrecht (§ 495 I). Seit Dezember 2004 unterliegen Finanzdienstleistungen und damit auch das Finanzierungsleasing den Regeln über Fernabsatzverträge, 312b ff (BGBl. 2004 I 3102). Gem. § 312d V geht aber das Widerrufsrecht nach §§ 500, 495 I vor.

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Leasing, insb. der Finanzierungsleasingvertrag

§ 79 III

wesentlichen Teil für die laufende Finanzierung ausgeschöpft, tritt zwar die Bedeutung des Eigentums i. S. d. § 903, nicht aber der die Sache selbst betreffende Austauschcharakter des Geschäfts zurück.

Unter Leasing werden jedoch noch andere Geschäfte verstanden, deren Rechtsnatur mit der des Finanzierungsleasings zu vergleichen ist: 1. Rechtlich keine Schwierigkeiten bereitet ein Leasing, hinter dem sich ein Ratenkauf verbirgt (Selmer, JuS 70, 362), gekennzeichnet durch die Absicht der Parteien, das Eigentum nach Vollzahlung übergehen zu lassen und den Leasingnehmer wie einen Käufer beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt zu stellen, OLG Köln NJW 73, 1615. Kaufrecht ergänzt um die verbraucherschützenden Vorschriften der §§ 499 ff ist anwendbar. 2. Für das Finanzierungsleasing findet sich auch der Ausdruck „Mobilien-Leasing“, weil es ganz vorherrschend für mobile Investitionsgüter verwendet wird. Beim Immobilien-Leasing handelt es sich um eine (die Abschreibungsdauer berücksichtigende) langfristige Gebrauchsüberlassung unbeweglicher Sachen durch einen Leasinggeber an einen Leasingnehmer zu gewerblicher – bei öffentlichen Leasingnehmern fiskalischer – Nutzung. Häufig erstellt der Leasinggeber das Objekt im eigenen Namen und für eigene Rechnung auf Initiative des künftigen Leasingnehmers. Während der gesamten Vertragsdauer bleibt der Leasinggeber Eigentümer. Er aktiviert das Grundvermögen in seiner Bilanz und nimmt die Abschreibungen hierauf vor. Der Leasingnehmer leistet während der Vertragsdauer die Leasingzinszahlungen, die bei privaten Unternehmen als Betriebsausgaben abziehbar sind. Bei Vertragsende wird das Objekt zurückgegeben, wenn nicht der Vertrag verlängert wird. Auch kann dem Leasingnehmer eine Kaufoption zum Restwert eingeräumt werden, die häufig vormerkungsgesichert ist. Üblicherweise übernimmt der Leasingnehmer die mit der Errichtung des Objekts zusammenhängenden Risiken, so weit er sich selbst in die Bauplanung und -ausführung einschaltet. Weiterhin übernimmt der Leasingnehmer regelmäßig alle Risiken, Kosten und Steuern einschließlich aller Lasten, denen im Mietrecht der Vermieter ausgesetzt ist. Aus dem Umstand, dass beim Immobilienleasing in der Regel noch eine Restnutzung des Objekts für Leasinggeber oder Leasingnehmer verbleibt, folgt, dass insoweit – anders als beim Finanzierungsleasing – Miete das „Leitbild“ ist. 3. Einwandfrei mietrechtlich ist das so genannte Operating-Leasing (auch Operate-Leasing) ausgestaltet, bei dem ein kurzfristig oder jederzeit kündbarer Vertrag über die Gebrauchsüberlassung des Leasingobjekts geschlossen wird, wiederholte Überlassungen desselben Objekts also die Regel sind.5 4. Unter Ausscheidung der rein kaufrechtlichen und der mietrechtlichen Formen ist im Folgenden nur noch vom Finanzierungsleasing die Rede.

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III. Arten des Finanzierungsleasings Die Einteilung kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen:

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1. Nach der Zahl der beteiligten Personen: Das Finanzierungsleasing (auch Investitions-Leasing genannt) gliedert sich in das direkte (oft als Herstellerleasing bezeichnete), bei dem Warenproduzent bzw. Händler und Leasinggeber identisch sind, und in das indirekte (auch Vertriebs-Leasing genannt), bei dem eine Finanzierungsgesellschaft als Leasinggeber auftritt. Das Vertriebs-Leasing ist in der Praxis häufiger. Zu Lasten des Lieferanten (Hersteller, Händler) gehen Herstellung, Lieferung, Verwertung, Instandhaltung und Wartung der Objekte (soweit die beiden zuletzt genannten Tätigkeiten nicht auf den Leasingnehmer übertragen werden). Die Leasinggesellschaft übernimmt die Finanzierung. Die Zusammenarbeit ist nach außen oft nicht erkennbar. Sie ist in dreierlei Form möglich: Bei so genannter loser Kooperation teilt der Verkäufer der Leasingfirma mit, wenn ein Kunde leasen statt kaufen will und übergibt gegebenenfalls dem Kunden die Leasing-Vertragsunterlagen. Bei der so genannten engeren Kooperation werden die Verkäufer geschult, um das Produkt gleichzeitig mit der Finanzierung anzubieten. Die Verkäufer vereinbaren Klauseln über Objektverwertung nach Ablauf des Leasingvertrags. Die dritte Form entlastet den Lieferanten in besonderer Weise, sie heißt Herstel-

5 S. hierzu BGH NJW 1998, 1637.

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Gebrauchsüberlassungsverträge

lermiete (oder „sale & lease back mit Untervermietung“): 6 Wenn – wie es für die Herstellermiete kennzeichnend ist – der Lieferant gleichzeitig Leasinggeber ist (direktes Finanzierungsleasing oder Hersteller-Leasing), etwa um einen möglichst engen Kontakt zum Kunden zu haben, können mit Hilfe einer Leasingfirma (als „third party lessor“) die Nachteile der Selbstvermietung (Kapitalbindung, Bilanzausweis, Gewerbesteuer) vermieden werden. Der Hersteller oder der das Objekt erwerbende Händler überträgt das Sicherungseigentum an die Leasinggesellschaft, diese verleast an ihn das Objekt zurück und gestattet ihm, es an Leasingnehmer unterzuvermieten. Dem Leasingnehmer wird in der Regel nicht aufgedeckt, dass das Objekt im Sicherungseigentum der Leasinggesellschaft steht. Die monatlichen Leasingraten, die Mietdauer und die Restwertvereinbarung durch Einsatz des know how der Leasinggesellschaft werden dabei anpassungsfähig und „wettbewerbsgeeignet“ gehalten. Durch den geringen Kapitaleinsatz ist der Lieferant in der Lage, falls nötig während der Mietdauer das Gerät im Austausch gegen ein neues Modell zurückzunehmen. Dadurch bleibt der Leasingnehmer als Kunde erhalten, auch wenn die Konkurrenz zur gleichen Zeit oder sogar früher als er neue Modelle auf den Markt bringt. 2. Nach dem Gegenstand: Gegenstand des Finanzierungsleasing sind entweder Produkte, die speziell auf die Belange des Leasingnehmers zugeschnitten sind, wie Fabrikationsanlagen, Supermarktausrüstungen und Hotelinneneinrichtungen (so genanntes individualisiertes Spezialleasing), oder Gegenstände, die typischerweise über einen Gebrauchtwarenmarkt verfügen und dort nach Beendigung des Leasingvertrags abgesetzt werden können, wie Büromaschinen, Nutzfahrzeuge, Farbfernseher (allgemeines Finanzierungsleasing). 3. Nach der Art der Vertragsbeendigung: bei der so genannten Vollamortisation geht die Kalkulation des Leasinggebers mit Zahlung der letzten Rate auf. Zusätzliche Zahlungen des Leasingnehmers sind nicht vorgesehen. Beim häufigeren Teilamortisations-Vertrag werden während der unkündbaren Vertragslaufzeit durch die zu entrichtenden Leasingraten die Anschaffungs- oder Herstellungskosten sowie alle Nebenkosten einschließlich der Finanzierungskosten des Leasinggebers nur zum Teil berücksichtigt. Es verbleibt ein Restwert, der sich aus der Differenz des voraussichtlichen Marktwerts bei der Wiederverwertung und des so genannten „Restbuchwerts“ ergibt. Der Restbuchwert wird von vornherein festgesetzt. Erbringt zum Beispiel ein Auto nach Ende des Leasingvertrags auf dem Gebrauchtwagenmarkt weniger als den Restbuchwert, muss der Leasingnehmer die Differenz, eben den Restwert, an den Leasinggeber bezahlen. Ist der Restbuchwert niedrig angesetzt, kann die Verwertung ein Plus erbringen. Dieses kommt dann dem Leasingnehmer meist zu 75 %, dem Leasinggeber zu 25 % zugute. Man nennt diese Vertragsgestaltung, die häufig ist, den Teilamortisationsvertrag mit Aufteilung des Mehrerlöses, dazu Graf v. Westphalen, ZIP 83, 1021ff. Statt einer derartigen Restwertzahlung kann auch vereinbart werden, dass die Intensität der Inanspruchnahme, beim Auto zum Beispiel die gefahrene Kilometerzahl, abgerechnet wird. Jeder über die im Vertrag festgesetzte Fahrleistung hinaus gefahrene Kilometer kostet dann den Leasingnehmer einen bestimmten Betrag. Die Minderkilometer werden zwischen Leasinggeber und -nehmer geteilt. Die Verwertung des Objekts beim Ende des Leasingvertrags kann noch variiert werden durch eine Kaufpflicht des Leasingnehmers (Andienungsrecht des Leasinggebers) oder durch ein Optionsrecht des Leasingnehmers auf Ankauf des Objekts. Der Leasingnehmer hat eine solche Kaufoption gegenüber dem Leasinggeber nur dann, wenn dies zwischen den beiden vereinbart wurde. Die Zusage einer Kaufoption durch den Lieferanten bindet den Leasinggeber nicht.7 Macht der Leasingnehmer von einer ihm eingeräumten Kaufoption Gebrauch, sind die §§ 474 ff anwendbar, wenn er Verbraucher ist. Wegen § 475 I 1 können die Gewährleistungsrechte nicht abbedungen werden (mit Ausnahme des Schadensersatzanspruchs, Abs. 3).8

6 S. hierzu Schulze-Osterloh, ZIP 2005, 1617. 7 BGH NJW-RR 2005, 1421. 8 Ebenda.

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Leasing, insb. der Finanzierungsleasingvertrag

§ 79 IV

IV. Rechtsquellen des Finanzierungsleasing Gegen die überwiegende Praxis, die das Finanzierungsleasing am Leitbild des Mietvertrags ausrichtet, spricht nicht nur – wie oben Rdn. 1071 dargelegt – das grundsätzliche Umsatzinteresse von Hersteller/Leasinggeber, sondern auch die Tragung der Sachgefahr, der Sacherhaltung und der Lasten entgegen §§ 535 I 2, 3, 536 ff, 543 II 1 Nr. 1 durch den „Mieter“, die in den Verträgen regelmäßig vorgesehen ist, und die übliche Ersetzung des Gewährleistungsrechts des Mietvertrags durch das des Kaufvertrags (§§ 437ff), vgl. BGH NJW 1998, 1637. Sofern, wie beim typischen Finanzierungsleasing, das Interesse der Parteien vorwiegend auf Zuordnungswechsel, Finanzierung eines Erwerbs und Zurückhaltung des Eigentums als Sicherheit geht, wofür kennzeichnend ist, dass das Objekt nach Ende des Leasingvertrags einen anderen Markt betritt (Gebrauchtwarenmarkt), steht der Kaufcharakter des Leasing im Vordergrund. Mit den damit grundsätzlich anzuwendenden Kaufrechtsvorschriften sind die Regeln des Mietvertrags in analoger Anwendung zu verbinden, wo dies nach den Vertragsbedingungen im Einzelfall interessensgerecht ist, z. B. bei Vorausverfügungen über den Mietzins, 566b. Entgegen BGHZ 107, 123 ist aber § 546 a im Falle nicht rechtzeitiger Rückgabe der Leasingsache durch den Leasingnehmer zumindest beim Vollamortisationsleasing unanwendbar.9 Das Finanzierungsleasing ist also ein gemischter Vertrag i. S. eines typischen Vertrags (kaufähnlicher Vertrag) mit untergeordneten andersartigen Leistungen, oben Rdn. 796. Das Vorwiegen des „Leitbilds Kauf“ zeigt sich auch an den übrigen Geschäftsbedingungen, zu denen Leasingverträge abgeschlossen werden: Nach dem Finanzierungsleasingvertrag hat der Leasinggeber dem Leasingnehmer die Sache auf mehrere Jahre fest und grundsätzlich beiderseits unkündbar zu überlassen. Die Überlassungszeit entspricht voll oder (bei Teilamortisation) gekürzt der betriebsüblichen Nutzungsdauer. Der Leasinggeber erhält dafür außer der Anzahlung die Leasingraten. Sie sind meist monatlich in gleicher Höhe zu entrichten, doch finden sich auch degressive Berechnungen. Den zufälligen Untergang oder die Verschlechterung der Sache trägt, im Unterschied zum Mietrecht, der Leasingnehmer. Die Abwälzung der Sach- und Preisgefahr auf den Leasingnehmer ist nach der Rechtsprechung wirksam, wenn ihm gleichzeitig die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche des Leasinggebers gegen den Lieferanten abgetreten werden, sowie ein kurzfristiges Kündigungsoder Lösungsrecht für den Fall des Verlusts, der Zerstörung oder einer nicht unerheblichen Beschädigung eingeräumt wird.10 Auch wenn der Leasingnehmer von seinem Kündigungs- oder Lösungsrecht Gebrauch macht, kommt er allerdings nicht ohne finanzielle Konsequenzen aus dem Vertrag heraus. Typischerweise wird nämlich in den Leasingverträgen für diese Fälle ein Ausgleichsanspruch vereinbart: Wird das Leasingobjekt zerstört oder beschädigt, bzw. kommt es abhanden, kann der Leasinggeber vom Leasingnehmer Ausgleich seines noch nicht amortisierten Gesamtaufwands verlangen. Solche Ausgleichsklauseln verstoßen angesichts der typischen Gefahrenverteilung im Leasingvertrag nicht gegen § 307 I, II.11 In der Regel wird der Leasingnehmer zum Abschluss einer Kaskoversicherung verpflichtet. Die Versicherungssumme gleicht dann zumindest teilweise die übernommenen Risiken aus.12 Die Risikoverteilung im Leasingvertrag führt praktisch zum gleichen Ergebnis wie § 446 (Gefahrübergang beim Kauf). – Bei Zahlungsverzug, Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Leasingnehmers werden ebenfalls häufig alle Raten auf einen Schlag fällig. Zahlungsverzug des Leasing-

9 10 11 12

Vgl. Weber, NJW 2005, 2195 (2197 f). Bamberger/Roth/Ehlert, Vor § 535 Rdn. 79 m. w. N. BGH NJW 1998, 3270. Vgl. auch BGH NJW 2004, 1041: Dem Leasingnehmer stehen die Versicherungssumme und Ansprüche gegen Dritte auch dann zu, wenn dies nicht ausdrücklich mit dem Leasinggeber vereinbart wurde.

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§ 79 V

Gebrauchsüberlassungsverträge

nehmers führt nach § 543 II 1 Nr. 3 (bzw. bei Finanzierungsleasingverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher gem. §§ 500, 498 13) zur fristlosen Kündigung, die den Rücktritt nach § 323 verdrängt. Der Leasingnehmer trägt die Kosten für An- und Rücklieferung, die öffentlichen Lasten und die Kosten für Wartung und Reparaturen. § 538, wonach der Vermieter die übliche Abnutzung trägt, gilt in der Vertragspraxis grundsätzlich nicht. Das Eigentum verbleibt beim Leasinggeber, der es beim Vertriebsleasing zur Sicherheit an die finanzierende Firma überträgt. Das ermöglicht es der Leasinggeberseite, wenn fristlose Kündigung bei Zahlungsverzug, unsachgemäßer Behandlung oder wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Leasingnehmers vorgesehen sind, die Sache zurückzunehmen und zu verwerten.

V. Leistungsstörungen und sonstige Störungen 1079

Begeht der Leasingnehmer eine Leistungsstörung, richtet sich seine Lage nach allgemeinem Recht, modifiziert durch die angesprochenen Regeln. – Liegt auf der Leasinggeberseite eine Leistungsstörung vor, werden die Besonderheiten des Finanzierungsleasings relevant. Charakteristisch ist, dass der Leasinggeber sich von seiner Gewährleistungspflicht umfassend freizeichnet. Dies ist – auch in AGB – möglich, wenn der Leasinggeber dem Leasingnehmer die kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte gegen den Lieferanten abtritt. Folgende Konstellationen sind zu unterscheiden: Wird überhaupt nicht oder zu spät erfüllt, nämlich die Leasingsache vom Lieferanten gar nicht oder zu spät geliefert, trägt dieses Risiko der Leasinggeber. Der Leasingnehmer muss keine Leasingraten bezahlen, 320. Ist die gelieferte Leasingsache nicht vertragsgemäß, kann sich der Leasingnehmer wegen des Gewährleistungsausschlusses nicht an den Leasinggeber, sondern nur an den Lieferanten wenden. Wird der Mangel nicht beseitigt, und wählt der Leasingnehmer Rücktritt (er hat den Lieferanten auf Rückzahlung des Kaufpreises an den Leasinggeber zu verklagen), entfällt die Geschäftsgrundlage des Leasingvertrags rückwirkend, 313.14 Gleiches gilt, wenn wegen Vermögenslosigkeit des Lieferanten der Rücktritt nicht abgewickelt werden kann.15 Der Leasingnehmer kann den Leasingvertrag also gem. § 313 III 2 kündigen; die Rückabwicklung erfolgt nach den §§ 346ff.16 Ist der Leasingnehmer Verbraucher, gelten die §§ 499 II, 500. Häufig liegen verbundene Verträge i. S. v. § 358 III vor. Die Einwendungen aus dem Kaufvertrag schlagen dann gem. § 359 auf den Leasingvertrag durch: Der Leasingnehmer kann (nach Rücktritt vom Kaufvertrag) die Zahlung der Leasingraten auch dann verweigern, wenn er den Lieferanten noch nicht auf Rücktritt verklagt hat.17 Hat der Lieferant im Kaufvertrag mit dem Leasinggeber einen Gewährleistungsausschluss vereinbart, stehen dem Verbraucher-Leasingnehmer die mietrechtlichen Gewährleistungsansprüche gegen den Leasinggeber wieder zu (BGH NJW 2006, 1066).

13 S. BGH BB 2005, 572: Die Kündigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Verbraucher nach Androhung der Kündigung den rückständigen Betrag unter die Quoten des § 498 I 1 Nr. 1 zurückführt; der Verbraucher hat vielmehr vollständig zu zahlen, um die Kündigung abzuwenden. 14 Ständige Rechtsprechung, BGHZ 68, 118; 94, 44; 106, 304; 109, 139. 15 BGH NJW 1985, 129. 16 Vor der Schuldrechtsmodernisierung nach Bereicherungsrecht, BGHZ 109, 139. 17 Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 Rdn. 58.

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Leihe, Sachdarlehen

§ 80 I 1

§ 80 Leihe. Sachdarlehen Dörge, Rechtliche Aspekte der Wertpapierleihe (1992); Nehlsen-von Stryk, AcP 187 (1987) 552.

I. Leihe 1. Begriff und Wesen der Leihe a) Die Leihe ist der zweiseitig verpflichtende, aber nicht gegenseitige Vertrag, durch den sich der eine Teil (Verleiher) verpflichtet, dem anderen Teil (Entleiher) den Gebrauch der Leihsache unentgeltlich zu gestatten, 598. Der Entleiher darf von der Leihsache keinen anderen als den vertragsgemäßen Gebrauch machen, 603 S. 1.

1080

b) Von Miete und Pacht unterscheidet sich die Leihe vor allem durch ihre Unentgeltlichkeit. Wird gegen Entgelt „verliehen“, liegt in Wahrheit Miete (seltener Pacht) vor. Unentgeltliche Gebrauchsüberlassung einer Wohnung auf Lebenszeit ist Leihe, nicht Schenkung. Schenkungsrecht ist auch nicht analog anwendbar: Denn § 605 Nr. 1 gewährt dem Verleiher ausreichenden Schutz durch die Kündigungsmöglichkeit bei unvorhergesehenen Umständen.1 c) Die wirtschaftliche Bedeutung der Leihe ist nicht gering. Nicht nur unter Freunden und Verwandten geschieht es, dass Sachen ausgeliehen werden. Die unentgeltliche Überlassung von Berufskleidung, eines Ferienhauses, eines Parks zum Spazierengehen ist Leihe. d) Gegenstand der Leihe kann jede Sache oder auch Sachmehrheit sein, nicht aber ein unkörperlicher Gegenstand (z. B. Kundschaft) und nicht ein Recht (z. B. Forderung, Immaterialgüterrecht). Unentgeltliche Patentlizenzen und andere Rechtsfruchtleihen sind grundsätzlich nach Pachtrecht zu beurteilen, unter entsprechender Anwendung der aus der Unentgeltlichkeit folgenden Vorschriften des Leihrechts (insb. §§ 599, 600). Sachfruchtleihen können nach Leihrecht behandelt werden. Es ist auch, wie bei allen Veräußerungs- und Gebrauchsüberlassungsverträgen, nicht einzusehen, warum sich die Leihe nicht auch auf eine Sachmehrheit beziehen kann (die Sachen eines Unternehmens, eines Landguts, einer Bibliothek), vgl. oben Rdn. 804 (Kauf) und Rdn. 981 (Miete).

e) Die Leihe ist ein zweiseitig begründeter und ein zweiseitig verpflichtender Vertrag. Denn nicht nur der Verleiher schuldet etwas, 598, sondern auch der Entleiher, nämlich den sorgsamen Umgang mit der Sache und die Rückgabe nach beendeter Leihe, 603, 604. Dieser obligatorische Anspruch kann neben dem des Eigentümers gegen den Besitzer geltend gemacht werden, 985. Da die Gebrauchsgestattung und die Rückgabe nicht umeinander Willen versprochen werden, stehen die darauf gerichteten Pflichten in keinem Gegenseitigkeitsverhältnis. Die Leihe ist daher kein gegenseitiger Vertrag, die §§ 320ff sind unanwendbar. Für Leistungsstörungen (wie z. B. unmöglich gewordene oder verspätete Rückgabe) gelten daher neben den Sondervorschriften der §§ 599–603 die §§ 280ff. – Abzugrenzen ist die Leihe vom bloßen Gefälligkeitsverhältnis, bei dem die Parteien keine vertraglichen Bindungen beabsichtigen. Beispiel: A überlässt während der Vorstellung dem Sitznachbarn im Theater kurz sein Opernglas.

f) Aus dem Wort „gestatten“ entnimmt ein Teil der Lehre, die Leihe sei ein Realvertrag (oben § 11). Sonst müsse es heißen, der Verleiher sei verpflichtet, den Gebrauch unentgeltlich zu gewähren. Diese Meinung hat die historische Entwicklung für sich. Da aber nach heutiger Auffassung jeder Schuldvertrag, auch der Realvertrag, eine Willensübereinstimmung zwischen den Parteien voraussetzt, notwendig also ein Konsensualvertrag ist, besteht die Besonderheit eines Realvertrags nur mehr darin, dass die

1 BGHZ 82, 354; vgl. Nehlsen-von Stryk, AcP 187 (1987) 552.

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§ 80 I 2

Gebrauchsüberlassungsverträge

Willenserklärung des einen Teils oder beider Teile typischerweise schlüssig in einer Tätigkeit enthalten ist (Realschenkung, Darlehen, Verwahrung), vgl. oben § 11. Nun wird man ei der Leihe in der Regel eine ausdrückliche Einigung erwarten dürfen, so dass kein Anlass besteht, die Leihe als Realvertrag zu kennzeichnen (heute h. M.).2 Dass die Pflicht des Verleihers nur „Gestattung“, nicht „Gewährung“ zum Inhalt hat, steht der konsensualen Natur des Vertrags nicht im Weg. Grundsätzlich kann alles Inhalt einer Schuldabrede sein. 2. Besonderheiten der Leihe 1082

a) Wer unentgeltlich ein Recht erwirbt, verdient grundsätzlich geringeren Schutz seines Rechts (vgl. etwa §§ 521, 523, 524 für die Schenkung, § 690 für die Verwahrung, anders aber §§ 662 ff). Dies gilt auch bei der Leihe: Der Entleiher kann daher den Verleiher nur bei vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Leistungsstörungen und nur wegen eines arglistig verschwiegenen Rechts- oder Sachmangels in Anspruch nehmen, 599, 600. Streitig ist, ob diese Haftungsprivilegien nur für das Leistungsinteresse des Entleihers gelten (das geliehene Auto springt nicht an, der Entleiher muss mit der Bahn fahren und sich eine Fahrkarte kaufen) 3 oder ob sie auch auf das Interesse an der Erhaltung der schon vorhandenen Rechtsgüter und der daraus entstandenen Begleitschäden anzuwenden sind (die Bremsen des geliehenen Autos versagen, der Entleiher wird schwer verletzt). Für den gleichgelagerten Fall des § 521 hat der BGH entschieden, die Haftungsmilderung müsse für konkurrierende Deliktsansprüche und für solche Schutzpflichten gelten, die im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand stehen.4 Danach haftet im Beispiel der Verleiher auch für den aus §§ 280 I, 241 II und § 823 I zu ersetzenden Körperschaden nur unter Berücksichtigung der Haftungsprivilegien. Dieser Entscheidung ist zuzustimmen, denn der Verleiher muss gerade vor Begleitschäden in oft unvorhersehbarer Höhe geschützt werden (z. B. der Entleiher ist querschnittsgelähmt). Bei Schäden, die nicht im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand stehen, haftet der Verleiher aber ohne Privilegierung.5 b) Gewöhnliche Erhaltungskosten, insbes. Fütterungskosten trägt der Entleiher, andere Verwendungen (notwendige und nützliche) der Verleiher nach dem Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag, 601. c) Veränderungen und Verschlechterungen aufgrund des vertragsmäßigen Gebrauchs trägt der Verleiher, 602, darüber hinausgehende im Verschuldensfall der Entleiher (Schlechterfüllung). d) Gebrauchsüberlassungen an Dritte bedürfen der Erlaubnis des Verleihers. Auch wenn er sie erteilt, kann der Verleiher die Sache nach Beendigung der Leihe vom Dritten zurückverlangen, 604 IV (vgl. § 546 II). e) Die Leihe endet mit der vereinbarten Leihzeit, 604, wobei es gleichgültig ist, ob die zeitliche Begrenzung mit Vertragsschluss oder später durch Aufhebungsvertrag erfolgte. Bei unbefristeter Leihe gilt grundsätzlich, dass die Sache nach Gebrauchsbeendigung zurückzugeben ist (oder dann, wenn der Gebrauch hätte gemacht werden können), 604 II. Folgt die Dauer nicht aus dem Zweck der Leihe, so kann die Sache jederzeit zurückgefordert werden, 604 III. Darüber hinaus kann der Vertrag nach § 605 2 3 4 5

Vgl. MüKo/Kollhosser, § 598 Rdn. 1. So z. B. Larenz, II 1 § 50. BGHZ 93, 23. Wie hier Medicus, II § 92 II 2 Rdn. 283; § 86 IV 4 Rdn. 176.

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Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge

§ 81

gekündigt werden. Dies ist möglich bei Eigenbedarf infolge eines unvorhergesehenen Umstands (Nr. 1), bei vertragswidrigem Gebrauch durch den Entleiher (Nr. 2) und bei Tod des Entleihers (Nr. 3). f) Für Ersatzansprüche des Verleihers und Verwendungs- und Wegnahmeansprüche des Entleihers gilt die kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten, 606 mit Verweis auf Mietrecht. Der Anspruch auf Rückgabe der Sache beginnt mit der Beendigung der Leihe, 604 V (nicht, wie vor dem SMG vertreten, mit Übergabe der Sache). Der Anspruch aus § 985 verjährt nicht nach § 604 V, sondern nach § 197 I Nr. 1.

II. Sachdarlehen Von der Leihe zu unterscheiden ist das Sachdarlehen. Im Gegensatz zur Leihe, bei der sich der Entleiher verpflichtet, die entliehene Sache zurückzugeben, besteht die Verpflichtung beim Sachdarlehen darin, Sachen gleicher Art, Güte und Menge zurückzuerstatten, 607 I. Die Verpflichtung des Darlehensnehmers ist also eine Wertschuld; im Gegensatz zum Entleiher erwirbt der Darlehensnehmer Eigentum an der erhaltenen Sache. Der Sachdarlehensgeber ist zur Überlassung, also zur Einräumung von Besitz und Eigentum verpflichtet, der Sachdarlehensnehmer bei Fälligkeit zur Rückerstattung – und darüber hinaus auch zur Zahlung eines Entgelts, das allerdings vertraglich vereinbart werden muss. Die §§ 607 bis 609 betreffen vertretbare Sachen (§ 91) mit der Ausnahme von Geld, 607 II. Der wirtschaftlich bedeutendste Anwendungsfall ist die Überlassung von Wertpapieren. Für die Beendigung eines Sachdarlehensvertrages bestimmt § 608, dass im Zweifel das Darlehen jederzeit kündbar ist. Das Darlehen ist ein Dauerschuldverhältnis. Wird ein Darlehensentgelt vereinbart, liegt ein gegenseitiger Vertrag vor (§§ 320 ff), wobei nicht die Pflicht zur Rückerstattung, sondern die Entgeltpflicht im Gegenseitigkeitsverhältnis steht. Bis zur Schuldrechtsmodernisierung behandelte das Gesetz das Darlehen als Realvertrag. Die auch schon damals herrschende Lehre vom Konsensualvertrag ist durch das SMG in Gesetzesform gegossen worden. Beispiele: A gestattet B, sich aus A’s Kohlenvorrat zu bedienen, B verpflichtet sich, diesen wieder aufzufüllen. – B kauft bei Bauer A Most in Flaschen. B erwirbt Eigentum an den Flaschen, verpflichtet sich jedoch, gleichwertige Flaschen zurückzubringen.

§ 81 Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge F. Becker, Verhaltenspflichten und Haftung von Banken bei Kreditvergabe (2003); Bülow, NJW 2002, 1145; Bülow/Arzt, Heidelberger Kommentar zum Verbraucherkreditrecht, 5. Aufl. (2002); Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. (1981); 3. Aufl. (1988) (Teil I); Claussen, Bank- und Börsenrecht, 3. Aufl. (2003); Coester-Waltjen, Jura 2002, 675; Derleder, JZ 1989, 165; Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht (2003); Grundmann, BKR 2001, 66; Habersack, BKR 2001, 72; Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte (1998); Hopt/Mülbert, Kreditrecht (1989); Köndgen, WM 2001, 1637; Koziol, AcP 188 (1988) 183; Möllers, Die Haftung der Bank bei der Kreditkündigung (1991); Möschel, AcP 186 (1986) 187; Mülbert, AcP 192 (1992) 447; ders., WM 2002, 465; Oechsler, NJW 2006, 1399; Peters, JZ 2002, 101; Reiff, in: Dauner-Lieb/Heidel/ Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht (2002) § 10; Sauer/Wittemann, Jura 2005, 8; Schimansky/ Bunte/Lwowski Hrsg.), Bankrechts-Handbuch (2001); Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Aufl. (2004); Voglis, Kreditkündigung und Kreditverweigerung der Banken im Lichte von Treu und Glauben (2001); Wittig/Wittig, WM 2002, 145.

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Die §§ 607 ff betrafen ursprünglich gleichermaßen das Sach- und das Gelddarlehen. Der praktisch so wichtige Kreditvertrag wurde durch die fragmentarische Regelung allerdings auch nicht nur annähernd abgebildet. Verbraucherschützende Sonderregeln enthielt das Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) von 1990, welches das Abzahlungsgesetz (AbzG) aus dem Jahr 1894 abgelöst hatte. Durch das SMG erhielt das Gelddarlehen in den §§ 488 ff eine Sonderregelung, welche auch die verbraucherschützenden Normen enthält und somit das VerbrKrG ersetzt. Eine eigene Regelung existiert für weitere Kreditformen im Verhältnis Unternehmer zu Verbraucher, nämlich die Finanzierungshilfen einschließlich der Teilzahlungsgeschäfte (§§ 499ff) sowie die Ratenlieferungsverträge (§ 505). Die verbraucherschützenden Normen über den Darlehensvermittlungsvertrag wurden in das Maklerrecht aufgenommen, 655aff.

I. Darlehen 1. Begriff und Wesen des Darlehens 1085

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a) Das Darlehen ist der schuldrechtliche Vertrag, durch den sich der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, 488 I 1. Der Darlehensnehmer ist dazu verpflichtet, den geschuldeten Zins zu zahlen (zur Fälligkeit s. § 488 II) und bei Fälligkeit das Darlehen zurückzuerstatten, 488 I 2. Im Unterschied zum Entleiher ist der Darlehensnehmer nicht verpflichtet, genau die erhaltenen Geldscheine zurückzugeben – eine solche Verpflichtung würde das Darlehen wirtschaftlich wertlos machen, der Darlehensnehmer wäre praktisch gehindert, das Geld auszugeben. Der Darlehensnehmer erwirbt vielmehr Eigentum am Geld und ist zur Rückerstattung des Wertes verpflichtet (Wertschuld wie beim Sachdarlehen). Der Darlehensvertrag wird in der Regel zwischen zwei Personen geschlossen. Die Auszahlung des Darlehens an einen Dritten hat Erfüllungswirkung, wenn der Darlehensnehmer ihn zur Entgegennahme ermächtigt hat, 362 II. Dreipersonenverhältnisse kommen häufig in Form verbundener Geschäfte im Zusammenhang mit Verbraucherverträgen vor (s. u. Rdn. 1103ff). Ein anderes Beispiel sind die Anweisungsverhältnisse im Bankrecht. b) Wie das Sachdarlehen ist auch das Darlehen in § 488 als Konsensualvertrag ausgestaltet. Die bis zur Schuldrechtsreform vereinzelt vertretene These vom Realvertrag hat sich hierdurch erledigt.1 Das entgeltliche Darlehen ist ein gegenseitiger Vertrag. Im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen einerseits die Pflicht des Darlehensgebers zur Verschaffung und Belassung des Geldbetrags, andererseits die Pflicht des Darlehensnehmers zur Zinszahlung. Nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis steht die Pflicht zur Rückerstattung des Darlehens, da sie nicht Bestandteil des do ut des ist: Das Darlehen wird nicht gewährt, damit es später zurückgezahlt wird, sondern damit ein Zins erwirtschaftet wird. Das zinslose Darlehen ist demnach nur ein zweiseitig verpflichtender Vertrag. c) Die Parteien können statt eines Darlehensvertrags auch ein bloßes Darlehensversprechen vereinbaren, nämlich einen Vertrag, bei dem eine Partei verspricht, ein Darlehen zu gewähren, die andere Partei verspricht, dieses Angebot anzunehmen. Denkbar ist auch ein Darlehensvorvertrag, der zum Abschluss eines Darlehensvertrags (oder auch nur Darlehensversprechens) verpflichtet, dessen Konditionen aber noch nicht ausreichend bestimmt wurden. Aus einem solchen Vertrag kann auf Abschluss eines Darlehensvertrags und Zahlung der Darlehenssumme geklagt werden. Sobald zwischen 1 S. hierzu 9. Aufl Rdn. 845.

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Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge

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Vertragsschluss und Vertragsdurchführung (also dem Abschluss des eigentlichen Darlehensvertrags) eine Vermögensverschlechterung beim Darlehensnehmer eintritt, werden die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage relevant. Vor Schaffung des § 313 stellte § 610 a. F. einen der seltenen Fälle der gesetzlichen Positivierung der clausula rebus sic stantibus dar (zur Spezialregelung des § 490 s. u.). d) Im Gegensatz zum Rechtszustand vor der Schuldrechtsmodernisierung ist der im Gesetz vorgesehene Grundfall das verzinsliche Darlehen, vgl. § 488 I 2. Dies ändert jedoch nichts daran, dass ein Zinsanspruch vertraglich vereinbart werden muss. Die Neuregelung ist allerdings von Bedeutung für die Verteilung der Beweislast: Der Darlehensnehmer hat zu beweisen, dass das Darlehen unverzinst sein sollte. Beim verzinslichen Darlehen lässt der Darlehensgeber sein Geld „arbeiten“. Der Zins ist – wie beim Mietvertrag die Miete – die Gegenleistung für die Hingabe der Valuta (Darlehenssumme). Diese Gegenleistung besteht in der Regel in einem festen Zins. Es ist aber auch möglich, ein sog. partiarisches Darlehen (oder „Beteiligungsdarlehen“) zu vereinbaren, bei dem der Darlehensgeber an einem eventuellen Gewinn beteiligt wird, den der Darlehensnehmer mit Hilfe des Darlehens macht. Das partiarische Darlehen ist von der Gesellschaft (§§ 705 ff) zu unterscheiden. Eine Gesellschaft liegt vor, wenn ein gemeinsamer Zweck verfolgt wird, während beim Darlehen eigene Interessen im Mittelpunkt stehen.2 Die Abgrenzung kann schwierig sein. Bei Übernahme nicht nur einer Gewinn-, sondern auch einer Verlustbeteiligung liegt regelmäßig eine Gesellschaft vor.

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2. Besonderheiten des Darlehens a) Dauer Das befristete Darlehen ist zur Rückzahlung fällig mit Ablauf der vereinbarten Zeit, beim unbefristeten Darlehen ist eine Kündigung erforderlich, 488 III 1. Der Wunsch nach Beendigung des Darlehens muss nicht zwangsläufig vom Darlehensgeber ausgehen, der sein Geld wiederhaben möchte – er kann auch vom Darlehensnehmer ausgehen, der das Darlehen nicht mehr benötigt und teuren Zinszahlungen entgehen möchte. (1) Für das verzinsliche Darlehen gilt (in Abwesenheit einer bestimmten Rückzahlungsfrist) eine Kündigungsfrist von drei Monaten, 488 III 2. Diese Bestimmung ist dispositiv, es kann also auch eine andere Kündigungsfrist vereinbart werden, was regelmäßig durch Nr. 19 (2) AGB-Banken geschieht: Danach kann ein unbefristetes Darlehen jederzeit ohne Grund gekündigt werden, auf die berechtigten Belange des Kunden ist dabei Rücksicht zu nehmen.3 Sind Zinsen nicht geschuldet, so kann der Darlehensnehmer das Darlehen auch ohne Kündigung (d. h. ohne Wahrung einer Frist) zurückzahlen, 488 III 3. (2) Ausnahmsweise ist eine Beendigung auch des auf bestimmte Zeit geschlossenen Darlehensvertrags durch ordentliche Kündigung möglich, 489. Bei Darlehensverträgen mit variablem Zinssatz ist dies stets möglich, 489 II. Aber auch bei Darlehensverträgen mit Festzinsvereinbarung kann gekündigt werden, wenn die Zinsbindung vor dem Rückzahlungstermin endet (§ 489 I Nr. 1) oder zehn Jahre seit Empfang der Darlehens2 BGHZ 127, 176. 3 Hierzu Casper, in Derleder/Knops/Bamberger, § 3 Rdn. 102; gegen ein zu weitreichendes Kündigungsrecht Möllers, aaO.

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valuta verstrichen sind (Nr. 3). Ein Sonderrecht genießt der Verbraucher: Er kann sechs Monate nach vollständigem Erhalt ein nicht durch Grundpfandrechte gesichertes Darlehen mit einer Frist von drei Monaten kündigen (Nr. 2). § 489 schützt den Darlehensnehmer und möchte ihm in bestimmten Fällen die Umschuldung zu aktuellen Konditionen ermöglichen. Die Vorschrift ist deshalb zwingendes Recht, 489 IV. (3) § 490 sieht ein außerordentliches Kündigungsrecht vor, und zwar nach Abs. 1 zugunsten des Darlehensgebers, nach Abs. 2 zugunsten des Darlehensnehmers. Das außerordentliche Kündigungsrecht des Darlehensgebers besteht, wenn sich die Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers oder die Werthaltigkeit einer Sicherheit verschlechtern, bzw. eine solche Verschlechterung droht. Der Darlehensnehmer kann ein durch ein Grundpfandrecht gesichertes Darlehen mit Zinsbindung vorzeitig kündigen, wenn er hieran ein berechtigtes Interesse hat, z. B. wenn er den Sicherungsgegenstand für eine andere Verwertung benötigt. Häufig besteht ein Bedürfnis zum Verkauf des betreffenden Grundstücks wegen Umzug, Scheidung, Arbeitslosigkeit, aber auch bei günstiger Verkaufsmöglichkeit.4 Bei Kündigung schuldet der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber eine Vorfälligkeitsentschädigung (§ 490 II 3), welche eine beträchtliche Höhe erreichen kann. Bei Anpassung oder Rücktritt gem. §§ 313, 314 besteht kein solcher Anspruch, s. § 490 III. b) Besondere Formen der Begründung

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Ein Darlehensvertrag kann auch dadurch begründet werden, dass die Parteien vereinbaren, dass Geld, das aus einem anderen Grunde geschuldet wird, in Zukunft als Darlehen geschuldet werden soll, sog. Vereinbarungsdarlehen. Diese Form der Begründung war früher besonders geregelt, § 607 II a. F. Auch wenn diese Vorschrift durch das SMG gestrichen wurde, folgt die Möglichkeit des Vereinbarungsdarlehens aus den allgemeinen Regeln, 311 I. Zu untersuchen ist in einem solchen Fall, ob die Parteien eine Schuldabänderung (unter Beibehaltung der sichernden Rechte wie Bürgschaft und Pfand), eine kausale Schuldneuschaffung (Novation, mit Untergang der sichernden Rechte) oder aber eine Schuldneuschaffung als abstraktes Schuldanerkenntnis (§ 781, Schriftform!) beabsichtigt haben.5 Im Zweifel gilt Schuldabänderung vor Neuschaffung, kausal vor abstrakt; wer sich auf das Ungewöhnliche beruft, muss es beweisen. Wird ein Darlehensvertrag zwischen der öffentlichen Verwaltung und einer Person des Privatrechts geschlossen, so stellt sich die Frage nach Zustandekommen und Rechtsnatur des Vertrags. Grundsätzlich steht es der Verwaltung frei, ob sie das Kreditverhältnis in öffentlicher oder privater Form abwickeln will. Häufig wird eine zweistufige Abwicklung gewählt (Zweistufentheorie). Danach gehört die Bewilligung des Kredits dem öffentlichen Recht, der aufgrund des Bewilligungsbescheids abzuschließende Darlehensvertrag dagegen dem privaten Recht an. Im Einzelnen ist streitig, inwieweit die öffentlichrechtliche Beziehung auch nach Abschluss des Darlehensvertrags noch selbständig neben der privatrechtlichen bestehen bleibt.6

4 Grundlegend BGHZ 136, 161; BGH NJW 1997, 2878 (zum alten Recht). Der Gesetzgeber des SMG hat sich an diesen Entscheidungen orientiert, s. GesBegr BT-Drs 14/6040, 254 f. 5 BGHZ 28, 164. 6 BGHZ 40, 206; BVerwGE 1, 308; 18, 47; 20, 136.

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II. Das Darlehen im Bankwesen Die wirtschaftliche Bedeutung des Darlehens im allgemeinen bedarf keiner Betonung. Im Bankwesen tritt das Darlehen, außer in seiner gewöhnlichen Bedeutung als Bankkredit, beispielsweise in folgenden Erscheinungsformen auf:

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1. Sparverträge Sparverträge werden nach herrschender Praxis nach Darlehensrecht (keine unregelmäßige Verwahrung, 700; str 7) behandelt, soweit nicht besonders Vereinbartes gilt. Zwar wäre es auch denkbar, hier einen Verwahrungsvertrag anzunehmen, schließlich hinterlegt der Sparer Geld bei der Bank zur Aufbewahrung. Da jedoch das Interesse des Sparers an den Zinszahlungen das bloße Verwahrungsinteresse überwiegen dürfte, ist die Anwendung von Darlehensrecht angemessen. Der Anspruch auf Rückzahlung der Spareinlage ergibt sich daher aus § 488 I 2. 2. Laufende Konten Laufende Konten (Kontokorrent) mit regelmäßig sehr niedrigen oder keinen Zinsen dienen hauptsächlich dem Einleger als sichere Aufbewahrung seines Geldes, verbunden mit der Möglichkeit, von seinem Konto „überweisen“ zu können (zum Überweisungsund Girovertrag s. §§ 676aff, 676 f ff). Im Gegensatz zum Sparvertrag kann hier nicht die Rede davon sein, dass das Zins- das Verwahrungsinteresse überwiege. Deshalb wendet die Praxis hier das Recht der unregelmäßigen Verwahrung an (§ 700) – Summenverwahrung. § 700 verweist – mit geringen Zusätzen, etwa bezüglich Zeit und Ort der Rückgabe – auf Darlehensrecht. Der Anspruch auf Auszahlung einer Kontokorrenteinlage an den Einleger gründet sich daher auf §§ 700 I 1, 488 I 2. Komplexer sind Zahlungen an Dritte. Wird vom laufenden Konto an einen Gläubiger des Kontoinhabers überwiesen, so ist gem. § 676a ein Vertrag zwischen Überweisendem und Kreditinstitut erforderlich. Zur Durchführung der Überweisung ist die Bank gegenüber dem Kontoinhaber aus Überweisungs- und Girovertrag verpflichtet, 676 a, 676 f (hierzu unten Rdn. 1257). Der Gläubiger ist befriedigt, und die durch Überweisung getilgte Schuld geht unter (364 I, 362, s. o. Rdn. 261), sobald die Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers des Kontoinhabers erfolgt ist. – Sonderregeln des Kontokorrents für Kaufleute enthalten die §§ 355ff HGB.

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3. Personalkredit Der „Personalkredit“ ist die gesetzlich nicht definierte Unterform eines Darlehensvertrags, welcher allein durch die Person des Darlehensnehmers (und eventuell die eines Bürgen) gesichert ist. Typisch ist ferner, dass der Darlehensnehmer das Geld zu seiner freien Verfügung erhält. Diese Form wird auch als „reiner Personalkredit“, „persönlicher Kleinkredit“, „Anschaffungsdarlehen“, „Direktkredit“ o. ä. bezeichnet. Häufig soll die Verwendung solcher oder ähnlicher Begriffe im Einzelfall betonen, dass der Darlehensgeber keinen Einfluss und keine Kenntnis über die weitere Verwendung des Geldes hat mit der Folge, dass die verbraucherschützenden Regeln über verbundene Geschäfte (§§ 358, 359) keine Anwendung finden. Entscheidend ist allerdings allein, ob die Voraussetzungen von § 358 III vorliegen (s. u. Rdn. 1104f). Die Bezeichnung des 7 Wie hier Palandt/Sprau, § 808 Rdn. 6; a. A. Palandt/Putzo, Vorb. v. § 488 Rdn. 19.

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Darlehens als Personalkredit spielt hierfür keine Rolle. Außerdem sind Vorschriften über Verbraucherdarlehensverträge (§§ 491 ff) unabhängig davon anwendbar, ob ein verbundener Vertrag vorliegt. Der Begriff des Personalkredits hat deshalb seine eigentliche Bedeutung verloren. 4. Immobiliardarlehensvertrag 1094

Von größerer Bedeutung ist der Immobiliardarlehensvertrag, der zum 1. 8. 2002 vom Gesetzgeber definiert worden ist. Es handelt sich gem. § 492 I a 2 um einen Verbraucherdarlehensvertrag, bei dem die Zurverfügungstellung des Darlehens von der Sicherung durch ein Grundpfandrecht abhängig gemacht wird und zu Bedingungen erfolgt, die für grundpfandrechtlich abgesicherte Darlehensverträge und deren Zwischenfinanzierung üblich sind. Für diesen Vertragstyp gelten Abweichungen vom allgemeinen Verbraucherdarlehensrecht (s. u.). 5. Andere Darlehensarten Neben den bereits erwähnten typischen Darlehensformen gibt es noch eine große, nicht abgegrenzte Zahl sonstiger Darlehensarten. Allein im Bereich der Baudarlehen können mehrere Unterarten unterschieden werden, hinzu kommen Bauspardarlehen, Mieterdarlehen, Brauereidarlehen, Arbeitgeberdarlehen und andere.8 – Zu den besonderen Formen des Bankkredits gehört der Akzeptkredit, bei dem das Darlehen durch Haftungsübernahme der Bank gewährt wird (Annahme eines Wechsels). Seine rechtliche Einordnung ist schwierig. Richtiger Ansicht nach liegt eine „Vertragsverbindung mit innerer Abhängigkeit“ vor (s. o. Rdn. 794): Darlehens- und Geschäftsbesorgungsrecht gilt nebeneinander.9 – Große Bedeutung für Banken und andere spezialisierte Institute haben Darlehensverträge, die mit Verbrauchern geschlossen werden, hierzu sofort.

III. Verbraucherdarlehensvertrag 1. Entstehung und Regelungszweck 1095

Vorläufer des heutigen Verbraucherdarlehensrechts ist das AbzG aus dem Jahr 1894. Der Zweck des AbzG zeigte sich darin, den Käufer dagegen zu schützen, dass der Verkäufer bei Nichtbezahlung einer Rate aufgrund seines Eigentumsvorbehalts die verkaufte Sache zurücknimmt und gleichwohl weitere Teilzahlungen verlangen kann. Das AbzG hat die Situation, dass sich beim finanzierten Kauf zwei Vertragspartner in zwei getrennten Verträgen gegenüberstehen, nicht geregelt. Eine solche Reglung wurde durch das VerbrKrG aus dem Jahr 1990 geschaffen, das an die Stelle des AbzG trat. Es führte ein generelles Widerrufsrecht für den Verbraucherkredit ein (mit Wirkung für und gegen den finanzierten Kaufvertrag; Einwendungsdurchgriff aus dem Kaufvertrag gegen den Kreditvertrag). Die §§ 491 ff haben das VerbrKrG im Wesentlichen übernommen, es sind in erster Linie technische Änderungen erfolgt. – Der nationale Gesetzgeber ist in der Ausgestaltung der einschlägigen Regeln nicht frei. Zu beachten sind die

8 S. den Überblick bei Palandt/Putzo, Vorb. v. § 488 Rdn. 9 ff. 9 Dazu auch BGHZ 19, 288.

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Vorgaben der EG-Verbraucherkredit-Richtlinie, welche auch für die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts von Bedeutung ist.10 Die §§ 491 ff ergänzen die allgemeinen Darlehensvorschriften und sollen den kreditaufnehmenden Verbraucher durch Informationspflichten, Formerfordernisse, Widerrufsrecht sowie die Regeln über verbundene Verträge schützen (s. o. Rdn. 545). 2. Anwendungsbereich Wie bei allen verbraucherschützenden Normen ist der Anwendungsbereich der §§ 491 ff typisierend, d. h. das Gesetz verlangt nicht, dass der Verbraucher bei Vertragsschluss tatsächlich unterlegen war. Vielmehr wird eine derartige Gefahrensituation (die etwa ein Widerrufsrecht rechtfertigt) bei Vorliegen bestimmter sachlicher und persönlicher Umstände als typischerweise gegeben angenommen.

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a) Sachlicher Anwendungsbereich (1) Die §§ 491ff gelten für entgeltliche Darlehensverträge, deren Nettodarlehensbetrag 200 Euro übersteigt, 491 I, II Nr. 1. § 491 II, III zählt weitere Fälle auf, in denen der Darlehensnehmer nicht (oder nicht in vollem Umfang) schutzbedürftig ist, nämlich bei günstigen Arbeitgeberdarlehen (II Nr. 2), öffentlich geförderten Wohnungsbaudarlehen (II Nr. 3) sowie Gerichtsvergleichen (III Nr. 1). Zum Schutz des Darlehensgebers sind zudem einzelne Vorschriften nicht anwendbar, wenn das Darlehen der Finanzierung von Gütern dient, die starken Preisschwankungen unterworfen sind, etwa Wertpapiere (III Nr. 2). Der Darlehensnehmer soll das Spekulationsrisiko nicht auf den Darlehensgeber abwälzen können. (2) Auf vergleichbare Sachverhalte werden die §§ 491ff entsprechend angewandt, etwa auf die Schuld- oder Vertragsübernahme, soweit die Übernahme durch dreiseitige Vereinbarung mit dem Darlehensgeber erfolgt,11 oder den Schuldbeitritt.12 In beiden Fällen unterscheidet sich die Situation für den Verbraucher nicht wesentlich von der Neubegründung eines Darlehensvertrags. Selbstverständlich müssen die neu in das Schuldverhältnis eingetretenen Personen die persönlichen Anwendungsvoraussetzungen erfüllen, also Unternehmer, bzw. Verbraucher sein.13 Auf die Bestellung von Grundpfandrechten sind die §§ 491 ff nicht anwendbar. (3) Problematisch ist die Frage, ob die Regeln über den Verbraucherdarlehensvertrag auf die Bürgschaft anwendbar sind. Der EuGH hat die Anwendbarkeit der Verbraucherkredit-Richtlinie mit dem Argument abgelehnt, eine Bürgschaft sei kein Darlehen, die Richtlinie bezwecke den Schutz des Darlehensnehmers, nicht des Sicherungsgebers.14 Der BGH hat die Anwendbarkeit der Vorschriften über den Verbrau10 Richtlinie 87/102/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit v. 22. 12. 1986 (ABl. 1987 L 42/48) mit späteren Änderungen. 11 BGHZ 142, 23. 12 BGHZ 133, 71; BGH NJW 2000, 3496. 13 Der BGH geht davon aus, dass auch Gesellschafter oder Geschäftsführer, die einer Schuld ihrer GmbH beitreten, Verbraucher i. S. v. § 491 sind, also in den Genuss von Formvorschrift und Widerrufsrecht kommen, BGH NJW 2000, 3133; 2006, 431. 14 EuGH, 23. 3. 2000, Rs. C-208/98 – Berliner Kindl, Slg 2000, I-1741. Bürgschaften fallen dagegen in den Anwendungsbereich der Haustürwiderruf-Richtlinie. Zu den strittigen Einzelheiten s. u. Rdn. 1350.

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cherkredit jedenfalls für Bürgschaften verneint, welche ein Darlehen sichern, das selber nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fällt, also z. B. für Geschäftskredite.15 Für die Anwendbarkeit der §§ 491ff spricht, dass der Unterschied zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt fließend ist (s. o. Rdn. 754), auf den Schuldbeitritt die §§ 491ff aber analog anzuwenden sind.16 Trotzdem sollte die Frage nach der Anwendbarkeit der §§ 491ff verneint werden. Der Bürge wird u. a. durch den Grundsatz der Akzessorietät, das Schriftformerfordernis des § 766 und die Rechtsprechung zu § 138 I geschützt (s. u. Rdn. 1349ff). Für ihn ist die Bonität des Hauptschuldners entscheidend. Die §§ 491 ff, insbesondere das Widerrufsrecht des § 495 passt hierfür nicht (str.).17 (4) Einen Sonderfall im Anwendungsbereich der §§ 491 ff stellt der bereits erwähnte Immobiliardarlehensvertrag dar. Ursprünglich war er in § 491 III a. F. vom Anwendungsbereich der Schutzvorschriften ausgeschlossen. Ein Widerrufsrecht für Haustürsituationen bestand ebenfalls nicht, da nach damaligem Recht die Regeln über den Verbraucherdarlehensvertrag vorgingen, selbst wenn diese für den Immobiliardarlehensvertrag gerade kein Widerrufsrecht vorsahen. Dies war mit der Haustürwiderrufs-Richtlinie nicht vereinbar.18 Mit Wirkung vom 1. 8. 2002 hat der Gesetzgeber die Verbraucherimmobiliardarlehensverträge unter die Schutzvorschriften der §§ 491ff gezogen, und zwar ohne Beschränkung auf Haustürsituationen (allerdings mit teilweisen Abweichungen, s. 492 I a, 497 IV, 498 III).19 Das deutsche Recht geht damit über die europäischen Vorgaben hinaus. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass Immobilienkredite wirtschaftlich so bedeutsam sind, dass das besondere verbraucherschützende Instrumentarium Anwendung finden sollte, und zwar unabhängig von der Art des Zustandekommens des Vertrags.20 b) Persönlicher Anwendungsbereich 1098

(1) Ein Verbraucherdarlehensvertrag wird zwischen einem Unternehmer (§ 14) als Darlehensgeber und einem Verbraucher (§ 13) als Darlehensnehmer geschlossen. Der gewerbliche oder selbständig berufliche Zweck eines Darlehens ist offensichtlich, wenn mit der Darlehenssumme eine Maschine zur Durchführung einer gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit gekauft wird, weniger offensichtlich, wenn ein Wagen gekauft wird, der auch privat genutzt wird (zur „dual use“-Problematik s. o. Rdn. 546). Der Zweck des Vertrags beurteilt sich nicht nach dem inneren Willen des Handelnden, sondern wird durch Auslegung des Inhalts des Rechtsgeschäftes und seiner Begleitumstände ermittelt. Nur natürliche Personen können Verbraucher sein. Gleichgestellt ist die Gesellschaft (§ 705), selbst wenn ihr nach neuerer Rechtsprechung des BGH Teilrechtsfähigkeit zukommt. Voraussetzung ist, dass ihr natürliche Personen angehören und der Zweck des Darlehens nicht mit einer kommerziellen Tätigkeit in Zusammenhang steht.21

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BGHZ 138, 321. S. näher Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) 532 f. Nachweis des Streitstands bei MüKo/Habersack, Vor § 765 Rdn. 8. EuGH NJW 2002, 281 – Heininger; BGH NJW 2002, 1881. OLGVertrÄndG v. 23. 7. 2002 (BGBl. I 2850). Bis zum 30. 6. 2005 bestand nach § 506 III a. F. die Möglichkeit, das Widerrufsrecht für Immobiliardarlehensverträge außerhalb von Haustürsituationen vertraglich auszuschließen. 21 BGHZ 149, 80; Sachverhalt im folgenden Beispiel.

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Beispiel: Eine aus vier Rechtsanwälten und einem Bankbetriebswirt bestehende GbR schließt einen Kreditvertrag über 1,2 Mio Euro ab. Die Darlehenssumme ist dazu bestimmt, das im Gesamthandsvermögen der GbR befindliche Gebäude zu renovieren.

Der BGH hat das Darlehen als Verbraucherdarlehen gewertet, da die Verwaltung eigenen Vermögens keine gewerbliche Tätigkeit darstellt. Es kommt also insbesondere nicht auf die Fachkompetenz der Handelnden an; nach Feierabend werden auch der Rechtsanwalt und der Bankkaufmann in Kreditfragen wie Laien geschützt. Entscheidend ist der Zweck jedes einzelnen Vertrags. (2) Unternehmer ist auch derjenige, der nebenberuflich tätig ist. Es muss sich nicht unbedingt um eine Bank oder ein Kreditinstitut handeln. Einen Grenzfall stellen Existenzgründer dar, nämlich Personen, welche ein Darlehen aufnehmen, um die Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zu ermöglichen. Ihre Verbrauchereigenschaft ist bei § 13 umstritten.22 § 507 bezieht sie aber ausdrücklich in die Schutzvorschriften für den Verbraucherkredit ein, wenn der Betrag 50.000 Euro nicht übersteigt. 3. Anforderungen an Vertragsform und -inhalt a) Der Verbraucherdarlehensvertrag unterliegt besonderen Anforderungen. So ist etwa Schriftform erforderlich, 492. Entgegen § 126 II 1 können Antrag und Annahme getrennt schriftlich erklärt werden, 492 I 3. Die elektronische Form (§ 126a) ist ausgeschlossen, 492 I 2. Um zu verhindern, dass ein Darlehensgeber zwar einen schriftlichen Vertrag erstellt, diesen aber für sich behält, stellt § 492 III ausdrücklich die Verpflichtung des Unternehmers auf, dem Darlehensnehmer eine Abschrift zur Verfügung zu stellen. b) Der Vertrag muss eine Reihe von Informationen enthalten; sie können nicht wie beim Teilzeit-Wohnrechtevertrag in einem separaten Prospekt abgedruckt werden (vgl. §§ 482, 484), sondern müssen in dem Dokument enthalten sein, das der Darlehensnehmer unterzeichnet, 492 I 5. Zu diesen Informationen gehören insbesondere die „wahren“ Kosten des Darlehens, die ein Laie kaum selber berechnen kann. Anzugeben sind der Nettodarlehensbetrag (§ 492 I 5 Nr. 1 mit Legaldefinition in § 491 II Nr. 1), die Summe der Raten, Zinsen und Kosten, einschließlich der für eine eventuelle Versicherung (Nr. 2, 4 und 6), die Modalitäten der Rückzahlung bzw. der Vertragsbeendigung (Nr. 3), die zu bestellenden Sicherheiten (Nr. 7) sowie der effektive Jahreszins (Nr. 5). Bei diesem handelt es sich um die Schlüsselinformation, die dem interessierten Verbraucher die Beurteilung des Kreditangebots erlauben soll (zur Berechnung s. § 492 II). Eine der wichtigsten Pflichtangaben betrifft den Hinweis auf das Widerrufsrecht (s. u.). c) Gem. § 492 IV gelten das Schriftformerfordernis und die Informationspflichten auch für eine Vollmacht, welche der Darlehensnehmer zum Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags erteilt. Ohne diese Vorschrift wäre die Erteilung einer entsprechenden Vollmacht gem. § 167 II formlos möglich.23 Der Schutz des Darlehensnehmers würde leer laufen. d) Von der grundsätzlichen Informationspflicht gelten Ausnahmen, insbesondere in Fällen, in denen eine Erfüllung der Informationspflicht mit Schwierigkeiten verbunden wäre. So ist die Angabe eines Gesamtbetrags entbehrlich bei Einräumung einer Höchst-

22 BGH NJW 2005, 1273 verneint die Verbrauchereigenschaft. 23 So noch BGH NJW 2001, 1931 und 3479 zum alten Recht.

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§ 81 III 4

Gebrauchsüberlassungsverträge

grenze, die der Darlehensnehmer nach Belieben ausschöpfen darf, sowie bei Immobiliardarlehen, 492 Ia. Erleichterte Informationspflichten gelten beim Überziehungskredit: Es wäre kaum praktikabel, von einer Bank zu verlangen, einen Kontoinhaber jedes Mal umfassend nach § 492 I zu informieren, wenn dieser sein Konto überzieht, 493. e) Die Rechtsfolgen von Formmängeln, also der Missachtung der Inhalts- und Formvorschriften des § 492, weichen erheblich von den allgemeinen Vorschriften des Schuldrechts ab. Zwar entspricht § 494 I im Wesentlichen der Regel des § 125: Fehlen die Angaben nach § 492 I 5 Nr. 1 bis 6 oder wurde die Schriftform insgesamt nicht gewahrt, so ist der Vertrag nichtig. Mit Empfang des Darlehens treten aber Heilung und eine umfangreiche Vertragsanpassung ein: Wurden der Zinssatz, der effektive Jahreszins oder der Gesamtbetrag nicht angegeben, reduziert sich der Zins auf den gesetzlichen Zinssatz (§ 246 : 4 %). Nicht angegebene Kosten werden nicht geschuldet, etc. Der Abweichung von dem im § 125 vorgesehenen Grundsatz der Totalnichtigkeit liegt der Gedanke zugrunde, dass die Formvorschriften den Schutz des Darlehensnehmers bezwecken, dass diesem aber mit einer vollständigen Nichtigkeit des Darlehensvertrags nicht geholfen wäre, da er die Darlehenssumme dann mit einem Schlag zurückzahlen müsste, 812 I 1. Vom gänzlichen Fehlen der Pflichtangaben sind falsche Angaben zu unterscheiden. Das Gesetz enthält lediglich eine Regelung für den Fall, dass der effektive Jahreszins zu niedrig angegeben wurde. Nach § 494 III hat das eine entsprechende Senkung des Zinssatzes zur Folge. Wurden die sonstigen Kosten zu niedrig angegeben, hat dies ebenfalls nicht die Nichtigkeit des Vertrags, sondern die Anpassung auf die angegebene Summe zur Folge.24 4. Widerrufsrecht 1101

(1) Das Gesetz räumt dem Verbraucher nach Vertragsschluss eine zweiwöchige Bedenkzeit ein, 495 I, 355. Auf der Grundlage der Pflichtangaben hat er die Möglichkeit, den Vertragsschluss zu überdenken und sich ggf. durch fristgebundenen Widerruf hiervon zu lösen. Die Konstruktion einer Bedenkzeit nach Vertragsschluss ist nicht zwingend. Nach französischem Recht muss der Darlehensgeber die erforderlichen Informationen vor Vertragsschluss gewähren. Der Vertragsschluss darf erst erfolgen, wenn eine mehrtägige Frist verstrichen ist. Zu einer ähnlichen Konstruktion im deutschen Recht s. § 17 II a BeurkG.25

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Das Widerrufsrecht gilt nicht für den Überziehungskredit, § 495 II. Es gilt hingegen seit dem 1.8.2002 für den Immobiliarkredit (s. o.). Wird der Darlehensnehmer über sein Widerrufsrecht nicht belehrt, hat dies die unbegrenzte Widerrufbarkeit zur Folge, 355 III. Zu den Belehrungspflichten gehört auch der Hinweis auf das Schicksal des verbundenen Vertrags, 358 V (s. u.). Einen Überblick über die Informationspflichten verschafft die Musterbelehrung in der BGB-InfoV (allgemein zum Widerrufsrecht s. o. § 49). Nach früherem Recht konnte vertraglich vereinbart werden, dass der Widerruf nur als erfolgt gilt, wenn die Rückzahlung des Darlehens innerhalb von zwei Wochen ab Widerruf erfolgt. Diese Möglichkeit wurde zum 30. 6. 2005 abgeschafft. (2) Für das Zusammentreffen mehrerer Widerrufsrechte gilt folgendes: Nach § 312 a ist das Widerrufsrecht nach § 312 (Haustürgeschäfte) ausgeschlossen, wenn dem Verbraucher zugleich ein Widerrufsrecht nach Maßgabe anderer Vorschriften zusteht. 24 BGH NJW 2004, 154 (zum alten Recht). 25 S. Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluß (2005) 297ff.

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Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge

§ 81 III 5

Beispiel: Dem K wird ein Darlehen von 1000 Euro an der Haustür gewährt. K hat ein Widerrufsrecht nach § 495, nicht nach § 312. Beträgt das Darlehen nur 195 Euro, so gilt § 312, nicht § 495 (wegen der Bagatellgrenze des § 491 II Nr. 1).

Den europäischen Richtlinien ist eine derartige Nachrangigkeit allerdings fremd. So kann es sein, dass ein Vertrag, der im deutschen Recht nur als Verbraucherdarlehen widerruflich ist, sich dennoch an den Erfordernissen der Haustürwiderruf-Richtlinie messen lassen muss. 5. Verbundene Geschäfte a) Problemstellung Häufig wird ein Darlehen aufgenommen, um einen Kauf oder ein sonstiges Geschäft zu finanzieren. Besteht keine Verbindung zwischen der kreditgebenden Bank und dem Verkäufer, treten keine besonderen Schwierigkeiten auf. Jeder Vertrag folgt seinem eigenen rechtlichen Schicksal. Anders verhält es sich, wenn beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden, z. B. wenn sich die Bank bei Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung des Verkäufers bedient.26 Es wäre unbillig, wenn sich Darlehensgeber und Verkäufer bei so engem Verbund auf die Trennung von Darlehens- und Kaufvertrag berufen könnten.

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Beispiel: Händler V verkauft dem Interessenten K ein Auto. Der Kaufpreis wird finanziert durch ein Darlehen, dass die Bank B dem K gewährt. Entsprechende Antragsformulare der B hält V für K bereit. Die B gewährt das Darlehen und zahlt direkt an V aus. Das Auto wird zur Sicherheit an die B übereignet. Ein Mangel des Wagens wird entdeckt. Muss K weiter seine Darlehensraten an B zahlen? Wenn er keinen Kredit aufgenommen hätte, sondern mit V Ratenzahlung vereinbart hätte, könnte er die Einwendungen aus dem Kaufvertrag dem V direkt entgegensetzen.

Die gesetzliche Regelung findet sich in den §§ 358, 359. Als Grundsatz gilt hierbei, dass der Widerruf eines Vertrags auf den verbundenen Vertrag durchschlägt (§ 358 I, II), und dass Einwendungen aus dem finanzierten Vertrag auch dem Darlehensgeber entgegengehalten werden können, 359. Gem. § 358 II 2 ist vorrangig der finanzierte Vertrag zu widerrufen, z. B. wenn dieser in einer Haustürsituation oder im Fernabsatz geschlossen wurde. Beispiel: K kauft auf einer Freizeitveranstaltung eine Heizdecke von V. Der Kauf wird finanziert durch einen Kredit der B. Theoretisch kann K sowohl den Kauf- (312, 358 I) als auch den Darlehensvertrag widerrufen (495, 358 II 1). § 358 II 2, 3 bestimmen jedoch, dass jeder Widerruf des K als Widerruf des Liefervertrags gilt, und dass der Finanzierungsvertrag als verbundener Vertrag mit aufgelöst wird.

b) Vorraussetzungen des verbundenen Vertrags (1) Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Verträge als „verbundene Verträge“ nach §§ 358, 359 gelten. Der Verbraucherdarlehensvertrag muss der Finanzierung eines anderen Vertrags dienen, welcher die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung zum Gegenstand hat, 358 III 1. Der Preis der Lieferung muss also mit dem Darlehen bezahlt werden. Dies setzt keine bestimmte Reihenfolge der beiden Vertragsschlüsse voraus. Dass das Darlehen direkt an den Lieferanten ausgezahlt

26 Sog. B-Geschäft. Zu der Möglichkeit der Zahlung mittels Anweisung bzw. Gutschein (A-Geschäft) oder mittels Wechsel (C-Geschäft; verboten durch § 496 II) s. MüKo/Habersack, § 358 Rdn. 56 ff.

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§ 81 III 5

Gebrauchsüberlassungsverträge

wird, ist ebenfalls nicht erforderlich. Das Finanzierungskriterium reicht allerdings für die Annahme eines verbundenen Vertrags nicht aus. Beispiel: K nimmt ein Darlehen auf und kauft mit dem Geld ohne Wissen der Bank ein Auto. Warum sollte die Bank sich hier Einwendungen aus dem Kaufvertrag entgegen halten lassen müssen?

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Deshalb tritt als zweites Erfordernis für einen verbundenen Vertrag hinzu, dass beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden müssen. Dies ist gem. § 358 III 2 dann der Fall, wenn sich der Kreditgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient, oder aber der Unternehmer selbst den Kredit gewährt. Die „Mitwirkung“, oft auch Kreditvermittlung genannt, kann in rein faktischem arbeitsteiligem Zusammenwirken bestehen; ein Rahmenvertrag zwischen Lieferant und Kreditgeber ist nicht erforderlich. Eine Mitwirkung liegt beispielsweise vor, wenn der Unternehmer die Vertragsformulare des Darlehensgebers bereithält, oder wenn sich beide derselben Vertriebsorganisation bedienen.27 Auf wirtschaftliche Einheit kann auch dann geschlossen werden, wenn der Darlehensnehmer von der freien Verfügung über die Darlehenssumme ausgeschlossen ist.28 Entscheidend ist, dass aus Sicht des Verbrauchers ihm Darlehensgeber und Lieferant wie eine Partei gegenüberstehen. (2) Höhere Anforderungen an das Vorliegen eines verbundenen Geschäfts stellt das Gesetz für den Fall, dass das Darlehen den Erwerb einer Immobilie finanziert. Dem liegt die auch vom BGH vertretene Einschätzung zugrunde, dass beim Immobilienkauf auch der geschäftsunerfahrene Laie wisse, dass Kreditgeber und Immobilienverkäufer in der Regel verschiedene Personen seien.29 Ein verbundenes Geschäft zwischen Darlehen und Erwerb eines Grundstücks (oder eines grundstücksgleichen Rechts) liegt nach § 358 III 3 nur dann vor, wenn der Darlehensgeber entweder selber das Grundstück verschafft (1. Alternative) oder eine besondere Rolle bei der Veräußerung spielt und diese besonders fördert (2. Alternative). Die zweite Alternative sieht drei Unterfälle vor, nämlich die Identifikation mit den Interessen des Veräußerers (etwa: Kreditgeber tritt als Makler auf), die Übernahme von Veräußererfunktionen (arbeitsteiliges Zusammenwirken) sowie die einseitige Begünstigung des Veräußerers (Darlehensgeber hat einen konkreten Wissensvorsprung gegenüber dem Erwerber oder erteilt falsche Auskünfte). Ein verbundenes Geschäft liegt beispielsweise vor, wenn eine Bank Immobilien mit fertigem Finanzierungskonzept anbietet, oder wenn Anlageberater finanzierte Anlageimmobilien als „Steuersparmodelle“ verkaufen und die Bank bezüglich des Darlehensabschlusses oder der Beratung vertreten (str.). Große praktische Relevanz hat das Problem der „Schrottimmobilien“. Hunderttausende von Anlegern investierten in den 90er Jahren in Steuersparmodelle. Sie kauften Immobilien, die sich allein aus Mieteinnahmen und Steuervorteilen amortisieren sollten. Sehr häufig suchten die Vermittler die Anleger zu Hause auf (oft im Rahmen eines pyramidenförmigen „Strukturvertriebs“, bzw. durch „Drückerkolonnen“). Die Finanzierung übernahm eine Bank. Später stellte sich in vielen Fällen heraus, dass die Objekte ihr Geld nicht wert waren und die Mieteinnahmen weit hinter den Prognosen zurückblieben oder ganz ausfielen. Die Anleger standen vor einem großen Schuldenberg, ohne dass den Schulden eine werthaltige Immobilie gegenüberstand.

27 BGH NJW 2004, 2742. 28 BGH NJW 1983, 2250. 29 Vgl. BGH NJW 2002, 1881 (1884).

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Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge

§ 81 III 5

Mit dem Widerruf des Darlehensvertrags (§ 495 30) ist dem Anleger wenig geholfen. Entweder ist – bei korrekter Belehrung – die zweiwöchige Widerrufsfrist des § 355 I abgelaufen, oder, falls der Widerruf noch möglich ist, muss das Darlehen gem. §§ 357 I, 346 in einer Summe und sofort zurückgezahlt werden. Einwendungen aus dem Immobilienkaufvertrag gegen die Darlehensforderung der Bank hat der Anleger nur, wenn es sich um verbundene Verträge handelt. Die deutsche Rechtsprechung vertritt den Standpunkt, dass dies regelmäßig nicht der Fall sei.31 Daran ist richtig, dass es Aufgabe des Käufers ist, sich über den Wert der gekauften Immobilie zu informieren (caveat emptor). Etwas anderes sollte allerdings dann gelten, wenn Verkäufer und Bank eng zusammenarbeiten. Die Fallgruppen des § 358 III 3 sollten keinesfalls zu eng ausgelegt werden. Der EuGH hat die Rechtslage in Deutschland (nur) im Ausgangspunkt gebilligt.32 Die Haustürwiderrufs-RiLi sei gem. ihres Art. 3 II a) auf Immobilienkäufe nicht anwendbar, selbst wenn diese Bestandteil eines kreditfinanzierten Kapitalanlegemodells seien. Nationales Recht könne deshalb die Folgen des Haustürwiderrufsrechts auf die Rückabwicklung des Darlehensvertrags beschränken. Auch die Pflicht zur sofortigen Rückzahlung der gesamten Valuta (samt marktüblicher Zinsen) im Fall des Widerrufs sei nicht zu beanstanden. Der EuGH hat allerdings eine sybillinische Einschränkung hinzugefügt, welche der deutschen Rechtsprechung und dem deutschen Gesetzgeber einiges Kopfzerbrechen bereiten wird: Wenn der Kreditgeber seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Belehrung über das Haustürwiderrufsrecht nachgekommen wäre (was in den einschlägigen Fällen häufig nicht der Fall ist), hätte der Verbraucher nach ein paar Tagen widerrufen können, und hätte nicht das Wert- und Mietausfallrisiko der gekauften Immobilie tragen müssen, da der Kaufvertrag ohne den Kreditvertrag nicht zustandegekommen wäre. Die Mitgliedstaaten müssten deshalb „geeignete Maßnahmen“ treffen, welche dieses Risiko dem Kreditinstitut (das nicht ordnungsgemäß belehrt hat) aufbürden. Die deutsche Rechtsprechung sollte der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts durch eine „große Lösung“ nachkommen: Es sollte nicht auf das Vorliegen einer Haustürsituation oder einer unterbliebenen Belehrung abgestellt werden, sondern der Begriff des verbundenen Geschäfts sollte im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften nicht über die allgemeinen Anforderungen hinaus verschärft werden. Zu diesem Zweck sollte § 358 III 3 extensiv ausgelegt (oder vom Gesetzgeber gestrichen) werden. Die Alternative „Förderung des Grundstückserwerbs durch Zusammenwirken mit dem Unternehmer“ sollte bereits dann bejaht werden, wenn Kreditinstitute mit einem bestimmten Verkäufer oder Vermittler planmäßig zusammenarbeiten. Wird das Vorliegen eines verbundenen Vertrags bejaht, kann der Verbraucher alle Einwendungen aus dem Immobilienkauf dem Anspruch auf Darlehenszurückzahlung entgegenhalten, 359. Das bedeutet im Ergebnis (und damit über den EuGH hinausgehend), dass in diesen Fällen unabhängig vom Vorliegen einer Haustürsituation das Mängelrisiko dem Kreditgeber zugewiesen wird. Das ist dann gerechtfertig, wenn er eng mit bestimmten Immobilienverkäufern oder -vermittlern zusammenarbeitet.33

30 Das Widerrufsrecht des Verbrauchers beim Immobiliendarlehensvertrag wurde erst infolge der „Heininger“-Entscheidung des EuGH anerkannt, s. o. bei Fn. 18. 31 S. z. B. BGH NJW 2004, 153. Die Voraussetzungen eines verbundenen Geschäfts wurden allerdings bejaht beim finanzierten Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds, wenn sich Fonds und Bank derselben Vertriebsorganisation bedienen, BGH NJW 2003, 2821; 2004, 2731; 2004, 2742, hierzu Nittel, NJW 2004, 2712; BGH NJW 2006, 1788. 32 EuGH, 25. 10. 2005, Rs. C-350/03 – Schulte, NJW 2005, 3551. S. hierzu Fischer, DB 2005, 2507; Freitag, WM 2006, 61; Häublein, NJW 2006, 1553; Knops, WM 2006, 70; Staudinger, NJW 2005, 3521. 33 Zur umfangreichen Diskussion, auch zur Lösung des Problems über Schadensersatzansprüche, s. Nachtrag zu Palandt (Stand: 15. 1. 2006), http://rsw.beck.de/rsw/upload/Palandt/Palandt_Nachtrag_65.pdf_1.pdf. Für einen Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung OLG Bremen NJW 2006, 1210. Der BGH differenziert: Schadensersatzansprüche wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung kämen mangels Kausalität jedenfalls dann nicht in Frage, wenn der Immobilienkaufvertrag vor dem Darlehensvertrag abgeschlossen wurde. Demgegenüber seien Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Aufklärungspflichten denkbar, wenn institutionali-

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Gebrauchsüberlassungsverträge

c) Rechtsfolgen 1106

Auch „verbundene Verträge“ sind rechtlich selbständige Verträge. Allerdings bestehen folgende Wechselbeziehungen: (1) Widerrufsgleichlauf Der Widerruf eines der beiden Verträge wirkt sich auf den anderen aus, 358 I, II; auch dieser wird dann nach § 357 rückabgewickelt, 358 IV 1 (zu den allgemeinen Rechtsfolgen des Widerrufs s. o. Rdn. 566 f). Wurde das Darlehen ausgezahlt und die finanzierte Leistung erbracht, würde dies bedeuten: Der Verbraucher gibt dem Lieferanten die Kaufsache zurück und erhält den Preis zurück, dann zahlt er dem Darlehensgeber die Darlehenssumme zurück und erhält seine Tilgungszahlungen zurück. Diesen umständlichen Vorgang zu vermeiden, der zudem den Verbraucher mit dem Risiko der Insolvenz des Lieferanten belastet, ist Zweck des § 358 IV 3: Hiernach tritt der Darlehensgeber in die Rechtsposition des Lieferanten ein; der Darlehensgeber muss also dem Verbraucher die Raten gegen Rückgabe der Sache zurückzahlen (nach §§ 357, 346). Kosten und Zinsen hat der Verbraucher aus der Rückabwicklung des Darlehensvertrages nicht zu zahlen, 358 IV 2. (2) Einwendungsdurchgriff Was gilt nun, wenn der Liefervertrag zwar nicht widerrufen wird, dem Verbraucher aber bezüglich des Liefervertrags Einwendungen gegen den Lieferanten zustehen – etwa wegen Schlechterfüllung? Für diesen Fall gibt § 359 dem Verbraucher die Möglichkeit, diese Einwendungen auch gegenüber dem Darlehensgeber geltend zu machen.34 Die Vorschrift möchte den Verbraucher davor schützen, dass er durch die Aufspaltung eines wirtschaftlich einheitlichen Vorgangs in zwei verbundene Verträge gegenüber dem einfachen Abzahlungskäufer im Zweipersonenverhältnis benachteiligt wird. Ist der Käufer beispielsweise vom finanzierten Kaufvertrag zurückgetreten, kann er die Rückzahlung des Darlehens so lange verweigern, bis der Verkäufer ihm den Kaufpreis zurückgezahlt hat. § 359 S. 2 und 3 sieht Einschränkungen vor, so etwa eine Bagatellgrenze von 200 Euro. Einwendungen, die auf einer Änderung des Liefervertrags nach Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags beruhen, sind ausgeschlossen. Außerdem muss der Verbraucher das Ergebnis einer eventuellen Nacherfüllung abwarten. (3) Rückforderungsdurchgriff?

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§ 359 funktioniert nur als Verteidigungsmittel: Der Verbraucher kann Einwendungen aus dem Kaufvertrag gegen den Anspruch der Bank auf Rückzahlung des Darlehens vorbringen. Sehr kontrovers diskutiert wird die Frage, ob dem Verbraucher darüber hinaus auch ein Rückforderungsdurchgriff gegen den Darlehensgeber zuzusprechen ist.

siertes Zusammenwirken zwischen Bank und Verkäufer vorliegt, und der Anleger vom Verkäufer arglistig getäuscht wurde, BGH NJW 2006, 2099. 34 Die Lehre vom Einwendungsdurchgriff wurde ursprünglich von der Rechtsprechung auf der Grundlage von § 242 entwickelt und dann vom Gesetzgeber (zunächst in § 9 VerbrKrG) kodifiziert. Die gesetzliche Regelung in § 359 ist gegenüber dem alten Richterrecht abschließend, BGH NJW 2004, 1376.

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Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge

§ 81 III 6

Wenn der Käufer beispielsweise vom Kaufvertrag zurückgetreten ist und wegen Zahlungsunfähigkeit des Verkäufers den Kaufpreis nicht zurückerlangen kann, stellt sich die Frage, ob der Darlehensgeber zur Erstattung der bereits gezahlten Kreditraten verpflichtet ist. Ein solcher Rückforderungsdurchgriff wird teilweise in Analogie zu § 358 IV 3 BGB befürwortet.35 Der BGH hat einen Rückforderungsdurchgriff für den Fall kreditfinanzierter Fondsbeteiligungen bejaht.36 Auch der Vorschlag für eine neue EGVerbraucherkredit-Richtlinie tendiert in diese Richtung.37 Nach geltendem Recht sollte die Frage nach einem Rückforderungsdurchgriff allerdings verneint werden. Es ist sachlich angemessen, dass der Käufer für bereits gezahlte Raten das Risiko einer Insolvenz des Verkäufers trägt, da er dies auch beim einfachen Abzahlungskauf tragen würde. Außerdem sollte die Rückabwicklung wegen Mängeln der Kaufsache dem Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer vorbehalten bleiben (vgl. § 359 S. 3). 6. Sonstige Besonderheiten des Verbraucherdarlehens Neben Formvorschriften, Informationspflichten und Widerrufsrecht gelten noch einige Sonderregeln für den Darlehensvertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher. (1) Nach § 496 I sind Vereinbarungen unwirksam, welche dem Verbraucher das Recht nehmen, gem. § 404 Einwendungen gegen den Zessionar geltend zu machen oder auf seine Aufrechnungsmöglichkeit nach § 406 zu verzichten. Ferner darf das Darlehen nicht durch Wechsel- oder Scheckverbindlichkeiten abgesichert werden, 496 II. (2) Von erheblicher Bedeutung ist § 497, welcher die Höhe der Verzugszinsen und die Anrechnung von Teilleistungen regelt. Der Verbraucher soll davor bewahrt werden, dass seine Schulden von selbst immer weiter ansteigen („Schuldturmproblematik“). Bei Verzug schuldet der Darlehensnehmer (lediglich) Verzugszinsen i. H. v. 5 % über dem Basiszinssatz (bei Immobiliardarlehensverträgen 2,5 % über dem Basiszinssatz). Wegen § 506 kann hiervon nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden; es können also keine höheren Verzugszinsen vereinbart werden. Allerdings ist gem. § 497 I 3 der Nachweis eines abweichenden Schadens möglich. Was die Anrechnung von Teilleistungen betrifft, so gilt zugunsten des Verbrauchers, dass (in Abweichung von § 367 I) seine Zahlungen zunächst zwar auf die Kosten der Rechtsverfolgung, dann aber auf die geschuldete Valuta und erst zuletzt auf die Zinsen angerechnet werden. Dies ist aufgrund des Zinseszinsverbots (§ 289) für den Verbraucher vorteilhaft (s. auch § 497 II). (3) § 498 stellt erhöhte Anforderungen an die Kündigung eines Teilzahlungsdarlehens durch den Darlehensgeber. Der Darlehensnehmer muss mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden Raten und mit mindestens zehn, bzw. 5 Prozent des Nennbetrags im Verzug sein. Eine Frist von zwei Wochen muss gesetzt werden. Nach wirksamer Kündigung wird die Restschuld (vermindert gem. § 498 II) fällig. (4) Die Vorschriften über den Verbraucherdarlehensvertrag sind halbzwingend: Zum Nachteil des Verbrauchers dürfen sie nicht vertraglich abbedungen oder durch anderweitige Gestaltung umgangen werden, 506. Hier wurde insbesondere an eine Kette von Einzelverträgen gedacht, die jeweils unter die Bagatellgrenze des § 491 II Nr. 1 fallen.

35 Nachweis des Streitstands und konkretes Fallbeispiel bei Heinemann/Pickartz, Jura 2005, 863. 36 BGH NJW 2003, 2821. 37 S. Europäische Kommission, Vorschlag v. 11. 9. 2002, KOM(2002) 443 endg., Art. 19 II.

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7. Mahnverfahren 1109

Für Geldforderungen steht dem Gläubiger mit dem Mahnverfahren (§§ 688ff ZPO) eine erleichterte Möglichkeit zur Erlangung eines Vollstreckungstitels zur Verfügung. Im Mahnverfahren findet eine Schlüssigkeitsprüfung nicht statt. Deshalb muss nach § 692 I Nr. 2 ZPO der Mahnbescheid den Hinweis enthalten, dass das Gericht nicht geprüft hat, ob dem Antragsteller der geltendgemachte Anspruch zusteht. Das hat gerade bei Konsumentenratenkreditverträgen häufig zu materiell unrichtigen Vollstreckungsbescheiden geführt. Waren diese Verträge sittenwidrig, stellte sich zudem das Problem der Rechtskraftdurchbrechung nach § 826. Nach § 690 I Nr. 3 ZPO sind für Ansprüche aus Verträgen, welche unter die §§ 491–504 fallen, das Datum des Vertragsschlusses und des effektiven Jahreszinses anzugeben. Übersteigt dieser 12 % des bei Vertragsabschluss geltenden Basiszinssatzes (§ 247), findet nach § 688 II Nr. 1 ZPO das Mahnverfahren nicht statt. Der Mahnantrag wird dann nach § 691 I 1 Nr. 1 ZPO zurückgewiesen. Der Antragsteller ist dann auf Klageerhebung angewiesen. Im anschließenden Gerichtsverfahren findet eine Schlüssigkeitsprüfung statt.

IV. Finanzierungshilfen, insb. Teilzahlungsgeschäfte 1110

Der zweite Untertitel des dritten Titels enthält in den §§ 499 bis 504 Regelungen für einige spezielle Formen des Verbraucherkredits, sog. Finanzierungshilfen. Der Gesetzgeber spricht in § 499 I von „entgeltlichen Finanzierungshilfen“, und zwar vom entgeltlichen Zahlungsaufschub und den „sonstigen“ Finanzierungshilfen, namentlich dem Finanzierungsleasingvertrag und dem Teilzahlungsgeschäft. 1. Entgeltlicher Zahlungsaufschub Ein Zahlungsaufschub i. S. v. § 499 I liegt vor, wenn eine Leistungszeit vereinbart wird, die zugunsten des Verbrauchers vom dispositiven Recht abweicht. Erforderlich ist ein Aufschub von mehr als drei Monaten. Entgeltlichkeit liegt dann vor, wenn der Verbraucher für den Zahlungsaufschub eine Gegenleistung zu erbringen hat, z. B. Zinsen, einen Zuschlag oder eine Bearbeitungsgebühr zu bezahlen hat. Entscheidend ist, dass er bei Zahlungsaufschub mehr aufwenden muss, als es bei sofortiger Zahlung der Fall gewesen wäre. Für die Entgeltlichkeit des Zahlungsaufschubs besteht eine (widerlegliche) Vermutung.38 Kein entgeltlicher Zahlungsaufschub liegt vor, wenn die Zahlung in kleineren Zeitabschnitten typisch ist, etwa in § 614, selbst wenn der Unternehmer einen Nachlass bei sofortiger vollständiger Bezahlung gewährt.39 Beispiel: Student S schreibt sich für ein zwölfmonatiges Repetitorium ein und wählt die Möglichkeit, den Monatsbeitrag monatlich zu überweisen, statt sofort einen etwas herabgesetzten Gesamtbetrag zu zahlen. Es liegt kein Zahlungsaufschub vor, § 499 ist nicht anwendbar.

Auf den entgeltlichen Zahlungsaufschub finden die Vorschriften der §§ 358, 359 sowie § 492 I bis III und §§ 494 bis 498 Anwendung. Der Verbraucher, der eine Leistung erwirbt und einen entgeltlichen Zahlungsaufschub vereinbart, ist also durch Pflichtangaben und ein Widerrufsrecht nach § 495 geschützt. Die Ausschlussgründe der § 491 II und III (also insbesondere die Bagatellgrenze von 200 Euro) gelten für alle Finanzierungshilfen, 499 III.

38 MüKo/Habersack, § 499 Rdn. 9. 39 Vgl. BGH NJW 1996, 457.

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Darlehen. Finanzierungshilfen. Ratenlieferungsverträge

§ 81 IV 3

2. Finanzierungsleasingvertrag Der Finanzierungsleasingvertrag (s. o. § 79) erleichtert dem Leasingnehmer die Finanzierung des gewünschten Gegenstands. Wird er zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen, finden deshalb die insoweit passenden verbraucherschützenden Normen Anwendung, 500. Insbesondere gelten Schriftformerfordernis (Nichtigkeit allerdings nach § 125, nicht nach § 494) und Widerrufsrecht. Dagegen bedarf es nicht der Pflichtangaben des § 492 I 5.

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3. Teilzahlungsgeschäft Ein Teilzahlungsgeschäft ist gem. § 499 II ein Vertrag, der die Lieferung einer bestimmten Sache oder die Erbringung einer bestimmten anderen Leistung gegen Teilzahlungen zum Gegenstand hat. Der häufigste Anwendungsfall ist der Abzahlungskauf. Nach der ratio der Vorschrift liegt ein „Teilzahlungs“-Geschäft aber auch schon dann vor, wenn der Gesamtpreis durch Einmalzahlung mehr als drei Monate später zu begleichen ist.40 Die Entgeltlichkeit der Finanzierungshilfe wird gem. § 502 I 2 vermutet, wenn der Unternehmer nur gegen Teilzahlungen liefert. Die Ausschlussgründe der § 491 II und III (also insbesondere die Bagatellgrenze von 200 Euro, bezogen auf den Barzahlungspreis) gelten auch hier, 499 III. Auch beim Teilzahlungsgeschäft ist der Verbraucher durch die Regeln über verbundene Geschäfte und das Widerrufsrecht geschützt. Bezüglich Pflichtangaben und Rechtsfolgen von Formmängeln trifft § 502 jedoch Sonderregeln. Nach § 502 III führt die Missachtung der Form oder das Fehlen von Pflichtangaben zur Nichtigkeit. Der Fehler kann jedoch durch Übergabe der Kaufsache, bzw. Erbringung der Leistung geheilt werden. Nach § 503 kann der Unternehmer das Widerrufsrecht durch ein Rückgaberecht ersetzen. Der Rücktritt des Unternehmers wegen Zahlungsverzug des Verbrauchers ist (in Einschränkung von § 323) nur unter den Voraussetzungen von § 498 I möglich. Der Verbraucher muss also mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden Raten im Verzug sein, insgesamt mit mindestens zehn, bzw. 5 Prozent des Teilzahlungspreises. Eine Frist von zwei Wochen muss gesetzt werden. § 503 II 4 ordnet eine Rücktrittsfiktion für den Fall an, dass der Unternehmer die gelieferte Sache wieder an sich nimmt. Bei verbundenen Verträgen ist dem der Fall gleichgestellt, dass der Darlehensgeber die Sache an sich nimmt, etwa aufgrund seines Sicherungseigentums, 503 II 5. Der Verbraucher soll davor bewahrt werden, dass er die gekaufte Sache nicht mehr hat, aber dennoch weiter das Entgelt schuldet. Etwas anderes gilt dann, wenn sich die Parteien darüber einigen, dass dem Verbraucher der gewöhnliche Verkaufswert der Sache im Zeitpunkt der Wegnahme vergütet wird. Die Rücktrittsfiktion kann zu folgender Falle führen: Hat der Unternehmer einen Vollstreckungstitel über seine Kaufpreisforderung gegen den Verbraucher erwirkt, und vollstreckt er in die verkaufte Sache, so wird mit Wegnahme der Sache durch den Gerichtsvollzieher (§§ 808, 809 ZPO) die Rücktrittsfiktion des § 503 II 4 ausgelöst.41 Der titulierte Kaufpreisanspruch geht dann unter; der Vollstreckungstitel verliert seine materiell-rechtliche Grundlage. Der Verbraucher kann Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erheben. Der Unternehmer sollte deshalb von der Möglichkeit Gebrauch machen, mit dem Verbraucher eine Vergütungsvereinbarung zu treffen. Dies kann auch bereits beim

40 MüKo/Habersack, § 499 Rdn. 37; a. A. Palandt/Putzo, § 499 Rdn. 7: analoge Anwendung. 41 MüKo/Habersack, § 503 Rdn. 56.

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1112

1113

§ 81 V 2

Gebrauchsüberlassungsverträge

Abschluss des Teilzahlungsgeschäfts geschehen. Der Anspruch des Verbrauchers auf die Vergütung ist mit der Restforderung des Verkäufers zu verrechnen.

Nach § 504 hat der Verbraucher die Möglichkeit zur vorzeitigen Beendigung des Vertrags: Wenn er vor dem vereinbarten Zeitpunkt den noch ausstehenden Preis zahlt, hat er einen entsprechenden Zinsgewinn. V. Ratenlieferungsverträge 1114

Nicht nur die Leistung des Käufers (Darlehensnehmers) kann in „Raten“ erfolgen, sondern auch die des Lieferanten (oder Darlehensgebers). Aus der Bezugsbindung bei einem Ratenlieferungsvertrag erwachsen dem Verbraucher langfristige finanzielle Belastungen. In § 505 ist daher für diesen Fall ein spezieller Schutz vorgesehen. 1. Anwendungsbereich Der Ratenlieferungsvertrag wurde bereits oben vorgestellt (Rdn. 47). Die gesetzliche Definition findet sich in § 505; die Vorschrift enthält allerdings lediglich eine Teilregelung im Hinblick auf die verbraucherschützenden Aspekte. § 505 erfasst den Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher über die Lieferung mehrerer als zusammengehörend verkaufter Sachen in Teilleistungen mit einer Bezahlung, die ebenfalls in Teilzahlungen erfolgt (§ 505 I 1 Nr. 1), die regelmäßige Lieferung Sachen gleicher Art (Nr. 2) oder die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb von Sachen (Nr. 3). Beispiel: A kauft ein 24-bändiges Lexikon, er erhält monatlich einen Band und zahlt hierfür jeweils 50 Euro (Nr. 1). A abonniert eine Zeitschrift, die ihm monatlich geliefert wird (Nr. 2). A tritt einem Buchclub bei und verpflichtet sich hierdurch, monatlich ein Buch zu kaufen (Nr. 3). – Nr. 2 ist nur auf die Lieferung von Sachen anwendbar. Eine analoge Anwendung auf Dienstleistungen, z. B. ein Pay-TV-Abonnement wird von der Rechtsprechung abgelehnt.42

Gem. § 505 I 2 gelten die Ausschlussgründe der § 491 II und III. Auch beim Ratenlieferungsvertrag gilt also die Bagatellgrenze von 200 Euro. Bezugsgröße ist die Summe aller bis zum nächsten Kündigungszeitpunkt anfallender Zahlungen. Beispiel: A abonniert eine Zeitschrift per Internet. Der Bezugspreis für ein Jahr beträgt 120 Euro. Er kann das Abonnement jährlich mit dreimonatiger Frist kündigen. Da (unter Berücksichtigung von § 505 I 3) die Bagatellgrenze des § 491 II Nr. 1 nicht erreicht ist, findet § 505 keine Anwendung. A hat also kein Widerrufsrecht (auch nicht wegen Fernabsatzes, 312d IV Nr. 3); das Abonnement bedarf auch nicht der Schriftform.43 Zwar ist auch das Textformerfordernis des § 505 II 3 nicht anwendbar. Es gilt aber § 312c; der Ausschluss in § 312d IV Nr. 3 betrifft nur das Widerrufsrecht.

2. Formerfordernis und Widerrufsrecht 1115

Im Vergleich zu den §§ 491 ff ist der für Ratenlieferungsverträge vorgesehene Schutz erheblich vereinfacht. (1) Der Ratenlieferungsvertrag bedarf der Schriftform, 505 II. Unter bestimmten Umständen, insbesondere bei Bestellungen im Internet, ist die Schriftform entbehrlich, wenn der Verbraucher die Vertragsbedingungen einsehen und speichern kann, und er den Vertragsinhalt nachträglich in Textform (§ 126 b, z. B. per E-mail) nachgereicht bekommt. Pflichtangaben sind – anders als bei den oben beschriebenen Finanzierungshilfen – nicht vorgesehen. 42 BGH NJW 2003, 1932. 43 BGH NJW-RR 2004, 841.

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Übersicht

§ 82 III

(2) Nach § 505 I 1 steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Er kann sich also innerhalb einer Zweiwochenfrist vom Vertrag lösen, dieser muss dann rückabgewickelt werden. Die Widerrufsfrist läuft ab Erhalt der Widerrufsbelehrung, 355 II.

11. Abschnitt

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten § 82 Übersicht I. Neben die Veräußerungs- und Gebrauchsüberlassungsverträge treten als dritte große Gruppe die Schuldverhältnisse über Tätigkeiten. Das erklärt sich aus der Tatsache, dass es hauptsächlich drei Dinge sind, die in der modernen Wirtschaft ausgetauscht, „verkauft“ werden: Gegenstände als solche, ihr Gebrauch oder ihre Nutzung allein, und menschliche Arbeit im weitesten Sinne.

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Die später noch folgenden Gruppen „Gesellschaft, Gemeinschaft“ und „Besondere Versprechen“ regeln zwar auch wichtige Fragen, die aber nicht von so zentraler Bedeutung für die moderne Verkehrswirtschaft sind wie die drei erstgenannten. In der „Gesellschaft“ und in der „Gemeinschaft“ geht es übrigens auch weithin um einander geschuldete Dienste, Tätigkeiten und Verhalten; dann nämlich, wenn sich mehrere zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zusammentun („Gesellschaft“) oder wenn sich mehrere, meist ohne darauf gerichteten rechtsgeschäftlichen Willen, von selbst in einer Rechtsgemeinschaft befinden („Gemeinschaft“). Die „Besonderen Versprechen“ sind meist von den elementaren Tauschvorgängen abgelöste Schuldrechtsbindungen besonderer Art.

II. Von Schuldverhältnissen ist in der Überschrift die Rede, weil nicht alle hierher zählenden Schuldverhältnisse Verträge sind (oben Rdn. 52).

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Die Auslobung (§§ 657ff) ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff) überhaupt kein Rechtsgeschäft, sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis. – Von Tätigkeiten handelt dieser Abschnitt, und zwar im weiten Sinne.1 Auch bei Veräußerungen und Gebrauchsüberlassungen sind häufig Tätigkeiten als Haupt- oder Nebenpflichten geschuldet (z. B. die Übergabe der Kaufsache). Bei den nun zu besprechenden Schuldverhältnissen steht aber die Tätigkeit im Vordergrund. Darum werden sie hier Schuldverhältnisse über geschuldete Tätigkeiten genannt.

III. Die bürgerlich-rechtliche Regelung der auf eine Tätigkeit gerichteten Schuldverhältnisse (§§ 611–704) ist weder systematisch noch inhaltlich befriedigend gelungen. Die wichtigste Materie des ganzen Bereichs, das Arbeitsrecht, hat sich, da auch die Spruchpraxis der Gerichte die Schwierigkeiten nicht zu bewältigen und die Lücken nicht zu füllen vermochte, überhaupt neben dem BGB entwickelt. Aber auch die anderen, im BGB geregelten wichtigen Komplexe des Dienst-, Werk-, Geschäftsbesorgungs- und Auftragsrechts sind nur unzureichend durchdacht worden. (Warum gibt es z. B. nach dem Gesetz Auslagenersatz nur beim unentgeltlichen Tätigkeitsvertrag, dem Auftrag, 670? Als ob Dienst- und Werkverpflichtungen nicht auch Auslagen verursachen

1 Man könnte auch von menschlicher Arbeit im weitesten Sinne sprechen (etwa im Sinne des Wortes „Arbeit“ in § 631 II), nur bestünde dann die Gefahr der Verwechslung mit dem systematisch weit begrenzteren Arbeitsrecht (es ist aus dem Dienstvertragsrecht hervorgewachsen, §§ 611 ff).

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§ 82 V

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

könnten!) Hinzu treten unglückliche Verweisungsparagraphen, wie z. B. beim Werklieferungsvertrag (§ 651) und bei der Geschäftsbesorgung (§ 675). Man kann diesen Abschnitt des sonst gediegen gearbeiteten Schuldrechts als den am wenigsten gelungenen bezeichnen.

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IV. Der Grund liegt in der römisch-rechtlichen Tradition, die sonst die Stärke des Schuldrechts bildet. Die Römer ließen Arbeit, vor allem in abhängiger Stellung, meist von Sklaven verrichten. Ein Schuldrecht mit Verträgen über Hausarbeit, landwirtschaftliche Arbeit, die meisten Handwerke, über die Herstellung von künstlerischen Werken, das Abschreiben von Büchern, über öffentliche Arbeiten wie Straßen- und Städtebau usw. konnte sich nicht entwickeln, da allenthalben Privat- oder Staatssklaven Verwendung fanden, die ihre Arbeit nicht aufgrund von Verträgen verrichteten. So beschränkt sich das klassische römische Recht auf vier Vertragsformen, die Tätigkeiten betreffen, von denen die beiden wichtigsten bezeichnenderweise als Anhängsel zur Miete behandelt werden: locatio conductio operarum (Dienstvertrag, „Dienstmiete“), locatio conductio operis (Werkvertrag, „Werkmiete“), mandatum (Auftrag) und depositum (Verwahrung).2 Selbst noch in der 9. und letzten Auflage des führenden Pandektenlehrbuchs von Windscheid (bearbeitet von Kipp) aus dem Jahre 1909 sind dem Dienst- und Werkvertragsrecht ganze 5 Seiten innerhalb der Darstellung des Mietrechts gewidmet (!). Vor allem auf die als außenseiterisch empfundene Kritik Otto v. Gierkes und Anton Mengers („Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen“, 1898) hin wurde im BGB das Dienstvertragsrecht etwas sachnäher geregelt.

1120

V. Diese Unvollkommenheiten bedingen, dass die Abgrenzungen der Schuldverhältnisse über Tätigkeiten untereinander zufällig bis an die Grenze des Willkürlichen sind. Das BGB-System der Schuldverhältnisse über Tätigkeiten ist das Folgende: 1. Zu unterscheiden sind Schuldverhältnisse kraft Rechtsgeschäfts und kraft Gesetzes. Die ersten überwiegen weit. Ein Schuldverhältnis kraft Gesetzes ist lediglich die Geschäftsführung ohne Auftrag, 677–687, deren wichtigste Vorschrift die Verweisungsnorm des § 683 ist. Man hat die Geschäftsführung ohne Auftrag zusammen mit der ungerechtfertigten Bereicherung im Gemeinen Recht als „Quasikontrakt“ bezeichnet. 2. Innerhalb der Schuldverhältnisse kraft Rechtsgeschäfts sind die zweiseitigen Rechtsgeschäfte (= Verträge) von dem einseitigen der Auslobung zu unterscheiden, 657–661. Der praktisch wichtigste Fall der Auslobung ist der des Preisausschreibens, 661.

1121

3. Unter den auf eine Tätigkeit gerichteten Verträgen scheiden sich die entgeltlichen von den unentgeltlichen. Unentgeltlich ist (entgegen dem Sprachgebrauch!) der Auftrag, 662–674. Dienstvertrag, Werkvertrag, Mäklervertrag und Verwahrung können unentgeltlich sein, doch vermutet das Gesetz bei Vorliegen entsprechender Umstände widerleglich die Entgeltlichkeit, 612, 632, 653, 689. Die Entgeltlichkeit ist also nicht unabdingbares Tatbestandsmerkmal des Dienst-, Werk-, Mäklervertrags und der Verwahrung. (Anders die h. L. beim Dienstvertrag, die im Fall unentgeltlichen Dienstvertrags stets Auftrag annimmt.3 Zu Unrecht, denn aus der Unentgeltlichkeit folgt z. B. nicht notwendig der Wegfall der Schutzvorschriften der §§ 617, 618.) 4. Die entgeltlichen, auf eine Tätigkeit gerichteten Verträge gliedern sich in eine Haupt- und eine Nebengruppe. a) Die Hauptgruppe umfasst die beiden wichtigen Vertragsformen Dienst- und Werkvertrag. Dienst- und Werkvertrag unterscheiden sich nach Art der geschuldeten Tätigkeit: Ist ein Tätigwerden in der Zeit, d. h. ein Tun als solches geschuldet, liegt Dienstvertrag vor, §§ 611–630 (Hauptbeispiel: Arbeitsvertrag des gewerblichen Arbeitnehmers). Ist ein auf einen bestimmten Erfolg gerichtetes Tätigwerden geschuldet, handelt es sich um

2 S. Söllner, GS Heinze, 2005, S. 867. 3 Vgl. Erman/Edenfeld, § 611 Rdn. 18.

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Dienstvertrag

§ 83

einen Werkvertrag, §§ 631–651. Ein Sonderfall des Werkvertrags ist, systematisch gesehen, der Werklieferungsvertrag, auf den im Grundsatz Kaufrecht Anwendung findet, 651. Auch der Reisevertrag ist ein gesetzlich geregelter Sonderfall des Werkvertrags, §§ 651a–651m, vgl. dazu unten § 85). b) Die Nebengruppe besteht aus vier Sonderformen entgeltlicher Tätigkeitsverträge, deren Regeln – wenn sie gegeben sind – Dienst- und Werkvertragsrecht als Sondervorschriften verdrängen, soweit es nicht ausdrücklich für anwendbar erklärt wird. Nur insoweit es für anwendbar erklärt wird, spielt die Unterscheidung „zeit- und erfolgsbezogen“ eine Rolle, im Übrigen nicht. aa) Die Geschäftsbesorgung, 675 („Das selbständige Tätigwerden wirtschaftlicher Art für einen andern und in dessen Interesse“, RGZ 109, 301; Beispiele: Tätigwerden der Bank, des Anwalts, des Wirtschaftsprüfers). bb) Der Maklervertrag, 652–656, mit zusätzlichen Sondervorschriften für Handelsmakler, §§ 93ff HGB. cc) Die Verwahrung, 688–699, mit den zwei Unterfällen der Summenverwahrung, 700 (für die Darlehensrecht gilt, s. o.), und der Einbringung von Sachen bei Gastwirten, 701–704. dd) Der Fernunterrichtsvertrag unterliegt aus Verbraucherschutzgründen Sonderregeln des Fernunterrichtsschutzgesetzes v. 24. 8. 76, in Kraft getreten am 1. 7. 1977. Es war notwendig geworden, da die Angebote an Fernlehrgängen und damit auch die Missbräuche durch überlange Bindungsfristen oder völlig unzureichende Lehrangebote erheblich zugenommen hatten. Es besteht aus zwei Teilen: Ein erster privatrechtlicher Teil regelt den Vertragsschluss und die Vertragswirkungen, während der zweite öffentlich-rechtliche Teil ein verwaltungsrechtliches Zulassungsverfahren mit subjektiven Zulassungskriterien einführt. Das Gesetz ist nach § 1 FernUSG auf privatrechtliche Verträge anwendbar, die die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Inhalt haben, wobei eine überwiegende oder ausschließlich räumliche Trennung zwischen Lehrendem und Lernendem vorliegen muss und der Lernerfolg mindestens einmal überwacht wird. Das FernUSG führt strenge formale Voraussetzungen für die Vertragsgestaltung ein (§ 3 FernUSG) und regelt die Durchführung des Vertrages.4

§ 83 Dienstvertrag Adomeit, NJW 1996, 1710; Bauer, BB 1994, 855; Bauer/Opolony, BB 2002, 1590; Baumann, BB 1994, 1300; Däubler, NZA 2002, 1329; Dietz/Wiedemann, JuS 1961, 116; Fischer, NJW 2003, 2417; Gotthardt, ZIP 2002, 277; Hanau/Rolfs, NJW 1994, 1439; Henssler, RdA 2002, 135; Herbert/Oberrath, NJW 2005, 3745; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958); Hümmerich, NJW 1995, 1177; Hunold, NZA-RR 2001, 397; Kramer, MDR 1998, 324; Jaspersen, VersR 1992, 1431; Kuhla, NJW 2000, 841; Lingemann, NZA 2002, 181; Löwisch, NZA 2001, 465; Miebach-Patt, NJW 2000, 3377; Möllers, JZ 1996, 1050; Münchner Handbuch des Arbeitsrechts, Individualarbeitsrecht Bd 1 (2000); Plagemann, NJW 1996, 3173; Reinicke, DB 2002, 583; Reiserer, DB 1994, 1822; Rolfs, NJW 1996, 3177; Rüthers, NJW 1998, 1433; Ruhl/Kassebohm, NZA 1995, 497; Schiemann, JuS 1983, 649; Schöne, NZA 2002, 829; Schünemann, NJW 2003, 1689; Söllner, AcP 167 (1967), 132; ders., ZfA 1973, 1; Strick, Strukturfragen des Dienstvertrages, 2006; Ullrich, NJW 1984, 585; Walker, JuS 2002, 736; Waltermann, NJW 1997, 3401; Weber, NZA 2002, 641; Wendehorst, AcP 206 (2006) 203; sowie die allgemeine Literatur zum Arbeitsrecht.

4 Nähere Ausführungen bei Bartl, NJW 1976, 1993; Dörner, BB 1977, 1739; s. auch BGHZ 120, 108.

563

§ 83 I 1

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

I. Grundlagen 1122

Der Dienstvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, durch den der eine Teil (Dienstverpflichteter oder Dienstschuldner) dem anderen Teil (Dienstberechtigter oder Dienstherr) Leistung von Diensten verspricht und der andere Teil sich zur Zahlung einer Vergütung verpflichtet, 611. 1. Dienste

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Gemäß § 611 II können Gegenstand des Dienstvertrags Dienste jeder Art sein. Unerheblich ist deshalb, ob die Dienste einmalig oder dauerhaft geleistet werden, ob sie selbständig, eigenverantwortlich und aufgrund eigener Sachkunde oder weisungsgebunden bzw. in untergeordneter Stellung erbracht werden. Damit umfasst der Dienstvertrag ganz unterschiedliche Lebensverhältnisse. So kann sich der Dienstvertrag auf eine lediglich einmal oder binnen kurzer Zeit zu erfüllende Arbeitsleistung beziehen, wie beispielsweise die Tätigkeit eines Stadtführers oder die einmalige Beratung durch einen Arzt oder Anwalt. Der Dienstvertrag kann aber auch auf Dauer angelegt sein und eine wiederkehrende Dienstverpflichtung begründen, so beispielsweise bei einer Putzhilfe, die drei Mal wöchentlich ein Haus reinigt. Zu den auf Dauer angelegten Dienstverpflichtungen sind darüber hinaus auch alle gewöhnlichen Arbeitsverträge zu zählen. Ist die vertraglich vereinbarte Leistung – wie im Regelfall – nicht nur auf einen einmaligen Leistungsaustausch beschränkt, so begründet der Dienstvertrag ein Dauerschuldverhältnis, das ein erhöhtes vertrauensvolles Zusammenwirken voraussetzt, deshalb zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet (s. § 617) und aus wichtigem Grund jederzeit gekündigt werden kann (§ 626). Innerhalb der Dienstverträge ist die Unterscheidung zwischen den freien Dienstverträgen und den abhängigen Arbeitsverhältnissen von entscheidender Bedeutung. Denn obwohl diese beiden Leistungsbeziehungen sehr unterschiedliche Vertragssituationen betreffen, werden sie von § 611 II zu einem einheitlichen Vertragstypus des Besonderen Schuldrechts zusammengefasst. Der Arbeitsvertrag stellt sich damit als Unterfall des Dienstvertrages dar. Aus diesem Grund stellt das Dienstvertragsrecht zugleich auch die dogmatische Grundlage des Individualarbeitsrechts dar. Die gesetzestechnische Entscheidung, den Dienstvertrag und den Arbeitsvertrag einem einheitlichen Vertragskonzept zu unterstellen, ist wegen ihrer mangelnden Sensibilität für die abhängigen Arbeitsverhältnisse vielfach kritisiert worden.1 Sie wurde bis heute jedoch im Grundsatz aufrechterhalten.

a) Freier Dienstvertrag 1124

Ein sog. freier Dienstvertrag liegt vor, wenn der Verpflichtete die geschuldete Tätigkeit selbständig, wirtschaftlich und sozial unabhängig sowie eigenverantwortlich ausführen soll. Dies ist zumeist dann der Fall, wenn der Dienstgläubiger nichts von der geschuldeten Arbeit versteht und gerade auf die besondere Sachkunde des Dienstverpflichteten angewiesen ist. Deshalb liegt in der Regel ein freier Dienstvertrag vor, wenn der Dienstverpflichtete Unternehmer ist bzw. einen freien Beruf ausübt, wie beispielsweise bei der Tätigkeit von frei praktizierenden Ärzten, Rechtsanwälten und Steuerberatern. 1 Adomeit, NJW 1996, 1710 (1712); Schiemann, JuS 1983, 649; Bamberger/Roth/Fuchs, Vor § 611 Rdn. 2.

564

Dienstvertrag

§ 83 II

b) Arbeitsvertrag Im Gegensatz dazu liegt ein abhängiges Arbeitsverhältnis regelmäßig dann vor, wenn der Verpflichtete Dienste von einer gewissen Dauer und in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu erbringen hat. Anhaltspunkte für eine solche Abhängigkeit sind insbesondere die Weisungsgebundenheit des Dienstverpflichteten, seine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Dienstberechtigten, die Pflicht zum regelmäßigen Erscheinen an einem festen Arbeitsort zu bestimmten Arbeitszeiten sowie das Verbot anderer Tätigkeiten (vgl. § 84 I 2 HGB).2 Dienstverhältnisse, die durch Abhängigkeit in diesem Sinn gekennzeichnet sind, bezeichnet man als Arbeitsverträge, ihre Parteien als Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Anstellungsverträge mit den Organmitgliedern juristischer Personen, wie beispielsweise mit dem Vorstandsmitglied einer AG oder dem Geschäftsführer einer GmbH, gehören zu den freien Dienstverträgen, die allein dem BGB unterstehen.3 Vorstand und Geschäftsführer sind mangels persönlicher Abhängigkeit keine Arbeitnehmer, vielmehr vertreten sie die juristische Person gegenüber den Arbeitnehmern. Gleichwohl können auf diese Verträge in Einzelfällen arbeitsrechtliche Rechtsinstitute entsprechend angewendet werden, soweit die Interessenlage vergleichbar ist. Anerkannt ist dies beispielsweise für die Beschränkung der Rechtsfolgen von Nichtigkeit und Anfechtung und die Kündigungsfristen des § 622 (s. hierzu unten).

2. Vergütung Dem Dienstverpflichteten steht für die von ihm zu leistenden Dienste eine Vergütung zu. Diese besteht zumeist in Geld. Sie kann aber auch bei entsprechender Vereinbarung in Naturalvergütung (Werkwohnung, Kraftfahrzeug) erbracht werden. Anhand des Merkmals der Entgeltlichkeit der Dienstleistung kann der Dienstvertrag auch vom Auftrag abgegrenzt werden, dessen Gegenstand unentgeltliche Dienstleistungen sind (s. u. Rdn. 1246).

1125

II. Bedeutung und Abgrenzung zum Arbeitsrecht Der Dienstvertrag und insbesondere der Arbeitsvertrag sind für den Einzelnen im Alltag ein wichtiges Rechtsgeschäft, weil jeder aus der Verwertung seiner Arbeitskraft in der Regel den Lebens- und Familienunterhalt bestreiten muss. Da das BGB den Dienst- und Arbeitsvertrag in den §§ 611ff als besonderen Schuldvertrag ausgestaltet hat, gilt für ihn – wie auch sonst im Schuldrecht – die Vertragsfreiheit. Insbesondere bei den Arbeitsverträgen ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich hier die Parteien nicht als gleich starke Partner gegenüberstehen, sondern der Arbeitnehmer in der Regel auf die Beschäftigung angewiesen und damit sozial und wirtschaftlich von seinem Arbeitgeber abhängig ist. Der Arbeitgeber ist deshalb im Allgemeinen der wirtschaftlich Stärkere. Eine uneingeschränkte Geltung der Vertragsfreiheit würde es ihm deshalb ermöglichen, den Arbeitnehmer durch ungünstige Vertragsbedingungen unangemessen zu benachteiligen. Zum Schutz des Schwächeren finden sich im BGB nur vereinzelte Vorschriften (vgl. die §§ 611a, 611 b, 612 III zur Gleichbehandlung von Mann und Frau, sowie die §§ 612 a, 617–619, 624, 629, 630). Daher hat der Gesetzgeber zum Schutz des Arbeitnehmers zahlreiche arbeitsrechtliche Gesetze erlassen, welche die Vertragsfreiheit einschränken, so zum Schutz bestimmter Gruppen (z. B. SGB IX zum Schutz behinderter 2 BAG NZA 1996, 477 (478) ; BAG NJW 1999, 3731 (3732); BGH NJW 2002, 3317 (3318). 3 BGH NJW 1995, 675 (676); NJW 2000, 1864 (1865); NJW 2000, 2983.

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1126

§ 83 III

1127

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Menschen, Jugendarbeitsschutzgesetz, Mutterschutzgesetz) und zum Schutz vor unberechtigter Kündigung (Kündigungsschutzgesetz). Darüber hinaus wird der Arbeitsvertrag in seinem Inhalt wesentlich durch das kollektive Arbeitsrecht mitbestimmt. In erster Linie sind dabei die zwischen den Gewerkschaften (vgl. Art. 9 III GG) und den Arbeitgebern bzw. Verbänden ausgehandelten Tarifverträge zu nennen, deren Normen (betreffend den Lohn, den Urlaub etc.) unmittelbar und zwingend auf den einzelnen Arbeitsvertrag einwirken (§§ 1, 3, 4 Tarifvertragsgesetz, TVG). In zweiter Linie zu nennen sind Vorschriften, welche die Arbeitnehmer berechtigen, in bestimmten Fragen mitzubestimmen (vgl. das Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz, Montan-Mitbestimmungsgesetz und das Mitbestimmungsergänzungsgesetz). Die genannten gesetzlichen Bestimmungen zeigen, dass sich das Arbeitsrecht zum größten Teil außerhalb des BGB zu einem Sonderrechtsgebiet entwickelt hat, für welches zudem eine eigene Gerichtsbarkeit existiert. Die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts hat insoweit zu einer weitgehenden Loslösung und Verselbständigung des Arbeitsvertrags von den BGB-Vorschriften über den Dienstvertrag geführt.4 Gleichwohl ist zu beachten, dass jeder Arbeitsvertrag zugleich einen Dienstvertrag darstellt. Deshalb gelten die Vorschriften der §§ 611 ff subsidiär für das Arbeitsverhältnis, soweit keine speziellen arbeitsrechtlichen Normen Anwendung finden. Aufgrund der Komplexität des Arbeitsrechts soll dessen Behandlung den Lehrbüchern, Grundrissen und Kommentaren zum Arbeitsrecht vorbehalten bleiben. Die vorliegende Darstellung beschränkt sich insoweit weitgehend auf das Dienstvertragsrecht im engeren Sinne, wobei allerdings auf wichtige arbeitsrechtliche Besonderheiten und auf einzelne spezifisch arbeitsrechtliche Vorschriften, die Abweichungen gegenüber dem freien Dienstvertragsrecht enthalten, hingewiesen wird.

III. Systematik und gesetzliche Regelung 1128

Die Zusammenfassung der freien Dienstverträge und der Arbeitsverträge unter die §§ 611ff und die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts haben zur Existenz dienstvertraglicher Vorschriften mit unterschiedlicher Rechtsnatur geführt. Soweit der Wortlaut nichts Gegenteiliges erkennen lässt, gelten die §§ 611ff sowohl für den Dienstvertrag als auch für den Arbeitsvertrag, wenn auch für letzteren nur subsidiär. Daneben existieren dienstvertragliche Regelungen, die ausschließlich den freien Dienstvertrag betreffen (621, 627), sowie solche, die ausschließlich auf den Arbeitsvertrag anwendbar sind (611a, 611b, 612 III, 612 a, 613a, 619 a, 622, 623). Im Übrigen lassen sich die Vorschriften des Dienstvertragsrechts in vier Gruppen einteilen. Die §§ 611–614 behandeln Grundlagen und Einzelheiten zu den Hauptpflichten der Vertragsparteien. Die §§ 617–619 regeln die Nebenpflichten des Dienstherrn. In §§ 615, 616 sind Besonderheiten zu bestimmten Fällen von Leistungsstörungen normiert. Schließlich befassen sich die §§ 620–630 mit der Beendigung des Dienstverhältnisses und einzelnen aus der Beendigung resultierenden Rechtsfolgen. Von der Schuldrechtsreform sind die Vorschriften über den Dienstvertrag weitgehend unberührt geblieben. Änderungen erfolgten lediglich in §§ 615 S. 3 und 619a. Ferner haben die allgemein formulierten §§ 275ff Auswirkungen auch auf Dienstverträge. Von 4 Teilweise haben arbeitsrechtliche Regelungen auch einen überraschenden Standort. So wurden zum 1. 1. 2003 die §§ 105–110 der GewO neu gefasst und enthalten nun „Allgemeine arbeitsrechtliche Grundsätze“, die gem § 6 II GewO für alle Arbeitnehmer gelten, s. dazu Bauer/Opolony, BB 2002, 1590; Schöne, NZA 2002, 829.

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Dienstvertrag

§ 83 IV 1

Bedeutung ist auch die Einbeziehung standardisierter Arbeitsverträge in die AGB-Kontrolle, 310 IV 2, 3.5

IV. Abgrenzung des Dienstvertrages von anderen Vertragstypen 1. Abgrenzung zum Werkvertrag Die Abgrenzung zwischen Dienst- und Werkvertrag bereitet besondere Schwierigkeiten, da bei beiden Vertragstypen der Schuldner verpflichtet ist, für den Gläubiger tätig zu werden. Üblicherweise erfolgt die Abgrenzung anhand der Formel, dass beim Dienstvertrag die Erbringung der Dienstleistung als solche, also lediglich die Vornahme einer bestimmten Tätigkeit und damit die Arbeit als solche geschuldet wird, der Schuldner sich hingegen beim Werkvertrag zur Herbeiführung eines Erfolgs oder eines Ergebnisses gerade durch seine Tätigkeit verpflichtet.6 Demnach kommt es also darauf an, ob der Schuldner schon für sein bloßes Tätigwerden oder erst für einen bestimmten Erfolg bezahlt wird. Oft ist diese Unterscheidung aber wenig hilfreich, weil auch beim Dienstvertrag die Tätigkeit regelmäßig im Hinblick auf einen bestimmten Erfolg in Anspruch genommen wird, den der Verpflichtete jedoch nicht garantieren kann oder will. So will beispielsweise der Patient des Arztes wieder gesund werden und die Teilnehmer eines juristischen Repetitoriums wollen gute Examina ablegen. Der Dienstverpflichtete kann und will in diesen Fällen die angestrebten Erfolge jedoch nicht versprechen, da deren Eintritt außerhalb seines Einflussbereichs liegt. Dass der Dienstherr ein Interesse am Erfolg der Dienstleistung hat, macht den Vertrag deshalb noch nicht zum Werkvertrag.7 Andererseits kann aber auch der für den Werkvertrag maßgebliche Erfolg in der Entfaltung der Tätigkeit selbst liegen, ohne dass ein darüber hinausgehender Erfolg notwendigerweise herbeigeführt werden müsste. So wird beispielsweise bei einer Theateraufführung lediglich die Darbietung des Stückes geschuldet, ein weitergehender Erfolg, wie etwa eine positive Resonanz beim Publikum wird nicht geschuldet. Hilfreich ist deshalb eine Rechtsfolgenbetrachtung: Will der Verpflichtete für den Erfolg einstehen? Welcher der beiden Vertragstypen wird der Interessenlage der Parteien eher gerecht? 8 Hierbei kommt insbesondere der Haftungsverteilung erhebliches Gewicht zu: Beim Werkvertrag hat der Verpflichtete für die Verwirklichung des angestrebten Erfolges einzustehen, Erfüllung liegt damit erst mit Erfolgseintritt vor. Tritt der Erfolg nicht ein, so kann der Unternehmer beim Werkvertrag das vereinbarte Entgelt auch dann nicht verlangen, wenn er seine Dienste ordentlich verrichtet. Er trägt insoweit also die Leistungs- und Vergütungsgefahr und damit letztlich das Erfolgsrisiko, 644, 645. Der aus einem Dienstvertrag Verpflichtete ist hingegen nicht mit diesem Risiko belastet, kann also das vereinbarte Entgelt auch dann verlangen, wenn der mit der Tätigkeit bezweckte Erfolg nicht eintritt. Es ist also stets zu fragen, ob nach der Vorstellung der Vertragsparteien der Verpflichtete das Erfolgsrisiko übernehmen soll.

5 S. dazu Henssler, RdA 2002, 135 ff; Lingemann, NZA 2002, 181; Reinicke, DB 2002, 583; Däubler, NZA 2002, 1334; Gotthardt, ZIP 2002, 277. S. auch BAG NJW 2005, 3305: Der Arbeitsvertrag ist Verbrauchervertrag i. S. v. § 310 III. 6 S. z. B. BGH NJW 2002, 3323 (3324). 7 S. hierzu BGH NJW 2002, 595. 8 BGH NJW 2002, 3323 (3324).

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§ 83 IV 2

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Ob der eine oder der andere Fall vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls durch Auslegung zu ermitteln. Beispiel: Partnervermittlungsverträge stellen typische Dienstverträge dar. Da der Erfolg der Partnervermittlung von Faktoren abhängt, auf die der Dienstverpflichtete keinerlei Einfluss hat, kann und will er das Erfolgsrisiko nicht tragen.9 Ebenso sollen bei den Bewachungsverträgen oder Detektivverträgen in der Regel lediglich Gefahren gemindert, nicht aber der Ausschluss eines Schadenseintritts als Erfolg garantiert werden.10 Wird jedoch ausnahmsweise ein Erfolgshonorar vereinbart, kann im Einzelfall auch ein Werkvertrag vorliegen.

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Darüber hinaus können verschiedene Indizien die Einordnung des Vertrags unter die §§ 611ff bzw. 631 ff erleichtern. Für das Vorliegen eines Werkvertrags kann es beispielsweise sprechen, wenn die Parteien die zu erledigende Aufgabe und den Umfang der Arbeiten konkret festlegen, oder wenn die Höhe der vereinbarten Vergütung darauf schließen lässt, dass das Erfolgsrisiko mit abgedeckt werden soll.11 Für einen Dienstvertrag ist demgegenüber eine allgemeine laufende Tätigkeit charakteristisch.12 Ferner wird ein Dienstvertrag zumeist dann vorliegen, wenn der Eintritt des Erfolgs nicht allein von den Bemühungen und Fähigkeiten des Verpflichteten, sondern auch von Umständen abhängt, die von ihm nicht beherrschbar sind (z. B. von solchen in der Person des Gläubigers). Auch wenn der Verpflichtete unter Anleitung und Mitverantwortung des Berechtigten leistet, handelt es sich meist um einen Dienst- oder Arbeitvertrag. In vielen Fällen beruht die Einordnung eines bestimmten Vertrags als Dienst- bzw. Werkvertrag auf bloßer Übung oder Tradition. 2. Beispiele a) Arztvertrag

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Der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient ist Dienstvertrag. Aufgrund der Komplexität medizinischer Zusammenhänge, die nur beschränkt vom Menschen beherrschbar sind, verpflichtet sich der Arzt nur zu einer gewissenhaften und sorgfältigen Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Heilkunst. Insoweit kann der Vertragspartner zwar erwarten, dass sich der Arzt um den Heilungserfolg bemüht, nicht aber dass er auch für die Erreichung dieses Erfolgs einsteht (medicus curat, natura sanat). Der Arzt schuldet deshalb nicht die Heilung als solche, sondern nur das Bemühen darum. Das Gleiche gilt auch dann, wenn der Arzt einen zielgerichteten Eingriff durch Operation vornimmt.13 Zwar könnte man hier annehmen, dass der Arzt, der eine Blinddarmoperation vernehmen soll, als Erfolg auch die Entfernung des Blinddarms schuldet. Da jedoch auch bei operativen Eingriffen Komplikationen oder Nebenwirkungen auftreten können, führt ein Eingriff nicht notwendigerweise zum Heilungserfolg, weshalb der Arzt das Gelingen der Operation auch nicht als Erfolg verspricht. Dagegen sollten kosmetische Operationen als Werkvertrag eingestuft werden, da es hier nicht um Heilkunst, sondern um die Vornahme einer bestimmten Korrektur geht (str.).14 Aller9 10 11 12 13

BGHZ 106, 341 (343 f); BGH NJW 1990, 2550 (2551); 1991, 2763; 1999, 276. BGH NJW 1990, 2549; dazu Schünemann, NJW 2003, 1689. BGH NJW 2002, 3323 (3324). BGH NJW 2000, 1107; 2002, 595 (Engagement eines Beleuchters für Konzerttournee). MüKo/Busche, § 631 Rdn. 238 f; Bamberger/Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 13; Oechsler, Vertragsrecht Rdn. 628. 14 MüKo/Busche, § 631 Rdn. 239; Emmerich, Schuldrecht BT § 9 Rdn. 8; a. A. Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 611 Rdn. 18.

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Dienstvertrag

§ 83 IV 2

dings wird hier regelmäßig ein bewertungsfreier Erfolg geschuldet: Wird die kosmetische Operation wie vereinbart durchgeführt, ist der Erfolg auch dann erreicht, wenn der Eingriff nicht wirklich zur Verschönerung führt. Diese Grundsätze finden auch auf die zahnärztliche Behandlung Anwendung: Im Grundsatz liegt Dienstvertrag vor, und zwar auch bei Zahnfüllungen, Zahnersatz, Zahnprothesen, usw. Lediglich die technische Herstellung der erforderlichen Materialien unterliegt Werkvertragsrecht, und zwar sowohl im Verhältnis von Zahnarzt und Patient, als auch im Verhältnis von Zahnarzt und Labor. b) Krankenhausvertrag Bei der stationären Behandlung eines Patienten in einem Krankenhaus liegt zumeist ein Dienstvertrag zwischen dem Patienten und dem Krankenhausträger vor, der sowohl die ärztliche Behandlung, als auch die Pflege, Unterkunft und Verpflegung umfasst (sog. totaler Krankenhausvertrag).15 Hier schuldet der Träger des Krankenhauses die ärztliche Behandlung selbst und haftet deshalb für Fehler des Arztes nach § 278. Möglich ist jedoch auch, dass der Patient mit dem Arzt einen eigenen Dienstvertrag abschließt, so beispielsweise wenn ein Belegarzt eine ambulant begonnene Behandlung stationär fortsetzt. In diesem Fall bestehen getrennte Dienstverträge zwischen Patient und Krankenhaus einerseits und zwischen Patient und Arzt andererseits (gespaltener Arzt-Krankenhausvertrag). Das Krankenhaus schuldet in diesem Fall nur die übrigen Leistungen, haftet jedoch nicht für ein Verschulden des Arztes. Schließlich kann der Patient auch einen totalen Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvertrag abschließen.16 Hier schuldet das Krankenhaus ebenfalls die umfassende Leistungserbringung einschließlich der ärztlichen Behandlung. Daneben schließt der Patient mit dem behandelnden Arzt einen weiteren Dienstvertrag über die ärztlichen Leistungen.

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c) Rechtsanwalts- und Steuerberatervertrag Auch der Rechtsanwaltsvertrag stellt in der Regel einen Dienstvertrag dar, der eine Geschäftsbesorgung (§ 675) zum Inhalt hat. Der Anwaltsvertrag verpflichtet den Anwalt zur sorgfältigen und gewissenhaften Rechtsberatung, zur Gestaltung brauchbarer Verträge und zu einer sorgfältigen Prozessvertretung.17 Das Obsiegen im Gerichtsprozess kann der Anwalt jedoch nicht versprechen (die Vereinbarung eines Erfolgshonorars ist im deutschen Recht unzulässig, 49b BRAO). Gleiches gilt für Verträge mit einem Steuerberater, die sich auf allgemeine Steuerberatung, Buchhaltung, Jahresabschlüsse und die Vorbereitung von Steuererklärungen beziehen.18 Ein Werkvertrag kann in diesen Fällen lediglich dann vorliegen, wenn sich der Vertrag auf eine einmalige Einzelleistung, wie beispielsweise die Erstellung eines Gutachtens, eines Vertragsentwurfs o. ä. bezieht.19

15 BGH NJW 1998, 1778 (1779); 2000, 2741 (2742); Medicus, Schuldrecht II Rdn. 352; Schellhammer Schuldrecht Rdn. 331. 16 BGH NJW 1998, 1778 (1779). 17 BGHZ 89, 179 (181 ff); 97, 372 (376 ff); BGH NJW 1995, 449 (450); 1997, 2168 (2169); 1998, 1860 (1863); Bamberger/Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 20. 18 BGHZ 54, 106 (107); 115, 382 (386); BGH NJW 1982, 1532; 2002, 1571 (1572). 19 BGH NJW 1996, 661 (Vertragsentwurf); 2000, 1107 (Jahresabschluss).

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

d) Unterrichtsverträge Unterrichtsverträge sind in den meisten Fällen Dienstverträge. Hierunter fallen sowohl Direktschul- und Internatsschulverträge, Verträge mit juristischen Repetitorien sowie Verträge über Fitness-Kurse.20 Für Fernunterrichtsverträge gilt das FernUSG mit besonderen Bestimmungen hinsichtlich der Schriftform des Vertrags sowie der Widerrufs- und Kündigungsrechte. Die §§ 611ff gelten insoweit nur subsidiär. e) Verträge mit Künstlern 1135

Verträge mit Künstlern sind nach den Umständen des Einzelfalls als Dienst- oder Werkverträge zu qualifizieren. Ist der Vertrag auf die Mitwirkung des Künstlers an Aufführungen oder Aufzeichnungen (z. B. von CDs oder DVDs) gerichtet, so handelt es sich meistens um einen Dienstvertrag. Hierzu gehören z. B. Verträge mit Bühnen- und Filmdarstellern sowie Theater- und Filmregisseuren.21 Die Abgrenzung zum Werkvertrag bereitet hier oft geringere Probleme als die Frage, ob im Einzelfall ein freier Dienstvertrag vorliegt, oder ob der Künstler in einem Abhängigkeitsverhältnis steht und somit Arbeitsrecht anwendbar ist. So wird bei Ensemblemitgliedern in der Regel ein Arbeitsvertrag vorliegen, wohingegen mit gastierenden Künstlern regelmäßig (freie) Dienstverträge geschlossen werden.22 Hiervon zu unterscheiden sind einzelne Aufführungsverträge, die mit Orchestern, Einzelkünstlern oder Regisseuren geschlossen werden und eher werkvertraglichen Charakter haben. Hier sind die Verpflichteten im Rahmen ihrer künstlerischen Freiheit zu einer Werkleistung verpflichtet, da die Aufführung als Erfolg geschuldet wird.23 – Der „Kauf“ einer Eintrittskarte für den Besuch einer Aufführung durch den Zuschauer ist ebenfalls Werkvertrag (in der Form eines Werkverschaffungsvertrags, s. u. Rdn. 1196 ff), ergänzt durch Miete des Sitzplatzes. – Der „Auftrag“ zur Anfertigung eines Werks der bildenden Kunst (Bild, Statue, etc.) ist Werkvertrag; § 651 findet keine Anwendung (s. u. Rdn. 1225). 3. Abgrenzung zu weiteren Vertragstypen a) Spezielle Dienstleistungen

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Einige spezielle Dienstleistungen sind im BGB und HGB als Gegenstand eigener Verträge geregelt: Das sind im BGB der Maklervertrag (§§ 652 ff) und die Verwahrung (§§ 688ff), im HGB die Kommission (§§ 383 ff HGB), die Spedition (§§ 453ff HGB) und das Lagergeschäft (§§ 467ff HGB).24 Diese Regeln gehen den allgemeinen Vorschriften über den Dienstvertrag in den §§ 611 ff BGB vor.

20 Zu weitgehend aber OLG Hamm NJW-RR 1992, 242, wonach der Vertrag mit einem Fitness-Studio schon dann Dienstvertrag ist, wenn der Kunde über die richtige Benutzung der Geräte beraten und beim Training überwacht wird. Hier liegt eher ein Mietvertrag mit dienstvertraglichen Nebenpflichten, also ein gemischttypischer Vertrag vor. 21 MüKo/Müller-Glöge, § 611 Rdn. 136; Palandt/Sprau, Vor § 631 Rdn. 25. 22 Staudinger/Richardi, Vor § 611 Rdn. 1699. 23 Palandt/Sprau, Vor § 631 Rdn. 25; RGRK/Anders/Gehle, § 611 Rdn. 543ff; KG MDR 1999, 538 (Regie). 24 Das Frachtgeschäft (§§ 407 ff HGB) ist als Beförderungsvertrag werkvertraglicher Natur.

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Dienstvertrag

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b) Dienstverschaffungsvertrag Vom Dienstvertrag ist der Dienstverschaffungsvertrag zu unterscheiden, bei dem sich jemand verpflichtet, einem anderen die Dienste eines Dritten zu verschaffen, was meist gegen Entgelt geschieht. Der Verpflichtete schuldet die Dienstleistung also nicht selbst und haftet deshalb auch nicht nach § 278 für die Fehler desjenigen, den er für die Dienstleistung bestellt hat. Seine Haftung beschränkt sich insoweit auf das eigene Auswahlverschulden. Eine bloße Dienstverschaffungspflicht liegt beispielsweise vor, wenn bei der Vermietung von Maschinen, Gerätschaften oder Fahrzeugen auch das Bedienungspersonal gestellt wird, und dieses den Weisungen des Mieters unterworfen ist.25 Typischer Fall des Dienstverschaffungsvertrags ist die Arbeitnehmerüberlassung, bei welcher der Unternehmer seinem Vertragspartner geeignete Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, die dieser nach eigenem Bedarf in seinem Betrieb einsetzt (s. hierzu das AÜG).26 Zum Werkverschaffungsvertrag s. u. Rdn. 1196 ff.

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V. Zustandekommen des Vertrages Der Dienstvertrag kommt durch Austausch korrespondierender Willenserklärungen zustande, wobei die eine Seite sich zur Erbringung der Dienste, die andere sich zur Zahlung der Vergütung verpflichtet. Hierbei gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln über Abschluss (§§ 145 ff), Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff) und Willenserklärungen bzw. -mängel (§§ 116 ff). Da der Dienstvertrag ein Schuldvertrag ist (§ 311), unterliegt sein Abschluss der Vertragsfreiheit der Vertragspartner. Dieses Prinzip wurde für gewerbliche Arbeitnehmer in § 105 GewO ausdrücklich festgeschrieben. 1. Form und Abschlussverbote Für den freien Dienstvertrag gelten sowohl hinsichtlich des Abschlusses als auch der inhaltlichen Gestaltung des Vertrags keine Besonderheiten. Insbesondere kann der Dienstvertrag grundsätzlich formfrei abgeschlossen werden. Zu beachten ist allerdings, dass für Honorarvereinbarungen der freien Berufe vielfach Formerfordernisse bestehen (z. B. §§ 4 RVG, 14 StBGebV). Eine weitere wichtige Ausnahme enthält § 4 des Berufsbildungsgesetzes, nach dem Ausbildungsverträge der Schriftform bedürfen. Auch der Abschluss eines Arbeitsvertrags ist grundsätzlich an kein Formerfordernis gebunden. Allerdings wird häufig in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen bestimmt, dass Arbeitsverträge der Schriftform bedürfen. Zudem ist der Arbeitgeber nach § 2 NachwG (s. auch den Verweis in § 105 S. 2 GewO) verpflichtet, spätestens einen Monat nach Vertragsbeginn die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich festzulegen und die Urkunde dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Ein Verstoß gegen dieses Formerfordernis hat jedoch keine Nichtigkeit zur Folge, sondern führt lediglich dazu, dass die Darlegungs- und Beweislast zugunsten des Arbeitnehmers verschoben wird.27 Bei den Arbeitsverträgen hat der Gesetzgeber zudem zum Schutz des sozial schwächeren Arbeitnehmers die Vertragsfreiheit in verschiedener Hinsicht eingeschränkt. Es gibt Abschlussverbote (z. B. Beschäftigungsverbote für Kinder, § 5 Jugendarbeitsschutzgesetz), Abschlussgebote (vgl. § 71 SGB IX zu Gunsten von Schwerbehinderten) und Diskriminierungsverbote (§§ 611a, 611 b). Bei geschlechtsbezogener Benachteiligung hat der Benachteiligte einen Anspruch auf angemessene Entschädigung nach § 611 a II–V. 25 BGH NJW 1991, 1683 (1685); LG Hamburg NJW-RR 1997, 227 (228): Fahrzeug und Fahrer. 26 S. dazu BGH NJW 2002, 3317 mit Abgrenzung vom Werkvertrag. 27 BAG NZA 2002, 1096; Palandt/Weidenkaff, § 611 Rdn. 3.

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§ 83 V 3

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

2. Einigung über Dienstleistung und Vergütung 1141

Vergütung und Dienstleistung stellen die wesentlichen Merkmale des Dienstvertrags dar. Das Zustandekommen des Dienstvertrags setzt deshalb voraus, dass die Parteien eine Vereinbarung über diese essentialia negotii erzielen. Fehlt es an einer Einigung über einen dieser Punkte, so wäre der Vertrag grundsätzlich wegen Dissenses nach den allgemeinen Regeln nichtig, 154, 155. a) Fiktion der Vergütungsvereinbarung, 612 I Dieses Ergebnis verhindert § 612 I für den Fall, dass die Parteien sich zwar über die Dienstverpflichtung, nicht aber über die Vergütung geeinigt haben. Die Vorschrift bestimmt insoweit, dass der Vertrag auch ohne Abrede über die Vergütung wirksam ist und eine Vergütung vom Dienstberechtigten gefordert werden kann, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten war. Damit enthält § 612 I eine gesetzliche Fiktion, nach der eine Vergütung auch ohne ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung als geschuldet gilt. § 612 I statuiert insoweit eine Vergütungspflicht kraft Gesetzes. Daraus folgt zugleich, dass der Dienstberechtigte den Vertrag nicht wegen eines Irrtums über die Vergütungspflicht nach § 119 I anfechten kann, mit dem Argument, er habe sich darüber geirrt, dass die in Anspruch genommenen Dienste in der Regel nur gegen Entgelt erbracht würden. b) Höhe der Vergütung, 612 II Wenn die Höhe der Vergütung nicht bestimmt ist, greift § 612 II ein. Die Vergütungshöhe richtet sich vorrangig nach der taxmäßigen Vergütung, die sich aus Gebührenordnungen, wie beispielsweise des RVG, der Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte oder der HOAI ergeben kann. Fehlt eine solche Taxe, so ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Lässt sich eine übliche Vergütung nicht ermitteln, so gelten die §§ 315, 316; danach hat derjenige, der die Dienste leistet, die Vergütung „nach billigem Ermessen“ zu bestimmen. 3. Mängel des Vertragsschlusses

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Da Dienstverträge den allgemeinen Regeln der §§ 104ff, 116ff, 134, 138, 145ff unterliegen, können sie an Abschlussmängeln leiden, also nichtig oder anfechtbar sein. So kann ein Dienstvertrag nach § 134 wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot, wie beispielsweise gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, oder wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 nichtig sein. Als Anfechtungsgrund kommt vor allem eine Anfechtung des Vertrags wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Dienstschuldners oder wegen arglistiger Täuschung in Betracht, 119 II, 123. Dies ist im Arbeitsrecht von großer praktischer Relevanz. Eine arglistige Täuschung liegt in der Regel dann vor, wenn der Arbeitnehmer auf eine zulässige Frage falsch antwortet. Allerdings ist § 123 dann nicht anwendbar, wenn der Arbeitnehmer bei der Einstellung auf eine sog. unzulässige Frage des Arbeitgebers lügen durfte. Unzulässige Fragen sind z. B. Fragen des Intimbereichs wie Schwangerschaftsabsicht, die Verwendung von Verhütungsmitteln oder die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft.28 Dagegen berechtigt es zur Anfechtung, wenn der Arbeitnehmer das Nichtvorhandensein einer Schwerbehinderteneigenschaft vortäuscht.29 28 BAG NJW 1993, 1154 (1155); EuGH NJW 1994, 2077 (2078); Palandt/Heinrichs, § 123 Rdn. 6. 29 BAG NJW 1996, 2323.

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Dienstvertrag

§ 83 V 3

Nichtigkeit und Anfechtung führen grundsätzlich zur Unwirksamkeit des Vertrags von Anfang an (ex tunc). Vor Vollzug des Dienstvertrags gilt dies uneingeschränkt, d. h. der nichtige Vertrag gelangt nicht zur Entstehung und der angefochtene Dienstvertrag wird mit rückwirkender Kraft beseitigt. Ist ein Dienstvertrag zwar unwirksam, aber bereits vollzogen, so fragt sich, ob der Dienstherr für die von ihm in Anspruch genommene Arbeitsleistung volle Vergütung schuldet. Da der nichtige bzw. angefochtene Vertrag von Anfang an unwirksam ist, wären die bereits erbrachten Leistungen grundsätzlich nach Bereicherungsrecht zurückzugewähren. Allerdings kann es bei der Rückabwicklung, insbesondere im Hinblick auf §§ 818 II, III, zu Schwierigkeiten kommen, wenn das Dienstverhältnis über eine längere Zeit bestanden hat. Die einzelnen Leistungen und Vermögensverschiebungen lassen sich dann häufig nicht mehr genau feststellen.

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a) Sog. fehlerhaftes Arbeitsverhältnis im Arbeitsrecht Um den Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung zu entgehen, wurde von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis entwickelt. Danach wird ein an sich unwirksamer Arbeitsvertrag, der bereits in Vollzug gesetzt wurde, für die bereits abgelaufene Zeit als voll wirksam behandelt. Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien richten sich dann grundsätzlich nach den Vorschriften, die für ein wirksames Arbeitsverhältnis gelten. Es besteht demnach auch ein Anspruch des Dienstschuldners auf den vereinbarten, angemessenen oder üblichen Lohn.30 Nach Aufnahme der Dienste können deshalb Anfechtung und Nichtigkeit nicht für die Vergangenheit geltend gemacht werden, sondern wirken nur für die Zukunft (ex nunc), so dass dem Arbeitnehmer für bereits geleistete Dienste der vertragliche Anspruch erhalten bleibt.31 Der Vertrag kann in diesen Fällen für die Zukunft auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aufgelöst werden.32 Ist der Vertrag wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit des Dienstverpflichteten nichtig, gilt grundsätzlich nichts anderes. Allerdings sollen die obengenannten Grundsätze insoweit keine Anwendung finden, als der Schutz des Nicht-Geschäftsfähigen es erfordert. Liegt der Mangel auf der Seite des Dienstverpflichteten, so behält dieser zwar seinen Lohnanspruch, Ansprüche gegen ihn können hingegen nicht geltend gemacht werden, da sich der Nicht-Geschäftsfähige nicht wirksam verpflichten konnte. Ist hingegen der Empfänger der Dienstleistung geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig, kann ihn keine Lohnzahlungspflicht treffen, dem Dienstverpflichteten stehen insoweit nur Bereicherungsansprüche zu.33 Ebenso soll die Sittenwidrigkeit ausnahmsweise für die Vergangenheit dann berücksichtigt werden, wenn der Vertrag auf eine gesetzes- oder sittenwidrige Leistung gerichtet ist, 134, 138.34 Die als solche sittenwidrige Dienstleistung kann deshalb auch für die Vergangenheit keine faktische Gültigkeit des Vertragsverhältnisses bewirken.

30 BAG NJW 1986, 2133. S. bereits oben Rdn. 77. 31 BAGE 5, 58 (65f); 5, 159 (161 f); BGH NJW 1985, 646; BGH WM 1995, 614; BGH NJW 2000, 2983. 32 BGHZ 41, 282 (287f); BGH NJW 1989, 1928. 33 Staudinger/Richardi, § 611 Rdn. 191f; Palandt/Weidenkaff, § 611 Rdn. 23. 34 BAG NJW 1976, 1958 (1958).

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§ 83 VI 1

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

b) Übertragung auf freie Dienstverträge 1145

Nicht abschließend geklärt ist, ob diese Rechtsprechung auf freie Dienstverträge übertragen werden kann. Der BGH wendet die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses jedenfalls dann auch auf freie Dienstverträge an, wenn der Schutzzweck es gebietet, also der Dienstverpflichtete ausnahmsweise ähnlich einem Arbeitnehmer organisationsrechtlich in den Bereich des Dienstberechtigten integriert und wirtschaftlich von diesem abhängig ist.35 Dies ist vor allem bei solchen Dienstverhältnissen der Fall, denen eine Anstellung zugrunde liegt. Ob über diese Fallgruppen hinaus eine Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis auf selbständige Dienstverträge möglich ist, ist in der Literatur umstritten. Soweit das Dienstverhältnis auf Dauer angelegt ist, wird allerdings überwiegend eine entsprechende Anwendung der für das Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze auch auf freie Dienstverträge befürwortet.36 Begründet wird dies mit der Eigenart des Dienstleistungsversprechens, das in der Erbringung von Diensten und nicht in der Herbeiführung eines Erfolgs besteht. Ist die geschuldete Arbeit erbracht, so ist sie dem Vermögen des Dienstleistungsberechtigten unwiderruflich zugeführt. Diesem „vollzogenen Lebenssachverhalt“ kann dadurch Rechnung getragen werden, dass Anfechtung und Nichtigkeit auch bei freien Dienstverträgen Wirkung nur für die Zukunft entfalten.

VI. Pflichten des Dienstschuldners 1. Hauptleistungspflicht 1146

Der Dienstverpflichtete schuldet die Verrichtung der vertragsgemäßen Leistung, wobei er gem. § 614 regelmäßig vorleistungspflichtig ist. Die Dienstleistungspflicht ist die einzige Hauptleistungspflicht des Dienstschuldners, 611 I. a) Inhalt der vertragsgemäßen Dienste Gem. § 611 II können Gegenstand des Dienstvertrags Dienste jeder Art sein. Welche Dienstleistung konkret geschuldet ist, ist der Vereinbarung der Parteien überlassen. Der Inhalt der Pflicht kann sich aber auch aus Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung ergeben. Liegt im Einzelfall keine anderweitige Vereinbarung vor, so richtet sich der Inhalt der geschuldeten Leistung nach den typischen Verkehrserwartungen, die vor allem durch das jeweilige Berufs- und Standesrecht geprägt werden (133, 157, 242). Das Maß der geschuldeten Sorgfalt orientiert sich an den Fähigkeiten und Kenntnissen eines ordentlichen und gewissenhaften Berufsangehörigen. Es entlastet den Dienstverpflichteten deshalb nicht, wenn seine Fähigkeiten hinter diesem Maßstab zurückbleiben, 276. Die Maßstäbe, welche die Rechtsprechung an das Maß der geschuldeten Sorgfalt stellt, sind insbesondere bei Rechtsanwälten und Ärzten sehr streng. Der Rechtsanwalt muss den Sachverhalt erschöpfend aufklären und den Mandanten umfassend beraten, um ihn vor vermeidbaren rechtlichen 35 BGHZ 53, 152 (157 f) für arbeitnehmerähnliche Personen wie Heimarbeiter, Handelsvertreter und freie Mitarbeiter; BGHZ 41, 282 (288f) für den Vorstand einer AG; BGHZ 55, 152 (158 f); BGH NJW 2000, 2983 für einen unwirksamen Geschäftsführeranstellungsvertrag. 36 Staudinger/Richardi, § 611 Rdn. 178 f; MüKo/Müller-Glöge, § 611 Rdn. 331; Erman/Edenfeld, § 611 Rdn. 159; Bamberger/Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 8; Brox/Walker, Schuldrecht BT § 20 Rdn. 24; ablehnend Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 404f; Hk-BGB/Eckert, § 611 Rdn. 9.

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oder wirtschaftlichen Schäden zu bewahren. Ferner soll er dem Mandanten den sichersten Weg zum gewünschten Ziel weisen, ihn vor Risiken warnen, Bedenken mit ihm erörtern und von aussichtslosen Maßnahmen abraten. Kommen mehrere Maßnahmen in Betracht, so muss der Anwalt nach dem neuesten Stand der Rechtsprechung den am meisten Erfolg versprechenden Weg wählen. Ferner muss er sich um Fragen der Verjährung kümmern und Rechtsmittelfristen beachten. Verstößt der Anwalt gegen seine Pflichten, so macht er sich schadensersatzpflichtig nach §§ 611, 675, 280. Rechtsunkenntnis kann ihn in keinem Fall entschuldigen. Der Arzt schuldet dem Patienten eine sorgfältige Behandlung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft und der ärztlichen Kunst, wobei die gesamte Behandlung am Wohl des Patienten ausgerichtet sein muss. Zu einer sorgfältigen Behandlung gehören eine umfassende Befunderhebung, eine zutreffende Diagnose, die Wahl der richtigen Behandlung aufgrund der gefällten Diagnose, eine umfassende Aufklärung des Patienten über Folgen und Risiken eines Eingriffs sowie schließlich eine lege artis durchgeführte Therapie. Maßstab der vom Arzt geschuldeten Sorgfalt sind das Wissen und Können eines sorgfältigen Arztes des betreffenden Fachgebiets. Der Arzt haftet zudem nicht nur für unsorgfältiges Handeln, sondern auch für pflichtwidriges Unterlassen von indizierten Untersuchungen oder Heilmaßnahmen.

Die Art der geschuldeten Dienste entscheidet auch darüber, ob von dem Dienstverpflichteten selbständige Entscheidungen erwartet werden können. So muss beispielsweise ein Fließbandarbeiter genau die ihm zugewiesenen Aufgaben und Handgriffe erledigen und eine Sekretärin muss das ihr übergebene Tonband wortgetreu abtippen. Hingegen ist Ärzten oder Anwälten in der Regel zur freien Entscheidung überlassen, wie sie an das von dem Patienten oder Mandanten gewünschte Ziel gelangen. Insbesondere bei auf Dauer angelegten Dienstverhältnissen kann dem Dienstberechtigten darüber hinaus nach den Umständen des Einzelfalls ein Weisungs- und Direktionsrecht zustehen, aufgrund dessen er den Inhalt, sowie Zeit und Ort der Dienstleistungspflicht konkretisieren oder abändern kann, soweit er sich hierbei im vertraglichen Rahmen hält (für gewerbliche Arbeitnehmer s. § 106 GewO). Dieses Recht berechtigt aber nicht dazu, die vertraglich vereinbarten Pflichten einseitig zu erweitern. Der als Elektriker eingestellte Dienstverpflichtete ist nicht verpflichtet, den Hof zu kehren.37 Besondere Bedeutung kommt dem Weisungsrecht in Arbeitsverhältnissen zu.

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b) Persönliche Erbringung der Dienstleistung Die Parteien des Dienstvertrags legen in der Regel auf die Persönlichkeit und die Fähigkeiten des Vertragspartners großen Wert. Insbesondere der Dienstberechtigte hat oft ein großes Interesse daran, die Dienstleistung gerade von dem Dienstschuldner zu erhalten, den er sich wegen spezieller Kenntnisse und Befähigungen ausgesucht hat. Diesem Gedanken trägt § 613 S. 1 Rechnung, nach dem der Dienstverpflichtete die Dienstleistung im Zweifel persönlich zu erbringen hat. Die Dienstpflicht ist damit höchstpersönlich, der Dienstverpflichtete kann also nicht eine andere Person zur Arbeit schicken. Beispiel: Der Arzt eines Krankenhauses, der aufgrund eines mit dem Patienten geschlossenen Vertrags bei diesem selbst liquidieren will, darf außer in Not- oder Eilfällen die von ihm geschuldete Leistung nicht durch einen anderen Oberarzt erbringen lassen.38 37 Das Direktionsrecht findet seine Grenze bei einem Verstoß gegen die guten Sitten, möglichen Gewissenskonflikten des Arbeitnehmers (zu Art. 4 GG s. BAG JZ 1985, 1111; BAG NJW 1986, 85) und den Rechten des Betriebsrats aus § 87 I BetrVG (s. BAG DB 1986, 1025; BAG DB 1986, 1395). Rechtsprechungsüberblick bei Hunold, NZA-RR 2001, 397. Zur Leistungsverweigerung wegen persönlicher Unmöglichkeit (§ 275 III) s. o. Rdn. 400f. 38 OLG Celle NJW 1982, 2129; Kuhla, NJW 2000, 841; Miebach-Patt, NJW 2000, 3377.

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Allerdings verbietet es § 613 S. 1 nicht, im verkehrsüblichen Rahmen Gehilfen einzusetzen; so kann beispielsweise der Arzt einzelne ärztliche Aufgaben wie Blutentnahmen, Injektionen oder Laborarbeiten auf nicht-ärztliches Personal delegieren. Ebenso wie die Dienstleistungspflicht ist auch der Anspruch auf die Dienste höchstpersönlich. § 613 S. 2 ordnet insoweit an, dass der Anspruch auf die Dienstleistung im Zweifel nicht übertragbar sein soll; der Dienstschuldner braucht sich also keinen anderen Dienstgläubiger aufdrängen zu lassen, die Hausfrau darf also beispielsweise ihre Putzhilfe nicht ohne deren Zustimmung an eine Freundin „ausleihen“. Die Unübertragbarkeit des Anspruchs auf die Dienstleistung ergibt sich in vielen Fällen bereits aus § 399 Alt. 1. Insbesondere wenn die Dienstleistung an der Person des Gläubigers zu erbringen ist, wie beispielsweise bei ärztlicher Behandlung oder bei einem Unterrichtsvertrag, ändert sich mit der Person des Gläubigers auch der Inhalt der geschuldeten Leistung.

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Beim Arbeitsvertrag kommt dem Verhältnis des Arbeitnehmers zu der Person des Arbeitgebers eine eher geringe Bedeutung zu. Denn die unselbständige Arbeitsleistung ist in der Regel weniger an eine Person, als vielmehr an den Arbeitsplatz gebunden. Deshalb steht hier die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betrieb im Vordergrund. Deshalb gilt § 613 S. 2 im Fall des Betriebsübergangs nicht, vielmehr geht hier § 613 a als lex specialis vor. § 613 a als Fall gesetzlicher Vertragsübernahme sieht vor, dass beim Übergang des Betriebs oder eines Betriebsteils durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber dieser in die Rechte und Pflichten der bisherigen Arbeitsverhältnisse eintritt. Bezweckt wird damit der Schutz bestehender Arbeitsplätze, aber auch die Kontinuität des amtierenden Betriebsrates oder die abgestimmte Haftung zwischen altem und neuem Betrieb.39 2. Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten des Dienstschuldners

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Beim Dienstverhältnis besteht zwischen den Vertragspartnern im Allgemeinen eine starke persönliche Bindung auf längere Zeit. Deshalb treffen den Dienstverpflichteten zahlreiche auf §§ 241 II, 242 beruhende Nebenpflichten, die unter dem Oberbegriff Treue- und Gehorsamspflicht zusammengefasst werden. Der Umfang und die Intensität der konkret geschuldeten Pflichten sind von der jeweiligen Art des Vertrags sowie der persönlich-sachlichen Stellung in der Arbeits- oder Betriebsstätte abhängig. Die Treuepflichten sind hierbei umso stärker und umfassender, je enger das gegenseitige Vertrauensverhältnis ausgestaltet ist.40 Einzelne Ausprägungen der Treuepflicht sind das Gebot der Wahrung der Interessen des Dienstberechtigten, die Schadensabwendungspflicht, die Verschwiegenheitspflicht (vgl. § 17 UWG) und Wettbewerbsverbote. Vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbote für die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sind nur im Rahmen der §§ 74 ff HGB, 110 GewO wirksam. Darüber hinaus kann ein Wettbewerbsverbot nicht mehr auf sog. „nachwirkende Treuepflichten“ gestützt werden.41

39 S. die Begründung zur Richtlinie des Rates 77/187/EWG; Staudinger/Richardi, § 613 a Rdn. 10f; Erman/Edenfeld, § 613 a Rdn. 4. Daneben kann eine Haftung gem § 25 HGB in Betracht kommen, BAG NJW 1977, 1791f; BAG NJW 1978, 391. 40 Ausführlich zu den Nebenpflichten Staudinger/Richardi, § 611 Rdn. 365ff; Erman/Edenfeld, § 611 Rdn. 482 ff. Eine wichtige Konkretisierung der Treuepflicht ist im Arbeitnehmererfindungsgesetz enthalten. 41 Erman/Edenfeld, § 611 Rdn. 502.

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Dienstvertrag

§ 83 VI 3

3. Folgen der Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Dienstverpflichteten Erfüllt der Dienstverpflichtete seine ihm obliegenden Pflichten ganz oder teilweise nicht, erbringt er die Dienstleistung nicht vereinbarungsgemäß und damit schlecht oder zu spät, so gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln der §§ 280ff, 276, 286 ff, 323 ff für Nichterfüllung, Schlechterfüllung, Verzug oder andere Pflichtverletzungen. Im Dienstvertragsrecht werden diese Regeln jedoch in einigen wesentlichen Punkten modifiziert.

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a) Nichtleistung Nichtleistung durch den Dienstverpflichteten liegt vor, wenn er pflichtwidrig ganz oder teilweise nicht zum vereinbarten Zeitpunkt leistet. Bei Nichterfüllung der Dienstpflichten durch den Dienstschuldner kann der Dienstberechtigte grundsätzlich auf Erfüllung der Dienstleistungspflicht klagen. Jedoch ist die Dienstleistung nur dann vollstreckbar, wenn sie durch einen anderen erbringbar ist, § 887 ZPO; ansonsten steht § 888 III ZPO einer Zwangsvollsteckung aus dem Urteil entgegen. Zulässig ist es, dass der Dienstberechtigte die Erfüllung der Dienstleistungspflicht durch Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder einer Schadenspauschale absichert.42 Im Fall der Nichterfüllung ist in der Regel schon wegen der aus § 614 resultierenden Vorleistungspflicht des Dienstschuldners keine Fälligkeit des Vergütungsanspruchs gegeben. Der Dienstberechtigte kann deshalb bezüglich der Lohnzahlung ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 geltend machen. Haben die versprochenen Dienste Fixcharakter, entfällt der Vergütungsanspruch bereits wegen § 326 I 1 Halbs. 1. Der Gläubiger braucht also grundsätzlich kein Arbeitsentgelt zu zahlen, wenn der Schuldner die versprochenen Dienste nicht erbringt (zu den Ausnahmefällen „Lohn ohne Arbeit“ s. u. Rdn. 1168ff). aa) Abgrenzung Unmöglichkeit und Verzug Ob die Nichtleistung lediglich zum Verzug des Schuldners oder bereits zur Unmöglichkeit der Leistungserbringung führt, hängt davon ab, ob die Leistung nachholbar ist.43 Bei freien Dienstverträgen kann dies je nach dem konkreten Inhalt des jeweiligen Leistungsversprechens durchaus möglich sein. So sind beispielsweise eine ärztliche Allgemein-Untersuchung oder eine anwaltliche Beratung grundsätzlich nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden und deshalb nachholbar. In aller Regel wird jedoch die Dienst- oder Arbeitsleistung zu einer bestimmt festgelegten Zeit oder innerhalb eines genau fixierten Zeitraums geschuldet. Deshalb haben Dienst- und Arbeitsverpflichtungen zumeist den Charakter einer Fixschuld.44 Leistet der Dienst- oder Arbeitschuldner bei solchen zeitlich genau fixierten Arbeitspflichten nicht, so führt dies regelmäßig zur Unmöglichkeit der Leistung, da die Dienstleistung nicht mehr nachholbar ist. Die versäumte Arbeitszeit muss in diesen Fällen nicht nachgeholt werden, da die Dienstpflicht gem. § 275 I wegen Unmöglichkeit entfällt. 42 BAG NZA 1984, 254; BAG NJW 1985, 91f; Hk-BGB/Eckert, § 611 Rdn. 15; Lohr, MDR 2000, 429; bei Formularverträgen ist § 309 Nr. 6 zu beachten. 43 MüKo/Müller-Glöge, § 611 Rdn. 15; Jauernig/Mansel, § 611 Rdn. 13, 16; Bamberger/Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 27f. 44 Motive II 461; GesBegr BT-Drs 14/6040, 129; Picker, JZ 1985, 693 (699); Richardi, NZA 2002, 1006 ff; MüKo/Müller-Glöge, § 611 Rdn. 15.

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§ 83 VI 3

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Beispiel: Soll der Dienstschuldner zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Vortrag simultan übersetzen, so ist nach Beendigung des Vortrags diese Dienstpflicht nicht mehr nachholbar, so dass dem Schuldner die Leistung unmöglich ist. – Soll ein Arbeitnehmer 40 Stunden in der Woche arbeiten, liegt Fixschuld vor. – Hingegen kann beispielsweise ein Musiklehrer die von ihm versäumte Unterrichtsstunde grundsätzlich nachholen.

bb) Unmöglichkeit der Dienstleistung 1154

Ist die Erbringung der Dienste für den Schuldner unmöglich, so wird dieser gem. § 275 I von seiner Pflicht zur Erbringung der Dienstleistung befreit. Gleichzeitig verliert der Dienstschuldner gem. § 326 I 1 Halbs. 1 sein Recht auf die Gegenleistung, der Dienstberechtigte braucht also die vereinbarte Vergütung nicht zu zahlen. Beispiel: Soll der Dienstschuldner ein in seine Obhut gegebenes Tier pflegen und stirbt dieses, so wird der Dienstschuldner wegen Unmöglichkeit von seiner dienstvertraglichen Pflicht befreit. Gleichzeitig verliert er den Anspruch auf Bezahlung. Gleiches gilt für diejenigen Fälle, in denen die Dienstleistung wegen ihres Charakters als absolutes Fixgeschäft nicht mehr nachholbar ist.

Hat der Schuldner das Ausbleiben der Leistung zu vertreten, so kann der Dienstgläubiger gem. §§ 280 I, III, 283 unter den dort genannten Voraussetzungen Schadensersatz statt der Leistung verlangen.45 Ein Rücktrittsrecht besteht allerdings nicht. An seine Stelle treten die Regeln über die Kündigung, 620 II, 626.46 Ist die Dienstleistung aufgrund eines Umstandes unmöglich geworden, den der Dienstgläubiger zu vertreten hat oder tritt die Unmöglichkeit zu einem Zeitpunkt ein, in welchem sich der Gläubiger im Annahmeverzug befindet, so behält der Dienstschuldner gem. § 326 II trotz Unmöglichkeit der Dienstleistung seinen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung (abzüglich der dort genannten Ersparnisse und anderweitigen Verdienstmöglichkeiten). cc) Schuldnerverzug 1155

Erbringt der Schuldner die vereinbarten Dienste nicht, obwohl die Leistung (ausnahmsweise noch) möglich und nachholbar ist, so kommt der Schuldner unter den in § 286 genannten Voraussetzungen in Verzug. Der Dienstberechtigte kann von dem Schuldner weiterhin Erfüllung verlangen. Solange der Schuldner nicht leistet, wird die vereinbarte Vergütung nicht fällig, 614. Der Dienstberechtigte kann seinen Verzugsschaden nach den §§ 280 I, II, 286 geltend machen. An die Stelle des in § 323 vorgesehenen Rücktrittsrechts tritt das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 626. Wird der Dienstberechtigte durch ein vertragswidriges Verhalten des Dienstschuldners zu einer außerordentlichen Kündigung veranlasst, kann er zusätzlich nach § 628 II Schadenersatz für den Schaden verlangen, der ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstanden ist. dd) Nichtleistung im Annahmeverzug des Gläubigers

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Grundsätzlich kann der Schuldner die vereinbarte Vergütung nur dann verlangen, wenn er die von ihm zugesagten Dienste auch erbringt (§§ 320, 326, 614). Von diesem Grundsatz macht das Dienstvertragsrecht eine Ausnahme für den Fall, dass der Schuldner seine Dienste nicht erbringen kann, weil sich der Gläubiger im Annahmeverzug 45 Bamberger/Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 27. 46 MüKo/Müller-Glöge, § 611 Rdn. 14.

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Dienstvertrag

§ 83 VI 3

befindet. Hier bestimmt § 615 S. 1, dass der Dienstverpflichtete im Annahmeverzug des Gläubigers seinen Vergütungsanspruch geltend machen kann, obwohl er die Dienstleistung nicht erbracht hat. Der Annahmeverzug des Gläubigers und damit § 615 setzt eine noch mögliche, d. h. nachholbare Leistung voraus.47 Ist die Leistung während des Annahmeverzugs unmöglich geworden, ergibt sich die Vergütungspflicht des Dienstgläubigers bereits aus § 326 II (s. u. Rdn. 1169). b) Schlechtleistung Schlechtleistung liegt vor, wenn der Dienstverpflichtete die Dienste zwar erbracht, sie aber mangelhaft geleistet hat. Da der Dienstverpflichtete die übernommenen Dienste grundsätzlich so verrichten muss, wie es der Verkehrssitte entspricht, schuldet er gewissenhafte Arbeit unter Beachtung der berufsüblichen Sorgfalt. Schlechterfüllung liegt deshalb insbesondere dann vor, wenn die Dienstleistung nicht dem vertraglich vorausgesetzten oder berufsüblichen Qualitätsstandard entspricht.

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Beispiel: Der Rechtsanwalt ist zur gewissenhaften Rechtsberatung und zur sorgfältigen Prozessvertretung verpflichtet. Klagt ein Anwalt nur wenige Schadenspositionen ein, wodurch ein Teil der Mängelansprüche des Mandanten verjährt, hat der Anwalt nicht den für ihn geltenden berufsüblichen Sorgfaltsanforderungen entsprochen und damit mangelhaft erfüllt. Ebenso liegt ein Fall der Schlechterfüllung vor, wenn ein Arzt aufgrund einer Fehldiagnose nichts gegen eine Erkrankung des Patienten unternimmt.

Im Gegensatz zum Kauf-, Miet- oder Werkvertragsrecht enthalten die §§ 611ff keine Regelungen über die Folgen einer Schlechterfüllung der Dienstpflichten, wie z. B. nach Art des § 437 im Kaufrecht. Daraus wird überwiegend der Schluss gezogen, dass auch bei einer mangelhaften Dienstleistung Erfüllung vorliegt, solange die Dienstleistung ansonsten generell geeignet ist, den angestrebten Erfolg herbeizuführen.48 Deshalb müssen die geleisteten Dienste, auch wenn sie mangelhaft sind, grundsätzlich voll vergütet werden. Auch eine Minderung der vereinbarten Vergütung, wie beim Werkvertrag nach § 638, ist beim Dienstvertrag nach h. M. ausgeschlossen.49 Ebensowenig kann der Dienstberechtigte bei Schlechterfüllung der Dienstpflichten das geschuldete Entgelt nach § 320 zurückbehalten, weil dies einer Minderung gleichkäme.50 Der Dienstberechtigte kann bei schuldhafter Schlechterfüllung der Dienstpflichten durch den Dienstschuldner lediglich Schadensersatz nach § 280 I verlangen. Nur wenn der Gläubiger nach einer teilweisen Schlechtleistung wegen des noch ausstehenden Leistungsteils Schadensersatz statt der Leistung oder Ersatz von vergeblichen Aufwendungen verlangen will, gelten ergänzend §§ 281, 284.51 Dies bedeutet, dass der Dienstberechtigte grundsätzlich auch die unsorgfältig erbrachten Leistungen bezahlen muss und nicht berechtigt ist, den Lohn bis zur Nachholung sorgfältiger Dienstleistungen zurückzuhalten. Schadensersatz kann er nur für solche Schäden verlangen, die durch den Leistungsmangel hervorgerufen werden. Der Arzt erhält also grundsätzlich sein Honorar auch für eine 47 Jauernig/Mansel, § 615 Rdn. 6. 48 BGH NJW 1990, 2549 (2550); Jauernig/Mansel, § 611 Rdn. 16; Bamberger/Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 32; Emmerich, Schuldrecht BT § 9 Rdn. 17; Larenz, Schuldrecht II/1, 315. 49 BGHZ 10, 187 (190); BGH NJW 2002, 1571 (1572); 2004, 2817; Staudinger/Richardi, § 611 Rdn. 473; differenzierend Peukert, AcP 205 (2005) 430 (458 ff); a. A. Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 413 ff. 50 BAG AP § 611 – Haftung des ArbN – Nr. 71; Palandt/Grüneberg, § 320 Rdn. 9; Ullrich, NJW 1984, 585 (588). 51 Palandt/Heinrichs, § 280 Rdn. 16; Bamberger/Roth/Grüneberg, § 280 Rdn. 16.

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

missglückte Operation, und haftet nur für weitere Folgeschäden, die durch die mangelhafte Operation entstanden sind. Der Rechtsanwalt kann sein Honorar auch für einen falschen Rechtsrat in Rechnung stellen. Eine Haftung auf Schadensersatz trifft ihn nur dann, wenn der Rechtsrat zu weiteren vermögenserheblichen Nachteilen führt.

Im Rahmen des Schadensersatzanspruches nach § 280 I sind grundsätzlich alle unmittelbaren und mittelbaren Nachteile zu ersetzen, die durch das schädigende Verhalten entstanden sind, 249ff. Der Dienstberechtigte ist also so zu stellen, als wäre ordnungsgemäß erfüllt worden. Beispiel: Macht die von einem Arzt unsachgemäß durchgeführte Operation verschiedene Nachbehandlungen erforderlich, hat der Arzt für die Kosten aufzukommen. Daneben kann der Dienstberechtigte Ersatz für etwaige Folgeschäden verlangen, so beispielsweise wenn infolge des Behandlungsfehlers seine körperliche Integrität beeinträchtigt wurde und er aufgrund dessen nicht mehr arbeitsfähig ist. In der Regel dürfte dem Patienten daneben auch ein Schmerzensgeldanspruch nach § 253 II zustehen. – Missglückt eine Sterilisation aufgrund eines Behandlungsfehlers, so dass die Patientin nach der Operation ein Kind empfängt, so können die Eltern im Rahmen ihres Schadensersatzanspruches auch die Kosten für die zu erwartenden Unterhaltspflichten gegenüber dem ungewollten Kind geltend machen.52

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Sind die erbrachten Dienste infolge der Schlechtleistung für den Dienstberechtigten ohne Interesse, so kann nach der Rechtsprechung im Einzelfall die zu zahlende Vergütung einen Teil des durch die Schlechterfüllung entstandenen und nach § 280 I zu ersetzenden Schadens darstellen.53 Der Schaden wird in diesen Fällen darin gesehen, dass der Dienstberechtigte für eine völlig unbrauchbare Leistung eine Vergütung zahlen soll. Der Schadensersatzanspruch des Dienstberechtigten ist dann gem. § 249 I auf Befreiung von der Vergütungspflicht gerichtet. Der Dienstberechtigte wird also von seiner Pflicht zur Honorarzahlung befreit, ohne dass es einer Aufrechnungserklärung bedürfte.54 Ohne Interesse ist die Dienstleistung für den Dienstberechtigten, wenn sie nicht veranlasst war. Hätte der Dienstverpflichtete seinen Vertragspartner pflichtgemäß auf diesen Umstand hingewiesen, so hätte dieser schon den Vertrag nicht abgeschlossen und der Dienstberechtigte wäre nicht mit einer Vergütungspflicht für eine unnütze Dienstleistung belastet worden. Sein Schaden besteht deshalb in der Belastung mit dieser Verbindlichkeit. Dies gilt unabhängig davon, ob beim Dienstberechtigten infolge der Schlechterfüllung noch weitere Beeinträchtigungen entstehen. Beispiel: Nimmt ein Arzt trotz fehlender Indikation oder aufgrund unzutreffender Diagnose einen unnötigen Eingriff vor, so ist die Dienstleistung nicht veranlasst und damit für den Dienstberechtigten in der Regel ohne Interesse. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn ein Zahnarzt seinem Patienten mehrere völlig gesunde Zähne überkront, ohne dass hierfür zahnmedizinisch anerkannte Gründe bestehen.55

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Das Interesse des Dienstberechtigten an der Dienstleistung kann jedoch auch nachträglich entfallen, etwa wenn infolge der Schlechterfüllung der Sinn und Zweck der Dienstleistung nicht mehr erreicht werden kann und die Dienste dadurch ihren Wert verlieren, eine Behebung der Fehlerfolgen jedoch unmöglich oder unzumutbar ist. Auch

52 BVerfG NJW 1998, 519; BGHZ 76, 249 (253ff); 124, 128 (139ff); Palandt/Heinrichs, Vor § 249 Rdn. 47; s. zum Umfang der Arzthaftung nach unterbliebenem Schwangerschaftsabbruch das Fallbeispiel bei Heinemann/Ramsauer, JuS 2003, 992. 53 BGH NJW 1963, 1301 (1302 f); Jauernig/Mansel, § 611 Rdn. 16; a. A. Bamberger/Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 32. 54 OLG Köln MedR 1994, 198 (199); Kramer, MDR 1998, 324 (327 ff). 55 OLG Düsseldorf VersR 1985, 456.

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hier geht die Rechtsprechung im Einzelfall davon aus, dass der Schaden des Dienstberechtigten darin besteht, dass dieser eine Vergütung für eine völlig unbrauchbare Leistung zahlen soll.56 Dem Dienstberechtigten soll deshalb ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I zustehen, der darauf gerichtet ist, wegen der Mängel keine Vergütung zahlen zu müssen. Diesen Anspruch kann der Dienstberechtigte dem Vergütungsanspruch entgegenhalten, ohne dass es einer Aufrechnungserklärung bedürfte. Der Honoraranspruch des Dienstschuldners entfällt deshalb ganz oder teilweise. Beispiel: Führt ein Zahnarzt eine Wurzelbehandlung so fehlerhaft durch, dass schließlich der betreffende Zahn entfernt werden muss, so ist damit das Ziel und der Sinn der langwierigen und teuren Wurzelbehandlung hinfällig geworden. Ist eine Nachbehandlung unmöglich, etwa weil ein Zahnersatz aufgrund anatomischer Gegebenheiten nicht in Betracht kommt, so kann der Patient verlangen, zumindest von den Kosten für die vergebliche zahnärztliche Behandlung freigestellt zu werden.57

Neben dem Schadensersatzanspruch aus § 280 I kann dem Dienstberechtigten zusätzlich ein Anspruch aus § 823 I zustehen, wenn die dortigen Voraussetzungen erfüllt sind. Werden personale Rechtsgüter verletzt, so wird in der Regel auch immaterieller Schadensersatz zu leisten sein, 253 II. c) Eingeschränkte Haftung von Arbeitnehmern Im Arbeitsrecht geht die h. M. wegen des Fehlens von Gewährleistungsvorschriften ebenfalls davon aus, dass auch die mängelbehaftete Arbeitsleistung voll vergütet werden muss. Die Schlechterfüllung führt also auch hier nicht zu einer Minderung des Lohnanspruchs.58 Führt eine schuldhafte Schlechtleistung des Arbeitnehmers zu einem Schaden am Vermögen oder an anderen Rechtsgütern des Arbeitgebers, so haftet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber deshalb grundsätzlich nur nach § 280 I, gegebenenfalls zusätzlich nach § 823. Allerdings gelten hierbei innerhalb von Arbeitsverhältnissen einige Besonderheiten. In Rechtsprechung und Schrifttum ist allgemein anerkannt, dass die Haftung des Arbeitnehmers für Schäden, die bei der Durchführung von betrieblich veranlassten Arbeiten entstehen, beschränkt werden muss. Dies wird damit begründet, dass das Schadensrisiko, das bei betrieblich veranlassten Tätigkeiten besteht, zum allgemeinen Betriebsrisiko des Arbeitgebers gehört. Um den Arbeitnehmer vor unzumutbaren Risiken zu bewahren, wird deshalb aus Fürsorgegesichtspunkten eine Haftungsprivilegierung zugunsten des Arbeitnehmers angenommen und ihm auf diese Weise das Schadensrisiko ganz oder teilweise genommen. Die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung folgt hierbei dogmatisch aus einer entsprechenden Anwendung von § 254. Bei der Haftung des Arbeitnehmers ist deshalb auf Seiten des Arbeitgebers das Betriebsrisiko als Schadenszurechnungsgrund zu berücksichtigen.59 Früher wurde eine Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung nur dann angenommen, wenn der Schaden bei einer sog. gefahrgeneigten Tätigkeit des Arbeitnehmers entstanden ist. Entscheidend war demnach, dass die von dem Arbeitnehmer zu verrichtenden Tätigkeiten mit einem erhöhten Risiko

56 OLG Köln VersR 1985, 456; OLG Köln MedR 1994, 198; OLG Frankfurt VersR 1996, 1150 (1151); Kramer, MDR 1998, 324 (329); Jaspersen, VersR 1992, 1431 (1435); kritisch Bamberger/ Roth/Fuchs, § 611 Rdn. 32. 57 OLG Köln VersR 1987, 620 (621). 58 BAG AP § 611 BGB – Akkordlohn – Nr. 13; Staudinger/Richardi, § 611 Rdn. 462. 59 BAG GS BAGE 5, 1; BAGE 33, 108; BAGE 59, 203; BAG NZA 1994, 1083 (1085); BAG GS NJW 1995, 210 (211 f); Jauernig/Mansel, § 619a Rdn. 3f; Walker, JuS 2002, 736.

