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German Pages [129] Year 2017
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Silke Heimes
Schreib dich gesund Übungen für verschiedene Krankheitsbilder
2., unveränderte Auflage
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40458-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Steyno&Stitch/shutterstock.com © 2017, 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Allergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Übungsreihe Allergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Anpassungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Übungsreihe Anpassungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Übungsreihe Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Atemwegserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Übungsreihe Atemwegserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Borderline-Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Übungsreihe Borderline-Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . 43 Burnout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Übungsreihe Burnout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Depressionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Übungsreihe Depressionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Übungsreihe Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Übungsreihe Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Herz-Kreislauf-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Übungsreihe Herz-Kreislauf-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . 78 Krebserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Übungsreihe Krebserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
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Inhalt
Magen-Darm-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Übungsreihe Magen-Darm-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . 90 Posttraumatische Belastungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Übungsreihe Posttraumatische Belastungsstörungen . . . . . . 96 Schmerzstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Übungsreihe Schmerzstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Suchterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Übungsreihe Suchterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Trauerreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Übungsreihe Trauerreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Tipps für das Schreiben in Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Gruppenübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Vorwort
»Ich habe mir nie vorgenommen, zu schreiben. Ich habe damit angefangen, als ich mir nicht anders zu helfen wusste.« Herta Müller
In Seminaren und Weiterbildungskursen werde ich immer wieder gebeten, krankheitsspezifische Schreibempfehlungen zu geben. Dennoch habe ich gezögert, ein Buch zu schreiben, in dem ich für Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern spezielle Übungen empfehle, weil ich denke, dass die meisten Übungen für alle Menschen in Frage kommen und die Wahl der Übungen stark von persönlichen Vorlieben und der Situation abhängt. Zudem bin ich kein großer Fan der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) beziehungsweise der Vorstellung, ein Krankheitslabel könne mir etwas über den Menschen verraten, mit dem ich in Beziehung trete. Diagnosen sind letztlich unzulängliche Wortkrücken, mit denen Ärzte und andere Berufsgruppen sich etwas mitzuteilen versuchen, was nicht mitteilbar ist, jedenfalls nicht durch ein einziges Wort, das sich Diagnose nennt. Ich wage zu behaupten, dass jede gedrückte Stimmung – die man auch nicht gleich als Depression bezeichnen muss – so individuell ist wie der Mensch, der sich in dieser Stimmungslage befindet. Natürlich gibt es Merkmale, die sich individuenübergreifend finden, allerdings sind auch diese wieder individuell geprägt. Nun liegt ein Buch vor, in dem ich mein Zögern überwunden habe. Und je länger ich geschrieben habe, umso mehr bin ich zu der Einschätzung gekommen, dass man durch die Empfehlung bestimmter Übungen das kreative und therapeutische Schreiben noch gezielter und effektiver einsetzen kann. Obwohl die Empfehlungen in diesem Buch Krankheitsbildern zugeordnet sind, lassen sich die Übungen auch krankheitsübergrei-
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Vorwort
fend durchführen, vor allem in Gruppentherapien, in denen ohnehin meist Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern zusammenkommen. Die Zuordnung einzelner Übungen zu spezifischen Krankheitsbildern dient also in erster Linie als Anregung und basiert auf der Erfahrung, dass sich einige Übungen bei bestimmten Krankheitsbildern besonders bewährt haben. Die einführenden Worte zu den einzelnen Krankheitsbildern sind bewusst kurz gehalten, da man allgemeine Informationen zu Krankheiten an anderer Stelle nachlesen kann.
Allergien
»[...] und daß Konfusion, in Sprache gefaßt, Gestalt annimmt: daß also etwas, das als Zuviel, als störender Überschuß an der eigenen Person empfunden wird, sich plötzlich als sinnstiftende Möglichkeit offenbart.« Monika Maron
Bei einer Allergie liegt im Immunsystem eine Fehlsteuerung vor. Der Körper spricht auf einen normalerweise harmlosen Reiz mit einer überschießenden Reaktion an. Allergien beziehen sich in der Regel auf bestimmte Stoffe: Im Lauf des Lebens können Allergien auf Stoffe entstehen, die zuvor keine Probleme bereitet haben, zudem können sich die allergischen Reaktionen auf mehrere Stoffe ausweiten. Interessant ist die Definition des Wiener Kinderarztes Pirquet, der eine Allergie als eine veränderte Fähigkeit des Körpers begreift, auf eine fremde Substanz zu reagieren. Dies legt den Fokus auf die Reaktionsfähigkeit des Körpers und nicht auf die Fehlsteuerung. Allergien werden auch manchmal als Hypersensitivitäten bezeichnet, was den Fokus ebenfalls auf eine Fähigkeit legt, nämlich auf die Sensitivität, die bei Allergien gesteigert ist. Meist leidet man nur unter der Allergie, wenn man mit dem entsprechenden Stoff (Allergen) in Berührung kommt, und ist ansonsten beschwerdefrei. Der Kontakt mit dem Allergen kann arbeitsbedingt (Bäckermehlallergie) oder saisonal bedingt sein (Allergie auf Gräser und Pollen) oder beispielsweise in Zusammenhang mit der Einnahme bestimmter Medikamente (Penicillin) stehen. Auch wenn allergische Erkrankungen kein Phänomen der Neuzeit sind und in über tausend Jahre alten Berichten zum Beispiel die Rede von einem Rosenschnupfen ist, der viele Menschen in Persien immer im Frühjahr befallen hat, haben die Allergien in den Industrieländern zugenommen, wobei es verschiedene Theorien zu den Ursachen dieses Anstiegs gibt.
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Allergien
Eine Theorie ist die sogenannte Dreck- und Urwaldhypothese, die von einer mangelnden Aktivierung des Immunsystems durch übertriebene Hygienemaßnahmen in Kindheit und früher Jugend ausgeht. Der Theorie liegt die Annahme zugrunde, dass der Kontakt mit Bakterien in den ersten Lebensmonaten wichtig ist, um das Immunsystem zu stimulieren (sogenannte Th1-Antwort). Bleibt der Kontakt mit den Bakterien aus, besteht die Gefahr, dass sich das Immunsystem in eine Richtung entwickelt, die mit allergischen Reaktionen verbunden ist (sogenannte Th2-Antwort). Die Theorie, dass die verbesserten hygienischen Bedingungen die Allergieraten steigen lassen, wird durch Untersuchungen bestätigt, in denen Kinder, die auf dem Land aufwachsen, seltener eine Allergie entwickeln als Stadtkinder (Riedler et al., 2001). Allerdings ist die Datenlage nicht eindeutig und es bedarf weiterer Forschung, um die Zusammenhänge genauer zu verstehen. Derzeit sieht es so aus, als hätten der ursprünglichere Lebensstil und bestimmte Keime einen schützenden Effekt in Hinblick auf Allergien. Aufgrund aller bisher gesammelten Erkenntnisse empfehlen Ärzte, Säuglinge mindestens vier Monate lang zu stillen und ihnen ab dem fünften Monat Beikost zu geben, unabhängig davon, ob sie familiär mit Allergien vorbelastet sind oder nicht. Eltern sollten ihre Kinder zudem vor Räumen mit Schimmelbefall, Zigarettenrauch und Abgasen schützen. Nicht-Risikokinder müssen allerdings nicht aus Sorge vor einer möglichen Allergie von Tieren ferngehalten werden. Bei Risikokindern hingegen, in deren Familie bereits Allergien bestehen, ist es schwer abzuschätzen, wie sich die Haltung von Felltieren auf die Entwicklung einer Allergie auswirkt. Experten raten dazu, auf die Anschaffung einer Katze zu verzichten, während Hunde das Allergierisiko wahrscheinlich nicht erhöhen. Die durch den Kontakt mit dem Allergen hervorgerufenen Beschwerden können milde bis lebensbedrohlich sein und sich an unterschiedlichen Körperteilen äußern: den Schleimhäuten (Heuschnupfen), den Atemwegen (Asthma), der Haut (Neurodermitis), den Augen (Bindehautentzündung), dem Magen-Darm-Trakt (Erbrechen, Durchfälle) und dem gesamten Körper (Schock). Menschen können an einer einzigen allergischen Form oder an Mischformen leiden. Die Beschwerden können einmalig akut,
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wiederkehrend oder chronisch auftreten. Es kann auch zum sogenannten Etagenwechsel kommen. Das bedeutet, dass beispielsweise Beschwerden, die sich anfangs als Heuschnupfen äußerten, in ein Asthma übergehen können. Bei Säuglingen und Kleinkindern kennt man aber auch den umgekehrten Weg, dass diese beispielsweise aus einer Nahrungsmittelallergie »herauswachsen«. Und auch in späteren Lebensjahren können Allergien – wenn man Glück hat oder die Lebenssituation sich verändert – ebenso unvermittelt verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Bestimmte Allergene kann man meiden, andere hingegen nicht, was impliziert, dass manche Allergien das Leben stärker beeinflussen und einschränken als andere. Doch auch wenn man unter einer Allergie leidet, bei der man die Allergene nicht meiden kann, lässt sich ein Umgang mit den durch die Allergie verursachten Beschwerden finden. Denn neben der körperlichen Komponente hat eine Allergie immer auch eine psychische Komponente und jeder Mensch, der unter einer Allergie leidet, wird feststellen, dass es Zeiten gibt, in denen ihn die Allergie mehr belastet als zu anderen Zeiten – oft sogar unabhängig von der Schwere der Beschwerden.
Übungsreihe Allergien Übung 1 Idee: Bei einer Allergie kommt es zu verschiedenen Reaktionen im Körper. Diese lösen Gedanken aus, welche wiederum Einfluss auf Gefühle und Stimmungen haben. Da eine Allergie ein Geschehen auf mehreren Ebenen ist, lohnt es, sich diesen verschiedenen Ebenen zuzuwenden und zu beobachten, was passiert. Dies geschieht nicht im Sinne einer übertriebenen Selbstbeobachtung, sondern im Sinne eines Verständnisses für die Reaktionen des eigenen Körpers und Geistes auf die Allergie. Denn in der Regel können wir nur verändernd eingreifen, wenn wir zuvor verstanden haben, was passiert und wo mögliche Interventionspunkte sind. Schreibimpuls: Beobachten Sie, was in Ihrem Körper während einer allergischen Phase passiert: sowohl zu Beginn als auch auf dem Höhe-
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Allergien
punkt und später beim Abklingen der allergischen Beschwerden. Gibt es überhaupt unterschiedliche Stadien oder bleiben die Beschwerden gleich? Was denken und fühlen Sie, wenn die Allergie besonders schlimm ist? Wie verhalten Sie sich während einer allergischen Phase? Anders als in allergiefreien Phasen?
Übung 2 Idee: Ob und wie einschränkend eine Allergie ist, hängt von dem Stoff ab, auf den man allergisch reagiert, von der Schwere der Beschwerden, von der Situation und dem allgemeinen körperlichen und geistigen Zustand. Zu manchen Zeiten wird eine Allergie als sehr einschränkend erlebt, zu anderen Zeiten mag sie zwar vorhanden sein, aber weniger Einfluss haben. Vielleicht merkt man bei genauer Betrachtung auch, dass die durch die Allergie verursachten Einschränkungen nicht so viele Bereiche betreffen, wie man zunächst angenommen hat. Oder man erkennt, dass man sich in Bereichen einschränken lässt, die von der Allergie unter Umständen gar nicht betroffen sind. Oder man gehört beispielsweise zu den Menschen, die sich von der Allergie überhaupt nicht einschränken lassen und alles machen, was sie wollen, auch wenn sie dabei unter allergischen Beschwerden leiden. Vermutlich reagiert man auch nicht immer gleich auf die allergischen Beschwerden, sondern in verschiedenen Situationen und Gefühlslagen unterschiedlich. Schreibimpuls: Von was hält Ihre Allergie Sie ab? Woran können Sie aufgrund Ihrer Allergie nicht teilnehmen? Was würden Sie machen, wenn Sie keine Allergie hätten? Oder gehören Sie zu den Menschen, die sich von der Allergie von gar nichts abhalten lassen? Vielleicht wechselt Ihr Verhalten auch? Wenn dem so ist, können Sie unter Umständen sagen, wovon Ihr unterschiedliches Verhalten abhängt.
Übung 3 Idee: Oftmals denkt man: »Wenn ich die Allergie nicht hätte, …« Dies mag ein aufrichtiger Gedanke sein, zuweilen aber vielleicht auch einer, der ein bestimmtes Vermeidungsverhalten aufrechterhält und zu ent-
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schuldigen versucht. Deswegen kann es hilfreich sein, sich von Zeit zu Zeit vorzustellen, wie ein Leben ohne Allergie aussehen könnte, um in einem ersten Schritt herauszufinden, was einem wichtig ist, und es in einem zweiten Schritt vielleicht trotz der Allergie umzusetzen. Schreibimpuls: Es wird ein Wundermittel erfunden und alle mit Ihrer Allergie in Zusammenhang stehenden Beschwerden sind mit einem Mal verschwunden. Stellen Sie sich die erste Woche ohne Allergie vor und beschreiben Sie diese so konkret wie möglich. Was würden Sie alles machen? Würden Sie überhaupt etwas anders machen? Welchen Einfluss hätte die Abwesenheit allergischer Beschwerden auf Ihr Leben und Ihren Alltag?
Übung 4 Idee: Nach dem heutigen Stand des Wissens wird angenommen, dass eine Allergie eine Überempfindlichkeitsreaktion ist, die durch eine Immunantwort gegen ansonsten harmlose Stoffe (sogenannte Antigene) ausgelöst wird. Der Körper reagiert auf die Antigene mit einer Antikörperbildung, die wiederum die für den jeweiligen Allergietyp bekannten Beschwerden auslöst. Schreibimpuls: Sie sitzen in einem U-Boot von Jules Verne, das so klein ist, dass Sie damit durch die Blutbahnen Ihres Körpers fahren können. Dort treffen Sie unter anderem auf die Antikörper, die im Rahmen Ihrer Allergie vermehrt gebildet werden. Fahren Sie, wohin Sie wollen, und schreiben Sie einen Reisebericht.
Übung 5 Idee: Allergikern wird oft ein Aufenthalt am Meer empfohlen, weil die salzhaltige Luft die Beschwerden in der Regel mildert, oder ein Aufenthalt in den Bergen, weil auch die klare Bergluft zur Beschwerdeverminderung beitragen kann. Aber nicht immer bekommt man einen solchen Aufenthalt von der Krankenkasse bezahlt oder hat selbst ausreichend Geld und Zeit, um dorthin zu reisen, weswegen man seine Phantasie bemühen muss, um eine solche Reise zu machen.
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Allergien
Schreibimpuls 1: Stellen Sie sich vor, Sie sind am Meer. Ein sanfter Wind streichelt über Ihre Haut und die leicht salzhaltige Luft strömt ungehindert in Ihre Lungen. Schreiben Sie, was Sie am Meer unternehmen und wie es Ihnen geht. Schreibimpuls 2: Stellen Sie sich vor, Sie sind in den Bergen. Auch hier weht ein sanfter Wind, der über Ihre Haut streichelt, und die klare Luft strömt ungehindert in Ihre Lungen. Egal, wie mühsam Sie es sonst vielleicht finden, zu wandern oder schnell zu gehen, heute gelingt es Ihnen mühelos und Sie gehen beschwingt Ihres Weges. Schreiben Sie, wohin Sie gehen, was Sie sehen und wie es Ihnen geht.