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§ 83 VI 3

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

verbunden waren. Dies sollte insbesondere dann der Fall sein, wenn es sich um Arbeiten handelte, bei denen auch einem sonst aufmerksamen Arbeiter erfahrungsgemäß leicht Fehler unterlaufen können. Das Merkmal der Gefahrgeneigtheit hat der Große Senat des BAG 1994 fallen gelassen und es durch das der betrieblichen Veranlassung ersetzt.60

Nach der neuen Rechtsprechung des BAG greift die Haftungsprivilegierung für den Arbeitnehmer schon dann ein, wenn die schadensverursachende Tätigkeit betriebsbezogen war, also durch den Betrieb veranlasst und aufgrund des Arbeitsverhältnisses geleistet worden ist. Betrieblich veranlasst sind dabei solche Tätigkeiten des Arbeitnehmers, die ihm arbeitsvertraglich übertragen worden sind oder die er im Interesse des Arbeitgebers für den Betrieb ausführt.61 aa) Haftung bei Schädigung des Arbeitgebers 1163

Schädigt der Arbeitnehmer bei Durchführung einer betrieblich veranlassten Tätigkeit seinen Arbeitgeber, so braucht er nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung entgegen § 276 nicht für jedes Verschulden einzustehen. Vielmehr haftet er grundsätzlich nur für solche Schäden voll, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat.62 Schäden, die ein Arbeitnehmer bei normaler (mittlerer) Fahrlässigkeit verursacht, sind zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal nach § 254 zu verteilen. Bei dieser Schadensquotelung sind die Gesamtumstände von Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb sowie die Höhe der Arbeitnehmervergütung. Für einen mit lediglich leichter Fahrlässigkeit verursachten Schaden haftet der Arbeitnehmer hingegen überhaupt nicht. Greift zugunsten des Arbeitnehmers eine Haftungsbeschränkung ein, so gilt diese nicht nur für vertragliche, sondern ebenfalls für gesetzliche Schadensersatzansprüche wie beispielsweise solche aus § 823. Beispiel: Verursacht der Berufskraftfahrer einer Transportfirma leicht fahrlässig einen Unfall, bei dem das Fahrzeug der Firma beschädigt oder zerstört wird, so haftet er der Firma gegenüber nicht für den entstandenen Schaden. Hat der Kraftfahrer den Unfall hingegen grob fahrlässig herbeigeführt, beispielsweise indem er eine auf „Rot“ geschaltete Ampel überfährt, nachdem er einen Anruf auf seinem Mobiltelefon entgegennahm und in Unterlagen auf seinem Beifahrersitz blätterte, so trägt er gegenüber seiner Arbeitgeberin den Schaden grundsätzlich voll.63

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Dem Arbeitnehmer kommt außerdem die Beweislastregel des § 619 a zugute. Danach trägt der Arbeitgeber die Beweislast nicht nur für die Pflichtverletzung und den entstandenen Schaden, sondern er muss abweichend von § 280 I 2 auch das Verschulden des Arbeitnehmers beweisen.64 60 BAG GS NJW 1995, 210. 61 BAG NJW 1999, 1049 (1051). 62 BAGE 5, 1; 57, 55; BAG GS NJW 1995, 210 (211). Ausnahmsweise kann selbst bei grober Fahrlässigkeit eine Haftungsbeschränkung vorzunehmen sein, wenn der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Missverhältnis zum Schadensrisiko steht, wobei sich der Umfang der Haftung nach den Umständen des Einzelfalls richtet. S. BAG NZA 1990, 97; BAG NJW 1999, 966 (967): Haftung eines Kraftfahrers bei Rotlichtverstoß infolge der Benutzung eines Mobiltelefons. 63 BGH NJW 1999, 966 (967). 64 Die Einfügung von § 619 a in einem späten Stadium der Schuldrechtsmodernisierung auf Vorschlag des BT-Rechtsausschusses (s. BT-Drs 14/7052, 204) geht zurück auf die Kritik von

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Dienstvertrag

§ 83 VI 3

Handelt es sich bei dem dem Arbeitgeber zugefügten Schaden um einen Körperschaden, so ist die Haftungsprivilegierung des § 105 SGB VII zu beachten. Nach § 105 SGB VII ist der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber für Körperschäden in der Regel nicht haftpflichtig. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist, 105 II SGB VII. Verursacht der nach § 105 SGB VII freigestellte Arbeitnehmer gemeinsam mit einem nicht haftungsprivilegierten Zweitschädiger einen Schaden, stellt sich das Problem des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs (gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber oder ein Arbeitskollege gemeinsam mit einem nicht privilegierten Schädiger dem Arbeitnehmer einen Schaden zufügen). Richtigerweise ist in diesen Fällen der Ersatzanspruch des Geschädigten gegen den nicht haftungsprivilegierten Zweitschädiger um den Verantwortungsanteil des freigestellten Schädigers zu kürzen (s. o. Rdn. 779f).

bb) Schädigung Dritter Schädigt der Arbeitnehmer im Rahmen seiner betrieblichen Tätigkeit einen Dritten, so haftet er diesem gegenüber für jedes Verschulden. Die Haftungseinschränkung aufgrund betrieblicher Veranlassung wirkt damit nur im Verhältnis zum Arbeitgeber, weshalb man auch von einem „innerbetrieblichen Schadensausgleich“ spricht. Die Außenhaftung des Arbeitnehmers ist dagegen nicht eingeschränkt, und der Arbeitnehmer bleibt dem Dritten gegenüber voll haftbar.65 Im Innenverhältnis hat der Arbeitnehmer jedoch unter den gleichen Voraussetzungen, die zu einer Haftungsentlastung bei Schädigung des Arbeitgebers führen, gegen seinen Arbeitgeber einen Freistellungsanspruch in der Höhe, in welcher der Arbeitgeber entsprechend den Grundsätzen zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung betragsmäßig den Schaden zu tragen hat. Dieser Freistellungsanspruch ist auf Befreiung von einer Verbindlichkeit gerichtet (§ 670 analog i. V. m. § 257).66 Hat der Arbeitnehmer über den von ihm zu tragenden Schadensanteil hinaus den Dritten bereits befriedigt, so wandelt sich dieser Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um. – Ist der Arbeitgeber zahlungsunfähig, scheitert der Freistellungsanspruch.67 Beispiel: Beschädigt ein angestellter Kraftfahrer mit mittlerer Fahrlässigkeit bei einem Verkehrsunfall das Kraftfahrzeug eines Dritten, und sind die Verantwortungsanteile von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Schadensquotelung etwa gleich hoch anzusetzen, so kann der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber analog § 670 i. V. m. § 257 verlangen, von dem Schadensersatzanspruch des Dritten in hälftiger Höhe freigestellt zu werden. Hat der Arbeitnehmer den Schaden des Dritten bereits voll beglichen, so kann er von dem Arbeitgeber Zahlung des hälftigen Schadensersatzes verlangen. Ist der Arbeitgeber zahlungsunfähig, muss der Arbeitnehmer im Ergebnis für den vollen Schaden einstehen.

Verursacht der Arbeitnehmer bei Ausführung seiner betrieblich veranlassten Tätigkeit einen Personenschaden eines Arbeitskollegen, so wird er bereits nach § 105 I SGB VII von der Haftung weitgehend freigestellt. Handelt es sich hingegen um einen Sachschaden, greift der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII nicht ein. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer seinem Kollegen grundsätzlich voll haftbar. Allerdings kann ihm auch hier nach den Umständen des Einzelfalls entsprechend den Grundsätzen zur priLöwisch, NZA 2001, 465. An dem vom BAG vertretenen Standpunkt, im Arbeitsrecht keine Beweislastumkehr zulasten des Arbeitnehmers vorzunehmen, sollte nichts geändert werden. 65 BGHZ 108, 305 (307 f); BAGE 5, 1 (4, 8 f); BGH NJW 1994, 852 (854). 66 BGHZ 66, 1 (3f). 67 Nach Auffassung des BGH (BGHZ 108, 305) kann in diesem Fall nur der Gesetzgeber helfen. Bestätigt durch BGH NJW 1994, 852. Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht Rdn. 936f.

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§ 83 VII 2

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

vilegierten Arbeitnehmerhaftung ein Freistellungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber zustehen.68 d) Verletzung von Nebenpflichten 1166

Verletzt der Dienstverpflichtete seine aus dem Dienstverhältnis erwachsenden Nebenpflichten (z. B. Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot; anderweitige Arbeit während des Urlaubs), kann der Dienstberechtigte bei Verschulden Schadensersatz neben der Leistung (§§ 280 I, 241 II) oder statt der Leistung (§§ 282, 280 I, III) geltend machen. Der Dienstberechtigte kann jedoch bei Verletzung der Nebenpflichten nicht die Vergütung zurückbehalten.69 Die Verletzung von Nebenpflichten kann aber im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, 626.

VII. Pflichten des Dienstberechtigten 1. Vergütungspflicht 1167

Hauptleistungspflicht des Dienstgläubigers ist die Zahlung der vereinbarten Vergütung, 611, 612, 614. Diese steht mit der Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers im Gegenseitigkeitsverhältnis, 320ff. Art und Umfang der Vergütung richten sich nach der Vereinbarung der Parteien. Vor vertraglichen Vereinbarungen sind stets zwingendes Recht (z. B. Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen; Arbeitnehmer-Entsendegesetz), Tarifvertrag und Betriebsvereinbarungen zu prüfen. Auch bei fehlender Vereinbarung über die zu zahlende Vergütung gilt das Entgelt als zugesagt, 612 I. Bei fehlender Vereinbarung über die Höhe gilt § 612 II (s. o.). Die Lohnhöhe kann abhängig sein von der Dauer der Tätigkeit („Zeitlohn“) oder Ergebnis der Tätigkeit (Leistungs-, z. B. Akkordlohn). Sonderformen des Lohns sind Lohnzuschläge (z. B. für Überstunden), Provision, Gratifikation, vermögenswirksame Leistungen und Gewinnbeteiligungen („Tantiemen“). Mangels abweichender Vereinbarungen ist die Vergütung erst nach Leistung der Dienste zu zahlen; sie wird post numerando geschuldet, 614. Der Dienstverpflichtete ist also vorleistungspflichtig. Ist die Vergütung nach Zeitabständen (Woche, Monat etc.) bemessen, so ist sie nach Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu zahlen, 614 S. 2. 2. Vergütungspflicht ohne Dienstleistung („Lohn ohne Arbeit“)

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Wie bereits ausgeführt, kann der Dienstverpflichtete die Vergütung nur für tatsächlich geleistete Dienste verlangen, es gilt also „ohne Arbeit kein Lohn“. Von diesem Grundsatz macht das Dienstvertragsrecht aus sozialpolitischen Erwägungen drei wichtige Ausnahmen, in denen der Dienstgläubiger trotz Nichtleistung der Dienste die vereinbarte Vergütung zahlen muss. Dem Dienstverpflichteten wie auch dem Arbeitnehmer wird also in diesen Fällen Lohn ohne Arbeit gewährt. a) Annahmeverzug des Dienstgläubigers, 615 S. 1 Kann der Dienstverpflichtete die vereinbarten Dienstleistungen nicht erbringen, weil sich der Gläubiger im Annahmeverzug befindet, so bleibt der Dienstherr gem. § 615

68 BGH DB 1970, 546; Erman/Edenfeld, § 611 Rdn. 344. 69 BGH NJW-RR 1988, 352; BAG NJW 1988, 2757; Jauernig/Mansel, § 611 Rdn. 16.

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trotzdem zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.70 § 615 ist Ausdruck des Gedankens, dass die Arbeitskraft nicht aufgehoben und zumeist nicht kurzfristig in anderen Dienstverhältnissen verwertet werden kann. Denn die geleistete oder nicht angenommene Arbeit kann in der Zeit, in der sie hätte geleistet werden sollen, nicht mehr getan werden. Nimmt der Dienstberechtigte die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht an, so kann der Dienstverpflichtete deshalb das vereinbarte Entgelt verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Der Dienstverpflichtete wird damit gemäß § 615 S. 1 ausnahmsweise von seiner Leistungspflicht befreit, auch wenn ihm die Leistung der Dienste noch möglich ist; er behält aber seinen eigenen Anspruch. Er muss sich gemäß § 615 S. 2 auf seinen Vergütungsanspruch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung (z. B. an Fahrgeld) erspart hat oder durch eine anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (z. B. indem er eine ihm zumutbare andere Arbeit ausschlägt). Beispiel: Ein Nachhilfe- oder Musiklehrer kann sein Honorar für den Unterricht auch dann verlangen, wenn er umsonst auf seinen Schüler wartet. Ebenso kann die für diesen Tag bestellte Putzhilfe die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn sie von der Hausfrau wieder weggeschickt wird. Wird ihr allerdings vorher telefonisch abgesagt, so kann sie das auf diese Weise gesparte Fahrtgeld nicht ersetzt verlangen.

Da der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit wird, gleichzeitig aber seinen Anspruch auf die Gegenleistung behält, führt § 615 zu dem gleichen Ergebnis, wie wenn die Leistung des Dienstverpflichteten aufgrund eines vom Dienstgläubiger zu vertretenden Umstandes oder während seines Annahmeverzugs unmöglich geworden ist, 326 II. Bei absolutem Fixgeschäft ergibt sich die Befreiung des Schuldners von seiner Leistungspflicht bereits aus § 275 I (s. o.).

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Beispiel: Für eine Hochzeitsfeier wird ein Hilfskellner engagiert. Als dieser sich an dem vereinbarten Ort einfindet, wird er von den Brautleuten wieder weggeschickt, da diese sich endgültig zerstritten und deshalb die Feier abgesagt haben. Hier ist dem Kellner die Ausübung der vereinbarten Dienste unmöglich, so dass er bereits nach § 275 I von seiner Leistungspflicht befreit wird.

§ 615 stellt den Annahmeverzug in Bezug auf die Vergütungspflicht der Unmöglichkeit gleich. Das Gesetz verhindert hierdurch, dass der Annahmeverzug des Gläubigers auf Kosten der zukünftigen Arbeitszeit des Verpflichteten und damit eines möglichen anderen Erwerbs geht. b) Betriebsstörung, § 615 S. 3 Für den Arbeitsvertrag enthält der durch das SMG eingefügte § 615 S. 3 eine weitere Abweichung von den Regeln des allgemeinen Schuldrechts. Danach muss der Arbeitgeber das vereinbarte Arbeitsentgelt auch dann zahlen, wenn die Dienstleistung aus betrieblichen Gründen nicht erbracht werden kann und keinen der Vertragspartner ein Verschulden an dieser Situation trifft. Voraussetzung für die Vergütungspflicht ist gem.

70 Für den Annahmeverzug des Dienstberechtigten gelten die §§ 293ff. Ein tatsächliches (§ 294) oder wörtliches Angebot (§ 295) des Dienstverpflichteten ist nach einer unberechtigten Kündigung dann nicht notwendig und damit überflüssig (§ 296), wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder einen Arbeitsplatz noch eine Arbeit zuweist. Das gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer nicht leistungsbereit, also z. B. krank ist (§ 297), BAG NJW 1985, 935 (936). Der Annahmeverzug entfällt, sobald sich der Dienstberechtigte zur Weiterbeschäftigung bereit erklärt, insbesondere zur Aufnahme der Arbeit auffordert, oder die Kündigung zurücknimmt, BAG NJW 1993, 2637; BAG NZA 1999, 925.

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§ 615 S. 3, dass das Risiko des Arbeitsausfalls vom Arbeitgeber zu tragen ist. Der Grund des Arbeitsausfalls muss also dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugerechnet werden können. Danach hängt die Vergütungsgefahr davon ab, ob die eine Unmöglichkeit der Dienstleistung bewirkende Betriebsstörung aus der Sphäre des Arbeitgebers stammt und damit zum typischen Unternehmerwagnis gehört oder ob dafür ein Verhalten von anderen Arbeitern im gleichen oder einem anderen Betrieb ursächlich gewesen ist. Beispiel: Wenn wegen eines Ausfalls der Stromversorgung oder des Rohstoffnachschubs, wegen Maschinenschadens, eines Brands der Arbeitsstätte, wegen Naturkatastrophen, Auftragsmangel oder Absatzschwierigkeiten etc. nicht gearbeitet werden kann, so muss der Arbeitgeber nach § 615 S. 3 seinen Arbeitnehmern trotz Nichtarbeit weiterhin die vereinbarte Vergütung zahlen. – Dagegen trägt die Arbeitnehmerschaft das Lohnrisiko beim Streik (sog. Arbeitskampfrisiko). Entsprechend schränken §§ 146, 174 SGB III bei streikbedingten Arbeitsausfällen die Zahlung von Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld ein, um die Neutralität des Staates bei Arbeitskämpfen zu sichern.

Dies entsprach schon vor Einfügung des § 615 S. 3 der allgemein anerkannten Betriebsrisikolehre des BAG 71 und wurde durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz für den Arbeitsvertrag ausdrücklich in § 615 S. 3 kodifiziert. Jenseits des Arbeitsrechts ist für eine Anwendung der Betriebsrisikolehre kein Raum. c) Lohnfortzahlung bei Verhinderung und Krankheit, 616 1171

Eine weitere Durchbrechung des Grundsatzes „ohne Arbeit kein Lohn“ beinhalten § 616 und das Entgeltfortzahlungsgesetz. Nach § 616 S. 1 behält der Dienstverpflichtete trotz Nichterbringung der Dienstleistung seinen Vergütungsanspruch, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Nach § 616 hat also der Dienstberechtigte den Dienstschuldner vor allem im Krankheitsfall zu versorgen. Seinem Wortlaut nach gilt § 616 für sämtliche Dienstverhältnisse, ist also nicht nur auf Arbeitsverhältnisse oder auf dauernde Dienstverhältnisse beschränkt. Gleichwohl ist umstritten, ob § 616 uneingeschränkt auch bei freien Dienstverhältnissen Anwendung finden kann, insbesondere wenn diese auf Einzelleistungen gerichtet sind. Denn auf die von Freiberuflern und selbständigen Unternehmern zu erbringenden, in der Regel einmaligen Dienstleistungen passt die Vorschrift nur schlecht.72 So ist es schwer nachvollziehbar, dass ein Arzt, der unverschuldet auf dem Weg zu seinem Patienten in einen Unfall verwickelt wird, für den nicht-erbrachten Arztbesuch Vergütung verlangen kann. Ebenso unverständlich ist, warum ein Nachhilfelehrer, der eine Unterrichtsstunde aus persönlichen Gründen ausfallen lässt, beispielsweise weil er an der Geburt seines Kindes teilnehmen will, seinen Honoraranspruch behält. Bieten solchermaßen selbständig Tätige ihre Dienstleistungen an, sollten diese das Risiko, ihre Dienstleistung aus persönlichen Gründen nicht erbringen zu können, nicht auf ihre Vertragspartner abwälzen können. Die insofern gebotene Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 616 lässt sich über das Erfordernis der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ erreichen. Bei einmaligen oder schnell abzuwickelnden Dienstleistungen ist auch eine nur kurze Verhinderung bereits erheblich.73

71 BAGE 1, 191; BAGE 3, 346 (348ff); zur Entwicklung der Betriebsrisikolehre s. MüKo/Henssler, § 615 Rdn. 93 ff. 72 Esser/Weyers, SchuldR II § 29 II 3; Staudinger/Oetker, § 616 Rdn. 33. 73 Medicus, SchuldR II Rdn. 331; Larenz, Schuldrecht II/1, 321.

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aa) Verhinderung aus persönlichen Gründen § 616 setzt voraus, dass der Dienstverpflichtete aus einem in seiner Person liegenden Grund an der Arbeit verhindert ist. Zu den persönlichen Hinderungsgründen gehören beispielsweise Krankheit (s. zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers sogleich), Arztbesuche, die sich nicht außerhalb der Arbeitszeit einrichten lassen, Unfälle oder außerordentliche Vorkommnisse in der Familie (z. B. Geburt von Kindern, Hochzeit, Erkrankung naher Angehöriger,74 Todesfälle etc.), Erfüllung religiöser Pflichten,75 Schöffenpflicht.76 Objektive Leistungshindernisse, die nicht nur einen einzelnen Dienstverpflichteten, sondern eine Vielzahl anderer Personen betreffen, wie beispielsweise Straßenverkehrsstörungen, Witterung etc., fallen hingegen nicht in den Anwendungsbereich des § 616.

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bb) Unverschuldete Arbeitsverhinderung § 616 verlangt ferner, dass die Dienstverhinderung nicht auf einem Verschulden des Dienstverpflichteten beruht. Strittig ist der Maßstab des Verschuldens. Während zum Teil § 276 angewendet wird, spricht die h. M. von einem Verschulden gegen sich selbst. Nur eine leichtsinnige, unverantwortliche Selbstgefährdung oder ein Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten ist verschuldet.77 Damit sind Sportunfälle in der Regel nicht verschuldet,78 ebenfalls nicht der Selbstmordversuch.79 Alkoholismus ist eine Frage des Einzelfalls.80 Nichtanlegen des Sicherheitsgurts führt zum Wegfall des Vergütungsanspruchs.81

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cc) Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit Schließlich darf sich die Dienstverhinderung nur auf eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit erstrecken. Dabei kommt es grundsätzlich auf das Verhältnis der Zeit der Verhinderung zur Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses an.82 Auch die Umstände des Einzelfalls, wie Intensität und Dauer des persönlichen Verhinderungsgrundes sowie Zumutbarkeitsaspekte auf Seiten des Arbeitgebers sollten hierbei berücksichtigt werden. Auch bei einem längeren Dienstverhältnis werden in der Regel nur wenige Tage eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit darstellen.83 dd) Krankheit von Arbeitnehmern – Entgeltfortzahlungsgesetz Für den krankheitsbedingten Arbeitsausfall von Arbeitnehmern, Angestellten und zur Berufsausbildung Beschäftigten enthält das Entgeltfortzahlungsgesetz zahlreiche Sondervorschriften, welche die allgemeine Regel des § 616 verdrängen. Nach § 3 I EFZG ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei Krankheit des Arbeitnehmers diesem das Arbeits74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

BAG NJW 1980, 903 zur Krankheit eines Kindes. BAG NJW 1983, 2600. BGHSt NJW 1978, 1169. Palandt/Weidenkaff, § 616 Rdn. 10. Für Fußballspielen BAG NJW 1976, 1367; für Drachenfliegen BAG NJW 1982, 1014. BAG NJW 1979, 2326. BAG NJW 1983, 2659: Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass Alkoholismus selbst verschuldet ist. BAG NJW 1982, 1013. Palandt/Weidenkaff, § 616 Rdn. 9; Bamberger/Roth/Fuchs, § 616 Rdn. 9. BAG VersR 1977, 1115.

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entgelt bis zu einer Dauer von 6 Wochen weiter zu zahlen. Eine Kündigung des Arbeitgebers aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit lässt gem. § 8 I EFZG den Anspruch auf Lohnfortzahlung unberührt. 3. Nebenpflichten des Dienstberechtigten 1175

Außer der Vergütungspflicht treffen den Dienstberechtigten zahlreiche Nebenpflichten und Schutzpflichten. Diese ergeben sich aus der organisatorischen Eingliederung des Dienstschuldners in den fremden Bereich des Dienstberechtigten und der daraus resultierenden Schutzbedürftigkeit des Dienstschuldners. Sie haben deshalb überwiegend Bedeutung für abhängige Arbeitsverhältnisse. Der Inhalt einzelner Pflichten ist teilweise gesetzlich geregelt, im Übrigen ergeben sie sich aus §§ 242, 241 II. a) Fürsorgepflicht Wichtigste Nebenpflicht ist die Fürsorgepflicht des Dienstberechtigten, die mit der Treuepflicht des Dienstschuldners korrespondiert. Unterscheiden lassen sich Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten. Zu den aus § 241 II resultierenden Schutzpflichten gehört vor allem die Pflicht des Dienstberechtigten, Leben und Gesundheit des Dienstschuldners zu schützen und die von diesem mitgebrachten Sachen vor Schaden zu bewahren. Eine gesetzliche Regelung dieser Schutzpflichten findet sich in den §§ 617, 618.84 Überwiegend sind die Schutzpflichten heute jedoch in den Gesetzen zum Arbeitnehmerschutz normiert, welche die §§ 617, 618 weitgehend verdrängen.85 Aus der Fürsorgepflicht entspringende Nebenleistungspflichten stellen auch §§ 629 und 630 dar. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer gem. § 629 nach der Kündigung angemessene Zeit für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz gewähren. § 630 verpflichtet den Arbeitgeber zur Ausstellung eines Zeugnisses; es kann als qualifiziertes Zeugnis ausgestaltet sein, 630 S. 2. Der Dienstberechtigte muss – kraft der Fürsorgepflicht – Urlaub gewähren. Näheres wird vor allem durch das Bundesurlaubsgesetz und die Tarifverträge bestimmt. Auch ein Ruhegeldanspruch kann im Einzelfall aus der Fürsorgepflicht hergeleitet werden. Wichtige Rechtsgrundlage ist hier das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG). b) Gleichbehandlungspflicht

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In Arbeitsverhältnissen ist der Arbeitgeber zur Gleichbehandlung seiner Arbeitnehmer verpflichtet. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber zwar frei bestimmen, ob er freiwillige, soziale Leistungen gewährt. Als Ausdruck der Fürsorgepflicht gebietet aber der arbeitsrechtliche Gleichberechtigungsgrundsatz 86 dem Arbeitgeber, bei freiwilligen, sozialen Leistungen die Leistungsvoraussetzungen so abzugrenzen, dass kein Arbeit84 Zu Passivrauchen und § 618 s. Möllers, JZ 1996, 1050. 85 Vgl. die öffentlich-rechtlichen Normen zum Arbeitsschutzrecht, wie beispielsweise das Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz, das Arbeitszeitgesetz, das Mutterschutzgesetz, das Jugendarbeitsschutzgesetz, etc. Sondervorschriften, welche die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers betreffen, finden sich auch in § 62 HGB und § 12 HAG. Vgl. auch die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften. 86 Zur dogmatischen Begründung s. G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958); Staudinger/Richardi, § 611 Rdn. 263f; Palandt/Weidenkaff, § 611 Rdn. 105 ff.

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nehmer seines Betriebes hiervon aus sachfremden und willkürlichen Gründen ausgeschlossen bleibt. Ihm ist es damit verwehrt, in seinem Betrieb einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemeinen begünstigenden Regelungen auszunehmen oder schlechter zu stellen.87 Vergünstigungen (wie zusätzlicher Urlaub, Gehaltserhöhungen, Weihnachtsgratifikationen etc.) müssen danach gleichmäßig verteilt werden. Während der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz an einer unterschiedlichen Behandlung der Person anknüpft, beziehen sich die Grundsätze der betrieblichen Übung auf eine Zeitspanne. Voraussetzung ist die regelmäßige Wiederholung einer bestimmten Verhaltensweise (tatsächliche Übung), die den Schluss auf einen Verpflichtungswillen und damit ein Vertrauen auf die Weitergewähr zulässt. Daran fehlt es, wenn der Arbeitgeber sich vorbehält, die Leistung, z. B. Weihnachtsgratifikation, freiwillig zu zahlen.88 c) Beschäftigungspflicht Aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und aus der personalen Würde des Arbeitnehmers folgt die Pflicht des Arbeitgebers auf Beschäftigung des Arbeitnehmers.89 Der hieraus resultierende Anspruch des Arbeitnehmers ist einklagbar. Praktische Bedeutung besitzt die Beschäftigungspflicht für diejenigen Arbeitnehmer, die an der Ausübung ihrer Tätigkeit ein besonderes Interesse haben, z. B. weil ihre Ausbildung, ihre Leistungsfähigkeit oder ihr Ansehen in der Berufswelt davon abhängt, wie es bei Auszubildenden, Künstlern oder Berufssportlern der Fall sein kann. Ein Beschäftigungsanspruch soll nur im Einzelfall dann nicht gegeben sein, wenn schützenswerte und überwiegende eigene Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, was z. B. bei Zerstörung der Vertrauensgrundlage oder bei Auftragsmangel der Fall sein kann.90

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4. Rechtsfolgen der Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Dienstberechtigten Bei Nichterfüllung oder Schlechterfüllung durch den Dienstberechtigten gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln. a) Nichterfüllung der Hauptpflicht Zahlt der Dienstberechtigte die vereinbarte Vergütung nicht, so kann der Dienstschuldner ihn auf Erfüllung verklagen, 611 I. Ferner kann der Dienstschuldner ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 geltend machen. Dem steht nicht entgegen, dass der Dienstschuldner regelmäßig zur Vorleistung verpflichtet ist (§ 614). Denn dies bedeutet nur, dass der Dienstschuldner die Dienste für einen bestimmten Vergütungszeitraum vorzuleisten hat. Bezüglich derjenigen Dienste, die nach diesem Zeitraum zu leisten sind, kann dem Dienstschuldner jedoch ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen, wenn die Zahlung der vereinbarten Vergütung ausbleibt oder der Dienstberechtigte erklärt, er werde nur einen gekürzten Lohn zahlen.91

87 88 89 90 91

BAG NJW 1982, 461. BAG NJW 1971, 1422 (1423); BAG NJW 1987, 2101 (2102). BAGE 44, 201 (210 f); BAG GS NJW 1985, 2968 (2969 f); Ruhl/Kassebohm, NZA 1995, 497. BAG NJW 1985, 2968 (2969 f). MüKo/Müller-Glöge, § 611 Rdn. 9.

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Beispiel: Der von einem Opernhaus engagierte Tenor wird jeweils zum Ende des Monats für seine Auftritte in einer bestimmten Opernproduktion bezahlt. Zahlt die Operndirektion ihm den vereinbarten Lohn trotz der geleisteten Dienste nicht, kann der Tenor ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen und sich weigern, in der Zukunft weiterhin in der Opernproduktion aufzutreten.

Zahlt der Dienstberechtigte nicht rechtzeitig, kann der Dienstschuldner Ersatz des ihm entstandenen Verzugsschadens nach §§ 280 II, 286 verlangen. Hierbei ist eine Mahnung gem. § 286 II regelmäßig dann entbehrlich, wenn die Vergütung nach bestimmten festgelegten Zeitabschnitten zu zahlen ist. An die Stelle des in § 323 vorgesehenen Kündigungsrechts tritt das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung gem. § 626. Hierbei kann der Dienstschuldner den Auflösungsschaden nach § 628 II ersetzt verlangen, wenn die Kündigung durch ein vertragswidriges Verhalten des Dienstberechtigten veranlasst wird. b) Nichterfüllung der Nebenleistungspflichten 1179

Die aus der Fürsorgepflicht resultierenden Einzelpflichten sind ebenfalls einklagbar.92 Aus ihrer schuldhaften Verletzung können dem Dienstverpflichteten Schadensersatzansprüche aus §§ 280 I, 282 erwachsen. Ferner kann der Dienstschuldner seine Dienstleistung nach § 273 zurückbehalten.93 Bei schwerwiegenden Verletzungen der Fürsorgepflicht kann darüber hinaus ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 gegeben sein. aa) Schadensersatz bei Verletzung einer Schutzpflicht gem. § 618 Eine Besonderheit gilt bei Verletzung einer Schutzpflicht nach § 618. Verstößt der Dienstberechtigte schuldhaft gegen eine aus § 618 resultierenden Pflicht, so richtet sich gem. § 618 III der Umfang des Schadensersatzanspruchs des Dienstschuldners nach den §§ 842–846. Trotz dieser Verweisung ins Deliktsrecht handelt es sich bei § 618 III um einen vertraglichen Anspruch, der eine schuldhafte Pflichtverletzung nach §§ 280 I, 282 voraussetzt. Die Verweisung in § 618 III bewirkt, dass der Geschädigte seinen Erwerbsschaden und die zusätzlichen durch die Verletzung entstandenen Bedürfnisse nach den §§ 842 ff geltend machen kann. Besonders bedeutsam ist, dass gem. § 844 II die Angehörigen des getöteten Dienstschuldners einen Anspruch auf Schadensersatz im Hinblick auf den Unterhaltsausfall haben. bb) Besonderheit im Arbeitsrecht, 104 SGB VII

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Erleidet ein Arbeitnehmer infolge eines Arbeitsunfalls (s. § 8 I SGB VII) einen Personenschaden, so gelten für die Haftung des Arbeitgebers Besonderheiten. Nach § 104 SGB VII kann ein auf einem Arbeitsunfall beruhender Schaden nicht gegen den Arbeitgeber geltend gemacht werden, dieser wird also von jeglicher Haftung freigestellt. Auch ein Schmerzensgeldanspruch gegen den Arbeitgeber ist grundsätzlich ausgeschlossen.94 Der Arbeitgeber muss für die Personenschäden nur dann einstehen, wenn er den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat oder dieser auf einem von der Unfallversicherung erfassten Weg herbeigeführt worden ist (§ 104 i. V. m. § 8 II SGB VII). Anstelle 92 MüKo/Müller-Glöge, § 611 Rdn. 991; Hk-BGB/Eckert, § 611 Rdn. 20. 93 Jauernig/Mansel, § 611 Rdn. 42. 94 Dies ist verfassungskonform, BVerfG NJW 1973, 502.

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eines Anspruchs gegen den Arbeitgeber tritt ein öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsanspruch des Arbeitnehmers gegen die Berufsgenossenschaft, bei welcher der Arbeitgeber versichert ist. Durch die Zahlung an die Berufsgenossenschaft hat sich der Arbeitgeber nämlich von Schadensersatzansprüchen Betriebsangehöriger aus Betriebsunfällen befreit. Bei Sachschäden entstehen hingegen keine Ansprüche gegen den Versicherungsträger. Hier besteht bei Verschulden ein Anspruch gegen den Arbeitgeber aus § 280 I oder § 823 I. Auch ohne Verschulden des Arbeitgebers kommt eine Haftung analog § 670 bei arbeitstypischen Schäden in Betracht, so beispielsweise wenn der Arbeitnehmer ohne besondere Vergütung sein Kraftfahrzeug im Betätigungsbereich des Arbeitgebers einsetzt.95 Auch Rechtsanwaltskosten können im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erstattungsfähig sein, wenn der Arbeitnehmer in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit unverschuldet einen Rechtsstreit auslöst.96

VIII. Beendigung des Dienstverhältnisses Da Dienst- und Arbeitsverträge i. d. R. ein Dauerschuldverhältnis begründen, entstehen die gegenseitigen Pflichten jeweils wieder neu. Erst mit Beendigung des Dienstverhältnisses (z. B. durch Ablauf der vereinbarten Zeit, Kündigung oder Aufhebung) erlöschen auch für die Zukunft die Hauptleistungspflichten zur Dienstleistung und zur Zahlung der Vergütung. Wird ausnahmsweise eine begrenzte oder einmalige Tätigkeit geschuldet (wie z. B. eine Operation oder die einzelne Beratung durch einen Anwalt), endet die Dienstleistungspflicht mit Erbringung der geschuldeten Tätigkeit.

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1. Vertragsende durch Zeitablauf Dienstverträge können auf bestimmte oder unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Ist das Dienstverhältnis auf eine bestimmte Zeit befristet, so endet es automatisch und ohne gesonderte Erklärung mit Zeitablauf, also mit Eintritt des vereinbarten Termins, 620 I. Ist die Frist länger als fünf Jahre oder gleich der Lebenszeit, kann nach fünf Jahren von dem Dienstverpflichteten mit sechsmonatiger Frist gekündigt werden, 624. Für die Befristung von Arbeitsverträgen gelten Besonderheiten. Um zu verhindern, dass durch die Vereinbarung von befristeten Arbeitsverhältnissen der Kündigungsschutz unterlaufen wird, soll nach dem seit 2001 geltenden Teilzeit- und Befristungsgesetz eine Befristung von Arbeitsverträgen grundsätzlich nur dann wirksam sein, wenn hierfür ein sachlicher Grund gegeben ist, 14 I TzBfG. Ferner muss die Befristung des Arbeitsvertrages schriftlich vereinbart werden, 14 IV TzBfG.

2. Vertragsende durch Kündigung Der wichtigste und in der Praxis relevanteste Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses ist die Kündigung. Da es sich beim Dienstvertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt, können die Parteien vom Vertrag nur bis zum Arbeitsantritt zurücktreten. Nach Aufnahme der Tätigkeit durch den Dienstschuldner kann der Vertrag nur gekündigt werden, ein Rücktritt ist dann nicht mehr möglich. – Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie ist bei Dienstverhältnissen in der Regel formlos möglich; Arbeitsverträge müssen hingegen gem. § 623 schriftlich gekündigt werden. Die Kündigung ist grundsätzlich bedingungsfeindlich; ausnahmsweise sind sol95 BAG NJW 1981, 702; BGH NJW 1996, 1301. 96 BAG NJW 1995, 2372.

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che Bedingungen zulässig, die vom Willen des Erklärungsempfängers abhängen. Mit ihrem Zugang wird die Kündigung unwiderruflich, § 130 I 2. – Das Gesetz unterscheidet zwischen der ordentlichen und der außerordentlichen Kündigung. a) Ordentliche Kündigung 1183

Sind Dienst- und Arbeitsverträge für eine unbestimmte Zeit eingegangen, können sie von beiden Vertragsteilen unter Berücksichtigung bestimmter Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden, 620 II. Die Kündigungsfristen richten sich in erster Linie nach der vertraglichen Vereinbarung. Bei Fehlen einer Vereinbarung ergeben sich die Kündigungsfristen für freie Dienstverhältnisse aus § 621, der die Länge der Frist an dem vereinbarten Entlohnungszeitraum ausrichtet. Bei Arbeitsverhältnissen beläuft sich die Kündigungsfrist gem. § 622 I einheitlich für Arbeiter und Angestellte auf vier Wochen zum 15. oder zum Ende des Kalendermonats.97 Kündigt der Arbeitgeber, so kann die Kündigungsfrist bei Arbeitsverhältnissen, die länger als zwei Jahre bestanden haben, in Abhängigkeit von der Beschäftigungsdauer auf bis zu 7 Monate verlängert sein, 622 II. Die Kündigungsfristen des § 622 gelten ausschließlich für Arbeitsverhältnisse. Die Rspr. wendet § 622 I allerdings entsprechend auf die Kündigung von Vorstandsmitgliedern einer AG und Geschäftsführern einer GmbH an.98 Gem. § 622 IV kann durch Tarifvertrag von diesen Kündigungsfristen abgewichen werden. Einzelarbeitsvertraglich kann eine kürzere Kündigungsfrist nur vereinbart werden, wenn es sich um ein Aushilfsarbeitsverhältnis oder um einen Kleinbetrieb handelt, 622 V.

b) Außerordentliche Kündigung 1184

Gem. § 626 können beide Vertragsparteien aus wichtigem Grund das Dienstverhältnis jederzeit fristlos, d. h. ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 gilt für alle Dienst- und Arbeitsverhältnisse gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie befristet oder auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurden. § 626 ist eine besondere Ausprägung des für alle Dauerschuldverhältnisse geltenden allgemeinen Kündigungsrechts aus wichtigem Grunde und verdrängt deshalb § 314. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung kann nicht abbedungen werden. Ein wichtiger Grund gem. § 626 liegt vor, wenn objektiv Tatsachen gegeben sind, die unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bei der ordentlichen Kündigung oder bis zur vereinbarten Beendigung für den Kündigenden unzumutbar machen. Beispiele für einen wichtigen Grund sind Verschulden bei Vertragsschluss, wie falsche Angaben auf zulässige Fragen, grobe Verletzung von Hauptleistungspflichten, (z. B. beharrliche Arbeitsverweigerung), schwerwiegende Beleidigungen und strafbare Handlungen.99

97 Das BVerfG (NJW 1990, 2246) hatte die früher geltenden unterschiedlichen Kündigungsfristen für Angestellte und Arbeiter für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG erklärt. 98 BGHZ 79, 291; 91, 217 (allerdings zu einer alten Fassung von § 622 I). 99 S. dazu mit zahlreichen Beispielen Palandt/Weidenkaff, § 626 Rdn. 42 ff.

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Soll ein Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt werden, so setzt dies in aller Regel voraus, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung den Arbeitnehmer erfolglos abmahnt. Dies kann seit dem SMG auf eine Analogie zu § 314 II gestützt werden. Analog §§ 314 II 2, 323 II Nr. 3 ist eine solche Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich, wenn es um eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers geht, die von dem Arbeitgeber unter keinen Umständen hingenommen werden kann.100

Gem. § 626 II muss die außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen erklärt werden, nachdem der Kündigende von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Die Frist des Abs. 2 ist eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die weder durch Individual- noch durch Tarifvereinbarungen abbedungen werden kann. Wird die Erklärungsfrist des Abs. 2 nicht eingehalten, so wird unwiderlegbar vermutet, dass die vertragsgemäße Fortführung des Arbeitsverhältnisses für die Vertragsparteien zumutbar ist, dass also ein wichtiger Grund i. S. d. § 626 nicht besteht.

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c) Kündigung bei Vertrauensstellung Eine fristlose Kündigung ist ohne wichtigen Grund ist gem. § 627 bei solchen Dienstverträgen (nicht jedoch bei Arbeitsverhältnissen) möglich, bei denen der Dienstschuldner, ohne in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen zu stehen, Dienste höherer Art zu verrichten hat, die nur aufgrund besonderen Vertrauens übertragen werden. Hierzu zählen in der Regel Verträge mit Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, Architekten sowie der Partnerschaftsvermittlungsvertrag.101

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d) Kündigung im Arbeitsrecht Für Arbeitsverhältnisse bestehen zahlreiche Sonderbestimmungen über die Kündigung, die § 622 vorgehen und ihn ergänzen. Sie beschränken jedoch grundsätzlich nur die ordentliche Kündigung, nicht die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund.102 Der Kündigungsschutz wird darin allgemein verstärkt, und zwar durch völligen Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit während bestimmter Zeiten, durch Setzung längerer Kündigungsfristen, durch das Wirksamkeitserfordernis der Zustimmung einer Behörde oder des Betriebsrats bzw. dessen Anhörung.103 Zu erwähnen sind diesbezüglich vor allem das Kündigungsschutzgesetz sowie § 102 Betriebsverfassungsgesetz, §§ 85, 86 SGB IX (Behinderte), § 9 Mutterschutzgesetz, § 15 Berufsbildungsgesetz, §§ 18, 19 Bundeserziehungsgeldgesetz.

100 S. Nachweise bei Palandt/Weidenkaff, § 626 Rdn. 18. 101 Der ansonsten abdingbare § 627 ist bei Partnerschaftsvermittlungsverträgen jedenfalls durch AGB nicht abdingbar, weil der Dienstherr (der Auftraggeber) sonst verpflichtet wäre, die für § 626 notwendigen „wichtigen Gründe“ und damit Teile seines Intimlebens preiszugeben, BGHZ 106, 341 (347). 102 Bei der außerordentlichen Kündigung sind weiterhin Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse zu beachten. 103 S. zum Kündigungsrecht Ascheid/Preis/Schmidt, Großkommentar zum Kündigungsrecht, 2. Aufl. (2004); Löwisch/Spinner, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 9. Aufl. (2004); Stahlhacke/ Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl. (2005); Pauly/ Osnabrügge, Handbuch Kündigungsrecht (2004).

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§ 83 VIII 4

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

3. Sonstige Beendigungsgründe a) Tod des Dienstverpflichteten 1188

Da es sich bei der Dienstverpflichtung um eine höchstpersönliche Pflicht handelt (§ 613 S. 1), endet das Dienstverhältnis automatisch mit dem Tod des Dienstschuldners. Stirbt hingegen der Dienstberechtigte so führt dies normalerweise nicht zur Beendigung des Dienstverhältnisses. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die geschuldete Dienstleistung konkret auf die Person des Dienstberechtigten bezogen war, wie beispielsweise bei einer ärztlichen Behandlung, bei Nachhilfeunterricht etc. Hier führt der Tod des Dienstberechtigten zur Unmöglichkeit der Leistungserbringung. b) Aufhebungsvertrag Die Parteien eines Dienstvertrags können sich jederzeit mittels eines Aufhebungsvertrags (§ 311 I) darüber einigen, dass das Dienstverhältnis aufgelöst werden soll. In diesem Fall endet das Vertragsverhältnis zu dem vereinbarten Zeitpunkt, ohne dass eine gesonderte Kündigung erforderlich wäre. Grundsätzlich kann ein Aufhebungsvertrag formlos geschlossen werden. Soll hingegen ein Arbeitsverhältnis mittels Aufhebungsvertrag beendet werden, so bedarf dieser Vertrag der Schriftform, 623. c) Beendigung durch Anfechtung

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Grundsätzlich ist eine Anfechtung des Dienstvertrags wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung gem. §§ 119, 123 möglich. Große Bedeutung erlangt die Anfechtung vor allem im Arbeitsrecht im Zusammenhang mit dem Fragerecht des Arbeitgebers (s. o. Rdn. 1142). Die Nichtigkeitsfolge der Anfechtung tritt bei Arbeitsverhältnissen allerdings nur bis zur Arbeitsaufnahme ein. Nach der Arbeitsaufnahme führt die Anfechtung nur noch zur Aufhebung des Dienstverhältnisses ex-nunc (s. o.). 4. Rechtsfolgen der Beendigung

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Mit dem Ende des Dienstverhältnisses erlöschen für die Zukunft alle Ansprüche auf Vertragserfüllung. Setzt der Dienstverpflichtete nach Ablauf der Dienstzeit mit Wissen des Dienstberechtigten seine Tätigkeit fort, so gilt gem. § 625 das Dienstverhältnis als auf unbestimmte Zeit verlängert. Den Dienstberechtigten treffen nach der Kündigung verschiedene Nebenpflichten. So hat er dem Dienstverpflichteten ein Zeugnis zu erteilen und ihm angemessene Zeit zur Suche nach einem neuen Dienstverhältnis zu gewähren, 629, 630. Wird ein Dienstverhältnis wirksam nach §§ 626, 627 fristlos gekündigt, so kann der Dienstverpflichtete regelmäßig für die bereits geleisteten Dienste eine Teilvergütung verlangen, 628 I 1. Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Dienste infolge der Kündigung für den Dienstgläubiger kein Interesse mehr haben oder wenn der Dienstschuldner die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten veranlasst hat, 628 I 2. Derjenige, der die fristlose Kündigung schuldhaft durch ein vertragswidriges Verhalten veranlasst, muss zudem dem anderen Teil gem. § 628 II den durch die Vertragsaufhebung entstehenden Schaden ersetzen (sog. Auflösungsverschulden).

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Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag

§ 84 I

§ 84 Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag Derleder/Meyer, AcP 195 (1995) 137; Eidenmüller, JZ 1996, 889; Fikentscher, AcP 190 (1990) 34; Haas, BB 2001, 1313; Hagen, JZ 2004, 713; Hertel, DNotZ 2002, 6; J. Kohler, JZ 2003, 1081; Locher, Das private Baurecht, 7. Aufl. (2005); Mankowski, MDR 2003, 854; Metzger, AcP 204 (2004) 231; Meub, DB 2002, 131; Raab, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht (2002) § 9; Reinkenhof, Jura 2002, 433; H. Roth, JZ 2001, 543; Schudnagies, NJW 2002, 396; Sienz, BauR 2002, 181; Teichmann, JuS 2002, 417; Ullrich, FS Fikentscher (1998) 298; Wertenbruch, ZGS 2003, 52.

I. Begriff 1. Der Werkvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag, durch den sich der eine Teil (Unternehmer) zur Herstellung eines Werks verpflichtet, während der andere Teil (Besteller) die Entrichtung einer Vergütung verspricht. „Herstellung eines Werks“ bedeutet Herbeiführung eines Erfolgs, § 631 II, der durch die Herstellung oder Veränderung einer Sache oder durch Dienstleistung im weitesten Sinne herbeigeführt werden kann. Zur Unterscheidung vom Dienstvertrag s. o. Rdn. 1129 ff. Der Unternehmer ist sozial unabhängig und in der Regel wirtschaftlich selbständig.

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Auch das Werkvertragsrecht wurde durch die Schuldrechtsmodernisierung reformiert. So wurde das werkvertragliche Gewährleistungsrecht mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht verzahnt (s. die Verweise in § 634). Die Änderungen sind im Vergleich zum Kaufrecht allerdings bedeutend kleiner. Der Unternehmer war seit jeher zur Erbringung eines mangelfreien Werks, ggf. auch zur Nachbesserung verpflichtet. Kaufrecht und Werkvertragsrecht haben sich durch die Reform einander angenähert. Wichtige konstruktive Unterschiede zum Kaufvertrag bestehen darin, dass gem. § 635 I der Unternehmer das Wahlrecht zwischen Nachbesserung und Neuherstellung hat, während beim Kauf das Wahlrecht beim Käufer liegt. Außerdem hat beim Werkvertrag der Besteller ein Recht auf Selbstvornahme, § 637, während dem Käufer ein solches Recht im Prinzip nicht zusteht (s. o. Rdn. 861). Ein wichtiger Unterschied besteht auch darin, dass im Werkvertragsrecht im Gegensatz zum Kaufrecht keine Spezialregeln über das Verhältnis von Unternehmer und Verbraucher vorgesehen sind.1

Dem Werkvertragsrecht weitgehend entzogen sind Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen (vor der Schuldrechtsmodernisierung: Werklieferungsvertrag). Gem. § 651 S. 1 werden sie im Grundsatz dem Kaufrecht unterstellt, obwohl auch hier ein bestimmter Erfolg, nämlich eben die Herstellung oder Erzeugung einer beweglichen Sache geschuldet wird. Handelt es sich um nicht vertretbare Sachen (vgl. § 91), sind zusätzlich einige werkvertragliche Vorschriften anwendbar (näher hierzu unten Rdn. 1225 ff). 2. Schon immer hatte der Werkvertrag seine Hauptbedeutung für Bauunternehmer und Handwerker, z. B. die Herstellung eines Bauwerks oder die Veränderung und Ausbesserung von Sachen des Bestellers, wie z. B. Reparatur oder Reinigung. Die Herstellung beweglicher Sachen (wie z. B. von Geräten, Kleidungsstücken oder Schuhen) ist dem Werkvertragsrecht weitgehend entzogen: Wegen § 651 findet hier im Grundsatz Kaufrecht Anwendung. Der Werkvertrag ist einschlägig für viele freischaffende Künstler (Malen eines Bildes, Herstellung eines Drehbuchs, einer Reklame). Auch andere geistige oder organisatorische Produkte können Inhalt des Werkvertrags sein (z. B. Gutachten, Reportage, Steuererklärung, Theateraufführung, Erstellung von Individualsoft1 Kritisch zu dieser Ungleichbehandlung Drexl FS Sonnenberger (2004) 771 (773, 780).

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§ 84 I

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

ware, Beförderung von Gütern oder Personen, Forschungs- und Entwicklungsvertrag). Arbeiten mit Bezug auf den Körper von Mensch und Tier können Werkvertrag sein (Spezifische Operation, Tätowierung, Zahntechniker, Dauerwelle, Hufbeschlag). Es ist allerdings stets darauf zu achten, ob wirklich ein konkreter Erfolg geschuldet wird (Werkvertrag), oder ob lediglich eine bestimmte Tätigkeit zu erbringen ist (Dienstvertrag, § 611), oder eine „selbständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art für einen andern und in dessen Interesse“ zu leisten ist (Geschäftsbesorgungsvertrag, § 675 I: in erster Linie Anwendung von Auftragsrecht, s. u. Rdn. 1252ff). Sonderregeln gegenüber Dienst- und Werkvertragsrecht stellen auch der Reisevertrag, §§ 651 aff, das Maklerrecht, §§ 652ff, und die Verwahrung, §§ 688 ff, dar. Liegen die herbeizuführenden Erfolge im kaufmännischen Bereich, so passt das für den handwerklichen Bereich zugeschnittene Werkvertragsrecht oft nicht; vorrangig gegenüber dem Werksvertragsrecht gelten handelsrechtliche Bestimmungen (Verträge des Handelsmaklers, §§ 93 ff HGB; Kommissionsgeschäft, §§ 383 ff HGB; Frachtgeschäft, §§ 407 ff HGB; Speditionsgeschäft, §§ 453 ff HGB). Soweit das Handelsrecht keine Sonderregeln bietet, gilt Werkvertragsrecht. – Außer dem Transportrecht des HGB spielen für Beförderungsleistungen internationale Abkommen eine große Rolle. Für die internationale Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern auf dem Luftweg gilt seit 1929 das Warschauer Abkommen. Es wird sukzessive durch das Montrealer Übereinkommen von 1999 abgelöst, das 2004 für Deutschland in Kraft getreten ist.2 Die Abkommen enthalten detaillierte Vorschriften, z. B. summenmäßige Beschränkungen für Ansprüche auf Ersatz von Schäden an Mensch und Material.

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3. Liegt ein Werkvertrag vor, ist im Einzelfall genau darauf zu achten, was der vereinbarte Inhalt der Pflicht zur Herbeiführung des Erfolgs ist: Manchmal übernimmt der Unternehmer das Risiko dafür, dass der Erfolg günstig und dem Besteller nützlich ist: taugliche Schuhreparatur; Erkennbarkeit eines Portraits als Darstellung des Abgebildeten; Benutzbarkeit einer Brücke. Oft ist aber ein bewertungsfreier Erfolg geschuldet, so dass kein Mangel vorliegt, § 633, wenn sich der erreichte Erfolg als ungünstig erweist: Die Schönheitsoperation führt nicht zur Verschönerung (zu den sonstigen Verrichtungen des Arztes s. o. Rdn. 1132); der Drehbuchstoff eignet sich nicht zur Verfilmung; 3 das Gemälde entspricht nicht den künstlerischen Vorstellungen des Bestellers.4

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4. Für Bauverträge kann die VOB (Verdingungsordnung für Bauleistungen) vereinbart werden. Die öffentliche Hand muss nach der VOB abschließen. VOB/A regelt Ausschreibung und Vergabe, VOB/B enthält vom Werkvertragsrecht der §§ 631ff abweichende AGB,5 VOB/C setzt technische Normen fest. Für die Abnahme ist ein förmliches Verfahren vorgesehen, wenn eine Seite dies verlangt. Da es sich bei VOB/B um AGB handelt, bedarf es zur ihrer Geltung der wirksamen Einbeziehung nach §§ 305ff. Gem. § 308 Nr. 5 a. E. sind Erklärungsfiktionen gestattet. Die Abkürzung der Verjährungsfrist auf vier Jahre in § 13 Nr. 4 VOB/B ist gem. § 309 Nr. 8 b) ff) a. E. erlaubt. Voraussetzung ist aber jeweils, dass die VOB/B insgesamt einbezogen wird, also nicht nur einzelne Geschäftsbedingungen herausgepickt werden. Weitere spezialisierte Verträge sind der Architekten-, der Baubetreuungs- und der Bauträgervertrag.6 2 Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr v. 28. 5. 1999 (ABl. EG 2001 L 194/39). 3 KG JW 1935, 2209. 4 BGHZ 19, 382. 5 S. hierzu Jagenburg/Reichelt, NJW 2003, 102. 6 S. hierzu näher Locher, Das private Baurecht, 7. Aufl. (2005).

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Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag

§ 84 II 1

5. Für Entgeltlichkeit besteht bei Vorliegen entsprechender Umstände wie beim Dienstvertrag gem. § 612 eine widerlegliche Vermutung, § 632.7 Voraussetzung ist ein zustande gekommener Werkvertrag. Ein Kostenvoranschlag (§ 650) ist gem. § 632 III im Zweifel nicht zu vergüten. Dasselbe gilt für Angebotskosten. Entscheidend sind aber die Umstände des Einzelfalls: Dienen die Arbeiten vor Vertragsschluss in erster Linie der Erlangung des „Auftrags“, besteht normalerweise keine Vergütungspflicht. Etwas anderes gilt dann, wenn die Vorarbeiten im Interesse des Bestellers liegen, und üblicherweise nur gegen Vergütung erwartet werden können.

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Wird ein Architekt zur Erarbeitung eines Vorentwurfs aufgefordert, besteht i. d. R. eine Vergütungspflicht, auch wenn es nicht zum Abschluss des Hauptvertrags kommt. Kein Vergütungsanspruch besteht, wenn der Unternehmer aus eigener Initiative tätig wird. – Kommt es zum Abschluss des Hauptvertrags, besteht keine separate Vergütungspflicht für die Vorarbeiten. Der Aufwand hierfür wird durch die vereinbarte Vergütung abgegolten. Im Vertrag kann selbstverständlich etwas anderes vereinbart werden. – Zur Vermeidung von Streitigkeiten ist es in der Praxis empfehlenswert, sich einen Vergütungsanspruch für Kostenvoranschlag oder Vorarbeiten durch eine separate Vereinbarung einräumen zu lassen.

Unentgeltliche Werkverträge sind möglich (str.),8 so dass z. B. trotz Unentgeltlichkeit eine Mängelhaftung mit Nacherfüllungspflicht bestehen kann, die das Auftragsrecht nicht kennt, §§ 634 Nr. 1, 635. Die Vergütung ist bei Abnahme des Werks zu entrichten, bei teilweiser Abnahme in Raten, § 641. Vor der Abnahme kann ein Anspruch auf Abschlagszahlungen bestehen, § 632 a. Ist die Abnahme nicht möglich, wird sie durch die Vollendung des Werks ersetzt, § 646. Ab Abnahme besteht (unabhängig vom Verzugseintritt) eine allgemeine Verzinsungspflicht, § 641 IV.

II. Pflichten des Unternehmers und des Bestellers 1. Pflichten des Unternehmers a) Hauptpflicht des Unternehmers ist es, das versprochene Werk rechtzeitig und vertragsgemäß herzustellen oder zu verändern, wobei dies regelmäßig nicht persönlich getan werden muss.9 Bedient er sich eines Erfüllungsgehilfen, so haftet er gem. § 278. b) Beim Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer, an den Besteller ein Werk zu leisten. Im Normalfall wird er selbst diese Leistung erbringen wollen: Der Bauunternehmer verspricht den Bau des Hauses, der Architekt die Planzeichnung usw. Der Unternehmer schuldet jedoch nur den Erfolg. Er braucht also die Werkleistung nicht selbst zu erbringen. Dann verpflichtet sich der Unternehmer, dem Besteller das Werk eines Dritten zu leisten. Man kann ihn als den Werkleister oder Werkerbringer bezeichnen. Ein solcher Vertrag zwischen dem Besteller und dem Unternehmer ist ein Werkverschaffungsvertrag. Seine Parallele im Dienstrecht ist der Dienstverschaffungsvertrag, bei dem jemand dem Dienstberechtigten verspricht, ihm die Dienste eines Dritten zu verschaffen, siehe dazu oben Rdn. 1137. aa) Beispiele von Werkverschaffungsverträgen sind der Konzertvertrag, bei dem die Konzertdirektion dem Konzertbesucher das Konzert des Orchesters X verspricht; der

7 Der Unternehmer muss die Behauptung des Bestellers widerlegen, es sei ein niedrigerer als der übliche Werklohn vereinbart worden, BGH NJW 1983, 1782. 8 Erman/Schwenker, § 631 Rdn. 40; a. A. Bamberger/Roth/Voit, § 631 Rdn. 72: Auftrag oder Schenkung. 9 Aus der Natur des geschuldeten Werkes kann sich aber etwas anderes ergeben (z. B. Portrait).

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Konzertveranstaltungsvertrag, bei dem sich ein Konzertveranstalter von der Konzertdirektion die Darbietung des Orchesters X versprechen lässt; der verwandte Impresariovertrag; der Anlagenbauvertrag mit Subunternehmern, bei denen der Hauptunternehmer dem Besteller die Leistungen der Subunternehmer verspricht; Versorgungsleistungsverträge auf Flughäfen („ground handling“), bei denen sich der Flughafenträger von einer Betreibergesellschaft (z. B. für Flugzeugschlepp, Gepäckabfertigung, Bewachung, Reinigung usw.) versprechen lässt, ihre Werkleistungen an die Bodendienstnachfrager zu erbringen (z. B. Luftverkehrsgesellschaften); Gesamttransportverträge, bei denen der multimodal transport operator (MTO) dem Besteller (Verlader) die Erbringung von Teilstrecken-Frachtleistungen durch Teilstrecken-Frachtführer verspricht; und dgl. bb) Der Werkverschaffungsvertrag ist also ein Werkvertrag im Sinne der §§ 631ff, bei dem beide Seiten wissen und wollen, dass das Werk ganz oder teilweise von einem oder mehreren Dritten, nämlich entweder von einem oder mehreren Substituten (§ 664 Abs. 1 Satz 2) oder von einem oder mehreren Erfüllungsgehilfen (§ 278) des Werkunternehmers erbracht wird. Dementsprechend gibt es – wie übrigens auch beim Dienstverschaffungsvertrag – zwei Arten des Werkverschaffungsvertrags, eine auf Substitution gerichtete, organisationsbezogene, die Werkleistung an den Besteller vermittelnde und ihm daher den oder die Dritten benennende, und zum anderen eine gehilfenbezogene „mit mitgebrachten eigenen Leuten“, bei welcher der oder die Dritten dem Besteller grundsätzlich unbenannt bleiben. Keinen Einfluss auf den Begriff des Werkverschaffungsvertrags hat es, ob der Werkunternehmer für eigene oder für Rechnung des Bestellers handelt, wenn er das Werk im eigenen Namen durch einen Dritten erbringen lässt. cc) Für die rechtliche Regelung der beiden Arten des Werkverschaffungsvertrags gilt – wiederum in Übereinstimmung mit dem Dienstverschaffungsvertrag –: Wird im Einverständnis mit dem Gläubiger (= Besteller) einer Werkleistung diese durch einen Dritten erbracht, für dessen Bestellung der Werkunternehmer einzutreten verspricht, (1) so haftet der Werkunternehmer grundsätzlich nur für Auswahlverschulden, (2) hat der Dritte grundsätzlich einen Werklohndurchgriff nach §§ 812 I 1, 242, (3) ist ein Teil der Weisungsbefugnisse des Werkunternehmers an den Besteller abgetreten, (4) reichen gewisse Sorgfalts-, Schutz- und Obhutspflichten, die der Dritte dem Werkunternehmer schuldet, im Zweifel auch bis zum Besteller durch, und (5) haftet der Dritte dem Besteller ebenso grundsätzlich aus Werkvertrag mit Schutzwirkung für ihn, den Besteller. Übernimmt hingegen der Unternehmer die Erstellung der arbeitsteiligen Leistung insgesamt oder doch überwiegend „mit seinen Leuten“, (1) so haftet der Unternehmer dem Besteller für Verschulden seiner Subunternehmer gemäß § 278 wie für eigenes Verschulden, (2) können sich die Subunternehmer wegen des Werklohns nicht an den Besteller halten, (3) braucht der Nachunternehmer Weisungen des Bestellers im Zweifel nicht zu befolgen, (4) hat der Nachunternehmer grundsätzlich keine Schutz- und Obhutspflichten gegenüber dem Besteller, und (5) haftet der Nachunternehmer dem Besteller nicht aus Vertrag mit Schutzwirkung für ihn. dd) Da diese Beziehungen von Delegation der Leistung an Hilfspersonen, Gehilfenhaftung, Entlohnungsdurchgriff, Weisungsbefugnissen, durchreichenden Nebenpflichten und Einbeziehung in den Schutzbereich von Leistungspflichten beim Dienstverschaffungsvertrag und beim Werkverschaffungsvertrag ähnlich liegen, lässt sich dieser Gleichlauf grundsätzlich für alle arbeitsteiligen Dienstleistungsverträge (im wirtschaftlichen Sinne) verallgemeinern (schuldrechtliches Arbeitsteiligkeitsprinzip, s. Fikentscher; AcP 190 (1990), 34, 100 ff).

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Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag

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c) Zudem ist die Herstellung eines mangelfreien Werks Teil der Hauptleistungspflicht des Unternehmers, § 633. d) Nebenpflichten des Unternehmers lassen sich oft aus der Eigenart des jeweiligen Werkvertrages erschließen. So sind die Verpflichtung zur Beratung, Information, Prüfung, Aufklärung und Überwachung denkbar. Daneben kommen allgemeine Schutzund Obhutspflichten in Betracht, so z. B. die Verpflichtung, die zu bearbeitende Sache vor Schaden oder Verlust zu bewahren.10 2. Pflichten des Bestellers Hauptpflichten des Bestellers sind Leistung der Vergütung und Abnahme. a) Beim Kauf ist die Abnahmepflicht des Käufers nach § 433 II nichtsynallagmatische Nebenpflicht. Beim Werkvertrag fallen Entstehung und Fälligkeit des Gegenleistungsanspruchs auseinander; der Anspruch wird erst bei Abnahme fällig, 631, 641 I. Die Abnahmepflicht nach § 640 ist deshalb synallagmatische Hauptpflicht des Werkvertrags. Ihre Unmöglichmachung, Verzögerung oder Verweigerung lösen die Rechtsfolgen der §§ 320ff aus.

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Die Abnahme kann im Klagewege erzwungen werden (Vollstreckung nach § 888 ZPO) 11. Näher liegt es allerdings, durch eine Fristsetzung die Abnahmefiktion des § 640 I 3 herbeizuführen. Auch besteht die Möglichkeit, die Abnahme durch eine Fertigstellungsbescheinigung nach § 641a zu ersetzen. Ferner gelten §§ 644 I 2, 372, 383. Die Abnahme ist beides, körperliche Entgegennahme und ausdrückliche oder stillschweigende Billigung (BGHZ 48, 257, 263). Das schließt aber die Geltendmachung bei Abnahme nicht bekannter Mängel nicht aus, 640 II.12 Schadensersatzansprüche aus § 634 Nr. 4 und § 13 VOB/B bleiben ebenfalls unberührt. Mit der Abnahme beginnt die Verjährung (§ 634 a II), geht die Preisgefahr über (§ 644), wird die Vergütung fällig (§ 641), und die Vorleistungspflicht des Unternehmers endet. Ein etwaiger Mangel ist nun Zug um Zug gegen Bezahlung des Werks zu beseitigen, BGH DB 73, 1598. Ist nach Art des Werks eine Abnahme ausgeschlossen, so entfällt die Abnahmepflicht, 640 I. An die Stelle der Abnahme tritt die Vollendung des Werks, 646 (Beispiel: Vermittlung einer Anschrift; Beförderung von Personen).

b) Nebenpflichten des Bestellers können Nebenleistungs- oder Schutzpflichten sein. Ist bei der Herstellung eines Werkes eine Mitwirkung des Bestellers erforderlich und unterlässt er sie, so gerät der Besteller gem. § 295 in Annahmeverzug (Bsp.: Anzugprobe, Portraitsitzung, Bauunterlagen). Überdies stellt § 642 eine Obliegenheit dar 13, deren Verletzung den Unternehmer bei Verzug zu einer Entschädigung berechtigt (Zeitverlust wird vergütet). Dazu hat der Unternehmer in solchen Fällen ein Fristsetzungs- und Kündigungsrecht, 643, wobei sich seine Vergütung nach § 645 I 2 bemisst; RGZ 100, 437; BGHZ 50, 175. Neben der Mitwirkungspflicht kann eine echte Mitwirkungsverpflichtung des Bestellers bei größeren Objekten in Betracht kommen; ein Schuldnerverzug ist dann gem. § 286 möglich. Hat der Unternehmer ausnahmsweise in den Räumen des Bestellers zu arbeiten oder 10 BGH NJW 83, 113; zu einer weitergehenden Versicherungspflicht s. AG Düsseldorf VersR 87, 1122. 11 BGH NJW 1996, 1749. 12 Bei Abnahme eines ihm als mangelhaft bekannten Werkes muss sich der Besteller seine Rechte vorbehalten, 640 II. Das führt zu Schwierigkeiten, wenn ein Mangel nicht ohne weiteres erkannt werden kann, z. B. bei Bauunterlagen, wenn das Bauwerk vorläufig noch nicht errichtet werden soll. Hier empfiehlt es sich, die Bauunterlagen noch nicht abzunehmen oder die Verjährungsfrist rechtsgeschäftlich zu verlängern, vgl. BGH NJW 74, 95; 80, 1952. Nach Abnahme hat der Architekt als Bauführer vollen Lohnanspruch, BGHZ 45, 372; 83, 181. 13 S. oben Rdn. 44.

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mit dessen Geräten oder unter seiner Anleitung, so trifft den Besteller die Fürsorgepflicht aus § 618, BGHZ 5, 62.

III. Mängelgewährleistung 1. Allgemeines 1202

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Der Unternehmer ist nicht nur verpflichtet, das versprochene Werk herzustellen (§ 631 I), er hat es dem Besteller auch frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 633 I). Wie jetzt auch beim Kauf ist die Mangelfreiheit Bestandteil der Erfüllungspflicht des Unternehmers („Erfüllungstheorie“). Die Pflicht zur mangelfreien Verschaffung bestand schon immer und diente als Vorbild für die entsprechende Ausgestaltung des Kaufrechts durch die Schuldrechtsmodernisierung. Der Werkvertrag kennt in den §§ 633–639 (ebenso wie Kauf und Miete, aber anders als der Dienstvertrag 14) ein eigenes Gewährleistungsrecht, das allerdings wie das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht an das allgemeine Leistungsstörungsrecht angebunden wurde. Die Grundstruktur von kauf- und werkvertraglicher Gewährleistung ist nun identisch: Die Haftung für Sachund Rechtsmängel ist vereinheitlicht; 15 die Rechte des Bestellers bei Mängeln werden in § 634 aufgelistet (parallel zu § 437); § 634 a enthält besondere Verjährungsfristen. Aufgrund der Parallelität zum Kaufrecht kann in großem Umfang dorthin verwiesen werden. So entsprechen die Begriffsbestimmungen für Sach- und Rechtsmängel nahezu wörtlich den kaufrechtlichen Definitionen der §§ 434, 435. Die Sollbeschaffenheit des Werks ergibt sich in erster Linie aus der Parteivereinbarung. Sonst bestimmt sie sich nach der Eignung zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung, hilfsweise reichen die übliche Beschaffenheit und die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung. In § 633 II fehlt eine ausdrückliche Einbeziehung der Werbeaussagen in den Begriff der üblichen Beschaffenheit, wie sie im Kaufrecht (§ 434 I 3) erfolgt ist. Dies beruht auf der Überlegung, dass Hersteller und Unternehmer beim Werkvertrag typischerweise identisch sind, und die Werbung des Vertragspartners regelmäßig bereits als Beschaffenheitsvereinbarung in den Vertrag einfließt.16 Wie im Kaufrecht sind gem. § 633 II 3 aliud- und Zuwenig-Lieferungen dem Sachmangel gleichgestellt (s. o. Rdn. 848 ff). – Da ein bestimmter Erfolg geschuldet ist, reicht es nicht aus, dass der Unternehmer die anerkannten Regeln der Technik oder die Anordnungen des Bestellers respektiert hat. Das Arbeitsergebnis muss vielmehr die vereinbarte Beschaffenheit aufweisen, bzw. über die vorausgesetzte oder gewöhnliche Tauglichkeit verfügen. Ist das Werk mangelhaft, ist der Besteller zur Abnahme nicht verpflichtet (§ 640 I 1). Durch die Verweigerung der Abnahme gerät er nicht in Annahmeverzug (Ausnahme: unwesentlicher Mangel i. S. v. § 640 I 2). Der Besteller ist also nicht darauf angewiesen, ein mangelhaftes Werk abzunehmen und dann seine Mängelrechte geltend zu machen. Da der Vergütungsanspruch des Unternehmers vor Abnahme wegen § 641 I 1 nicht fällig ist, braucht der Besteller nicht zu zahlen. Einer Berufung auf § 320 bedarf es hierzu nicht; der Vergütungsanspruch scheitert in diesem Fall bereits an der mangelnden Fälligkeit. Nimmt der Besteller das mangelhafte Werk an, stehen ihm die in § 634 aufge-

14 Zur locatio conductio im römischen Recht, die Miete, Pacht-, Dienst- und Werkvertrag einschließt, s. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht § 42. 15 Vor der Schuldrechtsmodernisierung enthielt das Werkvertragsrecht keine Regelung über Rechtsmängel; die kaufrechtlichen Regeln wurden analog angewandt. 16 GesBegr BT-Drs 14/6040, 261.

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führten Rechte zu. Kennt er den Mangel und erklärt er keinen Vorbehalt, reduzieren sich seine Rechte gem. § 640 II auf den Schadensersatzanspruch. Die §§ 634 ff gehen davon aus, dass die Abnahme bereits erfolgt ist. Vor Abnahme hat der Besteller keinen Nacherfüllungsanspruch, sondern den ursprünglichen Erfüllungsanspruch, bzw. die Folgeansprüche aus allgemeinem Leistungsstörungsrecht. Die §§ 634ff sind also im Grundsatz nur nach Abnahme (bzw. nach Vollendung, § 646, auch nach Gefahrübergang, § 644) anwendbar. Die Rechtsprechung vor der Schuldrechtsmodernisierung hat hiervon Ausnahmen gemacht, insbesondere für den Fall, dass ein nicht mehr nachbesserungsfähiger Mangel vorliegt.17 Dem sollte nach neuem Recht nicht gefolgt werden.18 Vor Abnahme ist das allgemeine Leistungsstörungsrecht anwendbar, und zwar nicht modifiziert durch die §§ 634ff. Insbesondere gilt die allgemeine Verjährungsfrist der §§ 195, 199 und nicht die besondere Verjährungsfrist des § 634a. Für diese Lösung spricht insbesondere die vom Gesetzgeber verfolgte Parallelität zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht.19

Im Fall eines Mangels hat der Besteller nach Abnahme, bzw. Gefahrübergang die in § 634 aufgeführten Rechte, d. h. er kann Nacherfüllung verlangen, ggf. zur Selbstvornahme schreiten, Rücktritt oder Minderung erklären oder Schadensersatz (bzw. Ersatz vergeblicher Aufwendungen) verlangen. Hinzu tritt ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320: Die Gewährleistungsrechte treten an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs und berechtigen den Besteller zur Verweigerung der Leistung. Allerdings kann er gem. § 641 III nur die Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung verweigern, wofür das Gesetz einen Mindestbetrag i. H. des Dreifachen der Mängelbeseitigungskosten vorsieht.20

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2. Nacherfüllung Der Unternehmer ist gem. § 633 I dazu verpflichtet, dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, hat er nicht ordnungsgemäß erfüllt. Auf ein Verschulden des Unternehmers kommt es nicht an. Dem Besteller steht dann gem. §§ 634 Nr. 1, 635 zunächst ein Anspruch auf Nacherfüllung zu. Wie im Kaufrecht (§ 439) umfasst der Begriff der Nacherfüllung zwei Varianten, nämlich einerseits die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung), andererseits die Neuherstellung des Werks. Im Gegensatz zum Kaufrecht steht das Wahlrecht zwischen diesen beiden Rechten nicht dem Besteller, sondern dem Unternehmer zu, s. § 635 I. Da dieser zur Herbeiführung des Erfolgs verpflichtet ist, soll er auch selber entscheiden, auf welchem Weg er dorthin gelangen möchte.21 Beispiel: U hat sich dazu verpflichtet, dem B eine Garage zu bauen. Das fertige Bauwerk hat nicht die vereinbarte Breite (§ 633 II 1). B kann von U Nacherfüllung verlangen. U hat die Wahl, ob er nachbessert, nämlich die Garagenwand versetzt, oder neuherstellt, nämlich die mangelhafte Garage einreißt und eine neue errichtet. U wird diese Entscheidung typischerweise davon abhängig machen, welcher Weg für ihn günstiger ist.

Die Kosten der Nacherfüllung obliegen dem Unternehmer, der ja zur mangelfreien Leistung verpflichtet ist, § 635 II (vgl. § 439 II). Abweichende AGB-Klauseln sind unwirksam, § 309 Nr. 8 b) cc). Entscheidet sich der Unternehmer für Neuherstellung, 17 BGH NJW 2000, 133 (allerdings keine Anwendung der kurzen Verjährung). S. auch § 634 I 2 a.F. 18 A. A. Palandt-Sprau, Vorb. v. § 633 Rdn. 7: Analoge Anwendung von § 635 III und Möglichkeit des Bestellers, sich auf die Rechte des § 634 zu beschränken, s. BGH NJW 1999, 2046 zum alten Recht. 19 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse S. 461 f; Jauernig/Mansel, § 634 Rdn. 3. 20 Zur abweichenden Lage beim Kauf s. o. Rdn. 898. 21 Vgl. GesBegr BT-Drs 14/6040, 265.

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kann er gem. § 635 IV Rückgewähr des mangelhaften Werks nach Rücktrittsrecht verlangen (vgl. § 439 IV). Dem Anspruch auf Nacherfüllung kann § 275 entgegenstehen. Ist beispielsweise die Nachbesserung physisch unmöglich, beschränkt sich der Nacherfüllungsanspruch des Bestellers auf die Neuherstellung (§ 275 I). Dies ist generell bei unbehebbaren Mängeln der Fall, z. B. wenn ein Gebäude nicht dem vereinbarten Entwurf entspricht, und eine Korrektur nicht möglich ist. In Betracht kommt auch ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 II oder III. Außerdem kann der Unternehmer die Nacherfüllung gem. § 635 III verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Dies entspricht der kaufrechtlichen Regelung in § 439 III 1, auf die deshalb verwiesen werden kann (oben Rdn. 864). Die Befreiung von der Nacherfüllungspflicht stellt den Unternehmer selbstverständlich nicht vollständig frei: Der Besteller kann möglicherweise mindern, zurücktreten und/oder Schadensersatz verlangen (hierzu sogleich). 3. Selbstvornahme

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Kommt der Unternehmer seiner Pflicht zur Nacherfüllung nicht nach, hat der Besteller die Möglichkeit, nach erfolgloser Fristsetzung den Mangel selbst zu beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen zu verlangen. Im Werkvertragsrecht besteht also im Gegensatz zum Kaufrecht ein Recht zur Selbstvornahme (s. o. Rdn. 1191). Selbstvornahme bedeutet nicht notwendigerweise, dass man den Mangel eigenhändig beseitigt; es kann auch – und das ist der Regelfall – ein anderer Unternehmer eingeschaltet werden. Verzug oder Vertretenmüssen des Unternehmers sind nicht Voraussetzung. Der Aufwendungsersatzanspruch besteht nicht, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht verweigert, z. B. nach § 275 II, III oder nach § 635 III. Die Fristsetzung kann gem. §§ 637 II, 323 II entbehrlich sein, z. B. bei Erfüllungsverweigerung oder im Fall des relativen Fixgeschäfts. Nach § 637 III kann der Besteller vom Unternehmer auch einen Vorschuss verlangen. 4. Rücktritt

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Gem. § 634 Nr. 3 i. V. m. §§ 323, 326 V und der werkvertraglichen Sondervorschrift des § 636 kann der Besteller bei Vorliegen eines Mangels nach erfolgloser Fristsetzung vom Werkvertrag zurücktreten. Wie im Kaufrecht wurde auch im Werkvertragsrecht das alte Wandelungsrecht durch ein echtes Gestaltungsrecht, nämlich den Rücktritt ersetzt. Außerdem ist gem. § 323 I nur noch eine Fristsetzung, nicht aber wie nach altem Recht eine Ablehnungsandrohung erforderlich. Die Voraussetzungen für den Rücktritt entsprechen mutatis mutandis denen beim Kaufvertrag, auf die deshalb verwiesen werden kann (s. o. Rdn. 866 ff). In dem Erfordernis der Nachfristsetzung kommt der Vorrang der Nacherfüllung, also die „zweite Chance“ des Unternehmers zum Ausdruck. Ist die gesetzte Frist zu kurz, wird eine angemessene Frist in Gang gesetzt. Die Fristsetzung ist entbehrlich in den Fällen des § 323 II (z. B. Erfüllungsverweigerung oder relatives Fixgeschäft) oder des 326 V Halbs. 2 (Unmöglichkeit der Nacherfüllung). Einer Fristsetzung bedarf es nach § 636 auch dann nicht, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung gem. § 635 III wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigert, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen oder dem Besteller unzumutbar ist. Eine Vermutung über das Fehlschlagen nach Art des § 440 S. 2 existiert im Werkvertragsrecht nicht. Die Fallgestaltungen sind hier zu individuell, als dass ein konkreter Leitwert aufgestellt werden könnte. Alle Umstände des Einzelfalls sind einzubeziehen: Bei einem komplexen Bauwerk können mehr Nachbesserungsanläufe erforderlich sein als bei einer leichten Reparatur. Unzumutbarkeit ist

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Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag

§ 84 III 7

beispielsweise dann gegeben, wenn objektiv das Vertrauen des Bestellers auf ordnungsgemäße Nacherfüllung durch den Unternehmer erschüttert ist.

Gem. § 323 V 2 ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Mangel unerheblich ist. 5. Minderung Unter denselben Voraussetzungen wie für den Rücktritt kann der Besteller auch mindern, §§ 634 Nr. 3, 638. Bei unerheblichen Mängeln steht dem Besteller nur die Minderung, nicht aber der Rücktritt offen, §§ 638 I 2, 323 V 2. Die Berechnung der Minderung erfolgt wie beim Kauf, vgl. § 638 III mit § 441 III und oben Rdn. 870 f. Zuviel Gezahltes kann gem. § 638 IV S. 1 (mit ergänzendem Verweis ins Rücktrittsrecht) herausverlangt werden.

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6. Schadensersatz und Ersatz vergeblicher Aufwendungen Nach § 634 Nr. 4 kann der Besteller Schadensersatz, bzw. Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen. Sieben verschiedene Fallgestaltungen sind zu unterscheiden, s. hierzu oben Rdn. 521, 872. Die Schadensersatzansprüche setzen (im Gegensatz zu Rücktritt oder Minderung) ein Vertretenmüssen des Unternehmers voraus, das gem. § 280 I 2, bzw. § 311 a II 2 vermutet wird. Der eigentliche Mangelschaden, nämlich der Minderwert des Werks infolge des Mangels, kann gem. §§ 634 Nr. 4, 281 I 1 Alt. 2 ersetzt verlangt werden. Es gilt der Vorrang der Nacherfüllung, d. h. vor Geltendmachung des Mangelschadens ist die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung erforderlich. Verstreicht diese Frist erfolglos (bzw. ist eine Fristsetzung ausnahmsweise nach §§ 281 II, 636, bzw. wegen Unmöglichkeit der Nacherfüllung entbehrlich), kann der Besteller entweder kleinen oder großen Schadensersatz verlangen, letzteren allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Mangel nicht unerheblich ist (§ 281 I 3, vgl. o Rdn. 422). Mangelfolgeschäden sind nach §§ 634 Nr. 4, 280 I, also ohne Fristsetzungserfordernis zu ersetzen. Das gleiche gilt nach der hier vertretenen (aber umstrittenen) Auffassung für Betriebsausfallschäden, s. o. Rdn. 506.

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Vor der Schuldrechtsmodernisierung differenzierte die Rechtsprechung zwischen „unmittelbaren“ und „entfernteren“ Mangelfolgeschäden, was von Bedeutung für die Verjährung war. Nach geltendem Recht sind alle (mangelbezogenen) Schadensersatzansprüche von § 634 Nr. 4 erfasst, so dass einheitlich die Verjährungsregeln des § 634a gelten. Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Mangelfolgeschäden ist also nicht mehr erforderlich.

Schließlich räumt § 634 Nr. 4 dem Besteller alternativ zum Schadensersatz statt der Leistung die Möglichkeit ein, Ersatz vergeblicher Aufwendungen nach § 284 zu verlangen. Hierzu zählen beispielsweise Ausgaben, die der Bauherr in Erwartung des Hausbaus getätigt hat, und die sich nun als vergeblich erweisen, weil das Haus einen erheblichen Mangel aufweist und der Bauherr großen Schadensersatz verlangt. 7. Verhältnis zwischen den Bestellerrechten Vorrangig ist der Anspruch auf Nacherfüllung. Die anderen Rechte können erst dann geltend gemacht werden, wenn der Anspruch auf Nacherfüllung ausscheidet (z. B. wegen Unmöglichkeit) oder die Nachfrist erfolglos verstrichen ist. Etwas anderes gilt nur für diejenigen Schadensersatzansprüche, die keine Fristsetzung voraussetzen, z. B. der Anspruch auf Ersatz von Mangelfolgeschäden. Der Anspruch auf Nachbesserung (und auf Aufwendungsersatz wegen Selbstvornahme, § 637) entfällt mit Ausübung des Rücktrittsrechts (§ 346 I) oder mit dem Verlangen nach Schadensersatz statt der Leis-

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

tung (§ 281 IV). Rücktritt schließt Schadensersatz nicht aus, § 325 (zu den Einzelheiten s. o. beim Kaufrecht Rdn. 881). 8. Ausschluss der Mängelgewährleistungsrechte 1213

Nimmt der Besteller ein mangelhaftes Werk ab, obwohl er Kenntnis von dem Mangel hat, beschränken sich seine Rechte gem. § 640 II auf die Schadensersatzansprüche des § 634 Nr. 4.22 Etwas anderes gilt nur dann, wenn er sich seine Gewährleistungsrechte bei der Abnahme vorbehält. Tut er dies nicht, kann er also nicht mehr Nacherfüllung verlangen, zur Selbstvornahme schreiten oder Rücktritt oder Minderung erklären, sondern ist auf die Geltendmachung seines Schadens (in Geld) beschränkt. Aus dem Ausschluss des Rücktrittsrechts folgt, dass der Besteller in diesem Fall nicht den großen Schadensersatz geltend machen kann, sondern das mangelhafte Werk behalten muss. Ein vertraglicher Ausschluss oder eine Beschränkung der Mängelgewährleistung ist möglich. Der Unternehmer kann sich hierauf allerdings nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Beschaffenheitsgarantie übernommen hat, 639. Grenzen für vertragliche Haftungsbeschränkungen ergeben sich außerdem aus den allgemeinen Regeln und dem AGB-Recht, s. insbesondere § 309 Nr. 7 und 8. 9. Verjährung

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Wie im Kaufrecht existieren auch im Werkvertragsrecht besondere Verjährungsregeln, § 634 a. Ein Grundanliegen der Schuldrechtsmodernisierung bestand darin, einheitliche Regeln für alle mängelbezogenen Schadensersatzansprüche zu schaffen.23 Die Verjährungsfrist beträgt zwei Jahre, wenn sich der Werkvertrag auf die Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache bezieht, und fünf Jahre, wenn es um ein Bauwerk geht. Planungs- und Überwachungsleistungen werden jeweils einbezogen. In allen anderen Fällen, d. h. im Ergebnis bei allen Dienstleistungen, die keinen Bezug zu einem Bauwerk oder einer anderen Sache haben, gilt die regelmäßige Verjährungsfrist, also §§ 195, 199.24 In den beiden ersten Fällen beginnt die Verjährung „objektiv“, nämlich mit der Abnahme, § 634 a II. Für die regelmäßige Verjährung gilt dagegen wie üblich der „subjektive“ Verjährungsbeginn nach § 199. Beispiele: A bringt seine Schuhe zum Schuster: Verjährung seiner Gewährleistungsansprüche in zwei Jahren ab Abholung (§ 634 a I Nr. 1). B lässt ein Haus bauen: Verjährung in fünf Jahren ab Abnahme (§ 634 a I Nr. 2, falls nicht VOB vereinbart: 4 Jahre). C lässt sich die Haare schneiden: Regelmäßige, also dreijährige Verjährung, mit subjektivem Verjährungsbeginn nach § 199 (§ 634a I Nr. 3).

§ 634a ist auf alle in § 634 aufgeführten Ansprüche des Bestellers anwendbar. Die besonderen Verjährungsregeln gelten auch für Ansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten und vertraglicher Nebenpflichten, soweit ein unmittelbarer Zusammenhang mit einem Sachmangel besteht. Auf konkurrierende deliktische Ansprüche findet § 634a hingegen keine (analoge) Anwendung (s. o. zum Kaufrecht Rdn. 887, 908).

22 Grobe Fahrlässigkeit ist – anders als in § 442 I 2 – nicht gleichgestellt; kritisch zu den Unterschieden zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht Kohler, JZ 2003, 1081. 23 GesBegr BT-Drs 14/6040, 263; s. o. Rdn. 887. 24 S. GesBegr BT-Drs 14/6040, 264: Hierdurch soll ein Gleichlauf mit der Haftung im Dienstvertrag geschaffen werden, bei dem – mangels einer „ädilizischen“ Gewährleistungshaftung – die allgemeinen Regeln, also auch die Regelverjährung für Ansprüche aus Pflichtverletzung gelten.

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Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag

§ 84 IV

Bei Arglist des Unternehmers gilt statt der Sonder- die Regelverjährung mit subjektivem Verjährungsbeginn, § 634a III. – Die Parteien können die Verjährungsfrist durch Vereinbarung in den Grenzen des § 202 verlängern oder verkürzen. Geschieht dies in AGB, ist § 309 Nr. 8 b) ff) zu beachten. – Verhandeln Besteller und Unternehmer über Gewährleistungsfragen, ist die Verjährung gem. § 203 gehemmt. – Rücktritt und Minderung sind Gestaltungsrechte, also keine Ansprüche, und können deshalb nicht verjähren, s. § 194 I. Durch den Verweis in § 634a IV, V auf § 218 unterliegen Rücktritt und Minderung aber derselben Frist wie die Mängelansprüche. Hat der Besteller noch nicht gezahlt, kann er gem. § 634 a IV 2, V auch nach Eintritt der Verjährung die Zahlung des Kaufpreises ganz oder teilweise verweigern. Eine Mängelanzeige vor Verjährungseintritt ist nicht (mehr) erforderlich. Der Unternehmer kann in diesem Fall gem. § 634a IV 3 zurücktreten; die Rechtsfolgen richten sich nach den §§ 346ff.

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IV. Eigentumslage und Gefahrtragung, §§ 644–646, 950 1. Auch beim Werkvertrag ist zwischen Sach-, Leistungs- und Preisgefahr zu unterscheiden (s. o. Rdn. 403 f, 813 ff). Die Sachgefahr für den Stoff, aus dem das Werk hergestellt wird, trägt der Eigentümer. Wird das Werk aus einem vom Besteller gelieferten Stoff hergestellt, trägt also dieser die Sachgefahr, § 644 I 3. Für die Herstellung einer neuen beweglichen Sache gilt § 950. Dabei ist anerkannt, dass im Werkvertrag der Besteller und nicht der Unternehmer Hersteller i. S. d. Vorschrift ist, wenn ihn das Verwendungsrisiko trifft (zum Herstellerbegriff s. o. Rdn. 969). Durch Verarbeitung erlangt also der Besteller originär Eigentum an der neuen beweglichen Sache und trägt deshalb auch die Sachgefahr.

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Beschränkt sich allerdings die Pflicht des Unternehmers auf die Lieferung einer herzustellenden beweglichen Sache, so gilt wegen § 651 S. 1 nicht Werkvertrags-, sondern Kaufrecht (s. u. Rdn. 1225). Beim Kaufvertrag ist der Verkäufer (also nicht der Abnehmer) Hersteller i. S. v. § 950. Folglich trägt er die Sachgefahr. Einer analogen Anwendung von § 644 I 3 im Kaufrecht bedarf es nicht. Nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz casum sentit dominus (s. o. Rdn. 404) trägt der Käufer für den von ihm gelieferten Stoff ohnehin die Sachgefahr.

2. Die Leistungsgefahr, also die Gefahr, trotz Untergangs des Werks noch einmal leisten zu müssen, trägt grundsätzlich der Unternehmer. Dies folgt schon aus § 631: Der Unternehmer wird für das fertige Werk bezahlt, nicht für Versuche zu seiner Herstellung, mögen sie erfolgreich oder erfolglos verkaufen.

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Beispiel: U soll für B eine Marmorstatue anfertigen. Die fertige Statue fällt im Atelier des U um und wird zerstört. Wegen der Erfolgsbezogenheit des Werkvertrags (§ 631) muss U trotz Untergangs des Werks eine neue Statue erstellen. Er trägt also die Leistungsgefahr.

Etwas anderes gilt bei Unmöglichkeit, § 275. Hier kann oder braucht der Unternehmer nicht mehr zu leisten. Die Leistungsgefahr des Unternehmers endet ansonsten mit Abnahme, bzw. Vollendung (§§ 640, 646) oder Versendung (§ 644 II). Geht das Werk nach diesem Zeitpunkt unter, braucht der Unternehmer also nicht noch einmal zu leisten. Vor diesem Zeitpunkt genießt der Unternehmer das Haftungsprivileg des § 300 I, wenn der Besteller in Annahmeverzug gerät. 3. Die Gegenleistungsgefahr (also beim Werkvertrag die Vergütungsgefahr) liegt nach der allgemeinen Regel des § 326 I 1 Halbs. 1 beim Unternehmer. Braucht er wegen Unmöglichkeit nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung, also auf die Vergütung. Mit Abnahme des Werks geht die Vergütungsgefahr gem. § 644 I 1 auf den Besteller über. Zum Übergang der Vergütungsgefahr kommt es auch in den Fällen der §§ 644 I 2, II, 645. Es ist darauf zu achten, dass diese Vorschriften nur bei zufälli-

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

gem Untergang anzuwenden sind, also nur, wenn keine der beiden Parteien den Untergang zu vertreten hat (s. hierzu oben im Zusammenhang mit dem Kaufrecht Rdn. 818ff). a) Gerät der Besteller in Annahmeverzug (§§ 293ff), geht die Preisgefahr gem. § 644 I 2 schon vor Abnahme des Werks auf ihn über. Er muss also zahlen, obwohl das Werk untergegangen ist. Einfache Fahrlässigkeit hat der Unternehmer bei Verzug des Bestellers gem. § 300 I nicht zu vertreten. b) Auch wenn er Versendung des Werks verlangt, trägt der Besteller die Vergütungsgefahr während des Transports, §§ 644 II, 447. c) § 645 bestimmt, dass der Unternehmer einen seiner geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung verlangen kann, wenn der Erfolg des Werks vor Abnahme aufgrund von Mängeln des gelieferten Stoffs oder von Anweisungen des Bestellers verhindert oder beeinträchtigt wurde. Der Besteller trägt die Preisgefahr, weil er auf die Herstellung des Werks Einfluss genommen hat. d) Der Rechtsgedanke des § 645 wird in Analogie ausgedehnt auf die Fälle, in denen der Besteller selbst die Gefahr für den Untergang des Werks erhöht hat und ohne diese Erhöhung das Werk nicht untergegangen wäre.25 Beispiele: Niederbrennen einer noch nicht übergebenen Scheune durch das Heu des Bauherrn (BGHZ 40, 71). Bei Unmöglichkeit der Montage wegen der politischen Verhältnisse im Iran hat der Unternehmer Anspruch auf Bezahlung der gelieferten Anlageteile gegen den Besteller, weil dieser engere vertragliche Beziehungen in das Land hatte und von den ausländischen Vertragspartnern für die betreffenden Teile bereits bezahlt worden war (BGHZ 83, 197). Ein Überschwemmungsschaden machte Elektroarbeiten im Bonner „Schürmann“-Bau wertlos; die Bestellerin stand dieser Gefahr näher als der Unternehmer, da sie den Hochwasserschutz übernommen hatte (BGH NJW 1998, 456).

Für besonders gelagerte Einzelfälle ist dem zuzustimmen. Eine allgemeine Risikoverteilung nach „Sphären“ (so die „Sphärentheorie“) ist aber mit der grundsätzlichen Risikoverteilung des Werkvertragsrechts unvereinbar.26

V. Unternehmerpfandrecht, Bauhandwerkerhypothek und Bauhandwerkersicherung, §§ 647, 648, 648 a 1219

1. § 647 gibt jedem Werkunternehmer ein gesetzliches Pfandrecht für seine Forderungen aus dem Werkvertrag an den von ihm hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen des Bestellers. Mit der Möglichkeit des Pfandverkaufs soll der Unternehmer für den Fall sichergestellt werden, dass der Besteller nicht zahlt, 1257, 1228ff. a) Das Pfandrecht ist besitzgebunden, 647, wie ein Vertragspfand, 1205, und anders als das Vermieter-, Verpächter- und Gastwirtspfandrecht, 562, 581 II, 704. Das Pfandrecht des Pächters ist zwar auch besitzgebunden, verlangt aber kein Eigentum des Verpächters, 583. b) Es besteht für die Forderungen aus dem Werkvertrag. Das sind der Vergütungsanspruch, die Entschädigungsansprüche nach § 642 und Schadensersatzforderungen aus Leistungsstörungen (insb. Verzug und Schlechterfüllung).

c) Es besteht nur an Sachen, die dem Besteller gehören (Sachen „des Bestellers“. Damit ist Eigentum, nicht bloß Besitz gemeint; ganz herrschende Meinung). Häufig ist aber der Besteller nicht der Eigentümer, der Besteller kann die auszubessernde Sache geliehen, gemietet, unter Eigentumsvorbehalt gekauft haben. Der meisterörterte Fall ist 25 BGHZ 40, 71; BGH NJW 73, 318; 80, 2190; 81, 391; 82, 1458; 98, 456. 26 S. Erman/Schwenker, § 645 Rdn. 10. Zur analogen Anwendung von § 645 auf die Fallgruppe der Zweckstörung s. o. Rdn. 395.

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Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag

§ 84 V

der, dass der Ratenkäufer eines Autos das Auto reparieren oder den Kundendienst versehen lässt, noch ehe es voll bezahlt ist. Dann ist Eigentümer während und nach der Reparatur immer noch der Lieferant (§ 449) und nicht der Besteller, der den Werklohn schuldet. Die Frage lautet dann: wie ist der Unternehmer gesichert? Die Beantwortung dieser Frage gehört immer noch zu den umstrittensten Problemen im Bereich des Ineinandergreifens von Schuld- und Sachenrecht. Sie rührt an Grundfragen des Begriffs des dinglichen Rechts.

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aa) Zunächst versuchte ein Teil der Doktrin, mit einer „Verpflichtungsermächtigung“ zu helfen, die der Vorbehaltsverkäufer und Eigentümer dem Ratenkäufer ausdrücklich oder stillschweigend gleichzeitig mit dem Kaufvertrag erteilt: Der Verkäufer ermächtigt den Ratenkäufer, bei erforderlich werdenden Reparaturen den Werkvertrag zugleich für und gegen den Eigentümer abzuschließen. Dieser wird dadurch Partei des Werkvertrags und damit Pfandschuldner, so z. B. Bettermann, JZ 51, 321; Westermann, Sachenrecht, § 133 I. Dieser Annahme steht aber tatsächlich der regelmäßig anzunehmende Wille des Verkäufers entgegen, aus dem Werkvertrag nicht verpflichtet zu werden (insb. nicht auf Zahlung des Werklohns); eine Spaltung von Berechtigung und Verpflichtung erscheint aber unmöglich. Rechtlich betrachtet ist die Verpflichtungsermächtigung aber auch grundsätzlich abzulehnen, siehe oben Rdn. 746. bb) Da der Weg über die Verpflichtungsermächtigung abgelehnt wurde, schlug man eine sachenrechtliche Ermächtigung gem. § 185 vor, durch die der Vorbehaltsverkäufer und Eigentümer den Käufer ermächtigt, bei Reparaturen dem Werkunternehmer ein Unternehmerpfandrecht zu bestellen. Nun ist zwar die Ermächtigung zu rechtsgeschäftlichen sachenrechtlichen Verfügungen möglich, aber das Unternehmerpfandrecht entsteht kraft Gesetzes, 647. Eine Ermächtigung zu gesetzlichen Pfandrechten ist begrifflich schwer vorstellbar, vgl. aber Medicus, BürgR, Rdn. 594. Die Ermächtigung zur Bestellung eines Vertragspfandes (1204 ff) ist zwar möglich, aber für den Regelfall nicht anzunehmen, weil der Eigentümer dadurch zu große Risiken eingehen würde.

cc) Angesichts dieser Schwierigkeiten, dem Werkunternehmer bei Arbeiten an Sachen, die dem Besteller nicht gehören, eine hinreichende Sicherung zu verschaffen, vertrat die früher herrschende Meinung, dass der Unternehmer das gesetzliche Pfandrecht des § 647 gutgläubig erwirbt, wenn er den Besteller ohne grobe Fahrlässigkeit für den Eigentümer hält. Der gutgläubige Erwerb wurde auf eine Analogie zu § 1207 gestützt, wobei man sich über das Wort „entstanden“ in § 1257 bei besitzgebundenen Pfandrechten wie dem Unternehmerpfandrecht glaubte hinwegsetzen zu dürfen. Außerdem bot sich die Analogie zu § 366 III HGB an.27

dd) Der BGH (BGHZ 34, 122, 153) hat die herrschende Meinung unter Berufung auf das Wort „entstanden“ in § 1257 und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes abgelehnt. § 1257 verweist gerade nicht auf § 1207, und § 366 III HGB sei eine handelsrechtliche Sonderregelung. Wortlaut und Systematik wären allein wohl nicht überzeugend. Das Urteil verdient aber Zustimmung, weil – wie es zutreffend ausführt – das Abstellen auf den guten Glauben bei der Entstehung gesetzlicher Pfandrechte nicht sinngemäß ist. Das zeigt sich u. a. bei der Überlegung, dass nicht nur bei einigermaßen neuen, sondern wegen des Gebrauchtwagenhandels praktisch bei jedem Kraftfahrzeug mit einem Eigentumsvorbehalt gerechnet werden muss, was aber auf das Sicherungsbedürfnis des Werkunternehmers keinen Einfluss hat oder haben darf. Zudem begrenzen die §§ 994 ff den Ersatz auf notwendige Verwendungen. Nach der zu billigenden Auffassung des BGH ist die Rechtslage wie folgt: Gegen den Besteller hat der Werkunternehmer bis zur Bezahlung des Werklohns ein Zurückbehaltungsrecht, 273.

27 Vgl. Baur/Stürner, § 55 C II 2 a; Westermann, Sachenrecht, § 133 II.

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Hinsichtlich des Eigentümers ist zu unterscheiden: (1) Ist der Vorbehaltsverkäufer wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten, weil der Käufer ihm gegenüber seine Pflichten nicht erfüllt hat (§§ 449, 498, 499ff), so hat der Eigentümer den Herausgabeanspruch des § 985. Weder der Käufer noch der Werkunternehmer sind dem Eigentümer gegenüber aus dem Kaufvertrag nach § 986 I zum Besitz berechtigt. Dem Werkunternehmer steht aber ein Verwendungsanspruch und damit ein Zurückbehaltungsrecht gegen den Eigentümer zu, das zur Erhebung einer Einrede gem. §§ 994, 1000 berechtigt, bis er wegen seiner Verwendungen befriedigt ist. Das gilt auch in Analogie für die Verwendungen, die noch vor dem Rücktritt, also zur Zeit der vertraglichen Besitzberechtigung des Käufers und des Werkunternehmers nach § 986 I 1 gemacht wurden. Sonst stünde ein von vornherein unberechtigter Besitzer besser als ein zunächst zum Besitz Berechtigter. Über das Verweigerungsrecht hinaus hat der Unternehmer gemäß § 1003 das Recht, sich aus der Sache im Wege des Pfandverkaufs zu befriedigen, falls der Eigentümer die Verwendungen nicht genehmigt. Somit ist der Unternehmer wirtschaftlich ausreichend abgesichert, so dass das Hauptargument für die Annahme des gutgläubigen Erwerbs des Pfandrechts nach § 647 entkräftet ist. Nach § 1002 gilt allerdings, dass eine zwischenzeitliche Rückgabe der Sache an den Besteller das Zurückbehaltungsrecht hindert.28 (2) Erfüllt dagegen der Käufer seine Pflichten gegenüber dem Vorbehaltsverkäufer und Eigentümer, nicht aber gegenüber dem Werkunternehmer, so kann der Vorbehaltsverkäufer nicht zurücktreten, und Käufer und Werkunternehmer sind dem Eigentümer gegenüber besitzberechtigt, 985, 986 I 1. Mithin fehlt es an der „Vindikationslage“. Demzufolge finden auch §§ 994, 1000 keine Anwendung. Raiser nimmt bei dieser Sachlage, mit welcher der BGH sich noch nicht auseinanderzusetzen hatte, ein gesetzliches Pfandrecht des Werkunternehmers nach § 647 an der Eigentumsanwartschaft (§§ 449, 158 I, 929) des Käufers an. Es handelt sich um ein Pfandrecht an einem Recht (§§ 1257, 1273 ff), das sich im Falle der Vollzahlung entsprechend § 1287 in ein Pfandrecht an der Sache verwandelt. Tritt der Vorbehaltsverkäufer nach Entstehung des Pfandrechts an der Anwartschaft wirksam zurück, gehen Anwartschaft und Pfandrecht daran ex nunc unter, dem Werkunternehmer verbleibt das Zurückbehaltungsrecht gem. §§ 994, 1000 gegen den nun an sich herausgabeberechtigten Eigentümer, 985, und zwar auch wegen der früheren Verwendungen (siehe oben). d) Das Pfandrecht besteht nur an beweglichen Sachen, 647, oder an Anwartschaften an beweglichen Sachen (oben c). e) Das Pfandrecht besteht für die Forderungen aus dem Werkvertrag nicht für andere Forderungen, auch nicht für die Erfüllungshaftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht (179 I), der den Werkvertrag ohne Vollmacht schloss. Der Schutz des fälschlich Vertretenen geht vor; das Risiko des Mangels der Vertretungsmacht trifft den Werkunternehmer, „fremde“ Sachen sollen ihm nicht haften.

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2. Der Unternehmer eines Bauwerks oder Bauwerkteils, praktisch also der Bauunternehmer, der Bauhandwerker, der Statiker (BGHZ 68, 208), der das Haus einmessende Vermessungsingenieur (BGHZ 58, 225), auch der Architekt 29 kann für seine Forderung die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Baugrundstück des Bestellers verlangen, 648, 1184 ff („Bauhandwerkerhypothek“). Die Praxis hilft sich, indem sie in ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine vertragliche Verpfändungsklausel aufnimmt; dies wurde vom BGH (BGHZ 68, 323) gebilligt. Dabei muss der Umfang der Hypothek ausdrücklich bestimmt werden, BGH NJW 74, 1761. Solange freilich das Werk mangelhaft ist, kann der Unternehmer die Einräumung der Sicherungshypothek nicht verlangen, BGHZ 68, 180. § 648 ist das Gegenstück zu § 647 für den Bereich der Immobilien.

28 BGHZ 51, 250 (wo i. ü. BGHZ 34, 122, 153 bestätigt werden; dazu Berg, JuS 70, 15; Schwerdtner, JuS 70, 64). Der BGH greift damit zu Recht auf eine ältere Rechtsprechung zurück, BGHZ 27, 317, 326 (gegen RGZ 142, 417). 29 BGHZ 31, 224; 51, 190; a. A. Tempel, JuS 73, 414.

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Werkvertrag, Werkverschaffungsvertrag, Werklieferungsvertrag

§ 84 VII

Die Hypothek entsteht also, anders als das Pfandrecht des § 647, nicht kraft Gesetzes, sondern kraft Bewilligung des Bestellers (§§ 873, 19 GBO) oder rechtskräftigen Urteils auf Eintragung. Der Anspruch aus § 648 kann durch Vormerkung gesichert werden, 883, auch auf einstweilige Verfügung hin, 885.30 3. § 648 a gibt dem Unternehmer eines Bauwerks das Recht, vom Besteller für Vorleistungen Sicherheitsleistung zu verlangen. Die Vorschrift gibt aber kein Klage-, sondern nur ein Leistungsverweigerungsrecht. Der Besteller kann wählen, welche Sicherheit er stellt, z. B. eine Bankbürgschaft. Die Vorschrift ist unabdingbar, § 648 a VII.

VI. Vorzeitige Beendigung des Werkvertrages 1. Kündigungsrecht des Bestellers, § 649 Ein allgemeines Kündigungsrecht besteht gem. § 314 nur bei Dauerschuldverhältnissen, und das nur „aus wichtigem Grund“. Das spezielle Kündigungsrecht des § 649 setzt keinen besonderen Grund voraus und lässt sich nur aus dem Wesen des Werkvertrages erklären: Weil die Herstellung des Werkes allein im Interesse des Bestellers erfolgt, hat der Unternehmer keinen Anspruch auf Erstellung und Fertigstellung des Werkes. Die Interessen des Unternehmers werden dadurch gewahrt, dass er den Werklohn abzüglich seiner Ersparnisse und der anderweitigen Verwendung seiner Arbeitskraft erhält. Die übrigen noch nicht erfüllten Pflichten der Parteien erlöschen mit der Kündigung ex nunc, für die Vergangenheit bleibt aber der Werkvertrag in Kraft, d. h. dass z. B. bereits erbrachte Leistungen nicht ohne Rechtsgrund erbracht sind. Der Anspruch des Unternehmers aus § 649 auf die vereinbarte Vergütung für die noch ausstehende Leistung entfällt, wenn der Besteller den Vertrag wegen eines Vertragszweck gefährdenden Verhaltens des Unternehmers gekündigt hat.31

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2. Kostenanschlag, § 650 a) Wird ein „verbindlicher Kosten(vor)anschlag“ überschritten, so geht die Überschreitung zu Lasten des Unternehmers, vgl. dazu.32 Der Besteller schuldet nur den vereinbarten Werklohn. Ob ein Voranschlag verbindlich gemeint ist, d. h. – wie § 650 es sagt – die Gewähr für seine Richtigkeit übernommen wurde, ist Auslegungsfrage.

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b) Meist sind Kostenanschläge unverbindlich. Hiervon handelt § 650. Trotz Unverbindlichkeit hat ein Kostenanschlag zwei Wirkungen: aa) Der Unternehmer muss, wenn Überschreitung droht, dem Besteller unverzüglich Anzeige machen. Unterlässt er dies schuldhaft, so haftet er wegen Verletzung der in § 650 II ausgesprochenen Pflicht auf den durch die Unterlassung entstandenen Schaden (nicht aber auf die Überschreitung!). bb) Der Besteller kann kündigen, 650 I, 649. Dann aber wird der Ersatz des Unternehmers nicht nach § 649, sondern nach § 645 I berechnet: er enthält nur Teillohn und Auslagen, büßt also vom Gewinn etwas ein.

VII. Werklieferungsvertrag Der Werkvertrag ist nicht nur vom Dienstvertrag abzugrenzen. Soweit der geschuldete Erfolg in der Herstellung einer Sache besteht, treten Abgrenzungsschwierigkeiten 30 Da auch dies oft zu spät kommt, kann sich der Bauunternehmer nur mittels Teilzahlungen nach Bauabschnitten helfen, vgl. § 641 I 2. 31 BGHZ 31, 229; 131, 362. 32 Köhler, H., NJW 83, 1633ff.

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§ 84 VII

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

zum Kaufvertrag auf. Der Kaufvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass der Verkäufer zur Übereignung und Übergabe einer fertigen Sache verpflichtet wird, während beim Werkvertrag die Herbeiführung eines Erfolgs, nämlich die Herstellung oder Veränderung der Sache im Mittelpunkt steht. Beispiele: a) A verpflichtet sich, dem B einen Anzug zu schneidern. b) Bildhauer C verpflichtet sich, für D eine Statue zu erstellen. c) F erwirbt von E ein Grundstück mit einem neu gebauten Haus. Liegt ein Kauf- oder ein Werkvertrag vor?

Wird die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen geschuldet („Werklieferungsvertrag“), ordnet § 651 die Anwendung des Kaufrechts an. Dies gilt gerade auch dann, wenn im Schwerpunkt die Herbeiführung eines Erfolgs geschuldet wird, also eigentlich ein Werkvertrag vorliegt. Ist eine nicht vertretbare Sache herzustellen (s. § 91), sind zusätzlich einige werkvertragliche Bestimmungen anwendbar, § 651 S. 3 (lesen!). a) Im Schneiderbeispiel schuldet A die Herstellung einer Sache, also die Herbeiführung eines Erfolgs. Vom Typus liegt also eigentlich ein Werkvertrag vor. Weil es sich bei dem Anzug um eine bewegliche Sache handelt, ist aber gem. § 651 S. 1 Kaufrecht anwendbar. Da die Individualanfertigung zur Erstellung einer nicht vertretbaren Sache führt, sind zusätzlich gem. § 651 S. 3 einige Vorschriften des Werkvertragrechts anzuwenden. Im Gegensatz zum alten Recht ist es nicht mehr von Belang, ob der zur Erstellung des Werks erforderliche Stoff vom Unternehmer oder vom Besteller zu beschaffen ist, oder ob der Unternehmer nur zur Beschaffung von Nebensachen verpflichtet ist. Es ist also unerheblich, ob der Stoff für den Anzug von A oder von B stammt. b) Bei der Erstellung eines Kunstwerkes geht es in erster Linie nicht um die „Herstellung einer beweglichen Sache“, sondern um eine geistige Leistung. Es ist deshalb Werkvertragsrecht und nicht über § 651 Kaufrecht anwendbar.33

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Die weitgehende Unterstellung der Werklieferungsverträge unter das Kaufrecht beruht auch auf Art. 1 IV der Verbrauchsgüterkauf-RiLi, der als Kaufverträge im Sinn der Richtlinie „auch Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter“ erfasst.34 Die Anwendung von Kaufrecht hat zwei wichtige praktische Konsequenzen: Das Wahlrecht zwischen Nachbesserung und Nachlieferung liegt nun beim Käufer, nicht wie beim Werkvertrag beim Unternehmer. Andererseits hat der Käufer im Gegensatz zum Besteller kein Recht auf Selbstvornahme. – Wenn § 634 a I Nr. 1 von der „Herstellung … einer Sache“ spricht, kann damit nicht die Herstellung beweglicher Sachen gemeint sein, weil hierauf wegen § 651 S. 1 Kauf- und nicht Werkvertragsrecht anwendbar ist. Die Anwendung von Kaufrecht hat zur Folge, dass auch die kaufrechtlichen Regeln über die Gefahrtragung Anwendung finden. Im Prinzip trägt also der Verkäufer die Sachgefahr. Nur wenn die bewegliche Sache aus einem Stoff des Käufers hergestellt werden soll, trägt dieser insoweit die Sachgefahr. Für Stückschulden liegt die Leistungsgefahr beim Käufer, für Gattungsschulden bis zur Konkretisierung, bzw. bis zum Annahmeverzug beim Verkäufer. Die Preisgefahr liegt im Prinzip beim Verkäufer, § 326 I 1 Halbs. 1; zu den Details und Ausnahmen s. o. Rdn. 813 ff.

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Ein anderes Abgrenzungsproblem zwischen Kauf- und Werkvertrag betrifft Immobilien. Ist auf die Pflicht zur Übereignung und Übergabe eines neu hergestellten Hauses Kauf- oder Werkvertragsrecht anwendbar? Die Rechtsprechung vor der Schuldrechtsmodernisierung wandte Werkvertragsrecht an, selbst wenn die Parteien ihren Vertrag als Kaufvertrag bezeichnet hatten, und zwar selbst bei Erwerb von Altbauten, soweit

33 A. A. Metzger, AcP 204 (2004) 231 (263). 34 Vgl. GesBegr BT-Drs 14/6040, 268.

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Reisevertrag

§ 85 I

eine umfassende Sanierung erfolgte.35 Diese Rechtsprechung war ergebnisorientiert: Die kaufrechtliche Gewährleistungsfrist war mit einem Jahr sehr kurz und Nacherfüllungsansprüche bestanden im alten Kaufrecht nicht. Dies hat sich durch die Schuldrechtsmodernisierung geändert: Sowohl im Kauf- als auch im Werkvertragsrecht bestehen jetzt Ansprüche auf Nacherfüllung; die gewährleistungsrechtliche Verjährungsfrist wurde in beiden Vertragstypen auf einheitlich fünf Jahre für Bauwerke festgesetzt (§§ 438 I Nr. 3, 634 a I Nr. 2). Auf Verträge über den Erwerb bereits errichteter Bauwerke sollte deshalb jetzt einheitlich Kaufrecht angewendet werden (s. o. Rdn. 888).36 Nur wenn der Vertrag zukunftsbezogen ist, d. h. ein Gebäude erst noch errichtet werden soll, bzw. andere Arbeiten unternommen werden sollen, liegt ein Werkvertrag vor. In Beispiel c) liegt in Bezug auf den Erwerb des Grundstücks zweifellos ein Kaufvertrag vor. Aber auch in Bezug auf den Erwerb des Hauses sollte man nach modernisiertem Schuldrecht einen Kaufvertrag annehmen: Das Haus ist bereits fertiggestellt; die Annahme eines Werkvertrags scheitert deshalb an der fehlenden Zukunftsbezogenheit.

§ 85 Reisevertrag Führich, Reiserecht, 4. Aufl. (2002); ders., NJW 2002, 1082; Kaller, Reiserecht, 2. Aufl. (2005); Martis, MDR 2003, 191; Neuner, AcP 193 (1993) 1; Niehuus, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.) Das Neue Schuldrecht (2002) § 11; Schmid, NJW 2002, 3510; Teichmann, JZ 2006, 445, 499; Tonner, Der Reisevertrag, 4. Aufl. (2000); ders., NJW 2003, 2783.

I. Allgemeines Der Reisevertrag (§§ 651 aff) hat seine systematische Stellung in Titel 9, Untertitel 2 des BGB. Bereits hieraus wird deutlich, dass er ein dem Werkvertrag „ähnlicher“ Vertrag ist. Spezialregeln für den Reisevertrag wurden aufgenommen, weil das Werkvertragsrecht nicht für ausreichend erachtet wurde. Zwar ist beim Reisevertrag wie beim Werkvertrag auch ein Erfolg geschuldet (die ganze Reiseveranstaltung); im Unterschied zum Werkvertragsrecht wählt dagegen der Reiseveranstalter eine Gesamtheit von Einzelleistungen (zum Beispiel Flugreise, Unterkunft, Reiseleitung, Verpflegung) aus und bietet sie dann in der Regel als Pauschalreise an. Eine gesetzliche Regelung wurde wegen der stark gestiegenen wirtschaftlichen Bedeutung von Pauschalreisen auch deshalb notwendig, um den Reisenden als Verbraucher zu schützen. Schließlich wollte der Gesetzgeber ein Leitbild der Rechtsbeziehung zwischen Reiseveranstalter und Reisendem erstmals entwickeln. Das Reisevertragsrecht geht den Regeln über den Werkvertrag vor. Werkvertragliche Regeln sind nur anwendbar, soweit die betreffende Frage im Reisevertragsrecht nicht abschließend geregelt ist. Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung wurden die Vorschriften über den Reisevertrag nicht gründlich umgestaltet. Die Terminologie entspricht deshalb teilweise noch dem Rechtszustand vor der Modernisierung (s. z. B. in

35 BGHZ 74, 204; 100, 391; BGH NJW 2006, 214 (zum alten Recht). 36 In diesem Sinn auch S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht Rdn. 628; MüKo/Westermann, Vor § 433 Rdn. 25.

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§ 85 II

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

§ 651c I die „zugesicherten Eigenschaften“ und „Fehler“; in 651f I den „Schadensersatz wegen Nichterfüllung“ anstelle von „Schadensersatz statt der Leistung“). Zahlreiche Normen des Reisevertragsrechts gehen auf die EG-Pauschalreise-RiLi 1 zurück und sind deshalb richtlinienkonform auszulegen.

II. Begriff und Parteien 1229

1. Anwendungsbereich der §§ 651a–m ist der Vertrag über eine Gesamtheit von Reiseleistungen, also nach der Legaldefinition in § 651a I 1 die „Reise“. Das müssen mindestens zwei auf die Reise bezogene Leistungen sein. Damit ist klargestellt, dass die Erbringung einer einzelnen Reiseleistung, die sog. Individualreise, nicht unter die §§ 651aff fällt. Für diesen Fall bleiben die anderen Vertragstypen, also z. B. Werkvertrags- oder Mietrecht anwendbar. Der Begriff Reisevertrag „vernebelt“ 2 diesen eingeschränkten Anwendungsbereich; besser spräche man vom Reiseveranstaltungsvertrag. Beispiele: Bei der Pauschalreise liegt typischerweise eine Gesamtheit von Reiseleistungen vor, nämlich Transport, Unterkunft, Verpflegung etc. – Gegenbeispiel ist die isolierte Buchung eines Flugs, eines Hotels, eines Mietwagens, etc. – Die Rechtsprechung hat diesen Unterschied allerdings durch extensive oder analoge Anwendung der §§ 651 aff verwischt. So wurden die Regeln über den Reisevertrag auch auf typische Einzelleistungen angewendet, z. B. die Anmietung eines Wohnmobils,3 das Chartern eines Bootes 4 oder die Buchung eines Ferienhauses.5 Abgrenzungskriterium soll sein, ob „die Reise selber“ (nämlich deren erfolgreiche Gestaltung) oder lediglich die Erbringung der Teilleistung geschuldet wird.

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Um eine Gesamtheit von Reiseleistungen handelt es sich auch bei der Veranstaltung von Gastschulaufenthalten, z. B. der Organisation eines Schüleraustauschs. Dauert der Schulaufenthalt mindestens drei Monate und wird der Schüler bei einer Gastfamilie untergebracht, gilt zusätzlich zu den §§ 651aff die Vorschrift des § 651l (lesen!). 2. Reiseveranstalter ist, wer Reiseleistungen als eigene anbietet. Gewerbliche Tätigkeit und Gewinnstreben sind nicht erforderlich, so dass auch der eine Reise anbietende Sportclub Reiseveranstalter ist. Reiseveranstalter ist damit grundsätzlich nicht das Reisebüro, das den Reisevertrag zwischen Reisendem und Reiseveranstalter nur vermittelt. Tritt das Reisebüro bei objektiver Würdigung der Gesamtumstände aus der Sicht des Reisenden (z. B. aufgrund eigener Werbung in eigenen Reiseprospekten 6) aber so auf, als würde es eigene Reiseleistungen anbieten, dann ist es nach den in § 651 a II konkretisierten allgemeinen Rechtsgrundsätzen der §§ 133, 157 Reiseveranstalter. § 651 a II stellt klar, dass die Stellung als Reiseveranstalter nicht durch Erklärungen zwischen den Parteien berührt wird. Solche Vermittlerklauseln sind gem. § 651 a II unbeachtlich. Die Eigenschaft als Reiseveranstalter kann also nicht durch Parteivereinbarung wegdefiniert werden. Entscheidend ist, ob jemand aus der Sicht des Reisenden als Reiseveranstalter auftritt.

Ist das Reisebüro nach diesen Grundsätzen nur als Vermittler, aber nicht selbst als Veranstalter einzustufen, kommen gegen das Reisebüro nur Ansprüche wegen Verletzung des Geschäftsbesorgungsvertrags in Betracht. – Der Reisende steht i. d. R. nur mit dem Reiseveranstalter in direkten Rechtsbeziehungen. Dieser schließt die Verträge mit

1 2 3 4 5 6

Richtlinie 90/314/EWG des Rates über Pauschalreisen v. 13. 6. 1990 (ABl. L 158/59). MüKo/Tonner, § 651 a Rdn. 1. OLG Karlsruhe NJW-RR 1988, 954. BGH NJW 1995, 2629. BGH NJW 1992, 3158. BGH NJW 1985, 906.

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Reisevertrag

§ 85 III

den Leistungsträgern ab, also mit denjenigen, welche die einzelnen Reiseleistungen ausführen (Fluggesellschaft, tour operator, Hotel, nicht aber das Reisebüro, s. die Legaldefinition in § 651a II). Die Rechtsprechung nimmt aber zugunsten des Reisenden an, dass häufig ein Vertrag zugunsten Dritter, nämlich des Reisenden vorliegt, §§ 328 ff. Der Reisende hat dann gem. § 328 I unmittelbar das Recht, die betreffende Leistung vom Leistungsträger zu verlangen (z. B. den Flug oder die Unterkunft). § 334 soll abbedungen sein: Der Leistungsträger kann dann seine Einwendungen aus dem Verhältnis zum Reiseveranstalter dem Reisenden nicht entgegensetzen.7 3. Reisender i. S. d. §§ 651a ff ist der Vertragspartner des Reiseveranstalters, also derjenige, der im eigenen Namen für sich oder andere Reiseteilnehmer eine Reise bucht.8 Vertretung ist selbstverständlich möglich. Wird für mehrere Personen gebucht, kommen Reiseverträge i. d. R. mit jeder Person einzeln zustande.9 Der Buchende haftet also nicht für alle. Der Reisende hat oft schon Monate vor dem geplanten Reisebeginn den Reisevertrag abgeschlossen. Wenn er wegen unvorhergesehener Ereignisse (er bekommt den Urlaub nicht genehmigt oder wird krank) die Reise nicht antreten kann, dienen zwei Vorschriften dazu, ihn nicht an der Reise festzuhalten. Um hohe Stornogebühren zu vermeiden, hat der Reisende die Ersetzungsbefugnis des § 651b; sie gibt dem Reisenden das Recht, eine Ersatzperson für die Reise zu bestimmen. Daneben bleibt dem Reisenden das Recht, bis zum Antritt der Reise ohne Grund vom Vertrag zurückzutreten, § 651 i. In diesem Fall werden allerdings (zeitlich gestaffelte) Stornokosten fällig.

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Das Recht zur Bestimmung einer Ersatzperson in § 651b sollte als Fall der Vertragsübernahme gedeutet werden (str.).10 Der Reisende „kann verlangen“, dass ein Dritter in den Reisevertrag eintritt. Anders als in den §§ 566, 613 a erfolgt der Eintritt also nicht ex lege. Es handelt sich deshalb nicht um ein Gestaltungsrecht, sondern um die Aufforderung zur Mitwirkung bei der Vertragsübertragung (str.).11

III. Rechte und Pflichten; Reisemangel 1. Der Reiseveranstalter ist gem. §§ 651a I 1, 651c I zur mangelfreien Erbringung der Reise verpflichtet. Nach § 651a III hat er dem Reisenden bei oder unverzüglich nach Vertragsschluss eine Reisebestätigung zur Verfügung zu stellen. Die Einzelheiten ergeben sich aus §§ 4 ff BGB-InfoV. Dort sind auch zahlreiche Nebenpflichten des Reiseveranstalters niedergelegt, z. B. Pflichten zur Information über Pass- und Visumserfordernisse und gesundheitspolizeiliche Formalitäten, wie z. B. Impfpflichten. Außerdem hat der Reiseveranstalter gem. § 651k dafür zu sorgen, dass der Reisende gegen das Risiko der Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des Veranstalters geschützt wird. Dazu ist dem Reisenden ein unmittelbarer Anspruch gegen eine Versicherung oder eine Bank zu verschaffen. Hierüber muss ein Sicherungsschein ausgestellt werden,

7 BGHZ 93, 271: Der Reisende kann hiernach seinen Anspruch gegen den Leistungsträger selbst dann durchsetzen, wenn dieser vom Reiseveranstalter nicht bezahlt wurde. 8 BGH NJW 2002, 2238 (2239). 9 Vgl. BGH 1989, 2750. Etwas anderes gilt bei Familienangehörigen: Hier wird nur der Buchende Vertragspartner, OLG Düsseldorf NJW-RR 1991, 1202. Die anderen Reiseteilnehmer haben u. U. eigene Erfüllungsansprüche (§ 328 I) und Schadensersatzansprüche. 10 Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring/Niehuus, Das Neue Schuldrecht § 11 Rdn. 21; zur Vertragsübernahme s. o. Rdn. 759. 11 A. A. Jauernig/Teichmann, § 651b Rdn. 3.

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§ 85 III

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

der dem Reisenden zu übergeben ist, § 651k III. Vor Übergabe des Sicherungsscheins ist der Reisende nicht zur Zahlung verpflichtet. Die Regelung beruht auf Art. 7 der EG-Pauschalreise-RiLi. Deutschland hatte die Richtlinie nicht rechtzeitig zum 31. 12. 1992 umgesetzt. Deutsche Urlauber saßen im Ausland fest, weil ihr Reiseveranstalter zahlungsunfähig geworden war, und ihre Rückreise ausfiel. Der EuGH entschied in „MP Travel Line“, dass Deutschland nach den „Francovich“-Grundsätzen den durch die Nichtumsetzung der Richtlinie entstandenen Schaden zu ersetzen habe.12

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2. Der Reisende ist gem. § 651a I 2 verpflichtet, den vereinbarten Reisepreis zu zahlen. Häufig sieht der Vertrag die Möglichkeit von Preisänderungen, einer Änderung von Reiseleistungen oder einer Reiseabsage vor. Dann sind § 651a IV und V zu beachten: Preiserhöhungen sind nur unter den dort genannten Voraussetzungen möglich. Erhöht sich der Reisepreis um mehr als 5 %, kann der Reisende (kostenfrei) zurücktreten, § 651 a V 2. 3. Ein Reisemangel liegt gem. § 651c I vor, wenn der Reise zugesicherte Eigenschaften fehlen oder sie mit einem Fehler behaftet ist, der den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufhebt oder mindert. Diese Definition entspricht der Mängeldefinition des Werkvertragsrechts vor der Schuldrechtsmodernisierung. Fehler ist die dem Reisenden nachteilige Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit. Zum Begriff des Reisemangels liegt eine umfangreiche Kasuistik vor. Ein Fehler liegt immer dann vor, wenn eine geschuldete Leistung nicht wie versprochen erbracht wird. Beispiele: Niedrigere Hotelkategorie, verschmutzte Zimmer, fehlender Service, erhebliche Verspätungen, Lärm jeglicher Art (z. B. Bauarbeiten, Musikbeschallung durch Lautsprecheranlagen, mikrophonverwendende Animateure, lärmerzeugende Haus- und Gartengeräte, Nichteinhaltung von „siesta“ oder Sperrstunde; bei sämtlichen Lärmbelästigungen dieser Art ist es gleichgültig, ob sie vom hoteleigenen oder von einem benachbarten Grundstück ausgehen), verdorbene Speisen, abweichende örtliche Lage, trotz Zusage kein Meerblick.

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Kein Mangel sind dagegen bloße Unannehmlichkeiten, die im Zeitalter des Massentourismus hinzunehmen sind. Dafür spielt die Ortsüblichkeit – insbesondere im Ausland – eine wichtige Rolle. Keine Reisemängel sind beispielsweise ungewohntes Essen, Mücken am Strand oder Kinderlärm.13 Für die Festlegung der Sollbeschaffenheit ist auch die Art der Reise von Bedeutung, z. B. Badeurlaub oder Abenteuerreise. Im Prinzip ist es unerheblich, ob der Grund für die Störung der Reise aus der Sphäre des Veranstalters oder von außerhalb stammt. Auch Sicherheitsdefizite oder andere Fälle höherer Gewalt können zu einem Mangel der Reise führen, wenn hierdurch die geschuldete Leistung nicht wie versprochen erbracht werden kann. Beispiel: Ein Staudamm bricht mit der Folge, dass es im Hotel weder Strom noch Wasser gibt. – Ein Vulkanausbruch steht kurz bevor, so dass die Hotelanlage geräumt wird. – Aufgrund eines Terroranschlags wird der geplante Flug annulliert.

Dabei ist allerdings genau zu ermitteln, wie die Sollbeschaffenheit der Reise zu definieren ist. Der Reiseveranstalter schuldet nicht einen ökologischen und allgemein-politischen Idealzustand. Ist das Meer algenverseucht oder ist im Nachbarland eine politi-

12 EuGH, 8. 10. 1996, C-178/94 – MP Travel Line, Slg 1996, I-4845. S. hierzu Streinz/Leible, ZIP 1996, 1931 und bereits Khan, NJW 1993, 2646. 13 Auch nicht die Anwesenheit von geistig Behinderten im Urlaubshotel, abzulehnen deshalb AG Flensburg NJW 1993, 272.

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Reisevertrag

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sche Krise ausgebrochen, so liegt im Grundsatz erst einmal kein Reisemangel vor.14 Erst wenn diese Faktoren einen Einfluss auf die Reiseleistungen haben, wird die Sollbeschaffenheit unterschritten. Etwas anderes gilt selbstverständlich, wenn bestimmte Eigenschaften zugesichert wurden, oder wenn Informationspflichten verletzt wurden, z. B. durch eine falsche Auskunft auf eine Anfrage des Reisenden hin. Ein Mangel liegt nicht vor, wenn die Störung der Reise auf der Person des Reisenden beruht, z. B. auf einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit. – Etwas anderes gilt, wenn besondere Absprachen getroffen wurden, z. B. über eine behindertengerechte Ausstattung der Hotelanlage.

IV. Mängelgewährleistung 1. Abhilfe, Minderung, Kündigung Die Rechtsfolgen der §§ 651 c–e treten unabhängig davon ein, ob der Reiseveranstalter den Mangel zu vertreten hat. Nach § 651 c II kann der Reisende vom Reiseveranstalter Abhilfe verlangen. Dies entspricht dem Nacherfüllungsanspruch beim Werkvertrag. Der Anspruch geht auf eine zumindest gleichwertige, mangelfreie Ersatzleistung (Verlegung in ein einwandfreies Zimmer, ausreichender Service, besseres Essen, etc.). Die Kosten trägt der Veranstalter (§ 635 II analog). Ist ein „unverhältnismäßiger Aufwand“ erforderlich, kann sich der Veranstalter weigern, § 651 c II 2 (wie § 635 III). Das Abhilfeverlangen ist an den Reiseveranstalter, bzw. dessen Vertreter, z. B. die örtliche Reiseleitung zu richten (s. § 8 I 1 Nr. 3 BGB-InfoV). Der Reisende sollte eine angemessene Frist setzen. Nach erfolglosem Ablauf der Frist kann der Reisende selbst Abhilfe schaffen und Aufwendungsersatz verlangen, § 651c III. Die Minderung gem. § 651d tritt wie bei der Miete (§ 536 I) ohne eine Erklärung des Berechtigten kraft Gesetzes ein. Der Reisende schuldet also ohne weiteres nur den geminderten Reisepreis; bei einem vorausbezahlten Reisepreis hat der Reisende einen Rückerstattungsanspruch gem. §§ 651d I 2, 638 IV. Voraussetzung ist gem. § 651d II, dass der Reisende den Mangel unverzüglich anzeigt.15 Schließlich hat der Reisende ein Kündigungsrecht gem. § 651e, das dem Rücktrittsrecht beim Werkvertrag ähnelt. Ein Rücktritt würde aber – wie bei Dauerschuldverhältnissen – bei der Rückabwicklung Schwierigkeiten bereiten, wenn bereits ein Teil der Reise angetreten ist. Voraussetzung für die Kündigung ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise (ab ca. 20 %) oder Unzumutbarkeit, jeweils infolge des Mangels. Zusätzlich muss der Reisende dem Reiseveranstalter nach § 651e II eine angemessene Frist setzen, die der Reiseveranstalter verstreichen lässt, ohne Abhilfe zu schaffen. Auch vor Antritt der Reise ist eine Kündigung möglich. Als Folge der Kündigung entsteht ein Rückabwicklungsverhältnis i. S. v. § 346; § 818 III ist nicht anwendbar.16 Der Reiseveranstalter verliert den Anspruch auf den Reisepreis (§ 651e III 1); er ist – wie bei der Minderung – zur Rückgewähr verpflichtet, soweit er den Reisepreis schon erhalten hat (§ 651 d I 2 analog). Der Reiseveranstalter hat einen Teilvergütungsanspruch, der jedoch entfällt, wenn diese Leistung für den

14 Zu den Algenfällen s. LG Frankfurt NJW-RR 1990, 761. 15 Hilfreich für Ansprüche aufgrund Minderung ist die „Frankfurter Tabelle“ des LG Frankfurt/M. (abgedruckt in NJW 1985, 113; Ergänzung in NJW 1994, 1639), s. hierzu MüKo/Tonner, Vor § 651a Rdn. 73. 16 So die h. M., s. BGHZ 85, 50.

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Reisenden kein Interesse mehr hatte, § 651 e III 2 und 3, z. B. unzumutbare Unterkunft. Schließlich besteht eine Rückbeförderungspflicht gem. § 651e IV. Für Fälle höherer Gewalt sieht § 651j eine besondere Kündigungsregel vor. Nach der ausdrücklichen Regelung in Absatz 1 der Vorschrift ist in diesen Fällen eine Kündigung allein aufgrund von § 651j möglich. Selbst wenn die höhere Gewalt zugleich einen Mangel der Reise begründet (s. o. Rdn. 1235), ist eine Kündigung nach § 651e also ausgeschlossen.17 Dies ist von Bedeutung für die Rechtsfolgen. Wie sich aus § 651j II ergibt, kann sich der Reisende in diesen Fällen gegen den Teilvergütungsanspruch des Reiseveranstalters nicht mit Interessewegfall verteidigen. Außerdem sind die Mehrkosten für die Rückbeförderung von beiden Seiten je zur Hälfte zu tragen. Andere Mehrkosten trägt der Reisende. Höhere Gewalt i. S. v. § 651 j ist ein unerwartet eintretendes, nicht abwendbares Ereignis, das von außen kommt, d. h. seinen Ursprung weder in der Sphäre des Veranstalters noch des Reisenden hat.18 Beispiele: Naturkatastrophen (z. B. die Flutkatastrophe in Südasien infolge des Tsunami v. 26. 12. 2004), Epidemien (z. B. SARS), Reaktorunfall,19 Ausbruch eines Bürgerkriegs, instabile politische Verhältnisse; Terroranschläge (z. B. 9/11 20), soweit sie Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit haben oder die Durchführung der geplanten Reise beeinträchtigen; Fluglotsenstreik. Gegenbeispiele: Abbruch einer Nilkreuzfahrt wegen Ausbruch eines Feuers auf dem Schiff, da Brand aus der Sphäre des Veranstalters kam; 21 Unrentabilität der Reise wegen niedriger Teilnehmerzahl, Streik des Hotelpersonals, Ausfall von Vorlieferanten (Umstände stammen jeweils aus der Sphäre des Veranstalters).

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Höhere Gewalt liegt nur dann vor, wenn das Ereignis unerwartet eintritt, also nicht voraussehbar ist. Wer eine Reise bucht, obwohl er die Gefahr kannte oder sie hätte kennen können, kann nicht nach § 651 j kündigen. Für das Maß der einzuholenden Informationen ist auf den Durchschnittsreisenden abzustellen. Aufgrund seiner Sachnähe obliegen dem Reiseveranstalter regelmäßig gesteigerte Pflichten bei der Beobachtung des Reiselands.22 Da dem Reisenden nach h. M. nicht zuzumuten ist, die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts einzusehen, sollte der Veranstalter seinem Kunden diese zukommen lassen. Die höhere Gewalt muss eine erhebliche Gefährdung der Reise zur Folge haben, es müssen also konkrete, gravierende Auswirkungen des betreffenden Ereignisses auf die Reise zu verzeichnen sein. Bricht z. B. ein Krieg in einem Nachbarland des Urlaubslandes aus, ist eine Kündigung nach § 651j nur möglich, wenn die Sicherheit im Urlaubsgebiet tangiert wird. – Eine Epidemie muss sich auf dem Reiseweg oder am Urlaubsort auswirken.

An die Prognoseentscheidung dürfen – insbesondere bei Gefahr für Leib und Leben – keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Nach der Rechtsprechung besteht ein Kündigungsrecht allerdings schon dann, wenn eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür

17 Die Spezialität von § 651 j im Verhältnis zu § 651 e beruht auf der Reiserechtsnovelle von 1994. Zuvor hatte der BGH umgekehrt § 651 e den Vorrang eingeräumt, s. BGHZ 85, 50 (58) – Mauritius. 18 BGHZ 100, 185; 109, 224. 19 BGHZ 109, 224 – Tschernobyl. 20 LG Frankfurt NJW 2003, 2618. 21 BGHZ 100, 185. 22 S. Tonner, NJW 2003, 2783.

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Reisevertrag

§ 85 IV 2

besteht, dass das schädigende Ereignis eintritt.23 Eine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit ist dagegen nicht erforderlich. Liegt kein Fall höherer Gewalt vor, kann der Kunde lediglich nach § 651i vom Vertrag zurücktreten. Er hat dann eine „angemessene Entschädigung“, nämlich Stornogebühren zu zahlen. – Ist Reisevertragsrecht nicht anwendbar, nämlich weil nur eine einzelne Leistung und keine „Gesamtheit von Reiseleistungen“ i. S. v. § 651 a I 1 gebucht wurde, gelten die allgemeinen Vertragstypen. Auf eine Flugbuchung ist Werkvertragsrecht anwendbar. Dieses sieht keine besondere Kündigungsmöglichkeit wegen höherer Gewalt vor. Der Kunde kann hier nur nach § 649 kündigen, d. h. er hat die vereinbarte Vergütung zu zahlen; dem Unternehmer sind seine Ersparnisse und die anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft von diesem Betrag abzuziehen.

2. Schadensersatz Neben Minderung und Kündigung kann der Reisende gem. § 651f I auch Schadensersatz verlangen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Reiseveranstalter den Mangel der Reise zu vertreten hat, was aufgrund der negativen Formulierung vermutet wird.24 Die §§ 276, 278 finden Anwendung; die Leistungsträger sind Erfüllungsgehilfen des Veranstalters. In den Fällen höherer Gewalt liegt grundsätzlich kein Vertretenmüssen des Veranstalters vor. Für den Anspruch aus § 651f I sind alle Voraussetzungen der Minderung und Kündigung erforderlich: Der Mangel ist dem Veranstalter anzuzeigen (§ 651d II), außerdem ist unter Setzung einer angemessenen Frist Abhilfe zu verlangen (§§ 651c II, 651 e II).25 Der Schadensersatzanspruch des Reisenden ist aber nur insoweit ausgeschlossen, als Anzeige und Fristsetzung den Schaden hätten verhindern können.26 Der Anspruch aus § 651 f I geht auf das positive Interesse, z. B. auf die Kosten für eine Ersatzunterkunft, für eine Taxifahrt, oder die Buchung einer angemessenen Ersatzreise. Als Ausnahme zu § 253 I gibt § 651 f II einen Geldersatzanspruch wegen eines Nichtvermögensschadens.27 Damit hängt eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nicht davon ab, ob der Reisende einer Erwerbstätigkeit nachgeht und einen Vermögensschaden erleidet; auch ein Schüler oder eine Hausfrau können deshalb Entschädigung verlangen. Folglich ist der Maßstab für die Höhe der Entschädigung nicht das Arbeitseinkommen, sondern der Reisepreis.28 Erfüllt der Reiseveranstalter den Vertrag nicht, weil beispielsweise das vereinbarte Hotel überbucht ist, kann die Entschädigung die Hälfte des Reisepreises ausmachen.29

23 Im Fall einer Pauschalreise hat der BGH eine Wahrscheinlichkeit von 25 % für das Eintreffen eines Hurrikans ausreichen lassen, BGH NJW 2002, 3700 – Hurricane Georges. 24 Zu den Anforderungen an eine Entlastung s. BGH NJW 2005, 418. 25 A. A. MüKo/Tonner, § 651f Rdn. 29: Bei fehlender Anzeige oder Fristsetzung lediglich Minderung des Schadensersatzanspruchs nach § 254. Auch wenn die Reisemängelgewährleistung nicht dem modernisierten Schuldrecht angepasst wurde, sollte man im Geist der §§ 280, 281 eine Fristsetzung demgegenüber nur insoweit verlangen, als der Schaden durch Fristsetzung hätte verhindert werden können, s. hierzu sogleich im Text. 26 BGHZ 92, 177. 27 Vgl. EuGH, 12. 3. 2002, Rs. C-168/00 – Salmonellenvergiftung, Slg 2002, I-2631. 28 BGHZ 161, 389; anders noch BGHZ 63, 101; 77, 120. 29 BGHZ 161, 389: Der Kunde ist nicht verpflichtet, ein anderes Hotel zu akzeptieren, 364 I. Bei Gleichwertigkeit des Ersatzangebots kann dem Entschädigungsanspruch aber § 242 entgegenstehen. S. auch Tonner, JZ 2005, 734 (736): Schadensersatz solle sich „zwischen 50 und 100 % des Reisepreises einpendeln.“

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§ 85 IV 5

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

3. Verhältnis zu anderen Rechten 1241

Im Gegensatz zum Kauf- und Werkvertragsrecht wurde das Reisevertragsrecht durch die Schuldrechtsmodernisierung nicht an das allgemeine Schuldrecht angekoppelt. Die §§ 651 c ff stehen deshalb isoliert da und verdrängen in ihrem Anwendungsbereich die allgemeinen Regeln. Soweit Pflichtverletzungen einen Mangel begründen, sind also nur die §§ 651 c ff anwendbar.30 Wird beispielsweise die Unterbringung in dem gebuchten Hotel unmöglich (z. B. weil es abbrennt), findet nicht Unmöglichkeitsrecht Anwendung, sondern liegt ein Reisemangel vor. Der Reisende kann gem. § 651 c Abhilfe verlangen, nämlich Unterbringung in einem gleichwertigen Hotel (wenn dies nicht wegen der Besonderheit des gebuchten Hotels ausgeschlossen ist). Wenn dies nicht schnell genug erfolgt, kann sich der Reisepreis mindern, § 651d. Bei Vertretenmüssen des Reiseveranstalters (für den Brand) können Schadensersatzansprüche des Reisenden die Folge sein, § 651 f.

Neben den vertraglichen Ansprüchen können deliktische bestehen, z. B. gem. § 823 I für Körperverletzung oder Eigentumsbeschädigung. Bei mittelbaren Schädigungen ist hierfür die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht Voraussetzung. Der Reiseveranstalter ist verpflichtet, die Leistungsträger (Hotel, Transport) sorgfältig auszusuchen und regelmäßig zu überwachen.31 Deliktische Ansprüche sind deshalb praktisch wichtig, weil sie nicht den kurzen Fristen des § 651 g, sondern der Regelverjährung nach §§ 195, 199 unterliegen.32 Ansprüche auf Schmerzensgeld können demgegenüber seit 2002 gem. § 253 II auch auf vertragliche Ansprüche gestützt werden. Vorher setzte Schmerzensgeld eine deliktische Schädigung voraus. 4. Vertragliche Haftungsbeschränkung 1242

Das Reisevertragsrecht ist halbzwingend ausgestaltet: Vereinbarungen können von den gesetzlichen Vorgaben nicht zum Nachteil des Reisenden abweichen, § 651m S. 1. Zulässig ist gem. § 651h I eine Beschränkung der Schadensersatzhaftung für nichtkörperliche Schäden auf den dreifachen Reisepreis, wenn ein Schaden des Reisenden durch leichte Fahrlässigkeit herbeigeführt wird, oder soweit dem Reiseveranstalter lediglich ein Verschulden seiner Leistungsträger zugerechnet wird. Von der Haftungsbeschränkung unberührt bleiben Ansprüche gegen die Leistungsträger. Wird die Haftung des Leistungsträgers durch völkerrechtliche Abkommen modifiziert, kann sich auch der Reiseveranstalter gem. § 651h II hierauf berufen. Dies ist von Bedeutung beispielsweise für das Warschauer, bzw. Montrealer Übereinkommen über die Beförderung auf dem Luftweg, das wichtige Haftungsbeschränkungen für Flugreisen enthält (s. o. Rdn. 1192).

5. Ausschlussfrist, Verjährung 1243

Eine Besonderheit des Reisevertragsrechts ist die einmonatige Ausschlussfrist des § 651g I. Dem Reiseveranstalter soll hierdurch die schnelle Prüfung von Mängelrechten und die rasche Geltendmachung von Regressansprüchen gegen seine Leistungsträger ermöglicht werden. Der Reisende verliert deshalb seine Mängelgewährleistungsrechte (nicht aber deliktische Ansprüche, str.), wenn er sie nicht innerhalb eines Monats nach 30 S. näher Erman/Seiler, Vor §§ 651 c–651 g Rdn. 3ff. 31 BGHZ 103, 198: Sturz vom Hotelbalkon wegen schadhaften Geländers; BGH NJW 2000, 1188: Unfall bei Reitausflug wegen nervösen Pferds. 32 Die Ausdehnung von § 651 g auf deliktische Ansprüche kann auch nicht durch AGB erreicht werden, BGH NJW 2004, 2965.

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Auftrag, Geschäftsbesorgung, Raterteilung

§ 86 I

dem vorgesehenen Reiseende gegenüber dem Reiseveranstalter geltend macht. Etwas anderes gilt nur, wenn er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Die Verjährungsfrist für die Gewährleistungsrechte beträgt gem. § 651 g II zwei Jahre. Sie kann gem. § 651 m S. 2 durch Vereinbarung auf ein Jahr verkürzt werden. Verhandeln die Parteien miteinander über die Rechtslage, ist die Verjährung gem. § 203 gehemmt. Ansprüche aus Delikt unterliegen dagegen der Regelverjährung, §§ 195, 199.

§ 86 Auftrag, Geschäftsbesorgung, Raterteilung I. Auftrag Canaris, RdA 1966, 41; Coester-Waltjen, Jura 2001, 567; Coing, AcP 167 (1967), 99; Genius, AcP 173 (1973), 481; Harder, FS v. Lübtow, 1970, 515; Honsell H., FG v. Lübtow, 1980, 485; Köhler, JZ 1985, 359; Masch, Die Dritthaftung von Banken bei fehlerhaften Eigenauskünften, 2005; Möllers/ Leisch, JZ 2000, 1085; Müller, K., JZ 68, 769; Musielak, Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten 1974; Steindorff, FS Dölle, Bd. I, 1963, 273; Strauch, JuS 1992, 897; Thüsing/Schneider, JA 1996, 807; Willoweit, JuS 86, 96.

1. Der Auftrag ist der zweiseitig verpflichtende, aber nicht gegenseitige Vertrag, durch den sich der Beauftragte verpflichtet, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besorgen, 662. Die den Auftraggeber treffenden Pflichten, z. B. zu Vorschuss (§ 669) und Auslagenersatz (§ 670) stehen zur Ausführungspflicht des Beauftragten in keinem Gegenseitigkeitsverhältnis, BGHZ 15, 105 und oben Rdn. 53. Für Leistungsstörungen gelten daher beiderseits die §§ 275 ff, nicht §§ 320–326.

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2. Der Beauftragte führt ein „Geschäft“ aus. Jede tatsächliche oder rechtliche Handlung, die für den Auftraggeber irgendeinen Wert besitzt, kann „Geschäft“ in diesem (weiten) Sinne sein; es handelt sich also um fremdbezogenes Handeln. Auch die Geschäftsführung ohne Auftrag verwendet den weiten Geschäftsbegriff des Auftragsrechts, u. Rdn. 1271. Eine andere, wesentlich engere Bedeutung hat das Wort „Geschäftsbesorgung“ in § 675, s. unten Rdn. 1253. Beispiele: A bittet den in diesen Dingen erfahrenen B, für A beim Finanzamt bestimmte Formulare abzuholen; B verspricht dem A, eine wichtige Botschaft an C auszurichten und von C Antwort zu bringen; A füttert die Haustiere des verreisten B.

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3. a) Durch seine Unentgeltlichkeit unterscheidet sich der Auftrag i. d. R. vom Dienst-, Werk- und Geschäftsbesorgungsvertrag. Die Unentgeltlichkeit ist wie bei der Schenkung im strengen Sinne zu verstehen: auch ein geringes Entgelt ist ein Entgelt. Das Recht der Verwahrung geht dem Auftragsrecht vor; dies gilt auch bei Unentgeltlichkeit der Verwahrung, s. unten Rdn. 1298ff.

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Der Sprachgebrauch der Wirtschaft ist ein anderer: Unter „Auftrag“ wird dort fast nie der Auftrag des BGB verstanden, sondern entgeltliche Verträge wie Kauf, Werklieferungsvertrag, Werkvertrag, Maklervertrag. Häufig sind auch Weisungen im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses gemeint, z. B. des Dienstherrn an den Angestellten, der Eltern an das Kind.

b) Von einem reinen Gefälligkeitsverhältnis unterscheidet sich der Auftrag dadurch, dass bei ihm die Parteien sich vertraglich verpflichten (s. o. Rdn. 28). Der Beauftragte schuldet ordentliche Ausführung und haftet bei Verletzung auf Schadensersatz. Zur Raterteilung s. unten Rdn. 1256.

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§ 86 I

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

4. Häufig ist die Verbindung eines Auftrags mit einer Vollmacht. Der Auftrag regelt dann nur die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Auftraggeber und Beauftragtem (Innenverhältnis), während das Vollmachtsrecht der §§ 164ff die Befugnisse bestimmt, mit denen der Bevollmächtigte (zugleich Beauftragter) Rechtsgeschäfte mit Dritten abschließen kann, deren Wirkung den Vollmachtgeber (zugleich Auftraggeber) treffen (Außenverhältnis). Diese grundsätzliche Trennung von Innen- und Außenverhältnis, von Auftrag und Vollmacht, bei der Betreuung eines anderen mit dem Abschluss von Geschäften mit Dritten ist für das deutsche Recht kennzeichnend und wichtig (s. auch § 168 S. 1). Während das Außenverhältnis stets in einer Vollmacht besteht, kann das Innenverhältnis auf Auftrag, Dienst-, Werkvertrag, Geschäftsbesorgung u. a. beruhen, je nach Entgeltlichkeit und Natur des auszuführenden Geschäfts. Der Auftrag ist grundsätzlich formfrei, BGHZ 85, 245 (Form des § 311b I bei Grundstücksersteigerungsauftrag). Große Bedeutung hat das Auftragsrecht der §§ 662ff schließlich durch die zahlreichen Verweisungen darauf an anderer Stelle des Gesetzes: Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 681 S. 2, 683 S. 1); Geschäftsbesorgung (§ 675); Vereinsorgane (§§ 27 III, 48 II); Vorstand der Stiftung (§ 86) geschäftsführender Gesellschafter (§ 713); im Beistands- und Vormundschaftsrecht (§§ 1716; 1835 I, 1908i, 1915 I); Testamentsvollstrecker (§ 2218 I).

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§ 663 hat für sich genommen wenig Bedeutung. Wichtig ist er in Verbindung mit § 675. Wer gegen § 663 verstößt, begründet durch die Unterlassung der Anzeige nicht etwa den Auftragsvertrag. Er ist nur zum Schadensersatz verpflichtet, und zwar auf das negative Interesse, da ein Vertrag eben nicht zustande kommt, vgl. BGH WM 83, 1386.1 5. Berechtigung und Verpflichtung sind beim Auftrag wegen der bestehenden beiderseitigen Vertrauensstellung nach der Auslegungsregel des § 664 I 1, II höchstpersönlich, vgl. 613: Darf der Beauftragte die Auftragsausführung übertragen („substituieren“), haftet er nur für Auswahlverschulden, 664 I 2 (culpa in eligendo). Das Gesetz stellt in klarer Weise dem Substituten den Erfüllungsgehilfen gegenüber, für dessen Verschulden der Beauftragte nach § 278 wie für eigenes haftet, 664 I 3. Das Begriffspaar Substitut-Gehilfe begegnet in der Praxis auch außerhalb des Auftrags. § 664 I 2, 3 ist dann analog anzuwenden. 6. Den Beauftragten treffen folgende Pflichten: a) Die Ausführung des Auftrags, 662. Dabei hat er die Weisungen des Auftraggebers zu beachten und darf nach Maßgabe des § 665 nur abweichen, wenn er den Auftraggeber benachrichtigt, es sei denn, mit dem Aufschub sei eine Gefahr verbunden. b) Auskunft über den Stand der Ausführung, 666.

1 Sieben Fälle zweifelhafter Vertragsannahmeerklärungen sind zu unterscheiden: (1) Das Angebot wird nicht angenommen, der Vertrag kommt nicht zustande, 145ff (Regelfall: qui tacet dissentire videtur); (2) das Angebot wird stillschweigend angenommen, der Vertrag kommt zustande, 146; (3) die Annahme wird zwar erklärt, aber es wird auf ihren Zugang verzichtet, 130, 151; (4) das Unterlassen einer Anzeige der Nichtannahme führt zwar nicht zum Vertragsschluss, aber zum Ersatz des negativen Interesses, 663; (5) Schweigen in Verbindung mit unterlassener Anzeige führt bei handelsrechtlicher Geschäftsverbindung zum Vertragsschluss (§ 362 HGB, handelsrechtliches Gegenstück zu § 663, qui tacet consentire videtur); (6) Schweigen auf ein unter Kaufleuten übersandtes Bestätigungsschreiben gilt nach gefestigter Rechtsprechung als Zustimmung zu dem darin enthaltenen Angebot, RGZ 95, 48; BGHZ 11, 1; 40, 44; (7) in Fällen des allgemeinen Kontrahierungszwanges (§§ 826, 242, oben § 21) berechtigt Verweigerung des Vertragsschlusses den Begünstigten zum Schadensersatz aus § 826. Der Ersatz geht auf das positive Interesse, d. h. der unter Kontrahierungszwang Stehende muss den Vertrag schließen.

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Auftrag, Geschäftsbesorgung, Raterteilung

§ 86 I

c) Herausgabe alles zur und aus der Durchführung des Auftrags Erlangten, 667, vgl. BGHZ 85, 11; BGH NJW 82, 1752. Dabei kann es sich um Eigentumsverschaffung oder Besitzherausgabe von Sachen sowie um Forderungsabtretung oder auch Geld handeln. Auch dem Beauftragten zugewendete Sondervorteile, wie Schmiergelder, die nach dem Willen des Dritten gerade nicht für den Auftraggeber bestimmt waren, fallen darunter, weil nach der Interessenlage der Beauftragte lediglich die Interessen des Auftragnehmers zu wahren hat 2. Ist das Erlangte nicht mehr vorhanden, gilt § 275 I: Die Gefahr zufälligen Untergangs trägt der Auftraggeber. Dieser kann gegen den Beauftragten aber einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 275 IV, 280 I haben, z. B. wenn der Beauftragte das erlangte Geld für sich selbst verwendet hat. Eine Haftungsverschärfung zulasten des Beauftragten analog §§ 287 S. 2, 848 ist genauso abzulehnen wie eine Haftungsprivilegierung wegen Unentgeltlichkeit analog §§ 521, 599, 690 (str.). d) Rechenschaft nach Ausführung des Auftrags, 666. e) Verzinsung herauszugebenden Geldes, 668. Bei Nicht- oder Schlechterfüllung gelten die allgemeinen Grundsätze über Unmöglichkeit, Schuldnerverzug und Pflichtverletzung. f) Einen Fall gesetzlich geregelter culpa in contrahendo enthält § 663: Wer zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich (gemeint ist: im Wege öffentlicher Erklärung) bestellt ist oder sich öffentlich oder dem Auftraggeber gegenüber erboten hat, ist, wenn er einen diesbezüglichen Auftrag nicht annehmen will, verpflichtet, die Ablehnung dem Auftraggeber unverzüglich (§ 121 I) anzuzeigen. 7. Den Auftraggeber treffen folgende Pflichten: a) Vorschuss für die Aufwendungen auf Verlangen, 669. b) aa) Ersatz der Aufwendungen des Beauftragten, die dieser zum Zweck der Ausführung für erforderlich halten durfte. Entscheidend ist das Interesse des Auftraggebers im Zeitpunkt der Erbringung der Aufwendung.3 Aufwendungen sind gem. § 670 freiwillige Vermögensopfer als notwendige Folge der Ausführung eines Auftrags, also auch Schäden. bb) Gezielte Vermögensopfer zur Durchführung des Auftrags, wie ein aufgenommenes Darlehen, ein übernommenes Schuldversprechen; der geschuldete Aufwendungsersatz besteht in der Freistellung von dieser Verbindlichkeit (BGHZ 89, 153). cc) Nicht gezielte, aber voraussehbare und freiwillige, d. h. bewusst gemachte Opfer als notwendige Folge des Auftrags, z. B. eine Erkältungskrankheit als Folge einer winterlichen Suchaktion, ein verlorener Haftpflichtprozess als Folge einer auftragsgemäß erteilten, aber unrichtigen Auskunft. dd) Unfreiwillig erlittene Schäden (auch Zufallsschäden), soweit sie aus einer Gefahrlage entstehen, die der Ausführung des Auftrags typischerweise anhaftet und der sich der Beauftragte im Interesse des Auftraggebers freiwillig aussetzt, können nur mit einer Analogie zu § 670 erfasst werden. Die analoge Anwendung des § 670 ist aber geboten, weil der Auftraggeber vernünftigerweise damit rechnen musste, dass sich aus der mit dem Auftrag verbundenen Gefahrlage Opfer für den Beauftragten ergeben würden. Allerdings mindern sich alle diese Ansprüche auf Ersatz von Gefahraufwendungen gemäß § 254 nach den Grundsätzen über das Handeln auf eigene Gefahr (vgl. Stoll, Hans, Das Handeln auf eigene Gefahr, 1961). Die Schadensverteilung ist damit Frage der Umstände im Einzelfall.

2 BGHZ 39, 1; BGH NJW-RR 88, 1105. 3 BGHZ 95, 388; BGH NJW 89, 1285. Der Anspruch ist vom Erfolg der Tätigkeit unabhängig; auch nutzlose Aufwendungen sind zu ersetzen; beachte aber die Anzeigepflicht der §§ 665 S. 2, 666.

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§ 86 II

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Keine „Aufwendungen“ im Sinne des § 670 sind nicht gefahrtypische Schäden. Auch im Dienstverhältnis können außergewöhnliche Schäden, die den Arbeitnehmer bei Verrichtung der Arbeit treffen, dem Arbeitgeber ggf. nach § 670 auferlegt werden, BAG NJW 62, 411, dazu Larenz, II/1 § 53 III. Vgl. § 110 HGB, wo diese Begrenzung des Aufwendungsersatzanspruchs ausdrücklich enthalten ist. Besonderheiten können sich im Arbeitsrecht aus dem Gesichtspunkt der Risikoverteilung bei betrieblich veranlasster Arbeit ergeben. Auch Immaterialschäden können nicht nach § 670 als Aufwendungen ersetzt werden, BGHZ 52, 115. ee) Weil der Auftrag unentgeltlich ist, besteht kein Aufwendungsersatzanspruch für eigene Arbeitskraft (BGH NJW-RR 88, 746). Nur über die GoA-Vorschriften kann gem. § 670 ein solcher Anspruch gegeben sein, s. unten Rdn. 1273. c) Übernimmt ein Beauftragter Leistungen, die bei Vereinbarung einer Bezahlung dienstvertraglicher Art wären, so haftet der Auftraggeber für Schäden an Leben und Gesundheit des Beauftragten ebenso, wie wenn er Dienstberechtigter wäre, 618. Diese Haftung ist unabdingbar, BGHZ 16, 267.

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8. Der Auftrag endet durch Widerruf vonseiten des Auftraggebers (§ 671 I); durch Kündigung vonseiten des Beauftragten, die bei Vermeidung einer Schadensersatzpflicht nicht zur Unzeit erfolgen darf, außer bei wichtigem Grund, dann aber auch, wenn der Beauftragte auf das Kündigungsrecht verzichtet hat (§ 671 II, III); ferner im Zweifel mit dem Tod des Beauftragten, wobei aber den Erben in Eilfällen eine Fortsetzungspflicht trifft (§ 673). Der Auftrag erlischt im Zweifel nicht mit dem Tod oder dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Auftraggebers. Erlischt der Auftrag, trifft den Beauftragten in Eilfällen eine Fortsetzungspflicht (§ 672). Zum Schutze des Beauftragten, der von der Beendigung des Auftrags nichts erfahren hat, gilt der Auftrag als fortbestehend, bis der Beauftragte vom Erlöschen weiß oder fahrlässig nicht weiß, 674. Diese Vorschrift ist aber nur anwendbar bei Beendigungsgründen wie Zeitablauf, Zweckerreichung, Unmöglichkeit, nicht Widerruf. Die nach §§ 674, 168 S. 1 fortbestehende Vollmacht gilt gem. § 169 auch nicht zugunsten eines Dritten, der das Erlöschen kennt oder kennen muss. Beispiel: A erteilt dem B Auftrag und Vollmacht, auf der Kunstauktion für ihn ein Bild zu ersteigern. Kurz vor Beginn der Auktion widerruft A den Auftrag telegraphisch. B ersteigert trotzdem im Namen des A und erhält den Zuschlag. A ist nicht gebunden; eines besonderen Widerrufs der Vollmacht bedurfte es nicht (beachte aber §§ 170–173).

II. Geschäftsbesorgung Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, 1980; Coing, AcP 167 (1967), 99; ders., Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, 1973; Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997; Grunewald, JZ 82, 627; Häuser, Giroverhältnis, Gutachten II zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1981, 1317; Honsell, H., JuS 76, 621; Hopt, AcP 183 (1983), 608; Hüffer, Haftungsfragen im Bankrecht, 1987; Kötz, Trust und Treuhand, 1963; Liebich/Mathews, Treuhand und Treuhänder in Recht und Wirtschaft, 2. Aufl. 1983; Lorenz, W., FS Larenz, 1973, 575; Stoll, Hans, FS Flume, Bd. I, 1978, 741.

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1. Der Wortlaut des § 675 I lässt seinen Sinn kaum erkennen. Das Auftragsrecht der §§ 662–674 mit seinen verschiedenen, der Vertrauensstellung der Parteien angemessenen Bestimmungen setzt unentgeltliches Tätigwerden voraus. Nun gibt es selbstverständlich auch entgeltliche Tätigkeiten, die aufgrund einer dem Auftragsrecht ähnlichen Vertrauensstellung ausgeübt werden. Entgeltliche Arbeit für andere gliedert sich nach Auffassung des BGB in Dienst- und Werkverträge. Um nun entgeltliche Tätigkeiten mit auftragsähnlicher Vertrauensstellung regeln zu können, bedurfte es wieder einer Verkoppelung von Dienst- und Werkvertrag unter ergänzender Heranziehung derjenigen Auftragsvorschriften, in denen das Vertrauensband zum Ausdruck kommt. Dies ist der

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Auftrag, Geschäftsbesorgung, Raterteilung

§ 86 II

Inhalt des § 675 I; diese Vorschrift gehört systematisch zum Dienst- und Werkvertragsrecht. 2. Dadurch engt sich der Begriff des „Geschäfts“ in § 675 I gegenüber § 662 erheblich ein. Die allgemeine Lehre und Praxis versteht unter der Besorgung eines Geschäfts im Sinne des § 675 I jede „selbständige entgeltliche Tätigkeit wirtschaftlicher Art für einen anderen und in dessen Interesse“. Die Tätigkeit muss immer selbständig sein; sie verlangt also eigenverantwortliche Überlegung und Willensbildung des Geschäftsbesorgers. Daher fallen unter § 675 I nicht gewerbliche Arbeiter und Angestellte, Hausangestellte, Vereins- und Gesellschaftsvorstände; die Tätigkeit muss wirtschaftlicher Art sein, also Bezug zum Vermögen des Geschäftsherrn haben, daher fallen unter § 675 nicht Ärzte, Zahnärzte, Künstler, Erzieher, Forscher, Architekten (BGHZ 45, 223), Gartenarchitekten; die Tätigkeit muss für einen anderen geleistet werden, daher fallen unter § 675 I nicht Leistungen an andere, etwa von seiten eines Schneiders, Bauunternehmers, selbständigen Handwerkers; die Tätigkeit muss in der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen bestehen, also einen gewissen beratenden, fürsorgenden Charakter tragen und darf nicht nur in Verfolgung eigenen Interesses geschehen, daher fallen unter § 675 I nicht die selbständigen Unternehmer, Handwerker, Landwirte; die Tätigkeit muss entgeltlich sein, nämlich aufgrund Dienst- oder Werkvertrags geschuldet, daher fallen unter § 675 I nicht die (wenn auch rechtlich verbindlich gemeinten) Freundschaftsdienste, Botschaften, Erledigungen ohne Entgelt; endlich wird § 675 I durch Sonderrechte verdrängt, z. B. durch das Maklerrecht (§§ 652 ff BGB und 93 ff HGB), durch die Vorschriften über die Verwahrung (§§ 688 ff), durch das Recht der Kommission (§§ 383 ff HGB) usw. Die Verwaltungstreuhand ist in der Regel ebenfalls, in ihrem schuldrechtlichen Ziel, Geschäftsbesorgung gem. § 675 I. Wesen der Treuhand ist die Ausübung von Rechten in eigener Rechtszuständigkeit und in eigenem Namen, aber nicht – oder wenigstens nicht ausschließlich – im eigenen Interesse, RGZ 127, 344; BGH DB 56, 890; BGHZ 11, 37; 17, 140; 19, 69, 67; BGH NJW 87, 2071. Dabei bedingt die schuldrechtliche Interessebindung ein Minus im Verhältnis zur sachenrechtlichen Rechtsmacht („überschießende Außentendenz“). Treuhandschaften werden entweder zu Verwaltungszwecken (einschließlich Aufsicht usw.) vereinbart (Verwaltungstreuhand oder einfach: Treuhand), oder um dem Treuhänder eine Sicherheit gegenüber dem Treugeber einzuräumen (Sicherungstreuhand). Die Verwaltungstreuhand ist Geschäftsbesorgung, die Sicherungstreuhand dagegen beruht auf einem (atypischen) Sicherungsvertrag, dazu unten Rdn. 1371. So die allgemeine Meinung seit RGZ 109, 301, BGH NJW 89, 1217. Dabei ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten, z. B. zum Darlehen, BGHZ 19, 288, oder zum Werk- und Dienstvertrag, was wegen der Verjährungsbestimmungen wichtig ist, BGHZ 45, 223. Geschäftsbesorgungsverträge im Sinne des § 675 I schließen Rechtsanwälte (BGH NJW 83, 1665), Patentanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater (BGHZ 54, 106), Banken (die meisten Banktätigkeiten sind Geschäftsbesorgungen), Schiedsrichter, bauleitende Architekten, Einkäufer, Aufkäufer, Expeditionsleiter, Rechenzentren, Schätzer, Finanzierungsbüros, Schiedsgutachter (BGHZ 22, 343), Siedlungsträger (BGHZ 16, 338) ein. 3. a) Zuerst gelten als Rechtsfolge vertragliche Vereinbarungen, beispielsweise handelsrechtliches Sonderrecht (Handelsvertreter, Spediteur, Kommissionär). b) Zweitens gilt über § 675 I Auftragsrecht mit Ausnahme der §§ 664 und 671, auf die § 675 I nicht verweist. Die Bestimmung des höchstpersönlichen Charakters der Ver-

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pflichtung (§ 664) gilt nicht; dies entspricht dem Werkvertragsrecht.4 Die erleichterte Auflösungsmöglichkeit des § 671 passt nicht für entgeltliche Verträge. c) Schließlich gilt subsidiär Dienst- und Werkvertragsrecht. Das ist der Fall, soweit das Auftragsrecht keine Regelung trifft – wie bei der Vergütung, 612, 632 – oder nicht anzuwenden ist: anstelle des § 671 sind §§ 620 ff, 643, 649 anzuwenden.

III. Raterteilung 1256

Systematisch richtig behandelt das Gesetz im Anschluss daran die Raterteilung (§ 675 II): Ratschläge und Empfehlungen verpflichten, wenn aus ihrer Befolgung ein Schaden entsteht, nicht zum Schadensersatz. Sie gehören der außerrechtlichen gesellschaftlichen Sphäre an. Nur wenn vertragliche Bindung – auch etwa zugunsten Dritter, BGH DB 1990, 2516 – oder unerlaubte Handlung, z. B. böswillige sittenwidrige Irreführung (§ 826), vorliegen, ist der Beratende ersatzpflichtig. Wenn aufgrund besonderer Vereinbarung ein bindend gemeinter Beratungsvertrag entstanden ist und die Verbindlichkeit im Einzelfall nicht ausgeschlossen wird, entsteht bei schuldhafter Falschberatung eine Ersatzpflicht wegen schlechterfüllten Beratungsvertrags, BGHZ 70, 356; 74, 103; BGH NJW 1992, 2080; 2004, 3630 – konkludenter Beratungsvertrag –. Die Beratungspflicht kann auch Nebenverpflichtung eines anderen Vertrages sein (vgl. z. B. BGHZ 83, 333: Steuerberatervertrag), es kann sich insbesondere aus längerer Geschäftsverbindung eine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit der Beratung ergeben. Das ist z. B. häufig bei Banken der Fall, BGHZ 13, 198; 93, 191, 204f; auch 7, 371, sowie RGZ 126, 50 = ESJ 102; 148, 286. Bei Prospekten für den Erwerb von Aktien hat die Rechtsprechung eine Haftung für typisiertes Vertrauen der Anleger auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben entwickelt, BGHZ 71, 284; 123, 106. Die Banken schützen sich aber in der Regel durch den Vermerk „sine obligo“. Die Haftung für grob fahrlässige falsche Kreditauskünfte kann jedoch durch AGB nicht ausgeschlossen werden, vgl. § 309 Nr. 7 b. Außerdem können nach Treu und Glauben auch nachvertragliche Pflichten (culpa post pactum perfectum) zu einer Benachrichtigungspflicht durch die Banken führen.5

IV. Besondere Geschäftsbesorgungsverträge des Bankrechts Einsele, JZ 2000, 9; Grundmann, WM 2000, 2269; Feldhahn, Die Bankenhaftung des neuen Überweisungsrechts (2003); Jakobs, JZ 2000, 641; Langenbucher/Gößmann/Werner, (Hrsg.) Zahlungsverkehr (2004); Meder, JZ 2003, 443; von Westphalen, BB 2000, 157; s. auch die Hinweise auf die bankrechtliche Literatur oben § 81.

1257

Der Geschäftsbesorgungsvertrag ist (neben dem Darlehensvertrag) der wichtigste Vertragstyp im Bankrecht. Da § 675 I nur wenige Vorgaben enthält, entwickelte sich das Rechtsgebiet ganz auf der Grundlage der Bankenpraxis, wie sie insbesondere in den

4 Im Falle eines „gesteigerten Vertrauensverhältnisses“ wird man § 664 beim Werkvertrag entsprechend anwenden können, MüKo/Heermann, § 675 Rdn. 24. Dies entspricht dann dem § 613 im Dienstvertragsrecht. 5 BGH NJW 1973, 1923. Zur Haftung für Auskünfte s. auch BGH NJW 1999,1540; Möllers/Leisch, JZ 2000, 1085. Gegen eine vertragliche und für eine vertrauensrechtliche Auskunftshaftung Canaris, Bankvertragsrecht 3, 1988, Rdn. 75 ff; Koch, AcP 204 (2004) 59; Schaub, AcP 202 (2002) 757 (auf der Grundlage von § 311 III).

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Geschäftsführung ohne Auftrag

§ 87

AGB der Banken zum Ausdruck kommt. Die EG-Überweisungs-Richtlinie von 1997 6 zwang den Gesetzgeber zur Einfügung detaillierter Vorschriften. Dies geschah durch das Überweisungsgesetz aus dem Jahr 1999 (BGBl. I 1642), welches der allgemeinen Vorschrift des § 675 Regeln über den Übertragungsvertrag (§ 676), Überweisungsvertrag (§ 676 a ff), Zahlungsvertrag (§ 676 d f) und den Girovertrag (§ 676 f ff) hinzufügte. Das Ziel der Vorschriften besteht darin, den Zahlungsverkehr transparenter zu machen (s. die Informationspflichten in § 675a) und zu beschleunigen. Dem dienen z. B. die Überweisungsfristen des § 676 a II; für grenzüberschreitende Überweisungen in EU/ EWR gilt danach eine Ausführungsfrist von fünf Werktagen. Die Überweisung ist als Vertrag konzipiert; vor 1999 wurde sie als (einseitige) Weisung i. S. v. § 665 interpretiert. Der Überweisungsbetrag ist dem Empfänger ungekürzt gutzuschreiben, 676a I 2. Für die rechtzeitige und ungekürzte Ausführung der Überweisung haftet das Kreditinstitut nach § 676 b, und zwar verschuldensunabhängig, 676c. Für Überweisungen (in Euro) dürfen innerhalb der EG keine höheren Gebühren verlangt werden als für innerstaatliche Überweisungen.7 Die Überweisung wird i. d. R. (aber nicht begriffsnotwendig, s. § 676 a I 3) im Rahmen eines Girovertrags, nämlich von einem bestehenden Bankkonto vorgenommen, 676 f. Eingehende Überweisungen sind dem Konto des Kunden rechtzeitig gutzuschreiben, 676g. Damit werden Vorgaben für die Wertstellungspraxis der Banken gemacht. – § 676 h stellt klar, dass das Missbrauchsrisiko im Zusammenhang mit Zahlungskarten (z.B. Kunden-, Kredit- oder ec-Karten) grundsätzlich von der Bank zu tragen ist.8 Hat der Kunde den Missbrauch der Karte durch einen Dritten zu vertreten (z.B. grobfahrlässiger Umgang mit Karte oder PIN), hat die Bank gegen ihn allerdings einen Schadensersatzanspruch aus § 280 I.9

§ 87 Geschäftsführung ohne Auftrag Beuthien, FS Söllner, 2000, 125; Beuthien/Weber, Ungerechtfertigte Bereicherung und GoA, 2. Aufl. 1987; Brückmann, Die Rechte des Geschäftsführers ohne Auftrag, 1903; Coester-Waltjen, Jura 1990, 608; Falk, JuS, 2003, 833; Hahn, Vergütungsansprüche für Dienstleistungen bei fehlender vertraglicher Grundlage, 2004, 288 ff; Isele, Geschäftsbesorgung, 1935; Lent, Der Begriff der auftraglosen Geschäftsführung, 1906; ders., Wille und Interesse bei der Geschäftsbesorgung, 1938; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939; Martinek/Theobald, JuS 1997, 612 mit Fortsetzungen; Mellulis,

6 Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über grenzüberschreitende Überweisungen v. 27. 1. 1997 (ABl. L 43/25). Umzusetzen war auch die Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- und Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen v. 19. 5. 1998 (ABl. L 166/45). 7 So die Verordnung (EG) 2560/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro v. 19. 12. 2001 (ABl. L 344/13). 8 Die Vorschrift geht zurück auf Art. 8 der Fernabsatz-Richtlinie. Zu den rechtlichen Vorgängen bei Kartenzahlung s. BGH NJW 2002, 2234; hierzu Schnauder, NJW 2003, 849. 9 Zu den Voraussetzungen s. BGH NJW 2001, 286. Nach BGH NJW 2004, 3623 besteht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Karteninhaber PIN und Karte zusammen aufbewahrt hat, wenn zeitnah nach dem Diebstahl einer ec-Karte unter Verwendung der richtigen Geheimzahl Geld abgehoben wird.

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§ 87 I

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Das Verhältnis von GoA zu ungerechtfertigter Bereicherung, Diss. Hamburg 1272; Nipperdey, Der Eingriff in die schuldrechtlich festgelegten Interessensphären und § 687 Abs. 2 BGB, FS Böhm, 65, 162; Oppermann, B., AcP 193 (1993) 497; Reichard, AcP 193 (1993), 567; Schmid, Jörg, Die GoA, 1992; Stamm, Jura 2002, 730; Wenckstern, AcP 200 (2000) 240; Wacke, FS H. Hübner, 1984, 669; Wittmann, Begriff und Funktion der Geschäftsführung ohne Auftrag, 1981; Wollschläger, Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1976; ders., Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht und Erstattungsanspruch, 1977; ders., JA 1979, 57, 126, 182.

I. Begriff und Bedeutung. Arten und Abgrenzungen 1259

1. Die Geschäftsführung ohne Auftrag ist ein gesetzliches Schuldverhältnis, das durch die bewusste und gewollte Übernahme eines fremden Geschäfts zwischen dem Geschäftsführer und dem Geschäftsherrn zustande kommt. Es verpflichtet den Geschäftsführer, der in einen fremden Rechts- und Interessenkreis eingreift, zu sorgfältiger Ausführung des Geschäfts, und den Geschäftsherrn, dessen Angelegenheiten besorgt werden, zum Ersatz der entstehenden Aufwendungen. 2. Die in den §§ 677–687 gesetzliche geregelte Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA, negotiorum gestio) hat ihre praktische Bedeutung vor allem bei Hilfeleistungen. Es kommt häufig vor, dass jemand ohne Berechtigung oder Aufforderung die Angelegenheiten eines anderen besorgt. Die Bezeichnung „ohne Auftrag“ ist also zu eng: entscheidend ist, dass die Geschäftsführung nicht aufgrund eines bereits bestehenden vertraglichen oder gesetzlichen Rechtsverhältnisses geschieht. Dabei kann es sich um tatsächliche oder rechtliche Geschäfte handeln und die Geschäftsbesorgung kann auf altruistischen, fremdnützigen oder eigennützigen Motiven beruhen. Für die Rechtsordnung besteht nur die Aufgabe, einen Interessenausgleich zwischen dem Geschäftsführer und dem Geschäftsherrn zu schaffen. Zum einen sollen Hilfsbereitschaft und Gemeinsinn gefördert werden, zum andern muss der Geschäftsherr einer ungebetenen Einmischung in seine Angelegenheiten entgegentreten können. Beispiele: Zahlung fremder Schuld (Steuern), Behandlung eines bewusstlosen Verunglückten durch Arzt, Brandbekämpfung beim verreisten Nachbarn (wenn auch überwiegend zum Schutz des eigenen Hauses!), füttern eines zugelaufenen Tieres, Verständigung der Brandversicherung des Nachbarn zur Wahrung der Termine, Bergung fremden Gutes in Notzeiten.

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Bedeutung gewinnen die Regelungen der GoA auch durch die zahlreichen Verweisungen an anderen Stellen im BGB: So wird bei Ersatz von sonstigen Verwendungen regelmäßig auf die GoA-Vorschriften verwiesen; es ist dann zu prüfen, ob die Verwendungen regelmäßig dem Interesse und dem Willen des Geschäftsherrn entsprechen, vgl. 539 I, 601 II, 994 II, 1007 III 2, 1049 I, 1216 S. 1, 2125 I. Für den Erben s. 1959 I, 1978 I 2,1991 I. 3. Zum Verständnis des Gesetzes müssen die verschiedenen Formen des Eingriffs in einen fremden Interessenkreis auseinandergehalten werden. a) Die echte Geschäftsführung ohne Auftrag, 677–686, regelt die Fälle des bewussten und gewollten Handelns für einen anderen. Innerhalb der echten GoA ist danach zu differenzieren, ob die Geschäftsbesorgung von der Rechtsordnung gebilligt wird oder nicht. aa) Wird ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne dass der Geschäftsführer vom Geschäftsherrn dazu beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt ist (677), und entspricht die Übernahme des Geschäfts dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn (683 S. 1), liegt berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vor. bb) Entspricht die Übernahme der Geschäftsführung dagegen nicht dem Interesse oder Willen des Geschäftsherrn, fehlt also die in § 683 S. 1 geforderte Berechtigung, ist eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag die Folge, 678. Im Gesetz kommt diese Unterscheidung nicht klar zum Ausdruck, vielmehr scheinen für beide Formen der echten GoA die §§ 677 und 681 zu gelten und nur für die unberechtigte außerdem § 678. So sah es auch die ältere Lehre. Dagegen ist heute herrschende Meinung, dass nur die berechtigte

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Geschäftsführung ohne Auftrag

§ 87 I

Geschäftsübernahme das gesetzliche Schuldverhältnis der GoA begründet, während auf die unberechtigte GoA die Vorschriften der §§ 677, 681, 683 nicht anwendbar sind. Denn der unberechtigt Handelnde soll das Geschäft nicht nach Interesse und Willen des Geschäftsherrn führen, sondern er soll die Geschäftsführung unterlassen. Dem entspricht auch die in § 684 S. 2 vorgesehene Möglichkeit, die unberechtigte Geschäftsführung durch Genehmigung zur berechtigten zu machen. Dadurch kann sich der Geschäftsherr nachträglich die Vorteile der berechtigten Geschäftsführung sichern, wird aber seinerseits zum Aufwendungsersatz verpflichtet. Er kann aber nicht ohne Genehmigung vom Geschäftsführer nach § 681 S. 2 i. V. m. § 667 Herausgabe des Erlangten verlangen, denn sonst wäre die Genehmigungsmöglichkeit ohne Bedeutung. Für beide Formen der echten GoA gelten die §§ 680 und 682, die eine Haftungsmilderung bzw. -beschränkung vorsehen.

b) In § 687 werden die Fälle geregelt, in denen ein fremdes Geschäft als eigenes geführt wird, also subjektiv nicht für einen andern gehandelt wird (unechte GoA im weiteren Sinne).

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aa) Nimmt der Handelnde irrtümlich an, ein eigenes Geschäft zu führen, während er in Wirklichkeit ein fremdes besorgt, spricht man von vermeintlicher Geschäftsführung, § 687 I (s. genauer unten Rdn. 1282). bb) Behandelt jemand ein fremdes Geschäft als sein eigenes, obwohl er weiß, nicht dazu berechtigt zu sein, 687 II, liegt ebenfalls keine GoA vor, sondern unechte Geschäftsführung ohne Auftrag (im engeren Sinne). Es handelt sich nach dem Wortlaut von § 687 II um einen vorsätzlichen Eingriff in einen fremden Rechtskreis, und damit um unerlaubte Eigengeschäftsführung.

4. Die verschiedenen Rechtsfolgen von echter, unechter, berechtigter und unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag, die den Interessenausgleich zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn schaffen, werfen Abgrenzungsfragen auf 1. a) Abzugrenzen ist zwischen echter und unechter GoA:

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Zunächst ist zwischen der echten (entweder berechtigten oder unberechtigten) und der unechten Geschäftsführung ohne Auftrag zu unterscheiden. Die Gegenüberstellung von § 687 II und § 677 zeigt, dass Kennzeichen der echten GoA das bewusste Handeln für einen anderen ist. Zur (objektiven) Fremdgeschäftsführung muss also der Fremdgeschäftsführungswille treten, vgl. dazu Schwark, JuS 84, 321. Dieser Wille ist Anspruchsvoraussetzung für die echte GoA und muss von demjenigen, der sich auf die §§ 677 ff beruft, bewiesen werden. Der Beweis gelingt, wenn der Fremdgeschäftsführungswille äußerlich erkennbar („subjektiv fremd“) hervortritt. Der Fremdgeschäftsführungswille kann sich allerdings auch schon aus der Natur des geführten Geschäfts ergeben: Handelt es sich um ein objektiv fremdes Geschäft, so wird er widerleglich vermutet, BGHZ 40, 28; 65, 354; 70, 389; BGH NJW 79, 598.

aa) Damit gewinnt die Frage Bedeutung, ob ein Geschäft entweder objektiv fremd oder aber objektiv neutral und subjektiv fremd ist. Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs „objektiv fremdes Geschäft“. Entweder wird auf das die Geschäftsbesorgung beherrschende Interesse abgestellt und ein objektiv fremdes Geschäft dann angenommen, wenn der Geschäftsführer in fremdem und nicht (nur) in eigenem Interesse handelt, oder es werden solche Geschäfte als objektiv fremd angesehen, die ihrer äußeren Erscheinung nach in einen anderen Rechts- und Interessenkreis als den des Handelnden eingreifen.2 Man kann auch von der rechtlichen Zuständigkeitsordnung ausgehen (Medicus, BürgR, Rdn. 408): Für die objektiv fremden Geschäfte ist schon durch die Rechtsordnung eine andere Zuständigkeit begründet als die des Geschäftsführers. Objektiv fremde Geschäfte sind dann z. B. Warnung vor Gefahr, die Verlet-

1 Die vermeintliche Geschäftsführung kann dabei außer Betracht bleiben, da auf sie das Recht der GoA nicht anwendbar ist. 2 So BGHZ 40, 28; verneint in BGH NJW 82, 875 beim Bürgen und in BGH NJW 83, 1055 zwischen Partnern des eheähnlichen Verhältnisses.

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§ 87 I

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

zung eines Patent-, Gebrauchs-, Urheber- oder Monopolrechts, Bezahlung fremder Schulden, Verkauf einer fremden Sache. Objektiv neutral und nur „subjektiv fremd“ sind dann Geschäfte, für die keine bestimmte rechtliche Zuständigkeit besteht, die also jedermann vornehmen darf, z. B. der Erwerb einer Sache. Hier wird die Fremdrichtung des Handelns nicht vermutet, sondern sie muss von dem, der sich auf die Anwendbarkeit der §§ 677 ff beruft, nachgewiesen werden. Diese Unterscheidung überzeugt und soll im Folgenden zugrunde gelegt werden. Auch für die Anwendbarkeit des § 687 ist die Unterscheidung zwischen objektiv und subjektiv fremdem Geschäft von Bedeutung. Eine irrtümliche (687 I) oder vorsätzliche (687 II) Besorgung eines „fremden Geschäfts als eigenes“ ist nur möglich, wenn das Geschäft objektiv fremd ist. Nur beim objektiv fremden Geschäft kann der Geschäftsführer die Fremdheit kennen.

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bb) Grundsätzlich wird der Fremdgeschäftsführungswille beim Geschäftsführer nicht dadurch ausgeschlossen, dass er in, vielleicht sogar überwiegendem, Eigeninteresse gehandelt hat. Es genügt, wenn das Geschäft „wenigstens auch ein objektiv fremdes“ (BGHZ 40, 28) ist oder, beim subjektiv fremden Geschäft, der Wille, für den andern zu handeln, nach außen erkennbar wird. Eigeninteresse schließt GoA nicht aus. Davon sind allerdings die Fälle zu unterscheiden, in denen das Eigeninteresse auf die Vorbereitung und Anbahnung von Vertragsverhandlungen gerichtet ist. Hier gilt der Grundsatz, dass eigene Aufwendungen von jeder Partei selbst zu tragen sind, wenn der erhoffte Vertragsschluss ausbleibt. So steht beispielsweise dem Erbensucher kein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus GoA zu. Macht er Aufwendungen, um unaufgefordert Erben ausfindig zu machen, kann er diese nicht in Anspruch nehmen, wenn keine vertragliche Vereinbarung zustande kommt, er seine Information also nicht „verkaufen“ kann.3 Der Erbensucher handelt damit auf eigenes Risiko. Dies ist angemessen, da es sonst in den Vertragsanbahnungsfällen zu einer bedenklichen Aushöhlung der Abschlussfreiheit käme.4 cc) Bei einigen Fallgruppen ist die Frage, ob ein objektiv fremdes Geschäft vorliegt, besonders umstritten, nämlich dann, wenn der Geschäftsführer aufgrund anderer Verpflichtungen gegenüber Dritten ein Geschäft des Geschäftsherrn führt. aaa) Bei öffentlich-rechtlichen Pflichten ist zu unterscheiden: Handelt der Geschäftsführer gemäß einer allgemeinen öffentlich-rechtlichen Pflicht, z. B. Hilfeleistungspflicht gem. § 323c StGB, so steht das der Annahme eines objektiv fremden Geschäfts nicht entgegen. Auch können Ansprüche aus GoA mit Ansprüchen gegen den Staat aus Aufopferung und öffentlich-rechtlicher Entschädigung konkurrieren. Bei einer speziellen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung kann ebenfalls ein objektiv fremdes Geschäft vorliegen. So wurde im sog. „Feuerwehrfall“ der gemeindlichen Feuerwehr, die einen durch Funkenflug von Lokomotiven verursachten Waldbrand gelöscht hatte, ein Aufwendungsersatzanspruch gegen die Bundesbahn zugesprochen.5 Die Feuerwehr habe auch ein objektiv fremdes Geschäft, nämlich das der nach § 1 SachSchHG verpflichteten Bahn geführt. Dem hat Medicus, BürgR, Rdn. 410 ff, widersprochen: Das Löschen von Bränden sei objektiv gesehen eine Aufgabe der Feuerwehr, die damit ihre eigene öffentlich-rechtliche Pflicht erfülle, und nicht Sache der Bahn. Deshalb könne und wolle sie auch die privatrechtliche Unterordnung unter den Willen des Geschäftsherrn, die die GoA vorsieht, nicht einhalten. Mit diesen Argumenten hat auch das BayObLG den Anspruch eines Polizisten aus GoA abgelehnt, der sich bei einer Hilfeleistung verletzt hatte, MDR 68, 920. Es ist nicht einzusehen, warum das nicht auch für die Feuerwehr gelten sollte (dazu Maurer, Jus 70, 561; Schwartz, JuS 84, 321).

3 BGH NJW 2000, 72; hierzu Falk, JuS 2003, 833. 4 Hahn, aaO, S. 329. 5 BGHZ 40, 28; s. auch BGHZ 63, 167.

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Geschäftsführung ohne Auftrag

§ 87 I

bbb) Für privatrechtliche Verpflichtungen des Geschäftsführers gegenüber einem Dritten hat der BGH (LM Nr. 2 zu 677) festgestellt, dass dadurch der Fremdgeschäftsführungswille nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird. Jedoch wird es sich in diesen Fällen meist um ein objektiv neutrales Geschäft handeln, so dass es auf die äußere Erkennbarkeit der Willensrichtung des Geschäftsführers ankommt.

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Löscht der Hausmeister des A beim abwesenden Nachbarn B einen Brand, der droht, auf das Haus des A überzugreifen, so kann er für die dabei erlittenen Verletzungen, soweit sie sich im Rahmen vernünftiger Risiken halten, von B nach §§ 683 S. 1, 670 Ersatz verlangen. – Zu weit geht es, im Fall eines von der Polizei gerufenen Abschleppunternehmers, der vom Halter eines liegengebliebenen Fahrzeugs seinen Werklohn für das Abschleppen aus GoA verlangt, ein objektiv fremdes Geschäft anzunehmen (so LG Limburg MDR 65, 742) und die Frage, ob zwischen der Polizei und dem Abschleppunternehmer ein Vertrag bestand, gar nicht mehr zu erörtern. Hier handelt es sich um ein neutrales Geschäft, bei dem der Wille, nicht nur für die Polizei, sondern auch für den Halter zu handeln, besonders festzustellen ist; so auch LG Stuttgart, MDR 73, 48; LG München NJW 78, 48.

Ansprüche aus GoA entfallen, wenn der Geschäftsführer gerade dem Dritten gegenüber verpflichtet ist, Geschäfte des Geschäftsherrn zu besorgen. Das gilt insb. beim Vertrag zugunsten Dritter: Der Geschäftsführer (Versprechender) kann sich nur an den Versprechensempfänger, gegenüber dem er verpflichtet ist, halten, und nicht an den Geschäftsherrn, der „Dritter“ i. S. d. § 328 ist. So wird, wenn ein Ehegatte einen Arzt zur Behandlung des anderen bestellt, nur derjenige verpflichtet, der den Arzt gerufen hat. Der Arzt kann sich nicht aus GoA an den Behandelten halten. – Begibt sich ein Ehegatte in alltäglichen Krankheitsfällen in ärztliche Behandlung, so handelt er im Rahmen der Schlüsselgewalt, BGHZ 47, 75 (noch zum früheren Recht, vor der Änderung v. 14. 6. 1976, BGBl. I 1421). Beide Gatten werden verpflichtet, 1357 I. – Bei Getrenntleben, wenn die Schlüsselgewalt ruht (1357 III), führt der Arzt dagegen auch ein Geschäft des Ehemannes, wenn es zu dessen Unterhaltspflicht gehört, für ärztliche Behandlung seiner Frau zu sorgen. Der Arzt kann sich also an den Ehemann halten. Im Übrigen gilt bei Einspringen für fremde Unterhaltspflicht in der Regel: Zahlt ein anderer Unterhaltspflichtiger, der selbst noch nicht an der Reihe ist, so liegt nur ungerechtfertigte Bereicherung vor, weil der Unterhaltspflichtige im Zweifel nur die eigene, nicht die fremde Unterhaltspflicht tilgen will (unten Rdn. 1488). Vgl. aber OLG Hamm FamRZ 73, 40 und KG FamRZ 75, 423. Springt ein Dritter ein, etwa ein Freund der Familie, so liegt GoA vor (679!). Handelt der Geschäftsführer aufgrund eines – nach § 134 oder § 138 – nichtigen Vertrages, glaubt er sich also zur Geschäftsbesorgung verpflichtet, obwohl er es nicht ist, so wendet der BGH auf die Rückabwicklung auch GoA-Recht an, BGHZ 37, 258. Dagegen wurden Bedenken vorgebracht. So stellt Gursky, JurAnalysen 69, 103, fest, dass dadurch der beim Ausgleich nach Bereicherungsrecht anwendbare § 817 S. 2 ausgeschaltet wird, der auf die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht entsprechend angewendet werden kann. Medicus (BürgR, Rdn. 412) sieht die Gefahr, aus § 683 ein Mittel des Lastenausgleichs aus Billigkeitsgründen zu machen, da § 683, anders als der Bereicherungsanspruch, auch den Ersatz nutzloser Aufwendungen umfasst. Dem ist zuzustimmen. Der für die GoA erforderliche Fremdgeschäftsführungswille bleibt nämlich beim (nichtigen) Vertrag reine Fiktion, da jeder Vertragspartner eben seine Interessen und nicht die des anderen Teils wahrnimmt. ccc) Bei Gesamtschuldverhältnissen sind die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag auf Ausgleichszahlungen unter den Gesamtschuldnern nach h. M. nicht anwendbar. Zahlt ein Gesamtschuldner mehr als den auf ihn im Innenverhältnis entfallenden Anteil, so kann er nach § 426 I, II Rückgriff nehmen. Es ist überflüssig, ihm eine weitere Regressmöglichkeit über § 683 S. 1 einzuräumen, so dass dieser Anspruch als verdrängt anzusehen ist. Dasselbe gilt auch für die scheinbaren Gesamtschuldverhältnisse („unechte Gesamtschuld“). Da hier die Zahlung des sekundär Verpflichteten die Schuld des primär Verpflichteten nicht berührt, sondern dieser weiterhin verpflichtet bleibt, ist nicht einzusehen, warum der sekundär Verpflichtete auch ein objektiv fremdes Geschäft geführt haben soll. Außerdem würde eine Rückgriffsmöglichkeit des sekundär Verpflichteten nach § 683 S. 1 scheitern, wenn der primär Verpflichtete seinerseits alle Ansprüche gegen sich bestreitet. Die Erfüllung dieser Ansprüche durch den Geschäftsführer (sekundär Verpflichteter) wäre dann nämlich

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§ 87 I

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unberechtigte GoA mit der Folge, dass der Aufwendungsersatzanspruch nach § 683 nicht eingreifen würde. Das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag ist nicht dazu geeignet, einen interessengemäßen Ausgleich zwischen verschiedenen Verpflichteten zu schaffen. Eine Regressmöglichkeit muss über das Bereicherungsrecht oder über § 255 analog (Selb, Schadensbegriff und Regressmethode, 1963, 21) gesucht werden.

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b) Wenn der Geschäftsführer mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt hat, also echte GoA gegeben ist, muss weiter unterschieden werden, ob es sich um berechtigte oder um unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag handelt. Diese Frage ist noch nicht mit der Feststellung des Fremdgeschäftsführungswillens entschieden, sondern hängt, wie die §§ 678, 683 S. 1 und 684 S. 1 zeigen, davon ab, ob die Übernahme des Geschäfts dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht, vgl. BGHZ 82, 331. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Übernahme führt dazu, dass der Geschäftsherr das (Erfolgs-) Risiko der Bemühungen des Geschäftsführers trägt. Der Geschäftsherr muss, entsprach die Geschäftsbesorgung einmal seinem Interesse und Willen, Aufwendungsersatz leisten, auch wenn die Bemühungen des Geschäftsführers fehlschlagen(!), das Ergebnis also nicht in seinem Interesse und Willen liegt. aa) Für das Verhältnis von Interesse und Willen gilt folgendes: Das Interesse des Geschäftsherrn ist objektiv zu bestimmen, gemeint ist das wohlverstandene Interesse. Der wirkliche Wille ist der vom Geschäftsherrn geäußerte oder sonst erkennbare Wille. Fallen Interesse und wirklicher Wille auseinander, so geht trotz des Gesetzeswortlauts in § 683 S. 1 der interessenwidrige wirkliche Wille vor (a. A. Larenz, II § 57 Ia). Es geht nicht an, mit Hilfe der GoA andere gegen ihren Willen zu beglücken. Eine Ausnahme dazu bildet § 679, siehe unten Rdn. 1272. bb) Wurde ein wirklicher Wille nicht geäußert oder fehlt er ganz (z. B. beim bewusstlosen Verunglückten), ist der mutmaßliche Wille maßgeblich, vgl. BGHZ 47, 374. Dieser lässt sich wiederum nur aus dem Interesse folgern.

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c) Nicht selten kommt es vor, dass sich der Geschäftsführer über die Person oder den maßgeblichen Willen des Geschäftsherrn irrt. aa) Behandelt der Geschäftsführer ein fremdes Geschäft irrtümlich als sein eigenes, liegt keine GoA vor, § 687. – Irrt sich der Geschäftsführer über die Person des Geschäftsherrn, z. B. Fütterung eines zugelaufenen Hundes, von dem der Geschäftsführer annimmt, er gehöre A, während es sich in Wirklichkeit um den Hund des B handelt, so wird der wirkliche Geschäftsherr aus der Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet, 686. bb) Hat der Geschäftsherr einen Willen, der nicht seinem objektiven Interesse entspricht, und handelt der Geschäftsführer, der den Willen nicht kennt, nach dem mutmaßlichen Willen, also objektiv interessegemäß, kommt es darauf an, ob der Geschäftsführer fahrlässig den wirklichen Willen nicht erkannt hat oder ob er schuldlos ist. Hätte er bei verkehrsüblicher Sorgfaltsanwendung den wirklichen Willen des Geschäftsherrn erkennen können, so haftet er nach § 678. War der Wille des Geschäftsherrn dagegen nicht erkennbar, ist der mutmaßliche Wille maßgebend. Es handelt sich dann um berechtigte GoA. Schätzt der Geschäftsführer den mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn schuldhaft falsch ein, so wird er nach § 678 ersatzpflichtig. Ist er an der Fehleinschätzung unschuldig, entfällt zwar die Haftung aus § 678, das gesetzliche Schuldverhältnis der berechtigten GoA kommt aber nicht zustande, vielmehr liegt ein Unterfall unberechtigter Geschäftsführung vor.

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5. Die Geschäftsführung ohne Auftrag ist eine rechtsgeschäftsähnliche Rechtshandlung, die vom Fremdgeschäftsführungswillen getragen sein muss. Aus der rechtlichen Einordnung der GoA unter die rechtsgeschäftsähnlichen Rechtshandlungen wurde der Schluss gezogen, dass die allgemeinen Regeln über Willenserklärungen uneingeschränkt anwendbar seien.6 Das hat zur Folge, dass der geschäftsunfähige Geschäftsführer zwar 6 LG Aachen NJW 63, 1252.

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nicht nach § 677 haftet, wie schon § 682 bestimmt, aber, da das Legalschuldverhältnis GoA nicht zustande kommt, die Ansprüche aus 683, 670 nicht geltend machen kann. Nach richtiger herrschender Meinung ist dem Minderjährigenschutz durch die Regelung des § 682 Genüge getan: Der Geschäftsunfähige haftet nicht nach dem Recht der GoA, die Sorgfaltspflicht des § 677 trifft nur den voll Geschäftsfähigen. Der Geschäftsherr wird dadurch geschützt, dass bei der Frage, ob die Geschäftsübernahme dem Willen und Interesse des Geschäftsherrn entspricht, auch die Person des Geschäftsführers eine Rolle spielt. Deshalb genügt bei der Geschäftsübernahme der natürliche Wille, für den Geschäftsherrn handeln zu wollen; auf die Geschäftsfähigkeit kommt es nicht an. Ist der Geschäftsherr geschäftsunfähig, so schließt das ein Vorliegen der GoA nicht aus (Mat. II 865; Prot. II, 739). Die dem Bereicherungsrecht ähnliche Ersatzpflicht des § 683 kann auch den Geschäftsunfähigen treffen. Kommt es auf den Willen des Geschäftsherrn an, wie in §§ 683, 684, so ist der Wille des gesetzlichen Vertreters maßgebend. 6. Die rechtliche Bedeutung der GoA liegt vor allem in fünf Gesichtspunkten: a) Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag ist ein Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in einen fremden Rechts- und Interessenkreis. b) Der Geschäftsführer hat im Falle der berechtigten Übernahme des Geschäfts dies so zu führen, „wie es das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen erfordert“ (677). c) Der Geschäftsherr wird zum Ersatz der dem Geschäftsführer entstehenden Aufwendungen verpflichtet, 683 S. 1, 670. Dieser Anspruch geht weiter als die bereicherungsrechtliche Aufwendungskondiktion. Er ist nicht auf die noch vorhandene, wertmäßige Bereicherung beschränkt, sondern umfasst alle Aufwendungen, die der Geschäftsführer den Umständen nach für erforderlich halten durfte (Erfolgsrisiko beim Geschäftsherrn). d) Der Geschäftsführer ist zum Schadensersatz aus Übernahmeverschulden verpflichtet, wenn die Übernahme dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn widerspricht und der Geschäftsführer dies erkennen musste, 678 (Wacke: eine Art „versari in re illicita“, bei dem man sich auf fremdes Gebiet begibt). Diese Haftung umfasst auch Zufallsschäden, wird aber durch die Vorschrift der §§ 679, 680, 682 gemildert. Dem § 678 verwandt sind §§ 287 S. 2, 848; s. u. Rdn. 1280. e) Die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag ist ein Rechtsgrund für Vermögensverschiebungen im Sinne des Bereicherungsrechts.

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II. Echte Geschäftsführung ohne Auftrag (Fremdgeschäftsführung mit Fremdgeschäftsführungswillen) 1. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag a) Tatbestandliche Voraussetzungen aa) Die Geschäftsbesorgung i. S. d. § 677 umfasst jede nur denkbare, für andere zu erledigende Angelegenheit. Der Geschäftsbegriff in § 677 deckt sich also mit dem des § 662, nicht aber mit dem engeren des § 675 (oben Rdn. 1245 und 1253). Es fallen darunter tatsächliche, rechtsgeschäftliche und aus beiden Bestandteilen gemischte Handlungen. Nur Geschäfte, die ausschließlich im eigenen Interesse getätigt werden, gehören nicht dazu. bb) Das Geschäft muss für einen anderen besorgt werden, weil die Folgen aus eigenen Geschäften nicht auf einen anderen abgewälzt zu werden brauchen. Der Geschäftsfüh-

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Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

rer muss wissen, dass er ein fremdes Geschäft besorgt – weiß er es nicht, greift § 687 I ein –, und muss die Fremdgeschäftsführung wollen (vgl. oben, sog. Fremdgeschäftsführungswillen). Fängt ein Nachbar des verreisten A dessen entlaufene Hühner, um sie ihm wieder abzuliefern, handelt er als echter Geschäftsführer. Fängt er sie, um sie zu schlachten, ist er unechter Geschäftsführer, § 687 II. Liegt ein objektiv fremdes Geschäft vor, wird der Fremdgeschäftsführungswille vermutet, beim objektiv neutralen Geschäft muss er dagegen äußerlich erkennbar geworden sein. cc) Der Geschäftsführer darf zu seiner Tätigkeit weder beauftragt noch sonstwie dem Geschäftsherrn gegenüber berechtigt sein. Dienst-, Werk-, Geschäftsbesorgungsverträge, elterliche Gewalt, Vormundschaft und Amtspflicht schließen, wenn sie ein Recht oder die Pflicht zum Tätigwerden für den Geschäftsherrn zum Inhalt haben, die GoA aus. Unerkannt nichtige Verträge stehen zwar dem Vorliegen einer GoA nicht im Wege, doch richten sich Forderungen des Geschäftsführers wegen seiner Bemühungen nur nach Bereicherungsrecht, a. A. BGHZ 37, 258 (263) – nichtzugelassener Rechtsberater –; s. hierzu MüKo/Seiler § 677 Rdn. 47 f. Dagegen ist Geschäftsführung auch für den Geschäftsherrn möglich, wenn eine privatrechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers gegenüber anderen, dritten Personen besteht (vgl. oben Rdn. 1264 f). dd) Es muss einer der drei im Gesetz genannten Berechtigungsgründe vorliegen. – § 683 S. 1: Die Übernahme der Geschäftsführung muss dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen. Das (objektiv festzustellende) Interesse des Geschäftsherrn dient zur Bestimmung des mutmaßlichen Willens, der maßgeblich ist, wenn der wirkliche Wille des Geschäftsherrn nicht gebildet wurde oder nicht erkennbar ist (vgl. oben Rdn. 1267). – § 683 S. 2 i. V. m. § 679: Obwohl die Geschäftsübernahme mit dem erkennbaren Willen des Geschäftsherrn in Widerspruch steht, ist sie dennoch berechtigt, wenn ein Fall des § 679 gegeben ist. Damit werden die Fälle erfasst, in denen der Gesetzgeber eine uneingeschränkte Rücksichtnahme auf den Willen des Geschäftsherrn nicht dulden will, andererseits auch nicht auf die Fiktion des mutmaßlichen Willens zurückgreifen kann, da der Geschäftsherr seinen der Geschäftsübernahme entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hat. Dieser Wille ist unbeachtlich: – wenn die Geschäftsführung in der Erfüllung einer Pflicht des Geschäftsherrn besteht, die im öffentlichen Interesse besteht. Es muss sich aber um eine Rechtspflicht handeln; es soll nicht über die GoA die Erfüllung sittlicher Pflichten erzwingbar gemacht werden. Ein öffentliches Interesse besteht z. B. bei Verkehrssicherungspflichten, der Pflicht aus § 618 oder den Pflichten des Störers nach dem Polizeirecht, wenn ohne die Geschäftsführung eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt würde (hier braucht also das öffentliche Interesse nicht gesondert nachgewiesen zu werden), oder wenn der entgegenstehende Wille des Geschäftsherrn aus einem sonstigen Grunde verbots- oder sittenwidrig und daher unbeachtlich ist (§ 679 analog). Die h. L. wendet § 679 analog auch auf die Rettung des Selbstmörders an und kommt über § 683 S. 2 dazu, dass er für die Kosten seiner Rettung aufkommen muss. – § 684 S. 2: Genehmigt der Geschäftsherr im nachhinein die Geschäftsführung, was auch stillschweigend geschehen kann, z. B. durch das Verlangen des durch die Geschäftsbesorgung Erlangten, so wird der Geschäftsführer so gestellt, als ob eine berechtigte Übernahme des fremden Geschäfts vorgelegen hätte. Von der stillschweigenden Genehmigung einer unberechtigten Geschäftsführung durch Geltendmachung des Anspruchs nach §§ 684 S. 2, 677, 681 S. 2, 667, bei der der Geschäftsherr die Geschäftsführung nachträglich sanktioniert, ist das Verlangen nach Herausgabe des Erlangten gem. § 687 II 1, 681 S. 2, 667 zu unterscheiden: Nur die unberechtigte GoA kann durch Genehmigung zu einer berechtigten gemacht werden. Hatte der Geschäftsführer von vornherein die Absicht, das fremde Geschäft als eigenes zu führen (unechte GoA), so bekommt er, wenn der Geschäftsherr den Erlös aus dem Geschäft herausverlangt, keinen Aufwendungsersatz nach § 683 S. 1, sondern nur den (schwächeren) Anspruch auf Aufwendungskondiktion, § 684 S. 1.

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Geschäftsführung ohne Auftrag

§ 87 II 1

b) Pflichten des Geschäftsherrn

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aa) Der Geschäftsführer kann bei berechtigter GoA Ersatz seiner Aufwendungen vom Geschäftsherrn „wie ein Beauftragter“ verlangen. Er erhält also jede Aufwendung ersetzt, „die er den Umständen nach für erforderlich halten“ durfte, 683 S. 1, 670. Dieser Ersatzanspruch entsteht unabhängig vom Erfolg der Bemühungen des Geschäftsführers, auch wenn der Geschäftsherr objektiv keinen Vorteil durch die Geschäftsführung erlangt hat oder diese ihm sogar schädlich war. bb) Zu den Aufwendungen gehören zunächst einmal die üblichen Auslagen (Porto, Reisekosten, usw.), die gezielten, freiwilligen Vermögensopfer sowie die unfreiwilligen Vermögensopfer, also Schäden, 110 HGB analog (s. oben Rdn. 1250).7 cc) Umstritten ist die Frage, ob als Aufwendung auch eine Vergütung für die vom Geschäftsführer geleistete Arbeit geschuldet wird. Dies ist im Unterschied zum Auftragsrecht interessengerecht, weil der Geschäftsführer nicht die Möglichkeit hat, in einem Vertrag die gewünschte Vergütung zu vereinbaren. Man sollte nicht an einer etwaigen, hier fernliegenden Schenkungsabsicht des Geschäftsführers anknüpfen, sondern an der jeweiligen als Geschäftsbesorgung ausgeübten Tätigkeit: Wird eine solche üblicher- und typischerweise nur gegen Entgelt verrichtet, so ist sie auch bei berechtigter GoA zu vergüten. Dadurch ist auch ein Maßstab für die Höhe des Entgelts gewonnen: Der Arzt und begeisterte Bastler, der beim abwesenden Nachbarn einen Wasserrohrbruch fachgerecht in Ordnung bringt, kann nicht verlangen, was er sonst in dieser Zeit als Arzt verdient hätte, sondern das, was üblicherweise ein Installateur bekommen würde. c) Pflichten des Geschäftsherrn vor Pflichten des Geschäftsführers

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aa) Liegen die Voraussetzungen der berechtigten GoA vor, so hat der Geschäftsführer „das Geschäft so zu führen, wie das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert“, 677. Soweit der wirkliche Wille des Geschäftsherrn erkennbar ist, hat sich der Geschäftsführer bei der Durchführung des Geschäfts nach diesem Willen zu richten. Durch die berechtigte Übernahme des Geschäfts ist ein durch Treubindung gekennzeichnetes Schuldverhältnis entstanden, das, ähnlich wie der Auftrag, treuhänderische Rücksichtnahme auf Willen und Interesse des Geschäftsherrn erfordert. Umstritten ist aber, ob der Unterschied in der Formulierung in den §§ 683 und 677 zu einer stärkeren Beachtung des objektiven Interesses des Geschäftsherrn verpflichtet, oder ob bei der Durchführung das jeweils subjektiv besondere Interesse des Geschäftsherrn maßgeblich ist. Der Streit wird jedoch nur in dem seltenen Fall praktisch, wenn der wirkliche Wille des Geschäftsherrn unerkennbar von seinem wohlverstandenen Interesse abweicht und der Geschäftsführer wegen Gefahr im Verzuge die Entschließung des Geschäftsherrn nicht abwarten kann, 681 S. 1. Hier muss es genügen, wenn der Geschäftsführer objektiv interessegemäß handelt. In solchen Eilfällen kann dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, das je besondere Interesse des Geschäftsherrn zu erforschen. Im Übrigen ist aber auch bei der Durchführung der wirkliche Wille des Geschäftsherrn maßgeblich. So muss der Geschäftsführer die Geschäftsführung unterlassen, wenn der Geschäftsherr dies wünscht. 7 Eingehung von Schulden, wobei hinsichtlich vertraglicher Verbindlichkeiten ein Befreiungsanspruch, im Fall des § 679 u. U. auch ein Anspruch auf Genehmigung eines im Namen des Geschäftsherrn abgeschlossenen Vertrages bestehen kann, BGH NJW 51, 398.

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§ 87 II 1

1275

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

bb) Neben der in § 677 geregelten Hauptpflicht legen § 681 S. 1 und die Verweisung ins Auftragsrecht (§ 681 S. 2) die wichtigsten gesetzlichen Nebenpflichten fest: Anzeige der Geschäftsübernahme, Auskunfts- und Rechenschaftspflicht (666), Herausgabe des Erlangten (667), Verzinsung (668). Es gelten dieselben Grundsätze wie im Auftragsrecht. Auch darf der Geschäftsführer die Geschäftsbesorgung nicht zur Unzeit abbrechen (671 II analog). cc) Verletzt der Geschäftsführer schuldhaft eine dieser Pflichten, indem er sie sich unmöglich macht, in Verzug gerät oder schlecht erfüllt, so haftet er nach den Regeln der Leistungsstörungen, §§ 280 ff. Die §§ 320 ff gelten dagegen nicht, da kein gegenseitiger Vertrag vorliegt. Problematisch ist die Frage, ob, bei Erfüllung der gesetzlichen Tatbestände, daneben auch Deliktsrecht anwendbar ist, da berechtigte GoA ja einen Rechtfertigungsgrund für den Eingriff darstellt. Wenn man nur den sorgfältig ausgeführten Eingriff in den fremden Rechtskreis für gerechtfertigt hält, ist dies zu bejahen (so zu Recht Batsch, AcP 171 [1971], 218).

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dd) Besteht eine Notlage für den Geschäftsherrn oder einen seiner nächsten Angehörigen (dann analoge Anwendung), so mildert § 680 den Haftungsmaßstab für den Geschäftsführer, wenn die Geschäftsbesorgung die Gefahrenabwehr bezweckt. Die Gefahr muss nicht objektiv gegeben sein, es genügt, wenn der Geschäftsführer dies irrtümlich schuldlos (also nach sorgfältiger Prüfung der Situation) annimmt. Der Geschäftsführer haftet nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit bei der Übernahme wie bei der Durchführung des Geschäfts. § 254 findet keine Anwendung, vgl. BGHZ 43, 188. Ausführlich Gursky, JuS 72, 637.

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ee) Hatte der Geschäftsführer nicht die Absicht, Ersatz zu verlangen, entfällt der Ersatzanspruch, 685 I. Bei Unterhaltszahlungen an Verwandte in auf- oder absteigender Linie wird diese Schenkungsabsicht widerleglich vermutet, 685 II. § 685 I soll nicht zu Lasten des selbstlosen Helfers ausgelegt werden. Man wird daher grundsätzlich einen bewussten, wenn auch nicht notwendig erklärten Verzicht auf den Ersatzanspruch fordern müssen. (Noch weiter geht Larenz, II § 57 Ib a. E., der verlangt, die Schenkungsabsicht müsse erkennbar hervorgetreten sein.) Bedenklich ist deshalb die Entscheidung BGHZ 38, 302, die bei Hilfeleistungen des Sohnes für den Vater meint, die Absicht, keinen Ersatz zu verlangen, könne vermutet werden.

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d) Selbstgefährdung (Selbstaufopferung) im Verkehr G fährt an einen Alleebaum, um das 6-jährige Kind K nicht zu überfahren, das ihm unvermutet in die Fahrbahn läuft. Kann G von K seine Personen- und Sachschäden nach § 670 als „Aufwendungen“ unter dem Gesichtspunkt ersetzt verlangen, dass er mit dem Ausweichmanöver ein Geschäft des K führt? Die Frage ist unter folgenden Voraussetzungen zu bejahen (vgl. OLG Koblenz NJW 53, 1633; BGHZ 38, 270 = ESJ 101): – Der „Geschäftsherr“ darf nicht sonstwie verantwortlich sein, z. B. aus Vertrag oder Delikt (einschl. der Kfz-Haftung); sonst entsteht ein Ersatzanspruch und damit keine „Aufwendung“. Geschäftsherr ist hier das Kind K! – Die drohende Verletzung des K muss für G höhere Gewalt (früher: ein unabwendbares Ereignis) i. S. des § 7 II StVG sein: sonst würde der Fahrer G im Schadensfalle selbst haften. Die Folgen des Ausweichens darf er dann nicht dem Bedrohten auferlegen. – Die erlittene „Aufwendung“ muss den Schaden übersteigen, den der Geschäftsführer nach allgemeinen Grundsätzen auf sich nehmen muss, um nicht das Opfer zu schädigen. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls dann, wenn der „Geschäftsherr“ die Gefahrenlage ohne eigenes Verhalten herbeigeführt hat. Die verkehrsüblichen Nachteile als Folgen der allgemeinen Schadensabwendungspflicht müssen überschritten sein. Canaris und Larenz schlagen für die Abwägung die Grundsätze der Güterabwägung im Notstand vor (Larenz/Canaris II/2 § 57 I b a. E.).

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Geschäftsführung ohne Auftrag

§ 87 II 2

– Nicht die volle Aufwendung wird ersetzt, sondern nur ein „angemessener Betrag“, BGHZ 38, 270. Begründet wird dies damit, dass der Kraftfahrer durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs eine Ursache für die Gefahr gesetzt hat, sog. Betriebsgefahr (s. unten Rdn. 1691). 2. Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag Übernimmt der Geschäftsführer ein Geschäft des Geschäftsherrn ohne Berechtigungsgrund (die Geschäftsübernahme also nicht dem Willen des Geschäftsherrn entspricht, kein Fall des § 679 besteht und nachträglich keine Genehmigung erfolgt, 684 S. 2), liegt eine unberechtigte GoA vor.

1279

a) Pflichten des Geschäftsherrn Da der Aufwendungsersatzanspruch gem. § 683 S. 1 nur im Falle berechtigter Geschäftsübernahme entsteht, weil eben bei ungebetener Einmischung der Geschäftsführer „in eigener Regie“ handelt, sollen auch dem Geschäftsherrn die Früchte dieser Tätigkeit nicht zufallen. Der Geschäftsherr muss deshalb alles aus der Geschäftsführung Erlangte nach Bereicherungsrecht herausgeben, § 684 S. 1 (Rechtsgrundverweisung, vgl. Rdn. 1487). An die Stelle des Aufwendungsersatzanspruchs, den der berechtigte Geschäftsführer geltend machen kann, tritt also der (allen spezifisch bereicherungsrechtlichen Gefahren ausgesetzte) Anspruch aus Aufwendungskondiktion für den unberechtigten Geschäftsführer. Für den Spezialfall, dass der Geschäftsführer gleichzeitig aufgrund vertraglicher Verpflichtung gegenüber einem Dritten tätig wird, vgl. OLG Hamm NJW 74, 951. Der Anspruch besteht nicht im Fall des § 685. Ebenfalls scheitert ein Anspruch, wenn es an einer Bereicherung fehlt, der Erwerb, wie z. B. bei der „aufgedrängten Bereicherung“ dem Geschäftsherrn keinen Nutzen bringt (s. Rdn. 1521). Hat umgekehrt der Geschäftsführer etwas auf Kosten des Geschäftsherrn erlangt, so muss er das ebenfalls nach Bereicherungsrecht herausgeben, wenn nicht die weitergehende Schadensersatzpflicht eintritt.

1280

b) Pflichten des Geschäftsführers aa) Der unberechtigt in einen fremden Rechtskreis eingreifende Geschäftsführer hat nicht die Pflicht zur sorgfältigen Durchführung und zur Erfüllung der Nebenpflichten – die §§ 677 und 681 sind unanwendbar. Es kann auch nicht auf § 242 zurückgegriffen werden, sondern es gilt Bereicherungs- (812 ff) und Deliktsrecht (823 ff). bb) Darüber hinaus besteht aber eine Schadensersatzpflicht aus Übernahmeverschulden, 678. Diese Haftung ist besonders streng ausgestaltet und zeigt den Zweck der Geschäftsführung ohne Auftrag, ungebetener Einmischung in fremde Angelegenheiten einen Riegel vorzuschieben, besonders deutlich: Der unberechtigte Geschäftsführer haftet auch bei nur leichter Fahrlässigkeit in der Übernahme des Geschäfts für normrelevante Zufallsschäden bei der Durchführung. Ein Widerspruch mit dem Willen des Geschäftsherrn liegt vor, wenn dieser erkennbar überhaupt keine Geschäftsführung will oder mit der Art und Weise, wie der Geschäftsführer das Geschäft besorgen will, nicht einverstanden ist oder wenn er die Geschäftsführung gerade durch diesen Geschäftsführer ablehnt. Außerdem muss sich der Geschäftsführer bewusst über den ihm bekannten Willen des Geschäftsherrn hinweggesetzt oder aber den maßgeblichen Willen (oben Rdn. 1267) schuldhaft falsch eingeschätzt haben.

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1281

§ 87 III 2

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Liegen diese Voraussetzungen vor, haftet der Geschäftsführer für jeden durch die Geschäftsführung adäquat verursachten Schaden, ohne dass es auf ein Verschulden bei der Durchführung ankäme, er trägt also bei schuldhafter Übernahme das Risiko des Fehlschlags seiner Bemühungen. Es liegt also ein Fall des versari in re illicita vor, vgl. o. Rdn. 1270: Wer schuldhaft einen unerlaubten Zustand herstellt, haftet für alle Folgen. cc) Diese strenge Haftung wird aber begrenzt durch den hier anwendbaren § 680: Handelt der Geschäftsführer zur Abwendung einer dem Geschäftsherrn drohenden Gefahr, so hat er nur grobe Fahrlässigkeit und vorsätzliches Handeln gegen den Willen des Geschäftsherrn bei der Übernahme zu vertreten. Dadurch wird auch die Haftung aus § 823 auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz beschränkt. Das gilt auch für den geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Geschäftsführer.

III. Fremdgeschäftsführung mit Eigengeschäftsführungswillen (unechte GoA i. w. S.: vermeintliche und unechte GoA i. e. S.) 1. Vermeintliche Geschäftsführung ohne Auftrag, § 687 I 1282

Fehlt der Fremdgeschäftsführungswille, so sind die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag gem. § 687 I nicht anwendbar. Dabei ist unerheblich, ob der Irrtum verschuldet war. Irrt der Geschäftsführer schuldhaft, kann aber neben das zur Rückabwicklung anwendbare Bereicherungsrecht auch Deliktsrecht treten. Zu beachten ist aber das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis der §§ 987 ff, das für den redlichen Eigenbesitzer das Deliktsrecht ausschließt! § 687 I geht jedoch weiter als der Schutz des redlichen Eigentümers durch das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, da darunter auch fällt, wer beim Besitzerwerb grob fahrlässig war (anders § 990 I). Handelt es sich um ein objektiv neutrales Geschäft, so treten überhaupt keine Rechtsfolgen ein – es liegt vielmehr die erlaubte Besorgung eines Geschäftes für sich selbst vor. Nur beim objektiv fremden Geschäft ist also eine Fallgestaltung denkbar, bei der ein fremdes Geschäft als eigenes geführt wird, RGZ 137, 212. Auch eine Genehmigung kommt hier nicht in Frage, da § 684 S. 2 das Handeln für den anderen voraussetzt. Beispiele einer Fremdgeschäftsführung mit Eigengeschäftsführungswillen sind: Besitz- und Eigentumsverletzungen, Ausbeutung eines fremden geistigen Eigentums oder Erfinderrechts, nicht aber unberechtigte Untervermietung: Der Mieter führt hier kein Geschäft des Vermieters, da dieser die Gebrauchsmöglichkeiten dem Mieter eingeräumt hat, s. o. Rdn. 1039.

2. Unechte Geschäftsführung ohne Auftrag, § 687 II 1283

Bei der unechten GoA führt der Geschäftsführer vorsätzlich ein (objektiv fremdes) Geschäft als eigenes. Er greift bewusst und gewollt in einen fremden Rechtskreis ein und handelt ausschließlich zu seinem eigenen Vorteil. Dabei ist, im Unterschied zu § 816, die subjektive Absicht entscheidend: Der unterschlagende Angestellte führt ein „eigenes Geschäft“ nach § 687 II, aber ein Geschäft seines Prinzipals nach §§ 56, 366 HGB, 816 I 1. a) Der, in dessen Rechtssphäre so eingegriffen wurde, der Geschäftsherr, kann aber den Geschäftsführer an seinem Tun festhalten, und alle sich aus berechtigter wie unberechtigter GoA ergebenden Ansprüche geltend machen. aa) Wichtig ist der Anspruch aus §§ 687 II, 681 S. 2, 667 auf das aus der Geschäftsführung Erlangte.

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Geschäftsführung ohne Auftrag

§ 87 III 2

Verkauft ein Dieb Diebesgut an einen Unbekannten, so haftet er dem Eigentümer (1) auf Ersatz des Gesamtschadens nach – §§ 687 II 1, 678 – §§ 985, 992, 823 I; 823 II, 242 StGB; 826 – §§ 985, 990 I 1, 989 – §§ 1007 I, II, III 2 i.V. m. den obigen Vorschriften (2) auf den Wert des Besitzes des Diebesgutes einschl. des Vorenthaltungsschadens sowie auf Nutzungen nach – §§ 992, 823 I (Besitz als sonstiges Recht); 823 II, 858 – §§ 990 I 1, 989, 987 (also entgegen BGHZ 29, 157 nicht auf den Gewinn, str. s. u.) – §§ 812, 818 greift nicht, BGHZ 41, 157 (3) auf den gesamten Erlös, einschließlich des Werts und des den Schaden übersteigenden Gewinns (BGHZ 82, 208) nach – §§ 687 II, 681 S. 2, 667 – § 816 I. Da nach allerdings stark bestrittener Ansicht der Praxis und verbreitet in der Literatur (Rdn. 1510) der Anspruch aus § 816 I nur auf den Wert der Sache geht, ist § 687 II die Vorschrift, nach welcher der durch einen unerlaubten Eingriff Betroffener auch den Gewinn vom Verletzten herausverlangen kann. Die 2. Kommission betrachtete dies als zweckmäßige Ergänzung deliktsrechtlicher Vorschriften und übernahm damit die actio negotorium gestorum directa des spätrömischen Rechts (Ulp. D. 3, 5; Prot. II 742 f). bb) Der Geschäftsherr hat den sich aus §§ 687 II, 678 ergebenden Schadensersatzanspruch aus Übernahmeverschulden mit der Zufallshaftung für Folgeschäden. Das in § 678 geforderte Verschulden ist begrifflich schon mit der vorsätzlichen Eigengeschäftsführung gegeben, da niemand annehmen kann, mit diesem Eingriff im Willen und Interesse des Geschäftsherrn zu handeln. Es hat einen guten Sinn, wenn der Gewinnherausgabeanspruch den vorsätzlichen Eingriff in den fremden Rechtskreis fordert, wie § 687 II es tut: Wer bewusst und gewollt mit anderer Leute Hab und Gut Geschäfte macht, soll den erzielten Gewinn herausgeben. Fraglich ist, ob Fahrlässigkeit genügt, ob also Verschulden ausreicht. Bei der Ausbeutung fremden geistigen Eigentums (Immaterialgüterrechte) wird nach feststehender Praxis ein Anspruch auf Herausgabe des Gewinns auch bei fahrlässigem Handeln gewährt. Dieses Ergebnis wurde von der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 70, 249, 251 ff; 156, 321, 325; 165, 65) als Schadensersatzanspruch begründet, wobei für die besonders geartete Schadensberechnung (Erlös) der Rechtsgedanke aus § 687 II herangezogen wurde. Fahrlässigkeit soll ausreichen, weil Vorsatz kaum je nachweisbar ist. Die spezialgesetzlichen Schadensersatzansprüche sind, entsprechend dieser Rechtsprechung, ausgestaltet worden, 139 II PatG, 24 II GebrMG, am deutlichsten 97 I 2 UrhG. Die Rechtsprechung war jedoch auch weiterhin bedeutsam für das Recht der Warenzeichen (BGHZ 34, 320; 44, 372), jetzt §§ 14, 15 MarkenG, und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten ohne wirtschaftlichen Zuweisungsgehalt (BGHZ 20, 345, 353; nicht bedenkenfrei die Einschränkung in BGHZ 26, 349, 352 f, die ausschließlich Ersatz für den immateriellen Schaden gewährt). Die Erweiterung von Vorsatz auf Verschulden auch über das Recht des geistigen Eigentums hinaus ist sachgerecht, wenn man § 816 auf den Wert der Sache beschränkt, dem Bereicherungsrecht also keinen Strafcharakter beimisst, was wiederum sachgerecht ist. Allerdings ist diese erweiternde Auslegung von § 687 II noch keineswegs anerkannt. b) Macht der Geschäftsherr die in § 687 II genannten Ansprüche geltend, so ist er dem Geschäftsführer nach § 684 S. I verpflichtet, 687 II 2. Diese Verweisung ist fehlerhaft: Verlangt der Geschäftsherr nach §§ 687 II 1, 681 S. 1, 667 das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte heraus, muss er dann dem Geschäftsführer seinerseits nach § 687 II 2, 684 S. 1 eben dieses Erlangte nach Bereicherungsrecht zurückerstatten? So gesehen würden sich die §§ 687 II 1 und 687 II 2 gegenseitig aufheben.

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1284

1285

§ 87 IV

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Richtig verstanden bedeutet deshalb § 687 II 2 nur, dass der Geschäftsherr, wenn er den Gewinn aus den Transaktionen des Geschäftsführers herausverlangt, seinerseits die dabei entstandenen Aufwendungen bis zur Höhe seiner Bereicherung dem Geschäftsführer erstatten muss. So wie der unberechtigte Geschäftsführer an Stelle des nicht anwendbaren § 683 S. 1 einen Anspruch auf Aufwendungskondiktion erhält, kann also auch der unbefugte Eigen„geschäftsführer“ Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Geschäftsherr durch sie bereichert ist: Erfolglose Aufwendungen und solche, die den Gewinn aus dem Geschäft übersteigen, müssen nicht ersetzt werden. c) Die sog. dreifache Schadensberechnung im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht soll aus Naturalrestitution, entgangener Lizenz und Herausgabe des Reingewinns nach §§ 687 II, 681 S. 2, 667 bestehen, E. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, 558 ff im Anschluss an BGHZ 20, 345 (353) – Paul Dahlke –; vgl. auch § 97 UrhG. Genau genommen besteht ein fünffaches Wahlrecht: (1) Ersatz des konkreten Schadens, 249; (2) Ersatz des abstrakten Schadens, 249, 252; (3) entgangene übliche Lizenz (nach BGHZ 20, 353 – Gewohnheitsrecht –, als Spezialform des abstrakten Schadens, nicht etwa als Gewinnart); (4) entgangener Gewinn nach GoA, §§ 687 II, 681 S. 2, 667 und entsprechenden Vorschriften nach Art von § 97 UrhG; und (5) Bereicherungsherausgabe, falls deren Voraussetzungen (insb. Eingriff) vorliegen, Schricker/Wild, Urheberrecht 2. Aufl. 1999, § 97 Rdn. 56 ff, Fezer, Markenrecht, 1997, § 14 Rdn. 518 ff.

IV. Konkurrenzen 1286

1. Für das Verhältnis zum Bereicherungsrecht ist zu differenzieren: Berechtigte GoA schließt die Anwendbarkeit der §§ 812 ff aus, da sie als causa i. S. d. § 812 wirkt (vgl. Staud./Wittmann, Vorb. zu §§ 677–687 Rdn. 4). Vermögensverschiebungen durch die Geschäftsführung erfolgen also mit rechtlichem Grund. Die Eingriffskondiktion wirft keine Abgrenzungsfragen auf, da eine Geschäftsbesorgung i. S. d. §§ 677 ff stets eine Leistung im Sinne des Bereicherungsrechts ist, vgl. Esser/Weyers, § 98, 2c. Bei unberechtigter Geschäftsführung entsteht das Legalschuldverhältnis der GoA dagegen nicht; es bleibt bei einem Ausgleich nach Bereicherungsrecht, 684 S. 1. Handelt es sich um unechte Geschäftsführung, 687 II, so ist Bereicherungsrecht ausgeschlossen, BGHZ 39, 188, wenn der Geschäftsherr die sich aus § 687 II ergebenden Rechte nicht geltend macht (str.). 2. Im Verhältnis zum Verwendungsersatz nach dem Eigcntümer-Besitzer-Verhältnis geht das speziellere gesetzliche Schuldverhältnis der GoA vor, soweit dessen Tatbestand erfüllt ist. Nur wenn der Ersatz der Aufwendungen nach §§ 683, 670 scheitert, z. B. weil der Geschäftsführer mit Eigengeschäftsführungswillen handelte (redlicher Eigenbesitzer), greift subsidiär § 994 I ein. Die Rechtsgrundverweisung des § 994 II gilt dagegen nur für den Fremdbesitzer: Macht dieser Aufwendungen, um die Sache dem Eigentümer zu erhalten, kann er die Ansprüche aus GoA geltend machen. – Auch der Anspruch des Geschäftsherrn nach § 687 II wird durch das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nicht ausgeschlossen, auch soweit er auf Schadensersatz und Herausgabe der Nutzungen geht, da er nicht auf der Unmöglichkeit der Herausgabe beruht. Im Fall unechter GoA besteht also Anspruchskonkurrenz, Berg, JuS 71, 312.

638

Maklervertrag

§ 88

Nein Nein Nein

V. Geschäftsführung ohne Auftrag – auf einen Blick* –

Voraussetzungen: 677 und 687 S. 1 I. Geschäftsführung II.1. Kenntnis des GF von der Fremdheit II.2. Wille des GF, das G als fremdes zu führen III. ohne speziellen Verpflichtungstatbestand IV. Übernahme entspricht dem Willen und Interesse des GH („echte GoA“)

1287

Ansprüche des GH

Ansprüche des GF

Berechtigte GoA

677

sorgfältige Durchführung 681 S. 1 Nebenpflichten 681 S. 2 i. V.m. 667 Herausgabe i.V. m. 668 Verzinsung i.V. m. 666 Auskunft, Rechenschaft Verletzung dieser Pflichten: 280 ff

683 S. 1 i. V. m. 670 Aufwendungsersatz nach Auftragsrecht Beachte: Schenkungsabsicht, 685 Schadensmilderungsgründe

Unberechtigte GoA

Voraussetzung: 678 678 Schadensersatz Beachte: Haftungsmilderung 680, 682 Die sonstigen Vorschriften über GoA, vor allem 677 und 681 gelten nicht; stattdessen gelten 812 ff.

684 S. 1 Herausgabe des aus der i.V. m. Geschäftsführung 812 Erlangten wie bei der unechten GoA. Aufwendungskondiktion

Aber: 679, 684 S. 2 haben dieselben Rechtsfolgen wie die berechtigte GoA

Also: 683 S. 2, 670 684 S. 2, 683 S. 1, 670 Aufwendungsersatz

irrtümlich: vermeintliche GoA

687 I GoA-Recht gilt nicht, sondern 812 ff, 994 gelten

687 I GoA-Recht gilt nicht

vorsätzlich: unechte GoA (i.e.S.)

687 II – 677 sorgfältige Durchführung – 678 Schadensersatz – 681 S. 1 – 681 S. 2 i. V.m. 666 i.V. m. 667 i.V. m. 668

Bei Geltendmachung eines dieser Ansprüche durch den Geschäftsherrn: 687 II i.V.m. 684 S. 1 Herausgabe des aus der Geschäftsführung Erlangten nach Bereicherungsrecht. Aufwendungskondiktion als Ausgleich dafür, dass der Geschäftsführer keinen Aufwendungsersatz nach 670 bekommt

§ 88 Maklervertrag Bethge, Maklerrecht in der Praxis, 3. Aufl. (2005); Brandt, Das Recht des Immobilienmaklers, 11. Aufl. (2003); Dehner, Das Maklerrecht – Leitfaden für die Praxis (2001); ders., NJW 2002, 3747; Habersack/Schürnbrand, WM 2003, 261; Knieper, NJW 1970, 1293; Mäschle, Maklerrecht, 2. Aufl. (2002); Martinek, JZ 1994, 1048; Petri/Wieseler, Handbuch des Maklerrechts (1998); P. Schwerdtner, *

G Geschäft, GH Geschäftsherr, GF Geschäftsführer

639

§ 88 II

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Maklerrecht, 4. Aufl. (1999); Waibel/Reichstädter, Jura 2002, 649; Weishaupt, JuS 2003, 1166; Werner, O., Jura 1970, 353.

I. Begriff und Wesen 1288

1. Maklervertrag, das BGB spricht noch vom Mäklervertrag, ist der Vertrag, durch den sich jemand (der Auftraggeber) verpflichtet, einem anderen (Makler) für den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrags oder für die Vermittlung eines Vertrags einen Lohn (Maklerlohn) zu zahlen. Der Nachweismakler beschränkt sich auf den reinen Nachweis der Vertragsgelegenheit zugunsten einer Partei, während der Vermittlungsmakler die Abschlussbereitschaft dieses Interessenten herbeiführt, bildlich gesprochen führt er beide Parteien an den Verhandlungstisch. In der Praxis gehen beide Formen ineinander über. Eine Verpflichtung zum Abschluss eines nachgewiesenen Vertrags („Hauptvertrag“) besteht für den Auftraggeber regelmäßig nicht; es entsteht dann auch kein Anspruch auf die Erfolgsprovision. Nach der gesetzlichen Regelung ist der Makler zu einem Tätigwerden nicht verpflichtet. Damit ist der Vertrag regelmäßig nur einseitig verpflichtend (BGHZ 94, 100). Eine Pflicht zum Tätigwerden besteht allerdings dann, wenn vom Leitbild des Maklervertrages zu Lasten des Auftraggebers abgewichen wird. Das ist bei einem Alleinauftrag der Fall, der andere Makler ausschließt oder bei einem Festauftrag, der das Kündigungsrecht für einen gewissen Zeitraum ausschließt. Wird ein Tätigwerden ausdrücklich vereinbart oder soll ein Einstehen für den Erfolg vereinbart sein, ist ein Maklerdienst- bzw. Maklerwerkvertrag gegeben. Verletzt der Makler seine Sorgfaltspflichten, haftet er aus § 280, gegebenenfalls auf wirtschaftliche Freistellung vom Hauptvertrag, BGH NJW 82, 1145; 82, 1147.

2. Für die Entgeltlichkeit des Maklervertrags spricht eine widerlegliche Vermutung, 653. Wer einen Makler bemüht, muss in aller Regel mit einer Gebührenpflicht rechnen, wenn der Vertrag zustande kommt. Auch der Vorkaufsberechtigte haftet, BGH NJW 82, 2068; 82, 2662. 3. Das Maklerrecht des BGB gilt nur, soweit nicht Sonderbestimmungen eingreifen, z. B. das Wohnungsvermittlungsgesetz (Schönfelder Nr. 31) oder §§ 296 ff SGB III (Arbeitsvermittlung). Unter das BGB fallen hauptsachlich Grundstücks-, Hypotheken-, Geschäftsverkaufs-, Geschäftsverpachtungs- und vor allem Wohnungsmakler. Dagegen regeln die §§ 93–104 HGB das Tätigkeitsfeld des Handelsmaklers (Waren; Wertpapiere, Güterbeförderungen oder sonstige Gegenstände des Handelsverkehrs).

II. Besonderheiten des Maklervertrags 1289

Der Vergütungsanspruch des Maklers setzt nach § 652 vier Dinge voraus: Zustandekommen eines Maklervertrages sowie des Hauptvertrages mit dem Dritten, Ursächlichkeit der Maklerleistung und Kenntnis des Auftraggebers von der Maklertätigkeit. 1. Das Zustandekommen eines Maklervertrages ist stillschweigend möglich. In der Nachfrage des Interessenten auf die Suchanzeige des Maklers liegt in der Regel noch kein schlüssiges Vertragsangebot. Der Interessent darf davon ausgehen, dass der Makler lediglich für seinen Auftraggeber tätig wird (BGHZ 95, 393, 395). Will der Makler für beide Seiten tätig werden (als sog. Doppelmakler) 1, so muss der Makler den Dritten klar und deutlich auf die entstehende Provisionsverpflichtung hinweisen (BGHZ 95, 393, 395 ff).

1 Dies geht nur, wenn beide Auftraggeber damit einverstanden sind und der Makler sich unparteiisch verhält (BGHZ 48, 344, 350; NJW 2004, 154, 157). Ist ihm das vertraglich verboten, so verliert er bei einem Tätigwerden auch für einen Dritten den Maklerlohn, 654.

640

Maklervertrag

§ 88 III

2. Nach § 652 I 1 ist der Lohnanspruch an den Vertragsabschluss mit einem Dritten gebunden 2. Überhaupt verwenden Makler in großem Umfang Geschäftsbedingungen, durch die sie sich zu schützen trachten („Mäklers Müh ist oft umsonst“).3 Gelegentlich wird reiner Aufwendungsersatz, gegebenenfalls pauschaliert, vereinbart, vgl. § 652 II. Wird allerdings durch die Höhe der Pauschale unangemessener Druck auf den Auftraggeber zum Abschluss eines Grundstückkaufs oder -verkaufs ausgeübt, so bedarf die Vereinbarung der Pauschale der notariellen Form des § 311b I, BGH NJW 80, 1622. Eine erfolgsunabhängige Provisionspflicht weicht so sehr vom gesetzlichen Leitbild ab, dass sie individuell vereinbart werden muss, um wirksam zu sein. Eine Klausel, die Derartiges in AGB oder Formularvertrag „versteckt“, ist unwirksam, 305c I („überraschende Klausel“). 3. Der Nachweis des Maklers muss kausal für den Hauptvertrag gewesen sein. Daran fehlt es bei Vorkenntnis des Auftraggebers. Zwischenüberlegungen und die Einschaltung weiterer Makler ändern an einer einmal bestehenden Kausalität nichts mehr; auch genügt eine Mitursächlichkeit. Bei einem Makler ist die Kausalität indiziert (BGH NJW 1999, 1255: jedenfalls bei angemessenem zeitlichen Abstand zwischen Nachweis und Vertragsschluss); bei mehreren Maklern muss umgekehrt der Makler die Kausalität nachweisen (BGH DB 79, 496). Der die Provisionspflicht auslösende Vertrag muss mit einem Dritten zustande kommen. Deshalb entfällt die Provision, wenn auf einer Seite (oder auf beiden Seiten, vgl. BGH NJW 76, 45) der Makler selbst Vertragspartei ist. 4. Schließlich ist Voraussetzung für die Vergütung die Kenntnis von der Maklertätigkeit seitens des Auftraggebers spätestens bei Abschluss des Vertragsschlusses.

III. Darlehensvermittlungsvertrag Durch das SMG wurden in das Maklerrecht die Vorschriften über die Darlehensvermittlung übernommen, die vorher im VerbrKrG geregelt waren. Auch für Darlehensvermittlungsverträge gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 652 ff, soweit sich aus den §§ 655a ff keine Besonderheiten ergeben. Nach § 655a S. 1 ist der Darlehensvermittlungsvertrag ein Vertrag, nach dem es ein Unternehmer unternimmt, einem Verbraucher gegen Entgelt einen Verbraucherdarlehensvertrag (§§ 491 ff) zu vermitteln oder die Gelegenheit zum Abschluss eines solchen Vertrags nachzuweisen. Durch Schriftformerfordernis und bestimmte Informationspflichten (§ 655b) soll dem Verbraucher ein Überblick über die durch den Darlehensvermittlungsvertrag entstehenden Belastungen gegeben werden. So ist in der Vertragsurkunde neben der in Relation zum Darlehen anzugebenden Vermittlervergütung auch ein eventuell mit dem Unternehmer vereinbartes Honorar zu nennen. Die Vergütung ist nach § 655c erfolgsabhängig, bei Umschuldungsdarlehen darf sich zudem der effektive Jahreszins nicht erhöhen. Außer der Vergütung nach § 655c dürfen Nebenentgelte nicht vereinbart werden, 655d. Wie im Verbraucherschutzrecht üblich, sind diese Schutzvorschriften halbzwingend ausgestaltet, 655e.

2 Wird der Hauptvertrag angefochten, besteht folglich auch dann kein Provisionsanspruch des Maklers, wenn nicht er, sondern sein Auftraggeber getäuscht hat, BGH NJW 79, 975. 3 Variante: „Mäklers Kunst ist oft umsonst“.

641

1290

§ 89 I

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

IV. Der Ehemaklerlohn, § 656 Beckmann, Ehevermittlung und sonstige Partnervorschlagsleistungen, 1988; Gilles, NJW 83, 361; ders., Eheanbahnung und Partnervermittlung, 1985; E. Peters, NJW 86, 2676; U. Peters, NJW 89, 2793.

1291

Der Ehemaklerlohn ist eine Naturalobligation, d. h. eine erfüllbare Nichtschuld (oben Rdn. 69). Der rechtspolitische Grund der Vorschrift, die Trennung finanzieller Sanktionen von höchstpersönlichen Entschlüssen, überzeugt nicht, denn die Ehe bringt auch sonst wirtschaftliche Sanktionen. Die Praxis der Vorauskasse ist jedenfalls nicht geeignet, die Seriosität der Ehevermittlung zu vergrößern. Für die Partnervermittlung gilt § 656 entsprechend, vgl. BGH 112, 122. § 656 I 1 schließt die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus positiver Vertragsverletzung des Ehemaklers nicht aus (BGHZ 25, 124).

1292

§ 656 gilt für sämtliche Ehemaklerverträge, auch soweit sie nicht am Leitbild des § 656 orientiert, sondern, wie häufig in AGB, als Eheanbahnungsverträge ausgestaltet sind.4 Nach § 656 II werden Umgehungsgeschäfte wie Schuldanerkenntnisse oder Wechsel, die zum Zweck der Erfüllung des Provisionsversprechens eingegangen wurden, erfasst. Von zunehmender Wichtigkeit ist der finanzierte Ehemaklervertrag, bei dem der Kunde den Ehemaklerlohn nicht aus Eigenmitteln bestreitet, sondern bei einer Bank, die meist mit dem Ehemakler in Geschäftsverbindung steht, ein Darlehen aufnimmt, das diese an den Ehemakler noch vor dessen Tätigwerden ausbezahlt. Die Konstruktion gleicht also der des B-Geschäfts beim finanzierten Abzahlungskauf. Es ist umstritten, ob auf die Darlehensforderung § 656 II analog angewendet werden kann oder nicht. Man kann § 656 II analog anwenden, wenn die rechtliche Aufspaltung nur den Sinn hat, diese Vorschrift zu umgehen (weitergehend Medicus BürgR, Rdn. 776). Steht dagegen bei der Vereinbarung eines finanzierten Ehemaklervertrags der Finanzierungsgedanke im Vordergrund, ist die Klagbarkeit nicht ausgeschlossen. Beim verbundenen Geschäft kommt es dann allerdings zum Einwendungsdurchgriff nach § 359. Der Gesetzgeber wollte mit der Vorschrift des § 656 Prozesse über den Maklerlohn verhindern, da er darin eine Belastung für eine auf Vermittlung zustande gekommene Ehe sah, nicht aber Darlehensprozesse.5

§ 89 Auslobung Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, Diss. Kiel 1969; Elster, ArchBürgR 18 (1900), 124; Kohler, ArchBürgR 25 (1905), 1; Kuhlenbeck, JW 1908, 6454; v. Mayr, Die Auslobung, 1905; Oertmann, ÖZBl. 24, 785; Scheicher, Die Lehre von der Auslobung nach Reichsrecht, 1900.

I. Begriff und Wesen 1293

1. Die Auslobung ist ein Schuldverhältnis, das durch ein einseitiges Rechtsgeschäft, nämlich eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung zustande kommt, und das den einen Teil (Auslobenden) zur Zahlung einer Belohnung an denjenigen verpflichtet, der die Handlung vorgenommen hat, für die der Auslobende durch öffentliche Bekanntmachung die Belohnung versprochen hat, 657. 4 BGH 106, 347; Jauernig/Mausel, § 656 Rdn. 2; a. A. Gilles, Rdn. 77. 5 Zum Streitstand s. MüKo/Roth, § 656 Rdn. 30 ff.

642

Auslobung

§ 89 III

Zettel am Straßenbaum: „20,– Euro demjenigen, der mir meinen entflogenen Kanarienvogel wiederbringt.“ Unterschrift und Adresse. Streitig ist ihre Abgrenzung von Wette und Spiel (unten Rdn. 1346f). Die einen trennen nach Art der Bindung: Die Auslobung binde nur den Auslobenden. Der aufgrund der Auslobung Tätige sei zu nichts verpflichtet, wenn sein Versuch misslingt. Spiel und Wette legen dagegen beiden Seiten Bindungen auf.1 Die andern anerkennen auch die einseitig bindende Wette. Eine Auslobung sei durch ihren Belohnungscharakter gekennzeichnet.2 Die zweite Auffassung verdient den Vorzug. Bei Spiel und Wette soll sich irgend etwas „herausstellen“; bei der Auslobung soll etwas getan, geleistet werden, insbesondere ein Erfolg herbeigeführt werden. Dafür wird ein Lohn zugesagt. Die Auslobung gehört zu den Schuldverhältnissen über Tätigkeiten. Spiel und Wette sind „sonstige Versprechen“. Liegt daher das Schwergewicht auf dem Leistungs-Lohn-Gedanken, handelt es sich um eine Auslobung.

2. Als einseitiges Rechtsgeschäft steht die Auslobung auf einer Stufe mit dem Testament und der Stiftung. Das BGB hat mit der Fassung des § 657 den gemeinrechtlichen Lehrstreit entschieden, ob die Auslobung ein Vertrag sei (Vertragstheorie) oder kraft einseitigen Versprechens verpflichte (Pollizitationstheorie), und zwar zugunsten der letztgenannten Auffassung, vgl. dazu MüKo/Seiler, § 657 Rdn. 3. Die Auslobung braucht den Belohnungsberechtigten nicht einmal zu erreichen (entgegen § 130), sofern er nur die gewünschte Handlung – ohne Rücksicht auf die Auslobung – vornimmt, 657. Dafür ist der Anspruch aus einer Auslobung in diesem Falle entgegen § 397 auch einseitig verzichtbar, sonst würde man wider Willen Gläubiger. Dem Auslobenden steht es frei, besondere Verfahrensbedingungen festzulegen, BGHZ 17, 366.

1294

II. Besonderheiten 1. § 658 schränkt die Widerrufsmöglichkeit ein. 2. Wird die Handlung mehrfach vorgenommen, entscheidet Priorität; bei Gleichzeitigkeit erfolgen Teilung oder Auslosung, 659. 3. Mehrere Mitwirkende erhalten Anteile nach dem Grad der Beteiligung. Billiges Ermessen des Auslobenden entscheidet, was das Gericht überprüfen kann, 660.

1295

III. Preisausschreiben, § 661 Die wichtigste Auslobungsbestimmung ist § 661: Ein Preisausschreiben ist eine Auslobung 3. § 661 gibt bürgerlichrechtliche Regeln für die Gültigkeit und Durchführung des Preisausschreibens. Architektenwettbewerbe (BGH NJW 83, 442), Bildhauerwettbewerbe, Preisrätsel zu Werbezwecken fallen hierunter. Gem. § 661 II 2 ist die Entscheidung, wer das Preisausschreiben gewinnt, verbindlich. Daraus wird geschlossen, dass entgegen § 319 I 1 eine gerichtliche Nachprüfung nicht stattfindet.4 Bei nicht öffentlich bekanntgemachter Auslobung gelten die Regeln des § 661 vereinbarungsgemäß häufig entsprechend, BGHZ 17, 336. Bei den Preisrätseln zu Werbezwecken, z. B. in Zeitschriften, auf Flugzetteln und dergl., sind vor allem zwei Gesichtspunkte zu beachten:

1 Larenz, II 1, § 55, S. 406; Enneccerus/Lehmann, § 159 II 3a. 2 Kohler; Medicus, II, § 112 Rdn. 508. 3 Ein Preisausschreiben unterscheidet sich dadurch von der gewöhnlichen Auslobung, dass nur demjenigen, der sich an einem Wettbewerb beteiligt, ein Preis versprochen wird und dieser zuerkannt werden muss. 4 H. M., Palandt/Sprau, § 661 Rdn. 3; nach Auffassung des BGH (BGHZ 17, 366) ist das Verfahren aber über § 1041 ZPO a. F., jetzt § 1059 II ZPO nachprüfbar.

643

1296

§ 89 IV

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Ist das Preisrätsel so leicht, dass es praktisch jeder auch bei geringer Aufmerksamkeit lösen kann, liegt eine unverbindliche Ausspielung vor, 763, 762. Verstößt das Preisrätsel wegen seiner Leichtigkeit oder aus sonstigen Gründen gegen die guten Sitten im Wettbewerb, gelten die Verbote des UWG.

Vom Preisausschreiben zu unterscheiden ist die Ausschreibung (z. B. nach VOB/A), die eine öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Angeboten darstellt, 145 ff. Wer ausschreibt, muss sich an die Regeln halten, die er selbst aufgestellt hat, und er muss den Bewerbern gleiche Chancen einräumen. Sonst kommt ein Anspruch aus §§ 280 I, 311 II in Betracht. Für öffentliche Auftraggeber s. §§ 97 ff GWB.

IV. Gewinnzusagen Felke/Jordans, IPRax 2004, 409; Fetsch, RIW 2002, 936; Leible, NJW 2003, 407; S. Lorenz, NJW 2000, 3305; ders., IPRax 2002, 192; Mörsdorf-Schulte, JZ 2005, 770; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328; Schäfer, JZ 2005, 981; Schneider, BB 2002, 1653; Schröder/Thiessen, NJW 2004, 719; Staudinger, JZ 2003, 852; Timme, JuS 2003, 638; Wagner/Potsch, Jura 2006, 401.

1297

§ 661a wurde durch das FernabsatzG aus dem Jahr 2000 eingefügt. Unternehmer, welche Verbrauchern Gewinnzusagen senden (Form unerheblich, eine e-mail reicht aus!), sind verpflichtet, dem Verbraucher den versprochenen Preis zu leisten. Die Vorschrift hat einen inhaltlichen Bezug zum Recht des unlauteren Wettbewerbs. Sie reagiert auf den verbreiteten Missstand, dass Unternehmer Verbrauchern Mitteilungen über angebliche Gewinne zusenden, um diese zur Bestellung von Waren zu veranlassen. Die Gewinne werden sodann – auch auf Nachfrage – nicht ausgehändigt. § 661a ermöglicht es dem Verbraucher, den Unternehmer beim Wort zu nehmen und ihn auf Leistung des Gewinns zu verklagen. Verpflichtet wird derjenige, der aus der Perspektive eines durchschnittlichen Verbrauchers als Versprechender anzusehen ist. Auch wer unter falschem oder nicht existierendem Namen eine Gewinnzusage versendet, wird selbst verpflichtet.5 Der Anspruch aus § 661a ist zivilrechtlicher, nicht strafrechtlicher Natur.6 Eine Gewinnzusage ist eine einseitige geschäftsähnliche Handlung, im Gegensatz zur Auslobung aber kein Rechtsgeschäft, da der Anspruch nicht davon abhängt, ob der Untermehmer sich erkennbar binden wollte. § 116 S. 2 findet keine Anwendung: Auch der Empfänger, welcher erkennt, dass nur ein Werbemittel vorliegt, ohne dass sich der Absender verpflichten möchte, hat Anspruch auf den Preis.7 Häufig werden Gewinnzusagen aus dem Ausland verschickt. Gerichtsstand und anwendbares Recht hängen davon ab, ob die Kollisionsnormen über vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse Anwendung finden (s. u. § 119).8 Im Ergebnis besteht Einigkeit darüber, dass Verbraucher Gewinnzusagen aus dem Ausland in ihrem Heimatland einklagen können.9

5 BGH NJW 2004, 3555; 2005, 827; NJW-RR 2005, 1365. 6 BGH NJW 2003, 3620: Zweifel an der Verfassungsgemäßheit wegen Verletzung des Schuldprinzips und der Art. 103 II, III GG greifen deshalb nicht durch. 7 BGH NJW 2004, 1652; 2006, 230 (232). 8 EuGH NJW 2005, 811; Nachweis des Streitstands bei BGH NJW 2003, 3620. 9 EuGH NJW 2002, 2697; BGH NJW 2003, 426; 2006, 230 m. Anm. S. Lorenz, NJW 2006, 472.

644

Verwahrung

§ 90 I

§ 90 Verwahrung Brychcy, Der Kraftfahrzeugabschleppvertrag, Diss. München 1973; ders., DAR 75, 29; Canaris, Bankvertragsrecht (2. Aufl. 1981), Rdn. 1163 ff; Heußner, Der Übergang der regelmäßigen Verwahrung in eine unregelmäßige Verwahrung oder ein Darlehen, 1921; Kuhlenbeck, JW 1909, 649; ders., JW 1910, 641; Müller, H., JuS 77, 232; Niemeyer, Depositum irregulare, 1889.

I. Begriff und Wesen 1. Der Verwahrungsvertrag ist der Vertrag, durch den sich der eine Teil (Verwahrer) verpflichtet, eine ihm von dem andem Teil (Hinterleger) übergebene bewegliche Sache aufzubewahren, 688. Ist die Verwahrung unentgeltlich, so ist sie ein einseitig verpflichtender Vertrag (Konsensualvertrag, siehe oben Rdn. 59). Ist sie entgeltlich, was unter entsprechenden Umständen (Wert des Gegenstandes, Gewerblichkeit der Verwahrung) als stillschweigend vereinbart gilt, 689, so ist sie ein zweiseitig verpflichtender Vertrag. Wegen der Entgeltnatur besteht Gegenseitigkeit in bezug auf Verwahrungs- und Entgeltzahlungspflicht (nicht aber bezüglich der Rückgabe- und Rücknahmepflicht, 695, 696). Die Fälligkeit der Vergütung regelt § 699. 2. Die Verwahrung ist abzugrenzen: a) von Gefälligkeitsverhältnissen ohne Willen zu rechtlicher Bindung: Die Hausfrau lässt den Milcheimer im Milchladen stehen, um ihn auf dem Rückweg vom Stadteinkauf wieder abzuholen. b) Von Leihe, Miete, Darlehen: Hier erfolgt die Übergabe im Interesse des Nehmenden, der die Leihsache oder das Geld gebrauchen will. Die Übergabe zur Verwahrung – ein äußerlich gleicher Vorgang – ist durch das Interesse des Gebenden gekennzeichnet, die Sache sicher zu hinterlegen. Darum hat der Verwahrer auch kein Gebrauchsrecht, vgl. aber § 698 und dazu § 668 sowie § 700 I 2, und bekommt deshalb ein Entgelt für die Aufbewahrung. Der hier gezeigte Unterschied besteht trotz nahezu gleicher rechtlicher Regelung auch zwischen Darlehen und Summenverwahrung, 700. Keine Obhutspflicht für die untergebrachten Sachen in einem Bankschließfach übernimmt die Bank, weil die Bank nicht weiß, was sich in den Fächern befindet und die Kenntnis dessen meist auch bewusst ablehnt. Hierbei will die Bank nur die Zurverfügungstellung des sicheren Schließfachs, nicht die sichere Aufbewahrung leisten. Es handelt sich deshalb um Mietrecht.1 c) Die §§ 688 ff betreffen nur die Verwahrung beweglicher Sachen. Vertraut jemand einem andern ein Grundstück „zur Verwahrung“ an, findet – je nach Art der Abmachung – Auftrags-, Dienstvertrags-, Werkvertrags- oder Geschäftsbesorgungsrecht Anwendung. Am nächsten liegt im Regelfall Geschäftsbesorgung, 675 I. d) Darin (b und c) zeigt sich, dass die Verwahrung ein auf Tätigkeit gerichtetes Schuldverhältnis ist, das zu Auftrag, Dienstvertrag, Werkvertrag und Geschäftsbesorgung im Verhältnis der Sonderregelung zur allgemeinen Regelung steht (wie Auslobung und Maklervertrag). Wo daher Verwahrungsrecht im Einzelfall nicht ausreicht, ist das Recht jener allgemeineren Tätigkeitsverträge ergänzend heranzuziehen. Dabei wird es sich dann regelmäßig um einen Kombinationsvertrag handeln, falls die anderen Leistungen nicht „untergeordnet“ sind, oben Rdn. 795. e) Besondere Arten der Verwahrung mit eigener Regelung sind: Sequestration (Gemeinschaftsverwahrung für mehrere durch gemeinsam bestellten Verwahrer): §§ 432 I 2, 1217, 1281, 2039 BGB; 165 FGG; 848; 855, 938 II ZPO. Lagergeschäft nach §§ 467 ff HGB. Wertpapierverwahrung durch Banken nach dem Depotgesetz v. 4. 2. 1937, RGBl. I 171. Andere der Bank in Verwahrung gegebene Stücke fallen unter §§ 688 ff, wenn die Bank von den konkreten Verwahrungsgegenständen Kenntnis nimmt und ihre Aufbewahrung selbst bestimmt. 1 Werner, JuS 80, 176; ähnlich ist es bei der Überlassung einer Parkplatzfläche für ein Kfz, str. Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 Rdn. 19; BGHZ 63, 333.

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1298

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§ 90 III

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

Das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis, insb. aufgrund von Beschlagnahme und Vollstreckungsmaßnahmen, BGHZ 1, 369; 3, 172; 4, 192; 34, 349. Das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis aufgrund der Hinterlegungsordnung v. 10. 3. 1937, RGBl. I 285. Die „besondere amtliche Verwahrung“ von Testamenten und Erbverträgen, 2258 a, b.

II. Rechtliche Besonderheiten der Verwahrung 1300

1. Bei unentgeltlicher Verwahrung haftet der Verwahrer nur für „diligentia quam in suis“, 690. Frau V, Katzenliebhaberin, pflegt ihre 5 Katzen frei herumlaufen zu lassen. Ihre Nachbarin N gibt ihr während einer Reise ihre Katze in Verwahrung. Die Katze der N gerät auf einem unbeaufsichtigten Streifzug in ein Tellereisen des Bauern B. Ansprüche der N aus §§ 695, 280 I gegen die V scheitern an § 690. 2. Unterverwahrung muss besonders gestattet werden. Der Unterverwahrer ist Substitut, nicht Gehilfe. Den Verwahrer trifft beim Substituten nur Auswahlverschulden, beim Gehilfen jede Schuld des Gehilfen, 691 S. 2, 278, vgl. § 664. 3. § 692 gestattet dem Verwahrer eine umständebedingte Änderung der Aufbewahrung. Die Regelung ähnelt der Geschäftsführung ohne Auftrag, vgl. § 681. 4. Aufwendungen für die Verwahrungssache muss der Hinterleger ersetzen (z. B. Fütterungskosten), 693. 5. § 694 enthält eine Art Mängelhaftung für Schäden, die den Verwahrer durch die Sache treffen (der in Verwahrung gegebene Hund ist bissig). Schuldlose Unkenntnis der gefahrbringenden Eigenschaften entlasten den Hinterleger, ihre Kenntnis beraubt den Verwahrer seiner Ansprüche. 6. Das jederzeitige Rückforderungsrecht des § 695 ist Anspruchsgrundlage für die Rückgabe. Wird dieser Anspruch verletzt, gilt § 280. Dazu kennt § 696 eine Rücknahmepflicht des Hinterlegers, bei unbestimmter Verwahrungsdauer jederzeit, bei bestimmter nur aus wichtigem Grund. Die Rückgabeart ist einheitlich geregelt, 697 (Verwahrungsort); das bedeutet für die Rücknahmepflicht des § 696 eine Abweichung von § 269 I.

III. Die Summenverwahrung (unregelmäßige Verwahrung, depositum irregulare), § 700 1301

Werden Geld oder andere vertretbare Sachen so in Verwahrung gegeben, dass das Eigentum auf den Verwahrer übergehen und der Verwahrer dafür Sachen gleicher Art, Güte und Menge zurückgewähren soll, sind die Verwahrungsregeln unpassend, weil die verwahrten Sachen gerade nicht mehr zurückzugeben sind. § 700 erklärt daher, trotz der anderen Interessenlage (s. dazu oben Rdn. 1091f), grundsätzlich Darlehensrecht für anwendbar, nämlich für Geld die §§ 488 ff, für andere vertretbare Sachen die §§ 607 ff. Das gleiche gilt für vereinbarungsgemäß verbrauchte, vertretbare Verwahrungssachen, 700 I 2. Aus dem Verwahrungsrecht gelten nur die Bestimmungen über den Rückgabeort und die Rückgabezeit, 700 I 3, 695–697. Praktisch bedeutsam ist die Summenverwahrung bei der Hinterlegung von Wertpapieren im Girosammeldepot, BGHZ 84, 373 oder bei Giroverträgen als laufende Konten. § 700 II schreibt ausdrückliche Vereinbarung vor. §§ 13 und 15 des Depotgesetzes geben teils ergänzende, teils ersetzende Sondervorschriften. Zur Abgrenzung vom Darlehensrecht bei Sparkonten und laufenden Konten siehe oben Rdn. 1091f. Verwandt sind sog. „Pensionsgeschäfte“, bei denen Vermögensgegenstände mit der (u. U. nur mündlich getroffenen) Nebenabrede verkauft werden, dass sie später einmal zu einem bestimmten Preis zurückgenommen werden sollen. Ihre Bedenklichkeit kann sich aus bilanzmäßigen Wertmanipulationen ergeben (§ 138), ähnlich wie bei sale & lease back-Transaktionen.

646

Einbringung von Sachen bei Gastwirten

§ 91 I

§ 91 Einbringung von Sachen bei Gastwirten Ganzschezian-Finke, Rechtsverhältnis zwischen Gast und Gastwirt, 1971; Hohloch, Jus 84, 357; Koch, VersR 66, 765; Kunz, VersR 86, 7; Langen, Die privatrechtliche Stellung der Wirte und der Gastaufnahmevertrag, 1902; Lindemeyer, BB 83, 1504; Medicus, in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beil. zu VersR), 1983, 171; Meyer, SeuffBl. 67, 367; Niessen, MDR 66, 713; Polenske, Gastschaftsverträge, 1915; ders., AcP 114 (1916), 415; Sturm, Die Einbringung von Sachen bei Gastwirten nach dem Rechte des BGB, 1900; Weimar, NJW 66, 55; Werner, Jura 71, 539.

I. Begriff und Wesen l. Der Beherbergungsvertrag ist ein gemischter Vertrag (i. d. R. Typenverbindung) aus Bestandteilen der Miete (Zimmer), des Kaufs (Verpflegung), des Dienstvertrags (Schuheputzen) und der Verwahrung (Einbringung der Sachen an die dafür bestimmten Stellen: Koffer im Zimmer, Wäsche im Schrank, Auto in der Garage, Kostbarkeiten im Schließfach). 2. Die §§ 701–704 über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten regeln kein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis. §§ 701–703 begründen daneben eine gesetzliche Haftpflicht des Gastwirts für eingebrachte Sachen seiner Gäste, auch für Zufallsschäden. § 704 gewährt – gleichsam zum Ausgleich – dem Gastwirt ein gesetzliches Pfandrecht an den Sachen des Gastes, wenn dieser nicht zahlt. Immerhin besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur Verwahrung, die ihrerseits regelmäßiger Bestandteil des Beherbergungsvertrags ist. Die §§ 701–704 stehen zwar rechtlich getrennt neben dem Beherbergungsvertrag in einem eigenen Titel, ergänzen ihn aber praktisch. 3. Die Anwendung der §§ 701–704 geschieht somit lediglich aufgrund der dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen und unabhängig vom Beherbergungsvertrag. Gastwirtshaftung und -pfandrecht gelten darum auch, wenn gar kein Beherbergungsvertrag zustande kommt oder der Beherbergungsvertrag nichtig ist: Während der Gast das Zimmer besichtigt, wird ihm ein am Empfang abgestellter Koffer gestohlen. Der Hotelier haftet, auch wenn der Gast das Zimmer nicht nimmt. Oder: Gast und Wirt sind geisteskrank. Die Einbringung im Sinne des Beherbergungsvertrags ist also begrifflich zu trennen von der Einbringung im Sinne der §§ 701 ff. Die erste ist vertragliches Recht des Gastes, deren schuldhafte Verletzung durch den Gastwirt Schadensersatzfolgen auslösen kann, die zweite ein tatsächlicher Vorgang als Tatbestandsvoraussetzung für Haftpflicht und Pfandrecht. Praktisch wird freilich das äußere Bild häufig das gleiche sein. 4. Der rechtspolitische Grund der (aus dem römischen Recht stammenden) 1 verschuldensunabhängigen Garantiehaftung des Gastwirts für die eingebrachten Sachen seiner Gäste liegt in den typischen Gefahren, denen das Gepäck des Gastes ausgesetzt ist. Der Gast kann seine Sachen im Hotel nicht mehr so unter seiner Aufsicht halten, wie er es zu Hause und auf der Reise, z. B. in der Bahn, tun kann. Hotelbedienstete haben Zutritt zum Zimmer, die Kontrolle über die Schlüssel hat der Wirt. Kommt ein Gepäckstück abhanden, kann der Gast ein Verschulden des Wirts oder seiner Leute meist nicht beweisen. Es ist nicht so sehr eine „Gefährlichkeit des Beherbergungsgewerbes“, die eine Haftung auch für Zufallsschäden verlangt (daher keine Gefährdungshaftung, so auch Esser), sondern eine den Umständen entsprechende Risikoverteilung (Betriebsgefahr, BGHZ 32, 149). 1 Zum historischen Überblick des receptum cauponum, s. Kaser, Römisches Privatrecht I, 136 III 3; Koch, VersR 66, 705. Aufgrund des Übereinkommens im Rahmen des Europarats vom 17.12. 1962 wurden die §§ 701ff neu gefaßt.

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1302

§ 91 II

Schuldverhältnisse über Tätigkeiten

II. Die Garantiehaftung des Gastwirts 1303

Die Haftung des Gastwirts nach §§ 701–703 hat folgende Voraussetzungen: 1. Gastwirt ist, wer gewerbsmäßig Fremde zur Beherbergung aufnimmt: Hotel, Pension, Gasthaus, „Siesta-Räume“ der Raststätten, Schlafwagen (str.), Schiffskajüte, Sanatorien. Nicht: Schank- und Speisewirte, Krankenhäuser, Vermietung an „Zimmerherrn“, Garagenhalter; doch ist in diesen Fällen ein konkludenter Verwahrungsvertrag zu prüfen, BGH NJW 80, 1096. 2. Die Aufnahme muss „gewerbsmäßig“ geschehen. Inhaber von Privathäusern, die an Feriengäste vermieten, sind dann „gewerbsmäßige Gastwirte“, wenn „sie vom Vermieten leben“, also den überwiegenden Teil ihrer Einkünfte aus der Vermietung beziehen. Eine Rentnerin, die an Wochenenden und in den Ferien 2 Zimmer an Gäste vermietet, ist nicht gewerbsmäßige Gastwirtin. 3. Die Aufnahme muss „im Betrieb des Gewerbes“ erfolgen. Also nicht: Zwangsweise Einquartierung, Aufnahme persönlicher Gäste des Wirts. 4. „Fremde“ und „Gäste“ (das Gesetz verwendet beide Ausdrücke) sind Reisende und ständig in Hotels oder Pensionen Wohnende, die mit dem Wirt nicht durch ein Besucher-, Dienst- oder Werkvertragsverhältnis und dergl. verbunden sind. 5. Der Verlust oder der Schaden muss an den eingebrachten Sachen des Gastes entstanden sein. § 701 II führt im Einzelnen auf, welche Sachen als eingebracht gelten. Die Haftung erstreckt sich auch auf die Sachen, die der Gast vorausschickt oder die er beim Auszug zurücklässt, soweit sie von dem Gastwirt oder seinen Leuten in Obhut genommen worden sind, 701 II 1 Ziff. 2. Es bedarf damit in diesen Fällen nicht mehr der Konstruktion eines Verwahrungsvertrages. Ausgenommen von der Haftpflicht sind nach § 701 IV Fahrzeuge, Sachen in einem Fahrzeug und lebende Tiere. Für diese Sachen kann ein Schadensersatzanspruch nur auf schuldhafte Verletzung des Beherbergungsvertrages, also miet- oder verwahrungsrechtlichen Vorschriften, gestützt werden, BGH NJW 64, 718; 65, 1709. Trotz des eindeutigen Wortlauts des § 701 IV nimmt der BGH eine Haftung nach § 536a für vom Wirt nicht zu vertretende Schäden an einem auf dem Hotelparkplatz abgestellten Kfz an, BGHZ 63, 333, vgl. dazu Medicus, in: 25 Jahre Karlsruher Forum, 1983, 171 ff. Die Eigentumslage ist unerheblich; die Haftpflicht besteht auch gegenüber dem Gast nicht gehörenden, aber eingebrachten Sachen. Die Schadensliquidation im Drittinteresse (dazu oben Rdn. 611ff) ist somit hier gesetzlich ausdrücklich zugelassen.

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6. Der Gast muss im Schadensfall dem Wirt unverzüglich Anzeige machen, außer bei Sachen, die dem Gastwirt zur Aufbewahrung übergeben waren, oder wenn ihn oder seine Leute ein Schuldvorwurf trifft, 703. 7. In drei Fällen entfällt die Ersatzpflicht aus Gründen, die in der Sphäre des Gastes liegen, 701 III: a) Der Gast, sein Begleiter oder eine vom Gast aufgenommene Person hat den Schaden verursacht. Verschulden ist nicht erforderlich. Mit „Verursachung“ ist die Zurechnung zur Risikosphäre des Gastes gemeint; b) Der Schaden entsteht durch die Beschaffenheit der Sache; c) oder er entsteht durch höhere Gewalt (betriebsfremdes Ereignis wie Feuersbrunst; nicht: interner Hotelbrand durch Kurzschluss, Betriebsgefahr) 2. 8. Die Haftung des Gastwirts setzt kein Verschulden voraus. Es handelt sich um eine Garantiehaftung für die Unversehrtheit der Sachen des Gastes. Die Haftung ist betragsmäßig begrenzt, § 702 I 1. Der Gastwirt haftet aber jedem Gast einzeln auf den Höchstbetrag, auch wenn er mehrere Gäste zusammen in ein Zimmer aufgenommen hat, BGH NJW 74, 1818. § 254 ist anwendbar, BGHZ 32, 149. Bei Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten haftet der Wirt, außer bei Verschulden, nur bis 800 Euro, 702 I 2. Will der Gast volle Haftung, so muss er die Wertsachen dem Wirt in Verwahrung geben. Der Wirt darf die Verwahrung nur unter begrenzten Voraussetzungen ablehnen, sonst haftet er voll, 702 III. 2 Zum Begriff der höheren Gewalt: MünchKomm/Hüffer, § 701 Rdn. 34.

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9. Die Gastwirtshaftung kann vertraglich grundsätzlich nicht abbedungen werden, 702a. Die Vorschrift verhindert den früher üblichen Haftungsausschluss durch Revers.

III. Das Gastwirtepfandrecht Für seine Forderungen gegen den Gast aus dem Beherbergungsvertrag und für Auslagen (nicht aber z. B. für ein Darlehen) hat der Wirt ein gesetzliches Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Gastes und der Personen, auf die sich der Beherbergungsvertrag berechtigend oder ermächtigend erstreckt (z. B. Angehörige), vgl. §§ 328 ff und oben Rdn. 291ff. Das Pfandrecht ist dem des Vermieters nachgebildet und verweist weitgehend auf dieses, 704 S. 2. Abweichend von § 562a S. 2 darf aber der Wirt der Mitnahme des Gepäcks durch den Gast bei dessen Auszug widersprechen, weil das Pfandrecht sonst wertlos wäre (Staudinger/Werner, § 704 Rdn. 14 m. w. N.). Der Wirt hat also z. B. ein Selbsthilferecht, 704 S. 2, 562b.

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12. Abschnitt

Schuldrechtliche Personenvereinigungen § 92 Gesellschaft Altmeppen, NJW 2003, 1553; ders., NJW 2004, 1563; Armbrüster, ZGR 2005, 34; Baumbach/ Hopt, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 32. Aufl. 2006; Canaris, ZGR 2004, 69; Dauner-Lieb, FS P. Ulmer, 2003, 73; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2005; Fikentscher, FS H. Westermann, 1974, 87; ders., Die Interessengemeinschaft, 1966; Fischer, L., Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, 1977; Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Bd. I/1, Die Personengesellschaft, 1977; ders., ZHR 136 (1972) 177; Funke/Falkner, Jura 2004, 721; Göckeler, Die Stellung der GbR im Erkenntnis-, Vollstreckungs- und Konkursverfahren, 1992; Grunewald, Der Ausschluß aus Gesellschaft und Verein, 1987; Heinemann/Pickartz, JuS 2002, 1081; Hueck, A., Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947; ders., AcP 149 (1944), 1; ders., Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971; Hueck, G./Windbichler, Gesellschaftsrecht, 20. Aufl. 2003; Hueck, G., Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006; Langenfeld, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, l990; Larenz, FS H. Westermann, 1974, 299; Lingl, JuS 2005, 595; Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 1, 2. Aufl. 2004; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; ders., NJW 2003, 1897; Schulze, Die akzessorische Haftungsverfassung der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts, 2006; Schulze-Osterloh, Das Prinzip der gesamthänderischen Bindung, 1972; ders., Der gemeinsame Zweck der Personengesellschaften, 1973; Ulmer, P., Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, 4. Aufl. 2004; Wertenbruch, NJW 2002, 324; Westermann, H. P., Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970; ders. u. a., Handbuch der Personengesellschaften (Loseblattausgabe); Wiedemann/Frey, Gesellschaftsrecht – Prüfe dein Wissen, 6. Aufl. 2002; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004.

I. Begriff und Wesen 1. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsteht durch einen gegenseitigen Vertrag, in dem sich die Gesellschafter verpflichten, einen gemeinsamen Zweck zu fördern, § 705.

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2. Die Besonderheiten der Gesellschaft gegenüber allen anderen Vertragstypen des Besonderen Schuldrechts liegt im „gemeinsamen Zweck“. Den rechtsgeschäftlichen Schuldverträgen (Kauf, Miete, Dienstvertrag, Leibrente, Bürgschaft usw.) liegt durchweg ein Austauschzweck zugrunde, der die Parteien in wirtschaftlich ungleicher Richtung verbindet: Ware gegen Geld, Darlehen mit oder ohne Zins, Leibrentenzahlung. Entweder sind es wirtschaftlich ungleiche Motive, zu deren Erreichung der Austausch vereinbart wird, oder eine Partei hat überhaupt kein wirtschaftliches Motiv (Schenkung, Auftrag). Anders bei der Gesellschaft: Nicht nur die Bindung als solche ist gemeinsam bezweckt, sondern auch das (unmittelbare) wirtschaftliche Motiv dieser Bindung haben die Parteien gemeinsam. Die Bemühungen der Gesellschafter sind gleichgerichtet, sie dienen dem gemeinsamen Gesellschaftszweck. In diesem Sinne unterscheidet man Austausch- und Gesellschaftsverträge. Allerdings ist nur das unmittelbare wirtschaftliche Motiv gemeinsam, z. B. der Betrieb eines Kinos, die gemeinsame Vermietung von Häusern, die gemeinsame Belieferung und der Betrieb eines Marktstandes durch mehrere Landwirte. Die ferneren wirtschaftlichen Motive können wiederum gleich oder ungleich, vor allem aber getrennt sein: Der Gesellschafter A will seinen Gewinn in Aktien, der Gesellschafter B in einer Weltreise anlegen. Für Freie Berufe gilt seit dem 1. 7.1995 in Ergänzung zu den §§ 705 ff das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz. Das gemeinsame unmittelbare wirtschaftliche Motiv fehlt bei den sog. partiarischen Verträgen. Jemand stellt Land, Geld oder seine Arbeitskraft zur Verfügung und wird dafür am Gewinn beteiligt, den der andere damit erwirtschaftet. Dieses „Erwirtschaften eines eigenen Gewinns“ ist das unmittelbare wirtschaftliche Motiv dieses andern, die Beteiligung daran das des einen. Die Beteiligung ist das Tauschobjekt für die Zurverfügungstellung von Land, Geld oder Arbeitskraft. Partiarische Verträge sind also Austausch-, nicht Gesellschaftsverträge.1 Die wichtigsten Beispiele sind: Die partiarische Pacht: V stellt z. B. Ackerland zur Verfügung und erhält als Pachtzins eine Beteiligung am Ernteertrag („Teilpacht“, colonia partiaria). Das partiarische Darlehen: G gewährt N ein Darlehen zum Aufbau eines Unternehmens. Statt eines festen Zinses wird Gewinnbeteiligung zugesagt; BGHZ 127, 176. Partiarische Dienstverträge: Der Leiter der Verkaufsabteilung eines Unternehmens erhält statt oder neben Lohn eine Umsatzbeteiligung.

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3. a) Vom Verein unterscheidet sich die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft durch den ihr fehlenden körperschaftlichen Aufbau. Der Gesellschaft fehlt grundsätzlich die Arbeitsteilung zwischen Mitgliederversammlung und Vorstand. Die Gesellschaft verfügt regelmäßig nur über gleichgeordnete Gesellschafter. In der Gesellschaft herrscht grundsätzlich das Einstimmigkeits-, im Verein das Mehrheitsprinzip. Die Gesellschaft wird von vornherein mit ganz bestimmten Gesellschaftern eingegangen, während der Verein auch dann bestehen bleiben soll, wenn Mitglieder ein- und austreten. In aller Regel bewirkt der Beitritt eines neuen Gesellschafters das Zustandekommen einer neuen Gesellschaft, die Kündigung durch einen Gesellschafter oder sein Tod ihre Beendigung, § 723, arg. § 736. Die Gesellschaft ist also nicht auf Mitgliederwechsel, sondern auf die Zusammenarbeit eines überschaubaren Kreises von Gesellschaftern für ein gemeinsames Ziel angelegt, wobei jeder jeden kennt (vgl. § 707), jeder sich auf jeden verlassen kann, und jeder jedem zur Mitwirkung am gemeinen Wohl und zur Treue verpflichtet ist, 705, 242. Nach der früher herrschenden individualistischen Gesamthandslehre hatte die Gesellschaft bürgerlichen Rechts keine Rechtspersönlichkeit. Als Träger der Rechte und 1 Soweit sie deutliche Elemente der BGB-Gesellschaft enthalten, stellen sie Typenvermengungsverträge (= Typenverschmelzungsverträge) dar, Medicus II § 121 II 1; und oben Rdn. 799.

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Pflichten wurden nur die einzelnen Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit angesehen. Dieser Standpunkt entspricht der ursprünglichen Konzeption des Gesetzgebers und dem Wortlaut der §§ 718 I, 706 II 1 und 714, wo vom gemeinschaftlichen Vermögen, bzw. der Vertretung „der Gesellschafter“ die Rede ist.2 Demgegenüber geht die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit davon aus, dass die Gesellschaft selbst Trägerin von Rechten und Pflichten sein kann, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr solche Rechte und Pflichten begründen kann.3 Dem hat sich der BGH im Interesse der Praktikabilität angeschlossen: Die Außen-GbR (also eine GbR, die am Rechtsverkehr teilnimmt) ist danach nicht nur teilrechtsfähig, sondern auch vor Gericht aktiv und passiv parteifähig, kann also als solche klagen und verklagt werden.4 Dies entspricht der Regelung für die offene Handelsgesellschaft in § 124 I HGB. Auch in anderer Beziehung wurde der Status der BGB-Gesellschaft dem der offenen Handelgesellschaft angeglichen: § 31 BGB wird nun auch auf die GbR analog angewendet. Die Gesellschaft haftet also für das schädigende Verhalten ihrer Organe.5 Die Gesellschafter haften akzessorisch für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 128 f HGB analog).6 Neu eintretende Gesellschafter haften analog § 130 HGB auch für die vor ihrem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten.7 Streitig ist allerdings die Grundbuchfähigkeit der GbR. Da diese Frage von den Gerichten verneint wird,8 sind als Eigentümer im Grundbuch weiterhin die einzelnen Gesellschafter mit dem Zusatz „als Gesellschafter bürgerlichen Rechts“ einzutragen. Die Zuerkennung der Rechtssubjektivität an die Außen-GbR führt zu größerer konzeptioneller Klarheit. Ein klares Zuordnungssubjekt des Gesellschaftsvermögens wird geschaffen. Ohne weiteren argumentativen Aufwand kann erklärt werden, warum bestehende Rechtsverhältnisse auch bei einem Wechsel der Gesellschafter mit der Gesellschaft fortbestehen. Zudem hat der Gesetzgeber den Status der GbR verschiedentlich gestärkt, z. B. in § 11 II Nr. 1 InsO durch die Anerkennung der Insolvenzfähigkeit. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die analoge Anwendung der §§ 31 BGB, 128 f, 130 HGB zu großen Haftungsrisiken geführt hat, welche möglicherweise nicht für alle Erscheinungsformen der BGB-Gesellschaft angemessen sind. Hier wird man deshalb großen Wert auf eine restriktive Handhabung zu legen haben (s. u. Rdn. 1333).

b) Die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft und der rechtsfähige Verein sind die zwei Grundformen für die rechtliche Zusammenfassung von Personenvereinigungen. Alle Gesellschaften und Körperschaften lassen sich entweder auf die Grundform der Gesellschaft oder die des Vereins zurückführen. Das bedeutet, dass stets Gesellschaftsrecht oder Vereinsrecht subsidiär anwendbar ist, wenn spezielle Regelungen nicht eingreifen und Lücken lassen. Auf der bürgerlichrechtlichen Gesellschaft bauen auf: Die offene Handelsgesellschaft (105 ff HGB), die Kommanditgesellschaft (161 ff), die stille Gesellschaft (230 ff HGB) und die Reedereigesellschaft (489 ff HGB) – also die Personengesellschaften des HGB. Aus dieser Beziehung folgt auch, dass der Gesellschaftszweck nicht auf ein Handelsgewerbe gerichtet sein darf (MünchKomm/P. Ulmer § 705 Rdn. 3). 2 S. auch § 736 ZPO, wonach zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ein gegen „alle Gesellschafter“ ergangenes Urteil erforderlich ist. 3 Flume, ZHR 136 (1972) 177; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht § 8 III; MüKo-Ulmer, § 705 Rdn. 289 ff. 4 BGH NJW 2001,1056. Zu den zivilprozessualen Konsequenzen s. Wertenbruch NJW 2002, 324. 5 BGH NJW 2003, 1445. 6 BGH NJW 2001, 1056 (1061). 7 BGH NJW 2003, 1803; NJW 2006, 765. 8 Ablehnend BayObLG NJW 2003, 70; OLG Celle NJW 2006, 2194; zu dieser Frage s. Ulmer/Steffek, NJW 2002, 330.

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Auf das Vereinsrecht lassen sich letztlich zurückführen das Recht der Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, Kommanditgesellschaft auf Aktien, Genossenschaft), ferner die Körperschaften des öffentlichen Rechts, z. B. die Gemeinde, das Land, der Bund, der Zweckverband. c) Der nichtrechtsfähige Verein ist rechtstypisch ein Verein, denn er hat körperschaftliche Struktur. Die Verweisung auf die Vorschriften der BGB-Gesellschaft ist missglückt9, wird aber von Rechtsprechung und h. L. korrigiert. Nach § 54 finden zwar grundsätzlich die §§ 705 ff Anwendung, wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung von § 54 auf der Grundlage von Art. 9 GG sind jedoch die Vorschriften des Vereinsrechts heranzuziehen, soweit sie nicht Rechtsfähigkeit voraussetzen (Hübner; § 14 IX; Palandt/Heinrichs, § 54 Rdn. 1). Das bedeutet im einzelnen: Da §§ 705 ff weitgehend dispositiver Natur sind, kann satzungsmäßig ausdrücklich oder stillschweigend bedungen werden, dass (a) der Verein unabhängig vom Austritt seiner Mitglieder weiter besteht (entgegen §§ 723, 736), dass (b) die Mitglieder beim Ausscheiden auf ihr Auseinandersetzungsguthaben verzichten (entgegen §§ 730 ff), dass (c) statt Gesamtgeschäftsführung (709) und -vertretung (714) ein Vorstand bestellt wird, und dass (d) die Vertretungsmacht dieses Vorstands auf eine Vertretung der Mitglieder (714, 164 I) bis zur Höhe ihrer jeweiligen Anteile am Vereinsvermögen beschränkt wird. Eine generelle Gleichstellung mit dem e.V. ist abzulehnen. d) Von der Gemeinschaft (741 ff) unterscheidet sich die Gesellschaft vor allem in vier Beziehungen: (1) Die BGB-Gesellschaft beruht grundsätzlich auf Vertrag, die Gemeinschaft entsteht i. d. R. aufgrund gesetzlicher Vorschriften; (2) die Gesellschaft verfolgt einen gemeinsamen, meist wirtschaftlichen Zweck, die Gemeinschaft zielt in der Regel auf Auseinandersetzung; (3) die Gesellschaft hat ein (Gesamthands-)Vermögen, die Gemeinschaft besteht immer nur an einer einzelnen Sache oder an einem einzelnen Recht; (4) die Gesellschafter können über ihre Anteile am Vermögen und an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Stücken nicht verfügen (gesamthänderische Bindung, 719), die Gemeinschafter können über ihre Anteile an der gemeinschaftlichen Sache oder dem gemeinschaftlichen Recht verfügen, 747 (Gemeinschaft nach Bruchteilen). Die Frage der Verfügung über Anteile am ganzen Vermögen stellt sich für die Gemeinschaft nicht, weil Gegenstand der Gemeinschaft niemals ein Vermögen ist. Die Gemeinschaft ist also wesentlich lockerer gefügt als die Gesellschaft. e) Die §§ 420 ff über Schuldner- und Gläubigermehrheiten unterscheiden sich von der Gesellschaft in mehrfacher Hinsicht: Die Gesellschaft entsteht durch Vertrag; die §§ 420 ff regeln Schuldner- und Gläubigermehrheiten ohne Rücksicht auf ihren Entstehungsgrund. Die Gesellschaft hat ihre „dingliche Seite“, nämlich die gesamthänderische Rechtszuständigkeit der Gesellschaft, bzw. der Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen; die §§ 420 ff regeln reines Schuldrecht. Die Gesellschafter haften nach der neueren Rechtsprechung akzessorisch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Da somit kein echtes Gesamtschuldverhältnis besteht, ist eine direkte Anwendung der §§ 420 ff nicht möglich. Wenn der Rechtsgedanke der §§ 420 ff im Einzelfall passt, wendet der BGH allerdings die Regeln über die Gesamtschuld analog auf die GbR an, z. B. § 425, wonach sich die Gesellschaft nicht auf individuelle Einreden ihrer Gesellschafter berufen kann.10 9 Vgl. zum historischen Hintergrund Palandt/Heinrichs, § 54 Rdn. 1. 10 BGH NJW 2001, 1056 (1061).

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4. Die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft spielt wirtschaftlich eine erhebliche Rolle. Da das Gesellschaftsrecht fast durchgängig nachgiebiger Natur ist, wird der Anpassung und Ausgestaltung großer Spielraum gegeben. Nachfolgend sollen nur die wichtigsten Einteilungsarten besprochen werden. a) Einteilung nach dem Zweck: Die BGB-Gesellschaft ist stets gerichtet auf den gemeinsamen Betrieb eines Nichthandelsgewerbes, besteht also dann, wenn wegen Nichtvorliegens eines Handelsgewerbes gem. §§ 1 ff, 105, 161 HGB keine Personenhandelsgesellschaft (OHG, KG) vorliegt (kleingewerbliche Tätigkeit, Zusammenschlüsse freier Berufe, Vereinigung zum gemeinsamen Betrieb eines Bauernhofs). Soll der Zusammenschluss nur kurze Zeit währen, spricht man von einer „Gelegenheitsgesellschaft“ (einmaliger gemeinsamer Betrieb eines Marktstandes durch mehrere Landwirte, gemeinsame Urlaubsfahrt im gemieteten Auto bei Teilung der Kosten und gemeinschaftlicher Kasse, Arbeitsgemeinschaft verschiedener Firmen zur Erstellung einer Rheinbrücke). Ein bekannter Fall der Gelegenheitsgesellschaft ist das Bankenkonsortium (z. B. Wertpapieremission).11 b) Einteilung nach Vermögensbindung: Üblicherweise verfügt die Gesellschaft über Vermögen. Dies ist, wenn nicht Besonderes bestimmt ist, nach §§ 718 I, 719 Gesamthandsvermögen. Aber auch eine Gesellschaft nach Bruchteilen kann vereinbart werden, denn man könnte auch eine Gemeinschaft gem. §§ 741 ff beschließen und mit ihr einen Gesellschaftszweck verfolgen, unten V. Die Gesellschaft braucht hingegen nicht unbedingt Vermögen zu haben (vermögenslose Gesellschaft), RGZ 77, 223, 226 f. Es ist denkbar, dass gar kein Vermögen vorhanden ist (häufig bei Kartellen) oder dass der Gesellschaft das Vermögen eines (so in der genannten RG-Entscheidung) oder mehrerer Gesellschafter als wirtschaftliche Grundlage dient. c) Einteilung nach dem Auftreten nach außen: Bürgerlich-rechtliche Gesellschaften treten grundsätzlich nach außen auf und sind damit sogenannte Außengesellschaften. Hat aber die Gesellschaft kein gemeinsames Vermögen und ist die Vertretung der Gesellschafter füreinander nach außen vertraglich ausgeschlossen, liegt eine sog. Innengesellschaft vor. Beispiel: Frau A ist Eigentümerin eines Kinos, das sie zusammen mit ihrem Mann zum Lebensunterhalt betreibt. Sie und ihr Mann sind geschäftsführungsbefugt. Nach außen tritt nur sie auf. – Innengesellschaft ist auch die stille Gesellschaft der §§ 230 ff HGB. Problematisch ist die Annahme von Gesellschaftsverhältnissen zwischen Ehegatten oder Partnern von nichtehelichen Lebensgemeinschaften.12,13 Solche Gesellschaftsverträge werden dann diskutiert, wenn eine eheliche oder nichteheliche Lebensgemeinschaft beendet wird und sich die Frage des Ver-

11 Vgl. zu weiteren Einzelfällen Jauernig/Stürner, § 705 Anm. 3; Palandt/Sprau, § 705 Rdn. 36 ff. 12 Zum gesellschaftsrechtlichen Vermögensausgleich bei Ehegatten: BGHZ 8, 249; 31, 197; BGH NJW 74, 2278; 82, 170; 99, 2962; 2006, 1268; OGHZ 3, 372; Johannsen, WM 78, 502; Medicus, I § 110 II 5; Palandt/Sprau, § 705 Rdn. 39; Schmidt, Karsten, AcP 182 (1982), 481. 13 Zum Vermögensausgleich bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft: BGH NJW 82, 2863; 83, 1055; 83, 2375; NJW 86, 51 = JuS 86, 232 Nr. 77; OLG Saarbrücken NJW 79, 2050; OLG Düsseldorf NJW 79, 1509; Battes, Nichteheliches Zusammenleben im Zivilrecht 1983; ders., JZ 88, 908, 957; Diederichsen, NJW 83, 1017; ders., FamRZ 88, 889; Ehmann, Partner ohne Trauschein, 2. Aufl. 1999; Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, 2. Aufl. 2004; Lipp, AcP 180(1980), 537; Schlüter/Belling, FamRZ 86, 405; Schwenzer, JZ 88, 781; Grziwotz/de Witt/Huffmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. 2005.

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mögensausgleichs stellt. Soweit keine Zugewinngemeinschaft nach §§ 1363 ff vorliegt, kann die Auseinandersetzung einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zu einem Vermögensausgleich führen. Da zwischen den Partnern selten ausdrückliche Vereinbarungen getroffen werden, ist das Vorliegen von stillschweigenden Gesellschaftsverträgen zu untersuchen. Eine solche Annahme setzt allerdings einen Vertragsabschluss voraus, der selten vorliegen wird. Neuerdings werden von der Rechtsprechung §§ 730 ff analog angewandt, wenn die Partner aufgrund gemeinschaftlicher Leistungen einen Vermögensgegenstand anschaffen, der nach ihren Vorstellungen beiden gemeinsam gehören soll (BGHZ 84, 388; Medicus BürgR Rdn. 690a). Diese Rechtsprechung führt letztlich zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis. Soweit man zur Annahme eines Gesellschaftsvertrags kommt, liegt i. d. R. eine Innengesellschaft vor, da die Partner nicht als Gesellschaft auftreten. Bei Ehegatten spricht man von einer Ehegatteninnengesellschaft.

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d) Einteilung nach Konzentrationsgrad: Eine dritte Reihe von Gesellschaftsarten kommt durch die Stufung wirtschaftlicher Zusammenarbeit zustande. Nur die Haupttypen sind zu nennen: aa) Ein Kartell ist eine Vereinbarung zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden, rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Unternehmen, welche eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Kartelle sind grundsätzlich nach §§ 1, 81 GWB verboten (Ausnahmen §§ 2, 3 GWB) bzw. bei Beschränkungen des Handels zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft nach Art. 81 EG. bb) Verwendet das Kartell eine zentrale Einkaufs- oder Absatzorganisation, spricht man vom Syndikat. cc) Ist das Syndikat als eigene Gesellschaft (meist Kapitalgesellschaft) von den Mitgliedern des Kartells mit gleicher Mitgliederzusammensetzung begründet, spricht man von der (handelsrechtlichen) Doppelgesellschaft oder „Organgesellschaft“. Sie ist nicht zu verwechseln mit der steuerrechtlichen Doppelgesellschaft, die durch Spaltung einer einheitlichen Gesellschaft in eine Kapital- und eine Personengesellschaft zur Gewinnverlagerung für Steuerersparnisse dient. dd) Besteht der Zweck des Kartells in einer Vergemeinschaftung des Gewinns mit anschließender Ausschüttung nach Quoten oder in einem sonstigen Gewinn- oder Risikoausgleich, spricht man von einer Interessengemeinschaft (IG). ee) Verlieren die rechtlich selbständigen Unternehmen ihre wirtschaftliche Selbständigkeit durch Unterordnung unter eine einheitliche Wirtschaftsführung, handelt es sich um einen Konzern, 18 AktG. Wird die Konzernierung durch Einbringung von Anteilen in eine wirtschaftlich führende Gesellschaft bewirkt, so nennt man diese „Holding“. Geht auch die rechtliche Selbständigkeit verloren, liegt eine Fusion vor.

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5. Der Gesellschaftsvertrag kann grundsätzlich geschlossen werden, ohne dass bestimmte Formen einzuhalten sind. Formerfordernisse können sich aber aus einem besonderen Inhalt des Gesellschaftsvertrages ergeben, beispielsweise bei Einbringung eines Grundstücks durch einen Gesellschafter aus § 311b I. Nicht selten ist stillschweigender Abschluss, z. B. unter Ehegatten, wenn beide ein Gewerbe betreiben, das nicht dem Handelsrecht zuzurechnen ist (Gastwirtschaft, Bauernhof, Vertreterbüro, BGHZ 8, 249). Das kann im Erbgang von erheblicher Bedeutung sein. Die faktisch vollzogene, aber rechtsgeschäftlich nicht wirksam zustande gekommene Gesellschaft ist als wirksam zu behandeln (fehlerhafte Gesellschaft, früher: faktische Gesellschaft), BGH NJW 83, 748, s. o. Rdn. 77. Nicht voll Geschäftsfähige haften weder im Außen- noch im Innenverhältnis vertraglich, sondern nur nach Bereicherungsrecht, insb. auch bei etwa stattfindender Liquidation. Auch eine fehlerhafte Gesellschaft setzt aber, wie jede Gesellschaft, einen, wenn auch mangelhaften, Vertrag voraus. Eine tatsächliche Gemeinschaft, der nicht ein mit Rechtsbindungswillen abgeschlossener Gesellschaftsvertrag zugrunde liegt, reicht nicht aus, BGHZ 11, 190; 13, 370. Eine solche tatsächliche Gemeinschaft wird in der Regel bei einer Lottospielgemeinschaft vorliegen. Wer dabei die Tippzettel ausfüllt, übernimmt keine rechtliche Verpflichtung dazu und ist deshalb auch nicht schadensersatzpflichtig, wenn er es zufällig einmal versäumt.

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6. Besondere Unterscheidungen sind bei der Gründung einer Kapitalgesellschaft zu, treffen. Man unterscheidet die Stadien der Vorgesellschaft, der Vorgründungsgesellschaft und der Kapitalgesellschaft. Vorgesellschaften werden begründet durch einen Vorvertrag, der auf künftige (Kapital- oder Personen-) Gesellschaftsgründung gerichtet ist. Bei ihr handelt es sich um eine BGB-Gesellschaft, auch wenn eine Kapitalgesellschaft gegründet werden soll (BGHZ 91, 151). Die Vorgründungsgesellschaft ist die Kapitalgesellschaft im Stadium zwischen Satzungsfeststellung und Eintragung. Sie ist keine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft, sondern eine Vereinigung sui generis, die grundsätzlich den gleichen Regeln folgt wie die Kapitalgesellschaft, zu deren Gründung sie führt (BGHZ 80, 214; OLG Karlsruhe NJW-RR 87, 671). 7. Das Gesellschaftsrecht bildet den Gegenstand einer eigenen Vorlesung. Es ist in seinen praktischen Schwerpunkten dem BGB entwachsen. Nur die Wurzeln liegen noch im bürgerlichen Recht. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf grundlegende Hinweise.

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II. Vertragspflichten 1. Treuepflicht: Die allgemeine Pflicht, die Gesellschaftsziele zu fördem, hat ihre Grundlage im Gesellschaftsvertrag (MünchKomm/P. Ulmer, § 705 Rdn. 221) und wird im einzelnen durch das Gebot von Treu und Glauben (§ 242) ausgestaltet. Die Treuepflicht gilt für das Gesellschaftsverhältnis als ein Gemeinschafts- und Vertrauensverhältnis „in besonderem Maße“ (Enneccerus-Lehmann15, § 117 III 2; Alfred Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947). Sie verlangt von den Gesellschaftern, alles zu unterlassen, was dem Gesellschaftszweck abträglich ist (z. B. Förderung der Konkurrenz, kreditschädigende Äußerungen, Verletzung von Geheimnissen). Eine besondere Ausprägung des Treuegedankens ist der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Gesellschafter, der sich aus §§ 706 I, 722, 734 ergibt.14 2. Die Beitragspflicht, 705. Die Gesellschafter schulden einander die vereinbarten Beiträge. Sie können aus Geld, Diensten, Sacheinbringungen, Gebrauchsgestattungen (z. B. an Geschäftsräumen), Forderungsabtretungen und in jeder anderen vermögenswerten oder ideellen Leistung (einschließlich Unterlassung) bestehen. Im Zweifel sind die Beiträge gleich hoch, 706 I, vgl. auch § 707. Bei Einbringung von Gegenständen ist zu prüfen, ob der Vertrag Einbringung dem Rechte nach (quoad dominium), Einbringung zum Gebrauch (quoad usum) oder Einbringung dem Werte nach (quoad sortem) verlangt (MünchKomm /P. Ulmer, § 706 Rdn. 11). Nur im ersten Fall fällt das Recht ins Gesamthandsvermögen. 3. Den Gesellschafterpflichten entsprechen Gesellschafterrechte. Zu unterscheiden ist zwischen Vermögensrechten (insb. der dinglichen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen) und Verwaltungsrechten. In ihrer Gesamtheit machen diese Gesellschafterrechte die Gesellschafterstellung aus, die Mitgliedschaft. Sie ist grundsätzlich unübertragbar, sowohl als ganzes als auch in Teilen, 717, 719 I, 723, 727, denn ein Fremder würde das Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschaftern stören (Enneccerus/Lehmann15, § 177 III). Über den Mitgliederwechsel s. unten VIII.

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III. Die Geschäftsführung 1. Die Geschäftsführungsbefugnis ist das Recht eines Gesellschafters gegen alle andern Gesellschafter; über die Geschicke der Gesellschaft und ihres Vermögens mitzubestimmen. Die Geschäftsführungsbefugnis ist also ein nach innen wirkendes Recht (auf

14 Vgl. Hueck, Götz, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958; zur Konkretisierung MünchKomm/P. Ulmer, § 705 Rdn. 226 ff.

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Duldung und auch auf Handlung, z. B. auf Befolgung erteilter Anweisungen). Schlagwortartig ausgedrückt regelt die Geschäftsführungsbefugnis das rechtliche Dürfen. Darin unterscheidet sie sich streng von der Vertretungsbefugnis, die eine nach außen wirkende Rechtsmacht ist. 2. Die Geschäftsführungsbefugnis steht grundsätzlich allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu, 709 I Halbs. 1. Das fordert Einstimmigkeit der Beschlüsse, 709 I Halbs. 2. Als Ausnahmen von diesem Grundsatz regelt das Gesetz drei Typenfälle: Soweit eine Entscheidung durch alle getroffen werden soll, kann nach § 709 II vereinbart werden, dass die Stimmenmehrheit entscheiden soll. Weiterhin ist die Übertragung der Geschäftsführungsbefugnis an einen oder mehrere Gesellschafter möglich unter Ausschluss der übrigen, 710. Soweit schließlich Alleingeschäftsführungsbefugnis eines Gesellschafters vorgesehen wird, haben die anderen Gesellschafter nach § 711 ein Widerspruchsrecht, das auch abbedungen werden kann.15 Kontrollrechte der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter ergeben sich außerdem aus § 716. Die Grenze der vertraglichen Gestaltung der Geschäftsführung ist der sog. Grundsatz der Selbstorganschaft, der verbietet, dass alle Gesellschafter von Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen werden. Dieser Grundsatz der Selbstorganschaft wird seinerseits eingeschränkt bei BGB-Publikumsgesellschaften, d. h. BGB-Gesellschaften mit einer großen Zahl von Gesellschaftern. Es genügt, wenn die Gesamtheit der Gesellschafter oberstes Gesellschaftsführungsorgan ist, die konkrete Geschäftsführung aber Dritten übertragen ist.16 Für die Abberufung derartiger „Fremdgeschäftsführer“ genügt stets einfache Mehrheit (BGH NJW 82, 2495). 3. Die durch Vertrag besonders erteilte, also von der gesetzlichen Regelung in § 709 I abweichende Geschäftsführungsbefugnis kann bei wichtigem Grund nach § 712 entzogen oder niedergelegt werden. 4. Die Rechte und Pflichten der Geschäftsführer im Verhältnis zur Gesamtheit aller Gesellschafter bestimmen sich nach Auftragsrecht, 664–670, 713. Wichtig sind insbesondere die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht nach § 666 und der Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 670. 5. Ein Gesellschafter ist grundsätzlich nicht befugt, entgegen der Geschäftsführungsordnung einer Gesellschaft eine Gesellschaftsforderung gegen einen Dritten für die Gesellschaft geltend zu machen. § 432 ist insoweit durch die Regelung der Geschäftsführung in Gesetz (709 I) oder Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen. Dem Gesellschafter steht aber ein sogenanntes Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 II zu.17 Zur actio pro socio s. bereits oben Rdn. 785.

IV. Die Vertretung 1326

1. Die Vertretungsmacht eines Gesellschafters ist die Rechtsmacht, zwischen der Gesellschaft einerseits und dritten Personen andererseits rechtsgeschäftlich Rechtswirkungen zu begründen. § 714 spricht zwar von der Ermächtigung, „die anderen Gesellschafter“ Dritten gegenüber zu vertreten. Legt man mit der neueren Lehre und Rechtsprechung aber das Konzept der Teilrechtsfähigkeit zugrunde, wird die Gesellschaft als solche berechtigt und verpflichtet. Der neueren Lehre entspricht es auch, die Vertretungsmacht als organschaftliche und nicht als rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht zu 15 MünchKomm/P. Ulmer, § 71 I Rdn. 4. 16 BGH NJW 82, 877; MünchKomm/P. Ulmer, § 709 Rdn. 5 f. 17 BGHZ 12, 308; 17, 340; 39, 14; MünchKomm/P. Ulmer, § 709 Rdn. 21.

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deuten.18 Unabhängig vom dogmatischen Ausgangspunkt finden die Regeln über die Stellvertretung (§§ 164 ff) im Ergebnis (ergänzende) Anwendung.19 Die Vertretungsmacht wirkt nach außen und begründet ein rechtliches Können, während die Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis wirkt. 2. Wer die Geschäftsführung hat, ist im Zweifel auch vertretungsberechtigt, 714. Das Außenverhältnis richtet sich also gem. der Auslegungsregel des § 714 nach dem Innenverhältnis, vgl. auch § 715 a. E. Das ist eine Ausnahme vom Grundsatz der abstrakten Stellvertretung, 164 ff. Vgl. aber z. B. auch § 168 S. 1! Normalerweise sind also nur alle Gesellschafter zusammen vertretungsberechtigt, 714, 709. Auch § 744 II gibt kein Einzelvertretungsrecht, BGHZ 17, 184. 3. Für die Entziehung der Vertretungsmacht gilt § 712 entsprechend, 715. 4. Fraglich ist in Vertretungsfällen, auf welche Person es ankommt, wenn die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von gutem oder bösem Glauben, von einem Kennen, Kennenmüssen oder der Unkenntnis einer Tatsache, von fehlendem oder mangelhaftem Willen abhängt: auf den Vertreter, auf die vertretenen Gesellschafter, oder auf alle. Nach § 166 I kommt es grundsätzlich auf die Person des Vertreters an, weil er den rechtsgeschäftlichen Willen bildet. Bei Gesamtvertretung folgt daraus, dass auch nur der böse Glaube, die Kenntnis, der Willensmangel usw. eines Gesamtvertreters ausreicht, um die gesetzlichen Folgen auszulösen.20

V. Zuordnung des Gesellschaftsvermögens 1. Die Bildung eines Gesellschaftsvermögens ist bei der BGB-Gesellschaft nicht erforderlich; es kann sich auch um eine vermögenslose Gesellschaft handeln. Soweit allerdings ein Gesellschaftsvermögen besteht, ist eine besondere Vermögenszuordnung zu beachten Das Eigentum an Sachen und die Inhaberschaft von Rechten steht, soweit es sich um Gesellschaftsvermögen handelt, der teilrechtsfähigen Gesellschaft als solcher zu. Die BGB-Gesellschaft gehört zu den Gesamthandsgemeinschaften. Weiterhin gehören dazu der nichtrechtsfähige Verein, § 54, die eheliche und die fortgesetzte Gütergemeinschaft, §§ 1416 ff, 1485 ff, die Erbengemeinschaft, §§ 2032 ff, die schlichte Miturhebergemeinschaft, § 8 UrhG, die OHG, §§ 105 III HGB, 718 ff, die KG, §§ 161 II, 105 III, HGB, 718 ff, und nach inzwischen h. L. (vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 65 I 3) die Partenreederei, §§ 489 ff HGB. Mit dem Begriff „Gesamthandsvermögen“ ist viererlei gemeint: (1) Dinglich sind Eigentum und sonstige Rechte der „Gesellschaft“ zugeordnet. Sie ist Eigentümerin, Forderungsinhaberin usw.; regelmäßig besteht das Gesellschaftsvermögen aus Beiträgen, Zuerwerb (718 I) und ersetzten Gegenständen (718 II). An ersetzten Gegenständen findet eine sog. dingliche Surrogation statt (MünchKomm/P. Ulmer, § 718 Rdn. 16 f). Eine solche dingliche Surrogation kann auch aufgrund eines Rechtes eintreten (718 II Fall 1). (2) Über seinen Anteil am ganzen Gesamthandsvermögen kann der Gesellschafter nicht verfügen, 719 I; (vgl. auch § 1419 für die Gütergemeinschaft; anders aber bei der Miterbengemeinschaft nach § 2033 I 1). Von dieser Beschränkung des § 719 I kann aber 18 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht § 60 II 2; MüKo-Ulmer, § 714 Rdn. 16; anders die 9. Aufl. 19 Palandt/Sprau, § 714 Rdn. 1; Beuthien, NJW 1999, 1142. Die direkte oder analoge Anwendung der Vollmachtsregeln hängt davon ab, ob man der Vertreter- oder der Organtheorie folgt, s. hierzu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht § 10, I, II. 20 MünchKomm/P. Ulmer, § 714 Rdn. 27.

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der einzelne Gesellschafter durch Vertrag (oder Ermächtigung der anderen Gesellschafter im Einzelfall) befreit werden, denn die Bindung besteht insoweit im Interesse der Gesellschafter. Dadurch wird dinglich der Gesellschafterwechsel ermöglicht, unten VIII 3. Insoweit ist also § 719 I abdingbar, BGHZ 13, 184. (3) Über seinen Anteil an den einzelnen zum Gesamthandsvermögen gehörigen Gegenständen kann der Gesamthänder ebenfalls nicht verfügen, 719 I, 1419 I, 2033 II, 2040 I. Insoweit ist § 719 I unabdingbar. Der tiefere Grund hierfür besteht darin, dass nach neuerer Sichtweise – entgegen dem missverständlichen Wortlaut des § 719 I – der Gesellschafter überhaupt keinen Anteil an den Einzelgegenständen hat. Das Recht steht vielmehr der teilrechtsfähigen Gesellschaft als solcher zu.21 Verfügt der Gesellschafter (ohne Vertretungsmacht) über eine Sache des Gesellschaftsvermögens, ist lediglich gutgläubiger Erwerb möglich. Verfügt er über eine Forderung, schlägt die Übertragung fehl, da es keinen gutgläubigen Erwerb von Forderungen gibt. (4) Der Gesamthänder ist, solange das die Gesamthand tragende Rechtsverhältnis (Gesellschaft, Gütergemeinschaft) besteht, nicht berechtigt, Teilung zu verlangen, 719 I a. E., 1419 I, siehe aber § 2042 I. In der gesamthänderischen Bindung drückt sich also die enge, vermögensrechtliche Zusammenfassung der Gesellschafter aus, die enger ist als bei Miteigentum (Bruchteilseigentum), 1008 ff. Die Gesellschafter können für das Gesellschaftsvermögen Bruchteilseigentum nach §§ 741 ff, 1008 ff vereinbaren („Bruchteilsgemeinschaft“) (MünchKomm/P. Ulmer, § 705 Rdn. 266 ff; § 718 Rdn. 11).

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2. Zwischen Rechten der Gesellschafter, die zur Gesamthand gehören, und Rechten, die ihnen persönlich zustehen, ist streng zu unterscheiden (verschiedene Rechtszuständigkeit); daher das bloß deklaratorische Aufrechnungsverbot nach § 719 II; deklaratorisch ist es, weil es schon an der Gegenseitigkeit i. S. von § 387 fehlt. 3. Der Besitz an Gegenständen des Gesellschaftsvermögens steht grundsätzlich der Gesellschaft als solcher zu.22 Voraussetzung hierfür ist, dass die Sache zum Herrschaftsbereich der Gesellschaft gehört, und der betreffende Gesellschafter, bzw. Angestellte für die Gesellschaft besitzen will. Selbstverständlich können aber auch Gesellschafter und Angestellte Besitzer sein, z. B. wenn sie eine Sache der Gesellschaft mieten (Fremdbesitzer) oder unterschlagen (Eigenbesitzer). 4. Für Verfügungen über das Gesamthandsvermögen und dazugehörige Gegenstände gilt: a) Verfügungen des vertretungsberechtigten Gesellschafters (oder der gemeinschaftlich vertretungsberechtigten Gesellschafter) wirken gegenüber allen Gesellschaftern, 709, 714, 164 ff. Beschränkungen nach Art der §§ 1423–1428 gelten nicht. b) Verfügungen eines nicht vertretungsberechtigten Gesellschafters sind Verfügungen eines Nichtberechtigten (wegen der Rechtszuständigkeit der Gesellschaft und fehlender Ermächtigung). Das bedeutet: aa) Wird über ein Grundstück verfügt, für das die Gesellschafter als Eigentümer („als Gesellschafter des bürgerlichen Rechts“, s. o. Rdn. 1308) eingetragen sind, scheitert der Erwerb auch eines gutgläubigen Erwerbers von einem einzelnen Gesellschafter am Grundbuch, 891 ff. Guter Glaube an die Vertretungsmacht wird grundsätzlich nicht geschützt. 21 MüKo-Ulmer § 719 Rdn. 8. 22 Palandt/Bassenge, § 854 Rdn. 14. Anders die individualistische Gesamthandslehre, nach der die Gesellschafter Mitbesitzer i. S. v. § 866 sind, s. die ältere Rspr., z. B. BGHZ 86, 340.

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bb) Gehört das Grundstück zum Gesellschaftsvermögen, ist aber der nichtberechtigte und nichtvertretungsberechtigte Gesellschafter eingetragen, so erwirbt der gutgläubige Erwerber kraft § 892. Böser Glaube bezieht sich also auf Kenntnis der Zugehörigkeit zum Gesellschaftsvermögen. Liegt böser Glaube in diesem Sinne vor, hilft dem Erwerber auch nicht etwa sein irrtümlicher Glaube an eine Vertretungsmacht des Verfügenden, Erman/Bartholomeyczik5, § 1422, Anm. 6. cc) Soweit die Gesellschaft als solche Besitzerin ist, kommt bei Verfügungen eines nichtvertretungsberechtigten Gesellschafters über Fahrnis des Gesellschaftsverrnögens die Fahrnis „dem Berechtigten“ abhanden. „Der Berechtigte“ ist die Gesellschaft. Insoweit ist gutgläubiger Erwerb nach § 932 nicht möglich, § 935. Dies folgt aus der Zurechnung des Besitzes an die Gesellschaft. Hat der nichtvertretungsberechtigte Gesellschafter Alleinbesitz, tritt gutgläubiger Erwerb ein. Der Mangel der Vertretungsmacht steht nicht entgegen, weil nicht an die Vertretungsmacht geglaubt, sondern Rechtsscheingrundlage der Besitz ist. Anders, wenn der Gesellschafter offenbart, dass er als Gesellschafter verfügt und dabei wahrheitswidrig die Vertretungsmacht behauptet. Guter Glaube an die Vertretungsmacht wird nicht geschützt. Der Erwerber wird bezüglich der Berechtigung bösgläubig und erwirbt nicht.

VI. Haftung Zwei Fragenkreise sind zu unterscheiden: Erstens, unter welchen Voraussetzungen haftet die Gesellschaft für ein Verhalten ihrer Gesellschafter? Zweitens, unter welchen Voraussetzungen müssen die Gesellschafter für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft einstehen? Beide Schritte sind sorgsam zu trennen. Im ersten Schritt wird festgestellt, ob überhaupt eine Gesellschaftsverbindlichkeit besteht, bzw. ob lediglich der Handelnde für sein Verhalten einzustehen hat. Wird das Bestehen einer Gesellschaftsverbindlichkeit bejaht, so ist im zweiten Schritt zu untersuchen, ob die Gesellschafter hierfür nicht nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen, sondern auch persönlich haften. Zunächst zur ersten Frage: Zu differenzieren ist zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen. Was die primären Vertragspflichten betrifft, so wird nach der Lehre von der Teilrechtsfähigkeit die Gesellschaft als solche aus einem Vertrag verpflichtet, der von einem Gesellschafter im Rahmen der ihm zustehenden Vertretungsmacht geschlossen wurde.23 Was sekundäre Vertragsansprüche betrifft (z. B. vertragliche Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft), so wird der Gesellschaft das Verschulden eines Gesellschafters nach § 278 zugerechnet (str.).24 Im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse, insbesondere der deliktischen Schädigung, passt weder § 278, der das Bestehen einer Sonderverbindung voraussetzt, noch § 831, da ein geschäftsführender Gesellschafter nicht weisungsgebunden und damit nicht „Verrichtungsgehilfe“ ist. Mit der neueren Rechtsprechung ist das deliktische Verhalten des Gesellschafters der Gesellschaft analog § 31 zuzurechnen.25 Angesichts der Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der GbR ist die Anwendung von § 31 konsequent.

23 Fallbeispiel bei Heinemann/Pickartz, JuS 2002, 1081. 24 MüKo/P. Ulmer, § 718 Rdn. 30; a. A. (analoge Anwendung von § 31) K. Schmidt, Gesellschaftsrecht § 10 IV 3. 25 BGH NJW 2003, 1445; anders noch BGHZ 45, 311 (312).

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Besteht eine Verbindlichkeit der Gesellschaft, haftet hierfür jedenfalls das Gesellschaftsvermögen. Eine andere Frage ist, ob auch die Gesellschafter persönlich mit ihrem Privatvermögen für die Gesellschaftsverbindlichkeiten einzustehen haben. Die dogmatischen Grundlagen einer solchen Haftung sind umstritten, wurden aber vom BGH im Zuge des „Umbaus“ der BGB-Gesellschaft einer Lösung zugeführt. Nach der von der Rechtsprechung lange vertretenen und auch im Schrifttum verbreiteten Theorie der Doppelverpflichtung werden durch das Handeln vertretungsberechtigter Personen nicht nur die Gesellschaft, sondern zugleich auch die einzelnen Gesellschafter berechtigt und verpflichtet.26 Demgegenüber wendet die Akzessorietätstheorie § 128 S. 1 HGB analog an, d. h. die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. Zu Unterschieden zwischen beiden Auffassungen kommt es insbesondere bei der Haftung der Gesellschafter für gesetzliche Verbindlichkeiten und bei der Frage der Haftung neu eintretender Gesellschafter für Altverbindlichkeiten. Die Akzessorietätslehre bejaht in beiden Fällen eine Haftung, während es nach der Theorie der Doppelverpflichtung an einem Verpflichtungsgrund fehlt. Der BGH hat sich der Akzessorietätstheorie, d. h. für die analoge Anwendung der §§ 128 f HGB angeschlossen.27 Die Gesellschafter haften danach wie die persönlich haftenden Gesellschafter einer OHG kraft Gesetzes als Gesamtschuldner i. S. v. § 421 persönlich, unmittelbar, primär, unbeschränkt und akzessorisch für die Gesellschaftsverbindlichkeiten, unabhängig von deren Entstehungsgrund.28 Dies gilt analog § 130 HGB auch für Altverbindlichkeiten, also für solche Verbindlichkeiten, die vor dem Eintritt des betreffenden Gesellschafters in die Gesellschaft begründet wurden.29 Die akzessorische Gesellschafterhaftung kann auch nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass die Vertretungsmacht der geschäftsführenden Gesellschafter auf die Verpflichtung des Gesellschaftsvermögens beschränkt wird (str.).30 Schon vorher hatte der BGH entschieden, dass eine Beschränkung der persönlichen Gesellschafterhaftung nur durch individualvertragliche Vereinbarung mit den Gläubigern, nicht aber durch interne Haftungsbe-

26 BGHZ 74, 240 (242); 136, 254 (258 f); s. die Nachweise bei MüKo/P. Ulmer, § 714 Rdn. 3. 27 BGH NJW 2001, 1056 (1061). 28 Persönlich = mit dem gesamten Vermögen; unmittelbar = Haftung unmittelbar gegenüber den Gläubigern und nicht etwa lediglich Nachschußpflicht gegenüber der Gesellschaft; primär = nicht subsidiär, d. h. die Gläubiger müssen nicht zuerst die Gesellschaft in Anspruch nehmen; unbeschränkt = weder der Höhe nach noch in Bezug auf die Gegenstände, die von den Gläubigern in Anspruch genommen werden können; akzessorisch = die Haftung ist von Entstehung, Fortbestand und Durchsetzbarkeit der Gesellschaftsverbindlichkeit abhängig, s. hierzu Grunewald, GesellschaftsR 1.B. Rdn. 37; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, § 49 II 1. 29 BGH NJW 2003, 1803; 2006, 765; ablehnend Canaris ZGR 2004, 69 (114 ff). Aus Gründen des Vertrauensschutzes (die Rechtsprechung hatte vorher eine Haftung für Altverbindlichkeiten im Prinzip abgelehnt) ist diese Rechtsprechung aber nur auf künftige Beitrittsfälle anwendbar, d. h. auf Gesellschaftsbeitritte nach der erstgenannten Gerichtsentscheidung (7. 4. 2003), es sei denn der Neugesellschafter kannte die Altverbindlichkeit oder hätte sie leicht erkennen können. Der analogen Anwendung von § 28 HGB auf die GbR stehen Rechtsprechung und Teile der Literatur bislang reserviert bis ablehnend gegenüber, s. BGH NJW 2000, 1193; NJW 2004, 836 (838); Canaris, Handelsrecht § 7 Rdn. 88. Befürwortend z. B. K. Schmidt, NJW 2003, 1897 (1903). 30 Palandt/Sprau, § 714 Rdn. 3; a. A. Canaris, ZGR 2004, 69 (87 f); P. Ulmer, ZIP 2001, 585 (598). Differenzierend Armbrüster, ZGR 2005, 34 (38 ff).

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schränkungen oder Namenszusätze möglich ist.31 Eine Außen-GbR „mit beschränkter Haftung“ existiert also nicht.32 Beispiel: A ist zusammen mit B und C Gesellschafter einer GbR und hat Einzelgeschäftsführungsbefugnis. In Ausführung einer Gesellschaftsangelegenheit beschädigt er fahrlässig das Eigentum des X. Wer hat für den Schaden aufzukommen? – Zunächst schuldet A persönlich gem. § 823 I dem X Schadensersatz. Da A als Organ in Ausführung einer Gesellschaftsangelegenheit gehandelt hat, schuldet auch die GbR als solche Schadensersatz analog § 31 i. V. m. § 823 I. § 831 ist nicht anwendbar, da ein Gesellschafter nicht „Verrichtungsgehilfe“ der Gesellschaft ist. Analog § 128 S. 1 HGB haften schließlich auch B und C als Gesamtschuldner persönlich. Dies gilt analog § 130 HGB auch für neu eintretende Gesellschafter.

Es ist nicht zu verkennen, dass die neuere Rechtsprechung die Haftung von Gesellschaft und Gesellschaftern erheblich verschärft hat. Die analoge Anwendung von § 31 BGB führt zu einer Haftung der Gesellschaft für deliktische Schädigungen seitens ihrer Organe; § 128 HGB erstreckt diese Haftung auch auf die Gesellschafter persönlich.33 Verfolgt die GbR überwiegend wirtschaftliche Ziele (z. B. kleingewerbliche oder freiberufliche Gesellschaften, Unternehmenskooperationen), erscheint die Stärkung des Gläubigerschutzes angemessen. Den Chancen der wirtschaftlichen Betätigung stehen entsprechende Risiken gegenüber. Die Gesellschafter könnten ja auch eine Rechtsform mit beschränkter Haftung wählen, z. B. eine GmbH, müssten dort aber gläubigerschützende Regeln beachten, wie z. B. die Pflicht zur Aufbringung und Erhaltung eines Stammkapitals i. H. v. mindestens 25.000 €. Stehen wirtschaftliche Zwecke im Hintergrund, sollte dagegen eine persönliche Haftung der Gesellschafter nur bei besonderem Verpflichtungsgrund eintreten. Eine akzessorische Haftung beispielsweise aus Delikt ist in diesen Fällen abzulehnen (str.).34 Ohnehin ist stets zu prüfen, ob die Haftungsvoraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Die neuere Rechtsprechung ist nur auf Außengesellschaften anwendbar. Außerdem bedarf es bei § 31 eines sachlichen Zusammenhangs des schädigenden Verhaltens mit dem übertragenen Aufgabenkreis.

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Eine weitere Einschränkung ergibt sich für freiberufliche Gesellschaften. Soweit hier keine gewerbliche Tätigkeit vorliegt (für den Rechtsanwalt s. § 2 II BRAO), sind das HGB und insbesondere auch die Vorschriften über das Handelsregister nicht anwendbar. Da somit nicht die Möglichkeit besteht, einen Haftungsausschluss mit Wirkung gegenüber Dritten z. B. nach §§ 25 II, 28 II HGB vorzunehmen, sind die Haftungsnormen über Unternehmensfortführung (§ 25 HGB) und Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns (§ 28 HGB) nicht analog anwendbar. Freiberufler wären sonst gegenüber Kaufleuten benachteiligt.35

Hat ein Gesellschafter aufgrund seiner persönlichen Haftung einen Gesellschaftsgläubiger befriedigt, so richtet sich sein Erstattungsanspruch in erster Linie gegen die Gesellschaft.36 Subsidiär kann er die einzelnen Mitgesellschafter in Anspruch nehmen, und zwar wegen der analogen Anwendung von § 128 HGB nach den Regeln über die

31 BGH NJW 1999, 3483; zu Ausnahmen im Zusammenhang mit Immobilienfonds s. BGH NJW 2002, 1642. 32 Zu Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung in Partnerschaftsgesellschaften, s. § 8 II, III PartGG sowie § 51a II BRAO. 33 Gegen eine akzessorische Haftung für deliktische Gesellschaftsverbindlichkeiten allerdings Altmeppen, NJW 2003, 1553 ff; Armbrüster, ZGR 2005, 34 (56 ff); Canaris, ZGR 2004, 69 (109 ff). 34 Gegen Haftungsrestriktionen für unternehmenstragende Gesellschaften K. Schmidt, NJW 2003, 1897 (1903 f). 35 So ausdrücklich der BGH am Beispiel von § 28 HGB, BGH NJW 2004, 836. 36 BGHZ 37, 299 (303); 103, 72 (76).

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Gesamtschuld. Es besteht also ein Anspruch aus § 426 I; außerdem kommt es zur Legalzession nach § 426 II. Nach den Regeln über die Gesamtschuld besteht dieser Anspruch aber jeweils nur pro rata, d. h. lediglich in Höhe der den anderen Gesellschaftern obliegenden Verlustbeteiligung.37

VII. Gewinnverteilung, Auflösung und Beendigung der Gesellschaft 1335

1. Je nach Vereinbarung und grundsätzlich abhängig von der Dauer der Gesellschaft werden Gewinn und Verlust nach Ende des Geschäftsjahres oder Auflösung der Gesellschaft verteilt, 721. Die Höhe der Gewinnanteile ergibt sich grundsätzlich aus dem Gesellschaftsvertrag. § 722 I, II bieten für Zweifelsfälle zwei Auslegungsregeln. 2. Für das Erlöschen einer Gesellschaft sind zwei Zeitpunkte wesentlich: Die Auflösung und die Vollbeendigung. Die Auflösung beendet die Gesellschaft als „werbende“, d. h. wirtschaftende. Sie ist eine zur Zweckänderung führende Vertragsgestaltung (MünchKomm/P. Ulmer, vor § 723 Rdn. 5 f). Die Beendigung bringt die Gesellschaft in all ihren Wirkungen zum Erliegen. Zwischen Auflösung und Beendigung findet die Liquidation statt; es ist allerdings auch die sofortige Vollbeendigung möglich (MünchKomm /P. Ulmer, vor § 723 Rdn. 8–10). 3. Auflösungsgründe sind: a) Zweckerreichung, Unmöglichkeit der Zweckerreichung, § 726 b) Zeitablauf bei befristeter Gesellschaft, arg. § 723 c) Kündigung durch einen Gesellschafter, bei befristeter Gesellschaft nur aus wichtigem Grund, 723, 724, vgl. § 314 und in jedem Falle nicht zur Unzeit, 723 II. d) Kündigung durch den Gläubiger eines Gesellschafters, § 725 e) Tod eines Gesellschafters, § 727 f) Insolvenz eines Gesellschafters, § 728 g) Aufhebungsvertrag, § 311 I h) Vereinigung aller Anteile in einer Hand i) Gesellschafterbeschluss j) Auflösende Bedingung, § 158 II. 4. Während der Liquidation gilt die Gesellschaft als fortbestehend, soweit der Zweck der Auseinandersetzung es erfordert (Liquidationsgesellschaft), 729, 730. Grundsätzlich müssen zuerst die Schulden bezahlt, dann die Einlagen zurückerstattet und dann erst der Gewinn oder der Verlust verteilt werden, 731–735. Nunmehr ist die Gesellschaft beendet.

VIII. Gesellschafterwechsel 1336

Grundsätzlich ist die Gesellschaft von der Zusammensetzung ihrer Gesellschafter abhängig. Ausscheiden des einen verlangt Kündigung und damit Auflösung und Beendigung. Die Vertragsfreiheit gestattet aber: 1. Die Aufnahme eines neuen Gesellschafters Das BGB schweigt. Grundsätzlich endet durch „Aufnahme“ eines neuen Gesellschafters die alte Gesellschaft und eine neue wird begründet. Es kommt zum Abschluss eines neuen Gesellschaftsvertrages zwischen einen neuen Kreis von Vertragspartnern.

37 BGHZ 103, 72 (76) und oben Rdn. 776.

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Da sich aber bei einer solchen Aufnahme alle einig sein müssen und der Grundsatz der Personengebundenheit nachgiebiges Recht ist, bedarf es der Auflösung und Neubegründung nicht: Die alte Gesellschaft bleibt bestehen, der neue Gesellschafter wird am Gesellschaftsvermögen beteiligt. Einer Übertragung bedarf es in Analogie zu § 738 I 1 nicht. Der Anteil am Gesellschaftsvermögen wächst dem neuen Gesellschafter gem. § 738 I 1 analog an. In der Außengesellschaft haftet der beitretende Gesellschafter analog § 130 HGB für Schulden, die vor seinem Beitritt begründet wurden, nicht nur mit seinem Anteil am Gesellschaftsvermögen, sondern auch persönlich. Nach der hier vertretenen Auffassung sollte vom Grundsatz der Akzessorietät aber eine Ausnahme gemacht werden für Gesellschaften mit überwiegend ideellem Zweck, soweit es sich um deliktische Verbindlichkeiten handelt (s. o. Rdn. 1333). 2. Ausscheiden eines Gesellschafters Ebenso kann, dem Grundsatz zuwider, das Weiterbestehen der Gesellschaft trotz Ausscheidens eines Gesellschafters vereinbart werden, von vornherein oder ad hoc, 736 I (Fortsetzungsklausel). Wenn von vornherein, besteht sogar ein Ausschlussrecht gegen einen ungetreuen Gesellschafter, 737. Das Ausschließungsrecht muss von allen andern Gesellschaftern gegen den Auszuschließenden geltend gemacht werden, 737 S. 2. Sperrt sich ein Gesellschafter gegen die Mitwirkung, so ist zu unterscheiden: Grundsätzlich macht dies das Ausschlussbegehren unbegründet, da das Recht nur allen gemeinsam zusteht und es keinem Gesellschafter zugemutet werden kann, die Gesellschaft in einer seinem Willen nicht entsprechenden Zusammensetzung fortzuführen. Ist aber die Verweigerung der Mitwirkung rechtsmissbräuchlich, z. B. wegen der Geringfügigkeit des Anteils des Ausschließungsunwilligen, oder weil er sachliche Gründe nicht vorzubringen vermag, kann er von den andern Gesellschaftern auf Zustimmung zur Ausschließung des auszuschließenden Gesellschafters verklagt werden. Das rechtskräftige Urteil ersetzt seine Zustimmungserklärung, 894 ZPO. Wird in solchen Fällen die Mitgliedschaft des Ausschließungsunwilligen für die andern unzumutbar, kann auch er nach § 737 S. 1 ausgeschlossen werden. Doch darf dies nur letztes Mittel sein. Die Ausschließung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem auszuschließenden Gesellschafter, 737 S. 3. Im Unterschied zur OHG ist eine Ausschließungsklage nicht erforderlich, vgl. § 140 HGB. Eine auf § 737 gestützte Klage ist daher Feststellungs-, nicht Gestaltungsklage. Der Anteil des Ausscheidenden wächst den übrigen an, 738 I 1. Es ändert sich die Rechtszuständigkeit, und zwar kraft Gesetzes. Es bedarf keiner Übertragungshandlung, z. B. also keiner Grundstücksauflassung. Nur das Grundbuch ist gem. § 894 zu berichtigen. Der Ausscheidende erhält seine quoad usum geleisteten Beiträge zurück, meist auch Schuldbefreiung durch die Gesellschafter,38 ferner sein Auseinandersetzungsguthaben und Gewinn- und Verlustbeteiligungen an schwebenden Geschäften, 738, 740. Für Fehlbeträge haftet er, 739. Sind nur zwei Gesellschafter vorhanden, führt das Ausscheiden eines Gesellschafters zur Beendigung der Gesellschafter. Es gibt keine „Ein-Mann-GbR“. Vereinbaren die Gesellschafter, dass einer von ihnen das Gesellschaftsvermögen übernimmt, tritt mit Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters Gesamtrechtsnachfolge ein. Andernfalls kann der Verbleibende durch rechtsgestaltende Willenserklärung die Übernahme der Gesellschaft erklären.39 Durch die Übernahme tritt Beendigung der Gesellschaft ohne Abwicklung ein.

38 Zum Befreiungsanspruch s. BGH NJW 1999, 2438 (2440). 39 Palandt/Sprau, § 736 Rdn. 4. S. z. B. BGH NJW 2006, 844.

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Soweit der ausscheidende Gesellschafter nicht nach § 738 I 2 von seinen Gesellschaftsverbindlichkeiten befreit wird, haftet er hierfür auch nach seinem Ausscheiden fort. Allerdings gelten gem. § 736 II die für Personenhandelsgesellschaften geltenden Regelungen über die Begrenzung der Nachhaftung entsprechend, nämlich § 160 HGB. Die Nachhaftung des Gesellschafters ist hiernach auf fünf Jahre begrenzt. Der ausscheidende Gesellschafter haftet also nur für Verbindlichkeiten, die während seiner Mitgliedschaft begründet wurden, innerhalb von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden fällig und in diesem Zeitraum tituliert oder (schriftlich) anerkannt wurden (§§ 160 I 1, II HGB, 197 I Nr. 3 bis 5 BGB). Die fünfjährige Frist beginnt mit Kenntnis des Gläubigers vom Ausscheiden.40 Der Gesellschafter hat also ein Interesse daran, die Gläubiger von seinem Ausscheiden zu informieren. Mit Fristablauf erlischt die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters.

3. Übertragung der Mitgliedschaft 1339

Die Mitgliedschaft des Gesellschafters an einer BGB-Gesellschaft bezeichnet die Gesamtheit seiner Vermögensrechte und Verwaltungsrechte. Die Gesellschafterstellung (Mitgliedschaft) kann grundsätzlich nicht übertragen werden (717, 719 I). Eine Übertragung ist nur dann möglich, wenn alle Gesellschafter zustimmen (einschließlich des Ausscheidenden und des Eintretenden) oder der Gesellschaftsvertrag zweifelsfrei bestimmt, dass ein Mehrheitsbeschluss genügt. Die Übertragung der Mitgliedschaft führt zu einer Gesamtrechtsnachfolge bezüglich der Gesellschaftserstellung; eine Einzelübertragung auf den Erwerber erfolgt nicht. Außer durch Übertragung kann ein Gesellschafterwechsel auch dadurch erreicht werden dass in zwei rechtlich getrennten Vorgängen ein Gesellschafter ausscheidet und ein anderer eintritt. In diesem Fall ist der neue Gesellschafter nicht Rechtsnachfolger des alten.

IX. Allgemeine Leistungsstörungen im Gesellschaftsverhältnis 1340

Nach den Fragen der Normalbeendigung der Gesellschaft und des Gesellschafterwechsels sind noch die Leistungsstörungen zu betrachten, die in einem Gesellschaftsverhältnis auftreten können. Besonders umstritten ist, ob §§ 320–326 auf Gesellschaftsverträge anwendbar sind, sei es direkt oder analog (Medicus, BürgR Rdn. 215; MünchKomm/P. Ulmer, § 705 Rdn. 163 ff; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht § 20 III). Die begriffliche Vorfrage, ob Gesellschaftsverträge gegenseitige Verträge sind, ist nicht allein entscheidend (ablehnend z. B. Larenz II § 60 Ib). Da die Beiträge eines Gesellschafters mit Rücksicht auf die Beiträge der anderen versprochen werden, dürfte ein Gegenseitigkeitsverhältnis doch grundsätzlich anzunehmen sein. Die Zielgerichtetheit auf den gemeinsamen Zweck steht der Gegenseitigkeit nicht im Wege. Sowohl in Austausch wie in Gesellschaftsverträgen können die versprochenen Leistungen im Verhältnis des do-ut-des stehen. §§ 320 ff sind also grundsätzlich anzuwenden, wenn auch mit starken Einschränkungen. Schwieriger ist die Frage, inwieweit die §§ 320 ff eingeschränkt werden müssen, weil sie dem Wesen der Gesellschaft oder spezifischen gesellschaftsrechtlichen Regeln widersprechen. Soweit die §§ 320 ff auf die Beendigung des Vertrags hinauslaufen (insb. §§ 323, 324, 326 V), gehen nach Invollzugsetzung der Gesellschaft die besonderen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über Kündigung, Auflösung und Beendigung vor (allg. M.), 723, 726. Die Einrede der Nichterfüllung und die Zug-um-Zug-Verurteilung (320, 322) werden in mehrgliedrigen Gesellschaften durch die Treuepflicht der Gesellschafter praktisch verdrängt. Weil Gesellschafter A den Beitrag nicht zahlt, können B, C und D ihre Beiträge nicht zurückhalten. Die Treuepflicht gebietet ihnen, den Gesellschaftszweck auch unter solchen Schwierigkeiten nach Möglichkeit zu verfolgen. Das ist i. d. R. anders in nur aus 2 Personen bestehenden Gesellschaften. Die Verzugsregeln gelten grundsätzlich, soweit noch Erfüllung beansprucht wird.

40 BGHZ 117, 168. § 160 I 2 HGB, wonach die Frist mit Eintragung des Ausscheidens ins Handelsregister beginnt, passt für die BGB-Gesellschaft nicht und muss entsprechend angepasst werden.

664

Gemeinschaft

§ 93 II

§ 93 Gemeinschaft Blomeyer, AcP 159 (1959), 385; de Boor, Die Kollision von Forderungsrechten, 1928; Dietz, G., Offene Fragen und Perspektiven der Bruchteilsgemeinschaft, 2002; Engländer, Die regelmäßige Rechtsgemeinschaft, 1914; Esser, Albert, Rechtsprobleme der Gemeinschaftsteilung, 1951; Hennecke, Das Sondervermögen der Gesamthand, 1976; Hilbrandt, AcP 202 (2002) 631; Jörges, E., ZHR 49 (1990), 140; Kohler, AcP 107 (1911), 258; Kümpel, WM 80, 422; Langen, Die Interessengemeinschaft, 1929; Larenz, IherJb. 83 (1933), 108; Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, 1979; Saenger, Gemeinschaft und Rechtsteilung, 1913; Schmidt, Karsten, JR 79, 317; Schnorr, Die Gemeinschaft nach Bruchteilen (§§ 741–758 BGB), 2004; Schubert, JR 75, 363; v. Seeler, Das Miteigentum nach dem BGB, 1899; Würdinger, Theorie der schlichten Interessengemeinschaften, 1934; Wüst, Die Interessengemeinschaft, ein Ordnungsprinzip des Privatrechts, 1958; ders., JZ 61,78.

I. Begriff und Wesen 1. Die Gemeinschaft ist die vertraglich oder gesetzlich bestimmte Beteiligung mehrerer an einem Recht, sofern nicht die Regeln der Gesamthand gelten, 741 (Bruchteilsgemeinschaft). 2. Während bei der Gesamthandsgemeinschaft eine ungeteilte Rechtszuständigkeit der Gesamthänder am Gesamthandsvermögen besteht, gibt es bei der Gemeinschaft eine geteilte Rechtszuständigkeit. Deshalb liegt der Unterschied zwischen Gesamthand und Gemeinschaft vor allem darin, dass Gegenstand der Gesamthand ein Vermögen ist (auch wenn im Einzelfall das Vermögen nur aus einem einzigen Gegenstand bestehen sollte), während die Gemeinschaft nur an einem einzelnen Recht bestehen kann.1 Gegenstand dieses einzelnen Rechts kann eine Sache (z. B. Eigentum) oder ein Recht (z. B. Forderung) sein. § 752, der von „mehreren gemeinschaftlichen Gegenständen“ spricht, meint mehrere Gemeinschaften an jeweils verschiedenen Gegenständen. 3. Sodann ist die Gemeinschaft in der Regel auf Auseinandersetzung gerichtet. Die Hauptbedeutung innerhalb des Gemeinschaftsrechts haben die §§ 749–758, die insbesondere auch für die Erbengemeinschaft, 2032 ff, die an sich eine Gesamthand ist, gelten. Die Verbundenheit der Gemeinschafter ist damit wesentlich lockerer als die der Gesellschafter. Darum bestimmt § 747, im Gegensatz zu § 719, dass Gemeinschafter über ihre Anteile verfügen können. Trotzdem gibt es auf Dauer angelegte (vor allem vertragliche) Gemeinschaften, z. B. für die Verwaltung eines Hauses. Die §§ 1008 ff über das Miteigentum sind Spezialregeln zur Gemeinschaft im Sachenrecht. Wichtige Verweisungen auf das Gemeinschaftsrecht enthalten die §§ 947, 948, 2042 BGB; 469 II HGB.

1341

II. Anteile, Nutzung, Verwaltung, Verfügung Grundsätzlich gilt gemeinschaftliche Verwaltung, Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss und regelmäßig gleiche Beteiligung, 742–746, 748. Jeder kann über seinen Anteil verfügen, 747 S. 1, über das Ganze aber nur gemeinschaftlich mit den andern, 747 S. 2.

1 Larenz, IherJb. 83 (1933), 108, 164; MünchKomm/K. Schmidt, § 741 Rdn. 6; eingehend Hennecke, Das Sondervermögen der Gesamthand, S. 55 ff.

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1342

§ 94

Besondere Versprechen

III. Aufhebung 1343

1. Jeder kann jederzeit Aufhebung der Gemeinschaft verlangen, § 749 (keine Teilung kann dagegen grundsätzlich bei den Gesamthandsgemeinschaften verlangt werden, 719 I Halbs. 2, 1419 I Halbs. 2; anders bei der Erbengemeinschaft gem. § 2042 I), bei Ausschluss dieses Rechts nur aus wichtigem Grund, 242 (!). Tod und Anteilspfändung sind weitere Gründe für die Nichtbeachtung des Ausschlusses der Aufhebung, 750, 751. Der Anspruch auf Aufhebung ist unverjährbar, 758. 2. Die Grundregeln der Aufhebung enthalten §§ 752, 753: Ist Teilung in Natur möglich, so gilt diese, 752 (mit Gewährleistung, 757); ist sie ohne Wertminderung unmöglich, so muss der gemeinschaftliche Gegenstand zu Geld gemacht werden, 753. Es gelten die Regeln über den Pfandverkauf, 1228 ff. Der Hauptfall für die Anwendung der Regeln der §§ 753, 1228 ff findet sich bei der Erbengemeinschaft. Nach § 2042 II sind für diese Gesamthandsgemeinschaft §§ 753, 1228 heranzuziehen, wenn sich die Erben bei der Auseinandersetzung nicht einigen können und den Nachlass verkaufen müssen. Forderungen sind grundsätzlich einzuziehen, Gesamtschulden und Teilhaberschulden aus dem Wert des gemeinschaftlichen Gegenstandes zu tilgen, 754, 755, 756.

13. Abschnitt

Besondere Versprechen § 94 Leibrente Eccius, Gruchot 45, 11; Gierke, v., IherJb 64, 355; Haegele/Petzold, Geschäfts- und Grundstücksveräußerung auf Rentenbasis, 4. Aufl. 1978; Heubeck, G./Heubeck, K., DNotz 78, 643; Sepp, Der Leibrentenvertrag, 1905; Reinhart, FS Wahl, 1973, 261.

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1345

Die Leibrente ist der einseitig verpflichtende Vertrag, durch den der eine Teil die fortlaufende Zahlung einer im wesentlichen für den Lebensunterhalt des Berechtigten bestimmten, selbständigen Leistung in Geld oder anderen vertretbaren Sachen verspricht. Sie soll regelmäßig für die Lebenszeit des Berechtigten erbracht werden. Die §§ 759, 760 enthalten abdingbare Regeln über Dauer, zeitlichen Abstand und Vorausentrichtung der Zahlungen. § 761 schreibt zur Gültigkeit des Leibrentenversprechens (nicht der Annahme) die Schriftform vor. Häufig ist die Verbindung eines Leibrentenversprechens mit der als Gegenleistung dafür eingegangenen Verpflichtung, ein Grundstück zu übereignen. Die dingliche Sicherung der Leibrente erfolgt dann in der Regel durch eine Reallast, 1105 ff (seltener durch eine Rentenschuld, 1199 ff), die an dem übereigneten Grundstück bestellt wird.1 Über die dogmatische Konstruktion der Leibrente besteht grundsätzlicher Streit. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist zwischen dem Versprechen der Leibrente und dem Versprechen der einzelnen Rentenleistungen zu unterscheiden (RGZ 67, 204, 211;

1 Zum Problem des Währungsverfalls OLG Düsseldorf NJW 72, 1137; Chiotellis, Rechtsfolgebestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen in Schuldverträgen, 1981, S. 167, 172 m. w. N.; MüKo/Habersack, § 759 Rdn. 25.

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Spiel, Wette, Differenzgeschäft

§ 95

BGH BB 66, 305). Die Leibrente ist nach dieser Vorstellung ein einheitlich nutzbares Recht, das sog. Stammrecht; mit der Bestellung des Stammrechts entsteht ein Anspruch auf die einzelnen Rentenzahlungen. Diese Unterscheidung der Rechtsprechung ist jedoch entbehrlich und abzulehnen. Durch das angenommene Leibrentenversprechen wird nur ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen den Parteien geschlossen, der durch Rentenzahlungen erfüllt wird. Andernfalls wäre unklar, worauf die Formvorschrift § 761 zu beziehen ist.2 Die Form eines Vertrages, durch den eine anderweit entstandene Rentenpflicht (z. B. aus Dienstvertrag, 611; Unterhalt, 1601; oder Delikt, 843) nach Umfang und Zahlungsweise geregelt wird, unterliegt nicht § 761.

§ 95 Spiel, Wette, Differenzgeschäft v. Arnim, JZ 82, 843; ders., Die AG 83, 29; 68; Bletz, BB 87, 627; Bundschuh, WM 86, 725; Canaris, WM Sonderbeilage 10/88; Casper, WM 2003, 161; Grundwald, WM 88, 1077; Hadding/Wagner, WM 76, 310; Hartung, Das Wertpapieroptionsgeschäft in der Bundesrepublik Deutschland, 1989; Häuser, ZIP 81, 933; ders., DB 85, 1169; ders., WM 88, 1285; Heussler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994; zu Hohenlohe-Oehringen, BB 80, 1667; Hopt, BB 84, 417; Horn, ZIP 90, 2; Kümpel, WM 86, 661; ders., WM 87, 1321; ders., WM 89, 1313, 1489; Lüer, JZ 79, 171; F. A. Mann, FS v. Caemmerer, 1978, 737; Roessner/Weber, BB 79, 1049; Rössner/Lachmair, BB 86, 1377; Schlund, Das Zahlenlotto, 1972; Schwark, DB 75, 2261; ders., Jura 85, 403; Wach, Der Terminhandel in Recht und Praxis, 1986; Welter, Wiederkehrende Leistungen im Zivilrecht und im Steuerrecht, 1984.

1. Das Spiel im Sinne des bürgerlichen Rechts ist der Vertrag, bei welchem sich die Beteiligten gegenseitig die Zuwendung eines Gewinns für den Fall versprechen, dass ein bestimmtes künftiges Ereignis oder ein bereits vorliegendes Ereignis bekannt wird, wobei das Eintreten oder das Bekanntwerden zu einem nicht unerheblichen Teil vom Zufall abhängt. Das Spiel ist ein Glücks-, Risiko-, Zufallsvertrag (Skatrunde, Schafkopfpartie, 17 + 4, Poker, Rennwette). Allerdings ist nicht jedes risikobehaftete Geschäft ein Spiel. Wird ein ernsthafter wirtschaftlicher Geschäftszweck verfolgt, so ist § 762 nicht anwendbar, so z.B. bei Auktionen, auch im Internet.1 – Zu Gewinnzusagen i. S. v. § 661a s. bereits oben Rdn. 1297. 2. Das Spiel begründet eine erfüllbare Nichtschuld, 762 I 1 Fall 1 (oben Rdn. 69). Wer also beim Eisstockschießen „für ein Zehnerl“ mitmacht, kann, falls er bei der gewinnenden Partei ist, den Gewinn nicht einklagen. Erhält er ihn, braucht er ihn nicht zurückzugeben, 762 I 2. § 762 findet nicht nur auf den Spielvertrag Anwendung, sondern ist analog auf Neben- und Hilfsverträge anzuwenden, soweit es sich nicht um staatlich genehmigte Spiele nach § 763 handelt (BGH NJW 74, 1821). 3. Wenn ein Spielvertrag nichtig ist, entsteht noch nicht einmal eine unvollkommene Verbindlichkeit gem. § 762 I 1 (BGHZ 37, 363). Greift ein Verbot ein, sind Rechtsgeschäfte gem. § 134 nichtig. Insbesondere nach §§ 284–286 StGB sind die Veranstaltung und Beteiligung an unerlaubtem Glückspiel und die öffentliche Lotterie ohne behördliche Erlaubnis verboten.

2 Wie hier Larenz II § 65 III; Medicus II § 114 II; MünchKomm/Habersack, § 759 Rdn. 4 ff. 1 BGH NJW 2002, 363.

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§ 96 I

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Besondere Versprechen

4. Eine Wette ist ein Vertrag, durch den sich die Parteien zur Bekräftigung einer Behauptung für den Fall der Wahrheit oder Unwahrheit gegenseitig Leistungen versprechen (Enneccerus/Lehmann, § 189 I 2). Auch die Wette begründet nur eine erfüllbare Nichtschuld. 5. Ein Lotterievertrag ist nur bei behördlicher Genehmigung verbindlich, 763. 6. Ein Differenzgeschäft ist der Verkauf oder Kauf von Waren oder Wertpapieren in der (oft verschleierten) Absicht, dass weder Ware noch Preis wirklich geleistet sein sollen, sondern nur der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsenoder Marktpreis der Lieferungszeit. Da Börsen- und Marktpreise steigen oder sinken können, gibt es beim Differenzgeschäft einen verlierenden und einen gewinnenden Teil. Für Finanztermingeschäfte (Definition in § 2 IIa und II WpHG) existieren besondere Vorschriften in den §§ 37d ff WpHG. Der frühere Differenzeinwand in § 764 a. F. wurde abgeschafft. Nach § 37e WpHG ist unter bestimmten Voraussetzungen der Einwand des § 762 ausgeschlossen. Für Finanztermingeschäfte im Verhältnis Unternehmer – Verbraucher gelten bestimmte Informationspflichten, 37d WpHG. Aus Gründen des Anlegerschutzes können bestimmte Typen von Finanztermingeschäften durch Verordnung verboten werden. Dennoch abgeschlossene Geschäfte sind nichtig, 37g II WpHG.2

§ 96 Sichernde Versprechen (Bürgschaft, Garantie, Versicherungsvertrag, Sicherungsabrede, Sicherungstreuhand) I. Bürgschaft Auer, ZBB 1999, 161; Baur/Mengelberg, Bürgschaft, Schuldübernahme und Garantievertrag (1930); Becker, C., Maßvolle Kreditsicherung (1999); Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 6. Aufl. (2003); Coester-Waltjen, Jura 2001, 742; Dreismann, Bürgenschutz durch Gläubigerdiligenz? (2001); Eleftheriadis, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern (2001); Fountoulakis, Interzession naher Angehöriger (2005); Gernhuber, JZ 1995, 1086; Giesen, Jura 1997, 64, 122; Großfeld/Lühn, WM 1991, 2013; Habersack, AcP 198 (1998) 152; ders., WM 2001, 1100; Heinemann, FS Sandoz (2006) 447; Honsell, JZ 1989, 495; Horn, WM 1997, 1081; ders., ZIP 2001, 93; Knütel, FS Flume, Bd I (1978) 559; ders., JR 1985, 6; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts (1994); Lettl, WM 2000, 1316; S. Lorenz, JZ 1997, 277; ders., JuS 1999, 1145; Lwowski/Merkel, Kreditsicherheiten, 8. Aufl. (2003); Medicus, FS Fikentscher (1998) 265; ders., JuS 1999, 833; H. Merkel, Die Negativklausel (1985); Preis/Rolfs, DB 1994, 261; Reich, VuR 1997, 187; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, 2. Aufl. (2000); Riehm, JuS 2000, 138, 241, 343; Rikken, Die Globalhandlung des Kreditbürgen (2004); Rimmelspacher, Kreditsicherungsrecht (1980); Schlößer, NJW 2006, 645; Schmidt, Die sogenannte Akzessorietät der Bürgschaft (2001); Schwarz, Bürgenschutz durch deutsches und europäisches Verbraucherschutzrecht (2001); Siems, JuS 2001, 429; Singer, JZ 1995, 1133; Sölter, C., Die Verbraucherbürgschaft (2001); Tiedtke, NJW 2005, 2498; H.-J. Weber, Kreditsicherheiten, 7. Aufl. (2002); Weimar, Bürgschaft, Schuldübernahme, Garantievertrag (1979); Westermann, H. P., Jura 1991, 449, 567; Weth, AcP 189 (1989) 304; Wochner, BB 1989, 1354; M. Wolf, NJW 1987, 2472; Zahn, ZIP 2006, 1069.

2 S. hierzu näher Casper, WM 2003, 161.

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Sichernde Versprechen

§ 96 I 1

1. Bürgschaftsvertrag. Form. Sittenwidrigkeit Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten (Hauptschuldner), für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen, 765.