Übung 6 Idee: Es ist eine Creme erfunden worden, die alle allergischen Beschwerden auf Ihrer Haut verschwinden lässt. Ein vergleichbares Mittel ist auch als Spray für die Atemwege auf den Markt gekommen. Beide Mittel sind cortisonfrei, haben keine Nebenwirkungen und können problemfrei über längere Zeit genommen werden, was aber gar nicht nötig ist, da sie eine lange Wirkdauer haben. Der einzige Nachteil sind die Kosten des Medikaments, welche die Krankenkasse nur in Ausnahmefällen übernimmt. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Brief an die Krankenkasse, in dem Sie erklären, warum es in Ihrem Fall besonders wichtig ist, dass die Kasse die Kosten für das neue Medikament übernimmt. Es darf ruhig ein längerer Brief werden, in dem Sie vielleicht auch etwas über Ihre eigene Situation schreiben. Stellen Sie sich beim Schreiben einen interessierten und wohlwollenden Angestellten vor, der Ihren Brief lesen wird.
Übung 7 Idee: Es gibt natürlich keine Messskala dafür, welche Krankheiten oder Beschwerden schlimmer oder weniger schlimm sind. Auch ist es unsinnig, sich zu überlegen, dass es anderen Menschen möglicherweise schlechter geht, damit man sich selbst besser fühlt. Doch zuweilen
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kann es hilfreich sein, sich auf einen sehr hohen Berg zu stellen und zu sehen, wie groß oder klein menschliche Dimensionen tatsächlich sind, oder sich vorzustellen, alles könnte noch viel schlimmer kommen, als es aktuell ist. Schreibimpuls: Dummerweise entwickeln Sie eine neue Allergie, und zwar gegen einen Stoff, der sich im Alltag nicht vermeiden lässt und gegen den es angeblich unmöglich ist, eine Allergie zu bekommen. Sie entwickeln eine Allergie gegen Wasser. Beschreiben Sie, wie Ihr Leben mit dieser Wasserallergie aussieht.
Übung 8 Idee: Es kann einem manchmal helfen, sich schlechtere Szenarien vorzustellen, um jene, in denen man sich tatsächlich befindet, in Relation zu setzen. In diesem Sinne knüpft Übung 8 an die vorherige Übung 7 an. Gewöhnlich entwickelt man Allergien gegen bestimmte Nahrungsmittel oder Inhaltsstoffe und nicht gegen komplette Gerichte. Aber in diesem fiktiven Fall ist das anders. Schreibimpuls: Denken Sie an Ihre Lieblingsspeise, gegen die Sie plötzlich eine Allergie entwickelt haben, was Sie aber erst bemerken, als Sie diese nach langer Zeit wieder einmal essen. Beschreiben Sie, was in diesem Moment geschieht und wie es Ihnen geht.
Übung 9 Idee: In der Regel haben Menschen mit Allergien zunächst Kontakt mit einem Allergen und bekommen erst einige Zeit später Beschwerden. Was in ihrem Körper in der Zeit zwischen diesem sogenannten Erstkontakt mit dem Allergen und dem Auftreten der Beschwerden passiert, bleibt meist im Dunkeln, selbst wenn man wissenschaftlich einige Hinweise auf die Reaktionen des Immunsystems bei Allergien hat. Schreibimpuls: Beschreiben Sie konkret und detailliert Ihre Vorstellung davon, was in Ihrem Körper passiert, nachdem Sie mit dem für Sie allergenen Stoff zum ersten Mal in Kontakt gekommen sind. Dabei
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Allergien
ist es nicht wichtig, dass Ihre Vorstellungen und Beschreibungen in irgendeiner Weise medizinisch korrekt oder denkbar sind, sondern dass Sie Ihrer Phantasie freien Lauf lassen.
Übung 10 Idee: Bei Säuglingen kennt man das Phänomen, dass sie aus einer Allergie »herauswachsen«. Dies ist insbesondere bei Nahrungsmittelallergien der Fall. Die Möglichkeit besteht meist bis zum fünften Lebensjahr. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen dies später passiert. Schreibimpuls: Sie gehören zu den wenigen Menschen, die zu einem späteren Lebensalter aus Ihrer Allergie herauswachsen. Ganz allmählich nehmen Ihre Beschwerden auf die sonst allergieauslösenden Stoffe ab. Beschreiben Sie diesen Prozess.
Anpassungsstörungen
»Schreibend zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit vermitteln« Christa Wolf
Das ganze Leben besteht aus Veränderungen mit nachfolgender Anpassungsleistung. Doch manchmal gelingt die Anpassung nicht oder nicht besonders gut, weil die Veränderungen vielleicht zu früh oder zu plötzlich kommen, so dass man sich nicht ausreichend darauf einstellen kann. Oder die Veränderungen sind unerwünscht und man hadert damit und will sich, vielleicht auch unbewusst, überhaupt nicht darauf einlassen, weshalb es zu keiner Anpassung kommt, auch wenn man vordergründig bestrebt sein mag, in angemessener Weise auf die Veränderungen zu reagieren. Sobald eine Anpassungsleistung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht gelingt und Betroffene darunter leiden, mit den veränderten Lebensumständen nicht zurechtzukommen, spricht man von einer Anpassungsstörung. Eine Anpassungsstörung kann in jedem Lebensalter auftreten. Gehäuft tritt sie allerdings in den Lebensphasen auf, in denen man noch nicht über ausreichende Bewältigungsmechanismen verfügt (Kindheit und Jugend), um auf unbeeinflussbare Ereignisse (zum Beispiel Scheidung der Eltern) zu reagieren. Ebenso häufig tritt sie in Lebensphasen auf, in denen die Lebensenergie geschwächt ist und die Ressourcen nicht reichen (zum Beispiel im höheren Lebensalter oder bei einer Krankheit). Sensible Lebensphasen sind auch solche, in denen im Körper große Veränderungen stattfinden, denen man in Geist und Verhalten Rechnung tragen muss (zum Beispiel Pubertät, Wechseljahre). Weitere Veränderungen, die das Leben nachhaltig beeinflussen können, sind Todesfälle, Umzüge, Trennungen, Arbeitslosigkeit oder Arbeitsplatzwechsel, um nur einige zu nennen. Im Prinzip können alle Ereignisse, die eine subjektiv einschnei-
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Anpassungsstörungen
dende Veränderung zur Folge haben, zu einer Anpassungsstörung führen. Und weil jeder Mensch individuell ist, werden auch Veränderungen mit unterschiedlicher Bedeutung aufgeladen. Denn auch wenn die offizielle medizinische Beschreibung im Fall der Anpassungsstörung von einer Reaktion auf schwere Belastungen ausgeht, werden Belastungen individuell unterschiedlich schwer erlebt: Was dem einen als minimale Veränderung erscheint, mag ein anderer als schweren Einschnitt erleben. Was man als schwere Belastung erlebt und wie man damit umgeht, hängt immer von der aktuellen seelischen Situation, den zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen, der Unterstützung durch das Umfeld, der genetischen Disposition und weiteren Faktoren ab. Wie man mit Veränderungen umgeht, ist auch davon geprägt, wie nahestehende Menschen mit Veränderungen umgehen oder in der Vergangenheit umgegangen sind. Die Anzeichen von Anpassungsstörungen sind unterschiedlich. Sie reichen von einer depressiven Verstimmung über Angst und Sorge bis hin zu Gefühlen der Leere und einer andauernden Freudlosigkeit. Zudem besteht häufig das Gefühl, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zurechtzukommen, diese weder planen noch kontrollieren oder fortsetzen zu können. Es kommt zu einer Einschränkung in der Bewältigung alltäglicher Aufgaben, selbst dort, wo Routine die Dinge einfacher machen könnte. Betroffene haben das Gefühl, dass nichts mehr so geht wie früher oder nichts mehr so ist, wie es war. Manchmal kommt es auch zu problematischen Verhaltensweisen, wie etwa ernster Reizbarkeit bis hin zur Aggressivität oder zu Gewaltausbrüchen. Besonders bei Jugendlichen kann sich eine Anpassungsstörung in Form gestörten Sozialverhaltens bemerkbar machen, also in rücksichtslosem oder sogar asozialem Verhalten. Aber auch sozialer Rückzug und Isolierung oder sogenannte regressive Verhaltensweisen sind möglich. Letztere sind insbesondere bei Kindern zu beobachten, die im Rahmen einer Anpassungsstörung in frühere Verhaltensweisen zurückfallen, die in der Entwicklung längst überwunden schienen, wie etwa Bettnässen, Babysprache oder Daumenlutschen. Geht man davon aus, dass niemand von psychosozialen Belastungen verschont bleibt, kann man sich denken, dass mit der Dia-
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gnose »Anpassungsstörung« dem gehäuften Auftreten seelischer Störungen Tür und Tor geöffnet werden. Deswegen gilt es, genau und achtsam hinzusehen und den Versuch zu unternehmen, zwischen normalen Alltagsbelastungen und den Reaktionen darauf und einer Anpassungsstörung zu unterscheiden. Wichtig ist es dabei, das Augenmerk auf das individuelle Leid und die Dauer der Belastungen und Reaktionen zu richten. Zudem darf man nicht den Fehler begehen, alles, was sich nicht benennen und begreifen lässt, als Anpassungsstörung zu bezeichnen und damit eine Art »Restkategorie« zu eröffnen. Es lässt sich also weder allgemein noch abschließend sagen, auf welche Veränderungen sensibel reagiert wird und wie lange eine Anpassungsreaktion normalerweise dauert, bevor man von einer Anpassungsstörung spricht. Zudem können Veränderungen, die nicht bewältigt werden, oder andere schwere Belastungen ebenso gut eine Anpassungsstörung hervorrufen, wie sie in eine Depression, ein Burnout oder eine Angststörung münden können. Die Übergänge sind fließend und das Schreiben kann dazu dienen, Entwicklungen vorwegzunehmen, spielerisch neue Situationen zu erkunden oder fiktive Personen neues Verhalten ausprobieren zu lassen.
Übungsreihe Anpassungsstörungen Übung 1 Idee: Es gibt eine Übung, die sich »Best Possible Self« nennt. Dahinter steht die Idee, dass das Schreiben über eine positiv imaginierte Zukunft zur Verbesserung der Selbstwirksamkeit und Lebenszufriedenheit führt und die Lebensorientierung erleichtert. Es gibt Untersuchungen zur Imaginationsfähigkeit, die zeigen, dass Menschen, die sich die Bewältigung von Aufgaben gut vorstellen können, bei der Bewältigung der Aufgaben in der Realität besser abschneiden als Menschen mit einer eingeschränkten Imaginationsfähigkeit (Pham u. Taylor, 1999; Ruvolo u. Markus, 1992). Eine Fähigkeit, die man sich gerade dann zunutze machen kann, wenn es darum geht, Ideen zu entwickeln, wie man mit Veränderungen umgehen kann.
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Anpassungsstörungen
Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, dass alles so gut wie möglich gelaufen sein wird: Sie haben hart gearbeitet, alle Ihre Lebensziele sind erreicht worden und Ihre Lebensträume haben sich erfüllt. Malen Sie sich aus, was das für Ihr Leben bedeutet. Erkunden Sie Ihre Gefühle und Gedanken, die mit dieser Vorstellung einhergehen, und führen Sie sich vor Augen, wie Ihr mit dieser Vorstellung verbundenes Leben aussehen wird.
Übung 2 Idee: Anpassungsstörungen zeichnen sich oft dadurch aus, dass man sich mit Situationen auseinandersetzen muss, die man nicht selbst gewählt hat und aus denen man das Beste machen muss. Das Beste aus einer Sache zu machen, kann man lernen, und was man in einem Bereich kann, lässt sich oft auf einen anderen Bereich übertragen, sofern man ausreichend Übung hat. Deswegen geht es in den folgenden drei Schreibimpulsen darum, aus dem, was man auf dem Papier serviert bekommt, das Beste (eine Geschichte) zu machen. Schreibimpuls 1: Ein Paar beschließt zusammenzuziehen. Die beiden sehen sich gemeinsam eine Wohnung an. Ihr gefällt die Wohnung, ihm nicht. Entwerfen Sie eine entsprechende Szene mit Dialogen. Schreibimpuls 2: Eine Person, nennen wir sie Marie, sagt folgenden Satz: »Ich will das aber!« Entwerfen Sie eine Szene, in der dieser Satz gesagt wird, und erfinden Sie weitere handelnde und sprechende Personen. Schreibimpuls 3: Ein Auftragskiller ist mit einem Banker befreundet. Der Killer bekommt den Auftrag, den Banker umzubringen, und nimmt an, weil er Geld braucht. Der Killer besucht seinen Freund zu Hause. Beschreiben Sie die Szene.
Übung 3 Idee: Manchmal erscheinen aktuelle Schwierigkeiten bedrohlich und unlösbar. Blickt man allerdings aus zeitlicher Distanz auf solche Situ-
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ationen zurück, haben sich die Dimensionen relativiert und man sieht die Schwierigkeiten oft in einem anderen Licht. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Brief an sich selbst. Stellen Sie sich vor, Sie sind zwei Jahre in der Zukunft angekommen und schreiben als die Person, die Sie dann sein werden, einen Brief an die Person, die Sie heute sind. Was würde die Person aus der Zukunft Ihrem heutigen Ich gerne sagen?
Übung 4 Idee: Manchmal kann es sehr entlastend sein, sich die Zukunft in verschiedenen Szenarien vorzustellen. Denken Sie an das, was Ihnen bevorsteht, und setzen Sie sich schreibend damit auseinander. Schreibimpuls: Schreiben Sie zwei Texte. In beiden Texten beschreiben Sie, was in den nächsten Wochen passiert. Sie sind der zentrale Mittelpunkt beider Geschichten. Achten Sie darauf, dass sich die Szenarien, die Sie entwickeln, deutlich voneinander unterscheiden.
Übung 5 Idee: Bei Menschen mit Anpassungsstörungen kommt es häufig zu Schuldgefühlen und Gefühlen des Versagens. Oft entsteht das Gefühl, selbst schuld zu sein, weil man mit den Anforderungen des Lebens nicht zurechtkommt. Doch in der Regel spielen viele Faktoren bei der Entstehung einer Anpassungsstörung eine Rolle und wir haben nicht immer alles unter Kontrolle. Zudem ist die Schuldfrage selten zielführend oder hilfreich. Sinnvoller ist es, sich zu überlegen, wie ein erster Schritt aussehen könnte, um die Situation in den Griff zu bekommen. Schreibimpuls 1: Beginnen Sie einen Text mit dem Halbsatz »Ich bin nicht schuld, dass ich …« und schreiben Sie, solange der Stift über das Papier gleitet. Schreibimpuls 2: Beginnen Sie einen Text mit dem Halbsatz »Mir würde helfen, wenn ich …« und schreiben Sie ebenfalls, solange der Stift über das Papier gleiten will.
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Anpassungsstörungen
Übung 6 Idee: Menschen mit Anpassungsstörungen treffen zuweilen auf das Unverständnis ihres Umfeldes: von Eltern, Partnern, Kindern, Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen, Lehrern und manchmal sogar von Ärzten. Mitunter fallen Sätze wie: »Jetzt reiß dich doch mal ein bisschen zusammen« oder »Deine Sorgen möchte ich haben«. Auch wenn die Sätze mitunter nur die Hilflosigkeit des Gegenübers zum Ausdruck bringen, können sie doch sehr verletzend sein und sowohl traurig als auch wütend machen. Schreibimpuls: Schreiben Sie ein Streitgespräch. Anwesend sind zwei Personen. Eine Person sind Sie selbst, die zweite ist ein Elternteil, der Partner, ein Freund, Nachbar oder Arbeitskollege. Sie können ein Streitgespräch aus der Erinnerung notieren oder eines erfinden. Sie wählen Ihr Gegenüber und gestalten den Dialog, wie es Ihnen aktuell in den Sinn kommt. Ihr Gegenüber eröffnet das Gespräch mit dem Satz: »Deine Sorgen möchte ich haben.«
Übung 7 Idee: Was uns belastet und Schwierigkeiten bereitet, ist individuell unterschiedlich. Manchmal kann es hilfreich sein, sich klarzumachen, in welchen Bereichen wir Mühe haben und in welchen uns Dinge mühelos gelingen. Schreibimpuls: Legen Sie zwei Spalten an. In der einen Spalte notieren Sie, was Ihnen mühelos gelingt, und in der anderen, was Ihnen Schwierigkeiten bereitet. Achten Sie darauf, in der Spalte mit den Dingen, die Ihnen mühelos gelingen, auch Dinge zu notieren, die Ihnen vielleicht selbstverständlich vorkommen, für andere aber möglicherweise schwierig sein könnten. Nur so erreichen Sie eine faire und ausgewogene Darstellung.
Übung 8 Idee: Bei einer Anpassungsstörung ist es häufig so, dass durch Veränderungen vieles im Leben ins Wanken gerät. Betroffene berichten,
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dass es Ihnen buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzieht. Doch bei allen Veränderungen gibt es immer etwas, das beständig ist und Struktur und Halt verleiht. Zuweilen ist es deswegen gut, sich diese Dinge ins Bewusstsein zu rufen. Schreibimpuls: In einem ersten Schritt notieren Sie alles, was Ihnen Halt und Struktur gibt. In einem zweiten Schritt notieren Sie, was Ihnen Halt und Struktur geben könnte und wie Sie diese Art von Halt und Struktur in Ihrer aktuellen Lebenssituation erhalten könnten.
Übung 9 Idee: Flexibilität kann und sollte man üben, zunächst in kleinen Dingen, die einem leichtfallen, und dann in größeren. Genauso, wie man sich von kleinen zu großen Dingen vorarbeiten kann, kann man sich vorwärtstasten, indem man erst einmal in der Phantasie Flexibilität übt, um dann das dort Erprobte in die Realität zu übertragen. Schreibimpuls 1: Sie haben Theaterkarten für ein Stück besorgt, das Sie schon lange interessiert. Als Sie ins Theater kommen, sagt man Ihnen, dass die Vorstellung überbucht ist. Man bietet Ihnen an, dass Sie entweder an einem anderen Tag in das Stück gehen können oder am selben Abend in ein modernes Ballett. Schreiben Sie, wie Sie sich entscheiden, warum Sie sich so entscheiden und was passieren würde, wenn Sie sich für die andere Option entscheiden würden. Schreibimpuls 2: Denken Sie an den vorherigen Schreibimpuls – nur geht es dieses Mal um eine Reise. Sie sind am Flughafen und dort sagt man Ihnen, dass die Reise überbucht ist. Man bietet Ihnen an, Ihnen das Geld zurückzuerstatten oder Sie zu einem anderen Hotel zu bringen. Der Urlaubsort würde derselbe sein, allerdings würden Sie in einem Hotel untergebracht werden, das sich in einiger Entfernung zu dem von Ihnen gebuchten befindet. Schreiben Sie auch in diesem Fall, wie Sie sich entscheiden und warum und was passieren würde, wenn Sie sich für die andere Option entscheiden würden.
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Übung 10 Idee: Unser Leben besteht aus beständigen Entscheidungen. Das mögen kleine Entscheidungen sein, die wir treffen, ohne uns dessen bewusst zu sein, wie etwa die Entscheidung, was wir am Morgen anziehen. Oder es sind Entscheidungen, die unser weiteres Leben beeinflussen. Schreibimpuls: Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie haben einen Job, der Ihnen ganz gut gefällt, allerdings nicht völlig entspricht. Nun bekommen Sie Ihren Traumjob angeboten. Dafür müssten Sie allerdings in eine andere Stadt ziehen. Welche Entscheidung treffen Sie und warum? Zeichnen Sie ein Porträt der Tage, die auf Ihre Entscheidung folgen.
Angststörungen
»Schreibend den Rückzug der Angst betreiben« Christa Wolf
Angst ist eine existenzielle Erfahrung und als solche Bestandteil des menschlichen Lebens. Angst dient dazu, Gefahren zu erkennen und abzuwenden. Damit ist sie ein sinnvolles und zweckmäßiges Gefühl, das Menschen in gefährlichen Situationen schützt und verhindert, dass sie zu Schaden kommen. Doch neben dieser lebenserhaltenden Angst, die ein biologisches Reaktionsmuster darstellt, gibt es übersteigerte Angstformen. Bezieht sich die Angst dabei auf ein Objekt oder eine Situation, ist sie in der Regel leichter greifbar, als wenn es sich um eine diffuse, unbestimmte Angst handelt, um ein allgemeines Angstgefühl. Obwohl sich jeder unter dem Gefühl der Angst etwas vorstellen kann, ist es schwierig, das Gefühl zu beschreiben. Angst ist immer ein körperliches und seelisches Phänomen zugleich. Manchmal merkt man überhaupt erst anhand der Reaktionen des Körpers, dass man Angst hat. Und selbst wenn man erkennt, dass die Angst vielleicht unbegründet oder übermäßig ist, kann man sie nicht immer oder nur bedingt unterdrücken oder beeinflussen. Wenn man von einer Angsterkrankung oder -störung spricht, sind damit ganz unterschiedliche Phänomene gemeint. Bei der generalisierten Angststörung etwa steht eine diffuse Angststimmung im Vordergrund. Bei Angstattacken, oft auch als Panikattacken bezeichnet, ist die Angst von kürzerer Dauer, tritt dafür aber in der Regel sehr plötzlich und heftig auf. Phobien wiederum beziehen sich auf bestimmte Objekte und Situationen. Angst kann vor allem dann den Stellenwert einer Krankheitsbeeinträchtigung gewinnen, wenn mögliche oder tatsächliche Bedrohungen in ihrer Gefährlichkeit überschätzt werden, wie etwa bei der Herzphobie, bei der Menschen mit gesundem Herzen fürchten, an
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einem Herzinfarkt zu sterben, oder ständig die Angst haben, mit ihrem Herzen sei etwas nicht in Ordnung. Krankheitswert bekommt auch eine Angst, die ohne konkrete Gefahr und Bedrohungswahrnehmung auftritt, wie das beispielsweise bei Panikattacken oder der generalisierten Angststörung der Fall ist. Die Ursachen der Angststörungen sind komplex und noch nicht ausreichend erforscht. Wahrscheinlich handelt es sich aber um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die unterschiedlich stark wirken. Angst ist sowohl erblich als auch erlernt. Auffällig ist beispielsweise, dass Kinder überängstlicher Mütter meist ebenfalls ängstlich sind. Angst ist zudem häufig Ausdruck eines Mangels an Kontrollmöglichkeiten. Auch schwer zu verarbeitende, traumatische oder angstauslösende Lebensereignisse wie beispielsweise Trennungen, Unfälle, Krankheiten oder existenzielle Entscheidungen können Angst hervorrufen oder verstärken. Angst hat verschiedene Gesichter. Und doch gibt es einige Anzeichen, die bei den Betroffenen häufig auftreten. Hierzu gehört etwa ein beschleunigter Puls, der oft auch als Herzklopfen wahrgenommen wird. Es kann zu Schwindel kommen und zu Schweißausbrüchen. Manche Menschen fühlen sich zittrig, bekommen Brustschmerzen oder Beklemmungsgefühle. Die Atmung kann beeinträchtigt sein, mitunter kommt es auch zu Durchfall oder zur Übelkeit bis hin zum Erbrechen. Manche Menschen mit einer Angststörung haben das Gefühl, dass die Dinge unwirklich sind oder sie selbst nicht richtig da sind. Bei einigen Menschen mit Angststörungen stehen auch chronische Schmerzen im Vordergrund, was zu Fehleinschätzungen des Krankheitsbildes führen kann, sowohl seitens der Betroffenen als auch seitens der Ärzte. Die Besonderheit einer generalisierten Angststörung ist, dass Betroffene den Auslöser ihrer Angst oft nicht kennen und die Ängste sich nicht auf bestimmte Situationen beschränken. Betroffene haben eher das Gefühl einer ständigen Bedrohung und Angst – ein Gefühl, mit dem häufig die bereits genannten Beschwerden einhergehen und das zusätzlich mit einer bestimmten Ruhelosigkeit verbunden ist, oft gepaart mit Reizbarkeit, Konzentrations- und Einschlafstörungen. Bei Panikstörungen dagegen kommt es wiederholt zu schweren, impulsiven Angst- oder Panikzuständen, die nicht vorhersagbar und
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deswegen umso bedrohlicher sind. Panikattacken gehen besonders häufig mit plötzlichem Herzklopfen, Herzrasen oder unregelmäßigem Herzschlag einher. Anders als bei der generalisierten Angststörung, bei der eine dauernde Angst vorhanden ist, dauern Panikattacken in der Regel nur wenige Minuten. Da diese Situationen plötzlich und unberechenbar auftreten, entsteht schließlich eine Angst vor der Angst. Oft werden auch körperliche Ursachen als Auslöser vermutet, wie etwa Herzkrankheiten, Kreislauferkrankungen oder lebensbedrohliche Erkrankungen, die die Beschwerden erklärbar machen könnten. Zudem kann es durch die Angstsymptome, die häufig anfangs nicht als solche erkannt werden, auch zu Depressionen kommen. Betroffene fühlen sich schlecht, weil zunächst kein Arzt helfen kann und meist keine körperlichen Beeinträchtigungen gefunden werden. Die Idee, dass die Angst auf eine schwere körperliche Erkrankung zurückzuführen sei, verstärkt oft den Leidensdruck. Auch die Tatsache, durch die Angst in seiner Leistungs- und Belastungsfähigkeit eingeschränkt zu sein, führt häufig dazu, dass Betroffene sich minderwertig oder schwach fühlen. Hinzu kommt die Scham über die Auswirkungen der Angst und darüber, nicht mehr zu funktionieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich der Angst therapeutisch anzunähern. Gute Erfolge zeigt die Verhaltenstherapie, in der es vor allem darum geht, sich den Ängsten und angstbesetzten Situationen gezielt und in zunehmender Dosierung auszusetzen, bis zuvor gemiedene Situationen wieder in das normale Leben integriert werden können. Man bedient sich hierzu der sogenannten Reizkonfrontation. Dies kann durch eine Reizüberflutung geschehen, bei der unter therapeutischer Begleitung eine Konfrontation mit einer maximal angstauslösenden Situation aufgesucht wird. Diese wird so lange ausgehalten, bis eine physiologische Gewöhnung eintritt und Betroffene feststellen können, dass die gefürchteten katastrophalen Folgen ausbleiben. Weniger drastisch verfährt die abgestufte Reizexposition, bei der eine stufenweise gesteigerte Reizexposition erfolgt, bis alle Stufen bis zum Maximum durchlaufen wurden. Im Rahmen der sogenannten Kognitiven Verhaltenstherapie werden Betroffene angeregt, ihre bisherigen Denk- und Bewertungsstile zu erkennen und wo nötig anzupassen. Dieser Idee liegt die
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Annahme zugrunde, dass vor allem eine Fehlbewertung der angstauslösenden Situation sowohl die Angst als auch die darauf folgende Vermeidungsreaktion hervorruft und verstärkt. Oftmals wird auch danach gefragt, für was die Angst steht, was durch sie erreicht oder vermieden werden soll. Bei tiefenpsychologischen Behandlungsverfahren geht man davon aus, dass die Angstsymptomatik Ausdruck eines unbewussten Konfliktes mit misslungener Kompromisslösung ist. Die Aufdeckung des Konfliktes und die Reaktivierung der ursprünglichen Affekte sollen die Angst überflüssig machen und zum Verschwinden bringen. Diese Therapie kann allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen, da man mitunter weit in die Vergangenheit reisen muss, um den Ursprüngen der Angst auf den Grund zu kommen. Da Ängste in der Regel von körperlichen Symptomen begleitet werden, welche die Angstsymptomatik wiederum verstärken oder aufrechterhalten, kann ein Ansatz in der Angsttherapie auch die Verminderung oder Beseitigung von Spannungen sein. Hierfür eignen sich Entspannungsverfahren wie das Autogene Training, die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, die Biofeedback-Methode oder achtsamkeitsbasierte Stressreduktionsprogramme. Da Angst verschiedene Bereiche betrifft und emotionale sowie körperliche und gedankliche Phänomene umfasst, kann man auch in diesen Bereichen versuchen, die Angst zu verstehen, so weit wie möglich zu beeinflussen und erträglich zu machen. Dabei geht es in erster Linie um eine angemessene Angstkontrolle, nicht um völlige Angstfreiheit, da das Warnsystem erhalten bleiben sollte. Alle zuvor genannten Ansätze und Aspekte kann man sich auch im Schreiben zunutze machen. Weitere Grundgedanken bezüglich Angst werden in den einzelnen Übungen exemplifiziert.
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Übungsreihe Angststörungen Übung 1 Idee: Angst ist ein universelles Gefühl, das Menschen über alle Zeiten hinweg teilen. Zugleich ist Angst ein individuelles Gefühl. Angst fühlt sich für jeden Menschen anders an. Auch haben Menschen vor unterschiedlichen Sachen Angst. Und Mut ist nicht immer das Gegenstück zur Angst. Für manche mag das Gegenstück Wut oder Energie sein. Diese Übung dient dazu, zu erfahren, was die andere Seite der persönlichen Angst ist. Einerseits, um ein Gegengewicht zu finden, andererseits, um die persönliche Angst besser kennenzulernen. Schreibimpuls: Was ist für Sie persönlich das Wort, das am besten das Gegenteil Ihrer Angst ausdrückt? Schreiben Sie dieses auf und lassen Sie sich davon zu einem ersten Satz inspirieren. Schreiben Sie so lange, wie das Wort und der Stift Sie treiben.
Übung 2 Idee: Angst kann sehr konkret sein: Man ängstigt sich im Dunkeln, vor Unbekanntem, vor Versagen oder Bloßstellung. In allen diesen Situationen erscheint die Angst greifbar, benennbar. Allerdings gibt es auch eine Angst, die man nicht beschreiben kann, die etwas Vages hat und umso mehr ängstigt, je weniger greifbar sie ist. In beiden Fällen kann es hilfreich sein, sich die Angst in anderer Gestalt vorzustellen, sie gewissermaßen zu einer Art Gegenüber zu machen, zu etwas Drittem, dem man sich stellen, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Schreibimpuls 1: Wenn Ihre Angst eine Farbe wäre, welche wäre es? Schreiben Sie die Farbe auf ein Blatt Papier und beschäftigen Sie sich ausschließlich mit dieser Farbe. Denken Sie nicht an Ihre Angst, sondern versuchen herauszufinden, was die notierte Farbe für Sie bedeutet. Mögen Sie die Farbe? Welche Qualitäten hat sie? Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dieser Farbe? Gibt es Gerichte, Gerüche oder Sonstiges, das Sie mit der von Ihnen notierten Farbe in Verbindung bringen?