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a) Der Bürge haftet somit für fremde Schuld. Der Sicherungszweck ist kennzeichnend. Darin unterscheidet er sich vom Schuldübernehmer, der eine eigene Schuld übernimmt. Auch bei der kumulativen Schuldübernahme, bei der der Übernehmer zusätzlich neben den Altschuldner tritt, haftet der Neuschuldner für eigene Schuld, oben Rdn. 753. Die Abgrenzung ist im Einzelnen oft schwierig. Sie ist aber wichtig, da die Bürgschaft eine schriftliche Bürgschaftserklärung fordert, 766, wogegen die Schuldübernahme formlos vereinbart werden kann (anders allerdings bei Schuldübernahme oder Schuldübertritt zu einem Verbraucherdarlehensvertrag s. o. Rdn. 1096). Um die Formvorschrift des § 766 nicht zu entwerten, verlangt die Rechtsprechung zu Recht, dass der Schuldübernehmer ein eigenes wirtschaftliches Interesse haben muss, oben Rdn. 754. Oft hilft für die Auslegung, ob (formpflichtige) Bürgschaft oder Schuldbeitritt vorliegt, die Frage, ob einer Person Kredit verschafft werden soll (dann Bürgschaft), oder ob der zusätzlich Haftende an seiner eigenen Verpflichtung selbständig interessiert ist. Gehen Schuldner und Hinzutretender von der – vielleicht unausgesprochenen – Erwartung aus, dass in erster Linie der Schuldner in Anspruch genommen werden soll, so gilt Bürgschaftsrecht. Das gleiche trifft i. d. R. zu, wenn Schuldner und Hinzutretender ausdrücklich oder stillschweigend davon ausgehen, dass der Hinzutretende vom Schuldner Ersatz in voller Höhe verlangen kann, falls nicht der Schuldner, sondern der Hinzutretende in Anspruch genommen wird. Denn darin tritt der Sicherungszweck zutage. Im Zweifel gilt Bürgschaft, nicht Schuldbeitritt, weil das Gesetz den Normalfall gesetzlich regeln wollte, BGHZ 6, 397; BGH NJW 1986, 580. Zum Garantievertrag siehe unten II, sowie BGH NJW 67, 1020. Zur Abgrenzung von der sog. Patronatserklärung Staudinger/ Horn, Vorb. zu §§ 765–778, Rdn. 118; Obermüller, ZGR 75, 1 ff; Schröder, Jan, ZGR 82, 552 ff (alle m. w. N.); und unten Rdn. 1357. Die Bürgschaft ist ein einseitig verpflichtender Vertrag zwischen Bürge und Gläubiger. Davon getrennt sind etwaige Schuldverhältnisse zwischen Bürge und Hauptschuldner zu betrachten, vgl. § 774 I 3. Möglicherweise ist der Bürge zur Bürgschaftsleistung aus Auftrag oder Geschäftsbesorgung verpflichtet, 662 ff, 675. Die Bürgschaftsleistung kann Geschäftsführung ohne Auftrag sein, 677 ff (wichtig wegen des Ersatzes, wenn der Bürge in Anspruch genommen wird, 683 S. 1, 670). Wer einen andern zur Kreditgewährung beauftragt, haftet ihm als Bürge (Kreditauftrag), 778. Im Bankverkehr sind Kreditaufträge nicht selten.

b) Die Schriftform des § 766 dient in erster Hinsicht dazu, den Bürgen von übereilten Entschlüssen abzuhalten. Die Bürgschaft ist eines der gefährlichsten Geschäfte, weil sich der Bürge oft aus außerwirtschaftlichen Erwägungen bereit findet einzuspringen und im Grunde hofft, dass es zu seiner Inanspruchnahme nicht kommt. Daneben dient die Schriftform Beweiszwecken. Sie bezieht sich übrigens nur auf die Bürgschaftserklärung, nicht auf den ganzen Vertrag. Der Form bedarf es nicht, wenn der Bürge Kaufmann und die Erklärung der Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft ist, 350 HGB; das gleiche gilt, wenn die Bürgschaft in Wechselform geleistet wird; die strengeren Vorschriften des Wechselrechts verdrängen § 766, BGHZ 45, 210 = ESJ 103. Wegen der Gefährlichkeit gehen Unklarheiten über den Umfang der durch Bürgschaft gesicherten Hauptforderung zu Lasten des Gläubigers, BGH NJW 80, 1459; ähnlich BGH WM 78, 1065 und BGH NJW 80, 1099 – Zusatzkredit –. Die für die Bürgschaftserklärung erforderliche Schriftform ist nicht gewahrt, wenn der Verbürgungswille nicht aus der Bürgschaftsurkunde, sondern erst aus einer darin in Bezug genommenen Urkunde zu erkennen ist, BGHZ 26, 146. Auch ein Telegramm reicht nicht aus, BGHZ 24, 297. Die elektronische Form (§ 126a) ist gem. § 766 S. 2 ausgeschlossen. c) Streitig sind die Voraussetzungen, unter denen die Regeln über den Widerruf von Haustürgeschäften auf die Bürgschaft anwendbar sind. Der EuGH hat in der Dietzinger-Entscheidung geklärt, dass auch Bürgschaftsverträge prinzipiell in den Anwen-

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§ 96 I 1

Besondere Versprechen

dungsbereich der Haustürwiderrufs-Richtlinie fallen.1 Allerdings hat er den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie auf Fälle beschränkt, in denen sowohl die Parteien des Bürgschaftsvertrags als auch diejenigen der Hauptverbindlichkeit Unternehmer und Verbraucher sind.2 Deshalb erfasst die Richtlinie nicht die Bürgschaft eines Verbrauchers, der sich für einen Geschäftskredit, also ein Darlehen zwischen zwei Unternehmern verbürgt. Die deutsche Rechtsprechung ist früher hierüber noch hinausgegangen, indem sie nicht nur das zweifache Vorliegen der Verbrauchereigenschaft, sondern sogar das zweifache Vorliegen einer Haustürsituation verlangt hat. Selbst wenn sich ein Verbraucher für einen Privatkredit verbürgt, sind die §§ 312 ff danach nicht anwendbar, wenn sich nur der Bürge, nicht aber der Hauptschuldner bei Eingehung des Darlehensvertrags in einer Haustürsituation befunden hat.3 Diese Rechtsprechung überzeugt nicht. Durch die Regeln über den Haustürwiderruf sollen Verbraucher geschützt werden, die sich bei Vertragsschluss in einer Haustürsituation befunden haben. Deren Schutzbedürftigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die persönlichen und situativen Voraussetzungen für einen Widerruf beim Geschäft des Hauptschuldners nicht vorlagen.4 Der XI. Senat des BGH hat deshalb für die Anwendung von § 312 zu Recht lediglich darauf abgestellt, dass der Sicherungsgeber Verbraucher ist und sich in einer Haustürsituation befindet. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist es unschädlich, dass sich der Verbraucher für einen Geschäftskredit verbürgt, oder dass das Hauptgeschäft nicht in einer Haustürsituation abgeschlossen wurde.5 Zur (abzulehnenden) Anwendbarkeit der Regeln über den Verbraucherdarlehensvertrag auf die Bürgschaft s. o. Rdn. 1097.

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d) In mehreren Entscheidungen hatte der BGH eine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft verneint, obwohl die Gläubiger (Banken oder Sparkassen) mit den Kindern oder Ehegatten der Hauptschuldner, ihrer Kunden, Bürgschaftsverträge über so hohe Beträge abschlossen, dass sie, die kein Vermögen und keine oder nur sehr geringe Einnahmen hatten, bei dem nicht unwahrscheinlichen Eintritt des Bürgschaftsfalles kaum in der Lage waren, die Darlehens- und Verzugszinsen zu zahlen, und sie voraussichtlich zeit ihres Lebens ihre gesamten Einnahmen an den Gläubiger abliefern mussten, soweit diese nicht unpfändbar sind. Das ist auf herbe Kritik gestoßen (s. nur Tiedtke, ZIP 90, 413, 415 f). Wie schon in der 8. Aufl. bemerkt: ein wenig Rechtsvergleichung hätte geholfen. Nach anglo-amerikanischem Recht ist das Bestehen eines Kindschafts- oder Schülerverhältnisses auch unabhängig von Geschäftsfähigkeitsgrenzen bei Geschäften mit den Kindern oder Schülern Anlass, „undue influence“ zu prüfen. Das gilt auch, wenn ein Dritter (hier Bank/Sparkasse) ein solches Abhängigkeitsverhältnis ins Spiel bringt. § 177 Restatement (Second) sagt (in Übersetzung, W. F.): „Unzulässige Beeinflussung ist die unfaire Überredung einer Partei, die unter dem beherrschenden Einfluss der überredenden Person steht oder die sich wegen der Beziehung zwischen ihr und jener Person darauf verlässt, dass jene Person sich nicht zu ihrem, der Partei, Nachteil verhalten wird“; Jackson/Bollinger, Contract Law in Modern Society, Cases and Materials, 2. Aufl. 1980, 491–499, 493; Chitty, Contracts, 25. Aufl. 1983, Bd. I, Rdn. 507.

1 2 3 4

Überholt deshalb BGHZ 113, 287. EuGH NJW 1998, 1295. BGH NJW 1998, 2356. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998) 532; S. Lorenz, NJW 1998, 2937; Palandt/Grüneberg, § 312 Rdn. 8. 5 BGH NJW 2006, 845 (für die Verpfändung).

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Sichernde Versprechen

§ 96 I 2

Undue influence-Fälle sind im deutschen Recht nach § 138 oder als c. i. c. (§ 311 II) zu behandeln (St. Lorenz). In Reaktion auf den Bürgschaftsbeschluss des BVerfG 6 hat der BGH (nach anfangs scharfen Richtungskämpfen zwischen zwei Senaten) Kriterien entwickelt, bei deren Vorliegen Bürgschaften nahestehender Personen als sittenwidrig einzustufen sind.7 Es handelt sich um: – Krasse finanzielle Überforderung des Bürgen: Diese liegt jedenfalls vor, wenn der Bürge nicht einmal in der Lage ist, die Zinsen der Hauptschuld aufzubringen. – Emotiona/e Verbundenheit zum Hauptschuldner: Sie wird bei krasser finanzieller Überforderung (widerleglich) vermutet. Sie liegt nicht nur zwischen Eheleuten und Familienangehörigen, sondern auch zwischen Lebensgefährten vor. – Kein wirtschaftliches Eigeninteresse: Nur die Erwartung unmittelbarer geldwerter Vorteile, nicht aber bloß allgemeine Verbesserungen des Lebensstandards schließen die Sittenwidrigkeit aus. – Kein schützenswertes Gläubigerinteresse: z. B. zur Verhinderung von Vermögensverschiebungen, wenn explizit im Bürgschaftsvertrag angesprochen.

Das Urteil der Sittenwidrigkeit wird nicht dadurch beeinflusst, dass der Schuldner nach §§ 286 ff, 304 ff InsO die Möglichkeit hat, nach einer Wohlverhaltensfrist von sechs Jahren eine Restschuldbefreiung zu erlangen.8 Die Kreditgeber werden durch die Rechtsprechung im Ergebnis dazu verpflichtet, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse möglicher Bürgen zu prüfen, und deren Verpflichtung durch die Vereinbarung von Höchstbetragsbürgschaften auf ihre individuellen Verhältnisse zuzuschneiden.9 2. Bürgenschuld a) Die Bürgschaft ist akzessorisch, d. h. die Verpflichtung des Bürgen ist nach Bestand („entstehungsakzessorisch“) und Umfang („inhaltsakzessorisch“) von der Hauptschuld abhängig, §§ 767, 768 (Ausnahmen in §§ 767 I 2, 768 I 2, 768 II). Stellt sich also z. B. heraus, dass das Darlehen an den Hauptschuldner nicht ausgezahlt ist, so ist auch der Bürge nicht verpflichtet. Die Bürgschaft deckt auch eine zur Schuld hinzutretende Vertragsstrafe, BGH NJW 82, 2305. Mit dem Erfüllen der Hauptschuld erlischt auch die Bürgschaftsschuld. Herabsetzungen und Stundungen der Hauptschuld wirken sich auch zugunsten des Bürgen aus, BGHZ 6, 385. Unterbricht aber der Hauptschuldner eine gegen ihn laufende Verjährungsfrist durch ein Schuldanerkenntnis, so betrifft das die Bürgenschuld nicht. Er kann sich mit Erfolg auf die Verjährung der Hauptschuld berufen, die ohne das Anerkenntnis eingetreten wäre (OLG Düsseldorf MDR 75, 1019). Beendigung einer zahlungsunfähigen Handelsgesellschaft führt nicht zum Untergang der Bürgschaftsschuld, BGH NJW 82, 875. Der Gedanke der Akzessorietät verlangt auch, dass die Hauptschuld wenigstens bestimmbar ist (kritisch: MünchKomm/ Pecher, § 765 Rdn. 12). Die Übernahme der Bürgschaft für alle nur irgendwie denkbaren künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners ohne jede sachliche Begrenzung ist unwirksam, 305c, 307 (sog. „Globalbürgschaft“).10 Übernimmt ein neuer Schuldner die Schuld, wird der Bürge frei, 418 I 1, es sei denn, er erklärt sich mit der Schuldübernahme einverstanden, 418 I 3, BGH NJW 68, 1131. Der Bürge braucht sich also keinen „schlechteren“ Hauptschuldner aufdrängen zu lassen. 6 7 8 9 10

BVerfGE 89, 214. S. BGH NJW 2000, 1182; 2001, 185; 2002, 744; 2002, 2228; 2005, 971. A. A. Medicus, JuS 1999, 833 (835). S. zum Ganzen das Fallbeispiel bei Heinemann/Pickartz, JuS 2002, 1081. BGH NJW 1995, 2553; 1999, 3195: Beschränkung der Haftung auf den Anlasskredit, arg. § 767 I 3, „Verbot der Fremddisposition“. S. hierzu das Fallbeispiel bei Heinemann/Pickartz, aaO.

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1352

§ 96 I 2

1353

Besondere Versprechen

b) Die Bedeutung der Akzessorietät soll mit folgender Übersicht erläutert werden: Bürgenschutz – 767 I 1 Ohne Hauptforderung kein Entstehen der Bürgschaft – 767 I 1, 2 Verminderung der Hauptforderung auch zugunsten des Bürgen

– 767 I 3 Rechtsgeschäftliche Erhöhung der Bürgenverpflichtung durch den Hauptschuldner nicht möglich

– 768 I 1 Bürge hat alle Einreden, die der Hauptschuldner hat, z. B. Stundung etc.

– 768 II Auch ein Verzicht des Hauptschuldners auf die Einrede schadet nicht – 770 I Einrede der Anfechtbarkeit durch den Hauptschuldner – 770 II Einrede der Aufrechnungsmöglichkeit durch den Gläubiger – 771 Einrede der Vorausklage – 772 Versuch der Zwangsvollstreckung in der Form des 772

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Gläubigerschutz

– 767 I 2 Gesetzliche Erhöhung der Hauptforderung (280, 286) erhöht auch die Bürgenverpflichtung

– 767 II Bürge haftet auch für die Kosten der Rechtsverfolgung

– 768 I 2 Bei Tod des Hauptschuldners haftet der Bürge voll weiter. Er kann nicht wie ein Erbe einwenden, der Nachlass reiche zur Erfüllung der Verbindlichkeit nicht aus. – § 254 II InsO Trotz des Insolvenzplans kann der Gläubiger weiter gegen den Bürgen vorgehen.

– 773 Ausschluss der Einrede der Vorausklage a) 773 I Nr. 1 selbstschuldnerische Bürgschaft Nr. 2 Erschwerung der Rechtsverfolgung

Sichernde Versprechen

– 776 Erlöschen der Bürgschaft bei Aufgabe einer Sicherheit durch den Gläubiger – 777 Erlöschen der Bürgschaft nach Zeitablauf bei der Bürgschaft auf Zeit – 765, 767 I 1 Erlöschen der Bürgschaft mit der Hauptschuld

§ 96 I 3 Nr. 3 Insolvenz des Hauptschuldners Nr. 4 voraussehbarer Fehlschlag b) 349 HGB Bürge ist Vollkaufmann

c) Der Bürge kann gegenüber dem Gläubiger folgende Einreden bezüglich seiner Bürgenschuld geltend machen: aa) Der Bürge hat alle Einreden des Hauptschuldners, 768. Er kann z. B. einreden, die Hauptschuld sei gestundet, oder sie sei verjährt, BGH NJW 80, 460. bb) Der Bürge kann einreden, die Hauptschuld sei anfechtbar, 770 I. Selbst anfechten kann er die Hauptschuld nicht (wohl dagegen seine Bürgschaftserklärung; das hat nichts mit § 770 I zu tun). cc) Der Bürge kann sich darauf berufen, er brauche nicht zu leisten, weil sich der Gläubiger durch Aufrechnung befriedigen könne, 770 II. Der Bürge kann aber nicht mit einer Forderung des Hauptschuldners aufrechnen, weder gegen die Haupt- noch gegen seine Bürgschaftsschuld. dd) Der Bürge hat die Einrede der Vorausklage, 771–773. Erst soll der Gläubiger sein Recht beim Hauptschuldner suchen, 771. Das verlangt i. d. R. den Versuch einer Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner, 772. In drei Fällen darf sich der Gläubiger diesen Versuch sparen: Bei Erschwerung der Rechtsverfolgung (773 I Nr. 2), bei Insolvenz des Hauptschuldners (773 I Nr. 3; II) und bei vorauszusehendem Fehlschlag (773 I Nr. 4, II). – Der Bürge kann von vornherein auf die Einrede der Vorausklage verzichten, 773, I Nr. 1. Das macht den Bürgschaftsanspruch zur Kreditsicherung tauglicher. Man bezeichnet dies als die „selbstschuldnerische Bürgschaft“. Das Gesetz verweist oft auf sie, z. B. in §§ 349 HGB (ein Kaufmann haftet selbstschuldnerisch, wenn die Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft ist). – Wer sich in Wechselform verbürgt, hat die Einrede der Vorausklage ebenfalls nicht, BGHZ 45, 210. – Den Gläubiger ebenfalls besser stellt die „Bürgschaft auf erstes Anfordern“. Bei ihr muss der Bürge schon zahlen, wenn der Gläubiger ihm mitteilt, der Bürgschaftsfall sei eingetreten. Statt der Einreden unter c) hat der Bürge nur den Einwand des offensichtlichen Rechtsmissbrauchs, BGH ZIP 89, 1108.

1354

d) Die Bürgschaft endet, außer durch Erfüllung von Haupt- oder Bürgenpflicht, durch Sicherheitsaufgabe und Zeitablauf, 776, 777. 3. Rückgriff und Befreiungsrecht a) Muss der Bürge nach alledem doch leisten, kann er sich an den Hauptschuldner halten. Der vom Bürgen befriedigte Anspruch des Gläubigers bleibt erhalten, er geht auf den Bürgen über, 774 und zwar mit den Nebenrechten i. S. des § 401 BGHZ 35, 173 (für Grundpfandrechte streitig). Unabhängig daneben bestehen Ansprüche aus dem Innenverhältnis, z. B. aus § 670 (siehe oben Rdn. 1348).

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§ 96 I 4

Besondere Versprechen

b) Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Bürge vom Hauptschuldner Befreiung von der Bürgschaft oder Sicherheitsleistung verlangen, 775. Der Gläubiger wird dadurch in seinen Rechten nicht beeinträchtigt. 4. Besondere Arten der Bürgschaft 1356

a) Mitbürgen haften als Gesamtschuldner; sie können untereinander Ausgleich nur nach § 426 verlangen, 769, 774 II; BGH NJW 82, 2306; 83, 2442. HS

B1 

→ Gl



B2 

b) Der Nachbürge verbürgt sich gegenüber dem Gläubiger dafür, dass der Bürge seine Bürgschaftsschuld erfüllt, BGH NJW 79, 415. Bürge und Nachbürge sind also nicht Mitbürgen und daher auch nicht Gesamtschuldner. Vielmehr ist die Nachbürgschaftsschuld akzessorisch im Verhältnis zur Bürgschaftsschuld. Befriedigt der Nachbürge den Gläubiger, so gilt § 774 entsprechend zugunsten des Nachbürgen gegen den Bürgen, er erwirbt die Hauptforderung, vgl. dazu Tiedtke, WM 76, 174 ff. Es ist umstritten, ob der Hauptschuldner die Einwendungen, die er dem Vorbürgen gegenüber geltend machen konnte, auch dem Nachbürgen entgegensetzen kann oder ob wegen des geringeren Risikos, welches der Nachbürge im Vergleich zum Vorbürgen einging, die Einwendungen aus dem Verhältnis mit dem Vorbürgen nicht geltend gemacht werden können, so die h. M., vgl. Palandt/Sprau, Einf. v. § 765 Rdn. 9; OLG Köln JuS 76, 261. HS B

→ ←Gl NB

c) Der Rückbürge verbürgt sich dem Bürgen dafür, dass der Schuldner die Rückgriffsforderung (774) befriedigt, BGH NJW 79, 415. Befriedigt der Rückbürge den Bürgen, erwirbt er nach § 774 dessen Rückgriffsforderung gegen den Schuldner, die mit der ursprünglichen Hauptforderung identisch ist (str.); a. A. RGZ 146, 70; wie hier Jauernig/Stadler Vor § 765 Rdn. 8. HS

RB

→B

→ Gl

d) Der Ausfallbürge bürgt dem Gläubiger für den Fall, dass dieser weder vom Hauptschuldner noch durch Verwertung anderer Sicherheiten Befriedigung erlangen kann, BGH NJW 79, 646.

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Sichernde Versprechen

§ 96 II

5. Die Patronatserklärung von Bernuth, ZIP 1999, 1501; Fleischer, WM 1999, 666; Habersack, ZIP 1996, 257; Koch, Die Patronatserklärung, 2005; von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 642; Schneider, ZIP 89, 619; Schröder, Jan, ZGR 82, 552; Stecher, „Harte“ Patronatserklärungen, rechtsdogmatische und praktische Probleme, 1978; Wolf, Die Patronatserklärung, 2005. Um der Pflicht zur Angabe von Bürgschaften in der Jahresbilanz (251 HGB) zu entgehen, geben Konzernmütter für ein Tochterunternehmen Ausstattungsversprechen ab, die etwa lauten „Wir sorgen für die Bonität weiterer Tochterunternehmen“ („weich“) oder „Unsere Tochtergesellschaft erhält von uns die zur Rückzahlung von Krediten erforderlichen Mittel“ („hart“). Die harten Patronatserklärungen werfen Abgrenzungsprobleme zu Bürgschaft und Garantievertrag auf. Auch ist die Ermittlung des Erklärungsempfängers und der Zugang (l30) bei ihnen problematisch. Schließlich ist die Umgehung von § 251 HGB eine Frage des § 134. Im Einzelnen kommt es auf die Auslegung an. Im Zweifel liegt nur ein Ausstattungsversprechen zugunsten der Konzerntochter vor (ebenso Medicus II § 113 VII), das aber z. B. über c. i. c. (§§ 280 I, 311 II) auch den Gläubiger begünstigen kann.

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II. Garantievertrag Bader, NJW 76, 209; Bär, Zum Rechtsbegriff der Garantie, insbesondere im Bankgeschäft, Zürcher Diss. 1963; Boëtius, Der Garantievertrag, Diss. München, 1966; Bydlinski, P., ZBB 89, 153; v. Caemmerer, FS Riese, 1965, 295, Canaris, Bankvertragsrecht3 (l988), Rdn. 745 ff (zur Bankgarantie); Früh, Die rechtliche Bedeutung des Garantiescheins beim Kauf von Konsumgütern, 1982; Heussler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994; Horn, NJW 80, 2153; ders., IPRax 81, 149, Horn/Frhr. Marschall v. Bieberstein u. a., Dokumentenakkreditive und Bankgarantien im internationalen Zahlungsverkehr, 1977; Kleiner, Die Abgrenzung der Garantie von der Bürgschaft und anderen Vertragstypen, 1972; Kübler, Feststellung und Garantie, 1967; Lehmann, M., BB 80, 964; Liesecke, WM 68, 22; Littbarski, JuS 83, 345; Pawlowski, JZ 68, 401; Schütze, RiW 81, 83; Stochmayer, Die AG 80, 326; Tengelmann, NJW 66, 2195; Tonner, NJW 84, 1730; Graf v. Westphalen, WM 81, 294; ders., Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr, 2. Aufl. 1990 (weiteres Schrifttum oben bei I).

Der Garantievertrag ist kein gesetzestypischer Vertrag, sondern ein eigenständiger Vertragstyp auf der Grundlage der Vertrags-(Inhalts-)freiheit (Canaris, Rdn. 1106, für die Bankgarantie). Durch ihn verspricht eine Partei der anderen, für das Eintreten oder Nichteintreten eines bestimmten Erfolges einstehen zu wollen, RGZ 146, 123; BGHZ 82, 401. Kennzeichnend für den Garantievertrag ist ein versicherungsähnliches Moment: Eine Partei verpflichtet sich, im Rahmen des übernommenen Risikos, für das mit einem bestimmten Erfolg verbundene Interesse einzustehen. Lediglich für die kaufrechtlichen Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantien findet sich eine Regelung im Gesetz, 443, 477 (s. o. Rdn. 851 ff), s. auch § 276 I 1. Der Garantievertrag kann zur Sicherung der Leistung eines anderen Schuldners geschlossen werden (Fremdgarantie). Denkbar ist aber auch, dass ein Schuldner für seine eigenen Leistungen durch zusätzliche Vereinbarungen eine bestimmte Gewähr übernimmt (Eigengarantie). 1. Beispiele für die erste Gruppe von Garantieverträgen sind: Garantie eines Wechselkurses; eines Aktienkurses; die sog. Ausbietungsgarantie (das ist ein Versprechen, man werde für etwaige Verluste aufkommen, die ein Gläubiger in der Zwangsvollstreckung gegen seinen Schuldner oder in dessen Insolvenz erleidet) und die Scheckkartengarantie, BGHZ 83, 31 (dazu Staudinger/Horn, Vorb. zu §§ 765–778 Rdn. 119 m. w. N.). 2. Beispiele für die zweite Gruppe sind die Forderungsgarantie (der Abtretende garantiert auch die Qualität, „Bonität“, einer Forderung, dazu oben Rdn. 918) und die sog. selbständigen Garantien im Rahmen von Werk- und Kaufverträgen. Hierher

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§ 96 II

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Besondere Versprechen

zählen die Fälle, in denen für einen „über den typischen Vertragsinhalt hinausgehenden Erfolg“ garantiert wird, (vgl. RGZ 165, 41 ff, 46 f; Boëtius, 8 ff; Larenz, II, § 62 III), insb. die sog. Herstellergarantie (vgl. BGHZ 78, 372; BGH NJW 81, 2248; Früh, aaO, und Littbarski, JuS 83, 345 ff m. w. N.). Anhand dieser Formel ist die Abgrenzung zur unselbständigen Garantiezusage vorzunehmen, die kein Fall des Garantievertrags, sondern eine Ausgestaltung des Kauf(Werk-, Dienst- usw.)vertrags ist. Die Aussage des Verkäufers über Eigenschaften der Kaufsache ist im Regelfall keine Garantie, sondern führt zu einer Beschaffenheitsvereinbarung i. S. v. § 433 I 1. Wird dagegen die gewährleistungsrechtliche Verkäuferhaftung zugunsten des Käufers erweitert, z. B. durch Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist oder durch eine Haftung für Sachmängel, die erst nach Gefahrübergang auftreten, liegt eine unselbständige Garantie vor, welche den kaufrechtlichen Regeln folgt, 443, 477. Eine selbständige Garantie, die ihren eigenen Regeln folgt, z. B. der Regelverjährung der §§ 195, 199 unterliegt, wird nur ausnahmsweise vorliegen, z. B. wenn die Haftung dafür übernommen wird, dass bestimmte Eigenschaften nach Gefahrübergang eintreten werden (beispielsweise die Bebaubarkeit eines Grundstücks ermöglicht wird). Gleiches gilt für die Frage der Abgrenzung von Gewährleistungsfrist und Garantiefrist. Wird lediglich die Frist für die Geltendmachung der Gewährleistungsansprüche verlängert, so wird § 438 vertraglich abbedungen, 202. Nur wenn zugleich materielle Verpflichtungen übernommen werden, die über die gesetzestypischcn Verpflichtungen hinausgehen, kann von einem Garantievertrag die Rede sein. 3. Der selbständige Garantievertrag ist ein nicht gesetzestypischer Vertrag; Ansprüche aus ihm verjähren nach §§ 195, 199. Es haben sich aber typische Formen herausgebildet (vgl. Boëtius, 2 ff), wie die Auslandsgarantien der Geschäftsbanken. Grundlage hierfür ist die Vertragsfreiheit, die in § 311 I vorausgesetzt wird. Inhalt der Garantie ist das Eintretenmüssen für einen bestimmten Erfolg. Das ist, auch wenn es im Einzelfall um Schadenstragung gehen sollte, stets ein Erfüllungs-, kein Schadensersatzanspruch; es geht also um die ursprüngliche Leistungspflicht. Deren Inhalt („ob und wie“) ist durch Auslegung zu ermitteln. Bei typischen Verträgen kann auf das üblicherweise übernommene Risiko (157, „Verkehrssitte“) abgestellt werden. So kann z. B. die Garantie einer bestimmten Bausumme (in Abweichung zu § 650 „Kostenvoranschlag“, „Angebot“) zweierlei bedeuten: Die Gewähr kann sich darauf beschränken, dass das Bauwerk, wie es durch den Plan, die Kostenaufstellungen und die sonstigen Unterlagen des Bauauftrags bestimmt wird, für die ausgesetzte Bausumme erstellt wird. Sie kann aber auch besagen, der Bauunternehmer (oder Architekt) wolle die Gefahr von Veränderungen der Kostenfaktoren tragen und für den Erfolg einstehen, dass der Bauherr für die Bausumme das bestellte Bauwerk erhält, BGH NJW 60, 1567. Der Inhalt des Vertrages bestimmt auch, ob bei Risikoerhöhung noch gehaftet wird. Erhöht sich das Risiko, ohne dass die Parteien eine solche Entwicklung ins Auge gefasst haben, so wird der Versprechende frei (Boëtius, 57 f). Gleiches gilt auch für die Herbeiführung des Eintritts des Garantiefalles durch den Begünstigten. Im Einzelfall kann § 162 entsprechend angewandt werden, vgl. auch §§ 23, 25 VVG. 4. Der durch Auslegung zu bestimmende Vertragsinhalt ergibt schließlich auch, in welchem Umfang Einwendungen aus dem Vertrag, dessen Durchführung garantiert wird, hergeleitet werden können. Die Skala der Möglichkeiten kann von der Garantie der Leistungsfähigkeit über die Leistungsmöglichkeit bis zur Leistungsverpflichtung des Schuldners gehen. Der Garantievertrag ist daher, je nach seinem Inhalt, abstrakt (ähnlich wie die Verpflichtung des Anweisungsempfängers, der die Anweisung akzep-

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Sichernde Versprechen

§ 96 III 1

tiert, 784). Dennoch handelt es sich in diesem Fall um kein abstraktes Schuldversprechen i. S. des § 780, denn der Garantievertrag trägt den typischen Geschäftszweck in sich, den Gläubiger zu sichern (vgl. dazu Kübler, aaO, 109). 5. Bei jedem Garantievertrag ist daher auf vier Punkte zu achten: (1) Ist es eine selbständige Garantie? (2) Für welchen Erfolg wird eingestanden? (3) Wo liegen die Grenzen des übemommenen Risikos? (4) Wie lange wird vertraglich oder gesetzlich gehaftet? 6. Als wirtschaftlich verwandte Tatbestände sind Garantievertrag und abstraktes Schuldversprechen, 780 ff, weithin austauschbar. Durch sie kann der gleiche wirtschaftliche Erfolg erzielt werden. Je mehr Einwendungen des Schuldners wegbedungen werden, desto mehr nähert sich der Garantievertrag dem Schuldversprechen. Von der Bürgschaft unterscheidet sich der Garantievertrag durch die Nichtakzessorietät des Garantieanspruchs und das eigene wirtschaftliche Interesse des Garantierenden, vgl. BGH NJW 81, 2295 (Es sind hier auch Mischformen möglich. So ist die Abrede, dass ein Bürge sich nicht auf einen Vergleich des Gläubigers mit dem Hauptschuldner berufen kann, als Garantievertrag zu bewerten, der den Bürgen verpflichtet, für den im Rahmen des Vergleichs nicht gezahlten Teil der Schuld aufzukommen, vgl. OLG Frankfurt DB 74, 2245; Anm. Marwede, BB 75, 985), vom Schuldbeitritt durch das Fehlen einer schon bestehenden Schuld, RGZ 90, 415. Wird, wie etwa bei der Forderungsgarantie, eine bestehende Schuld garantiert, kommt die Garantie dem Schuldbeitritt zwar wirtschaftlich nahe, unterscheidet sich aber dennoch von ihm durch die alleinige Ausrichtung auf das Gläubigerinteresse. Wer einer Schuld beitritt, will i. d. R. zumindest auch dem Schuldner helfen. Von der Vertragsstrafe unterscheidet sich die Garantie durch ihren auf Erfüllung selbst zielenden Charakter, während die Vertragsstrafe nur mittelbar die Erfüllung sichern soll, vom Versicherungsvertrag durch das Fehlen der Prämie.

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III. Versicherungsvertrag Armbrüster, Das Alles-oder-nichts-Prinzip im Privatversicherungsrecht (2003); Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch (2004); Dreher, M., Die Versicherung als Rechtsprodukt (1991); Honsell, Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz (1999); Langheid/Müller, Frank, NJW 2006, 339; Möller/Sieg/Johannsen, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 8. Aufl. (1978 ff); Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl. (2004); Römer/Langheid, Versicherungsvertragsgesetz, 2. Aufl. (2003); Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (2004); Schünemann, W., JZ 1995, 430; Weyers/Wandt, Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (2003).

1. Begriff Der Versicherungsvertrag hat die vertragliche Zusage einer Leistung zum Inhalt, die bei Verwirklichung einer bestimmten Gefahr dem Versicherten zu erbringen ist. Der Versicherungsvertrag ist entgeltlich. Die Versicherungsleistung und das Entgelt (Prämie) steht in einem jedes Versicherungsverhältnis kennzeichnenden Zusammenhang: Die Versicherung verwendet den Gedanken der Gefahrengemeinschaft. Sie baut auf dem Massenprinzip auf, wobei eine große Zahl vom Zufall bedrohter, aber nicht verwirklichter Wagnisse zum Zwecke der Gefahrtragung im Eintrittsfall zusammengefasst wird (im Anschluss an Prölss/Martin, VVG, Vorbem. II 1 und BFH VersR 64, 1032; BGH VersR 68, 138). Ob sich über diese allgemeinen Bemerkungen hinaus ein einheitlicher Begriff des Versicherungsvertrags aufstellen lässt oder ob man von vornherein zwischen Schadens- und Personenversicherung unterscheiden muss, ist streitig. Den monistischen Standpunkt vertritt z. B. Bruck/Möller, VVG, § 1 Anm. 3, 7, den dualistischen Prölss/Martin, VVG, § 1 Anm. 2. Das Gemeinsame aller Versiche-

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§ 96 III 3

Besondere Versprechen

rungsverträge liegt, wenn schon nicht im Begriff einer allgemeinen „Bedarfsdeckung“, so doch immerhin in der beabsichtigten Ausgleichung von Nachteilen, die ein verwirklichtes Wagnis mit sich bringt. Das Privatversicherungsrecht gehört rechtssystematisch zum besonderen Schuldrecht, stellt aber ein eigenständiges Rechtsgebiet dar.

2. Hauptarten 1364

Man unterscheidet Schadens- und Personenversicherung, § 1 I 1 und 2 VVG. a) Bei der Schadensversicherung ist der Versicherer zum Ersatz verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer (Versicherte) Schaden dadurch erleidet, dass durch ein im Vertrag bestimmtes, in irgendeiner Hinsicht, z. B. nur nach dem Zeitpunkt seines Eintretens, ungewisses Ereignis eine Sache zerstört, beschädigt, entwertet oder seinem Vermögen entzogen wird oder dass sein Vermögen durch ein derartiges Ereignis mit Verbindlichkeiten belastet oder verringert wird, Prölss/Martin, VVG, § 1 Anm. 1 A a und 2 A. Die Schadensversicherung ist vor allem in §§ 49–158 k VVG geregelt. Das Gesetz unterscheidet: Feuerversicherung (§§ 81–107c VVG, dazu die Allg. Feuerversicherungsbedingungen); Hagelversicherung (§§ 108–115a VVG, dazu die Allg. Hagelversicherungsbedingungen); Tierversicherung (§§ 116– 128 VVG, dazu die Allg. Tierversicherungsbedingungen); Transportversicherung (§§ 129–148 VVG, dazu insbesondere die Speditionsversicherungsbedingungen); Haftpflichtversicherung (§§ 149–158k VVG, dazu die Allg. Haftpflichtversicherungsbedingungen – AHB –, die Allg. Bedingungen für die Kraftverkehrsversicherung – AKB – sowie das Pflichtversicherungsgesetz). Weitere Schadensversicherungen sind die Einbruchsdiebstahl- und die Hausratversicherung, beide nicht im VVG, sondern in den Allg. Einbruchsdiebstahlversicherungs-Bedingungen – AEB – bzw. Allg. Bedingungen für die Neuwertsversicherung des Hausrats gegen Feuer-, Einbruchsdiebstahl-, Beraubungs-, Leitungswasser-, Sturm- und Glasbruchschäden – VHB – geregelt.

b) Bei der Personenversicherung hat der Versicherer eine im Voraus vereinbarte geldliche Leistung zu erbringen, wenn das im Vertrag bestimmte Ereignis eintritt. In der Unfallversicherung muss dieses Ereignis, wie bei der Schadensversicherung, ungewiss sein. In der Lebensversicherung sind drei Fälle zu unterscheiden: Entweder ist ungewiss, ob das Ereignis während einer bestimmten Zeitspanne (z. B. Laufzeit eines Bausparvertrags) eintritt („Todesfallrisikoversicherung“) oder wann es eintritt („Todesfallversicherung“) oder wie lange Prämien gezahlt werden müssen (sog. Terme-fix-Versicherung, bei der die Auszahlungszeit festliegt, die Prämie aber nur bis zum Tod des Versicherungsnehmers bezahlt zu werden braucht). Weitere Unterfälle (bedingte oder unbedingte Leistungspflichten) sind denkbar und üblich. Zum ganzen Prölss/Martin, VVG, § 1 Anm. 2 A Vorbem. 1 ff vor § 159. Die Unfallversicherung ist in §§ 179–185 VVG geregelt, dazu vor allem in den Allg. Unfallversicherungs-Bedingungen – AUB –. Die Lebensversicherung findet sich in §§ 159–178 VVG, ergänzt durch eine Reihe von Allg. Versicherungsbedingungen, wie etwa die Grundbedingungen für die Krankheitskostenversicherung.

3. Rechtsquellen des Versicherungsrechts 1365

a) Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) bildet die Grundlage. Es enthält teils zwingendes Recht, das nicht abbedungen werden kann, teils „halbzwingendes“ (Prölss/Martin, Vorbem. I 1), von dem der Versicherer nicht zum Nachteil des Geschützten abweichen darf, und viel nachgiebiges Recht. Nachgiebig ist z. B. der wichtige § 67 I 1 VVG, wonach ein Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer übergeht, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt.

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Sichernde Versprechen

§ 96 IV

B zündet das Haus des H. an. Die Feuerversicherung entschädigt H und klagt gegen B aus §§ 823 I BGB, 67 VVG. b) Zwei Gesetze betreffen die öffentliche Aufsicht über das Versicherungswesen: Das Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG – und das Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – FinDAG –. c) Das BGB enthält nur wenige versicherungsrechtliche Vorschriften, z. B. in den §§ 330 bis 332, 1045, 1046, 1127–1130. Manchmal verweist das VVG auf das BGB, so in den §§ 5 IV, 22 und 69 III. d) In § 363 II HGB ist die Transporteurversicherungspolice als gekorenes Orderpapier erwähnt.

e) Die schon teilweise erwähnten zahlreichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind nicht objektives Recht, sondern Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nur gelten, wenn auf sie in einem Versicherungsvertrag verwiesen wird (heute praktisch unstreitig, BGHZ 1, 83; 3, 200; 6, 145; 9, 1; BGH NJW 52, 1369). Jedoch braucht der Versicherungsnehmer sie nicht gelesen, ja nicht einmal erhalten zu haben, weil allgemein bekannt ist, dass Versicherungen nur aufgrund Allg. Versicherungsbedingungen abschließen, vgl. BGHZ 33, 216; BGH VersR 55, 481. 4. Treu und Glauben im Versicherungsverhältnis In besonderem Maße wird das Versicherungsverhältnis von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte beherrscht, RGZ 146, 221; BGH VersR 56, 365. Der Grund ist, wie Prölss/Martin, VVG, Vorbem. II 3 zutreffend hervorhebt, dass jeder der beiden Vertragspartner in hohem Maße auf die Unterstützung des anderen angewiesen ist und ihm vertrauen muss: Den Unfallhergang kennt z. B. nur der Versicherungsnehmer, die Versicherungsgesellschaft andererseits ist ihm an Geschäftserfahrung, Finanzkraft und „juristisch langem Atem“ in der Regel weit überlegen.

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IV. Sicherungsabrede Bähr, NJW 1983, 1473; Grunsky, JuS 1984, 498; Jauernig, NJW 1982, 268; N. Reich, Die Sicherungsübereignung (1970) (weiteres Schrifttum oben bei I).

1. Weniger erforschte sichernde Versprechen sind die Sicherungsabrede und ihre sachenrechtlichen Erweiterungsformen, z. B. die Sicherungstreuhand (unten V). Mit anderen sichernden Versprechen hat die Sicherungsabrede gemein, dass sie im Vertragswege einer anderen Person eine Sicherstellung gegen einen als möglich vorausgesehenen Vermögensnachteil verschaffen soll. Die im BGB ausführlich behandelte Bürgschaft (oben I) soll gegen den Ausfall eines Schuldners sichern; der von Rechtsprechung und Lehre als atypisches Schuldverhältnis näher herausgearbeitete Garantievertrag (oben II) soll dem Versprechensempfänger einen bestimmten Erfolg zusichern; der sondergesetzlich geregelte Versicherungsvertrag (oben III) will auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Gefahrenteilung gegen sich im Einzelfall verwirklichende Gefahren und Wagnisse absichern. 2. Die Sicherungsabrede ist die vertraglich abgesprochene Verknüpfung zweier weiterer Rechtsgeschäfte, eines zu sichernden und eines sichernden (vgl. Westermann 6, § 43 III 1). Einige Beispiele:

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§ 96 IV 4

Besondere Versprechen

Darlehen Stundung einer Zahlung Miete (z. B. eines Kfz) Leibrente Summenverwahrung (700) Gesellschaftsvertragliche Pflichten

        

        

Zu sicherndes Geschäft:

Sicherndes Geschäft: Hypothek Grundschuld Rentenschuld Pfandrecht Bürgschaft Wechsel Schuldanerkenntnis (Sicherungs-)Übereignung (Sicherungs-)Zession Hinterlegung (z. B. von Geldern)

Die Sicherungsabrede ist regelmäßig der Vertrag, der bestimmt, warum und bis zu welchem Umfang das sichernde Geschäft das zu sichernde Geschäft sichem soll. Insoweit kann man auch von Sicherungsvertrag sprechen. Hat die Sicherungsabrede keinen obligatorischen Inhalt, so ist sie eine Kausalabrede i. S. der Ausführungen oben Rdn. 61. Der Besteller der Sicherheit heißt Sicherungsgeber, der gesicherte Partner Sicherungsnehmer. 3. Arten 1368

a) Bekannt ist der „Sicherungsvertrag“ bei der Sicherungsübereignung (Baur/Stürner, Sachenrecht, § 57 B III; Westermann 6, § 43 III 1: „Sicherungsabrede“). b) Verwandt damit ist der Sicherungsvertrag bei der Sicherungsabtretung (Baur/Stürner, aaO § 58 A I 2; Esser 4, § 55 VI 1 a spricht hier ebenfalls von „Sicherungsabrede“). c) Bei der Sicherungsgrundschuld dient die aus dem wirtschaftlichen Zweck der Grundschuldbestellung abgeleitete Vereinbarung über die Sicherung der Forderung zur kausalen Verknüpfung von Forderung und Grundschuld, Baur/Stürner § 45 II nennen dies „Sicherungsabrede“; Westermann 6, § 116 II 2, „Sicherungsvereinbarung“; Enneccerus/Wolff/Raiser 10, § 132 I 2, „gewollte Zweckgemeinschaft“. d) Auch bei sicherungshalber ausgestellten Wechseln, Schuldanerkenntnissen, Verpflichtungsscheinen (363 HGB) und dergl. liegt eine Sicherungsvereinbarung vor. e) Die terminologische Vielfalt zeugt von junger Rechtsbildung. Die Zusammenfassung dieser Erscheinungen unter einer einheitlichen Beziehung, für die man „Sicherungsabrede“ (bei verpflichtendem Inhalt: „Sicherungsvertrag“) vorschlagen kann, rechtfertigt sich aus dem beschriebenen Zweck, ein für einen Vertragsbeteiligten risikoreiches Geschäft durch den Abschluss eines zweiten sichernden, unterstützenden Geschäfts gefahrloser zu machen.

4. Rechtliche Eigenschaften der Sicherungsabrede 1369

a) Es handelt sich um einen atypischen Vertrag oder um eine Kausalabrede, die zu einem zu sichernden und einem sichernden Geschäft hinzutreten und äußerlich mit beiden, vor allem dem zweitgenannten, verbunden sein kann. Begrifflich ist die Sicherungsabrede allerdings von den beiden genannten Geschäften zu trennen. b) Ist das sichernde Geschäft nichtig, befindet die Sicherungsabrede über den Umfang der Annahme in hilfsweiser Geltung nach § 140 (Umdeutung). Kommt ein der Sicherungsabrede nicht entsprechendes sicherndes Geschäft zustande, kann der Sicherungsnehmer aus der Sicherungsabrede i. d. R. Gestellung einer vertragsgemäßen Sicherung verlangen. Ist das zu sichernde Geschäft, z. B. das Darlehen, nicht zustande gekommen, nichtig, wirksam angefochten, erfüllt oder dergl., so ist die Sicherungsabrede nicht szugleich nach § 139 unwirksam oder gegenstandslos. Vielmehr gibt sie normalerweise dem Siche-

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Sichernde Versprechen

§ 96 V

rungsgeber einen vertraglichen Anspruch auf Rückgewähr der Sicherheit, z. B. Rückübereignung des Sicherungseigentums, des Wechsels usw. (die traditionelle Auffassung gibt nur einen Bereicherungsanspruch, Wolff-Raiser 10, § 154 VI 1), denn der Zweck der Sicherheitsgestellung sei entfallen. Ist die Sicherungsabrede selbst nichtig, sicherndes und zu sicherndes Geschäft aber wirksam, so fehlt es an der „gewollten Zwecksgemeinschaft“ (Raiser, s. o.). Der Sicherungsnehmer ist um diese Sicherung ungerechtfertigt bereichert. Nichtigkeit der Sicherungsabrede kann sich insbesondere aus den Gesichtspunkten der Knebelung des Sicherungsgebers oder der Übervorteilung dritter Gläubiger ergeben BGHZ 20, 43. c) Die Sicherungsabrede ist ein „ähnliches Verhältnis“ im Sinne des § 868, also ein Besitzmittlungsverhältnis, das den Erwerb einer beweglichen Sache nach § 930 ermöglicht: An die Seite der Einigung (929), die stets erforderlich ist, kann, anstelle der Übergabe (929), die Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses treten (930, „Besitzkonstitut“). Dass eine Sicherungsabrede hierfür ausreicht, ist lange nicht erkannt worden (RGZ 49, 170; 54, 396; RGZ JW 13, 432). Der BGH hat das Problem durch eine weitherzige Auffassung vom „konkreten Besitzkonstitut“ gelöst und bei der Sicherungsübereignung auf benannte Besitzmittlungsverhältnisse verzichtet, BGH NJW 58, 302; WM 59, 1314. Im Ergebnis übereinstimmend Baur/Stürner § 57 B II 1; Westermann 6, § 40 II; Machleid, JZ 59, 145. Nach Schweickhardt kann die Sicherungsabrede als ein „ähnliches Verhältnis“ im Sinne des § 868 anerkannt werden (Diss. Tübingen 1966, 62 ff). Die hier interessierende Frage ist aber nicht, ob in § 930 ein „abstraktes“ Besitzkonstitut ausreicht, sondern ob die Sicherungsabrede ein den §§ 868, 930 gerecht werdendes Besitzmittlungsverhältnis ist. Dies ist zu bejahen; ein von beiden Parteien vereinbarter Sicherungszweck ist entweder atypischer Vertrag oder wenigstens Kausalabrede (oben Rdn. 61). Beides reicht für § 868 nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift aus. Schon die bloße Kausalabrede gibt eine (i. d. R. dauernde) Besitzberechtigung, arg. § 812 I 2. Dies genügt in § 868, vgl. BGH NJW 79, 2308. d) Die Sicherungsabrede enthält häufig noch folgende Rechte: aa) Der Sicherungsnehmer ist grundsätzlich verpflichtet, Befriedigung erst aus dem zu sichernden Anspruch und dann erst aus der Sicherung zu suchen. (Hierin liegt z. B. der Unterschied zwischen einem sicherungshalber und einem erfüllungshalber hingegebenen Wechsel. Bei Letztgenannten kommt die Wechselklage zuerst!). Die Vereinbarung kann freilich aus Parallelität oder Vorbefriedigung aus der sichernden Forderung vorsehen. Aber dies sind zu beweisende Ausnahmen. bb) Im Unterschied zur Hingabe erfüllungshalber bedeutet sicherungsweise Hingabe einer neuen Verbindlichkeit i. d. R. keine Stundung der zu sichernden Verbindlichkeit. Der Zweck ist ja nur Sicherung, nicht Hinauszögerung der Hauptleistung. Anders die übliche Auslegung von § 364 II, oben Rdn. 323. cc) Scheitern oder Wegfall des zu sichernden Geschäfts führt regelmäßig zu einem vertraglichen Anspruch auf Rückgewähr der Sicherung, s. o. 4b. Wo ausnahmsweise die Auslegung der Sicherungsabrede keinen vertraglichen Rückgewährungsanspruch erkennen lässt, wie bei der Sicherungsabrede als bloßer Kausalabrede, gilt § 812 I 2. e) § 822 kann auf die Sicherungsabrede analog angewandt werden.

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V. Sicherungstreuhand Die Sicherungstreuhand beruht auf einer Sicherungsabrede, bei der ein bestimmtes Treugut dem Treuhänder als Sicherungsnehmer nach sachenrechtlichen Regeln zu dem Zweck überlassen wird, sich daraus zu befriedigen, falls der Treugeber eine Schuld ihm gegenüber nicht erfüllt. Die Sicherungstreuhand ist ein Fall der eigennützigen Treuhand Larenz/Wolf, AT § 46 Rdn. 32. Die Treuhand setzt immer eine dingliche Zuordnungsveränderung mit schuldrechtlicher Innenbindung voraus. Bei der Sicherungstreuhand besteht die schuldrechtliche Innenbindung aus einer Sicherungsabrede. Zur Verwaltungstreuhand oben Rdn. 1254; zu andern Treuhandformen Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997.

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§ 98

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Besondere Versprechen

VI. Interner Ausgleich bei mehreren Sicherungsgebern Es werden vier Auffassungen vertreten (Palandt/Bassenge § 1225 Rdn. 4; Tiedtke, WM 90, 1270): Haftung zu gleichen Teilen, Haftung anteilig nach Wert der Sicherungsgüter, z. B. Pfänder, Hypotheken, Bürgschaften, usw., Der Erstbefriediger ist im Vorteil (Prioritätsprinzip), Letzlich haften die dinglichen Sicherungsgeber. Priorität und der Unterschied obligatorische-dingliche Sicherung bieten wenig überzeugenden Anhalt. Der Wert der Sicherungsgüter kann von der zugrunde liegenden Verbindlichkeit stark abweichen (z. B. Grundschuld). Am besten ist daher die Lösung von Westermann: Falls nichts Besonderes vereinbart ist, gilt Tilgung zu gleichen Anteilen, §§ 774 II, 426 analog. – – – –

§ 97 Vergleich 1373

Bork, Der Vergleich, 1988; Ebel, Berichtung, transactio und Vergleich, 1978; Ehmann, E., Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005; Esser, FS H. Lehmann, Bd. II, 1956, 713; Häsemeyer, ZZP 108 (1995) 289; Hedemann, Der Vergleichsirrtum nach dem Rechte des Deutschen Reichs, 1903; Oertmann, Der Vergleich im Gemeinen Zivilrecht, 1895; Schäfer, Das Abstraktionsprinzip beim Vergleich, 1992; Schnorr v. Carolsfeld, Beiträge zur Lehre vom Vergleich, 1929.

Der Vergleich ist der schuldrechtliche, gegenseitige Vertrag, durch den ein Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch gegenseitiges Nachgeben beendigt wird, § 779, vgl. z. B. BGH JZ 63, 129 = ESJ 104. Der Vergleich ist zugleich ein Mittel, ein bestehendes Schuldverhältnis inhaltlich zu ändern. Er wird daher oben Rdn. 348 ff im Zusammenhang mit Inhaltsänderung und Schuldersetzung besprochen.

§ 98 Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis Bähr, Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund, 3. Aufl. 1894; Baumann, W., Das Schuldanerkenntnis, 1992; Coester, M., JA 82, 579; Ehmann, E., Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005; Fischer, JuS 1999, 998; Klingmüller, Das Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis, 1903; Kübler, Feststellung und Garantie, 1967 (dazu Brecher, AcP 168, 536); Lindacher, JuS 73, 79; Marburger, Das kausale Schuldanerkenntnis als einseitiger Feststellungsvertrag, 1971; Möschel, DB 70, 913; Schnauder, JZ 2002, 1080; v. Tuhr, Zur Lehre von den abstrakten Schuldverträgen nach dem BGB, 1903; Wellenhofer-Klein, Jura 2002, 505.

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1. Das Schuldversprechen ist der einseitig verpflichtende Vertrag, durch den ein Teil dem anderen Teil eine Leistung abstrakt, d. h. in der Weise verspricht, dass das Versprechen die Verpflichtung selbständig begründen soll, 780. Entsprechendes gilt für das abstrakte Anerkenntnis einer bestehenden Schuld, Schuldanerkenntnis, 781. Man kann beides zum „abstrakten Leistungsversprechen“ zusammenfassen. 2. Entscheidend ist, dass die Parteien die Verpflichtung losgelöst von einem außerhalb der Verpflichtung bestehenden Schuldgrund (causa) begründen oder anerkennen wollen („konstitutiv“). Versprechen oder Anerkenntnis sollen ihre Berechtigung in sich selbst tragen und zu ihrer obligatorischen Rechtfertigung nicht der Berufung auf ein Kausalverhältnis (Kauf, Darlehen, Miete, unerlaubte Handlung) bedürfen. Wirtschaftlicher

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Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis

§ 98

Grund derartiger abstrakter Versprechen und Anerkenntnisse ist in aller Regel der Wunsch der Parteien, insb. des Gläubigers, Einwendungen aus einem Kausalverhältnis auszuschalten (z. B. den Einwand der Sachmängelhaftung, der fehlenden Darlehenskündigung usw.). Durch das Schuldanerkenntnis wird auch die Verjährung unterbrochen, 212 I Nr. 1. Darum sollen Versprechen und Anerkenntnis ihre causa in sich selbst tragen, mithin „abstrakt“ gelten; ein Beispiel: BGH WM 78, 58 – Gutschrift –. 3. Wann das beabsichtigt ist, kann im Zweifelsfall nur die Auslegung ermitteln. Wer ein Darlehen schuldet und schreibt: „Ich schulde 100,– Euro aus Darlehen“ stellt nur einen Schuldschein aus. Wenn es dagegen heißt: „Ich schulde in jedem Falle 100,– Euro“, kann ein abstraktes Versprechen oder Anerkenntnis gemeint sein. Schuldversprechen und -anerkenntnis sind die gedankliche Urform des eigenen (Sola-)Wechsels, Art. 3 WG. 4. Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis bedürfen der Schriftform, 180, 781 (Überlegungs- und Beweiszweck), nicht jedoch der Schuldbeitritt zu einem solchen Vertrag (BGHZ 121, 1, mit der zweifelhaften Begründung, Zweck der Form sei nicht der Schutz vor Übereilung, sondern nur die Beweissicherung). Sonst gilt Formnichtigkeit, 125, 126. Ein abrechnungs- oder vergleichsweise erteiltes Versprechen oder Anerkenntnis bedarf dagegen der Form nicht, 782. Eine Freistellung von der Schriftform enthält § 350 HGB, wenn der Schuldner Kaufmann und das Versprechen für ihn ein Handelsgeschäft ist. 5. Ein rechtsgrundlos erteiltes Schuldversprechen oder -anerkenntnis kann als ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangt werden, gleichgültig, welchen Grad der Abstraktheit es aufweist, welche Einwendungen oder Einreden mithin ausgeschlossen sein sollten, 812 II; RGZ 86, 304; 108, 412; BGHZ 66, 250 – Anerkenntnis des Unfallversicherers –; 72, 9 – irrtümliches Saldenanerkenntnis –. Dazu unten Rdn. 1447f. Der Anspruch geht auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags (Vollstreckung nach § 894 ZPO). Hierin zeigt sich die Abstraktheit des Leistungsversprechens (grundsätzlich abweichend Kübler). Andererseits sind §§ 780, 781 die causae für die in Vollzug des Versprechens gewährten Leistungen. Ein Schuldversprechen oder -anerkenntnis zur Erfüllung eines Ehemäklerlohns oder einer Spiel- oder Wettschuld begründet keine Verbindlichkeit, 656 II, 762 II. Ein Anerkenntnis im Sinne des § 408 II 2. Alt. bewirkt einen Schuldnerschutz wie bei der Doppelabtretung. 6. Neben dem „abstrakten“, eine Schuld begründenden oder anerkennenden Versprechen im Sinne der §§ 780, 781 kennen Rechtsprechung und Lehre das sog. „deklaratorische oder kausale Schuldversprechen, -anerkenntnis“. Es will keine Verbindlichkeit selbständig begründen oder abstrakt anerkennen, sondern ein bestehendes Schuldverhältnis erneut feststellen oder bekräftigen, BGH NJW 80, 1158, dazu Schmidt, K., JuS 80, 528 Nr. 5. Da es nicht abstrakt ist, braucht die Form der §§ 780, 781 nicht eingehalten zu werden, RGZ 135, 219; BGHZ 1, 181; 17, 252; BGH LM Nr. 5 zu § 157 (D) BGB; BGH WM 59, 406; WM 59, 406; WM 62, 742; BGH NJW 63, 2316 = ESJ 105; Wilckens, AcP 163 (1963), 137. Bedeutsam sind derartige „deklaratorische Schuldanerkenntnisse“ nach Verkehrsunfällen: „Machen Sie sich keine Sorgen, ich komme für den Schaden auf“; dazu Körner, JR 62, 298, und Lindacher, JuS 73, 79; BGH NJW 82, 996; 83, 1903. Zu Recht weist Kübler darauf hin, dass die Grenze zum „abstrakten“ Anerkenntnis durchaus fließend ist. Seine Schlussfolgerungen, es gäbe im Grunde keine „abstrakte Forderung“, §§ 782 und 812 II seien gegenstandslos, §§ 780, 781 beträfen nur den Schuldschein, und jede (kausale) Forderung sei denkbarer Gegenstand von Feststellungs- oder Garantieverträgen, für die die üblichen Anfechtungs- und Unwirksamkeitsgründe gälten, messen jedoch der bürgerlich-rechtlichen „Abstraktion“ einen zu engen Sinn bei. Darum ist auch bei noch weitergehenden Verfeinerungen der begrifflichen Zwischenformen Vorsicht geboten. Abstraktion heißt nach obigem: Unabhängigkeit von Einwendungen. Es gibt keine Abstraktion schlechthin. Je nach Zahl und Gewicht ausgeschlossener Einwendun-

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§ 99

Besondere Versprechen

gen sind Forderungen mehr oder weniger abstrakt. Die Parteien sind nach § 311 I durchaus frei, Einwendungen gegen zu begründende oder schon bestehende Rechte vertraglich mehr oder weniger auszuschließen. Alles kommt dabei auf die Vertragsauslegung an. Sollen Forderungen nur aufgrund von Mängeln des sie betreffenden Entstehungsvorganges angreifbar sein („ihre causa also in sich selbst tragen“), gelten §§ 780, 781 mit ihren Formvorschriften, denn hier kommt dem Entstehungstatbestand entscheidendes Gewicht zu. Alle weniger abstrakten Feststellungs- oder Garantieabreden, Beweiserleichterungsverträge, Beweisumkehrvereinbarungen, Verzichte, sich auf bestimmte Tatsachen oder Rechtsstandpunkte zu berufen, usw., lassen sich unter dem (nicht glücklichen) Ausdruck „deklaratorisches Anerkenntnis“ zusammenfassen, vgl. BGH NJW 75, 1326. – Immer aber muss eine Korrektur zu Unrecht eingegangener (voll-)abstrakter und deklaratorischer Anerkenntnisse möglich sein. Hierzu dienen die üblichen Behelfe: (bei Anfechtung, Nichtigkeit) § 812 I 1 als materielle Leistungskondiktion und § 812 II als einer ihrer Unterfälle (s. u. Rdn. 1447f).

§ 99 Anweisung Flume, NJW 84, 464; Kupisch, ZIP 83, 1412; Meder, AcP 198 (1998) 72; Riehl, Die Anweisung, 1908; v. Tuhr, IherJb. 48, 1; Ulmer, Eugen, AcP 126, 129 und 257; (vgl. auch das Schrifttum zum Wertpapierrecht unten bei § 100).

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1. Die Darstellung von Anweisung und Inhaberschuldverschreibung (§ 96) gehört ins Wertpapierrecht. Die Anweisung ist die gedankliche Urform des gezogenen Wechsels, Art. 1 ff WG, und des Schecks, Art. 1 ff SchG; zudem regeln die §§ 363–365 HGB die kaufmännische Anweisung. Als solche kommt die Anweisung des bürgerlichen Rechts selten vor, z. B. beim Kreditbrief, beim „Effektenscheck“ (Anweisung auf Leistung von Wertpapieren) und beim „Kassalieferschein“, BGHZ 6, 378 (vgl. aber RGZ 136, 207 = ESJ 106: Umdeutung eines formungültigen Wechsels in eine kaufmännische Anweisung). Einiges Grundsätzliche bedarf der Erörterung: 2. Gegenstand der Anweisung können nur Geld, Wertpapiere oder andere vertretbare Sachen (z. B. Getreide) sein. Die Anweisung muss schriftlich erteilt werden, 783.

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3. Anweisungsverhältnisse bestehen aus drei Personen: Aussteller, Angewiesener, Anweisungsempfänger. Beim Wechsel sind das in gleicher Reihenfolge: Aussteller, Bezogener, Remittent bzw. Indossatare. Beim Scheck: Aussteller, Bezogener (Bankier), Zahlungsempfänger. Der Aussteller weist den Angewiesenen an, dem Anweisungsempfänger etwas zu leisten, 783. Zur Entstehung der Anweisung muss eine urkundlich verkörperte Anweisungserklärung dem begünstigten Dritten (Anweisungsempfänger) ausgehändigt werden, 783, BGHZ 3, 239. Im Geschäftsverkehr sind aber Anweisungen auch in mündlicher Form zugelassen, vgl. dazu Erman/Heckelmann, vor § 783, Rdn. 5. 4. Das Verhältnis zwischen dem Aussteller und dem Angewiesenen heißt „Deckungsverhältnis“. Es betrifft die Frage, inwiefern dem Angewiesenen zugemutet werden kann, die Anweisung des Anweisenden zu befolgen. Meist schuldet der Angewiesene dem Anweisenden irgend etwas, z. B. eine Kaufpreisschuld. Infolgedessen hat er einen wirtschaftlichen Grund, die Anweisung zu befolgen und an den Anweisungsempfänger das Angewiesene zu leisten. Der Angewiesene ist aus dem Deckungsverhältnis nicht notwendigerweise dazu verpflichtet, der Anweisung Folge zu leisten, 787 II. Wer aus dem Kauf etwas schuldet, braucht deswegen keine Anweisung zu befolgen. Wenn er sie aber befolgt, wird er im Deckungsverhältnis frei, 787 I (Spezialfall zu § 364 I). Die Anweisung ist also im Deckungsverhältnis kausal.

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Anweisung

§ 99

5. Das Verhältnis zwischen Anweisendem und Anweisungsempfänger heißt „Valuta(Zuwendungs-)verhältnis“, Es behandelt die Frage, warum der Anweisende dem Anweisungsempfänger etwas zukommen lassen will. Z. B. kann es so liegen, dass der Anweisende dem Anweisungsempfänger etwas aus Kauf schuldig ist. Wirtschaftlich bedeutet also die Anweisung, dass durch eine Leistung zwei Schulden bezahlt werden. Das Deckungsverhältnis wird zur Tilgung des Valutaverhältnisses benutzt. 6. Die Rechtsnatur der Anweisung war streitig, dazu MünchKomm/Hüffer, § 783, Rdn. 13–19 m. w. N. § 783 fasst die Anweisung als Doppelermächtigung (§ 185) auf, vgl. BGH WM 71, 741. Danach ist die Anweisung die schriftliche Ermächtigung des Anweisenden an den Angewiesenen, für Rechnung des Anweisenden an den Anweisungsempfänger zu zahlen, und zugleich die Ermächtigung des Anweisungsempfängers, die Leistung bei dem Angewiesenen im eigenen Namen zu erheben. Die bloße Anweisung verpflichtet also niemanden, sie ermächtigt aber zwei Personen. Allerdings kann sich der Angewiesene durch schriftliche Annahme der Anweisung verpflichten, die Anweisung zu bezahlen, 784, der die einzige Anspruchsnorm des Anweisungsrechts ist, sog. angenommene Anweisung. Dadurch wird aber nur eine Pflicht gegenüber dem Anweisungsempfänger; nicht gegenüber dem Anweisenden begründet. Die Annahme der Anweisung verschafft dem Anweisungsempfänger eine sichere Stellung, vergleichbar der des Gläubigers eines abstrakten Schuldversprechens, 781. Der Angewiesene hat schriftlich erklärt, leisten zu wollen. Er hat dann auch nur noch beschränkte Einwendungen, 784. Einwendungen aus dem Deckungsverhältnis kann er nicht mehr vorbringen. Wenn man also das Verhältnis zwischen Angewiesenem und Anweisungsempfänger als Leistungsverhältnis bezeichnet, kann man sagen: Die Anweisung ist, wenn sie angenommen wurde, im Leistungsverhältnis abstrakt. 7. Zur Abwicklung im Leistungsverhältnis ist zu bemerken: a) der Angewiesene braucht nur gegen Aushändigung der Anweisung zu leisten, 785, vgl. § 797; Art. 39 I WG. Der Anweisungsempfänger muss daher zur Geltendmachung seiner Ermächtigung die Anweisung in Händen haben. Die Anweisung ist darum Wertpapier (im Sinne der herrschenden Wertpapiertheorie, dazu u. Rdn. 1385). Da sich die Abtretung der Anweisung nach den §§ 398 ff richtet, ist die Anweisungsurkunde ein Rektapapier. Das Eigentumsrecht an der Urkunde richtet sich nach § 952. b) Annahme- und Leistungsverweigerung muss der Anweisungsempfänger dem Anweisenden anzeigen, 789. 8. Die Anweisung endet, außer durch Leistung des Angewiesenen, durch Widerruf des Anweisenden vor Annahme und Leistung, aber nicht durch Tod eines Beteiligten, 790, 791. 9. Der Anweisungsempfänger kann die Anweisung schriftlich weiterübertragen, auch wenn sie noch nicht angenommen ist, 792. Sie kann dann dem neuen Erwerber gegenüber angenommen werden. Es gilt eine dem § 784 I Halbs. 2 entsprechende Abstraktion im neuen Leistungsverhältnis, 792 III 1. Dem Angewiesenen gegenüber ist ein Ausschluss der Übertragbarkeit nur wirksam, wenn ihm dies rechtzeitig mitgeteilt wurde, 792 II.

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§ 100

Besondere Versprechen

§ 100 Schuldverschreibung auf den Inhaber und andere Papiere und Zeichen Baumbach/Hefermehl, Wechsel- und Scheckgesetz, 20. Aufl. 2000; Brox, Handels- und Wertpapierrecht, 18. Aufl. 2005; Canaris, ZHR 151 (1987), 517; Drobnig, in: Koenzen (Hrsg.), Abschied vom Wertpapier?, 1988, 11; Gursky, Wertpapierrecht, 2. Aufl. 1997; Hopt, FS Steindorf, 1990, 341; Hueck, A./Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986; Meyer-Cording, Wertpapierrecht, 3. Aufl. 1995; Müller-Christmann/Schnauder, JuS 90, 899; 91, 36; 117; 208; Richardi, Wertpapierrecht, 1987; Sedatis, Einführung in das Wertpapierrecht, 1988; Ulmer, Eugen, Recht der Wertpapiere, 1938; Ulmer, P./Ihring, ZIP 85, 1169; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987; ders., AcP 184 (1984), 313.

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1. Das Recht der Inhaberschuldverschreibung gehört ebenfalls in den Bereich des Wertpapierrechts. Nur wenige grundsätzliche Dinge sind hier zu erwähnen. Die Inhaberschuldverschreibung ist ein Wertpapier, in welchem der Aussteller eine Leistung an den berechtigten Inhaber verspricht, 793. Eine staatliche Genehmigung für Inhaberschuldverschreibungen auf Geld ist seit dem 1.1. 1991 nicht mehr erforderlich (früher in § 795). Die Inhaberschuldverschreibung ist Wertpapier; weil sie der Gläubiger der verbrieften Forderung in Händen haben muss, um das Recht geltend zu machen, 797. Die Inhaberschuldverschreibung ist Inhaberpapier, weil jeder berechtigte Inhaber das verbriefte Recht geltend machen darf, 793. Einer Übertragung durch Indossament bedarf es nicht; die Inhaberschuldverschreibung ist also kein Orderpapier wie z. B. der Wechsel. Bei der Inhaberschuldverschreibung folgt das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier, § 952 findet also keine Anwendung. Die Inhaberschuldverschreibung ist ein Wertpapier „im engeren Sinne“ oder „Wertpapier öffentlichen Glaubens“; gutgläubiger Erwerb des Papiers und dadurch der Forderung ist nach §§ 932 ff möglich, 935 II. Zum zulässigen Inhalt von Schuldverschreibungen, BGHZ 28, 259; Erman/Heckelmann, § 793, Rdn. 4. Die Inhaberschuldverschreibung ist, unabhängig von ihrer Eigenschaft als Wertpapier, ein Legitimationspapier, denn der Aussteller wird bei Leistung an den Inhaber des Papiers frei, 793 I 2. Der Aussteller braucht sich also bei Vorlage des Papiers keine Gedanken darüber zu machen, ob der Inhaber des Papiers der Berechtigte ist. Er wird auch durch Leistung an den Nichtberechtigten befreit (Folge z. B. § 816 II). Diese Legitimationswirkung zugunsten des Schuldners hat mit der Wertpapiereigenschaft nicht zu tun. Sie kann auch Nichtwertpapieren eigen sein (z. B. Quittung, 370). Die Eigenschaften „Legitimationspapier“ und „Wertpapier“ können, müssen aber nicht zusammentreffen. § 793 I 2 bedarf einschränkender Auslegung, wenn der Schuldner an einen Vorleger zahlt, von dem er weiß, dass er der Nichtberechtigte ist. Grob fahrlässige Unkenntnis wird man dem Vorsatz gleichstellen müssen, um den Einklang mit Art. 40 III 1 Wechselgesetz herzustellen (Richter, Berthold, Die Legitimationsfunktion der Wertpapiere bei der Ausübung der verbrieften Forderung. Diss. Münster 1963, 44). So eingeschränkt, wird die befreiende Wirkung des § 793 I 2 zu Recht auf den Mangel der Geschäfts- und Verfügungsfähigkeit ausgedehnt, h. M.

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2. Fraglich ist, wie die Verpflichtung aus der Inhaberschuldverschreibung entsteht. (Die gleiche Frage ist für die Entstehung der Verbindlichkeit aus angenommener Anweisung zu stellen, 784). Üblicherweise entstehen obligatorische Pflichten aus Vertrag, 311 I. Ob zur Entstehung der Leistungspflicht aus einer Inhaberschuldverschreibung ein Vertrag nötig ist oder ob die Ausstellung des Papiers genügt, ist streitig, vgl. dazu MünchKomm/Hüffer; vor § 793 Rdn. 22–29 m. w. N. a) Die sog. Kreationstheorie ist der Meinung, die bloße Papierausstellung schaffe die Verbindlichkeit. Sie stellt die Inhaberschuldverschreibung auf eine Ebene mit Testa-

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Schuldverschreibung auf den Inhaber

§ 100

ment, Stiftung und, wenn man vom Schrifterfordernis absieht, mit der Auslobung. Das erscheint, jedenfalls für die Regelfälle, in denen ja Begebung vorliegt, abseitig. b) Die Vertragstheorie meint, außer der Papierausstellung bedürfe es eines Begebungsvertrags zwischen Aussteller und Nehmer, zwischen erstem und zweitem Nehmer und so fort bis zum Inhaber. Die Vertragstheorie kann aber den gutgläubigen Erwerb eines Wertpapiers von einem Nichtberechtigten, der für die Beweglichkeit und Verkehrsfähigkeit dieser Papiere schlechthin unentbehrlich ist, nicht bejahen. c) Eine vermittelnde Auffassung von E. Ulmer verlangt eine „Ausstellung unter dem Vorbehalt der Begebung an eine bestimmte Person“ (modifizierte Kreationstheorie, Ulmer, aaO 38). Der Nachteil dieser Auffassung ist, dass sie auch schon vor Begebung eine „ruhende“ Verbindlichkeit annehmen muss, deren Wesen sich nach geltendem Recht kaum erklären lässt. d) Die herrschende, von Otto v. Gierke und Jacobi begründete Rechtsscheintheorie ist eine durch Rechtsscheingrundsätze modifizierte Vertragstheorie, vgl. BGH NJW 73, 283. Danach bedarf es, wie es ja auch dem regelmäßigen Sachverhalt entspricht, zur Entstehung einer Verbindlichkeit aus einem Inhaber- und Orderpapier grundsätzlich eines Begebungsvertrags. Dieser Vertrag hat zum Inhalt, dass mit der Übertragung des Papiers das im Papier verbriefte Recht des Erwerbers entstehen soll. Der Begebungsvertrag ähnelt § 929 BGB, doch muss er nicht immer in Einigung und Übergabe bestehen; es genügt z. B. die Vorlage oder Zusendung des vom Aussteller angefertigten Wechsels an eigene Order beim Bezogenen zum Akzept mit der Bitte, den Wechsel danach zurückzugeben. Fehlt ein solcher Begebungsvertrag (z. B. durch Dissens, Nichtigkeit, erfolgreiche Anfechtung), so erwirbt der zweite Nehmer wirksam vom nichtberechtigten ersten Nehmer, wenn der zweite Nehmer das Bestehen eines Begebungsvertrags zwischen Aussteller und ersten Nehmer gutgläubig annimmt. Der fehlende Begebungsvertrag wird durch den Rechtsschein ersetzt. Das gilt auch, wenn das Papier dem Aussteller gestohlen wurde, er es verlor oder es sonst ohne seinen Willen in Verkehr gelangt ist. Die h. M. schützt aber, wohl in Parallele zu § 932, erst den zweiten Nehmer, d. h. den, der von dem Nichtberechtigten erwirbt. Der Nichtberechtigte, der als erster Nehmer mangels Begebungsvertrag nicht erwerben konnte, wird von der h. M. nach der Rechtsscheintheorie nicht geschützt. Man wird aber hinzufügen müssen, dass auch schon der erste gutgläubige Nehmer Schutz verdient, weil auch bei ihm der gleiche Vertrauenstatbestand vorliegt, nämlich das ausgestellte Papier. Die Kreation begründet zwar keine Verbindlichkeit, wohl jedoch den Rechtsschein einer solchen. Dieser Rechtsschein aber besteht für den ersten Nehmer nicht anders als für den zweiten. Die bisher übliche Rechtsscheinkonstruktion parallel zu § 932 (erst der zweite Nehmer wird geschützt) überzeugt nicht, weil Anlass für den Rechtsschein nicht der Besitz des Papiers, sondern die Tatsache der Ausstellung des Papiers ist. Der Aussteller beherrscht im Übrigen seinen Postauslauf besser als der erste Nehmer, dem das nicht begebene Papier irgendwie zugespielt wird. Man mag dies als „erweiterte Rechtsscheintheorie“ bezeichnen. Selbstverständlich bleiben dem Aussteller seine persönlichen Einwendungen gegen den ersten Nehmer, z. B. aus ungerechtfertigter Bereicherung. In der Regel wird er solche persönlichen Einwendungen auch haben. Allerdings kann ein Geisteskranker oder sonst nicht voll Geschäftsfähiger keinen Rechtsschein setzen, auch nicht den eines ausgestellten Papiers. Zu seinen Gunsten gilt Art. 7 WG, er kann sich nicht verpflichten. Erst die späteren (zweiten, dritten) Nehmer erwerben das Papier, wenn sie gutgläubig sind, weil jetzt der Mangel des ersten Begebungsvertrags durch den Rechtsschein geheilt wird. Beruht aber der Mangel des Begebungsvertrags nicht auf Geschäftsbeschränktheit (z. B. Dissens, Abhandenkommen des

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Besondere Versprechen

Papiers), kann schon der erste Nehmer kraft des Rechtsscheins erwerben; anders die allg. M. 3. § 794 sagt, dass der Aussteller aus der Inhaberschuldverschreibung auch dann verpflichtet wird, wenn sie ihm gestohlen worden oder verlorengegangen oder sonst ohne seinen Willen in Verkehr gelangt ist. Den Vätern des BGB schwebte dabei wohl die Kreationstheorie vor. Die herrschende Lehre legt aber heute § 794 zu Recht im Sinne der Rechtsscheintheorie aus, weil nicht angenommen werden kann, dass § 794 auch den bösgläubigen Erwerber schützen will. Böser Glaube in diesem Sinne ist Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis vom Fehlen des Begebungsvertrags. 4. Der Aussteller kann, wenn er vom Inhaber in Anspruch genommen wird, nur beschränkt Einwendungen geltend machen, 796. Auch dies dient der Verkehrsfähigkeit des Papiers. Nach § 796 sind folgende Einwendungen möglich (das folgende Schema ist im Wertpapierrecht allgemein verwendbar): a) Sog. dingliche Einwendungen (1) Einwände, die sich auf die Wirksamkeit der Urkunde beziehen („urkundliche Einwände“ i. S. d. §§ 796 BGB; 364 II HGB) aa) mangelhafte Ausstellung (z. B. Verstoß gegen § 793 II) bb) aus der Urkunde ersichtliche Mängel (z. B. verbriefte Stundung) (2) Einwand, die Erklärung des Verpflichteten sei nicht wirksam abgegeben, z. B. mangelnde Rechts- oder Geschäftsfähigkeit, keine Vertretungsmacht, Fälschung der Unterschrift, mangelndes Erklärungsbewusstsein, vis absoluta, siehe aber § 794 II („Gültigkeitseinwände“ i. S. der §§ 796 BGB; 364 II HGB). (3) Einwand eines mangelnden oder weggefallenen Begebungsvertrags zwischen Aussteller und einem Nehmer oder zwischen Nehmern, der Inhaber habe also das Recht nicht wirksam erworben (ebenfalls ein „Gültigkeitseinwand“ i. S. der §§ 796 BGB; 364 II HGB). b) Persönliche Einwendungen Einwände, es bestehe ein Gegenrecht, z. B. Aufrechnung, nicht verbriefte Stundung, Zurückbehaltungsrecht, Arglisteinwand. Unzulässig sind gemäß § 796 alle Einwendungen, die der Aussteller nicht direkt gegen den Inhaber erworben hat. § 404 ist also stark eingeschränkt. 5. Mit verunstalteten und abhandengekommenen Urkunden beschäftigen sich die §§ 798–800, mit der Verjährung §§ 801, 802. 6. Die §§ 803–808 a behandeln besondere Arten von Inhaber- und Orderpapieren, die ebenfalls im Wertpapierrecht zu behandeln sind. Eine Übersicht: a) Zinsscheine, §§ 803–805 b) Umwandlung der Inhaberschuldverschreibung in eine Rektaschuldverschreibung (sie ist Wertpapier, 797, kein Inhaber- oder Orderpapier; § 952 II ist anwendbar). c) Karten, Marken und ähnliche Urkunden (z. B. normale Eisenbahnfahrkarten, Theaterkarten, Briefmarken, s. BGH NJW 2006, 54) werden nach den Regeln der Inhaberschuldverschreibung behandelt, 807, „Inhaberzeichen“. Man kann das in ihnen verbriefte Recht nur durch Vorweisung geltend machen (Wertpapiereigenschaft, 797). Der Leistende wird stets befreit, 793 I 2 (Legitimationswirkung). Diese Inhaberzeichen sind zu unterscheiden von bloßen Beweiszeichen (mit und ohne Legitimationswirkung), wie Garderobemarken, Fahrradeinstellquittungen, Gepäckschein. Man kann Ansprüche auf hinterlegte Gegenstände dieser Art auch ohne die Zeichen geltend machen, wenn man nur sein Recht sonst beweisen kann. Ob befreiend geleistet wird, hängt von den Umständen ab (Legitimationswirkung). Bei Garderobe- und Gepäckschein ist Befreiung anzunehmen, bei „individueller“ Fahrradaufbewahrung möglicherweise nicht.

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Gemeinsame Grundlagen und Unterscheidung

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d) Qualifizierte Legitimationspapiere i. S. des § 808 sind Wertpapiere (808 II 1) mit Legitimationswirkung (808 I 1), die aber nicht Inhaberpapiere sind (808 I 2). Man muss also zur Geltendmachung das Papier dabeihaben, der Schuldner wird durch Leistung auch an den nichtberechtigten Inhaber befreit, und der Inhaber kann nicht Zahlung aus dem Papier, sondern nur aus dem verbrieften Recht verlangen (952 II). Hierher zählen vor allem Sparbücher, vgl. dazu MünchKomm/Hüffer, § 808, Rdn. 22–36 m. w. N.

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Die Legitimationswirkung des § 808 I 1 soll nach BGHZ 28, 368 = ESJ 107; 42, 302; BGH NJW 75, 1507 bei Sparbüchern versagen, soweit mehr als der vorgeschriebene oder vereinbarte Höchstbetrag (s. heute § 21 IV RechKredV) ausgezahlt wurde; zu Recht kritisch Schraepler, NJW 76, 23.

Werden Schuldner nach den Ausführungen zu c) und d) befreit, regelt sich die Abwicklung zwischen Begünstigtem und Geschädigtem nach § 816 II; vgl. oben Rdn. 731 und unten Rdn. 1124. e) Die §§ 809–811 betreffend die Vorlegung von Sachen sind im Zusammenhang mit den zugehörigen Fragen des allgemeinen Schuldrechts besprochen, oben Rdn. 271.

14. Abschnitt

Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick § 101 Gemeinsame Grundlagen und Unterscheidung von ungerechtfertigter Bereicherung und unerlaubter Handlung v. Bar, Verkehrspflichten, 1980; Brüggemeier, Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich, 2006; Burrows, Contract, Tort and Restitution – A Satisfactory Division or Not?, (1983) 99 LQR 217; v. Caemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, FS Rabel, 1954, Bd. 1, 333; ders., Wandlungen des Deliktsrechts, FS DJT, 1960, Bd. II, 49; Canaris, Der Bereicherungsausgleich im Dreipersonenverhältnis, FS Larenz, 1973, 799; Dörner, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2002; ders., Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, (II.) FS Larenz, 1983, 27; Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, 207 ff; ders., Wirtschaftsrecht I, §§ 1, 2 III, 3; II § 22 I; Joerges, Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, 1977; Markesinis, B. S., The German Law of Torts, 3. Aufl. 1994; Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 4. Aufl. 2003; Schluep, Über Eingriffskondiktionen, Mélanges Paul Piotet, 1990, 173; Schmidt, Rolf, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2004; Schwarz, Günter Christian, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2003; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, 1960.

I. Stellung im BGB Der nachfolgende § 101 versucht, schuldrechtliche Haftungsnormen miteinander in Beziehung zu setzen, um dadurch ein tieferes Verständnis dessen, was rechtliches Schulden heißt, zu ermöglichen. Die Darlegungen sind vor dem Hintergrund der Rechtsvergleichung zu sehen. Im Gutachten hängt die Entscheidung über die Frage, ob Ansprüche miteinander konkurrieren (d. h. nebeneinander geltend zu machen sind, sog. Anspruchskonkurrenz) oder sich gegenseitig ausschließen, von Grundüberlegungen ab, warum etwas geschuldet ist.

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Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick

Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung werden im BGB am Ende des Besonderen Schuldrechts als „Einzelne Schuldverhältnisse“ in den Titeln 26 und 27 behandelt. Diese Stellung ist irreführend. Die Anspruche aus ungerechtfertigter Bereicherung und unerlaubter Handlung zählen praktisch und theoretisch zu den wichtigsten überhaupt. Es handelt sich um Gebiete, die eher dem Allgemeinen Schuldrecht zuzurechnen sind (so die Zuordnung im schweizerischen Obligationenrecht) und die unter ausschließlicher Betonung ihrer Rechtsfolge, nämlich des schuldrechtlichen Anspruchs auf die Bereicherung (812ff) oder den Schadensersatz (823 ff) zu den einzelnen Schuldverhältnissen gerechnet wurden. Beispiel eines Bereicherungsanspruchs: V verkauft an K ein Grundstück und lässt es an ihn auf. K wird im Grundbuch eingetragen (433, 311b I, 873, 925). K wird dadurch Eigentümer. Dann stellt sich heraus, dass der Kaufvertrag wegen Dissenses nichtig ist. Man hat sich über den Preis in Wahrheit nicht geeinigt. V kann von K das Eigentum am Grundstück zurückverlangen. K ist darum ungerechtfertigt bereichert. Das Grundstück muss zurückübereignet werden. Der Anspruch des V stützt sich auf § 812 I 1 und ist auf Rückauflassung und Bewilligung der Umschreibung im Grundbuch durch K gerichtet. Beispiel eines Anspruchs aus unerlaubter Handlung (= Delikt): X macht in seinem Garten ein „Kartoffelfeuer“, das er abends ohne Aufsicht ausbrennen lässt. Der nachts aufkommende Wind treibt Funken auf das Dach des Nachbarn, dessen Haus dadurch abbrennt. X muss den fahrlässig angerichteten Schaden ersetzen, 823 I, 276, 249. Das Deliktsrecht gewährt Ersatz- und Unterlassungsansprüche, wenn Personen einander rechtswidrig und schuldhaft Schaden zufügen, insb. wenn sie die Sorgfalt nicht beachten, die im Rechtsleben auf andere Personen und deren rechtlich geschützte Güter genommen werden muss. Diese generelle Sorgfaltspflicht stellt im allgemeinen nicht die Anforderungen, die an vertraglich Gebundene untereinander gestellt werden müssen. Auch außerhalb vertraglicher Bindung besteht für alle Personen ein „deliktischer Schutz“, den das Recht vor Verletzungshandlungen verschiedenster Art gewährt. Die vertragliche Sonderbindung von Personen ist wesentlich enger als die Bindung, die durch die allgemeine Sorgfalts- und Rücksichtserwartung zwischen aufeinander beziehbaren Personen besteht. Die Verletzung dieser Sorgfalts- und Rücksichtserwartung, die selbst noch keine einklagbare Pflicht im Rechtssinne zu sein braucht, heißt Delikt und begründet Pflichten, insb. zum Ersatz des angerichteten Schadens. Auch die praktisch so bedeutsamen Verkehrsunfälle zählen – bürgerlich-rechtlich betrachtet – zum Gebiet der unerlaubten Handlungen. Im Gutachten, z. B. bei der Diskussion eines vom Prüfer gestellten Falles im mündlichen Examen, stellt man sich, um einen Einstieg in die Falllösung zu gewinnen, zweckmäßig als erstes die Frage, ob derjenige, der etwas von einem andern verlangt, Ansprüche aus Vertrag oder Gesetz hat. Die gesetzlichen Ansprüche kann man in einem zweiten Schritt grob dreigliedern (es gibt noch mehr, s. o. § 17): §§ 812 ff; §§ 823ff; §§ 985ff. Dann lautet die Frage: „X kann Ansprüche haben aus Vertrag, ungerechtfertigter Bereicherung, unerlaubter Handlung oder aus Eigentum.“ Dies sind die vier wichtigsten Anspruchsgruppen des bürgerlichen Rechts. Sie stehen gleichbedeutend nebeneinander und können, von zu besprechenden Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich nebeneinander geltend gemacht und vom Richter zugesprochen werden. Freilich gibt es daneben noch andere wichtige Anspruchsgruppen, z. B. aus Besitz, 861 ff, 1007, aus Geschäftsführung ohne Auftrag, 677ff, oder gegen den Erbschaftsbesitzer, 2018ff usw. – Durch eine Fragestellung dieser Art lässt sich die allgemeine Natur des Anspruchs meist sehr schnell erkennen. In der Praxis werden übrigens oft die dinglichen Ansprüche vor den schuldrechtlichen geprüft. Über die Berechtigung dieser Rangfolge lässt sich streiten. Es hängt wohl ganz vom Fall ab, in welcher Reihenfolge man die Ansprüche prüft. So kann es zweckmäßig sein, erst vertragliche Ansprüche zu prüfen, weil sich bei ihrer Bejahung die Möglichkeit ergibt, dass ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis vorliegt. Dann aber äußert § 992 seine „Sperrwirkung“ und schließt Deliktsansprüche aus, dazu unten Rdn. 1534ff, 1548.

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II. Das Unrecht der ungerechtfertigten Bereicherung und das Unrecht der unerlaubten Handlung 1. Die verschiedenen Schuldinhalte der Bereicherungsansprüche einerseits und der Deliktsansprüche andererseits Schulden heißt, zu Unrecht Vorenthaltenes gewähren, d. h. gutmachen zu müssen, § 5 I oben. Das geschieht, wenn das zu Unrecht Vorenthaltene selbst erstattet (in der Ausdrucksweise des common law „restituiert“) werden kann, durch einen Anspruch auf Gewährung des Vorenthaltenen. Das Vorenthaltene kann entweder ein zum „Haben“ zugeordnetes Gut sein oder die Freiheit, sich am allgemeinen Handel und Wandel Güter „erwerbend“ zu beteiligen. Soweit es sich um den Schutz erworbener Güter handelt, gewährt das Recht Ansprüche auf Leistung des vorenthaltenen Gutes. Ein Beispiel aus dem Sachenrecht ist die Herausgabepflicht des Besitzers an den Eigentümer, 985. Im Schuldrecht sind die Hauptfälle der Restitutionspflicht der Anspruch auf Erfüllung eines vertraglichen Versprechens (oben §§ 17, 18), auf Erfüllung der sich kraft Gesetzes ergebenden Pflichten aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag (oben § 87), die negatorischen, d. h. auf Beseitigung oder Unterlassung einer Störung gerichteten Ansprüche (unten § 118) und die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Der Schutz der Freiheit, Güter zu erwerben, wird vor allem negatorisch, aber nie durch Bereicherungsansprüche bewirkt. Denn man kann wohl um Güter, nie aber um Freiheiten ungerechtfertigt bereichert sein (näher Fikentscher, Wirtschaftsrecht aaO). Kann das zu Unrecht Vorenthaltene nicht selbst gewährt werden, ordnet das Gesetz vielfach Schadensersatz an: Aus dem Vorenthaltenen wird ein Schaden. Im Unterschied zu den Restitutionspflichten fehlt also ein leicht zu identifizierender Leistungsgegenstand. Der Schaden muss bewertet werden. Dazu ist ein wirklicher mit einem hypothetischen Verlauf zu vergleichen. Das schließt die Beurteilung der Handlung ein, die zu dem schädigenden Erfolg geführt hat. Der Schaden muss dem Handelnden objektiv und – grundsätzlich – subjektiv vorwerfbar sein. Deshalb bedarf es einer die Handlung des Schädigers beurteilenden Verhaltensnorm (i. e. S., oben Rdn. 24 i. V. m. Rdn. 21). Sie kann sich auf Güter- oder auf Freiheitsschutz beziehen. Diese Verhaltensnorm muss meist erst ermittelt und dann auf die schädigende Handlung angewandt werden. Das Recht der unerlaubten Handlung ist – bei aller Unterschiedlichkeit der angewandten Normtechniken – die Summe solcher Ersatz anordnender Verhaltensnormen. Daraus folgt: Bereicherungsvorschriften (u. §§ 102–105) wollen rechtswidrige Güterzuordnungen korrigieren, das Deliktsrecht (u. §§ 106–118) will unrechtsmäßiges Verhalten wiedergutmachen. Das Bereicherungsrecht arbeitet mit einer überschaubaren Zahl meist breit formulierter Tatbestände. Anders das Deliktsrecht: Um die Fülle der deliktischen Verhaltensnormen zu gliedern und gleichmäßige Bewertungen einzuführen, schuf man „absolut geschützte Rechtsgüter“. Diese Konstruktion absolut geschützter Rechte (wie Leben, Körper, Eigentum) als Angriffsobjekte für Delikte in § 823 I dient der Unrechtsermittlung („Unrechtsindizierung“ durch den Eingriff). Das verursacht allerdings systematische Schwierigkeiten, die u. a. bei der Abgrenzung beider Gebiete zu berücksichtigen sind.

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2. Eine Folgerung: Die unterschiedliche Bedeutung von „Unrecht“ in den Gebieten der ungerechtfertigten Bereicherung und der unerlaubten Handlung a) Befindet sich ein Gut, das der alleinigen Nutzung und Verwertung einer bestimmten Person A zugewiesen ist, nicht in ihrem, sondern im fremden Herrschaftsbereich der

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Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick

Person B, so ist B gegenüber A um das Gut ungerechtfertigt bereichert, falls nicht ein Rechtsgrund für die Zuordnung an B besteht. Das Gut befindet sich im falschen Rechtskreis zugeordneter Güter. Es besteht eine objektive Unrechtslage. Das Bereicherungsrecht schützt also den Bestand zur Innehabung zugeordneter Güter.1 Allerdings ist die Ermittlung dieser objektiven Unrechtslage nicht immer einfach. Allein die Fälle der gescheiterten Verträge bereiten keine größeren Probleme. Hier dient die condictio indebiti nach § 812 I 1 Alt. 1 der „technischen“ Rückabwicklung der Vertragsdurchführung. Ähnlich § 346 I beim Rücktritt. Beide Ansprüche sind Ausgestaltungen der technischen Leistungskondiktion. Anders liegt es dagegen bei allen Nichtleistungskondiktionen. So ergibt sich die mangelnde Rechtfertigung bei der Eingriffskondiktion aus dem Eingriff in absolut geschützte Rechte des Entreicherten; der Eingreifende soll aus dem Eingriff keine Vorteile ziehen können. Bei der Verwendungskondiktion resultiert der Anspruch aus der Überlegung, dass grundsätzlich der an der Sache Berechtigte für den Erhalt der Sache aufzukommen hat und nicht das Vermögen anderer. In diesem Sinne materielle Bereicherungsansprüche sind aber auch denkbar bei der Leistungskondiktion. Zahlt A dem B, weil er irrtümlich glaubt, ihm Geld zu schulden, obwohl es überhaupt an einem Verpflichtungstatbestand fehlt, so ist die condictio indebiti nicht technische Folge des Scheiterns eines Vertrages, sondern der materiellrechtlichen Überlegung, dass B das durch Leistung Erlangte nur behalten darf, wenn er auf die Leistung einen Anspruch hat (materielle Leistungskondiktion). Die sich daraus ergebende Einteilung in technische und materielle Kondiktionen ist hilfreich für das genauere Verständnis des Bereicherungsrechts.

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b) Während sich das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung mit der statischen Zuordnung von Gütern zu Personen zum Zwecke der Innehabung beschäftigt, regelt das Recht der unerlaubten Handlungen, wie der Name sagt, menschliche Handlungen, die anderen Personen gegenüber unrecht sind. Man kann Personen durch Handlungen sowohl in ihrem rechtlich gesicherten Bestand zugeordneter Güter als auch in ihrem Freiheitsbereich schädigen. Das Recht der unerlaubten Handlungen schützt daher beide Bereiche, den Bereich des Haben-Dürfens und den des Erwerben-Dürfens. Anders gesagt: Es schützt entweder „etwas“ (z. B. das Eigentum) oder „vor etwas“ (z. B. vor einem Wettbewerbsverstoß). Hat jemand einen anderen in einem der beiden rechtlich geschützten Bereiche verletzt, so folgt daraus aber noch nicht notwendig das Unrecht der Handlung. Der Grundsatz des „neminem laedere“ gilt, wie die Struktur des Bereicherungs- und Deliktsrecht allgemein und im Besonderen vor allem das Arbeits- und das Wettbewerbsrecht zeigen, ohne Einschränkung nur im Bereich der ungerechtfertigten Bereicherung: Man soll sich nicht rechtsgrundlos auf Kosten anderer bereichern. Ob die Verletzungshandlung unerlaubt, d. h., objektiv und subjektiv Unrecht ist, bestimmt sich für die unerlaubten Handlungen aufgrund von Abwägungen zwischen dem Wert des Handelns und dem Unwert des herbeigeführten Erfolgs. Das Unrecht der unerlaubten Handlungen beruht daher nicht primär auf einer Güterzuordnung, sondern auf einer Wertentscheidung über eine schädigende Handlung. Dabei sind u. a. der soziale Wert der Handlung (z. B. die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln) und der sozial missbilligte

1 Ähnlich Ihering, Das Schuldmoment im römischen Recht, eine Festschrift, Gießen 1867, insb. S. 4–8. Ihering sprach von „unrechtmäßigen Zuständen“. Die Kritik an Ihering, es gäbe kein objektives Unrecht, geht fehl, zumindest soweit Ihering die ungerechtfertigte Bereicherung meint. V. Caemmerer selbst, der Iherings These ablehnt, weist nach, dass ungerechtfertigte Bereicherungen im Bereich der Verhaltensnormen nicht möglich sind. Verhaltensnormen aber sind es, die Handlungen zu unerlaubten machen, v. Caemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, 379, 396ff; gleichsinnig aus philosophischer Sicht Grotius, Hugo, De iure belli ac pacis libri tres, 1625, II. Buch, §§ 18–24; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1976, 265f; aus wirtschaftlicher Sicht Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, 207ff; a. A. Raiser, L., JZ 61, 465. Es handelt sich um ein Kernproblem des Privatrechts schlechthin.

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Gemeinsame Grundlagen und Unterscheidung

§ 101 III

Erfolg der Handlung (z. B. die entfernte Möglichkeit eines Giftmords durch Missbrauch des Pflanzenschutzmittels) miteinander in Beziehung zu setzen; neben der sozialen Wertung sind aber auch individuelle Werte zu berücksichtigen, z. B. Ehre, Intimsphäre, Arbeitskraft. Durch diese In-Beziehung-Setzung entsteht eine (objektive) rechtliche Verhaltensnorm,. d. h. ein Gebot an den Menschen, sich von Rechts wegen so und nicht anders zu verhalten. Der objektive und subjektiv vorwerfbare Verstoß gegen eine solche Verhaltensnorm ist dann eine unerlaubte Handlung. (In diesem Sinne, aber unter Einbeziehung der Erfolgsbewertung gilt in §§ 823ff Handlungs-, nicht Erfolgsunrecht, näher oben §§ 51, 54.2 Vertragliches Unrecht beruht in der Hauptsache auf der Vorenthaltung besonders – nämlich inter partes, d. h. von Person zu Person – zugesicherter Güter und zählt insoweit zum Bestandsschutz. Dessen ungeachtet ergeben sich aus Verträgen mannigfache Verhaltensnormen (i. w. S, so Rdn. 21, 24), die dem Hauptzweck, der Gütersicherung, zu dienen bestimmt sind (und folglich im Falle der Verletzung in erster Linie zum Ersatz des vertraglichen Erfüllungsinteresses führen), vgl. oben Rdn. 21 ff; 33 ff. Die Anerkennung eines geschützten Bestandes erfüllt daher für das Deliktsrecht eine andere Aufgabe als für das Bereicherungsrecht. Im Bereicherungsrecht wird zum Zwecke des „Habens“ zugeordnet: Besitz, vertraglich gesicherter Besitz, Eigentum, Nießbrauch usw. Das Unrecht der Bereicherung wird in manchen Fällen der Leistungskondiktion sachlich aus dem Vertragsrecht entnommen und nur technisch nach §§ 812ff abgewickelt. In anderen Fällen der Leistungskondiktion und bei der Nichtleistungskondiktion wird das Unrecht aus sachlich allgemeinen, materiellen Gerechtigkeitsgrundsätzen abgeleitet; vgl. oben Rdn. 1394. Im Deliktsrecht werden dagegen Güter nicht in erster Linie zum Zwecke des „Habens“, sondern zum Schutze gegen sozial erwünschte Handlungen zugeordnet, wobei die Rechtswidrigkeit in § 823 durch Zuerkennung subjektiver Rechte oder von Schutzgesetzgründen erkennbar gemacht wird. Von hier aus lassen sich im Ansatz die Konkurrenzfragen vertraglicher und gesetzlicher Ansprüche lösen (s. im einzelnen Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 244 ff). Ferner ergibt sich, dass es, unbeschadet etwaiger Konkurrenzen, eine Bereicherung aus unerlaubter Handlung begrifflich nicht gibt. Schließlich zeigt sich, dass alle Zuordnungen, wie z. B. das „Eigentum“, weitgehend funktionale Begriffe sind, die je nach dem Charakter des Unrechts einen verschiedenen Inhalt haben können (anders der Ansatz von Bälz 3). Nicht ein in seinem Umfang feststehendes dingliches „Eigentumsrecht“ ist vorgegeben, sondern das Unrecht einer Zuordnung oder einer Handlung. Der Begriff „Eigentum“ dient damit – im theoretischen Ansatz – zur Bestimmung der jeweiIigen Rechtswidrigkeit. Doch liegen im geltenden Recht kraft Rechtstradition die Begriffskerne der Güter „Vertrag“, „Eigentum“, „Besitz“ usw. im wesentlichen fest 4.

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III. Die rechtstechnische Durchführung des Bestands- und Freiheitsschutzes durch Zuerkennung absoluter und relativer Rechte sowie durch Schutzgesetze 1. Im Bereicherungsrecht geht es um die Zuweisung von Gütern an Personen. Rechtlich nicht gedeckte Verschiebungen solcher Güterzuweisungen sind „ungerechtfertigte Bereicherungen“. Die Zuweisung erfolgt in verschiedener Weise, durch Gewährung (relativer) vertraglicher Ansprüche gegen bestimmte andere, durch Zuerkennung ausschließlicher (absoluter) Berechtigungen an Sachen und Rechten oder durch Zubilligung eines Vermögens im Allgemeinen.

2 Zur Geschichte des neminem-laedere-Satzes Schiemann, JuS 89, 345. 3 Bälz, Zum Strukturwandel des Systems zivilrechtlicher Haftung, 1991; wie hier Kronstein, Die abhängige juristische Person, 1932. 4 Zu weitgehend in der Relativierung des Zuordnungsgehalts von Rechten nach Maßgabe wirtschaftlicher Macht des Rechtsinhabers, trotz richtigen Ansatzes, Biedenkopf, Über das Verhältnis wirtschaftlicher Macht zum Privatrecht, FS Böhm, 1965, 113, 132 ff.

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§ 101 III

Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick

Diese Einteilung kehrt bei den Arten der ungerechtfertigten Bereicherungen wieder:

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a) Die Zuerkennung vertraglicher Rechte gegen den Schuldner führt, wenn sich in diesem Verhältnis ungerechtfertigte Bereicherungen ergeben, zur „Leistungskondiktion“, d. h. zu den Fällen der „Bereicherung aus gescheitertem Vertrag“ (unten Rdn. 1430ff). b) Die Zuweisung ausschließlicher Sach- und Rechtsinhaberschaften mit Wirkung gegen jeden Dritten führt, wenn sich im Verhältnis zu Dritten ungerechtfertigte Bereicherungen ergeben, zur Nichtleistungskondiktion. Es handelt sich um den Oberbegriff für alle Bereicherungen, die aus dem Zugriff auf einen fremden Rechtskreis hervorgehen. Nichtleistungskondiktionen lassen sich daher einteilen: aa) Zugriffe auf absolut geschützte Rechtsgüter führen zu Eingriffskondiktionen (unten Rdn. 1467 ff). bb) Auch das Vermögen als solches, über relative (oben a) und absolute (oben b) aa)) Rechte hinaus, ist dem einzelnen zugewiesen und geschützt. Vermögensschädigende Entreicherungen sind in bestimmten Fällen auszugleichen, vor allem wenn ein Dritter an der Erfüllung eines Schuldverhältnisses beteiligt ist: Drittvermögenskondiktion (eine Nichtleistungskondiktion im Dreierverhältnis; Reuter/Martinek, § 10 und Kunisch, 15ff: „Dreiecksverhältnis“; BGHZ 82, 28 (30), G. Chr. Schwarz, 274 ff. „Mehrpersonenverhältnis“). Man kann von „Bereicherungen aus drittem Vermögen“ sprechen und hierbei die „Rückgriffs“- (Auslagen-, Regress-)Kondiktion vom „Typ 267“ (unten Rdn. 1491) und die „Drittempfänger“-Kondiktion vom „Typ 362 II“ (unten Rdn. 1483ff) unterscheiden. Der Rückgriffskondiktion gleicht konstruktiv die Verwendungskondiktion. Bei beiden beruht die Bereicherung auf einer Handlung des Entreicherten (Auslagen). Die Verwendungskondiktion setzt aber kein Mehrpersonenverhältnis voraus. In allen diesen Fällen (Rückgriffs-, Verwendungs- und Drittempfängerkondiktion) geht es darum, dass einer für einen anderen etwas „auslegt“ oder zu seinen Gunsten etwas eingebüßt hat und nun von ihm Ersatz verlangt. cc) Eine besondere Rolle im System der Bereicherungsansprüche spielt die Durchgriffskondiktion (unten Rdn. 1496ff). Sie erlaubt in Einzelfällen den Durchgriff im Mehrpersonenverhältnis auf den Dritten. In Kategorien der Güterzuweisung geht es hier nur vordergründig um „Bereicherungen aus gescheitertem Vertrag“ und damit um Kondiktionen aufgrund vertraglicher Güterzuweisung. Da kein vertragliches Band mit dem Dritten unmittelbar besteht, handelt es sich auch bei der Durchgriffskondiktion um einen Unterfall der Vermögenskondiktion. Zur Durchgriffskondiktion zählt auch der Fall des § 822. dd) Die besondere Bedeutung materieller Erwägungen für das Unrechtsurteil im Bereich der Nichtleistungskondiktion bedingt die Existenz der allgemeinen Vermögenskondiktion (unten Rdn. 1507ff). Der allgemeine Tatbestand der Nichtleistungskondiktion nach § 812 I 1 Alt. 2 ist notwendig ein Auffangtatbestand für alle nicht leistungsbegründeten Bereicherungen, die der Güterzuordnung widersprechen. In Übereinstimmung mit der Funktion als generalklauselartiger Auffangtatbestand kann bei der allgemeinen Vermögenskondiktion auch von der offenen Nichtleistungskondiktion gesprochen werden. Zwar deckt die Leistungskondiktion die Fälle der vertraglichen Güterzuordnung, die Eingriffskondiktion jene der Zuordnung aufgrund absoluter Rechte vollständig ab. Lücken sind jedoch im Bereich der Vermögenszuordnung neben der Rückgriffs-, Verwendungs-, Drittvermögens- und Durchgriffskondiktion denkbar; vgl. den Beispielsfall unten Rdn. 1508. Diese Lücken deckt die offene Nichtleistungskondiktion ab. c) Diese Einteilung der Bereicherungsansprüche nach der Art der geschützten Güterzuweisung findet sich im Anspruchssystem des § 812 I allenfalls angedeutet. Heute wird, entsprechend den beiden Alternativen des § 812 I 1, das wesentliche Abgrenzungskriterium verschiedener Kondiktionen zu Recht im Leistungsbegriff gesehen. Zu unterscheiden sind die Bereicherungsansprüche aufgrund Leistung und „in sonstiger Weise“ (Leistungs- und Nichtleistungskondiktion).

2. Im Bereich der unerlaubten Handlungen liegt, wie o. Rdn. 1394ff angedeutet, die Problematik anders. Hier geht es dem Recht um die Aufstellung von Verhaltensnormen. Zwar werden auch, zur Erleichterung und „Standardisierung“ des Unwerturteils über bestimmte, immer wiederkehrende Handlungen, absolute Rechte anerkannt, um den Unrechtsgehalt dieser Handlungen zu typisieren und Vermutungen einer Rechtswidrigkeit aufzustellen, 823 I. Häufig erfolgt auch die Unrechtsbewertung eines Verhaltens

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durch eine spezielle Norm, d. h. durch ein sog. „Schutzgesetz“, 823 II.5 Dagegen finden sich im Bereich der ungerechtfertigten Bereicherung solche Schutzgesetze zur Feststellung des Unrechts nicht, denn Schutzgesetze bewerten begriffsnotwendig Handlungen, nicht objektiv gegebene Güterverschiebungen. Darum haben v. Caemmerer und andere recht, wenn sie Bereicherungsansprüche aufgrund von Schutzgesetzverletzungen verneinen, v. Caemmerer, FS Rabel, aaO, S. 379, 396ff. Das ist bei Wettbewerbsverstößen von Bedeutung. Wer irreführend wirbt, schuldet nach §§ 3, 5 UWG im Verschuldensfalle Ersatz des Schadens, u. a. auch eine Richtigstellung, nicht aber Herausgabe der erzielten Einnahmen. Anders liegt es bei Eingriffen, sei es in Material- oder in Immaterialgüter: Das Erlangte ist herauszugeben, BGH 68, 70 Kunststoffhohlprofil I –. Neben Eingriffskondiktionen können aber – konkurrierend – Eingriffsdelikte gegeben sein: Der Dieb schuldet Besitzrückgabe aus § 812 I 1 und aus §§ 823 I, 249: Zum Unrecht der Güterverschiebung tritt das der unerlaubten Handlung.

a) Soweit die Unrechtsindizierung bei unerlaubten Handlungen durch Zuerkennung absoluter Rechte erfolgt (§ 823 I), haben daher diese absoluten Rechte eine andere Aufgabe und Funktion als die Zuordnungen im Bereich der ungerechtfertigten Bereicherung.

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Für § 812 bedeutet „Eigentum“ Zuordnung im Sinne rechtmäßigen Habens zum Zwecke der Restitution, in § 823 I widerlegbare Unrechtsvermutung. Nicht das „Eigentum“ allein entscheidet § 823 I über das Unrecht einer Handlung, sondern die aus der Abwägung von Handeln und Erfolg gewonnene Verhaltensnorm. Es gibt also in § 823 I „Eigentumseingriffe“, die durchaus rechtmäßig sind, z. B. das Herstellen von Feuerwerkskörpern, auch wenn sie später bei unsachgemäßer Behandlung Brandspuren hinterlassen; oder die Produktion von Pflanzenschutzmitteln, die möglicherweise durch Missbrauch zu Körperschäden oder Tierverlusten führt („Fernwirkungen“). Die Rechtswidrigkeit in § 823 I ist also keine Folge eines vorgegebenen Eigentumsbegriffs, sondern das Eigentumsrecht in § 823 I hat umgekehrt die Aufgabe, die Rechtswidrigkeit des Handelns wertend zu ermitteln. Die Rechtswidrigkeit einer unerlaubten Handlung ist die Quelle, die absoluten Rechte und die Schutzgüter des § 823 sind die Mittel dieses Unrechtsurteils. Freilich ist der Umfang des Eigentums in §§ 812 ff und in §§ 823 ff praktisch derselbe. Nur spielt der Eigentumsbegriff in beiden Vorschriftengruppen eine unterschiedliche Rolle: Im Bereicherungsrecht herrscht das statische Denken vor, im Deliktsrecht dient das Eigentumsrecht als Bezugspol der Handlungsbewertung. So erklärt sich auch, dass Bereicherungs- und Deliktsrecht nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Wären das Eigentum und die anderen absoluten Rechts- und Schutzgüter vorgegebene Begriffe, so wäre die Fortentwicklung des Bereicherungs- und des Deliktsrechts mit seinen „sonstigen Rechten“ in § 823 I nicht zu deuten. Aus dem Primat der Rechtswidrigkeit gegenüber dem angegriffenen Recht folgt übrigens, in Bestätigung der oben vertretenen Auffassung, dass auch Eingriffs- und Schutzgesetzdelikte im Prinzip Handlungs-, nicht Erfolgsunrecht enthalten. Jedenfalls entscheidet eine Handlungs-ErfolgsBetrachtung, bei der vom Grundsatz her der Handlungswert vom Erfolgsunwert entkräftet werden muss.

b) Dabei werden Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit sehr hoch eingeschätzt, wenn auch nicht frei von Abwägungen, wie der erlaubte ärztliche Eingriff und die erlaubte Herstellung gefährlicher Stoffe zeigen. Im Übrigen ist die im Deliktsrecht zu beachtende Einteilung der Deliktstatbestände durch Zuerkennung von (1) absoluten Rechten; (2) Rahmenrechten, (3) Verkehrssicherungspflichten und (4) Schutzgütern oft eine gesetzestechnische oder auf historischen Zufällen beruhende Angelegenheit. Sobald sich ein Bedürfnis zur Anwendung einer Verhaltensnorm einstellt, versucht die Rechtsentwicklung zunächst die Schaffung eines Schutzgesetzes, z. B. nach Art des

5 Auch die vorgeschlagene actio pro institutione als Individual- oder Verbandsklage zum Schutz sozialer Werte ohne Zuordnung absolut geschützter Güter (823 I) oder Schutzgüter (823 II) zählt hierher, näher dazu Fikentscher, Wirtschaftsrecht II § 27 V.

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StVG, wenn es sich um einen Verkehrsunfall handelt, oder der §§ 20, 21 GWB, wenn jemand diskriminiert oder boykottiert wird. Die rechtliche Bewertung ist dann diesem Schutzgesetz zu entnehmen, die Schadensersatzfolge ergibt sich, falls nicht direkt aus dem Schutzgesetz (z. B. § 33 GWB), aus § 823 II. Ob aber, wenn ein Fall gelöst werden muss, ein Schutzgesetz gerade zur Verfügung steht, ist oft Zufall. Der Gesetzgeber denkt – zum Glück – nicht an alles. Nicht jede Verhaltensnorm ist also Gegenstand eines eigenen Gesetzes geworden, und dies zu verlangen, wäre unbeholfener Gesetzespositivismus. Fehlt ein Schutzgesetz, muss auf § 823 I zurückgegriffen werden, d. h. es bedarf grundsätzlich der Bejahung und inhaltlichen Formung eines „absoluten“ Rechts. Die inhaltliche Formung kann erhebliche Abstriche von der „Absolutheit“ des subjektiven Rechts erfordern, wie dies z. B. beim Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (synonym: Recht am Gewerbebetrieb, oder Recht am Unternehmen; noch besser: Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht 6) geschehen musste und geschehen ist. Es handelt sich bei derart weitgefassten „Rechten“ nicht mehr um absolute, die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indizierende Rechte, sondern um Erscheinungen, die man als „Rahmenrechte“ bezeichnet (seit der 1. Aufl. 1965, § 97 III 2 b). Rahmenrechte sind gebündelte Verhaltensnormen auf einem bestimmten Lebensgebiet: Privatsphäre (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) oder Wirtschaft (Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht). Der Weg über § 823 I hat den Vorteil der Flexibilität und der gerade hier oft erforderlichen grundsätzlichen und immer wieder erneuten Überprüfung der Unrechtsbewertung. Zu den Einwänden Canaris u. a. gegen die Rahmenrechte s. u. Rdn. 1572. 1403

Wenn L. Raiser, JZ 61, 466 ff = Zeitschr. d. Bern. Juristenvereins 61, 121 (insb. 144ff) vor einer missbräuchlichen Erfindung und Verwendung subjektiver Rechte warnt, ist ihm grundsätzlich zuzustimmen. Doch muss § 823 I stets in die Bresche springen, wenn Schutzgesetze fehlen oder versagen und § 826 wegen des dort verlangten Vorsatzes zu eng ist. Die Struktur des deutschen Rechts der unerlaubten Handlungen lässt eine freie Aufstellung von Verhaltensnormen wie im common law nicht zu. Das deutsche Recht braucht daher für den größten Teil des Deliktsrechts grundsätzlich die Krücke des § 823 I mit einem der dort genannten absoluten Rechte, die zur Unrechtsindizierung dienen. Dabei wird dann wegen des systembedingten Umwegs über das absolut geschützte Rechtsgut die Regel von Recht und Unrecht genau umgekehrt, so dass die Frage nach dem Unrecht zur Frage nach dem ausnahmsweisen Recht wird. Nur wo § 823 I Rahmenrechte enthält (Recht am Unternehmen = Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht; Allgemeines Persönlichkeitsrecht, letzteres zum Schutz der Privatsphare), erfolgt keine Unrechtsindizierung und keine Umkehrung der Unrechtsfrage. Deshalb folgt bei ihnen die Prüfung der Rechtswidrigkeit anderen Regeln. All das sind aber rechtstechnische Überlegungen, die mit dem materiellen Ausgangspunkt, der Unterscheidung von Bestands- und Freiheitsschutz, unmittelbar nichts zu tun haben. Raisers Kritik an dieser Unterscheidung ist daher mit der gegebenen Begründung, der Freiheitsschutz müsse durch Schutzgesetze verwirklicht werden, nicht zu halten. Entscheidend ist, dass berechtigter Schutz gewährt wird. Stehen Schutzgesetze nicht zur Verfügung, müssen subjektive Rechte entwickelt werden. Das ist zumindest die weniger positivistische Lösung. Sie bedarf zu einer gerechten Lösung nicht unbedingt eines neuen Spezialgesetzes.

6 Fikentscher, Wirtschaftsrecht § 1 I; § 15 IV; § 21 III 3 e; § 22 I 1, 2. Der entscheidende Nachteil der drei anderen Bezeichungen – „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“, am „Unternehmen“, am „Gewerbe“, die alle gleichbedeutend verwendet werden – ist die einseitige Bevorzugung der (typischen) Waren- und Dienstleistungsangebotsseite, die eine rechtliche Benachteiligung der (typischen) Nachfrageseite (Kunden, Verbraucher, Hausfrau und Hausmann) mit sich bringt. Der Ausdruck „Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht“ vermeidet dies und bringt in Anlehnung an das Allgemeine Persönlichkeitsrecht den Charakter als Rahmenrecht zum Ausdruck.

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Die subjektiven Rechte in § 823 I haben keinen Selbstzweck. Ihre Funktion ist, das Unrecht einer Handlung für den Regelfall erkennbar zu machen, indem sie zur besseren Präzisierung des Eingriffs Eingriffsobjekte formulieren (zu diesem juristischen Grundvorgang, der sog. „Konkretisierung“, oben Rdn. 206 und Fikentscher, Methoden IV, 356ff, 371). Zu mehr dienen sie nicht. Mit der Erkenntnis ihres funktionalen Charakters werden sie ihrer „Höherwertigkeit“ gegenüber Schutzgesetzgütern, die ja denselben Zweck verfolgen, entkleidet. Trotzdem ist richtig, dass, wo Schutzgesetze vorhanden sind, § 823 I nicht herangezogen zu werden braucht. Andererseits macht eine richtige Handhabung des § 823 I, namentlich in Bezug auf die Einführung „freier“ Verhaltensnormen, Schutzgesetze entbehrlich. Wo beide Normen, § 823 I und II, zutreffen, sind beide nebeneinander anzuwenden (Anspruchskonkurrenz).

c) Im einzelnen baut sich ein allgemeines System der unerlaubten Handlung in einer dem Vorhergehenden entsprechenden Weise sehr konsequent auf den rechtstechnischen Zuordnungen von Rechtspositionen auf, ähnlich wie das oben bei den (andersartigen) Zuordnungen von Rechtspositionen auf dem Gebiet der ungerechtfertigten Bereicherung gezeigt wurde. Das zentrale Problem einer unerlaubten Handlung ist die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Diese Feststellung wird, wie gesagt, aus einer vergleichenden Wertung von Handlung und Erfolg gewonnen. Da das Deliktsrecht des BGB keine Generalklausel kennt, nach der alle rechtswidrigen und schuldhaften Handlungen ersatzpflichtig machen (anders z. B. Art. 1382 des franz. Code civil), muss diese Wertung für Einzeltatbestände und Tatbestandsgruppen in getrennter Weise erfolgen. Dies könnte theoretisch durch eine einfache Aufteilung der Generalklausel geschehen, eine Aufteilung, der das geltende deutsche Deliktsrecht allerdings nicht folgt. Vielmehr hat sich folgende Anordnung herausgebildet:

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aa) Keine Schwierigkeit bereitet, eine Handlung als unrecht zu verurteilen, die einen anderen vorsätzlich und ohne ersichtliche Rechtfertigung an seinem Vermögen schädigt. Diese „vorsätzlichen illoyalen“ Schädigungen (v. Caemmerer) werden darum auch in allen entwickelteren Rechtsordnungen getrennt vorweg behandelt und für unerlaubt erklärt. Bei diesen „vorsätzlichen sittenwidrigen“ Schädigungen, wie § 826 sich ausdrückt, folgt das Unwerturteil aus der Zielgerichtetheit (englisch: intent) der Schädigungshandlung. Wer einen anderen mutwillig verletzt, haftet ihm nach § 826 wegen der Körperschäden auf Schadensersatz. Eine Abwägung ist hier grundsätzlich nicht erforderlich oder jedenfalls nicht schwierig, der Täter handelt noch nicht einmal unter dem Schein eines Rechts (falls nicht etwa Rechtfertigungsgründe, wie z. B. Notwehr nach § 227, vorliegen). Dies sind übrigens die eigentlichen Fälle des § 826. Unter § 826 fallen im Grunde nur die „abwägungsfreien“ Schädigungen, wie mutwilliges Töten, Verletzen, Beschädigen, Denunzieren. § 826 wird von der Praxis aber auch auf Abwägungsfälle, z. T. unter Zuhilfenahme von Rechtfertigungsgründen angewandt, z. B. bei Boykotten, Preisunterbietungen, zweifelhaften Kreditsicherungen, Streiks. Das geschieht jedoch auch nur, weil mangels einer deliktischen Generalklausel keine freie Entwicklung deliktischer Verhaltensnormen möglich ist. Dieser Mangel wirkt sich bei Tatbeständen des Wirtschaftslebens besonders empfindlich aus, was den Rückgriff auf den hier an sich unpassenden § 826 erklärt. Richtiger ist die Aufstellung von „Eingriffsobjekten“ wirtschaftlicher Natur (z. B. Recht am Unternehmen = Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht) als Rahmenrechte und dadurch als sonstige Rechte i. S. des § 823 I mit entsprechender Aufstellung dorthin passender Verhaltensnormen (dazu unten Rdn. 1572ff). bb) Die zweite Gruppe unerlaubter Handlungen besteht grundsätzlich, in einem gleichsam apriorischen Deliktssystem, aus Sorgfaltspflichtverletzungen („negligence“-Fälle). Es gibt – rechtsvergleichend betrachtet – nur diese beiden Tatbestandsgruppen, die abwägungsfreien „vorsätzlichen illoyalen“ Schädigungen nach Art des § 826 in seiner ursprünglichen Bedeutung und die Abwägungsfälle, in denen jemand eine rechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme vorsätzlich oder – zumeist – fahrlässig verletzt, ähnlich schon Planck/Siber, BGB (1914) § 276, 2b; kritisch Deutsch, JuS 67, 152, 158; Canaris, II. FS Larenz, 27, 36. Die Sorgfaltspflichtverletzungen unterscheiden sich von den vorsätzlich sittenwidrigen Schädigungen dadurch, dass bei ihnen keine Schädigung beabsichtigt wird, dass vielmehr zwischen einer im Rechtsverkehr vorkommenden, vielleicht sogar nötigen oder unerwünschten

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Handlung und einer durch diese Handlung verursachten Beeinträchtigung eines Interesses in besonders eingehender Weise abgewogen werden muss. Soweit nach einer solchen Abwägung die Verletzung objektive Sorgfaltspflichten missachtet, entsteht dadurch die Rechtswidrigkeit. Daran schließt sich im Gutachtenaufbau die erforderliche subjektive Bewertung der Sorgfaltspflichten als persönlich vorwerfbar an: Die Sorgfaltspflichtverletzung kann vorsätzlich fahrlässig, also schuldhaft geschehen. Mit diesen beiden generalklauselartigen Deliktstatbeständen, der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung und der Sorgfaltspflichtverletzung könnte an sich jede Deliktsordnung auskommen, die bereit ist, Verhaltensnormen zur Konkretisierung der Sorgfaltspflichten von Fall zu Fall, von Fallgruppe zu Fallgruppe, zu entwickeln. Jedes Mehr an System ist im Grunde Denaturierung des Systems. Aber das bis hierher entwickelte Bild ist nur ein „Idealtyp“ eines Deliktsrechts. Es entspricht nicht dem Aufbau des BGB. Es hilft aber, und das ist sein didaktischer Zweck, den Aufbau des deutschen Deliktssystems besser zu verstehen.

d) Wenn das deutsche Recht den Weg der großen und auch den der in „vorsätzliche illoyale Schädigungen“ und „Sorgfaltspflichtverletzungen“ eingeteilten Generalklausel nicht geht, so deshalb, weil es sich zunächst als genauer und verständlicher erwiesen hat, das Unrechtsurteil über bestimmte Sorgfaltspflichtverletzungen zu typisieren: Der Unrechtsgehalt bestimmter Handlungsgruppen soll ein für allemal festgelegt werden. Dazu benutzt das deutsche Recht zwei Mittel: Die Zuerkennung subjektiver, absoluter Rechte in § 823 I (Eingriffsdelikte) und die Aufstellung von Schutzgesetzen in § 823 II (Schutzgesetzdelikte). Beiden Einrichtungen ist der Zweck gemeinsam, das Unrecht bestimmter Handlungen zu fixieren. Das deutsche Deliktsrecht verfährt also nach dem Enumerativ-Prinzip (im Gegensatz zum Generalklausel-Prinzip). aa) Die Zuordnung subjektiver absoluter Rechte in § 823 I (Leben, Körper, Gesundheit, Eigentum u. a.) besagt, dass grundsätzlich jede Handlung, die in ein solches Recht eingreift, rechtswidrig ist. Das Unrecht einer Handlung wird also durch Aufstellung und Zuteilung dieser Rechtsgüter an Personen „identifiziert“ (sog. Unrechtsindikation). Die Unrechtsindikation ist ein zentraler Begriff für das deutsche Deliktsrecht. Sie gilt für § 823 I in seiner Hauptbedeutung als Schutz absoluter Rechte (Nahwirkung) und für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (= Verkehrspflichten), die zur „Auffüllung“ (Canaris, II. FS Larenz, 79) von § 823 I verwendet werden, weil § 823 I in den Fällen fernwirkender Eingriffe teleologisch reduziert werden muss, um sinnvolle, wenn auch mit möglichen Gefahren verbundene Tätigkeiten zu erlauben und doch deliktsrechtlich zu erfassen. aaa) Die Unrechtsindikation bedeutet im Normalfall: Der Verletzer kann für seine Handlung höchstens einen Rechtfertigungsgrund (z. B. Notwehr) zu seinen Gunsten behaupten, und er muss ihn in tatsächlicher Hinsicht darlegen und im Streitfall beweisen. Der Verletzte braucht nur den Eingriff in sein absolut geschütztes Rechtsgut darzutun, damit steht die (widerlegliche) Vermutung der Rechtswidrigkeit fest. Der Verletzte ist der Suche nach und des Beweises der Verhaltensnorm und ihres Unrechtsurteils über die Verletzerhandlung enthoben. Im Bereich der Eingriffsdelikte gibt es demnach keinen „Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens“.7 Denn hier wird die Frage nach dem Verhalten nicht mehr gestellt. Die Güterzuordnung ist durch Gesetz erfolgt, und damit die Unrechtsindizierung. Das verbietet, die Unrechtsbewertung wieder auf eine Verhaltensnorm zurückzuschieben. Durch Güterzuordnung indiziertes Eingriffsunrecht kann logischerweise nur noch durch die „klassischen“ Rechtfertigungsgründe (Notwehr, Notstand, Einwilligung, unrechtsausschließende Pflichtenkollision usw.), also durch Ausnahmesituationen wieder beseitigt werden. Im Bereich der sonstigen Sorgfaltsverletzungsdelikte wird die Frage des verkehrsrichtigen Verhaltens allerdings zu Recht gestellt. Sie ist dort die zentrale Frage der Handlungs-Erfolgs-Bewertung. 7 Anders noch BGHZ 24, 21 (GZ) = ESJ 130 – Straßenbahnunfall –; überholt durch BGHZ 36, 237 = ESJ 131 – Laternengarage –. Ebensowenig konnte sich die von Welzel und Nipperdey verfochtene Lehre von der „Sozialadäquanz“ bestimmter Schädigungen, vor allem bei ärztlichen Eingriffen sowie im Arbeits- und Wirtschaftsleben durchsetzen; die neueren Lehrbücher bringen nicht einmal mehr den Begriff; s. zur Sozialadäquanz die 6. Auflage, § 97 vor I und V.

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Dort aber spielt diese Frage nicht die Rolle eines Rechtfertigungsgrundes, sondern sie ist wegen des Fehlens einer Indizierung die Frage zur Ermittlung der Rechtswidrigkeit selbst, und damit auch des Tatbestandes einer unerlaubten Handlung. Auch wo die Sorgfaltsverletzungsdelikte, wie gleich zu zeigen sein wird, auf dem Weg über gewisse „sonstige Rechte“ (Unternehmen, Persönlichkeit) und über die „Verkehrspflichten“ in das geltende Deliktsrecht eingeführt wurden, muss also die Prüfung des verkehrsrichtigen Verhaltens als Kernfrage nach der Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens durchgeführt werden (nicht aber als Prüfung eines Rechtfertigungsgrundes!) Daraus folgt: Einen „Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens“ gibt es auch außerhalb der Eingriffsdelikte nicht. Seine Bejahung beruht auf einer Verkennung der Struktur des deutschen Deliktsrechts. bbb) Von diesem Normalfall (Handlung mit Nahwirkung bei Eingriffs- und Sorgfaltsverletzungsdelikten) bestehen zwei Ausnahmen. Beide rütteln am Enumerativ-Prinzip. Man hat sie daher auch „partielle Generalklauseln“ genannt. Die eine Ausnahme anerkennt als „sonstige Rechte“ in § 823 I zwei Rahmenrechte (am Unternehmen = Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht; und an der Privatsphäre = Allgemeines Persönlichkeitsrecht). Beide Rahmenrechte sind Bündel von Verhaltensnormen. Durch den Eingriff in ein Rahmenrecht wird die Rechtswidrigkeit folglich nicht indiziert, vielmehr muss die Rechtswidrigkeit durch Interessenabwägung positiv festgestellt werden; dazu unten Rdn. 1571. Die andere Ausnahme entsteht, indem § 823 I für fernwirkende Eingriffe teleologisch reduziert wird, um sinnvolle, wenn auch u. U. gefährlich werdende Tätigkeiten zu erlauben (z. B. Produktion von Medikamenten). Die durch die Reduktion entstandene Lücke in § 823 I muss durch „Verkehrssicherungspflichten“ (synonym: Verkehrspflichten) wieder geschlossen werden; dazu unten Rdn. 1591 ff. Ihre Verletzung begründet eine Unrechtsindikation.

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bb) Die in § 823 II bezeichneten Schutzgesetze zugunsten bestimmter Dritter sind nichts anderes als sondergesetzlich niedergelegte Verhaltensnormen, hinter deren Unrechtsausspruch die Urteilsbildung des materiellen Gesetzgebers steht: Der Verletzte verweist auf fertig bereitliegende Schutzgesetze (z. B. Straßenverkehrsgesetz, UWG), und nach der Regel iura novit curia braucht er diese Verhaltensnormen auch nicht zu beweisen. Das Enumerativprinzip ist gewahrt.

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cc) Mit der Ableitung der Eingriffs- und der Schutzgesetzdelikte aus dem „Urtatbestand“ der Sorgfaltspflichtverletzungen lässt sich auch die Frage beantworten, die bei v. Caemmerer, FS zum 100-jährigen Bestehen des Dt. Juristentags, Band II, 1960, 67, 71ff, 80, deutlich wird: Wie soll man den fahrlässigen Eingriff in geschützte Rechtsgüter von der fahrlässigen Nichtbeachtung einer Sorgfaltspflicht abgrenzen? Die Frage ist wichtig für die Bestimmung der Rechtswidrigkeit: Im ersten Fall wird das Unrechtsurteil indirekt aus der Unrechtsindizierung unter Berücksichtigung etwaiger Rechtfertigungsgründe gewonnen, im zweiten durch direkte Abwägung. Das ist wiederum wichtig für die Beweislast bezüglich der unrechtsbegründenden Tatsachen. Das Verhältnis fahrlässiger Eingriffsdelikte zu fahrlässigen Sorgfaltspflichtverletzungen ist systematisch das der Ausnahme zur Regel. Die ersten sind typisierte und ausgegliederte Unterfälle der letzteren, mit einer Umkehrung der Unrechtsvermutung in Gestalt der Unrechtsindikation. Im Gutachten ist die Reihenfolge der Prüfung – wegen des in § 823 I enthaltenen gesetzlichen „Grundtatbestandes“ – freilich genau umgekehrt. Die Ableitung von absoluten Rechts- und Schutzgutverletzungen aus den Sorgfaltspflichtverletzungen hat aber noch eine andere Bedeutung. Sie ermöglicht eine einheitliche Kausalitätsauffassung bei Eingriffs-, Schutzgesetz-, Unternehmens-, Persönlichkeits- und Verkehrssicherungsdelikten (dazu unten Rdn. 1705).

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dd) Jenseits der Eingriffs- und Schutzgesetzdelikte liegt ein Bereich der Schutzwürdigkeit, der sich einer Zuordnung zu Personen durch Gewährung subjektiver Rechte entzieht. Er ist bisher zivilrechtsdogmatisch wenig behandelt worden, bedarf aber de lege ferenda, etwa im Zusammenhang mit der Umwelt- und mit der Verbandsklageproblematik, der Beachtung; näher R. M. Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen, Karlsruhe 1972; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, 1983, 527 ff; ders., Die umweltsoziale Marktwirtschaft – als Rechtsproblem –, Heidelberg 1991; siehe auch schon R. v. Ihering, IherJb. 10 (1871) 387.

e) Es ist selbstverständlich, dass diese beiden Hauptbehelfe zur Unrechtsbestimmung (absolute Rechte und Schutzgesetze) nicht den ganzen, täglich sich wandelnden

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und stetig sich fortentwickelnden Bestand von Sorgfaltspflichtverletzungen erschöpfen können. Daher war von Anfang an (d. h. seit Inkrafttreten des BGB am 1. 1. 1900) vorauszusehen, dass das Enumerativprinzip der §§ 823 I, II, 826 zur Bewältigung des Deliktsrechts nicht ausreichen würde. Ein nicht erfasster (umfangreicher!) „Rest“ von Sorgfaltspflichtverletzungen verbleibt also, der – wie es der oben aufgestellten Regel entspricht – nur mit „freien“ Verhaltensnormen erfasst werden kann, die aber nicht einfach „frei“ ausgebildet sein dürfen, sondern sich in das enumerativ angelegte deutsche Deliktssystem einzufügen haben (Canaris, II. FS Larenz, 35 ff, 46, 83). Das Gesetz lässt wegen des Enumerativprinzips die Bildung freier Verhaltensnormen nicht zu (anders das law of torts des angloamerikanischen common law, namentlich bei den negligence – Tatbeständen). Andererseits mussten auch in den neu auftauchenden Fällen, namentlich im Persönlichkeits- und im Wirtschaftsbereich gerechte Entscheidungen gefunden werden. Eine lückenlose Schutzgesetzgebung (§ 823 II) hätte genügt (dies ist der Gedanke L. Raisers, aaO). Sie ist aber selbst für einen fleißigen Gesetzgeber praktisch nicht zu verwirklichen und setzt sich dem Vorwurf des Gesetzespositivismus aus. Es bedarf zweier Kunstgriffe (o. Rdn. 1409): aa) Man verfuhr zunächst in der Weise, dass man neue „subjektive Rechte“ erfand, wozu der Zusatz „oder ein sonstiges Recht“ in § 823 I (der an sich nur absolute Rechte, z. B. Immaterialgüterrechte, meint) zitiert wurde. In dieser Weise ließ sich der Unternehmens- und der Persönlichkeitsschutz durch Anerkennung eines „Rechts am Unternehmen“ und eines „Allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ bewältigen (dazu unten Rdn. 1571 ff), allerdings notwendigerweise unter Verzicht auf eine durchgängig absolute Umfangsbestimmung dieser Rechtsgüter und damit auf die Unrechtsindizierung. In Wahrheit handelt es sich bei beiden nur um die verdeckte Aufstellung freier Verhaltensnormen, bezogen auf zwei besonders wichtige Bereiche menschlicher Verletzbarkeit, nämlich das Unternehmen (richtiger: die wirtschaftliche Entfaltungs- und Versorgungsfreiheit auf beiden Seiten des Marktes – Angebot und Nachfrage 8) und die menschliche Persönlichkeit im außerwirtschaftlichen Bereich. bb) Daneben (o. Rdn. 1409) erfolgte eine umfangreiche Aufstellung weiterer Verhaltensnormen, deren Verletzung alle in § 823 I aufgeführten absolut geschützten Rechtsgüter (mit Ausnahme der Rahmenrechte), insb. Gesundheit, Körper und Leben der Personen einerseits oder das Eigentum andererseits betrifft, sowie darüber hinaus den Schutz des Vermögens im allgemeinen im Rahmen von §§ 823 II, 826 und 831f (Canaris, II. FS Larenz, 81ff). Man nennt sie „Verkehrssicherungspflichten“ (Ausdruck erstmalig in RGZ 102, 372), besser und allgemeiner noch „Verkehrspflichten“ (v. Bar; dessen Zuordnung der Verkehrspflichten zu § 823 II hier ausdrücklich nicht gefolgt wird). Entsprechend benannte Rechtsgüter standen in § 823 I zur Verfügung. Da aber die Unrechtsindizierung wegen der Entfernung der Handlung vom Erfolg in diesen Fällen versagte, deutete man menschliches Tun in Unterlassen um (auch wo es in Wahrheit ein Tun war, siehe v. Caemmere, Wandlungen des Deliktsrechts, aaO 73ff m. w. Ang.), und hatte nun in Gestalt der bei Unterlassungsdelikten zur Bejahung einer Rechtswidrigkeit erforderlichen Rechtspflicht zum Tätigwerden einen Abwägungsrahmen zur Ermittlung des Handlungsunrechts zur Verfügung. So kam es zur Entstehung der sog. 8 S. im einzelnen Fikentscher, Wirtschaftsrecht 1, § 1 I 4; § 19 I, wo anstelle des Ausdrucks „Recht am Unternehmen“ der Begriff „Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht“ vorgeschlagen wurde, um – wie erwähnt – auch Nichtunternehmer, z. B. Verbraucher, ebenbürtig schützen zu können.

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Gemeinsame Grundlagen und Unterscheidung

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„Verkehrspflichtdelikte“. Inzwischen werden Verkehrspflichten nicht nur bei Unterlassungen, sondern auch bei Tätigkeit anerkannt (s. u. Rdn. 1591ff). In Wirklichkeit liegen auch hier – auf einem gedanklichen Umweg über das Unterlassungsdelikt – aufgestellte „freie“ Verhaltensnormen vor, die unter Verwendung in § 823 I genannter Rechtsgüter über die Umdeutung des Tuns in eine Unterlassung der gebotenen Sorgfalt sowie über die Prüfung einer „Rechtspflicht zum Handeln“ – etwas gewaltsam – in das System der Enumerativhaftung einbezogen wurden. Mit den „Verkehrspflichten“ ließ sich aber der moderne Gesundheits- und Eigentumsschutz z. T. bewerkstelligen. Aus den Verkehrspflichten hat sich dann ein besonders wichtiger Zweig, die Produzentenhaftung, abgelöst und selbständig entwickelt (u. Rdn. 1599ff). cc) Verkehrspflichten entstehen demnach durch die Aufstellung von Verhaltenspflichten in Fällen, in denen absolut geschützte Rechtspositionen wie Gesundheit, Körper, Leben und Eigentum verletzt werden. Dies hat sich als notwendig erwiesen, weil ein System der Unrechtsindikation durch einen geschlossenen Kreis absolut geschützter Rechtsgüter für eine Industriegesellschaft zu undifferenziert ist. Es haben sich seit der Entstehung des BGB immer mehr und immer stärkere Verletzungsmöglichkeiten der in § 823 I geschützten Rechtsgüter ergeben. Es wurde auch technisch immer leichter, diese Rechtsgüter zu verletzen. Man benötigte also Unterscheidungsmöglichkeiten sowohl auf Verletzten- wie auf Verletzerseite: Ursprünglich stand die Verstärkung des Schutzes der in § 823 I genannten Rechtsgüter in den Fällen, in denen diese durch Unterlassen bestimmter Verhaltenspflichten gefährdet wurden (also der Schutz auf der Verletztenseite), im Vordergrund (s. dazu auch 7. A., S. 739 f). Die Rechtsprechung entwickelte so genannte „Verkehrssicherungspflichten“ in Anlehnung an § 376 StGB a. F. und in Analogie zu § 836 BGB. Diese Pflichten knüpften zunächst an das Eigentum an. Es erfolgte dann eine Ausdehnung. Wer immer einen gefahrerhöhenden Zustand geschaffen hatte, sollte dafür Sorge tragen, dass daraus keine Verletzung der Rechtsgüter des § 823 I resultierte. Im Lauf der Zeit haben sich diese Pflichten jedoch von diesem Ausgangspunkt gelöst, reichen nunmehr weit darüber hinaus und werden deshalb auch (allgemeiner) als Verkehrspflichten bezeichnet (nach v. Bar, 43 Anm. 3 vollzog den Übergang schon RGZ 102, 372, 375). Mehr und mehr Handlungen in Form des aktiven Tuns verletzten nicht „unmittelbar, nämlich ohne Dazutreten von Zwischenursachen“ (Larenz, FS Dölle, 1963, 169, 185) eine der geschützten Rechtspositionen des § 823 I, sondern führten erst über verschiedene tatsächliche Umstände zu einer Rechtsgutsverletzung, besaßen also mit anderen Worten eine Fernwirkung. In solchen Fällen nur aufgrund der Rechtsgutsverletzung eine Unrechtsindikation anzunehmen, erschien nicht gerechtfertigt (insoweit benötigte man eine Unterscheidungsmöglichkeit auf der Verletzerseite). Zur Rechtsgutsverletzung musste eine Verkehrspflichtverletzung treten, um die Rechtswidrigkeit i. S. v. § 823 I widerleglich vermuten zu können. Es erfolgte also eine teleologische Reduktion (also das Gegenteil von Analogie) des § 823 I in den Fällen fernwirkender Eingriffe. Die so entstandene Lücke wurde mit den Verkehrspflichten „aufgefüllt“. dd) Daraus ergibt sich: (1) Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I ist nach wie vor die Verletzung eines dort genannten absoluten Rechts (= Rechtsgutes). In Fällen, wo es jemand unterlassen hat, bestimmte Maßnahmen zu treffen, muss eine Pflicht zum Tun bejaht werden können, um zu einem Schadensersatzanspruch zu kommen. Dies wird in vielen Fällen eine Verkehrspflicht sein. Insoweit führt also eine Zunahme der Verkehrspflichten zu einer Ausdehnung des Schutzes der in § 823 I geschützten Rechte und Rechtsgüter. (2) Führt ein aktives Tun nicht direkt zu einer Rechtsgutsverletzung, kann die Rechtswidrigkeit nur vermutet werden, wenn neben die Rechtsgutsverletzung eine Verkehrspflichtverletzung tritt. Die Entscheidung, ob man im Tatbestand (zusätzlich) eine Verkehrspflichtverletzung prüfen muss, hat aufgrund einer wertenden Betrachtung zu erfolgen. Man kann entweder danach fragen, ob eine „unmittelbare“ oder eine „mittelbare“ (s. o.) Rechtsgutsverletzung vorliegt, oder – wie es hier vorgeschlagen wird – prüfen, ob eine Verletzungshandlung mit Fern- oder Nachwirkung erfolgte. In den meisten dieser Fälle liegen Handlungen vor, die die Rechtsgutsverletzung adäquat kausal verursacht haben. Das Erfordernis einer Verkehrspflichtverletzung führt also zu einer Eingrenzung des Bereichs der Unrechtsindikation. Nicht notwendig führt dies aber auch zu einer Verringerung von Schadensersatzansprüchen. Es wird vielmehr das Korrektiv vorverlagert.

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§ 101 IV

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Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick

f) Das Ergebnis ist ein nur mehr im Ansatz enumerativ aufgebautes, praktisch aber durch Einfügung partieller Generalklauseln (nämlich: zwei Rahmenrechte, Verkehrspflichten, Produzentenhaftung) höchst anpassungsfähiges, aber nicht gerade übersichtliches „System“ der unerlaubten Handlungen. Zu seinem Verständnis muss man sich die Absicht des Gesetzgebers von 1900 (Enumerativprinzip im Gegensatz zur französischen Generalklausel des Art. 1382 code civil) und die seitherige Entwicklung des deutschen Richterrechts vor Augen halten. Hinter der Feststellung, das System der Enumerativhaftung sei durch Einführung von „Rahmenrechten“ (Unternehmen, Persönlichkeit) und durch die „Verkehrspflichten“ einschließlich „Produzentenhaftung“ durchbrochen worden, verbirgt sich kein Vorwurf. Es ist das Recht des Richters, die gerechte Entscheidung auf der Grundlage eines unvollkommenen Gesetzes unter Zuhilfenahme auch von gesetzessystemwidrigen Kunstgriffen zu erreichen. Im Ganzen betrachtet erscheint die Erfindung abwägungsbedürftiger „Rahmen“-Rechtsgüter (Unternehmen, Persönlichkeit) in § 823 I unter Verzicht auf die Unrechtsindizierung als ein gröberer Systemverstoß als der Ausbau von Verkehrspflichten im Vorfeld absoluter Rechtsgüter unter Einschaltung der Prüfung einer „Rechtspflicht zum Handeln“. Dieser Gedankengang führt, in allerdings verklausulierter und systemgehemmter Form, im Ergebnis doch zur Aufstellung „freier“ Verhaltensnormen. Im Bereich der Verkehrspflichten lassen sich daher auch leichter Gruppen von Verhaltensnormen herausbilden als beim Unternehmensschutz und beim Schutz persönlicher Verhältnisse, wo auch heute noch mit der „positiven Feststellung der Rechtswidrigkeit durch Interessenabwägung“ kein wirklich geeigneter Abwägungsrahmen für die Handlungs-Erfolgs-Bewertung zur Verfügung steht (näher unten Rdn. 1571ff). g) Die Gefährdungshaftung ist dagegen (zu Recht) einzelgesetzlich geregelt und im geltenden Recht (ebenfalls) nicht durch eine Generalklausel verankert (anders Bälz, 23, de lege ferenda). Ihr Grundgedanke ist freilich ein allgemeiner: Wer erlaubtermaßen etwas Gefährliches tut, haftet grundsätzlich bis zu einer bestimmten Schadenshöhe, wenn sich das Risiko verwirklicht, auch wenn ihn keine deliktische Schuld trifft (Esser); s. u. § 113.

IV. Zusammenfassung 1418

Hieraus ergibt sich folgendes System von ungerechtfertigten Bereicherungen und unerlaubten Handlungen: Ungerechtfertigte Bereicherungen A. Leistungskondiktionen B. Nichtleistungskondiktionen, eingeteilt in 1. Eingriffskondiktion 2. Vermögenskondiktionen a) Rückgriffskondiktion als Fall der Drittvermögenskondiktion b) Drittempfängerkondiktion als Fall der Drittvermögenskondiktion c) Verwendungskondiktion d) Durchgriffskondiktion e) allgemeine Vermögenskondiktion (offene Nichtleistungskondiktion) Unerlaubte Handlungen A. Vorsätzlich sittenwidrige Handlungen (826) B. Sorgfaltspflichtverletzungsdelikte – fahrlässige oder vorsätzliche Begehung (im BGB als solche nicht erfasst) 1. Eingriffsdelikte (823 I) mit Unrechtsindizierung durch Zubilligung geschützter Rechtspositionen („absolute Rechte“). 2. Schutzgesetzverstöße (823 II) mit Nachweis des Unrechts aus positivrechtlichen Sondervorschriften. 3. Rest von Sorgfaltspflichtverletzungsdelikten (im BGB als solcher nicht erfasst). Stichworte: „Das Vermögen als solches ist deliktisch nicht geschützt“, „fehlende Generalklausel“. Erfasst sind aber:

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Grundgedanken und gesetzlicher Aufbau des Bereicherungsrechts

§ 102

a) Unternehmensdelikte (823 I, „sonstiges Recht“) mit Unrechtsabwägung im Vorfeld eines „Rechts am Unternehmen“. Dies ist ein Rahmenrecht zum Schutze der wirtschaftlichen Verhältnisse, daher statt „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ oder einfacher – „Recht am Unternehmen“ korrekter: „Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht“. b) Allgemeine Persönlichkeitsdelikte (823 I, „sonstiges Recht“) mit Unrechtsabwägung im Vorfeld eines „Allgemeinen Persönlichkeitsrechts“. Dies ist ein Rahmenrecht zum Schutz der nicht-wirtschaftlichen persönlichen Verhältnisse (Intimsphäre, Lebensbild, Ansehensmissbrauch usw.). c) Verletzungen von „Verkehrspflichten“, die zu Vermögensschäden führen (als solche vom BGB nicht erfasst). Von der Rechtsprechung erfasst sind aber: aa) Lebens-, Gesundheits-, Körperbeschädigungen, § 823 I, Unrechtsabwägung durch eine Rechtspflichtprüfung. bb) Eigentumsbeschädigungen, § 823 I, Unrechtsabwägung durch eine Rechtspflichtsprüfung. cc) Verletzungen der übrigen „sonstigen Rechte“ in § 823 I mit Ausnahme der beiden Rahmenrechte (a, b). dd) Verletzung des Vermögens als solches in §§ 823 II, 826 und § 831f. d) Produzentenhaftung.

Im Übrigen sind also Sorgfaltspflichtverletzungen mit Schadensfolgen nach deutschem Recht keine unerlaubten Handlungen: Das Verbot des „neminem laedere“ gilt uneingeschränkt nur im Bereicherungsrecht. Im Deliktsrecht gilt es nur nach Maßgabe der Verhaltensnormen, soweit Gesetz und Richterrecht sie berücksichtigen.

V. Übersicht In den §§ 102–105 wird das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung, in den §§ 106 ff das der unerlaubten Handlungen (Deliktsrecht) im Einzelnen dargestellt. Dabei wird auf das in diesem § 101 entwickelte System zurückgegriffen, jedoch wie üblich, in gesetzlicher Reihenfolge vorgegangen: §§ 823 I, 823 II, 826.

15. Abschnitt

Ungerechtfertigte Bereicherung 1 § 102 Grundgedanken und gesetzlicher Aufbau des Bereicherungsrechts Batsch, AcP 174 (1974), 558 (zu Wilhelm); Beuthien/Weber, Schuldrecht II – Ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag, 2. Aufl., 1987; v. Caemmerer, FS Rabel, Bd. I, 1954, 333; Canaris, FS Larenz, 1973, 799; Ellger, Bereicherung durch Eingriff, 2002; Flume, NJW 84, 464; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988; Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsanspruchs, 1936; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 2. Aufl. 1997; S. Lorenz, JuS 2003, 729, 839; v. Lübtow, Beiträge zur Lehre von der condictio nach römischem und geltendem 1 Der 15. Abschnitt wurde für die 8. Auflage dieses Lehrbuchs von Josef Drexl neu gestaltet, für die 9. Auflage von Fikentscher durchgesehen und für die 10. Auflage von Fikentscher und Heinemann überarbeitet.

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§ 102 I 2

Ungerechtfertigte Bereicherung

Recht, 1952; ders., FS Jur. Fak. der Freien Universität Berlin zum 41. DJT in Berlin, 1955, 119; Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse: Delikts- und Schadensrecht, Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag, 4. Aufl. 2003; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §§ 1–3, 10–13; Schall, Leistungskondiktion und sonstige Kondiktion, 2003; Schlechtriem, P., JZ 84, 409 und 555; Schwarz, Günter Chr., Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2003; Schwerdtner, Jura 82, 192; 255; 309; Stathopoulos, FG Sontis, 1977, 203; Wieling, Bereicherungsrecht, 3. Aufl. 2004; Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung nach österreichischem und deutschem Recht, 1934; Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung als Grundlagen und Grenzen des Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung, 1973; Wolf; J., Der Stand der Bereicherungslehre und ihre Neubegründung, 1980.

I. Grundzüge des Bereicherungsrechts 1. Grundgedanken der gesetzlichen Regelung 1420

Es ist zweifelhaft, ob den §§ 812ff überhaupt ein allgemeiner Grundgedanke derart entnommen werden kann, dass ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen generell rückgängig zu machen sind. Die in den §§ 812 bis 822 geregelten Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (sog. „Kondiktionen“) haben jedenfalls unterschiedliche gemeinrechtliche Ursprünge und betreffen sehr verschiedenartige Fälle; zu den römischrechtlichen und gemeinrechtlichen Ursprüngen des Bereicherungsrechts vgl. Reuter/ Martinek, S. 4ff. So steht z. B. die allgemeine Grundregel des § 812 II in ihren beiden Alternativen wenigstens zum großen Teil auf einer Stufe mit § 346, regelt also insoweit ein gesetzlich anderweitig veranlasstes Rückgewährschuldverhältnis. Dagegen betrifft § 812 I 2 in beiden Alternativen Fälle, die etwa auf einer Ebene mit §§ 119 II,321,779 stehen. Und die zwei Fälle des § 812 I 1 unterscheiden sich selbst wieder untereinander durch das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Leistungsbeziehung. Die Feststellung, das Bereicherungsrecht diene dem billigen Ausgleich rechtswirksamer Vermögensverschiebungen, denen der rechtfertigende Grund fehle 2, bleibt als kleinster gemeinsamer Nenner zu allgemein. Für den Rechtsanwender ist es vielmehr erforderlich, zwischen den verschiedenen Bereicherungsansprüchen zu unterscheiden. 2. Die bereicherungsrechtlichen Theorien

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Angesichts der Wesensverschiedenheit der bereicherungsrechtlichen Fälle war und ist erneut die Existenz mehrerer, voneinander zu unterscheidender Bereicherungsansprüche umstritten. Die ältere Einheitslehre ging von einem einheitlichen Bereicherungsanspruch für beide Varianten des § 812 I 1 aus. Sie war Folge des Versuchs, einen gemeinsamen Grundgedanken für das Bereicherungsrecht insgesamt und damit einheitliche Anspruchsvoraussetzungen zu definieren.3 Aus den Worten „auf Kosten“ sollte sich für beide Fälle das Erfordernis der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung ergeben, d. h. Rechtsverlust und -erwerb sollten auf demselben Vorgang beruhen. Diese Auffassung wurde auf der Grundlage der Arbeiten von Wilburg und von Caemmerer (aaO) überwunden. Die Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung war namentlich nicht geeignet, die Drittbeteiligungsfälle befriedigend zu lösen. Sie gab

2 So die sinngemäße Definition des Grundgedankens des Bereicherungsrechts bei Palandt/Sprau Rdn. 2 vor § 812. 3 Aus rechtshistorischer Sicht Reuter/Martinek, S. 22ff m. w. N.

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Grundgedanken und gesetzlicher Aufbau des Bereicherungsrechts

§ 102 II 1

keine eindeutige Antwort darauf, ob etwa in den Anweisungsfällen der Anweisende oder der Angewiesene Bereicherungsgläubiger sein sollte. Wilburg setzte dem Merkmal der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung jenes der Zweckgerichtetheit der Leistung entgegen und grenzte so die Nichtleistungskondiktion von der Leistungskondiktion negativ ab. Ihm folgend unterscheidet die heute herrschende Trennungslehre deutlich zwischen den einzelnen Bereicherungstatbeständen der Leistungs- und Nichtleistungskondiktion. Die Rechtsprechung folgt der Trennungslehre seit dem Elektrogerätefall (BGHZ 40, 272). Doch verstärkte sich in jüngerer Zeit auch wieder die Tendenz zu einer Einheitsbetrachtung.4 Die dabei anzutreffenden Auffassungen haben mit der älteren Einheitstheorie eines gemeinsam. Sie machen den jeweils von ihnen festgestellten Grundgedanken des Bereicherungsrechts zur Voraussetzung für den Kondiktionsanspruch. Dies kann aber kaum zu befriedigenden Ergebnissen in der Praxis führen, unterscheiden sich doch die einzelnen von § 812 I 1 BGB geregelten Lebenssachverhalte erheblich voneinander. Darüber hinaus wird die Kondiktion im Drei- und Mehrpersonenverhältnis erst nach Klärung des Leistungsbegriffs in befriedigender Weise verständlich. Die Trennungslehre hat sich dagegen in der Praxis bewährt.

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II. Die Einteilung der Bereicherungsansprüche 1. Der gesetzliche Aufbau Die grundsätzliche Unterscheidung von Leistungs- und Nichtleistungskondiktion kommt im Gesetz nur unzureichend zum Ausdruck. Trotzdem sind alle geregelten Ansprüche als Sonderfälle der einen oder anderen Kondiktionsart eindeutig zu identifizieren. a) § 812 I 1 Alt. 1 regelt mit der condictio indebiti den wichtigsten Fall der Leistungskondiktion. Sie führt zur Rückforderung des aufgrund vermeintlicher Schuld Geleisteten. Der Kaufvertrag zwischen V und dem 15-jährigen K ist nichtig. Dennoch übereignet V an K. Die Übereignung ist wirksam, § 107. V kann nach Bereicherungsrecht die Rückübereignung verlangen.

b) § 812 I 1 Alt. 2 bildet die Generalklausel der Nichtleistungskondiktion. Hierzu zählt folgender Fall: Der Verwahrer eines Autos benutzt dieses gegen den Willen des Eigentümers zu eigenen Zwecken und greift damit in die fremde Rechtszuständigkeit ein (Fall der Eingriffskondiktion). Der Verwahrer ist um den Wert der Nutzung des Kfz ungerechtfertigt bereichert, zumindest wenn er sich notwendige Aufwendungen erspart (u. Rdn. 1439 ff).

c) § 812 I 2 betrifft Fälle, in denen eine Rückabwicklung von mit Rechtsgrund erbrachten Leistungen aufgrund nachträglich eingetretener Veränderungen erfolgt. Im ersten Fall ist der Rechtsgrund, die sog. causa, nach der Leistung entfallen (condictio ob causam finitam). Im zweiten Fall tritt der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht ein (condictio ob rem = condictio causa data causa non secuta). Die Diebstahlsversicherungssumme kann zurückgefordert werden, wenn sich die gestohlene Sache wieder findet, RGZ 108, 122 (ob causam finitam). Ein Wechsel, der zur Deckung einer Kaufsumme

4 Ernst Wolf, SchuldR II, S. 412 ff vertritt eine Rückkehr zum Unmittelbarkeitsbegriff; Kellmann, Grundsätze der Gewinnhaftung, 1969, S. 100 und 108, glaubt im Fehlen eines rechtserheblichen Willens das einheitliche Merkmal gefunden zu haben. Eine Übersicht über sonstige Einheitstheorien findet sich bei Joachim Wolf, aaO.

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Ungerechtfertigte Bereicherung

ausgestellt wird, kann zurückgefordert werden, wenn der Kaufvertrag nicht zustande kommt, RGZ 56, 320 (condictio ob rem).

d) § 813 I 1 gibt einen Bereicherungsanspruch, wenn die Leistung unter Berufung auf eine dauernde Einrede hätte verweigert werden können. A leistet aufgrund eines abstrakten Schuldanerkenntnisses, das er ohne rechtlichen Grund eingegangen ist. Nach §§ 821, 812 II hätte er die Leistung verweigern können. Nach § 813 I 1 ist er zur Rückforderung berechtigt.

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e) § 816 regelt drei Fälle der Bereicherung wegen wirksamer Verfügung eines Nichtberechtigten. § 816 I 1: Der Nichtberechtigte verfügt nach § 932 oder § 892 wirksam gegen ein Entgelt. Er schuldet dem geschädigten Berechtigten zum Ausgleich das Erlangte. § 816 I 2: Erfolgte die Verfügung unentgeltlich, ist Schuldner derjenige, welcher aufgrund der Verfügung unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt, regelmäßig also der gutgläubige Erwerber. § 816 II: Die Leistung an einen Nichtberechtigten ist wirksam, z. B. nach §§ 370, 407, 408 oder 808. Der nichtberechtigte Empfänger muss dem Berechtigten das Erlangte herausgeben; dagegen wird der Zahlende geschützt.

f) § 817 regelt die Bereicherung wegen gesetzes- oder sittenwidriger Annahme einer Leistung (condictio ob iniustam vel turpem causam). Ein Autofahrer mit den Initialen P. P. lässt sich auf der Zulassungsstelle gegen ein „Trinkgeld“ ein Nummernschild „PP“ geben. Der Beamte darf auch für gesetzmäßige Handlungen kein Geld nehmen (Vorteilsannahme nach § 331 StGB). Der Autofahrer kann das Trinkgeld nach § 817 S. 1 zurückfordern. Erlässt der Beamte außerdem auch noch in rechtswidriger Weise die Zulassungsgebühr, entfällt nach § 817 S. 2 der Rückforderungsanspruch, da dann auch der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat (Bestechung nach § 334).

g) § 822 gewährt einen Bereicherungsanspruch wegen unentgeltlichen Empfangs von einem anderen Bereicherungsschuldner. Wendet der oben im Fall f) pflichtwidrig handelnde Beamte und Bereicherungsschuldner gemäß § 817 S. 1 in einer Anwandlung von Reue das „Trinkgeld“ dem Roten Kreuz zu, ist dieses nach § 822 zur Rückzahlung verpflichtet.

2. Die Systematik der Bereicherungsansprüche 1426

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Im Lichte der herrschenden Trennungslehre erweist sich die gesetzliche Regelung als reichlich unsystematisch. Dies beruht auf der unzureichenden dogmatischen Durchdringung der Materie durch das römische und gemeine Recht. Die gebotene und in das Bereicherungsrecht hineinzutragende Systematik hat von der Unterscheidung von Leistungs- und Nichtleistungskondiktionen auszugehen. a) Als besondere Fälle der Leistungskondiktion haben die vor allem wichtige condictio indebiti (§ 812 I 1 Alt. 1), die Leistungskondiktion wegen dauernder Einrede nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 813 I 1, die Leistungskondiktion wegen rechtsgrundloser Anerkennung nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 812 II, die condictio ob causam finitam (§ 812 I 2 Alt. 1), die condictio ob rem (§ 812 I 2 Alt. 2), sowie die condictio ob iniustam vel turpem causam (§ 817 S. 1) zu gelten. Einen allgemeinen Tatbestand der Leistungskondiktion (condictio sine causa) darüber hinaus anzunehmen liegt wegen der generalklauselartigen Natur eines solchen Anspruchs nahe (s. o. Rdn. 1394, 1398). Praktisch hat er geringe Bedeutung als Auffangtatbestand für die von den besonderen Leistungskondiktionen nicht erfassten Fälle. Nach dem Vorbild des römischen und gemeinen Rechts wird als Auffangtatbestand häufig die condictio sine causa nach § 812 I 1 genannt, die sonstige Fälle der Leistungskondiktion erfassen soll.

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Grundgedanken und gesetzlicher Aufbau des Bereicherungsrechts

§ 102 II 2

Im Bereich der Leistungskondiktion sollen – nach dem gemeinrechtlichen Vorbild – mit der condictio sine causa die Fälle der vollkommenen Nichtschuld erfasst werden; vgl. die ausführliche Darstellung des Problems bei Reuter/ Martinek, S. 126 ff. Die condictio sine causa zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es nicht um die bloße technische Rückabwicklung gescheiterter Verträge geht. Vielmehr setzt sie einen materiellen Widerspruch zur rechtlich gebotenen Güterzuordnung voraus. Sie ist daher eine materielle Leistungskondiktion (zur Unterscheidung zwischen technischer und materieller Leistungskondiktion oben Rdn. 1394). Der moderne Leistungsbegriff in der von der h. M. und Rechtsprechung vertretenen Form macht jedoch für die Rechtsanwendung eine Differenzierung zwischen condictio indebiti (technische Leistungskondiktion) und der condictio sine causa (Unterfall der materiellen Leistungskondiktion) weitgehend entbehrlich. Zum Gutachten genügt für die Feststellung der unberechtigten Bereicherung, dass auf Erhalt der Leistung kein Anspruch bestand; ebenso die inzwischen wohl h. M. Reuter/Martinek, S. 128; Medicus, BürgR, Rdn. 702. Reuter/Martinek, S. 128, sprechen allerdings, wo die alte condiction sine causa als materielle Leistungskondiktion infrage steht, von der condictio indebiti im weiteren Sinne. Man könnte diesen Auffangtatbestand auch „offene Leistungskondiktion“ nennen. Dafür spricht, dass auch die Nichtleistungskondiktion einen solchen Auffangtatbestand kennt (u. Rdn. 1428 a. E.).

b) Ausgangspunkt der Nichtleistungskondiktion ist der Tatbestand des § 812 I 1 Alt. 2 (Bereicherung in sonstiger Weise). Die Nichtleistungskondiktion erfasst ihrem Namen entsprechend alle Kondiktionen, bei denen es an einer Leistungsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner des Bereicherungsanspruchs fehlt. Naturgemäß gibt es daher sehr unterschiedliche Fälle der Nichtleistungskondiktion. Wichtigster, aber bei weitem nicht einziger Fall ist die Eingriffskondiktion. Der Bereicherungsschuldner haftet auf Rückgewähr, weil er durch Eingriff in eine fremde Rechtsposition etwas erlangt hat. § 816 I 1 enthält insoweit für den Fall der wirksamen Verfügung eines Nichtberechtigten eine gegenüber § 812 I 1 Alt. 2 speziellere und damit vorgängige Regelung. Eine weitere Untergruppe der Nichtleistungskondiktion bildet die sog. Drittvermögenskondiktion, wobei zwischen der Rückgriffs- und der Drittempfängerkondiktion unterschieden werden kann. Bei der Rückgriffskondiktion begleicht etwa V als Dritter die Schuld seines Sohnes S gegenüber G, wodurch die Forderung G gegen S erlischt, §§ 362 I, 267 I. Der Rückgriff des D gegen S richtet sich nach § 812 I 1 Alt. 2, soweit es zwischen ihnen an einer Leistungsbeziehung (z. B. Schenkungsversprechen) fehlt. Die Drittempfängerkondiktion setzt eine befreiende Leistung des Schuldners an einen Dritten voraus. Ist der Dritte zur Einziehung nicht berechtigt, liegt der gesetzlich geregelte Fall des § 816 II vor. Im Übrigen, das heißt bei befreiender Leistung nach §§ 362 II, 185, ergibt sich ein Anspruch des Gläubigers gegen den Dritten aus § 812 I 1 Alt. 2.

Zur Nichtleistungskondiktion gehört auch die sog. Verwendungskondiktion. Eine solche kann etwa in den Einbaufällen §§ 951, 946 gegeben sein, wenn es an einer Leistungsbeziehung zwischen einbauendem Unternehmer und Grundstückseigentümer fehlt. Von besonderem Interesse ist die Fallgruppe der Durchgriffskondiktion. Diese knüpft wie die Drittvermögenskondiktion und in nicht wenigen Fällen auch die Verwendungskondiktion an Dreipersonenverhältnissen an. Die Durchgriffskondiktion stellt dabei eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass der durch Leistung Bereicherte nur gegenüber jener Person zur Rückgewähr verpflichtet ist, die die Leistung ihm gegenüber erbracht hat. Gesetzliche Sonderfälle sind die §§ 816 I 2, 822. Ansprüche können aber auch direkt auf § 812 I 1 Alt. 2 gestützt werden, unten Rdn. 1498ff. Ausnahmen vom Grundsatz der Rückabwicklung im jeweiligen Leistungsverhältnis ergeben sich aus der Natur des Bereicherungsrechts als Billigkeitsordnung unter besonderer Beachtung des § 242. Nach der Rechtsprechung kann die bereicherungsrechtliche Abwicklung im Dreipersonenverhältnis nur unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalles erfolgen.

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§ 103

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Ungerechtfertigte Bereicherung

Neben diesen durch gemeinsame Merkmale identifizierbaren Nichtleistungskondiktionen sind, der Natur der Nichtleistungskondiktion als Auffangtatbestand entsprechend, weitere Fälle denkbar; vgl. das Beispiel des Geschäftsunfähigen, der unwirksam Geleistetes nach Bereicherungsrecht zurückverlangt, unten Rdn. 1508. Entsprechend der oben Rdn. 1398 dargestellten Systematik handelt es sich um Bereicherungsansprüche zur Wahrung der Vermögenszuordnung im allgemeinen. Deshalb erscheint es sinnvoll, in diesem Zusammenhang von der Allgemeinen Vermögenskondiktion (oder: offenen Nichtleistungskondiktion) zu sprechen. Danach können stichpunktartig folgende Bereicherungsfälle unterschieden werden: (1) Leistungskondiktionen (a) condictio indebiti (Kondiktion wegen Nichtschuld) § 812 I 1 Alt. 1 (b) Leistungskondiktion nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 813 I 1 (c) Leistungskondiktion nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 812 II (d) condictio ob causam finitam (Kondiktion wegen beendeten Rechtsgrundes), § 812 I 2 Alt. 1 (e) condictio ob rem (Kondiktion wegen Nichteintritt des bezweckten Erfolgs), § 812 I 2 Alt. 2 (f) condictio ob iniustam vel turpem causam (Kondiktion wegen verbotenem oder sittenwidrigem Rechtsgrund), § 817 S. 1 (g) condictio sine causa als Auffangtatbestand (offene, oder materielle, Leistungskondiktion). (2) Nichtleistungskondiktionen (a) Eingriffskondiktion (b) Rückgriffskondiktion (c) Drittempfängerkondiktion (d) Verwendungskondiktion (e) Durchgriffskondiktion (f) allgemeine Vermögenskondiktion als Auffangtatbestand (offene Nichtleistungskondiktion)

§ 103 Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen v. Caemmerer, FS Rabel, 1954, 333; ders., FS Boehmer, 1954, 154; ders., FS Lewald, 1953, 443; ders., FS Dölle, 1963, 135; ders., SJZ 50, 646; ders., JZ 62, 385; Canaris, BB 72, 774; ders., FS Larenz, 1973, 799; Dawson, John P., Unjust Enrichment, 1951; Flume, JZ 2002, 321; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988; Kunisch, Die Voraussetzungen für Bereicherungsansprüche in Dreiecksverhältnissen, 1968; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §§ 4–6; Rothoeft, AcP 163 (1963), 215; Scheyhing, AcP 157 (1959) 371; Schlechtriem, JZ 88, 854; Stampe, AcP 110 (1913), 119; Teichmann, JuS 72, 247; Weitnauer, NJW 74, 1729; ders., FS v. Caemmerer, 1978, 255; ders., NJW 79, 2008; Westermann, H. P., Die causa im französischen und deutschen Zivilrecht 1967; ders., JuS 68, 17 (für weiteres Schrifttum vgl. oben § 101 vor I). Schwerpunktmäßig zu I (Leistungskondiktion) Batsch, NJW 73, 1639; Bufe, AcP 157 (1958), 215; Canaris, WM 81, 978; Dauner, JZ 80, 495; Fabricius, JZ 63, 385; Honsell, H., Die Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Geschäfte, 1974; Klinke, Causa und genetische Synallagma, 1983; Kohler, VersR 88, 563; Kohte, BB 88, 633; Liebs, JZ 78, 697; Medicus, GS Dietz, 1973, 61; Niederländer, FG Gutzwiller, 1959, 621; Raiser, L., JZ 51, 718; Reeb, JuS 73, 367; Rumpf, AcP 117 (1919), 315; Scheel, Die Entwicklung des Rechtsgrundbegriffs bei den Leistungskondiktionen, 1989; Schnauder, Grundfragen zur Leistungskondiktion bei Drittbeziehungen, 1981; ders., AcP 187 (1987), 142; Simshäuser, AcP 172 (1972), 19; Söllner, AcP 163 (1963), 20; Stolte, JZ 90, 220; Weber, JZ 89, 25; Welker, Bereicherungsausgleich wegen Zweckverfehlung?, 1974.

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 I 1

Schwerpunktmäßig zu II (Nichtleistungskondiktion) Beuthien, JuS 87, 841; Bornemann, BB 69, 924 (zu Feiler); Brandner, GRUR 80, 359; Denck, JZ 87, 127; Dörner, NJW 90, 473; Ellger, Bereicherung durch Eingriff, 2002; Feiler, Aufgedrängte Bereicherung bei den Verwendungen des Mieters und Pächters, 1968; Fikentscher, AcP 190 (1990), 34, 76; Flume, NJW 84, 464; ders., NJW 87, 635; Grunsky, JZ 62, 207; ders., JR 71, 361; Günther, J.-J., AcP 178 (1978), 456; Hadding, JZ 66, 222; Haines, Bereicherungsansprüche bei Warenzeichenverwertung und unlauterem Wettbewerb, 1969; Hoepffner, GRUR 72, 237; Huber, U., JuS 70, 342; 515; Hüffer, Die Eingriffskondiktion, JuS 81, 263; Jakobs, H. H., Eingriffserwerb und Vermögensverschiebung, 1963; ders., AcP 167 (1967), 350; Kurz, I., Der Besitz als möglicher Gegenstand der Eingriffskondiktion, 1969; Larenz, FS v. Caemmerer, 1978, 209; Lorenz, W., FS Serick, 1992, 255; Mestmäcker, JZ 58, 521; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983; Schlechtriem, Güterschutz durch Eingriffskondiktionen, FS König, 1984, 57; Schluep, FS Piotet, 1990, 173; Wolf, Manfred, JZ 66, 467; ders., JZ 68, 414; ders., AcP 166 (1966), 188.

I. Die Leistungskondiktion Es gibt sieben „Arten“ von Leistungskondiktionen: condictio indebiti (1.), peremptorische Einrede (2.), abstrakte Verbindlichkeit (3.), Wegfall der causa (4.), condictio ob rem (5.), Gesetz- oder Sittenwidrigkeit (6.) und condictio sine causa als Auffangtatbestand (7.). 1. Voraussetzungen des Anspruchs nach § 812 I 1 Alt. 1 („in debiti“) Der Anspruch nach § 812 I 1 Alt. 1 ist gegeben, wenn der in Anspruch genommene Schuldner durch (a) Leistung des Anspruchstellers (b) auf dessen Kosten (c) etwas erlangt hat und (d) die Leistung ohne rechtlichen Grund erfolgte. a) Der Anspruch setzt eine Leistung voraus, durch die ein Teil in seinen vermögenswerten Gütern ärmer, der andere Teil reicher geworden ist. Unter einer Leistung versteht man eine bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.1 Die Leistung muss mit Willen des Leistenden (bewusst) in Hinblick auf eine bestimmte Schuld (solvendi causa) erfolgen. Die dazu erforderliche Zwecksetzung durch den Leistenden hat nach der Rspr. zumindest rechtsgeschäftsähnlichen Charakter, BGHZ 106, 163 (166); BGH NJW 90, 3194. Sie setzt Geschäftsfähigkeit voraus. Schenkt der 6-jährige A seinem gleichaltrigen Freund B sein Fahrrad, so kann der Besitz nicht über die Leistungskondiktion zurückgefordert werden, da es mangels Geschäftsfähigkeit des A an einer Leistung fehlt (a. A. Larenz/Canaris II/2 S. 134: die Besitzkondiktion des Geschäftsunfähigen ist Leistungskondiktion, da natürlicher Wille ausreicht). Jedenfalls greift aber der Anspruch aus § 985. Zur Kondiktion bei einer Anweisung durch einen Geschäftsunfähigen vgl. unten Rdn. 1502. Der Leistungsbegriff der h. M. ist vor allem vor dem Hintergrund des Postulats der Privatautonomie zu verstehen; vgl. v. Caemmerer, FS Rabel, S. 350f; Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 5 zu § 812. Sie bestimmt sowohl den Inhalt der Leistung als auch die Person des Leistenden. Hieraus folgt: Der Sinn des Leistungsbegriffs ist, Gläubiger und Schuldner des Bereicherungsanspruchs so genau wie möglich zu bestimmen. Bei den Nichtleistungskondiktionen (u. II.) ist dies nicht möglich, so dass andere Bestimmungsfaktoren herangezogen werden müssen.

1 So die ständige Rspr. seit BGHZ 40, 277 = ESJ 110 und 117 – Elektroherde – im Anschluss an Esser, § 189, 6; BGHZ 54, 184 (188); 72, 246 (248); vgl. auch Reuter/Martinek, S. 80ff; zum Leistungsbegriff aus neuerer Zeit Beuthien, JuS 87, 841; Schnauder, AcP 187 (1987), 142; Stolte, JZ 90, 220. Es empfiehlt sich, die obige kursiv gedruckte Formulierung auswendig zu lernen und in der Klausur niederzuschreiben oder wenigstens anzudeuten.

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aa) Bewusstsein und Zweckrichtung müssen zumindest beim Leistenden gegeben sein. Ein Geschäftsunfähiger kann keine Leistungszwecke setzen, so dass Leistungskondiktion ausscheidet und nur Nichtleistungskondiktion greift, BGHZ 111, 382 – Bankdarlehen –; a. A. Canaris II/2, S. 134. bb) Der Empfänger muss Leistung, Leistungsbewusstsein und Zweckbestimmung des Leistenden erkennen können; Baur/Wolf, S. 395 m. w. A. Damit entscheidet die Sichtweise des Empfängers, nicht die des Leistenden, an wen und mit welcher Zweckbestimmung geleistet wurde, wenn Leistungsrichtung oder Zweckbestimmung zweifelhaft sind. Die Grundgedanken der §§ 133, 157 über die Auslegung von Willenserklärungen finden entsprechende Anwendung, BGHZ 40, 278, – Elektroherde –; vgl. auch Canaris, FS Larenz (1973), 827 m. w. A. Zahlt der Käufer eines Grundstücks, der in Anrechnung auf den Kaufpreis eine Grundschuld übernommen hat, vor Genehmigung der Schuldübernahme (s. o. Rdn. 756) durch den Grundschuldgläubiger an diesen Zinsen, so tut er dies aus dessen Sicht für den bisherigen Schuldner, „leistet“ also nicht i. S. v. § 812 I 1 Alt. 1. Wird die Genehmigung dann verweigert und tritt der Käufer deshalb zurück, so kann er deshalb nicht die Zinsen vom Grundschuldgläubiger als ungerechtfertigte Bereichetlung zurückverlangen; BGHZ 72, 246, – Hotel –. Er muss sich an den Verkäufer halten. cc) Desgleichen entscheidet allein die Sicht des Empfängers über die Person des Leistenden. Bestellt B beim Unternehmer U die Errichtung eines schlüsselfertigen Hauses und bezieht U Baumaterial von D im Namen des B, aber ohne entsprechende Vollmacht, kann D nach Einbau keinen Wertersatz von B nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 818 II verlangen. Aus der Sicht des B handelt es sich ausschließlich um eine Leistung des U.2 dd) Darüber, ob eine Leistung vorliegt, entscheidet jedoch allein die Sicht desjenigen, der eine Vermögenseinbuße erleidet. Ein Dieb stiehlt dem klagenden Landwirt L 2 Jungbullen und verkauft sie an den gutgläubigen Fleischfabrikanten F, der sie verwertet. Für die Frage, ob F dem L aus § 812 I 1 Alt. 1 haftet, kommt es darauf an, ob ihm die Jungbullen geleistet worden sind. Diese Frage hat der BGH in der Jungbullen-Entscheidung verneint, da aus der Sicht des L nicht geleistet worden ist, sondern ihm die Bullen abhanden kamen, § 935; BGHZ 55, 176, – Jungbullen – mit Anm. Ehmann, NJW 71, 612 s. a. Rdn. 1468.

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b) Die Leistung muss auf Kosten des Leistenden geschehen und auf diese Weise zur Erlangung eines Vermögensvorteils des Bereicherten führen.3 Aufgrund des modernen Leistungsbegriffs ist zur Ausfüllung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen der älteren Lehre eine „Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung“ nicht mehr erforderlich. Das Merkmal „auf Kosten“ hat damit für die Leistungskondiktion seine eigenständige Bedeutung verloren. Zu prüfen ist allein das Merkmal der Leistung. aa) Nach der früheren Lehre von der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung mussten Einbuße und Bereicherung ohne Umweg über ein fremdes Vermögen entstanden sein (nach Larenz auch: „Einheitlichkeit des Bereicherungsvorgangs“). Die frühere Meinung vertrat damit eine einschränkende Auslegung des mehrsinnigen Gesetzeswortlauts, nämlich im Sinne von „unmittelbar auf Kosten“.4

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Die Aufgabe des Merkmals der „unmittelbaren Vermögensverschiebung“ ist überwiegend wirtschaftlich durch das Aufkommen des modernen bargeldlosen Zahlungsverkehrs begründet. Die Zwischenschaltung der Bank zwischen Leistenden und Leistungsempfänger hatte ohne Einfluss auf die bereicherungsrechtliche Beurteilung zu bleiben. Die Lehre von der unmittelbaren Vermögensverschiebung musste sich hier mit der – terminologisch missglückten – „indirekt unmittelbaren Leis-

2 So ausdrücklich BGHZ 36, 30; 40, 272 unter entsprechender Anwendung der §§ 133, 157. Vgl. auch Bauer/Wolf; JuS 66, 395; Reuter/Martinek, S. 455f. 3 „Auf Kosten“ bezieht sich also auch auf die Leistungs-, nicht bloß auf die Nichtleistungskondiktion („in sonstiger Weise“),was sprachlich an sich möglich wäre; einer „Einheitstheorie“ für alle Bereicherungstatbestände bedarf es dazu aber nicht, s. o. Rdn. 1422f. 4 RG JW 11, 401; BGH LM Nr. 14 zu § 812 BGB = ESJ II, 116; BGH NJW 52, 1172; zuletzt BGHZ 36, 31 = ESJ 109 – Idealheim –.