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Schreibimpuls 2: Wenn Ihre Angst ein Tier wäre, welches wäre es? Schreiben Sie das Tier auf ein Blatt und beschäftigen Sie sich ausschließlich mit diesem Tier. Denken Sie nicht an Ihre Angst, sondern versuchen herauszufinden, was das Tier für Sie bedeutet. Mögen Sie das Tier? Welche Eigenschaften hat es für Sie? Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Tier? Wo und wie lebt das Tier und in welcher Beziehung steht es zu Ihnen?
Übung 3 Idee: Jedes Gefühl hat einen bestimmten Sinn. Zum einen ist es evolutionär bedingt und sichert das Überleben, zum anderen hat es einen je spezifischen Sinn für einen Menschen in einer bestimmten Lebenssituation. Bei der Angst ist der evolutionäre Sinn, dass man durch sie auf Gefahr aufmerksam wird (Löwe) und sich in Sicherheit bringt (Flucht). Individuell kann die Angst darauf aufmerksam machen, dass man auf bestimmte Dinge aufpassen und gewisse Bedürfnisse – wie etwa das Bedürfnis nach Sicherheit – befriedigen muss. Statt das Gefühl der Angst nicht haben zu wollen, besteht die Möglichkeit, sich der Angst zuzuwenden und sie zu Wort kommen zu lassen. Schreibimpuls: Der Gefühlssteckbrief! Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Angst. Ich bin Jahre alt und kenne meinen Gastwirt seit Jahren. Ich gehöre zu und komme aus . Meine größte Stärke ist . Allerdings habe ich auch ein paar Schwächen: . Meine größten Auftritte habe ich, wenn . Der Körper meines Gastwirtes reagiert auf mich meist mit . Und im Geist erscheine ich in Form von . Ich bin aber nicht nur ein Störenfried, sondern zugleich wertvoll, weil ich . Ich fühle mich bei meinem Gastwirt in der Regel und es gibt so einiges, was ich meinem Gastwirt immer schon mal sagen wollte: . War nett, mit dir zu plaudern. Vielleicht treffen wir uns gelegentlich wieder. Je nachdem, wie willkommen ich bin und was du dann machst.
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Übung 4 Idee: Manchmal kann es hilfreich sein, sich konkreten, greifbaren Ängsten zuzuwenden, gerade wenn die eigenen Ängste eher diffus sind. Aber auch im Fall von Phobien kann es mitunter helfen, sich einem nicht angstbesetzten Objekt oder einer solchen Vorstellung zuzuwenden und gegebenenfalls etwas für die angstbesetzte Situation zu lernen. In jedem Fall geht es darum, sich ängstigenden Situationen zu stellen und zu erleben, dass die Situationen zu bewältigen sind, wenn vorerst vielleicht auch nur in der Vorstellung. Schreibimpuls: Sie sind zu Gast in einem kleinen Waldhaus eines Freundes, der aber erst am nächsten Morgen zu Ihnen stoßen wird. In der Nacht gibt es ein Unwetter. Durch den Sturm fällt ein Baum auf das Dach des Hauses und reißt ein Loch hinein, durch das es ins Haus regnet. Was machen Sie? Wie geht es Ihnen? Was ist mit Ihrem Freund?
Übung 5 Idee: Das Ziehen der Wolken wird oft mit der Idee von Freiheit verbunden. Frei von Ängsten zu sein, ist ein häufiger und verständlicher Wunsch von Menschen mit übermäßigen Ängsten. Zugleich kann Freiheit wiederum Ängste hervorrufen, weswegen es genau zu beobachten gilt, was bei Ihnen individuell passiert, wenn Sie über Freiheit nachdenken und schreiben. Schreibimpuls: Gesellen Sie sich zu den ziehenden Wolken und schreiben Sie eine Geschichte darüber, wohin die Wolken Sie treiben und was auf Ihrer Reise passiert.
Übung 6 Idee: Die Idee aufgreifend, dass die Angst eine Art Stellvertreter für etwas anderes, mitunter Bedrohliches sein kann, ist es in manchen Fällen hilfreich, sich zu überlegen, für was die Angst stehen könnte und was sie uns vielleicht mitteilen möchte oder was sie unter Umständen verhindern soll.
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Schreibimpuls: Lassen Sie einmal das Gedankenexperiment zu, Ihre Angst könnte in der Tat für etwas anderes stehen. Für was könnte Ihre Angst stehen? Was verhindert sie in Ihrem Leben? Was können Sie deswegen nicht machen?
Übung 7 Idee: Oftmals hat das Unbekannte etwas Bedrohliches für uns. Für manche Menschen mehr, für andere weniger. Man kann dem Unbekannten mit Neugier oder Vorsicht begegnen, vor ihm fliehen oder mit weiteren Verhaltensmustern reagieren. Schreibimpuls: Sie sind in einer fremden Stadt. Ihnen kommt ein Mann entgegen, der Ihnen irgendwie Angst macht. Der Mann kommt direkt auf Sie zu und … Schreiben Sie die Geschichte fort.
Übung 8 Idee: Im Laufe unseres Lebens verändern sich unsere Ängste. Was uns als Kind geängstigt hat, verliert für uns als Erwachsene oftmals seine Bedrohlichkeit. Dafür treten andere Ängste auf den Plan. Schreibimpuls: Notieren Sie alles, wovor Sie sich als Kind geängstigt haben. Dann notieren Sie alles, was Sie als Erwachsener ängstigt. Sehen Sie sich beide Listen an und schreiben Sie, was Ihnen dazu einfällt.
Übung 9 Idee: Oftmals ist es leichter, sich einem Thema anzunähern, wenn man es so behandelt, als sei es ein allgemeines und kein zutiefst persönliches Thema. Schreibimpuls: Schreiben Sie die Kurzankündigung zu einem Film, in dem es um die Darstellung von Angst geht und den man als Film des Jahres bezeichnet. Alternativ können Sie sich einen Roman vorstellen, in dem es um das Thema Angst geht, und den Klappentext dazu schreiben.
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Übung 10 Idee: Gerade wenn wir unsere Ängste nicht genau zu fassen bekommen, sie nicht benennen können, kann es hilfreich sein, sich diesen erst einmal in unstrukturierter Form anzunähern. Schreibimpuls: Schreiben Sie das Wort »Angst« in die Mitte eines Blattes, ziehen Sie einen Kreis darum und notieren Sie um diesen Kreis herum alle Worte, die Ihnen einfallen. Fahren Sie so lange damit fort, wie Ihnen neue Worte in den Sinn kommen. Dann betrachten Sie das Entstandene und schreiben Sie, was Ihnen dabei durch den Kopf geht und wie es Ihnen damit geht.
Atemwegserkrankungen
»Man erkennt die Lösung eines Problems bekanntlich am Verschwinden dieses Problems, und manche Bedrängnis wird in einem Schreibleben vielleicht genau durch das Schreiben überwunden.« Urs Widmer
Unter dem Begriff »Atemwegserkrankungen« werden verschiedene Krankheiten der Organe zusammengefasst, die mit der Atmung zu tun haben. Es gibt etwa dreißig verschiedene häufiger auftretende Atemwegserkrankungen. Zu den häufigsten gehören Asthma bronchiale, akute und chronische Bronchitis, Lungenentzündung, Lungenemphysem, Lungenkrebs und Tuberkulose. Und auch die meisten sogenannten banalen Erkältungskrankheiten beeinträchtigen die Atemwege in der einen oder anderen Weise. Atemwegserkrankungen gehen in der Regel mit Husten – mit oder ohne Auswurf – einher und mit Atembeschwerden bis hin zur Luftnot. Insbesondere chronische Atembeschwerden wie das Asthma bronchiale und die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung zeichnen sich dadurch aus, dass Betroffene häufig das Gefühl haben, nicht genug Luft zu bekommen, und mitunter Angst haben, zu ersticken. Asthma zählt zu den häufigsten obstruktiven Atemwegserkrankungen. Bei dieser meist vererbten Krankheit besteht eine Allergie gegen bestimmte Stoffe oder eine Überempfindlichkeit in Bezug auf Infekte, kalte Luft, Stress oder andere Faktoren. Es kommt zu einer Verengung (Obstruktion) der Bronchien, welche zu anfallsartiger Atemnot führen. Problematisch ist dabei weniger das Luftholen als vielmehr das Ausatmen. Weil nicht alle Luft ausgeatmet wird, kann es zu einer Überblähung der Lunge und einem gestörten Sauerstofftransport kommen. Die akute Bronchitis wird durch Viren oder Bakterien hervorgerufenen. Sie beginnt in der Regel mit einem trockenen Husten,
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während Auswurf mit Schleim meist erst in einem späteren Stadium hinzukommt. Kann die Infektion des Lungengewebes nicht gestoppt werden, kann eine Lungenentzündung entstehen. Tritt eine Bronchitis für mindestens drei Monate in zwei aufeinanderfolgenden Jahren auf, spricht man von einer chronischen Bronchitis. Eine Form der chronischen Bronchitis ist die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Bei dieser Krankheit bestehen ähnliche Probleme wie beim Asthma. Ursächlich ist meist das Rauchen. Bei besonders schwerer Ausprägung kann sogar eine Lungentransplantation notwendig werden. Tumore in der Lunge sind bei mehr als 90 Prozent der Betroffenen bösartig (Lungenkrebs). Sie sind in allen Teilen der Lunge möglich, in den meisten Fällen entwickeln sie sich allerdings im oberen Lungenbereich, weil dieser bei der Atmung verstärkt mit Schadstoffen in Berührung kommt. Da die Atmung zentral und lebensnotwendig ist, können insbesondere Atemwegserkrankungen, die mit Luftnot einhergehen, schnell einen bedrohlichen Charakter annehmen. Ohne Atmung kein Leben. Die Angst, nicht genug Luft zu bekommen, verschärft die Luftnot in der Regel. Es ist kaum möglich, Luftnot zu ignorieren. Neben der Therapie mit Medikamenten spielen Atemschulung und Atemtherapie eine große Rolle. Auch das Training der Atemmuskeln sowie ausreichend Bewegung und Entspannungsverfahren können zu einer Verminderung der Atembeschwerden beitragen. Mitunter kann es hilfreich sein, sich zwar auf die Atmung zu konzentrieren, aber dabei einen anderen Aspekt zu fokussieren als die Luftnot. Dies wird sowohl in der Atemtherapie gemacht als auch in verschiedenen anderen Trainings wie etwa im Yoga, in der Meditation oder beim Schreiben.
Übungsreihe Atemwegserkrankungen Übung 1 Idee: Wie bereits angemerkt, ist es kaum möglich, Luftnot zu ignorieren. Deswegen kann es hilfreich sein, sich zwar auf seine Atmung zu konzentrieren, aber einen anderen Aspekt zu fokussieren als die Luftnot.
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Die Übung ist aber nicht nur bei Luftnot hilfreich, sondern generell bei Problemen in den Atemwegen und Erkrankungen im Atemwegsbereich. Schreibimpuls: Stellen Sie sich die Umgebungsluft in einer Farbe vor, die Ihnen angenehm ist. Atmen Sie diese farbige Luft ein und verfolgen Sie den Weg der Luft in Ihre Lunge bis in die kleinsten Verästelungen. Wenn Sie mögen, stellen Sie sich die farbigen Sauerstoffmoleküle auf dem weiteren Weg durch Ihren Körper vor. Atmen Sie ein paar Minuten lang farbige Luft und beobachten Sie, was passiert. Dann schreiben Sie über Ihre Erfahrungen.
Übung 2 Idee: Über Ein- und Ausatmung, Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe sind wir unmittelbar mit unserer Umwelt verbunden. Aber auch eine Verbindung zum Boden, auf dem wir stehen, kann über die Atmung vermittelt oder intensiviert werden. Bevor Sie nun den Stift in die Hand nehmen, machen Sie bitte folgendes Experiment, das am besten in der Natur funktioniert, aber auch im Zimmer durchgeführt werden kann. Stellen Sie sich hüftbreit mit beiden Füßen auf den Boden und verteilen Sie das Gewicht gleichmäßig. Stellen Sie sich beim Einatmen vor, wie der Atem aus der Erde beziehungsweise dem Boden durch die Füße, die Beine und den Rumpf bis zum Kopf steigt und beim Ausatmen vom Kopf, durch den Rumpf und die Beine wieder zu den Füßen, zur Erde beziehungsweise zum Boden zurückfließt. Stellen Sie sich bei jedem Einatmen vor, wie die Kraft der Erde in Ihren Körper fließt, und beim Ausatmen, wie Sie alles Schwere an die Erde abgeben. Beenden Sie die Übung, wann Sie es für passend halten. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text über das, was Sie bei der Übung erfahren haben, und darüber, wie Sie sich während der Übung gefühlt haben und wie Sie sich jetzt fühlen.
Übung 3 Idee: Atemwegserkrankungen gehen oft mit einem Gefühl der Enge einher. Etwas drückt oder schnürt den Brustkorb zusammen und ver-
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hindert, dass man frei ein- und ausatmen kann. Obwohl bei einigen Krankheiten die Ausatmung behindert ist, haben Betroffene häufig das Gefühl, nicht richtig einatmen zu können, was aber daran liegt, dass die Lungenflügel beim Ausatmen nicht vollständig geleert wurden. In dieser Übung geht es darum, das Gefühl von Weite wieder zu spüren und auszuloten. Schreibimpuls 1: Stellen Sie sich vor, auf Ihrem Rücken befinden sich Flügel. Klappen Sie diese mehrfach auf und zu und beobachten Sie dabei den Raum hinter Ihrem Rücken, in dem die Flügel sich entfalten können. Schaffen Sie in Ihrer Phantasie ausreichend Platz hinter sich, damit dies geschehen kann. Machen Sie dies so lange, wie Sie mögen, dann beschreiben Sie, wie Ihre Flügel aussehen, wie groß sie sind, welche Farbe sie haben und wie sie sich anfühlen. Danach schildern Sie, wie es sich angefühlt hat, die Flügel auf- und wieder zuzuklappen, und wie es Ihnen jetzt geht. Schreibimpuls 2: Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Blütenknospe, die kurz davor ist, zu erblühen. Beschreiben Sie den Augenblick des Erblühens, in dem sich Ihre Blütenblätter weit öffnen.
Übung 4 Idee: Es gab eine Zeitschrift für Atemwegskranke mit dem Titel »Luftpost«. Darin waren Untersuchungsverfahren, Tipps und Interviews abgedruckt. Die letzte Ausgabe erschien 2007. Dort wurden unter anderem Artikel wie »Machen Sie Ihrer Lunge Beine« oder »Lungensport – Wie geht das? Was bringt das?« veröffentlicht. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, die Zeitung wird wieder ins Leben gerufen und Sie werden gebeten, einen Beitrag zu schreiben. Sie sind völlig frei in der Themenwahl. Sie können einfach über sich berichten, oder vielleicht gibt es etwas, das Sie anderen Betroffenen mitteilen möchten, oder Sie schreiben einen eher informativen Beitrag. Setzen Sie sich dabei nicht unter Druck, es ist eine Zeitschrift für Betroffene und keine Fachzeitschrift. Schreiben Sie einfach über das, was Ihnen in diesem Augenblick in den Sinn kommt und wichtig erscheint.
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Übung 5 Idee: Da die Atembeschwerden vielfach von der Situation und den Begleitumständen abhängen, kann es hilfreich sein, sich zu vergegenwärtigen, wann die Beschwerden weniger und wann sie stärker sind, um Situationen, in denen es Ihnen besser geht, öfter aufzusuchen und solche zu meiden, in denen die Beschwerden zunehmen. Schreibimpuls: Legen Sie zwei Listen an. In der einen Liste notieren Sie Situationen, in denen Ihre Beschwerden besonders stark sind, und in der anderen Liste Situationen, in denen Sie kaum oder gar keine Beschwerden haben. Sehen Sie sich die Liste der Situationen an, in denen es Ihnen besser geht, und schreiben Sie einen Text dazu.
Übung 6 Idee: Wie Allergikern wird oft auch Menschen mit Atemwegserkrankungen ein Aufenthalt am Meer oder in den Bergen empfohlen, weil das die Beschwerden mildert. Und weil man auch in diesem Fall einen solchen Aufenthalt nicht immer von der Krankenkasse bezahlt bekommt oder selbst Geld und Zeit hat, dorthin zu reisen, reisen wir auch dieses Mal in der Phantasie einmal ans Meer und einmal in die Berge. Schreibimpuls 1: Stellen Sie sich vor, Sie sind am Meer. Es weht ein sanfter Wind, der über Ihre Haut streichelt, und die leicht salzhaltige Luft strömt ungehindert in Ihre Lungen. Schreiben Sie, was Sie unternehmen und wie es Ihnen geht. Schreibimpuls 2: Stellen Sie sich vor, Sie sind in den Bergen. Auch hier weht ein sanfter Wind und die klare Luft strömt ungehindert in Ihre Lungen. Egal, wie mühsam Sie es sonst vielleicht finden, zu wandern oder schnell zu gehen, heute gelingt es Ihnen mühelos und Sie gehen beschwingt Ihres Weges. Schreiben Sie, wohin Sie gehen, was Sie sehen und wie es Ihnen geht.
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Übung 7 Idee: Sicher kennen Sie verschiedene Atemübungen, die Ihnen helfen sollen, leichter zu atmen. Da wir bereits gesagt haben, dass das Problem häufiger beim Aus- als beim Einatmen liegt, ist es naheliegend, sich zunächst auf die Ausatmung zu konzentrieren. Setzen Sie sich bitte auf einen Stuhl und konzentrieren sich auf Ihren Atem, beobachten Sie, wie er kommt und geht. Dann atmen Sie ein, während Sie auf eins zählen, und atmen aus, während Sie auf zwei zählen. Eins – einatmen. Eins, zwei – ausatmen. Machen Sie diese Übung zwei bis fünf Minuten. Dann fangen Sie an zu schreiben. Schreibimpuls: Beschreiben Sie, wie Sie sich während der Übung gefühlt haben und wie Sie sich jetzt nach der Übung fühlen.
Übung 8 Idee: Einschränkungen jeglicher Art können uns wütend machen, insbesondere dauerhafte Einschränkungen. Manchmal geht die Wut auch in Resignation oder Trotz über. Es empfiehlt sich, diese Übung in regelmäßigen Zeitabständen zu wiederholen, um besser zu verstehen, wie es Ihnen auf der Gefühlsebene mit Ihrer Erkrankung geht. Schreibimpuls: Welche Gefühle ruft Ihre Erkrankung aktuell bei Ihnen hervor? Gibt es eine Art Gefühlsverlauf, seit Sie erkrankt sind, oder schwanken die Gefühle immer?
Übung 9 Idee: Es wurde mehrfach angesprochen, dass die Atmung etwas sehr Zentrales ist. Ohne Atmung kein Leben. Das Leben beginnt mit dem ersten Atemzug und endet mit dem letzten. Darüber hinaus hat die Atmung für jeden noch weitere individuelle Bedeutungen, auch wenn wir uns diese nicht immer klarmachen. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text darüber, was Atmung für Sie bedeutet.
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Atemwegserkrankungen
Übung 10 Idee: Bei den meisten Menschen gibt es ein gewisses Gleichgewicht zwischen Leiden und Freude, zwischen dem, was sie haben, und dem, was sie entbehren. Zuweilen scheint aber das, was wir nicht haben und wonach wir uns sehnen, so zentral, dass wir vergessen, was wir haben. Oder wir möchten einfach, dass alles gut läuft und wir in keinem Bereich beeinträchtigt sind, Kompromisse oder Abstriche machen müssen. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Möglichkeit zu tauschen. Sie hätten die Chance, wieder ganz ohne Atembeschwerden zu sein, müssten dafür allerdings etwas anderes abgeben. Was wären Sie bereit abzugeben und welche Auswirkungen hätte der Tauschhandel auf Ihr Leben?
Borderline-Persönlichkeitsstörungen
»Dem Papiergeschöpf habe ich zugute kommen lassen, was ich entbehre.« Adolf Muschg
»Borderline« bedeutet auf Deutsch so viel wie Grenzlinie. Früher ordnete man die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) in den Grenzbereich zwischen Neurose und Psychose ein, da man Krankheitszeichen aus beiden Bereichen bemerkte. Doch seit einiger Zeit ist man dazu übergegangen, die Borderline-Persönlichkeitsstörung als eigenständiges Krankheitsbild anzusehen. Obwohl die Entstehung und Ursache von Persönlichkeitsstörungen aus den unterschiedlichsten Richtungen analysiert und beschrieben werden können und meist mehrere Faktoren eine Rolle spielen, zeigen doch fast alle Untersuchungen, dass traumatische (verletzende) Beziehungserfahrungen in der Kindheit die Entwicklung von Borderline-Persönlichkeitszügen begünstigen (Bierer et al., 2003). Das können Erfahrungen physischer oder emotionaler Misshandlung sein, emotionale oder reale Vernachlässigung, ein häufiger Wechsel von Bezugspersonen, Gewalt in der Familie oder sexueller Missbrauch. Im Zentrum der Borderline-Persönlichkeitsstörung stehen Störungen der Gefühlsregulation und Impulskontrolle, woraus sich verschiedene Verhaltensauffälligkeiten ergeben. Insbesondere die Beziehungsgestaltung ist häufig von einer gestörten Nähe- und Distanzregulierung geprägt. Zudem kann es zu selbst- und fremdaggressivem Verhalten kommen. Selbstaggressionen zeigen sich oft in Form von Selbstverletzungen bis hin zu Selbstmordversuchen. Bei hoher Anspannung kann es zu sogenannten dissoziativen Phänomenen kommen, bei denen Betroffene sich selbst oder die Umwelt als fremd und verzerrt erleben. Einhergehend mit der Krankheit sind häufig ein schlechtes Selbstwertgefühl, Schwarz-Weiß-Denken und negative Grundüberzeu-
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gungen, die oft aus der Kindheit stammen und sich verfestigt oder sogar verselbstständigt haben. Deswegen kann ein erster Schritt darin bestehen, zu erkennen, welche Muster sich verankert haben, was sie bedeuten und ob sie sich durch günstigere Muster ersetzen lassen. Letzteres ist kein einfacher Prozess, sondern erfordert Geduld und Beharrlichkeit. Eine Veränderung innerer Muster ist mindestens so schwer und langwierig wie eine Veränderung auf der Verhaltensebene. Experten haben spezielle Therapieangebote entwickelt, die auf Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen zugeschnitten sind. Die Konzepte basieren auf psychoanalytischen Methoden und der sogenannten Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), die auf die amerikanische Psychologin Marsha Linehan zurückgeht. In dem stark strukturierten Therapieprogramm lernen Betroffene, ihre Gefühls- und Stimmungsschwankungen zu kontrollieren, sie trainieren Techniken zur Verbesserung ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen sowie zur Stressbewältigung und entwickeln Strategien, um selbstverletzendes Verhalten zu vermeiden. Integriert in die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen sind Techniken aus der Meditationslehre wie beispielsweise Achtsamkeitsübungen. Dabei geht es sowohl um die Fähigkeit, die Wahrnehmung zu schulen, als auch darum, die Dinge zunächst einmal zu akzeptieren, wie sie sind, ohne sie sogleich zu bewerten. Wahrnehmen, beobachten und beschreiben sind drei Kernelemente des Ansatzes nach Marsha Linehan. Und genau darum geht es auch im Schreiben. Die Fähigkeit, genau hinzusehen, hilft auch dabei, das eigene Innenleben differenzierter wahrzunehmen. Dichotome Denkmuster (Schwarz-weiß-Denken) können auf diese Weise durch differenziertes Denken ersetzt werden. Auch das Innehalten als wichtige Fähigkeit, Kontrolle über die Gefühlsimpulse zu bekommen, kann im Schreiben geübt werden, sowohl durch die konkreten, vorgeschlagenen Übungen als auch durch die Integration des Schreibens in den Alltag.
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Übungsreihe Borderline-Persönlichkeitsstörungen Übung 1 Idee: Sicher kennen Sie diese Buttons, die man an eine Jacke oder Tasche stecken kann. Oft geben sie eine Meinung oder Einstellung wieder, wie etwa der Button »Anti-Atomkraft« oder ein Button mit dem Spruch »If shit happens, shit happens again«. Manchmal erlaubt man sich mit einem Button auch einen Scherz, obwohl selbst dieser der Wahrheit nahekommen oder sie zynisch verkehren kann. Das Besondere an den Buttons ist, dass auf ihnen in konzentrierter Form etwas zum Ausdruck gebracht wird. Man hat nicht viel Platz und muss deswegen sehr präzise sein. Eine Auswahl für eine bestimmte Variante eines Buttons beinhaltet immer zugleich eine Entscheidung gegen viele ebenfalls mögliche Entwürfe. Schreibimpuls: Sie gestalten selbst einen Button. Was steht darauf? Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen und warum ist Ihnen dieses spezielle Statement so wichtig, dass Sie damit einen Button gestalten?
Übung 2 Idee: Oft finden sich in der Vergangenheit von Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen schmerzliche Erfahrungen, die unerwartet und unerwünscht immer wieder auftauchen (sogenannte Flashbacks). Häufig wird eine Auseinandersetzung mit diesen Inhalten vermieden, da die Erinnerungen unerträglich sind. Und doch sind die Erinnerungen unterschwellig ständig präsent. In der folgenden Schreibübung geht es darum, sich selbst auf neue Weise zu denken, das eigene Leben rückwärts zu erzählen und zu gestalten, mit der Freiheit, wegzulassen oder umzugestalten, was schmerzlich war. Schreibimpuls: Sie entwickeln sich rückwärts, werden mit jedem Geburtstag ein Jahr jünger, bis zu Ihrer Geburt. Beschreiben Sie Ihr komplettes Leben im Schnelldurchlauf rückwärts. Sollten Sie merken, dass Sie an bestimmten Ereignissen oder Lebensjahren hängen bleiben, machen Sie sich dort eine Notiz, um sich damit eventuell später
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zu beschäftigen. Versuchen Sie in dieser Übung eine Art roten Faden zurück zur Geburt zu verfolgen. Einzelne Ereignisse können Sie jederzeit nach Beendigung der Übung fortschreiben. Sie haben diese notiert und markiert und werden sie also nicht wieder vergessen.
Übung 3 Idee: Zuweilen leiden wir alle unter einem Mangel an Selbstwertgefühl. Erfahrungsgemäß leiden Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung allerdings häufiger darunter. Das liegt insbesondere daran, dass gerade Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oder anderen psychischen Erkrankung in der Vergangenheit wiederholt gespiegelt bekommen haben, nicht viel oder nichts wert zu sein und nichts zu können. Das hat massive Auswirkungen auf ihr Selbstbild. Oft verinnerlichen Menschen das, was sie in Kindheit und Jugend gespiegelt bekommen haben, so sehr, dass es zu ihrer Haltung sich selbst gegenüber wird. Diese Idee von sich selbst ist zuweilen so zementiert, dass es schwerfällt, etwas anderes zu glauben. In vielen Fällen haben es Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung überaus schwer, mit Lob und Anerkennung umzugehen, manchmal sogar schwerer als mit Kritik und Abwertung, weil Letztere ihnen vertraut erscheinen. Schreibimpuls: Ihr Nachbar, der ein Haus mit Garten hat, kommt auf Sie zu und bittet Sie, ihm bei der Gestaltung seines Gartens zu helfen. Er sei sicher, dass Sie ein wunderbares Gespür für Ästhetik hätten, weil Sie immer so außerordentlich gekleidet seien und überhaupt einen sehr feinfühligen Eindruck machen würden. Erst sind Sie so überrascht, dass Sie einen Moment schweigen. Der Nachbar blickt Sie erwartungsvoll an, und in der Tat lieben Sie die Arbeit in der Natur. Wie geht das Gespräch weiter und was folgt in den nächsten Tagen?
Übung 4 Idee: Mitunter geht es uns allen so, dass wir nicht genau wissen, ob wir traurig oder wütend sind, ob wir lachen oder weinen sollen und was das alles zu bedeuten hat. Manche Gefühle, die uns früher vielleicht eher geschadet als genutzt haben, scheinen wir regelrecht verlernt zu haben,
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so dass wir unter Umständen ängstlich oder traurig sind, wenn es vielleicht angemessener wäre, wütend zu sein. Obwohl uns das sicher allen von Zeit zu Zeit so geht, scheinen Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung häufiger unter diesem Phänomen zu leiden als andere, weswegen es sinnvoll sein kann, sich mehr mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen und diese und sich selbst besser kennenzulernen. Schreibimpuls: Schreiben Sie zu jeder Farbe ein Gefühl: rot, blau, grün, gelb, violett, orange, schwarz, weiß. Gibt es Gefühle, die fehlen? Welche sind das und welche Farben könnten für diese Gefühle stehen?
Übung 5 Idee: Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung fragen sich häufig, was andere über sie denken. Sie haben Angst, Fehler zu machen, sich zu blamieren oder abgewertet zu werden. Diese Angst führt dazu, dass man sich sehr im Außen bewegt, was wiederum zur Folge hat, dass man sich selbst immer weniger kennt. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text mit dem Titel »Ich«. Wer sind Sie unabhängig von Ihrem äußeren Erscheinungsbild und dem, was andere in Ihnen sehen?
Übung 6 Idee: Viele Dinge nehmen wir als gegeben, als unumstößliche Tatsachen und Wahrheiten. Je mehr Erfahrungen wir gemacht haben, die diese Wahrheiten zu bestätigen scheinen, umso fester sind die Ideen in unserem Denken verankert. Dabei übersehen wir, dass es keine letztendlichen Wahrheiten gibt, schon gar nicht über etwas, das einen so wandelbaren Charakter hat wie der Mensch. Zudem erleben wir Ereignisse unterschiedlich, häufig ist unser Erleben von vorangegangenen Erfahrungen gefärbt, was es wiederum schwierig werden lässt, neue Erfahrungen zu machen, da wir diese unter Umständen nicht einmal wahrnehmen. Schreibimpuls: Versetzen Sie sich in einen kindlichen Zustand und stellen sich die »Warum-Frage«: Alles, was Sie für gewiss halten, hin-
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terfragen Sie mit »Warum«, und versuchen Sie, ehrliche Antworten zu finden. Antworten, die ein Kind verstehen und akzeptieren kann. Denken Sie daran, dass das Kind immer wieder »Warum« fragen wird, bis es der Sache wirklich auf den Grund gegangen ist. Unterziehen Sie auch Grundsätze, die Sie in Ihrer Kindheit gelernt haben, und aktuelle Einschätzungen über Ihre eigene Person der »Warum-Frage«.