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tung“ behelfen. Im Sinne der Zweckbestimmtheit des finalen Leistungsbegriffs bestehen dagegen keine Zweifel daran, dass nicht die beauftragte Bank oder die Bank des Empfängers die Leistung erbringt, sondern jene Person, die das Überweisungsformular für ihr Konto ausfüllt. Nur sie will aus der Sicht des Empfängers ihm gegenüber eine Schuld erfüllen. Auch die Fälle der Leistungsketten, für die das Erfordernis der Unmittelbarkeit ursprünglich gedacht war, können heute zutreffend über den modernen Leistungsbegriff gelöst werden. Dritte, die mit dem Leistenden nichts zu tun hatten, bleiben unbehelligt, weil sie auf die Wirksamkeit des zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger, ihrem Vordermann, geschlossenen Geschäft vertrauen durften (Ausnahme: § 822). Erwirbt K von V und D von K und ist der Kaufvertrag zwischen V und K nichtig, so kann V auch nach dem modernen Leistungsbegriff nur von K kondizieren, denn aus der Sicht des Leistungsempfängers D wollte V mit seiner Leistung nur eine Schuld gegenüber K erfüllen. Leistungsketten werden durch die vom Standpunkt des Empfängers aus zu betrachtende Zweckbestimmung der Leistung durch den Leistenden verhindert. Dies gilt auch für den für Bereicherungsketten typischen Fall der mittelbaren Stellvertretung bei Nichtigkeit des Hauptgeschäfts: K beauftragt M, als mittelbarer Stellvertreter, d. h. in eigenem Namen, eine Sache von V zu kaufen. V kontrahiert nur mit M und übereignet diesem die Sache. Ist der Kaufvertrag V – M nichtig, kann sich nach dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung V nur an M halten und dies auch dann, wenn Eigentum auf K im Wege eines antizipierten Besitzkonstituts (§ 930) übergegangen ist. Zumindest für eine juristische Sekunde hat M einen Vermögensvorteil unmittelbar von V erhalten. Der moderne Leistungsbegriff führt zum selben Ergebnis. V wollte nur M gegenüber eine Schuld erfüllen und nur auf dessen Kreditwürdigkeit hat er vertraut. Ist M nach Übereignung an K mangels Vermögens nicht in der Lage, Wertersatz nach § 818 II zu leisten, kann V nicht gegen K vorgehen. Es wäre unbillig, jetzt, wo sich die Zahlungsunfähigkeit des M gezeigt hat, dem V den Durchgriff gegen K zu gestatten und sich einer „Bereicherungskette“ zu bedienen. „Wo Du Deinen Glauben gelassen hast, da sollst Du ihn suchen.“ (Vgl. auch H. P. Westermann, JuS 68, 17.)

bb) Der Leistungsbegriff ist im Grundsatz auch zur Lösung der sog. Anweisungsfälle geeignet, für die die Lehre von der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung eine Ausnahme in Form der „indirekten Leistungen“ zulassen musste. In diesen Fällen wird ein fremdes Vermögen lediglich rechnerisch, aber nicht wirtschaftlich erfasst. Die grundsätzliche Tauglichkeit des Leistungsbegriffs zur Lösung von bereicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnissen lässt sich insbesondere am Beispiel der angenommenen Anweisung zeigen. Der Angewiesene befreit sich mit der Leistung nicht nur von der Schuld im Deckungsverhältnis, sondern auch von seiner Verpflichtung gegenüber dem Anweisungsempfänger nach § 784. Trotz des Entstehens einer weiteren Verpflichtung nach § 784 zwischen Angewiesenem und Anweisungsempfänger durch die Annahme versagt die kondiktionsbestimmende Funktion des Leistungsbegriffs nicht, denn die Annahme führt weder zu einer Veränderung des Valuta- noch des Deckungsverhältnisses. Dies gilt selbst dann, wenn die Annahmeerklärung fehlerhaft sein sollte. Zahlt eine Bank mangels Ermächtigung im Deckungsverhältnis, z. B. weil das Konto gesperrt wurde, irrtümlich an den Schecknehmer aus, kann sie nur gegenüber dem Anweisenden, d. h. im Deckungsverhältnis, kondizieren.5 Stellt S seinem Gläubiger G einen Scheck aus, und löst dieser ihn bei der Bank B des S ein, oder überweist S über B Geld an G, so besteht eine Leistungsbeziehung des G nur im Verhältnis zu S (Valutaverhältnis), obwohl die Auszahlung unmittelbar aus dem Vermögen der B erfolgte. B als Angewiesene will ihrerseits mit der Auszahlung lediglich eine Verpflichtung gegenüber dem

5 OLG Köln NJW 83, 1500 = JuS 83, 717 (Anm. K. Schmidt); ähnlich BGHZ 66, 362; 66, 372; 67, 75; 87, 246 u. 393 (krit. Flume, NJW 84, 464). Für Lastschriftverfahren gilt nichts anderes, BGH 69, 186 (189).

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Anweisenden S erfüllen (Deckungsverhältnis); am Valutaverhältnis ist B wirtschaftlich nicht interessiert. Mit Einlösung des Schecks, mit Gutschrift auf dem Konto des Empfängers, hat S seine Leistung gegenüber G erbracht. Fehlt es im Valutaverhältnis an einem Rechtsgrund, kommt es zur Kondiktion S gegen G, obwohl die Bank dazwischengeschaltet ist.6 Nicht viel anders liegt es, wenn die Bank nicht nur zahlungsvermittelnde Zwischenposition, sondern am Anweisungsverhältnis Schuldner, Bank und Gläubiger mit eigenen wirtschaftlichen Interessen beteiligt ist. Hat A Schulden bei C, und weist A seine ihm Kredit gebende Bank B an, die Valuta gleich an C auszuzahlen, so liegt ebenfalls ein Anweisungsverhältnis vor. Die h. M. wickelt aber Deckungs- und Valutaverhältnis im Falle von deren Unwirksamkeit getrennt in den einzelnen Leistungsverhältnissen ab, auch bei Doppelmangel. Das ist konsequent: Es handelt sich um getrennte Leistungsverhältnisse. Nur aus dem Schutzzweck der Nichtigkeitsnorm im Valutaverhältnis kann sich ausnahmsweise eine Direktkondiktion ergeben, OLG Hamburg EWiR § 812 BGB 2/90, 771 (Mülbert). Der Leistungsbegriff allein kann aber nicht alle Fälle, an denen mehrere beteiligt sind, zufriedenstellend lösen. Dies hat der BGH im Anschluss an v. Caemmerer mehrfach betont.7 Unter anderem auch deshalb wird der Leistungsbegriff der herrschenden Lehre mittlerweile unter verschiedenen Aspekten angegriffen. Canaris (I.) FS Larenz (1973), 799 ff, sieht den modernen Leistungsbegriff in gewissem Widerspruch zu den allgemein anerkannten Wertungsgesichtspunkten. So müsse jeder das Einwendungsund Insolvenzrisiko hinsichtlich des Partners tragen, mit dem ihn ein mangelhaftes Kausalverhältnis verbindet. Andererseits dürfe niemandem das Einwendungs- und Insolvenzrisiko hinsichtlich einer Person aufgebürdet werden, mit der er keinerlei Beziehung angeknüpft hat. Canaris bestimmt daher die Kondiktionsverhältnisse nach dem Grundsatz der Risikozurechnung und dem Gedanken des Verkehrs- und Vertrauensschutzes. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Der daraus abgeleitete Schluss auf die ausschließliche Rückabwicklung im jeweiligen fehlerhaften Kausalverhältnis entspricht der auch hier vertretenen herrschenden Lehre. In welchen Fällen ein Mangel an Vertrauensschutz auf seiten des Dritten oder ein Zurechnungsmangel auf seiten der Parteien eine Durchbrechung dieses Grundsatzes gebietet, bedarf auch bei Canaris ((I.) FS Larenz, S. 828ff) der Konkretisierung in Fallgruppen. Das besondere am Lösungsansatz von Canaris ist hier die Verlagerung der Zurechnungsund Vertrauensproblematik vom Leistungsbegriff hin zur späteren Frage der Entreicherung nach § 818 III. Canaris hat diese Überlegungen mit zwei weiteren Schritten vertieft: In Larenz/Canaris II/2 (1994) wird der Leistungsbegriff zu Recht durch das Merkmal der Zweckgerichtetheit unter Bezug auf ein intendiertes Kausalverhältnis (S. 132) definiert (S. 133), so dass das Fehlen eines Rechtsgrundes stets in Übereinstimmung mit den zugehörigen Erfüllungsvorgängen zu sehen ist. Daraus ergibt sich dann eine Distanzierung zum Leistungsbegriff, ausgedrückt mit den Worten, dass der Leistungsbegriff als dogmatisches Zentralkriterium durch den kondiktionsauslösenden Mangel zu ersetzen sei (S. 249). Aus diesen Überlegungen jedoch einen Abschied vom Leistungsbegriff zu fordern, erscheint aber nicht gerechtfertigt.8 Auch Canaris will nicht so weit gehen, Larenz/Canaris II/2 (S. 129: Trennung in Leistungs- und Nichtleistungskondiktion; S. 142: Leistung als bewusste zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens; S. 337 ff: Leistungsbegriff als Faustformel). Außerdem käme eine Ersetzung des Leistungsbegriffs als dogmatischen Zentralbegriffs durch das Merkmal des „kondiktionsauslösenden Mangels“ (S. 249) einer petitio principii recht nahe (Kondiktionsauslösung löst Kondiktion aus) und

6 v. Caemmerer, JZ 62, 385. 7 BGHZ 50, 229; 62, 289. Im Gegensatz zum BGH ist aber weniger auf die Besonderheiten des einzelnen Falles zu achten, als vielmehr die Erfassung typischer Fallgruppen anzustreben. 8 Köndgen, FG Esser, S. 65 ff; Stolte, JZ 90, 220; einen Abschied vom Leistungsbegriff fordert auch Harder, JuS 79, 76.

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stünde i. Ü. in teilweisem Widerspruch zu der S. 133 zu Recht geforderten „Übereinstimmung mit den zugehörigen Erfüllungsvorgängen“.

cc) Mit der Frage, in welchen Fällen der Grundsatz der Rückabwicklung im Leistungsverhältnis zu durchbrechen und der „Durchgriff“ zuzulassen ist, verlässt man allerdings grundsätzlich die Voraussetzung Leistungskondiktion. Der sog. Durchgriffskondiktion liegt im Allgemeinen gerade kein Leistungsverhältnis zugrunde: Überweist die Bank B versehentlich einen höheren als den im Überweisungsformular des S angegebenen Betrag auf das Konto des G, so will B damit lediglich eine Schuld gegenüber S erfüllen. Die u. U. zulässige Durchgriffskondiktion der B gegen G ist danach ein Sonderfall der Nichtleistungskondiktion und soll an gegebener Stelle behandelt werden (s. unten Rdn. 1496 ff). Anders aber liegt es beim Werklohndurchgriff im Werkverschaffungsvertrag: Die Benennung eines Substituten für die Verschaffung des versprochenen Werkes stellt eine Leistungsbeziehung her (Rdn. 1503). c) Der Bereicherte muss drittens etwas erlangt haben. Er muss selbst bereichert sein; BGHZ 82, 243, – mitverpflichteter Ehegatte beim Ratenkauf –. Dabei handelt es sich um den Leistungsinhalt, d. h. die verbesserte Vermögenslage des Bereicherten durch die Leistung. Gegenstand des Erlangten kann jeder vermögenswerte Vorteil sein, so z. B. die Befreiung von einer Verbindlichkeit, die Ersparnis von Aufwendungen, die Erlangung mittelbaren oder unmittelbaren Besitzes. Dagegen kann nach h. M. eine bloße Nutzungsmöglichkeit nicht als erlangt angesehen werden:

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In BGHZ 55, 128 – Flugreisefall – war ein Minderjähriger schwarz von Hamburg nach New York geflogen. Nach h. M. liegt eine herausgabefähige Bereicherung nur vor, wenn ein Nutzungsempfänger sich notwendige Aufwendungen erspart hat (RGZ 97, 310; RG JW 1932, 1044; BGHZ 20, 270). Da es sich für den Minderjährigen um eine Luxusaufwendung gehandelt hat, wäre er nach § 818 III nicht bereichert. Der BGH kam trotz konsequenter Anwendung seiner Auffassung zu einem Anspruch über §§ 818 IV, 819 (vgl. unten Rdn. 1529). Abweichend von der h. M. ist bei der Ziehung von Nutzungen, z. B. in der Form von Beförderungsleistungen, nicht notwendig das Erlangte in der Ersparnis von Aufwendungen zu sehen. Im Grundsatz steht nichts entgegen, die erbrachte Nutzung, oder bei der Leistungskondiktion die erbrachte Dienstleistung, als Erlangtes anzusehen. So auch Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 71 zu § 812, m. w. A., der diese Auffassung als im Vordringen bezeichnet. Es ist lediglich genau zwischen dem Erlangten und dem Bereicherungsgegenstand nach § 818 zu unterscheiden. Erbringt S gegenüber G eine Dienstleistung oder räumt S dem G ohne Rechtsgrund eine Nutzung ein, so hat G die Dienstleistung bzw. die Nutzung i. S. d. § 812 I 1 Alt. 1 erlangt. Nach § 818 II muss G hierfür nur Wertersatz leisten, da die Herausgabe des Erlangten schon mit Leistungserbringung unmöglich geworden ist. Nach § 818 III ist im Grundsatz der Leistungsempfänger als entreichert anzusehen, da der Wert der Leistung mit der Annahme sofort aufgebraucht wird (so auch im Flugreisefall). Eine wesentliche Ausnahme im Rahmen des § 818 III gilt jedoch dann, wenn sich der Leistungsempfänger Aufwendungen erspart hat, weil er eine entsprechende Leistung auf jeden Fall entgeltlich in Anspruch genommen hätte. Zum Nutzungsersatz gemäß § 818 I vgl. unten Rdn. 1511. Nutzungen werden durch § 100 definiert. Sie sind nicht notwendig identisch mit dem Erlangten: V veräußert an K einen Acker, wobei der Kaufvertrag unwirksam ist. K hat Eigentum erlangt. Nach § 818 I hat er auch die schon eingebrachten, aber noch vorhandenen Früchte als Nutzungen herauszugeben. Andernfalls ist Wertersatz zu leisten, § 818 II.

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d) Nach der vierten Voraussetzung muss die Leistung ohne rechtlichen Grund (besser: ohne rechtfertigenden Grund) erfolgt sein, § 812 I 1. Im Fall der allgemeinen Leistungskondiktion (condictio indebiti) nach § 812 I 1 Alt. 1 ergibt sich das Fehlen des rechtlichen Grundes aus anderen gesetzlichen Vorschriften. Entweder fehlt es an einem gültigen Grundgeschäft, oder, als Unterfall dazu, die Leistung wird auf eine nicht bestehende Verbindlichkeit hin erbracht.

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aa) Fehlen eines gültigen Grundgeschäfts Beispiele: (1) V verkauft und übereignet dem K ein Auto. Im Kaufvertragsformular wird aber der Kaufpreis offengelassen, dieser soll später vereinbart werden. Eine Einigung kommt nicht zustande. Nach §§ 145ff, 154 I fehlt es an einem wirksamen Kaufvertrag. Die Übereignung ist dagegen wirksam und K damit i. S. d. § 812 I 1 Alt. 1 um das Eigentum ungerechtfertigt bereichert. (2) A tritt an Z eine dubiose Forderung nach § 398 ab. Der Kaufvertrag wird jedoch erst zu einem späteren Termin festgelegt, zu dem A bereits unerkannt geisteskrank ist. Z schuldet A die Rückübertragung der Forderung, da nach §§ 433 I 2, 104 Nr. 2 ein wirksamer Kaufvertrag (causa) nicht besteht. (3) A, B und C begründen ein Preiskartell und tauschen untereinander Geschäftspapiere aus. Das Kartell ist nach §§ 1 GWB, 134 BGB nichtig. Der Besitz an den Papieren ist als ungerechtfertigte Bereicherung zurückzuübertragen. Zur Anwendung des § 817 S. 2 für den Anspruch nach § 812 I 1 Alt. 1 vgl. unten Rdn. 1462. (4) Zur Frage, ob ein schwebend unwirksames Rechtsgeschäft einen Rechtsgrund abgibt, siehe BGHZ 65, 123.

bb) Erfüllung einer nicht bestehenden Verbindlichkeit Beispiele: A zahlt an B, den er irrtümlich für seinen Gläubiger hält, während in Wahrheit C Gläubiger ist. – X glaubt irrtümlich, mit Y ein Darlehen vereinbart zu haben, und zahlt ihm die Summe aus (RGZ 151, 125).

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e) Eine negative Voraussetzung enthält schließlich § 814. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn der Leistende seine Nichtschuld positiv kannte oder die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach. Da nach dem Gesetz lediglich die positive Kenntnis der Nichtschuld schädlich ist, kommt es für den Bereicherungsanspruch auf ein Verschulden im Sinne einer bloßen Fahrlässigkeit nicht an; BGHZ 71, 180, sowie BGH LM Nr. 12 zu § 814 BGB = ESJ 111 allgemein zur Kenntnis der Nichtschuld. Die Kenntnis des Vertreters ist dem Vertretenen nach § 166 I zuzurechnen. Eine Rückforderung widerspricht etwa dann einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht sowie die Leistung einer sittlichen Pflicht, wenn ein Bruder seiner bedürftigen Schwester Unterhalt leistet, weil er sich hierzu irrtümlich aufgrund Gesetzes verpflichtet sah. Auslegungsschwierigkeiten ergeben sich, wenn die Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung erbracht wird. Als schlichter Vorbehalt soll er lediglich vor den Folgen des § 814 schützen. Vgl. zur Beweislast für das Vorliegen eines solchen Vorbehalts OLG Hamm NJW-RR 87, 985; MünchKomm/Lieb, Rdn. 16 zu § 814. Die Auslegung kann aber auch ergeben, dass im Prozess über den Bereicherungsanspruch der Leistungsempfänger unverändert das Vorliegen des Rechtsgrundes zu beweisen hat; BGH NJW 84, 2826; OLG Düsseldorf NJW-RR 89, 27.

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Zusammenfassend ergeben sich danach für die condictio indebiti nach § 812 , I 1 Alt. 1 folgende Voraussetzungen: (1) (2) (3) (4)

Leistung des Bereicherungsgläubigers an den Bereicherungsschuldner Bereicherungsschuldner muss etwas erlangt haben Fehlen des vorausgesetzten Rechtsgrundes Kein Forderungsausschluss nach § 814

2. Die Voraussetzungen des Anspruchs nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 813 I 1 1445

Der rechtsgrundlosen Leistung i. S. d. § 812 I 1 Alt. 1 wird durch § 813 I 1 der Fall gleichgestellt, dass eine bestehende Schuld erfüllt wird, obwohl die Erfüllung aufgrund einer peremptorischen Einrede auf Dauer hätte abgelehnt werden können. Die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 813 I 1 entsprechen damit bis auf das Merkmal des fehlenden Rechtsgrundes jenen des § 812 I 1 Alt. 1. Ein Erbe, der sich auf die beschränkte Erbenhaftung gemäß § 1990 berufen könnte, befriedigt irrtümlich Nachlassgläubiger. Er kann kondizieren, §§ 812 I 1, 813 I 1.

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

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Keine Einrede i. S. d. § 813 I 1 ist die zwar peremptorische Einrede der Verjährung, § 813 I 2. Auch kann die Leistung auf eine betagte, d. h. noch nicht fällige Forderung nicht kondiziert werden, § 813 II (anders bei aufschiebend bedingter Verbindlichkeit). § 814 gilt auch im Rahmen des § 813. So ist eine Rückforderung einer Leistung trotz Aufrechnungslage in der Regel ausgeschlossen, da dem Leistenden die Gegenforderung und damit die Einrede der Aufrechenbarkeit i. d. R. bekannt war.

Danach ergibt sich für den Fall einer peremptorischen Einrede folgende Prüfungsreihenfolge: (1) (2) (3) (4)

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Leistung des Bereicherungsgläubigers Bereicherungsschuldner muss etwas erlangt haben Leistung trotz peremptorischer Einrede (Ausnahme: Verjährung) Kein Forderungsausschluss nach § 814

3. Voraussetzungen des Anspruchs nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 812 II Ähnlich wie § 813 I 1 stellt auch § 812 II keinen eigenständigen Bereicherungstatbestand auf, sondern knüpft an der Grundnorm des § 812 I 1 Alt. 1 an; ähnlich auch Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 9 zu § 812. Die Vorschrift stellt klar, dass auch die Eingehung einer abstrakten Verbindlichkeit Leistung i. S. d. § 812 I 1 Alt. 1 sein kann.

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A und B sind in einen Verkehrsunfall verwickelt. A gibt im Rahmen der Schadensregulierung ein abstraktes Schuldanerkenntnis i. S. d. § 781 ab. Später stellt sich heraus, dass nicht A, sondern B den Unfall verschuldet hat. Das abstrakte Schuldanerkenntnis bedarf zu seiner Wirksamkeit nicht der wirtschaftlichen Rechtfertigung; es wirkt „konstitutiv“ aus sich selbst heraus. Nach § 812 II ist es aber nur kondiktionsfest, wenn die anerkannte Schuld auch tatsächlich Bestand hat. Eine wesentliche Bedeutung des abstrakten Schuldanerkenntnisses liegt damit in der Umkehr der Beweislast. Während ohne Anerkenntnis B die Schuld des A beweisen müsste, muss nun A zur Begründung seines Kondiktionsanspruchs seine Unschuld darlegen. Unter § 812 II fallen neben dem abstrakten Schuldanerkenntnis nach § 781 auch das abstrakte Schuldversprechen nach § 780, das negative Schuldanerkenntnis gemäß § 397 II sowie die Saldoanerkenntnis beim Kontokorrent. Zur Kondiktion der unrichtigen Saldofeststellung vgl. BGH WM 1967, 726; BGHZ 51, 346; BGH WM 1975, 556; BGHZ 72, 9. Nicht von § 812 II erfasst wird das sog. deklaratorische Schuldanerkenntnis, das nicht ein neues Schuldverhältnis begründen, sondern lediglich ein schon bestehendes inhaltlich fixieren soll. Vgl. hierzu BGH NJW 1963, 2316; BGH JZ 1968, 633 mit kritischer Anm. von Kübler.

Danach ergibt sich hier folgendes Prüfungsschema:

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(1) Eingehen einer abstrakten Verbindlichkeit des Bereicherungsgläubigers gegenüber dem Bereicherungsschuldner (2) Bereicherungsschuldner muss etwas erlangt haben (3) Fehlen des Rechtsgrundes für das Eingehen der Verbindlichkeit (4) Kein Forderungsausschluss nach § 814

4. Die condictio ob causam finitam bei späterem Wegfall des Rechtsgrundes, § 812 I 2 Alt. 1 Im Gegensatz zur condictio indebiti erfolgt bei der condictio ob causam finitam die Leistung auf eine Verbindlichkeit, die tatsächlich besteht. Die Rückforderung rechtfertigt sich aus dem späteren Wegfall des Rechtsgrundes. Ein solcher Fall ist etwa dann gegeben, wenn die Diebstahlsversicherung die Versicherung auszahlt, später aber die gestohlene Sache wiedergefunden wird.9

9 Sonstige Beispiele: BGH LM 4 zu 812 BGB (unbedingter Grundstücksverkauf, aber erkennbar

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Ungerechtfertigte Bereicherung

Allgemein wird als beendendes Ereignis der Eintritt einer auflösenden Bedingung angesehen (BGH NJW 52, 1171; BGH MDR 59, 658; zustimmend Loewenheim, S. 48; Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 93 zu § 812). Dies ist zumindest bedenklich, da die Parteien den Eintritt der vertraglichen Bedingung voraussehen konnten. Dem würde ein vertraglicher Rückgewähranspruch – ähnlich den Wertungen des vertraglichen Rücktrittsrechts ohne das Privileg der Haftungsbeschränkung nach § 818 III eher entsprechen. Das Gesetz klärt schließlich nicht eindeutig, welcher Bereicherungsanspruch im Fall der Anfechtung eines Vertrags gegeben ist, wenn vor Anfechtung geleistet wurde. Für die condictio ob causam finitam spricht das Vorliegen eines Rechtsgrundes zum Leistungszeitpunkt; so Palandt/Sprau, Rdn. 77 zu § 812, für die condictio indebiti hingegen die Rückwirkung der Anfechtung nach § 142 I. So die wohl herrschende Lehre; vgl. Esser II, § 103 I 3; RGRK/Heimann-Trosien, Rdn. 82 zu § 812; Soergel/Mühl, Rdn. 119 und 129 zu § 812; Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 87 zu § 812. In der Praxis kommt es jedoch auf die dogmatische Einordnung nicht an. Zwar scheint die Frage im Rahmen des § 814 erheblich zu werden, der nur auf das Fehlen des Rechtsgrundes im Zeitpunkt der Leistung Anwendung findet. Leistet jedoch der Anfechtungsberechtigte in Kenntnis seines Anfechtungsrechts und vor Ablauf der Anfechtungsfrist, liegt hierin eine Bestätigung des ursprünglichen Geschäfts nach § 144. Vgl. Soergel/Hefermehl, Rdn. 3 zu § 144; Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 87 zu § 812; jeweils mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte. Die Leistung ist mit Rechtsgrund erbracht. Ein Rückgriff auf §§ 814, 142 II zur Versagung der Kondiktion wird überflüssig.

Hieraus ergibt sich bei Wegfall des Rechtsgrundes folgende Prüfungsreihenfolge: (1) Leistung des Bereicherungsgläubigers (2) Bereicherungsschuldner hat etwas erlangt (3) Wegfall des Rechtsgrundes nach Leistung

5. Die condictio ob rem = condictio causa data causa non secuta bei Nichterreichen des bezweckten Erfolges, § 812 I 2 Alt. 2 1452

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a) Die condictio ob rem setzt einen über den bloßen Leistungszweck hinausgehenden rechtlichen oder wirtschaftlichen Erfolg voraus, dessen Eintritt nach der tatsächlichen Willensübereinstimmung der Parteien mit der Leistung bezweckt wird (Zweckbestimmung). Der Anspruch ist gegeben, wenn der Erfolg wider Erwarten ausbleibt. Einseitige Zwecksetzungen reichen nur aus, wenn das Schweigen des Leistungsempfängers nach Treu und Glauben als Einverständnis gewertet werden kann; BGH NJW 73, 612; 84, 233. Die vereinbarte Zweckbestimmung kann alleinige Grundlage der Leistung sein, sie kann aber auch ergänzend neben einer Leistungspflicht aus verbindlichem Vertrag stehen, da sie nur die Verabredung eines Rechtsgrundes, nicht aber eine Leistungsverpflichtung zum Gegenstand hat. Der Anwendungsbereich der condictio ob rem ist in mancher Hinsicht noch ungeklärt. Einige Beispiele sollen den Anwendungsbereich veranschaulichen: Der Anspruch wird zugelassen, wenn auf einen nichtigen Vertrag in Erwartung seiner späteren Heilung geleistet wird. Die condictio ob rem dient hierbei zur Umgehung der unerwünschten Folgen des § 814 (Vgl. z. B. den Fall OLG München NJW-RR 86, 13, mit Bspr. von Kanzleitner, DNotZ 86, 258.): K will von V ein Grundstück erwerben. Um Steuern zu sparen, wird ein niedrigerer Kaufpreis beurkundet, als tatsächlich gelten soll. Der protokollierte Vertrag ist als Scheingeschäft nach § 117 I nichtig. Das tatsächlich gewollte Geschäft i. S. d. § 117 II ist nach §§ 311b I S. 1, 125 formnichtig und bleibt es, sofern nicht das Eigentum am Grundstück übertragen wird, 311b I S. 2. V verweigert die Eigentumsübertragung, obwohl K inzwischen den vollen Kaufpreis gezahlt hat. Die condictio inde-

nur für Lebenszeit des Erwerbers); LM Nr. 62 zu § 812 BGB = ESJ III, 112 (verlorener Baukostenzuschuss); RGZ 132, 238 (Grundstücksübereignung an Genossenschaftsmitglied unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass dieses Mitglied nicht austritt).

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 I 5

biti nach § 812 I 1 Alt. 1 greift zugunsten des K nicht ein, soweit K in Kenntnis der Nichtigkeit des Kaufvertrags gezahlt hat. Allerdings kann K sein Geld nach § 812 I 2 Alt. 2 zurückfordern. Alleinige Grundlage der Zahlung war die Erwartung der späteren Eigentumsübertragung und damit das spätere Zustandekommen des Kaufvertrags (BGH JZ 1961, 699; BGH WM 1971, 1202; BGH NJW 1976, 237). Diese Erwartung rechtfertigt eine Abweichung von der Folge des § 814. Eine wichtige Gruppe von Fällen zeichnet sich dadurch aus, dass der Empfänger durch die Leistung zu einem bestimmten Verhalten veranlasst werden soll (Veranlassungsfälle). Überlässt die Tochter T ihrem Vater V auf seine alten Tage unentgeltlich ein Zimmer in ihrer Wohnung in der Erwartung, sie werde als Alleinerbin eingesetzt, so kann T nach § 812 I 2 Alt. 2 Ersatz für die Nutzungsüberlassung verlangen, wenn sie in ihrer Erwartung enttäuscht wird. Voraussetzung ist allerdings im Sinne von Treu und Glauben, dass V die Zwecksetzung kennt und die Annahme der Leistung als Billigung dieser Zwecksetzung gewertet werden kann. BGH NJW 2004, 512 betrifft einen Fall zweckverfehlter Ausbildungskosten, deren Rückerstattung verlangt wird. Problematisch erweisen sich dagegen jene Fälle, in denen eine Dienstleistung in Erwartung eines bestimmten Verhaltens des Empfängers erbracht wird: Sohn S arbeitet über Jahre ohne besondere Vergütung im Handwerksbetrieb seines Vaters in der Erwartung mit, er werde eines Tages den Betrieb erben. Wird er in dieser Erwartung enttäuscht, versucht die Rspr. einen Ausgleich nicht über § 812 I 2 Alt. 2, sondern über § 612 II zu erreichen; BAG NJW 63, 2188; BGH NJW 65, 1224. Die Rechtsprechung vermeidet einen Rückgriff auf die condictio ob rem unter Annahme eines stillschweigend abgeschlossenen Dienstvertrages. Auch dem Leistungsempfänger müsse klar gewesen sein, dass die Dienste nicht ohne Gegenleistung erbracht werden. Nach § 612 II sei deshalb eine angemessene Vergütung geschuldet. Verjährung vermied die Rechtsprechung durch großzügige Annahme einer Stundungsabrede. BAG NJW 70, 1701; 78, 444. Zu Unrecht wird eine condictio ob rem in BGHZ 44, 321 angenommen: Die Nichte N pachtet von ihrer Tante T ein Grundstück. N wird in einem von ihr finanzierten Testament zur Alleinerbin eingesetzt. In Erwartung der Erbschaft errichtet N ein Gebäude auf dem Pachtgrundstück. Später setzt T einen Dritten zum Alleinerben ein. Ein Anspruch gegen den Dritten aus § 812 I 2 Alt. 2 kann nicht begründet sein, weil in der Gebäudeerrichtung weder eine Leistung an T liegt, noch der Bau den Zweck hatte, die T zur Testierung zugunsten der N zu bewegen (anders für die Testamentskosten). Richtigerweise ist hier ein Anspruch aus Verwendungskondiktion nach §§ 946, 951 I, 812 I 1 Alt. 2 zu bejahen. Schwierig ist schließlich auch die Behandlung der sog. Zweckstaffelungsfälle (Begriff bei Weber, JZ 89, 25). In RGZ 132, 238 verkaufte der von der Enteignung bedrohte V dem Militärfiskus ein Grundstück in der Erwartung, es werde hierauf eine Festungsanlage errichtet. Das RG ließ in diesem und in allen übrigen Fällen, in denen ein über die Gegenleistung hinausgehender Erfolg Vertragsinhalt wurde, die Rückabwicklung über die condictio ob rem zu, wenn der Erfolg nicht mehr zu erreichen war; ähnlich auch RGZ 66, 132, BGH MDR 1952, 33 und BayObLG NJW 67, 1664. Die neuere Rspr. löst entsprechende Fälle dagegen vermehrt über den Wegfall der Geschäftsgrundlage; BGH WM 72, 888; NJW 75, 276; 77, 950; BAG BB 87, 1812 = NJW 87, 918; vgl. auch Schlechtriem, JZ 88, 854 (858) mit Gegenbeispielen. Der BGH begründete dies mit dem grundsätzlichen Vorrang der vertraglichen Ansprüche vor dem Bereicherungsrecht. Dessen ungeachtet hielt der BGH auch in jüngerer Zeit die condictio ob rem in manchen Zweckstaffelungsfällen für anwendbar; vgl. für den Fall der Zweckschenkung BGH NJW 1984, 233. Die Abgrenzung der beiden Institute bleibt danach im Einzelfall unklar. Richtigerweise muss man die beiden Rechtsinstitute nach ihren Voraussetzungen abgrenzen. So finden die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur Anwendung, soweit eine schuldrechtliche Sonderbeziehung schon besteht (vgl. Medicus, BürgR, Rdn. 692, der deshalb die condictio ob rem nur bei überobligationsmäßigen Leistungen für anwendbar hält). § 812 I 2 Alt. 2 soll dagegen eine solche erst begründen. Gegenstand der Zweckabrede ist nicht die Verabredung von Leistungspflichten, sondern die Verabredung eines Rechtsgrundes. Des Weiteren sind die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage enger. Verlangt wird, dass einer Partei das Festhalten am Vertrag mit Rücksicht auf die Verkehrssitte unzumutbar geworden ist. Für den Anspruch aus § 812 I 2 Alt. 2 reicht es dagegen aus, wenn der über die vertraglichen Pflichten hinausgehende Erfolg nicht erreicht wird. Dies spricht wesentlich dafür, in den Zweckstaffelungsfällen die condictio ob rem zuzulassen.

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b) Entsprechend der Regelung des § 814 ist gemäß § 815 die condictio ob rem ausgeschlossen, wenn der Erfolgseintritt von Anfang an unmöglich war und der Leistende dies wusste oder der Leistende den Erfolgseintritt wider Treu und Glauben verhindert hat. Zum Ausschluss der Rückforderung beim „schwarzen Grundstückskauf“ vgl. BGH NJW 80, 451; OLG Düsseldorf NJW-RR 86, 692. § 815 ist auf die Herausgabe von Verlobungsgeschenken gem. § 1301 anzuwenden. Nach BGHZ 54, 258 handelt es sich um einen Rechtsgrundverweis. § 815 greift jedoch nicht immer ein, da nicht jeder Rücktritt vom Verlöbnis die Eheschließung „wider Treu und Glauben“ verhindert.

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Danach ist die condictio ob rem folgendermaßen zu prüfen: (1) Rechtsgeschäftliche Vereinbarung eines über den bloßen Leistungsinhalt hinausgehenden zusätzlichen Erfolgs (2) Leistung des Bereicherungsgläubigers mit oder ohne Rechtsgrund (3) Bereicherungsschuldner muss etwas erlangt haben (4) Nichlerreichen des Erfolgs (5) Klärung des Verhältnisses zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (6) Kein Forderungsausschluss nach § 815.

6. Die condictio ob iniustam vel turpem causam wegen gesetzes- oder sittenwidrigen Leistungsempfangs, § 817 S. 1, 819 II 1460

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§ 817 S. 1 bildet im Verhältnis zur condictio indebiti einen Sonderfall. Der Rechtsgrund ist nicht nur nicht vorhanden, sondern sogar verboten oder sittenwidrig. Da ein Gesetzes- und Sittenverstoß in den meisten Fällen gemäß §§ 134, 138 auch zur Nichtigkeit des Grundgeschäfts führt, erlangt § 817 S. 1 eigenständige Bedeutung nur für den Fall der Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld. Allein die condictio indebiti wird über § 814 ausgeschlossen. Drei Grundfälle sind im Zusammenhang mit § 817 zu unterscheiden: a) Allein der Empfänger verstößt gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten (§ 817 S. 1 unmittelbar). Beispiel: Der Beamte nimmt ein Geschenk für eine an sich nicht pflichtwidrige Handlung entgegen, § 331 StGB (Vorteilsannahme). Die h. M. geht hier von einem wirksamen Kausalgeschäft aus; vgl. Loewenheim, S. 52, m. w. N. Der Empfänger muss mit positiver Kenntnis des Gesetzesverstoßes bzw. im Bewusstsein der Sittenwidrigkeit handeln (BGH NJW 80, 452), wobei es genügt, wenn er leichtfertig die Augen vor dem Verbot oder der Sittenwidrigkeit verschließt (BGH NJW 83, 1420; BGH WM 89, 1083). Nach §§ 819 II, 818 IV kann sich der Empfänger nicht auf Entreicherung berufen.

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b) Nicht nur der Empfänger, sondern auch der Leistende selbst verstößt gegen Gesetz oder gute Sitten, § 817 S. 2 Halbs. 1. Beispiele: A erbringt eine Leistung an den Beamten B, damit dieser eine pflichtwidrige Maßnahme trifft (Bestechung und Bestechlichkeit, §§ 334, 332 StGB); BGHZ 8, 370; OGHZ 4, 57. Verbotene Devisengeschäfte, Schenkungen eines Verheirateten bei Vorliegen besonderer Umstände; BGHZ 53, 369.

Das Gesetz schließt durch § 817 S. 2 einen Rückgewähranspruch aus, weil sich beide Seiten als Rechtsbrecher erwiesen haben. So wie das Recht nicht der Durchsetzung gesetzes- oder sittenwidriger Ansprüche dienen soll, soll es auch nicht vollzogenen Leistungen zur Rückabwicklung verhelfen. Da aber nur eine rechtlich sanktionierte Verschiebung von Wirtschaftsgütern verhindert werden soll, ist die Kondiktion von eingegangenen Verpflichtungen, z. B. eines abstrakten Schuldversprechens, möglich, § 817 S. 2 Halbs. 2. § 817 S. 2 stellt den gesamten Vorgang außerhalb des Rechts und begünstigt damit den Besitzenden: In pari turpitudine melior est conditio possidentis.

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§ 103 I 6

Von der Regel des § 817 S. 2 ist jedoch dort eine Ausnahme zu machen, wo die Versagung der Rückabwicklung dem Schutzzweck der Verbotsnorm widerspricht (restriktive Auslegung als Gegenstück zur Analogie). Verpachtet beispielsweise V an P ein Bordell wegen der guten Gewinnaussichten zu besonders hohem Preis, so würde es dem Sinne des § 138 I widersprechen, wenn man P über § 817 S. 2 die Nutzung des Hotels mit hohem Gewinn für die beabsichtigte Pachtdauer erlauben würde; vgl. BGHZ 41, 341; 63, 365. Ferner kann der Einsatz in einem nach dem Schneeballsystem ausgestalteten „Schenkkreis“ trotz § 817 S. 2 zurückgefordert werden, weil sonst die Initiatoren des Systems die mit sittenwidrigen Methoden erlangten Gelder behalten dürften, BGH NJW 2006, 45. Entsprechendes gilt, wenn die Verbotsnorm den Schutz einer bestimmten Vermögensmasse betrifft, über die der Leistende verfügen kann. Hier stehen Gläubigerinteressen, also Interessen dritter Personen, oder auch öffentliche Belange auf dem Spiel. Vgl. § 31 GmbHG und BGHZ 19, 338; 36, 395 = ESJ 115 – Lucas Cranach –. Allerdings berechtigt die Tatsache allein, dass der Leistende nachträglich in Insolvenz gefallen ist, noch nicht zur Rückforderung durch den Insolvenzverwalter; BGH NJW 89, 580. Das Drittinteresse kann auch das der Allgemeinheit auf Beachtung des Schwarzarbeiterverbots sein; vgl. BGHZ 75, 299, dazu K. Schmidt, JuS 80, 375 (zweifelhaft). Die Anwendung des § 817 S. 2 ist entgegen der systematischen Stellung im Gesetz nicht auf die Kondiktion nach § 817 S. 1 beschränkt. Die Vorschrift muss entsprechend auch für die condictio indebiti gelten. Andernfalls könnte man nach § 812 I 1 Alt. I kondizieren, was nach § 817 S. 2 nicht kondiziert werden soll. Problematisch ist die Anwendung des § 817 S. 2 auf andere Ansprüche: Die Vorschrift ist nicht entsprechend anwendbar auf deliktische Ansprüche. Es besteht eine grundsätzliche Anspruchshäufung zwischen den §§ 812ff und den §§ 823ff. Gesetzes- oder sittenwidriges Handeln ist grundsätzlich vom deliktischen Handeln zu trennen. Insbesondere begründet das Bereicherungsrecht keine Verschuldenshaftung. Strittig ist, ob die Anspruchsversagung in § 817 S. 2 auch den dinglichen Anspruch berührt. Die Frage taucht nur auf, wenn außer dem Kausalgeschäft ausnahmsweise auch das Erfüllungsgeschäft nichtig ist, wenn also die Unsittlichkeit im Erfüllungsgeschäft „gipfelt“; RGZ 145, 153. Ist, wie z. B. nach richtiger, aber bestr. Ansicht (vgl. Palandt/Sprau § 817 Rdn. 24) beim Bordellkauf auch das dingliche Geschäft nichtig, so fragt sich, ob der Empfänger der Sache der Klage aus § 985 bzw. § 894 den Einwand aus § 817 S. 2 entgegensetzen kann. Da der Preis nach § 817 S. 2 nicht zurückgezahlt zu werden braucht, muss man § 817 S. 2 grundsätzlich auch entsprechend auf den dinglichen Anspruch anwenden, sonst hätte der Verkäufer am unsittlichen Geschäft verdient.10 Fehlt es an einer Gegenleistung, so muss dennoch die Rückforderung ausgeschlossen sein, denn der „zusätzliche“ Verstoß hinsichtlich des dinglichen Geschäfts ist kein ausreichendes Argument, nunmehr vom Verbot des § 817 S. 2 Abstand zu nehmen. Der Satz des BGH, § 817 S. 2 müsse wegen seines Ausnahmecharakters und wegen seines – angeblichen – Strafcharakters eng ausgelegt werden (BGHZ 35, 109, 39, 87), besagt in diesem Zusammenhang nichts. Zutreffend ist allein der Gedanke, dass § 817 S. 2 zu keinem Ergebnis führen darf, das von § 138 missbilligt wird.11 Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag bleiben unberührt. Dort gilt der Grundsatz des § 817 S. 2 nicht; BGHZ 39, 87.

10 So im Ergebnis auch die überwiegende Meinung in der Literatur, vgl. Baur/Stürner, § 5 Rdn. 52; Medicus, BürgR, Rdn. 697; Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 14 zu § 817 mit einer rechtsvergleichenden Begründung. 11 Siehe BGHZ 41, 341 – Bordellpacht –. Zur Frage, ob und inwieweit bei nichtiger Bordellpacht § 817 S. 2 dem auf die §§ 987, 990 gestützten Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen entgegensteht, BGHZ 63, 365.

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§ 103 I

Ungerechtfertigte Bereicherung

Auch Umgehungen des § 817 S. 2 durch die Absprache, das Geleistete werde „als Darlehen“ geschuldet, sind unwirksam; vgl. § 762 II; BGHZ 28, 164.

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c) Nur der Leistende verstößt gegen Gesetz oder gute Sitten, den Empfänger, trifft kein Vorwurf. Beispiele: Wucherisches Darlehen, wucherische Vermietung oder Verpachtung, Knebelungsverträge.

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Die Anwendung des § 817 S. 1 wäre unbillig. Nach § 817 S. 2 muss aber die Rückforderung gemäß § 812 I 1 Alt. 1 erst recht ausgeschlossen sein, wenn nur der Leistende gesetz- oder sittenwidrig handelt (argumentum a minore ad maius). Grundsätzlich gilt damit alles zu § 817 S. 2 Gesagte in analoger Anwendung, vor allem auch bezüglich der Konkurrenzen (ein Anspruch nach § 812 I 1 Alt. 1 oder nach § 985 ist ausgeschlossen, jene nach §§ 823ff sind möglich). Stets ist aber zu beachten, dass der durch § 817 S. 2 geschützte Bereicherungsschuldner nicht günstiger stehen darf, als er ohne die Übervorteilung dastünde; RGZ 161, 57. § 817 S. 2 soll keine Einnahmequelle sein. Gewährt A dem B ein Darlehen unter Vereinbarung eines wucherischen Zinssatzes, sind die Zinsen nach § 138 II nicht geschuldet. Gezahlte Wucherzinsen sind nach § 817 S. 1 zurückzuzahlen; BGH WM 83, 116 (118); dazu Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, 1983, 33 (45). § 139 findet keine Anwendung, so dass das Darlehen praktisch zinslos gewährt wurde, denn die Zinsabrede lässt sich nicht in ein sittenentsprechendes und ein sittenwidriges Teilrechtsgeschäft zerspalten (h. M.). Darüber hinaus ist auch die Darlehenssumme ohne Rechtsgrund gewährt. Diese kann jedoch nicht sofort zurückgefordert werden. Gegenstand der Leistung an den Darlehensnehmer B ist lediglich die Überlassung der Darlehensvaluta auf bestimmte Zeit. Nur diese zeitlich beschränkte Nutzungsmöglichkeit hat B i. S. d. § 812 I 1 Alt. 1 erlangt. § 817 S. 2 schließt deshalb allein die sofortige Rückforderung aus. B muss die Darlehensvaluta nach Ablauf der Darlehensdauer zurückzahlen.12 Die Rechtsprechung bejaht insoweit zu Recht einen Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1, wenn der Empfänger die Leistung nicht endgültig behalten soll; BGHZ 28, 255. Die Frage, ob nach § 818 II als Wertersatz auch eine angemessene Vergütung in Höhe des ersparten sittengemäßen Zinssatzes zu leisten ist, muss im Ergebnis verneint werden.13 Andernfalls würde sich der Wucherer des Risikos der Sittenwidrigkeit seines Geschäfts entledigen können; § 817 S. 2 liefe leer.

§ 817 S. 2 in direkter und analoger Anwendung gewährt eine rechtshindernde Einwendung, nicht eine den Anspruch als solchen bestehenlassende Einrede; BGHZ 28, 164. Der Anspruch aus § 817 S. 1 ist danach folgendermaßen zu prüfen: (1) Leistung des Bereicherungsgläubigers (2) Bereicherungsschuldner muss etwas erlangt haben (3) Bereicherungsschuldner verstieß mit der Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten (4) Kein Forderungsausschluss nach § 817 S. 2.

7. Zur condictio sine causa als Auffangtatbestand (offene Leistungskondiktion) und ihrer Problematik s. o. Rdn. 1427.

12 Dies gilt sowohl bei der entsprechenden als auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 817 S. 2; RGZ 161, 52; BGHZ 19, 207. 13 Vgl. RGZ 161, 52; BGH NJW 62, 1148, 83, 1420; a. A. ein Großteil der Literatur, z. B. Medicus, BürgR, Rdn. 700; ders., GS Dietz, (1973), S. 61; Flume, § 18, 10f; Koppensteiner/Kramer, S. 77; Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 12 zu § 817; vgl. auch Dauner, JZ 80, 495 (502f).

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 II 1

II. Die Nichtleistungskondiktion Es gibt sechs verschiedene Nichtleistungskondiktionen: Eingriffskondiktionen (1.), Drittvermögenskondiktionen, einzuteilen in (2.) Rückgriffskondiktionen („Typ § 267“) und (3.) Drittempfängerkondiktionen („Typ § 362 II“), Verwendungskondiktionen („Versionsklagen“) (4.), Durchgriffskondiktionen (5.) und Allgemeine Vermögenskondiktion (6.) als Auffangtatbestand. 1. Die Eingriffskondiktion a) Allgemeines Die Eingriffskondiktion ist nur einer, wenn auch der wichtigste Fall der Bereicherung „in sonstiger Weise“. Sie dient ihrem Wesen nach dem Schutz von Gütern, die die Rechtsordnung einer bestimmten Person zugewiesen hat (Eigentum, beschränkte dingliche Rechte, lmmaterialgüterrechte usw.). Grundlage ist der Zuweisungsgehalt des Rechts (Zuweisungstheorie), nicht die Rechtswidrigkeit einer Vermögensverschiebung (Mestmäcker). Wer ein fremdes Recht der Güterzuordnung zuwider unbefugt nützt, hat „etwas“ erlangt, das nach dem Zuweisungsgehalt des Rechts dem Rechtsinhaber gebührt.

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Bereicherungsrechtlich relevante Eingriffe sind überhaupt nur denkbar, soweit sie bestandssichernde Güterzuordnungen betreffen; also beim Eigentum, den anderen Materialgüterrechten, bei den Immaterialgüterrechten, auch dem Warenzeichen als einem – wenn auch vielfach nur formalem – Kennzeichnungsrecht (Zuordnungstheorie). Wer unbefugt ein Urheberrecht benützt, haftet auf die übliche Lizenzgebühr 14, nicht aber auf den Gewinn, da das Bereicherungsrecht nur Werte ausgleichen will. Gewinn kann nur nach § 687 II oder im Rahmen des Schadensersatzanspuchs nach § 97 I 2 UrhG ersetzt verlangt werden. (Anders vor allem die Rspr. zu § 816 I. Zum hier vertretenen Standpunkt Fikentscher, Wettbewerb, S. 273 ff m. w. Ang.) Keine Eingriffskondiktion ist daher möglich im Bereich des Freiheitsschutzes, also dort, wo Verhaltensnormen die Güterverschiebung regeln: Im unlauteren Wettbewerb, bei Verkehrspflichten, bei Rahmenrechten, wie beim „Recht am Unternehmen“ und beim „Allgemeinen Persönlichkeitsrecht“. Nicht möglich ist es, zur Bestimmung der Eingriffsfälle auf die Rechtswidrigkeit des Eingriffsaktes abzustellen; anders die Rechtswidrigkeitstheorien (vgl. hierzu den Überblick bei MünchKomm/ Lieb, Rdn. 240ff zu § 812 m. w. N.). Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs folgt bei der Eingriffskondiktion allein aus dem Merkmal „ohne rechtlichen Grund“. Es wäre nicht richtig, von einer „Bereicherungshaftung bei rechtswidrig schuldlosem Eingriff in absolute Rechte“ zu sprechen. „Rechtswidrig“, „schuldlos“ und „absolutes Recht“ sind Begriffe aus dem Deliktsrecht. Dort folgt aber die Rechtswidrigkeit aus dem Verstoß gegen eine Verhaltensnorm, wobei Schuld und absolutes Recht eben von dieser Norm abhängen. Es gibt keine dem Bereicherungs- und dem Deliktsrecht vorgegebenen „absoluten Rechte“. Wie wichtig ein Verständnis des Zusammenhangs von Bereicherungs- und Deliktsrecht ist, zeigt sich auch hier (s. o. § 101).

b) Das Merkmal „in sonstiger Weise“ Eine Bereicherung in sonstiger Weise liegt nur vor, wenn die Bereicherung nicht durch Leistung bewirkt wurde. Der Bereicherungsgegenstand darf dem Empfänger von niemandem geleistet worden sein. Dies ist der wichtige Grundsatz der Subsidiarität der

14 Für den Fall der unberechtigten Nutzung eines Warenzeichens vgl. BGH NJW 87, 2869; dazu Kaiser, GRUR 88, 501; vgl. auch oben Rdn. 1285 a. E.

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Nichtleistungskondiktion, in anderen Worten des Vorrangs der Leistungskondiktion.15 Die Bereicherung muss auf Kosten eines Entreicherten geschehen (s. u. Rdn. 1478). Im Einzelnen kann zwischen vier Eingriffsarten und damit vier Fällen des Ausgleichs über die Eingriffskondiktion unterschieden werden: (aa) Ausgleich für allgemeine Eingriffe in fremde Rechte, (bb) Ausgleich für gutgläubigen Erwerb durch Verfügungen Nichtberechtigter über fremdes Gut, (cc) Ausgleich für Eigentumsverschiebungen anderer Art und (dd) Ausgleich für gesetzliche Rechtseinbußen durch Naturvorgänge. aa) Allgemeine Eingriffe in fremde Rechte, § 812 I 1 Alt. 2 1469

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Hierher zählen die Fälle, in denen jemand das Gut eines anderen auswertet (d. h. wertmäßig in Anspruch nimmt). Während die Leistungskondiktion rechtstechnisch oder nach den Grundsätzen materieller Gerechtigkeit unhaltbare Güterverschiebungen durch Leistungen ausgleichen will, sorgt die Eingriffskondiktion für einen Gebrauchswert-Ausgleich in weitestem Sinne, wenn Güter von Nichtberechtigten – ohne Leistung – einfach genutzt, verbraucht, in Anspruch genommen werden. In dieser Weise vervollständigt die Eingriffskondiktion den allgemeinen Güterschutz des bürgerlichen Rechts, der im Übrigen bei schuldhaften Eingriffen in einem Schadensersatzanspruch (§§ 823ff) und bei vorsätzlichem Eingriff zusätzlich in einem Gewinnherausgabeanspruch (§§ 687 II, 681 S. 2, 667) besteht, durch einen Anspruch auf Wertausgleich. Gemeint ist der Wert des Gebrauchs des Gutes, zu dem der Eingriff führt. Geeignet, Gegenstand eines derartigen um den Wert einer Sache bereichernden Eingriffs zu sein, ist jedes geschützte Rechtsgut. Beispiele: Eigentum: Von einer längeren Reise zurückkehrend, findet Vetter V sein Haus von Verwandten besetzt, die es seit Wochen bewohnen und von den Vorräten leben. Zur Rede gestellt, verweisen sie auf eine „Erlaubnis“ des Nachbarn, der ihnen auch den Schlüssel ausgehändigt habe: V hat, abgesehen von seinem Räumungsanspruch aus § 985, Anspruch aus § 812 I 1 auf Ersatz des Wertes der Vorräte und auf einen angemessenen Mietzins, letzteres ohne Rücksicht darauf, ob er auch sonst vermietet hätte (dazu unten). Verbleibt noch ein Schaden, der von den – schuldlosen – Verwandten nicht ersetzt verlangt werden kann, so muss V ihn vom Nachbarn fordern (§ 823 I, fahrlässige Eigentumsbeschädigung). Hatten die Verwandten „untervermietet“, so kommt es auf ihre Böswilligkeit im Sinne des § 687 II an, vgl. BGH NJW-RR 86, 874 – unerlaubte Kiesentnahme –. Beschränkt dingliches Recht: Obiges Beispiel, aber V war Nießbraucher des Hauses. Besitz: Jemand fährt mit der Erklärung, er werde nicht zahlen, auf einen gebührenpflichtigen Parkplatz, den ein Parkplatzunternehmen von der Grundstückseigentümerin, der Stadt, übertragen erhalten hat. Der Parkende nutzt den Besitz ohne Rechtsgrund, er greift in ein fremdes Besitzrecht ein. Siehe dazu oben Rdn. 79 und unten Rdn. 1529. Immaterialgüterrecht: (Vgl. BGH NJW 87, 2869, mit Anm. Kaiser, GRUR 88, 501.) X ist Patentinhaber. Y verletzt das Patent unwissentlich und verdient daran 30000,– Euro. Hätte Y vom Patent gewusst und eine Lizenz von X genommen, hätte er dafür 10 000,– zahlen müssen. Da der Bereicherungsanspruch nur auf Wertersatz geht, kann X von Y nur die 10 000,– entgangene Lizenzgebühr verlangen, nicht dagegen den gemachten Gewinn. Hätte allerdings Y das Patent schuldhaft verletzt, so müsste er den Gewinn nach §§ 687 II, 681 S. 2, 667 herausgeben. Die 15 BGHZ 36, 30 – Idealheim –; 40, 272 (278) – Elektrogeräte –; 69, 186 – Lastschriftverfahren –; aber BGHZ 55, 176, – Jungbullen –, weil wegen der §§ 932ff ein vorrangiges Leistungsverhältnis fehlt; s. a. Rdn. 1431. Die Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion wird von manchen Vertretern der Einheitstheorie bestritten; vgl. z. B. MünchKomm/Lieb, Rdn. 16ff zu § 812; Thielmann, AcP 187 (1987), 23. Der Sinn des Grundsatzes besteht darin, dass man zunächst einmal versuchen sollte, ein Bereicherungsverhältnis aus einem Leistungsbezug heraus zu deuten, bevor man Nichtleistungsverhältnisse prüft.

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 II 1

Rechtsprechung gewährt den Gewinnherausgabeanspruch bei Verletzung von Patenten und Urheberrechten auch in Fällen bloß fahrlässigen Eingriffs (nur hier!), RGZ 144, 190; 156, 69; v. Caemmerer, aaO, S. 354ff. Recht am eigenen Bild: BGH NJW-RR 87, 231 – Unberechtigte Verwendung eines Bildnisses zu wirtschaftlichen Zwecken –. Name: BGHZ 81,75 – Bereicherungsausgleich für Verletzung des Namens Carrera –.16 Forderung: Das Gesetz enthält einen derartigen Schutz eines Forderungsinhabers gegen unechte Ausbeute seiner Forderungen in § 816 II, wenn z. B. der falsche Gläubiger die Forderung einzieht, § 407 oder § 808. Es handelt sich nicht um eine Eingriffskondiktion, sondern um eine Drittempfängerkondiktion, unten Rdn. 1491. Auch § 687 II gilt bei böswilliger Geltendmachung fremder Forderungen.

Für die allgemeine Eingriffskondiktion ist die Person des Eingreifenden gleichgültig. So ist es unerheblich, ob man im Fall der eigenmächtigen Verwandten den Nachbarn oder die Verwandten als „Eingreifer“ anspricht. Schuldner ist in jedem Fall der Bereicherte, gleichgültig ob er selbst oder ein Dritter die Bereicherung herbeiführt. Gegen den Dritten können allenfalls Ansprüche aus §§ 823 ff, 1004 (Störer!) gegeben sein. Sogar der Eigentümer selbst kann der Eingreifende sein.

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Ein Hauseigentümer, der lt. Mietvertrag die Wohnungen seiner Mieter mit deren Material zu heizen hat, verwendet irrtümlich eigenes Heizmaterial. Er kann Ersatz des verauslagten Heizmaterials beanspruchen (Beispiel von v. Caemmerer).

Der Anspruch geht auf den Wert des Erlangten, § 812 I 1. Unerheblich ist, ob der Anspruchsberechtigte das Gut gerade in der Weise genutzt hätte wie der Bereicherte. So kommt V im Fall der eigenmächtigen Verwandten auch dann zu einem Mietwertersatz, wenn er sonst nie vermietet. Der Patentinhaber erhält die Patentlizenzgebühr auch dann, wenn er das Patent sonst nicht lizensiert hätte, ja vielleicht nach der Marktlage nicht einmal hätte lizensieren können. bb) Ausgleich für gutgläubigen Erwerb durch Verfügungen Nichtberechtigter, 816 I, II Der Ausgleich für gutgläubigen Erwerb infolge Verfügung eines Nichtberechtigten ist einer der wichtigsten gesetzlich geregelten Sonderfälle der Eingriffskondiktion: Jemand macht sich den Wert einer Sache dadurch zu eigen, dass er als Nichtberechtigter über einen Gegenstand verfügt, wobei das Gesetz im Interesse des Rechtsverkehrs die Verfügung zu Lasten des wahren Berechtigten wirksam sein lässt. Es ist nur recht und billig, dass das Bereicherungsrecht dem wahren Berechtigten, der das Eigentum oder die Forderung verliert, einen Wertausgleichsanspruch gegen den wirksam verfügenden Nichtberechtigten gibt. § 816 I betrifft die Verfügung über einen Gegenstand, an dem Eigentum gutgläubig erworben wird, § 816 II die Verfügung über eine Forderung durch ihre Einziehung seitens eines Nichtinhabers. A leiht seinen Kommentar dem B. B verkauft ihn an den gutgläubigen C. C erwirbt nach §§ 932, 929 Eigentum. A verliert es. Dafür erlangt A einen Ersatzanspruch aus § 816 I 1 gegen B auf „das Erlangte“, genauer: Auf den Kauferlös, soweit er den Wert des Buches nicht übersteigt. Hatte B den Kommentar bei A gestohlen und dann an C verkauft, oder war C bösgläubig, konnte C nicht das Eigentum erwerben, § 935 bzw. § 932. Will A in diesem Fall nicht gegen C nach § 985 vorgehen, etwa weil er den Aufenthalt des C nicht kennt, so kann er die Verfügung des Nichtberechtigten B nach § 185 II 1 genehmigen. Damit wird die Verfügung des B dem A gegenüber nachträglich wirksam, C wird ex tunc Eigentümer, und A kann sich wegen des Wertes nach § 816 I 1 an B halten. Diesen Weg wird A auch dann wählen, wenn B einen guten Preis erzielt hat und A den Mehrerlös von

16 Fallbeispiel zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei Heinemann/von Hassell, JA 2005, 592.

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B nach § 687 II verlangen kann. A kann aber nicht die Sache von C und den Mehrerlös von B verlangen. Hatte C den Kommentar an D veräußert, kann A wählen, ob er die Verfügung des B oder die des C genehmigt. Die Genehmigung ist auch noch möglich, wenn die Sache mittlerweile nach den §§ 946 ff in das Eigentum eines Erwerbers übergegangen ist, BGHZ 56, 131. Genehmigt im Ausgangsfall A nicht und muss C die Sache herausgeben, haftet B dem C nach §§ 437, 435. Leistet der Dieb dem Eigentümer der gestohlenen Sache Schadensersatz in Geld, so befreit er in Höhe seiner Zahlung einen Abnehmer der Sache von dem Bereicherungsanspruch nach §§ 816 I 1, 185 II, der dem Eigentümer gegen den Abnehmer zusteht. BGHZ 52, 39 wendet auf das Verhältnis Dieb-Abnehmer Gesamtschuldregeln an und verneint einen Anspruch des Diebs gegen den Eigentümer aus § 255, siehe oben Rdn. 778. Zu § 687 II vgl. oben Rdn. 1283 ff. Hat B den Kommentar verschenkt, so kann sich A nach § 816 I 2 unmittelbar an C halten, der nunmehr in erster Linie (vgl. § 818 II) den Kommentar selbst schuldet (Übereignung nötig, § 929). Bei einem unentgeltlichen Erwerb besteht kein schutzwürdiges Verkehrsinteresse wie sonst in den Gutglaubensfällen der §§ 932 ff, s. u. Rdn. 1497. § 816 I 2 wird in BGHZ 37, 363 = ESJ 114 auf den Fall rechtsgrundloser Verfügung des Nichtberechtigten an den Empfänger angewandt, falls dem Nichtberechtigten kein Gegenwert zugeflossen ist. Auf die Kritik im Schrifttum (Schlosser, P., JuS 63, 141) ist BGHZ 47, 393 davon zum Teil abgerückt. Vgl. im Einzelnen unten Rdn. 1497. – Die Verfügung des Nichtberechtigten kann auch durch einen Geheißerwerb begleitet sein; leistet der gutgläubige Erwerber ein Entgelt, kann der frühere Eigentümer weder nach § 816 I 1, 2 noch nach § 812 I 1 Alt. 2 beim Erwerber kondizieren, BGH NJW 1974, 1132 – Hemden –; u. Rdn. 1481. Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung sind keine rechtsgeschäftlichen Verfügungen, weil die Eigentumsübertragung durch den Gerichtsvollzieher ein staatlicher Hoheitsakt ohne Verfügungscharakter ist. Werden Sachen gepfändet, die dem Schuldner nicht gehören, so entsteht kein wirksames Pfändungspfandrecht des Gläubigers, der dann insoweit „Nichtberechtigter“ wird. Dennoch erwirbt der Ersteher in der Versteigerung Eigentum (so die überwiegende Meinung; vgl. als Beispielsfall BGH NJW 87, 1880, mit Anm. Brehm, JZ 87, 780; Krüger, JuS 89, 182, sowie BGH NJW 1989, 2049 mit Anm. Röver, JA 1989, 459). Der das Eigentum verlierende ursprüngliche Eigentümer hat gegen den Gläubiger den Anspruch auf den Ersteigerungserlös unter Abzug der Zwangsversteigerungskosten (sehr strittig),17 – Auch bei Verfügungen, die zum Eigentumsverlust durch Einbau führen, kann § 816 I 1 analog angewandt werden (siehe unten Rdn. 1478).

Die Bereicherung kann nur den Gegenstand selbst oder den Wert eines Gegenstandes betreffen.18 Nach der Rechtsprechung soll sich der Anspruch aus § 816 auch auf den Gewinn erstrecken, sofern nicht nach § 242 Milderungen angebracht sind; BGHZ 29, 157. Vgl. insgesamt zum Meinungsstand MünchKomm/Lieb, Rdn. 28ff zu § 816. Besser ist es jedoch, nur den vorsätzlich handelnden Nichtberechtigten auf den Gewinn haften zu lassen. Diese Haftung ergibt sich immer schon aus § 687 II, wenn ein Nichtberechtigter mutwillig mit fremder Leute Gut Geschäfte macht; eine erweiterte Haftung im Bereicherungsrecht ist daneben überflüssig. Liegt das Erlangte unter dem Wert, hilft der Grundgedanke der Entreicherung in § 818 III. § 816 II betrifft die Fälle, in denen eine Forderung wirksam an den Nichtinhaber erfüllt wird, z. B. nach §§ 407, 408, 412, 413, 566 c, 851, 808, 793 (siehe oben Rdn. 731). An den Nichtberechtigten wird auch dann wirksam erfüllt, wenn der berechtigte Empfänger genehmigt, §§ 362 II, 185 II, BGHZ 85, 267. Der unwissende Schuldner zahlt an den Zedenten, § 407. Der Zedent schuldet das Erlangte dem Zessionar, § 816 II. Die Sparkasse leistet an den nichtberechtigten Inhaber des Sparbuchs, § 808 I 1.

17 Vgl. BGHZ 32, 240; 66, 150. Nach einer weiteren z. T. vertretenen Untermeinung darf jedenfalls nicht mehr als der Wert der Sache verlangt werden. 18 So wie hier die herrschende Meinung in der Literatur; vgl. Soergel/Mühl, Rdn. 29 zu § 816.

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 II 1

cc) Ausgleich für gesetzliche Eigentumsverschiebungen anderer Art, § 951 I 1 Wer dadurch sein Eigentum an einer Sache verliert, dass diese Sache von jemandem als wesentlicher Bestandteil mit einem Grundstück (§ 946) oder mit einer anderen beweglichen Sache, die als Hauptsache anzusehen ist (§ 947 II), verbunden wird, hat nach § 951 I einen Bereicherungsanspruch gegen den Erwerber, also gegen den Eigentümer des Grundstücks oder der Gesamtsache. Das gleiche gilt nach § 948 für Eigentumswechsel kraft Vermischung und nach § 950 kraft Verarbeitung. Die Voraussetzungen des § 812 I 1 Alt. 2 sind aber sämtlich zu prüfen, da es sich bei § 951 I um einen Rechtsgrundverweis handelt. Zu den zu prüfenden Voraussetzungen zählt dann wiederum der Vorrang der Leistungskondiktion vor der Eingriffskondiktion, s. o. Rdn. 1468. Hieran scheitert in den Einbaufällen regelmäßig der „Durchgriff“ des einbauenden Handwerkers auf den Grundeigentümer, o. bei Fn. 15. Ein einbauender Handwerker kann sich daher grundsätzlich nur an die ihn beauftragende Baufirma halten, nicht an den Bauherren, der nach § 951 I Eigentum erwirbt: „Hand wahre Hand“, oder: „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen“.

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Die Qualifikation des § 951 I als Rechtsgrundverweis folgt daraus, dass früher bei der Leistungskondiktion das Unmittelbarkeitserfordernis und heute der zweckgerichtete Leistungsbegriff verlangt werden muss. Gegen die h. M. Götz, Der Vergütungsanspruch gemäß § 951 Absatz 1 Satz 1 BGB, 1975.

Dagegen rechtfertigen Ersitzung, Verjährung, Ablauf von Ausschlussfristen, Verlust des Pfandbesitzes, Aufrücken nachstehender Pfandrechte bei Untergang des rangbesseren Rechts, Aufrücken nachstehender Hypotheken, Fruchterwerb nach § 955 und dergl. keine Eingriffskondiktion, weil in diesen Fällen nicht fremdes Eigentum verwertet oder ausgewertet wird (str.). Das Gleiche gilt für einen besseren Grundbuchrang wegen Nichtbeachtung von § 45 GBO, BGHZ 21, 98. Hier soll aus anderweitigen Gründen (z. B. Rechtssicherheit bei der Verjährung und Ersitzung, Äquivalenz von Eigenbesitz und Fruchterwerb in § 955 usw.) das Eigentum übergehen bzw. in bestimmter Reihenfolge rangmäßig (§ 879) geregelt sein. Die Zuordnung selbst ändert sich, nicht etwa wird, wie bei §§ 951 I 1, 816 I, der Zuordnung zuwider Eigentum verwertet. Vgl. auch BGHZ 21, 30 – Nichtanmeldung im Zwangsversteigerungsverfahren –. Das Gesagte gilt aber nur für die Eingriffskondiktion. Leistungskondiktionen aus fehlgeschlagenen Verträgen sind daneben denkbar und begründet, wenn ihre Voraussetzungen im Einzelnen vorliegen (so im Ergebnis auch v. Caemmerer, FS Gustav Boehmer, 1954, S. 152). Dadurch erfolgt eine Annäherung an die h. M. insb. bei der Ersitzung, vgl. RGZ 130, 72; Wolff/Raiser; Sachenrecht 10, § 71 IV; Westermann, Sachenrecht 5, § 51 III 2b. dd) Ausgleich für Rechtseinbußen durch Naturvorgänge, §§ 812 I 1 Alt. 2; 948, 951 I 1 Vermischungen können auf Naturvorgängen beruhen, z. B. Erdbeben, §§ 948, 951 I 1. Aber auch andere Naturvorgänge können zu Bereicherungen führen, die im Wege der „Eingriffskondiktion“ (hier passt das Wort eigentlich nicht mehr) rückgängig zu machen sind, § 812 I 1 Alt. 2. Die Fälle sind wenig bedeutsam.

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Landanschwemmung. Abgrasen einer Wiese durch Vieh des Nachbarn.

c) Das Merkmal „auf Kosten“ Schon nach dem Wortlaut des § 812 I 1 Alt. 2 kann es bei der Eingriffskondiktion nicht streitig sein, dass die Bereicherung auf Kosten des Entreicherten erfolgen muss. Entgegen der h. M. bedarf es hierfür der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung

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grundsätzlich nicht; vgl. für die h. M. BGHZ 68, 276. Wer fremdes Gut nutzt, soll dem Inhaber den Wert grundsätzlich ersetzen, auch wenn die Beanspruchung ein drittes Vermögen durchläuft. X stiehlt Ziegelsteine beim Ziegeleiinhaber Z und gibt sie dem Y. Y baut sich damit ein Haus. Z hat den Anspruch aus §§ 951 I 1, 946 gegen Y. Hat Schwarzarbeiter X die Ziegelsteine zur Ausbesserung des Hauses des Y verwendet, führt die analoge Anwendung des § 816 I zu einem Anspruch Z gegen X. Z kann wählen, ob er X oder Y in Anspruch nimmt.

Die herrschende Meinung, die auch bei der Eingriffskondiktion Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung verlangt, denkt anscheinend auch an die Fälle, in denen zugleich Leistungs- und Eingriffskondiktionen bestehen. Nun fordert die Leistungskondiktion allerdings eine Zweckgerichtetheit der Vermögensverschiebung, weil sonst „Bereicherungsketten“ entstehen können, die Dritte in ein Leistungsrückgewährverhältnis einbeziehen würden, in das sie nicht gehören. Die Leistungskondiktion als Rückgewährmechanismus muss sich ihrem Wesen nach auf den Leistenden und den Leistungsempfänger beschränken (siehe oben Rdn. 1432ff). Wenn nun in einem Fall Leistungs- und Eingriffskondiktion gegeben sind, dann darf die Eingriffskondiktion ebenfalls nicht zu einer „Bereicherungskette“ führen. In diesen Fällen – es handelt sich um die gemeinrechtlichen Versionsklagen, die das BGB wegen des Hand-wahre-HandPrinzips (o. Rdn. 1476) bewusst nicht aufgenommen hat –, muss auch für die Eingriffskondiktion das Unmittelbarkeitserfordernis gelten, falls man der alten Lehre von der „unmittelbaren Vermögensverschiebung“ folgt; wendet man die heute herrschende und oben bejahte Lehre von der Leistung als „bewusster und zweckgerichteter Mehrung eines anderen Vermögens“ an, so muss man entweder in den Fällen des Zusammentreffens von Leistungs- und Eingriffskondiktion den Zweckrichtungsgedanken in die Eingriffskondiktion hineintragen oder die Eingriffskondiktion als von der Leistungskondiktion verdrängt ansehen. Die moderne herrschende Auffassung erklärt die Eingriffskondiktion für subsidiär im Verhältnis zur Leistungskondiktion und versucht dadurch, das Problem im zweiten Sinne zu lösen. Die h. M., die die Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung bei der Eingriffskondiktion fordert, trifft zu, wenn man sie auf die Versionsfälle beschränkt (Zusammentreffen von Leistungs- und Eingriffskondiktion, insb. in den Einbaufällen). Wo wegen Fehlens der Zweckgerichtetheit auf eine bestimmte Person eine Leistungskondiktion versagt wird, soll dieses – rechtspolitisch erwünschte – Ergebnis nicht durch Gewährung einer Eingriffskondiktion vereitelt werden: Der Ziegeleibesitzer Z hat aufgrund Vertrags Ziegel an den Bauunternehmer B geliefert. Dieser hat sie in das Haus des Grundstückseigentümers E eingebaut. Z kann sich nur an B, seinen Kontrahenten, halten, auf dessen Kreditwürdigkeit, Geschäftsfähigkeit, Erklärungen usw. er vertraut hat. Gegen E kann er nicht vorgehen. § 951 I wird insoweit zutreffend restriktiv ausgelegt. – Die Saatgutfirma S liefert Saatgut unter Eigentumsvorbehalt an den Besteller B. B gibt das Saatgut seiner Frau, die es auf ihrem Rittergut zur Aussaat bringt. S kann nur gegen B, nicht gegen dessen Frau, vorgehen, vgl. BGHZ 40, 272 – Elektroherd –; BGHZ 56, 228, 239 ff.

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Treffen aber im Einzelfall Leistungs- und Eingriffskondiktion nicht zusammen, etwa weil keine Leistung des Kondiktionsberechtigten vorliegt, passt der Grundsatz der Subsidiarität nicht. So ist die Eingriffskondiktion stets gegeben, wenn dem Berechtigten die Sache abhanden gekommen ist, da insoweit die Sicht des Berechtigten gilt, BGHZ 55, 176 – Jungbullen –, siehe oben Rdn. 1431.

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d) Auch die Eingriffskondiktion setzt voraus, dass der Bereicherte „etwas erlangt“ hat, §§ 812 I 1, 816; 951 I 1. Das Erlangte besteht entweder in einem Gegenstand (vgl. § 816 I 2) oder in seinem Wert. Das zweite ist bei der Eingriffskondiktion die Regel. Gewinn kann nicht verlangt werden (sehr str., anders, z. B. BGHZ 29, 157). Abhilfe schafft § 687 II, wenn der Nichtberechtigte vorsätzlich verfügt

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

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(im Recht des geistigen Eigentums reicht nach der Rspr. Fahrlässigkeit). Der Wert der Nutzung eines Immaterialgüterrechts ist die Lizenzgebühr (ebenso bei know how).

e) Die Bereicherung „in sonstiger Weise“ muss rechtsgrundlos sein, damit ein Anspruch auf Rückgewähr entsteht. Der Begriff der Rechtsgrundlosigkeit ist hier z. T. wiederum technisch zu verstehen. Es liegt insoweit wie bei der condictio indebiti: Das Fehlen des Rechtsgrundes bedeutet hier wiederum Fehlen einer schuldrechtlichen Begründung des Gütereingriffs. Dies zeigt sich auch in den Fällen, in denen Immaterialgüterrechte unbefugt in Anspruch genommen werden. Hier geht es aber, außer um die schuldrechtliche Berechtigung, auch um die grundsätzliche Abwägung zwischen Bestandsschutz und Freiheitsschutz (Mestmäcker, Fikentscher). § 254 bietet dabei höchstens Vergleichsgesichtspunkte (weitergehend Mestmäcker). Die Abwägung muss unter Berücksichtigung der Tragweite des Ausschlussrechts und der Gemeinfreiheit erfolgen.

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Die Verwandten benutzen eigenmächtig das Haus ihres verreisten Vetters ohne Miet- oder Leihvertrag. – Für den Einbau in ein Grundstück fehlt der Kaufvertrag, der Werkvertrag, für das Abgrasen der Wiese der Pachtvertrag usw.

f) Beruht die Bereicherung auf gutgläubigem Erwerb (§§ 932ff), so richtet sich der Bereicherungsanspruch gem. § 816 I 1 gegen den nichtberechtigt Verfügenden, nicht gegen den gutgläubigen Erwerber. Dieser schuldet nach § 816 I 2 nur, wenn kein Entgelt bezahlt hat. Hat er an den Verfügenden gezahlt, haftet er nicht nach § 812 I 1 Alt. 2. Das gilt auch bei sog. Geheißerwerb, wenn der Verfügende die Übergabe mit Hilfe des ursprünglichen Eigentümers bewerkstelligt hat, BGH NJW 1974, 1132 – Hemden –. Für die Eingriffskondiktion ergibt sich je nach Anspruchsgrundlage folgendes Prüfungsschema:

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(1) § 816 I (a) Verfügung eines Nichtberechtigten (b) Wirksamkeit der Verfügung gegenüber dem Berechtigten (u. U. über § 185 II) (c) bei unentgeltlicher Verfügung: § 816 I 2 (2) § 816 II (a) Leistung an einen Nichtberechtigten (b) Wirksamkeit der Leistung gegenüber dem Berechtigten (u. U. über § 185 II) (3) §§ 951 I, 812 I 1 Alt. 2 (a) Eigentumsverlust durch Eingriff des Bereicherungsschuldners gemäß §§ 946 ff (b) Bereicherungsschuldner muss etwas erlangt haben (c) Bereicherungsvorgang darf nicht auf einer Leistung eines Dritten beruhen (d) Fehlen des Rechtsgrundes (4) § 812 I 1 Alt. 2 unmittelbar (a) Beeinträchtigung des Kondiktionsgläubigers in einem absolut geschützten Recht (b) Bereicherungsschuldner muss durch diese Beeinträchtigung etwas erlangt haben (c) Bereicherung beruht nicht auf einer Leistung (d) Fehlen des Rechtsgrundes (e) Keine Haftung nach § 812 I 1 Alt. 2, wenn §§ 932ff entgegen stehen und § 816 I 1, 2 versagt (Hemden-Fall).

2. Die Rückgriffskondiktion als Fall der Drittvermögenskondiktion a) Vorbemerkung zu den Drittvermögenskondiktionen im Allgemeinen Im Unterschied zu den bisher besprochenen Bereicherungsansprüchen sind in die nachfolgenden Kondiktionen drei Vermögen verwickelt, deren Träger in jeweils eigenem wirtschaftlichen Interesse handeln: Dreiecksverhältnisse. Dadurch entstehen spezifische neue Bereicherungstypen. Diese Ansicht setzt sich mehr und mehr durch (vgl.

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G. Chr. Schwarz, 274–323; Medicus, Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, Rdn. 394 ff; Wieling, Bereicherungsrecht, 64; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 75 ff). Doch ist die systematische Anordnung dieser neuen Typen noch offen. Hier wird deshalb den früheren Auflagen gefolgt. Nicht hierher zählen die „unechten Dreiecksverhältnisse“ bei der Einschaltung von bloß „zuwendenden“ oder „zuwendungsempfangenden“ Zahlstellen, Banken oder dergl. in zweiseitige Leistungsverhältnisse, oben Rdn. 1433. Insoweit handelt es sich um zahlungs- und banktechnische Leistungsketten, die – auch bei der Erhebung von Gebühren – keine individuellen Vermögensträger berühren. Hier kommt es auf die Feststellung an, wer wirtschaftlich eigentlicher Leistender und Leistungsempfänger ist, was freilich eine bewertende Beurteilung einschließt. In der Erfassung solch durchlaufender Leistungen als eine einheitliche Leistung liegt einer der Hauptvorteile des modernen Leistungsbegriffs. – Auch der Vertrag zugunsten Dritter bedarf gesonderter Betrachtung, oben Rdn. 295ff.

Man kann (nach Kunisch) zwei Arten von Dreiecksverhältnissen unterscheiden: (1) Ein Dritter leistet anstelle des Schuldners wirksam an den Gläubiger, vgl. § 267. Der Dritte wird beim Schuldner Rückgriff nehmen wollen (Rückgriffskondiktion). (2) Der Schuldner leistet anstatt an den Gläubiger wirksam, d. h. befreiend, an einen Dritten, vgl. §§ 362 II; 816 II. Der Gläubiger wird Ausgleich vom Dritten verlangen (Drittempfängerkondiktion, unten Rdn. 1491). Beide lassen sich zu dem Begriff der Drittvermögenskondiktion zusammenfassen. Soweit Drittvermögenskondiktionen durchgreifen, sind Direktkondiktionen (Leistungs-, Eingriffs-) nicht möglich. Wer für einen anderen einspringt, soll sich (nur) an den halten dürfen, für den er glauben konnte, einspringen zu sollen; und wer für einen anderen wirksam eine Leistung entgegennimmt, soll sie (nur) an den herausgeben, dem sie zugute kommen sollte, BGHZ 66, 362; 66, 372; s. o. Rdn. 1475. Wo jedoch die Voraussetzungen für Drittempfängerkondiktionen fehlen, kann direkt kondiziert werden, BGHZ 82, 28 – Mehrfachpfändung –; BGHZ 72, 246 (249) – Hotel –, vgl. dazu Rdn. 1431. b) Die Rückgriffskondiktion im Besonderen 1484

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Leistungs- wie Eingriffskondiktion zeichnen sich durch das Auftreten einer Bereicherung aus, die nach Rückgängigmachung ruft. Die jetzt zu besprechenden Bereicherungsansprüche haben demgegenüber gemeinsam, dass eine willentliche Entreicherung, eine Lastentragung geschieht, die im umgekehrten Sinne nach Ausgleich verlangt: Der Entreicherte bringt vor, die Last, die er getragen hat, sei in Wahrheit nicht von ihm, sondern von einem anderen zu tragen. Man kann diese Kondiktionen, zu denen auch die Verwendungskondiktion zählt, wie folgt definieren: Ihnen ist gemeinsam, dass einer etwas für einen anderen „auslegt“. Der Bereicherungsanspruch soll zum Auslagenersatz führen, weil der andere durch die Auslage in Widerspruch zu einer gerechten Lastenverteilung ohne rechtlichen Grund Vorteile erlangt. Mit diesem gemeinsamen Grundgedanken wird zugleich die Grenzziehung zu nicht zu ersetzenden Bereicherungen möglich, was vor allem für die „aufgedrängte Bereicherung“ von Bedeutung ist. Mit guten Gründen könnte man hier von einer „ungerechtfertigten Entreicherung“ sprechen, weil Ansatzpunkt aller Überlegungen die ungerechte Lastentragung ist. Eine Rückgriffskondiktion ist jedoch immer dann nicht notwendig und wegen Vorliegens eines Rechtsgrundes ausgeschlossen, wenn andere – vorgängige – Ausgleichsansprüche zur Verfügung stehen. Wird die Leistung nach § 267 I aufgrund einer vertraglichen Abmachung mit dem wahren Schuldner erbracht, beurteilt sich allein nach dem Vertrag, ob ein Ausgleich (z. B. nach § 670) erfolgen soll. Handelt der Leistende im Interesse des wahren Schuldners, findet das Recht der GoA Anwendung. Besteht eine

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 II 2

Gesamtschuld zwischen leistenden Dritten und Schuldner, enthält § 426 eine vorrangige Regelung. Danach verbleiben für die Rückgriffskondiktion – abgesehen von der weiter unten zu erörternden Verwendungskondiktion (vgl. Rdn. 1492ff) – drei zu unterscheidende Fälle: aa) Rückgriff wegen Zahlung fremder Schuld in Unkenntnis des Mangels der eigenen Verpflichtung, § 267 Die Zahlung fremder Schuld ist nach kontinentaler Auffassung ein anerkannter Fall ungerechtfertigter Bereicherung; vgl. v. Caemmerer, S. 361; Dawson, aaO. Glaubt der Leistende irrtümlich, durch die Leistung eine eigene oder zumindest auch eine eigene Verpflichtung zu erfüllen, muss dies nicht unbedingt zur Rückgriffskondiktion als Unterfall der Nichtleistungskondiktion führen. Einzelne Fälle sind zu unterscheiden:

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Fall 1: A meint irrtümlich, dem G verpflichtet zu sein, die Schuld des S gegenüber G zu begleichen (Fall der doppelten Tilgungsbestimmung). Zahlt A an G, so richtet sich sein Anspruch gegen G (§ 812 I 1 Alt. 1: condictio indebiti), denn die Leistung ist nicht nur Leistung auf fremde, sondern auch auf eine eigene Schuld. So auch BGHZ 78, 201; 82, 28 –Mehrfachpfändung – mit zust. Anm. Lieb, ZIP 81, 1153; zur Zulässigkeit der doppelten Tilgungsbestimmung vgl. RGZ 120, 208; BGHZ 70, 396. Fall 2: A begleicht die Schuld des S gegenüber G nach § 267 I, weil er sich dem S gegenüber irrtümlich verpflichtet glaubt (Fall der Erfüllungsübernahme; vgl. § 329). A hat einen Bereicherungsanspruch gegen S nach § 812 I 1 Alt. 1 (condictio indebiti); S hat durch Leistung des A die Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt (strittig). Fall 3: Alleingesellschafter A bezahlt aus seinem Privatvermögen die Gewerbesteuerschuld der S-GmbH in der Meinung, er sei Steuerschuldner. Da aus der allein erheblichen Sicht des Empfangers G (Gemeinde) die Zahlung als Leistung auf die Schuld der S-GmbH erscheint, erlischt diese Schuld nach §§ 362 I, 267 I. Ein Anspruch des A gegen G nach § 812 I 1 Alt. 1 (condictio indebiti) ist nicht gegeben, da die Leistung auf die Schuld der GmbH und damit mit Rechtsgrund erbracht wurde. A kann sich nur im Wege der Rückgriffskondiktion nach § 812 I 1 Alt. 2 gegenüber S befriedigen. Fall 4: Der Unfallversicherer X zahlt aufgrund einer irrtümlich angenommenen eigenen Leistungspflicht für die Heilbehandlung der Minderjährigen T. Später nimmt X den Vater der T in Anspruch.19 Da die Leistung nicht an V, sondern an T erbracht wurde, wäre an sich wegen des Vorrangs der Leistungskondiktion nur ein Anspruch des X gegen T nach § 812 I 1 Alt. 1 denkbar. Der BGH ließ jedoch im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine nachträgliche Änderung der Tilgungsbestimmung zu; die Leistung auf eigene Schuld wird nachträglich zu einer Leistung auf fremde Schuld (§ 267 I). Nach der Auffassung des BGH sei dem X die Umwidmung nach Treu und Glauben nicht verwehrt, da sich X nicht einen besseren Schuldner suchen wollte (anders daher, wenn der Leistungsempfänger insolvent geworden ist!). X habe aus einer Notlage heraus ohne vorherige rechtliche Prüfung zunächst geleistet und dürfe sich nach Treu und Glauben nun an den eigentlich Begünstigten V halten. Fehlt es damit aber an einer angenommenen Verpflichtung gegenüber V, ergibt sich ein Anspruch nicht aus Leistungskondiktion, sondern nur aus § 812 I 1 Alt. 2 (Rückgriffskondiktion).

bb) Rückgriff wegen Tilgung fremder Verbindlichkeiten in Kenntnis des Mangels eigener Schuld, § 267 I Ließe man eine Rückgriffskondiktion nach § 812 I 1 Alt. 2 generell zu, wenn jemand auf eine fremde Schuld i. S. d. § 267 I leistet, obwohl er weiß, dass er hierzu nicht verpflichtet ist, könnte sich jedermann ohne weiteres zum Gläubiger eines anderen machen. Rechtlicher Ausgangspunkt der Frage, ob in diesem Fall ein Aufwendungs19 Fall nach BGH NJW 1986, 2700; hierzu Denck, JZ 1987, 127; Martinek, EWiR 86, 781; Küper, JA 1986, 606; Schlechtriem, JZ 88, 854 (862); K. Schmidt, JuS 87, 142.

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§ 103 II 2

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ersatzanspruch gegeben ist, ist das Recht der GoA. Da der Leistende weiß, dass er zur Leistung nicht verpflichtet ist, handelt er mit dem Willen, ein fremdes Geschäft, d. h. ein Geschäft des Schuldners, zu führen; § 677. Ist die Geschäftsführung i. S. d. § 683 berechtigt, ergibt sich ein Auflagenersatzanspruch aus § 670. Ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht scheidet aus, denn die berechtigte GoA bildet einen Rechtsgrund für die Leistung des Dritten. Ist die GoA dagegen unberechtigt, wird über § 684 S. 1 auf das Bereicherungsrecht verwiesen. Dabei handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung, wobei es mangels Berechtigung zur Geschäftsführung bereits stets an einem rechtlichen Grund für die Leistung fehlt (sehr strittig; wie hier die h. M., unklar BGH WM 78, 953; vgl. auch MünchKomm/Seiler, Rdn. 4 zu § 684 m. w. N.). Anspruchsgrundlage ist dann §§ 684 S. 1, 812 I 1 Alt. 2 (Rückgriffskondiktion). § 814 findet keine Anwendung; die Vorschrift ist auf die condictio indebiti beschränkt. Der Schuldner wird aber im Rahmen des §§ 818 II, III nach den Grundsätzen der aufgedrängten Bereicherung geschützt (vgl. unten Rdn. 1521). Hätte er einer eigenen Leistung durch Ausübung eines Gestaltungsrechts (Anfechtung) oder Geltendmachung einer Einrede (z. B. Verjährung) entgehen können (vgl. auch den Grundgedanken des § 404), braucht er nichts zu erstatten. Zum Problem der Verjährung BGHZ 47, 370 (375); 70, 389 (398). Einen Sonderfall des Ausgleichs bei wissentlicher Leistung auf fremde Schuld regelt § 268 III. Die Forderung geht im Wege der cessio legis auf den Leistenden über; der Regress ist nicht auf den nach §§ 684 S. 1, 818 II, III ungünstigeren Aufwendungsersatzanspruch beschränkt, wenn der Schuldner die Leistung ablehnt.

cc) Rückgriff in den Fällen echter und scheinbarer Gesamtschuld sowie bei Unterhaltsverpflichtungen 1488

Hier schuldet auch der Leistende, aber nicht alles oder nicht endgültig. Echte Gesamtschuldverhältnisse. Neben die Ausgleichsansprüche aus §§ 426, 662 ff, 677 ff (dazu oben Rdn. 775 ff) treten Bereicherungsansprüche, soweit der Leistende mehr leistet, als er endgültig muss. Scheinbare Gesamtschuldverhältnisse. Hier haften mehrere, meist auf Ersatz eines Schadens, den aber endgültig nur einer zu tragen hat, ohne dass die mehreren Haftenden untereinander durch das Band gleichgerichteter Interessen verbunden sind, oben Rdn. 773f. Für den Regress des zunächst Leistenden gegen den endgültig zu Belastenden gibt es verschiedene Möglichkeiten, die oben Rdn. 778ff dargestellt wurden. Danach kommt ein Ausgleich im Wege der Rückgriffskondiktion, wie ihn das RG gewählt hat (RGZ 82, 214), nach heutiger Auffassung praktisch nicht mehr in Frage. Ebenso wie bei der echten Gesamtschuld dient die Rückgriffskondiktion nur noch dem Ausgleich von Überzahlungen. Unterhaltszahlungen. Hat ein Unterhaltspflichtiger Unterhalt gezahlt, obwohl er nach den Regeln der §§ 1606-1608 noch nicht an der Reihe war, so kann er von dem vor ihm Verpflichteten, der dadurch von seiner Verbindlichkeit frei geworden ist, Ersatz nach § 812 I l (2. Alt.) verlangen (allg. Meinung). Gegenstand dieses Anspruchs sind aber nur echte „Ersatz“-Unterhalts-Leistungen, BGHZ 23, 215; 26, 217; 43, l. Geschäftsführung ohne Auftrag liegt in all diesen Fällen meist nicht vor, weil der Leistende nicht den Willen hat, auch die Verpflichtung des anderen Unterhaltspflichtigen zu tilgen. Der Leistende braucht, wenn er leistet, nicht einmal zu wissen, dass ein anderer, vor ihm Haftender, vorhanden ist.

1489

c) Die Voraussetzungen der Rückgriffskondiktion im Einzelnen, § 812 I 1 Alt. 2 Bei der Rückgriffskondiktion handelt es sich um einen zusätzlichen Fall der Nichtleistungskondiktion neben der Eingriffskondiktion.

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 II 3

aa) Derjenige, der durch die Auslagen des anderen etwas erspart hat, hat „in sonstiger Weise“ etwas erlangt. Denn wenn auch häufig (längst nicht immer) etwas geleistet wird, so geht diese Leistung doch niemals an den Bereicherten, allenfalls an einen Dritten. Bestand keine Unterhaltspflicht, bewirken Unterstützungszahlungen von dritter Seite keine Ersparnis, BGHZ 43, 1. bb) Das Problem der Unmittelbarkeit tritt im Rahmen der Prüfung des Merkmals „auf Kosten“ ebenso wie bei der Leistungskondiktion nicht auf. Wenn jemand dadurch von einer Verbindlichkeit oder Last befreit wird, dass ein anderer für ihn einspringt, so geschieht das immer unmittelbar, das heißt ohne den Umweg über ein fremdes Vermögen. Erforderlich ist allerdings, dass durch die Leistung des Dritten (im Sinne des § 267) gleichzeitig, gewissermaßen automatisch die Schuld des Schuldners untergeht und der Vermögensverlust beim Dritten sowie der Vermögenszuwachs beim Gläubiger entsteht. Man könnte dies die Dreifach-Wirkung der Leistung des Dritten, d. h. des Kondiktionsgläubigers nennen. Ohne diese Dreifachwirkung wäre der Anspruch unbegründet. cc) Das „Erlangte“ besteht allgemein in der Ersparung von Auslagen, häufig im Besonderen in der Befreiung von einer Verbindlichkeit oder sonstigen Last. dd) Auch Auslagen können im Bereicherungswege nur kondiziert werden, wenn sie „ohne rechtlichen Grund“ für einen anderen ausgegeben worden sind. Das bedeutet, dass alle diejenigen Ausgaben nicht erstattet verlangt werden können, zu denen der Ausgebende gegenüber dem Bereicherten verpflichtet war. Danach ergibt sich für die Rückgriffskondiktion nach § 812 I 1 Alt. 2 folgendes Prüfungsschema: (1) (2) (3) (4) (5)

1490

Leistung durch einen Dritten auf eine fremde Schuld; § 267 I Fehlen einer Sonderregelung nach § 683 S. 1 Der eigentliche Schuldner muss etwas erlangt haben (i. d. R. eine Ersparnis) Das Erlangte darf nicht in einer Leistung bestehen Fehlen des rechtlichen Grundes

3. Die Drittempfängerkondiktion als Fall der Drittvermögenskondiktion Ein weiteres bereicherungsrechtlich erhebliches Dreiecksverhältnis zwischen drei Vermögensträgern entsteht, wenn ein Schuldner befreiend an einen Dritten anstelle des Gläubigers leistet, („Typ § 362 II“). Dann kann sich der Gläubiger im Wege bereicherungsrechtlichen Ausgleichs an den Dritten halten (Drittempfängerkondiktion; Kunisch, S. 130 ff: Kondiktion gegen Drittempfänger). Gesetzlich geregelter Fall ist § 816 II (z. B. i. V. m. §§ 370, 407, 408 oder 808); vgl. auch schon oben Rdn. 1475, und allgemein zur Drittvermögenskondiktion oben Rdn. 1483. Der Grundsatz lautet: Wenn ein Schuldverhältnis dadurch erlischt, dass nicht der Gläubiger, sondern ein Dritter den geschuldeten Gegenstand vom Schuldner erwirbt, dann ist der Dritte verpflichtet, dem Gläubiger das Erlangte herauszugeben. Die Voraussetzungen der Drittempfängerkondiktion im Einzelnen, § 812 I I (2. Alt.): a) Der Dritte erlangt etwas „in sonstiger Weise“ auf Kosten des Gläubigers. Grund sind meist Schuldnerschutzvorschriften, §§ 370, 407, 408, 412, 413, 566 c, 793, 808, 851; 40 III Wechselgesetz. b) „Unmittelbarkeit“ im Sinne der alten Lehre ist nicht gefordert, wohl aber bedarf es der „Dreifach-Wirkung“ der Schuldnerleistung in Bezug auf die drei beteiligten Vermögen (entsprechend oben Rdn. 1489).

731

1491

§ 103 II 4

Ungerechtfertigte Bereicherung

c) Das „Erlangte“ besteht im Erhalt der (befreienden) Schuldnerleistung. Für den Schuldner sieht es so aus, als habe er an den Richtigen geleistet. In Wahrheit gebührt aber die Leistung einem andern. d) Im Verhältnis Gläubiger – empfangender Dritter darf kein Rechtsgrund vorhanden sein, der den Dritten berechtigt, die Leistung des Schuldners für sich zu behalten (z. B. ein Auftrag). Die Ermächtigung nach §§ 185, 362 II ist für sich genommen noch kein Rechtsgrund, sie kann z. B. dem Dritten nur im Schuldnerinteresse erteilt worden sein. Liegt ein Rechtsgrund vor, ist zwar die Drittempfängerkondiktion ausgeschlossen (§ 812 I 1 [Alt. 2]), aber das Kausalverhältnis kann den Dritten verpflichten, das Erlangte an den Gläubiger herauszugeben (Dienstvertrag, Geschäftsbesorgung, Auftrag o. ä.). 4. Die Verwendungskondiktion 1492

1493

Als weiterer Fall der Nichtleistungskondiktion wird heute überwiegend auch die Verwendungskondiktion angesehen. Tatsächlich handelt es sich bei Verwendungen (Impensen) um Auslagen. Die Verwendungskondiktion ähnelt der Rückgriffskondiktion. Im Unterschied zu den Rückgriffsfällen ist aber für die Verwendungskondiktion ein Dreipersonenverhältnis nicht Voraussetzung. Daher kann man auch nicht von einer Drittvermögenskondiktion sprechen. Es wird nicht auf eine fremde oder eine vermeintlich eigene Schuld geleistet, sondern es werden tatsächliche Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Sache erbracht, die nicht dem Aufwendenden selbst, sondern einem anderen zugute kommen. Dies rechtfertigt es, in der Verwendungskondiktion eine von der Rückgriffskondiktion zu unterscheidende Variante von Ansprüchen wegen Bereicherung „in sonstiger Weise“ zu sehen (anders bis zur 8. Auflage). Historisch geht es um actiones de in rem verso (= Versionsklagen): Man hat Auslagen in einen Gegenstand hineingesteckt, die man nun zurückerstattet haben möchte. Bei der Verwendungskondiktion ist stets der Vorrang speziellerer Ausgleichsregeln zu beachten. So gehen die Sonderregeln der §§ 994 ff im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, die Verwendungsvorschriften des Kauf-, Miet-, Pacht-, Leih-, Pfand- und Nießbrauchsrechts und die der Vor- und Nacherbschaft vor. Daneben gibt es aber von diesen Vorschriften nicht gedeckte Fälle, in denen jemand fremdes Gut wertvoller macht und dafür Ersatz beansprucht. Dies gilt namentlich für Verwendungen des Nichtbesitzers und des nicht unter die genannten Vorschriften fallenden berechtigten Besitzers (in beiden Fällen fehlt eine Vindikationslage nach §§ 985, 986). Besondere Probleme ergeben sich für die Abgrenzung der Verwendungskondiktion von den Vindikationsansprüchen aufgrund des engen Verwendungsbegriffs des BGH im Rahmen der §§ 994ff. Nach ständiger Rspr. seit BGHZ 10, 177 soll der Verwendungsbegriff auf Aufwendungen beschränkt bleiben, die die Sache wiederherstellen, erhalten oder verbessern (BGHZ 131, 220: Geldwerte Eigenarbeit), während sonstige werterhöhende Aufwendungen (z. B. Bau eines Hauses) nicht gedeckt sind. Da der BGH die §§ 994ff bei Vorliegen eines Vindikationsverhältnisses für abschließend hält, wäre ein Rückgriff auf die Verwendungskondiktion bei nur werterhöhenden Aufwendungen ausgeschlossen; BGHZ 41, 157. Baut jemand im Vertrauen auf sein Eigentum ein Haus auf ein Grundstück, könnte er vom wahren Eigentümer keinen Ersatz verlangen. Mit der h. M. in der Literatur ist jedoch dieses Ergebnis abzulehnen. Dabei wird z. T. der Verwendungsbegriff des BGH für zu eng gehalten (Staudinger/Gursky, Rdn. 23 vor §§ 994 ff; Reuter/Martinek, S. 699; M. Wolf, AcP 166 [1966], 199). Teilweise wird der ausschließende Charakter der §§ 994 ff, insbesondere unter Hinweis auf § 951 II 2, bestritten (Medicus, BürgR, Rdn. 895 f m. w. N.).

1494

Erfolgt die Verwendung durch die Verbindung von Sachen mit einer anderen, fremden Sache, ergibt sich der Bereicherungsanspruch über §§ 951 I, 946, 947 II. Soweit

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

§ 103 II 5

auch Ersatz für Arbeitsleistung geleistet werden soll, ist § 812 I 1 Alt. 2 unmittelbar anwendbar. Erfolgt die Verwendung in Kenntnis der wahren Eigentumslage und liegen die Voraussetzungen der berechtigten GoA nicht vor, wird über § 684 S. 1 auf die Verwendungskondiktion verwiesen. Immer gilt jedoch der Grundsatz, dass Verwendungen nur soweit ersetzt verlangt werden können, als damit Lasten übernommen werden, die schuld- oder sachenrechtlich ein anderer zum Nutzen der Sache tragen muss. Ein Miethauseigentümer hat lt. Mietvertrag die Wohnungen seiner Mieter mit deren Material instandzuhalten. Der Gehilfe des Hauseigentümers verwendet irrtümlich Material des Hauseigentümers. Der Hauseigentümer kann nach §§ 812 I 1 Alt. 2, 951 I, 946 Ersatz des „ausgelegten“ Materials verlangen. Es liegt wie im Fall der verheizten Kohlen (oben Rdn. 1471): dort Eingriffs-, hier Rückgriffskondiktion. A hat einen Obstgarten und beschäftigt darin den Gartengehilfen G. Während einer Abwesenheit des A schneidet G in Feierabendarbeit die Obstbäume in der üblichen Weise aus und legt eine sumpfige Wiese zwischen den Bäumen trocken. Für beides verlangt er „Lohn“. Da er Besitzdiener ist, kommen §§ 994 ff nicht in Frage. Die Werterhöhung der Obstbäume muss A dem G nach §§ 677ff oder Bereicherungsrecht erstatten, da das Ausschneiden eine übliche und regelmäßige Arbeit ist, die auch sonst zu Lasten des A hätte geschehen müssen. Die Werterhöhung der Wiese ist „aufgedrängte Bereicherung“ und dem G nicht zu ersetzen, es sei denn, die Wiese hätte sowieso in der nächsten Zeit trockengelegt werden müssen. Entscheidend für den Ersatz der „aufgedrängten Bereicherung“ ist die wirtschaftliche Planung dessen, dem die Bereicherung aufgedrängt wurde, unter Berücksichtigung des Verkehrsüblichen. Erspart nach diesem Maßstab die aufgedrängte Bereicherung dem Bereicherten künftige Auslagen oder Mindererlöse, ist sie zu ersetzen. Damit löst sich auch die Frage, ob nach §§ 951, 812 die Werterhöhung der durch den Einbau entstandenen neuen Sache bzw. der verbesserten Hauptsache oder der Wert der eingebauten Sache herauszugeben ist. Es gilt letzteres. Vgl. allgemein zur aufgedrängten Bereicherung unten Rdn. 1521.

Für die Verwendungskondiktion ergibt sich folgendes Prüfungsschema:

1495

(1) (2) (3) (4) (5) (6)

Verwendung auf ein fremdes Gut Kein Eingreifen vertraglicher Verwendungsersatzansprüche Kein Vorrang der §§ 994ff Keine Lösung über § 683 S. I Eventueller Rechtsgrundverweis über § 951 I oder § 684 S. 1 Ein anderer muss dadurch etwas erlangt haben, weil er schuld- oder sachenrechtlich zur Lastentragung verpflichtet ist (7) Keine Bereicherung aufgrund Leistung (8) Fehlen des Rechtsgrundes

5. Die Durchgriffskondiktion Die Durchgriffskondiktion stellt einen fünften Fall im System der Bereicherung „in sonstiger Weise“ (= Nichtleistungskondiktion) dar. Im Gegensatz zu den übrigen Kondiktionen ist bei ihr nicht das Prinzip des Vorrangs der Leistungskondiktion (Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion) zu beachten. Ihre Eigenart liegt gerade darin, dass sie ausnahmsweise einen Anspruch gegen den Bereicherten erlaubt, obwohl dieser den Bereicherungsgegenstand durch Leistung eines Dritten erlangt hat. Der Anspruchssteller wird nicht auf die Kondiktion in den jeweiligen Leistungsbeziehungen verwiesen; ihm wird vielmehr der „Durchgriff“ möglich. Gesetzlich geregelte Sonderfälle und eine „allgemeine Durchgriffskondiktion“ sind zu unterscheiden.

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§ 103 II 5

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a) Die gesetzlichen Sonderfälle, §§ 816 I 2, 822 1497

§ 816 I 2 und § 822 ist gemeinsam, dass sie den Durchgriff erlauben, wenn der letztlich Bereicherte unentgeltlich erworben hat.20 A verkauft und übereignet eine Sache an B, wobei der Kauf nichtig ist. B schenkt sodann die Sache dem C. Eine condictio indebiti zwischen A und B scheitert, weil B nach § 818 III entreichert ist. Nach § 822 kann A aber das Eigentum von C verlangen, obwohl C mit Rechtsgrund von B erworben hat. Da er aber für das Erworbene keine Gegenleistung erbringen musste, ist er weniger schutzwürdig. Zur Frage der Geltung des § 822, wenn das Bereicherungsrecht aufgrund einer Rechtsfolgenverweisung anwendbar ist BGH NJW 89, 1478, dazu Knütel, NJW 89, 2504. A leiht dem B eine Sache, die dieser an den gutgläubigen C verschenkt. Nach § 932 I hat C Eigentum erworben. Eine condictio indebiti gegen B scheitert an § 818 III; allenfalls deliktische Ansprüche kommen in Betracht, die aber nicht zum Wiedererlangen der Sache führen. § 816 I 2 erlaubt deshalb entsprechend dem Grundgedanken des § 822 den Durchgriff auf C. Die früher sehr umstrittene Frage, ob § 816 I 2 entsprechend auch auf den rechtsgrundlosen Erwerb anzuwenden ist (ähnlich der analogen Auslegung des § 988 durch die Rspr.), ist mit der h. M. zu verneinen (vgl. insgesamt Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 17 zu § 816; zur früher vertretenen Einheitskondiktionenlehre vgl. Grunsky, JZ 62, 207). Ein Durchgriff würde den Interessen des C nicht gerecht. Müsste er das Erlangte direkt an den Berechtigten herausgeben, gingen ihm seine Einwendungen gegen den Verfügenden, insbesondere sein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 I aufgrund seines eigenen Bereicherungsanspruchs, verloren.

b) Die allgemeine Durchgriffskondiktion, § 812 I 1 Alt. 2 1498

1499

aa) Die Zulässigkeit einer allgemeinen Durchgriffskondiktion widerspricht nur auf den ersten Blick dem Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion. Hält man sich den Sinn dieses Prinzips vor Augen, ergeben sich zugleich mögliche Ausnahmen. Der Vorrang der Leistungskondiktion will sicherstellen, dass der Leistungsempfänger vor Einwendungen aus einem fremden Rechtsverhältnis geschützt wird. Eigene Einwendungen (insbesondere § 273 I aufgrund des eigenen Rückgewähranspruchs bei entgeltlichen Geschäften) sollen erhalten bleiben. Jeder Beteiligte soll das Insolvenzrisiko jener Person tragen, die er sich zum Vertragspartner ausgesucht hat. Hieraus folgt, dass ein Durchgriff neben §§ 816 I 2, 822 zu erlauben ist, wo der endgültig Bereicherte die empfangene Leistung nach Treu und Glauben nicht als Leistung seines Vertragspartners ansehen durfte. Der Bereicherte ist in diesen Fällen nicht schutzwürdig. bb) Erste Voraussetzung eines Durchgriffs ist der sog. Doppelmangel. Allein erheblich sind die Anweisungsfälle, da nur hier der Bereicherte direkt und damit möglicherweise „auf Kosten“ des Dritten (Angewiesenen) etwas erlangt haben kann. Leistet dagegen A zuerst an B und B sodann an C, kann grundsätzlich auch im Fall des Doppelmangels nur im jeweiligen Leistungsverhältnis kondiziert werden. Großhändler K bestellt beim Produzenten V Waren. D schuldet K noch Geld. Zur Begleichung der Kaufpreisforderung des V weist K den D an, direkt an V zu zahlen. Bestand nur die Schuld des D gegenüber K nicht (Deckungsverhältnis), so scheidet ein Durchgriff des D gegen V aus, denn die Zahlung ist für V eine mit Rechtsgrund erbrachte Leistung des K. Ist lediglich der Kaufvertrag zwischen K und V nichtig, kommt es auch nur im Valutaverhältnis K–V zur Rückabwicklung (condictio indebiti); BGHZ 5, 284; D hat nichts zu fordern, denn er ist durch seine Leistung von seiner Schuld befreit worden und damit nicht entreichert.

20 Zu § 822 s. Tommaso/Weinbrenner Jura 2004, 649.

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cc) Das bloße Vorliegen des Doppelmangels genügt nach h. M. jedoch nicht.21 Als zweites muss für den Empfänger der Doppelmangel erkennbar sein. Dabei gilt der Maßstab der §§ 133, 157 entsprechend. Es kommt darauf an, wie ein objektiver Betrachter in der Person des Empfängers die Leistung nach Treu und Glauben verstehen durfte. Im folgenden Fall ließ der BGH einen Durchgriff zu: 22 A weist seine Bank B an, an seinen Gläubiger C 1 000,– Euro zu überweisen. Aufgrund eines Irrtums überweist B jedoch 10 000,– Euro. Ein Doppelmangel in Höhe von 9000,– Euro lag vor; es fehlte sowohl im Valutaverhältnis zwischen A und C an einer solchen Schuld als auch an einer korrespondierenden Anweisung im Deckungsverhältnis. Ein besonderes Schutzbedürfnis des C war nicht gegeben. Zum einen konnte er von A keine Zahlung in Höhe von 10 000,– Euro erwarten. Zum anderen war aber auch hinreichend deutlich, dass das Deckungsverhältnis nichtig sein musste, da dem C das Überweisungsformular mit der richtigen Summe ausgehändigt wurde. Der BGH findet seine Lösung, wie stets bei Dreipersonenverhältnissen, „unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles nach dem Grundsatz von Treu und Glauben“. Konkreter formuliert kommt es darauf an, ob die Anweisung aus der Sicht des Empfängers seinem Schuldner als wirksam zugeordnet werden kann. Dies war hier nicht der Fall. Der Fall der „Zuvielzahlung“ zwingt zu einer zusätzlichen Differenzierung. Die Fälle, in denen Deckungs- und/oder Valutaverhältnis fehlerhaft sind, sind zu unterscheiden von den Fallgestaltungen, in denen es an einer wirksamen Anweisung überhaupt fehlt. Weitere Beispiele für solche „Scheinanweisungen“ sind die Überweisung an den falschen Empfänger, die Doppelüberweisung oder ähnliche Versehen. Das besondere an diesen Konstellationen besteht darin, dass mangels wirksamer Anweisung eine Zurechnung an den scheinbar Anweisenden von vornherein ausscheidet. Es ist deshalb nicht zu rechtfertigen, dem Scheinangewiesenen einen Anspruch gegen den scheinbar Anweisenden einzuräumen, der sich dann an den (u. U. zahlungsunwilligen oder -unfähigen) Zahlungsempfänger halten müsste. In diesen Fällen ist nur die Durchgriffskondiktion die richtige Lösung. Auf die Unkenntnis des Empfängers vom Fehlen der Anweisung kann es dabei nicht ankommen. Auch der gutgläubige Empfänger hat dem (scheinbar) Angewiesenen das Geld wieder herauszugeben (str).23

dd) Über die Fälle des Doppelmangels hinaus ist ein Durchgriff auch dann möglich, wenn in Anweisungsverhältnissen nur das Deckungsverhältnis mangelhaft, das Geschäft im Valutaverhältnis dagegen unentgeltlich ist. Vgl. BGHZ 88, 232 (237); dazu überwiegend zustimmend Gottwald, JuS 84, 841; Lieb, JZ 1983, 960; W. Lorenz, JZ 84, 190. ee) Zu einer Durchgriffskondiktion kommt es schließlich in den Fällen einer Anweisung durch einen Geschäftsunfähigen. In dem durch BGH NJW 90, 3194 entschiedenen Fall nahm der unerkannt geisteskranke A bei der Bank B ein Darlehen auf. Nach einer Absprache zwischen A und B zahlte B die Darlehensvaluta unmittelbar an den Gläubiger G aus, dem ein Anspruch gegen A in entsprechender Höhe zustand. Als die Geisteskrankheit offenbar wurde, verlangte B die Darlehensvaluta von A zurück. Der Darlehensvertrag war nach §§ 104 Nr. 2, 105 I nichtig. Ein Anspruch gegen A aus § 812 I 1 Alt. 1 (condictio indebiti) scheitert nach der konsequenten Rspr. des BGH an der fehlenden Bereicherung des A. A hätte nämlich nur etwas erlangt, sofern die Zahlung an G die Schuld des A gegenüber G zum Er-

21 A. a. noch RGZ 86, 347, BGHZ 5, 284; H. P. Westermann, JuS 68, 17; wie hier v. Caemmerer, JZ 62, 385; Esser/Weyers, § 48 III 3 c; Enneccerus/Lehmann, § 221, Anm. 12 (S. 881). In BGHZ 48, 70 ist der BGH von seiner früheren Rspr. abgekehrt. 22 BGH NJW 87, 185, dazu Canaris, JZ 87, 201; Flume, NJW 87, 635; Martinek, EWiR 86, 1099; Meyer-Cording, NJW 87, 940; Rehbein, JR 87, 510; Schäfer, JA 87, 94; K. Schmidt, JuS 87, 236, 510; vorher schon ähnlich BGHZ 87, 393 für den Fall des Widerrufs eines Schecks; vgl. den davon abweichenden Fall BGHZ 61, 289. 23 BGHZ 147, 145; BGH NJW 2003, 582; 2005, 3213; 2006, 1731; Larenz/Canaris II 2 S. 225ff. Nachweis des Streitstandes bei MüKo/Lieb § 812 Rdn. 54ff.

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löschen gebracht hätte. Dies würde eine wirksame Leistungsbestimmung durch A voraussetzen. Daran fehlt es aber, weil nach der Rspr. des BGH hierfür Geschäftsfähigkeit des A Voraussetzung ist (anders Larenz/Canaris II 2 S. 134); vgl. oben Rdn. 1430. A blieb auch nach Zahlung des B weiterhin dem G gegenüber verpflichtet. Wesentliches praktisches Kriterium für die Zulassung des Durchgriffs in diesen Fällen ist der Schutz des Geschäftsunfähigen. Weist er zu einer Zahlung an einen Dritten an, so soll hieraus für ihn keine Verbindlichkeit aus Bereicherung resultieren. Sowohl der Angewiesene wie der Anweisungsempfänger tragen das Risiko des Mangels in der Geschäftsfähigkeit. Wie bei gänzlichem Fehlen einer Anweisung (s. o.) ist es auch bei Nichtigkeit einer Anweisung nicht erforderlich, dass der Leistungsempfänger den Mangel erkennt. Im obigen Fall muss also B im Wege der Durchgriffskondiktion nach § 812 I 1 Alt. 2 von G kondizieren. G hat allein auf Kosten der B etwas erlangt. A bleibt dem G mangels Erfüllungswirkung der Anweisung im Valutaverhältnis verpflichtet.

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ff) Rechtlich geboten ist es auch, den Durchgriff in den Fällen der organisationsbezogenen Werkverschaffungsverträge zuzulassen. Allerdings ist es dogmatisch richtiger, hier keine Durchgriffskondiktion als Unterfall der Nichtleistungskondiktion, sondern eine Leistungskondiktion anzunehmen (s. o. Rdn. 1438) Vgl. allgemein zum Werkverschaffungsvertrag und im Einzelnen zum bereicherungsrechtlichen Werklohndurchgriff W. Fikentscher, AcP 190 (1990), 33 ff und insbesondere 76ff; sowie o. Rdn. 1196ff, 1438. A und B vereinbaren die Errichtung einer technischen Anlage für A. Dabei soll B das Werk nicht selbst errichten, sondern lediglich die Werkerstellung durch von A benannte Dritte, u. a. auch mit C, im Wege eigener Vertragsschlüsse vermitteln. C errichtet als Subunternehmer und Substitut i. S. d. § 664 I 2 das Werk in enger Zusammenarbeit mit A und unter Befolgung der Anweisungen von A. Fällt B in Konkurs, so fragt sich, ob C sich an A halten kann. Dies ist nach dem auch im Bereicherungsrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben geboten. Die Benennung des Substituten durch A sowie die Zusammenarbeit von A und C bei der Werkerstellung rechtfertigen es, eine Leistung des C an A ebenso wie eine Leistung an B anzunehmen. Da es allerdings im Verhältnis zu A an einem Rechtsgrund in Form eines Vertrages fehlt, kann C von A das Erlangte nicht aus Vertrag, sondern nur über eine Leistungskondiktion herausverlangen. Anders liegt es dagegen in den Fällen des gehilfengestützten Werkverschaffungsvertrags. Verspricht B als Hauptunternehmer, das Werk grundsätzlich selbst, jedoch unter Verwendung von Subunternehmern als Erfüllungsgehilfen gemäß § 278, herzustellen, so kommt es zu keiner Leistungsbeziehung zwischen den Subunternehmern und A. Allein B ist für die Werkerstellung verantwortlich, nur er leistet an A. Fällt B in Konkurs, können sich die Subunternehmer nicht an A halten, denn dieser hat etwas ausschließlich von B und dies mit Rechtsgrund erlangt.

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gg) Von hoher Aktualität ist die Zulässigkeit der Durchgriffskondiktion in Fällen der Zession: Fall nach BGH NJW 89, 900 (bestätigt durch BGH NJW 2005, 1369): A nimmt zur Finanzierung des Neuaufbaus seines abgebrannten Wirtschaftsgebäudes ein Darlehen bei der Bank Z auf und tritt ihr zur Sicherheit den vermeintlichen Anspruch gegen den Feuerversicherer V ab. Zahlungen des V sollten zugleich das Darlehen tilgen. V zahlt unmittelbar an Z aus, nachdem ihm die Zession mitgeteilt wurde. Später stellt sich heraus, dass A den Brand vorsätzlich herbeigeführt hat. Der BGH verneinte unter Anwendung seiner üblichen Formel, dass sich im Dreipersonenverhältnis eine schematische Entscheidung verbiete und stets der Einzelfall unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu beurteilen sei, einen direkten Bereicherungsanspruch des V gegen Z. V könne nur von A zurückfordern, da nur im Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Angaben gezahlt wurde. Der Fall dürfe nicht anders beurteilt werden, als wenn V direkt an A und A sodann an Z gezahlt hätte. Anders dagegen BGH WM 88, 1494: A trat seinen Gewinnanspruch aus einem Geschäft mit B an Z ab mit der Abrede, dass die Zahlungen des B auf eine schon bestehende Forderung des Z gegen A angerechnet werden sollten. Als Z mit einer Klage drohte, zahlte B einen „vorläufigen“ Gewinnanteil an Z aus. Später erwies sich der tatsächliche Gewinn als erheblich niedriger. Der BGH ließ hier eine

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Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im Einzelnen

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Kondiktion des B gegen Z als Zessionar zu, da hier allein auf Veranlassung des Z gezahlt worden und damit ein Ausnahmefall gegeben sei, der nach Treu und Glauben den Durchgriff auf Z rechtfertige. Vgl. zu beiden Fällen mit deutlicher Kritik Kohler; WM 89, 1629; Dörner, NJW 90, 473. Dieser Rspr. soll hier nicht gefolgt werden. Die Kriterien zur Bestimmung des Bereicherungsschuldners sind nicht haltbar. Ob die Leistung mehr auf der Einflussnahme des Zedenten oder des Zessionars beruht, ist nicht immer eindeutig feststellbar und kann letztlich rechtlich nicht erheblich sein. Notwendiger Ausgangspunkt ist auch hier der Leistungsbegriff. Die Zwecksetzung der Leistung erfolgt durch den Leistenden, d. h. dem Schuldner der abgetretenen Forderung. Ist die Zession – wie in den entschiedenen Fällen – dem Schuldner mitgeteilt, wird dieser nur durch Leistung an den neuen Gläubiger von der Schuld befreit; § 407 I. Eine Leistung an den Zedenten bliebe dagegen ohne Erfüllungswirkung. Dieser ist zwar noch Vertragspartei, hat aber aus dem Schuldverhältnis nichts mehr zu fordern. Damit fehlt es anders als in den Anweisungsfällen und auch anders als beim Vertrag zugunsten Dritter an einem Deckungsverhältnis. Im Sinne des Bereicherungsrechts liegt nur eine Leistung des Schuldners an den Zessionar vor. Schon die Grundvoraussetzung eines Dreiecksverhältnisses mit einer zeitlich gleichen Tilgung im Valuta- und Deckungsverhältnis ist nicht gegeben (anders Larenz/Canaris II 2 S. 249). Dasselbe muss auch gelten, wenn die Forderung nur zur Sicherung oder erfüllungshalber abgetreten wurde (wie hier Dörner, NJW 90, 473; a. A. insoweit Kohler, WM 89, 1629). Zwar bewirkt dann die Leistung des Schuldners auch das Erlöschen einer Forderung des Zessionars gegenüber dem Zedenten. Diese zusätzliche Tilgungswirkung bleibt aber ohne Einfluss auf die Rechtsfolgen der wirksamen Abtretung. Der Schuldner, der i. d. R. nur von der Abtretung, aber nichts vom Sicherungszweck weiß, leistet weiterhin allein auf eine Schuld gegenüber dem Zessionar und nicht auch gegenüber dem Zedenten. Danach besteht ausschließlich ein Leistungskondiktionsanspruch nach § 812 I 1 Alt. 1 gegen den Zessionar, wenn und soweit die Forderung nicht besteht (nicht zu folgen ist also auch der Rspr., soweit sie in der ausnahmsweise zugelassenen Kondiktion gegen den Zessionar einen Fall des Durchgriffs sieht). Das Ergebnis ist darüber hinaus auch interessengerecht. Der Schuldner hat keinen Anspruch auf Erhalt seines Gläubigers, soweit er nicht die Abtretung nach § 399 ausschließt. Seine Einwendungen aus dem Vertrag mit dem Zedenten bleiben ihm erhalten; §§ 404, 406. Leistet er an den Zessionar, ist es auch nicht unbillig, ihm dessen Insolvenzrisiko aufzubürden. Ja der Schuldner wird sogar primär an einem Anspruch gegen den Zessionar interessiert sein, wenn die Leistung nicht in einer Geldleistung bestand, denn nur der Zessionar ist zur Herausgabe einer etwa übereigneten Sache überhaupt in der Lage. Aus der Sicht des Zessionars ist es nicht unbillig, ihn mit der Rückgewährpflicht zu belasten, da ihm bei Nichtbestand der Forderung die Rechte aus §§ 437, 435 gegen den Zedenten zustehen. Der Zessionar muss auch weiterhin das Risiko der Insolvenz des Zedenten tragen, mit dem er kontrahiert hat. Hieraus folgt insgesamt: Leistet der Schuldner einer abgetretenen, aber nur vermeintlichen Forderung an den Zessionar, so richtet sich der Leistungskondiktionsanspruch immer unmittelbar gegen den Zessionar.

Für die allgemeine Durchgriffskondiktion ergeben sich damit zusammenfassend folgende Voraussetzungen:

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(1) Vorliegen eines Dreipersonenverhältnisses in der Situation einer Anweisung (2) Entweder: Fehlen einer wirksamen Anweisung (3) Oder: Vorliegen eines Doppelmangels, d. h. Nichtigkeit des Geschäfts im Valuta- und Deckungsverhältnis. Hiervon bestehen folgende Ausnahmen: (a) Mangel nur im Deckungsverhältnis; Geschäft im Valutaverhältnis erfolgt unentgeltlich (b) Fälle des organisationsbezogenen Werkverschaffungsvertrags mit der Folge einer Leistungskondiktion gegen den Leistungsempfänger (4) Erkennbarkeit des Doppelmangels für den Leistungsempfänger, soweit ein Doppelmangel erforderlich ist.

6. Die allgemeine Vermögenskondiktion (offene Nichtleistungskondiktion) Die Nichtleistungskondiktion als Kondiktion „in sonstiger Weise“ hat den Charakter einer Generalklausel und erfasst daher auch Fälle, die nicht in den Rahmen der bisher erwähnten besonderen Nichtleistungskondiktionen passen (o. 1.–5.). Insoweit ent-

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Ungerechtfertigte Bereicherung

hält sie auch einen „offenen“ Auffangtatbestand. Zugleich stellt diese allgemeine Nichtleistungskondiktion nicht nur das Gegenstück, sondern auch einen Auffangtatbestand im Verhältnis zur Leistungskondiktion dar. Denn erforderlich ist ein lückenloses System von Bereicherungsansprüchen zur Bewältigung aller Vermögensverschiebungen, die der materiellrechtlichen Güterzuordnung zuwiderlaufen. Wie oben bei Rdn. 1397 und 1427 dargestellt, ist die Leistungskondiktion geeignet, alle Fälle gescheiterter vertraglicher Güterzuordnung und die Eingriffskondiktion alle Fälle zu missbilligender Verschiebungen bei der Zuordnung von Gütern aufgrund von absoluten Rechtspositionen zu regeln. Auch kann es am Begriff der Leistung selbst liegen, dass eine Leistungskondiktion nicht in Betracht kommt. Lücken ergeben sich immer dann, wenn eine Bereicherung der materiellrechtlichen Vermögenszuordnung zuwiderläuft. Rückgriffs-, Verwendungs-, Drittempfänger und Durchgriffskondiktionen decken nur Sonderfälle des Vermögensschutzes ab. Als weitere Nichtleistungskondiktion wird deshalb die allgemeine Vermögenskondiktion (oder: offene Nichtleistungskondiktion; bis zur 7. Aufl. materielle Leistungskondiktion) erforderlich. In ihr kommt zum Ausdruck, dass § 812 I 1 (2. Alt.) BGB auch eine Generalklausel in sich birgt, die ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen wieder gutmachen will. Eine allgemeine Vermögenskondiktion nach § 812 I 1 Alt. 2 ist beispielsweise gegeben, wenn ein Geschäftsunfähiger einen Vertrag schließt, diesen Vertrag – unwirksam – erfüllt und nun das Geleistete (insb. Besitz) vom Vertragspartner nach Bereicherungsrecht zurückgegeben werden soll. Nach § 105 I ist die causa nichtig. Dem Geschäftsunfähigen steht eine allenfalls in Betracht kommende Leistungskondiktion nach § 812 I 1 Alt. 1 condictio indebiti nicht zu, da eine wirksame Zwecksetzung bei der Leistung Geschäftsfähigkeit des Leistenden voraussetzt, BGHZ 106, 163 (166); BGH NJW 90, 3194. Dennoch ist klar, dass der Empfänger auf Kosten des Geschäftsunfähigen und auch unrechtmäßig bereichert ist. In Betracht kommt nur eine Nichtleistungskondiktion. Eine Eingriffskondiktion scheidet aus, da es nicht um den Schutz absoluter Rechtspositionen vor Eingriffen, sondern nur um die Wahrung der Vermögenszuordnung geht. Die Rückgriffs-, Drittempfänger- und Durchgriffskondiktion als Sonderfälle der Vermögenskondiktion scheitern am Fehlen eines Mehrpersonenverhältnisses. Eine Verwendungskondiktion entfällt, weil die Aufwendung des Geschäftsunfähigen nicht einer Sache des Bereicherten zugute gekommen ist. In Betracht kommt daher nur die allgemeine Vermögenskondiktion als Generalklausel und Auffangtatbestand 24. Besonderes Merkmal der allgemeinen Vermögenskondiktion (offenen Nichtleistungskondiktion) ist es, dass die Rückübertragungspflicht nicht gleichsam technisch, sondern nur aufgrund einer materiellen Bewertung ermittelt werden kann. Der Bereicherungsanspruch ist – im Unterschied etwa zur Rückabwicklungspflicht gemäß § 346 I – nicht bloßes Gegenstück zur gescheiterten Vertragserfüllung. Vielmehr muss die mangelnde Rechtfertigung der Bereicherung positiv und materiell festgestellt werden. Im soeben dargestellten Beispielsfall ergibt sich dies aus der Überlegung, dass niemand behalten darf, was er von einem Geschäftsunfähigen ohne Rechtsgrund erhalten hat. Zum Begriff „der materiellen Kondiktion“ vgl. oben Rdn. 1394.

24 Zur Frage der Rückabwicklung bei einer unwirksamen Anweisung durch einen Geschäftsunfähigen vgl. oben Rdn. 1502.

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Der Gegenstand der Bereicherung

§ 104 I

§ 104 Rechtsfolgen des Bereicherungsanspruchs: Der Gegenstand der Bereicherung Eidenmüller, JZ 1996, 889; König, FS v. Caemmerer, 1978, 179; Koppensteiner, NJW 71, 588, 1769; Larenz, FS v. Caemmerer, 1978, 209; Lieb, NJW 71, 1289; Linke, JR 82, 91; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §§ 14–16; Roth, ZHR 153 (1989), 423; Schlechtriem, JZ 88, 854; Wieling, AcP 169 (1969), 137. Schwerpunktmäßig zu VI und VII: Blomeyer, AcP 154 (1955), 527; Beuthien, Jura 79, 532; Braun, JuS 81, 813; Bemecker, Die Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB bei nichtigen gegenseitigen Verträgen, 1982; Büdenbender, AcP 200 (2000) 627; v. Caemmerer, FS Rabel, 1954, 333, 384ff; ders., FS Larenz, 1973, 621; Canaris, FS W. Lorenz, 1991, 36; ders., JZ 1992, 1114; Diesselhorst, Die Natur der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle, verfolgt an der Rechtsprechung zur Saldotheorie, 1968; Ebel, JA 82, 373 und 526; Flessner, Wegfall der Bereicherung, 1970; Flume, FS Niedermeyer, 1953, 103; ders., NJW 70, 1161; ders., AcP 194 (1994) 427; ders., AcP 194 (1994) 427; Hoffmann, Jura 1997, 416; Lange, Herm., JZ 64, 640; Lehmann, FS Nipperdey, 1955, 31; Leser, Von der Saldotheorie zum faktischen Synallagma, 1956; ders., Der Rücktritt vom Vertrag, 1975; Hetzler, NJW 71, 690; Oertmann, DJZ 1915, 1063; ders., JR 1931, 229; Preisler, Über die Anrechnung der Gegenleistung auf den Bereicherungsanspruch, 1929; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §§ 17–18; Thier, JuS-L 1999, 9; v. Thur, FS Bekker, 1907, 303; ders., DJZ 1916, 584; Weimar, W., MDR 68, 378; Weintraud, Die Saldotheorie, 1931; Weitnauer, NJW 70, 637; Wieling, JuS 73, 397.

Zusammengefasst gilt für den Bereicherungsanspruch folgendes: Der Anspruch geht auf das Erlangte, gegebenenfalls zuzüglich der Nutzungen. Ist das Erlangte nicht mehr vorhanden, ist der Wert geschuldet. Doch gilt in jedem Fall eine Beschränkung auf die noch vorhandene Bereicherung (Erlangtes, Nutzung, Wert). Nach Rechtshängigkeit und durch Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes verschärft sich die Haftung.

I. Herausgabe des Erlangten, §§ 812 I 1, 818 I Grundsätzlich muss der Bereicherte das herausgeben, was er bekommen hat. § 812 I 1 nennt dies „das Erlangte“. Wer also wegen nichtigen Kaufvertrags, aber auf Grund gültiger Übereignung nach § 929 um das Eigentum an einer Sache bereichert ist, schuldet nach § 812 I 1 die Rückübereignung gemäß § 929, also Einigungserklärung und Übergabe. Wer bloß um den Besitz einer Sache ungerechtfertigt bereichert ist (Dieb, Finder), schuldet Rückgabe des Besitzes gemäß § 854 I. Das gilt auch, wenn nicht nur der Kauf, sondern auch die Übereignung nichtig ist. Dann erhält der Erwerber, falls übergeben, nur den Besitz. Wem ohne Rechtsgrund eine Forderung erlassen wurde, muss sie wieder durch Vertrag mit dem Gläubiger des Bereicherungsanspruchs begründen. Wer sich ohne Rechtsgrund eine Forderung abtreten ließ, muss sie zurückübertragen (§ 398). Ein Erlassvertrag ist geschuldet, wenn ohne Rechtsgrund eine Forderung begründet wurde, ein einseitiger Verzicht genügt nicht, § 397. – Immer muss die Bereicherung auf dem gleichen Weg rückgängig gemacht werden, auf dem sie entstanden ist. Wertlose Forderungen sind nichts „Erlangtes“, OGHZ 1, 298. Grundsätzlich ist das „Erlangte“ durch Vermögensvergleiche vor und nach dem rechtsgrundlosen Erwerb zu ermitteln, BGHZ 9, 335. Will sich bei gutgläubigem Erwerb der frühere Eigentümer nach § 816 I 1 an den nichtberechtigt Verfügenden halten, oder genehmigt der frühere Eigentümer nach § 185 eine unwirksame Verfügung des Nichtberechtigten, um von § 816 I 1 Gebrauch machen zu können, so entsteht die Frage, was der nichtberechtigt Verfügende als „Erlangtes“ herauszugeben hat. Zwei Auffassungen sind denkbar: Entweder alles, auch einen Gewinn, der den Wert der Sache übersteigt, oder nur den Wert der Sache, unter Belassung des Gewinns beim Nichtberechtigten. Die Bereicherungsvorschriften sind Wertausgleichsnormen. Richtigerweise ist „erlangt“ in solchen Fällen daher nur der Wert der veräußerten

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§ 104 V

Ungerechtfertigte Bereicherung

Sache (sehr umstritten). Hat der Verfügende in Unkenntnis seiner Nichtberechtigung verfügt und dabei ein gutes Geschäft gemacht, mag er den Gewinn behalten, anders BGHZ 29, 157 und die wohl herrschende Meinung. Wie hier v. Caemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, FS Ernst Rabel, 1954, 333, 359. Die Begründung des BGH, der Wert der veräußerten Sache enthalte in den meisten Fällen zugleich den Gewinn, spricht ebensogut für die hier vertretene Meinung. Siehe dazu oben Rdn. 1284. Es ist richtig, dass sich im Wiederverkaufspreis zumeist auch der objektive Wert ausdrückt. Gerade das berechtigt dazu, § 816 I 1 auf den objektiven Wert zu beschränken und die weniger zahlreichen Fälle, wo ein den objektiven Wert übersteigender „Einzelgewinn“ gemacht wird, nach § 687 II zu verweisen: Wusste der Eingreifende also, dass er zur Verfügung nicht berechtigt war, so schuldet er den Gewinn nach §§ 687 II, 681 S. 2, 667, gleichsam zur Strafe für seine Einmischung in einen fremden Rechtskreis. Bei Eingriffen in gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte genügt Fahrlässigkeit, st. Rspr.; Schadensersatzansprüche aus §§ 989 ff bleiben von § 816 unberührt; auch eine Genehmigung nach § 185 beseitigt nicht die Rechtswidrigkeit im Sinne des Schadensersatzrechts, BGH JZ 61, 24 mit zust. Anm. L. Raiser.

II. Nutzungen, § 818 I 1511

Nach § 818 I sind außer dem Erlangten die Nutzungen herauszugeben, die der Bereicherungsschuldner zieht. Nach §§ 99, 100 werden hiervon alle Sach- und Rechtsfrüchte sowie Gebrauchsvorteile erfasst. Bei einer Herausgabe eines Unternehmens soll nach BGHZ 7, 218 der erzielte Gewinn nicht Nutzung sein, arg. § 99 II (zweifelhaft). Nutzung ist auch nicht der durch Veräußerung erzielte Gegenwert (dann § 818 II); § 285 I wird durch § 818 I sinngemäß ausgeschlossen. Vom Grundsatz, dass nur tatsächlich gezogene Nutzungen herauszugeben sind, ist dann eine Ausnahme zuzulassen, wenn ein Lebenssachverhalt vorliegt, der üblicherweise einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt (z. B. Verwendung von Geld durch Bank, Anlegung in Wertpapieren). Dann ist der übliche Zinssatz herauszugeben; BGHZ 64, 322. Auch auf genutztes Geld ist § 818 I anwendbar, Schauhoff, Die Bereicherungshaftung wegen der Nutzung rechtsgrundlos erlangten Geldes, 1992.

III. Das aufgrund eines Rechts Erlangte, § 818 I 1512

A zediert wirksam aufgrund nichtigen Kaufs eine Forderung an B, der sie einzieht. B, schuldet dem A nach §§ 812 I 1, 818 I den eingezogenen Betrag.

IV. Das als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung Erlangte, § 818 I 1513

A übereignet wirksam aufgrund nichtigen Kaufs ein gegen Brand versichertes Haus an B. Brennt das Haus ab, schuldet B dem A nach § 812 I 1 die Rückauflassung (§§ 873, 925) und nach § 818 I die Versicherungssumme oder die Zession der Versicherungsforderung. War auch die Auflassung nichtig, schuldet B dem A Berichtigung nach § 894, Herausgabe gemäß § 985 und die Versicherungssumme bzw. Zession. Weiterveräußerung durch den Bereicherungsschuldner ist nicht „Entziehung“. Den erzielten Preis kann der Bereicherungsgläubiger grundsätzlich nicht als „Ersatz“ verlangen, sondern nur den Wert, hierzu sogleich.

V. Wertersatz, wenn der Bereicherte das Erlangte wegen seiner Beschaffenheit oder aus einem sonstigen Grund nicht oder nicht mehr herausgeben kann, § 818 II 1514

Die Vorschrift ist von Bedeutung. Sie gilt sogar für die Fälle des § 818 I (z. B. im Fall von Gebrauchsvorteilen als Unterfall der Nutzungen). Zur Berechnung der Gebrauchsvorteile beim Pkw-Kauf vgl. OLG Köln, NJW-RR 88, 1136; Klimke, DAR 86, 301; zum Ersatz gehabter Jagdfreuden OLG Hamm, NJW-RR 88,1268. Wegen seiner gegenüber Abs. 1 weiteren Fassung fällt unter § 818 II auch der Fall, dass der Bereicherte das

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Der Gegenstand der Bereicherung

§ 104 VI

Erlangte entgeltlich weiterveräußert. Sogar die Bebauung eines Grundstücks kann zur Unmöglichkeit seiner Herausgabe führen: BGH JZ 81, 667 = NJW 81, 2687. Im Bereich der Leistungskondiktion ist § 818 II – außer für den Fall des Verkaufs des Bereicherungsgegenstandes (s. o.) – vor allem für Dienstleistungen von Bedeutung, die, einmal geleistet, in Natur kaum je zurückerstattet werden können. Geschuldet ist dann der Wert der Arbeit, der übliche Lohn (z. B. der tarifliche), BGHZ 37, 264; zum Arbeitsentgelt für am Hausbau beteiligte Verwandte vgl. BGH NJW-RR 86, 155. Bei Inanspruchnahme von Räumen, Flächen usw. ist Wertersatz in Höhe der üblichen Miete oder Pacht zu leisten, vgl. BGHZ 20, 270 – Droschkenplatz –. Im Bereich der Eingriffs-, Rückgriffs- und Verwendungskondiktion kommt es praktisch immer zur Anwendung des § 818 II. Diese drei Nichtleistungskondiktionen knüpfen an Rechtsbegründungen und -verlusten an, die als solche nicht mehr rückgängig zu machen sind. Bei der Eingriffskondiktion geht es wesensmäßig um Geldersatz für Auswertung (vgl. die Sondervorschrift des § 816 I 1). Bei Rückgriffskondiktionen gehen Verbindlichkeiten unter, die wertmäßig abgegolten werden und von vornherein gar nicht mehr begründet werden sollen. Bei der Verwendungskondiktion soll Ausgleich für Verwendungen gewährt werden, die weder weggenommen werden können noch sollen. § 818 II verdeckt, dass es sich bei den verschiedenen Kondiktionstypen um recht unterschiedliche Ausgleichsregeln handelt. Zu ersetzen ist stets der gemeine Wert (Verkehrswert) in Geld. Der Wert ist zu unterscheiden vom Schaden und vom Interesse (s. o. Rdn. 606 und § 57). Der Wert ist objektiv und unabhängig vom Inhalt des gescheiterten Vertrags und ohne Rücksicht auf gemachten oder entgangenen Gewinn und weitere Schäden zu berechnen, „Geldwerttheorie“, str. Der Verletzergewinn kann also nicht ersetzt verlangt werden, BGHZ 82, 299 – Kunststoffhohlprofil II –, ein Gebrauchsmusterfall, außer wo sondergesetzlich Gewinnersatz vorgesehen ist, wie z. B. in § 97 I 2 UrhG; vgl. o. Rdn. 1400ff. Wohl aber ist bei Verletzung gewerblicher Schutzrechte Wertersatz nach § 818 II durch Zahlung einer angemessenen Lizenz zu leisten, BGH NJW 87, 2869. Dies ist jedoch nicht eine Form der Gewinnherausgabe, sondern der Herausgabe des Erlangten, BGHZ 68, 70 – Kunststoffhohlprofil I –. Das sog. commodum ex negotiatione, also die vollständig erlangte Gegenleistung, ist im Unterschied zu § 285 nicht geschuldet.

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Der von Koppensteiner (NJW 71, 588, 1769) vorgeschlagenen Subjektivierung des Wertbegriffs ist nicht zu folgen. So kommt es bei der aufgedrängten Bereicherung zwar auf die wirtschaftliche Planung des Entreicherten an. Diese Frage ist jedoch nach § 818 III unter dem Aspekt der Entreicherung zu behandeln; ebenso Larenz, FS v. Caemmerer, (1978), 209 (224 f). Der Fall, dass das Erlangte für den Bereicherten schon von Anfang an (oder eine Zeitlang) wertlos ist, hat wertungsmäßig der nachträglichen Entreicherung gleichzustehen und sollte nach § 818 III behandelt werden. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Wertberechnung ist grundsätzlich derjenige der Entstehung des Bereicherungsanspruchs. Zu Besonderheiten der Wertersatzpflicht bei § 822 s. BGH NJW 2004, 1314.

VI. Begrenzung des Anspruchs durch Wegfall der Bereicherung, § 818 III Nach § 818 III ist die Verpflichtung zur Herausgabe der Bereicherung oder der Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Dies ist die entscheidende Beschränkung des Bereicherungsanspruchs, die ihn als einen Anspruch von wirtschaftlich minderer Qualität als die üblichen vertraglichen, deliktischen und sachenrechtlichen Ansprüche kennzeichnet. Sehr häufig scheitert ein nach den §§ 812–817, 818 I, 818 II begründeter Anspruch am Wegfall der Bereicherung, der nach § 818 III den Anspruch zunichte macht. Auch diese Vorschrift ist daher „klausur-

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Ungerechtfertigte Bereicherung

wichtig“. Fünf Dinge sind im Zusammenhang mit § 818 III vor allem von Bedeutung: Die grundsätzliche Wirkungsweise der Vorschrift, das Problem der Ersparnis, die aufgedrängte Bereicherung, die Saldotheorie und das Problem der Aufwendungen auf die herauszugebende Sache. 1. Die grundsätzliche Wirkungsweise 1518

Mit dem Wegfall der Bereicherung, ihres Ersatzes (§ 818 I) oder Wertes (§ 818 II) geht der Bereicherungsanspruch grundsätzlich unter (Einwendung, nicht bloß Einrede). Der 17-jährige Schüler S leiht sich von seinem Onkel O zu Renommierzwecken eine wertvolle Erstausgabe des Werther. Das Buch wird gestohlen. Die Eltern des S erklären, mit der Leihe nicht einverstanden gewesen zu sein. – Da der Leihvertrag unwirksam ist, §§ 598, 604, 108, 107, 2, hatte O nur einen Bereicherungsanspruch auf Rückgabe des Besitzes, § 812 I 1. Dieser ist mit dem Verschwinden des Buches untergegangen, § 818 III. Hatte die Nachlässigkeit des S den Diebstahl verschuldet, kommen die §§ 823 I, 828 III in Betracht, die nicht durch § 993 ausgeschlossen sind (vgl. unten Rdn. 1552).

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Beim Wegfall der Bereicherung in synallagmatischen Verträgen ist aber die Saldotheorie zu beachten (Rdn. 1522). Richtet sich der Bereicherungsanspruch aus § 816 I gegen einen Kommissionär (oder sonstigen mittelbaren Stellvertreter), kann sich der Kommissionär nur auf Bereicherungswegfall bei seinem Auftraggeber, nicht bei sich selbst berufen. Denn dem Berechtigten dürfen aus dem ihm nicht erkennbaren Innenverhältnis zwischen Kommissionär und Kommittenten keine Nachteile erwachsen, Manfred Wolf, JZ 68, 414 gegen BGHZ 47, 128; richtig BGHZ 26, 194; vgl. auch Plambeck, JuS 87, 790. Zur Anwendbarkeit des § 818 III auf die Bereicherungshaftung von BGB-Gesellschaftem s. BGHZ 61, 338 m. Anm. Reinhardt, JR 74, 768 und Meincke, DB 74, 1001. Welche Vermögensnachteile den Kondiktionsschuldner entreichern, lässt sich nicht einheitlich beantworten. Ungenügend ist es, den Vermögensstand vor der bereichernden Vermögensverschiebung mit dem zur Zeit der Herausgabe bzw. der Haftungsverschärfung nach §§ 818 IV, 819, 820 zu vergleichen (dazu Soergel/Mühl, § 818, Rdn. 22). Auch der von der Rechtsprechung für hinreichend erachtete Kausalzusammenhang mit der Vermögensverschiebung ist unbefriedigend. So sind entgegen der Rechtsprechung Schäden, die durch den herauszugebenden Gegenstand verursacht wurden, nicht abzugsfähig, da sie keinen Bezug zum Mangel des rechtlichen Grundes, dem Auslöser der Bereicherungshaftung, haben. Berücksichtigungsfähig sind Aufwendungen im unten 4 dargestellten Umfang, ferner solche Vermögensnachteile, die der Bereicherte im Vertrauen auf die Unwiderruflichkeit des vermeintlichen Vermögenszuwachses erlitten hat, wie z. B. die Verjährung der Forderung gegen den wirklichen Schuldner. Zum Stand der Meinungen BGHZ 56, 173, 180; Flessner, Wegfall der Bereicherung, 1970, 112ff. Die Kosten des Erwerbs von einem Dritten entreichern den Herausgabepflichtigen nicht. BGHZ 55, 176 = ESJ 118 – Jungbullen – begründet dies für § 816 I 1 damit, dass der Anspruch aus § 816 I 1 als Rechtsfortwirkungsanspruch an die Stelle der Vindikation (§ 985) getreten ist, dergegenüber die Erwerbskosten nicht einredeweise geltend gemacht werden können. Das Insolvenzrisiko des Dritten hat der Bereicherungsschuldner zu tragen, weil er mit ihm kontrahiert hat. 2. Das Problem der Ersparnis

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Die Bereicherung ist nicht im Sinne des § 818 III weggefallen, wenn sich der Bereicherte durch den Vorgang, der den Wegfall herbeiführt, eine Ausgabe erspart. Denn

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dann ist er wirtschaftlich noch um den Wert der Ersparnis bereichert, BGHZ 14, 7; BGH NJW 2003, 3271. Verleger V schickt dem Schriftsteller S die Schlussabrechnung für den von S geschriebenen Roman über 5000, – Euro. S macht in seiner Freude über das unerwartet hohe Honorar eine Amerikareise. In New York erreicht ihn der Brief des V, bei der Abrechnung habe man versehentlich eine Null zuviel eingesetzt. S hat 4500,– Euro inzwischen ausgegeben. Daher braucht er nicht zurückzuzahlen, §§ 812 I 1, 818 II, III. Hätte dagegen S die Amerikareise schon seit längerem ohnehin geplant, um Stoff für den nächsten Roman zu sammeln, läge eine Ersparnis und damit eine herauszugebende Bereicherung vor. Wichtig ist die Frage der Ersparnis vor allem bei der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von Nutzungen (Gebrauchsvorteilen). Dazu oben Rdn. 1439 f.

3. Das Problem der aufgedrängten Bereicherung Nicht selten stellt sich die Frage, ob der Bereicherte auch dann zur Herausgabe verpflichtet ist, wenn er das Erlangte gar nicht wollte oder das Erlangte zwar einen objektiven, aber keinen subjektiven Wert hat. Das Problem der Behandlung der aufgedrängten Bereicherung kann sich sowohl im Rahmen einer unberechtigten GoA (§ 684 S. 1) wie auch allgemein bei der Verwendungskondiktion stellen; vgl. oben Rdn. 1494. Dogmatisch am sinnvollsten ist es, die aufgedrängte Bereicherung im Rahmen des § 818 III zu berücksichtigen; grundlegend Larenz, FS v. Caemmerer, 1978, S. 209 (224ff); Reimer, Jürgen, Die aufgedrängte Bereicherung, 1990. Soweit das Erlangte nicht den wirtschaftlichen Planungen des eigentlich Berechtigten entspricht, ist der Berechtigte als entreichert i. S. d. § 818 III anzusehen. Das Erlangte hat sich in seinem Vermögen nicht auf Dauer als Vermögensvorteil niedergeschlagen; es ist subjektiv wertlos. Der Anwendung des § 818 III steht nicht der Einwand entgegen, die Vorschrift decke nur den nachträglichen Wegfall der Bereicherung. Im Ergebnis kann es keinen Unterschied machen, ob die Bereicherung erst später weggefallen ist oder – wie bei der aufgedrängten Bereicherung – aus subjektiven Gründen schon von Anfang an nicht bestand. Nicht ratsam ist es, die aufgedrängte Bereicherung schon im Rahmen des § 818 II zu berücksichtigen; so aber z. B. Koppensteiner, NJW 71, 588, 1769. Die Berechnung des Wertersatzes (§ 818 II) sollte sich allein nach objektiven Kriterien richten.

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4. Die Saldotheorie a) Die herrschende Saldotheorie wirkt ebenso wie die Lehre von der Ersparnis (oben Rdn. 1520) als Begrenzung des Bereicherungswegfalls, § 818 III. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass im Falle der Unwirksamkeit eines synallagmatischen Rechtsgeschäfts bei Zulassung zweier unabhängiger Bereicherungsansprüche („Zweikondiktionenlehre“) der Empfänger der Leistung diese vollständig zurückerstatten muss, während sein Anspruch infolge des Entreicherungseinwands häufig entwertet wird. Deshalb sollen nach der Saldotheorie im unwirksamen synallagmatischen Verhältnis Leistung und Gegenleistung grundsätzlich zu saldieren sein. Der Bereicherungsanspruch geht nur auf Herausgabe oder Wertersatz des Überschusses der Aktiv – über die Passivposten; BGH NJW 88, 3011; dazu Kohler; NJW 89, 1849. Ein Negativsaldo bleibt unberücksichtigt; die Saldotheorie begründet also stets nur einen Abzug, nicht einen selbständigen Anspruch (h. M., wie hier z. B. G. Chr. Schwarz, Rdn. 33; a. A. Flume, FS Niedermeyer, (1953), S. 148: Das Synallagma muss immer voll abgewickelt werden.) Bei der Ermittlung der Bereicherung wird die Gegenleistung, auch wenn der Empfänger insoweit entreichert ist, von vornherein als Abzugsposten berück-

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sichtigt.1 Es stehen sich nicht mehr zwei Bereicherungsansprüche gegenüber, sondern es entsteht nur ein einziger Anspruch. Bereichert ist nur jener Beteiligter, auf dessen Seite sich ein positiver Saldo ergibt. Dies führt bei nichtigen, aber bereits vollzogenen Kauf-, Miet- und Dienstverträgen zu einer wesentlichen Einschränkung des § 818 III. Voraussetzung der Anwendung der Saldotheorie ist stets, dass der Vertrag beidseitig erfüllt ist und die an sich bestehenden Kondiktionsansprüche gleichartig sind (bei ungleichartigen Leistungen ist Zug um Zug zu erfüllen, § 273; vgl. BGH NJW-RR 2004, 229 m. Anm. Finkenauer, NJW 2004, 1704). Demgegenüber will die Zweikondiktionstheorie (Oertmann/v. Tuhr) die Kondiktionen getrennt behandeln, § 818 III also auf jede getrennt zur Anwendung bringen. V bietet dem K brieflich eine gebrauchte Schreibmaschine zu ihrem wahren Wert mit 220,– Euro an. K verliest sich und akzeptiert brieflich zu 200,–, die er zugleich überweist. V verliest sich ebenfalls und übereignet und übergibt dem K die Maschine. Jetzt wird der Dissens entdeckt und beide Teile fordern ihre Leistungen zurück, § 812 I 1 (1. Alt.). Inzwischen ist aber die Schreibmaschine bei K zerstört worden. – Nach der Zweikondiktionentheorie hat K Anspruch auf 200,–, aber V geht nach § 818 III leer aus. Nach der (herrschenden) Saldotheorie ist der Wert der Leistungen zu saldieren, aber nur zur Berechnung des Bereicherungsanspruchs. Der Anspruch des K geht auf 200,–. Davon sind 220,– als Wert der Gegenleistung abzuziehen. K erhält also nichts. Nicht etwa muss K 20,– an V zahlen. V erhält auch nichts, weil sein Bereicherungsanspruch an § 818 III scheitert. – Wäre die Maschine 150,– wert gewesen, bekäme V nichts, K dagegen 50,–. Wäre bei einem Kaufpreis von 200,– die Maschine im Wert von 150,– beschädigt worden, so dass sie jetzt noch 100,– wert ist, bekäme V die Maschine, K 150,–. Denn K muss sich von seinem Anspruch auf 200,– die Wertminderung (50,–) abziehen lassen. Treffen Saldotheorie und Aufrechnungsmöglichkeit aufeinander, geht die Saldotheorie vor: es kann erst gegen den Saldo aufgerechnet werden, BGH ZIP 2000, 1582. b) Zweifelhaft ist jedoch, welche Ausnahmen von der Saldotheorie zu machen sind: aa) Weitgehend einig ist man sich heute in den Fällen fehlender Geschäftsfähigkeit (zu Gunsten nicht voll Geschäftsfähiger). Der ursprüngliche Zweck des § 818 III war es, diesen Personenkreis vor Bereicherungsansprüchen zu schützen, wenn eben wegen ihrer Geschäftsbeschränktheit der Vertrag nichtig ist (vgl. den gemeinrechtlichen Satz: Minor restituitur non tamquam minor sed tamquam laesus; dazu Art. 1305, 1306 Code civil français, wo dieser Grundsatz verwirklicht ist). Die Saldotheorie würde diesen Schutz aufheben. Deshalb darf sie nicht angewendet werden, wenn die Nichtigkeit des Geschäfts auf dem Fehlen der Geschäftsfähigkeit beruht und deren Anwendung im Einzelfall zu Lasten des Geschäftsunfähigen ginge. Das ist heute im Wesentlichen unstreitig. Zutreffend verallgemeinert Medicus II, § 129 II, den Fall des Schutzes des Geschäftsbeschränkten: Es komme auf den Schutzzweck der Nichtigkeitsnorm an. Er darf durch die Ergebnisse der Saldotheorie nicht durchkreuzt werden. Für die Saldotheorie bleibt dann stets noch Raum bei Dissens, Formmangel und anderen Nichtigkeitsgründen, die geschäftsfähigen Personen gleichermaßen „zur Last gelegt werden können“. bb) Das Gleiche – nämlich keine Saldierung – gilt für einen arglistig getäuschten Kondiktionsgläubiger, wenn die Kaufsache ohne sein Verschulden untergegangen ist; BGHZ 53, 114 (148). Würde der Getäuschte anfechten, bekäme er nach der Saldotheorie nichts. Würde der Getäuschte nicht anfechten, sondern nach § 437 Nr. 2 zurücktreten, könnte er den Kaufpreis vollständig zurückverlangen.

1 So ebenfalls die h. M. Ebenso die Rspr., vgl. RGZ 139, 208; 141, 312; 163, 360; BGHZ 1, 75; BGH NJW 63, 1867; BGHZ 53, 144; BGH NJW 88, 3011; bei ungleichartigen Leistungen bedeutet das eine Anbietungspflicht des klagenden Bereicherungsgläubigers, BGHZ 146, 298 (307).

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Der Gegenstand der Bereicherung

§ 104 VII

Die h. M. schließt hier deshalb zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs die Saldotheorie aus (BGHZ 53, 144; 57, 137; Medicus, BürgR Rdn. 230). cc) Die Saldotheorie soll auch nicht zu einer Begünstigung dessen führen, der ein wucherähnliches Geschäft abgeschlossen hat, BGHZ 146, 298 (Medicus BürgR Rdn. 230). dd) Nach BGHZ 72, 252 ist die Saldotheorie ebenfalls nicht anwendbar, wenn ein Vertragspartner nach § 819 verschärft haftet (gleiches muss für §§ 818 IV, 820 gelten). Dem täuschenden Verkäufer hält der BGH die verschärfte Haftung entgegen. Danach soll er auf Zahlung nach § 812 I 1 (1. Alt.) haften, ohne dass sich der anfechtende Käufer die Saldierung gefallen lassen muss (insoweit wie oben). §§ 818 IV, 819, 820 haben aber eine über die Täuschungsfälle hinausgehende Bedeutung (dazu Tiedtke, DB 79, 1261). ee) Der BGH (BGHZ 53, 137) wendet die Saldotheorie darüber hinaus auch dann nicht an, wenn der Untergang z. B. eines gekauften Pkw vom Getäuschten verschuldet war. Hier wurde mit § 826 und mit §§ 823 II/263 StGB geholfen. Der Unfall sei, so der BGH, durch die Täuschung kausal verursacht worden, da der Getäuschte ohne Täuschung den Wagen nicht gekauft hätte und ein gleicher Unfall mit einem anderen Wagen nicht angenommen werden kann. Das Verschulden des Getäuschten sei allenfalls nach den Vorschriften der §§ 242, 254 zu beachten, die auf den Bereicherungsanspruch entsprechend anwendbar sind. Zu dieser Korrektur der Saldotheorie H. Honsell, NJW 73. 350. ff) Die fünf Einschränkungen der Saldotheorie – (1) Schutzzweck der Nichtigkeitsnorm, insb. bei Minderjährigen; (2) Wertungswiderspruch bei Anfechtung; (3) § 138; (4) verschärfte Bereicherungshaftung; (5) § 826, eingeschränkt durch § 254 – lassen möglicherweise einen allgemeinen Grundsatz erkennen: Wer beim gescheiterten synallagmatischen Vertrag „mit reiner Weste“ dasteht, oder wenigstens „mit der reineren Weste“, braucht sich die Saldierung nicht gefallen zu lassen (Man mag dies die „Theorie der reineren Weste“ nennen). Zu einer generellen Verwerfung der Saldotheorie reichen die in diesem Sinne zu machenden Ausnahmen aber noch nicht aus, a. A. Canaris, FS W. Lorenz 1991, 19 ff, 45 f; Larenz/Canaris II 2 § 73 III 2–6; Flume AcP 194 (1994) 427; G. Chr. Schwarz Rdn. 38ff („eingeschränkte Zweikondiktionenlehre“, m. w. A.).

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5. Aufwendungen des Bereicherungsschuldners auf die herauszugebende Sache Macht der Bereicherungsschuldner Aufwendungen auf die herauszugebende Sache, wird der Bereicherungsgläubiger bei Rückgabe seinerseits um den Wert der Aufwendung bereichert. Es ergibt sich – soweit nicht die §§ 994ff im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis vorgehen – ein entgegengesetzter Anspruch aus Verwendungskondiktion; §§ 812 I 1 Alt. 2; 818 II. Esser/Schmidt stellen auf „schutzwürdiges Vertrauen“ ab, vgl. §§ 819 I, 818 IV, 292, 994 ff, 242, was Beachtung verdient, wenn die zeitliche Reihenfolge Schwierigkeiten bereitet. Eine sofortige Verrechnung der beiden Kondiktionsansprüche wie bei der Saldotheorie und damit eine Berücksichtigung als Entreicherung auf der Seite des Verwendenden kommt nicht in Betracht: Ist die Sache herauszugeben, so sind die beiden Kondiktionsansprüche nicht gleichartig. Ist die Sache beim Kondiktionsschuldner aber nach erfolgter Verwendung untergegangen, kann der Kondiktionsgläubiger nicht durch die Verwendung bereichert sein.

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Zum Problem der aufgedrängten Bereicherung bei der Verwendungskondiktion s. o. Rdn. 1494.

VII. Die verschärfte Haftung nach Rechtshängigkeit und bei Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes, §§ 818 IV, 819, 820, 292, 987ff 1. Nach Rechtshängigkeit, d. h. im Regelfall nach Erhebung der Klage (§ 261 ZPO), haftet der Bereicherungsschuldner schärfer, § 818 IV. Er kann sich namentlich nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, § 818 III. Wer verklagt ist, muss damit rechnen, verurteilt zu werden, ist daher zu erhöhter Sorgfalt angehalten und soll das Privileg des normalen Bereicherungsschuldners, den Wegfall der Bereicherung einwenden zu kön-

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§ 104 VII

Ungerechtfertigte Bereicherung

nen, nicht genießen. § 818 IV sagt deshalb, dass er nach den allgemeinen Vorschriften haftet. a) Das sind, wenn Inhalt des Bereicherungsanspruchs ein „bestimmter Gegenstand“ ist, die §§ 292, 987ff; weitere „allgemeine Vorschriften“ in diesem Sinne sind 291; 285; s. Palandt/Sprau § 818 Rdn. 52. Aufgrund nichtigen Kaufs wurde ein Auto wirksam übereignet. Der Eigentümer schuldet Rückübereignung nach § 812 I 1 (1. Alt.). Verklagt haftet er gemäß §§ 818 IV, 292, 989 für verschuldeten Untergang, nicht dagegen für unverschuldetes Abhandenkommen, beispielsweise durch Diebstahl, § 993 I 1. §§ 818 IV, 819, 820 sollen aber nicht so ausgelegt werden, als ob der Bereicherungsgläubiger nunmehr allein auf Schadensersatz angewiesen ist. Die Vorschriften wollen nur seine Besserstellung. Er kann deshalb wahlweise den Gegenstand selbst (wenn noch vorhanden), seinen Wert ohne Nachweis eines Schadens oder Schadensersatz verlangen (Rechtsgrundverweisung). Auch § 285 (durch Verkauf erzielter Erlös!) ist anwendbar, so dass der Bereicherungsschuldner auch das commodum ex negotiatione herauszugeben hat, das er nach § 818 sonst nicht schuldet, BGHZ 75, 203.

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b) Ist kein bestimmter Gegenstand Inhalt des Bereicherungsanspruchs, so handelt es sich (fast immer) um Gattungsschulden. Dann ist allgemeine Vorschrift im Sinne des § 818 IV der Grundsatz nach der bis zur Erschöpfung der Gattung aus der Gattung geschuldet wird, arg. § 243 II, früher § 279; BGHZ 83, 293. Das ist namentlich dann von großer Bedeutung, wenn der Bereicherungsanspruch nach § 818 II (oder schon von vornherein) auf Geld gerichtet ist, vgl. zur Natur der Geldschuld als Gattungsschuld oben Rdn. 259. Geldschulden sind ferner nach § 291 zu verzinsen. 2. Wichtiger als § 818 IV selbst ist die Verweisung darauf in § 819 I. Wer den Mangel des rechtlichen Grundes von Anfang an kennt oder später erfährt, ist von der Kenntnis an ebenso wie ein beklagter Schuldner gewarnt, dass er die Bereicherung herausgeben muss.2 § 819 I fingiert nur Rechtshängigkeit, nicht Verschulden, OGHZ 4, 81. Verzugsrecht gilt daher grundsätzlich nicht, arg. § 990 II. Zur verschärften Haftung bei einer Geldschuld vgl. BAG AP Nr. 2 zu § 819 BGB = ESJ 120 – Geplantes Versehen –. Beispiel zu § 819 I: Jemand fährt ohne zu bezahlen auf einen gebührenpflichtigen Parkplatz. Er sagt dem Parkplatzwächter, er wolle nicht zahlen, „sein Auto bewache sich ja selbst“.

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Streitig ist, in welchem Umfang die Kenntnis und das Kennenmüssen von Hilfspersonen dem Bereicherungsschuldner nach § 819 I zuzurechnen sind. Dem rechtsgeschäftlichen Charakter der Leistungs-, der Drittvermögens- und der Durchgriffskondiktion sowie wohl auch der Verwendungskondiktion entspricht am ehesten die analoge Anwendung von § 166, dem deliktsähnlichen der Eingriffskondiktion die Analogie zu § 831 (mit Exkulpation!). – Für Geschäftsbeschränkte gelten nach der Rspr. die §§ 827–829 analog bei allen Kondiktionsarten.3 3. Gleichgestellte Fälle sind Empfang unter Gesetzes- oder Sittenverstoß (§ 819 II), Leistung zu einem als ungewiss angesehenen Erfolg (§ 820 I 1) und Leistung bei von vornherein möglichem und dann eingetretenem Wegfall des rechtlichen Grundes (§ 820 I 2). Der Bereicherte muss hier immer mit einem Anspruch rechnen und soll daher den § 818 III nicht in Anspruch nehmen dürfen. 2 Die Rechtsprechung neigt dazu, „Kenntnis“ schon bei Kenntnis äußerer Umstände anzunehmen, aus denen der Bereicherungsschuldner das Fehlen des rechtlichen Grundes erschließen musste, BGHZ 72, 9; OLG Hamm NJW 77, 1824; BGH ZIP 1996, 1382; differenzierend Probst, AcP 196 (1996) 225. 3 Vgl. BGHZ 55, 128 – Flugreise –; oben Rdn. 1439. Nur wenn dadurch der Zweck der Entmündigung durchkreuzt würde (RG JW 17, 465), gilt § 278 entsprechend. Mit Kritik an der Rspr. des BGH Canaris, JZ 71, 562; Staudinger/W. Lorenz, Rdn. 11 zu § 819.

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Der Verpflichtete. Die Bereicherungseinrede. Konkurrenzen

§ 105 IV

Hierher gehören Vorauszahlungen auf Maklerprovisionen, Leistungen auf einen noch genehmigungsbedürftigen Grundstückskaufvertrag. 4. Bei § 816 kann die verschärfte Haftung ausnahmsweise zu einer Identität von Erlangtem und Schadensersatz führen, §§ 816 I, 818 II, III, IV, 819, 292, 990, 989.

§ 105 Fortsetzung: Der Verpflichtete. Die Bereicherungseinrede. Konkurrenzen I. Der Verpflichtete Anspruchsgegner ist der Bereicherte im Sinne der §§ 812ff (Leistungsempfänger, Auswerter, Auslagenbegünstigter). Zu den Dreipersonenverhältnissen vgl. oben Rdn. 1432 ff, zu den gesetzlichen Sonderfällen der §§ 816 I 2, 822 oben Rdn. 1496f.

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II. Die Bereicherungseinrede, § 821 1. § 821 regelt nur einen besonderen Fall der allgemeinen „Bereicherungseinrede“. Wer ohne rechtlichen Grund eine Verbindlichkeit eingeht, z. B. in Unkenntnis der Tilgung einer Schuld ein abstraktes Schuldversprechen nach § 780 wegen dieser Schuld erteilt, kann die Erfüllung der Verbindlichkeit stets verweigern.

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Das gilt auch dann, wenn der Anspruch aus § 812 I 1 (1. Alt.) auf Befreiung von der Verbindlichkeit verjährt ist, § 821. Es handelt sich in § 821 um eine echte Einrede, die vorgebracht werden muss. 2. Kein Fall der Bereicherungseinrede liegt dagegen vor, wenn A ohne Rechtsgrund dem B Eigentum an einem Grundstück überträgt und nun das darauf stehende Haus nicht mehr räumen will. Der Anspruch des B aus § 985 ist hier über den Satz „Dolo facit qui petit quod statim redditurus est“ ausgeschlossen, § 242 (vgl. oben Rdn. 217). Denn B müsste den Besitz sofort über Bereicherungsrecht zurückübertragen. Dabei handelt es sich um eine Einwendung, die im Prozess, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen in den Prozessstoff eingeführt sind, auch dann vom Richter zu beachten ist, wenn A sich nicht ausdrücklich darauf beruft.

III. Verjährung Für Bereicherungsansprüche gilt die dreijährige Regelfrist des § 195. Ob wie nach früherem Recht bei der technischen Leistungskondiktion Anpassungen an kürzere vertragsrechtliche Verjährungen vorzunehmen sind (BGH NJW 1972, 95 (97)), ist nach neuem Recht zweifelhaft. Wegen der Abkürzung von 30 auf 3 Jahre ist von einer Anpassung abzusehen.

IV. Konkurrenzen v. Caemmerer, FS G. Boehmer, 1954, 145, 154 ff; Dimopoulos-Vosikis, Die bereicherungs- und deliktsrechtlichen Elemente der §§ 987 bis 1003 BGB, 1966; Haas, AcP 176 (1976), 1; Hadding, FS Mühl, 1981, 225; Heckelmann, JuS 77, 799; Heimann-Trosien, WPM 69, 314; Köbl, Das EigentümerBesitzer-Verhältnis im Anspruchssystem des BGB, 1971; Pinger, Funktion und dogmatische Einordnung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, 1973; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §§ 19–23; Schmitt, Rolf, Die Subsidiarität der Bereicherungsansprüche, 1969; Waltjen, AcP 175 (1975), 109; Westermann, H. P., JuS 72, 18; Wolf, Manfred, AcP 166 (1966), 188; ders., FS Mühl, 1981, 703; Zimmermann, Reinhard, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, 1979.

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§ 105 IV

Ungerechtfertigte Bereicherung

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1. Bereicherungs- und vertragsrechtliche Ansprüche schließen sich sinngemäß aus. Verträge schaffen Rechtsgründe, causae. §§ 812 ff setzen fehlende Rechtsgründe voraus. Hieraus folgert die Rechtsprechung, dass Bereicherungsrecht neben den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, (§ 313) keine Anwendung finden kann (wichtig bei der condictio ob rem, § 812 I 2 Alt. 2); BGH NJW 75, 776; BAG NJW 87, 918; siehe auch o. Rdn. 1457. Scheitern dagegen Verträge mit der Folge ihrer Unwirksamkeit, z. B. mangels Geschäftsfähigkeit, eröffnen Bereicherungsansprüche den Weg zu einem gerechten Ausgleich; BGHZ 36, 30. Nur neben „unechten Vertragsansprüchen“ nach Art des § 546a sind die §§ 812 ff anwendbar (BGHZ 44, 241), ebenso neben Ansprüchen aus § 179 (BGHZ 36, 30). § 254 ist auf Bereicherungsansprüche grundsätzlich unanwendbar; BGHZ 37, 370. Zur entsprechenden Anwendung des § 254 im Rahmen des § 818 III bei der schuldhaften Mitverursachung des Untergangs des Bereicherungsgegenstandes durch den Kondiktionsschuldner vgl. BGHZ 57, 327 (152) sowie oben Rdn. 1526. 2. Die Ansprüche aus Delikt und Bereicherung können dagegen nebeneinander geltend gemacht werden, soweit es sich um den Schutz geordneter Güter handelt, soweit m. a. W. das Bereicherungsrecht reicht. Im Felde der Erwerbsfreiheiten kann es nur deliktischen, nicht bereicherungsrechtlichen Schutz geben, vgl. Rdn. 1392 f.

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3. Sehr streitig ist das Verhältnis von Bereicherungsansprüchen zu den Ansprüchen aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, §§ 985 ff. Die Rechtsprechung sieht in den §§ 985 ff grundsätzlich eine abschließende Sonderregelung (BGHZ 39, 186; 41, 157). In der Literatur werden verschiedene Wege beschritten. Sie reichen von einer Anspruchskonkurrenz der §§ 812 ff mit den §§ 985ff (Pinger, aaO) bis zum Vorrang der Leistungskondiktion vor den Vindikationsansprüchen (v. Caemmerer, aaO). Ausgangspunkt ist § 993 I: Der redliche unrechtmäßige Besitzer soll nicht über die dort angegebenen Grenzen hinaus haften. Die Haftungsbegrenzung erstreckt sich nur auf die Herausgabe von Nutzungen und die Schadensersatzpflicht. Daher bleiben Bereicherungsansprüche, die sich richten auf die Herausgabe des Besitzes (condictio possessionis), auf Wertersatz wegen Verbrauches der Sache oder auf Herausgabe des Erlöses nach § 816 wegen wirksamer Verfügung eines Nichtberechtigten, unberührt; insoweit gelangen §§ 812ff neben §§ 985 ff zur Anwendung. Die Sperrwirkung des § 993 I 2 sollte Bereicherungsansprüche wegen gezogener Nutzungen eigentlich ausschließen. Dennoch setzt sich die h. M. im Schrifttum über § 993 I 2 hinweg, um einen Wertungswiderspruch zwischen § 818 und § 988 zu vermeiden: Ist nur das obligatorische Geschäft nichtig, muss der Empfänger rückübereignen und Nutzungen herausgeben, § 818 I. Ist auch das dingliche Geschäft nichtig, kann er Nutzungen grundsätzlich behalten, §§ 987, 988. Das würde bedeuten, dass bei Nichtigkeit des Kausal- und Verfügungsgeschäftes, also in den „schweren“ Fällen, die Nutzungen beim Empfänger bleiben, in den „leichteren“ dagegen nicht. Die h. L. wendet daher zu Recht §§ 812ff neben §§ 985ff an (Esser, § 188, 3 c bb; Westermann, § 31 III; Baur/Stürner § 11 Rdn. 38; Wolff/Raiser, § 85 II 6; Medicus, BürgR, Rdn. 600, abweichend aber Esser/Weyers, § 52 I 4 b; Köbl, aaO, S. 259 ff schlägt für die Fälle des Doppelmangels vor, die vindikatorische Rechtsstellung durch die weitergehenden Vorteile des Kondiktionsrechtes zu ergänzen). Hat der redliche B die dem A von D gestohlene Sache dem D abgekauft, die Leistung erbracht, und war der Kaufvertrag nichtig, so kann A die Sache von B gem. § 985 herausverlangen, nicht aber die von B gezogenen Nutzungen, da diese Gegenstand der Leistungskondiktion D–B sind. B kann von D den Kaufpreis verlangen und die von D geltend gemachten Nutzungen in Höhe ihres Wertes saldieren. A kann die Nutzungen bei D als Nutzungsentgang liquidieren oder ihren Wert im Wege der Eingriffskondiktion herausverlangen.

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Demgegenüber löst die Rechtsprechung (BGHZ 10, 350; 32, 76) den Wertungswiderspruch, indem sie den rechtsgrundlos Bereicherten dem unentgeltlichen Besitzer (§ 988)

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Übersicht. Der Handlungsbegriff

§ 106

gleichstellt. Diese systematisch eigenartige Gleichstellung „unentgeltlich = rechtsgrundlos“ in § 988 ist auch vom Ergebnis her unbefriedigend, weil sie dem Besitzer, der an einen Dritten eine Gegenleistung erbracht hat, die Möglichkeit nimmt, diese Gegenleistung dem Anspruch auf Nutzungsherausgabe entgegenzuhalten. Mit Rücksicht darauf will BGHZ 37, 363 die Gleichstellung nur noch vornehmen, wenn der Erwerb ohne Vermögensopfer erfolgte; die Entscheidung ist zwar zu § 816 I 2 ergangen, doch liegt die Problematik gleich. Zur Auslegung des § 816 I 2 vgl. oben Rdn. 1497. Zu den Konkurrenzen im Fall der Verwendungskondiktion vgl. oben Rdn. 1493.

16. Abschnitt

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht) § 106 Übersicht. Der Handlungsbegriff. Verhältnis zu den vertraglichen Ansprüchen, zur ungerechtfertigten Bereicherung und zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis Becker, Das Recht der unerlaubten Handlungen, 1976; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986; ders., Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich, 2006; ders., Liber Amicorum Eike Schmidt, 2005, 33; Buchner/Roth, G., Unerlaubte Handlungen, 2. Aufl. 1984; Budewig/Gehrlein, Das Haftpflichtrecht nach der Reform, 2003; v. Caemmerer, FS Rabel, 1954, 333; ders., FS DJT, Bd. II, 1960, 49; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 4. Aufl. 2002; Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt, 1934; Fuchs, Deliktsrecht, 6. Aufl. 2006 (enthält viel Grundsätzliches); Georgiades, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozessrecht, 1967; Großfeld, Die Privatstrafe, 1961; Gruber, Freiheitsschutz als ein Zweck des Deliktsrechts, 1998; Heß, R./Jahnke, Das neue Schadensrecht, 2002; Huber, Ulrich, Deliktsrecht, 1976; Jaeger/Luckey, MDR 2002, 1168; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 10. Aufl. 2005; Kupisch/Krüger, Deliktsrecht, 1983; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003; Möllers, Th. M. J., Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht, 1996; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, §§ 2–3; Wagner, NJW 2002, 2049; Weyers, Unfallschäden, Praxis und Ziele von Vorsorgesystemen, 1971; Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941; (für weiteres Schrifttum vgl. oben §§ 51, 53, 54, jeweils vor I; MünchKomm/Wagner, Vor § 823). I. Über das Wesen der unerlaubten Handlung, den Charakter des Unrechts einer unerlaubten Handlung und über die Abgrenzung von der ungerechtfertigten Bereicherung wurde in § 101 oben Einleitendes gesagt. Dort findet sich auch das System entwickelt, das dem Recht der unerlaubten Handlungen zugrunde liegt. Im Gesetz sind die unerlaubten Handlungen in den §§ 823–853 am Ende des Schuldrechts geregelt. Die Ausdrücke „Delikt“ und „unerlaubte Handlung“ werden in Rechtsprechung und Lehre synonym verwendet. Neben dem Deliktsrecht des BGB, das Ende des 19. Jahrhunderts konzipiert wurde und vom liberalistischen Geist geprägt ist, entwickelten sich – z. T. aus derselben Zeit stammend – andere konkurrierende Schadensausgleichssysteme in anderen Gesetzen, die die gesellschaftliche Schadensverteilung nach rechtsstaatlichen Prinzipien auf kollektiver Basis vornehmen (Schadensüberwälzung auf die Gemeinschaft: Privat- und Sozialversicherungsrecht), vgl. dazu Brüggemeier, AcP 182, 385; Leser, AcP 183, 568; MünchKomm/Wagner Vor § 823 Rdn. 26 ff. Für die vollständige Lösung eines deliktsrechtlichen Falles müssen diese Teilsysteme der Schadensverteilung im Gutachten meistens berücksichtigt werden, die systematische Abhandlung dieser Materie kann jedoch nicht in einem Lehrbuch des Schuldrechts erfolgen.

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§ 106 IV

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Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

II. Die folgende Darstellung unterscheidet die Tatbestände der unerlaubten Handlungen (§§ 107–116) und ihre Rechtsfolgen (§§ 117, 118). Der Tatbestand einer unerlaubten Handlung gliedert sich in den objektiven Tatbestand (§§ 107–115 III), in die Rechtswidrigkeit (§ 115 IV) und in den subjektiven Tatbestand (= i. d. R. Verschulden) (§ 115 V). Der objektive Tatbestand einer unerlaubten Handlung besteht aus der Verletzungshandlung (§§ 107–114), dem Schaden (§ 115 II) und der Kausalität zwischen Verletzungshandlung und Schaden (§ 115 III). Die Verletzungshandlungen wiederum gliedern sich in drei Bereiche, die Regeltatbestände üblicherweise zusammengefasst unter der Bezeichnung Verschuldenshaftung (§§ 107–112), die Gefährdungshaftung – ohne Verschulden – (§ 113) und die Billigkeitshaftung – ohne Verschulden und ohne Gefährdung – (§ 114). Im Rahmen der Verschuldenshaftung sind die allgemeinen oder Grundtatbestände (§§ 107–109), die besonderen oder Sondertatbestände (§ 110), die Haftung für fremde Tat (§ 111) und die Haftung mehrerer Schädiger (§ 112) zu unterscheiden. Die drei Grundtatbestände der Verschuldenshaftung sind die Eingriffsdelikte des § 823 I (§ 107), die Schutzgesetzdelikte des § 823 II (§ 108) und die sittenwidrigen Schadenszufügungen des § 826 (§ 109). Die Eingriffsdelikte des § 823 I behandeln drei Normengruppen, nämlich Eingriffe in absolute Rechte (§ 107 I), in Rahmenrechte (Gewerbebetrieb = Unternehmen = Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht; und Allgemeines Persönlichkeitsrecht – § 107 II) und Eingriffe in Leben, Gesundheit oder Eigentum durch Verletzung einer Verkehrspflicht (§ 107 III); zu dieser Einteilung im Einzelnen § 101 oben. Es lohnt sich, dieses Einteilungsschema zu durchdenken und zu memorieren. III. Im Gutachten sollte stets die Reihenfolge der Prüfung des objektiven Tatbestandes, der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eingehalten werden. Daher ist zuerst zu untersuchen, ob eine Verletzungshandlung im Sinne der allgemeinen oder besonderen Verschuldenshaftung oder der Gefährdungshaftung gegeben ist. Danach ist zu prüfen, ob diese Verletzungshandlung einen Schaden herbeigeführt und ob die Verletzungshandlung den Schaden im Rechtssinne verursacht hat. Wird jedes dieser drei Merkmale bejaht, ist der objektive Tatbestand erfüllt. Hieran schließt sich die Untersuchung der Rechtswidrigkeit und der Schuld an (erst Schuldfähigkeit, dann Schuldform, dann Entschuldigungsgründe). Fehlt die Schuld, ist die Billigkeitshaftung zu prüfen. Damit ist die Tatbestandsseite abgeschlossen, und die Rechtsfolgen sind zusammenzustellen. – Angenommen, in einem gegebenen Fall ist zweifelhaft, ob und welche unerlaubte Handlung in objektiver Hinsicht gegeben ist. Dafür steht von vornherein fest, dass es an jeder Schuld fehlt. Im üblichen Gutachten ist es dann unzulässig, die Frage nach dem Ob und Was einer objektiv unerlaubten Handlung offenzulassen und zu sagen, es fehle offensichtlich an jeder Schuld. Von Schuld kann nur die Rede sein, wenn eine unerlaubte Handlung objektiv vorliegt und ihre Rechtswidrigkeit bejaht worden ist. Allerdings darf man sich in einem solchen Fall auf einige Andeutungen, welche unerlaubte Handlung in Betracht käme, beschränken. Auf zweifelhafte Fragen hinsichtlich des objektiven Tatbestands und der Rechtswidrigkeit einzugehen hätte keinen Zweck. Nicht zweifelsfrei zu beantworten ist die Frage, wie die Gefährdungshaftung (u. § 113) im Gutachtenaufbau zu behandeln ist. Es kommt auf die Fallgestaltung an: Liegt ein umfangreicher Deliktsrechtsfall vor, bei dem auch Gefährdungshaftung in Betracht kommt, ist der vorstehend beschriebene Deliktsrechtsaufbau zu bevorzugen, in dem man an späterer Stelle die mögliche Haftung aus Gefährdungstatbeständen einbringt. Geht es dagegen klar ersichtlich im Wesentlichen um einen Autounfall, Tierhaltungs-, Energie-, Gewässer-, Umwelt-, Arzneimittel- oder Zwangsvollstreckungsschäden, sollte man zuerst auf die Gefährdungshaftungstatbestände zusteuern und dann gegebenenfalls konkurrierendes allgemeines Deliktsrecht prüfen. Die Haftung für Produktfehler prüft man dagegen besser im Rahmen der Eingriffsdelikte (u. § 107 IV), weil sie sich dort entwickelt hat; vgl. aber G. Chr. Schwarz, § 21.

IV. Der Handlungsbegriff – Tun und Unterlassen 1541

1. Die Einordnung (Subsumption) eines menschlichen Geschehens unter den Tatbestand einer unerlaubten Handlung setzt gedanklich die Umformung dieses menschlichen Geschehens in eine subsumierbare, auf ihre Unerlaubtheit zu prüfende Handlung

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Übersicht. Der Handlungsbegriff

§ 106 IV

voraus. Die Frage lautet also zu Beginn: Was ist die zu prüfende Handlung? Sie steht am Anfang jeder Untersuchung, ob eine unerlaubte Handlung (im Strafrecht: ob eine Straftat) vorliegt. Es geht dabei um einen juristischen Kernvorgang, der – im Gutachten oft vernachlässigt – methodisch umstritten ist, vgl. dazu Deutsch, Haftungsrecht I, § 10; Becker, S. 209 ff. Von der genauen und richtigen Bestimmung der zu prüfenden Handlung hängt aber praktisch immer das rechtliche Ergebnis ab. Handlung im Rechtssinne ist ein der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegendes, beherrschbares menschliches Verhalten von rechtserheblicher Bedeutung, vgl. BGHZ 39, 103. Keine Handlungen sind unwillkürliche Reflexe, Verhalten unter physischem Zwang (vis absoluta, s. u. 6), unbeherrschbare Naturvorgänge sowie rechtlich belangloses menschliches Verhalten. 2. Der philosophische Handlungsbegriff, der nur das gewollte Tun umfasst, versagt, da das Recht auch fahrlässiges Tun und Unterlassen kennt. Der Vorwurf, nicht oder nicht ausreichend gewollt zu haben, ist rechtlich genauso belangvoll wie der, etwas rechtlich Missbilligtes gewollt zu haben. Der rechtliche Handlungsbegriff ist also weiter, er ist auch wertungsbestimmt (normativ), während der philosophische enger und – vorbehaltlich späterer Wertungen zunächst – deskriptiv ist. Handlung im Rechtssinne meint ein nicht notwendig willensgetragenes, aber typischerweise vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten, das in einem Tun oder in einem Unterlassen bestehen kann, Dies ist das Hauptbedenken gegen die finale Handlungslehre, die den philosophischen, „finalen“ Handlungsbegriff in die Rechtswissenschaft hineinträgt (ablehnend ebenfalls Larenz, FS Dölle I 1963, 169ff). Die finale Handlungslehre muss, um auch die Fahrlässigkeitsdelikte zu erfassen, mit zwei verschiedenen Handlungsbegriffen arbeiten. Das ist zwar möglich, aber wegen des im Recht stets bestimmenden Normzwecks nicht nötig und, zumindest im BGB, wohl auch contra legem (§§ 276, 280 I 2). Gerade weil die „Handlung“ im zivilrechtlichen Sinne eine technische, vom Norminhalt bestimmte Größe ist, bedarf es nicht ihrer philosophie-begrifflichen Absicherung. Handlung im Rechtssinne ist ein juristischer Zweckbegriff. Der Zweck, auf den hin eine Handlung im Rechtssinne zu definieren ist, liegt in der rechtlichen Bewertung dieser Handlung. Der traditionelle juristische Tatbestandbegriff, der auf der Handlung im hier beschriebenen Sinne aufbaut, ist keine philosophische Wahrheit, sondern ein juristisches Hilfsmittel zur Gliederung der Handlungsbestandteile. Man kann die hier vertretene Deutung des Handlungsbegriffs eine „normative Handlungslehre“ nennen, im Gegensatz zur ,,finalen Handlungslehre“. Weil das Recht die Zwecke bestimmt, braucht der Handlungsbegriff nicht zweckbestimmt (final) zu sein. Wenn man den klassischen Tatbestandsbegriff mit seiner Einteilung in objektiven Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld nicht absolut nimmt, sondern ihn als Hilfsmittel einer normativen Handlungsauffassung betrachtet, gewinnt man einen einheitlichen Handlungsbegriff. Auch gestaltet sich die Bewertung der Handlung als recht oder unrecht unabhängig von ihrem deskriptiv-philosophischen Gehalt und nur nach den Zwecken des Rechts. 3. Der juristische Handlungsbegriff umschließt somit als normativer, d. h. ein menschliches Verhalten regelnder Begriff, das Wollen bei den vorsätzlichen Delikten und das Wollensollen bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Auch die rechtlich oft notwendige Einbeziehung nichtgewollter Vorgänge, die zeitlich vor oder nach dem gewollten Handlungsgeschehen liegen, in den Begriff der Handlung ist nur vom Normzweck her, nicht philosophisch zu erklären. (in diesem Sinne zustimmenswert Larenz aaO: „Zurechnung zur Tat“; im Übrigen führt die Verwendung des Wortes „Zurechnung“ im Deliktsrecht oft nur zur Verunklarung mehrerer Probleme, weshalb es hier vermieden wird). Wer einen anderen mutwillig verletzt, haftet wegen vorsätzlicher Körperverletzung für ein dabei ausgeschlagenes Auge auch dann, wenn er bei dem Überfall keineswegs an das Auge, sondern nur an die beabsichtigte Verletzung dachte. 4. Nicht zur Handlung im Rechtssinne gehören außermenschliche Vorgänge, wie z. B. das Einschlagen eines Blitzes. Aber das Nichtanbringen eines Blitzableiters kann als Unterlassung eine fahrlässige, unerlaubte Handlung sein, so dass das Abbrennen des Hauses durch Blitzschlag dann doch Folge einer unerlaubten Handlung ist. Keine Handlungen sind unbeherrschbare Körperbewegungen oder das Aus-der-Hand-Fallen von Gegenständen bei Bewusstlosen. Wenn ein Selbstmörder auf der Autobahn einem mit 120 km/h dahin fahrenden Auto in den Weg springt, so dass der Unfall schon

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geschehen ist, bevor der Fahrer etwas bemerken kann, so ist das Überfahren dieses Menschen keine Handlung. Taucht der Selbstmörder in einem Abstand vor dem Auto auf, bei dem eine Schnellbremsung möglicherweise noch zur Vermeidung oder Milderung des Unfalles führt, liegt eine Handlung des Fahrers vor, die nach Deliktsrecht, insb. nach dem StVG zu bewerten ist. Nichts zeigt deutlicher den normativen Handlungsbegriff, den das Recht verwendet: Um sie beurteilen zu können, wird die Handlung bestimmt. Handeln im Rechtssinne bedeutet, „etwas“ zu tun, zu dulden, oder zu unterlassen, und das „etwas“ folgt aus einem Rechtszweck. 5. Schäden sind Folgen, nicht Teile von Handlungen. Der unmittelbar durch die Verletzungshandlung bewirkte Schaden (Verletzungsschaden) deckt sich zeitlich regelmäßig mit der Handlung (anders allerdings bei Distanzdelikten). Erst recht nicht zur Handlung zählen Folgeschäden, z. B. Krankenhauskomplikationen, auch wenn sie noch adäquat verursacht sind, dazu oben Rdn. 601 f. 6. Keine Handlung liegt bei Zwang durch unmittelbare Gewalt (vis absoluta) vor, die dem Sichbewegenden die Körperbewegungen unwiderstehlich vorschreibt. 7. „Handlung“ ist der Oberbegriff, der sich in „Tun“ und „Unterlassen“ scheidet. Beides, Tun und Unterlassen, kann vorsätzlich oder fahrlässig geschehen. a) Tun ist ein der Außenwelt erkennbares Handeln, ein Etwas tun, z. B. Gehen, Fahren, Schreiben, Zahlen, Schlagen. b) Unterlassen bedeutet: Etwas nicht tun (nicht etwa: Nichtstun!). Hierin zeigt sich wiederum das Normative des Handlungsbegriffs, denn das Etwas bedarf wertender Ermittlung. So allein kommt es auch, dass ein Unterlassen für einen Erfolg ursächlich sein kann: Ein Nichts kann nicht Ursache sein, ein Etwas-nicht-Tun dagegen wohl. Handlungspflichten (vgl. auch § 13 StGB) können sich ergeben aus: 1 aa) Gesetz (z. B. § 1 StVO) bb) Vertrag (z. B. § 832 II) cc) vorausgegangenem Tun, das entweder gefahrerhöhend wirkt oder sich als tatsächliche Übernahme einer Verantwortung darstellt („vertragslose Pflichtübernahme“). (Wer dem Messerstecher das Messer gab, muss sich um das Opfer kümmern, BGHSt. 11, 355; aber: Wer als Bauherr gemäß § 399 die Abtretbarkeit der Werklohnforderung des Bauunternehmers ausschließt, haftet nicht aus vorausgegangenem Tun, wenn der Bauunternehmer Material verbaut, das ihm vom Lieferanten unter VEV [oben Rdn. 966ff] geliefert worden war, so dass nun der Lieferant nach §§ 93, 946 sein Eigentum verliert, BGHZ 56, 228, 237 ff; BGHZ 102, 293, 309; BGH DB 1991, 159) dd) konkreter Lebensbeziehung wie Ehe, eingetragene Partnerschaft, Familie, Verlöbnis, nichteheliche Lebensgemeinschaft, Bergkameradschaft (Hilfe bei Bergunfall) ee) Verkehrspflichten, s. u. § 107 III, und ff) Pflichten des Produzenten, § 107 IV. Die ersten vier Unterlassensfälle (aa–dd) sind die „klassischen“. Im Strafrecht werden sie „Garantenstellungen“ genannt (BGHSt. 19, 288). Die beiden letztgenannten gehören zu den richterrechtlich entwickelten deliktischen Verhaltensnormen, s. o. Rdn. 1409–1414. Nur wenn das Unterlassen gegen eine oder mehrere dieser Pflichten zum Tätigwerden verstößt, ist es eine Handlung, die i. S. d. §§ 823ff unerlaubt sein kann. Dem Unrechtsurteil ist damit noch nicht vorgegriffen.

V. Das Verhältnis des Deliktsrechts zu den vertraglichen Ansprüchen, zur ungerechtfertigten Bereicherung und zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 1545

1. a) Beim Verhältnis Vertrag-Delikt geht es um das Verhältnis der engeren, vertraglichen Bindung zur allgemeineren Sorgfaltspflicht gegenüber den in einem Gefahrenbereich Befindlichen. Das spricht an sich für Spezialität der Vertragshaftung, so z. B. das französische Recht („non-cumul“). Im deutschen Recht ist man diesen Weg nicht gegangen. Nach herrschender Meinung stehen Ansprüche

1 S. dazu auch oben Rdn. 639, wo es um die Begründung der Rechtswidrigkeit von Unterlassungen geht.

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§ 106 V

auf Vertragserfüllung sowie aus vertraglicher Leistungsstörung einerseits und aus unerlaubter Handlung andererseits in „Anspruchskonkurrenz“ zueinander, d. h. sie können beide nebeneinander geltend gemacht werden, RGZ 88, 433; BGHZ 17, 214 = ESJ 108; Dietz; Georgiades. Genau genommen handelt es sich, wenn der Anspruch auf dasselbe geht, um einen Anspruch mit zwei Begründungen, nicht um zwei getrennte Ansprüche (str.). Beide Anspruchsgrundlagen ergeben einen Anspruch. Sie können nur zusammen erfüllt oder abgetreten werden, nicht einzeln. Das hindert nicht getrennt laufende Verjährungsfristen für jede Anspruchsgrundlage, es sei denn, die Verjährung des vertraglichen Anspruchs ist kürzer als die des deliktischen und die längere deliktsrechtliche Verjährungsfrist läuft dem Zweck der kürzeren vertragsrechtlichen zuwider, BGHZ 55, 392. Letzteres ist dann der Fall, wenn vertraglich eine kürzere Verjährungsfrist vereinbart wurde, als sie die §§ 195, 199 für deliktische Ansprüche vorsehen, und weiterhin wenn vom Gesetz vorgesehene, kurze Verjährungsfristen für vertragliche Ansprüche einer möglichst raschen Abwicklung eines Vertragsverhältnisses dienen sollen, wie z. B. die der §§ 548, 581 II, 606, 1057 und wie bei § 548 regelmäßig konkurrierende Deliktansprüche bestehen. In diesen Fällen wäre nämlich die kurze Verjährung nach Vertragsrecht bedeutungslos, würde sie nicht auch den Deliktsanspruch erfassen (anders z. B. im Fall von § 634 a; s. dazu im selben Sinn Medicus, BürgR, Rdn. 639). Vertragliche Haftungsmilderungen, die in Individualverträgen oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehen sind, lassen die deliktische Haftung grundsätzlich unberührt, es sei denn, die vertraglich vereinbarte Haftungsmilderung sollte nach dem Willen der Parteien auch für die Deliktshaftung gelten, vgl. OGHZ 4, 263; ähnlich BGHZ 21, 214, 218 (Amtshaftung); teilweise anderer Auffassung Jauernig/Teichmann Vor § 823 Rdn. 4 mit Hinweis auf BGH JZ 86, 399: vertragliche Regelung erfasst allgemein auch ueH; wie hier Palandt/Sprau vor 823, Rdn. 8: vertraglicher Ausschluss nicht ohne weiteres für ueH. An die Zulässigkeit der Haftungsmilderung bzw. des Haftungsausschlusses durch AGB werden allerdings strenge Anforderungen gestellt. Sieht das Gesetz eine Milderung der Vertragshaftung vor (vgl. §§ 680, 690, 708), so gilt diese Haftungseinschränkung auch für die deliktische Haftung. Bei betriebsbezogener Arbeit ist sowohl die Vertragshaftung als auch die Deliktshaftung des Arbeitnehmers eingeschränkt, jedoch nur im Verhältnis zum Arbeitgeber, nicht aber im Verhältnis zu Dritten, BGHZ 41, 203; hinsichtlich der Haftung gegenüber Dritten hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Freistellungsanspruch, s. dazu oben Rdn. 1165. Das Ergebnis, dass Ansprüche aus Vertrag und aus unerlaubter Handlung nebeneinander geltend gemacht werden können, rechtfertigt sich auch aus der Überlegung, dass die gesamte Vertragshaftung letztlich aus dem Schadensgedanken zu erklären ist, oben § 5 I. Nur so gelingt es, dass ohne systematische Schwierigkeiten Sachverhalte, die eigentlich deliktsrechtlicher Beurteilung unterliegen, wegen der Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts, insb. wegen der zu eng gefassten Enumerierung in § 823 I und wegen des § 831, heute dem Vertragsrecht zugeordnet werde. Das geltende Vertragsrecht bewältigt insb. nachstehende Fallgruppen mit Vertragsregeln, obwohl es sich eigentlich um Deliktstatbestände handelt: aa) culpa in contrahendo und culpa post pactum perfectum (= post contractum finitum), oben § 19 (Erstreckung der Geltungs- und Haftungsgrenzen des Vertrags in zeitlicher Hinsicht). Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur culpa in contrahendo sind durch das SMG als §§ 311 II, III i. V. m. §§ 241 II, 280 in das BGB aufgenommen worden. bb) Verträge mit Schutzwirkung für Dritte, oben Rdn. 305 (Erstreckung der Geltungsgrenzen des Vertrags in persönlicher Hinsicht); bei der culpa in contrahendo regelt § 311 III eine solche Schutzwirkung für Dritte. cc) Drittschadensersatz, oben Rdn. 611 ff (Erstreckung der Haftungsgrenzen des Vertrags in persönlicher Hinsicht). dd) Vertragsbegleitende Schutzpflichten, s. o. Rdn. 37ff, gesetzlich geregelt in § 241 II (Erstreckung der Geltungsgrenzen des Vertrags im Hinblick auf den Vertragsinhalt). ee) Übererfüllungsmäßiges Interesse, oben Rdn. 504 f (Erstreckung der Haftungsgrenzen des Vertrags im Hinblick auf den Vertragsinhalt). In zeitlicher, persönlicher und sachlicher Hinsicht hat sich also das Vertragsrecht in den deliktsrechtlichen Bereich vorgeschoben, und das bezüglich der Geltungs- und der Haftungsgrenzen des Vertrags, dazu oben Rdn. 147.

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Umgekehrt erfahren vertragliche Ansprüche auch gelegentlich deliktischen Schutz. Abgesehen von § 826, der das gesamte Vermögen unmittelbar schützt, aber enge Voraussetzungen hat, gehören hierher z. B.: ff) Schutz der Forderungszuständigkeit, falls bejaht, siehe aber oben Rdn. 718 f. gg) Schutz vertraglicher Besitzberechtigungen, soweit man den Besitz als „sonstiges Recht“ in § 823 I anerkennt. Es wäre daher nicht sinnentsprechend, Vertrags- und Deliktsrecht als sich gegenseitig ausschließende Gebiete zu verstehen. Die Verwandtschaft ist im gedanklichen Ansatz und in der anspruchsmäßigen Durchführung nicht zu verkennen. b) Daneben können nach herrschender Meinung auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend gemacht werden. Sie liegen aber naturgemäß dann nicht vor, wenn ein Vertrag als Rechtsgrund vorhanden ist. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Delikt können aber nach herrschender Meinung auf das Gleiche gerichtet sein. c) Neben alledem steht das Recht des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, 985ff. Auch diese Ansprüche können nach herrschender Meinung grundsätzlich neben Vertrag, Bereicherung und Delikt geltend gemacht werden, mit drei wichtigen Ausnahmen: Deliktsrecht gilt im EigentümerBesitzer-Verhältnis nur über § 992, also grundsätzlich nicht, sog. „Sperrwirkung“ des § 992; hierin besteht ein wesentlicher Teil der „Privilegierung des redlichen Besitzers“, 993 I HS. 2. Aber Vertragsrecht gilt daneben, Bereicherungsrecht auch, und zwar in dem oben Rdn. 1535 dargestellten Umfang. 2. Nun ergibt sich aber ein Bruch im System, wenn man der – im wesentlichen L. Raiser (Eigentumsanspruch und Recht zum Besitz, FS Martin Wolff, 1952, 123 ff; ders., Sachenrecht 10, § 84 I 2 Anm. 3) zu verdankenden – Klärung folgt, dass das Eigentümer-BesitzerVerhältnis des §§ 985, 987 ff nur auf den nichtberechtigten Besitzer Anwendung findet, also eine „Vindikationslage“ voraussetzt. Dies ist heute, aus hier nicht zu erörternden Gründen, zu Recht herrschende Meinung, BGHZ 27, 317; 31, 132; BGH NJW 64, 1853 (dazu Söllner, JuS 67, 449). Wenn dem so ist, würden nicht mehr zum Besitz berechtigte Besitzer, z. B. gekündigte Mieter, Pächter, Verwahrer usw., nach den milderen Vorschriften der §§ 987ff und wegen § 992 nicht deliktisch haften, wenn man §§ 987 ff auf sie überhaupt anwendet. Die noch herrschende Meinung tut dies. Raiser weist aber zu Recht darauf hin, dass dann ein ungekündigter Mieter aus Vertrag und Delikt, ein gekündigter nach dem vertraglichen Abwicklungsanspruch des § 546 I und nach §§ 987ff, nicht aber aus Delikt haftet. Das ist in der Tat unpassend, weil kein Grund ersichtlich ist, den gekündigten Mieter deliktisch anders, ja sogar besser zu behandeln als den ungekündigten. Raiser vertritt daher konsequent, dass die vertragliche Haftung einschließlich der vertraglichen Abwicklungsansprüche nach Art des § 546 I die Haftung nach §§ 987ff verdrängt (ebenso Planck/ Brodmann 4, Anm. 3 vor § 985 unter Berufung auf Siber; ferner v. Caemmerer, FS für Boehmer, 1954, S. 154, Fn. 42). Diese Ansicht beschränkt daher das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis auf den nichtvertraglichen Besitzer. Offenbar weil aber § 992 das Deliktsrecht dem Recht der Vindikation unterordnet, neigt Raiser dazu, auch das Deliktsrecht auf den vertraglich und nachvertraglich haftenden Besitzer grundsätzlich nicht, sondern nur in bestimmtem Umfang subsidiär anzuwenden. Raiser gelangt daher zu folgender Konkurrenz: a) Vertragliche und vertraglich zur Rückgabe verpflichtete Besitzer haften nur aus Vertrag. §§ 823ff gelten in gewissem Umfang „subsidiär“; §§ 987ff gelten nicht. b) Besitzer, die der Vindikation ausgesetzt sind, haften nach §§ 987ff. Ein Vertrag darf nicht vorliegen. §§ 823 ff gelten nach § 992 grundsätzlich nicht. c) Sonstige, insb. nichtbesitzende Eigentumsverletzer haften nach §§ 823 ff allein. Es bedarf indessen nicht dieser Konsequenz der an sich richtigen Auffassung, dass §§ 987ff nur für und gegen den unberechtigten Besitzer gelten. Das deutsche Recht kennt nicht das französische Prinzip des „non-cumul“, also der gegenseitigen Verdrängung von Vertrags- und Deliktsrecht. Das Nebeneinandergelten vertraglicher und deliktischer Anspruchsgrundlagen ist schon seit dem gemeinen Recht herrschende Meinung. Da aber die Leugnung einer deliktischen Haftung nicht mehr berechtigter Vertragsbesitzer in der Tat unbillig ist und noch und nicht mehr berechtigte Vertragsbesitzer sinnvollerweise gleichbehandelt werden müssen, sollte man beide vertraglich und deliktisch haften lassen. Das bedeutet:

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Übersicht. Der Handlungsbegriff

§ 106 V

(1) Solange der zum Besitz berechtigende Vertrag besteht, haftet der Besitzer aus Vertrag und Delikt. Der Mieter, der die Mietsache an einen Gutgläubigen unwiederbringlich verschenkt, haftet dem vermietenden Eigentümer nach §§ 535, 546, 280 I, III, 283 und nach § 823 I wegen Eigentumsverletzung. Nach §§ 987 ff wird nicht gehaftet (wohl aber bestehen schuldrechtlicher und dinglicher Herausgabeanspruch bezüglich der Sache selbst nebeneinander, z. B. §§ 546 I, 985, vgl. BGHZ 34, 122). (2) War das Besitzrecht untergegangen, als die Verletzungshandlung erfolgte, ist Schadensersatz nach §§ 546, 280 I, III, 283 (604, 695) zu leisten, ebenso nach § 823 I. Eine Haftung nach §§ 987ff ist ebenfalls gegeben, soweit, wie hier vorausgesetzt, die Verletzung eintrat, als die Vindikationslage bestand. (3) Im Übrigen haften unberechtigte Besitzer nach §§ 987ff mit der „Sperrwirkung“ des § 992 und der „Privilegierung“ des § 993 I Halbs. 2 und (4) sonstige Eigentumsschädiger nach §§ 823ff. Die These, dass §§ 987 ff für nicht berechtigte Besitzer gelten, muss also für nicht mehr berechtigte, aber vertraglich zur Rückgabe verpflichtete Besitzer eingeschränkt werden, 546, 604, 695 u. ä. Für diese Besitzer gelten neben den vertraglichen Rückgabepflichten §§ 823 ff unmittelbar, ohne Rücksicht darauf, dass sie nicht mehr zum Besitz berechtigt sind, ohne Rücksicht ferner darauf, ob sie noch für den andern oder schon für sich besitzen wollen. Dies ist übrigens nichts anderes als ein Teil der alten Lehre des RG vom „exzedierenden Fremdbesitzer“ vor dem Auftreten der Lehre von der Vindikationslage, RG Seuff. A 62, 105; RGZ 101, 307 (310); 106, 149 (152); 157, 132 (135). Mittlerweile ist das ganz überwiegende Meinung im Schrifttum; vgl. auch BGHZ 54, 34. Die Privilegierung des unberechtigten Besitzers nach §§ 987ff insb. durch § 993 I Halbs. 2 bleibt nach der hier vorgetragenen Auffassung auf den Personenkreis beschränkt, der sie verdient: Die Besitzer, die mit dem Eigentümer durch Vertrag weder verbunden sind noch waren, die aber zum Eigentümer kraft des Besitzes an der Sache in einem spezifisch sachenrechtlichen Treueverhältnis stehen, aus dem u. a. begrenzte Herausgabe- und Obhutspflichten (vgl. §§ 987–990, 993), aber auch Verwendungsrechte (§§ 994 bis 1003) folgen. Wer hingegen aufgrund abgelaufenen oder gekündigten Vertrags besitzt und vertragsrechtlich rückgabepflichtig ist oder wer auch nur glaubt, er sei es, verdient nicht besser behandelt zu werden als ein berechtigter Fremdbesitzer, verdient also die Privilegierung nicht. Ihn treffen volle vertragliche Obhutspflichten. Es ist aber auch kein durchschlagender Grund ersichtlich, einen vertraglich Haftenden von den allgemeinen deliktischen Sorgfaltspflichten (823ff) zu befreien. 3. Der Grundsatz, dass die Sonderregelung der §§ 987ff gegenüber dem Deliktsrecht Vorrang hat, folgt vor allem aus §§ 992, 993 I 2. Halbs., die sagen, dass der gutgläubige Eigenbesitzer, der sich zu Unrecht für den Eigentümer hält, auch dann nicht haftet, wenn er die Sache schuldhaft vernichtet, beschädigt oder aus einem anderen Grunde nicht herausgeben kann. Von diesem Grundsatz gibt es (über den Fall des nicht mehr zum Besitz berechtigten, zur Rückgabe verpflichteten Besitzers hinaus) zwei weitere Ausnahmen: a) Eine Haftung nach § 823 I tritt trotz gegebener Vindikationslage ein, wenn ein Fremdbesitzer, der aufgrund eines ihm in Wahrheit nicht zustehenden Rechts für einen anderen besitzt (z. B. aufgrund nichtigen Mietvertrags), die Sache „schuldhaft“ vernichtet, verschlechtert oder sonst nicht herausgeben kann (sog. Exzess des vermeintlich berechtigten Fremdbesitzers). Für ihn trifft der Gedanke des § 993 I Halbs. 2 „quasi rem suam neglexit“ nicht zu. Er soll wie ein normaler Fremdbesitzer nach § 823 I haften. Der normale (zum Besitz berechtigte) Fremdbesitzer darf sich auf die günstigeren §§ 987 ff nicht berufen, weil er dem Anspruch aus § 985 die zum Besitz berechtigende Einwendung nach § 986 entgegensetzen kann, also keine „Vindikationslage“ besteht, st. Rspr., vgl. BGHZ 31, 133 (Konkurrenz mit der Haftung aus §§ 989, 990 möglich). Diese von der herrschenden Meinung vorgetragene Begründung der Abgrenzung von § 823 1 und §§ 985 ff überzeugt im entscheidenden Punkte nicht: Der gutgläubige Eigenbesitzer, gegen den der Anspruch aus § 985 besteht, kann mangels Kenntnis dieses Anspruchs dem Eigentümer gegenüber gar nicht schuldhaft handeln, wenn er mit der Sache mutwillig oder nachlässig verfährt. Denn er weiß nicht, dass er damit in ein fremdes Recht eingreift. Er würde also auch nach § 823 I nicht haften (falls nicht ausnahmsweise die mangelnde Kenntnis verschuldet ist).Wenn man die herrschende Meinung im Ergebnis aufrechterhalten will, was wegen der Interessenlage (oben V 2) und wegen des Aufbaus des BGB berechtigt ist, so muss man sie damit begründen, dass wegen des andersartigen

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Rechtswidrigkeitszusammenhangs (hier passt das Wort einmal, vgl. aber oben Rdn. 594) zwischen Eigentümer und gutgläubigem Eigenbesitzer dieser im Falle einer Vernachlässigung der Sache nicht nur nicht schuldhaft, sondern überhaupt nicht rechtswidrig handelt. Dann behält § 993 I Halbs. 2 seinen guten Sinn. Beispiele: Wer aufgrund offenen Dissenses bei der Einigung nach §§ 154, 929 nicht Eigentum erwirbt, haftet im Falle der Bösgläubigkeit dem Eigentümer nach §§ 990, 989, aber nicht nach § 823 I, wenn er die Sache schuldhaft zerstört, auf den durch die Vernichtung entstandenen Schaden. Der durch den Gebrauchsentzug bis zum Untergang der Sache erwachsene Schaden, der dem Eigentümer entstanden ist, muss aber nach § 823 I (Eigentumsverletzung) ersetzt werden: Der Vorenthaltungsschaden wird nicht nach §§ 985ff, sondern nach § 823 I ersetzt. Die §§ 985ff beziehen sich auf Verlust und Beschädigung der Sache selbst und nur darauf. – Dieb und Hehler haften nach §§ 992, 823ff – Wer gutgläubig vom Hehler erwirbt, ist gutgläubiger, aber nichtberechtigter Eigenbesitzer, 935. Er haftet, wenn er die Sache verschlechtert, überhaupt nicht, 993 I Halbs. 2 – Wer ein Auto mietet und es schuldhaft zerstört, haftet aus Mietvertrag und nach § 823 I wegen der Eigentumsverletzung. Gegen ihn bestand bis zum Untergang der Sache kein Vindikationsanspruch, 985, 986, 535. – War der Mietvertrag unerkannt nichtig, haftet er aus § 823 I (sog. Fremdbesitzerexzess). b) Ebenso wie der vermeintlich berechtigte Fremdbesitzer haftet auch der sich einem Dritten verantwortlich fühlende Fremdbesitzer, der dem Eigentümer gegenüber aber nicht zu dem über den Dritten abgeleiteten Besitz berechtigt ist, trotz der Vindikationslage nach § 991 II gemäß § 823. Der Gedanke ist der gleiche wie oben a): Wer trotz mangelnder Besitzberechtigung für den Eigentümer (a) oder einen mittelbaren Besitzer (b), 991 II, besitzt, soll sich auf das Privileg des § 993 I 2. Halbs. nicht berufen dürfen. Zu Recht begründet Siebert (DGWR 40, 241) die Behandlung des exzedierenden Fremdbesitzers mit einer Analogie zu § 991 II. c) „Sperrwirkung“ und „Privilegierung“ der §§ 987ff erleiden insgesamt also drei Einschränkungen: (1) beim vermeintlich berechtigten Fremdbesitzer; (2) beim Fremdbesitzer gemäß § 991 II; (3) beim vertraglich rückgabepflichtigen Besitzer, dessen Besitzrecht beendet ist, 546, 604, 695 usw. 4. Es wird daher im Ergebnis der oben (unter 1) gekennzeichneten herrschenden Meinung des „cumul“ gefolgt, mit zwei Abweichungen von der Ansicht der Rechtsprechung: a) §§ 987, 988 verdrängen die Nutzungsregelung des § 818 I nicht. b) §§ 823 ff gelten trotz vorhandener Vindikationslage, d. h. entgegen § 992, auch im Verhältnis zwischen dem Eigentümer und einem aus Vertrag zwar nicht mehr zum Besitz berechtigten, aber vertraglich zur Rückgabe verpflichteten Besitzer (Beispiel: 546 I).

VI. Vertraglicher Ausschluss deliktischer Haftung 1555

Ob man sich von der Deliktshaftung vertraglich „freizeichnen“, also einen Haftungsausschluss vereinbaren kann, ist z. T. streitig. Ohne Einschränkung ist die Freizeichnungsmöglichkeit zu bejahen, wo ein vertraglicher Ersatzanspruch auch auf Deliktsrecht gestützt werden kann (z. B. bei mietvertragswidriger Schädigung von Vermietereigentum).2 Problematisch sind Haftungsausschlüsse, wenn ein vertraglicher Kontakt fernliegt 3 („Betreten der Baustelle verboten – Eltern haften für ihre Kinder“), und namentlich bei Schäden an Leib und Leben.4 Soweit nicht gesetzliche Freizeichnungsverbote eingreifen (z. B. §§ 7, 8 a II StVG; § 309 Nr. 7 und 8; § 276 III; 14 PHG), müssen restriktive Auslegung und § 138 I helfen.

2 Larenz, SchAT § 31 III; Lange/Schiemann, Schadensersatz § 10 XVI 1; Esser/Weyers, § 63 II 4 a. E.; BGHZ 9 301, 306. 3 Weitnauer, NJW 68, 1599. 4 Deutsch, VersR 74, 305. Siehe näher oben Rdn. 516, dort auch zu den gesetzlichen Freizeichnungsverboten.

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

§ 107

VII. Die ökonomische Analyse des Rechts Die ökonomische Analyse des Rechts (economic analysis of law) fragt, kurz gesagt, ob und inwieweit Recht sich wirtschaftlich lohnt.5 Sie erschwert sich aber die Lösung dieser berechtigten und für viele Abwägungen im Einzelnen möglicherweise wichtigen Frage durch Zugrundelegung des Modells der vollkommenen Konkurrenz (in der kein Wettbewerb stattfindet!) und durch die Wahl eines Effizienzkriteriums, das von der Zeit absieht.6 Das Erste verhindert die praxisgerechte Analyse von Austauschvorgängen (z. B. die in § 119 II BGB vorausgesetzte Regel des caveat emptor, o. Rdn. 146), das zweite die von Ersatz-, Bereicherungs- und Erstattungsvorgängen, bei denen es, nicht zuletzt im Deliktsrecht, häufig auf die Unterscheidung kurz- und langfristiger Effizienz ankommt. Die Mängel ließen sich vielleicht durch Aufgabe des Coase-Theorems 7 beheben, weil es die vollkommene Konkurrenz voraussetzt. Eine moderne Richtung verzichtet auf den Anspruch, das Recht „ökonomisch analysieren“ zu können und nennt sich „Law and Economics“. Sie bietet zukunftsweisende rechtsrealistische Kritik aus der Sicht der Wirtschaftswissenschaft.

1. Unterabschnitt: Die Tatbestände der unerlaubten Handlung

I. Die Verletzungshandlung A. Die Verschuldenshaftung 1. Die allgemeinen Deliktstatbestände § 107 Eingriffsdelikte, 823 I Literatur zu I 1–4: Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld, 3. Aufl. 1995; ders., JZ 2002, 588; Deutsch/Matthies, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl. 1988; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht,

5 In Deutschland hat eine Rezeption der ökonomischen Analyse stattgefunden. Ausgangspunkt für diese Rezeption ist das Werk von Posner, Economic Analysis of Law. Zur Übernahme in das deutsche Rechtssystem: Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, 1985; Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, 2. Aufl. 1993; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986; Beimowski, Zur ökonomischen Analyse Allgemeiner Geschäftsbedingungen, München 1989; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385; Cooter/Ulen, Law and Economics, 4. Aufl. 2003 (empfehlenswerte Einführung); Dorndorf/Frank, ZIP 1985, 665; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip: Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, 1995; Fezer, JZ 1986, 817 (kritisch); ders., JZ 1988, S. 223; Fikentscher, Wirtschaftsrecht 1983, I 16; II 3, 145, 187, 214; Harrison, J. L., Law and Economics, 1995; Horn, AcP 176 (1976), 307; Hutter, ZHR 144 (1980), 642; Kirchner, ZHR 144 (1980), 563; Koch, FS Zweigert, 1981, 851; Kötz/Schäfer, Iudex oeconomicus, 2003; Lehmann, Michael, Bürgerliches Recht und Handelsrecht – eine juristische und ökonomische Analyse, 1983; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. 2005. 6 Näher Fikentscher, W., Culture, Law and Economics: Three Berkeley Lectures, 2004. 7 Coase, The Problem of Social Cost, 3 J. L. & Econ. 1 (1960) übersetzt in Assmann/Kirchner/ Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts (o. Anm. 5) S. 146 ff; Posner, § 3.5, S. 43; Cooter/ Ulen, 5; s. auch Schäfer/Ott, 4 f; Horn, AcP 176 (1976), 307, 329ff.

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§ 107

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

5. Aufl. 2003; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 1986; Giesen, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 1995; Gsell, Substanzverletzung und Herstellung, 2003; Heidelk, Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden, 2005; Heinemann/Ramsauer, Weiterfresserschäden und gestörter Gesamtschuldnerausgleich, JURA 2004, 198; Koch, AcP 203 (2003) 603; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 10. Aufl. 2006; Kuntz, Arzthaftungsrecht, 1986 ff; Kupisch/Krüger, Deliktsrecht, 1983; Laufs, Arztrecht, 5. Aufl. 1993; Neuefeind, Arzthaftungsrecht, 2001; Reinicke/Tiedtke, NJW 86, 10; Rheinstein, FS v. Hippel, 1967 373; Rosenbach, Eigentumsverletzung durch Umweltveränderung, 1997; Spickhoff, NJW 2002, 2530 (zu den Problemen von Pflichtverletzung, Rechtswidrigkeit und Verschulden bei der Arzthaftung); ders., NJW 2006, 1630; Steffen, Arzthaftungsrecht, 2002; Stoll, Hans, FS Nipperdey, 1965, 739; ders., JZ 72, 365. Zu I 5: v. Caemmerer, FS DJT, Bd. II, 49; ders., Karlsruher Forum 1961, 19; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1995; Medicus, AcP 165 (1965), 115; Reinhardt, JZ 61, 713; ders., Karlsruher Forum 1961, 3; Raape, IherJb 74, 179; Rieger, NJW 89, 2798; Rödig, Erfüllung des Tatbestandes des § 823 Abs. 1 durch Schutzgesetzverstoß, 1973; Schmid, Zur Dogmatik der Klage auf Schutz des „räumlich-gegenständlichen Bereichs“ der Ehe, 1983; Schramm, Th., NJW 66, 2153; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, 1915; Schwab, JuS 1961, 142; Struck, JZ 76, 160; Weitnauer, Karlsruher Forum 1961, 18; Wieser, JuS 70, 557; ders., NJW 71, 597. Zu 1 6: Becker, Chr., AcP 196 (1996) 439; Canaris, FS Flume, Bd. I, 1978, 371; Deuchler, Die Haftung des Arztes für die unerwünschte Geburt eines Kindes („wrongful birth“), 1984; Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, 1967; Krasser, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971; Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte, 1970. Zu II 1: Brecher, Das Unternehmen als Rechtsgegenstand, 1953, 130 ff; Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz, 1971; ders., DB 79, 1068; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, 232 ff; ders., FS Kronstein 1967, 261; ders., Wirtschaftsrecht, 1983, Bd. II, 112, 131 ff, 152, 371; Isay, Rudolf, Recht am Unternehmen, 1910; Katzenberger, Recht am Unternehmen und unlauterer Wettbewerb, 1967; Kübler, Wirtschaftsordnung und Meinungsfreiheit, 1966; ders., AcP 172 (1972), 177; Lerche, FS Gebhard Müller, 1970, 197; Nipperdey, Die Frage des Schutzes des Unternehmens nach § 823 BGB, Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Bd. II. 1931, 446; ders., Die Ersatzansprüche für die Schäden, die durch den von den Gewerkschaften gegen das geplante Betriebsverfassungsgesetz geführten Zeitungsstreik vom 27.–29. 5. 1952 entstanden sind, 1953; Schippel, Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1956; Schnug, JA 85, 440; Schricker, AcP 172 (1972), 203; Stadtmüller, Schutzbereich und Schutzgegenstände des Rechts am Unternehmen, 1985; Wiethölter, Zur politischen Funktion des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, KritJ 1970, 121. Zu II 2: Beater/Habermeier (Hrsg.), Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch die Medien, 2005; Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 1999; Bruns, JZ 2005, 428; v. Caemmerer, FS v. Hippel, 1967, 27; Frommeyer, JuS 2002, 13; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1995; ders., NJW 2001, 585; Hubmann, NJW 62, 12; ders., JuS 63, 98; ders., Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. 1967; Jakobs, WRP 2000, 896; Müller, VersR 2000, 797; Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001; Petersen, Medienrecht, 2. Aufl. 2005, Rdn. 124ff; Peuckert, ZUM 2000, 710; Schack, JZ 2000, 1060; Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, 1977; ders., JuS 78, 289; Seifert, NJW 1999, 1889; Simon, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine gewerblichen Erscheinungsformen, 1981; Staudinger/Schmidt, Jura 2001, 241; Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, 1983; Ullmann, WRP 2000, 1048; Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages (Gutachten von Bußmann, Referate von Larenz und Nipperdey); Wagner, VersR 2000, 1305; ders., ZEuP 2000, 200. Zu III: v. Bar, Verkehrspflichten, 1980; ders., in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beil. zu VersR), 1983, 80; ders., in Bydlinski u. a., Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, 63; ders.,

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

§ 107 I

Entwicklung und Entwicklungstendenzen im Recht der Verkehrs(sicherungs)pflichten, JuS 88, 169; Canaris, (II.) FS Larenz, 1983, 27, 77 ff; Deckert, Jura 1996, 348; Edenfeld, VersR 2002, 272; Hager, Zum Begriff der Rechtswidrigkeit im Zivilrecht, FS Ernst Wolff, 1985, 133; Hepp, NJW 73, 2085; Jansen, AcP 202 (2002) 517; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997; Kothe, AcP 185 (1985), 105; Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, 2001; Mertens/Steffen, VersR 80, 397; Möllers, JZ 1999, 24; Raab, JuS 2002, 1041. Zu IV: Bartl, Produkthaftung nach dem EG-Recht, 1983; Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter Produkte, 1999; Borer, Produkthaftung, Der Fehlerbegriff nach deutschem, amerikanischem und europäischem Recht, 1986; Broichmann, Das Produktsicherheitsgesetz als Vorgabe für die Produkt- und Produzentenhaftung, 2001; Brüggemeier, WM 82, 1294; ders., VersR 83, 501; v. Caemmerer, ZBernJVer. 64, 368; Katzenmeier, JuS 2003, 943; Koch, Detlev, Produkthaftung, zur Konkurrenz von Kaufrecht und Deliktsrecht, 1995; Kullmann, NJW 2005, 1907; Möllers, Th. M. J., DB 1996, 1455 (Umweltmanagement); ders., VersR 2000, 1177; Pfufer, Produktfehler oder Fehlverhalten des Produzenten, Das neue Produkthaftungsrecht in Deutschland, den USA und nach der EG-Richtlinie, 1987; Rolland, Produkthaftungsrecht, 1990 (mit ausführl. Schrifttumsangaben, S. 3ff); Sack, VersR 2006, 582; SchmidtSalzer, Produkthaftung im französischen, belgischen, deutschen, schweizerischen, englischen, kanadischen und US-amerikanischen Recht sowie in rechtspolitischer Sicht, 1974; ders., Entscheidungssammlung Produkthaftung, 4 Bde, 1976/82; Bd. I Strafrecht, 2. Aufl. 1988; Bd. III (1 Produkthaftung Deliktsrecht 1. Teil, 2. Aufl. 1990; ders., BB 80, 1; ders., BB 83, 534 und 1251; ders., BB 88, 349; ders., NJW 90, 2966; ders., VersR 91, 9; ders., PHI 90, 234; Schmidt-Salzer/Hollmann, Kommentar EGProdukthaftung, 3. Aufl. 1994; Simitis, Sp., Grundfragen der Produzentenhaftung, 1965; ders., Gutachten für den 47. DJT, 1968; ders., FS Duden, 1977, 605; Spindler, NJW 2004, 3145; Steffen, JR 68, 287; ders., VersR 1988, 977; Graf v. Westphalen, Die Haftung des Warenherstellers im amerikanischen Recht und der Uniform Commercial Code, 1969; ders., WiR 72, 67; ders., Jura 83, 57; 113; 281; 348; ders., ZIP 86, 139; ders., NJW 90, 83; ders. (Hrsg.), Produkthaftungshandbuch, 2 Bde., 2. Aufl., 1997, 1991.

Man muss, wie oben §§ 101, 106 näher begründet, Eingriffe in absolute Rechte (I), in Rahmenrechte (II) und Eingriffe in Leben, Gesundheit oder Eigentum durch Verletzung einer Verkehrspflicht (III) oder einer Produzentenhaftpflicht (IV) unterscheiden.

I. Eingriffe in absolute Rechte Als absolut geschützte Rechtsgüter zählt § 823 I Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und „sonstige Rechte“ auf. Aufzählung („Enumeration“) ist gesetzestechnisch erforderlich, weil nach der Konzeption des BGB nicht jeder Eingriff in den Rechtskreis einer Person eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung darstellen soll. Die genannten Rechtsgüter sind besonders ausgewählte, wichtige Bestandteile des Rechtskreises einer Person. In ihrer Gesamtheit machen sie keineswegs den ganzen Rechtskreis aus, denn zu den „sonstigen Rechten“ im Sinne des § 823 I zählen z. B. nicht die Forderungen und auch nicht das Vermögen als solches. Wird allerdings eines der genannten absolut geschützten Rechtsgüter verletzt, dann ist nicht nur der an diesem Rechtsgut entstandene, sondern grundsätzlich der gesamte dadurch verursachte Vermögensschaden zu ersetzen, 823 I, 249. Der oft gehörte Satz, § 823 I schütze nicht das Vermögen, ist falsch. Vermögensschäden sind auch nach § 823 I zu ersetzen, aber nur wenn zuvor eines der dort genannten absoluten Rechtsgüter verletzt ist. (Es handelt sich um das Problem der Konkretisierung einer Generalklausel, das hier – wie überall – durch Vorschaltung gefestigter Positionen gelöst wird. Vgl. zu diesem Problem näher oben Rdn. 207 und Rdn. 210 bei § 242; Rdn. 1407 und grundsätzlich, wenn auch etwas anders als hier – nämlich im Sinne einer stufenweisen Konkretisierung – Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 1953, 152 f; Fikentscher, Methoden IV 371).

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§ 107 I 2

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

Wenn A den B „kidnappt“ und in seinen Keller sperrt, schuldet A dem B nach § 823 I nicht nur die Rückgabe seiner Freiheit (Rückgängigmachen des Eingriffs in ein absolut geschütztes Rechtsgut), sondern auch den Verdienstausfall, den B dadurch erleidet, dass er während des Zwangsaufenthalts nicht seinem Beruf nachgehen kann. Oft kann der Verletzer den Eingriff selbst nicht mehr rückgängig machen. Dann ist nur Vermögensersatz geschuldet: C verprügelt den D, wodurch D Arzt- und Krankenhauskosten, ein Verdienstausfall und eine bleibende Erwerbsbehinderung entstehen (vgl. zum Letztgenannten § 843 – ein Vermögensschadensersatz!).

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Absolut bedeutet im Zusammenhang mit den in § 823 I genannten Rechten, dass die Rechtsgüter gegen Eingriffe durch jedermann geschützt sind, im Unterschied zu den von § 823 I nicht erfassten Forderungsrechten, die nur vom Gläubiger oder Schuldner verletzt werden können. Das trifft übrigens auch für Rahmenrechte und durch Verletzung von Verkehrspflichten geschädigte Rechtsgüter zu. Zu Recht wird bei Larenz/Canaris II/2, § 76 I 1 a darauf hingewiesen, dass die vier genannten Persönlichkeitsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit keine „subjektiven Rechte“, wie das Eigentum und andere Herrschaftsrechte sind, sondern ihnen nur gleichgestellt werden. Man hat kein „Recht an seinem Leben“, über das man verfügen könnte wie über das Sacheigentum: Tötung auf Verlangen ist rechtswidrig, 216 StGB. Indes hat diese Unterscheidung zwischen Persönlichkeitsgütern und Rechtsgütern in § 823 I keine Rechtsfolgen. Für das Deliktsrecht bewirkt sie keinen Unterschied, da es für den deliktischen Schutz, abgesehen vom Problem der Einwilligung als Rechtsfertigungsgrund, nicht darauf ankommt, ob der Gegenstand, dessen Zuordnung an eine Person geschützt wird, zu ihrer Verfügung steht (wie z. B. das Eigentum) oder nicht (z. B. das Leben). Der Begriff des „subjektiven Rechts“ ist, wenn es um bürgerlich-rechtliche Fragen geht, eine weit getriebene Abstraktion. Ansprüche sind etwas anderes als Gestaltungsrechte, die auf Ansprüche einwirken, und das Eigentum hat für § 812 eine andere Funktion als für § 823 I (oben Rdn. 1401). Er taugt jedoch für allgemeinere Zwecke, z. B. zur Abgrenzung vom objektiven Recht, und für rechtsund kulturvergleichende Zwecke (Fezer; Fikentscher, Modes of Thought, 2. Aufl. 2005, 340). „Subjektiv“ bedeutet nur eine Qualifizierung bestimmter Teile des objektiven Rechts als personenbezogen, genauer: „den Personen zugeordnet“. § 823 I schützt nur einen kleinen Ausschnitt der subjektiven Rechte. Es fehlen insb. die Vertrags- und die Gestaltungsrechte. Passend für die in § 823 I geschützten Rechte ist aber der Ausdruck: „absolut geschützte Rechtsgüter“. Er umfasst sowohl Persönlichkeitsals auch Herrschaftsrechte.

Im Einzelnen sind folgende Rechtsgüter absolut geschützt: 1. Leben 1559

Wer einen andern unmittelbar tötet, schuldet zwar nicht ihm Schadensersatz, denn wer tot ist, hat keinen Schaden (!), wohl aber bestimmten Dritten, namentlich Unterhaltsberechtigten, 844–846 (dazu unten § 117 IV). Auch hier zeigt sich deutlich der Unterschied zwischen verletztem Recht (Leben) und Schaden (ein solcher entsteht dem Getöteten nicht). Wer einen andern schuldhaft so verletzt, dass er bald im Krankenhaus stirbt, muss die Krankenhauskosten dem Verletzten, nach seinem Tod den Erben ersetzen, die den Anspruch geerbt haben. Verletzt sind dabei zunächst der Körper und die Gesundheit, danach noch das Leben. Die den Dritten selbständig erwachsenden Ansprüche nach §§ 823 I, 844–846 kommen hinzu. Einwilligung in die Tötung beseitigt wegen Sittenwidrigkeit nicht die Rechtswidrigkeit, arg. § 216 StGB. – Ein Recht auf Nicht-Leben, d. h. auf Nichtgeborenwerden eines wahrscheinlich behindert zur Welt kommenden Kindes, haben weder das Kind selbst noch seine Eltern. Ihnen kann aber ein Schadensersatzanspruch wegen des Unterhalts gegen den schuldhaft falsch beratenden Arzt zustehen, BGHZ 86, 240 – wrongful life –, s. Heinemann/Ramsauer, JuS 2003, 992 (wrongful-life-Problematik nach Inkrafttreten von Schuldrechts- und StGB-Reformen) und o. Rdn. 690.

2. Körper, Gesundheit 1560

a) Eine Körperverletzung liegt vor, wenn die körperliche Integrität (z. B. durch Zufügung einer Wunde, aber auch durch heimliches Abschneiden der Haare), eine Gesundheitsverletzung, wenn der

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

§ 107 I 2

Ablauf der inneren Lebensvorgänge, auch der seelischen, durch Eingriff gestört werden. Die Abgrenzung ist zweifelhaft, aber ohne Bedeutung, da § 823 I beides gleich behandelt. Der Eingriff kann physisch oder auch psychisch geschehen, z. B. durch Schreck, vgl. OLG Frankfurt JZ 82, 201 m. Anm. Stoll. Die Rechtsprechung bemüht sich in verschiedener Weise, die Haftung für Körperschäden nicht ausufern zu lassen. In den Schockschadensfällen (Überbringung der Nachricht vom tödlichen Unfall eines nahen Verwandten löst Schock aus) begrenzt sie das Tatbestandsmerkmal „Gesundheitsstörung“ mittels einer Wertung anhand der allgemeinen Verkehrsauffassung. Nur solche medizinisch erfassbaren Auswirkungen, die über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, hinausgehen, sollen Gesundheitsschädigungen i. S. d. § 823 sein (BGHZ 56, 163; BGH NJW 85, 1390). Zweifelhaft ist, ob der in den Schockschadensfällen aufgezeigte Weg verallgemeinert werden kann, insbesondere angesichts des zunehmenden Bewusstseins psychosomatischer Zusammenhänge (Chef rügt Sekretärin übermäßig gereizt, sie bekommt Gastritis; Autofahrer beleidigt anderen so, dass dieser Herzattacke erleidet).1 Dagegen argumentiert der BGH in den Verfolgungsfällen (ein Polizist verfolgt einen auf frischer Tat Ertappten und verletzt sich dabei), die Körperverletzung könne bei wertender Betrachtung dem Verfolgten nur dann zugerechnet werden, wenn er das übliche, vernünftigerweise anzunehmende Verfolgungsrisiko gesteigert hat (BGH JZ 1967, 639 (m. Anm. Deutsch) – Verfolgungsjagd –; BGHZ 63, 189 – Toilettenfenster –; Medicus, BürgR Rdn. 653: „Herausforderungsfälle“; s. a. Strauch VersR 1992, 932). b) aa) Der ärztliche Heileingriff wird zunächst ohne Rücksicht auf sein Gelingen oder Misslingen zivilrechtlich im Tatbestand als Körperverletzung qualifiziert (ständige Rspr. z. B. BGH VersR 81, 456 und h. M. siehe Jauernig/Teichmann § 823 II A 2. a. mit weiteren Hinweisen auch zur Gegenauffassung) 2. Die Verletzung kann auch durch Unterlassen geschehen (vgl. Jauernig/Teichmann § 823 VIII D 2 mit Beispielen). Es bedarf also eines Rechtfertigungsgrundes. bb) Der Eingriff ist gerechtfertigt bei Einwilligung des Patienten, in AusnahmefälIen durch mutmaßliche Einwilligung im Falle eines Notstands (§ 34 StGB). Hauptfall ist die Einwilligung. Diese wird im Regelfall nur für einen konkreten Eingriff erteilt und deckt diesen nur, wenn er sachgerecht erfolgt. Eine wirksame Einwilligung setzt eine angemessene, in einem persönlichen Gespräch erfolgende Aufklärung über Wesen, Bedeutung und Tragweite der Behandlung oder des Eingriffs voraus, die auf dem gegenwärtigen Stand medizinischer Erkenntnisse basiert. Der Patient muss seine Entscheidung eigenverantwortlich im Bewusstsein der Risiken, Nebenfolgen und möglichen Alternativen treffen können. Eine Aufklärung muss grundsätzlich stets erfolgen. Ein Unterlassen der Aufklärung hat der BGH nur für den Fall zugelassen, dass die Gefahr eines schweren seelischen oder körperlichen Schadens besteht (s. BGHZ 90, 109; 106, 148). Ein grundsätzliches „therapeutisches Privileg“ wird also nicht anerkannt. Art und Umfang der Aufklärung richten sich grundsätzlich nach den Verständnismöglichkeiten des Patienten (s. BGH NJW 88, 1515). Er ist über Risiken aufzuklären, die für einen verständigen Patienten in der betreffenden Situation, über die er ebenfalls zu informieren ist, ernsthaft ins Gewicht fallen (BGH NJW 84, 1398). Ist nicht hinreichend aufgeklärt worden, bleibt der Eingriff rechtswidrig (und geschieht im Regelfall auch schuldhaft), auch wenn kein Behandlungsfehler vorliegt. Der Eingriff bleibt auch rechtswidrig, wenn eine spätere Untersuchung ergibt, dass der Eingriff objektiv notwendig war, BGH NJW 2003, 1862, – Konisation – Anm. Wendehorst, LMK

1 Dazu Kötz, Rdn. 53, 163. 2 Ein Problem ergibt sich für den Prüfungsaufbau. Ärztliche Sorgfaltspflichten sind Verkehrspflichten (vgl. nur Palandt/Sprau § 823 Rdn. 134 f). Die Rechtswidrigkeit ist bei Verkehrspflichtverletzungen (im Rahmen des § 823 I) nur indiziert, wenn neben die Rechtsgutsverletzung eine Verkehrspflichtverletzung tritt (s. dazu unten III, Rdn. 1591ff). Eine solche müßte also bereits im Tatbestand geprüft werden. Dann würde aber das Einwilligungs- und Aufklärungserfordernis viel von seiner Bedeutung verlieren. Deshalb werden hier die Sorgfaltspflichtverletzungen ausnahmsweise erst beim Verschulden geprüft. Jeder Eingriff in Körper und Gesundheit indiziert also die Rechtswidrigkeit. Dass ärztliche Eingriffe „sozialadäquat“ und daher grundsätzlich rechtmäßig seien, wird nicht mehr oder nur noch vereinzelt vertreten.

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§ 107 I 4

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Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

2003, 143. Der Arzt kann jedoch – bei allerdings strengen Beweisanforderungen einwenden, der Patient hätte auch bei hinreichender Information eingewilligt (s. MünchKomm/Wagner § 823 Rdn. 746). cc) Hat der Patient wirksam eingewilligt, ist der Eingriff verschuldet, wenn der Eingriff nicht lege artis erfolgte, d. h. der Standard eines erfahrenen, mit der gegenwärtigen Entwicklung vertrauten Arztes nicht gewährleistet wurde oder die erforderliche technische Ausrüstung nicht vorhanden war. Die einem Arzt bei der Behandlung seines Patienten obliegenden vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten sind dabei grundsätzlich identisch (BGH NJW 89, 767). dd) Es ist für den Patienten normalerweise nicht leicht, einen Behandlungsfehler nachzuweisen. Die Rechtsprechung hat deshalb in Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für den Patienten teilweise erleichtert. Grundsätzlich trägt der Patient die Beweislast für ein Fehlverhalten und die haftungsbegründende Kausalität. Bei groben Behandlungsfehlern allerdings wird die haftungsbegründende Kausalität bereits dann bejaht, wenn der Fehler generell geeignet ist, derartige Schäden herbeizuführen (BGH NJW 2005, 427). Ähnliches gilt für Anfängeroperationen. Bei unvollständiger Dokumentation von wesentlichen Vorgängen wird die Vermutung begründet, eine nicht dokumentierte Maßnahme sei auch nicht getroffen (BGH NJW 89, 233). c) Gesundheitsbeschädigungen sind auch am menschlichen Embryo möglich (sog. pränatale Schädigungen), unabhängig von Gesundheitsbeschädigungen der Mutter. Allerdings setzt die Entstehung des Anspruchs voraus, dass der nondum conceptus oder nasciturus zur rechtsfähigen Person, d. h. lebend geboren wird, vgl. § 1. Der Schaden kann schon vorher entstehen, auch schon vor der Zeugung. Im Zeitpunkt der Geburt entsteht dann auch erst der Schaden im Rechtssinne, obwohl er schon vorher angelegt war (sog. Distanzschaden), BGHZ 8, 243, BGHZ 58, 48, str. d) Bei Sportveranstaltungen können Körperverletzungen nur dann als Delikte geltend gemacht werden, wenn gewichtige Regelverletzungen vorliegen, BGH NJW 2003, 2018 – Autorennen – Anm. Schiemann LMK 2003, 142; vgl. Rdn. 641, 709 (Handeln auf eigene Gefahr).

3. Freiheit 1563

Hierunter ist nach herrschender Auffassung, die hier eine teleologische Reduktion des Gesetzeswortlauts vornimmt, nur die körperliche Bewegungsfreiheit zu verstehen, die Möglichkeit, einen bestimmten Ort zu verlassen. Dies kann auch in Form einer behördlichen Freiheitsentziehung veranlasst durch falsche Strafanzeige oder ein unrichtiges Sachverständigengutachten geschehen (strittig, s. BVerfG NJW 79, 305; MünchKomm/Wagner § 823 Rdn. 94; Medicus, II, § 137 II. 3., der bei dem gerichtlichen Sachverständigen zumindest grobe Fahrlässigkeit verlangt). Geringfügige, nach allgemeiner Lebenserfahrung hinzunehmende Beeinträchtigungen stellen keine Freiheitsverletzung im Sinne von § 823 I dar (so zu Recht Jauernig/Teichmann § 823 II. A. 3. a.). Freilich ist der allgemeine Freiheitsschutz der Person, weil notwendig, durch die Hintertür der „sonstigen Rechte“ wieder in das Deliktsrecht hereingekommen: Im persönlichen Bereich als Bestandteil des „Allgemeinen Persönlichkeitsrechts“, im wirtschaftlichen Bereich als Bestandteil des „Rechts am Unternehmen (= Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht = Gewerbebetrieb)“ (dazu unten bei den „Rahmenrechten“, II). Nur geht es bei diesen sog. Rahmenrechten niemals um absolut geschützte Rechtsgüter. Denn die allgemeine Freiheit (,,Entfaltungsfreiheit“) bedarf deliktischen Schutzes, aber erst nach Abwägung mit dem Bestandsschutz, vgl. oben Rdn. 1392f.

4. Eigentum, insb. Sacheinwirkung, „Fresserfälle“ und Eingriffe in die Gebrauchsfähigkeit 1564

Eigentumsverletzungen sind Einwirkungen auf die Sache, die den Eigentümer daran hindern, mit ihr seinem Wunsch entsprechend (s. § 903) zu verfahren. Es kann auf verschiedene Weise derart auf Sachen eingewirkt werden: durch Substanzverletzung (a), Entziehung (b) oder Gebrauchsbehinderung (c). a) Im Vordergrund stehen Einwirkungen auf die Sachsubstanz wie Beschädigung und Zerstörung. Die meisten dieser Fälle lassen sich unproblematisch als Eigentumsverletzungen qualifizieren. Es handelt sich auch grundsätzlich nicht um Fälle einer Ver-

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kehrspflicht (s. u. III; a. A. Medicus, BürgR Rdn. 650ff). Das fehlerhafte Herstellen ist keine Eigentumsbeschädigung und fällt grundsätzlich nicht unter § 823 I (BGH WM 81, 952): Es liegt keine Sache vor, die einmal in Ordnung war, und in die nun eingegriffen wurde (aber es kommt vertragliche Gewährleistung z. B. nach §§ 437 Nr. 1 und 3, 438 I (zweijährige Verjährung) in Betracht!). Man kann das auch so ausdrücken: § 823 I dient nicht dem Ersatz des eigentlichen Vertrags (=„Äquivalenz“-)interesses. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn ein fehlerhafter Teil eines Endproduktes ein im Übrigen fehlerfrei geliefertes Endprodukt zerstört oder beschädigt (sog. „weiterfressende Schäden“): Eine fehlerhafte Bereifung (BGH NJW 78, 2241; NJW 2004, 1032), ein hängen bleibender Gaszug (BGHZ 86, 256 – Gaszug –) führen zu einem Unfall des Kfz; das Versagen eines Steuergerätes verursacht den Brand einer ganzen Anlage, deren Teil es ist (BGHZ 67, 359: – Schwimmerschalter –). Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I ist in diesen Fällen, dass der fehlerhafte Einzelteil funktionell vom Ganzen abgrenzbar ist und sich das Integritätsinteresse des Eigentümers und das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des (mit dem Eigentümer identischen) Käufers nicht decken (BGH WM 83, 178), d. h. nicht „stoffgleich“ sind (BGH NJW 78, 2241; BGHZ 86, 256 (259) – Gaszug –; BGH NJW 1999, 1028 – Torf –; BGH NJW 1985, 2420 – Kompressor –; BGH DB 1998, 1279 – Transistoren –; BGH NJW 1983, 812 – Hebebühne –, Stoffgleichheit bejaht; Steffen, VersR 1988, 977; Heinemann/Ramsauer, JURA 2004, 198 (200)). Der Eigentümer-Käufer wird grundsätzlich nicht dafür entschädigt, dass der Wert der gekauften Sache nicht dem ausgehandelten Kaufpreis entspricht, sondern für die Verletzung seines Interesses daran, dass eine bei Erwerb im Wesentlichen mangelfreie Sache nicht im Nachhinein durch einen mangelhaften Teil zerstört oder beschädigt wird. Der geltend gemachte Schaden deckt sich also nicht mit dem im Augenblick des Eigentumsüberganges dem Produkt anhaftenden Mangelunwert (klemmender Gaszug), sondern liegt in aller Regel wesentlich darüber (folgenträchtiger Unfall). Ob diese Wertdifferenz gegeben ist, muss durch eine natürliche und wirtschaftliche Betrachtungsweise festgestellt werden. Da in vielen dieser Fälle Eigentümer und Käufer dieselbe Person sind, stellt sich insoweit die Frage des Verhältnisses der §§ 437 ff zu § 823 I (Produzentenhaftung, dazu u. IV). Zwar ist der eigentliche Sinn der Produzentenhaftung, beim Absatz von Ware über mehrere Wirtschaftsstufen (Hersteller – Händler – Verbraucher) den Hersteller für schadenstiftende Warenmängel deliktisch direkt haftbar zu machen. Doch soll die deliktische Produzentenhaftung die Stellung des Käufers einer Ware nur verbessern. Bestehen also zwischen Käufer und Hersteller auch vertragliche Beziehungen, können neben Ansprüchen aus Sachmängelgewährleistung auch solche aus § 823 I geltend gemacht werden. b) Eine Eigentumsverletzung kann auch in der Entziehung oder Vorenthaltung bestehen. Dass das Eigentum nach § 935 nicht verloren gehen kann, verfängt nicht. c) Eigentumsverletzungen liegen, wie bemerkt, auch dann vor, wenn dem Eigentümer der Besitz vorenthalten oder entzogen wird (BGH WM 60, 1148). Hieraus ergeben sich sog. Vorenthaltungsschäden. In der Regel kann der Eigentümer mit seiner Sache nämlich nur dann nach Belieben verfahren, wenn er den Besitz hat. Doch häufig wird hier der Vorrang der §§ 987 ff zu beachten sein. Auch eine wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten (Eigentumsentziehung oder Belastung), § 816 I, kann eine Eigentumsverletzung i. S. v. § 823 I darstellen. Zu beachten ist hier indes wiederum der Vorrang der §§ 987 ff (eine wirksame Verfügung nach §§ 932 ff, 1207 muss ja von einem Besitzer ausgehen). Darüber hinaus muss der Schuldmaßstab in § 823 I insoweit auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt sein, sonst liefe § 932 weitgehend leer. Als Eigentumsverletzungen gelten auch Einwirkungen i. S. v. § 903 bzw. Beeinträchtigungen i. S. d. § 1004 (vgl. Jauernig/Teichmann § 823 II A 4 b cc).

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Umstritten ist die Fallgruppe der Eingriffe in die Gebrauchsfähigkeit des Eigentums: Infolge zeitweiliger unterbrochener Stromzufuhr müssen Maschinen stillstehen (BGHZ 29, 25), Lagereinrichtungen können wegen Versperrung der Zufahrt nicht benutzt werden (BGH NJW 83, 2313), durch Versperren der Ausfahrt wird ein Schiff für acht Monate festgelegt, Schiffe, die sich vor dem Hindernis befinden, können den Hafen nicht anlaufen (BGHZ 55, 159). Eine mögliche Kontaminierung beeinträchtigt die Verkaufsfähigkeit von Fischen (BGH NJW 89, 707: Ansprüche gegen Futtermittelhersteller). In diesen Fällen ist vor allem folgendes zu beachten: Häufig ist in diesen Fällen ein Gewerbebetrieb betroffen. Nach der Rechtsprechung ist hier die Verletzung des Eigentums an den einzelnen Sachen vorrangig, das Recht am Unternehmen (s. dazu unten Rdn. 1572) stellt nur einen subsidiären Auffangtatbestand dar. Eine Eigentumsverletzung liegt nur vor, wenn zum einen die Nutzungsstörung die zu nutzende Sache und nicht die Person des Eigentümers betrifft, die Nutzung muss also für jedermann und nicht nur für den Eigentümer beeinträchtigt sein (BGHZ 63, 203, 206 – Führerscheinfall –). Zum anderen muss nach der Rechtsprechung der Eingriff von einer gewissen Intensität und Dauer sein. Dementsprechend hat der BGH in BGHZ 29, 25, in BGHZ 55, 159 und in NJW 83, 2313 für die Schiffe, die nicht in den Hafen einfahren konnten, keine Eigentumsverletzung angenommen. Im Falle des festgelegten Schiffes und der kontaminierten Fische wurde eine Eigentumsverletzung angenommen. d) Die Wirkungslosigkeit einer für einen typischen Zweck bestimmten Sache kann ein Eigentumseingriff sein, BGHZ 80, 186; 80, 199 – Apfelschorf – (Spritzmittel versagt wegen Resistenz); Michalski, BB 1998, 961. e) In Fällen, in denen das Eigentum als absolutes Recht als verletzt in Betracht kommt, werden häufig auch die §§ 987ff einschlägig sein. Im Verhältnis eines Eigentümers zum Besitzer geht dann, sofern und solange die „Vindikationslage“ nach § 985 besteht, grundsätzlich die Sonderregelung der §§ 987 ff vor (s. o. Rdn. 1549ff). 5. Sonstige Rechte

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Unter „sonstigen Rechten“ versteht § 823 I nur absolute, d. h. von jedermann zu beachtende und gegen jedermann durchsetzbare Rechte. Nicht unter § 823 I fallen relative Rechte, insb. Forderungen sowie Gestaltungsrechte. Sie sind als solche deliktisch grundsätzlich nicht geschützt. Absolute, deliktisch geschützte „sonstige Rechte“ sind insbesondere: a) dingliche Rechte 3: Grundpfandrechte (BGHZ 65, 211), Fahrnispfand, Nießbrauch, Dienstbarkeiten, Wohnungseigentum, Erbbaurecht, dingl. Vorkaufsrecht. b) Anwartschaftsrechte, z. B. das des Eigentumsvorbehaltskäufers, 449, 161 I (gegen den Verkäufer und Eigentümer nur über § 992 analog!); das des Nacherben, 2100. c) Der Besitz ist, entgegen der herrschenden Meinung (vgl. die ältere RG-Entscheidung 91, 65), für sich genommen kein „sonstiges Recht“, sondern ein in bestimmten Beziehungen (854 ff, 1007) rechtlich geschütztes tatsächliches Verhältnis. Der Besitz ist nun einmal kein Recht, 854 ff, richtig BGHZ 32, 194; BGHZ 73, 355 (362): Kein Anspruch des Untermieters wegen Besitzentzug gegen Vermieter; ebenso BGHZ 79, 232. Geschützt ist aber der Besitz, wenn der Besitzer ähnlich dem Eigentümer die Sache nutzen darf und ihm Abwehrbefugnisse zustehen, d. h. der rechtmäßige Besitzer (Larenz/Canaris, II 2, § 76 II 4f). Umstritten ist die Frage für den nichtberechtigten, unverklagten und redlichen Besitzer, der entgeltlich erworben hat (ablehnend BGHZ 79, 232, 238, bejahend Medicus, AcP 165, 136). Unmittelbarer und mittelbarer Besitz sind dabei gleich zu behandeln. Nur darf 3 Die Verletzung des dinglichen Rechts ist durch Beeinträchtigung des Rechts selbst oder der Sache denkbar, unstr.

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man dem mittelbaren Besitzer keine Deliktsansprüche auf dieser Grundlage gegen den unmittelbaren Besitzer gewähren, da es dann um die Forderung selbst, nicht um Besitzschutz geht, vgl. RG JW 31, 2904; BGHZ 62, 243 (insb. auch zum Verhältnis der §§ 854 ff zu § 823). d) Aneignungsrechte, vgl. §§ 954, 1013, 1030, 1039, 1213. e) Immaterialgüterrechte (Ausdruck von Kohler, im Anschluss an Schopenhauer, zur Gegenüberstellung mit den „Materialgüterrechten“, wie Eigentum, Pfandrecht usw.): Patent (z. B. BGHZ 71, 86; 77, 16), Urheberrechte, Marken i. S. d. MarkenG; auch das Recht an der verliehenen (Ausstellungs-) Medaille, RGZ 109, 52; nicht dagegen: die ungeschützte Erfindung, Betriebserfahrungen, know how (insoweit Schutz hauptsächlich nach Wettbewerbsrecht). f) Namensrechte: Name, 12, BGHZ 79, 265; 81, 75 – Carrera –; Firma, 17 HGB, BGHZ 32, 103; Wappen. g) besondere Persönlichkeitsrechte, Siehe dazu unten II 2 a–e. h) Auch Mitgliedschaftsrechte wurden von der Rechtsprechung als sonstiges Recht angesehen (für AG RG 158, 255, für GmbH RG 100, 278; vgl. Habersack). Als Verletzung wurde jedoch richtigerweise nur die Beeinträchtigung des Rechts selbst, nicht die Ertragsfähigkeit der Gesellschaft selbst angesehen (insoweit liegt bloßer Vermögensschaden vor; s. BGH ZIP 87, 33 m. w. N.). i) Familienrechte. Unstreitig ist die elterliche Sorge (§§ 1626) ein absolut geschütztes Recht (RG JW 13, 202), das im Falle der Verletzung durch Dritte, etwa durch Vorenthaltung des Kindes, zum Schadensersatz nach § 823 I berechtigt (s. Jayme, Die Familie im Recht der unerlaubten Handlungen, 1971, 157 ff). Streitig ist, ob der Anspruch der Ehegatten gegeneinander aus § 1353 I auf eheliche Lebensgemeinschaft ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 I ist. Anerkannt ist, dass der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehegatten gegen Drittstörer mit einer Abwehrklage (Ehestörungsklage, vgl. unten § 118) verteidigt werden kann. Darüber hinausgehende Ansprüche werden von der Rechtsprechung abgelehnt. Hinsichtlich des untreuen Ehegatten begründete der BGH diese Ablehnung damit, das Familienrecht regele die vermögensrechtlichen Folgen der Ehe abschließend (BGHZ 23, 215). Im Übrigen müssten Verschuldenstatbestände ermittelt werden, die nach dem Zerrüttungsprinzip für die Scheidung selbst ohne Bedeutung seien (BGHZ 80, 238). Für die Kosten des Scheidungsprozesses stellt im Verhältnis der Ehegatten untereinander § 93 a I ZPO eine abschließende Regelung dar. Ansprüche gegen den Dritten kommen deshalb nicht in Betracht, weil die Pflicht zur ehelichen Treue nur die Ehegatten binde und ein Schadensersatzanspruch gegen den Dritten über den Gesamtschuldnerausgleich nach §§ 840, 426, 254 teilweise auf den untreuen Ehegatten zurückwirke, der eben nicht in Anspruch genommen werden soll und dies mittelbar auch entgegen § 888 III ZPO zu einer Erzwingung der ehelichen Pflichten führen könne (s. BGHZ 37, 38; 46, 392). Das familienrechtliche Schrifttum bejaht solche Ansprüche überwiegend; Medicus, BürgR, Rdn. 616ff. Einzelne Positionen können allerdings nach familienrechtlichen Bestimmungen geltend gemacht werden, Aufwendungen für den Unterhalt des unehelichen Kindes durch den Ehemann gegen den Erzeuger nach §§ 1615 l III 1, 1607 III. Die Legalzession nach §§ 1615l III 1, 1607 III umfasst auch einen Prozesskostenvorschuss, den der (Schein-)Vater dem Kind für den Ehelichkeitsanfechtungsprozess gewährt hat (s. BGH JZ 68, 105 zu § 1709 II a. F.) und die Kosten, die dem Scheinvater in dem Anfechtungsprozess selbst entstanden sind (BGHZ 57, 229).4 Viel hängt davon ab, wie weit man den gesetzlichen Schutz der Ehe auch in den verrnögensrechtlichen Bereich ausdehnen will. Gangbar scheint der Weg zu sein, in § 1353 I ein beiderseits höchstpersönlich berechtigendes und verpflichtendes, aber auch vermögensrechtlich-deliktisch geschütztes Rechts- und Pflichtenverhältnis zu sehen. Das folgt aus der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau in der Ehe, die auch ihre wirtschaftlich-finanzielle Seite hat. Ein ungetreuer Ehegatte muss wissen, dass sein Davonlaufen den Partner u. a. auch wirtschaftlich treffen kann. Da § 1353 I auch Fürsorge für die Kinder einschließt, bietet sich auf diese Weise die Möglichkeit, unabhängig von der Geltend-

4 Kritisch zur Auffassung der Rechtsprechung beispielsweise Medicus (BürgR, Rdn. 619 mit Verweis auf Gernhuber/Coester-Waltjen § 17 I 2), der als absolut geschützt „die Verbindung der Ehegatten zu geschlechtlicher Treue bezeichnet“. Diese Rechtsposition könne von jedem Dritten verletzt werden, der dann das Abwicklungsinteresse ersetzen muss (ähnlich §§ 1298ff).

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machung der Ansprüche aus Getrenntleben und Scheidung Schadensersatzansprüche für die Kosten einer Kinderpflegerin zu erheben. Andererseits ergibt sich aus der beiderseitigen Höchstpersönlichkeit des ehelichen Verhältnisses, dass der Dritte, der Ehestörer, nicht belangt werden kann. Für begangene Fehler in der Ehe müssen die Gatten einander allein einstehen, auch in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgen, arg. § 1359. Das gilt auch zu Lasten des „unschuldigen“ Teils. Wo § 826 zutrifft, mag auch der Dritte haften. Zur Durchführung dieses Gedankens in der Schadensersatztheorie (Normrelevanz) oben Rdn. 592.

6. Keine „sonstigen Rechte“ sind: 1570

a) Forderungen. Über ihre relative Wirkung oben § 14. Sie berechtigen nur den Gläubiger, verpflichten nur den Schuldner und sind für Dritte grundsätzlich unbeachtlich. Da sie also keinen absoluten Schutz genießen, ist es folgerichtig, einen deliktischen Schutz grundsätzlich zu versagen, BGHZ 12, 317 f. Beispiel: A verkauft sein Auto an B zu späterer Lieferung. Dann verkauft und übereignet er es auf Drängen des C, der von dem Vertrag mit B wusste, zu einem höheren Preis an C. B hat nur gegen A Ansprüche auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 283, nicht aus §§ 823 ff. Gegen C kann B nichts unternehmen, auch wenn C’s Drängen bei A den Ausschlag gab. Eine sittenwidrige Schädigung (826) ist in einer derartigen Einmischung in bestehende Vertragspflichten (meist in Verbindung mit preislichen Unter- oder Überbietungen) nicht zu sehen, solange nicht erschwerende Umstände, wie Täuschungen, Absicht wirtschaftlicher Vernichtung, Versprechen des Aufkommenwollens für die Schadensersatzpflicht des Vertragsbrüchigen usw., hinzukommen. Die Ausnutzung fremden Vertragsbruchs ist demnach nur bei erschwerenden Umständen der genannten Art sittenwidrig; die bewusste und gewollte Verleitung zum Vertragsbruch begründet dagegen regelmäßig den Vorwurf der Sittenwidrigkeit (außer etwa bei „Abwehr“); zum Ganzen näher Fikentscher, Die Preisunterbietung im Wettbewerbsrecht, 1962, 56f. Der Grundsatz, dass Forderungen deliktisch nicht geschützt sind, wird in neuerer Zeit wieder zunehmend in Zweifel gezogen. Dennoch besteht er zu Recht, solange das BGB im Deliktsrecht das Enumerativprinzip vertritt (dazu oben Rdn. 1407). Es kann sich nur um Ausnahmen handeln. b) Gestaltungsrechte. Sie geben dem Berechtigten die Rechtsmacht, durch einseitiges Rechtsgeschäft ein Rechtsverhältnis zu begründen, zu verändern oder zu beenden (Vorkaufsrecht, Kündigung, Anfechtung u. a.). Gestaltungsrechte sind unselbständige Ausflüsse der zu gestaltenden Rechtsverhältnisse und bedürfen daher keines selbständigen deliktischen Schutzes. c) Vermögen. Das Vermögen ist die Differenz der geldwerten Aktiven und Passiven einer Person. Als solches ist es – wegen des Enumerativ-Grundsatzes – ohne Verletzung eines in § 823 genannten Rechtsgutes nicht allgemein deliktisch geschützt, daher auch kein „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 I. Nur auf dem „Umweg“ über die Verletzung eines in § 823 I genannten Rechts, eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 II, nach § 826 und nach bestimmten speziellen Vorschriften (z. B. auch § 839!) sind Vermögensschäden deliktisch zu ersetzen, vgl. z. B. BGH NJW 74, 1503 = ESJ 128 – Prüfzeichen –. Daran zeigt sich, dass sich der Grundsatz des „neminem laedere“ gerade nicht dem deutschen Deliktsrecht zugrunde liegt; s. dazu oben Rdn. 1395. d) Recht auf Familienplanung, weder als eigenes „sonstiges Recht“ noch als Ausstrahlung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, BGHZ 86, 240 (249); Giesen, FamRZ 70, 565; Schiemann, JuS 80, 709, 711 ff.

II. Eingriffe in Rahmenrechte 1571

Es gibt Rechtspositionen, die dem Rechtskreis einer bestimmten Person zugeordnet werden, aber nicht so fest und klar umrissen sind wie die bisher behandelten absoluten Rechte, sondern eine gewisse „Unschärfe“ aufweisen. Das objektive Recht gewährt zwar diesen eine gesicherte Stellung, missbilligt aber nicht grundsätzlich jeden Eingriff anderer. Man kann diese Positionen im Unterschied zu den absolut geschützten Rechtsgütern als Rahmenrechte bezeichnen (dieser terminologische Vorschlag in der 1. Aufl. 1965 scheint Anklang gefunden zu haben). Delikten durch Eingriffe in Rahmenrechte

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ist demnach gemeinsam, dass ihre Rechtswidrigkeit nicht durch den Eingriff „indiziert“, sondern durch Güterabwägung (G. Chr. Schwarz: „umfassende Güter- und Interessenabwägung“) zu gewinnen ist. Bei rechtswidriger Beeinträchtigung ist auch die Unterlassungsklage gegeben (s. u. Rdn. 1724). Ist danach der Eingriff zulässig, liegt schon tatbestandsmäßig keine unerlaubte Handlung vor. Man hat zwei Rahmenrechte zu unterscheiden: Das Recht am Unternehmen (1.) und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (2.). Beides sind „sonstige Rechte“ im Sinne des § 823 I. 1. Das Recht am Unternehmen (= „eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb“ = Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht) In ständiger Rechtsprechung haben RG und BGH (seit RGZ 58, 24 [1904], vgl. BGHZ 3, 279; 8, 142) ein „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“, kürzer „Recht am Unternehmen“ genannt, als „sonstiges Recht“ gemäß § 823 I anerkannt. Die kritischen Stimmen sind in der Minderheit (s. insb. Leinemann, Wiethölter, Gieseke, v. Caemmerer, Buchner und Larenz/Canaris II/2 S. 537 ff.). Dadurch soll dem Wirtschaftsbürger ein besserer Schutz gegeben werden, als ihn das Deliktsrecht in seiner ursprünglichen Gestalt bereitgestellt hat. Das wirft freilich schon zu Beginn die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Frage auf: Warum eigentlich nur der Gewerbetreibende und nicht auch sein Kunde, warum nur die eine Marktseite und nicht beide? Ist der Abnehmer weniger schutzbedürftig als der Anbieter? Besteht ein Wertungswiderspruch zum Verbraucherschutz? Diese Überlegungen führen zum Vorschlag, das „Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ parallel und in Harmonie mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (zum Schutz der Intimsphäre usw.) zu einem Wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht zum Schutz der „Geld-Sphäre“ des Bürgers, d. h. seiner beruflichen und wirtschaftlichen Betätigungs- und Entfaltungsfreiheit auszudehnen, wo dies in bestimmten Fallgruppen wegen des Vorsatzerfordernisses in § 826 und der legislatorischen Zufälligkeiten der Reichweite des § 823 II erforderlich ist; dazu u. Rdn. 1579. Dass kein Schutzgesetz nach § 823 II vorhanden ist, darf nicht zu dem Umkehrschluss verleiten, ein Schutz dürfe nicht gewährt werden. Namentlich Canaris aaO wendet sich gegen ein Recht am Unternehmen (und gegen einen Begriff des Rahmenrechts als partieller Generalklausel insgesamt als „unzulässige Fortbildung contra legem“, S. 359). Auch die richterrechtliche Anerkennung weiterer besonderer Persönlichkeitsrechte lehnt er ab, S. 519. Canaris befürchtet eine die Struktur des deutschen Deliktsrechts verkennende Ausweitung des Schutzes gegen primäre Vermögensschäden und dadurch eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit über die Grenzen der §§ 826, 823 II hinaus. Das Argument ist anzuerkennen, aber es führt zum gegenteiligen Ergebnis: Die wirtschaftliche Handlungs- und Entfaltungsfreiheit – nicht nur, aber gerade auch – des „Kleinen Mannes“, des Normalverbrauchers, Mittelständlers und Außenseiters und sein Schutz gegen Übervorteilungen durch Inhaber wirtschaftlich bedeutender Positionen, Ausschlussrechte und LobbyMöglichkeiten gebietet die Anerkennung eines Schutzrahmens auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Dabei ist gleichgültig, ob man ein Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht neben dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht anerkennt oder letzteres in die Wirtschaftssphäre ausweitet. Da es sich stets nur um richterrechtlich genau abgezirkelte Schutzbereiche handeln darf, liegt eine Zweiteilung in Allgemeines und Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht (als Rahmenrechte ohne Unrechtsindikation) näher. Canaris’ Kritik liegt die Auffassung zugrunde, Deliktsrecht greife in Freiheit ein. So ist es aber heute nicht mehr, anders noch die „allgemeine Handlungsfreiheit“ als Hintergrund zu

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Gewerbeordnung von 1869 und UWG von 1896. Heute ist Freiheit eine Rechtskategorie und bedarf entsprechenden Schutzes. Die unrechtmäßige Berühmung mit einem Ausschlussrecht kann weit über den Rahmen des Wettbewerbs hinaus ganze Wirtschaftszweige lahm legen (siehe nächste Rdn.). Freilich ist Schutzgegenstand nicht nur das „eingerichtete“ Unternehmen, sondern der Mensch in seinen Wirtschaftsbeziehungen. Zwei Entwicklungen konnte der Gesetzgeber des BGB vor mehr als hundert Jahren nicht voraussehen: (1) dass es der Fortschritt der Technik und die Entwicklung der Medien erlauben würden, immer tiefer in den Bereich des Intim-Persönlichen vorzudringen (Telekameras, Paparazzi, personengerichteter Investigativ-Journalismus, Preisgabe von Personalien, filmische u. a. Lebensbild- und Geschichtsbildverfälschungen, usw.), und (2) dass die Entwicklung zu wirtschaftlicher Größe, Vernetzung, Verbandsorganisation und Finanzmacht so zunehmen würde (Blockade durch behauptete Ausschlussrechte, Ausspionieren von Fertigungs- und Geschäftsgeheimnissen bei Firmen, die sich die Kosten gesicherter Ausschlussrechte und deren Verteidigung nicht leisten können, massive Präsenz-Werbung, Boykotte, Kreditpromotionen, Patentpools, Lobbyismus, Einsatz von Meinungsbildnern, herabsetzende Werturteile in unsachlicher oder unnötig scharfer Form, Beeinträchtigungen von Meinungs- oder Religionsfreiheit in wirtschaftlicher Absicht, usw.), dass der einzelne Wirtschaftsbürger eines Schutzes seiner wirtschaftlichen Sphäre als Kunde und Abnehmer bedarf, wozu auch ein angemessener Schutz mittelständischer, klein- und mittelindustrieller Betätigung gehört. Der Entwicklung zu (1) sucht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zu entsprechen, der Entwicklung zu (2) würde ein zum Wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht erweitertes Recht am Gewerbebetrieb (= Unternehmen ) abhelfen: den Ablauf der Wirtschaft regelnde Sondergesetze im Sinne des § 823 II sind zwar vorhanden, lassen aber dennoch – gerade weil lobbybedingt oder von politischen Konstellationen abhängig – notwendig Schutzlücken. Auch würden manche dieser Schutzgesetze im Interesse einer Entbürokratisierung der Wirtschaft oft besser in einer partiellen Generalklausel des Deliktsrechts aufgehoben sein und sich damit der Anpassung durch den Richter im Einzelfall öffnen können, statt die gesamte Wirtschaft nach der „Rasenmäher-Methode“ zu hemmen (Ladenschlussregelungen wirken sich z. B. je nach lokaler Wettbewerbssituation auf Tante-Emma-Läden und Kettenläden sehr verschieden und kaum verallgemeinerungsfähig aus: es ist besser, den Ladenschluss frei zu geben und Verdrängungsstrategien außerhalb von Wettbewerbsverhältnissen – sonst GWB und UWG – anhand eines Wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts zu bekämpfen). Canaris (II/2, S. 546) hält zwar die Fortbildung des Rechts am Gewerbebetrieb zu einem Wirtschaftlichen Petsönlichkeitsrecht für möglich (wie Zeuner, in: 25 Jahre Karlsruher Forum, 1983, 196 f; Soergel/Zeuner, § 823 Rdn. 97, 129ff.; a. A. Forkel, FS Neumayer 1985, 229 ff), gibt aber aaO S. 562f zu bedenken, wie man auf diese Weise die Ersatzfähigkeit primärer Vermögensschäden im Wirtschaftsleben sinnvoll eingrenzen soll, um zum „Modell des BGB“ zurückzukehren (aaO 562). Die Antwort kann nur lauten: Nur rechtspolitischer Bedarf kann eine solche Fortbildung rechtfertigen, aber §§ 823 II, 826 dürfen wegen des mit § 823 II verbundenen Gesetzespositivismus und dem engen Merkmal der Sittenwidrigkeit in § 826 keine Sperre bilden. Statt der Rahmenrechte als besondere Persönlichkeitsrechte schlägt Canaris eine Aufgliederung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in „eine Reihe verhältnismäßig klar umschriebener Schutzbereiche“ vor (S. 519), die von der Rechtsprechung zu „präzisieren“ seien, wobei es ihm offenbar vor allem um die Beibehaltung der Unrechtsindikation geht (vgl. aaO S. 363). Gegen solche Präzisierungen ist nichts einzuwenden: sie werden im Folgenden wie schon seit der 1. Auflage konsequent versucht. Der sich stetig wandelnde Schutz-

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bedarf der Person in persönlicher und wirtschaftlicher Beziehung verlangt aber nach offenen, „Rahmen“-Tatbeständen, die in der Lage sind, die „klar umschriebenen Schutzbereiche“ zu schaffen und zu begründen. Das folgt aus dem Wesen der Rechtsfortbildung, die nicht unvermittelt von allgemeinen Vorstellungen („Person“, „Wirtschaft“) zu „klar umschriebenen Schutzbereichen“ springen kann, sondern die den Weg tastender, schrittweiser Konkretisierung zu gehen hat. Eben dadurch verbietet sich bei Rahmenrechten eine Unrechtsindikation als deus ex machina. Es geht nicht um eine Ausweitung des Schutzes gegen primäre Vermögensschäden und gegen Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit über die Grenzen der §§ 823 II, 826 hinaus. Es geht vielmehr um einen gerechten Ausgleich zwischen Inhabern persönlicher und wirtschaftlicher Freiheits- und Bestandsrechte unter wechselnden tatsächlichen Bedingungen. Der Ausdruck „Rahmenrecht“ ist dabei nur die Umschreibung einer notwendig vorsichtigen Konkretisierung. Fünf Entwicklungslinien kennzeichnen die Rechtsprechung zum „Recht am Unternehmen“: a) Zum Ersten wurde das „Recht am Unternehmen“ nur für ganz bestimmte Handlungen des Wirtschaftslebens als deliktsrechtliches Angriffsobjekt bezeichnet und ist nie zu einem vollinhaltlichen Unternehmensschutz-Recht ausgewachsen. So beschränkt sich auch heute noch die Rechtsprechung zum Schutz des Rechts am Unternehmen auf ganz bestimmte, nämlich folgende Tatbestandsgruppen (im Einzelnen s. Fikentscher, FS Kronstein): 1. Gruppe: Physische Behinderungen des Gewerbebetriebs (1) Physische Behinderung der Gewerbeausübung Beispiele: Lagerung von Baumaterial vor dem Schaufenster des Nachbarn, der seinen Laden gemietet hat (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 61, 1925). 2. Gruppe: Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Stellung des Gewerbetreibenden mit wirtschaftseigenen Mitteln (2) Unberechtigte Anmaßung („Berühmung“) eines gewerblichen Ausschlussrechts Drei Jahrzehnte lang waren diese Fälle die einzigen, in denen § 823 I auf das Unternehmen in der Rechtsprechung des RG mit dem Ergebnis der Bejahung eines Schadensersatzanspruchs angewandt wurde. Unternehmer A warnt den Konkurrenten B vor Aufnahme einer Produktion, weil A’s Patent entgegenstehe. Die Patentberühmung ist fahrlässig falsch. § 826 scheidet mangels Vorsatz aus. Die Rechtsprechung half in derartigen Fällen, in denen B erhebliche Schäden erleiden kann, mit Anerkennung eines „Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 I (RGZ 58, 24; 94, 248; 141, 336; BGHZ 2, 387; 38, 205; BGH NJW 79, 916). Im Grunde handelt es sich um die Füllung einer Lücke des gewerblichen Rechtsschutzes (Patentrecht, Warenzeichenrecht usw.). Dem Versuch des 1. Zivilsenats des BGH (ZIP 2004, 1919), sich unter dem Eindruck der Kritik von Canaris (s. Rdn. 1572) und anderer, z. B. Köhler (in Baumbach/Hefermehl, 23. Aufl. 2004, UWG Einl. 7.17ff), zumindest für Patent- u. a. -berühmungen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs zu entledigen (zust. G. Wagner, ZIP 2005, 49), ist der Große Zivilsenat des BGH entgegen getreten (BGH NJW 2005, 3141 = GRUR 2005, 882 = WRP 2005, 1408; ihm folgend BGH WRP 2006, 369 m. Anm. Haedicke, JZ 2006, 576). Es bleibt also beim Recht am Unternehmen (als Rahmenrecht, wobei der Große Zivilsenat die Frage der Unrechtsindikation leider nur stiefmütterlich behandelt, Teplitzky WRP 2005, 1433), und ebenso bei der Rechtsprechung zur unrechtmäßigen Berühmung mit einem Ausschlussrecht. Einen wichtigen Gesichtspunkt lieferte Peukert, Mitt. d. deutschen Patentanwälte 2005, 73 ff: Nach den für Immaterialgüterrechte geltenden wirtschaftsanalytischen Grundsätzen dürfen Wohlfahrtsgewinne aus der Zuerkennung von Immaterialgüterrechten die mit diesen Rechten verbundenen Wohlfahrtsverluste anderer Unternehmen (hier: der Verwarnten) nicht übersteigen. Dies ist treffend eine der unrechtsindikationshindernden Abwägungen, wie sie oben Rdn 1572 für richtig gehalten wurden (näher mit weiteren Vorschlägen Sack, BB 2005, 2368; ders., Unbegründete Schutzrechtsverwarnungen, 2006). Eine verdrängende Spezialität (Larenz/Canaris II/2, S. 543) liegt also auch künftig nicht vor. Methodisch hat

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der Große Zivilsenat damit im Jahr 2005 die Zulässigkeit richterrechtlicher Institute im Privatrecht, hier des Rechts am Unternehmen, bestätigt, nicht nur allgemein, sondern als Herausbildung richterlich gesetzter Normen, unter die Sachverhalte in gleicher Weise wie unter gesetzliche Normen subsumiert werden können, so dass geänderte Anwendungsweisen begründet werden müssen. Dies entspricht der an anderer Stelle entwickelten Theorie der Fallnorm, mit der versucht wurde, der richterlichen Fortentwicklung von Zivilrecht in einem Kodexsystem auch ohne „Rückkehr zum Modell“ des Gesetzes methodischen und dogmatischen Halt zu geben.5 (3) Boykott, Streik Ob Streiks und Boykotte als unmittelbare Eingriffe in den Bestand des Unternehmens unter § 823 I fallen, war lange streitig. Nach anfänglicher Ablehnung mit der Begründung, Streik und Boykott seien nur mittellbare Eingriffe, ging die Rechtsprechung langsam dazu über, auch Streik und Boykott unter § 823 I zu bringen. Streiks um Arbeitsbedingungen sind rechtmäßig, wenn sie einzelarbeitsvertraglichen, tarifvertraglichen und deliktsrechtlichen Maßstäben entsprechen. Früher forderte man rechtzeitige Kündigung der Einzelarbeitsverträge. Zurecht wird heute davon abgesehen, weil schon das Gebrauchmachen des Koalitionsrechts aus Art. 9 III GG die Einzelvertragswidrigkeit beseitigt (zutr. Zöllner, Arbeitsrecht, § 40 III 1 gegen die „Kollektivtheorie“ des BAG, seit BAGE 20, 175). Tarifrechtlich ist vor allem die Friedenspflicht zu beachten. Deliktsrechtlich ist die zu prüfende Norm in erster Linie § 826, vgl. BGHZ 70, 277 – Fluglotsen –. Das „Recht am Unternehmen“ ist kein geeigneter Maßstab, weil kein der arbeitsrechtlichen Parität Rechnung tragendes „Recht am Arbeitsplatz“ zur Verfügung steht, dazu und zum Ganzen Zöllner, Arbeitsrecht, § 40. Zum politischen Streik u. (8). Der Boykott ist die Aufforderung einer Person (Verrufer) an eine zweite Person (Adressat) zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu einer dritten Person (Gesperrter). Nach ursprünglicher Auffassung des RG war der Boykott zulässig, wenn nicht „erschwerende Umstände“ (z. B. moralisches Schlechtmachen des Dritten, Vernichtungsabsicht) hinzutraten, RGZ 56, 271; 76, 35; 117, 2; 140, 423. Inzwischen hat sich die neuere Boykotttheorie durchgesetzt, die einen Boykott für grundsätzlich rechtswidrig ansieht und die Darlegung der Gegengründe dem Verrufer anlastet. Diese Entwicklung begann mit der Rechtsprechung zu § 1 UWG a. F., wonach der Boykott zu Wettbewerbszwecken (Verrufer und Gesperrter sind Konkurrenten) wegen seiner besonderen Gefährlichkeit grundsätzlich sittenwidrig ist, vgl. BGH GRUR 80, 242. Dem folgte § 26 I GWB a. F., dann dehnte § 26 I GWB (jetzt § 21 I GWB) diese Regel auf jeden zwischen Unternehmen stattfindenden Boykott aus. Beides muss auch innerhalb von § 823 I (Recht am Unternehmen) gelten. Den vierten Schritt vollzog bereits BGHZ 24, 200 – Spätheimkehrer –, wonach § 823 I auch dann erfüllt ist, wenn nur Verrufer und Gesperrter (nicht konkurrierende) Unternehmen sind, nicht aber der Adressat (Verbraucherboykott). Das macht den vierten Schritt notwendig: Auf die Unternehmenseigenschaft des Verrufers kann es auch nicht ankommen. Soweit Boykotte als rechtswidrig angesehen werden, ist Grundlage des Schadensersatzanspruchs also außer § 826, § 3 UWG und §§ 33, 21 I GWB auch § 823 I wegen der damit verbundenen Unternehmensrechtsverletzung (zur Problematik der Subsidiarität des „Rechts am Unternehmen“, s. unten e). Der Boykottaufruf wird durch Art. 5 GG nicht schlechthin gedeckt. Zunächst ist zu prüfen, ob es sich wirklich, wie meist behauptet, um einen „Meinungskampf“ handelt. Auf reine „Wirtschaftskämpfe“ ist Art. 5 GG nicht anwendbar, BVerfG WM 83, 6 – Denkzettel-Aktion II –. Die Abwägung zu Art. 5 GG muss sodann berücksichtigen, ob der Aufruf nach dem Urteil der Öffentlichkeit gemeinschaftswichtig ist, Lerche, FS Gebhard Müller, 1970, 197 (zu BVerfGE 25, 256 – Blinkfüer II –) (4) Herabsetzende Werturteile in unnötig scharfer Form („Constanze-Doktrin“) § 824 erfasst nur Tatsachenmitteilungen, § 826 nur vorsätzlich sittenwidrige Äußerungen. Ein Unternehmen bedarf aber auch gegen fahrlässig herabsetzende Werturteile eines Konkurrenten eines Schutzes, soweit sie über die Wahrnehmung berechtigter Interessen hinausgehen (praktisch eine Ergänzung zu § 824). Beispiel: „Die Illustrierte ,Constanze‘ ist eine Blüte aus dem Sumpf der fragwürdigen Kulturerzeugnisse nach Art der Magazine“ (BGHZ 3, 279; dazu der zweite Con-

5 Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 4, 202 ff, 313 ff.

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stanze-Fall BGHZ 14, 163, wo Wettbewerb zwischen „Constanze“ und dem Verrufer, also ein homogener Wertkonflikt, bejaht wurde); vgl. auch BGHZ 56, 296 – Höllenfeuer–. Nach anfänglich sehr strengen Maßstäben hat der BGH im Anschluss an BVerfGE 7, 198 – Lüth – das Interesse des Sich-Äußernden und das die Kritik auslösende Vorverhalten des Angegriffenen stärker berücksichtigt (BGH NJW 81, 2117). Ähnlich hat die Rechtspr. die Verbreitung von kritischen Warentests zunächst nur unter sehr strengen Voraussetzungen geduldet. Inzwischen wurde aber das Informationsinteresse der Allgemeinheit anerkannt und auch die Korrekturfunktion von Tests gegenüber der Eigenwerbung gesehen. Die Veröffentlichung von sachkundig ermittelten, um Objektivität bemühten Tests stellt daher keinen rechtswidrigen Eingriff dar (s. BGHZ 65, 324 = ESJ 135 m. w. A.). (5) Schädigende Mitteilung wahrer Tatsachen in unnötig scharfer Form, wenn sie nicht durch überwiegendes Interesse des Absenders oder Empfängers gerechtfertigt ist („Prinzip des schonendsten Mittels“). Grundsätzlich verlangt die Rspr. größtmögliche Schonung des Betroffenen, vgl. BGHZ 8, 142, 145; 24, 200. Bei Presseberichten nimmt der BGH jedoch inzwischen Rechtswidrigkeit nur dann an, wenn zwischen dem verfolgten Zweck und der Beeinträchtigung des Betroffenen kein angemessenes Verhältnis besteht, BGHZ 36, 77, 82 f – Waffenhändler –. § 824 erfasst nur unwahre Tatsachen und wird auch insoweit durch § 823 I ergänzt. Beispiele: Verbreitung von „schwarzen Listen“ säumiger Zahler auch an Nichtinteressenten, BGHZ 8, 142. –Verbreitung der Tatsache eines gestellten Konkursantrags, RGHZ 36, 18; aber BGHZ 36, 77 (berechtigtes Interesse). (6) Schutz von Betriebsgeheimnissen Jemand erwirbt know how aus Konkursmasse und klagt gegen früheren Inhaber auf Unterlassung, BGHZ 16, 172. (7) Schutz berühmter Marken, wo Wettbewerbsverhältnis fehlt Ein Transportunternehmen für flüssige Fäkalien im Raum Köln hat zufällig die Telefon-Nr. 4711. Diese wird in großen Ziffern auf den motorisierten Fäkalienbehälter gemalt. Wettbewerbs- und Warenzeichenschutz versagen mangels Konkurrenz und Warenähnlichkeit. Trotzdem besteht „Verwässerungsgefahr“; s. a. BGHZ 28, 320 – Quick –, abschwächend BGHZ 93, 96 – DIMPLE –, wo § 1 UWG a. F. angewandt wird, zust. Larenz/Canaris II/2 (BT) 558, der jedoch ein grundsätzlich mögliches Konkurrenzverhältnis von Unternehmens- und Zeichenschutz zu Unrecht leugnet. Das neue Markengesetz (v. 25. 10. 94, BGBl. I 3082) verwendet neben diesem Begriff der berühmten Marke noch drei weitere ähnliche Begriffe: die bekannte Marke (§ 9 I 3 und § 14 II 3 MarkenG), die notorische Marke (§§ 10, 42 II 2 MarkenG) und die amtsbekannte Marke (§ 37 IV MarkenG). Dazu Sack, GRUR 1995, 81; Bäumer, FS F.-K. Beier (Mitarbeiterfestschrift) 1996, 227. 3. Gruppe: Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Stellung des Gewerbetreibenden unter Berufung auf außerwirtschaftliche Werte (8) Politischer Streik und politischer Boykott Die Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung gegen darauf gerichtete Angriffe kann zu rechtmäßigen politischen Streiks und Boykotten führen, RGZ 76, 35 – Kapp-Putsch – Voraussetzungen sind u. a. Wahrung der Zweck-Mittel-Relation und auf andere Weise unbehebbare Verstöße gegen die Verfassung. „Vorlesungsstreiks“ zur Erlangung hochschulpolitischer oder allgemein politischer Vorteile sind keine politischen Streiks, sondern politische Boykotte. Für sie gilt, soweit die Universität als Wirtschaftsbetrieb in Frage steht, nicht die strenge wettbewerbliche Boykotttheorie, sondern die alte (liberale) Doktrin des RG, oben (3). Beschränken sie sich auf Demonstrationen, sind sie grundsätzlich deliktsrechtlich immer zulässig, dauern sie länger, entscheidet nach RGZ 117, 21 das Zweck-Mittel-Verhältnis. (9) Berufung auf die demokratischen Grundrechte Beispiele: RGZ 76, 35 – Zehlendorfer Fürstenhof –; BGH NJW 64, 29 – Blinkfüer I –, dagegen zu Recht Biedenkopf, JZ 65, 553; BGHZ 59, 30 = ESJ 133 – „Bildzeitung“ – BVerfGE 25, 256 – Blinkfüer II –. (10) Berufung auf Meinungsfreiheit Beispiele: RG JW 15, 913; RGZ 92, 132; BGHZ 24, 200 – Spätheimkehrer –; BGH NJW 1964, 29 – Blinkfüer I –, BVerfGE 25, 256 – Blinkfüer II –; BGH JZ 67, 94 – Teppichkehrmaschine –.

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(11) Berufung auf Religionsfreiheit Beispiele: RG JW 12, 290; BGHZ 3, 270 – Constanze I –; 14, 163 – Constanze II –; vor allem 45, 296 – Höllenfeuer –. Es ist denkbar, dass künftig noch mehr Fallgruppen dem „Recht am Unternehmen“ eingeordnet werden. Vorläufig bietet sich nur das oben gezeichnete, buntfleckige Bild unternehmenssichernder Verhaltensnormen, häufig angelehnt an lückenhaft geregelte andere Rechtsgebiete (Gewerblicher Rechtsschutz, Wettbewerbsrecht, Arbeitsrecht, Schutz der Geschäftsehre). Ein eigentlicher Kern des Unternehmensrechts ist noch nicht sichtbar geworden (v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 98f; MüKo/Wagner § 823 Rdn. 181ff). Wertvoll ist der Rückgriff auf § 823 I hauptsächlich, wenn § 3 UWG wegen Fehlens eines Wettbewerbsverhältnisses und § 826 mangels Vorsatz ausscheiden (Constanze I –, Schaufensterfall).

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b) Die zweite Entwicklungslinie des Rechts am Unternehmen betrifft den Umfang des Rechtsschutzes. aa) Um den Unternehmensschutz nicht „uferlos“ auszudehnen, verlangte das RG einen „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“; in dessen Bestand eingegriffen sein musste, damit ein Schadensersatzanspruch entsteht (z. B. durch Streikposten). Die Unternehmertätigkeit als solche war nach Ansicht des RG durch § 823 I nicht geschützt, der Eingriff in die Erwerbschancen erlaubt (RGZ 48, 114; 58, 24; 100, 213; 102, 223; 119, 438; 126, 96; 135, 242; RG DR 40, 723). bb) Seit RG MuW 1931, 276, 277 RG GRUR 35, 577 – Bandmotiv – hat sich aber gegen mancherlei Widerstände der Gedanke Bahn gebrochen, dass neben dem Schutz des Unternehmensbestandes auch die „ungestörte unternehmerische Betätigung innerhalb des bestehenden Unternehmens“ deliktischen Schutzes bedarf (BGHZ 2, 387; 3, 279; 8, 142; 36, 18). Auch Eingriffe in die Unternehmertätigkeit als solche, in die Erwerbschancen, die den Bestand des Unternehmens unberührt lassen, fallen nach heute herrschender Auffassung unter § 823 I (z. B. abträgliche Werturteile, Mitteilung wahrer, aber unnötig belastender Tatsachen), BGHZ 23, 163. Im Grunde fiel übrigens auch schon der Ur-Fall der fahrlässig falschen Patentberühmung unter den Tätigkeits-, nicht unter den Bestandsschutz. cc) Der Widerstand, der gegen die unter bb gekennzeichnete Fortentwicklung des Unternehmensrechts besteht, hat seinen Grund in der schon in RGZ 100, 213 dargelegten Befürchtung, dass ein allgemeiner deliktischer Schutz der Unternehmertätigkeit die Wirtschaft zum Erliegen bringen könne, weil der Wettbewerb notwendig Schädigungen von Konkurrenten durch Abwerben von Kunden mit sich bringe, vgl. L. Raiser, JZ 61, 466; Mestmäcker, JZ 58, 521. Daher rühren die Versuche, den Tätigkeitsschutz auf die „Unternehmertätigkeit innerhalb des bestehenden Unternehmens“ zu beschränken und die Unternehmertätigkeit als solche, die freie wirtschaftliche Betätigung überhaupt als ungeschützt auszuklammern (s. die Übersicht bei Fikentscher, Wettbewerb usw., aaO, S. 232ff. Dort auch im Einzelnen zum Folgenden). Inzwischen hat sich die Unterscheidung zwischen Bestandsschutz und Tätigkeitsschutz sowie zwischen Tätigkeitsschutz im Gewerbebetrieb und unternehmerischer Tätigkeit als solcher mehr und mehr als unhaltbar erwiesen. Auch der potenzielle Unternehmer verdient Schutz nach § 823 I. Die Beschränkung des Schutzes auf den bereits etablierten Unternehmer wäre ungerecht, Fikentscher, Das Recht am Gewerbebetrieb, aaO, 281; Battis, Erwerbsschutz durch Aufopferungsentschädigung, 1969. Die Kritik Leinemanns geht daher fehl.

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Die Erweiterung des Unternehmensschutzes vom Bestands- zum Tätigkeitsschutz ist also folgerichtig. Unternehmensbestand und Unternehmensführung lassen sich nicht sinnvoll trennen. Wie die Fallgruppen des Unternehmensschutzes oben a) zeigen, kann man ernstlich zwischen Bestands- und Tätigkeitsbereich im Unternehmen für deliktsrechtliche Zwecke nicht unterscheiden. Dennoch ist die Erweiterung des Deliktsschutzes um ein „subjektives Recht an der wirtschaftlichen Betätigung“ ein gewichtiger Schritt, der sorgfältiger Abwägung bedarf. Folgende Gründe sprechen heute für die Anerkennung eines „Rahmenrechts“ auch an der wirtschaftlichen Betätigung: Der sondergesetzliche Schutz der freien und vor unlauteren Angriffen gesicherten wirtschaftlichen Betätigung durch Kartellrecht und das Recht gegen unlauteren Wettbewerb muss notwendig lücken-

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haft sein, und so auch ihr ohnehin stark eingeschränkter (§ 8 III UWG) deliktischer Schutz über § 823 II. Denn § 823 II setzt ein sondergesetzliches Schutzgesetz voraus, wobei die Gesetzgebung nicht immer mit der fortlaufenden und sich schnell wandelnden Wirtschaftsentwicklung Schritt halten kann (Beispiele: Warentests, abträgliche Werturteile, neue Wirtschaftstatbestände, bei denen nicht die Abwägung, sondern die Suche nach geeigneter Rechtsgrundlage die Hauptschwierigkeit macht). Die Anerkennung eines „sonstigen Rechts“ an der freien und lauteren wirtschaftlichen Betätigung ist demgegenüber der einzig gangbare und überdies weniger positivistische Weg.6 Dann folgt ein nächster Schritt: Hat man die „Unternehmenstätigkeit im Unternehmen“ als schützenswert anerkannt, besteht kein hinreichender Grund, die Unternehmenstätigkeit als solche nicht zu schützen (also auch den potenziellen Unternehmer). Hier zu unterscheiden, bedeutete eine – sogar gegen Art. 3 GG verstoßende – Andersbehandlung bestehender und erst zu gründender Unternehmen. Deliktisch schützbar sind vielmehr Bestand, Führung sowie Planung und Vorbereitung eines Unternehmens. Hinzu kommt das in seiner grundsätzlichen Bedeutung immer noch verkannte Argument: Nicht nur die bestandssichernden Rechte bedürfen deliktischen Schutzes, sondern auch die freiheits- und erwerbssichernden Freiheiten einer Person. Zutreffend daher BGHZ 36, 94 (Schutz der Berufsfreiheit nach § 823 I zu prüfen). Ein dritter Schritt schließt sich an: Auch ein derart verstandenes Recht am Unternehmen gewährt nicht den Schutz, dessen die freiheits- und erwerbssichernden Freiheiten einer Person bedürfen. Unzureichend gesichert ist weiterhin das Gegenüber des Unternehmers, der Kunde, der Letztabnehmer, der Verbraucher (s. Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, § 22 I 2). Dieses Ungleichgewicht ist auch nicht durch die Herausbildung eines rechtlichen Verbraucherschutzes beseitigt worden. Notwendig ist eine Erweiterung des Rechts am Unternehmen zu einem Wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht, das in seiner Struktur dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht 7 entspricht (Rahmenrecht, keine Unrechtsindikation). Allein die Wirtschaftstätigkeit des Unternehmens, also der einen Marktseite zu schützen, verbietet sich wegen Art. 3 GG. Die andere Seite des Marktes, die des Abnehmers, verlangt ebenbürtigen Schutz. Zweckmäßig sollte daher statt von „Gewerbebetrieb“ oder „Unternehmen“ vom Wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht gesprochen werden (Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 1983, Bd. II, § 22 I 2). Es hilft, dem Obigen entsprechend, die sondergesetzlichen Lücken zu schließen. Schutzzweck ist die Persönlichkeit im wirtschaftlichen Zusammenhang. Der Schutz der Persönlichkeit im Wirtschafts- und Privatleben lässt sich also durch zwei Rahmenrechte verwirklichen, dem Allgemeinen und dem Wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht. Die Bedenken im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit und den Charakter „subjektiver Rechte“ entfallen, wenn man das „Recht am Unternehmen“ mit seinem dreifachen Inhalt (Unternehmensbestand, Unternehmertätigkeit, Schutz der freien und lauteren wirtschaftlichen Betätigung aller Marktseiten) als das anspricht, was es im Grunde ist, als „Denkform“ (Heinr. Lehmann), als „partielle Generalklausel“ (v. Caemmerer) oder, wie hier, als „Rahmenrecht“. § 823 I enthält zwei Arten von „subjektiven Rechten“, absolute Rechte und Rahmenrechte. Sie unterscheiden sich dadurch, dass bei den absoluten Rechten der Eingriff die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert (lässt man einmal die Problematik der Verkehrspflichtdelikte außer Betracht, s. dazu oben Rdn. 1412 ff, unten Rdn. 1591ff), bei den Rahmenrechten nicht. Dadurch werden die Rahmenrechte zu einem erst durch Verhaltensnormen auf einem bestimmten Sektor (hier: Wirtschaftsleben) auszufüllenden „Rechtsbündel“. Zugrunde liegt die Vorstellung der „Rechte“ des § 823 I als Folge der Bündelung von Verhaltensnormen mit und ohne Indikation der Rechtswidrigkeit, oben § 101.

c) Die dritte Linie der Rechtsprechung zum Recht am Unternehmen betrifft die tatbestandliche Festlegung der Eingriffshandlung. Es ist der Rechtsprechung und Lehre noch nicht gelungen, Verhaltensnormen im wirtschaftlichen Bereich durch eine tatbestandliche Festlegung der Eingriffshandlung näher zu bestimmen. So ist im Grunde

6 Zu diesem Argument s. oben Rdn. 1402. Grundsätzlich a. A. Forkel, FS K. H. Neumayer 1987, 229. 7 Man wird dann wohl auch nicht mehr, wie es die h. M. und Rechtsprechung des BGH (nicht des BAG) beim Recht am Unternehmen noch tut, dieses Rahmenrecht als nur subsidiär ansehen können, diese Subsidiarität gilt ja auch nicht für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht; dazu unten 2.

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bis heute das Problem offen, wie der Eingriff in das Rahmenrecht am „Unternehmen“ geartet sein muss, um rechtswidrig zu sein. Vorherrschend ist nur das Bestreben, nicht jeden Eingriff zu verurteilen, also vorsichtig und auswählend vorzugehen. Die Praxis von RG und BGH hat deswegen stets die Unmittelbarkeit („Betriebsbezogenheit“) des Eingriffs gefordert, BGHZ 69, 128 – Fluglosten –; 86, 152 = JZ 83, 857 Anm. Müller-Graff – ElbeSeitenkanal –. Sie wurde bei allen Beispielen oben a) bejaht. Unmittelbar ist ein Eingriff danach, wenn er betriebsbezogen erfolgt und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft (s. BGH NJW 85, 1620). Nur mittelbare Eingriffe, die den Deliktsschutz nicht auslösen, sind nach der Rechtsprechung: Bau einer Konkurrenzeisenbahn, RGZ 126, 93; Verletzung im Betrieb arbeitender Personen, BGHZ 7, 30; Verletzung eines zum Betrieb führenden Stromkabels, BGHZ 29, 65 = ESJ 122; BGH NJW 59, 1423; siehe aber zur „Kabelproblematik“ auch BGHZ 41, 123 = ESJ 123 (Unterschied zu BGHZ 29, 65: Eigentumsschädigung ist mehr als bloße Vermögensschädigung); ferner BGH NJW 68, 1279 gegen BayObLG NJW 67, 354 (Vermögensschutz bei Kabelverletzungen über § 823 II); BGH NJW 2003, 1040 (Kein Schadensersatz für Eiskunstläuferin wegen unfallbedingten Ausfalls des Partners). Die Tauglichkeit dieses Merkmals der Unmittelbarkeit des Eingriffs zur Herausarbeitung unternehmensschützender Verhaltensnormen ist zu bezweifeln. Das Merkmal der „Unmittelbarkeit“ verdeckt leider den Kern der Problematik, nämlich die Herausbildung von wirtschaftsrechtlichen Verhaltensnormen. Berechtigt ist das Unmittelbarkeitserfordernis nur bei der 1. Fallgruppe, den physischen Eingriffen, weil sonst das grundsätzliche Verbot des Drittschadensersatzes durchlöchert würde. Bei den anderen Fallgruppen ergibt das Unmittelbarkeitsmerkmal keinen Sinn. Es gibt auch für die Ermittlung der Rechtswidrigkeit nichts her; Wert steht gegen Wert, in Gruppe 2 Unternehmen gegen Unternehmen, in Gruppe 3 Unternehmen gegen außerwirtschaftliche Werte.

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d) Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ist aus der Tatsache eines unmittelbaren Eingriffs in Bestand, Führung und Planung eines Unternehmens noch nicht zu entnehmen. Hierin zeigt sich der Unterschied des subjektiven Unternehmensrechts als „Rahmenrecht“ zu den absoluten Rechten des § 823 I. Hierin blieb sich die Rechtsprechung mit geringfügigen Abweichungen gleich. Insoweit hat die Entwicklung zu einem festen Ergebnis geführt. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich vielmehr grundsätzlich aus dem Verstoß gegen die deliktische Verhaltensnorm, praktisch aus einer Abwägung von sozialem Handlungs- und Erfolgswert. Dabei spielen für die Bewertung wirtschaftseigene Maßstäbe die Hauptrolle, im Unterschied zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit seinen mehr individualbezogenen Wertungen. So sind z. B. bei einer gehässigen Zeitungskritik an einem Unternehmer Wert der Meinungsfreiheit und Interesse an Information mit den schädigenden Folgen für den Unternehmer zu vergleichen (z. B. RG Seuff. A, 90, 234; BGHZ 3, 270; 14, 163; 138, 311). Überwiegt das Unwerturteil, ist der Unternehmenseingriff rechtswidrig. Zur dafür vorgeschlagenen Methode der Interessenabwägung vor allem Hubmann ZHR 117 (1955), S. 41 ff; Alfons Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht, 1963. Mit Interessenerforschung lassen sich aber die Probleme keineswegs immer lösen. Welchen Interessen der Vorzug zu geben ist, kann nur eine Wertung ergeben, die allerdings die Interessen zu berücksichtigen hat. Die Wertung aber nimmt dem Richter keine noch so eingehende Ermittlung der auf dem Spiel stehenden Interessen ab: H. Westermann, Interessenkollision und ihre richterliche Wertung bei den Sicherungsrechten an Fährnis und Forderungen, 1954. Beispiele: BGHZ 38, 90; 36, 18; 59, 30; 137, 89 (zu Demonstrationsschäden). e) Zuletzt ist die Frage zu klären, ob das Recht am Unternehmen in § 823 I konkurrierend zu anderen die Wirtschaftstätigkeit schützenden Normen anerkannt wird oder ob dieses Recht subsidiär zu ihnen gilt. Nach Ankündigungen in BGHZ 8, 387; 36, 252 (257) – Gründerbildnis – und 38, 200 entschied sich BGHZ 43, 359 – Warnschild – für allgemeine Subsidiarität (außer im Verhältnis zu § 826, BGHZ 69, 128 (138[9]) 8. Deshalb können auch Ansprüche aus Wettbewerbsverstößen, die 8 S. dazu die Kritik bei Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, § 21 III 3c. Teilweise anders noch die 6. Auflage.

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nach § 11 UWG verjährt sind, nicht unter Ausnutzen der längeren Verjährungsfrist des § 195 nach § 823 I geltend gemacht werden (s. a. BGHZ 105, 350 zum früheren Recht).

Das BAG wendet den Subsidiaritätsgrundsatz allerdings nicht an (ausführlich Löwisch/Meier-Rudolph, JuS 82, 237). So darf diese – fünfte – Entwicklungslinie des Rechts am Unternehmen als noch offen bezeichnet werden.9 2. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Es gibt in § 823 I eine Reihe von besonderen Persönlichkeitsrechten, die als absolute Rechte geschützt sind: Leben, Körper, Gesundheit, körperliche Bewegungsfreiheit sowie unter der Rubrik sonstiges Recht, Name (i. V. m. § 12), Familienwappen, Urheberpersönlichkeit, Recht am eigenen Bild (im Rahmen und in Verbindung mit §§ 22–24 KUG) und dergleichen. Angesichts der zunehmenden technischen Möglichkeiten, in den persönlichen Bereich einzudringen, der Gefahr, dass Presse, Funk und Film, Angelegenheiten des persönlichen Bereichs vor ein neugieriges Publikum bringen, der Missachtung der Persönlichkeit in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft unter dem Stichwort „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ und der starken Stellung, die das Grundgesetz der menschlichen Person und der Menschenwürde beimisst, erwies sich dieser Schutz jedoch als lückenhaft, zu eng und ungenügend.10 Die Rechtsprechung hat deshalb seit BGHZ 13, 334 („Leserbriefe“) unmittelbar aus Art. 1, 2 I GG sowie aus der EMRK einen umfassenden zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz, ein Allgemeines Persönlichkeitsrecht entwickelt. Seine Einordnung in § 823 I ist streitig. Der BGH qualifiziert es als „sonstiges Recht“, Teile der Literatur ordnen es den übrigen Persönlichkeitsgütern zu. Unabhängig von dieser Einordnung dürfte mittlerweile als anerkannt gelten, dass dieses „Allgemeine Persönlichkeitsrecht“ wegen der für einen umfassenden Schutz der Persönlichkeit notwendigen weiten Fassung kein Recht darstellt, unter das problemlos subsumiert werden könnte. Vielmehr handelt es sich auch insoweit wie beim Recht am Unternehmen um ein Rahmenrecht. D. h., mangels Unrechtsindikation durch den bloßen Eingriff muss für die Rechtsgutsverletzung eine Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall vorgenommen werden. Auf Seiten des Verletzten ist dabei zunächst zu berücksichtigen, in welche geschützte Sphäre eingegriffen wurde. Man unterscheidet die Individualsphäre, die das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt schützt (BAG NJW 90, 2272), die Privatsphäre, die das Leben im häuslichen oder Familienkreis und die Intimsphäre, die die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen umfasst. Dabei genießt die Intimsphäre absoluten Schutz (BGH NJW 81, 1366), die Privatsphäre darf nicht ohne zwingenden Grund verletzt werden (BGH NJW 65, 685). Individual-, Privat- und Intimsphäre umreißen den privat-persönlichen Bereich dieses Rahmenrechts. Geht es „um Geld“, d. h. um wirtschaftliche Dinge, ist das Wirtschaftliche Persönlichkeitsrecht einschlägig (o. Rdn. 1572ff). Weiter müssen auf Seiten des Verletzten die Art der Rechtsverletzung, die Schwere der Beeinträchtigung, ihr Anlass und sein Verhalten vor der Verletzung, auf Seiten des Verletzers Mittel und Zweck des Eingriffs, die ihm zur Seite stehenden Grundrechte, Art und Dauer des Eingriffs sowie u. U. konkrete Rechtfertigungsgründe in die Abwägung eingestellt werden. Rechtsträger ist jede natürliche Person, juristische Personen, soweit sie in ihrer Funktion betroffen werden können. Geschützt werden kann auch der Nasciturus. Das Persönlichkeitsrecht erlischt mit dem Tode, kann aber auch für einige Zeit darüber hinaus Wirkungen für die den Tod überdauernden schutzwürdigen Werte des Verstorbenen zeitigen (BVerfG 30, 194 – Mephisto –; OLG Schleswig

9 Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, § 22 I. 10 Daher die Forderung des 42. Deutschen Juristentags von 1957, wieder aufgegriffen vom 75. Deutschen Juristentag 1990, nach einer umfassenden gesetzlichen Regelung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

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NJW 88, 340 – Emil Nolde –). Der postmortale Persönlichkeitsschutz kann von den Erben, bzw. Angehörigen (str.) geltend gemacht werden.

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Folgende Fallgruppen konkretisieren heute das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ableitung aus § 823 I (zum Begriff der Konkretisierung oben Rdn. 207, 210). a) Eindringen in den persönlichen Bereich aa) Heimliche Aufnahme eines Bildes einer Person in ihrem privaten Bereich, „Bildniserschleichung“. Vgl. BGHZ 24, 200. Gem. § 23 KUG dürfen Fotografien ohne Einwilligung des Berechtigten verbreitet werden, wenn der Bereich der „Zeitgeschichte“ (Nr. 1) berührt ist. Die Voraussetzungen und Grenzen dieser Ausnahmevorschrift sind sehr streitig. Die nicht autorisierte Veröffentlichung von Prominentenfotos in Illustrierten hat die Gerichte intensiv beschäftigt (insbesondere die Caroline von Monaco-Entscheidungen). Im Ausgangspunkt gilt, dass absolute Personen der Zeitgeschichte (nämlich solche, die in der Öffentlichkeit ein dauerndes und umfassendes Interesse finden, z. B. Politiker, bekannte Künstler und Sportler, und eben auch die besonders sichtbaren Angehörigen des Hochadels) die Veröffentlichung von nicht-genehmigten Bildern auch ohne besonderen Anlass dulden müssen. Relative Personen der Zeitgeschichte (die nämlich nur im Zusammenhang mit singulären Ereignissen, z. B. Verbrechen, Skandalen oder Katastrophen in Erscheinung treten) müssen sich die nicht-genehmigte Veröffentlichung von Bildern nur dann gefallen lassen, wenn ein sachlicher Zusammenhang zu dem betreffenden Geschehen besteht. Allerdings sind immer alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und alle Interessen abzuwägen. Insbesondere ist der Persönlichkeitsschutz mit der Meinungs- und Pressefreiheit in Ausgleich zu bringen. Auch absolute Personen der Zeitgeschichte müssen sich nicht jede Aufnahme gefallen lassen. So dürfen keine Fotos aus der Privatsphäre veröffentlicht werden (zum Begriff der Privatsphäre s. BGH NJW 2004, 763 – Luftbildaufnahmen), die Aufnahmen dürfen nicht zu Werbezwecken verwendet werden; auf Begleitpersonen, insbesondere Kinder ist besondere Rücksicht zu nehmen (BVerfG NJW 2000, 1021; BGH NJW 2004, 1795). Die deutsche Rechtsprechung hat den Schutz von absoluten Personen der Zeitgeschichte hinter die Interessen der Öffentlichkeit und der Medien zurücktreten lassen, wenn sich der Prominente im öffentlichen Raum, d. h. einem nicht abgeschiedenen Bereich bewegt (z. B. beim Einkaufen im Supermarkt). Der EGMR war hiermit nicht einverstanden: Der Gerichtshof stellt darauf ab, ob die Aufnahme zu einer öffentlichen Diskussion über eine Frage allgemeinen Interesses beiträgt (EGMR NJW 2004, 2647). Das ist bei Tätigkeiten rein privater Art im Alltagsleben wie z. B. beim Einkaufen, Fahrradfahren oder Tennisspielen nicht der Fall. Bloßes Unterhaltungsinteresse der Öffentlichkeit muss in der Regel hinter den Persönlichkeitsschutz zurücktreten (s. hierzu Heldrich, NJW 2004, 2634). – Zum Schutz vor Paparazzi s. auch § 201 a StGB, der allerdings nur einen strafrechtlichen Mindestschutz enthält. bb) Heimliche Videoaufnahme (OLG Frankfurt NJW 87, 1087; OLG Köln NlW 89, 720). cc) Heimliche Tonbandaufnahme, wenn das Moment der Überlistung dazu tritt. Vgl. BGHZ 27, 284; 33, 20; BGHSt. 14, 358; BGH NJW 88, 1017. dd) Heimliches Abhören am Telefon, hinter einer Grenzmauer und dergl., BGHZ 27, 284. Ebenso: Publikation eines heimlich abgehörten Telefongesprächs durch die Presse, BGH LM Nr. 47 zu Art. 5 GG; Verwertung heimlicher Tonbandaufnahme im Ehrenschutzprozess, BGH NJW 82, 277 – Tonbandaufnahme II –. ee) Auch die Suggestiv-Werbung, die unter Zuhilfenahme tiefenpsychologischer Einwirkungsmittel die Entschlussfähigkeit behindert, sollte als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Entsprechung zu den obigen Fällen unterlassungs- und schadensersatzpflichtig machen. ff) Ausdrücklich verbotene und vom Störer in zumutbarer Weise abzustellende Briefwerbung (BGH VersR 89, 373). gg) Operative Entnahme von Teilen aus dem Körper eines Verstorbenen ohne Zustimmung der nächsten Angehörigen, vgl. die Nachw. bei Staudinger/Schäfer, § 823, Rdn. 87ff. hh) Persönlichkeitserforschung ohne Einwilligung des Betroffenen, LAG Frbg. NJW 76, 310 – graphologisches Gutachten –. ii) Zum (abzulehnenden) Recht auf Familienplanung s. o. I 6 d.

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b) Preisgabe von Einzelheiten aus dem persönlichen Bereich

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aa) Veröffentlichung von Briefen und vertraulichen Aufzeichnungen ohne Zustimmung des Verfassers oder in einer von ihm nicht gebilligten Weise (insb. mit Veränderungen oder Auslassungen), BGHZ 13, 334; 15, 249; erschlichene Informationen verletzen das Persönlichkeitsrecht des Leiters einer Zeitungsredaktion nicht ohne weiteres, BGH NJW 81, 1366 = BGHZ 80, 25 – Wallraff –, krit. Bettermann, NJW 81, 1065. bb) Preisgabe von Gesundheitszeugnissen an unberechtigte Dritte, BGHZ 24, 72. Zum Auskunftsrecht der Presse gegenüber Behörden Evers, FS Schwinge, 1973, 237; für Bundesbehörden gilt seit dem 1. 1. 2006 das Informationsfreiheitsgesetz (BGBl. 2005 I S. 2722). cc) Verfilmung usw. eines „Lebensbildes“ ohne Zustimmung des Gemeinten; Verwendung persönlicher Begebenheiten für Presseberichte, BGHZ 36, 77 – Waffenhandel –; Verwendung der Parteizugehörigkeit des Kritisierten bei Stellenbesetzung, BGH NJW 82, 1805 – schwarzer Filz –; Verwendung von Persönlichkeitsdaten für satirisches Gedicht, BGH MDR 82, 840 – Grenzziehung –. dd) Recht auf Namensanonymität, dazu Neumann-Duesberg, JZ 70, 564 und Schmidt, JZ 74, 241 (Informationsbeschaffung und -verwertung mittels EDV); Wahrung der Resozialisierungschance BVerfGE 35, 202 – Lebach –. ee) Verwendung von Zitaten als Beleg für eine den Zitierten herabwürdigende Kritik, BGH NJW 82, 635 – Rudimente der Fäulnis (Böll v. Walden) –. ff) Verwendung einer nur eingeschränkt freigegebenen, persönlichen Aufnahme im Fernsehen (BGH NJW 85, 1617).

c) Lebens- und Geschichtsbildverfälschungen

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aa) Verfälschung des Lebensbildes einer Person in einem zeitkritischen Roman, wobei der Person unangenehme Eigenschaften angedichtet werden, ohne dass dadurch die Person bis zur Unerkennbarkeit verfremdet wird; diesen Schutz genießen auch Verstorbene, BGHZ 50, 133, BVerfGE 30, 173 und BGH NJW 74, 1371 – Mephisto-Gründgens –, Verfälschung eines Persönlichkeitsbildes durch einseitige Pressereportage, BGHZ 31, 308. Hierzu Heldrich, FS Heinrich Lange, 1970, 163. bb) Menschen jüdischer Abstammung haben aufgrund ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Bundesrepublik Anspruch auf Anerkennung des Verfolgungsschicksals der Juden unter dem Nationalsozialismus. Wer die Judenmorde im „Dritten Reich“ leugnet, verletzt dieses Recht und beleidigt jeden von ihnen. Betroffen sind durch solche Äußerungen auch erst nach 1945 geborene Personen, wenn sie als „Volljuden“ oder „jüdische Mischlinge“ im „Dritten Reich“ verfolgt worden wären, vgl. BGH LM Nr. 49 Art. 5 GG. Verwendung von Bildern, Fotografien, Namen, Wappen und dergl. zu Reklamezwecken, ohne dass der Abgebildete, Benannte usw. seine Zustimmung gegeben hat. BGHZ 26, 349 = ESJ 124 – Herrenreiterfall –; BGHZ 30, 7 – Paul Dahlke –; 35, 363 = ESJ 125 – Ginsengwurzel –; 81, 75 – Carrera –. BGH NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich –; BGH NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel –. d) Der Ehrenschutz wirft besondere Probleme auf. Nach zutr. herrschender Meinung besteht kein Recht an der Ehre als einem „sonstigen Recht“ im Sinne des § 823 I. Nur soweit die Ehre strafrechtlich (185 ff StGB) geschützt ist, besteht auch deliktischer Schutz nach § 823 II. Diese Vorschriften sind Schutzgesetze zum Schutze bestimmter Personen. Die Tendenz, den Ehrenschutz allgemein über den Persönlichkeitsschutz zu bewirken, ist zu verwerfen. In allen genannten Beispielen a)–c) ist die Ehre des Betroffenen in Mitleidschaft gezogen. Ob es eine daneben schützbare „Ehre als solche“ gibt, ist sehr fraglich. Zumeist ist die Berufung auf fehlenden Ehrenschutz das Anzeichen, dass die Herausformung einer neuen, eigens benennbaren Fallgruppe des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällig ist. Die „Ehre“ einer Persönlichkeit ist zivilrechtlich nicht fassbarer als die „Persönlichkeit“ selbst. Beides ist zu eng miteinander verknüpft. Für einen weitergehenden Ehrenschutz z. B. Erdsiek, FS Reinhardt, 1972, 69 m. w. A. e) Insbesondere für Presseveröffentlichungen hat die Rechtsprechung relativ strenge Maßstäbe für die Wahrheitserforschung und die Interessenabwägung aufgestellt (z. B. BVerfG NJW 2003, 1855; NJW 2004, 589 – Haarfarbe des Bundeskanzlers). Eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Verletzung löst Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus, bei schuldhafter Verletzung kommen Schadensersatzansprüche hinzu. Daneben sind mögliche Ansprüche aus Eingriffskondiktion und presse-

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rechtliche Regelungen zu berücksichtigen. Besondere Bedeutung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besitzen das in den Pressegesetzen der Länder gewährte Recht auf Gegendarstellung und der als Schadensersatzanspruch oder als Unterfall des Beseitigungsanspruches (§ 1004 analog) zu verstehende Widerrufsanspruch. f) Im Fall der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird seit BGHZ 26, 349 = ESJ 124 – Herrenreiterfall –; und 35, 363 – Ginsengwurzel – auch wegen des nichtvermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld zuerkannt. Dem widersprach § 253 a. F., und auch die Neufassung von § 253 erwähnt weder die Ehre noch die Persönlichkeit im Allgemeinen. Doch ist mit der verfassungsgerichtlichen Anerkennung der zivilgerichtlichen Rechtsfortbildung in diesem Bereich (vgl. BGHZ 30, 7; 35, 262; 35, 363; 39, 124; BGH NJW 71, 801) weiterer Streit müßig geworden, BVerfGE 34, 269 – Soraya –. Danach kann Geldentschädigung als Genugtuung dann verlangt werden, wenn eine auf schwerem Verschulden beruhende schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die nicht auf andere Weise (s. dazu oben) befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH VersR 88, 405). Zu Recht treten Beuthien/Schmölz für Erlösherausgabe ein. Ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann – neben § 823 I – allerdings auch auf § 823 II i. V. m. § 186 StGB gestützt werden (BGHZ 95, 212). Gewinnerzielungsabsicht erhöht Entschädigung (BGHZ 128, 1 – Caroline v. Monaco –). Allerdings ging die frühere Rechtsprechung aufgrund der unauflöslichen Bindung des Persönlichkeitsrechts an dessen Träger und aufgrund des höchstpersönlichen Charakters von der Unverzichtbarkeit, Unübertragbarkeit und Unvererblichkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus (BGHZ 50, 133 – Mephisto). Die Erben konnten deshalb lediglich einen Unterlassungs-, aber keinen Schadensersatzanspruch bei Verletzung geltend machen. Entsprechend verneinten die Vorinstanzen in den Marlene Dietrich-Fällen die Existenz von Schadensersatzansprüchen für Verletzungstatbestände nach dem Tod des Rechtsinhabers. Der BGH nimmt nunmehr eine Differenzierung zwischen den ideellen und den vermögenswerten Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts vor. Die vermögenswerten Bestandteile sind nach Auffassung des Gerichts (im Gegensatz zu den ideellen Bestandteilen) vererbbar (BGH, NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; BGH, NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel. Die Frage der Übertragbarkeit und der Einräumung von Nutzungsrechten unter Lebenden wird dagegen ausdrücklich offen gelassen, BGH NJW 2000, 2195, 2198). Damit sind Schadensersatzansprüche wegen postmortaler Verletzung des Persönlichkeitsrechts möglich. Werden also beispielsweise Name und Bild des Verstorbenen ohne Einwilligung des Berechtigten vermarktet, kann Schadensersatz hierfür verlangt werden. Den Erben wird damit im Ergebnis auch der gesamte Bereich des Merchandising zugewiesen (allerdings nur in Übereinstimmung mit dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen!). Für die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts bleibt es allerdings dabei, dass die Wahrnehmungsberechtigten nur Abwehr-, nicht aber Schadensersatzansprüche geltend machen können, BGH NJW 2006, 605. S. Fallbeispiel bei Heinemann/von Hassell, JA 2005, 592.

III. Eingriffe durch Verletzung einer Verkehrspflicht (VP) 1591

1. Das Grundsätzliche zu den Verkehrspflichten wurde oben in § 101 (Rdn. 1413ff) festgestellt. a) Verkehrspflichten sind Gefahrsteuerungsgebote (s. z. B. v. Bar, 82) und Gefahrsetzungsverbote durch Aufstellung von Verhaltenspflichten (engl.: „duty to take care“) kraft richterlicher Rechtsfortbildung. Die richterliche Rechtsfortbildung besteht in zwei Schritten: Zuerst wird im Wege einer teleologischen Reduktion die übliche Unrechtsindikation in § 823 I zurückgenommen. Danach werden „freie Verhaltensnormen“ richterlich gesetzt. Verkehrspflichten erweitern die Haftung aus § 823 I dort, wo wegen der Fernwirkung sozial erwünschter, aber im Einzelfall dann doch schädigender Handlungen die unrechtsbegründende Indikationswirkung von Eingriffen in absolut geschützte Rechtsgüter versagt (Rdn. 1397 ff), um Verhaltensregeln, die zur Füllung der durch die Reduktion aufgerissenen Lücke dienen. Damit begründen diese Verhaltensregeln – für den Fernwirkungsbereich, an den der Gesetzgeber von 1990 nicht gedacht hatte – zusätzliche Pflichten zum Handeln bei Tuns-, Duldungs- und Unterlassungsdelikten, s. o. Rdn. 1413f. Eine Unrechtsindikation allein auf der Basis einer Verletzung der in § 823 I genannten absolut geschützten Rechtspositionen findet also bei Verletzungshandlungen mit Nahwirkung statt, eine Unrechtsindikation auf der Basis einer Verkehrs-

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pflichtverletzung im Fernwirkungsbereich. Richterlich entwickelte Verkehrspflichten nach § 823 II (Schutzwirkungsdelikte) sind deshalb sowohl überspannter Gesetzespositivismus als auch überflüssig (a. A. Medicus, BürgR Rdn. 655).11

b) Materielle Kriterien dafür anzugeben, wann man eine Verkehrspflicht anzunehmen hat, ist kaum möglich, so vielschichtig und umfassend ist die Bedeutung, die die Verkehrspflichten mittlerweile besitzen. Zu Beginn der Entwicklung konnte man noch an die Zustandsverantwortlichkeit für eine belegene Sache oder die Verantwortlichkeit für einen eröffneten Verkehr anknüpfen (s. o. Rdn. 1414). Mit der Entwicklung der Verkehrssicherungspflicht zur Verkehrspflicht (s. o. Rdn. 1415) wurden die Begründungsversuche immer allgemeiner. Es gilt im modernen Haftungsrecht der allgemeine von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass derjenige, der Gefahrenquellen schafft, d. h. sie selbst hervorruft oder andauern lässt, alle nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutze anderer Personen zu treffen hat (so, die Rechtsprechung zusammenfassend, v. Bar, 43 Anm. 5). Dieser derart weit gefasste Grundsatz hat Verkehrspflichten in nahezu jedem Lebensbereich und auf beinahe jedem Gebiet zivilrechtlichen Schadensersatzrechtes entstehen lassen. Verkehrspflichten bestehen nicht nur für den, der einen Verkehr eröffnet oder die Herrschaft über gefährliche Sachen besitzt, sondem auch für den, der auf einen bestehenden Verkehr einwirkt, die Aufsicht über bestimmte Personen hat (s. a. §§ 831, 832) oder einen Beruf oder ein Gewerbe ausübt. Auf „Verkehr“ im technischen Sinne kommt es nicht mehr an, auch außerhalb der Produzentenhaftung (ähnlich Medicus, BürgR Rdn. 650). „Verhaltenspflichten“ wäre in der Tat ein besserer Ausdruck. Das Aufstellen von Fallgruppen kann also nicht den Sinn haben, abschließend den Anwendungsbereich der Verkehrspflichten zu kennzeichnen. Möglich ist nur, Schwerpunkte ihres Anwendungsbereiches aufzuzeigen.

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c) Umfang und Intensität der Verkehrspflichten lassen sich nicht allgemein bestimmen. Entscheidend sind die Umstände der konkreten Situation. Dabei ist darauf abzustellen, was ein verständiger und umsichtiger, in Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren (Jauernig/Teichmann § 823 Rdn. 36). Ein absoluter Schutz ist nicht geboten (BGH VersR 86, 706). Wichtig ist auch das Maß des bei anderen erweckten Vertrauens und die dadurch geschaffenen Gefahren, dass sich andere auf ein bestimmtes Verhalten verlassen. Keine Verkehrspflicht besteht in der Regel gegenüber Personen, die sich an den fraglichen Orten unbefugt aufhalten oder die fraglichen Einrichtungen unbefugt benutzen (s. BGH VersR 64, 727). Doch muss der Verkehrspflichtige stets mit einem Mindestmaß menschlichen Fehlverhaltens rechnen und insoweit haften (s. BGH VersR 75, 87; s. dazu v. Bar, 187: Eine Verkehrspflicht besteht auch gegenüber solchen Personen, die eine Gefahrenquelle unbefugt betreten, vorausgesetzt, dass mit dem Betreten durch Unbefugte gerechnet werden muss und der Sachherr die Gefahrenquelle durch ihm zumutbare Maßnahmen entschärfen kann). d) Auf den Träger der jeweiligen Verkehrspflicht wurde schon hingewiesen, s. o. Rdn. 1592. Die Verkehrspflicht trifft auch öffentlichrechtliche Verwaltungsträger, sofern sie der Verkehrspflicht nicht hoheitsrechtlich genügen, KG VRS BD 62, 161. Zur hoheitlichen Wahrnehmung einer Verkehrs-

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11 Es trifft zu, dass Verkehrspflichten Verhaltensgebote formulieren, die genausogut durch den Gesetzgeber in Form von „Schutzgesetzen“ i. S. d. § 823 II aufgestellt hätten werden können. Daraus zieht beispielsweise v. Bar, 157 ff den Schluss, die Verkehrspflichten nicht mehr bei § 823 I, sondern in § 823 II einzuordnen. Gegen diese Auffassung wendet sich in überzeugender Weise Canaris, II. FS Larenz, 27, 77–80. Der Gesetzgeber wäre weit überfordert, jede Verkehrspflicht zu normieren. Damit in Zusammenhang steht auch die Frage, ob Verkehrspflichten zum Schutz reiner Vermögensinteressen anerkannt werden sollen, s. Canaris aaO, 81 ff. Kritisch auch Brüggemeier, AcP 191 (1991) 33.

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pflicht bedarf es aber eines ausdrücklichen Organisationsaktes, der der Allgemeinheit kundgemacht ist (BGHZ 32, 352). Nur dann ist die Erfüllung der Verkehrspflicht Amtspflicht gegenüber Dritten (BGHZ 42, 180). Im Zweifel gilt daher die privatrechtliche Verkehrspflicht, nicht § 839 (BGHZ 86, 152, JZ 83, 857 mit Anm. Müller-Graff – Elbe-Seitenkanal –). e) Die Übertragung der Verkehrspflicht auf einen Dritten wirkt, sofern nicht eine Rechtsnorm die befreiende Übertragung zulässt, i. d. R. nur im Innenverhältnis. Die Pflicht gestaltet sich nun als Verpflichtung, allgemein Aufsichtsanordnungen zu treffen und ihre Durchführung zu überwachen. Verletzungen dieser Aufsichtspflicht lösen unabhängig von § 831 Schadensersatzansprüche aus § 823 I aus. f) VP füllen eine Lücke im Tatbestand, die durch teleologische Reduktion (wegen der Fernwirkung der schädigenden Handlung) aufgerissen wurde. Also zählen VP zum Tatbestand. Ihre Verletzung indiziert die Rechtswidrigkeit. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Tun oder Unterlassen vorliegt. Auch ein Unterlassen ist nur tatbestandsmäßige Verletzung, wenn gegen eine Pflicht zum Handeln verstoßen wurde (s. o. Rdn. 1544).12 Für die tatsächlichen Voraussetzungen, von denen die Einhaltung der VP abhängt, ist der Schädiger in Analogie zu § 906 II verantwortlich und beweispflichtig (ähnlich wie bei der Produzentenhaftung, u. Rdn. 1601), BGHZ 92, 143 – Kupolofen – (schädliche Emissionen). g) Die Verkehrspflichtverletzung muss schuldhaft erfolgen, § 276. h) Die richterliche Anerkennung einer Verkehrspflicht begründet einen Anspruch; Schutzpflichten nach § 241 II und die Treu-und-Glauben-Regel des § 242 setzen einen anderweit bestehenden Anspruch voraus.

2. Folgende Fallgruppen sind beispielsweise von der Rechtsprechung entwickelt worden: a) Gefährliche Betriebsanlagen und Arbeiten, z. B. Hochspannungsanlagen, Hochbaustellen, Gasversorgungsunternehmen, Kultivierungsarbeiten in Mooren, BGH, VersR 60, 611; BGH, VersR 61, 64; BGHZ 20, 57 – Schleuse –; BGHZ 12, 94 – Telegrafenanlagen der Post –. b) Eisen- und Straßenbahnen, z. B. gefahrloser Zustand aller Gleis-, Signal- und sonstigen Betriebsanlagen sowie der Beförderungsmittel, BGH, VersR 56, 552; BGH, VersR 58, 644; BGHZ 11, 175. c) Gefährliche Veranstaltungen, z. B. Sportveranstaltungen, Treibjagden, Viehmärkte, BGH NJW 55, 1025; BGH VersR 60, 421; BGH NJW 80, 223 – Massenveranstaltung –. d) Gefährliche Maschinen, Geräte, Stoffe und Emissionen BGH VersR 59, 523; BGH VersR 60, 342;. BGH NJW 76, 46 – Abfallbeseitigungspflicht –; BGHZ 92, 143 – Kupolofen –; BGH NJW 1999, 2815 – Papierreißwolf, s. hierzu Möllers, VersR 2000, 1177. e) Kraftfahrzeuge, z. B. Pflicht zur Verhütung von Schwarzfahrten mit Kraftwagen, BGH VersR 58, 413; BGH VersR 60, 1091. f) Öffentliche Wege, Straßen, Plätze, Wasserstraßen, Baustellen, Skiabfahrten, z. B. einwandfreie Anlage, Instandhaltung, Reinigung, Streupflicht, Beleuchtung, BGH MDR 60, 286; BGH VersR 60, 325; BGHZ 34, 206 – Friedhof –; 36, 237 = ESJ 131 – Laternengarage –; 37,

12 An welcher Stelle im Tatbestand die Verkehrspflichten zu prüfen sind, bei der Handlung oder im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität, wird nicht einheitlich beurteilt. Für beide Möglichkeiten spricht einiges. Da die \/erkehrspflichten die Lücke füllen, die durch teleologische Reduktion des § 823 I in Fällen fernwirkender schädigender Handlungen geöffnet worden ist, erfolgt die Prüfung der Verkehrspflichten zweckmäßig bei der Handlung und dort nach dem Eingriff in das Rechtsgut. Die Reduktion muss begründet werden. Die haftungsbegründende Kausalität des Verkehrspflichtverstoßes ist erst ein weiterer Prüfungsschritt (so jetzt auch Medicus, BürgR Rdn. 647).

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165; 40, 379 – Streudienst – (dazu BGHZ 31, 73); BGH NJW 82, 2187 – Baustelle –; BGH WM 81, 202 – Baustelle –; BGH NJW 82, 762 – von Wintersportgemeinde empfohlene Touren-Skiabfahrt –; OLG Hamburg NJW 88, 3212: Streuen bei Glatteis oder Schnee auf Bürgersteigen und Fahrbahnen, jedoch nur an gefährlichen und verkehrswichtigen Stellen. g) Private und öffentliche Gebäude, z. B. Kaufhäuser, Gastwirtschaften, Dienstgebäude, BGH VersR 60, 715; BGH VersR 61, 1119; BGHZ 5, 378 – Mietshaus –; BGH NJW 85, 482: Parkplatz bei Gasthaus; BGH NJW 86, 2757 Fußboden im Lebensmittelmarkt). h) Aufsichtspflichten aus Überordnungsverhältnissen, z. B. Eltern-Kinder, Unternehmer von gewerblichen Betrieben, BGHZ 11, 151; BGH NJW 58, 1775. i) Gefahren aus dem Nebeneinander vieler Menschen, z. B. Krankenhäuser, Theater, Konzerte, Lichtspiel, Sportveranstaltungen, Gastwirtschaften, BGH NJW 1990, 905; 2001, 2019. j) Teilnahme am öffentlichen Verkehr, z. B. verkehrssichere Fahrzeuge, Fahrgeschwindigkeit, verkehrsrichtiges Verhalten der Fußgänger, Hundehalter usw. BGH NJW 60, 2096; BGH NJW 61, 1588; BGHZ 12, 124 – Straßenverschmutzung durch landwirtschaftliche Fahrzeuge –; BGH NJW 2003, 2309 – sedierter Patient –, Anm. Laufs NJW 2003, 2288 u. Kern, LMK 2003, 219 (Arzt haftet für tödlich verunglückten Patienten, der sediert ins Auto steigt). k) Spielplätze müssen die besonderen Risiken auffangen (BGH NJW 88, 48) und auch den Zugang sichern (BGH NJW 77, 1965; zum Ganzen auch BGHZ 103, 340). Die Gäste eines Schwimmbads sind vor Gefahren zu schützen. Eine lückenlose Beaufsichtigung ist hierzu aber nicht erforderlich. Die Ausstattung einer Röhrenrutsche mit einer Ampel reicht aus, BGH NJW 2004, 1449. l) Organisationspflicht Für Großbetriebe, aber auch beispielsweise Krankenhäuser (BGH NJW 84, 2606) hat die Rechtsprechung die Forderung aufgestellt, dass der Ablauf so organisiert werden muss, dass Betriebsangehörige hinreichend beaufsichtigt und damit gehindert werden können, schädigende Handlungen zu begehen (BGH NJW 73, 1602). Auf diese Weise wird die Haftung von § 831 auf § 823 i. V. m. § 31 verlagert und der Entlastungsbeweis ausgeschlossen (Medicus, BürgR, Rdn. 814). Eine Verletzung der Organisationspflicht sieht die Rechtsprechung teilweise schon darin, dass kein nach § 31 verantwortlicher Vertreter bestellt wurde (BGH DB 80, 2237). Gelegentlich wird § 31 analog angewandt und ein Verrichtungsgehilfe als verfassungsmäßig berufener Vertreter behandelt (und damit auf Konstruktion eines Organisationsverschuldens überhaupt verzichtet. Beides geht zu weit, zu Recht krit. dazu Jauernig/Teichmann, § 823 Rdn. 32; v. Bar, 225f); umfassend Brüggemeier, AcP 191 (1991) 33; ders., HAVE 2004, 162; insg. krit. Steindorff, AcP 170 (1970) 103.

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IV. Produzentenhaftung (einschl. Produkthaftungsgesetz) 1. Terminologie und Herkunft Die allgemeine Produzentenhaftung leitet sich historisch aus der Lehre von den Verkehrspflichtdelikten ab. Ihre konstruktive Behandlung insbesondere des Deliktstatbestandes und der Rechtswidrigkeit ist daher ähnlich. Daneben besteht die Haftung ohne Verschulden aus dem Produkthaftungsgesetz – PHG –, s. u. Rdn. 1621 ff.

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2. Wirtschaftliche Bedeutung und rechtliche Einordnung a) Wer eine Ware nicht vom Hersteller, sondern von einem Händler bezieht, der diese vom Hersteller oder über einen Großhändler erworben hat, und durch fehlerhafte Eigenschaften der Ware Schaden leidet, hat in der Regel keinen Ersatzanspruch gegen den Händler. Vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche scheiden in der Regel deshalb aus, weil den Händler kein Verschulden trifft. Nicht selten sind die betreffenden Erzeugnisse so kompliziert oder schnelllebig, dass auch der Fachhandel nicht in

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der Lage ist, Funktionstüchtigkeit und -sicherheit zu überprüfen. Dementsprechend hat die Rechtsprechung dessen Prüfungspflicht im Wesentlichen auf Transportschäden und auf die Fälle eingeschränkt, in denen ein besonderer Anlass zur Untersuchung bestand (BGHZ 48, 121; BGH BB 77, 1118). Vertragliche Verbindungen zum Hersteller sind in der Regel nur denkbar in der Form eines Garantievertrages gem. §§ 443, 477 (s. o. Rdn. 851 ff). Dafür werden die Voraussetzungen aber nur in seltenen Fällen gegeben sein. Rechtsprechung und Lehre haben sich daher seit langem bemüht, direkt gegen den Hersteller durchgreifende Ansprüche des geschädigten Letztabnehmers (Verbraucher) zu konstruieren.13 Deliktsrechtliche Ansprüche begegnen Schwierigkeiten, weil der Produzent einer Ware diese in aller Regel nicht persönlich herstellt, sondern sich dazu seiner „Verrichtungsgehilfen“ bedient, für deren rechtswidrige Handlungen er zwar aufgrund vermuteten eigenen Verschuldens bei ihrer Auswahl oder Überwachung gemäß § 831 haftet, wovon er sich jedoch mit dem in § 831 I S. 2 vorgesehenen „Entschuldigungsbeweis“ (Exkulpation) verhältnismäßig leicht entlasten kann (siehe dazu unten Rdn. 1672). Um die oft nur brüchige Rechtsgrundlage des § 831 zu ergänzen, entwickelte die Rechtsprechung die sogenannte Organisationshaftung (siehe dazu oben Rdn. 1598). Aber auch diese mit einem Verschuldensanscheinsbeweis ausgestattete Organisationshaftung erwies sich als unzureichend. Häufig konnte nämlich der Unternehmer nachweisen, dass seine Organisation allen zu stellenden Anforderungen entsprechend entworfen war und ihre Durchführung auch überwacht wurde. Das Fehlverhalten eines Angestellten, das zu einem Warenfehler führte, der seinerseits den Käufer einer Ware schädigte, konnte dann auch mit der Organisationshaftung nicht erfasst werden. Daher hat sich im Rahmen des allgemein angestrebten Verbraucherschutzes eine komplizierte Entwicklung ergeben, die zu einem zweigleisigen Rechtsschutz führte: Auf der einen Seite wurde von der Rechtsprechung das eigenständige Gebiet der Produzentenhaftung geschaffen (auf der Grundlage des § 823 I), auf der anderen Seite hat die EG, von dieser und parallelen Entwicklungen in anderen Mitgliedstaaten beeinflusst, nach jahrelanger Diskussion 1985 eine Richtlinie erlassen, die durch das Produkthaftungsgesetz – PHG –, das seit dem 1. 1. 1990 in der Bundesrepublik geltendes Recht ist, in das nationale Recht umgesetzt worden ist. Beide Normgruppen sind nebeneinander anwendbar, da sie sich inhaltlich nicht decken (s. u. Rdn. 1624). b) Anspruchsgrundlage der allgemeinen Produzentenhaftung ist § 823 I. Haftungsbegründende Handlung ist das Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts durch den Hersteller. Da hier Fälle mit Fernwirkung vorliegen (s. o. Rdn. 1414 f), indiziert die Verletzung eines der in § 823 I genannten Rechtsgüter nicht schon die Rechtswidrigkeit. Hinzu treten muss wie allgemein bei Verkehrspflichtdelikten eine Pflichtverletzung durch den Hersteller. Die Verletzung der Verkehrspflicht, die einen objektiven Tatbestand in § 823 I kraft richterlicher Rechtsfortbildung darstellt, indiziert dann die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum. Auch bei den Verkehrspflichten (und der Produzentenhaftung als einem ihrer Spezialfälle) gibt es also die Unrechtsindikation; aber sie knüpft an der Verletzung der objektiven Verhaltenspflicht an. c) Da es sich um einen Tatbestand des § 823 I handelt, können allgemeine Vermögensschäden nur ersetzt verlangt werden, wenn sie auf der Verletzung eines der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter beruhen, wobei Leben, Körper, Gesundheit und 13 Zu den Lösunsvorschlägen, die sich nicht durchsetzen konnten, siehe ausführliche Darstellungen in früheren Auflagen, z. B. 6. Aufl. § 103 IV m. w. A.; 7. Aufl. § 103 IV 2 i).

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

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Eigentum in der Rechtsprechung ganz im Vordergrund stehen (zu Unrecht wird manchmal behauptet, die anderen absolut geschützten Rechtsgüter kämen nicht infrage). Unmittelbarer Ersatz reiner Vermögensschäden, wie zum Beispiel entgangener Zwischenverdienst, setzt vertragliche Haftung (BGHZ 48, 118) oder den Tatbestand des § 826 voraus, vgl. z. B. BGH NJW 74, 1503 = ESJ 128 – Prüfzeichen –, s. hierzu Sack VersR 2006, 582. Dazu tritt gegebenenfalls die wettbewerbliche Haftung, zum Beispiel nach GWB oder UWG. d) In dem gekennzeichneten Rahmen von Tatbestand und Rechtsfolge ist die Produzentenhaftung heute ein wichtiger Bestandteil des Deliktsrechts. Dem Grunde nach, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, kann sie als gewohnheitsrechtlich anerkannt gelten. Die Annahme, die Produzentenhaftung sei nur noch dem Namen nach Verschuldenshaftung, geht jedoch zu weit. Besonders in kleineren Betrieben könnte der Beweis fehlerfreien Verhaltens der Angestellten auch einmal gelingen. Anders liegt es jedoch beim sogenannten „Ausreißer“, für den eine Haftung ohne Verschulden aus dem Gesichtspunkt der Aufopferung angemessen ist (siehe dazu unten 5), und der vom PHG, das nicht auf Verschulden abstellt, erfasst wird (u. Rdn. 1621 ff). e) Im Übrigen ist eine Haftung ohne Verschulden (Gefährdungshaftung, Aufopferungshaftung oder in anderer Form) als rechtliche Begründung der Produzentenhaftung ebenso abzulehnen wie die vielen anderen früher erörterten Begründungsversuche: Haftung aus dem Vertrag zwischen Letztabnehmer und seinem Händlerpartner mit dem Hersteller als Erfüllungsgehilfen gemäß § 278; Haftung aus dem Kaufvertrag zwischen Hersteller und Großhändler zugunsten des Letztabnehmers als Drittem, §§ 433, 328 I; Vertrag mit Schutzwirkung für den Letztabnehmer als Dritten (Sack, VersR 2006, 582); vertragliche Drittschadensliquidation, bei der der Händler den Schaden des Letztabnehmers geltend macht; Garantiehaftung des Herstellers für seine Ware aufgrund werbender Angaben (im Einzelfall immerhin möglich und zu Recht bejaht in BGHZ 48, 118 – Trevira –; „soziale Funktion des Warenherstellers“; „sozialer Kontakt“; quasivertragliche Vertrauenshaftung mit oder ohne Verschulden).14

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3. Hersteller Die allgemeine Produzentenhaftung richtet sich gegen den Hersteller. Hersteller ist, wer im Rahmen seiner unternehmerischen Planung das Produkt erstellt oder zusammenstellt – auch ein Kleinbetrieb, BGHZ 116, 104 – und es in Verkehr bringt. Der Hersteller trägt grundsätzlich die Verantwortung für die von Zulieferern bezogenen Teile, wobei freilich im Einzelfall nach dem Verhältnis von Hersteller und Zulieferer zueinander sowie der jeweiligen Qualifikation zu differenzieren ist (BGH NJW 75, 1828, WM 77, 81). Werden Spezialteile verwendet, die ihrerseits unternehmerische Planung und fachliche Qualifikation erfordern, so ist insoweit der Zulieferer Hersteller. Hat der Zulieferer nach Anweisungen des Produzenten gehandelt, können beide Hersteller sein, BGH NJW 75, 1828; BGH WM 77, 81. Auf die Führung eines Warenzeichens oder einer Handelsmarke kommt es nicht an, BGH BB 77, 1117 – Produzentenhaftung des Montageunternehmers –. Wer sich allerdings durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen Kennzeichens als Hersteller ausgibt, gilt als Hersteller, 4 I 2 PHG, sog Quasi-Hersteller, s. hierzu BGH NJW 2005, 2695 – Grillanzünder. Einen Gebrauchtwagenhändler, der an einem Sportwagen einen nach den DIN-Normen nicht zulässigen Hinterreifen montieren lässt (was dann zu einem Unfall des Käufers führt), wird man noch als Hersteller ansehen können, BGH NJW 78, 2241 – Hinterreifen –.15 Nach BGH NJW 75, 1827 ist auch ein Produktionsleiter in herausgehobener und verantwortlicher Stellung (als Geschäftsführer tätiger Kommanditist der Hersteller-KG) Hersteller.16

14 Zu diesen Theorien und ihren jeweiligen Vertretern siehe z. B. die 6. Aufl. § 103 IV 1. 15 Zweifelhafter ist schon der Gaszug-Fall BGHZ 86, 256. 16 Hiergegen zu Recht Medicus, II, § 77 III 3b.

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4. Fallgruppen 1606

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In zeitlicher Reihenfolge lassen sich bei der Herstellung eines Produkts (a) seine Entwicklung, (b) seine Konstruktion und Herstellungsplanung, (c) seine Produktion, (d) die Abfassung und Gestaltung der dem Produkt beizugebenden Anweisungen, Anleitungen und Instruktionen und (e) sein Verkauf und die dem Verkauf folgende Überwachung des Funktionierens des Produktes im Gebrauch unterscheiden. a) Entwicklung. Am wenigsten gesichert sind die Grundsätze über die Produzentenhaftung aus fehlerhafter Entwicklung eines Produkts. Entwicklungsfehler (Forschungsfehler) sind Warenfehler, bei denen schon die vor der Konstruktion liegenden Entwicklungs- und Forschungsarbeiten nicht wissenschafts- und kunstgerecht verlaufen, so dass sie nicht mehr tragbare Schadensquellen schaffen. Ihre haftungsrechtliche Behandlung ist deshalb schwierig, weil sich nicht selten nach dem bisherigen Erkenntnisstand für harmlos gehaltene Produkte und Arbeitsweisen überraschend als schädigend erweisen und weil dann diese Schäden oft ein gravierendes Maß erreichen (Contergan). Für pharmazeutische Produkte hat § 84 des Arzneimittelgesetzes (AMG) eine Rechtsgrundlage geschaffen (s. dazu unten Rdn. 1699). Für technische Geräte und Maschinen hat die Rechtsprechung die Regel aufgestellt, dass es zu den Pflichten des Herstellers gehört, bei jeder Neuentwicklung sich über den Stand der technischen Erkenntnis genau zu informieren, ihn zu beachten und den normalen „Gefahrenquotienten“ für den Abnehmer nicht zu vergrößern, BGH LM 5 zu § 823 (C); BGH VersR 56, 625; 59, 523; 60, 1095. Vernachlässigt der technische Entwickler eine dieser Pflichten, handelt er rechtswidrig und in der Regel auch schuldhaft. b) Konstruktions- und Herstellungsplanung. Es handelt sich um Warenfehler, die in der Bauart oder Zusammensetzung des Produkts liegen, und die zur Haftung führen, vgl. BGHZ 67, 359; BGH VersR 77, 500. Erzeugnisse müssen dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechen und betriebssicher (BGH BB 72, 14) sein. Die Betriebssicherheit umfasst die verwendeten Materialien einschließlich der Zuliefererteile. Hinsichtlich des Ausmaßes ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen der stets einzuhaltenden Basissicherheit und zusätzlichen, auch durch die Preiskategorien beeinflussten Sicherungsmaßnahmen (BGH VersR 57, 584); deren Fehlen stellt noch keinen Mangel dar. Zielmaßstab ist der bestimmungsgemäße Gebrauch durch einen vernünftigen Benutzer (BGHZ 105, 351). Dabei ist zu berücksichtigen, ob das Gerät von einem Fachmann oder einem Laien benutzt wird (BGH NJW 81, 2315). Mit gewissen Überbeanspruchungen (BGH VersR 72, 560) oder mit Fehlgebrauch (BGH MdR 62, 889) muss innerhalb bestimmter, von der Lebenserfahrung beeinflusster Grenzen gerechnet werden. c) Fabrikation. Hier unterläuft der Fehler bei der Herstellung des Produkts.17 Produkte müssen entsprechend dem zu b. Ausgeführten ordnungsgemäß hergestellt werden. Der Hersteller muss Kontrollanlagen bzw. -verfahren verwenden, die geeignet sind, vorhersehbare Fehler zu ermitteln. d) Anleitung, Anweisung, Instruktion, Naheliegender Fehlgebrauch. Sind mit der Verwendung einer Sache spezifische Gefahren verbunden, die von dem bestimmungsgemäßen Benutzerkreis nicht oder nicht hinreichend erkannt werden können (BGH NJW 87, 372), so muss der Hersteller in geeigneter Weise, z. B. durch eine beigefügte 17 Hauptbeispiel: BGHZ 51, 91 = ESJ 127 – Hühnerpest –; gegen Trennung von Konstruktionsfehlern bei Serien einerseits und Produktionsfehlern bei jeweiligen Einzelstücken Jauernig/Teichmann, § 823 Rdn. 127.

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

§ 107 IV 5

Gebrauchsanweisung oder ein an einer Maschine befestigtes Schild, informieren, wie die Sache gefahrlos benutzt werden kann (BGHZ 47, 316). Auf notwendige Vorsichtsmaßnahmen muss deutlich und in verständlicher Weise hingewiesen werden (BGH VersR 60, 343). Bei „naheliegendem Fehlgebrauch“, z. B. bei einem kariesfördernden Dauergebrauch einer Flasche mit gesüßtem Kindertee („Dauer-Nuckeln“) muss der Warnhinweis auch auf die Gründe der möglichen Schädigung eingehen, BGHZ 116, 60 – Nuckel-Flasche –. Bei Bedienung durch Fachpersonal sind Instruktions- und Warnpflichten gemindert, BGH ZIP 1992, 934 – Silokipper –. e) Verkauf, Überwachung des Produkts im praktischen Gebrauch. In gefahrenträchtigen Branchen (Autoindustrie, pharmazeutische Produkte u. ä.) oder wenn, insbesondere bei Neukonstruktionen, begründeter Anlass besteht, dass Erzeugnisse trotz ausreichender Kontrolle Fehler aufweisen und Schäden verursachen können, hat der Hersteller auch die Pflicht, Zustand, Verwendungsweise und Wirkungsart seiner Produkte während und nach dem Verkauf über die Handelswege sowie den Gebrauch durch die Kundschaft zu beobachten. Stellen sich Schäden ein, erweist sich das Produkt als wirkungslos (z. B. weil die Schädlinge gegen ein Spritzmittel gegen Apfelschorf resistent geworden sind, BGHZ 80, 186; 80, 199) oder werden Gefahrenquellen entdeckt, so trifft den Hersteller sowohl eine Beobachtungs- und Warn-, wie gegebenenfalls auch eine Rückrufpflicht (Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter Produkte, 1999; Pieper, BB 1991, 985 Michalski, BB 1998, 961). Beispiele: RGZ 163, 26 – Kfz-Bremsen –; BGH in den eben genannten Apfelschorf Entscheidungen, dazu Schmidt-Salzer; BB 81, 1041; Sack, DAR 83, 1; BGH NJW 1985, 141 – Dachdeckfolie –; BGH NJW 90, 906 – Pferdeboxen-Trennwände –; BGHZ 99, 167 – Honda – Motorrad (fehlende Warnung vor Verwendung nicht von Honda stammenden Zubehörs); BGHZ 116, 60 – Nuckelflasche – (fehlende Warnung vor Karies-Gefahr durch gesüßten Baby-Tee). Nach § 8 GPSG kann auch die zuständige Behörde den Rückruf eines nicht sicheren Produkts anordnen.

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5. Ausreißer Grundlage der allgemeinen Produzentenhaftung ist vermutetes Verschulden des Herstellers bei der Überwachung seiner Leute, die mit der Herstellung des Produkts beschäftigt sind. Durch die Beweislastumkehr (zur Beweislast s. gleich, 11.) bei einem diesbezüglichen Verschulden geht die Produzentenhaftung über den Rahmen der Organisationshaftung hinaus, die dem Hersteller lediglich theoretisch und praktisch ordnungsgemäße Organisation abverlangt. Immer aber ist diese Produzentenhaftung noch Verschuldenshaftung. Wie aber liegt es, wenn der Warenfehler nicht auf ein Verschulden zurückzuführen ist? Maschinen können ebenso versagen wie Menschen. Diese Versager, die in jeder Produktion mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftauchen, und die sich auch durch sorgfältigste Organisation nicht verhindern lassen, heißen „Ausreißer“ 18. Sie bilden ein besonders schwieriges Problem der Warenhaftung. Es gilt, sie tatbestandlich genau zu bestimmen, um diesem typischen Fall eine angemessene typische Haftung beizuordnen. Verbreitet wird ihretwegen die Einführung einer gesetzlichen Gefährdungshaftung für industrielle Produktion (u. a. von Simitis) oder wenigstens eine Verschärfung des § 831 gefordert. Beides erscheint indes nicht notwendig.

18 Teilweise wird der Begriff „Ausreißer“ in einem anderen Sinn verstanden. Man bezeichnet dann damit die Fälle, in denen durch einen Fertigungs- oder Kontrollfehler ein einzelnes Stück fehlerhaft in den Verkehr gebracht wird, und grenzt diese Fälle von denen der Konstruktionsfehler ab, bei denen Fehler bei allen Stücken der betreffenden Art vorliegen (so Medicus, BürgR, Rdn. 650, Esser/Weyers, § 55 V 3). Unabhängig von der Terminologie bleibt indes die hier erörterte rechtliche Problematik.

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Eine Schädigung durch einen Ausreißer beruht nicht auf einer rechtswidrigen Handlung. Denn alle organisatorischen und sonstigen objektiven Sorgfaltspflichten wurden beachtet. Es liegt ein „maschinelles Fehlverhalten“, eine „Fehlleistung des Fließbands“ vor. Darum versagt hier die Beweislastungsumkehr nach BGHZ 51, 91 = ESJ 127 – Hühnerpest –, weil sie eine rechtswidrig schuldhafte Schädigung voraussetzt. Das „Montagsauto“, häufig in diesem Zusammenhang zitiert, ist gerade kein Beispiel für den Ausreißer, weil bei seiner Fertigung die objektiv zu stellenden Regelanforderungen nicht eingehalten wurden. Ausreißer entstehen trotz Beachtung aller objektiven und subjektiven Sorgfaltsanforderungen. Ungerecht wäre es sicher, das Opfer dieses unvermeidbaren Versagens dem zufällig Verletzten aufzubürden. Den Schaden müsste wirtschaftlich der tragen, dem gestattet ist, Waren und damit auch gelegentliche „Ausreißer“ zu produzieren. Das ist der Hersteller. Er wird seine Ausreißerhaftpflicht über den Preis seiner Ware dem kaufenden Publikum überwälzen. Damit sind die Eigenschaften eines privatrechtlichen Aufopferungsanspruchs vollständig erfüllt, unten Rdn. 1710 f. Es liegt ebenso wie beim öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch, der z. B. dazu führt, dass die gelegentlichen Opfer einer Typhuszwangsimpfung Ansprüche gegen den Staat geltend machen können, der diese Last seinerseits dem Steuerzahler aufbürdet. So richtig es ist, dass man die Produzentenhaftung als solche nicht auf den Aufopferungsgedanken stützen kann, weil die Gefährdung durch Warenfehler kein Sonderopfer darstellt, so richtig ist es, die Opfer von Ausreißern durch einen Anspruch gegen den Hersteller schadlos zu stellen, dem das Recht gestattet, Maschinen und andere Geräte zu verwenden, die trotz bester Kontrolle „Fehlleistungen“ vollbringen können. Hier handelt es sich um ein Sonderopfer, das der Betroffene auf sich nehmen muss, weil die moderne Wirtschaft nun einmal Maschinen und Geräte verwendet. Um Gefährdungshaftung geht es dabei nicht, denn maschinelle Warenproduktion ist als solche auch unter dem Gesichtspunkt, dass gelegentlich Ausreißer vorkommen, kein „gefährliches Tun“ (aber: Autofahren ist „gefährlich“). Vielmehr bedeutet die Aufopferungshaftung für Ausreißer einen allgemeinen Risiko- und Lastenausgleich. Hierin liegt der Unterschied zur Gefährdungshaftung (oben Rdn. 1604). Im Ergebnis ähnlich Lorenz, AcP 170, 32, 50ff. Indes sind nicht alle unverschuldeten Fabrikationsfehler im beschriebenen Sinne Ausreißer. Um einen Ausreißer handelt es sich nur im Falle einer „Fließbandfehlleistung“, also eines unkontrollierbaren technischen Versagens und dergl. Ein unverschuldeter Fabrikationsfehler außerhalb des Ausreißerphänomens liegt z. B. vor, wenn ein mit der Ablieferung und Kundeneinweisung betrauter Monteur das Gerät nach Verlassen des Fließbandes und nach der letztmöglichen Kontrolle falsch einstellt, so dass dem Kunden ein Schaden entsteht: Keine Produzentenhaftung nach § 823 I, keine Ausreißeraufopferungshaftung, aber § 831 mit wahrscheinlich gelingendem Entlastungsbeweis. Es bleibt der Deliktsanspruch gegen den Monteur; ferner, wenn Vertrag, evtl. Mängelhaftung des Verkäufers. Da nach dem Produkthaftungsgesetz – PHG – (s. u. Rdn. 1621 ff) in bestimmtem Umfang für fehlerhafte Produkte eine Haftung ohne Verschulden gilt, dürfte nach dem Inkrafttreten des PHG am 1. 1. 1990 die Ausreißerproblematik für den Geltungsbereich des PHG keine Bedeutung mehr besitzen. Für die allgemeine Produzentenhaftung nach § 823 I BGB bleibt sie allerdings bestehen.

6. Sogenannte „weiterfressende Schäden“ 1613

Auch in diesen Fällen (s. dazu oben, Rdn. 1564) gilt die Produzentenhaftung, BGH BB 1992, 1089 – Austauschmotor –, dazu z. B. Tiedtke; BGHZ 117, 183 – Kondensatoren – (schadhafte Kleinteile schädigen das ganze System); BGHZ 146, 144 – Elektroofenschlacke – (Kein „Weiterfressen“). Problematisch kann in solchen Fällen die Bestimmung des Herstellers sein (vor allem im „Gaszug-Fall“, BGHZ 86, 256, war nicht klar, ob der Haftende wirklich der Hersteller war, s. o. Rdn. 1605). Die deliktische Produzentenhaftung kann mit einem unmittelbaren Vertragsanspruch konkurrieren, wenn der Geschädigte direkt vom Hersteller bezog. Dass dagegen grundsätzlich keine Bedenken bestehen, wurde ausgeführt. Die Hauptproblematik dieser Fälle liegt jedoch in der Frage, ob überhaupt Eigentum als Recht im Sinne des § 823 I verletzt wurde (s. dazu oben Rdn. 1564).