Übung 7 Idee: Mit dem Selbstwertgefühl ist es so eine Sache, mal besitzen wir mehr davon, mal weniger. Insbesondere, wenn uns etwas nicht gelingt, sind wir häufig von Selbstzweifeln geplagt und halten uns insgesamt für einen eher wertlosen und wenig liebenswerten Menschen. Die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, verstärkt diese Tendenz, weil häufig nur jene, die etwas leisten, Anerkennung finden, wobei noch in Frage zu stellen ist, was Leistung überhaupt bedeutet. Doch jedem Menschen stehen Liebe und Anerkennung zu, und zwar ganz ohne Leistung. Jeder Mensch hat Würde und Wert, unabhängig davon, ob er etwas »leistet«. Schreibimpuls 1: Versuchen Sie den folgenden Satzanfang mindestens zehnmal fortzuführen. Stellen Sie sich vor, dass es sich um eine Klassenarbeit handelt und dass Sie zehn Sätze formulieren müssen, auch wenn Sie vom Inhalt der Sätze nicht restlos überzeugt sind. Der Satzanfang lautet: »Ich bin ein wertvoller Mensch, weil …« Schreibimpuls 2: Beim zweiten Schreibimpuls der Übung 7 ist grundsätzlich Folgendes zu beachten: Führen Sie diese Schreibübung nur durch, wenn Sie zuvor Schreibimpuls 1 umgesetzt haben. Sollte es Ihnen aktuell nicht gut gehen, dann führen Sie diese Übung entweder gar nicht oder nur in Zusammenarbeit mit einem Therapeuten durch. Nun haben Sie Gelegenheit über sich selbst so richtig »vom Leder zu ziehen«. Die Aufgabe ist erneut die gleiche: Sie müssen einen Satzanfang zehnmal fortführen. Doch lautet er dieses Mal: »Ich bin ein wertloser Mensch, weil …« Schreibimpuls 3: Erinnern Sie sich, wie es Ihnen beim Umsetzen des ersten und gegebenenfalls des zweiten Schreibimpulses ging.
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Beschreiben Sie, was Sie erlebt haben und wie leicht oder schwer Ihnen die beiden Übungen gefallen sind. Lässt sich daraus etwas schließen?
Übung 8 Idee: Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden oft unter dem Gefühl der Isolation. Zugleich haben sie Schwierigkeiten, Nähe zuzulassen. Ein scheinbar unlösbares Dilemma: Nähe wird als Gefahr erlebt, Distanz führt zum Gefühl der Einsamkeit. Deswegen kann es hilfreich sein, sich die natürliche Verbundenheit mit anderen Menschen, Dingen und der Welt vorzustellen. Schreibimpuls 1: Schließen Sie für einen Augenblick die Augen und nehmen Sie wahr, wie Geräusche an Ihr Ohr dringen, das Licht durch Ihre geschlossenen Lider dringt und die Haut Kontakt zu der Sie umgebenden Luft hat. Stellen Sie sich vor, wie viele Menschen bei der Herstellung Ihrer Kleidung und Nahrung involviert waren. Fragen Sie sich, wie diese leben und arbeiten. Vergegenwärtigen Sie sich weitere Dinge in Ihrem Leben, die Sie in Verbindung mit anderen Menschen bringen, zum Beispiel mit dem Postboten oder dem Müllmann. Denken Sie etwa an den Internetprovider, der es Ihnen ermöglicht, per E-Mail Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen, und an alles, was Ihnen zu diesem Schreibimpuls einfällt. Schreibimpuls 2: Stellen Sie sich vor, wie Sie durch die Straßen Ihres Viertels gehen. Stellen Sie sich weiterhin vor, dass die Häuser keine Wände haben und Sie in alle Wohnungen blicken können. Sie sehen Kinder Hausaufgaben machen, Menschen beim Essen oder beim Aufräumen. Notieren Sie, was Sie sehen und wie es Ihnen damit geht.
Übung 9 Idee: Für uns alle ist es eine große Herausforderung, in zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen einen angemessenen Ton zu treffen. Dies gilt natürlich insbesondere, wenn wir emotional sehr aufgewühlt sind. Manchmal ist es hilfreich, Gespräche, die man in der
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Borderline-Persönlichkeitsstörungen
Hitze des Gefechts geführt hat, noch einmal Revue passieren zu lassen und sie mit emotionaler Distanz zu betrachten. Schreibimpuls: Notieren Sie ein Streitgespräch, das Sie kürzlich geführt haben. Versuchen Sie dabei so wahrhaftig wie möglich zu notieren, was gesagt wurde beziehungsweise an was Sie sich erinnern. Versuchen Sie dies so neutral und sachlich wie möglich zu tun, ganz so, als wären Sie ein unbeteiligter Protokollant und nicht einer der Streitpartner. Dann lesen Sie das auf diese Weise protokollierte Gespräch noch einmal durch und schreiben einen Text darüber, wie es Ihnen damit geht.
Übung 10 Idee: Menschen, die in ihrem Leben Unrecht erfahren haben, verfügen in der Regel über einen besonders ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Da es in der Welt nicht immer gerecht zugeht, kann dies das Leben mitunter anstrengend machen. Schreibimpuls: Beginnen Sie einen ersten Text mit den Worten »Gerecht finde ich …« und schreiben im Anschluss einen Text, der mit den Worten »Ungerecht finde ich …« beginnt.
Burnout
»Schreiben – und demnach auch Lesen – setzt dies Innehalten voraus, das Sich-Befreien vom ›Funktionieren‹. Nur im Innehalten, nur wenn die programmierte und programmierende Zeit stillsteht, kann der Mensch zu sich selber kommen, zu jenem Augenblick der Selbstbegegnung, der im Gedicht auf ihn wartet.« Hilde Domin
Das Burnout-Syndrom äußert sich durch eine Mischung aus emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung. Die Erschöpfung steht dabei oft im engen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit oder einer privaten Aufgabe, zum Beispiel der Pflege eines Angehörigen. Es gibt verschiedene Modelle und Theorien bezüglich der Entwicklungsstufen eines Burnouts. Den meisten gemeinsam ist, dass in der ersten Phase chronischer Stress im Vordergrund steht. Betroffene möchten enthusiastisch eine Aufgabe erfüllen, die ihnen am Herzen liegt, und setzen sich über die Maßen dafür ein. Die Zahl der Arbeitsstunden nimmt zu, die Zeit für Erholung und Schlaf wird weniger. Meist kommt es dann zu Überreaktionen des Nervensystems, die sich in Schwitzen, Durchfall oder erhöhter Säureproduktion des Magens äußern. Menschen mit einem Burnout sind meist sehr leistungsorientiert. Sie wollen sich und anderen beweisen, dass sie eine Aufgabe schaffen. Sie bringen hohen Einsatz und sorgen kaum noch für sich. Und selbst wenn sie merken, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, schieben sie diese Wahrnehmung häufig beiseite. Oft kommt es auch zu einer Verschiebung von Werten. Was den Betroffenen früher viel bedeutete, zählt auf einmal nicht mehr. Weder Familie noch Freunde sind wichtig, sondern nur noch die Arbeit. Da die Aufgaben sie zunehmend erschöpfen, nimmt der Austausch mit Kollegen und Freunden meist ab wie auch das Engagement für die einzelne Aufgabe. Betroffene fühlen sich ihren Auf-
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gaben nicht mehr gewachsen. Konzentration, Aufmerksamkeit und Denkvermögen lassen nach. Hinzu kommen oft Spannungskopfschmerzen, Schlafstörungen und möglicherweise der Griff zu Alkohol oder Medikamenten. Auch das Essverhalten verändert sich: Manche bekommen kaum noch einen Bissen hinunter, andere essen übermäßig. In der Freizeit ist Erholung praktisch nicht mehr möglich, Daueranspannung ist die Norm. Obwohl mir klar ist, dass Betroffene sehr leiden und ich dieses Leiden voll anerkenne und keinesfalls klein machen will, zucke ich immer ein wenig zusammen, wenn ich die Diagnose »Burnout« höre oder lese. Genaugenommen handelt es sich nicht um eine eigenständige Diagnose, jedenfalls nicht laut ICD-10, sondern um die Beschreibung eines Zustandes. Doch der Grund für mein Zusammenzucken ist ein anderer: Ich bin sehr kritisch, ob diese Diagnose nicht eine Art Modediagnose geworden ist, eine Krankheitserfindung, die ein Kind unserer Zeit ist. Lange habe ich mir gedacht, ein Burnout ist etwas, das man sich verdient hat, während man eine Depression verschuldet hat. Burnout war für mich gewissermaßen eine euphemistische Umschreibung für eine Depression, etwas, das gesellschaftsfähiger ist als die Depression. Ein Banker beispielsweise darf jederzeit ein Burnout bekommen – aber eine Depression? Ich habe mich immer wieder gefragt, ob es gravierende Unterschiede zwischen diesen beiden Krankheitsbildern oder Zustandsbeschreibungen gibt, und bin zu dem Schluss gekommen, dass es durchaus sinnvoll sein könnte, beide zu unterscheiden, wenn auch aus anderen Gründen als der Salonfähigkeit der einen gegenüber der anderen Krankheit. Was das Burnout meines Erachtens von der Depression unterscheidet, ist zum einen, dass beim Burnout die absolute Erschöpfung im Vordergrund steht. Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit sind zwar auch vorhanden, aber weniger stark ausgeprägt als bei der Depression. Zum anderen geht die Depression oft mit einem Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit einher, das beim Burnout nicht immer vorhanden ist. Um es auf einen – wenn auch überspitzten – Nenner zu bringen: Fragt man einen Menschen mit einer Depression, was er gern
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machen würde, antwortet er, dass er keine Idee hat. Stellt man dieselbe Frage einem Menschen mit einem Burnout, werden diesem vermutlich einige Dinge einfallen, für die er sich allerdings zu erschöpft fühlt. Vielleicht ist dieser kleine Unterschied nur in meiner persönlichen Erfahrung und Vorstellung bedeutend, aber er macht auch in der Therapie und demnach bei den Schreibimpulsen einen Unterschied, weswegen beide Krankheitsbilder in einem eigenen Kapitel dargestellt werden. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal könnte zudem die Entstehungsgeschichte beider Zustände sein. Sowohl bei der Depression als auch beim Burnout können Überlastung und Stressfaktoren eine ursächliche Rolle spielen. Beim Burnout stehen diese allerdings im Vordergrund, während eine Depression auch ohne diese Auslöser entstehen kann. Und auch die stressbedingte Auslösung eines Burnouts hält einige Implikationen für die Therapie und die Schreibübungen bereit. Sofern Stressoren eine ursächliche Funktion bei der Entstehung des Burnouts haben, ist es natürlich wichtig, diese zu identifizieren und, sofern möglich, zu modifizieren und eine größere Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst zu erlernen. Während bei einer Depression mitunter eher eine aktivierende Therapie angezeigt ist, kann es beim Burnout zunächst hilfreich sein, die erste Therapiephase vor allem auf die Entspannung und Regeneration auszurichten, um dann in einem zweiten Schritt zu überlegen, wie der Alltag neu strukturiert werden kann, um einen Rückfall zu vermeiden. Zu erwähnen ist noch, dass ein Burnout unbehandelt leicht in eine Depression übergehen kann.
Übungsreihe Burnout Übung 1 Idee: Stress ist zu einem Schlagwort geworden. Oft findet dabei keine Differenzierung statt zwischen dem sogenannten Eustress, einem positiven Stress, und dem Disstress, einem krankmachenden Stress. Während der Eustress wach und interessiert hält, führt der Disstress zu zahlreichen körperlichen Veränderungen (Ausschüttung von Stresshormonen) und langfristig zur Erschöpfung. Oft sind wir uns nicht aus-
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reichend bewusst, welcher Stress für uns gut ist und welcher uns Probleme bereitet. Doch die Gefühlslage gibt darüber eindeutig Auskunft. Schreibimpuls: Welche Dinge setzen Sie unter ungesunden Stress? Wie äußert sich das? Sind Sie angespannt? Was ist mit Ihrem Kopf in diesen Situationen? Bekommen Sie vielleicht Kopfschmerzen oder können Sie möglicherweise nicht mehr klar und effektiv denken? Erinnern Sie sich an zwei Situationen, in denen Sie sich gestresst gefühlt haben. Nehmen Sie nach Möglichkeit Situationen, die noch nicht so lange zurückliegen, so dass Sie sich gut erinnern können. Beschreiben Sie die Situationen so genau wie möglich. Was hat zu den Situationen geführt und wie ging es Ihnen in den Situationen? Wie endeten die Situationen und wie haben Sie sich danach gefühlt?
Übung 2 Idee: Intuitiv wissen wir oft, was uns entspannt und aufrichtet. Doch in Zeiten, in denen Anspannung und Druck die Überhand gewinnen, kann dieses Wissen verschüttet sein. Zudem meinen wir, dass uns dieses Wissen nicht viel nützt, weil wir keine Zeit haben, es umzusetzen, zumal wir oft davon ausgehen, Entspannung benötige Zeit. Um uns zu entspannen, so denken wir, benötigten wir Ruhe, und die haben wir eben nicht: ein Circulus vitiosus. Schreibimpuls 1: Notieren Sie spontan und ohne über eine mögliche Umsetzung nachzudenken, zehn Dinge, die Ihnen einmal gut getan und Sie entspannt haben. Schreiben Sie möglichst, ohne nachzudenken. Schreibimpuls 2: Wählen Sie aus der entstandenen Liste die Möglichkeit der Entspannung, die Sie aktuell am meisten anspricht, und stellen Sie sich vor, Sie würden diese geschenkt bekommen. Beschreiben Sie, wie Sie das Geschenk erleben und was Sie damit machen.
Übung 3 Idee: Menschen mit Burnout stehen unter Daueranspannung und wirken oft gehetzt und atemlos. Hier kann es hilfreich sein, sich bewusst
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auf den Atem zu konzentrieren. Beobachten Sie den Weg Ihres Atems, wie der Atem von ganz allein in Ihren Körper hinein- und wieder herausströmt. Versuchen Sie herauszufinden, wo Sie den Atem besonders deutlich spüren. Führen Sie die Beobachtung Ihres Atems so lange fort, wie Sie mögen, dann fangen Sie an zu schreiben. Schreibimpuls: Notieren Sie, wie es für Sie war, Ihren Atem zu beobachten. Was haben Sie erlebt? Wie lange haben Sie die Beobachtung durchgeführt und kam Ihnen die Zeit lang oder kurz vor? Schreiben Sie auch über vermeintlich unsinnige oder abwehrende, ablehnende Gedanken. Es gibt keine verbotenen Gefühle, Gedanken und Worte.