7. Anspruchsberechtigter 1614

Sinn der Produzentenhaftung ist, unter Überspringung von Wirtschafts-, insb. der Händlerstufen, Warenfehlergeschädigten unmittelbare Ansprüche gegen die Hersteller zu gewähren. Die vertragliche

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

§ 107 IV 9

Haftung kann wegen der Relativität vertraglicher Verhältnisse (oben § 14) diesen Durchgriff nicht vollziehen. Anspruchsberechtigt ist daher sicherlich der Letztabnehmer, an den das Produkt nach Durchlaufen der verschiedenen Absatzstufen gelangt, unstr. Aber auch schon Weiterverarbeiter genießen den Schutz der Produzentenhaftung, BGHZ 48, 118. Auch Familienangehörige, Angestellte, Gäste usw. des Abnehmers sind in den Schutzbereich einbezogen, BGH JZ 60, 124, wobei der Zweck, dem die Ware zu dienen bestimmt ist, für die Abgrenzung des Schutzbereichs mit herangezogen werden kann (Diederichsen, Haftung 391). Streitig ist, ob auch unbeteiligte Dritte den Schutz der Produzentenhaftung genießen, also etwa der Passant, der von dem sich lösenden Autorad getroffen wird, der Erntehelfer, der an der ausgeliehenen Dreschmaschine arbeitet, usw. Verneint wird diese Ausdehnung von BGH NJW 56, 1193 mit zust. Anm. Larenz; Diederichsen, Haftung 389, bejaht von Simitis Gutachten 58, 98; Rehbinder, ZHW 129,178; Weitnauer Karlsr. Forum 63, 41 und der 2. Aufl. dieses Buches im § 107 1 2 e. Die zweite Auffassung verdient den Vorzug, denn es kann keinen Unterschied machen, wer das Opfer pflichtwidriger Warenherstellung wird, ein Abnehmer oder eine Person, die mit einem Abnehmer in Berührung kommt. Freilich können sich die Pflichten des Herstellers diesen verschiedenen Personenkreisen gegenüber verschieden bestimmen. Das hängt wiederum weitgehend von den Zwecken ab, denen die Ware dienen soll. Personen, die sich typischerweise außerhalb des Gefahrenkreises aufhalten, den der Ge- oder Verbrauch der Ware normalerweise mit sich bringt, ist keine deliktische (Hersteller-) Sorgfalt geschuldet. Das aber ist ein allgemeines Problem des Deliktsrechts, keine Frage der Produzentenhaftung allein. Im Ergebnis berührt sich die hier vorgetragene Auffassung mit den vertraglichen Lösungen, z. B. Gernhubers, die vom „Gefahrenkreis“ eines Vertrages sprechen. Diese Lehren übersehen indes, dass auch deliktische Sorgfaltspflichten nur in bestimmten Beziehungen geschuldet sind; vgl. o. Rdn. 593 und U. Huber, FS Wahl, 1973, 301, 315 mit einer Darstellung der klassischen Fälle zur Normerstreckung im amerikanischen Recht („Thomas“, „Polemis“, „Palsgraf“); unrichtig insoweit Dunz, JZ 69, 756. Beispiele dazu: Ein Straßenpassant hält sich im Gefahrenkreis mangelhaft hergestellter, auf dieser Straße verkehrender Fahrzeuge auf. Das gleiche gilt für den Ladenverkäufer, der durch Splitter der Schaufensterscheibe verletzt wird, in die das mangelhaft gebaute Renn-Fahrrad fährt. Hatte aber dieser Verkäufer gerade an diesem Tage seine wertvolle Briefmarkensammlung mitgebracht, um sie seinen Kollegen zu zeigen, und wird sie durch das in den Laden fahrende Rennrad beschädigt, so haftet trotz vorliegender adäquater Verursachung der Hersteller insoweit nicht, weil sich diese Sammlung normalerweise außerhalb des durch das fehlerhafte Fahrzeug erreichbaren Gefahrenkreises befindet. (Für Kraftfahrzeuge gelten an sich die gleichen Regeln, doch werden sie wegen der Gefährdungshaftung nach §§ 7ff StVG hauptsächlich erst beim Rückgriff der Versicherungsgesellschaft gegen den Kfz-Hersteller von Bedeutung.)

8. Haftungsmilderungen und -ausschlüsse Schon im Rahmen der vom Hersteller zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind für den Hersteller entlastende Umstände zu berücksichtigen, die den Erfolg seiner Sorgfalt zu durchkreuzen geeignet sind, wie unübliche Verwendung der Ware, Nichtbeachtung allgemein bekannter Gefahrabwendungsregeln durch den Geschädigten. Wird durch einen solchen Umstand die Sorgfaltspflicht insoweit beseitigt, kann keine Haftung, also auch keine Schadensteilung eintreten. Es kann aber auch so liegen, dass trotz der entlastenden Umstände eine Sorgfaltspflicht an sich zu bejahen ist, etwa weil der Hersteller auch mit unüblichem Gebrauch (z. B. durch Kinder), mit überarbeiteten Ärzten usw. rechnen musste. Dann kann aber im Einzelfall die Schuld fehlen. Liegt auch Verschulden vor, so ist den Hersteller entlastendes Mitverschulden des Geschädigten und seiner „Verrichtungsgehilfen“ zu prüfen, 254.

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9. Freizeichnung Ein wesentlicher Nachteil einer „vertraglichen Lösung“ der Produzentenhaftung ist das Problem der Freizeichnung von der Haftung, die der Hersteller regelmäßig anstreben wird, um seine Haftung auszuschließen. (Es bedürfte deshalb nach Ansicht der Vertreter dieser Lösung de lege ferenda zwingender Vorschriften.) Stützt man die Produzentenhaftung auf Deliktsrecht, wie hier, kommt eine

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§ 107 IV 11

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

Freizeichnung schon praktisch kaum in Frage (richtig Weitnauer, NJW 68, 1599). Ein Aufdruck auf der Ware („Für Schäden wird nicht gehaftet“) nützt dem Hersteller nur dann, wenn der Geschädigte dies als Vertragsangebot annimmt, was kaum anzunehmen und jedenfalls aus dem Kauf oder der Verwendung der Ware nicht ohne weiteres zu schließen ist. Nach § 14 PHG (s. u. 13.) ist für die Ansprüche nach dem PHG ein vorheriger vertraglicher Haftungsausschluss unzulässig.

10. Verjährung 1617

Ansprüche aus Produzentenhaftung verjähren gem. §§ 195, 199 nach drei Jahren, gerechnet von Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen.

11. Beweislast 1618

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a) Nach allgemeinen Grundsätzen muss der Anspruchssteller, also im Prozess der Kläger, alle Merkmale des Tatbestands derjenigen Norm beweisen, die seinen Anspruch stützen soll. Diese Regeln gelten grundsätzlich auch für die Fälle der Produzentenhaftung, werden aber durch eine oder mehrere Beweislastumkehr(en) zu Lasten des Herstellers stark abgemindet. Der Verletzte hat zunächst im Rahmen des objektiven Tatbestands nachzuweisen, dass eines seiner durch § 823 I geschützten Rechte oder Rechtsgüter adäquat kausal durch ein fehlerhaftes Produkt des Herstellers verletzt und der geltend gemachte Schaden adäquat kausal durch die Rechtsgutsverletzung verursacht wurde. Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ergibt sich aus dem objektiven Verstoß gegen die in den § 823 I hineininterpretierte Verhaltenspflicht (oben Rdn. 1601), hier also der Pflicht, keine fehlerhaften Produkte in Verkehr zu bringen.Vorhandensein und Inhalt der Verhaltenspflicht zählen also zum objektiven Tatbestand. An sich müssten sie also vom Verletzten bewiesen werden. Das ist ihm zumindest dann nicht zuzumuten, wenn es um technische oder wissenschaftliche Regeln geht, die der Verletzer besser kennt als der Verletzte. Daher hat der BGH zu Recht in seiner Entscheidung BGHZ 104, 323 – Mehrwegflasche – schon für die Frage der Fehlerfreiheit bei Inverkehrbringen des Produkts eine Beweislastumkehr angenommen. Diese soll dann eingreifen, wenn der Hersteller seine (Verkehrs-) Pflicht verletzt hat, das betreffende Produkt auf seine einwandfreie Beschaffenheit hin zu überprüfen und den Prüfungsbefund zu sichern (s. dazu Reinelt, NJW 1988, 261; Giesen, JZ 1988, 969). Der Tatbestand des § 823 I ist indes nicht schon erfüllt, wenn der Hersteller ein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht hat. Er muss zusätzlich noch pflichtwidrig gehandelt haben (da es sich eben auch hierbei um Fälle der „Fernwirkung“, d. h. um Verkehrspflichtverletzungen, handelt, s. o. Rdn. 1591). Den Nachweis einer solchen Pflichtverletzung kann jedoch der Geschädigte wiederum im Regelfall mangels Einblick in die Organisations- und Betriebssphäre des Herstellers und mangels Kenntnis der branchen- und betriebseigenen Regeln nur sehr schwer führen. Die Rechtsprechung hat deshalb auch hier insoweit die allgemeinen Regeln der Beweislast geändert: aa) Bei Pflichtverletzungen im Produktionsbereich muss der Hersteller beweisen, dass der Fehler des Produkts nicht auf einer Fehlhandlung seinerseits beruht (BGHZ 80, 186, 199 – Apfelschorf –; OLG Köln NJW 2004, 521 – Schraubenmutter im Toast – ).19 In der grundlegenden Entscheidung BGHZ 51, 91 (= ESJ 127 – Hühnerpest –) sprach der BGH noch von einer Beweislastumkehr (nur) hinsichtlich des Verschuldens. Da sich die Anforderungen an die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt angesichts des im Zivilrecht geltenden objektiven Sorgfaltsmaßstabs (s. Palandt/Heinrichs § 276 Rdn. 15 m. w. N.) weitgehend mit dem Inhalt der Verkehrspflichten decken, wäre dem Verletzten insoweit jedoch nicht in ausreichendem Maße geholfen. Notwendig und sinnvoll ist eine Beweislastumkehr bereits für die im Tatbestand zu prüfende, objektive Pflichtverletzung (seit der 7. Aufl. 1985, § 103 IV 11a); richtig BGHZ 80, 186 – Apfelschorf

19 Für diese Beweislastumkehr wurden im Anschluß an die „Hühnerpest-Entscheidung“ verschiedene Begründungen angegeben: Analogie zu § 831 (so auch die 7. u. 8. Auflage), zu §§ 836 ff (Simitis, Gutachten, 94), oder zu §§ 832, 833, 834, 836ff (BGH in BGHZ 51, 91). Inzwischen kann man von Gewohnheitsrecht sprechen.

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

§ 107 IV 13

I – BGH BB 1996, 1796. Rechtfertigungsgründe und Haftungserleichterungen hat grundsätzlich der Hersteller zu erweisen. Auch insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze. bb) Diese dargestellte Beweislastverteilung gilt vor allem bei Pflichtverletzungen im Produktionsbereich. Bei der Verletzung von Informationspflichten entscheidet die Rechtsprechung teilweise anders. Der Verletzte hat hier die Beweislast dafür, dass eine Instruktionspflicht bestand und ihr nicht nachgekommen wurde (vgl. BGHZ 80, 195).20 Der Verletzte soll weiter beweisen müssen, dass er bei ordnungsgemäßer Information die Verletzung vermieden hätte (haftungsbegründende Kausalität; BGH NJW 80, 195). Wie oben hat der Hersteller die Beweislast dafür, dass ihn kein Verschulden trifft, d. h. dass er die entsprechenden Erkenntnismöglichkeiten über die durch die Information abzuwendende Gefahr nicht hatte und sich nicht verschaffen konnte (BGH 80, 199 – Apfelschorf II –). cc) Die Beweislast für die Verletzung von Produktbeobachtungspflichten dürfte sich wegen der vergleichbaren Problemlage ähnlich wie oben bei den Instruktionspflichten verteilen (so auch Jauernig/Teichmann, § 823 Rdn. 135). b) Aus denselben Gründen, die schon für die Beweislastumkehr bei den der Pflichtwidrigkeit zugrundeliegenden Tatsachen ausschlaggebend waren, muss der Hersteller auch beweisen, dass ihn keine Schuld trifft. Terminologisch nahm die Beweislastumkehr hier ihren Anfang (s. BGHZ 51, 91 und oben). Lehrreich wegen der nur beim Hersteller, nicht bei seiner mithelfenden Ehefrau anzunehmenden Beweislastumkehr bei der Schuld: BGHZ 116, 104 – Hochzeitsessen mit Salmonellen –. c) Entsprechend ist widerleglich zu vermuten, dass ein Fabrikationsfehler ein Ausreißer und kein bloßer unverschuldeter Warenfehler ist, oben 5. Denn wer nachzuweisen hat, dass er alle Organisations- und Kontrollpflichten erfüllt hat, muss auch nachweisen, dass die Fehlerquelle überhaupt im Bereich des Organisierbaren und Kontrollierbaren liegt.

12. Ansprüche neben § 823 I Im Zusammenhang mit der Produkthaftung sind auch Ansprüche aus § 823 II (vor allem) i. V. m. StVZO, AMG, LMBG, GPSG denkbar. Ansprüche aus Gefährdungshaftung bedürfen eines besonderen Gesetzes (s. z. B. PHG [u. 13.], GenTG und § 84 ArzneiMG, u. Rdn. 1699).

1620

13. Die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG) a) Die Produzentenhaftung bildet für die haftenden Unternehmer einen nicht unerheblichen Kostenfaktor. Nationale Unterschiede dieser Haftung können den Wettbewerb verfälschen. Deshalb hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften (EG) mit Datum vom 25. 7. 1985 eine Richtlinie zur Vereinheitlichung der nationalen Regelungen der Produkthaftung erlassen (ABl. L 210/29). In Umsetzung dieser Richtlinie ist am 1. 1. 1990 ein deutsches Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz – PHG) in Kraft getreten (Cahn, ZIP 1990, 482; Sack, JBI. 1989, 615, 695). Es löst die allgemeine Produzentenhaftung (oben Rdn. 1599 ff) nicht ab, sondern tritt mit einer Haftung ohne Verschulden (Gefährdungshaftung, s. u. Rdn. 1684ff) – neben sie: b) Geschützt sind zunächst ohne weitere Einschränkungen Leben, Körper und Gesundheit, § 1 I 1 PHG. Geschützt ist auch das Eigentum an Sachen, § 1 I 1 PHG. Doch insoweit ist der Schutz eingeschränkt, § 1 I 2 PHG. Es muss eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt werden. Dies schließt Schadensersatz für sogenannte „Fresserschäden“ (s. o. Rdn. 1564) aus (Palandt/Sprau 1, Rdn. 6; im Ergebnis auch Jauernig/Teichmann § 823 Anhang, §§ 1–4 PHG 2b bb); Medicus, BürgR Rdn. 650). Weiter sollen nur Sachen geschützt werden, die ein Endverbraucher als Privatperson ohne Erwerbszweck einsetzt („gewöhnlich dazu bestimmt“, „hauptsächlich dazu verwendet“ – diese Merkmale müssen kumulativ vorliegen, so Palandt/Sprau aaO Rdn. 7); der „gewerbliche Verwender“ ist

20 Da auch insoweit der Hersteller die möglichen Risiken und Gefahren besser einschätzen und überblicken kann, erscheint diese Abweichung von den oben ausgeführten Grundsätzen nicht überzeugend.

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§ 107 IV 13

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

also nicht geschützt. Das sind erhebliche Einschränkungen gegenüber der allgemeinen Produzentenhaftung, die auch zugunsten von Weiterverarbeitern, Händlern usw. gilt.

c) Die Rechtsgutsverletzungen müssen durch ein Produkt verursacht worden sein, § 1 I 1 PHG. Zum Begriff des Produkts, § 2 PHG. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. 1622

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d) Die Rechtsgutverletzung muss durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden sein. Bei einer Haftung, die wie die nach dem PHG auf ein Verschuldenserfordernis verzichtet, ist die entscheidende Nahtstelle zwischen Haftung und Nichthaftung der Fehlerbegriff (so v. Westphalen, NJW 90, 83, 87). Die Notwendigkeit des Vorliegens eines Fehlers verhindert im Ergebnis, dass der beklagte Produkthersteller für jeden Produktschaden haftet, in Wirklichkeit also zum Versicherer für alle Produktschäden wird. aa) Ähnlich wie beim Begriff des Sachmangels in § 434 liegt ein Fehler vor, wenn die Istbeschaffenheit des betreffenden Gegenstandes von der Sollbeschaffenheit abweicht. Im Unterschied zum Vertragsrecht wird aber der Sollzustand im Fehlerbegriff des PHG nicht primär nach der vertraglichen Vereinbarung, sondern, da es sich gerade um eine nichtvertragliche Haftung handelt, nach einem objektiven Maßstab bestimmt.21 Der Sollzustand ist sicherheitlich orientiert (§ 3 I) und auf den objektiven, nicht unbedingt vom Hersteller selbst erkennbaren, gegenwärtigen Stand der Technik (s. § 1 II Nr. 5) und einen bestimmungsgemäßen Gebrauch bezogen. Maßgebend ist die berechtigte Erwartung hinsichtlich aller Umstände, § 3 I 1 PHG.22 bb) Im Produktionsbereich (Planung, Konstruktion und Produktion) muss sich der Standard an einer Basissicherheit und einer zusätzlichen, durch Präsentation und Preis beeinflußten Sicherheitserwartung orientieren. Fehler bei der Kontrolle müssen nicht mehr gesondert festgestellt werden; denn es kommt allein auf das fehlerhafte Produkt, nicht auf ein schuldhaftes Handeln an. cc) Die Grundsätze zur Instruktionspflicht gelten in anderer Systematik über § 3 I a PHG (s. v. Westphalen, NJW 90, 88): Eine „Darbietung“, die nicht auf die Benutzergefahren hinweist, löst höhere Sicherheitserwartungen aus, als sie dem Produkt tatsächlich entsprechen. Es ist damit fehlerhaft. Eine Pflicht zur Produktionsbeobachtung besteht nach dem Gesetz nicht. Entscheidend ist, ob das Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens den Sicherheitsstandard erfüllt (str.). Allein die Tatsache, dass später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde, lässt noch keinen Fehler annehmen, § 3 II PHG. Die Grundsätze zum naheliegenden Fehlgebrauch (z. B. BGHZ 116, 60 – Nuckel-Flasche –) müssen auch beim PHG greifen, s. o. Rdn 1609. dd) Für die Beweislast gelten im Ergebnis dieselben Regeln wie bei § 823 I, s. § 1 IV PHG und oben Rdn. 1619. e) Hersteller: Haftungsschuldner ist nach § 4 I PHG der Hersteller. Darunter sind dieselben Personen wie bei § 823 I zu verstehen (einschließlich des „Quasiherstellers“ 23, § 4 I 2 PHG). Es haften auch die Hersteller von Teilprodukten, § 4 I 1 PHG, sowie Importeure aus Drittstaaten, § 4 II PHG. Der Händler haftet subsidiär statt des Herstellers, wenn die Voraussetzungen des § 4 III PHG vorliegen. Bei mehreren nach dem PHG haftenden Herstellern regelt § 5 PHG die Haftung im Außen(S. 1) und Innenverhältnis (S. 2). Für die Haftungsverteilung ist auch § 6 II PHG zu beachten. S. a. Hommelhoff, ZIP 1990, 761 (Konzern). f) Bei Verletzung einer Person gilt § 254 in vollem Umfang, d. h. auch mit der Auslegung, die § 254 II 2 in der Rechtsprechung gefunden hat (s. o. Rdn. 713), § 6 I PHG. Bei Sachbeschädigungen wird das Mitverschulden von sog. Obhutspersonen (s. §§ 854, 855) dem eigenen Verschulden (ohne Entlastungsmöglichkeit) gleichgestellt, § 6 I HS 2 PHG.24

21 Palandt/Sprau § 3 PHG Rdn. 1: Es soll hier nicht das wirtschaftliche Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Vertragspartners, sondern das Integritätsinteresse jedes Benutzers geschützt werden. 22 S. v. Westphalen, NJW 90, 87: Die in § 3 I lit. a bis c aufgeführten, typisierten Umstände sind lediglich beispielhaft zu verstehen („insbesondere“). 23 Haftungsbegründend wirkt aber erst die Verwendung der Kennzeichen, s. v. Westphalen aaO 89. 24 Zur prozessualen Situation s. Jauernig/Teichmann §§ 7–11 PHG, 2 c cc.

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Die allgemeinen Deliktstatbestände

§ 107 IV 13

g) Haftungsausschluss: In § 1 II Nr. 1–5, III PHG finden sich Bestimmungen, die bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen die Haftung ausschließen. Insoweit ist in Streitfällen der Hersteller beweispflichtig, § 1 IV 2 PHG. Ein vertraglicher Haftungsausschluss ist nach § 14 PHG unzulässig. h) Die §§ 7–11 PHG kennzeichnen für Personenschäden abschließend die einzelnen Schadensposten und den Schadensumfang, konkretisieren damit § 1 I PHG und nehmen die in den §§ 842 ff enthaltenen Komplexe (mit Ausnahme von § 845) für das Gesetz auf. Schmerzensgeld wird seit 1. 8. 2002 gem. § 8 S. 2 PHG gewährt. Schadensersatz für die Zukunft ist in Form einer Geldrente zu leisten, § 9 PHG. In § 10 PHG wurde ein Haftungshöchstbetrag für Personenschäden eingeführt. Anders als bei Personenschäden fehlt bei Sachschäden eine Regelung, so dass auf § 1 I PHG zurückzugreifen ist. Wegen des insoweit mit § 823 I BGB identischen Wortlauts sind auch dieselben Folgeschäden wie nach den §§ 249–252 zu ersetzen. Hinzu kommt nur die Regelung des Selbstbehalts nach § 11 PHG (€ 500). i) Die zeitliche Geltendmachung der Ansprüche wird durch ein doppeltes System begrenzt. Zehn Jahre, nachdem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, „erlischt“ der Anspruch, § 13 PHG.25 Dies führt im Regelfall zu unterschiedlichen Fristen, je nachdem, ob der Geschädigte den Hersteller, Quasihersteller, Importeur oder Lieferanten in Anspruch nimmt. Das Erlöschen ist im Gegensatz zur Verjährung von Amts wegen zu beachten (Palandt/Sprau § 13 PHG, Rdn. 1). Unter den in § 13 II PHG genannten Voraussetzungen erlöschen Ansprüche nicht. Innerhalb dieser 10-Jahres-Frist verjährt der Anspruch nach § 12 PHG in drei Jahren. Im Unterschied zu § 199 I Nr. 2 stellt die Norm nicht auf grob fahrlässige Unkenntnis, sondern auf einfache Fahrlässigkeit ab. Außerdem beginnt der Lauf der Verjährungsfrist sofort, während § 199 I eine ultimo-Regelung vorsieht. j) Im Verhältnis zu anderen Normen gilt Anspruchskonkurrenz: Nach dem Grundsatz, dass nur ein Mindeststandard gesichert werden soll, stellt § 15 II PHG klar, dass sonst bestehende Ansprüche vertraglicher oder deliktischer Art gegen Hersteller oder andere verantwortliche Personen durch dieses Gesetz nicht ausgeschlossen werden. Es besteht Anspruchskonkurrenz.26 Im Gutachten sind also Vertrag, § 823 I (insb. die Produzentenhaftung) und das PHG nebenander zu prüfen; dies gilt nicht für fehlerhafte Arzneimittel (§ 15 I PHG). Ein Vorschlag für die Prüfungsreihenfolge findet sich unten 14. k) Zeitlich gilt das Gesetz nicht für fehlerhafte Produkte, die vor seinem Inkrafttreten in Verkehr gebracht worden sind (§ 16 PHG). l) Was Konstruktion der Haftung und Tatbestandsvoraussetzungen (kein Verschulden!) betrifft, unterscheidet sich die Haftung nach dem PHG deutlich von der allgemeinen Produzentenhaftung nach § 823 I. Im Ergebnis ist die Haftung nach PHG jedoch fast deckungsgleich mit den Resultaten, die die BGH-Judikatur zur Produzentenhaftung nach § 823 I herausgearbeitet hat (so auch v. Westphalen aaO 85; zu Unterschieden zwischen der Haftung nach § 823 I und der des PHG s. a. Sack, VersR 88, 442; Palandt/Sprau, § 15 PHG, Rdn. 7; und Jauernig/Teichmann, § 823 Anhang PHG, §§ 1–4, Rdn. 140, die meinen, dass das PHG vor allem im Handwerk zu einer Verschärfung der Haftung für Ausreißer führt). Da die Haftung nach § 823 I für den Kläger vorteilhafter ist (z. B. kein Selbstbehalt und keine Haftungshöchstbeträge), finden sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung deshalb nur wenige Entscheidungen, in deren Mittelpunkt das PHG steht. Eine Ausnahme ist BGH NJW 1995, 2162 – Mineralwasserflasche –.

25 Es handelt sich um eine Ausschlussfrist, es gibt also keine Hemmung oder Unterbrechung, Jauernig/Teichmann § 13 PHG, 1 a (s. aber die Regelung des § 13 I 2). 26 S. EuGH, 25. 4. 2002, Rs. C-183/00 – Gonzáles Sánchez, Slg. 2002, I-3901; hierzu Joerges, FS Heldrich, 2005, S. 205, 213 ff.

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§ 108 I

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

14. Prüfungsschema 27 1625

In Gutachten kann man folgende Reihenfolge zugrunde legen: a) Vertrag? (z. B. BGHZ 78, 369 – Autoherstellergarantie für Autokäufer –) b) Hierbei auch: Vertrag zugunsten Dritter, Schutzwirkung, Garantie im Hinblick auf Werbung, Drittschadensliquidation. Zur Konkurrenz bei den „weiterfressenden Schäden“ oben Rdn. 1564. c) Haftung des Unternehmers aus § 831? Oft gelingt Exkulpation; dabei den dezentralisierten Entlastungsbeweis (s. u. Rdn. 1673) beachten. d) Organisationshaftung aus § 823 I wegen verletzter Organisationspflicht (als Verkehrspflicht)? Hat der Unternehmer seinen Betrieb nach der theoretischen Anlage und der praktischen Durchführung einwandfrei organisiert? Dann wird die Haftung von § 831 auf § 823 I verlagert. S. o. Rdn. 1598. e) Haftung nach dem PHG als dem spezielleren Gesetz, das eine Haftung ohne Verschulden vorsieht (anders noch, mit Rücksicht auf § 15 II PHG, die 8. Aufl.), s. o. Rdn. 1624. f) Produzentenhaftung aus § 823 I (Rdn. 1599 ff). g) Haftung aus Vertrag oder Delikt, jeweils in Verbindung mit der Organhaftung des § 31? h) § 823 II i. V. m. Schutzgesetzen, z. B. Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (s. u. Rdn. 1626 ff) i) § 826, s. u. Rdn. 1636ff.

§ 108 Schutzgesetzdelikte, 823 II Bistritzki, Voraussetzungen für die Qualifikation einer Norm als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, Diss. München 1981; Canaris, (II.) FS Larenz, 1983, 27; Carstens, MDR 74, 983; Dörner, JuS 87, 522; Gilles/Baumgart, JuS 74, 226; Honsell, Th., JA 83, 101; Klippel, BB 83, 407; Knöpfle, NJW 67, 697; Kramer, JZ 76, 338; Lange, Hermann, Gutachten für den 43. DTJ, 1960; Lerche, Jura 70, 821; Mertens, AcP 178, 227; Peters, JZ 83, 913; Rödig, Erfüllung des Tatbestandes des § 823 Abs. 1 durch Schutzgesetzverstoß, 1973; Sack, BB 1974, 1369; Schlosser, H., JuS 82, 657; Schmiedel, Deliktsobligationen nach Deutschem Kartellrecht, 1. Teil, 1974; Schünemann, W. B., DÖV 1995, 668 (zum Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten – EMVG –); Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998; Stoll, Hans, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968; Wiethölter, JZ 63, 205; Wolf, Joseph Georg, Der Normzweck im Deliktsrecht, 1962, 16ff.

I. Wesen und Bedeutung der deliktischen Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes 1 1626

1. Zum Grundsätzlichen siehe oben Rdn. 1402. Verhaltensnormen im öffentlichen Recht und vor allem im Strafrecht haben zivilrechtliche Bedeutung, wenn bestimmte Personen, nicht nur die Allgemeinheit, als solche begünstigt, „geschützt“ werden. Hier 27 Klausurlösung zur Produkt- und Produzentenhaftung am Beispiel der „Raucherklagen“ bei Heinemann/Schürholz, Jura 2002, 693. 1 Vgl. zum folgenden Canaris, (II.) FS Larenz, 27, 48.

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Schutzgesetzdelikte

§ 108 I

spart sich der Gesetzgeber die Wiederholung der Verhaltensnorm im Zivilrecht und sagt nur allgemein in § 823 II: Wer gegen ein den Schutz eines bestimmten anderen bezweckendes Gesetz verstößt, haftet ihm auf Schadensersatz. Durch diese Verweisung auf die Masse öffentlich-rechtlicher, insb. strafrechtlicher (nur gelegentlich privatrechtlicher – z. B. § 226 BGB –) Verhaltensgebote und -verbote wird das BGB umfangmäßig wesentlich entlastet. Systematisch handelt es sich bei den über § 823 II gewonnenen zivilrechtlichen Verhaltensnormen grundsätzlich um „freie“ Verhaltensnormen, nur dass sie ein anderwärts aufgestelltes Gesetz erfordern. Insofern ist § 823 II ein Stück des deliktischen Enumerativ-Prinzips. 2. Die Bedeutung des § 823 II hängt von der Art des Schutzgesetzes ab, mit dem sich die Vorschrift im Einzelfall verbindet. a) Manche Schutzgesetze betreffen die Verletzung der deliktsrechtlich ohnehin schon durch § 823 I umfassend geschützten Güter wie Leben, Körper, Freiheit oder Eigentum (s. z. B. §§ 211 ff, 223 ff, 234ff, 242 ff, 303 ff StGB). In diesen Fällen kann § 823 II in Klausuren deshalb kurz behandelt werden. Zwar gewährt § 823 II auch in diesem Bereich einen selbständigen Anspruch, wenn die Voraussetzungen des Schutzgesetzes vorliegen, doch gewährt diesen Anspruch dann immer auch § 823 I, und zudem wird der Schutz aus § 823 II in den Fällen hinter dem des § 823 I zurückbleiben, in denen das Strafrecht strengere Anforderungen insbesondere an den subjektiven Tatbestand stellt. b) Viele Schutzgesetze verbieten nicht erst das Herbeiführen eines Verletzungserfolges, sondern bereits ein bestimmtes gefährliches Verhalten. Dies gilt beispielsweise für viele Vorschriften des Straßenverkehrsrechts (s. StVO, StVZO). Mittelbar dienen zwar auch diese Vorschriften dem Schutz der in § 823 I genannten Rechtspositionen (insbesondere Leben, Körper, Gesundheit, Eigentum). § 823 II hat hier jedoch eine selbständige Bedeutung wegen der Verkürzung des Verschuldensbezuges (vgl. Canaris aaO 25, der das auch betont). Folgt man nämlich der herrschenden Auffassung (die aber hier abgelehnt wird, dazu unten), braucht sich nämlich das Verschulden regelmäßig nur auf den Verstoß gegen das Schutzgesetz zu beziehen und nicht wie bei § 823 I auf die Rechtsgutverletzung und die Schadensauslösung (dazu noch unten). Allerdings darf der darin liegende Unterschied zu § 823 I auch nicht überschätzt werden. Die Rechtsprechung fordert für § 823 I nicht, dass der konkrete Verletzungserfolg vorhersehbar war, sondern lässt die Voraussehbarkeit des Eintritts irgendeines Schadens genügen. § 823 II geht in dieser Hinsicht mithin nur insofern weiter als § 823 I, als dabei nicht einmal der Eintritt irgendeines Schadens vorhersehbar sein, sondern lediglich ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen muss. Weiter bestimmen die Schutzgesetze auch das Maß der bei § 823 I zu beachtenden verkehrserforderlichen Sorgfalt (§ 276 II). Ist ausgeschlossen, dass sich die fragliche Gefahr verwirklicht hat – ist also z. B. der Kraftfahrer trotz Fehlens einer Fahrerlaubnis gänzlich fehlerfrei gefahren oder war das nicht zugelassene Fahrzeug uneingeschränkt verkehrstauglich -, so kann es an der haftungsbegründenden Kausalität fehlen, oder der Schaden wird nicht im Schutzbereich der Norm liegen (so auch Canaris aaO 53). Zur Möglichkeit von Beweisvorteilen des Geschädigten s. BGHZ 95, 212, für § 186 StGB.

c) Die größte Bedeutung erlangt § 823 II für die Gruppe von Schutzgesetzen, die in § 823 I nicht geschützte Rechtsgüter, vor allem das Vermögen als solches erfassen (s. etwa §§ 263 ff StGB). Mit diesen Normen können Schadensersatzansprüche begründet werden, die sich aus § 823 I nicht herleiten lassen. Auch lässt sich der Verstoß gegen ein Schutzgesetz häufig einfacher begründen als eine Sittenwidrigkeit der Schadenszufügung, so dass § 823 II auch gegenüber § 826 seine Selbständigkeit besitzt. Auch für die Fälle, in denen Rechtsgüter in § 823 I nur als „Rahmenrechte“ geschützt sind, besitzt § 823 II eine große Bedeutung. Ein Anspruch wegen Verletzung des Rechts am Unternehmen kommt nur dann in Betracht, wenn nicht bestimmte Beeinträchtigungen sondergesetzlich geregelt sind. Dies trifft vor allem für Vorschriften des Wettbewerbsrechts (z. B. UWG, Kartellrecht) bei Handeln im Wettbewerb zu (vgl. Medicus, II, § 142 I 3). Soweit diese Vorschriften nicht schon selbst eine Schadensersatzpflicht begründen, kann ein Schadensersatzanspruch dann bloß über § 823 II begründet werden.

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§ 108 II

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

II. Der Weg vom Schutzgesetz zur Schadensersatznorm 1630

1. Als Schutzgesetz kommt grundsätzlich jede „Rechtsnorm“ (s. Art. 2 EGBGB) in Betracht. Dazu gehören Gesetze im formellen Sinn, Rechtsverordnungen, öffentlichrechtliche Satzungen, Anstaltsordnungen, Tarifverträge, Gewohnheitsrecht, Observanz im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Rechtsquelle u. ä. Nicht dazu gehören Verkehrspflichten (s. dazu bereits oben) und die von Verbänden aufgestellten technischen Regeln und Standardnormen wie z. B. die Unfallverhütungsbestimmungen der Berufsgenossenschaften.

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2. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein solches Gesetz nur dann ein Schutzgesetz, wenn der Schutz zumindest auch auf bestimmte Rechtsgüter oder Interessen des Einzelnen zielt (s. BGHZ 106, 206 u. a.). Dabei reiche eine allgemeine Schutzfunktion zugunsten Einzelner nicht aus. Es müsse ein gezielter Individualschutz gewährt werden. Nur so lasse sich vermeiden, dass die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschädigungen nicht unterlaufen wird. Nun ist aber Schutz der Allgemeinheit zumeist kein Selbstzweck, sondern dient auch dem Individualschutz. Da nun für § 823 II ausreicht, dass ein Schutzgesetz auch Individualschutz zum Ziel hat, ist das Kriterium des Individualschutzes nicht sehr aussagekräftig. Häufig lässt sich der Schutzzweck einer Norm nicht sicher ermitteln. Auch aus diesem Grund ist die oben genannte Schutzgesetzdefinition des BGH nicht besonders aussagekräftig. Sie ist deshalb auf Kritik gestoßen (s. beispielsweise Medicus, II, § 142 II l; Canaris, aaO 46, 47). Die Rechtsprechung hat versucht, Kriterien zu finden, die über das oben Gesagte hinausgehen (s. BGH NJW 76, 1740; 77, 1147). Danach muss ein individueller Schadensersatzanspruch sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen. In eine ähnliche Richtung geht wohl der Vorschlag von Medicus, (aaO), der fordert, aus dem Umfeld der als Schutzgesetz zu qualifizierenden Norm müsse sich ergeben, dass deren Schutzzweck gerade (auch) durch privatrechtliche Schadensersatzansprüche erreicht werden solle.2 Beispiele: Arbeitszeitordnung (Arbeitnehmer); Streupflicht-Satzung einer Gemeinde (Fußgänger bei Glatteis); Milchgesetz (Verbraucher); Konkursvorschriften (Gläubiger, BGHZ 75, 96 [106]); § 40 II GmbHG (Publizität), Haase, K., BB 1996, 2309; § 3 UWG (Verbraucher, vgl. Sack, BB 1974, 1369; NJW 1975, 1303; Schricker, GRUR 1975, 111; a. A. BGH NJW 1974, 1503, 1505; LG Frankfurt, NJW 1974, 501; nach herrschender Praxis sind §§ 3ff UWG keine verbraucherschützenden Schutzgesetze, weil § 8 III Nr. 3 UWG Verbraucherverbänden eine Unterlassungsklage gibt und dies den äußeren Rahmen des Verbraucherschutzes im UWG absteckt; die Rechtslage ist korrekturbedürftig); §§ 19, 20, 21 i. V. m. § 33 GWB (boykottierte und diskriminierte Unternehmen, marktstarke Unternehmen BGHZ 29, 344; 37, 163); Rechtsberatungsgesetz (Anwälte, BGHZ 15, 315); Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) (früher: Maschinengesetz, Gerätesicherheitsgesetz, Produktsicherheitsgesetz, s. BGH NJW 2006, 1589). Die meisten Vorschriften des StGB, z. B. §§ 185 ff (Beleidigung); § 123 (Hausfriedensbruch); § 142 (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort); §§ 223 ff (Körperverletzung); auch § 227 (vgl. BGH NJW 88, 1383); § 263 (Betrug, dazu Volk, JuS 81, 880: Täuschung durch Unterlassen; BGH LM Nr. 7 zu § 263: Betrug beim Warenterminoptionsgeschäft, dazu Rochus, NJW 81, 736, betr. Rohstoffoptionen); vgl. weiter BGHZ 28, 359; 26, 42 (Personenförderungsgesetz).3 Nicht: Steuergesetze, Besoldungsvorschriften, Bauvorschriften (BGHZ 40, 28; 66, 388; 69, 1; vgl. aber BGHZ 40, 306; 66, 354); § 426 BGB (BGHZ 20, 379); § 15 AVG (BGHZ 84, 312); u. a. der Allgemeinheit dienende Vorschriften.

1632

3. Allein ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz gewährt noch keinen Anspruch aus § 823 II. Hinzukommen muss, dass der einzelne Schadensfall sich auch gerade im Schutzbereich der Vorschrift befindet. Dafür müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

2 S. zu weiteren Vorschlägen auch Canaris, aaO, 47, 48. 3 Für weitere von der Rechtsprechung anerkannte Schutzgesetze vgl. MünchKomm/Wagner, § 823 Rdn. 357 ff; Erman/Schiemann, § 823 Rdn. 160ff; Palandt/Sprau, § 823 Rdn. 61ff.

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Schutzgesetzdelikte

§ 108 III

a) Bezweckt das Schutzgesetz den Schutz gerade dieser Person oder dieses Angehörigen eines bestimmten Personenkreises (persönlicher Schutzbereich)? So schützt das Boykottverbot des § 21 I GWB nur den Boykottierten, nicht den Adressaten der Boykottaufforderung, oben Rdn. 1574. § 64 I GmbHG schützt die Gesellschaftsgläubiger gegen Entzug von Gesellschaftsvermögen, nicht aber jede beliebige Person vor allen Gefahren, die sich aus dem Fortbestehen einer überschuldeten GmbH ergeben, BGHZ 29, 100, s. a. Gilles/Baumgart, JuS 74, 226. Verbote von Wettbewerbsbeschränkungen schützen Partner der Wettbewerbsbeschränkungen, Außenseiter und Kunden (Lieferanten), str., zu eng BGHZ 30, 74, richtiger Ansatz in BGHZ 13, 41. S. jetzt die weite Fassung des persönlichen Schutzbereichs in § 33 I GWB.

b) Bezweckt das Schutzgesetz den Schutz gerade des Rechtsguts, an dem der Schaden entstanden ist (sachlicher Schutzbereich)? § 248b StGB schützt nur den Berechtigten (Rechtsgut: Gebrauchsmöglichkeit), nicht aber die Verkehrsteilnehmer (Rechtsgut: Sicherheit des Verkehrs), BGHZ 22, 293. Vgl. auch BGHZ 24, 263 (Nebenklägerkosten); 19, 126 (Gesundheit und Eigentum, aber nicht Vermögen); 12, 75 (Reichweite des § 909 als Schutzgesetz).

c) Schließlich ist erforderlich, dass das Schutzgesetz gerade die Schädigungsart verhindern will, in der der Schaden zugefügt wurde (Hermann Lange, J. G.Wolf).

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Wird ein Kind entgegen dem Jugendschutzgesetz nachts als Kegelbub beschäftigt und beim Kegeln verletzt, so besteht kein Ersatzanspruch aus § 823 II i. V. m. dem Jugendschutzgesetz. Dies Gesetz will gegen Überanstrengungen, nicht gegen Berufsunfälle schützen; LG Hannover Recht 1910, 36; OLG Hamburg, SeuffArch. 60 Nr. 54. § 8 StVO will keinen Schutz davor gewähren, dass ein durch ihre Missachtung verursachter Unfall auf dem Umweg über Belastungen, die der Geschädigte erst durch Aufregungen im Zusammenhang mit der Unfallaufnahme erfährt, zu einem Schlaganfall führt (BGH NJW 89, 2616).

Die Auslegung des Schutzgesetzes ergibt also, ob und wieweit sich aus ihm eine auf Schadensersatz gerichtete Anspruchsnorm ableitet. Hier gilt die Normzwecktheorie seit Inkrafttreten des BGB. Von hier aus bahnte sie sich den Weg zu § 823 I und zum vertraglichen Schadensersatz, vgl. oben Rdn. 592. Zum Ganzen s. die lehrreichen Entscheidungen BGH NJW 2004, 356 (Halteverbot schützt nicht das Vermögen des Bauunternehmers, der mit den Arbeiten nicht rechtzeitig beginnen kann); NJW 2004, 1949 (MedaillVO schützt Automatenaufsteller, die durch den Einwurf von Plastik-Chips einen Schaden erleiden). d) Zum Schutz „sozialer Werte“ jenseits der Zuordnung subjektiver Rechte s. o. Rdn. 1411.

III. Besondere Fragen der Schutzgesetzdelikte 1. Kausalzusammenhang: Die Haftung erstreckt sich auf adäquat verursachte Schäden und Folgeschäden (im Einzelnen unten Rdn. 1704).

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Durch Verletzung lebensmittelrechtlicher Vorschriften treten bei einem Gast nach Verzehr eines Essens im Gasthaus Gesundheitsstörungen auf, derentwegen der Gast ein Krankenhaus aufsuchen muss. Dort wird er bei einer durch die Vergiftung bedingten Bluttransfusion mit infiziertem Blut angesteckt. Der Gastwirt haftet auch für diese – nicht außer aller Wahrscheinlichkeit liegende – Krankenhauskomplikation, vgl. oben Rdn. 629.

2. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich aus der Verletzung des Schutzgesetzes und wird von dort gemäß § 823 II auf die durch Auslegung gewonnene Deliktsnorm automatisch übertragen. Zu beachten sind aber Rechtfertigungsgründe (unten Rdn. 1706). 3. Das Verschulden braucht sich nach herrschender Auffassung nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes zu beziehen, nicht auch auf den eigentlichen Verletzungseingriff und die Folgeschäden. Das ist bezüglich des Verletzungseingriffs schwer verständlich. Die herrschende Auffassung ist auch nicht haltbar, weil nach § 823 II 2 für die

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§ 109 I

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

durch Auslegung aus dem Schutzgesetz gewonnene Deliktsnorm eigenes deliktisches Verschulden verlangt wird. Deliktisches Verschulden schließt Verschulden bezüglich des Verletzungseingriffs grundsätzlich ein. Praktisch ergeben sich aber kaum Unterschiede: Wer schuldhaft gegen ein gesetzliches Ge- oder Verbot verstößt, wird nur selten sagen können, er habe mit keinem Schaden zu rechnen brauchen (wie hier Hans Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968, 21 ff) Im Einzelnen gilt: a) Mit Schutzgesetzen ist in großem Umfang zu rechnen, namentlich im ordnungsbehördlichen Bereich (z. B. betr. Schneeräumen, Streupflicht, Lärmbekämpfung). Wer es trotz Anlasses unterlässt, sich über das Bestehen des Schutzgesetzes zu unterrichten, handelt schuldhaft. Vgl . RG LZ 16, 1241; BGHZ 116, 104 (zur Beweislast). b) Ist nach dem Schutzgesetz ein Verstoß auch ohne Verschulden möglich, so tritt Deliktshaftung doch nur bei Verschulden ein, 823 II 2 (Dörner, JuS 87, 522, 523). Es wird zwar die Rechtswidrigkeit, nicht aber das Verschulden aus dem Schutzgesetz automatisch übernommen. c) Aber: Sieht das Schutzgesetz ein qualifiziertes Verschulden vor (z. B. nur vorsätzliche Begehung), so gilt dies auch für die Schadensersatzpflicht. Die Deliktshaftung darf nicht strenger sein als das schutzgesetzliche Gebot oder Verbot. Verlangt also das Schutzgesetz Vorsatz, so entsteht ein Anspruch aus § 823 II auch nur bei Vorsatz; BGH NJW 82, 1037. d) Im Schadensrecht des BGB gilt grundsätzlich die Vorsatztheorie, oben Rdn. 649. Nur in § 823 II muss die Schuldtheorie Anwendung finden, soweit das Schutzgesetz seinen Verschuldensbegriff nach der Schuldtheorie ausrichtet. Sonst könnten Bestrafung und Schadensersatz auseinanderfallen, oben Rdn. 649 und BGHZ JZ 63, 218; Wiethölter, JZ 63, 205. Allerdings legt der BGH bei fahrlässiger Schutzgesetzverletzung nicht den strafrechtlichen, sondern den objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab des Zivilrechts zugrunde (s. BGH VersR 1968, 378, 379).

§ 109 Sittenwidrige Vermögensschädigungen, 826 Braun, Rechtskraft und Restitution, 1. Teil: Der Rechtsbehelf gem. § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile, 1979; Bülow, WRP 74, 231; Coing, NJW 47/48, 213; Denck, ZHR 144, 171; Deutsch, JZ 63, 385; ders., JZ 73, 585 (zu Kraßer); Doerk, Der Streik als unerlaubte Handlung i. S. des § 826 BGB, 1954; Friedrich, AcP 178 (1978), 468; Gadow, IherJb 84, 174; Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit, 1979; Koller, JZ 85, 1013; Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht, 1963; Kraßer, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971; Lammel, AcP 179 (1979), 337; Larenz, NJW 1955, 521; Mayer-Maly, Das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit, 1971; Mertens, ZHR 143, 174; Nipperdey, Wettbewerb und Existenzvernichtung, 1930; Ramm, AcP 160, 336; Reuß, AcP 156 (1957), 89; Sack, in Staudinger/Sack (2003) §§ 134, 138, § 134, Rdn. 143–160; 192; § 138, Rdn. 11ff; ders., NJW 2006, 945; Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970; Steindorff, in: Summum ius summa iniuria, l963, 58; Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, 1971; Thumm, Die Klage aus § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH, 1959; Vogel, BB 1960, 135; Wieacker, JZ 61, 337; Wolf, Manfred, NJW 67, 709.

I. Bedeutung im Deliktsrecht 1636

Während die Schaffung passender Verhaltensnormen im Bereich (vorsätzlich oder fahrlässig) vernachlässigter Sorgfalt jedem Deliktsrecht sachliche und systematische Schwierigkeiten bereitet, ist es weder moralisch noch rechtlich schwer zu begreifen, dass gezielte, böswillige Schädigungen zum Schadensersatz führen müssen. Im Bereich vernachlässigter Sorgfalt stellt sich jedem Deliktsrecht die Frage: „Generalklausel oder Enumerativ-Prinzip?“ Im deutschen Recht ist sie zugunsten des auf absolute Rechte, Rahmenrechte und Schutzgesetze aufgeteilten Enumerativprinzips gefallen. Dem-

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Sittenwidrige Vermögensschädigungen

§ 109 II

gegenüber lässt sich der eingängige Satz, absichtliche Schadenszufügungen erforderten Schadensausgleich, ohne Bedenken als Generalklausel formulieren. § 826 bestimmt daher: Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist ihm zum Schadensersatz verpflichtet. Liegen zusätzlich Ansprüche aus § 823 I, II oder Vertrag vor, werden diese im Vordergrund stehen. Sie sind im Regelfall leichter begründbar („Sittenwidrigkeit“) und für den Gläubiger günstiger: Er bekommt alle Schäden ersetzt, die adäquat kausal verursacht wurden, ohne dass diese wie bei § 826 vom Vorsatz mitumfasst sein müssen. Die eigenständige Bedeutung von § 826 liegt vor allem darin, elementare außerrechtliche Verhaltensanforderungen (BGHZ 17, 332) sowie die in den Grundrechten verwirklichte Wertordnung (BVerfG 7, 206) mit zu berücksichtigen und ein Korrektiv für neue Entwicklungen darzustellen, auf die der Gesetzgeber noch nicht reagieren konnte (Anm. s. dazu aber Jauernig/Teichmann, § 826 Rdn. 1, die darauf verweisen, dass § 826 in dieser Funktion teilweise durch den Ausbau von § 823 verdrängt wurde). § 826 ist aber keinesfalls subsidiär, sondern grundsätzlich immer neben den §§ 823ff zu prüfen.

II. Die Voraussetzungen im Einzelnen 1. Die in Rede stehende Handlung muss zu einem Schaden geführt haben. Geschützt ist hier, im Unterschied zu § 823 I, wie in § 823 II auch das Vermögen als solches. § 826 schützt weiter ideelle Interessen wie die Persönlichkeitssphäre. 2. Der Schaden, der verlangt wird, muss vorsätzlich zugefügt worden sein. Der Handelnde muss das Bewusstsein haben, das eigene Verhalten werde zum Schaden führen, er muss dies wollen bzw. in Kauf nehmen. Bedingter Vorsatz reicht also aus. Es ist erforderlich, dass in etwa die Richtung, in der sich das Verhalten zum Schaden anderer auswirken wird, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vom Vorsatz umfasst sind (BGH NJW 2000, 2896; 2004, 446, 448). Genauere Vorstellungen muss der Verletzer nicht besitzen. Der Vorsatz muss sich auf die den Sittenverstoß begründeten Tatumstände beziehen. Dass die Handlung sittenwidrig ist, braucht vom Vorsatz nicht umfasst zu sein, dem Geschädigten könnten sonst unüberwindliche Beweisschwierigkeiten entstehen, und dem Täter sollen seine eigenen laxen Vorstellungen nicht nutzen (so zu Recht auch Medicus, II, § 143 II 2) (s. a. o. Rdn. 647 ff). 3. Die Rechtsprechung versteht als sittenwidrig, was „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstößt. Dieses Anstandsgefühl wird nicht demoskopisch, sondern wertend ermittelt. Diese Wertung hat sich zunächst an der herrschenden Rechts- und Sozialmoral zu orientieren, wobei ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen ist (BGHZ 10, 232). Da sich indes ein allgemeiner Konsens darüber, was sittenwidrig ist, nicht leicht herstellen lässt, wird es häufig in der Sache letztlich darum gehen, den Einzelfall sorgfältig rechtlich abzuwägen. Die – zu Recht allgemein gehaltene – Definition der Rechtsprechung gibt dafür kaum Anhaltspunkte.1 In diese Abwägung fließen die Grundwerte der geltenden Rechtsordnung und die objektive Wertordnung des Grundgesetzes ein („mittelbare Drittwirkung“, s. BVerfGE 7, 198 – Lüth). Es geht um die entschiedene Missbilligung eines Verhaltens, dessen Verwerflichkeit sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, dem Missverhältnis von Zweck und Mittel, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. auch Jauernig/Teichmann § 826 Rdn. 3). 4. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich aus der Sittenwidrigkeit. Das Recht setzt hier bewusst einen außerrechtlichen Maßstab an seine Stelle und macht ihn so zu geltendem Recht. Rechtfertigungsgründe beseitigen die Rechtswidrigkeit (z. B. Abwehrboykott in Notwehr). Die Motive stellen jedoch klar, dass § 826 gerade auch in solchen Fällen gelten soll, wo sich der sittenwidrig Handelnde (zu Unrecht) auf ein eigenes Recht beruft (Daher die Berufung auf das Sittengesetz!). § 826 ist also eine wichtige Vorschrift zur Hinderung eines Rechtsmissbrauchs (neben § 242). BGHZ 26, 396, vgl. aber 20, 169. Beispiele siehe unten III 3. 5. § 826 kann grundsätzlich neben andern Ansprüchen geltend gemacht werden. Eine verdrängende Sonderregelung stellt allein § 839 dar (BGHZ 13, 28). 1 Jauernig/Teichmann, § 826 Rdn. 3 bezeichnen sie jedoch zu Unrecht als Leerformel.

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§ 109 III

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

III. Fallgruppen 1640

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Der Anwendungsbereich von § 826 ist breit. Wichtige Fallgruppen sind: 1. Täuschungen. § 826 ist die Schadensersatznorm zu § 123. In diesen Zusammenhang gehören auch wissentlich falsche Auskünfte (BGHZ 74, 281), Ratschläge und Empfehlungen, vgl. § 675 II; ebenso Denunziationen, BGHZ 17, 328; Vorspiegelung der Vaterschaft, BGHZ 80, 235; Doppelverkauf, BGH NJW 81, 2184. 2. Verleitung zum Vertragsbruch und Ausnutzung von Vertragsbruch unter erschwerenden Umständen, BGHZ 12, 318; 40, 139; BGH WM 81, 624; BGH WM 82, 738. Die Ausnutzung eines Vertragsbruchs ist nicht schlechthin sittenwidrig, str. Aus der grundsätzlichen Begrenzung des negativen Interesses durch das positive (122 I, 179 II) folgt der Standpunkt des BGB, dass man ein besseres Ersatzgeschäft abschließen (und den ersten Partner auf Schadensersatz verweisen) darf (in der Ausdrucksweise der ökonomischen Analyse des Rechts – o. Rdn. 1556 –: „effective breach“). 3. Schädigende Ausnutzung formaler Rechtsstellungen a) Allgemeine Arglistenrede, vgl. oben Rdn. 218. b) Sittenwidrige Ausnutzung von rechtskräftigen Urteilen, BGHZ 13, 71; BGH NJW 83, 2317; vgl. aber BGHZ 40,130; BGH VersR 82, 975: str.; s. zum erschlichenen Urteil BGHZ 101, 383; zum Ausnutzen eines unzutreffenden, aber nicht erschlichenen Urteils oder Vollstreckungsbescheids s. BGHZ 103, 44. Nach BGHZ 151, 316 ist die Vollstreckung aus einem Urteil nicht allein deshalb sittenwidrig, weil sich später die höchstrichterliche Rechtsprechung geändert hat (im Fall der Beurteilung von Familienbürgschaften). Hiergegen BVerfG ZIP 2006, 60. c) Rechtsmissbrauch, Schikane, RGZ 72, 251; BGHZ 32, 112; 74, 300; 74, 309; BGH NJW 79, 2146; NJW 2001, 2632 – Widerspruch im Lastschriftverfahren; BGH NJW 2003, 1934 (Schädigung durch Betreiben eines Rechtsstreits: nur unter besonderen Umständen). 4. Ausnutzung wirtschaftlicher Monopolstellungen a) Knebelungsverträge, BGHZ 19, 12. b) Abschlusszwang, vgl. oben Rdn. 113; RGZ 133, 388 – Theaterkritiker –, = ESJ 7. c) Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, vgl. oben Rdn. 192. d) Begründete Differenzierungen unter Vertragspartnern sind nicht sittenwidrig, BGHZ 38, 103. Zur kartellrechtlichen Diskriminierung s. § 20 GWB; Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, 1983, 336, 348 ff. 5. Gläubigerbenachteiligung, RGZ 155, 330; BGHZ 27, 172 – Wechselreiterei –, s. Koller. 6. Nach bisheriger Praxis wird § 826 auch bei Persönlichkeitsverletzungen und Unternehmenseingriffen verwendet. Das geschieht heute jedoch besser im Bereich der nunmehr in § 823 I anerkannten Rahmenrechte (oben Rdn. 1571 ff). Darum seien hier nur der Vollständigkeit halber noch aufgezählt: a) Persönlichkeitsverletzungen, z. B. wissentlich falsches Gutachten über Geisteszustand, RGZ 72, 176; Live-Sendung ohne Erlaubnis der ausübenden Künstler, BGHZ 33, 46; Grundrechtsverletzungen durch Private, BGHZ 36, 94; vgl. im Übrigen oben Rdn. 1584ff. b) Unternehmenseingriffe aa) Sittenwidrige Streiks, vgl. oben Rdn. 1574. bb) Boykotte, vgl. oben Rdn. 1574. cc) Wettbewerbsverstöße (neben §§ 8, 9 UWG, 33 GWB). Die h. M. bejahte früher zwischen Ansprüchen aus dem Wettbewerbsrecht und aus dem Deliktsrecht Anspruchskonkurrenz. Für beide sollte die eigene Verjährungsregelung gelten, für Ansprüche aus dem UWG die des § 21 UWG a. F. (jetzt § 11 UWG), für Ansprüche aus §§ 823 I, 826 BGB die des § 852 BGB a. F. (jetzt allgemeine Verjährung nach §§ 195, 199), (zuletzt BGH GRUR 1959, 31, 34 – Feuerzeug –). Seit BGHZ 36, 252, 256 werden die §§ 823ff BGB bei rechtswidrigen Wettbewerbshandlungen nur mehr als subsidiär gegenüber den Vorschriften des Wettbewerbsrechts angesehen; nur Ansprüche aus dem UWG und aus § 826 BGB können kumuliert werden. dd) Unter § 826 fällt die Registrierung eines fremden Namens als Internetadresse, wenn hiermit der andere lediglich zur Geldzahlung veranlasst werden soll (Domain-grabbing; auch bei Pseudonymen, wenn sie Verkehrsgeltung erlangt haben, s. BGH NJW 2003, 2978 – maxem.de). Im Fall der Namensgleichheit steht die Domain dem ersten Anmelder zu; dieser ist allerdings zur Rücksichtnahme verpflichtet, d. h. er muss durch entsprechende Zusätze auf seiner homepage jegliche Verwechslungsgefahr ausschließen (BGH NJW 2002, 2096 – Vossius; BGH NJW 2005, 1196 – mho.de).

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Die besonderen Deliktstatbestände

§ 110 I

Genießt der andere Namensträger überragende Bekanntheit, tritt das Recht des ersten Anmelders zurück (BGHZ 149, 191 – shell.de; der erste Anmelder hieß Andreas Shell, er wird auf einen Domain-Namen mit Namenszusatz verwiesen). Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung für Gattungsbegriffe, die als Domainname registriert werden. Hier bleibt es beim Prinzip der Anmeldungspriorität: Demjenigen, der eine bestimmte Domain als Erster bei der zuständigen Stelle anmeldet (in Deutschland bei der DENIC), steht der Domainname auch zu (BGHZ 148, 1 – Mitwohnzentrale.de; BGH NJW 2005, 2315 – weltonline.de). Etwas anderes gilt dann, wenn sich die Sittenwidrigkeit aus den Umständen des Einzelfalls ergibt (BGH NJW 2005, 1503 – literaturhaus.de: Während der Anbahnung eines Vertrags über die Gestaltung eines Internet-Auftritts lässt der Dienstleister den Namen des Auftraggebers als Domainname registrieren). Die DENIC selber ist nicht zur Prüfung verpflichtet, ob beantragte Domain-Namen fremde Namensrechte verletzen (BGH NJW 2004, 1793 – kurt.biedenkopf.de). – Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung kann auch in der Einschleusung eines Einwählprogramms liegen, welches den Internetnutzer ohne sein Wissen mit einer teuren Einwählnummer verbindet (Dialer, s. BGH NJW 2004, 1590). 7. Zurückhaltung übt die Rechtsprechung bei der Anwendung von § 826 in Familienbeziehungen. Nach BGHZ 23, 215 können aus Verletzung ehelicher Pflichten keine Ersatzansprüche aus § 826 hergeleitet werden. Vor rechtskräftiger Feststellung der Nichtehelichkeit eines während der Ehe geborenen Kindes kann der Erzeuger nicht nach § 826 auf Unterhalt in Anspruch genommen werden, BGHZ 14, 358. Und unverrückt steht noch die Entscheidung, dass das Versprechen einer Geldleistung gegen Erteilung eines Kusses nicht sittenwidrig ist, OLG Königsberg, Jur. Monatsschrift für Posen, 1901, 39.

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2. Die besonderen Deliktstatbestände § 110 Kreditgefährdung, Verletzung der Geschlechtsehre, Gebäudehaftung, Amtspflichtverletzung Literatur zu I und II: Assmann/Kübler, ZHR 142, 413; Deutsch, FS Klingmüller, 1974, 49; Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufs im Privatrecht, 2. Aufl. 1969; Kübler, AcP 172 (1972), 177; Schricker, AcP 172 (1972), 203; Strätz, JZ 2003, 448; Tilmann, NJW 75, 758; Wenzel, Recht der Wortund Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003; ders., AfP 79, 276 (vgl. auch das oben bei § 107 zu II 2 angegebene Schrifttum). Zu III: Brose, JZ 65, 516; Weimar, W., Versicherungspraxis 68, 173; 73, 68. Zu IV: Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungrecht, 2005; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000; Kommissionsbericht Reform des Staatshaftungsrechts, hrsg. v. den BM der Justiz und des Innern, 1973; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998; Rinne/Schlick, NJW 2005, 3330, 3541 (Rechtsprechungsübersicht); Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, 2004.

Die allgemeinen Deliktstatbestände (oben §§ 107–109) umfassen die §§ 823 I und II, 826. Daneben bestehen die ebenfalls nicht unbedeutenden besonderen Tatbestände der Kreditgefährdung (824), der Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts (825), der Haftung für ein Gebäude (836–838) und der Amtshaftung (839).

I. Kredit- und Erwerbsgefährdung, § 824 1. § 824 schützt die Geschäftsehre. Vorsätzliche Kreditgefährdungen fallen auch unter § 823 II i. V. m. §§ 185, 186 StGB; 826 BGB. Die Bedeutung des § 824 liegt hauptsächlich bei der fahrlässigen

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§ 110 IV

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

Kreditgefährdung, die aber bei berechtigtem Interesse des Mitteilenden oder Empfängers gerechtfertigt sein kann, 824 II, vgl. § 193 StGB. Weiter schützt § 824 auch gegen Schädigungen von Erwerb und Fortkommen; BGHZ 70, 39 – Presseangriff auf Produkt –. 2. § 824 wird in doppelter Hinsicht ergänzt durch die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§ 823 I, oben Rdn. 1584 ff). § 824 betrifft nur unwahre Tatsachen, nicht wahre Tatsachen und nicht Werturteile, vgl. BGHZ 65, 325 = ESJ 135 – Warentest –. Aber auch deren Verbreitung kann rechtswidrig sein, oben Rdn. 1576, und zum Schadensersatz verpflichten. 3. Der verletzte Kläger muss Unwahrheit („der Wahrheit zuwider“) und Verschulden beweisen. Aus der Unwahrheit ist nicht schon auf Verschulden zu schließen, RG JW 27, 1994. Das berechtigte Interesse in § 824 Abs. 2 muss der Schädiger beweisen. 4. § 824 hat andere Voraussetzungen als das allgemeine Wettbewerbsrecht, 3ff UWG. Beide Normenkomplexe gelten daher nebeneinander, BGHZ 36, 256.

II. Bestimmung zu sexuellen Handlungen 1644

Ursprünglich schützte § 825 a. F. lediglich die Frau. Seit dem 1. 8. 2002 ist der Schutzbereich geschlechtsunabhängig ausgestaltet. Der Begriff der sexuellen Handlung entspricht demjenigen in den §§ 174ff StGB. Die sexuelle Selbstbestimmung soll vor Manipulation geschützt werden, und zwar gegen Hinterlist, Drohung oder Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses (familiärer, beruflicher oder anderer Natur). Der Ersatz umfasst den Vermögensschaden (Ansteckung, Entbindung, Verlust der Stellung usw.) und gem. § 253 II auch den Nichtvermögensschaden.

III. Haftung für die von Gebäuden ausgehenden Schäden, §§ 836–838 1645

1. Wer ein Gebäude fehlerhaft errichtet oder seinen Unterhalt vernachlässigt, so dass durch seinen Einsturz oder sich ablösende Teile Menschen getötet oder verletzt oder Sachen beschädigt werden, haftet schon aus § 823 auf Schadensersatz. Zu Lasten des Grundstücksbesitzers kehrt § 836 in solchen Fällen die Beweislast für das Verschulden um, so dass eine Haftung auch dann eintritt, wenn der Grundstücksbesitzer nicht beweisen kann, dass ihn keine Schuld trifft. § 836 ist eine selbständige Anspruchsnorm und konkurriert mit § 823 I, II. Diese Verschuldensvermutung des § 836 zu Lasten des Grundstücksbesitzers ist aber widerleglich. Beweist er, dass er die verkehrserforderliche Sorgfalt zur Gefahrabwendung beachtet hat, haftet er nicht. § 836 ist demnach kein Tatbestand der Gefährdungshaftung, sondern setzt Verschulden voraus und verlagert lediglich die Beweislast. Mitverschulden ist zu prüfen, vgl. BGHZ 79, 259; BGH NJW 81, 983. Gasrohrbrüche fallen nicht unter § 836, RGZ 172, 156, wohl aber Wasserrohrbrüche, RGZ 133, 1, 6; BGH VersR 58, 194; BGHZ 55, 229; BGH NJW 2003, 2377 – eine kaum sinnvolle Unterscheidung! 2. Unter „Grundstücksbesitzer“ versteht § 836 den Eigenbesitzer, 836 III, 872. Ihm ist der frühere Besitzer ein Jahr lang gleichgestellt, 836 II. Besitzt jemand in Ausübung eines dinglichen oder obligatorischen Rechts ein Gebäude oder Werk auf einem fremden Grundstück, so haftet er anstelle des Grundstücksbesitzers, 837 (z. B. Pächter bezüglich des von ihm gemäß § 95 errichteten Hauses). Fremdbesitzer des Grundstücks, die für dessen Unterhaltung zu sorgen haben, wie Mieter, Pächter i. Ü., Nießbraucher, Hausverwalter, usw., haften nach Maßgabe des § 838 neben dem Grundstücksbesitzer: Das Firmenschild des Mieters fällt herunter und trifft einen Passanten. 3. Wegen §§ 836–838 empfiehlt sich eine Haftpflichtversicherung.

IV. Amtshaftung, § 839; Art. 34 GG 1646

Die Amtshaftung bildet zusammen mit der Aufopferung, der Enteignung, sowie dem Folgenbeseitigungs- und Erstattungsanspruch das sog. Staatshaftungsrecht. Es wird zunehmend als ein selbständiges Rechtsgebiet aufgefasst. Die Zersplitterung der Rechtsgrundlagen wurde seit langem als unbefriedigend erachtet. Es besteht Zweifel daran, dass die Amtshaftung noch den rechtsstaatlichen Forderungen an einen angemessenen Schadensausgleich entspricht. Eine Reform wurde daher angestrebt. Doch

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Die besonderen Deliktstatbestände

§ 110 A

scheiterte ein vom Bundestag verabschiedetes „Staatshaftungsgesetz“, das am 1. 1. 1982 in Kraft treten sollte, wegen Verfassungswidrigkeit, BVerfG NJW 83, 25.1 Der alte Rechtszustand gilt deshalb weiter.2 Im Rahmen dieses Lehrbuchs können nur die Grundzüge dargestellt werden. Schrifttum und Rechtsprechung sind unübersehbar. Amtshaftungsfälle bilden die größte Einzelgruppe amtlich veröffentlichter Schuldrechtsentscheidungen.

Man muss durchgängig die Eigenhaftung des Beamten (§ 839) und die Staatshaftung für den Beamten (Art. 34 GG) unterscheiden. Die einschlägigen Vorschriften sind: § 839; Art. 34, 123 GG; §§ 31, 89, 823 ff, 831 BGB. Daraus ergibt sich ein kompliziertes Normensystem. Das Verhältnis von Eigenhaftung und Staatshaftung gestaltet sich unterschiedlich je nachdem, ob der Beamte im Bereich hoheitlicher oder nichthoheitlicher Verwaltung tätig geworden ist.

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Die Abgrenzung einer privatrechtlichen Tätigkeit von einem öffentlichen Amt ist sehr streitig (s. Jauernig/Teichmann § 839 II Rdn. 7 m. w. N.). Unbestritten um hoheitliche Tätigkeit handelt es sich bei obrigkeitlich-hoheitlicher Tätigkeit, der Eingriffsverwaltung, nicht um hoheitliche Tätigkeit im Rahmen der sogenannten Fiskalverwaltung (beispielsweise dem Kauf von Papier durch eine Behörde), bei der der Staat wie jeder Privatmann am Rechtsverkehr teilnimmt. Schwierig ist die Abgrenzung für den Bereich der Leistungsverwaltung, insbesondere der Daseinsvorsorge (darunter fällt beispielsweise der Unterhalt öffentlicher Schulen, fallen Versorgungs- und Verkehrseinrichtungen, Abwasserbeseitigung, Straßenbau – sog. schlichthoheitliches Verwaltungshandeln), da nach herrschender Auffassung die öffentliche Hand die Möglichkeit hat, ihre Tätigkeit sowohl privatrechtlich wie öffentlich-rechtlich zu organisieren. Erledigt sie die Aufgaben zulässigerweise in den Rechtsformen des Privatrechts, so soll auch Privatrecht gelten, d. h. die Körperschaft z. B. nach §§ 823, 31, 89 oder nach § 831 haften (BGH BB 80, 1824). Diesen Abgrenzungen versucht man mit verschiedenen Vermutungen und Theorien Herr zu werden (s. Wolff/Bachof/Stober, I § 20) ohne dass eine abschließende Klärung erreicht werden könnte. Man beschreibt die hoheitliche Tätigkeit am besten negativ als „jede dienstliche Betätigung, die nicht Wahrnehmung bürgerlich-rechtlicher = fiskalischer Belange des Staates ist“ (vgl. RGZ 147, 278; BGHZ 2, 350; 42, 176 = ESJ 129).

Die Regeln der Amtshaftung gelten, was ihre Voraussetzungen anlangt, für Bundesund Landesbeamte gleich, da § 839 als Bürgerliches Recht und Art. 34 GG als Verfassungsrecht Bundesrecht sind.

A. Eigenhaftung und Staatshaftung im hoheitlichen Bereich Im Bereich hoheitlicher (auch schlicht-hoheitlicher) Staatstätigkeit haftet der Beamte grundsätzlich selbst nicht, nur der Staat oder die ihn beschäftigende öffentliche Körperschaft (Land, Kommune) für ihn. Den Grundsatz, dass der Staat einspringt, wenn einer seiner Beamten bei hoheitlicher Tätigkeit für ihn einen Fehler gemacht hat, enthielten ursprünglich Landesgesetze (vgl. Art. 77 EGBGB). Seit dem Reichsbeamtenhaftpflichtgesetz vom 22. 10. 1910 galt das Prinzip auch im Reichsrecht. An beider Stelle trat mit Wirkung für Landes- und Reichsbeamte Art. 131 WRV, der bestimmte, dass den Staat die Verantwortlichkeit trifft, wenn ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Nunmehr gilt Art. 34 GG, der bestimmt: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die 1 Die Begründung dafür war, dass eine primäre Staatshaftung, wie sie das StHG einführen wollte, zum öffentlichen Recht gehöre. Insoweit fehle dem Bund nach Art. 73ff GG die Gesetzgebungskompetenz. 2 Darstellungen des Inhalts der Reform z. B. im Kommissionsbericht aaO.

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Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.“ Nicht durchgesetzt hat sich eine Auffassung (Giese), die aus der abweichenden Formulierung des Art. 34 GG („öffentliches Amt“) gegenüber Art. 131 WRV („öffentliche Gewalt“) ableiten wollte, dass Art. 34 auch im fiskalischen Bereich gilt; BGH LM Nr. 25 zu Art. 34 GG; v. Mangoldt/Klein, Art. 34, Anm. III 2a.

Nach heute ganz überwiegender Ansicht meinen Art. 131 WRV und Art. 34 GG dasselbe, nämlich das Eingreifen der Staatshaftung anstelle der Eigenhaftung im hoheitlichen Bereich. Weiter ist heute unbestritten, dass Art. 34 GG mit dem Wort „Verantwortlichkeit“ die Tatbestandsmerkmale des § 839 zu seinen eigenen macht. Man muss also, um die Voraussetzungen der Staatshaftung zu gewinnen, die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 34 und des § 839 addieren.

I. Voraussetzungen der Staatshaftung a) Aus Art. 34 entnommen: 1649

1. „Jemand“. Art. 34 spricht nicht von einem „Beamten“, sondern nur von „jemandem“, der ein öffentliches Amt ausübt. Das ist nicht zufällig. Staatsaufgaben werden gegenwärtig nicht mehr nur und nicht einmal mehr überwiegend von ernannten Beamten („unter Berufung in das Beamtenverhältnis“) ausgeübt. Der Gedanke staatlichen Eintretens für Verschulden seiner Bediensteten trifft auch für nichtbeamtete Hoheitsträger zu, namentlich öffentliche Angestellte und Arbeiter. Eine längerdauernde Beauftragung, ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis kann sogar ganz fehlen, eine einmalige kurzfristige Beauftragung genügt (s. z. B. den Fall des „Beliehenen“, vgl. Jauernig/Teichmann § 839 II 1 a aa). Art 34 enthält also einen „weiten Beamtenbegriff“, für den es nur darauf ankommt, dass jemand mit Hoheitsrechten betraut ist, dazu Ossenbühl, JuS 73, 421. Anders enthält § 839 wegen seiner bürgerlich-rechtlichen, auf Beamte im Sinne des Beamtenverhältnisses abgestellten deliktischen Sonderregelung den „engen (staatsrechtlichen) Beamtenbegriff“, („haftungsrechtlicher Beamtenbegriff“), was für die Haftung im fiskalischen Bereich von Bedeutung ist, unten B.

2. „In Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes“. Zum Merkmal hoheitliche Tätigkeit siehe oben Rdn. 1647. Die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung muss sich in Ausübung des Amts ereignet haben (z. B. Unterdrückung von Akten, Übersehen eines Registereintrags, Überschreitung der für die Anwendung unmittelbarer Gewalt durch die Polizei gezogenen gesetzlichen Grenzen). – Nicht genügt, dass die Amtspflichtverletzung nur gelegentlich hoheitlicher Tätigkeit erfolgte (der Gerichtsvollzieher stiehlt gelegentlich einer Pfändung eine wertvolle Vase). Dadurch wird das Handeln weder zum fiskalischen noch zum Privathandeln des Beamten (faute personelle). Denn erst die Amtsausübung bot die Gelegenheit zur Schädigung. Den Staat mit der Staatshaftung in solchen Fällen zu belasten, ist unbillig (anders das französische Recht: cumul des responsabilites). Zweckmäßig ist die Eigenhaftung des Beamten nach § 839 ohne Staatshaftung nach Art. 34, bei Auswahlverschulden aber Staatshaftung nach §§ 823 ff, insb. § 831.

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3. „Verletzung der Amtspflicht“. Der Ersatzanspruch knüpft an eine Verletzung der im Innenverhältnis geschuldeten Pflicht des Amtswalters an. Amtspflichten ergeben sich aus besonderen Gesetzen, Verordnungen, auch internen Dienstanweisungen sowie aus allgemeinen Grundsätzen wie Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Gleichheit vor dem Gesetz, Vermeidung unnötiger und unzulässiger Zusagen (BGHZ 76, 16; vgl. dazu BGHZ 76, 343), Amtsverschwiegenheit (BGHZ 34, 186), allgemeine Hilfe für den

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Die besonderen Deliktstatbestände

§ 110 A I

Staatsbürger (BGHZ 15, 312; 31, 388). Der Gegenbegriff ist das private Handeln des Beamten (faute personelle), Beispiel BGHZ 11, 185 – Schuss aus Rache –. 4. „Gegenüber Dritten“. Nur gegenüber Dritten bestehende Amtspflichten können im Deliktssinne verletzt werden. Die Rechtsprechung zieht den Kreis der „Dritten“ mit Recht weit. Für die Drittbezogenheit der Amtspflicht genügt es, wenn diese „neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und der Verfolgung öffentlicher Zwecke auch den Zweck verfolgt, die Interessen des Einzelnen wahrzunehmen, selbst wenn dieser keinen Rechtsanspruch auf die Vornahme der Amtshandlung hat“ (BGHZ 68, 142, 145).3 Die Prüfung des Schutzzwecks der verletzten Amtspflicht erschöpft sich jedoch nicht in der Feststellung, dass bestimmte Personen geschützt werden. Es ist ähnlich wie bei § 823 II weiter zu fragen, welche sachlichen Interessen in den Schutzbereich fallen (BGH NJW 81, 2346). Beispielsweise schützt die Überprüfung eines Kfz im Zulassungsverfahren nicht die Vermögensinteressen eines späteren Käufers. b) Aus § 839 entnommen: Art. 34 meint mit „Verantwortlichkeit“ die einzelnen Voraussetzungen des § 839. 5. Ein Schaden muss eingetreten sein. Dazu im Einzelnen unten Rdn. 1704. § 839 schützt gegen jeden Vermögensschaden, ohne dass ein absolutes Recht, ein Rahmenrecht oder ein Schutzgesetz verletzt zu sein braucht (vgl. aber Canaris, II FS Larenz, 27, 40, 41). Darüber hinaus schützt § 839 auch Persönlichkeitsgüter, wie z. B. die Ehre, BGH (GZS) NJW 61, 658. Allerdings gebietet die öffentlich-rechtliche Besonderheit des Schadensersatzanspruchs aus Amtspflichtverletzung, diesen auf Geldersatz zu beschränken (BGHZ [GrZS] 34, 99), sonst würden die Zivilgerichte in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte eingreifen. 6. Rechtswidrigkeit. Die Amtspflichtverletzung indiziert die Rechtswidrigkeit. Der Schädiger muss Rechtfertigungsgründe vorbringen, z. B. Notwehr. 7. Verschulden. Vorsatz und Fahrlässigkeit kommen in Betracht, 839; bei Fahrlässigkeit gelten zugunsten der Beamten bestimmte Haftungseinschränkungen, 839 I 2, unten 8. Der Vorsatz muss die Amtspflichtverletzung umfassen, nicht aber die Schadenszufügung, BGHZ 30, 374. Ist die Verantwortlichkeit eines Beamten (im staatsrechtlichen Sinn) aus den Grunden des § 827 BGB ausgeschlossen, so begründet § 1 II RBHaftG (Sartorius Nr. 210) eine Ersatzpflicht des Bundes. 8. Die in §§ 839, 841 vorgesehenen und andere gesetzliche Haftungseinschränkungen zugunsten des Beamten kommen auch dem Staat zugute, der aufgrund seiner Staatshaftung nur soweit „verantwortlich“ (Alt. 34) sein will, wie es der Beamte auch sein würde; BGHZ 61, 7; 66, 302; 68, 217; 70, 7; 76, 375; 85, 225; 85, 393. Vier Haftungseinschränkungen sind zu beachten: (1) 839 I S. 2: Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Der Verletzte muss in der Klagebegründung dartun, dass andere Schuldner rechtlich nicht in Betracht kommen oder zahlungsunfähig sind, RGZ 165, 105, BGHZ 18, 371, und dass er eine früher

3 Vgl. Palandt/Sprau § 839, Rdn. 45: Dritter ist jeder, dessen Belange nach der besonderen Natur des Amtsgeschäfts durch dieses berührt werden und in dessen Rechtskreis durch die Amtspflichtverletzung eingegriffen wird, auch wenn sie durch die Amtsausübung nur mittelbar oder unbeabsichtigt betroffen werden.

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vorhandene Ersatzmöglichkeit nicht schuldhaft versäumt hat (RGZ 139, 349). Würden verschiedene Beamte und damit verschiedene Körperschaften haften, so kann nach richtiger Ansicht nicht die eine auf die andere verweisen. Die Vorschrift ist unbillig. In vielen Fällen begünstigt sie einseitig den Staat, der über größere prozesstechnische Mittel als der private Verletzte zu verfügen pflegt, und der deshalb erst einmal viele Ansprüche mit § 839 Abs. 1 S. 2 „abbiegen“ kann. Das Argument, es wiege diesen Nachteil auf, dass dem Verletzten, wenn er wirklich zum Zuge käme, stets die volle Staatskasse zur Verfügung stehe, so dass mit einem zahlungsunfähigen Schuldner nicht gerechnet zu werden brauche, trifft nicht den Kern der Sache. Die „volle Staatskasse“ ist billiger Ausgleich für die Macht des Staates, die den Schadenseintritt begünstigt hat. Eine Subsidiarität der Staatshaftung kann mit der „vollen Kasse“ nicht begründet werden. Die Rechtsprechung legt die Bestimmung daher eng aus. Wegen des Grundsatzes der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung findet die Subsidiaritätsklausel keine Anwendung bei Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr (BGH JuS 77, 619, BGH VersR 81, 335) und bei Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten bei Sachen im Gemeingebrauch (BGH JuS 79, 900, BGHZ 75, 136). Nach BGHZ 85, 225 soll dagegen für eine Dienstfahrt nur subsidiär gehaftet werden, wenn die Sonderrechte nach § 35 I StVO in Anspruch genommen worden sind (Funkstreifenwagen). Im Übrigen findet § 839 I 2 nur eine restriktive Anwendung. Als andere zumutbare Ersatzmöglichkeiten werden nicht angesehen Amtshaftungsansprüche gegen andere Hoheitsträger (Gefahr der wechselseitigen Verweisung auf die Klausel, BGHZ 49, 267; BGH NJW 2003, 348, 350), Lohnfortzahlungsansprüche gegen den Arbeitgeber (BGH JuS 75, 62, BGHZ 62, 383) und Ansprüche gegen Krankenkassen und Sozialversicherungsträger, denn der Geschädigte hat diese Ansprüche verdient, bzw. erkauft, sie sollen nicht den Schädiger entlasten (BGH JuS 78, 414). (2) 839 II: Zum Schutze der Richter und der Rechtsprechung besteht die Haftungseinschränkung des § 839 Abs. 2 (Amtspflichtverletzung in einer Urteilssache). Beispiel: BGHZ 36, 144; Gegenbeispiele: BGH NJW 2003, 3052 (Einstweilige Anordnung über vorläufige Unterbringung); BGH NJW 2003, 3693 (Anordnung von Abhörmaßnahmen).

(3) 839 III: Die Amtshaftung soll die Rechtsmittel nicht ersetzen. Zutreffend zwingt daher § 839 Abs. 3 den Verletzten zunächst einmal, den Rechtsweg auszuschöpfen. Der Begriff des Rechtsmittels ist weit zu verstehen, er umfasst alle Rechtsbehelfe, die nach der gesetzlichen Ordnung die Beseitigung oder die Berichtigung der Amtshandlung ermöglichen (vgl. Jauernig/Teichmann § 839 Rdn. 20). Die Verfassungsbeschwerde ist indes kein „Rechtsmittel“ im Sinne dieser Vorschrift (BGHZ 30, 19). Das Versäumen muss für den Schaden kausal geworden sein. Das Verschulden richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen. Angesichts der Unübersichtlichkeit vieler Rechtswege dürfen aber an die Sorgfaltspflicht in § 839 III keine zu großen Anforderungen gestellt werden. Soweit es die Rechtsmitteleinlegung betrifft, verdrängt § 839 III den § 254. Für sonstige Fälle unterlassener Schadensminderung bleibt § 254 anwendbar (s. Palandt/Sprau, § 839, Rdn. 81). (4) 841: Beispiel: Ein Vormundschaftsrichter vernachlässigt schuldhaft die Überwachung des Vormunds. Auf Klage des geschädigten Mündels werden zwar beide (gesamtschuldnerisch) verurteilt, doch haftet dem Richter im Innenverhältnis der Vormund allein, andere Bestimmung i. S. v. § 426 I 1.

9. Verjährung: Die Staatshaftung verjährt gem. §§ 195, 199 in drei Jahren.

II. Welche Körperschaft haftet? 1654

Der BGH stellt auf denjenigen Rechtsträger ab, der dem pflichtwidrig handelnden Amtswalter das Amt anvertraut hat (sog. „Amtsübertragungstheorie“, BGHZ 99, 326, 330). Dies ist i. d. R. die Anstellungskörperschaft. Bei echten Doppelstellungen (z. B. Landrat, Oberkreisdirektor) haftet die Körperschaft, deren Aufgabe im Einzelfall wahr-

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genommen worden ist (s. BGHZ 99, 326, 330, 331). Bei sog. Beliehenen (Privater wurde mit hoheitlichen Befugnissen betraut) haftet derjenige Träger, der das Amt übertragen hat (s. BGHZ 53, 217).

III. Rückgriff gegen den Beamten Art. 34 S. 2 GG eröffnet die Möglichkeit des Rückgriffs gegen den Beamten bei vorsätzlichem und grob fahrlässigem Handeln, (s. dazu § 78 BBeamtG, Art. 85 BayBeamtG). Hiergegen kann der Beamte Mitverschulden des Staates wegen nicht abgestellter Arbeitsüberlastung geltend machen, 254, vgl. RG HRR 36, 257.

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IV. Rechtsweg Für die Staatshaftung gilt der ordentliche Rechtsweg. Art. 34 S. 3 GG, ebenso wie für die Eigenhaftung, § 13 GVG; BGHZ 78, 274. Sachlich zuständig sind die Landgerichte in erster Instanz, § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG.

V. Konkurrenzen Grundsätzlich ist für Amtspflichtverletzungen im hoheitlichen Bereich sowohl für den Amtsträger wie für den Staat die allgemeine Deliktshaftung ausgeschlossen. In diesen Fällen kommt auch keine Eigenhaftung des Beamten in Betracht. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen durch Sondervorschriften eine Staatshaftung ausgeschlossen ist. Dann besteht aber kein Konkurrenzproblem. Der Beamte haftet nicht neben der öffentlich-rechtlichen Körperschaft aus § 18 StVG (BGHZ 29, 38, 43). Eine Konkurrenz kommt allerdings in Betracht zwischen der Haftung der Körperschaft aus Amtspflichtverletzung und aus § 7 StVG (BGHZ 50, 271). Stellt sich die Handlung eines oder mehrerer Beamter sowohl als Betätigung innerhalb des privatrechtlichen Geschäftskreises des Dienstherrn als auch als eine in Ausübung öffentlicher Gewalt begangene Amtspflichtverletzung dar, so haftet der öffentlichrechtliche Dienstherr trotz der Befreiungsmöglichkeit des § 839 I 2, III immer noch nach §§ 89, 30, 31, 831 (Palandt/Sprau, § 839, Rdn.16).

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B. Eigenhaftung und Staatshaftung im nichthoheitlichen Bereich Im Bereich fiskalischer Staatstätigkeit haftet der Beamte für Amtspflichtverletzungen nach § 839 – Eigenhaftung. Eine sie verdrängende Staatshaftung besteht nicht. Aber nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln haftet der Staat gegebenenfalls neben dem Beamten nach §§ 823 ff, 831, 278, 31, 89. Dies ist dann eine andere Ersatzmöglichkeit i. S. v. § 839 I 2, auf welche der Beamte den Geschädigten verweisen kann (BGH NJW 2001, 2626, 2629). – Von besonderer Bedeutung ist, dass Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht durch Beamte, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes in den fiskalischen Bereich fallen, sofern nichts anderes geregelt ist.

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I. Eigenhaftung des Beamten 1. § 839 hat folgende Voraussetzungen (vgl. oben A I): a) „Beamter“: Hier gilt der enge, „staatsrechtliche“ Beamtenbegriff. Für die Zwecke der Eigenhaftung muss es sich um einen Beamten im beamtenrechtlichen Sinne handeln, der „unter Berufung in das Beamtenverhältnis“ eingestellt wurde. Für einen Nichtbeamten gelten dagegen die allgemeinen Regeln der §§ 823 ff.

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b) An einer „Ausübung öffentlicher Gewalt“ muss es fehlen. Sonst gilt Staatshaftung statt Eigenhaftung, oben A. c) Zu den übrigen Voraussetzungen: Amtspflicht gegenüber Dritten, Schaden, Rechtswidrigkeit, Verschulden sowie zu den Einschränkungen der Haftung und zur Verjährung siehe die entsprechenden Ausführungen zur Staatshaftung oben A I 3–9. Privatrechtliche Aufopferungsansprüche können mit der Eigenhaftung und Staatshaftung im fiskalischen Bereich konkurrieren. Vgl. unten Rdn. 1711. Zu bedenken ist dabei aber, dass FiskalAmtshaftung rechtswidrigen, Aufopferungshaftung rechtmäßigen Eingriff verlangt.

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2. § 839 stellt den Beamten insofern schlechter als die allgemeinen Regeln der §§ 823ff, als § 839 das Vermögen als solches schützt und weder absolute Rechte noch Rahmenrechte, Schutzgesetze noch die guten Sitten verletzt sein müssen. Andererseits enthalten §§ 839 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 3, 841 Besserstellungen des Beamten. Darum ist § 839 Sondervorschrift zu §§ 823ff, so dass, wenn § 839 nicht zutrifft, der Beamte nicht nach den allgemeinen Deliktsregeln haftbar gemacht werden kann.

II. Staatshaftung im nichthoheitlichen Bereich 1660

Es kann sich nur um zusätzliche, nicht um verdrängende Staatshaftung, wie sie im hoheitlichen Bereich durch Art. 34 GG vorgesehen ist, handeln. Den Staat von den allgemeinen Vertrags- und Deliktsvorschriften zu befreien, besteht kein Grund. Die Überlegung oben I. 2, die den Sondervorschriftscharakter von § 839 begründete, trifft auf die Haftung des Staates und anderer anstellender Körperschaften nicht zu. Es ist zu unterscheiden: 1. Ist der Beamte satzungs- oder verfassungsmäßiger Vertreter seiner Körperschaft, so haftet die Körperschaft für ihn als Organ, 31, 89. Die Organhaftung betrifft den deliktischen und den Vertragsbereich (str. vgl. dazu Palandt/Heinrichs, § 31, Rdn. 2). Dem Chefarzt des städtischen Krankenhauses unterläuft bei der Behandlung eines vertraglich aufgenommenen Patienten ein ärztlicher Kunstfehler. §§ 31, 89 i. V. m. §§ 823 Abs. 1; §§ 280, 611 vgl. BGHZ 77, 74 unter teilweiser Aufgabe von BGHZ 1, 383; 4, 138.

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Daneben wird für das Organ auch als Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen gehaftet (str., a. A. z. B. Jauernig/Jauernig, § 31, 1), 278, 831. Bei § 831 gelingt aber häufig die Exkulpation. 2. Besteht zwischen Fiskus und Verletztem ein Vertrag, der durch die Amtspflichtverletzung gebrochen wurde, haftet die Körperschaft für den Beamten wie für jeden andern Erfüllungsgehilfen nach § 278 ohne Exkulpationsmöglichkeit. Ein beamteter Krankenpfleger oder eine nichtbeamtete Schwester verbrühen versehentlich den Patienten des städtischen Krankenhauses, §§ 280, 278, 611.

3. Besteht weder ein Organverhältnis zum Handelnden noch ein Vertragsverhältnis zum Geschädigten, verbleibt immer noch die Haftung für den Verrichtungsgehilfen nach § 831, die allerdings meist wegen der Exkulpation versagt, dazu unten § 111. Der beamtete Krankenpfleger oder die nichtbeamtete Schwester verbrühen im städtischen Krankenhaus versehentlich einen Besucher des Patienten.

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Haftung für unerlaubte Handlungen anderer

§ 111 I 1

3. Haftung für unerlaubte Handlungen anderer § 111 Verrichtungsgehilfe, Haftung in Großbetrieben Haftung für Aufsichtsbedürftige Aden, MDR 74, 9 (832); v. Bar, Verkehrspflichten, 1980; Beuthien, DB 75, 725 und 773; von Caemmerer, ZfRV 1973, 241; Erdsiek, Die Problematik des § 831 und seine Einwirkung auf unsere Vertrags- und Amtshaftung, JurJb. 8 (1967/68), 36; Frank, BB 75, 588; Hassold, JuS 82, 583; Helm, AcP 166 (1966), 389; Kiser, VersR 84, 213; Kupisch, JuS 84, 250; Leßmann, JA 80, 193; Mayr, O., SeuffBI. 71, 59; Mennemeyer, Haftung des Schuldners für Gelegenheitsdelikte seiner Erfüllungsgehilfen, 1983; Ohm, VersR 59, 780; Riedel, DJZ 1905, 693; Schmid, VersR 82, 822; Schmidt, Eike, AcP 170 (1970), 502; Seiler, JZ 67, 525; Sellert, AcP 175 (1975), 77; Steindorff, AcP 170 (1970), 93; Weigert, Die außervertragliche Haftung von Großbetrieben für Angestellte, 1923; Weimar, W., MDR 78, 901; Westermann, Harry, JuS 62, 333, 382; Wiegand, A., Die „Sachwalterhaftung“ als richterliche Rechtsfortbildung, 1991.

Drei Fälle sind zu betrachten: Die Haftung für den Verrichtungsgehilfen (831), die Haftung für Aufsichtspersonen in bestimmten Großbetrieben (3 HaftPflG) und die Haftung für zu beaufsichtigende Personen (832).

I. Die Haftung für den Verrichtungsgehilfen, § 831 1. Allgemeine Bedeutung a) Wesen: § 831 ist eine der wichtigsten Vorschriften des bürgerlichen Rechts und doch nur eine stumpfe Waffe. Die mit § 831 zusammenhängenden Fragen sind vielfach Kernprobleme des bürgerlichen Rechts. Nach §§ 823ff kann der Geschädigte den Schädiger, nach § 831 auch den Geschäftsherrn des Schädigers in Anspruch nehmen, der den Schädiger zu einer Verrichtung bestellt hat. Aber der Geschäftsherr kann sich in der Mehrzahl der Fälle „entlasten“, „entschuldigen“, „exkulpieren“, indem er nachweist, dass er bei der Auswahl, Ausrüstung, Anweisung und Beaufsichtigung des Gehilfen die verkehrserforderliche Sorgfalt angewandt hat oder dass sein Verschulden für den Schadenseintritt nicht ursächlich war, 831 I 2.1

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b) Soziales Bedürfnis: Der rechtspolitische Grund des § 831 liegt in der Tatsache, dass, wer sich eines Gehilfen bedient, einen größeren Aktionsradius besitzt und dadurch auch die Möglichkeit schädigender Eingriffe in Rechtskreise anderer erhöht. Darum soll haften, wer aus der Arbeitsteilung Vorteile zieht („qui facit per alium facit per se“). Zum andern würde der Geschädigte, wenn er sich nur an den unmittelbar schädigenden Gehilfen halten könnte, von diesem namentlich bei größeren Schäden mangels Zahlungsfähigkeit oft nicht Ersatz erlangen. Er soll sich auch an den halten können, dem die Arbeit des Gehilfen zugute kommt: „Respondeat superior“. Allerdings ist das Argument der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Verrichtungsgehilfen abgeschwächt durch die für Betriebe vielfach abgeschlossenen Haftpflichtversicherungen.

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c) Grundsatz: § 831 gestaltet die deliktische Gehilfenhaftung als Verschuldenshaftung des Geschäftsherrn, nicht als Verschuldenshaftung des Gehilfen und nicht als Erfolgs-

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1 Anderer Ansicht ist beispielsweise Medicus (II, § 144 II. 3. a.), der darauf verweist, daß nach der in § 831 aufgestellten Vermutung die Haftung die Regel sei. Jauernig/Teichmann, (§ 831 Rdn. 4) weisen darauf hin, dass es in letzter Zeit eine Tendenz auch in der Rechtsprechung gebe, die Möglichkeit des Entlastungsbeweises zu erschweren.

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oder Gefährdungshaftung ohne Verschulden. Der Geschäftsherr haftet, weil er bei der Auswahl, Ausrüstung, Anweisung oder Beaufsichtigung des Gehilfen nicht die verkehrserforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Dies Verschulden und die Kausalität des Verschuldens für den Schadenseintritt werden in § 831 widerlegbar vermutet (Umkehrung der Beweislast). Darum kommt es auch für die Haftung des Geschäftsherrn nach § 831 nicht darauf an, ob der Gehilfe schuldfähig war und ob er schuldhaft gehandelt hat, was sich allerdings aus dem Wortlaut nicht eindeutig ergibt. Vgl. zum Ganzen Kupisch, JuS 84, 250 ff m. N. d) Konkurrenzen: Wichtig ist das Verhältnis der Haftung für den Verrichtungsgehilfen (§ 831) zu der für den Erfüllungsgehilfen (§ 278) und zu der für Organe (§§ 31, 89). § 831 enthält die deliktische Gehilfenhaftung, die Haftung des Geschäftsherrn für widerrechtliche Handlungen seines Gehilfen im Rahmen der unerlaubten Handlungen. Innerhalb bestehender Schuldverhältnisse, insb. Verträge, haftet der Schuldner für Verschulden seines Erfüllungsgehilfen, 278. § 278 verlangt also ein bestehendes Schuldverhältnis, insb. einen Vertrag, während durch die unerlaubte Handlung erst ein Schuldverhältnis zur Entstehung gelangt. In § 831 haftet der Geschäftsherr für widerleglich vermutetes eigenes Verschulden, in § 278 der den Erfüllungsgehilfen beschäftigende Schuldner für Verschulden des Gehilfen, das dem Schuldner zugerechnet wird, als wäre es sein eigenes (vgl. oben § 56). Die Organhaftung der §§ 31, 89 setzt eine juristische Person und ein Organ voraus, 31: „verfassungsmäßig berufener Vertreter“. Gemeint ist damit: ein gemäß der Satzung zur Vertretung (26 II) berufener „Gehilfe“ der Körperschaft, z. B. Vorstandsmitglied, besonderer Vertreter, 30. Nach § 31 haftet die Körperschaft für den Schaden, den ein Organ „durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt“. § 31 ist also nicht selbständige Anspruchsnorm, ebensowenig wie § 278, und anders als § 831. § 31 setzt entweder eine vom Organ in seiner Organeigenschaft begangene unerlaubte Handlung (823ff) oder die vom Organ begangene Verletzung einer die Körperschaft treffenden Schuldverpflichtung voraus (z. B. Schlechterfüllung einer Lieferpflicht). (Auch andere Schadensersatznormen sind i. V. m. § 31 anwendbar: §§ 179, 122 usw.) – §§ 831, 278, 31, 89 sind nebeneinander anwendbar, sofern ihre Voraussetzungen im Einzelnen vorliegen. Ein Organ kann also z. B. gleichzeitig auch Erfüllungsgehilfe und Verrichtungsgehilfe sein (niemals aber zugleich gesetzlicher Vertreter, vgl. § 278!). Eigenhaftung (§ 31) und Fremdhaftung (§ 278) können also nebeneinander bestehen. (Strittig, zum Streitstand s. Palandt/Heinrichs, § 278, Rdn. 6; Jauernig, § 31 Rdn. 1. Beispiele: aa) A lässt durch den Dachdeckermeister D sein Dach in Ordnung bringen. Während der Arbeiten lässt der Gehilfe G des D einen Hammer fallen, der den Passanten P verletzt: 831, keine vertragliche Beziehung D–P; Exkulpation wahrscheinlich. bb) Der Hammer trifft A: 831, wie oben 1. Zusätzlich: §§ 280 I, 278, 631, da vertragliche Beziehung D–A. Insoweit keine Exkulpation möglich! Zwar hat A den D mit seinen Gehilfen in erster Linie bestellt, das Dach zu decken, nicht um keinen Hammer fallen zu lassen. Der weite Schutzinhalt der Vertragspflicht neben der hauptsächlichen Leistungspflicht, der für das deutsche Schuldrecht – etwa im Vergleich zum französischen – typisch ist (s. § 241 II), deckt aber auch die sorgfältige Erledigung der Dachdeckerarbeiten einschließlich des Nichtfallenlassens eines Hammers, vgl. oben § 7. Freilich ist dieser weite Leistungsbegriff des deutschen Vertragsrechts wesentlich durch die vielfach als unbillig empfundene Exkulpationsmöglichkeit des § 831 und das dadurch bedingte Streben nach § 278 mitbestimmt worden. cc) Der Hammer trifft Frau A; ein Kind des A; das Dienstmädchen des A; einen im Hause wohnenden Mieter des A; einen Besucher des A; den Briefträger, der A ein Paket bringt; einen ungebete-

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nen Hausierer; den Gerichtsvollzieher, der bei A pfänden will. In diesen Fällen stellt sich das Problem des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, vgl. oben Rdn. 305 ff. Der rechtspolitische Hintergrund ist wiederum die vielfach als unbillig empfundene Exkulpation des § 831 und das dadurch ausgelöste Streben nach § 278. Hier ist vieles streitig. Richtiger Ansicht nach sind nur solche Personen in den Schutzbereich des Vertrags einzubeziehen, die mit der Leistung nach ihrer Natur zwangsläufig in Berührung kommen und die dem Gläubiger der Leistung so nahestehen, dass er, dem Schuldner erkennbar, auf die Sicherheit dieser Personen genauso vertraut wie auf seine eigene, s. o. Rdn. 306. Danach haftet D für Verschulden des G den Familien- und Hausangehörigen des A, auch dem Mieter und Besucher, aber nicht dem Hausierer, erst recht nicht dem Gerichtsvollzieher. Wegen des Briefträgers siehe oben Rdn. 306. dd) Das Vorstandsmitglied V einer AG betrügt den Geschäftspartner G. Dem G haftet V aus § 823 II i. V. m. § 263 StGB und aus § 826; daneben haftet auch die AG aus §§ 823 II, 826, 31; 823 II, 831; und wenn der Betrug eine Vertragsverletzung war, aus § 31 und § 278 (Erfüllungsgehilfe) i. V. m. dem verletzten Vertrag (z. B. schlechterfüllter Kauf). e) Gutachten: Im Gutachten ist der Anspruch des Verletzten aus §§ 823, 826 gegen den Gehilfen als unmittelbaren Schädiger regelmäßig zuerst zu prüfen. Er steht der Tat am nächsten. Danach erst ist zu fragen, ob jemand (statt oder neben ihm) für ihn haftet. Vgl. oben 1d und das Folgende.

2. Die Voraussetzungen der Haftung für den Verrichtungsgehilfen Vier Gruppen von Tatbestandsmerkmalen müssen zusammentreffen: Eine unerlaubte Handlung des Gehilfen (Schuld nicht erforderlich!); die Bestellung zum Gehilfen; die Begehung der unerlaubten Handlung in Ausführung der Gehilfenverrichtung; das Misslingen des Entlastungsbeweises.

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a) Unerlaubte Handlung des Gehilfen Es genügt die tatbestandsmäßige, rechtswidrige Handlung. Schuldhaftes Handeln ist nicht erforderlich, so dass gleichgültig ist, ob Schuldfähigkeit (§§ 827, 828) oder Schuldform (§ 276) fehlen. Sonst könnte sich ein Geschäftsherr durch Beschäftigung unzurechnungsfähiger Gehilfen von jeder Gehilfenhaftung befreien. Einige Sonderfragen im Zusammenhang mit diesem Tatbestandsmerkmal: aa) Es kommt auf rechtswidriges Handeln des Gehilfen an. Also müssen Rechtfertigungsgründe in seiner Person vorliegen, z. B. Notwehr. bb) Als besonderen Rechtfertigungsgrund hat der BGH seit der Entscheidung des großen Zivilsenats (BGHZ 24, 21) den des „verkehrsrichtigen Verhaltens“ anerkannt und damit vielfach Zustimmung gefunden (Esser2, 880, mit weiteren Angaben. Kritisch Larenz, II, § 73 VI Fn. 5). Ein aufspringender Fahrgast war vor die Straßenbahn gefallen und hatte ein Bein verloren. Der Schaffner hatte ordnungsgemäß abgeläutet und war danach angefahren. Der Große Zivilsenat des BGH sah das Verhalten des Schaffners als rechtmäßig, nicht bloß als entschuldbar an, wodurch sich der Entlastungsbeweis erübrigte. Danach würde, wer unter Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt bei grünem Licht einen Menschen überfährt, ebenfalls rechtmäßig und nicht bloß schuldlos handeln. Ein solcher Rechtfertigungsgrund lässt sich indes nicht in das System des deutschen Deliktsrechts einpassen (s. dazu bereits oben, Rdn. 1408). Häufig wird es aber auf diese Frage gar nicht ankommen. Wenn der Gehilfe sich „verkehrsrichtig“ verhalten hat, wird es in manchen Fällen schon an der adäquaten Kausalität fehlen (s. Palandt/Sprau, § 823 Rdn. 36, Medicus II, § 136 II 3f), d. h. das Verhalten des Gehilfen geht nicht auf einen Auswahlfehler des Geschäftsherrn zurück. Teilweise wird in diesen Fällen auch auf den Schutzzweck der Norm abgestellt, der fehlen soll, wenn der Verrichtungsgehilfe objektiv fehlerfrei gehandelt hat (so BGH NJW 1996, 3205, 3207). cc) Wenn das vom Gehilfen begangene Delikt die sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 ist, so muss der Gehilfe mit natürlichem Vorsatz gehandelt haben. Vorsatz als Schuldform ist nicht erforderlich, aber der Gehilfe als unmittelbarer Täter hätte, wenn es auf seine Schuld angekommen wäre, die vorsätzliche Begehungsweise erfüllen müssen. Das bedeutet, er muss den Schaden zumindest zustim-

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mend in Kauf genommen und die Umstände gekannt haben, aus denen die Sittenwidrigkeit geschlossen wird (vgl. auch Palandt/Sprau § 831 Rdn. 10 mit Verweis auf BGH NJW 56, 1715). dd) Wenn der Geschädigte den Schaden z. T. selbst mitverschuldet hat, kann sich der Geschäftsherr nach § 254 darauf berufen. Wegen des Verschuldens des Gehilfen für die Abwägung in § 254 vgl. oben Rdn. 713.

b) Bestellung des Gehilfen zur Verrichtung durch den Geschäftsherrn 1670

aa) Die Bestellung ist die tatsächliche, willensgetragene Beschäftigung eines andern im eigenen Interesse. Es handelt sich um eine Rechtshandlung, nicht um ein Rechtsgeschäft (str.). bb) Die Verrichtung kann höherer oder niederer Art sein, rein tatsächlicher (Holzhacker), wirtschaftlicher (Generalvertreter) oder rechtlicher Natur (Anwalt, Steuerberater). Wesentlich ist, dass der Gehilfe eingegliedert ist in die Organisationssphäre des Geschäftsherrn (BGHZ 45, 311, 313 („jederzeit beschränken, entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen“); BGHZ 103, 298, 303) und bei der Durchführung der Verrichtung von den Weisungen des Geschäftsherrn abhängt. Die Weisungsgebundenheit kann generell oder auch nur partiell für einzelne Tätigkeitsbereiche, für die dann allein § 831 gilt, bestehen (Jauernig/Teichmann, § 831 Rdn. 5). Es kommt deshalb auf soziale Abhängigkeit im Sinne des Arbeitsrechts nicht an. Das Weisungsrecht wird in der Rechtsprechung umschrieben als die Befugnis, die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken, entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen zu können (BGH aaO). In der Sache geht es um die Abgrenzung der Gehilfen von den selbständigen Unternehmern (Medicus II, § 144 II 1 a). Die Regelung des § 831 ist Ausdruck der Arbeitsteilung: Man kann zwar die Arbeit, nicht aber dadurch sein Risiko teilen. Zum Argument der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Verrichtungsgehilfen s. oben Rdn. 1663. Nicht weisungsabhängig, daher nicht Verrichtungsgehilfen im Sinne des § 831 sind: Selbständige Handwerker, selbständige Bauunternehmer, Omnibusfahrer im Verhältnis zum Fahrgast, Jagdgäste im Verhältnis zum Jagdherrn, der Gerichtsvollzieher im Verhältnis zum Gläubiger, ein Gesellschafter im Verhältnis zum anderen (BGHZ 45, 311), der „Subunternehmer“ (independent contractor, RGZ 172, 85, o. Rdn. 1197). Nach BGH ZIP 1989, 833, soll freilich ausnahmsweise auch ein selbständiger Unternehmer Verrichtungsgehilfe sein können, nämlich wenn er „im Einflussbereich des Geschäftsherrn steht und sich in einer gewissen Abhängigkeit zu ihm befindet“. cc) Die Bestellung zur Verrichtung muss ursächlich für den vom Gehilfen angerichteten Schaden sein. D will E bestehlen. Um Zutritt zu E’s Wohnung zu erhalten, verschafft er sich bei der Gemeinde die Stelle des Wasseruhrablesers (Vorsatz unterbricht nicht den ursächlichen Zusammenhang, s. o. Rdn. 632).

c) Begehen der Schadenshandlung „in Ausführung der Verrichtung“ 1671

aa) Zwischen aufgetragener Verrichtung und schädigender Handlung muss ein „innerer Zusammenhang“ bestehen. Der Gehilfe schädigt nur dann „in Ausführung der Verrichtung“, wenn seine schädigende Handlung eine noch im Leistungsbereich liegende Fehlleistung ist: Nachlässigkeiten bei der Arbeit, ungenaue Verrichtung der aufgetragenen Arbeit (die „Verrichtung“ soll der Gehilfe tun, die in den Rahmen von § 831 fallenden Handlungen gerade nicht tun). Beispiele: Der Dachdeckergeselle wirft bei der Arbeit einen Zigarettenrest achtlos fort, so dass ein Dachbrand entsteht. Er deckt das Dach schadhaft, so dass es durchregnet. bb) Nicht genügt, dass die schädigende Handlung nur bei Gelegenheit der Verrichtung vorgenommen wird: Der Dachdeckergeselle stiehlt aus einer Bodenkammer einen Farbtopf. In der Arbeitspause spielt er mit den Kindern des Hauses, wobei er eines fahrlässig verletzt. (Diese nicht unter § 831 fallenden Schadenshandlungen soll der Gehilfe, gemessen an seiner „Verrichtung“, auch nicht tun). cc) Vorsätzliche Schadenshandlungen des Gehilfen sind in aller Regel nur bei Gelegenheit der Verrichtung begangen, so dass der Geschäftsherr nicht haftet: Diebstähle,

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Unterschlagungen. Das sollte aber bei „typischen beruflichen Versuchungen“ nicht gelten, um die Geschäftsherrn insoweit zu besonderer Aufsicht zu veranlassen. Man denke an die häufigen Diebstähle bei Möbeltransporten, bei Verladungen in Häfen, auf fast fertigen Neubauten usw. (vgl. auch Jauernig/Teichmann, § 831 Rdn. 8: Vorsätzliche Rechtsgutsverletzungen sind geschehen „in Ausführung“, wenn die Fürsorge für das verletzte Rechtsgut Hauptpflicht ist). dd) Ein Problem ist in diesem Zusammenhang angeblich die Auftragsüberschreitung. Nicht jede Auftragsüberschreitung verlässt den Rahmen der „Verrichtung“. Im Grunde kann es auf den Umfang des Auftrags als solchen überhaupt nicht ankommen. Entscheidend ist vielmehr der Zusammenhang zwischen aufgetragener Verrichtung und Schädigung. d) Vermutungen zu Lasten des Geschäftsherren Liegen die Voraussetzungen des § 831 I 1 vor, wird eigenes Verschulden des Geschäftsherrn hinsichtlich Auswahl und Beaufsichtigung des Gehilfen und der haftungsbegründende Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden des Geschäftsherrn und der Schädigung durch den Gehilfen vermutet. e) Der Entlastungsbeweis im Allgemeinen, 831 I 2 Der Geschäftsherr kann sich entlasten, wenn er fehlendes Verschulden seinerseits oder den fehlenden haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Rechtsgutverletzung nachweist, § 831 I 2. aa) Die haftungsbegründende Kausalität fehlt dann, wenn der Schaden auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt entstanden sein würde („casus mixtus“). Es ist der Nachweis erforderlich, dass entweder der Schaden auch von einer sorgfältig ausgewählten (überwachten) Person angerichtet worden wäre oder auch ein sorgfältiger Geschäftsherr nach den Unterlagen, die er eingeholt hätte, den Bestellten ausgewählt haben würde (vgl. Palandt/Sprau § 831 Rdn. 19). An der Kausalität fehlt es noch nicht, wenn sich im Schadensfall ein anderer Mangel auswirkt als der, den der Geschäftsherr übersehen hat (vgl. BGH NJW 78, 1681). bb) Der Nachweis fehlenden Verschuldens bei der Auswahl wird dadurch geführt, dass der Geschäftsherr nachweist, er habe den Gehilfen so ausgewählt, dass der Gehilfe die ihm übertragene Tätigkeit voraussichtlich ohne Schädigung Dritter würde durchführen können. Die Anforderungen, die an die Fähigkeiten des Gehilfen zu stellen sind, hängen von der Gefährlichkeit der zu übertragenden Tätigkeit ab. Für diese Beurteilung stellt die h. M. auf den Zeitpunkt der Schadenszufügung ab: Entscheidend ist, ob der Gehilfe zu diesem Zeitpunkt hätte eingestellt werden dürfen. Hat sich jemand über einen längeren Zeitraum bewährt, gilt er als sorgfältig ausgewählt, auch wenn er zunächst sorgfaltswidrig ausgewählt wurde (vgl. Medicus II, § 144 II 2a). Da es darauf ankommt, ob der Bestellte noch im Zeitpunkt der Schadenszufügung als gehörig ausgewählt anzusehen ist, genügt nicht sorgfältige Auswahl bei Einstellung, vielmehr ist fortgesetzte Prüfung nötig, ob der Angestellte noch zu den Verrichtungen befähigt ist. Es bestehen also nicht nur Auswahl-, sondern eben auch nach § 831 I 2 Überwachungspflichten. Das Ausmaß der Überwachung richtet sich bei recht strengen Maßstäben nach Qualifikation und Zuverlässigkeit des Verrichtungsgehilfen (BGH Vers. 84, 67). Lässt sich der konkrete Verursacher nicht ermitteln, so muss der Nachweis ordnungsgemäßer Auswahl, Überwachung usw. im Blick auf alle geführt werden, die als Urheber der Handlung in Betracht kommen können (BGH NJW 73, 1602).

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f) Der Entlastungsbeweis im größeren Betrieb 1673

Bei modernen arbeitsteiligen Großbetrieben gelingt die Exkulpation fast immer. Dies ist deshalb der Fall, da die Rechtsprechung für diese einen mehrstufigen Entlastungsbeweis zugelassen hat. Es genügt, wenn höhere Angestellte eine ordnungsgemäße Aufsicht durchführen und diese wiederum vom Unternehmer beaufsichtigt werden (vgl. Jauernig/Teichmann, § 831 Rdn. 13 m. w. N.). Hinzukommen muss eine ausreichende Organisation, die eine ordnungsgemäße Geschäftsführung und Beaufsichtigung des gesamten Personals gewährleistet. Dies bedeutet jedoch eine haftungsrechtlich ungerechte Bevorzugung von Großunternehmen, die so nicht beabsichtigt war. Deshalb hat die Rechtsprechung nach anderen Wegen gesucht, um eine deliktsrechtliche Haftung der Unternehmer zu erreichen. aa) Es wurde im Rahmen des § 823 I eine Organisationspflicht (als Verkehrspflicht) entwickelt (s. dazu bereits oben Rdn. 1598). Eine Organisationspflichtverletzung wurde auch dann angenommen, wenn für bestimmte verantwortungsvolle Positionen kein gesetzlicher Vertreter nach § 31 bestellt wurde. In neuerer Zeit ging die Rechtsprechung sogar dazu über, ohne den Umweg über eine Pflichtverletzung entsprechende Angestellte wie Organe nach § 31 zu behandeln (vgl. v. Bar, 256 und bereits oben Rdn. 1598). bb) Wo es um die Erfüllung von Organisationspflichten (als Verkehrspflichten) geht, erfüllt der Sicherungspflichtige seine Pflicht nicht bereits dadurch, dass er eine sorgsam ausgesuchte Person mit der Erfüllung beauftragt. Eine Verkehrspflicht wird dadurch nur in eine Pflicht zur Beaufsichtigung des Beauftragten verwandelt (mit strengen Anforderungen s. dazu oben Rdn. 1594). Zum geltenden Recht der Produzentenhaftung im größeren Betrieb s. das Schema oben Rdn. 1625 (nach der Darstellung der Produzentenhaftung).

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3. Nach § 831 II haftet ebenso wie der Geschäftsherr, wer für ihn vertraglich die Auswahl, Ausrüstung, Anweisung oder Leitung von Verrichtungsgehilfen übernimmt (ähnlich auch Palandt/Sprau § 831 Rdn. 20; a. A. MüKo/Wagner § 831 Rdn. 45: Der Anwendungsbereich des § 831 II beschränke sich auf die Übernahme fremder Pflichten durch selbständige Unternehmen). Nach der Vorschrift haften im Großbetrieb die Zwischenpersonen (Meister usw.). 4. Eine Ergänzung zu § 831 enthält § 840 II. § 840 II ist eine „anderweitige Bestimmung“ im Sinne von § 426. Der Rückgriff kann bei betriebsbezogener Tätigkeit aufgrund der Fürsorgepflicht ausgeschlossen oder eingeschränkt sein; vgl. oben Rdn. 1165.

II. Haftung der Unternehmer bestimmter Anlagen und Großbetriebe ohne Verschulden für Aufsichtspersonen, §§ 2, 3 HaftpflG 1675

Auf einem Teilgebiet ist der Gedanke der Betriebshaftung verwirklicht, sogar als Haftung ohne Verschulden, §§ 2 und 3 HaftpflG v. 4. 1. 78, BGBl. I 145; Vorläufer war § 2 RHaftpflG v. 7. 6. 1871, RGBl. 207. Sondervorschriften des Arbeits- und Sozialrechts schränken die Haftung ein, 104, 104 SGB VII; 116 SGB X. S. dazu u. Rdn. 1688. §§ 2, 3 HaftpflG sind zwar Sondervorschriften zu § 831, verdrängen ihn aber nicht. § 254 ist anwendbar, § 4 HaftpflG (ebenso schon RG 63, 333).

III. Haftung für Aufsichtsbedürftige, § 832 1676

1. Dem § 831 nachgebildet ist die Haftung gesetzlich oder vertraglich Aufsichtspflichtiger für den Schaden, den die Aufsichtsbedürftigen widerrechtlich einem anderen zufügen, 832. Wegen des Aufbaus der Vorschrift ist auf die Ausführungen des § 831 zu verweisen. 2. Der Entlastungsbeweis hinsichtlich haftungsbegründender Kausalität und Verschulden ist wie bei § 831 I 2 möglich, § 832 I 2. Auf ein Verschulden des Aufsichtsbedürftigen kommt es für die Haf-

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tung nach § 832 nicht an. Es wird häufig nach §§ 827, 828 nicht gegeben sein. Eine Schädigung der Aufsichtsperson durch den Aufsichtsbedürftigen oder eine Schädigung des Aufsichtsbedürftigen durch ihn selbst fallen nicht unter § 832 (kein „Dritter“). 3. Die Vorschrift ist von Bedeutung für Eltern, Vormünder, Lehrer, Schulheimleiter, Jugend-, Gruppenleiter. Die Anforderungen an ihre Sorgfalt sollten hoch, aber nicht überspannt sein, OGHZ 1, 159 – Schießspielzeug –. Nach einer Formel der Rechtsprechung kommt es darauf an, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Die Aufsichtspflicht muss zum einen entsprechend dem Alter, der Eigenart und dem Charakter des Kindes, zum anderen in bezug auf die konkreten, zur Rechtsgutverletzung führenden Umstände erfüllt werden (BGH NJW 76, 1145; 1993, 1003; 1997, 2047; vgl. Rauscher, JuS 85, 760 ff). 4. Eine Ergänzung zu § 832 enthält § 840 II.

§ 112 Mehrere Schädiger Ballerstedt, JZ 73, 105; Benicke, Jura 1996, 127; Bodewig, Th., AcP 185 (1985), 506; Brambring, Mittäter, Nebentäter, Beteiligte und die Verteilung des Schadens bei Mitverschulden des Geschädigten, 1973; Buxbaum, W., Solidarische Schadenshaftung bei ungeklärter Verursachung im deutschen, französischen und angloamerikanischen Recht 1965; Bydlinski, AcP 158 (1959/60), 410; ders., FS Beitzke, 1979, 3; Deutsch, JZ 72, 105; ders., Haftungsrecht, Bd. I: Allgemeine Lehren, 1976, § 21; ders., NJW 81, 2731; Eberl-Borges, AcP 196 (1996) 491; Eibner, JZ 78, 50; Gernhuber, JZ 61, 148; Heinze, VersR 73, 1081, ders., NJW 73, 2021; Hildebrandt, Zu Handlungseinheit und Handlungsmehrheit im Zivilrecht, 1966; Hüffer, AcP 173 (1973), 465; Jung, AcP 170, 426; Keuk, AcP 168, 175; Köndgen, NJW 70, 2281; Kollhosser, JuS 69, 510; Kreutzinger, Die Haftung von Mittätern, Anstiftern und Gehilfen im Zivilrecht, 1985; Lauenstein, NJW 61, 1661; Lorenz, E., Die Lehre von den Haftungs- und Zurechnungseinheiten und die Stellung des Geschädigten in Nebentäterfällen, 1979; Müller, T., NJW 2002, 2841; Ries, AcP 177 (1977), 543; Schantl, VersR 81, l05; Selb, JZ 75, 193; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche unter solidarisch haftenden Deliktsschuldnern, 1972; Weckerle, Die deliktische Verantwortlichkeit mehrerer, 1974; Wurm, JA 86, 177.

Es handelt sich um die §§ 830, 840, 841, die um §§ 426 und 254 zu ergänzen sind. Das komplexe Thema der Mehrheit von Schädigern lässt sich vereinfacht auf vier Problemkreise zurückführen; (1) Die beiden anspruchserweiternden Normen des § 830 I 1 und des § 830 I 2, jeweils ergänzt um § 830 II (doch hat § 830 II praktische Bedeutung nur für § 830 I 1) bilden den Ausgangspunkt; (2) wenn danach feststeht, ob jemand als Mitschädiger haftet, beantwortet § 840 I i. V. m. §§ 421 ff, wie die mehreren Schädiger dem Geschädigten, also nach außen, haften; (3) sodann bestimmen die §§ 426, 254 (analog), 840 II, III, 841, wie sich der Schaden unter den mehreren Schädigern nach innen verteilt; (4) schließlich ist zu prüfen, wie sich ein Mitverschulden des Geschädigten nach § 254 (direkt) auf die Haftung der mehreren Schädiger auswirkt. 1. In § 830 I verankert sind zwei Anspruchsnormen, durch die im Falle einer Mehrheit von Schädigern zugunsten des Geschädigten die Deliktsnormen der §§ 823ff erweitert werden. Die Erweiterung geschieht dadurch, dass auf bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen der Deliktsnormen verzichtet wird. a) Nach dem Grundsatz des § 830 I 1 sind mehrere Schädiger für den eingetretenen Schaden verantwortlich, wenn sie die ursächliche unerlaubte Handlung gemeinsam (gemeint ist als Mittäter i. S. d. § 25 II StGB) begangen haben. § 830 II stellt Anstifter und Gehilfen den Mittätern i. S. d. § 830 I 1 gleich. Diese Begriffe stellen auf Normen des Strafrechts ab (§§ 25 II, 26, 27 StGB) und werden von der h. M. auch strafrechtlich

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(Medicus: „strafrechtlicher Teil des § 830“) interpretiert (zu den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen siehe also dort). Für Mittäterschaft genügt bereits ein intellektueller Tatbeitrag (s. Jauernig/Teichmann, § 830 Rdn. 3). Aus der Bezugnahme auf das Strafrecht ergibt sich auch, dass in allen diesen Fällen vorsätzliches Handeln gegeben sein muss (so die Rspr. und die h. M., a. A. z. B. Deutsch I, 344, 345). Der Geschädigte wird durch § 830 I 1 nun dadurch begünstigt, dass auf die sonst erforderliche haftungsbegründende Kausalität zwischen gemeinschaftlicher Begehung der Handlung und Rechtsgutverletzung und ebenso auf die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden verzichtet wird. Der Mittäter, Anstifter oder Gehilfe kann sich von der Haftung nicht einmal durch den Nachweis entlasten, der Schäden wäre auch ohne sein Zutun durch die anderen Beteiligten herbeigeführt worden. Die Zurechnung des ganzen Schadens an jeden Beteiligten beruht hier auf dem Willen zur Teilnahme (BGHZ 63, 124), gehaftet wird für die mögliche Kausalität (vgl. Jauernig/Teichmann, § 830 Rdn. 3). Der rechtmäßig handelnde Mittäter scheidet allerdings aus dem Haftungsverband der rechtswidrig Handelnden aus (BGH JZ 72, 127). Der Einzelne muss vorsätzlich gehandelt, d. h. die Tat in ihren ungefähren Umrissen gekannt und als eigene oder fremde gewollt haben. Bedingter Vorsatz reicht aus. Für die vom eigenen Vorsatz nicht erfassten Exzesse der Mittäter wird aus § 830 I 1 nicht gehaftet (s. BGHZ 89, 383, 389, Großdemonstration –: … der Wille (des Einzelnen) ist zunächst nur auf das für Demonstranten räumlich und zeitlich überschaubare Aktionsfeld gerichtet … [392]). Auf Nebentäter ist § 830 I 1 nicht anwendbar, es fehlt an der gemeinschaftlichen Begehung, BGHZ 30, 206: Mehrere Kraftfahrer führen durch verschiedene selbständige Verkehrsverstöße einen Unfall herbei (ein Geisterfahrer trifft auf einen Linksspurparker). b) Nach dem Grundsatz der „alternativen Verursachung“ in § 830 I 2 (Medicus: „zivilrechtlicher Teil des § 830 I“) haften alle, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat. Auch § 830 I 2 ist eine Vorschrift, die den Geschädigten wegen seiner Beweisnot im Falle mehrerer in Betracht kommender Schädiger begünstigen will. Im Unterschied zu § 830 I 1 kommt es jedoch auf kein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken und damit auch nicht auf vorsätzliches Handeln an. Es genügt, wenn die mehreren Handlungen in einem gewissen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, wenn sie „noch im Rahmen eines tatsächlich zusammenhängenden einheitlichen Vorgangs“ liegen (BGHZ 55, 86). § 830 I 2 erfasst sowohl Anteils- als auch Verursachungszweifel. Eine auf der Fahrbahn liegende Person wurde nacheinander von mehreren Fahrzeugen überfahren (fahrlässige Begehung verschiedener Handlungen, vgl. BGH aaO). Ein solcher Zusammenhang ist auch gegeben für Personen, die nur aus Gefährdung oder § 906 II 2 haften (BGHZ 101, 106, 112). Um angesichts der im Unterschied zu § 830 I 1 niedrigeren Anforderungen eine Zufallshaftung zu vermeiden, ordnet § 830 I 2 eine weniger strenge Rechtsfolge an. Der Schaden wird jedem der Beteiligten nur zugerechnet, wenn wirklich eine Ungewissheit über die Verursachung (und somit eine Beweisnot des Geschädigten) besteht. Sie entfällt, wenn wenigstens ein Beteiligter voll haftet, BGHZ 72, 355; BGH NJW 1999, 2895. Außerdem steht dem möglichen Mitschädiger der Beweis offen, dass seine Handlung oder sein Handlungsbeitrag den Schaden unter keinen Umständen herbeiführen konnte: Für einen Fehlschuss kommen mehrere Schützen in Frage. Alle haften, RGZ 90, 173; nur die nicht, deren Geschosse nicht die nötige Reichweite hatten. Für Schädigungen durch Medikamente haften alle, die es auf den Markt bringen, es sei denn, sie

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Mehrere Schädiger

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können nachweisen, dass das schadenstiftende Produkt nicht von ihnen stammt, vgl. Sindel v. Abbott Laboratories, VersR 82, 712 (unter Eingrenzung auf die „Marktführer“). Für Kariesschäden aufgrund zuckerhaltiger Kindertees, die von verschiedenen Herstellern angeboten werden, haftet der einzelne Hersteller nur soweit, als die Gefahr gerade von seinem Tee ausging (BGH NJW 1994, 932, 934 – „Dauernuckelfälle“, bzw. Baby Bottle Syndrom). Zur Kausalitätsproblematik bei Klagen erkrankter Raucher, welche die Zigaretten verschiedener Tabakhersteller konsumiert haben, s. die Falllösung bei Heinemann/Schürholz, Jura 2002, 693. c) Die beiden Sätze des § 830 I können, soweit sich die Tatbestände decken (d. h. bei Handlungseinheit, gemeinschaftlicher Begehung, Vorsatz und Nichtermittelbarkeit) konkurrierend nebeneinander zur Anwendung gelangen. 2. § 840 I betrifft, im Unterschied zu § 830, die Rechtsfolgen im Falle mehrerer Schädiger, sei es, dass einer der Fälle des § 830 vorliegt (BGHZ 73, 190), sei es ganz allgemein, wenn für einen Schaden mehrere aus unerlaubter Handlung haften. Von § 840 I werden alle Ansprüche aus unerlaubter Handlung, aus Gefährdungshaftung innerhalb und außerhalb des BGB, aus § 906 II 2 sowie Aufopferungsansprüche erfasst (vgl. Jauernig/Teichmann, § 840 Rdn. 3). Die mehreren Schädiger haften dem Geschädigten (also nach außen) gesamtschuldnerisch, §§ 840 I, 421 ff; BGHZ 9, 65. 3. Davon zu unterscheiden ist der Ausgleich der Schädiger untereinander (nach innen) nach dem Maß ihrer Beteiligung. Dieses Maß wird gem. § 254 analog als „andere Bestimmung“ auf § 426 I 1 zur Anwendung gebracht (dazu o. Rdn. 776). Besondere Ausgleichsregeln bei Delikten gemäß §§ 829, 831, 833–838, 839 enthalten § 840 II, III und § 841. Es handelt sich um verdrängende Sondervorschriften zu § 426. Wie dort (oben Rdn. 776) gilt für den Ausgleich § 254 (BGHZ 30, 203). Auch die Regeln über die betriebsbezogene Arbeit stellen eine Ausnahme vom Grundsatz des § 840 I dar: Unter bestimmten Voraussetzungen hat der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Freistellung von der Haftung einem Dritten gegenüber (s. Palandt/Weidenkaff § 611 Rdn. 159 und o. Rdn. 1165). 4. Bei einem Mitverschulden des Geschädigten treten erhebliche Zurechnungsschwierigkeiten auf: a) Wenn sich die Verhaltensweisen von mehreren Schädigern nur in einem einzigen, einheitlichen Ursachenbeitrag ausgewirkt haben, wird dem Tatbeitrag des Geschädigten eine einheitliche Mitverursachungsquote der mehreren Schädiger entgegengesetzt; der auf seinen eigenen Kausalbeitrag fallende Anteil wird dem Geschädigten abgezogen, für den Rest gilt § 840 I (sog. Gesamtabwägung zwischen dem Geschädigten und der Gesamtheit der Schädiger, vgl. Palandt/Heinrichs § 254 Rdn. 70ff). Dies gilt für die Fälle der Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe, der Beteiligung nach § 830 I 2. Dies gilt ferner für bestimmte Fälle der Nebentäterschaft: Zwei Schädiger haften aus demselben Lebenssachverhalt, beispielsweise Halter und Fahrer (BGH NJW 66, 1262) oder Geschäftsherr und Verrichtungsgehilfe (BGHZ 6, 3, 28) (sog. Haftungseinheit). Genauso verhält es sich für die Fälle einer sog. Tatbeitragseinheit nach Art von BGHZ 54, 283: 4 Personen haben es zu vertreten, dass ein Lkw-Anhänger unbeleuchtet auf der Straße stehen bleibt. Dann fährt der Geschädigte (mitverantwortlich) auf. b) In anderen Fällen der Nebentäterschaft ist vor einer Gesamtabwägung noch eine Einzelabwägung zwischen den am Prozess konkret Beteiligten vorzunehmen (BGHZ 30, 203, 211 ff). Der Grundgedanke dieser Regelung ist, dass mehrere gesamtschuldnerisch haftende Schädiger nicht davon profitieren sollen, dass ihnen ein Geschädigter gegenübersteht, der sich einen eigenen Tatbeitrag entgegenhalten lassen muss. Ist z. B. der Tatbeitrag des Geschädigten (gem. § 254 oder § 17 StVG) im Verhältnis zu jedem von 2 Schädigern mit gleichem Tatbeitrag mit 4/5 zu bewerten, so würden die Schädiger im Ergebnis nur je 1/10 des Schadens zu tragen haben, obwohl sie bei gleichem Tatbeitrag je 1/5 tragen müssten. BGHZ 30, 203 schlägt vor, in solchen Fällen zuerst die Mitverantwortung des Geschädigten gegenüber jedem Schädiger gesondert abzuwägen (hier: 4 : 1 und 4 : 1), sog. Einzelabwägung. In einem zweiten Schritt sind sodann die Tatbeiträge so zusammenzusetzen, dass niemandes Teil verkleinert wird; das ergibt eine Quotierung von 4 : 1 : 1, sog. „Gesamtabwägung“ oder „Gesamtschau“. Der Geschädigte trägt hiernach 4/6 = 2/3, die Schädiger tragen gesamtschuldnerisch 1/3 und einzeln 1/6 des Schadens. S. hierzu BGH NJW 2006, 896.

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1682

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§ 113

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

B. Die Gefährdungshaftung § 113 Tierhaftung, Verkehrshaftpflichtgesetze, Kfz-Haftung, Energiehaftung, Haftung für Gewässerschäden, Umwelthaftungsgesetz, Arzneimittelhaftung, Ersatzpflicht aus Zwangsvollstreckung Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, 1985; Bauer, FS Ballerstedt, 1975, 305; Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, 1993; v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, 1971; Canaris, JBl. 1995, 2; Coester-Waltjen, Jura 1996, 608; Damm, JZ 89, 561; ders., ZRP 89, 463; Deutsch, JZ 66, 556; ders., VersR 71, 1; ders., Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996; ders., JuS 81, 317; ders., Jura 83, 617; Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 2. Aufl. 1969; Freundorfer, VersR 83, 1116; Heß, J., Die Bestimmung der Ersatzpflichtigen in der Gefährdungshaftung, 1978; Hübner, U., in: 25 Jahre Karlsruher Forum (Beil. zu VersR), 1983, 126; Kötz, AcP 170 (1970), 1; Koziol, FS Wilburg, 1975, 173; Larenz, FS Honig, 1970, 79; Leser, AcP 183 (1983), 568; Medicus, Jura 1996, 561; Ogorek, Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jh., 1975; Rinck, Gefährdungshaftung, 1959; Strickler, Die Entwicklung der Gefährdungshaftung: Auf dem Weg zur Generalklausel?, 1983; Taschner, in: Zum Deutschen und Internationalen Schuldrecht, 1983, 75; Will, Quellen erhöhter Gefahr, 1980. Zu I: Bornhörd, VersR 79, 398; Deutsch, NJW 76, 1137, ders., NJW 78, 1998, ders., JuS 87, 673; Dunz, JZ 87, 63; Eberl-Borges, VersR 1996, 1070; Herrmann, JR 80, 489; Hoff, AcP 154 (1955), 344; Honsell, Th., MDR 82, 798; Knütel, NJW 78, 287; Lorenz, W., Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB, 1992; Schlund, FS Schäfer, K., 1980; 223; Schmid, JR 76, 274; Schrader, NJW 75, 676; Staudinger/Schmidt, R., Jura 2000, 347; Weimar, W., MDR 67, 100; ders., MDR 68, 540. Zu II: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts (Loseblatt); BöhmelBiela, KraftverkehrsHaftpflicht-Schäden, 23. Aufl. 2005; Buschbell, Münchener Anwaltshandbuch Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl 2005; Deutsch, JZ 1972, 551; Ferner, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl 2005; Filthaut, Haftpflichtgesetz – Kommentar, 7. Aufl. 2006; Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004; Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht (Loseblatt); Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs – Kommentar, 3. Aufl. 1997; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 9. Aufl. 2005; Hentschel, Straßenverkehrsrecht – Kommentar, 38. Aufl 2005; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht – Kommentar, 19. Aufl. 2006; Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. 1996; Kunschert, NJW 2003, 950; Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 3. Aufl. 2005; Spöhr, Aktuelles Straßenverkehrsrecht – Kommentar für die Praxis (Loseblatt); Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl. 2002. Zu III: Filthaut, Haftpflichtgesetz – Kommentar, 7. Aufl. 2006; Posser/Schmans/Müller-Dehn, Atomgesetz – Kommentar, 2002. Zu IV: Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004; Czychowski/Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz – Kommentar, 8. Aufl. 2003; Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz – Kommentar, 2003: Siedler/Zeitler/Dahme/Knopp, Wasserhaushaltsgesetz – Kommentar (Loseblatt). Zu V: G. Hager, NJW 1991, 134; Hendler u. a. (Hrsg.), Umwelthaftung nach neuem EG-Recht, 2005; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004; Landsberg/Lülling, Umwelthaftungsrecht – Kommentar, 1991; Medicus, NuR 1990, 145; Michalski, Jura 1995, 617; Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht, 1996; ders., AcP 197 (1997) 430; Petersen, Duldungspflichten und Umwelthaftung, 1996; Rehbinder, NuR 1989, 149; Paschke, Kommentar zum Umwelthaftungsgesetz, 1993; Schimikowski, Umwelthaftungsrecht und Umwelthaftpflichtversicherung, 6. Aufl. 2002; Schmidt- Salzer,

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Gefährdungshaftung

§ 113

Kommentar zum Umwelthaftungsrecht, 1992; Steffen, NJW 1990, 1817; Wagner, Kollektives Umwelthaftungsrecht auf genossenschaftlicher Grundlage, 1990. Zu VI: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl. 2003; Godt, NJW 2001, 1167; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht – Kommentar (Loseblatt); Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005; Rehmann, Arzneimittelgesetz – Kommentar, 2. Aufl. 2003; Sander, Arzneimittelrecht – Kommentar (Loseblatt); Schiwy, Deutsches Arzneimittelrecht – Kommentar (Loseblatt); Stellpflug/Meier/Tadayon, Handbuch Medizinrecht (Loseblatt). Zu VII: Roth, NJW 72, 926; vgl. ferner die Kommentare zu § 717 II ZPO.

Die bisher dargestellten Delikte behandelten mit einer Ausnahme (§§ 2, 3 HaftpflG, oben Rdn. 1675) Fälle der Verschuldenshaftung. Auch Fälle mit umgekehrter Beweislast (§§ 831, 832) gehören in den Bereich der Verschuldenshaftung. Haftung ist jedoch auch denkbar, ohne dass ein Verschulden vorliegt. Grund einer solchen Haftung kann sein, dass man sich vertraglich mit ihr einverstanden erklärt hat, wie beim Garantievertrag (oben Rdn. 57 und 1358 ff), oder weil sie der gerechte Ausgleich für das Erlaubtsein eines gefährlichen Tuns ist. Der letztgenannte Fall der sog. Gefährdungshaftung ist der wichtigste Fall einer solchen Haftung ohne Verschulden (grundlegend Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941).1 Die Gefährdungshaftung ist kein allgemeiner Rechtsgrundsatz dahingehend, dass ohne Verschulden haftet, wer erlaubtermaßen etwas Gefährliches tut. Für die Haftung aus Gefährdung fehlt ebenso wie für die Haftung nach den §§ 823ff eine umfassende Generalklausel. Aber die Gefährdungshaftung ist der Grundgedanke einer Reihe von Einzelvorschriften, deren Haftungsanordnung ohne das gemeinsame Prinzip unverständlich wäre (vgl. auch Esser/Weyers, § 63 I, II). Früher sah man in der Gefährdungshaftung nur den Verzicht auf das Verschulden und betrachtete sie als Ausnahme vom Verschuldensprinzip, als system- und regelwidriges Sonderphänomen (vgl. Kötz, Rdn. 125). Seit der Arbeit von Esser hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass ihr ein eigenes, positives Zurechnungsprinzip zugrundeliegt (so zu Recht Deutsch, Haftungsrecht I, 367), dass auch die Gefährdungshaftung auf einer echten Verantwortlichkeit des Schädigers beruht. Für die Rechtfertigung der Anordnung einer Gefährdungshaftung werden verschiedene Gesichtspunkte genannt: Wer erlaubtermaßen etwas Gefährliches tut, soll haften entsprechend dem Grundgedanken der Gefahrenschaffung und -beherrschung und der Eigenart des ihm zur Last fallenden spezifischen Risikos, weil er Vorteil aus der Gefahr zieht, u. a.2 Mit dem sich entwickelnden Umweltbewusstsein ist die Gefährdungshaftung in einen weiteren Zusammenhang zu rücken, der über den bloßen Schadensausgleich zwischen zwei Beteiligten hinausreicht. Zu dieser Auffassung von den „sozialen Kosten“ vgl. J. Schmidt, AcP 175 (1975), 222 m. w. A. Im folgenden werden auch Vorschriften mitbehandelt, die keine Gefährdungshaftung anordnen, jedoch in einem engen sachlichen Zusammenhang mit Gefährdungshaftungstatbeständen stehen (z. B. § 833 S. 2, § 18 StVG). Zum Produkthaftungsgesetz, das ebenfalls eine Gefährdungshaftung enthält, s. o. Rdn. 1621 ff. 1 Streng genommen betreffen die Fälle der Gefährdungshaftung keine unerlaubten Handlungen. Doch zählen sie nach einhelliger Auffassung zum „Deliktsrecht“, das im allgemeinen mit „Recht der unerlaubten Handlungen“ übersetzt wird. Medicus, II Rdn. 736f, unterscheidet daher zwischen unerlaubten Handlungen im weiteren und im engeren Sinne, je nach Einschluss oder Ausschluss der Gefährdungshaftung. 2 S. dazu ausf. Deutsch, Haftungsrecht I, 364, 365; zu einer rechtspolitischen und ökonomischen Begründung der Gefährdungshaftung auch Kötz/Wagner, Deliktsrecht Rdn. 333 ff.

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§ 113 II

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

I. Die Tierhalterhaftung 1686

1. Für Personen- und Sach- (nicht Vermögens-)schäden, die durch ein Tier verursacht werden, haftet der Halter des Tieres, § 833 S. 1. Die Regelung des § 833 S. 1 ist (neben § 231) der einzige Fall von Gefährdungshaftung, der im BGB selbst geregelt ist. 2. Der Begriff Tier ist biologisch zu verstehen und umfasst auch Kleinlebewesen. Ob darunter auch Mikroorganismen zu fassen sind, ist umstritten (dafür Deutsch, NJW 76, 1137; NJW 1990, 751). Eine dadurch drohende, unverhältnismäßige Haftungsausweitung ließe sich jedoch durch den Halterbegriff und das Erfordernis eines typischen Tierverhaltens vermeiden (vgl. Jauernig/ Teichmann, § 833 Rdn. 2). Halter ist, wer das Tier in seinem Hausstand oder Wirtschaftsbetrieb nicht nur ganz vorübergehend in seinem Interesse verwendet, und sei es nur aus Liebhaberei. Entscheidend ist die tatsächliche Herrschaft über das Tier. Eigentum oder Eigenbesitz sind nicht erforderlich. Endgültig entlaufene und gestohlene Tiere werden nicht mehr gehalten. Als Halter nach § 833 haftbar ist nur, wer das Tier willentlich annimmt. Ein Erkrankter ist nicht Halter der Bakterien oder Viren, die ihn befallen haben; für solche Mikroorganismen trifft eine Halterhaftung also nur diejenigen Personen, die diese züchten (so zu Recht Medicus II, § 145 II 2). Umstritten ist, ob Geschäftsunfähige und Minderjährige entsprechend §§ 104 ff (so Canaris, NJW 1964, 1987) oder entsprechend §§ 827 ff (s. MünchKomm/ Wagner § 833 Rdn. 30) zum Halter werden. Aus der Formulierung „durch“ ein Tier leitet die Rechtsprechung ab, dass die Rechtsgutverletzung auf einem „willkürlichen“ Fehlverhalten des Tieres beruht, dass sich die spezifische Tiergefahr verwirklicht haben muss (BGH NJW 82, 763; beispielsweise Beißen, Durchbrennen, Umstoßen, etc.). Ein solches Verhalten liegt nicht vor, wenn das Tier menschlicher Leitung folgt. Der Schutzzweck des § 833 soll auch dann entfallen, wenn der Verletzte (z. B. ein Reiter) die Herrschaft über das Tier im eigenen Interesse übernimmt, BGH NJW 74, 234. In solchen Fällen kann man jedoch auch an eine Anwendung des § 254 oder einen vertraglichen Haftungsausschluss denken, der auch konkludent erfolgen kann (zum Mitverschulden s. OLG Koblenz NJW 2003, 2834).

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3. Keine Gefährdungs- sondern eine Verschuldenshaftung mit widerleglicher Verschuldensvermutung wie in §§ 831, 832 ordnet § 833 S. 2 an. Als Haustiere gelten nach dem normalen Sprachgebrauch zahme – z. B. Hofhund – (nicht gezähmte – z. B. gezähmter Luchs –) Tiere. Diese Tiere müssen „dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt“ sein. Diese Erfordernis trifft nicht für Luxustiere (z. B. Hauskatze) zu. 4. Der vertragliche Tieraufseher haftet wie der Tierhalter, aber mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises gegenüber dem Geschädigten (Verschuldenshaftung), 834. 5. Die Haftung für Wildschaden (früher § 835) ist im Bundesjagdgesetz vom 29. 11. 52, BGBI. I 780 geregelt, vor allem in § 29 BJagdG. Es handelt sich um eine Gefährdungshaftung. Das gleiche gilt für die Haftung aus missbräuchlicher Ausübung der Jagd (Jagdschaden), 33 BJagdG.

II. Die Verkehrshaftpflichtgesetze. Kfz-Haftung 1688

1. Die Haftung der Eisen-, Straßen- und aller sonstigen Schienenbahnen war in zwei Gesetzen geregelt, für Personenschäden im Reichshaftpflichtgesetz vom 7. 6. 1871, für Sachschäden im Sachschädenhaftpf1ichtgesetz vom 29. 4. 1940. Beide Gesetze wurden, unter Erstreckung der Haftung auf Rohrleitungsanlagen für Flüssigkeiten und Dämpfe, im Haftpflichtgesetz v. 4. 1. 1978, BGBl. I 145, zusammengefasst. Wird „bei dem Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt“, so haftet der Betriebsunternehmer ohne Verschulden, 1 HaftpflG. Die Ersatzpflicht entfällt bei höherer Gewalt. § 1 HaftpflG enthält weitgehend zwingendes Recht, § 7. Bei Mitverschulden gilt § 254, 4 HaftpflG. Zu beachten sind u. a. die 3-jährige Verjährungsfrist, § 11 (Verweisung auf §§ 195, 199), und die Haftungsgrenzen der Höhe nach in §§ 9, 10 HaftpflG.

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Gefährdungshaftung

§ 113 II

Wurde die Rechtsgutverletzung verschuldet, kommen neben § 1 HaftpflG auch andere Anspruchsgrundlagen, insbesondere die §§ 823ff, in Betracht, § 12 HaftpflG. Letztere kennen keine Haftungsgrenze. – Im Übrigen ist auf die zahlreiche Spezialliteratur zu verweisen. 2. a) Die heutzutage praktisch bedeutsamste Gefährdungshaftung ist die Kraftfahrzeugshaftung nach §§ 7ff StVG. Haftpflichtig ist nach § 7 I StVG der Halter eines Kraftfahrzeugs (das nicht unter die Ausnahme des § 8 StVG fällt). Die Haltereigenschaft bestimmt sich ähnlich wie in § 833. Halter ist, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt darüber besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt (BGHZ 13, 351). Auf das Eigentum kommt es grundsätzlich nicht an. Bei einer länger dauernden Überlassung an einen anderen, der die Betriebskosten übernimmt, wird dieser zum Halter. Personen, die das Fahrzeug ohne Wissen und Wollen des Halters benutzen (§ 7 III 1 StVG, „Schwarzfahrer“), haften an Stelle des Halters. Doch bleibt daneben der Halter haftbar, wenn er die Benutzung des Fahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht hat, § 7 III I Halbs. 2 StVG. Nach § 7 III 2 StVG haftet der Schwarzfahrer nicht, wenn er vom Halter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt wurde oder ihm das Fahrzeug vom Halter überlassen ist.

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Der Halter haftet nicht, wenn der beim Betrieb Tätige (also im Regelfall der Fahrer) verletzt wurde, § 8 StVG. Demgegenüber bleibt es für bloße Fahrgäste (seit 2002) bei dem Anspruch aus § 7 StVG. Bei entgeltlicher, geschäftsmäßiger Personenbeförderung kann dieser Anspruch nicht vertraglich beschränkt oder ausgeschlossen werden, 8a StVG. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ein Haftungsausschluss gegenüber unentgeltlich beförderten Personen (Freunde, Anhalter, etc.) möglich ist. Der Ersatzpflichtige ist zum Schadensersatz verpflichtet, wenn ein Mensch getötet, Körper oder Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt werden, § 7 I StVG (reine Vermögensschäden werden also nicht ersetzt). Für die Verletzung von Sachen gelten die §§ 249 ff unmittelbar, für die anderen Fälle bestehen Sonderregelungen nach §§ 10, 11, 13.

Zu dem Unfall muss es bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs gekommen sein, § 7 I StVG. Dieses Erfordernis ist weit zu verstehen. Die Haftung knüpft an die besondere Gefährlichkeit der Verwendung eines Kraftfahrzeugs an. Der Unfall muss „in einem nahen örtlichen und zeitlich ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung“ des Fahrzeugs stehen (BGH NJW 72, 1808). Dabei wird ein verkehrstechnischer Betriebsbegriff zugrunde gelegt, d. h., das Fahrzeug braucht sich überhaupt nicht in Bewegung zu befinden. Auch beim Entladen, bei längerem Stillstand wegen einer Panne liegt noch ein „Betrieb“ vor. Die Ersatzpflicht entfällt, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wurde (zum Begriff s. o. Rdn. 646). Bis 2002 (Zweites Schadensersatzrechtsänderungsgesetz mit Wirkung zum 1. 8. 2002, BGBl. I 2674) war die Ersatzpflicht bereits dann ausgeschlossen, wenn ein unabwendbares Ereignis vorlag. Dies war der Fall, wenn auch ein höchstqualifizierter Fahrer bei Anspannung aller Sorgfalt den Schaden nicht hätte vermeiden können. Die Haftungsverschärfung durch die Reform aus dem Jahr 2002 dient dem besseren Schutz Minderjähriger (wie in § 828 II, der durch dasselbe Gesetz eingefügt wurde). Lief ein Kind völlig überraschend hinter einem parkenden Auto auf die Straße, lag nach alter Rechtslage ein „unabwendbares Ereignis“ vor, so dass der Anspruch aus § 7 StVG ausgeschlossen war. Dieses Risiko wird nun dem Halter zugewiesen.3 Entsprechend dieser ratio wurde der Ausschlussgrund des „unabwendbaren Ereignisses“ für das Verhältnis mehrerer Fahrzeughalter untereinander beibehalten, 17 III StVG. 3 Wagner, NJW 2002, 2049 (2061).

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1690

§ 113 III

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Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

Die Mitwirkung des Geschädigten an der Schadensentstehung ist nach § 9 StVG i. V. m. § 254 BGB zu berücksichtigen. Der Geschädigte muss sich zudem das Verschulden des Inhabers der tatsächlichen Sachgewalt über die betreffende Sache zurechnen lassen. Aus § 17 II, I StVG folgern Rechtsprechung und herrschende Lehre, dass ein Geschädigter seinen Schadensersatzanspruch um die Quote, die seine Betriebsgefahr ausmacht, kürzen lassen muss. Dies gilt auch für Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Betriebsgefahr ist die Summe der Gefahren, die das Kraftfahrzeug durch seine Eigenart in den Verkehr trägt. Ist die Betriebsgefahr beispielsweise durch ein Verschulden des Fahrers oder einen Mangel des Fahrzeugs erhöht, so ist sie bei der Abwägung verstärkt zu berücksichtigen (vgl. Palandt/Heinrichs, § 254 Rdn. 62). § 17 IV StVG erstreckt dies auch auf andere Fälle der Gefährdungshaftung. Es gelten Anzeigepflicht, 15; 3-jährige Verjährung, 14; ferner Höchstbeträge der Haftung, 12. Ansprüche aus §§ 823 ff bleiben unberührt, 16, BGHZ 12, 128; 20, 393; 23, 90 (Billigkeitshaftung, 829); 24, 188 (keine Beschränkung des deliktischen Haftungsumfangs); 32, 194.

1692

Nach dem Pflichtversicherungsgesetz vom 5. 4. 1965, BGBl. I 213, hat der Geschädigte im Rahmen der Leistungspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers einen direkten Anspruch gegen die Versicherung, die gesamtschuldnerisch neben dem Schädiger haftet (§ 3). b) Nicht um einen Fall der Gefährdungshaftung, sondern um eine Haftung aus vermutetem Verschulden handelt es sich bei der Haftung des Fahrers aus § 18 I StVG. Ansonsten gelten für diese Haftung die obengenannten Bestimmungen. Sind Halter und Fahrer verschiedene Personen, haften sie im Regelfall (zu den Ausnahmen, § 7 III 1 StVG, s. o.) als Gesamtschuldner. Der Innenausgleich erfolgt nach §§ 18 III, 17 StVG. 3. Die Gefährdungshaftung der Luftfahrzeughalter ist im Luftverkehrsgesetz vom 1. 8. 1922 i. d. F. vom 27. 3. 1999, BGBl. I 550, §§ 33ff, bestimmt. Luftfahrzeuge sind Flugzeuge, Drehflügler („Hubschrauber“, BGHZ 79, 259 – Schaden durch Luftdruck –), Luftschiffe, Segelflugzeuge, Motorsegler, Frei- und Fesselballone, Drachen, Fallschirme, Flugmodelle und sonstige zur Benutzung des Luftraumes bestimmte Geräte, insb. Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper, 1 II.

Der Hauptunterschied zur Schienen- und Schwebebahnverkehrshaftung gegenüber Dritten liegt darin, dass höhere Gewalt, ein unabwendbares Ereignis und die Beschäftigung des Verletzten beim Betrieb des Luftfahrzeugs die Haftung des Halters nicht ausschließen, vgl. § 33 LuftVG. Der Schwarzflieger haftet selbst, der Halter beim Schwarzflug nur, wenn er die Benutzung ermöglicht hat, § 33 II. Ferner enthält das LuftVG keine Bestimmungen über die Haftung des „Führers“: Er haftet nach §§ 823ff. Gegenüber Fluggästen und Sachbeförderungskunden haftet gem. §§ 44ff (in Ausführung des Warschauer Abkommens v. 12. 10. 1929, bzw. des Montrealer Übereinkommens v. 28. 5. 1999) der Luftfrachtführer; der nicht notwendig der Halter sein muss. Der Luftfrachtführer kann sich nach § 45 exkulpieren. Es gelten Haftungshöchstbeträge, §§ 37, 46. Luftfahrtunternehmen müssen ihre Fluggäste versichern, § 50 (sog. Opuv; Träger: Luftpool).

III. Die Energiehaftung 1693

Zu unterscheiden ist die Haftung für Energiefortleitung nach dem HaftpflG vom 4. 1. 1978 (o. II 1) und die 1959 eingeführte Haftung für friedliche Nutzung der Atomenergie nach dem Atomgesetz vom 23. 12. 59, BGBl. I 814. 1. In § 2 HaftpflG sind zwei Fälle zu unterscheiden: Nach § 2 I 1 HaftpflG haftet der Inhaber einer Stromleitungs- oder Rohrleitungsanlage oder einer Anlage zur Abgabe der bezeichneten Ener-

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Gefährdungshaftung

§ 113 V

gien oder Stoffe, wenn durch die Wirkungen von Elektrizität, Gas, Dämpfen oder Flüssigkeiten ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wurde, ohne dass es auf ein Verschulden ankommt. Eine Haftung ist nur in den Fällen des § 2 III HaftpflG ausgeschlossen. Im anderen Fall (§ 2 I 2 HaftpflG) ist der Schaden „auf das Vorhandensein einer solchen Anlage zurückzuführen“, „ohne auf den Wirkungen der Elektrizität“ usw. zu beruhen. Hier entfällt die Haftung zusätzlich zu den Fällen des § 2 III HaftpflG auch dann, wenn sich die Anlage zur Zeit der Schadensentstehung in ordnungsgemäßem Zustand befand. 2. Bei der Haftung nach dem Atomgesetz sind drei Fälle zu unterscheiden: Beruht der Schaden auf einem von einer Kernanlage ausgehenden nuklearen Ereignis, so haftet der Inhaber. Die Haftung bestimmt sich nach den §§ 25 ff AtomG und nach den Regeln des Pariser Atomhaftungs-Übereinkommens (BGBl. 1976 II 310). Gleichgültig sind Ort und näherer Anlass des Schadens. Sorgfaltsnachweis, höhere Gewalt sowie „unabwendbare Ereignisse“ stehen der Haftung nicht entgegen. Der Beförderer von Kernmaterialien, der durch Vertrag die Haftung vom Inhaber anstelle des Inhabers übernommen hat, gilt von dem Zeitpunkt der Übernahme an als Inhaber, § 25 II AtomG. § 25 a AtomG regelt die Haftung des Inhabers von Atomschiffen. In anderen als den bereits genannten Fällen haftet der Besitzer eines von der Kernspaltung betroffenen Stoffes, von radioaktiven Stoffen oder eines Beschleunigers, § 26 AtomG. Der Besitzer kann sich nach § 26 I 2 AtomG von der Haftung entlasten. Für Ärzte, Zahnärzte (§ 26 IV Nr. 1), aber auch bei vertraglichem Ausschluss mit dem Verletzten (§ 26 IV Nr. 2) tritt keine Haftung ein. §§ 823 ff bleiben unberührt, § 26 VII AtomG. – Die Inhaberhaftung nach § 25 I, II, IV AtomG ist summenmäßig unbegrenzt. Eine Begrenzung ist für den Fall des § 25 III AtomG, bei Auftreten des Schadens in einem anderen Staat und unter den Voraussetzungen des § 31 III AtomG vorgesehen. Den Inhabern i. S. v. § 25 I AtomG obliegt nach § 13 AtomG eine „gesetzliche Deckungsvorsorge“, § 13 AtomG. Ergänzend besteht eine subsidiäre Deckungspflicht des Bundes wie der Länder, §§ 34, 36 AtomG (diese ist allerdings summenmäßig begrenzt, § 34 I 2 AtomG).

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IV. Haftung für Gewässerschäden 1. Bei der Tierhaltung, den Verkehrshaftpflichtgesetzen und der Energiehaftung gründet sich die Gefährdungshaftung auf die erlaubte Verwendung gefährlicher Sachen oder Kräfte. Im Unterschied dazu knüpft die Gefährdungshaftung in § 22 des Wasserhaushaltsgesetzes von 1957 (in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. 8. 2002, BGBl. I S. 3245) an die Gefährdung eines für alle nötigen Lebensstoffes, des Wassers, an. Der einigende Gesichtspunkt ist nicht die Gefährlichkeit eines Tuns, sondern die Gefährdetheit des Wassers. Wasser im Sinne dieses Gesetzes ist auch das Grundwasser, § 1 I Nr. 2 WHG. 2. Die Haftung gliedert sich in zwei Tatbestände, für schädigende Einleitung von Stoffen in das Wasser – Handlungshaftung – (22 I WHG) und für das Gelangen schädlicher Stoffe aus Herstellungsund Lageranlagen in das Wasser – Anlagenhaftung – (22 II WHG). Beide Male handelt es sich um Gefährdungshaftungen. Auf schuldhafte Verunreinigung des Wassers kommt es nicht an. Beide Haftungen sind aber im Unterschied zu den meisten übrigen Gefährdungshaftungsvorschriften nicht höhenmäßig begrenzt. Ersetzt werden auch bloße Vermögensschäden. Bei einer Handlungshaftung besteht überhaupt kein Haftungswegfall, bei der Anlagenhaftung wenigstens bei höherer Gewalt, § 22 II 2 WHG. Zur Definition der „höheren Gewalt“ vgl. BGH NJW 86, 2312, 2313.

1695

V. Umwelthaftungsgesetz 4 1. Das Umwelthaftungsgesetz aus dem Jahr 1990 sieht eine Gefährdungshaftung für Individualschäden als Folge von Umwelteinwirkungen vor. Die Umwelt wird aber nur mittelbar dadurch geschützt, dass die Haftung an eine Umwelteinwirkung anknüpft.5

4 Allgemein dazu z. B. C. Hager, NJW 91, 134. 5 Das UmweltHG soll durch den Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum die Lücken

821

1696

§ 113 V

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

2. Nach § 1 UmweltHG ist Voraussetzung der Haftung, dass durch eine Umwelteinwirkung, die von einer bestimmten, enumerativ erfassten, Anlage ausgeht, jemand getötet, seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird und daraus dem Betroffenen ein Schaden entsteht. Reine Vermögensschäden bleiben unersetzt. Verschulden ist nicht erforderlich. Der Schaden muss durch eine Umwelteinwirkung entstanden sein (dazu § 3 I UmweltHG). Die Umwelteinwirkung muss von einer „Anlage“ (z. B. Öltank) ausgehen. Was darunter zu verstehen ist, wird in § 3 II UmweltHG näher bestimmt. § 2 UmweltHG erstreckt die Haftung auf noch nicht und nicht mehr betriebene Anlagen. Welche Anlagen im Einzelnen in Betracht kommen, regelt sich nach der Anlage I zum UmweltHG.6 1697

1698

3. Von der Haftung nach § 1 UmweltHG werden Störfallschäden, Schäden infolge rechtmäßigen Normalbetriebs und aufgrund der Realisierung eines Entwicklungsrisikos umfasst. Keine Ersatzpflicht besteht, soweit der Schaden durch höhere Gewalt verursacht wurde (s. o. Rdn. 646). 4. Nach § 6 I 1 UmweltHG wird die Kausalität vermutet, wenn eine Anlage geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Die Voraussetzungen der Schadenseignung sind in § 6 I 2 UmweltHG näher bestimmt. Danach ist der Geschädigte in dreierlei Hinsicht beweisbelastet: Er muss zunächst nachweisen, dass mit dem Betrieb der Anlage die Freisetzung bestimmter Stoffe verbunden ist.7 Weiter muss er nachweisen, dass zwischen den freigesetzten Schadstoffen und dem erlittenen Schaden eine räumlich-zeitliche Beziehung besteht, und schließlich, dass die Schadstoffe, die die Anlage emittiert hat und denen er ausgesetzt war, geeignet sind, den erlittenen Schaden zu verursachen. Nicht explizit geregelt ist im UmweltHG der Fall, dass als Schadensverursacher mehrere Schadstoffquellen in Betracht kommen. Für die Anwendung des § 6 I 1 UmweltHG wird es jedoch genügen müssen, dass eine Anlage geeignet ist, den Schaden wenigstens mitzuverursachen (so zu Recht G. Hager, aaO 138). Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 II, III UmweltHG ist die Kausalitätsvermutung des § 6 I 1 UmweltHG ausgeschlossen. Liegen die Voraussetzungen für einen Ausschluss nicht vor, kann der Anlageninhaber die Kausalitätsvermutung des § 6 I 1 UmweltHG immer noch widerlegen, § 7 I UmweltHG. 5. Für den Fall, dass mehrere für einen Schaden verantwortlich sind, enthält das UmweltHG keine Bestimmung. Es finden deshalb die allgemeinen Regeln Anwendung (s. dazu oben Rdn. 1680f zu § 830 I 2; vgl. G. Hager, aaO, 139; Palandt/Bassenge, § 906 Rdn. 35). 6. Bezüglich Umfang und Inhalt eines Schadensersatzanspruchs orientiert sich das UmweltHG in §§ 11–15 an den entsprechenden Bestimmungen des HaftpflG und des StVG. Es gilt Anspruchskonkurrenz. Zwei Besonderheiten verdienen Erwähnung: Die Haftung für Sachschäden wird von § 5 UmweltHG unter Voraussetzungen ausgeschlossen, die denen des § 906 II BGB entsprechen. Nach § 16 UmweltHG findet im Fall der Beeinträchtigung eines Naturkomplexes § 251 II BGB mit der Maßgabe Anwendung, dass Aufwendungen für die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes nicht schon deshalb unverhältnismäßig sind, weil sie den Wert der Sache übersteigen. Auch bei § 16 UmweltHG geht der Schadensersatzanspruch allerdings nicht eigentlich auf die Wiederherstellung des früheren Zustands, sondern auf Herstellung der Lage, wie sie sich ohne das schädigende Ereignis darstellen würde.

schließen, die § 906 II 2 BGB und § 14 BImSchG in Fällen von Körperschäden oder Schäden an beweglichen Sachen offenlassen. Soweit sich Ansprüche (u. U. im Fall von Grundeigentum) überdecken, trifft das UmweltHG keine ausschließliche Lösung, § 18 I UmweltHG. 6 Für die Haftung nach dem UmweltHG stellt sich dasselbe Problem wie für § 22 II WHG: Haftet ein Anlageninhaber auch für mittelbares Einwirken, haftet z. B. nicht nur der Abfallbeseitiger, sondern auch der Abfallproduzent? Für § 22 II WHG hat der BGH (NJW 76, 46) eine solche Haftung verneint. 7 Erleichtert wird dieser Nachweis dadurch, dass §§ 8, 9 UmweltHG dem Geschädigten Auskunftsansprüche gegen den Inhaber der Anlage sowie gegen bestimmte Behörden einräumen.

822

Die Billigkeitshaftung

§ 114

7. Nach § 19 UmweltHG sind die Inhaber bestimmter besonders gefährlicher Anlagen verpflichtet, zur Sicherung der nach § 1 UmweltHG bestehenden Haftung eine Deckungsvorsorge zu treffen.

VI. Arzneimittelhaftung und Gentechnikrecht 1. Nach § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) vom 24. 8. 76 (BGBl. I 2445), in Kraft getreten am 1. 1. 1978, haftet, wer ein Arzneimittel i. S. d. § 2 AMG in Verkehr bringt, für Schäden an Leben, Körper, Gesundheit, die durch schädliche Wirkungen (oder Nebenwirkungen) des Mittels entstanden sind, wenn Entwicklungs-, Konstruktions-, Herstellungs-, Instruktions- oder Kennzeichnungsfehler (vgl. Esser/Weyers, § 64, 7) bei diesem Mittel unterlaufen sind, die „über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß“ hinausgehen (vgl. o. Rdn. 1607). Verschulden ist nicht erforderlich. Die Haftungsgrenzen ziehen die „Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“. § 88 AMG sieht sowohl für den Fall der Verletzung eines Einzelnen (Nr. 1) wie den Fall der Verletzung mehrerer Personen (Nr. 2) Haftungshöchstgrenzen vor. Es besteht eine allgemeine Haftptlichtversicherungspflicht (§ 94 AMG) sowie eine besondere zugunsten von „Probanden“ (§ 40 I Nr. 8 AMG). Das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 2002 (s. o.) hat (in Anlehnung an das UmweltHG) Erleichterungen beim Nachweis der Kausalität eingeführt. Gem. § 84 II AMG wird vermutet, dass ein bestimmter Schaden durch ein Arzneimittel verursacht worden ist, wenn dieses nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Anlass dieser Vorschrift waren die oft unüberwindbaren Beweisschwierigkeiten von Patienten, welche durch Blutkonserven verschiedener Hersteller mit HIV infiziert wurden (vgl. § 84 II 4 AMG). Der Überwindung von Beweisschwierigkeiten dient auch die Einführung eines Auskunftsanspruchs gegen pharmazeutische Unternehmer und Behörden in § 84a AMG. Der Anspruch richtet sich auf Informationen über Wirkungen, Nebenwirkungen und andere Umstände, welche für die Bewertung der Vertretbarkeit (s. § 5 AMG) von Arzneimitteln von Bedeutung sind. 2. Nach dem Gentechnikgesetz – GenTG – 8 besteht eine Gefährdungshaftung bis zu einem Haftungshöchstbetrag von 85 Millionen Euro. Schuldner ist der Betreiber der gentechnischen Anlage.

1699

VII. Ersatzpflicht aus Zwangsvollstreckung Vollstreckt der Gläubiger aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil, so tut er dies auf eigene Gefahr. Darum macht § 717 II ZPO den Gläubiger ersatzpflichtig, wenn ein solches Urteil aufgehoben oder abgeändert wird; BGHZ 85, 110. Entsprechendes gilt in den Fällen der §§ 302 IV 3, 600 II, 945, 1041 IV, 1065 II 2 ZPO.

1700

C. Die Billigkeitshaftung § 114 Abilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987; Deutsch, JZ 64, 86; ders., Haftungsrecht, Bd. I: Allgemeine Lehren, 1976 19; Geilen G., FamRZ 65, 401; Lehnertz, VersR 74, 940; Lorenz, E., FS Medicus, 1999, S. 353; Medicus, VersR 81, 593; Rauscher, JuS 85, 757; Waibel, Die Verschuldensfähigkeit des Minderjährigen im Zivilrecht, 1970.

Ist jemand nach §§ 827, 828 nicht deliktsfähig, kommt eine Haftung nach §§ 823ff grundsätzlich nicht in Betracht. Unter den Voraussetzungen des § 829 kann er dennoch zum Schadensersatz verpflichtet sein. 8 Vom 20. 6. 1990, BGBl. I 1080, in Kraft seit 1. 7. 1990, zusammen mit fünf Rechtsverordnungen, für die ebenso wie für das GenTG grundsätzlich Schutzgesetzcharakter i. S. v. § 823 II BGB anzunehmen ist, s. o. Rdn. 1626ff. Guter Überblick bei Heidrich, H. G., Gentechnikrecht, MPG-Spiegel 3/91, 6ff.

823

1701

§ 115

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

1. Voraussetzung für die Billigkeitshaftung nach § 829 ist zunächst, dass der Schädiger eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung begangen hat. § 829 verweist zwar nur auf die §§ 823–826, erfasst sind jedoch auch die übrigen Ausformungen der Grundtatbestände, §§ 830 I 2, 831, 833 S. 2, 834, 836–838 (vgl. Jauernig/ Teichmann, § 829 Rdn. 1). 2. Die Haftung muss gemäß §§ 827, 828 ausgeschlossen sein. Die Rechtsprechung hat den § 829 über den Bereich der §§ 827, 828 hinaus angewandt. Im Fall BGHZ 23, 90, 98 erlitt ein Kraftfahrer eine Gehirnblutung, seine Bewusstlosigkeit hatte ein solches Ausmaß erreicht, dass es juristisch gesehen bereits an einer Handlung fehlte. § 829 wurde über den Bereich des § 827 hinaus angewandt. Im Fall von BGHZ 39, 281, 286 (– Ritterspiel –) wurde § 829 über den § 828 hinaus angewandt mit der Annahme, ein Jugendlicher, der zwar die erforderliche Einsichtsfähigkeit besitzt, dem aber bei Berücksichtigung seines Alters kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, könne nach § 829 haften. Um eine nicht gerechtfertigte Schlechterstellung des Verschuldensunfähigen zu vermeiden, kann § 829 dann keine Anwendung finden, wenn unter gleichen Voraussetzungen ein Verschuldensfähiger ebenfalls nicht haften würde (BGH NJW 62, 2202). 3. Die Behauptung und der Nachweis der Unmöglichkeit, anderweitig Ersatz verlangen zu können, obliegen nach der Formulierung des § 829 („sofern … nicht“) dem geschädigten Kläger. 4. Die Billigkeit muss nach den Umständen eine Schadloshaltung erfordern. Zu berücksichtigen sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Verhältnisse der Beteiligten.

1702

Problematisch und relevant sind heute nicht so sehr die Fälle, in denen der reiche Verschuldensunfähige den Armen schädigt. Strittig und häufig sind die Fälle, in denen Schädiger wie Geschädigter versichert sind. Die Frage ist, sollen solche Versicherungen bei der Beurteilung der „Umstände“ berücksichtigt werden (vgl. Jauernig/Teichmann, § 829 Rdn. 4; LG Heilbronn NJW 2004, 2391, mit einer Unterscheidung zwischen freiwilliger und gesetzlicher Versicherung)? 5. Hat ein nach §§ 827, 828 nicht Verantwortlicher einen ihm entstandenen Schaden, für den ihm ein anderer haftet, selbst mitverursacht, so kann § 829 im Rahmen des § 254 entsprechend angewendet werden. Von der Rechtsprechung wird dies allerdings nur mit großer Zurückhaltung vorgenommen (vgl. Palandt/Sprau § 829 Rdn. 1). 6. Haften nach § 840 I Schädiger und Aufsichtspflichtiger gemäß §§ 831, 832 gesamtschuldnerisch, und ist der Schädiger nicht verschuldensfähig, aber nach Billigkeitsgrundsätzen haftbar, so haftet im Innenverhältnis zwischen verschuldensunfähigem Schädiger und Aufsichtspflichtigem der Aufsichtspflichtige allein, § 840 II.

II. Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen § 115 Schaden, Verursachung (Kausalität), Rechtswidrigkeit, Verschulden S. vor allem oben §§ 51–56; ferner: Bodewig, AcP 185 (1985) 506 (Massenschäden); Fischer, H. A., Die Rechtswidrigkeit, 1911; Heinitz, Materielle Rechtswidrigkeit, 1926; Hommers, Die Entwicklungspsychologie der Delikts- und Geschäftsfähigkeit, 1983; Jansen, AcP 202 (2002) 517; Ohly, „Volenti non fit iniuria“ – Die Einwilligung im Privatrecht, 2002; Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004; Rother, (II.) FS Larenz, 1983, 537; Schreiber, K., Jura 1997, 29; Stathopoulos, (II.)

824

Schaden, Verursachung, Rechtswidrigkeit, Verschulden

§ 115 III

FS Larenz, 1983, 631; Stoll, Hans, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968; Traeger, Kausalbegriff, 1904; Waibel, Die Verschuldensfähigkeit des Minderjährigen im Zivilrecht, 1970; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, 1960; ders., JZ 63, 205; Wolf, J. G., Der Normzweck im Deliktsrecht, 1962.

I. Überblick Die §§ 107–114 betrafen die Verletzungshandlungen des Deliktsrechts, gegliedert in Verschulden-, Gefährdungs- und Billigkeitshaftung. Zum Tatbestand einer vollendeten unerlaubten Handlung zählen noch weitere Merkmale: Ein Schaden (II.) muss durch die Verletzungshandlung ursächlich herbeigeführt (III.) worden, dies muss (außer in den Fällen der Gefährdungshaftung) rechtswidrig (IV.) und in der Regel, nicht im Fall des § 829 – schuldhaft (V.) geschehen sein. Im Gutachten ist diese Reihenfolge – objektiver Tatbestand (Verletzungshandlung, Schaden, Kausalität), Rechtswidrigkeit, Schuld - in aller Regel einzuhalten. Dies entspricht dem Aufbau der Prüfung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs, §§ 51–57 oben. Auf die dortigen grundsätzlichen Ausführungen ist daher zu verweisen. Im Nachstehenden werden nur die Besonderheiten des Deliktsrechts im Bereich dieser vier Tatbestandsvoraussetzungen erwähnt.

1703

II. Der Schaden Zu ersetzen sind nicht nur der Eingriff, also der sog. Verletzungsschaden, das „Loch“ in der Außenwelt (Neumann-Duesberg), sondern auch die Folgeschäden, soweit sie normrelevant sind, oben Rdn. 592. § 823 I spricht zunächst von den Rechtsverletzungen, danach von den „daraus“ entstandenen Schäden. Diese daraus entstandenen Schäden sind die Folgeschäden. Das Interesse ist der Betrag der Wiedergutmachung. Es ist der Unterschied, der sich aus einem Vergleich zwischen dem wirklichen Kausalverlauf von Handlung zum Schaden mit einem hypothetischen Kausalverlauf von der hinweggedachten Handlung zum Nichteintritt des Schadens ergibt. – Die Unterscheidung „unmittelbarer“ und „mittelbarer Schaden“ wird abgelehnt, oben Rdn. 603. Die Unterscheidung des Verletzungsschadens und der Folgeschäden ist von Bedeutung für die Verschuldensfrage. Der Verletzungsschaden („der Eingriff“) muss verschuldet sein. Darüber hinaus muss auch die Auslösung des Folgeschadens vom Verschulden umfasst sein („ohne Schuld kein Schadensersatz“), dies gilt aber nicht für den Umfang der Folgeschäden, s. oben Rdn. 583.

1704

Wer einen andern leicht fahrlässig mit dem Fahrrad überfährt, haftet schon, wenn er nur die erforderliche Sorgfalt des Straßenverkehrs gegenüber der verletzten Person in der gegebenen Situation außer acht gelassen hat. Ihm ist vorzuwerfen, dass er an die Möglichkeit der Verletzung durch das Überfahren und an einen daraus entstehenden Schaden nicht gedacht hat. Dass der Verletzte möglicherweise Arzt- oder Krankenhauskosten zahlen muss, in Erwerb und Fortkommen geschädigt wird, eine Querschnittslähmung erleidet, ja dass er an einer Krankenhauskomplikation sterben kann, gehört nicht zum Sorgfaltsverletzungsvorwurf. Trotzdem haftet der Verletzer dafür und für alle anderen normalrelevant kausalen Schadensfolgen, vgl. oben Rdn. 684.

III. Verursachung (Kausalität) Auch hierzu ist oben § 53 das Notwendigste gesagt. Auch im Deliktsrecht muss die Kausalität Handlung und Schaden verbinden. Nicht normrelevante kausale Schädigungen sind nicht zu ersetzen. Nach einem Autounfall wird A bauchoperiert. Dabei wird eine Darmanomalie entdeckt und kunstgerecht entfernt. A stirbt an einer Entzündung der Nahtstelle der entfernten Darmanomalie,

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§ 115 V

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

vgl. BGHZ 25, 86 gegen Vorinstanz OLG Stuttgart, VersR 57, 469 und J. G. Wolf, aaO, S. 4, 48. Der Tod ist zwar äquivalent durch den Unfall bedingt, aber nicht normrelevant verursacht. Zwar ist der Verlauf nicht ganz ungewöhnlich, doch fehlt „jeder Zusammenhang mit der Unfallverletzung“, so BGH aaO. Zur besonderen Problematik der Verfolgungsschäden vgl. BGHZ 57, 25 = ESJ 121; BGH NJW 2002, 2232; zur Zurechnung eines Zweitunfalls s. BGH NJW 2004, 1375.

IV. Rechtswidrigkeit 1706

Über ihre Ermittlung im Deliktsrecht, namentlich in § 823 I und II, ist ausführlich gesprochen worden. Von Rechtfertigungsgründen sind im Deliktsrecht insb. die nachgenannten von Bedeutung: 1. Eigenes subjektives privates oder öffentliches Recht, z. B. Jagdrecht, Eigentum (BGHZ 14, 304). 2. Notwehr, Notstand, Selbsthilfe, übergesetzlicher Notstand. 3. Einwilligung, s. o. Rdn. 640. 4. Mutmaßliche Einwilligung, 677 ff. 5. Wahrnehmung berechtigter Interessen bei Ehrverletzungen, 193 StGB. Vgl. auch § 824 II. Dazu oben Rdn. 642.

V. Schuld (soweit Verschuldenshaftung besteht) 1707

1708

1. Sie setzt zunächst Schuldfähigkeit voraus. Die deliktische Schuldfähigkeit ist in §§ 827, 828 geregelt. Deliktsunfähig sind Kinder unter 7 Jahren, 828 I, Bewusstlose, Geisteskranke, 827. Minderjährige vom 7. bis 18. Lebensjahr sind beschränkt deliktsfähig. Es kommt auf die Fähigkeit an, die eigene Verantwortlichkeit für den angerichteten Schaden einschließlich des Unrechts ihrer Tat zu erkennen. Das wird von der Art der Tat und vom Reifezustand des Minderjährigen abhängen. Die Schwelle der individuell festzustellenden Einsichtsfähigkeit ist niedrig anzusetzen. Es genügt die „Erkenntnis einer allgemeinen Gefahr und eines allgemeinen Schadens“ (BGH NJW 84, 1958). Nicht nötig ist die Fähigkeit, entsprechend einer besseren Einsicht zu handeln. Zurechnungsfähigkeit und Verschulden des Jugendlichen sind zu unterscheiden. Für die Frage der Zurechnungsfähigkeit ist auf die individuellen Fähigkeiten des Jugendlichen abzustellen. Für die Schuldfrage kommt es darauf an, ob das Verhalten des Jugendlichen dem entspricht, das man von einem normal entwickelten Jugendlichen dieses Alters erwarten kann. Handelt der Täter aus altersbedingten Gründen schuldlos, so entfällt die Haftung, auch wenn er die erforderliche Einsicht nach § 828 III hat (Palandt/Sprau, § 828, Rdn. 7). Unter Umständen kommt aber eine Haftung über § 829 in Betracht (s. o.). Wer sich bis zur Bewusstlosigkeit berauscht, haftet wie ein Fahrlässiger – falls er nicht ohne Verschulden in diesen Zustand geraten ist, 827 S. 2. Durch das 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 2002 wurde eine Sonderregelung für sieben- bis zehnjährige Kinder hinsichtlich bestimmter Verkehrsunfälle getroffen. Geht es um Unfälle mit einem Kraftfahrzeug (oder mit einer Schienen- oder Schwebebahn), sind Kinder dieser Altersgruppe gem. § 828 II nur ausnahmsweise (nämlich nur bei Vorsatz) verantwortlich. Praktische Bedeutung hat diese Vorschrift in erster Linie für das Mitverschulden: Bei sieben- bis zehnjährigen Kindern, die Opfer eines Verkehrsunfalls werden, kommt wegen § 828 II eine Anspruchskürzung nach § 254 nicht (bzw. nur bei Vorsatz) in Betracht (Gesetzesbegründung in BTDrucks 14/7752, S. 26). Zum Minderjährigenschutz aufgrund der Abschaffung des „unabwendbaren Ereignisses“ in § 7 II StVG s. bereits oben Rdn. 1690. Ein schuldfähiger Minderjähriger kann unter Umständen dem Geschädigten entgegenhalten, dieser hätte die Minderjährigkeit erkennen und sein Verhalten darauf einstellen müssen. So gibt BGH

826

Erlaubte Eingriffe in fremde Rechte

§ 116

NJW 73, 1790 dem Minderjährigen einen Gegenanspruch aus culpa in contrahendo, weil er aufgrund eines Aufklärungsmangels durch einen Kfz-Vermieter keine Kaskoversicherung abgeschlossen hat; dazu Medicus, JuS 74, 221.