Übung 4 Idee: Versuchen Sie, in der nächsten Woche eine Mahlzeit allein einzunehmen. Nehmen Sie sich Zeit und achten Sie darauf, wie Sie essen und was Sie dabei wahrnehmen. Versuchen Sie zu bemerken, wie hungrig Sie sind und ab wann Sie sich gesättigt fühlen, oder vielleicht auch, dass Sie sich weder hungrig noch gesättigt fühlen. Verhalten Sie sich wie ein neutraler Reporter, der einen Bericht schreibt. Bemühen Sie sich darum, den Vorgang des Essens zunächst nur zu beobachten und alles, was dabei an Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen auftaucht, nur wahrzunehmen, ohne es zu bewerten oder einordnen zu wollen. Schreibimpuls: Notieren Sie alles, was Sie während der Mahlzeit wahrgenommen haben. Versuchen Sie, so neutral wie möglich zu bleiben. Wenn Sie Ihre Gedanken und Gefühle notieren, werden diese vielleicht bereits eine Wertung beinhalten. Das ist normal. Notieren Sie dann einfach die möglicherweise wertenden Gedanken, ohne sie gleich ein zweites Mal zu bewerten.
Übung 5 Idee: Im Rahmen eines Burnouts kann es zu einer Verschiebung oder gar einem Verlust von Werten kommen, wie es auch zu einem Verlust des Lebenssinns kommen kann. Deswegen ist es hilfreich, sich sowohl
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Burnout
seiner Werte und Prioritäten wieder klar zu werden als auch die Sinnfrage zu stellen. Schreibimpuls: Was sind für Sie die wirklich wichtigen Dinge im Leben? Was zählt?
Übung 6 Idee: Häufig spielt das Gefühl, fremdbestimmt zu sein, bei der Entstehung eines Burnouts eine Rolle. Und auch wenn es keine Rolle gespielt hat, ist es doch in jedem Fall sinnvoll, sich zu fragen, was selbstbestimmtes Leben und Arbeiten für einen persönlich bedeutet, zumal zahlreiche Untersuchungen gezeigt haben, dass dies ein Faktor für Gesundheit ist (Karasek, 1989). Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text darüber, was Selbstbestimmtheit für Sie bedeutet. Werden Sie dabei so konkret wie möglich und beschreiben Sie, wie für Sie ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten aussehen könnte.
Übung 7 Idee: Wie beschrieben, gehen Sinn und Ziele im Verlauf eines Burnouts oftmals verloren oder stehen in Frage. Doch um für etwas Energie bereitzustellen und aktiv zu werden, braucht man Ziele. Dabei ist zu bedenken, dass Ziele nichts fest Zementiertes sein sollten, sondern dass sie sich dynamisch an die sich ständig wandelnde Lebensrealität anpassen lassen. Schreibimpuls 1: Notieren Sie in einem ersten Schritt schnell und ohne nachzudenken zehn Ziele in Ihrem Leben. Dann sehen Sie sich an, was Sie notiert haben, und schreiben Sie auf, was Ihnen dazu einfällt. Schreibimpuls 2: Nehmen Sie sich jetzt die Zeit zum Nachdenken und formulieren Sie zehn wohlüberlegte Ziele.
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Schreibimpuls 3: Wie sehr unterscheiden sich die spontan notierten von den wohlüberlegt formulierten Zielen und was schließen Sie daraus? Schreibimpuls 4: Schreiben Sie jetzt wieder ganz »aus dem Bauch heraus«: Welche aller notierten Ziele fühlen sich für Sie am stimmigsten an?
Übung 8 Idee: Eine Krankheit wird zunächst einmal als unangenehm empfunden, doch sie birgt auch die Chance, innezuhalten und sich neu auszurichten. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text, in dem Sie formulieren, welche möglichen positiven Aspekte Sie dem Burnout abgewinnen können. Gibt es etwas, das Sie durch die Krankheit gelernt haben?
Übung 9 Idee: Oftmals sind wir Freunden bessere Ratgeber als uns selbst, weil wir das Geschehen aus emotionaler Distanz betrachten können. Zudem sind wir uns selbst gegenüber oft kritischer und weniger verzeihend als Freunden gegenüber. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, nicht Sie selbst, sondern ein Freund oder eine Freundin leide unter einem Burnout. Schreiben Sie diesem Freund oder dieser Freundin einen Brief.
Übung 10 Idee: Gerade in kritischen Lebensphasen verlieren wir oft aus dem Blick, was gut läuft oder gut gelaufen ist, was es Schönes gibt und wofür wir dankbar sein können. Schreibimpuls: Notieren Sie alles, wofür Sie in Ihrem Leben dankbar sind. Sie können dies sowohl für Ihre aktuelle Situation machen als auch im Rückblick auf Ihr gesamtes Leben.
Depressionen
»[...] alles und mich dem Dunkel zu entreißen, indem ich formuliere [...]« Paul Nizon
Verschiedene Stimmungszustände, zu denen auch die sogenannte »Verstimmung« zählt, sind noch keine Krankheit. Der Wechsel von guten und schlechten Gefühlen ist vielmehr Ausdruck einer normalen und gesunden Schwingungsfähigkeit. Auch wenn man zuweilen niedergestimmt ist, handelt es sich dabei um ein zunächst ganz normales Gefühl aus einem breiten Spektrum an Gefühlen. Erst wenn das Gefühl über längere Zeit anhält und in seiner Intensität zunimmt, stellt sich die Frage, ob es sich um den Beginn eines depressiven Zustandes handeln könnte. Eine Depression beeinflusst langfristig sowohl das Empfinden als auch das Denken und Verhalten und meist auch die Körperfunktionen. Entscheidender Faktor für die Entstehung von Depressionen ist nicht nur eine mögliche erbliche Veranlagung, sondern sind ebenso Umwelteinflüsse und mitunter automatisch ablaufende gedankliche Prozesse. Es gibt Untersuchungen, die die Wechselwirkung von belastenden Bedingungen und deren gedanklicher Verarbeitung als wichtigen Faktor bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen belegen (Lewinsohn et al., 2001; Hautzinger, 2000). Menschen mit einer Depression neigen oft dazu, die Ursache für negative Ereignisse in sich selbst zu suchen. Geschehnisse werden durch eine Art negativ verzerrte Brille gesehen. Bei der Verarbeitung ihrer Erfahrungen und ihrer Umwelt greifen Menschen mit Depressionen häufig auf negative Denkmuster zurück, aus denen sich oft logische Denkfehler ergeben, die zu negativen Schlussfolgerungen führen und negative automatische Gedanken über das Selbst, die Welt und die Zukunft erzeugen. Die negativen Gedankeninhalte gehen dabei meist auf Sche-
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mata zurück, die aus vergangenen Erfahrungen entstanden sind. Es handelt sich häufig um relativ stabile gedankliche Verarbeitungsmuster, die sich oft schon in der Kindheit und Jugend herausgebildet haben und durch bestimmte Ereignisse oder Stress wieder aktiviert werden. Bei fast allen Depressionen bessern sich die einzelnen Krankheitsphasen immer wieder. Kaum ein Mensch leidet ständig und über Jahre hinweg gleich stark unter Depressionen. Zudem hat die Erfahrung gezeigt, dass sich ein Umgang mit depressiven Zuständen erlernen lässt, eine Haltung, die auch in depressiven Phasen ein wenig Erleichterung und Hoffnung spendet. Depressionen sind keine Erkrankung der Neuzeit. Vielmehr findet sich der Begriff der Melancholie bereits in der Zeit des Hippokrates. Das Wort »Mela« stammt aus dem Griechischen und bedeutet schwarz. »Chol« ist ebenfalls ein griechisches Wort und heißt Galle. Die schwarze Galle stand dem damaligen Verständnis der sogenannten Säftelehre zufolge für Weltschmerz, Schwermut und Selbstzweifel über einen längeren Zeitraum hinweg, einerseits gepaart mit einer gedrückten Stimmung, Freud- und Interesselosigkeit, andererseits mit Genussunfähigkeit und Antriebsminderung.
Übungsreihe Depressionen Übung 1 Idee: Ein Merkmal einer depressiven Erkrankung ist eine überwältigende Müdigkeit und Erschöpfung. Diese hindert Menschen mit Depressionen vielfach daran, Dinge zu machen, die ihnen irgendwann einmal Spaß gemacht haben. Die Müdigkeit kann sogar so stark ausgeprägt sein, dass man sich nicht einmal mehr vorstellen kann, dass überhaupt etwas Spaß machen könne oder jemals Spaß gemacht hat. Schreibimpuls: Beginnen Sie einen Text mit folgendem Halbsatz: »Wenn ich nicht so fürchterlich müde wäre, würde ich …« Sollten Sie aktuell keine Idee haben, für was es sich lohnt, Energie aufzubringen, versuchen Sie sich zu erinnern, was Ihnen einmal Spaß gemacht hat, und schreiben Sie darüber.
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Depressionen
Übung 2 Idee: Gerade wenn es uns nicht so gut geht, sind wir oft in negativen Gedankenspiralen gefangen. Alles erscheint uns in einer bestimmten, eher unvorteilhaften Färbung und wir kreisen vielfach um alles, was nicht stimmig zu sein scheint. Zuweilen ist es hilfreich, sich anzusehen, welche Gedanken wir haben, um diese in Relation zu setzen oder zu erkennen, dass es immer gleiche, mitunter ermüdende und wenig interessante Gedanken sind. Wir wollen uns diesen Gedanken zuwenden, ihnen aber zugleich nur einen festen, überschaubaren Zeitraum auf unserer inneren Bühne zugestehen. Schreibimpuls: Beobachten Sie sich eine Woche lang jeden Tag drei Minuten lang beim Denken und protokollieren Ihre Gedanken. Hören Sie genau nach drei Minuten damit auf, auch wenn Ihre Gedanken weiterlaufen. Sehen Sie sich erst nach Abschluss der Woche an, was Sie aufgeschrieben haben, und verfassen Sie einen Text darüber, wie es Ihnen mit Ihren Aufzeichnungen geht.
Übung 3 Idee: Auch diese Übung dient dazu, uns anzusehen, in welchen Mustern und Spiralen unser Denken in einer schlechten Stimmungslage verläuft. Nur indem wir in dieser Übung so schnell wie möglich agieren, kann es gelingen, dass zwischen den bekannten Denkmustern auch der eine oder andere Begriff auftaucht, der sich von unseren Denkmustern unterscheidet und einen zweiten oder dritten Blick lohnt. Schreibimpuls: Notieren Sie die Buchstaben des Alphabets untereinander und schreiben Sie dann so schnell wie möglich hinter jeden Buchstaben das erste Wort, das Ihnen einfällt. Lesen Sie die Wörter und notieren Sie, was diese in Ihnen auslösen.
Übung 4 Idee: Wenn es uns schlecht geht, wir müde, erschöpft und niedergestimmt sind, wollen wir uns am liebsten im Bett verkriechen und die
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Decke über den Kopf ziehen. Auszugehen ist das Letzte, was wir uns wünschen. Dennoch wissen wir, dass es nicht immer das Beste ist, sich zurückzuziehen und allein zu bleiben, weil dadurch unsere Stimmung nicht besser wird und wir mehr und mehr den Kontakt zu Familie und Freunden verlieren, was ebenfalls die Stimmung nicht aufheitert. Denn auch wenn wir unsere Familie, jedenfalls einzelne Mitglieder oder auch Freunde, zuweilen auf den Mond schießen möchten, ist es doch gut, dass es sie gibt. Schreibimpuls: Eine Freundin lädt Sie ins Theater ein. Und weil Sie schon so oft abgesagt haben und wissen, dass die Freundin es gut meint und sehr enttäuscht wäre, wenn Sie auch dieses Mal absagen würden, sagen Sie zu. Sie gehen also ins Theater und wider Erwarten wird es ein wunderbarer Abend. Beschreiben Sie den Abend. In welchem Stück waren Sie? Schauspiel, Oper, Musical? Was haben Sie davor und danach gemacht? Denken Sie beim Schreiben daran: Es war ein wunderbarer Abend.
Übung 5 Idee: Menschen, die in einer Depression gefangen sind, erscheint es oft unvorstellbar, Energie aufzubringen, geschweige denn Leidenschaft zu entwickeln. Und doch war auch in ihrem Leben einmal Leidenschaft und sicher ist da auch weiterhin der Wunsch oder die Hoffnung, wieder Leidenschaft zu entwickeln. Schreibimpuls: Beschreiben Sie eine Leidenschaft, die Sie haben oder hatten. Für was oder wen brennen Sie oder haben Sie gebrannt? Sie bekommen einen ganzen Tag geschenkt, an dem Sie Ihrer Leidenschaft nachgehen können. Sie haben Kraft, Zeit und Geld, alles zu machen, was mit Ihrer Leidenschaft in Zusammenhang steht. Schreiben Sie über diesen Tag.
Übung 6 Idee: Obwohl Urlaub etwas Schönes ist, bleiben wir, wenn es uns schlecht geht, lieber in der vertrauten Umgebung, zumal bereits die
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Planung einer Reise Energieaufwand bedeutet. Etwas, dem wir uns unter Umständen nicht gewachsen fühlen, wenn wir erschöpft sind. Schreibimpuls 1: Beschreiben Sie Ihren letzten Urlaub so konkret wie möglich. Wo waren Sie und mit wem? Was haben Sie gemacht? Schreibimpuls 2: Sie sind frei zu reisen, wohin Sie mögen, und zu machen, was Sie wollen. Geld und Zeit spielen keine Rolle und auch die Planung der Reise übernimmt jemand für Sie. Dieser Mensch wird sich auch um Ihre Angelegenheiten zu Hause kümmern, so dass Sie unbesorgt fahren können. Wo wollen Sie hinreisen und was wollen Sie machen? Reisen Sie allein oder in Begleitung?
Übung 7 Idee: Wie wir schon erfahren haben, können Depressionen in die Einsamkeit führen. Schwere und Müdigkeit enden häufig im Rückzug, der manchmal sogar schwerer wiegt als die Krankheit selbst und mitunter mit Hoffnungslosigkeit gepaart ist. Schreibimpuls: Sie liegen auf dem Sofa. Es ist nachmittags, es regnet. Plötzlich klingelt es an der Tür. Wer kommt?
Übung 8 Idee: Jeden Tag passiert etwas Schönes. Ob wir es wahrnehmen, hängt viel mit unserer Wahrnehmungslenkung zusammen. Man kann sich darin trainieren, schöne Dinge im Alltag vermehrt wahrzunehmen und auch Kleinigkeiten wertzuschätzen. Schreibimpuls: Notieren Sie mindestens eine Woche lang jeden Tag drei Begebenheiten, die Sie erfreut haben, oder Schönheiten, etwas Angenehmes, das Sie beobachtet haben. Denken Sie bitte daran, auch vermeintliche Kleinigkeiten zu notieren.
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Übung 9 Idee: In einer Depression ist das Selbstwertgefühl oft auf dem Tiefpunkt. Das Gefühl des Versagens nimmt großen Raum ein und dabei wird oft übersehen, was alles trotz Krankheit noch immer gelingt. Schreibimpuls: Notieren Sie mindestens eine Woche lang jeden Tag eine Sache, die Ihnen gelungen ist. Denken Sie daran, auch Dinge zu notieren, die Ihnen unter Umständen banal und selbstverständlich erscheinen.