2. Die Schuld muss sich in einer der beiden Schuldformen, Vorsatz oder Fahrlässigkeit, ausdrücken, 276, oben § 55. Wer nicht vorsätzlich handelt, handelt deswegen nicht notwendig fahrlässig. Es kann auch Schuldlosigkeit vorliegen. 3. Entschuldigungsgründe wirken schuldbefreiend, z. B. Handeln auf nicht erkennbar rechtswidrigen Befehl, vgl. BGHZ 3,108.

2. Unterabschnitt § 116 Erlaubte, aber zu Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtende Eingriffe in fremde Rechte Battis, Erwerbsschutz durch Aufopferungsentschädigung, 1969; Deutsch, Haftungsrecht, Bd.I: Allgemeine Lehren, 1976, § 23; Horst, Querverbindungen zwischen Aufopferungsanspruch und Gefährdungshaftung einerseits und Aufopferungsanspruch und Eingriffserwerb andererseits, 1966; Hubmann, JZ 58, 489; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, 1969; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, 2006; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998; Petersen, Duldungspflichten und Umwelthaftung, 1996; Spyridakis, FG Sontis, 1977, 241; Steffen, DRiZ 67, 110; Tondorf, Der Aufopferungsanspruch im Zivilrecht, Diss. Köln, 1965; Weimar, W., NJW 62, 2093;Wenzel, NJW 2005, 241; Wilts, NJW 62, 1852.

I. Einordnung. Grundsätzlich lösen nur rechtswidrige Eingriffe die Schadensersatzfolge aus, 823ff, oben Rdn. 1404. Ausnahmsweise ziehen aber auch rechtmäßige Eingriffe in fremde Rechte, namentlich in fremdes Eigentum, einen Ersatzanspruch nach sich. Ihren Grund haben diese Ausnahmen sämtlich in besonderen Not- oder Konfliktsituationen, die zwar den Eingriff geboten und daher rechtmäßig, das durch ihn auferlegte besondere Opfer aber ausgleichsbedürftig erscheinen lassen. Entscheidend ist also, ob dem Einzelnen im Interesse der Allgemeinheit ein Sonderopfer auferlegt worden ist, das andern nicht zugemutet wird, BGHZ 48, 101; BGHZ 65, 196 – Wehrdienst –. Gegenbegriff ist das allgemeine Lebensrisiko, das jeder zu tragen hat und das er nicht auf die Allgemeinheit abwälzen kann, BGHZ 46, 327 (Körperverletzungen beim ordnungsgemäß abgewickelten Schulturnunterricht unterfallen dem allgemeinen Lebensrisiko). So muss z. B. jeder dulden, dass die Polizei ihn unter den gesetzlichen Voraussetzungen in Anspruch nimmt, BGHZ 45, 23 (Untersagung einer lästigen Schweinemästerei keine Enteignung), ähnlich BGHZ 67, 252 – Schweinemästerei –. II. Der Grundsatz. Entnommen aus §§ 904, 906 II 2, 912, 917, 867, 962; 14 BImSchG von privatrechtlicher Seite sowie aus Art. 74, 75 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht von öffentlich-rechtlicher Seite, zählt folgender Grundsatz zum deutschen Gewohnheitsrecht: Muss der Inhaber eines Rechts im überwiegenden Interesse eines andern oder der Öffentlichkeit in einem Einzelfall einen Eingriff dulden, so kann er zum Ausgleich hierfür Schadensersatz (so richtig Palandt/Bassenge § 906 Rdn. 43, 33; a. A. die Rechtsprechung, die nur einen Entschädigungsanspruch anerkennt, BGHZ 147, 45; BGH NJW 2003, 2377), im öffentlichen Recht Entschädigung verlangen („allgemeiner Aufopferungsanspruch“). Im bürgerlichen Recht haftet nach herrschender Meinung grundsätzlich der Eingreifende (Erman/Lorenz, A., § 906 Rdn. 39), im öffentlichen Recht der durch den Eingriff Begünstigte. Die nachstehend beschriebenen einzel-

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1710

§ 116 IV

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

nen Anwendungsarten des allgemeinen Aufopferungsanspruchs gehen ihm als aus ihm gedanklich abgeleitet vor, lassen ihn aber, soweit er über die einzelnen Anwendungsarten hinausgeht, als Rechtssatz des Gewohnheitsrechts unberührt. Historisch verlief die Entwicklung freilich umgekehrt: Der allgemeine Grundsatz wurde den Einzelbestimmungen in rechtsanaloger Weise entnommen (vgl. RGZ 167, 25). Ansprüche aus Aufopferung verjähren sowohl bei rechtmäßigen wie bei rechtswidrigen Eingriffen gem. §§ 195, 199 in drei Jahren.

III. Besondere privatrechtliche Aufopferungsansprüche 1711

1. Nach § 904 muss der Eigentümer die Einwirkung eines andern auf die Sache dulden, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist. Der Eigentümer kann nach § 904 S. 2 Ersatz verlangen, nach herrschender Meinung vom Einwirkenden, der als Geschäftsführer mit oder ohne Auftrag den Geretteten in Anspruch nehmen kann. Jemand bricht im Eis ein. Zu seiner Rettung reißt R eine Planke vom Bootssteg des E. R haftet dem E aus § 904 S. 2 wegen der Reparatur. Dem R haftet der Gerettete aus §§ 677, 683 S. 1, 670. De lege ferenda verdient der Vorschlag Beachtung, den Geretteten direkt dem Beschädigten haften zu lassen; in diesem Sinn bereits für das geltende Recht Larenz/Canaris II 2, § 85 I 1 b. 2. Andere Notfälle mit Eingriffsrecht und Ersatzpflicht enthalten §§ 912 (Überbau); 917 (Notweg), BGHZ 75, 315; 867, 1005 (Abholung); 961, 962 (Bienenschwarm). 3. Mehr dem Konflikts- als dem Notgedanken entspricht der besondere Aufopferungsanspruch aus § 14 BlmSchG i. V. m. § 906 BGB. Gegen immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen, die sich störend auf Nachbarn auswirken, kann nicht aus §§ 903, 1004 auf Beseitigung, sondern nur noch auf Schadensersatz in Geld geklagt werden. § 14 S. 2 BImSchG und § 906 BGB stehen, wenn beide Voraussetzungen vorliegen, in Anspruchskonkurrenz; BGHZ 66, 70; 68, 350; 69, 105 – Flugplatzlärm –, dazu auch 69, 118 und 79, 45; 70, 102; 70, 212 – Großbaustelle –. Bei konkreten Schäden entspricht der Entschädigungsanspruch nach § 906 II 2 einem Schadensersatzanspruch (vgl. G. Hager, NJW 91, 134, 135; BGH NJW 87, 2810, 2812). 4. Ein weiterer Anwendungsfall des allgemeinen Aufopferungsanspruchs im Privatrecht ist der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 II 2, für Einwirkungen vom benachbarten Grundstück, die wesentlich beeinträchtigen, aber aus besonderen rechtlichen oder faktischen Gründen nicht nach § 1004 abgewehrt werden können, BGHZ 142, 66; 144, 200; 147, 45; BGH NJW 2003, 2377; 2004, 3701; MünchKomm/Säcker, § 906, Rdn. 141; Buchner/Roth, Unerlaubte Handlungen, 2. Aufl. 1984, 215ff.

IV. Besondere öffentlich-rechtliche Aufopferungsansprüche 1712

Entgegen den Vorauflagen (bis zur 7. Aufl.) wird auf eine Darstellung besonderer öffentlichrechtlicher Aufopferungsansprüche verzichtet. Eine der immer schwieriger gewordenen Materie angemessene Darstellung würde den Rahmen dieses (schuldrechtlichen) Lehrbuches sprengen.

828

Rechtsfolgen unerlaubter Handlungen

§ 117 II

3. Unterabschnitt § 117 Die Rechtsfolgen unerlaubter und erlaubter, aber zu Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtender Handlungen S bereits die allgemeine schadens- und deliktsrechtliche Literatur oben §§ 51 ff und 106. Literatur zu III und IV: Eckelmann, Die Berechnung des Schadensersatzes bei Tötung unterhaltspflichtiger Personen, 1978; Kilian, AcP 169 (1969) 443; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 8. Aufl. 2004; Pardey, Berechnung von Personenschäden, 3. Aufl. 2005; Pfeifer, AcP 205 (2005) 795; Röckrath, VersR 2001, 1197; Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003; Schneider, VersR 1981, 493 (Rentenberechnungsbeispiel); Schubel, AcP 198 (1998) 1. Zu V: Coester-Waltjen, Jura 2001, 133; Däubler, NJW 1999, 1611; Funkel, Schutz der Persönlichkeit durch Ersatz immaterieller Schäden in Geld, 2001; Siemes, AcP 201 (2001) 202. Zu VII: Büning, Die Verjährung der Ansprüche aus unerlaubten Handlungen, 1964; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, Wettbewerbsrecht – Kommentar, 24. Aufl. 2006; Mansel, NJW 2002, 89; Zimmermann, JZ 2000, 853; Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst, JZ 2001, 684.

I. Schadensersatz 1. Der durch die unerlaubte Handlung entstandene Schaden ist zu ersetzen, 249. Das gleiche gilt für erlaubte, zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen (oben § 116). Über den Umfang und die Arten des Schadens wurde oben Rdn. 1704 bei den Tatbestandsvoraussetzungen das Notwendige gesagt, vgl. auch die grundsätzlichen Bemerkungen zur schuldrechtlichen Schadenszurechnung oben §§ 51 ff. 2. Zu ersetzen ist der Verletzungs- (z. B. des Körpers) und der gesamte Vermögensschaden. Das gilt auch in den Fällen des § 823 I, sofern nur dem Vermögensschaden die Verletzung eines absoluten Rechts vorangeht, oben Rdn. 1570. 3. Die Frage, ob nach §§ 823ff das positive oder negative Interesse zu ersetzen ist, stellt sich nicht. Da, anders als beim Vertrag, nichts versprochen wird, lässt sich der Zustand bei Einhaltung des Versprechens (positives Interesse) mit dem des unterlassenen Versprechens (negatives Interesse) nicht vergleichen, vgl. oben Rdn. 696. Wenn überhaupt, lässt sich der Ersatz einer unerlaubten Handlung mit dem negativen Interesse vergleichen: Der Zustand ist herzustellen, der bestünde, wenn man sich das vertragliche Versprechen oder die unerlaubte Handlung hinwegdenkt. Besteht also z. B. der Schaden darin, dass jemand am Abschluss eines Vertrags gehindert wurde, umfasst der geschuldete Schadensersatz den Vertragsschluss (Vollstreckung nach § 894 ZPO).

1713

II. Besonderheiten bei Sachentziehungen und -beschädigungen 1. Wer durch unerlaubte Handlung eine Sache entzogen und sie zurückzugeben hat, haftet für ihren zufälligen Untergang, 848. Das gilt nicht, wenn die Entziehung für ihren Untergang nicht ursächlich ist. „Fur semper in mora“, der Dieb ist immer im Verzug, vgl. § 287 S. 2. §§ 287 S. 2, 678 und 848 sind keine Randerscheinungen, sondern Vorschriften mit ähnlicher Bedeutung, die für die Grundsätze des deutschen Schadensrechts von entscheidender Bedeutung sind, oben Rdn. 472: Wer etwas vorenthält, haftet für Zufall.

829

1714

§ 117 V

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

2. Es gilt eine 4 %ige Zinspflicht bei Geldersatz für Sachentziehung und -beschädigung, 849, 246. Ist der Nutzungsentgang kommerzialisiert und somit ersatzfähiger Schaden, kann der Geschädigte daneben noch einen Anspruch aus § 849 geltend machen, wenn er zeitliche Überschneidung dabei vermeidet, BGHZ 87, 38. 3. Hinsichtlich der Verwendungen auf die herauszugebende Sache gelten Eigentumsregeln, 850, 994–1003. 4. Der Geldersatz steht dem Berechtigten zu. Befand sich die Sache zur Zeit der Entziehung oder Beschädigung bei einem andern, ist es für den Täter oft nicht erkennbar, wer Inhaber des Schadensersatzanspruchs ist. Zugunsten des Täters bestimmt § 851, dass er bei Leistung an den Besitzer der Sache befreit wird. Maßgebend ist der Besitz im Zeitpunkt der unerlaubten Handlung. Kenntnis und grobfahrlässige Unkenntnis des wahren Berechtigten schaden dem Täter: Er wird nicht befreit. Hat er befreiend geleistet, erfolgt der Ausgleich zwischen Geldempfänger und wahrem Berechtigten nach § 816 II.

III. Besonderheiten bei Personenverletzungen 1715

1. Nach § 842 sind auch Erwerbs- und Fortkommensnachteile zu ersetzen. Das Gesetz nennt hier einmal typische Folgeschäden beim Namen, vgl. oben Rdn. 687. Auf sie braucht sich das Verschulden bei der Handlung nicht zu beziehen. 2. Erwerbsminderungen und Vermehrung von Bedürfnissen (z. B. laufend benötigte Medikamente) sind in Gestalt einer Geldrente wieder gutzumachen, 843; BGHZ 79, 187; auch überbrückungsweise bis zum Einsetzen der sozialen Rentenversicherung, BGHZ 46, 332 mit 69, 347. § 760 regelt die Zahlungsweise, 843 II. Bei wichtigem Grund kann der Verletzte, nicht der Verletzer, Abfindung in Geld verlangen, 843 III. Die Unterhaltspflicht Dritter wirkt nicht schadensmindernd, 843 IV s. o. Rdn. 778 (nur scheinbare Gesamtschuld, BGH NJW 2004, 2892).

IV. Ansprüche mittelbar Geschädigter 1716

1. Grundsätzlich kann jeder nur seinen eigenen Schaden ersetzt verlangen, oben Rdn. 610. §§ 844, 845 enthalten demgegenüber einige gesetzliche Fälle des nur ausnahmsweise vorgesehenen Drittschadensersatzes, dazu noch oben Rdn. 611. 2. Im Fall der Tötung muss der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen erstatten, der sie nach erbrechtlichen Vorschriften zu tragen hat, 844 I, vgl. § 1968; BGHZ 32, 72 (kein Reisekostenersatz). 3. War der Getötete Dritten aufgrund Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet oder konnte er unterhaltspflichtig werden, so besitzen die Dritten gegenüber dem Täter unter den Voraussetzungen des § 844 II einen Schadensersatzanspruch. Dies gilt entsprechend für den nasciturus („nasciturus pro iam nato habetur quotiens de commodis eius agitur“), § 844 II 2. Der im Haushalt tätige Ehepartner leistet keine Dienste im Sinne des § 845, sondern erfüllt seine Unterhaltspflicht aus § 1360 (s. dazu BGHZ 50, 304 = ESJ 132); dies gilt auch für eine Mitarbeit des getöteten Ehegatten im Rahmen des § 1356, soweit der Ehegatte dazu verpflichtet war (vgl. Medicus, BürgR, Rdn. 836). Anspruchsberechtigt gem. § 844 II sind die unterhaltsberechtigten Angehörigen nach Anteilen (vgl. Jauernig/Teichmann, § 844 Rdn. 6). Wird ein Ehepartner verletzt, so stellt es einen Nachteil i. S. d. § 842 dar, wenn er seiner Unterhaltsverpflichtung in Form seiner Tätigkeit nicht mehr nachkommen kann. Entsprechendes gilt bei gesetzlichen Dienstleistungspflichten, 845, vgl. 1619, und zwar außer im Falle der Tötung, auch bei Körper-, Gesundheits- und Freiheitsverletzung; BGHZ 69, 380; 77, 157; 86, 372. Trägt in den Fällen der §§ 844, 845 der Getötete oder Verletzte ein Mitverschulden, so muss sich der anspruchsberechtigte Dritte dies nach § 254 entgegenhalten lassen, 846, BGHZ 4, 170 (bei Schockschäden nicht § 846 analog, BGHZ 56, 163!).

V. Immaterieller Schaden („Schmerzensgeld“) 1717

Grundsätzlich wird nach deutschem bürgerlichen Recht nur materieller; d. h. das Vermögen betreffender Schaden ersetzt. Das gilt sowohl für Schaden an Materialgüter-

830

Rechtsfolgen unerlaubter Handlungen

§ 117 VII

rechten (z. B. Sacheigentum) wie an Immaterialgüterrechten (z. B. Patent, Recht am eigenen Bild). Den Ersatz immateriellen Schadens, also z. B. seelischer oder körperlicher Schmerzen, schließt § 253 I grundsätzlich aus. Davon bestehen zwei Ausnahmen: 1. Nach § 253 II kann für erlittene Schmerzen und anderen Nichtvermögensschäden (z. B. Ehrenerklärungen) bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung eine „billige Entschädigung in Geld“ verlangt werden. Schmerzensgeld wurde früher nur für deliktische Schädigungen gewährt. Durch das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 2002 wurde § 847 (a. F.) gestrichen und in das allgemeine Schadensrecht, nämlich § 253 II überführt. Auch vertragliche Schadensersatzansprüche können deshalb zu Schmerzensgeld führen. Gleichzeitig wurde der Schmerzensgeldanspruch auch auf die Gefährdungshaftung erstreckt (s. z. B. §§ 11 S. 2 StVG, 6 S. 2 HPflG). Zum Schmerzensgeld s. deshalb bereits oben Rdn. 680. 2. Die andere Ausnahme beruht auf der Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 26, 349 – Herrenreiterfall –, die im Falle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den Immaterialschadensersatz zulässt, vgl. oben Rdn. 1590. Ein Anspruch setzt eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts voraus, die nicht auf andere Weise, insbesondere durch Naturalrestitution, ausgeglichen werden kann (BGH NJW 2000, 2195, 2197). Die Höhe der Entschädigung bemisst sich in erster Linie nach dem Genugtuungsbedürfnis des Verletzten. Handelt es sich um vermögenswerte Bestandteile des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, kann der Schaden – wie allgemein im Immaterialgüterrecht – auf dreifache Weise berechnet werden, also entweder konkret, nach Lizenzanalogie oder aber nach der Höhe des Verletzergewinns (BGH NJW 2000, 2195, 2201). Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass bei Verletzung der vermögenswerten Bestandteile (im Gegensatz zur Beeinträchtigung ideeller Bestandteile des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts) eine besondere Eingriffsintensität nicht Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs ist (BGH NJW 2000, 2195, 2000).

1718

VI. Mitverschulden § 254 (Mitverschulden) ist im Gutachten bei der Prüfung des Umfanges des zu ersetzenden Schadens als letzter Punkt zu berücksichtigen (s. im Einzelnen oben Rdn. 709 ff).

1719

VII. Verjährung 1. Ansprüche aus unerlaubter Handlung verjähren nach § 195 (früher § 852) in 3 Jahren. Dasselbe gilt für die Haftpflichtgesetze, vgl. oben § 113. Ansprüche aus Wettbewerbsverstößen gem. §§ 8, 9, 12 I 2 UWG, einer praktisch besonders wichtigen Gruppe von unerlaubten Handlungen, verjähren nach § 11 UWG in 6 Monaten. Wenn zugleich eine unerlaubte Handlung nach §§ 823 I oder II vorliegt, verdrängt § 11 UWG die allgemeine Regel des § 195, BGHZ 36, 256 – Gründerbildnis –, zum früheren Recht. Anders liegt es im Verhältnis zu §§ 824, 826: Diese „selbständigen“ Ansprüche verjähren nach §§ 195, 199 (Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 11 Rdn. 18 f). Meist ist also baldige Überlegung geboten. 2. Die dreijährige Verjährung nach § 195 beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Verletzte vom Schaden und der Person des Verletzers erfährt, 199 I. Die Kenntnis muss soweit gehen, dass der Verletzte aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadensersatzklage mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg erheben kann (st. Rspr. BGH VersR 86, 1081). Erlangt er keine Kenntnis, verjährt die unerlaubte Handlung gem. § 199 II–IV in zehn oder 30 Jahren, beginnend mit der Entstehung des Anspruchs, bzw. mit der Handlung. 3. Von der für den Verletzer günstigen dreijährigen Verjährung bestehen zu seinen Gunsten die folgenden Ausnahmen: a) die Verjährung ist gehemmt (s. § 209), solange zwischen Gläubiger und Schuldner Verhandlungen über den Ersatz schweben, 203. Diese Regelung galt ursprünglich nur für das Deliktsrecht (§ 852

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1720

1721

§ 118

Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)

II a. F.), wurde aber durch das SMG zum allgemeinen Hemmungstatbestand für alle Ansprüche ausgebaut. b) Die Dreijahresfrist beeinflusst nicht Herausgabeansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, 852, 812ff. Sie verjähren in zehn Jahren seit Entstehung des Anspruchs, bzw. in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung, bzw. dem sonstigen schadensauslösenden Ereignis an. Aus § 852 folgt entgegen der h. M. nicht, dass aus jedem Delikt eine Bereicherung fließen kann. Man bringt dieses Problem auf die Formel, ob § 852 nur eine Rechtsfolgenverweisung enthält oder auch eine Rechtsgrundverweisung. Das zweite ist richtig, so dass alle Voraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs in § 852 vorliegen müssen; wie hier Staud./W. Lorenz, Vorbem. zu §§ 812–822 Rdn. 17; a. A. BGHZ 71, 86 (98); Larenz/Canaris II/2 § 83 V 2. c) Eine peremptorische (d. h. dauernde) Einrede der unerlaubten Handlung bleibt dem Verletzten, wenn er aus einer Forderung in Anspruch genommen wird, die gegen ihn durch unerlaubte Handlung begründet wurde (z. B. durch Betrug), 853. Drei Jahre lang richtet sich sein Anspruch aus §§ 823 ff, 249 auf Schadensersatz, d. h. hier auf Aufhebung der Forderung. Aber auch danach kann er die Erfüllung mit der Einrede aus § 853 dauernd verweigern. Es handelt sich um eine echte Einrede, die vorgebracht werden muss, nicht um eine von Gerichts wegen zu beachtende Einwendung. d) Der Beseitigungs- (Widerrufs-) und Unterlassungsanspruch (unten § 118), § 1004 analog, verjährt grundsätzlich in drei Jahren, 195, zum Verjährungsbeginn beachte § 199 V. Zur Konkurrenz kürzerer vertraglicher Verjährungsfristen mit längeren deliktischen s. oben Rdn. 1545.

VIII. Aufrechenbarkeit 1722

Gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung kann nicht aufgerechnet werden, 393. Sonst würde bald Faustrecht gelten: Wer eine nicht betreibbare Forderung hat, soll nicht dazu verleitet werden, sich durch eine an seinem Schuldner begangene unerlaubte Handlung im Wege der Aufrechnung Befriedigung zu verschaffen.

4. Unterabschnitt § 118 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch. Gruppenklage, Verbandsklage Baur, AcP 160 (1961), 465; ders., AcP 175 (1975), 177 (zu Picker); De Boor, Gerichtsschutz und Rechtssystem, 1941; Eltzbacher, Die Unterlassungsklage, 1906; Geigel, Die vorbeugende Unterlassungsklage, 1923; Henckel, AcP 174 (1974), 97; Hohloch, Die negatorischen Ansprüche und ihre Beziehungen zum Schadensersatzrecht, 1976; Jacobsohn, Unterlassungsklage, 1912; Kötz, AcP 174 (1974), 145; Lehmann, Heinrich, Die Unterlassungspflicht im BGB, 1906; Leipold, ZZP 84, 150; Mertens, NJW 72, 1783; Münzberg, JZ 67, 689; Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 2. Aufl. 2005; Ritter, ZZP 84, 163; Rötelmann, NJW 71, 1636; Rosenthal, Die Unterlassungsklage, 1916; Schneider, E., MDR 78, 613; Wesel, FS v. Lübtow, 1969, 787; Zeuner, FS Dölle, Bd. I, 1963, 295.

1723

I. Ein deliktischer Schadensersatzanspruch setzt tatbestandsmäßige, rechtswidrige und grundsätzlich schuldhafte Schädigungen voraus. In §§ 12, 1004 kennt das Gesetz andere Sanktionen für den Eingriff in absolute Rechte: Wer auch nur rechtswidrig den Namen (§ 12) oder das Eigentum (§ 1004) eines anderen verletzt, kann auf Beseitigung der Störung, und, bei Besorgnis ihrer Wiederholung, auf Unterlassung künftiger Störungen verklagt werden. Der Oberbegriff zum Beseitigungs- und zum Unterlassungsanspruch heißt oft (z. B. im Wettbewerbsrecht) Abwehranspruch. Seine Bedeutung besteht insbesondere in Folgendem:

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Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch

§ 118

Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche sind nicht nur in §§ 12, 1004 geregelt, sondern finden sich noch in etlichen anderen Vorschriften, beispielsweise in §§ 862, 1029, 1090 II für den Besitz, §§ 1027, 1065, 1090 II für die Dienstbarkeiten (s. beispielsweise noch die Abwehransprüche in § 37 II HGB und §§ 14 V, 15 IV MarkenG). Solche Regelungen fehlen allerdings für Ansprüche aus §§ 823 ff. Da aber, wie ausgeführt, solche Regelungen rechtspolitisch sinnvoll sind, hat die Rechtsprechung (seit RGZ 60, 7) Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch dem allgemeinen Deliktsrecht nutzbar gemacht. Dies geschah durch eine zweistufige Ausdehnung der in den genannten Vorschriften geregelten Ansprüche: 1. Zunächst wurden diese Ansprüche auch bei anderen absolut geschützten Rechten als Name und Eigentum gewährt. Solch einen Anspruch kann man wie den aus § 1004 I „negatorischen“ Anspruch nennen. Wer also z. B. die Gesundheit eines anderen zu verletzen droht, kann – auch wenn ihm kein Verschuldensvorwurf zu machen ist – von diesem auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. 2. Sodann wurde dieser Schutz weiter ausgedehnt auf alle deliktischen Tatbestände, also Eingriffe in Rahmenrechte, Schutzgesetzverletzungen, besondere Deliktstatbestände (§§ 824, 825) und sittenwidrige Schädigungen (§ 826). Hiermit stimmt überein, dass z. B. das UWG in § 8 bei Wettbewerbsverstößen, also Unternehmens- und Schutzgesetzverletzungen, einen Unterlassungsanspruch ohne Verschulden gewährt. Solche Ansprüche nennt man „quasinegatorische“ Ansprüche (allerdings ist die Ausdrucksweise auf diesem Gebiet nicht einheitlich, nur bei § 1004 I spricht man allgemein von negatorischem Anspruch). II. Voraussetzungen für einen Beseitigungsanspruch sind ein objektiv rechtswidriger, beeinträchtigender Eingriff und eine Fortdauer der Beeinträchtigung. Anders meint Jauernig, § 1004 Rdn. 21, entscheidend sei nicht die Rechtswidrigkeit, sondern allein das Maß der Duldungspflicht in § 1004 II (Parallele zu §§ 985, 986). Richtig ist daran, dass die in § 823 I vorgezeichneten Bewertungen absolut geschützter Rechtsgüter für § 1004 nicht schematisch übernommen, sondern ähnlich wie bei den Rahmenrechten offener Interessenbewertung zugänglich sein sollten. Mit dieser Maßgabe sollte am Rechtswidrigkeitserfordernis festgehalten werden. Eine Wiederholungsgefahr ist für den Beseitigungsanspruch, anders als beim Unterlassungsanspruch, nicht erforderlich (RGZ 148, 123). Ein Schadensersatzanspruch umfasst, da er sich auf die Beseitigung des Eingriffs erstreckt, begrifflich den Beseitigungsanspruch. Ein Beseitigungsanspruch darf also keinen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch darstellen. Rechtsprechung und h. M. beschränken deshalb den Beseitigungsanspruch zu Recht auf solche Beeinträchtigungen, die für den Betroffenen eine stetig sich erneuernde Quelle von Verletzungen bilden (RGZ 170, 317, 320; BGH NJW 1996, 845; 2004, 1035). Der Anspruch auf Beseitigung einer Bodenkontamination umfasst auch die anschließende Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands des Grundstücks (BGH NJW 2005, 1366). Einen Unterfall des Beseitigungsanspruchs stellt der Anspruch auf Widerruf einer unwahren Tatsache dar, BGHZ 31, 308. Nach BGHZ 37, 187 muss aber die Behauptung erweislich unwahr sein. Bei nicht erweislich unwahren Behauptungen, die aber ehrkränkend weiterwirken, kann beantragt werden, den Verletzer zur Nichtaufrechterhaltung der zweifelhaften Behauptung zu verurteilen („Widerruf in eingeschränkter Form“). In solchen Fällen kann der Verletzte die Unwahrheit der Behauptung nicht erweisen (BGHZ 37, 187 – Schullehrer –), der Verletzer aber auch seinerseits die Richtigkeit seiner Behauptung dartun (BGHZ 65, 335, 337 – Warentest –). Auch in einge-

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1725

§ 119 I 1

Räumliche und zeitliche Bezüge des Schuldrechts

schränkter Form ist ein Widerrufsanspruch unbegründet, solange der Kläger „ernsthafte Anhaltspunkte für die Wahrheit einer ehrenrührigen“ (Tatsachen-)„Behauptung nicht ausgeräumt hat“ (BGHZ 69, 181; zu Rechtsweg und Durchsetzung s. Jauernig/ Teichmann, § 823 Rdn. 85). 1726

III. Ein Anspruch auf Unterlassung setzt voraus, dass ein widerrechtlicher Eingriff in eines der genannten Rechtsgüter vorliegt und ein weiterer Eingriff für die Zukunft zu befürchten ist. Um auch erstmalig drohende Eingriffe abwehren zu können, hat die Rechtsprechung in einer konkreten Bedrohung bereits den widerrechtlichen Eingriff selbst gesehen (BGH NJW 51, 843) und damit formal an beiden genannten Rechtsvoraussetzungen festgehalten (vgl. Jauernig/Teichmann, vor §§ 823 Rdn. 6.) An die Wiederholungsgefahr werden von den Gerichten keine hohen Anforderungen gestellt. Sie folgt in der Tat oft schon aus der Tatsache des geschehenen Eingriffs. Der Anspruch richtet sich gegen den Störer. Das ist derjenige, der eine Ursache für die Beeinträchtigung setzt oder setzen will.

IV. Abgesehen von wenigen im geltenden Recht vorgesehenen Verbandsklagen (§ 3 UKlaG, § 8 III Nr. 2–4 UWG, dazu Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. II 1983, 527 ff) wird das Thema der Gruppenklage vor allem rechtspolitisch diskutiert (z. B. von Kästle, Die Haftung für toxische Massenschäden im US-amerikanischen Produkt- und Umwelthaftungsrecht, 1993; Haß, D., Die Gruppenklage, 1996 [m. w. A.]).

17. Abschnitt

Räumliche und zeitliche Bezüge des Schuldrechts § 119 Der räumliche Bezug des Schuldrechts: Hauptprobleme des deutschen internationalen Schuldrechts 1727

S. die allgemeine Lehrbuchliteratur zum Internationalen Privatrecht. Das deutsche Internationale Schuldrecht ist ein Teil des deutschen Internationalen Privatrechts (IPR). Das deutsche IPR ist deutsches Recht, nicht etwa „internationales“. Seine Normen (Art. 3–46 EGBGB) regeln nicht bestimmte Sachverhalte, sondern sagen, welches von mehreren nationalen Rechten anzuwenden ist, wenn ein Sachverhalt mehrere nationale Rechtsordnungen berührt. IPR ist also „Kollisionsrecht“ (engl. „conflict of laws“; franz. »conflit des lois«): Eine französische Firma verkauft in Italien lagernden Rotwein an eine deutsche Weingroßhandlung. Richtet sich der Kaufvertrag nach französischem, italienischem oder deutschem Recht? Eine Norm des deutschen IPR (genauer: des deutschen internationalen Schuldrechts) muss darauf antworten. Jede Rechtsordnung hat ihr IPR, das vom IPR eines anderen Staates häufig abweicht. Im Folgenden kann nur eine summarische Übersicht der Hauptfragen gegeben werden.

I. Die Quellenlage 1. Rechtsquellen des IPR, insbesondere das Schuldrecht betreffend 1728

Die Rechtsquellen des IPR werden in Art. 3 EGBGB aufgezählt. Danach regeln zunächst die „folgenden Vorschriften“, also die Art. 4–46 EGBGB, welche Rechtsordnung auf einen Sachverhalt mit Auslandsbezug anzuwenden ist. Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen gem. Art. 3 II 1 EGBGB vor, jedenfalls soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. EG-Recht bleibt unberührt, 3 II 2 EGBGB. Dieser Vorschrift hätte es nicht bedurft: Regeln des Gemeinschaftsrechts gehen bereits über den Grundsatz des Anwendungsvorrangs dem nationalen Recht vor.

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Hauptprobleme des deutschen internationalen Schuldrechts

§ 119 II 1

Im deutschen internationalen Schuldrecht hat es zwei wesentliche Reformen gegeben. 1986 wurde das internationale Vertragsrecht in den Art. 27–37 EGBGB neu geregelt und hierdurch an das Europäische Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ, sog. Rom-Übereinkommen, vgl. die Erwähnung in Art. 36 EGBGB) aus dem Jahr 1980 angeglichen. 1999 wurden dann in den Art. 38ff EGBGB Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse (und das Sachenrecht) eingefügt. Die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsquellen sind in Bewegung. Der Amsterdamer Vertrag (1997/ 1999) hat in den Art. 65 b), 61 c) und 67 EG der Gemeinschaft eine Rechtsetzungszuständigkeit eingeräumt. In Zukunft ist es deshalb nicht mehr nötig, völkerrechtliche Abkommen abzuschließen. Die Gemeinschaft kann vielmehr EG-Verordnungen auf diesem Gebiet erlassen. Pläne, das EVÜ in eine EG-Verordnung umzuwandeln, liegen vor. Dies würde zu einem Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht führen: Das IPR wäre nicht mehr vorrangig im nationalen, sondern im Gemeinschaftsrecht geregelt.

2. Vereinheitlichung des materiellen Kaufrechts Für eine große Zahl von Staaten ist das Kaufrecht vereinheitlicht worden. Man spricht vom „Wiener UN-Übereinkommen“, „Wiener UN-Kaufrecht“, „UNCITRAL-Kaufrecht“ oder, der englischen Bezeichnung folgend, vom „CISG-Kaufrecht“; siehe dazu oben Rdn. 937ff mit Schrifttumsangaben. Über den Konflikt zwischen den Harmonisierungsbestrebungen im materiellen Schuldrecht durch die EU und der dezentralen Anknüpfung nach nationalem IPR auf dem Gebiet des Schuldrechts s. Fikentscher, W., Harmonizing National and Federal European Private Laws and a Plea for a Conflict-of-Laws-Approach, in: Bussani and Mattei (Hrsg.), The Common Core of European Private Law 2002, 43–49. Kritisch zu zentralistischen Bestrebungen auch Wiesner, DB 2005, 871ff.; Drexl, FS Sonnenberger, 2004, 771ff.

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3. Verbraucherschutzrecht Im Bereich des Verbraucherschutzes ist auf die Art. 29, 29a EGBGB hinzuweisen.

4. Andere Rechtsgebiete Auf den Gebieten des Wechsel- und Scheckrechts, des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts, des Wettbewerbsrechts und auf anderen an das Schuldrecht angrenzenden Gebieten besteht Kollisionsrecht, vereinheitlichtes Kollisionsrecht und vereinheitlichtes materielles Recht, die darzustellen hier zu weit führen würde. Im Folgenden ist auf geltendes deutsches internationales Schuldrecht einzugehen.

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5. Verfahrensfragen Auf Verfahrensfragen, insb. die internationale Zuständigkeit, kann hier nicht eingegangen werden; sie folgt im Grundsatz den Regeln über die örtliche Zuständigkeit, 12 ff ZPO.

II. Das auf Verträge anwendbare Recht 1. Zustandekommen des Vertrags und materielle Wirksamkeit Das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrags oder einer seiner Bestimmungen beurteilen sich nach dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre, Art. 31 I EGBGB. Maßgeblich ist also das für den Hauptvertrag geltende Vertragsstatut, das nach den Art. 27–30 zu bestimmen ist. Art. 31 I EGBGB entspricht Art. 8 I des Rom-Übereinkommens. Man sagt, es gelte das „Geschäftsrecht“. Das Geschäftsrecht gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob Voraussetzungen für das Rechtsgeschäft fehlen, Art. 32 I Nr. 5 EGBGB. Dem Geschäftsrecht unterliegt auch die Beurteilung des Geschäftsinhalts, also der einzelnen „Bestimmungen“, Art. 32 I Nr. 1 i. V. m. Art. 31 EGBGB. Schließlich gilt das Geschäftsrecht für die Beurteilung der Fragen der culpa in contrahendo. Zu den Leistungsstörungen siehe unten 7.

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§ 119 II 2

Räumliche und zeitliche Bezüge des Schuldrechts

Grundsätzlich gilt also das Geschäftsrecht auch für die Frage des Dissenses. Das kann jedoch zu Unbilligkeiten führen. Darum bestimmt Art. 31 II, dass eine Partei für die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt, sich in Abweichung von Art. 31 I auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen darf, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass es nicht gerechtfertigt wäre, das Geschäftsrecht anzuwenden. Praktische Bedeutung hat das vor allem für die Entscheidung, ob das bloße Schweigen einer Partei, z. B. auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben nach vorausgegangenen Vertragsverhandlungen, als Zustimmung zu werten ist. Art. 31 II gilt aber auch für Willensmängel (Palandt/Heldrich, Art. 31 EGBGB Rdn. 5).

2. Bestimmung des auf den Vertrag anzuwendenden Rechts durch Parteiwillen 1732

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a) Grundsätzlich gilt freie Rechtswahl. Danach unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht, Art. 27 I 1 EGBGB (entsprechend Art. 3 I Rom-Abkommen). b) Die Rechtswahl, auch als Parteiautonomie bezeichnet, kann ausdrücklich sein, etwa durch Einigung auf ein bestimmtes Recht, kann aber auch stillschweigend erklärt werden. Sie muss sich „mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben“, Art. 27 I 2. c) Auch die Einigung auf ein sogenanntes neutrales Recht ist möglich. Als neutral bezeichnet man eine Rechtsordnung, die mit dem Sachverhalt keinerlei Verbindung hat. Ein anerkennenswertes Interesse der Parteien am gewählten Recht muss nicht vorliegen. Grenzen ergeben sich nur aus den gesetzlichen Vorschriften, z. B. Art. 29–30 EGBGB. d) Den Parteien steht frei, ob sie das anwendbare Recht für den ganzen Vertrag oder nur für einen Teil gelten lassen wollen, Art. 27 I 3 EGBGB. Das kann z. B. bei Frachtverträgen über Frachtgut, das durch mehrere Länder transportiert wird, sinnvoll sein. e) Die Parteiautonomie gilt grundsätzlich auch in zeitlicher Hinsicht. Nach Art. 27 II 1 können die Parteien jederzeit vereinbaren, dass der Vertrag einem anderen Recht unterliegen soll als dem, das zuvor aufgrund einer früheren Rechtswahl oder aufgrund anderer Vorschriften des internationalen Schuldrechts für ihn maßgebend war. Dazu gilt eine Ausnahme für die Formgültigkeit des Vertrages gem. Art. 11 EGBGB und für Rechte Dritter, Art. 27 II 2 EGBGB. f) Zu den Grenzen der Bestimmung des Vertragsstatuts durch Parteiwillen zählen folgende Gesichtspunkte: aa) Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf das den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln, setzen sich gegenüber der freien Rechtswahl durch, Art. 34 EGBGB. Dieser Vorschrift entspricht Art. 7 II des Rom-Abkommens. Art. 7 I Rom-Abkommen, der auch die Beachtung von Eingriffsnormen dritter Staaten anordnete, wurde in das deutsche IPR nicht übernommen. Art. 34 regelt die Sonderanknüpfung zwingender deutscher Vorschriften. Die bloße Unabdingbarkeit nach deutschem materiellem Recht (ius cogens) genügt nicht. Man spricht auch von „Eingriffsnormen“, die der freien Rechtswahl vorgehen. Beispiele sind Ausfuhrverbote, Bestimmungen des Mieter- und Verbraucherschutzes, Preis- und Devisenvorschriften, kartellrechtliche Verbote, börsenrechtliche Regelungen. Man muss hier die zwingende materielle Eingriffsnorm von den Anknüpfungsnormen unterscheiden, durch die die Eingriffsnormen zur Regelung des internationalen Sachverhalts berufen werden (z. B. § 130 II GWB). Zwingende Vorschriften im Sinne von Art. 34 setzen sich nicht nur gegenüber der freien Rechtswahl nach Art. 27, sondern auch gegen die objektiven Anknüpfungen nach Art. 28, 29 II und 30 II durch. Sie verdrängen auch zwingende Bestimmung fremder Rechte, die kraft Sonderanknüpfung gem. Art. 27 III, 29 I und 30 I anwendbar sein können. bb) Art. 27 III ergänzt Art. 34 insoweit, als durch ihn zwingende Vorschriften fremder Rechte für anwendbar erklärt werden. Allerdings muss der „sonstige Sachverhalt“ im Zeitpunkt der Rechtswahl „nur mit einem Staat verbunden sein“, sogenannter reiner Inlandsfall. Liegt ein reiner Inlandsfall vor, so kann die Wahl des Rechts eines anderen Staates die Bestimmungen nicht berühren, von denen nach dem Recht jenes Staates durch Vertrag nicht abgewichen werden kann (zwingende Bestimmungen). „Reiner Inlandsfall“ bedeutet allerdings nicht, dass es sich um reine Inlandsverträge handeln muss (Palandt/Heldrich, Art. 27 Rdn. 4). cc) Die freie Rechtswahl wird auch eingeschränkt durch spezielle Kollisionsregeln verschiedener Rechtsgebiete, wie Devisenrecht, Zollrecht, Kartellrecht. Derartige Sonderanknüpfungen gehen Art. 27 vor. Sie wirken auf eine vereinbarte freie Rechtswahl über Art. 34 ein, siehe oben aa).

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Hauptprobleme des deutschen internationalen Schuldrechts

§ 119 II 5

dd) Die Rechtswahl bezieht sich schließlich nur auf die Sachvorschriften des gewählten Rechts, arg. Art. 4 II. Eine andere Meinung lässt nach Art. 27 I auch eine Wahl fremder Rechte einschließlich deren Kollisionsrechte zu, Schröder, Jochen, IPRax 87, 2. ee) Konsequent sagt Art. 35 EGBGB, dass unter dem Vertragsstatut, das nach deutschem internationalen Schuldrecht berufen wird, die in dem Staat der Berufung geltenden Sachvorschriften zu verstehen sind. Rück- und Weiterverweisungen werden daher nicht mitberufen. Auch dies spricht für den nur materiellrechtlichen Charakter der Verweisung kraft freier Rechtswahl. In Einzelfällen kann dies zu Härten führen.

3. Engste Verbindung des Vertrags mit dem Recht eines Staates a) Haben die Parteien kein anwendbares Recht für den Vertrag vereinbart, unterliegt der Vertrag nach Art. 28 I 1 EGBGB dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Die engsten Verbindungen sind das, was bisher mit hypothetischem Parteiwillen oder mutmaßlicher Anknüpfung bezeichnet wurde. Art. 28 I 1 entspricht Art. 4 II 1 des Rom-Übereinkommens. Zur Problematik des Rückgriffs auf derartige interessengerechte Anknüpfungen, auch Schwerpunkttheorie genannt, wird auf die 8. Aufl. § 115 II 2 verwiesen. Jetzt ist das Problem in Gesetzesform gekleidet. Hilfen bieten die In Art. 28 II–IV aufgeführten Vermutungen. Gesichtspunkte wie gewöhnlicher Aufenthalt, Sitz der Hauptverwaltung, Belegenheit eines Grundstücks und dergleichen werden in diesen Absätzen als Stütze bei der Suche nach der engsten Verbindung aufgezählt. b) Aber auch diese Vermutungen gelten nicht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist, Art. 28 V EGBGB. Hierdurch wird der nicht zwingende Charakter der Vermutungen unterstrichen. c) Eine weitere Einschränkung enthält Art. 28 I 2: Lässt sich ein Teil des Vertrags von dem Rest des Vertrags abtrennen und weist dieser Teil eine engere Verbindung mit einem anderen Staat auf, so kann auf ihn ausnahmsweise das Recht dieses anderen Staates angewandt werden.

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4. Erfüllungsort als Notanker Vor 1986 galt, dass, falls wirklicher oder mutmaßlicher Parteiwille versagten, das Recht des Erfüllungsortes als „Notanker“ zur Ermittlung des für eine Verbindlichkeit geltenden Rechtsherrn gezogen werden konnte. Auch dazu ist auf die 8. Aufl. § 115 II 3 zu verweisen. Das IPR-Gesetz von 1986 sieht den Erfüllungsort als Notanker nicht mehr vor.

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5. Sonderanknüpfungen nach Art. 29, 29a und 30 EGBGB a) Für Verbraucherverträge gelten die Sonderregeln der Art. 29, 29a. Verbraucherverträge sind Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen oder die Erbringung von Dienstleistungen zu einem Zweck, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Berechtigten (Verbrauchers) zugerechnet werden kann. Dazu treten Verträge zur Finanzierung solcher Geschäfte, auch Leasing. Die freie Rechtswahl darf bei Verbraucherverträgen, wiewohl grundsätzlich zulässig, Vorschriften zugunsten des Verbrauchers nicht verdrängen, die an seinem gewöhnlichen Aufenthalt gelten. Dies wird in Art. 29 I an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Mangels einer Rechtswahl unterliegen Verbraucherverträge, die die in Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen erfüllen, dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 29 II EGBGB. Bestimmte Verträge, z. B. Beförderungsverträge, sind von Art. 29 ausgenommen. b) Bei Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen (nichtige, aber in Vollzug gesetzte Arbeitsverträge und faktische Arbeitsverhältnisse ohne vertragliche Grundlage) darf die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das ohne eine Rechtswahl gelten würde. Mangels einer Rechtswahl unterliegen Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist oder in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat

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verrichtet, Art. 30 EGBGB. Wiederum gilt eine Ausnahme, wenn der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist. Zum Arbeitnehmererfinderrecht Sack, FS Steindorff, 1990, 1333.

6. Zwingende Vorschriften im Sinne von Art. 34 EGBGB 1739

Wird nach den Regeln des deutschen internationalen Schuldvertragsrechts fremdes Recht berufen, so gilt dennoch zugunsten des deutschen Rechts der allgemeine Vorbehalt des Art. 34 EGBGB. Danach bleibt die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts unberührt, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln. Das gilt nicht nur als Einschränkung der freien Rechtswahl (s. oben Rdn. 1733). Auch die Fälle der engsten Verbindung und die Sonderanknüpfungen der Art. 29, 30 zählen hierher. Die bloße Natur der Vorschrift als ius cogens reicht nicht (Palandt/Heldrich, Art. 34, Rdn. 3). Es muss sich um privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Vorschriften handeln, die im öffentlichen Interesse oder zum Schutz einer Vertragspartei oder eines Dritten in Schuldverhältnisse eingreifen. Beispiele wurden schon oben Rdn. 1733 aufgezählt. Dieser Vorbehalt zugunsten der Anwendung deutscher zwingender Vorschriften ist eine Ausprägung des Grundsatzes des ordre public, Art. 6 EGBGB.

7. Inhalt, Erlöschen, Leistungsstörungen und Beweisprobleme 1740

Das nach den Art. 27–30 und nach Art. 33 I und II (Forderungsübergang) auf einen Vertrag anzuwendende Recht ist nach Art. 32 EGBGB maßgeblich für seine Auslegung und die Erfüllung die durch ihn begründeten Verpflichtungen. Einschränkend sagt Art. 32 II EGBGB, dass in Bezug auf die Art und Weise der Erfüllung und die vom Gläubiger im Fall mangelhafter Erfüllung zu treffenden Maßnahmen das Recht des Staates „zu berücksichtigen“ ist, in dem die Erfüllung erfolgt. Diese Beachtungs- oder Berücksichtigungsnorm ist keine strikte Kollisionsnorm. Nicht nur die Fragen des Inhalts, sondern auch die des Erlöschens der Verpflichtungen sowie die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergeben, werden nach dem oben gekennzeichneten Vertragsstatut geregelt, Art. 32 I Nr. 4 EGBGB. Leistungsstörungen bestimmen sich nach Art. 32 I Nr. 3 und 5 EGBGB. Danach gilt das oben bezeichnete Vertragsstatut auch für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags und für die Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung dieser Verpflichtungen einschließlich der Schadensbemessung, soweit sie nach Rechtsvorschriften erfolgt, innerhalb der durch das deutsche Verfahrensrecht gezogenen Grenzen. Auch für gesetzliche Vermutungen und für Beweisfragen gilt das Vertragsstatut.

8. Übertragung der Forderung. Gesetzlicher Forderungsübergang 1741

Bei Abtretung der Forderung ist für die Verpflichtungen zwischen dem bisherigen und dem neuen Gläubiger das Recht maßgebend, dem der Vertrag zwischen ihnen unterliegt. Dagegen unterliegt die übertragene Forderung selbst möglicherweise einem anderen Recht. Dies andere Recht bestimmt auch ihre Übertragbarkeit – BGH EWiR Art. 33 EGBGB 1/91, 161 (Ebenroth) – Sacheinlage –, das Verhältnis zwischen neuem Gläubiger und Schuldner, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten werden kann, und die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Schuldner, Art. 33 I, II EGBGB. Den gesetzlichen Forderungsübergang regelt Art. 33 III.

9. Rück- und Weiterverweisung. Rechtsspaltung 1742

Verweisungen des deutschen internationalen Schuldvertragsrechts auf eine bestimmte Rechtsordnung als für den Schuldvertrag anwendbar sind lediglich als Verweisungen auf Sachnormen zu verstehen. Nach Art. 35 EGBGB wird auf Kollisionsnormen, die eine Rück- oder Weiterverweisung begründen können, nicht mitverwiesen. Dies entspricht Art. 15 des Rom-Abkommens. Unter Rechtsspaltung versteht Art. 35 II den Tatbestand, dass ein Staat mehrere Gebietseinheiten umfasst, von denen jede für vertragliche Schuldverhältnisse ihre eigenen Rechtsvorschriften hat. Dann gilt für die Bestimmung des nach dem deutschen internationalen Schuldvertragsrecht anzuwen-

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denden Rechts jede Gebietseinheit im Wege der Fiktion als Staat, Art. 35 II EGBGB, entsprechend Art. 19 I des Rom-Abkommens.

III. Geschäftsführung ohne Auftrag Durch die IPR-Reform von 1999 wurden das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigten Bereicherung erstmals gesetzlich geregelt; die fragmentarischen Regeln zum internationalen Deliktsrecht wurden grundlegend umgestaltet und systematisiert. Nach Art. 39 I EGBGB ist für die GoA das Recht des Staates anwendbar, in dem das Geschäft vorgenommen worden ist (lex loci actus). Bei Tilgung fremder Schuld ist gem. Art. 39 II EGBGB deren Recht maßgeblich. Eine nachträgliche Rechtswahl (Art. 42 EGBGB) oder eine „wesentlich engere Verbindung“ (Art. 41 EGBGB) gehen vor. Eine engere Verbindung besteht beispielsweise dann, wenn die GoA durch ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis ausgelöst wurde. Dann ist an dessen Statut anzuknüpfen.1

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IV. Ungerechtfertigte Bereicherung 1. Leistungskondiktion Leistungs- und Nichtleistungskondiktion folgen unterschiedlichen Regeln. Ansprüche aus Leistungskondiktion unterliegen dem Recht der zugrundeliegenden Leistungsbeziehung. Dies ergibt sich für nichtige Verträge bereits aus Art. 32 I Nr. 5 EGBGB.

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2. Nichtleistungskondiktion Für die Eingriffskondiktion ist gem. Art. 38 II EGBGB der Eingriffsort maßgeblich. Hiermit wird ein Gleichlauf zum internationalen Deliktsrecht (Art. 40 I EGBGB) hergestellt. Andere Formen der Nichtleistungskondiktion unterliegen gem. Art. 38 III EGBGB dem Recht des Staates, in dem die Bereicherung eingetreten ist. Dies betrifft beispielsweise die Kondiktion des Angewiesenen gegen den Anweisungsempfänger im Fall einer nichtigen oder nicht vorhandenen Anweisung.2

V. Unerlaubte Handlungen und Gefährdungshaftung 1. Auch das internationale Deliktsrecht ist durch die IPR-Reform von 1999 erstmals systematisch kodifiziert worden. Die Neuregelung orientiert sich im Wesentlichen an dem vorher praktizierten Richterrecht. Im Grundsatz gilt gem. Art. 40 I EGBGB das Tatortrecht (lex loci delicti commissi). Wird ein Delikt im Staat X begangen, gilt also das Recht dieses Landes (beachte aber die Rechtsfolgenlimitierung in Art. 40 III EGBGB). Allerdings können Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen; dies ist der Fall bei den Distanzdelikten. Beispiel: Jäger J jagt im Jura nahe der schweizerisch-französischen Grenze. Auf Schweizer Territorium gibt er einen Schuss auf ein Wildschwein ab. Er trifft allerdings nicht das Tier, sondern den auf französischem Territorium wandernden F. Welche Rechtsordnung ist auf Schadensersatzansprüche des F anwendbar? Nach Art. 40 I 1 EGBGB gilt in erster Linie das Recht des Handlungsortes, im Beispiel also schweizerisches Recht. Der Verletzte kann aber gem. Art. 40 I 2 EGBGB verlangen, dass das Recht des Erfolgsorts angewendet wird. Erfolgsort ist der Ort der Rechtsgutsverletzung, im Beispiel also Frankreich. 2. Die Bestimmung von Handlungs- und Erfolgsort kann problematisch sein. Bloße Vorbereitungshandlungen führen noch nicht zum Handlungsort. Bei der Produkthaftung ist die Produktion z. B. eine reine Vorbereitungshandlung; erst das Inverkehrbringen des Produkts bestimmt den Handlungsort. – Der Erfolgsort ist von den Folgeschadensorten abzugrenzen. Wo sich ein Schaden vollendet, ist kollisionsrechtlich irrelevant; entscheidend ist der Ort der Rechtsgutsverletzung. 1 BGH NJW 1998, 1321: Miteigentum an einer Ferienwohnung. 2 BGH NJW 2004, 1315.

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Beispiel: (nach Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 18 IV): P stellt in Dänemark verdorbene Konserven her und verkauft sie in Deutschland an K. Dieser erkrankt in Belgien, muss in Paris ins Krankenhaus und erleidet in Spanien, wo er arbeitet, einen Verdienstausfall. – Die Produktion in Dänemark ist reine Vorbereitungshandlung. Handlungsort ist Deutschland; gem. Art. 40 I 1 EGBGB ist im Grundsatz also deutsches Recht anwendbar. Die Rechtsgutsverletzung, nämlich die Erkrankung ereignet sich in Belgien. K kann also gem. Art. 40 I 2 EGBGB auch die Anwendung belgischen Rechts verlangen. Frankreich und Spanien sind dagegen reine Folgeschadensorte. 3. Von der lex loci delicti commissi gelten Ausnahmen (sog. „Auflockerung“). a) Der gemeinsame Aufenthalt, wenn Ersatzpflichtiger und Verletzter zur Zeit des Haftungsereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hatten, Art. 40 II EGBGB. Der Grund besteht darin, dass beispielsweise nach einem Unfall im Ausland die Beteiligten häufig an den Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts zurückkehren. Die Schadensabwicklung wird durch Anwendung des gemeinsamen Aufenthaltsrechts erleichtert. b) Die engere Verbindung, Art. 41 EGBGB. Gem. Art. 41 II Nr. 1 EGBGB besteht eine engere Verbindung insbesondere bei Konkurrenz deliktischer und vertraglicher Ansprüche. Dann soll dasselbe Recht anwendbar sein. Es erfolgt eine akzessorische Anknüpfung, nämlich des Deliktsstatuts an das Vertragsstatut. c) Nachträgliche Rechtswahl, Art. 42 EGBGB. d) In Wettbewerbssachen ist eine Berührung mit mehreren Rechtsordnungen häufig, da insbesondere Handlungs- und Erfolgsort oft auseinanderfallen. Die frühere Rechtsprechung versuchte möglichst weitgehend deutsches Wettbewerbsrecht anzuwenden.3 Diese Rechtsprechung benachteiligte zumeist deutsche Wettbewerber gegenüber ausländischen, da das deutsche Wettbewerbsrecht weitgehend das strengere war. In Anbetracht dieser Tatsache hat der BGH seinen rigorosen Standpunkt allmählich abgemildert.4 Heute ist in erster Linie entscheidend, auf welchem Markt, dann gegen welche Mitbewerber sich die Wettbewerbshandlung auswirkt.5 Nach § 4 TDG (der auf die E-commerceRichtlinie der EG zurückgeht), gelten allerdings Besonderheiten für den elektronischen Geschäftsverkehr. Danach reicht es im Prinzip aus, dass Diensteanbieter die Vorschriften ihres Heimatlandes respektieren („Herkunftslandprinzip“).6 e) Sehr umstritten ist die Anknüpfung von Pressedelikten. Welches Recht ist anwendbar, wenn in Frankreich Photos eines Prominenten gemacht werden, die sodann in einer deutschen Illustrierten abgedruckt werden, welche ihrerseits weltweit vertrieben wird? Die Aufnahme von Photos in Frankreich ist reine Vorbereitungshandlung. Handlungsort ist der Erscheinungsort, hier Deutschland. Erfolgsort sind alle Länder, in denen die Zeitschrift vertrieben wird. Im Ergebnis ergibt sich also bei Wahl des Erfolgsortes (Art. 40 I 2 EGBGB) ein ganzes Bündel von Ansprüchen, die unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen („Mosaikbeurteilung“). Demgegenüber wird auch die Auffassung vertreten, alle Ansprüche einheitlich einer Rechtsordnung zu unterstellen, wobei streitig ist, welche das sein soll (Die dem Geschädigten günstigste Rechtsordnung? Der gewöhnliche Aufenthalt des Geschädigten? Der Verlagsort?).7 4. Auf sachenrechtlichem Gebiet gilt grundsätzlich das Belegenheitsstatut (lex rei sitae), Art. 43 ff EGBGB.

3 BGHZ 21, 266, 270; 22, 1, 18. 4 BGHZ 35, 329; 40, 391; NJW 1968, 1572; NJW 1998, 1227, 2531. 5 Die Einzelheiten sind streitig, s. z. B. Kadner/Graziano Europäisches Internationales Deliktsrecht (2003) 90ff; Sack WRP 2000, 269. 6 Auch hier ist vieles streitig, s. z. B. Grundmann RabelsZ 2003, 246; Mankowski IPRax 2002, 257; Ohly GRUR Int 2001, 899; Sack WRP 2002, 271; Spindler NJW 2002, 921. 7 S. rechtsvergleichend hierzu Kadner/Graziano Europäisches Internationales Deliktsrecht (2003) 79ff.

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Zur Geschichte des deutschen Schuldrechts

§ 120 I

§ 120 Der zeitliche Bezug des Schuldrechts: Zur Geschichte des deutschen Schuldrechts. Reformvorhaben Zu I–V: Bucher, E., AcP 186 (1986) 1 (Aktionendenken); Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. I–V, 1975/77; Habermeier, AcP 195 (1995) 283; Hyland, 40 AJCL 541 (1992) und weitere Abhandlungen in diesem Heft; Kaser, Das römische Privatrecht, Handbuch der Altertumswissenschaft, 3. Bd., 1. Abschnitt, 2. Aufl. 1971, 39 ff, 146ff, 474ff; 2. Abschnitt, 1959, 236ff (im Folgenden: RP I bzw. II); ders., JuS 67, 337; ders., SavZ Rom. Abt. 83 (1966), 1, 25; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 18. Aufl. 2005; Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl. 1966; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 6. Aufl. 1972, 112 ff; Petersen, Von der Interessenjurisprudenz zur Wertungsjurisprudenz, 2001; Schwarz, A. B., SavZ Rom. Abt. 42 (1921), 578; Sturm, SavZ Rom. Abt. 82 (1965), 211; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, insb. 237ff; ders., SavZ Rom. Abt. 80 (1963), 1; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990. Zu VII: S. bereits die Literatur zu § 2 III, § 3 1b) und 2c); zur Diskussion der 80er und 90er Jahre s. die 9. Aufl.

I. Vorbemerkung 1. Kein Recht lebt für sich allein. Es ist eingerahmt vom Umkreis fremder Rechtsordnungen, die es beeinflussen, und hervorgegangen aus früher geltendem Recht. Die positivistische Verarmung, die darin besteht, dass man eine Rechtsfrage losgelöst von Zeit und Raum betrachtet, wird dem Wesen des Rechts nicht gerecht. Nur in der internationalen (interlokalen) und historischen Verbundenheit kann ein Rechtsproblem ausgeschöpft werden. Darin liegt einer der Werte vergleichender und historischer Arbeit am Recht (grundlegend Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, 1925). Nicht zuletzt münden solche in Raum und Zeit vergleichenden Arbeiten in Reformen (zur „Schuldrechtsreform“ u. VII). 2. Der Studierende der Rechtsgeschichte steht dabei vor einer spezifischen Schwierigkeit. Ungleich anderen historischen Zweigen, bei denen im Allgemeinen das „Urtümlichere“ am Anfang und das „Entwickeltere“, zumindest das unserem Verstehen Zugänglichere an späterer Stelle im historischen Ablauf stehen, tritt in der Rechtsgeschichte schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, im römischen Recht, eine Vollkommenheit zutage, um die sich spätere 2000 Jahre oft vergeblich bemüht haben. (Das römische Recht bildet insoweit eine Parallele zu dem später wohl nie wieder erreichten Formen- und Ausdrucksreichtum des hellenistischen Griechisch, vgl. z. B. Eduard Schwartz, Charakterköpfe aus der Antike, 4. Aufl. d. Neuausgabe 1956, Eratosthenes, 183ff.) Solche Entwicklungen, bei denen der Höhepunkt am Anfang steht, sind naturgemäß schwer zu erfassen. Das gilt im besonderen Maß für einen der entwickeltsten Teile des römischen Rechts, das Schuldrecht. 3. Hinzu tritt eine weitere Schwierigkeit, die mittelbar aus der ersten folgt. Vermöge seiner sachlichen Überzeugungskraft galt römisches Recht in Deutschland bis zum Inkrafttreten des BGB am 1. 1. 1900. Das geltende Recht war also bis vor relativ kurzer Zeit Ergebnis einer mehr oder weniger durchgängigen Entwicklung von mehr als zweitausend Jahren. Im Unterschied zu anderen Gebieten der Geschichte konnte daher eine echt historische Betrachtungsweise des Rechts erst sehr spät einsetzen, nämlich erst dann, als das römische Recht von der Aufgabe entbunden wurde, sich fortzubilden, um den Anforderungen der Zeit zu entsprechen. Eigentliche römische Privatrechtsgeschichte konnte man daher in Deutschland erst von den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts an betreiben, die Geschichte des römischen öffentlichen Rechts ist nur wenig älter, Wieacker, PrRG, § 22. So eigenartig es klingt: Rechtsgeschichte ist eine junge Wissenschaft, deren Hauptergebnisse, trotz der beachtlichen Pflege, die sie vor allem auch in Deutschland erfahren hat, vielleicht erst in der Zukunft zu erwarten sind. 4. Vor allem aus diesen beiden genannten Gründen ist es hinreichend zu erklären, dass eine Geschichte des deutschen Schuldrechts noch nicht geschrieben worden ist. Die folgenden kurzen

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§ 120 III

Räumliche und zeitliche Bezüge des Schuldrechts

Bemerkungen können diesem Mangel nicht abhelfen. Sie wollen nur, dem historischen Element des Rechts entsprechend, einige willkürliche Andeutungen und Beobachtungen vermitteln, im Sinne von Anregungen für den Studierenden des geltenden Schuldrechts.

II. Römisch- und deutschrechtliche Wurzeln des Schuldrechts. Zusammenhang mit dem Rechtsgang 1751

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1. Das Recht ist eine Funktion seiner Durchsetzbarkeit. Je sicherer und ausgebildeter die Prozessordnung, desto absoluter und abstrakter die Rechtsbegriffe. Das römische Recht drang schon verhältnismäßig früh zu einem absoluten Begriff des Eigentums vor (den § 903 BGB übernommen hat), weil die Rechtsverfolgung schon im vorklassischen Recht (3.–1. Jh. v. Chr.) für die damalige Zeit ungewöhnlich sicher und geregelt war. Die Gegenüberstellung zum mittelalterlichen deutschen Recht zeigt dies deutlich: Der Gewere-Begriff verzichtet auf einen unwandelbaren „Eigentums“-Inhalt und regelt vielmehr in anpassungsfähiger Weise eine Besser- oder Geringerberechtigung in Bezug auf die Sachherrschaft (Albrecht, Die Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts, 1818; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, 1905, 187 ff, 203 ff; Mitteis/Lieberich, 77): Wem die Sache gewaltsam weggenommen wurde, behielt trotzdem die Gewere an der Sache, aufgrund deren er die Sache zurückverlangen konnte. Aber auch der Dieb und Räuber erlangten Gewere und konnten sie gegen Dritte, die ihnen die Sache wiederum wegnehmen wollten, geltend machen. Der Kläger brauchte jeweils nicht „Eigentum“ zu beweisen (weil es das nicht gab), sondern nur Gewerebruch. Da bei freiwilliger Gewereaufgabe kein Gewerebruch bewiesen werden konnte, blieb der Empfänger „in rechter Gewere“ und konnte allenfalls aus Vertrag auf Rückgabe oder Ersatz verklagt werden. Dies einfache System (Rückgabepflicht bei Gewerebruch, keine Rückgabepflicht bei freiwilliger Gewereaufgabe) führte zu Unbilligkeiten in besonderen, typischen Fällen, nämlich bei der unfreiwilligen Gewereaufgabe, wenn ein Dritter die gestohlene Sache auf offenem Markt gutgläubig erwarb; bei freiwilliger Gewereaufgabe, wenn der Dritterwerber bösgläubig in Bezug auf das Verfügungsrecht des Empfängers der freiwillig aufgegebenen Gewere war. Im ersten Fall gewährte bereits das mittelalterliche Recht einen Lösungsanspruch. Wollte der Bestohlene die Sache vom Dritten zurückhaben, der sie auf offenem Markt gutgläubig erworben hatte, so musste er eine Lösungssumme in Höhe des Kaufpreises bezahlen. Dieser Gedanke wird im Lübecker und Münchner Stadtrecht auf den freiwilligen Besitzverlust übertragen, so dass der durch vertragliche Untreue Verletzte seine Sache zurückbekam, wenn er sie beim Dritterwerber einlöste. Im zweiten Falle (ein Bösgläubiger erwirbt von B eine Sache, die A dem B anvertraute) hat wohl erst die Zeit des Naturrechts die Eigentumsklage durchdringen lassen. Immerhin ist erkennbar, dass die schwächere Entwicklung des germanisch-mittelalterlichen Prozesses und seiner Vollstreckbarkeit zu Abstufungen von Rechtspositionen führte, die das römische Recht nicht kannte, und dass es gerade diese Abstufungen waren, die schuldrechtliche Ausgleichs- und Bereicherungsansprüche entstehen ließen. 2. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich beim Unterschied von Schuld und Haftung. Das prozessual hochentwickelte römische Recht legte schon früh den Unterschied zwischen Einstehenmüssen (haften) und Leistensollen (schulden) beiseite (Kaser, RP I §§ 39; 40 a. E.), weil ein Schuldner meist ermittelt und belangt werden konnte. Die im Tatsächlichen ruhenden Unsicherheiten des germanischmittelalterlichen Prozesses führten (wie auch in anderen weniger entwickelten Rechtsordnungen) zu der für das deutsche Recht wichtigen Unterscheidung von Haftung und Schuld. Die Haftung bedeutet den Verfall eines als Sicherheit gegebenen Gegenstandes (Tier, Geisel oder der Schuldner selbst bei der Selbstvergeiselung, vgl. Tacitus, Germania, Kap. 24). 3. Das heutige Schuldrecht ist aus römischrechtlichen und deutschrechtlichen Einrichtungen zusammengeflossen. Es kennt neben dem grundsätzlich römischrechtlichen Eigentumsbegriff deutschrechtliche Ausgleichsansprüche (wenn auch kein Lösungsrecht; vgl. insb. § 816), neben dem römischen Schuld- den germanischen Haftungsgedanken (1147). Die Fortentwicklung zu immer gesicherterem Rechtsgang (im allgemeinsten Sinne) bedingte ein Überwiegen der römischen Begriffswelt.

III. Der Primat des Deliktsrechts 1753

1. Das deutliche Auseinanderklaffen von Schuld und Haftung in frühen Rechtsordnungen (wobei der Schuldbegriff schon einer entwickelteren Stufe angehört!) zeigt als gemeinsame Wurzel privat-

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Zur Geschichte des deutschen Schuldrechts

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rechtlichen Denkens den Sühne- und Bußgedanken. Wer einem anderen etwas vorenthält, „bestiehlt“ ihn. Dieser Schaden ist wiedergutzumachen. Wo er nicht wiedergutzumachen ist, müssen andere Haftungsgegenstände herhalten. Aus dieser gemeinsamen Wurzel stammen in gerader Linie das Deliktsrecht und, gleichsam in der Seitenlinie, das Vertragsrecht, die deliktsrechtlichen Vorstellungen sind dabei die älteren. Für jedes Recht ist Zeitpunkt und Art der Ablösung des Vertragsrechts von der Entwicklungslinie Bußrecht → Deliktsrecht eine charakteristische Eigentümlichkeit. Dabei wirkt die Fortentwicklung des Haftungs- zum Schuldprinzip notwendig auf die Ablösung des Vertragsrechts vom (urtümlichen) Deliktsrecht ein. 2. Für das römische Recht liegt diese „Nachgestaltung“ der geschäftlichen Haftung nach dem Muster der deliktischen im Dunkel der Geschichte (Kaser, RP I § 39). Doch schon früh, sicherlich beeinflusst von regelmäßig erfolgreicher Prozessführung und damit vom Zusammenfallen von Schuld und Haftung, entwickelt sich im römischen Recht der Gedanke rechtsgeschäftlicher Schuld. Das rechtspsychologische Bindeglied zur alten Bußhaftung ist die Leistung des Versprochenen als Mittel für Haftungsabwehr (Kaser, RP I § 39 a. E. und § 40 III). 3. Im germanisch-mittelalterlichen Recht ist – wohl wegen des geringeren zeitlichen Abstandes und dem damit verbundenen reichlicheren Fluss schriftlicher Quellen – die bußrechtliche Wurzel schuldrechtlicher Haftung und die Ablösung der geschäftlichen Schuld aus der deliktischen besser erforscht (vgl. Mitteis/Lieberich, Kap. 40). Bis heute hat sich diese Ablösung noch nicht gänzlich vollzogen. Die Grenzen von Delikts- und Vertragsrecht und ihr Verhältnis zueinander sind durchaus streitig (dazu Medicus, FS Eduard Kern, 1968, 313, einerseits und oben §§ 51, 52, 101, 106 V andererseits). Die Grundfrage ist dabei, wieweit die vertragliche Sonderverbindung die deliktischen Haftungsgrenzen einengt oder erweitert. 4. Wohl am besten untersucht ist die (historisch jüngste) Entstehung der Vertragsschuld aus der deliktischen Schuld im angelsächsischen Recht, weil dort das Vertragserfordernis der consideration noch heute den direkten Bezug zu der Auffassung herstellt, vertragliche Ansprüche habe nur, wer geschädigt sei. Die Abzweigung der Vertragsklage aus der Deliktsklage wird dort auf das Jahr 1602 (Slade’s case) datiert. (Rheinstein, Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im angloamerikanischen Recht, 1932; Lehrbücher über „Contracts“ von Anson, Cheshire, Chitty, Jackson/Bollinger, Kessler/Gilmore, Pollock u. a.).

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IV. Vertragsfreiheit, Treu und Glauben 1. Der Satz: „Was man versprochen hat, das soll man auch halten“, ist in rechtshistorischer und rechtsvergleichender Sicht keineswegs Allgemeingut aller Rechtsordnungen. Die „allgemeinmenschliche Rechtschaffenheit und Verlässlichkeit, welche vor allem die Einhaltung formloser Zusagen gebietet“ (Wieacker, SavZ Rom. Abt. 80 [1963] 40) ist keineswegs eine juristische oder auch nur menschliche Selbstverständlichkeit, sondern das spezifische Produkt bestimmter religiöser, politischer und philosophischer Gegebenheiten, die geographisch und historisch durchaus begrenzbar sind. Einige ethisch hochstehende Kulturen lehren, dass man sich grundsätzlich auf nichts einlassen sollte (Hinduismus, Buddhismus und, mit Einschränkungen, der Islam). Auch die Rechtsordnungen dieser Kulturkreise kennen den Treu-und-Glauben-Satz nicht oder nur in formalen Ansätzen (Islam). Nur der Treu-und-Glauben-Grundsatz ermöglicht indes die Vertragsfreiheit. Zwischen den beiden Extremen einer urtümlichen Bußhaftung und der Freiheit, Treubindungen beliebigen Inhalts einzugehen, liegen die Systeme, bei denen sich – häufig aus Deliktstypen – bestimmte Vertragstypen entwickeln. 2. Von solcher Vertragstypik waren das ius civile und das ius honorarium beherrscht. Sie kannten die – eine Sachhingabe erfordernden – Realkontrakte Darlehen (mutuum), Leihe (commodatum), Verwahrung (depositum) sowie Verpfändung (pignus) und Treuhand (fiducia); zu den teilweise deliktischen Quellen insb. der praetorischen Typen (Leihe, Verwahrung und Verpfändung), Kaser, RP I § 124 I. Daneben standen die Verbalkontrakte, insb. die Stipulation, die dem heutigen Schuldversprechen ähnelt, aber größere, allgemeinere Bedeutung hatte; ferner die (formgebundenen) Litteralkontrakte des hellenistischen Bankwesens (Kaser, RP I § 129 I); und vor allem die Konsensualkontrakte Kauf (emptio venditio), Miete, Dienstvertrag, Werkvertrag (locatio conductio), Gesellschaft (societas) und Auftrag (mandatum). Bei den Konsensualkontrakten genügte formfreie Einigung zur Begründung der Pflicht. Zumindest der formfreie Kauf entwickelte sich zunächst im Handelsverkehr

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mit Fremden (Peregrinenrecht, „ius gentium“) und drang von dort aus ins römische Bürgerrecht vor (Kaser, RP I §§ 130ff, str.). 3. Vom formfreien, typischen Vertrag bis zum inhaltlich freien, an keine Typen mehr gebundenen Vertrag, zur modernen Vertragsfreiheit also, ist gedanklich nur noch ein Schritt. Der Schritt wird vollzogen, indem man das Versprechen selbst als hinreichende Verpflichtungsbasis ansieht. Das in das Versprechen gesetzte Vertrauen bildet dann den Grund der Verpflichtung (zum folgenden vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. I, 1975) Den formalen Ansatz dazu bildeten die Klagen „in factum“ (vgl. die funktionsgleichen englischen actions on the case), die nach zivilem und praetorischem Recht gewährt wurden, wenn kein geeigneter Klage- oder Vertragstyp zur Verfügung stand. Dem ursprünglich prozessual gedachten Behelf („actio in factum“) folgten in nachklassischer Zeit die materiell-rechtlich gedachten „Innominatkontrakte“ (unbenannte Verträge), Kaser, RP I 135, II § 269. Schuldgrund war dabei von Anfang an, also schon im vorklassischen römischen Recht, „Treu und Glauben“, ein „oportere ex fide bona“, Kaser, RP I § 135 II. Die Herkunft des bona-fides-Gedankens (freilich nicht aller bonae-fidei-iudicia) aus dem Peregrinenrecht erscheint gesichert, (Kaser, RP I §§ 50 I, 122 II 4; Kunkel, FS Koschaker, 1935 Bd. 2, 2; Pringsheim, The Greek Law of Sale, 1950, bei 418; z. T., aber nicht im Kern, kritisch Wieacker, SavZ Rom. Abt. 80 [1963] 1; dazu Kaser, SavZ Rom. Abt. 83 [1966] 1, 29). Offenbar übernahmen die Römer hier einen in der griechischen Philosophie wurzelnden Treuebegriff, der im römischen Geschäfts- und Gesellschaftsleben Fuß gefasst hatte, für juristische Zwecke (über die in diesem Zusammenhang juristisch aufschlussreichen, weil zum Teil nach griechischen Vorlagen gearbeiteten Komödien des Plautus, Pringsheim, aaO, 415ff; Kunkel, aaO, m. w. A.). Das in der griechischen Polis begründete Treueverhältnis zwischen Bürger und Gemeinwesen band formfrei (Th. Mommsen, SavZ 6, 260 f). Von hieraus wirkte das formfreie, bindende Treueversprechen schrittweise auf die förmlichen Zivilrechtsgeschäfte ein, wobei ein allgemeines Bürger- und Gesellschaftsverständnis die Vermittlerrolle übernahm (Kunkel, FS Koschaker 1935, Bd. 2, 5; Gelzer, Die Nobilität der römischen Republik, 1912, 49 ff; Plautus, Mostellaria 1023, wendet den Satz „Fides servanda est“ bereits in frühklassischer Zeit auf den Kauf an (die h. M. nimmt eine griechische Vorlage an!); vgl. auch Plautus, Truculentus, 214: „aedes obligatae“, die erste Erwähnung des Wortes obligare, hier im Sinne von haften). Mit dem vorigen stimmt die Beobachtung Wieackers (Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, 267), und Welzels (Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, 16 ff) überein, dass der Topos des „Gesellschaftsvertrags“ (im Rousseauschen Sinne) Ergebnis antiker Rechtsgeltungstheorie war. Die Polis schuf die fides. Darum ist der Ausdruck „Gesellschaftsvertrag“ unpassend. Alle Rechtsordnungen haben den Vertragsbegriff, aber nur die tragischen und die jüdisch-christlichen Kulturen den Treuebegriff entwickelt. Das hellenistische Recht selbst ist jedoch nach heutiger Erkenntnis nicht zum formfreien Kauf und zur bindenden Kraft des bloßen Versprechens vorgedrungen, eine Draufgabe (arrha) blieb stets nötig, Pringsheim, aaO, 333 ff, 417. Das spricht nicht gegen die griechische Philosophie als Quelle des fides-Begriffs, denn diese Philosophie war in der fraglichen Zeit antikes Gemeingut. Im Gegenteil, vieles deutet darauf hin, dass die fides als gesellschaftlicher (und dann auch rechtlicher) Grundsatz das Entsprechungsstück des Polisgedankens ist, wobei die Polis das körperschaftliche, die fides das gesellschaftliche Element einer zwischenmenschlichen Treubindung darstellt. 4. Das germanisch-mittelalterliche Recht ist zum formlosen, inhaltlich typenfreien Vertrag nicht durchgestoßen; Sohm, Recht der Eheschließung, 1875; Mitteis/Lieberich, §§ 45, 49ff. Wie das griechische Recht blieb es Form- und Typenregeln, insbesondere auch der arrha, lange verhaftet. Doch auch hier gewann die Treuepflicht im öffentlich-rechtlichen Bereich große Bedeutung, wohl schon zu heidnischer Zeit im tragisch-genossenschaftlichen Sinne, jedenfalls aber in christlicher Zeit in der religiös begründeten Feudalstruktur. (Die Parallele zu Griechenland ist auffällig, bei näherem Hinsehen aber nicht verwunderlich, da einerseits die christliche Heilslehre eine treueerzeugende Kraft mit sich brachte, die in christlich-germanischer Zeit länger dauernde Schuldverhältnisse ermöglichte, und da andererseits dem christlich-germanischen Recht ebenso wie dem griechischen die Abstraktionshöhe des römischen fehlte, u. a. weil ein praetor peregrinus nicht benötigt wurde.)

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Zur Geschichte des deutschen Schuldrechts

§ 120 VII 1

V. Bemerkungen und Literaturhinweise zur neueren Systemgeschichte 1. Im Corpus Iuris Iustiniani (533 n. Chr.) wurde das klassische und nachklassische römische Recht zusammengefasst und teilweise harmonisiert. In seiner vor allem in Bologna gelehrten und im hochmittelalterlichen Italien praktizierten Gestalt wurde es in den deutschen Teilen des Reichs rezipiert (Kunkel, SavZ Rom. Abt. 71 [1954] 520; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, 133; Engelmann, Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien, 1938; Koschaker, Europa und das römische Recht, 1948, Kap. X–XIII). 2. Die anschließende Zeit praktischer Geltung „römischen“ Rechts (mos Italicus) in Deutschland bezeichnet man als den usus modernus pandectarum (Wieacker, aaO, 204ff m. w. A.). Die vor allem in Frankreich und Holland beheimatete, historisierende „elegante Jurisprudenz“ hat dagegen keinen starken Widerhall in Deutschland gefunden. Zu Recht meint Kunkel (SavZ Rom. Abt. 71, 509), dass eine Institutionengeschichte des heutigen deutschen Privatrechts vor allem im usus modernus anzusetzen habe. Die Typik der Schuldverträge, die Ausbildung des Konsensualvertrags, die Theorie der Vollmacht, der Vertrag zugunsten Dritter werden als Beispiele für den Beitrag des usus modernus zur weiteren Schuldrechtsentwicklung genannt, Wieacker, aaO, 213; Medicus, JuS 74, 621. 3. Das Vernunftrecht steuerte vor allem System und Allgemeinbegriffe bei, so die Unterscheidung von Allgemeinem und Besonderem Teil des Schuldrechts, die Einteilung in Kontrakte (Verträge) und Quasikontrakte (Ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag), die Ablösung der Rechtsgeschäftslehre vom eigentlichen Vertragsrecht usw. (Wieacker, aaO, 280ff; Dubischar, Die Grundlagen der systematischen Zweiteilung, 1961; Welzel, Naturrecht und materielle Gerechtigkeit, 1962). 4. Die historische Rechtsschule verwandte erstmals das 5-Bücher-System, das dem heutigen BGB zugrunde liegt (Hugo; Heyse), näher dazu vor allem A. B. Schwarz, SavZ Rom. Abt. 42 (1921), 583. Zur Kritik der von der historischen alsbald in übertriebene Begrifflichkeiten verfallenden Betrachtungsweise Larenz, Methodenlehre, 1975, 15 ff. Von grundstürzender Kraft erwies sich R. v. Iherings Zweckjurisprudenz (Der Zweck im Recht, 2 Bände 1877/84), womit – noch vor den zeitgenössischen Wandlungen zur soziologischen Jurisprudenz in USA (durch Holmes) und Frankreich (durch Duguit und Gény) – die Bahn für die moderne Interessen- und Wertungsjurisprudenz gebrochen war. Das Material, aus dem das BGB heute besteht, ging durch den Filter der Windscheidschen Pandekten, Geist und Anwendung des heutigen Privatrechts wurden von Ihering (1818–1892) geprägt wie von keinem nach ihm, näher Wieacker, aaO, 430ff; ders., R. v. Ihering, 1942; Fikentscher, Methoden des Rechts III § 23. 5. Eine Geschichte der neueren schuldrechtlichen Literatur kann hier nicht geschrieben werden. Ein Auftakt dazu findet sich bei Hedemann, Schuldrecht, 1949, 381 ff (Vorgänger dieses Werkes). Darauf sei an dieser Stelle verwiesen.

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VI. Schuldrecht im Einigungsvertrag Nach Art. 8 des Einigungsvertrags v. 31. 8. 90, BGBl. II S. 889, trat mit dem Wirksamwerden des Beitritts (3. Okt. 1990, Art. 1) in den fünf neuen Bundesländern und im beigetretenen Teil des Landes Berlin (Art. 3) Bundesrecht in Kraft (und damit DDR-Recht außer Kraft), soweit nicht Art. 8 und 9 Ausnahmen vorsehen. Zu Schuldrechtsproblemen s. die 8. Aufl. Rdn. 1406, 1413f.

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VII. Entwicklung des Schuldrechts 1. Die Schuldrechtsmodernisierung Seit Inkrafttreten des BGB am 1. 1. 1900 hat von den fünf Büchern des BGB das Gesamtgebiet des Schuldrechts durch die Anforderungen der Praxis weitaus die stärkste Ausdehnung erfahren. Von verhältnismäßig wenigen Gesetzesänderungen abgesehen hatten Rechtsprechung und Lehre diese Ausbreitung des Rechtsstoffs zu bewältigen. Dies führte zu einer immer größeren Entfernung des geltenden und praktizierten Rechts zum Text des BGB. Die Unzufriedenheit über Lücken und Ungereimtheiten veranlasste seit Ende der 1970er Jahre zu einer konkreten Reformdiskussion. Meilensteine waren der Abschlussbericht der Schuldrechtskommission 1991/1992 und das Gesetz zur

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Räumliche und zeitliche Bezüge des Schuldrechts

Modernisierung des Schuldrechts vom 26. 11. 2001 (BGBl. I 2001, 3138). Der Reformprozess und die Regelungsanliegen wurden bereits skizziert.1 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die neuen Grundstrukturen dringend der Ausfüllung und Festigung durch Rechtspraxis und -lehre bedürfen.

2. Ausblick 1764

Der europäische Einfluss auf das nationale Schuldrecht (EG-Richtlinien waren Anlass der Reform!) wird immer stärker werden. Parallel hierzu florieren die Projekte zum Europäischen Privatrecht (oben § 2 V), die teilweise auf die Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs abzielen. Damit ist eine ganz neue Blüte der Rechtsvergleichung verbunden. Die in Deutschland gemachten Erfahrungen sollten zu folgender Orientierung führen: Das rechtspolitische Leitbild des BGB ist ein auf Ausgleich und Kontrolle wirtschaftlicher Machtpositionen angelegtes bürgerlich-liberales Modell. In seiner – dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts entnommenen – Formalität erwies es sich auch nach 1945 als geeignet, durch richterliche Auslegung, Analogie und Rechtsfortbildung die schuldrechtliche Grundordnung für eine umweltsoziale Marktwirtschaft bereitzustellen. Die umweltsoziale Marktwirtschaft geht vom Markt als der Instanz aus, durch die ein Dialog über (wirtschaftliche und andere) Werte auf Dauer geführt werden kann. Sie plant daher den Markt und schützt ihn rechtlich durch das Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen und unlauterem Wettbewerb (Kartellrecht, UWG) vor Störungen seiner Nachhaltigkeit: Freiheit darf nicht so frei sein, dass sie sich selbst zerstört (sog Freiheitsparadoxon). Wo der Markt sich nicht verwirklichen lässt, arbeitet die umweltsoziale Marktwirtschaft daher notfalls mit Als-ob-Marktwerten (Kartellbehörden, Regulierungsbehörden). Der Markt ist ein Dialog über Werte. Funktionierender Wettbewerb ist der sozial wirksamste Verteiler der knappen Güter. Er leitet sie mit der größtmöglichen Schnelligkeit so nahe wie möglich an den Ort des Bedarfs, in einer dem Bedarf des Nachfragers am ehesten gerecht werdenden Qualität und Vielfalt. Hier öffnen sich die Fragen nach den tatsächlichen Bedingungen für ein taugliches Schuldrecht. Sie gehören zu einem anderen Rechtsgebiet, dem Wirtschaftsrecht.2

1 S. hierzu bereits oben § 2 III; zu Einzelproblemen s. § 42 I, II, 68. 2 Fikentscher Die umweltsoziale Marktwirtschaft – als Rechtsproblem (1991); ders., Culture, Law and Economics (2004).

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Verzeichnis der Gesetzesstellen (Ziffern vor dem Doppelpunkt = Gesetzesparagraphen; Ziffern nach dem Doppelpunkt = Fundstellen, nach Randnummern.) AEG 10: 112 AktG 18: 1316 66: 339 93: 773 116: 773 AMG 2: 169943: 602 84: 1607, 1620, 1699 84a: 1699 88: 1699 94: 1699 AtomG 13: 1694 25: 1694 25a: 1694 26: 1694 31: 1694 34: 1694 36: 1694 AuslInvestmG 12: 102, 103 BBauGB 24: 932, 934 97 II: 102 BBeamtG 78: 1655 BBiG 12: 142 BerufsbildungsG 4: 1139 15: 1187

BetrVerfG 3: 115 4: 115 78a: 112 102: 1187 BeurkG 9 I 2: 127 17: 1101 Börsengesetz 45 – 49: 102 BPersVG 9: 112 Bürgerliches Gesetzbuch 13: 546, 942, 1098 14: 172, 177, 546, 942, 1098 30: 1665 31: 663, 713, 1308, 1665 f 42: 773 54: 783 86: 773 89: 773 90: 927 90 a: 511 91: 246, 860, 1083, 1226 93: 8791 94: 791 99: 827, 1062 100: 537, 827, 1062 104 ff: 1138 105: 89 107: 89 108: 89 109: 654 116 ff: 1138, 1142 117 I: 128, 722, 729 118: 155

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Verzeichnis der Gesetzesstellen

119: 79, 544, 560, 726, 1189 119 I: 146, 151, 183, 350, 1009 119 II: 120, 146, 151, 202, 350, 415 ff, 532, 916, 1142, 1556 119 ff: 147, 213, 1009 121: 1015 122: 94, 104, 151, 415 ff, 608, 845 123: 95, 117, 120, 544, 549, 726, 755, 1009, 1142, 1189 124: 95, 103 125: 126, 1100, 1111 125 S. 1: 128, 130 125 S. 2: 123 126 – 129: 122 126: 1099 126a: 1099 126b: 553, 564, 569, 1115 128: 126 130 I: 563 133: 29, 151, 155, 157, 159, 181, 193, 197, 236, 892 134: 115, 120, 141, 147, 264, 803, 807, 1034, 1442, 1144, 1265 135: 129, 725 136: 129 137: 725 138: 108, 116 f, 120, 141, 147, 161, 192 f, 200, 223, 467, 516, 725, 743, 803, 807, 969, 1059, 1097, 1142, 1144, 1265 139: 116, 132, 152, 190, 223, 757, 794 140: 754, 963 141 I: 129 141 II: 721 142 I: 534, 757 143: 755 145 ff: 803, 1138, 1142 145: 59, 134, 157, 177 146: 151, 177 148: 134 150 II: 178 151: 79, 84 154: 151, 158 f, 176, 892, 1141 154 II: 123 155: 151, 158, 176, 1141 156: 554 157: 29, 151, 155 ff, 161, 181, 192 f, 200, 157, 892, 1146 158: 311, 805, 959, 962, 1059

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158 II: 536 159: 536, 820 160: 961 161: 931, 962 163: 311 164 ff: 1247 167 II: 127, 1099 175: 525 179: 94, 104, 256, 608 183: 563 184 f: 725, 745 f 185: 755, 963, 966, 1220, 1491 187: 951 188: 951 194: 533, 890 195: 42, 92, 95, 103, 191, 509, 667, 776, 854, 886, 919, 1010, 1204, 1243, 1583, 1617, 1720 197: 1010 197 I Nr. 1: 888 199: 42, 92, 95, 103, 191, 509, 667, 776, 854, 919, 1204, 1214, 1243, 1617, 1720 203: 219, 891, 1243 204: 891 212 I: 320, 891 214 I: 475 215: 525 216: 962 218: 533, 890 227–231: 578 227: 640 228: 511, 640 229: 640, 1024 241: 3, 26, 790 241 I: 357 ff 241 II: 29, 32, 37, 42, 86, 88 ff, 357 ff, 472, 505, 508, 510 f, 513 f, 517, 519, 560, 666, 811, 1151, 1175, 1596 241a: 84, 850 242: 21, 34, 42, 77, 90, 116 f, 120, 130, 141, 146, 148, 151, 158, 161, 168, 192 ff, 198 ff, 227, 263, 265, 311, 401, 467, 490, 573, 588, 611, 613, 620, 641, 785, 811, 858, 1033, 1058, 1151, 1175, 1474, 1596 243: 247 ff, 492, 805, 880 243 I: 247, 259, 816 243 II: 248 ff, 259, 392, 816, 942, 997, 1528

Verzeichnis der Gesetzesstellen

244: 257, 263 245: 263 246: 264, 267, 1100 247: 267, 473 248: 264 249: 219, 588, 604, 666, 1713 249 I: 669 ff, 587 249 II: 672 ff, 587 249 ff: 104, 106, 670 ff 250: 672, 676 251: 672 251 I: 670 ff, 683, 692 251 II: 257, 399, 670 ff, 675 252: 687, 698, 587, 601 f, 253: 439, 1717 253 I: 678 f, 604 253 II: 604, 678, 680, 693 254: 44, 70, 104, 147, 307, 412 ff, 429, 486, 538, 709 ff, 641, 1719 254: 776, 1481, 1526 254 I: 132, 709 254 II: 707 ff, 634 255: 708, 774, 778 256: 264 257: 257 258: 1060 260 I: 269 262 ff: 256 266: 265, 379, 524, 849 267: 286, 289, 297, 490, 1146, 1483, 1485, 1486 f 267 II: 288 262: 753, 858 263: 858 268: 290 268 II: 287 268 III: 290, 720, 736 269: 272, 276, 830 269 I: 253, 279 f 269 II: 279 269 III: 283, 828 270: 279, 282, 284, 492, 276, 817 270 I: 253, 259 270 IV: 253 271: 462, 490, 564 271 I: 273 272: 264 273: 526 f, 727, 1056, 1522 274: 525, 527, 1056

274: 525 275: 213, 249, 255, 311, 363 ff, 369, 389 ff, 419 ff, 492, 816 f, 818, 822, 834, 875 275 I: 250, 371 ff, 614, 819, 996, 1153 f, 1168 275 II: 237, 371 ff, 462, 864, 1208 275 III: 237, 401, 462, 519, 1208 276: 492, 578, 597, 643, 649, 654, 666, 856, 1163 276 I: 250, 255, 644 ff, 654, 851, 1003, 1708 276 II: 149, 578, 599, 651 276 III: 29, 115, 152, 516, 650, 664 277: 472, 516, 538, 653, 820 278: 89, 91 f, 597, 680, 599, 650, 656 ff, 825 f, 879, 1133, 1137, 1196 ff, 1665 f 280 ff: 359 ff, 368 ff, 414 ff, 498 f, 521, 541, 574, 809, 1275 280 I: 88 ff, 132, 147, 203, 223, 408, 419 ff, 436, 471, 483 f, 497, 499 f, 501 ff, 505, 506, 508 ff, 519 ff, 560, 575, 654, 666, 797, 841, 873, 1011, 1014, 1158 f, 1161 280 II: 386 ff, 463, 470 f, 481. 483. 486, 494, 497, 499, 506, 509, 522 280 III: 213, 419 ff, 463, 475, 476, 481 f, 497, 500 f, 502, 506, 509, 510, 519 f, 575 281: 474 f, 476 ff, 486 f, 497, 501, 507, 518, 913, 961, 1018, 1211 281 I: 379, 421, 436, 498, 500 ff , 521 f, 541, 797, 834, 849 281 II: 501, 517 281 III: 574 281 IV: 517 282: 508, 512, 518, 520, 521, 833, 877 283: 213, 369, 379, 408, 419 ff, 484, 492, 497, 521, 575, 820, 913, 931, 972, 1018 284: 413, 432, 438, 439 ff, 463, 467, 478, 833, 872, 913, 1158, 1211 285: 73, 442 ff, 537, 540, 612, 614, 774, 778, 826, 833 285 a.F.: 512, 286: 265, 272, 465 ff, 481, 494, 499, 506, 512, 521 f, 575, 876, 880, 1014, 1155, 1201 286 IV: 142 286 ff: 386 287: 424, 463, 472, 539, 677, 623,

849

Verzeichnis der Gesetzesstellen

287 S. 2: 654, 664, 671, 688, 790 288: 264, 463 289: 264, 473, 1108 290: 264, 473 291: 264, 1528 292: 270 293 ff: 490, 300 293: 253 f, 265, 489, 491 293 ff: 386 294: 253 f, 265, 490 295: 253, 490, 496, 819, 1201 296: 490, 822 297 – 299: 490 297: 490 298: 496 299: 491 300: 492, 494 f 300 I: 516, 453, 653, 1217 f 300 II: 247, 253, 255, 259, 300, 404, 817 301: 493 302: 493 303: 493 304: 300, 489, 493, 829 305 ff: 116, 161 ff, 1194 305 I: 165 ff 305 II: 137, 161, 171 f, 175, 177, 179, 190 305 III: 137, 171 f, 175, 179 305a: 174 305b: 167, 170 305c: 167, 174 305c I: 179 f, 184 305c II: 182, 184 306: 167, 176, 190, 306 306a: 174, 189 307: 174, 180, 187 ff, 222, 261, 467, 807, 1017, 1047 307 I: 116, 187, 970 307 II: 821, 970, 1017 307 III: 184, 187 308: 48, 172, 174, 186, 258, 564, 567 309: 48, 141 f, 172, 174, 180, 184 f, 187, 222, 338, 516, 524, 653, 807, 945, 1007 309 Nr. 8b: 861, 884, 1206 310: 171 ff 310 I: 177 310 II: 174 310 III Nr. 1: 165, 173 310 III Nr. 2: 165 310 IV: 1128

850

311: 797 311 I: 71, 82, 86, 110, 131, 134 f, 343, 345, 563, 766, 769, 791 f, 1090, 1188 311 II: 39, 43, 86 ff, 132, 365, 505, 560, 1011 311 III: 43, 86, 88 ff, 99 ff, 505, 510, 666 311a: 213, 247, 255, 363 ff, 654, 804, 918, 972 311a II: 379, 407 ff, 451, 497, 501, 505, 510, 521, 575, 804, 809, 1010 311b: 115, 126 ff, 132, 134, 343, 551, 794, 808, 842, 934 f, 957 311c: 809 312 ff: 152, 547, 562 312: 545, 548 f, 1102 f 312 I: 550, 569 312 III: 550 312a: 550, 1102 312b: 548, 556 312b I: 552 312b II: 552 312b III: 552 312c: 551, 553 f, 1114 312d: 548, 561 312d I: 554 312d II: 554, 567 312d IV: 554, 1114 312e: 555, 556, 560 312e I: 557 f, 561 312e II: 559 312e III: 558, 560 312f: 152, 562, 570 313: 146, 210, 127, 218, 220, 224 ff, 263, 399 ff, 529, 620, 1067, 1079, 1086 313 I: 241 313 II: 48, 238 313 II: 241 314: 47, 139, 217, 448, 507, 573, 1184, 1223 315 – 310: 121 315 ff: 223, 263, 806 f 315: 196, 985, 1141 316: 196, 985, 1141 317–319: 196 320 ff: 803, 856, 1200 320: 43, 54, 185, 464, 476, 489, 491, 523 f, 525, 527, 568, 766, 810, 995, 1152, 1157, 1178, 1205 320 II: 524 321: 55, 228, 524 f

Verzeichnis der Gesetzesstellen

322: 54, 464, 494, 496, 523 f, 527 323 ff: 608, 809 323: 364, 368 ff, 454, 486 ff,, 528, 531, 818, 820, 1112, 1178, 1184, 1209 f 323 I: 378, 498, 507, 528, 531, 535, 541, 819, 867 323 II: 338, 531, 574 323 IV: 533 323 V: 379 ff, 507, 533, 797, 834, 849, 866 323 VI: 329 324: 364, 486, 508, 520, 528 325: 458, 529, 574, 868 326: 213, 255, 369, 486, 490, 492, 494 ff, 1209 326 I: 249, 283, 379, 394, 404, 447 ff, 524, 818 ff, 822, 863, 913, 1152, 1154 326 II: 300, 395, 425 ff, 450 ff, 819 f, 861, 1000, 1169 326 V: 364, 378 f, 429, 457, 528, 856 326 a.F.: 475 328 ff: 294 ff, 1230 328: 753, 1230 328 I: 291f, 294 ff 328 II: 292 329: 302, 752 330: 309 331: 309 ff 333: 291, 296, 303 ff 333 – 335: 303 ff, 753, 755 334: 300, 303, 307, 1230 335: 300, 303 336 140 336 ff: 140 337: 140 338: 140 339 ff: 141 f 340 I: 257 343: 140 f, 196 346 ff: 528, 534, 566, 572, 790 346: 135, 472, 488, 1105 346 I: 528, 536, 542 f, 862, 868, 1394, 1509 346 II: 532, 534, 537, 538, 541, 543, 566 f, 862, 868 346 III: 538 f, 542 f, 566, 820 346 IV: 537, 539, 541, 542 347: 537, 543 348: 497, 536. 568 349: 535, 868 350: 532

351 a.F.: 532, 766 352: 337, 532 353: 140 354: 531 355 ff: 547, 563, 570, 957 355: 93, 563, 1101 355 I: 534, 554, 564, 1105 355 II: 554, 564 355 III: 565, 957 356: 568, 569 f, 767 357: 563, 566 f, 569 357 I: 534, 566, 568, 1105 357 II: 536, 539, 570 357 III: 539, 667 357 IV: 542 358: 1079, 1093, 1101 , 1103 f, 1104 f, 1107, 1110 359: 1079, 1093, 1103 f, 1106 f, 1110 361 a.F.: 531 362: 65, 203, 260, 261, 272, 311, 491 f, 801, 816, 961, 1092 362 I: 245, 247, 255, 316 362 II: 314, 1085, 1475 363: 311, 854, 915 364: 311 364 I: 257, 260, 322 f, 346 364 II: 260, 262, 323, 1092 365: 311, 536, 322 f 366: 316 366 I: 313 366 II: 319, 340 366 – 371: 311 ff 367: 264, 316, 340, 1108 367 II: 313 368: 321 369: 321 370: 321 372: 494, 325, 1200 372 – 386: 311, 325 ff 376: 325 f 376 II: 326 378: 326 379 II: 326 381: 326 382: 326 383: 494, 941, 1200 383 I: 327 387 ff: 266, 311, 329 ff 388: 330

851

Verzeichnis der Gesetzesstellen

390 ff: 338 ff 391: 282, 338 392: 338 393: 339, 526, 1722 394: 339 395: 339 397: 311, 341 ff 397 II: 341, 755 398: 296 ff, 720 ff, 966 398 ff: 297 ff, 759 399 Alt. 1: 724, 1149 399 Alt. 2: 725, 729, 804, 967 400: 725 401: 1023 401 I: 727 402: 727 403: 727 404: 729, 732, 1108 404 ff: 728 ff 405: 722 f, 725, 729, 735 406: 732, 1108 407: 732, 966, 1029 407 I: 719, 721, 730 407 II: 730 408: 731 408 I: 731 409: 721, 733, 1029 409 I: 733 410: 734 412: 290, 736 413: 736 414: 286, 753, 755, 757, 759 415: 286, 752 f, 755, 757, 759 416: 756 417: 755 f 418: 757 419 aF: 758 420: 761, 766 f, 789 420 ff: 1312 421 ff: 762, 767 421: 753, 771, 774 422 ff: 778 422: 769, 775 423: 769, 775 424: 775, 778 425: 769, 775 426: 775, 778 426 I: 767 426 II: 720, 726, 736, 777

852

427: 767, 772, 782, 789 428: 769 428 ff: 762, 769 429: 769 430: 769 431: 986 432: 770, 772, 785 f, 986 433 ff: 790, 812 433: 34, 36, 126, 203, 494, 496, 818 433 I: 245, 255, 800, 804, 809, 816, 831, 833, 972 433 II: 250, 300, 800 f, 810, 829 434: 97, 480, 524, 793, 797, 434 I: 835 f, 840, 842 ff, 944 434 II: 847 434 III: 383 f, 848 435: 97, 919 467: 793 437: 485, 499, 724, 601, 654, 797, 913, 949, 955, 1157, 1202 437 Nr. 1: 866, 887, 1564 437 Nr. 2: 528 f, 536, 654, 809, 866 ff, 943 437 Nr. 3: 97, 147, 499, 501, 521, 601, 872, 929, 1564 437 ff: 1565 438: 92, 97, 509, 521, 812, 848, 854, 945 438 I: 1564 438 II: 889 438 IV: 890 439: 501, 833, 857, 1206 439 I: 256 439 I 2. Alt.: 254 439 II: 861 439 III: 399, 809, 864 439 IV: 862 440: 487, 501 f, 809, 833, 859, 1209 441: 870 f, 1209 441 III: 448, 809 442: 97, 756, 882, 915, 924 443: 851 ff, 947 444: 115, 925, 945 445: 936, 942 446: 404, 454, 495, 524, 538, 820 f, 825, 827, 835, 926, 942, 961, 965 447: 272, 279, 283, 404, 454, 469, 613, 615, 658, 820, 822 ff, 835, 942 448: 811, 828, 830 449: 959, 961 f, 970 450: 936

Verzeichnis der Gesetzesstellen

451: 936 452: 828 453: 800, 804, 809, 811, 828, 831, 917, 919, 921, 927, 954, 955 454: 134, 790, 929 f 455: 531, 930 456: 134, 931 457: 931 458: 931 460: 931 461: 935 463: 134, 933 463 ff: 135, 932 464: 134, 934 f 465: 933 469: 934 473: 935 474 ff: 152, 940 474: 766, 936, 474 I: 941, 942, 952 474 II: 613, 826, 942 475: 115, 861, 891, 942, 944, 945, 950 476: 946 477: 947, 952 478: 948 ff 479: 948 f , 951 480: 499, 790, 971 481: 953 f, 955 f 482: 956, 1099 483: 956 484: 956, 1099 485: 347, 957, 958 486: 958 487: 956 488: 60, 346 488 I: 1085, 1087, 1091 f 488 II: 1085 488 III: 275, 1088 489: 572, 1088 490: 228, 1089 491 ff: 1093, 1095 ff, 1110, 1290 491: 1096 f, 1108, 1114 492: 808, 1094, 1097, 1099 f, 1110 f 493: 1100 494: 1100, 1111 495: 1097, 1101, 1103, 1105 496: 1108 497: 264, 1108 498: 141, 1097, 1108, 1112

499 ff: 347, 952 499 I: 1110 499 II: 1071 500: 1071, 1078, 1111 501: 550, 808 502: 808, 1112 503: 569, 1112 f 504: 1113 505: 47, 347, 1114 506: 1108 507: 1098 516: 61, 755, 973, 976 517: 976 518: 52, 125, 304, 975 518 I: 342 519: 228 520: 976 521: 29, 472, 516, 653, 976 f 522: 976 523: 977 524: 254, 974, 977 524 II: 247 525: 978 526: 978 527: 978 528: 228, 257, 979 529: 979 530: 228, 979 531: 979 532: 979 533: 979 534: 979 535: 1027, 1062 535 I: 981, 991, 993, 995 f, 1017 535 II: 981, 1014 536: 993, 995, 999 f 536a I: 499, 1002 f, 1010, 1027 536a II: 1004, 1018, 1058 536b: 1005, 1054 536c: 1006, 1015 536d: 1007, 1054 537: 394, 1013 538: 993, 1016, 1058 539 I: 1004, 1058 539 II: 268, 1058, 1060 540: 1016, 1032, 1034, 1037, 1051 541: 1016, 1038 542: 572, 982, 1043 543: 573, 998, 1016, 1054, 1078

853

Verzeichnis der Gesetzesstellen

544: 1043, 1051 545: 1041 546: 753, 772, 1037, 1056, 1549 546a: 1057, 1077 548: 1061, 549: 989, 1045, 1048 550: 125, 990 551: 1025, 552: 1060 553: 1016, 1032, 1034, 1037 554: 1020 554a: 994 555: 142 556: 988, 1027 556b: 524, 1012 557: 989, 557a: 989, 1047 557b: 263, 989 558: 268, 987, 1051 559: 989, 1020, 1051 560: 989 561: 989, 1051 562: 1021 f, 1022 563: 1035 566a ff: 1031 562a: 1023 562b: 1024 562c: 1023 562d: 1024 563: 759, 1051 563a: 1051 564: 1035, 1051 565: 1031 566: 759, 955, 990, 1027 ff 566a: 1029 566b: 1029, 1077 566c: 1029 566d: 1029 566e: 1029 567: 1030 567a: 1028 568: 572, 1045, 1050, 1053 569: 573, 1052 f, 1054 f 570: 525, 1056 571: 1057 572: 531, 982, 1041 573: 989, 1047 573a: 1048 573b: 1048

854

573c: 1046 573d: 1051 574: 1045, 1048 574a: 1049 f 574b: 1050 575: 1044, 1047 575a: 1051 577: 932 578 . 990, 1022, 1027, 1055, 1056 579: 524, 1012 580: 1035, 1064 580a: 1046 581: 980, 1030, 1062 ff 582 ff: 1067 582: 1063 583: 1063, 1219 583a: 1063 584a: 1064 584b: 1063 ff 585: 1067 586: 1067 587: 1067 588: 1067 589: 1067 592: 1067 593: 228, 1067 596: 525 589: 1080 f 598 ff: 973 599: 29, 472, 516, 653 600: 1080 ff 601: 1082 602: 1082 603: 1080 f 604: 4, 275, 470, 489, 1080 605: 275, 572, 1080 ff 606: 1082 607 ff: 1084 607 I: 247, 1083 608: 1083 609: 1083 610 a. F.: 1086 611 ff: 1118, 1126 f, 1128 611: 797, 1122 f, 1146, 1178, 1191 611a: 1126, 1128 611b: 1126, 1128 612: 196, 973, 1120, 1126, 1128, 1141, 1167, 1195 612a: 1126, 1128

Verzeichnis der Gesetzesstellen

613: 288, 724, 1148 ff, 1188 613a: 759, 1128, 1150 614: 524, 1110, 1146, 1152, 1155, 1167, 1178 615: 492, 1128, 1168ff 616: 454, 1128, 1171ff 617: 152, 1120, 1123, 1175 617 ff: 110, 1126 618: 40, 152, 511, 1120, 1175, 1179, 1201 619: 115, 152, 516 619a: 512, 1128, 1164 620: 572, 1128, 1154, 1181, 1183 621: 1128, 1183 622: 1124, 1128, 1183, 1187 623: 1128, 1182, 1188 624: 152, 1126, 1181 625: 1190 626: 573, 574, 1123, 1154ff, 1166, 1178, 1184, 1184 f, 1190 627: 1128, 1186, 1190 628: 1155, 1178 629: 1126, 1175, 1190 630: 1126, 1175,1190 631 ff: 793, 1191 ff 631: 36, 666, 1191 ff 632: 196, 973, 1120 632 III: 179 632a: 1195 633: 36, 97, 480, 483, 1199 633 II: 383 634: 97, 485, 499, 501, 521, 524, 528 f, 654, 1191 ff 634 a: 92, 97, 509, 521, 888, 1200, 1202, 1204, 1211, 1214 f, 1226 f 635: 501 f, 524, 857, 1191 ff 635 III: 399 636: 487, 501, 1209 637: 861, 1018, 1191, 1211 638: 1157, 1236 640: 494, 1200, 1204 640 II: 97 641: 264, 524, 1195, 1200, 1204 641a: 1200 642: 490, 493, 1201 643: 572, 1201 644: 454, 524, 613, 1130, 1200 644 I: 404, 1216 644 II: 283 645: 454, 490, 494, 1130, 1201, 1218, 1224

646: 1200, 1204 647: 1219, 1222 648: 1219, 1222 648a: 1219, 1222 649: 394, 572 650: 228, 1195, 1224 651: 928, 1118, 1191 f, 1225 651a ff: 1228 ff 651a: 1121, 1229 f, 1232 f, 1239 651b: 1231 651c: 399, 1228, 1232, 1234, 1236, 1240 f 651d: 1236 f, 1240 f 651e: 572, 1237 f, 1240 651f: 572, 604, 678, 693, 1228, 1240 651g: 1241, 1243 651h: 516, 1242 651i: 544, 1231, 1239 651j: 228, 1238 f 651k: 1232 651l: 1229 651m: 115, 1242 652 ff: 1136, 1289 ff 653: 196, 1120 655b: 1290 656: 69, 1291 f 657: 52, 72, 1120, 1293 ff 657 ff, 1117 658: 563 661: 1120, 1296 661a: 1297 662: 28, 53, 1244, 1247, 1253, 1271 663: 1247 664: 288, 1247, 1255 664 II: 724 665: 1249 666: 269, 1249, 1275 667: 80, 1039, 1249, 1275 669: 1244, 1250, 1275 670: 268, 289, 608, 777, 793, 1058, 1165, 1180, 1244, 1485 671: 563, 572, 1251, 1255 672: 1251 674: 1251 675: 28, 48, 261, 791, 793, 797, 1118, 1133, 1191, 1251 ff, 1271 676a ff: 261, 1092, 1257 f 676a: 1092, 1257 676b: 1257 676c: 115, 1257

855

Verzeichnis der Gesetzesstellen

676d: 1257 676f: 137, 262, 1092, 1257 676g: 516 676h: 1257 677 ff: 73, 89, 149, 641, 1120, 1260 ff 677: 511, 1260 ff, 1271 678: 608, 654, 1281 678 II: 1039 679: 1058 680: 29, 516, 1260 681: 80, 1039, 1247 682: 1260 683: 289, 511, 777, 1058, 1120, 1247, 1272 ff, 1279 ff 684: 289, 1058, 1272, 1279 ff, 1494 685: 1277 687: 1260, 1263, 1271 687 II: 1467, 1472 688 ff: 790, 1136 689: 1120, 1298 ff 690: 472, 516, 779, 1300 691: 288 697: 278, 640 699: 524, 653 700: 247, 1091 f, 1301 700 I: 278, 1092 701 ff: 790, 1302 701: 611 702a: 516 705: 203, 783, 1098, 1306 ff 708: 472, 516, 653, 779 709: 786 709 ff: 784, 1322 ff 713: 288 717: 724 719: 765, 784, 786, 788 723: 572, 573 723: 776 736 ff: 1337 ff 741 ff: 148, 764, 782, 1311 741: 782, 790, 986, 1341 744: 782, 786 f 747: 784 748: 776 748: 782 749: 1343 759 ff: 1344 ff 762 ff: 1346 765 ff: 30, 157, 754, 1348 ff

856

766: 125, 218, 754, 1097 767: 742, 754 768: 332 769: 772 770 II: 332 774 I: 720, 736 775: 228, 257 779 ff: 228, 348 ff 780: 5, 147, 261, 347 781: 5, 125, 148, 321, 347, 1374 783: 125, 293, 317 784: 1383, 1434 790: 563 793: 5, 52, 719, 1383 794: 1386 808: 719, 1389 809: 271, 790 810: 271 812 ff: 8, 23, 60 f, 77, 89, 199, 528, 790, 801, 1058, 1399, 1420 812 I 1: 80, 193, 301, 730, 850, 1100, 1198, 1420, 1423, 1424, 1429 ff 812 I 1 Alt. 1: 789, 1001, 1449, 1505, 1508 812 I 1 Alt. 2: 1039, 1452, 1453, 1469, 1478, 1489, 1498 f 812 I 2 Alt. 2: 242, 1427 812 II: 1447 813: 300, 1427 814: 490, 320, 1005, 1443, 1453 815: 1458 816 I: 1039, 1283 f, 1427, 1481, 1497, 1536, 1566 816 II: 321, 719, 730, 733, 1470, 1472, 1491 817: 1425, 1429 817 S. 1: 1460, 1466 817 S. 2: 1462, 1464 818: 80 818 I: 1057, 1511 ff 818 II: 606, 1143, 1433, 1514 ff 818 III: 289, 719, 976, 1143, 1436, 1474, 1516, 1517, 1519 818 IV: 1440, 1519, 1528, 1529 819: 80, 1460, 1519, 1528, 1530 820: 320 820 II: 264 821: 757, 1532 822: 1425, 1433, 1497

Verzeichnis der Gesetzesstellen

823: 199, 597, 597, 623, 659, 826, 1396, 1401, 1636 f, 1704, 1706, 1713 823 ff: 38, 89, 149, 199, 790 823 I: 92, 118 f, 210, 213, 578, 583, 596, 598, 719, 602, 605, 610, 620, 637 f, 965, 1058, 1161, 1403, 1407, 1412, 1538, 1547, 1552, 1557, 1564 f, 1568, 1584, 1601 823 II: 118 f, 210, 578, 596, 598, 602 f, 605, 610, 637, 639, 649, 1413, 1538, 1572, 1626 ff 824: 1575 f, 1643 825: 678 826: 28, 108, 113, 192 f, 199 f, 218 f, 602, 605, 610, 639, 1109, 1256, 1412, 1569 f, 1572, 1575, 1602, 1629, 1636 ff, 1724 827: 644 f, 659, 1701 f, 1707 828: 641, 644 f, 1701 f, 1707 828 II: 1708 829: 731, 1701 f, 1703, 1707 830: 630, 1677 ff, 1701 831: 91 f, 305, 512, 680, 713, 656, 659, 1594, 1600, 1611 ff, 1662 ff, 1701 831 I 2: 92, 623, 654, 666, 1702 832: 1676, 1702 832 II: 1544 833: 8, 623, 654, 1686, 1701 834: 1701 835: 731, 654 839: 8, 1570, 1646 ff 839a°: 306 840: 726, 767, 773, 776 841: 776, 1653 842 ff: 1179, 1715 843: 1715 843 III: 257 843 IV: 706, 774, 778 844: 1179, 1716 845: 1716 847 a. F.: 680 848: 623, 654, 688, 1249, 848 849: 264 852: 1721 853: 1721 854: 809, 820, 992 854 ff: 1568 859: 1036 861: 526, 1036

862: 8, 1036 868: 962 872: 1645 873: 126, 791, 809, 1027, 1222 883 I 1: 129, 134, 931, 935 889: 344 892: 735 903: 1564, 1566, 1751 904: 423, 640 906: 999 906 II S. 2: 1711 917: 196 925: 126, 129, 134, 959 925a: 126 929 ff: 791 929: 260, 613, 801, 809, 959, 962 930: 820, 969 931: 820, 1027 932: 653, 735, 1566 933: 963 934: 1022 935: 831, 1566 946: 1428 947 II: 1494 950: 968 f, 1216, 1476 951: 789, 1426, 1476, 1494 952 I: 727, 1383 985: 2, 73, 526. 801, 961, 1221, 1567 986: 472, 653, 965, 1027, 1036, 1221 987 ff: 1549, 1552, 1566 f 988: 1536 989 f: 719 989: 1038 990: 1038 991: 1038 991 II: 1553 993 I Hs 2: 1535, 1550 994: 1220 1000: 526 f, 1221 1002: 1221 1003: 1221 1004: 40, 578f, 961, 1723, 1724, 1725 1007: 73, 526, 1036 1008: 804, 954 1008 ff: 764, 782, 1328 1030: 981 1056: 1030 1059: 804 1087 II: 257

857

Verzeichnis der Gesetzesstellen

1093: 981 1094: 935 1094 ff: 135, 932 1098: 935 1142: 290 1142 II: 287 1143: 290, 720 1147: 30, 580 1150: 287, 290 1194: 278 1207: 1022, 1220 1223 II: 290 1224: 287, 290 1225: 290, 720 1228: 1024 1229: 141 1235 I: 30 1242: 1023 1247: 965 1250: 1023 1252: 1023 1254: 1022 1255: 1023 1256: 1023 1257: 1220 1273 II: 287 1280: 737 1281: 965 1287: 1221 1297 I: 68 1297 II: 142 1298: 544 1353 I: 5, 1569 1357: 769, 1265 1359: 653, 779 f 1415: 783 1419: 765, 784 1421: 784 1437: 765, 772, 789 1459: 765, 772, 789 1480: 772 1483: 783 1601: 660 1607 II: 736 1607 III: 1569 1615 l: 1569 1631: 643 1664: 779 f 1812: 314

858

1813: 314 1821: 129 1833: 773, 776 1915: 773 1922: 1035 1967: 1035 1976: 344 2018: 269 2027 I: 269 2032: 783 2033: 765, 784 2039: 784, 785 f 2040: 784 2058: 765, 772, 789 2059: 765, 789 2060: 789 2078: 151, 202 2079: 202 2131: 653 2034: 932 2135: 1030 2147: 5, 736 2151: 769 2155: 247 2174: 5, 736 2182 f: 247 2183: 254 2218: 1247 2219: 773 2293 ff: 544 2301: 309 2366: 735 2366 f: 723 2371: 808 2371 ff: 804 2380: 454, 819 2382: 772 2383: 753 2385: 772 BGB-InfoV 8: 1236 14: 565, 567 BJagdG 29: 1687 BRAO 49b: 1134

Verzeichnis der Gesetzesstellen

Bundeserziehungsgesetz 18: 1187 19: 1187 Code Civil 1382: 1404 EFZG 3: 706 6: 720 EG 3: 545 61 c): 1728 65 b): 1728 67: 1728 81: 13, 61, 1316 82: 13, 112 141: 13 153: 545 234: 832 EGBGB 2: 115, 1630 3: 1174, 1728 6 S. 2: 10827: 10, 111, 937, 958 8: 1174 27: 1728, 1732 28: 937, 1735 29: 958, 1729, 1737 29a: 958, 1729 31: 1731 32: 1731 33: 1740 34: 1733, 1739 38 ff: 1728 40: 1745 ff 42: 1747 96: 793 249 II: 13 EG-Zahlungsverzugs-RiLi 4: 959 ErbbauVO 11 II: 126 30: 1030 EuWG 18: 112

EVO 12: 80 CISG 1: 938 2: 938 2a: 938 2b: 938 4: 938 6: 938 14: 939 16: 939 FernUSG 1: 1121 2: 142 3: 1121 GBO 13: 126 19: 126, 1222 20: 126 29: 126 39: 126 40: 126 45: 1476 GenG 34: 773 41: 773 GewO 105: 1140 106: 1147 110: 1151 GKG 12: 191 GmbHG 15: 808 19: 339 40: 1631 43: 773 64: 1632 GPSG 8: 1610

859

Verzeichnis der Gesetzesstellen

Grundgesetz 1 I: 109, 1584 2 I: 8, 109 f, 131, 793, 1584 3: 1579 5: 108, 1574 9: 1310 14: 107, 109, 983, 1048 14 II: 107 20: 199, 204, 221, 983 20 I: 107 34: 1647 ff 123: 1647 GrdstVG 2: 116 GVG 13: 1655 71: 1655 GWB 1: 61, 113, 164, 1316 2: 113, 164 2 ff: 1316 19: 112, 222, 725, 1631 20: 112, 1402, 1631, 1640 21: 1402, 1574, 1631 f 24 – 27: 164 33: 1631, 1641 37 I Nr. 2: 922 81: 1316 HaftPflG 1: 654, 1688 2: 654, 1675, 1684 3: 1675, 1684 4: 1688 6 S. 2: 680, 1717 7: 512, 1688 9: 1688 10: 1688 12: 1688 HausratsVO 5: 112 HGB 1 ff: 177, 1313 15: 754,

860

25: 753, 758, 772 27: 758, 772 28: 753, 758 56: 1283 74 ff: 1151 75c: 142 75d: 142 84: 1124 93 ff: 1121, 1192, 1288 105: 1313 110: 1250, 1273 114: 786 124: 765, 788 f, 1308 128: 765, 772, 775 128 analog: 1308 130: 753, 758 130 analog: 1308 161: 1313 176: 775 343: 812, 345: 812 346: 177, 247 348: 142 350: 261, 1375 352: 264 353: 264 354a: 725, 967 355 ff: 1092 360: 247 362: 178 363 I: 293 366: 1283 366 III: 1220 369: 525 373 ff: 812 373: 328, 494 374: 328 375: 806 376: 487 377: 318, 812, 882, 950 379: 812 380: 812 381: 812 383 ff: 1136, 1192, 1253 407: 613, 1192 421: 613, 826 453 ff: 1136, 1192 467 ff: 1136 787: 772

Verzeichnis der Gesetzesstellen

InsO 47: 742, 959, 1069 50 f: 742 50: 1024 55 I Nr. 2: 49 103: 49 105: 49, 266 109: 1051 111: 1051 254: 68 129 ff: 758 301: 68 JugendarbeitsschutzG 5: 1140 KAGG 20: 102, 103 KUG 22–24: 1584 23: 1586 LuftVG 21 II: 112 33: 1692 37: 1692 44: 1692 45: 1692 46: 1692 49: 512 50: 1692 MarkenG 9: 1576 10: 1576 14: 1576, 1723 15 IV: 1723 21: 16 37: 1576 42: 1576 MutterschutzG 9: 1187 NachwG 2: 1140 PatG 24: 112

PaPkG 2: 116, 222, 263 PBerfG 22: 112 PflVersG 5 II: 112 PHG 1: 1621 ff. 2: 1621 3: 1622 4: 1605, 1623 5: 1623 6: 1623 8: 1623 9: 1623 10: 1623 12: 1624 13: 1624 15: 1624 16: 1624 14: 1516, 1616, 1623 RBHaftG 1: 1651 RVG 4: 1139 ScheckG 34 II: 266 SGB I 50: 736 SGB III 146: 1170 174: 1170 296 ff: 1288 SGB VII 8: 1180104: 1180 104: 1675 105: 1164 f SGB IX 71: 112, 1140 86: 1187

861

Verzeichnis der Gesetzesstellen

SGB X 116: 720, 736, 774, 1675

17: 776, 1689, 1691 18: 1656, 1691

SGB XII 93: 736

StVO 1: 1544 8: 1633 35: 1652

StBGeV 41: 1139 StGB 25: 1678 26: 1678 27: 1678 32: 640 34: 640 123: 1631 142: 1631 156: 437 163: 437 174 ff: 1644 185 ff: 1631, 1643 186: 1590 193: 642 201a: 1586 211 ff: 1627 223 ff: 1627 234 ff: 1627 240: 649 242: 1627 248b: 1632 253: 649 263: 1667 265a: 79 291: 987 303 ff: 1627 323c: 471 StPO 127: 643 StVG 7: 29, 654, 1278, 1656, 1689 8: 1688 8a: 29, 512 9: 1688, 1691 10: 1688 f 11: 680, 1689 11 S. 2: 1717 13: 1689

862

TDG 4: 1747 TVG 1 I: 115, 1126 3: 1126 4: 1126 4 III: 152 4 IV 2: 216 TzBfG 14: 1181 UKlaG 1: 191 2: 947, 958 3: 191, 1726 4: 191 5 ff: 191 6: 191 7: 191 10: 191 11: 191 12: 191 UmweltHG 1: 1696 2: 1696 3: 1696 5: 1696 6: 630, 1696 16: 1696 19: 1696 UrhG 29: 804 97 I 2: 1467, 1516 97 II: 678 UrheberrechtswahrnehmungsG 12: 137

Verzeichnis der Gesetzesstellen

UWG a.F. 13a: 544 UWG 1: 65 3: 8, 84, 199, 597, 1631 7: 551 8: 191, 1631, 1641, 1720 9: 1641, 1720 11: 1583, 1641 12: 191, 1720 13: 191 Verbrauchsgüterkauf-RiLi 3: 860 f 4: 948 5: 885 6: 947 8: 945

WEG 4 III: 126 31: 981 33: 957 35: 957 WHG 1: 1695 22: 1695 WiStrG 5: 9-87 WoBindG 8: 807 WohnraumförderungsG 19: 988

VwVfG 54: 5, 85 59: 85 62: 5

WoVermG 4: 142 4a: 1059 5: 1059

VVG 1 f: 1364 5a: 175, 550 6: 141 8: 550 16 ff: 544 23: 1360 25: 1360 59: 772 67: 736, 774 67 I: 720

WpHG 2: 1347 37d: 1347 37e: 1347 37g: 1347

WährG 3: 222 WechselG 7: 1386 11: 32 15: 32 16 II: 735 17: 723 28: 753 31: 32 39: 266

WpÜG 29 II: 112 35 ff: 112 WRV 131: 1648 ZPO 38: 276 59: 768 62: 784 75: 718 93a I: 1569 104: 264 253: 465 254: 269 263: 437 264: 437 265: 730

863

Verzeichnis der Gesetzesstellen

286: 581, 583 287: 581, 583, 585, 1000 302: 1700 304: 714 323: 191 325: 730 415: 496 580: 191 600: 1700 688 ff: 1109 688: 1109 690: 1109 691: 1109 692: 1109 693: 465 717: 1700 726: 496, 527 756: 527 757: 266 765: 496 767: 1113 771: 288, 742, 959, 980, 1025 805: 742, 1024 806: 936

864

808: 288, 1113 809: 1113 811: 1022 835: 736 835 I: 720 835 II: 720 851 II: 725 857: 288 883 II: 437 885: 1056 887: 1018, 1152 888: 269, 1152, 1200 888 III: 1569 889: 269 894: 1713 935: 129 945: 1700 1041: 1700 1065: 1700 ZVG 56: 454, 819, 936 57 . 1028 57a: 1051

Sachregister (Die Zahlen verweisen auf die Randnummern.)

Abbuchungsverfahren 261 Abfindungsbefugnis 258 Abhilfefrist 574 Ablehnungsandrohung 364 Ablieferungsort 282 Ablieferungstheorie 248 Ablösungsvereinbarung 1059 Abmahnung 476, 486, 517 f, 574 Abnahmepflicht 300 Abschlussfreiheit 93, 111, 112 f Abschlussgehilfe 661 Absicht 648 Absolute Personen der Zeitgeschichte 1586 Hochadel 1586 Künstler 1586 Politiker 1586 Sportler 1586 Absolute Rechte 1402 Eigentum 1557, 1564 ff Eingriff 1557 ff Freiheit 1557, 1563 Gesundheit 1557, 1560 ff Körper 1557, 1560 ff Leben 1557, 1559 Sonstige Rechte 1557, 1568 ff Absolute Rechte zugunsten Dritter 295 Absorptionstheorie 795 Abstandsvereinbarung 1059 Abstraktionsgrundsatz 60, 720, 801, 803 Abtretung 720 ff Ausschluss 724 ex nunc 721 Rechtsfolge 727 rückwirkende 721 Verbot 725 Voraussetzungen 721 ff Abwehrklauseln 176 Abweichung Individual- 837 f Qualitäts- 837

actiones 9 actio pro socio 784 f, 1325 actio quanti minoris 831 actio redhibitoria 831 Adäquanztheorie 589, 686, 625 ff Affektionsinteresse 678 AGBG 545 AGB-Kontrolle 120, 169 Allgemeine Geschäftsbedingungen 116, 147, 160 ff, 516 Akkreditiv 261 Akzeptant 293 Akzessorietät 129 Akzessorietätstheorie 1332 akzessorische Nebenrechte 726 akzessorische Rechte 727 Aliud 524 Aliud-Lieferung 848 Alleingeschäftsführungsbefugnis 1323 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 1412, 1563, 1584 ff Rechtsträger 1584 Altgläubiger 715 Altschuldner 715 Amtshaftung 1646 f Amtspflichtverletzung 1643 Amtsübertragungstheorie 1654 Anbietungspflicht 134 Aneignungsrecht 1568 Anerkenntnis 320 Anfängeroperation 1561 Anfechtung 146 f, 543 von AGB 183 Anfechtungsrecht 560 Angemessene Frist 474 f Angeld 140 Angewiesener 293 Ankaufsrecht 134 Anspruch verhaltener 443

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Sachregister

Anspruchsnorm 1 Anwartschaftsrecht 962 ff Anweisungsfälle 1434 Angewiesener 1377 Annahmeverzug, s. Gläubigerverzug Annehmer 293 Anpassungspflicht 134 Anscheinsvollmacht 170 Anspruchsgrundlage 1, 470 Antidiskriminierungsrecht 108 Anweisender 293 Anweisung(en) 260, 293, 1377 ff Anweisungsempfänger 293, 1377 Anweisungsfälle 1434 an Zahlung statt 720 Anzeige 733 Äquivalenzinteresse 360, 419, 500, 503, 517, 522, 1564 Äquivalenzstörung 226, 235 ff Äquivalenztheorie 589, 686, 622 ff Arbeit betriebsbezogene 1162 gefahrgeneigte 1162 Arbeitsverhältnis fehlerhaftes 77, 1144 Arbeitsvertrag 1124 Arglistige Täuschung 95 arrha 140 arrha confirmatoria 140 arrha pacto imperfecto data 140 Arzneimittelhaftung 1699 Arztvertrag 1132 asset deal 920 Aufhebungsvertrag 83 Aufklärung 1561 Aufklärungspflicht 882 -verletzung 882 Auflassung 126 f Auflassungsvormerkung 127 Aufopferung 1264 Aufopferungsanspruch 1711 f Aufrechenbarkeit 1722 Aufrechnung 311, 329 ff Ausschluss 338 f Wirkung 337 Auftrag 572, 1244 ff Auftragsbestätigung 178 Aufwendungen 1270 Ersparnis 1520

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Luxus- 441 ruinöse 398 vergebliche 438 vergebliche, Ersatz 405 ff, 439 ff, 878 Aufwendungsersatz 268, 440, 1272 f Aufwendungskondiktion 1280 Ausgleichsanspruch 290 Ausgleichsfunktion 681 Auskunftsanspruch 269, 727 Auslegung 149, 151, 155, 157 richtlinienkonforme 12, 832 von AGB 181 Wortlaut 155 Auslobung 1293 ff Ausreißer 1611 Ausscheidungstheorie 248 Aussteller 293, 1377 Austauschzweck 1306 Ausweichmanöver 1278 Außen-GbR 1308 Bankier 1377 Bankrecht 1257 f Barzahlung 260 Basiszinssatz 264, 473 Bauvertrag 1194 Beamter 1658 Bedingung auflösende 311 Befreiungswirkung 528 Begleitinteresse 360, 419 Begleitschaden 360, 500, 509, 521 Begünstigter 293 Behauptungslast 414, 436 ff Beherbergungsvertrag 1302 ff Bereicherung aufgedrängte 1521 ungerechtfertigte 1390, 1420 ff Wegfall 1517 Bereicherungsanspruch 295 ff, 301 Bereicherungseinrede 1532 Bereichsausnahmen AGB-Kontrolle 171 Berühmung 1573 Beschäftigungspflicht 1177 Beschaffenheit 836 Ist- 836 Soll- 836 Beschaffungshindernis 468

Sachregister

Beschaffungsrisiko 424 Beseitigungsanspruch 1725 Besitz 804, 1568 Bestandsschutz 22, 1397 Bestandsverzeichnis 269 Bestätigungsvorbehalt 170 Bestimmtheitsgrundsatz 132, 722 Betriebsausfallschaden 506, 1211 Betriebsbezogenheit 1581 Betriebsgefahr 710, 1278 Betriebsgeheimnis 1576 Betriebsrisiko 1170 Bewachungsvertrag 1130 Beweis des ersten Anscheins 714 Beweislast 165, 414, 436 ff, 459, 512, 515, 516, 701, 855 Beweislastregel 512 Beweislastumkehr 512, 1611, 1618 Bezogene(r) 293, 1377 Bank 293 Bildniserschleichung 1585 billige Entschädigung in Geld 1590 Billigkeitshaftung 1701 ff Blankozession 721 Blinkfüer II 1574, 1577 Bonität (einer Forderung) 918 Boykott 1574 Aufruf 1574 politischer 1577 Bringschuld 248, 253, 280 f, 823, 828 Bruchteilseigentum 1328 Bruchteilsgemeinschaften 764, 782 Bürgen Ausfallbürge 1356 Mitbürge 1356 Nachbürge 1356 Rückbürge 1356 Bürgenschuld 1325 f Bürgschaft 754, 1348 ff auf erstes Anfordern 1354 Globalbürgschaft 179, 1325 Haustürwiderruf bei 1350 selbstschuldnerische Bürgschaft 1354 Verbraucherdarlehensvertrag 1097 Call-by-Call-Verfahren 174 Caroline von Monaco-Entscheidungen 1586 causa 61, 62 cause 148

cessio judicialis 720 cessio legis 720, 736, 778 CISG, s. UN-Kaufrecht clausula rebus sic stantibus 55 “cold calling” 551 commodum ex negotiatione 443, 1516, 1528 commodum ex re 443 commodum, stellvertretendes 405 ff, 442 Computersoftware 927 f condicio indebiti 1424 condictio ob rem 242, 1452 ff condicio ob causam finitam 1449 ff condicio ob iniustam vel turpem causam 1425 condicio sine causa 1466 „consideration“ 1754 Constanze-Doktrin 1575 Corpus Iuris 1760 culpa in contrahendo 73, 86 ff, 132, 355, 899 culpa post pactum perfectum 98, 719, 731 Darlehen 572, 1084 ff Darlehensvermittlungsvertrag 1290 Daseinsvorsorge 78, 174 Dauerschuld fehlerhafte 77 Dauerschuldverhältnis 48, 77, 507, 520, 572 Debet 261 Debitoren 747 Deckungsverhältnis 1378, 1434 f deklaratorisches Aufrechnungsverbot 1329 Deliktsrecht 505, 1537 ff Denkzettel-Aktion-II 1574 Depositum irregulare 1301 Dereliktion 126 Destinatär 293 Dialer 84, 1642 Dienstleistungspflicht gesetzliche 1716 Dienstverschaffungsvertrag 1137 Dienstvertrag 572, 1122 ff Differenzgeschäft 1347 Differenzhypothese 588 diligentia quam in suis 538, 542, 653, 1300 dingliche Verzichtsklausel 743 Direkterwerb 727

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Sachregister

Direktvertrieb 551 Diskontierung 720, 748 Dispositionsbefugnis 674 Dissens 151, 892 offener 176 Distanzschaden 1562 dolo facit 310 domain-grabbing 1641 Doppelermächtigung 1380 Doppelmakler 1289 Doppelmangel 1500 Draufgabe 131, 140 f dreifache Schadensberechnung (im Immaterialgüterrecht) 1285, 1718 Dritter 293 Drittleistung 287, 706 Drittschadensersatz 1716 Drittschadensliquidation 611 ff, 826 Drittwiderspruchsklage 742 Drittwirkung unmittelbare 12 dual use 546 due diligence 924 Duldungsvollmacht 170 Durchgangserwerb 727 Durchgriffskondiktion 1496 ff duties to take care 357, 1591 e-commerce-Richtlinie 559 Effektivklausel 388 EG-Antidiskriminierungs-Richtlinien 108 Ehelichkeitsanfechtungsprozess 1569 Ehemaklerlohn 1291 f Ehestörungsklage 1569 Ehrenschutz 1589 Ehrenschutzprozess 1586 Eigenbedarf 1048 Eigenbesitzer 1329 Eigengeschäftswille 1282 ff Eigenhändlervertrag 137 Eigenhaftung des Gehilfen, des Vertreters 99 f Eigenreparaturen 694 Eigentum 804, 1557, 1564 ff Entziehung 1564 ff Gebrauchunfähigkeit 1566 Eigentumsvorbehalt 288, 959 ff verlängerter 722, 725, 750, 966 ff weitergeleiteter 970

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Einbeziehungskontrolle 163 Einbringung von Sachen bei Gastwirten 1302 ff Eindringen in den persönlichen Bereich 1585 Eingabefehler 557 eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb 1572 ff Eingriff in Gebrauchsfähigkeit 1564 ff Eingriffshandlung 1581 Eingriffskondiktion 1428, 1467 ff Eingriffsnormen 1733 Einheitslehre (Bereicherungsrecht) 1421 Einigung 126 Einigungsvertrag 1763 Einrede 219, 464, 523, 712 aufschiebende 400 dauernde 400 der Entreicherung 289 der Vorausklage 1354 des nicht erfüllten Vertrags 523 f dilatorische 400 peremptorische 300, 400, 1445 Unsicherheits- 55 Einstimmigkeitsprinzip 1307 Eintragsbewilligung 126 Eintragung im Grundbuch 126 Einwendung 219, 523, 712, 729, 1387 rechtshindernde 390 rechtsvernichtende 390 Einwendungsdurchgriff 1106 Einwilligung 641 Einzelwirkung 775 Einziehungsermächtigung 745 elektronischer Geschäftsverkehr 555 f Elfes-Urteil 109 Emil Nolde 1584 Energiehaftung 1693 f Entfaltungsfreiheit 1563 Entgangener Gewinn 670, 687 Entgeltfortzahlung 1074 Entreicherung 1436 Entschuldigungsgründe 655 Enumerativprinzip 1407, 1570, 1636 Erbensucher 1263 Erbschaftsbesitzer 269 Erfolgsunrecht 598, 1395 erfüllbare Nichtschuld 1291 Erfüllung 312 ff, 272, 297, 316

Sachregister

Annahme als 318 halber 323 statt, Leistung 311, 322 ff unter Vorbehalt 320 Erfüllungsgehilfe 656 ff, 1665 Erfüllungshandlung 315 Erfüllungsinteresse 360, 419, 608, 696 Erfüllungsort 272, 861 Erfüllungssurrogate 287 Erfüllungstheorie 809 Erfüllungsübernahme 302, 752 Erfüllungsverweigerung 466, 476 Erfüllungswirkung bei mehreren Leistungspflichten 319 Erkennbarkeit 306 Erklärungsirrtum 560 Erklärungstheorie 155 Erlass 311, 341 f, 345 Erlassfalle 341 Erlöschen von Schuldverhältnissen 311 ff Ersatzpflicht Umfang 682 Erschlichene Informationen 1587 Ersetzungsbefugnis 257 Eventualaufrechnung 330 Ex-nunc-Wirkung 129 Ex-tunc-Wirkung 129 exceptio doli 316 Exkulpation 92 Factoring 725, 747 ff echtes 748 unechtes 748 facultas alternativa 674 f Fahrlässigkeit 424, 651 ff Fallnormtheorie 199 Fälligkeit 274, 525 Fälligkeitszinsen 264 falsa demonstratio non nocet 236 Familienrechte 1569 Familienwappen 1584 Fangprämien 695 fehlerhafte Sterilisationseingriffe 690 FernabsatzG 545 Fernabsatzvertrag 551 ff, 569 Feststellungsklage 696 Feuerwehrfall 1264 fiduziarische Sicherungsrechte 727 fiduziarische Zession 737 ff

finale Handlungslehre 1542 Finanzierungshilfen 547, 1110 ff Finanzierungsleasing, s. Leasing Fixgeschäft 388 absolutes 373 relatives 373, 487 Flugreisefall 1440 Folgeschaden 582, 592 f, 601 ff, 684 ff Forderung 3, 25, 32, 64 ff, 720, 1570 Durchsetzbarkeit 334 Begründung 295 ff deliktischer Schutz 718 gesetzlicher Übergang 736 Haupt-, Erfüllbarkeit 335 Übertragung 295 ff, 715, 717, 720 ff Zuständigkeit 718 Forfaitierung 341 Form 122 ff Formerfordernis 545 Formmangel 130 Formularverträge 166, 171, 175 Fortsetzungsklausel 1337 Franchising 162 freier Dienstvertrag 1124 Freiheit 1557, 1563 ff körperliche Bewegungs- 1563 Freiheitsparadoxon 1764 Freiheitsschutz 1397 Freistellungsanspruch 1165 Freizeit, vergeudete 693 Fremdbesitzer 1329 Fremdbesitzerexzess 1552 Fremdgeschäftsführer 1323 Fremdgeschäftsführungswille 1263 ff Fresserfälle 1564 ff, 1613, 1621 Frist angemessene 364, 378, 676 Fristsetzung 867 Frustrationsgedanke 439, 679, 588 Funktionentheorie 204 f fur semper in mora est 688 Fürsorgepflicht arbeitsrechtliche 40, 1175 Fusion 1316 Garantie 424 Beschaffenheits- 851, 947 -frist 854 Haltbarkeits- 851

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Sachregister

selbständige 851 unselbständige 852 Garantiehaftung des Gastwirts 1303 ff Garantievertrag 1358 ff Eigengarantie 1358 Fremdgarantie 1358 Herstellergarantie 1359 Selbständige Garantie 1359 f Unselbständige Garantie 1359 Gastwirtpfandrecht 1305 Gattungsbringschuld 300 Gattungskauf 839 Gattungsschickschuld 300 Gattungsschuld 233, 244 ff, 259, 392, 816, 848 Gebäudehaftung 1645 Gebrauchsbehinderung 1564 ff Gebrauchsüberlassungsverträge 980 ff Gefährdungshaftung 654, 680, 1417, 1684 Gefälligkeitsverhältnis 28 f Gefahr 283 Gefahrengemeinschaft 1363 Gefahrsetzungsverbote 1591 Gefahrsteuerungsgebote 1591 Gefahrtragung 813 ff, 1216 ff Gefahrübergang 524, 834, 1218 Zeitpunkt 835 Gefälligkeitsverhältnis 1298 Gegenleistung 388, 433, 446, 448 ff Gegenleistungsanspruch 457 Gegenleistungsgefahr 283, 404, 813, 818 f Gegenleistungspflicht 394, 457 Gegenseitigkeit 525 Gegenseitigkeitsverhältnis 524 Gehilfenhaftung 680 Geldschulden 259 ff Geltungserhaltende Reduktion Verbot 188 GEMA- Urteile 695 Gemeinsamer Zweck 1306 Gemeinschaft 1311, 1341 ff Anteile 1342 Aufhebung 1343 Bruchteilsgemeinschaft 1341 Nutzung 1342 Verfügung 1342 Verwaltung 1342 Gemeinschaftsrecht europäisches 12, 832, 1728

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Genehmigung 129 Generalklausel 578, 1404 Generalklauselprinzip 359 Genossenschaft 1309 Gentechnikrecht 1699 Genugtuungsfunktion 681 Gerichtsstandsvereinbarung 276 Gesamtgläubigerschaft 762, 769 f Gesamthandsforderung 784 Gesamthandsgemeinschaft 783 BGB-Gesellschaft 1327 eheliche und fortgesetzte Erbengemeinschaft 1327 Gütergemeinschaft 1327 KG 1327 Nichtrechtsfähiger Verein 1327 OHG 1327 Partenreederei 1327 Schlichte Miturhebergemeinschaft 1327 Gesamthandsverhältnis 765 Gesamthandsvermögen 1311, 1328 Gesamtschuld(nerschaft) 762, 771 ff, 789 „unechte“ 778 gestörte 779 f Gesamtschuldnerausgleich 1569 Gesamtschuldverhältnis 706, 762, 1488 Gesamtvertrag 137 Gesamtwirkung 775 Geschädigter mittelbar 1716 Geschäftsbesorgung 1271 Geschäftsbesorgungsvertrag 261, 1252 ff Geschäftsfähigkeit 1384 Geschäftsführung ohne Auftrag 73, 289, 1259 ff, 1287 berechtigte 1260, 1267, 1275 echte 1260, 1261 ff unberechtigte 1260, 1267, 1279 ff unechte 1261 ff unechte i.e.S. 1282 ff unechte i.w.S. 1282 ff vermeintliche 1282 ff Geschäft für wen es angeht 746 Geschäftsführung 1322 ff Geschäftsgrundlage 145, 151, 355, 398 Änderung 222 große 234 kleine 234 Lehre von der 225

Sachregister

objektive 230 Störung 399, 224 ff, 906 subjektive 230 Wegfall 205, 222 geschäftsunfähiger Geschäftsführer 126 Geschäftswille 151 geschätzte Reparaturkosten 674 Geschlechtsehre 1642 Geschichtsbildverfälschungen 1588 ff geschützter Personenkreis 306 Gesellschaft 572, 1306 ff Aktiengesellschaft 1309 Auflösung 1335 Beendigung 1335 BGB-Publikumsgesellschaft 1323 Doppelgesellschaft 1316 Freiberufliche Gesellschaft 1333 Gelegenheitsgesellschaft 1313 Gesellschaft nach Bruchteilen 1314 Gewinnverteilung 1335 Haftung 1309 Innengesellschaft 1315 Kommanditgesellschaft 1309 Liquidationsgesellschaft 1335 Offene Handelsgesellschaft 1309 „Orangengesellschaft“ 1316 Reedereigesellschaft 1309 Stille Gesellschaft 1309 Vermögenslose Gesellschaft 1314 Vollbeendigung 1335 Gesellschafterklage 784 ff externe 786 Gesellschafterwechsel 1336 ff Gesellschaftsverhältnis Allgemeine Leistungsstörungen 1340 Fehlerhaftes 77 Gesellschaftszweck 1306 Gesperrter 1574 Gestaltungsrecht 535, 564, 572, 1570 Gesundheit 1557, 1560 ff Gewinnzusage 1297 Gewährleistung -sausschluss 882 Gewährleistungsrecht 498 Gewässerschäden 1695 Gewerbe 546 Gewerbebetrieb Recht am eingerichteten und ausgeübten 1418

Gewere 1751 gewillkürte Prozessstandschaft 745 Gewissensgründe 401 Ginsengwurzel-Entscheidung 1588, 1590 Girovertrag 137, 262 Gläubiger 2, 32, 293, 388 Gläubigerverzug 253 f, 265, 272, 300, 386, 453, 469, 486, 489 ff Gleichbehandlung 1176 Globalbürgschaft 179 Globalzession 725, 743, 749 graphologisches Gutachten 1586 Grundgeschäft 1442 Grundgesetz 107 Grundsatz der Selbstorganschaft 1323 Grundstückskauf 828 Gruppenklage 1726 Gutachten 144 f, 169, 184, 255, 267 gute Sitten 108, 199, 743 gutgläubiger Forderungserwerb 297 Haftung für Verrichtungsgehilfen 305 Haftung ohne Verschulden 654 Haftungsausfüllung 582 Haftungsausschluss 516, 883 Haftungsbegründung 581 Haftungsbeschränkung 516 Haftungserleichterung 453, 516 Haftungserweiterung 472 Haftungsfreizeichnung 307, 516, 1616 Haftungstatbestand 578 Haftungsverschärfung 567, 1519 Halter 1689 Handeln auf eigene Gefahr 641 Handelskauf 812 Handgeld 140 Handkauf 315, 802 Handlung 579, 581 Handlungsbegriff 579, 1537 ff Handlungsgehilfen 142 Handlungsunrecht 598, 1395 Handlungswille 151 Hauptleistung 29, 36 Hauptschuldner 1348 Haustürgeschäft 548 ff, 569 HaustürWG 545 Heilbehandlung 674 heimliche Aufnahmen eines Bildes 1585 Hemden-Fall 1481

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Sachregister

Herausforderungsfall 1560 Herausgabe Anspruch 270 von Ersatzvorteilen 405 ff, 442 ff „Herrenreiter-Foto“ 691, 1590 Hersteller 1605 Herstellung 670 Herstellungsaufwand 674 Hinterleger 1298 Hinterlegung 311, 325 ff auf Anderkonto 328 Kosten 326 höhere Gewalt 646, 1235, 1238 f, 1278, 1690, 1697 Holding 1316 Holschuld 7, 248, 276, 279, 822, 828 Höllenfeuer 1575 hypothetischer Verlauf 669 Ikea-Klausel 847 Immaterialgüterrecht 1568 Immobiliardarlehensvertrag 1094, 1097 impossibilium nulla est obligatio 370, 407 Incoterms 830 Indexmiete 263 individualistische Gesamthandslehre 1308 Individualvereinbarungen 169 Indossament 721, 1383 Indossatare 1377 Informationspflicht 545, 551, 553, 558, 902 Inhaberschuldverschreibung 1377 Inhaltsänderung 345 Inhaltsfreiheit 111, 114 ff Inhaltsirrtum 146, 183, 560 Inhaltskontrolle 163, 168, 184 ff Inkassozession 739 Insolvenz 742 Integritätsinteresse 37, 360, 419, 500, 504 ff, 509, 522 Internet 551 Vertragsschluss im 557 Interesse an Vermögensausgleich 677 an Wiederherstellung 672, 677 an Schadenswiedergutmachung 669 Interessenabwägung 186 Interessengemeinschaft 1316 Interessenwegfall 382 f Internationales Privatrecht 1727 ff

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Internet-Auktion 554, 557 invitatio ad offerendum 137, 557 Irrtum Inhalts- 893 Erklärungs- 893 Irrtumsrecht 415 ff analoge Anwendung, Voraussetzungen 417 f ius cogens 151 f, 193 ius dispositivum 151, 195 ius variandi 461, 858, 868 Jungbullen-Entscheidung 1431, 1479 Kalkulationsirrtum 619 gemeinsamer 238 Kardinalpflichten 187, 516 Kartell 142, 1316 Kartellrecht 112, 164 Kauf 800 ff internationaler 937 ff Kauf auf Probe 134, 930 „Kauf bricht nicht Miete“ 1027 Kauf nach Probe 929 kaufmännisches Bestätigungsschreiben 177 Kaufvertrag 524 Kausalgeschäft 720 Kausalität 549, 589 ff, 600, 621 ff haftungsausfüllende 668 haftungsbegründende 668 psychisch vermittelte 685 überholende 593, 669, 697 ff Kaution 1025 f „Kind als Schaden“ 690 Klage negatorisch 23 Knebelung 743 Kombinationstheorie 795 Kommanditgesellschaft auf Aktien 1309 Kommerzialisierungsgedanke 679, 693, 588 Kompensation 670 ff Kondiktion der Kondiktion 301 Konditionenkartell 164 Konfusion 311, 344, 711 Konkretisierung 245 ff, 392, 817 Konkretisierungstheorie 206 f Konkurrenz, elektive 461, 858 Konkurrenzen, Bereicherungsansprüche 1534 ff

Sachregister

Konkurseröffnung 727 Konnexität 525 Konsensualprinzip 59 Konsensualvertrag 59, 1298 Konsolidation 344 Kontokorrent 330, 1092 Kontokorrentvorbehalt 970 Kontrahierungszwang 112 f Konzern 1316 Konzernvorbehalt 970 Körper 1557, 1560 ff Körperschaft des öffentlichen Rechts 1309 Korrekturklauseln 223 kosmetische Operationen 674, 1132 Kosten 827 Kostenvoranschlag 1224 Krankenhausvertrag 1133 Kreationstheorie 1384 Kreditgefährdung 1643 Kreditkarte 260 Kündigung 141, 275, 543, 572 f, 1045 ff aus wichtigem Grund 48, 216, 573, 1184 Kupolofen-Entscheidung 1595 Landpacht 1067 Lasten 827 Lastschriftverfahren 261 Leasing 162, 1069 ff, 1111 Leasingrahmenvertrag 137 Leben 1557, 1559 Lebensrisiko, allgemeines 595 Lebensverfälschungen 1588 ff Lebensversicherung 309 Legalzession 720, 736, 778 Legitimationspapier 1383 Lehre von der Teilrechtsfähigkeit 1308 Leibrentenvertrag 309, 1344 ff Leihe 572, 1080 ff Leistung 2, 33 ff, 388, 1430 auf Abruf 275 durch Dritte 286 ff nicht vermögenswerte 46 objektiv, unmögliche 356 Zug-um-Zug 54, 524 Leistungserschwerung 237 Leistungsgefahr 248, 250, 253, 259, 282, 403, 405, 492, 494, 813, 816 f Leistungsinhalt 45, 279 Leistungsinteresse 42, 419

Leistungsklage 696 Leistungskondiktion 1427, 1429 ff Vorrang 1468 Leistungsort 272, 276 ff, 283, 536 Leistungspflicht 470, 513 Ausschluss 389 ff primäre 23, 35 sekundäre 35 Neben- 36 Leistungsrecht 25 Leistungsstörung 295 ff, 300, 352 ff, 831 Begriff und Arten 352 ff Umbau durch Schuldrechtsmodernisierung 357 ff vor Schuldrechtsmodernisierung 353 ff Leistungsverhalten 34 Leistungsverweigerungsrecht 524 aus Gewissensgründen 401 Leistungszeit 273 Leserbriefe 1584 Letztverkäufer, Regress 948 ff liberatorischer Vertrag 83 Lizenzgebühren 691 Lizenzvertrag 804, 1062 „Lohn ohne Arbeit“ 1168 ff Lohnfortzahlung 1171 ff Lotterievertrag 1347 Luftbildaufnahmen-Entscheidung 1586 Lüth-Entscheidung 108, 1575 Mahnung 465, 475 Makler 1288 Maklerlohn 1288 Maklervertrag 1288 ff Besonderheiten 1289 Provision 1289 Mangel nicht behebbar 374 – unwert 1564 Mangelfolgeschaden 42, 360, 500, 503, 506, 509, 521, 603, 887 Mangelschaden 500 Mängelgewährleistung 97 Mankoleistung 849 Mantelzession 748 Marken 1576 Marktversagen 163 Marlene Dietrich-Entscheidung 1588, 1590 Mediendienste-Staatsvertrag 555

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Sachregister

Mehrheitsprinzip 1307 Meinungsfreiheit 1577, 1586 Meinungskampf 1574 merkantiler Minderwert 694, 704 Mephisto-Gründgens-Entscheidung 1584, 1588, 1590 Miete 572, 981 ff Mietstaler 140 Minderjährigenschutz 1269, 1708 Minderung 870 ff, 1000 f Misuse of bargaining power 118 Mittäter 1678 Mittelbare Drittwirkung 108 Mitteilung wahrer Tatsachen 1576 Mitverschulden 709 ff, 1719 modifizierte Bruttolohnmethode 687 Montage 847 mora 386 mora accipiendi 386 „Mosaikbeurteilung“ 1748 Motivirrtum 146, 151 doppelseitiger 350 nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis 665 Nachbesserung 859 ff Nacherfüllung 833, 857 ff Vorrang 881 Nacherfüllungskosten 864 Nachlieferung 859 ff Nachmieter 1032 Nahwirkung 1591 Namensrecht 1568 Nasciturus 1562, 1584 Naturalobligation 68 f, 1291 Naturalrestitution 671 ff Nebenpflicht 41 ff, 811 Nebentäter 1679 negatives Interesse 104, 419, 1713 negligence 1412 Nehmer 293 neminem laedere 8, 358 f, 1395, 1570 nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet 8 „Neu für alt“ 677 Neugläubiger 715 Neuschuldner 715 Neuverhandlungspflichten 134 Nichtleistungskondiktion 1428 Subsidiarität 1468

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nichtvermögensrechtlicher Schaden 1590 Nießbrauch 129 notarielle Beurkundung 126 Notarverträge 168 Notgeschäftsführungsrecht 1325 Notwehr 640 Novation 311, 323, 346 Nutzungen 537, 566, 827, 1511 entgangene 692 Gebühren 691 Nutzungsentschädigung abstrakte 692 Obhutspflicht 29 objektiv fremdes Geschäft 1263 objektiv neutrales Geschäft 1263 Obliegenheiten 44, 70 obligationes 9 obligatorische Surrogation 442 obligatorischer Geldersatz 670 öffentlich-rechtliche Entschädigung 1264 ökonomische Analyse des Rechts 652, 1556, 1640 operative Entnahme 1586 Opfergrenze, Überschreitung 398 Option 134 Orderpapier 1383 Ordre public 108 Organhaftung 1665 Organisationshaftung 1600 Organisationspflichtverletzung 1673 Pacht 1062 ff pacta sunt servanda 22, 237, 402 pactum de non cedendo 725 Parteiautonomie 111, 152 Partnervermittlungsvertrag 1130 Patentberühmung 1578 Patronatserklärung 1357 Paul Dahlke-Entscheidung 1588 Pauschalreise-RiLi 545 Personengesellschaften 102 Persönlichkeitserforschung 1586 Persönlichkeitsrecht 691 allgemeines 210, 212 ideeller Bestandteil 1590 postmortales 691, 1590 vermögenswerter Bestandteil 1590 perte d’une chance 631

Sachregister

Pfändungsverbot 726 Pflichten Haupt- 360 Neben- 360 Pflichtenkollision 640 Pflichtverletzung 97 f, 203, 361, 368, 471, 480, 497, 511, 515, 542, 879 Bezugspunkt 879 Definition 368 leistungsferne 360 vertragsferne 419 Pflichtwidrigkeitszusammenhang 582 physische Behinderung der Gewerbeausübung 1573 physischer Eingriff 1581 positives Interesse 104, 106, 419, 432, 503, 1713 postmortaler Persönlichkeitsschutz 1584 pränatale Schädigung 1562 Prätendentenstreit 718 Preisänderungsklauseln 222, 263 Preisausschreiben 1296 Preisgabe von Gesundheitszeugnissen 1587 Preisgefahr 404, 453 f, 818 ff Preisunterbietung 1570 Pressefreiheit 1586 pretium singulare 678 Prioritätsgrundsatz 727, 743 Privatautonomie 109, 114, 117, 119 f Produkthaftung 615, 833 Produzentenhaftung 1565, 1599 ff Promissar 293 Promittent 293 Prospekthaftung 102 protestatio facto contraria non valet 79 Prozessvergleich 530 Prozesszinsen 264 Qualitätsabweichungen 837 Quantitätsabweichung 480, 849 f Quittung 321 Rahmentatbestände 1572 Rahmenrechte 1629 Eingriffe 1571 ff Rahmenvereinbarung 175 Rahmenvertrag 136 ff Ratenkaufvertrag 266 Ratenleistung 266

Ratenlieferungsvertrag 448, 547, 1114 f Raterteilung 1256 Realvertrag 59 Rechnung 178 Rechnungslegung 269 Recht am eigenen Bild 1584 Recht am Unternehmen 1563, 1572 ff Recht auf Familienplanung 1570 Recht zur zweiten Andienung 857 Rechtfertigungsgrund 423, 471, 511, 596, 598, 640 ff, 1272 rechtmäßiges Alternativverhalten 702 Rechtsanwaltsvertrag 1134 Rechtsfolgenverweisung 540, 713 Rechtsgemeinschaft 764 Rechtsgeschäft 71 einseitig 52 zwei- oder mehrseitig 52 rechtsgeschäftsähnliche Rechtshandlungen 1269 Rechtsgrund 148 Rechtsgrundverweisung 713 Rechtsgut absolutes 605 Rechtsgutverletzung 581 Rechtshängigkeit 270 Rechtskauf 828, 917 ff Rechtsmängelgewährleistung 813, 909 ff Rechtsnatur 313 Rechtsscheintheorie 1384 Rechtsscheinträger 723 Rechtswahl 1732 f Rechtswidrigkeit 514, 636 ff, 1706 des Eingriffs 1582 Regress 288, 948 Reisemangel 1234, 1236 ff Reiseveranstalter 1230 Reisevertrag 572, 1228 ff Rektaschuldverschreibung 1388 relative Personen der Zeitgeschichte 1586 Relativität des Schuldverhältnisses 64 ff Religionsfreiheit 1577 Remittent 293, 1377 Rentabilitätsvermutung 439 Rente 677 Reserveursache 623, 697 Risikoverteilung 395 Rückabwicklung 300 Rückforderungsdurchgriff 1107

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Sachregister

Rückgaberecht 568 f Rückgewährpflicht 528 Rückgewährschuldverhältnis 1420 Rückgriffskondiktion 1428, 1483 ff Rückrufpflicht 1610 Rücktritt 300, 457 f, 486 ff, 507, 520, 528 ff vom Kaufvertrag 866 ff Rücktrittsrecht 356, 364, 528 ff Rücktrittsvorbehalt 135 Rückverweisung 1742 Sachbeschädigung 1714 Sachdarlehen 1083 Sachen vertretbare 246 f Sachenrechte 4 für Dritte 298 Sachentziehung 466, 1714 Sachgefahr 300, 404, 813, 815 Sachmängelgewährleistung 180, 813, 831 ff, 998 ff Sachmangel Begriff 836 ff, 999 Verdacht 844 Sachwalter 100, 102, 510, 666 f Saldotheorie 1522 ff Salvatorische Klausel 121 Schaden 600 ff, 1707 ff Begleit- 360 direkter 360 fiktiver 674 Folge- 668, 684 Höchstgrenze 684 immateriell 671, 678 ff, 1717 materiell 671 mittelbarer 360 natürlicher 586 normativer 586 objektiver 587 Personen- 674 subjektiver 587 unmittelbarer 360 Verdienstausfall- 687 Vertrags- 360 Verletzungs- 668 weiterfressender 1564, 1613, 1621 Weiterungs- 360 Wiedergutmachung 669 Zurechnung 668

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Schadensanlage 697 Schadensberechnung abstrakt 687 bei vertraglicher Haftung 696 konkret 687 Schadensersatz 24, 405 ff, 575 bei anfänglicher Unmöglichkeit 407 ff bei nachträglicher Unmöglichkeit 419 ff großer 479, 422, 435 im Kaufrecht 872 ff im Mietrecht 1002 f, 1058 kleiner 422, 435 nach der Differenztheorie 456 Ruf- 671 statt der ganzen Leistung 421 statt der Leistung 474 ff, 419, 500, 517 f verschuldensunabhängiger Anspruch 363 wegen postmortaler Verletzung des Persönlichkeitsrechts 1590 Schadensersatzpauschale 141 Schadensliquidation 706 Schadensminderung durch Mitverschulden 708 Schadensminderungspflicht 707 Schadensposten 485 Schadenszurechnung 575 ff Scheck 293 Scheckkarte 260 Scheingeschäft 128 Scheinkauf 128 f Scheinvater 1569 Schenkkreis-Fall 1462 Schenkung 310, 973 ff Schickschuld 253, 282 ff, 822 Schiedsgericht 197 Schiedsgutachter 197 Schlechtleistung 480, 483, 486, 497, 498 ff, 507, 521, 523 Schlüsselgewalt 1265 Schmerzensgeld 674, 680 Schockschaden 1560 Schönheitsreparaturen 1017 f Schrifttum 15 ff „Schrottimmobilien“ 1105 Schuld 579, 596, 1707 Schuldanerkenntnis 1374 ff

Sachregister

abstraktes 321 deklaratorisches 1376 kausales 1376 negatives 341 Schuldersetzung 346 f Schuldfähigkeit 645 deliktische 1707 Schuldform 646 ff Schuldner 2, 32, 293, 388 Schuldnerschutz 728 ff Schuldnerverzug, s. Verzug schuldrechtliche Personenvereinigungen 1306 ff Schuldrechtsmodernisierung 11, 97, 161, 210, 217, 227, 799 Schuldschein 321, 727 Schuldtheorie 1635 Schuldübernahme 715, 717, 752 ff kumulative 753 privative 753 alternative 753 Schuldumschaffung 323, 346 Schuldverhältnis 3, 21 ff, 25, 26 ff abstrakt 60, 1447 atypisch 56 ff, 793 Inhalt 143 ff, 345 kausal 60 Relativität 64 ff typisch 56 ff, 792 Schuldverschreibung 1383 ff Schuldversprechen 1374 ff deklaratorisches 1376 kausales 1376 Schutzbereich 1632 Schutzgesetz 1400. 1626 ff Schutzpflicht 29, 37 ff, 508, 514, 903 ff Schutzpflichtverletzung 521 Schutzrechtsverwarnung, unbegründete 1573 „Schwarzfahren“ 79 Selbstaufopferung im Verkehr 1278 Selbstgefährdung im Verkehr 1278 Selbsthilfeverkauf 327 Selbstvornahmerecht 861, 1208 share deal 920 sichernde Versprechen 1348 ff Bürgschaft 1348 ff Garantie 1358 ff Sicherungsabrede 1367 ff

Sicherungstreuhand 1371 Versicherungsvertrag 1363 ff Sicherungsabrede 1367 ff Sicherungsabtretung 1368 Sicherungsgrundschuld 1368 Sicherungsübereignung 1368 Sicherungstreuhand 1371 Sicherungszession 722, 740 Software 927 f Softwareüberlassungsvertrag 928 Sonderanknüpfung 1737 f Sonderopfer 1709 Sonderrecht 5 Sondervermögen, 765 des öffentlichen Rechts 172 sonstiges dingliches Recht 298 sonstige Rechte 1418, 1557, 1568 ff sonstige Verwendungen 1259 Soraya-Entscheidung 1590 Sorgfaltspflichten 91 ff Soziale Marktwirtschaft 107 sozialtypisches Verhalten 78 Spam 551 Spezialitätsprinzip 722 „Sphärentheorie“ 1218 Spiel 1346 Sportveranstaltungen 1562 Staatshaftung 1646 f Stellvertretung mittelbare 612 Steuern 704 Stipulant 293 Streik 1574 politischer 1577 Stückkauf 860 Stückschuld 245, 248, 251, 259, 848 Stufenklage 269 Stundung 274 subjektiv fremdes Geschäft 1263 subjektive Rechte 1558 Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion 1468 Substanzverletzung 1564 ff Substitut 660 Suggestiv-Werbung 1586 Sukzessivlieferungsvertrag 47, 806 Summenverwahrung 1301 Surrogat 442, 537, 540, 566 Surrogationstheorie 478

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Sachregister

Synallagma 146, 524 Syndikat 1316

Typenverbindung 1302 Typenverschmelzungsvertrag 798

Tarifvertrag 115, 137 Tausch 971 f Täuschung arglistig 350 Teilabtretung 722 Teilbetrag 256 Teilforderung 766 Teilleistung 265 f, 479, 486 Teilschuld 767 Teilschuldverhältnis 761 Teilzahlungsgeschäft 569, 1112 f Teilzeit-Wohnrechteverträge 545, 547, 953 ff Teledienstgesetz 555 Teleshopping 551 Textform 122, 553 Theorie des letzten Wortes 176 Theorie beschränkte Vertrags- 314 der Doppelverpflichtung 1332 der finalen Leistungsbewirkung 313 der realen Leistungsbewirkung 313 Differenz- 428 f, 433, 435 gemäßigte oder moderne subjektive 287 kumulative 412 objektive 287 streng subjektive 287 Surrogations- 428 f, 433, 435 Vertrags- 313 Zweckvereinbarungs- 313 Tierhalterhaftung 1686 f Tilgung 312 Tilgungswille 316 Tilgungswirkung 287 timesharing, s. Teilzeit-Wohnrechteverträge Totalreparation 684 Transaktionskosten 162 Transparenzgebot 187, 553 Trennungslehre (Bereicherungsrecht) 1422 Treu und Glauben 90, 116, 130, 151, 157 f, 172, 187, 193 ff, 198 ff, 225, 265, 526, 565, 1755 ff, 1758 Trödelvertrag 57

Überbringer 293 übererfüllungsmäßiges Interesse 360, 689 Übernahmeverschulden 651, 1270, 1281 überobligationsmäßige Schwierigkeiten 398 Übersicherung 743 Überweisung 260 f zur Einziehung 720 überwiegende Verantwortlichkeit 486 Umgehung erbrechtlicher Formen 310 Umgehungsverbot 562 Umsatzsteuer 674 Umwelthaftungsgesetz 1696 ff unbestellte Waren 84 Undank, grober 979 undue influence 117, 1351 Unerschwinglichkeit 398 UN-Kaufrecht 938 f, 1729 Unklarheitenregel 182 Unmöglichkeit 300, 362 f, 369 ff, 388 ff, 399, 484, 497, 521, 523 anfängliche 363, 370, 375, 407 anfängliche, objektive 363 anfängliche, subjektive 356, 363 dauernde 370, 377 faktische 237, 369, 396 gleichzeitige 375 juristische 369, 392 nachträgliche 311, 370, 375, 419 nachträgliche, objektive 356 nachträgliche, subjektive 356 objektive 370 f persönliche 369, 399 ff physische 369, 392 praktische 396 qualitative 381, 411, 421, 449 quantitative 379 Rechtsfolgen 460 subjektive 370 f teilweise 370, 379, 421, 448 ursprüngliche 375 vollständige 370, 379 von beiden Seiten zu vertretende 425 ff, 454

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Sachregister

vorübergehende 370, 375 wirtschaftliche 237, 396, 398 Unmittelbarkeitserfordernis 1581 Unsicherheitseinrede 55 Unterhaltspflicht als Folgeschaden 690 Unterhaltungsinteresse 1586 Unterlassung 191 Unterlassungsanspruch 1723 ff Unterlassungsklagengesetz 191, 553 Untermiete 1037 ff Unternehmensdelikte 1418 Unternehmenskauf 920 ff Unternehmer 172, 546 Unternehmerpfandrecht 1219 ff Unterrichtsvertrag 1134 Unterverwahrung 1300 Unterwerfungstheorie 160, 172 Unvermögen 356, 371 anfängliches 363 Unzumutbarkeit 402 wirtschaftliche 398 Urheberpersönlichkeit 1584 Urkunde öffentliche 527 öffentlich beglaubigte 734 Urlaub, vergeudeter 693 usus modernus pandectarum 1760 venire contra factum proprium 215, 711 Veranlassungsfälle 1454 Verantwortungsbereich 515 Veräußerungsverbot 725 Verarbeitungsklausel 968 Verbandsklage 560 Verbandsklagerecht 191, 1726 Verbindlichkeit abstrakte 1447 Verbraucher 473, 546 Verbraucherdarlehensvertrag 547, 571, 1095 ff VerbraucherkreditG 545 Verbraucherschutz 120, 152, 545 ff Verbrauchsgüterkauf 152, 940 ff Verbrauchsgüterkauf-RiLi 545, 799, 832, 940 Verbundenes Geschäft 571, 1103 ff Verdienstausfallschaden 687

Verein 1307 nichtrechtsfähiger 1310 Verfallklauseln 141 Verfassungsrecht 107 ff Verfolgungsfälle 1560 Verfügung 62 ff eines Nichtberechtigten 1472 f Verfügung zu Gunsten Dritter 298 Verfügungsgeschäft 126 vergeudete Freizeit 693 Vergleich 311, 348 ff, 1373 Nichtigkeit 350 Prozess- 351 Rechtsnatur 349 Vergütungsgefahr 404 Verhaltenspflicht 557, 903 Verhältnis Deckungs- 293, 303 Leistungs- 293 Valuta- 293, 310, 1434 f Zuwendungs- 293 Verhältnismäßigkeit Grundsatz der 110 Verität (einer Forderung) 918 Verjährung 92, 103, 191, 216, 886 ff, 1720 f, 1533 Verkehrspflicht 1595 Übertragung 1594 Verletzung 1591 ff Verkehrsschutz 8 Verkehrssicherungspflicht 710, 1413 Verkehrssitte 130, 157, 200, 588 Verletzungserfolg 683, 601 ff Verletzungshandlung 579, 581 „Verlust einer Chance“ 631 Vermieterpfandrecht 1021 ff Vermögen 1570 Vermögenskondiktion allgemeine 1429 Vermögensschaden 96, 605, 1557 Veröffentlichung von Briefen 1587 Prominentenfotos 1586 Verpflichtung 62 ff Verpflichtungen zu Lasten Dritter 295 ff Verpflichtungsermächtigung 746 Verpflichtungsgeschäft 4, 126 Verrichtungsgehilfe 1662 ff

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Sachregister

Verrufer 1574 Verschulden 8, 142, 424, 581, 599, 644 ff Versendung von gekauften Sachen 454 von Geld 284 Versendungskauf 447, 613, 822, 835, 942 Versicherung Lebensversicherung 1364 Personenversicherung 1364 Schadensversicherung 1364 Terme-fix-Versicherung 1364 Todesfallrisikoversicherung 1364 Todesfallversicherung 1364 Versicherung an Eides Statt 269, 437 Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 1309 Versicherungsvertrag 550, 1363 ff Versprechender 293 Versprechensempfänger 293 Versprechen zu Gunsten Dritter auf den Todesfall 309 f Versteigerung 327 Vertrag Abänderungs- 345 Aufhebungs- 311, 343 berechtigender zu Gunsten Dritter 292, 305 doppeltypischer 798 echter zu Gunsten Dritter 300 ermächtigender zu Gunsten Dritter 292, 305 faktischer 75 gegenseitige 52, 220 gemischter 795, 1302 mit Schutzwirkung für Dritte 291 ff, 305 ff, 616, 713, 1040 nichtig 1453 nichterfüllter 54 öffentlich-rechtlich 85 synallagmatischer 53 zugunsten Dritter 291 ff, 294 ff, 1265 zugunsten Dritter auf den Todesfall 291 ff zugunsten Dritter, Formbedürftigkeit 304 zulasten Dritter 299 vertragliche Gewährleistung 1564 Vertragsanbahnung 86 f, 92, 1263

880

Vertragsänderungen 127 Vertragsanpassungsklauseln 223 Vertragsarten 57 Vertragsauslegung 145 ergänzende 158, 188, 197 vertragsbegleitendes Interesse 360 Vertragsbeitritt 759 Vertragsbruchtheorie 743 Vertragsfreiheit 8, 110 f, 117, 136, 142, 1755 ff vertragsgestaltende Erklärung 300 Vertragsinteresse, s. Äquivalenzinteresse Vertragspflicht 545 Vertragspflichten Beitragspflicht 1320 Treuepflicht 1319 Vertragsschaden 360, 419 Vertragsschluss im Internet 557 Vertragsstatut 1731 Vertragsstrafe 131, 141 ff, 185 Vertragsstrafeklausel 141 Vertragstheorie 1384 objektive 147, 159 subjektive 147, 197, 211 Vertragsübernahme 759 Vertragsverbindungen 794 Vertragsverhältnis fehlerhaft 77 ff Vertragsverletzung positive 353 Vertrauenshaftung 74, 201 Vertrauensinteresse 419, 608, 696 Vertretenmüssen 424, 468, 644 ff des Gläubigers 450 ff Vertretung 1326 ff Vertriebsformen, besondere 547 ff Verwahrung 1298 ff unregelmäßige 1301 Verwässerungsgefahr 1576 Verweisungstheorie 160 Verwendung 543, 829 vorausgesetzte 843 gewöhnliche 844 Verwendungsersatz 566 Verwendungskondiktion 1493 ff Verwendungszweck 239 Verwirkung 311 Verzögerung 462

Sachregister

Verzögerungsschaden 470, 481, 483, 484, 488, 876 Verzug 142, 265, 272, 284, 362, 386, 462 ff, 475, 494, 497 Annahme-, s. Gläubigerverzug Gläubiger-, s. Gläubigerverzug Verzugsschaden 727 Verzugszinsen 264 Videoaufnahmen 1586 Vollmacht 127 Vollstreckung 269 Vollstreckungsgegenklage 191 Vollzugsort besonderer 282 Vorbehaltsverkäufer 288 Vorhaltekosten 634, 695 Vorkaufsrecht 134 f, 932 ff Vorlegung von Sachen 271 von Urkunden 271 Vorlesungsstreik 1577 Vormerkung 134, s. a. Auflassungsvormerkung Rechte 727 Vorrangklausel 743 Vorratsschuld 223 Vorsatz 424, 647 ff Vorsatztheorie 1635 Vorsorgekosten 695 Vorteilsausgleichung 141, 669, 703 ff, 720 Vorvertrag 127, 131 ff Vorzugsklage 742 Wahlrecht 484 Wahlschuld 256 ff, 461 Wahrscheinlichkeit 630 Wallraff-Entscheidung 1587 Wechsel 260 Wegnahmerecht 268 Weisungsgebundenheit 1670 weiterfressende Schäden 1564, 1613 Weiterverweisung 1742 Werbeangaben 845 Werbung, unverlangte 551 Werklieferungsvertrag 1191, 1225 ff Werkverschaffungsvertrag 1196 ff Werkvertrag 524, 572, 1191 ff wertbildende Faktoren 841

Wertersatz 537, 606, 1514 f Wertpapier 1383 Wertsicherungsklauseln 263 Werturteile 1575 Wettbewerb funktionsfähiger 163 Wette 1347 Widerruf 191, 545 ff, 563 ff Widerrufsbelehrung 565 Widerrufsfrist 565 Widerrufsrecht 543, 545, 551, 554, 563 ff, 1101 f Wiederbeschaffung Aufwand 674 Wert 674 Wiederkauf 931 Wiederkaufsrecht 134 Wiederkehrschuldverhältnis 49 Willenserklärung 154 Willenstheorie 155 Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht 1563, 1572 Wohl und Wehe 306 wrongful birth 690 wrongful life 690, 1559 Zahlungsaufschub 1110 Zahlungsempfänger 1377 Zahlungsort 282, 284 Zedent 296, 715, 720 Zeitablauf 311 Zeitgeschichte 1586 Zession 296 f, 1504 offene 740 stille 740 zugunsten Dritter 296 Zessionar 296, 672, 715, 720 Zinsen 264, 267 Zufall 472 zufälliger Untergang 424 Zufallshaftung 472 Zug-um-Zug 525, 527, 536, 568 Zuordnung des Gesellschaftsvermögens 1327 ff Zurückbehaltungsrecht 464, 525, 527, 727 Zurückweisungsrecht 303 Zusatznorm 1 Zustandsverantwortlichkeit 1592

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Sachregister

Zuweisungsgehalt 1467 Zuwendungsverhältnis 1379 Zwangslizenz 112 Zwangsvollstreckung 191, 469 Zweckerreichung 145, 393

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Zweckfortfall 393 Zweckstaffelungsfälle 1457 Zweckstörung 393 Zweckverfehlung 151 zwingendes Recht 151 f, 193