Übung 10 Idee: Alle Menschen brauchen Licht. Wir wissen das insbesondere aus Ländern, in denen es lange Phasen der Dunkelheit gibt. Menschen mit Depressionen sind oftmals sehr sensibel in Bezug auf Licht. Eine Depression kann durch Lichtmangel verschlechtert werden oder manchmal sogar durch ihn entstehen. Deswegen setzt man auch die sogenannte Lichttherapie ein. Man kann sich Licht aber auch vorstellen. Schreibimpuls: Stellen Sie sich ein Licht vor, einen Strahl, Fleck oder welche Form Sie mögen. Treten Sie in das Licht und stellen Sie sich vor, wie es Ihre Füße umspült und durch die Füße in Ihren Körper fließt, ihn belebt. Lassen Sie das Licht fließen, durch die Beine, ins Becken, in den Bauch, in den Brustkorb, in die Schultern, in die Arme und in die Hände. Lassen Sie das Licht fließen, durch den Hals, den Nacken, in den Kopf und ins Gesicht. Verweilen Sie einen Augenblick auf diese lichtdurchflutete und belebte Weise. Dann schreiben Sie, was Sie erlebt haben und wie es Ihnen geht.
Essstörungen
»Was bietet also das Gedicht Besonderes an […] Es befreit von allen Zwängen. Es stellt eine neue, lebbare Wirklichkeit her, die wirklicher ist als die erste.« Hilde Domin
Essen ist ein Grundbedürfnis. Es sichert unser Überleben. Zugleich hat Essen soziale Funktionen, ist kulturell geprägt und hängt eng mit unseren Gefühlen zusammen. Menschen essen nicht nur, wenn sie Hunger haben, und wählen auch nicht immer vernünftig und ausgewogen aus. Eine Essstörung haben sie deswegen noch lange nicht. Doch wenn Essen das wichtigste Mittel wird, um Gefühle zu bewältigen, wenn sich die Gedanken zunehmend ums Essen und Gewicht drehen, kann das Essverhalten aus dem Gleichgewicht geraten. Wenn sich die Einstellung zum Essen verändert, aus merkwürdigen Verhaltensweisen oder einer Diät ein Dauerzustand wird, nicht mehr mit Genuss gegessen wird, wenn sich ein Mensch vor allem mit Figur und Gewicht beschäftigt, jemand stark an Gewicht zunimmt oder schnell an Gewicht verliert, dann ist Achtsamkeit geboten und sowohl das eigene Verhalten als auch die Einstellung zu Essen, Körper und Gewicht sollten hinterfragt werden. Die Übergänge von gesund zu auffällig oder krankhaft sind fließend. Das Gewicht kann nur begrenzt Hinweise über eine mögliche Essstörung liefern, aber es kann helfen, das Körpergewicht einzuordnen. Das Gewicht ist je nach Essstörungen sehr unterschiedlich, von extrem mager über normalgewichtig bis hin zu extrem übergewichtig. Der Body Mass Index (BMI) beschreibt das Verhältnis von Körpergröße zu Körpergewicht. Er wird nach folgender Formel berechnet: Körpergewicht (kg) geteilt durch die Körpergröße in Meter hoch 2 (m2). Ein Erwachsener gilt als untergewichtig bei einem BMI von weniger als 18,5, als normalgewichtig, wenn der BMI zwischen 18,5 und 24 liegt, ab einem BMI von 25 spricht man von
Essstörungen
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Übergewicht und bei einem BMI von über 30 von starkem Übergewicht oder Fettsucht (Adipositas). Wird zu wenig gegessen, ist die Versorgung mit Nährstoffen nicht ausreichend, was zu Untergewicht mit Mangelerscheinungen führen kann, was wiederum mit Leistungsminderung und Müdigkeit einhergehen kann. Bei starkem Untergewicht kommt es zudem zu hormonellen Veränderungen, Wachstumsstörungen oder Herz- und Kreislaufstörungen. Medizinische Komplikationen während akuter Krankheitsabschnitte der Magersucht können sogar zum Tod führen. Werden über einen längeren Zeitraum mehr Nährstoffe aufgenommen, als der Körper benötigt, kommt es zum Übergewicht. Auch hier kann es zu medizinischen Folgeerscheinungen kommen. Starkes Übergewicht belastet Herz und Kreislauf, kann zur Zuckerkrankheit führen und zu Überlastungen des Bewegungsapparats. Sowohl bei Unter- als auch bei Übergewicht müssen in jedem Fall medizinische Ursachen ausgeschlossen werden, wie etwa Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Krebserkrankungen bei starker Gewichtsabnahme. Und auch in der Behandlung müssen die körperlichen Folgen immer mitbedacht und entsprechend behandelt und kontrolliert werden. Im Wesentlichen unterscheidet man drei Hauptformen von Essstörungen: Magersucht (Anorexie), Ess-Brech-Sucht (Bulimie) und die Binge-Eating-Störung, die durch wiederholte Essattacken gekennzeichnet ist. Die einzelnen Essstörungen können ineinander übergehen oder sich abwechseln. Nicht immer sind alle Merkmale ausgeprägt und nicht alle Essstörungen lassen sich eindeutig diesen drei Hauptformen zuordnen. Doch bei allen Essstörungen bestimmt das Essen das Leben der Betroffenen. Das gilt für den Tagesablauf, die Gefühle sowie Beziehungen und Entscheidungen. Starkes Untergewicht ist eines der Hauptkriterien für eine Magersucht. Typisch für die Magersucht ist, dass der starke Gewichtsverlust bewusst herbeiführt wird. Menschen mit einer Magersucht sind auffallend dünn und empfinden sich immer noch als zu dick. Die massive Gewichtsreduktion erfolgt durch Hungern und übertriebene sportliche Aktivität. Manchmal werden zusätzlich Appetitzügler, Abführmittel und entwässernde Medikamente genommen oder wiederholtes Erbrechen herbeigeführt.
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Essstörungen
Menschen mit einer Bulimie sind vom äußeren Erscheinungsbild hingegen oftmals nicht zu erkennen. Ihr BMI liegt meist im Normbereich. Kennzeichen der Bulimie sind häufige Essattacken, bei denen in kurzer Zeit große Nahrungsmengen verschlungen werden, die dann wieder erbrochen werden, wobei das Erbrechen von den Betroffenen selbst herbeigeführt wird. Aber auch Menschen mit Bulimie haben Perioden, in denen sie fasten und hungern, und auch bei der Bulimie kommt es mitunter zum Missbrauch von Abführmitteln. Die Binge-Eating-Störung zeichnet sich durch wiederholte Essattacken aus, während derer die Betroffenen das Gefühl haben, jegliche Kontrolle über das Essen verloren zu haben. Im Unterschied zur Bulimie wird nach den Essattacken kein Erbrechen herbeigeführt. Menschen mit Binge-Eating-Störung hungern auch nicht zwischen den Essanfällen und treiben keinen extremen Sport, was dazu führt, dass sie häufig übergewichtig sind. Bei allen Essstörungen werden seelische Zustände über das Essen abgehandelt und Essen, Körper und Gewicht nehmen einen großen Raum im Denken und Handeln ein. Doch obgleich es zu einer ausgeprägten gedanklichen Beschäftigung mit Essen und Körperbild kommt, wird zugleich vermieden, darüber zu reden, unter anderem, um den Eindruck zu erwecken, alles sei in Ordnung. Außerdem sind Themen, die mit dem Essen und Körper zu tun haben, oftmals mit Schamgefühlen oder Ekel verbunden, weswegen ein Austausch über diese Themen mitunter nur schwer möglich ist.
Übungsreihe Essstörungen Übung 1 Idee: Es gibt eine Art Biographie dessen, was andere uns bezüglich unseres Aussehens gesagt haben. Und obwohl vermutlich fast alle Menschen ähnlich viele positive wie negative Kommentare erhalten haben, erinnern wir uns oft nur an die negativen Aussagen. Dies gilt insbesondere, wenn die Bemerkungen uns schmerzlich getroffen haben und von Personen geäußert wurden, die uns wichtig sind. Es macht auch einen Unterschied, in welcher Phase unseres Lebens wir die
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Kommentare gehört haben. In der Jugend, vor allem in der Pubertät, sind wir beispielsweise besonders empfänglich und empfindlich, wenn es um unser Äußeres geht, weil wir in dieser Phase eher unsicher und selbstkritisch sind. Schreibimpuls 1: Notieren Sie Sätze oder Kommentare, die Ihnen einfallen, wenn es um die Biographie der Äußerungen in Bezug auf Ihre körperliche Erscheinung geht. Notieren Sie sowohl positive als auch negative Kommentare und vermerken Sie, wer sie zu Ihnen gesagt hat. Fragen Sie sich, was die Sätze heute für Sie bedeuten. Schreiben Sie eine kleine Erzählung dazu. Schreibimpuls 2: Erfinden Sie eine Figur, die Sie ins Leben schicken, und entwerfen Sie Situationen, in denen dieser Figur die oben genannten oder ähnliche Kommentare gesagt werden. Lassen Sie die Figur reagieren und denken Sie daran, dass es sich um eine erfundene Geschichte handelt.
Übung 2 Idee: Das äußere Erscheinungsbild hat in unserer Gesellschaft einen großen Stellenwert. Das ist weder gut noch schlecht, sondern eine Tatsache, die allerdings Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung und unser Empfinden hat. Wir sind häufiger unzufrieden als zufrieden mit unserem Äußeren. Uns fällt schneller auf, was unserer Meinung nach nicht perfekt ist, als das, was in Ordnung ist. Deswegen lohnt ein Perspektivwechsel: Unser Körper hat uns Vielfältiges zu erzählen, was den stereotypen Ideen, die wir oder andere haben, überraschende Aspekte hinzufügen kann. Schreibimpuls: Lassen Sie sieben Körperteile, die von außen zu sehen sind, in sieben Texten sprechen. Welche Körperteile Sie auswählen, bleibt Ihnen überlassen (Ohren, Nase, Hände, Bauch …). Schenken Sie allen den gleichen Raum und die gleiche Zeit, in denen sie zu Wort kommen. Wenn Sie merken, dass ein Körperteil mehr Raum und Zeit benötigt, fragen Sie sich, warum das so ist, und widmen Sie sich diesem unter Umständen zu einem späteren Zeitpunkt.
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Übung 3 Idee: Wir können den Körper von außen betrachten oder aus einer umfassenderen Perspektive. Unser Körper ist ein komplexes Wunderwerk, von dem nur das Wenigste von außen zu sehen ist. Die meisten Organe liegen im Körperinneren und verrichten ihre Arbeit in der Regel, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Schreibimpuls: Wählen Sie eines Ihrer Organe (Herz, Magen, Leber …) und lassen es in einem Text zu Wort kommen. Was würde Ihnen beispielsweise Ihre Leber sagen wollen? Oder vielleicht will Ihre Leber nicht nur Ihnen etwas mitteilen, sondern sogar dem Rest der Welt. Sie können bei einem Organ bleiben oder weitere Organe sprechen lassen.
Übung 4 Idee: Selten sehen wir etwas neutral, schnell schleichen sich bewusst oder unbewusst Wertungen ein: gut, schlecht, schön, hässlich. Deswegen wollen wir uns in dieser Aufgabe in der neutralen Beobachtung üben. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Wissenschaftler oder ein Reporter, der in erster Linie eines ist: neugierig. Seien Sie offen und verhalten Sie sich, als wüssten Sie nichts über den zu untersuchenden Gegenstand, der in diesem Fall Ihr eigener Körper ist. Schreibimpuls 1: Beschreiben Sie Ihr Gesicht so, dass jemand daraufhin ein Phantombild anfertigen könnte. Beschreiben Sie besondere Charakteristika wie Muttermale, Narben und begegnen Sie Ihrem Gesicht wie einem fremden. Schreibimpuls 2: Nun machen Sie das Gleiche mit Ihrem Körper und denken Sie bitte daran, sich jeglicher Wertung zu enthalten. Erinnern Sie sich an den Wissenschaftler, dem es nur darum geht, Ihren Körper zu vermessen und alles zu dokumentieren. Der Wissenschaftler kennt in diesem Fall keine vermeintlichen Schönheitsideale.
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Übung 5 Idee: Oft tragen wir von der Gesellschaft geprägte Bilder in uns, was einen schönen beziehungsweise hässlichen Menschen ausmacht. Während zu anderen Zeiten und in verschiedenen Ländern unterschiedliche Schönheitsideale galten und gelten, verfangen wir uns oft in der Idee, es gäbe nur dieses eine in unserer Gesellschaft herrschende Schönheitsideal, dem wir uns oft willenlos und unreflektiert unterwerfen. Es ist also an der Zeit, darüber nachzudenken und eigene Ideen und Standpunkte zu entwickeln. Schreibimpuls: Suchen Sie sich Bilder von Menschen, die Sie anziehend und sympathisch finden, und Bilder von Menschen, die sie unsympathisch finden. Wenn Sie keine Bilder zur Hand haben, stellen Sie sich diese Menschen vor. Versuchen Sie schreibend herauszufinden, was Sie sympathisch beziehungsweise unsympathisch finden.
Übung 6 Idee: Wir alle beschäftigen uns mal mehr und mal weniger mit unserem äußeren Erscheinungsbild. Menschen mit Essstörungen hingegen verbringen gedanklich extrem viel Zeit damit, was sehr ermüdend ist und die Konzentration und Aufmerksamkeit für andere Dinge einschränkt. Verhindern lässt sich das meist nicht, aber man kann es unter Umständen kanalisieren, indem man sich bewusst Zeiten einräumt, in denen man sich mit dem eigenen Aussehen und Erscheinungsbild auseinandersetzt, und diesbezügliche Gedanken, die außerhalb dieser Zeiten auftauchen, auf diese dafür reservierten Zeiträume verschiebt. Schreiben bietet eine gute Möglichkeit, sich diesen Gedanken zu stellen, ihnen Raum, Zeit und eine Form zu geben. Schreibimpuls 1: Stellen Sie sich vor, Sie laufen über eine ebene Sandfläche, die Sonne steht hinter Ihnen und wirft einen Schatten vor Ihnen auf den Sand. Es ist der Schatten Ihres Körpers: der Umriss einer hochgewachsenen, wohlproportionierten, schlanken Person. Was denken Sie, als Sie den Schatten sehen?
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Essstörungen
Schreibimpuls 2: Stellen Sie sich das gleiche Szenarium wie in Schreibimpuls 1 vor, nur sehen Sie dieses Mal den Umriss einer gedrungenen, plumpen, dicklichen Person. Notieren Sie, was Ihnen durch den Kopf geht.
Übung 7 Idee: Oft lehnen wir unseren Körper ab, sofern er dem gesellschaftlichen oder unserem eigenen Schönheitsideal nicht entspricht. Und wenn wir unseren eigenen Körper ablehnen, weil wir ihn dick oder hässlich finden, können wir uns nur schwer vorstellen, dass jemand anderes uns in diesem Zustand attraktiv finden und lieben könnte. Schreibimpuls für Frauen: Sie sind die Frau eines reichen Scheichs, der Sie abgöttisch liebt. Und weil er möchte, dass es Ihnen gut geht, und weil er üppige Frauen liebt, versorgt er Sie mit den größten Köstlichkeiten und lässt Ihnen Kamelmilch bringen, die als besonders nährreich gilt. Zudem hat er Frauen engagiert, die Ihren Körper massieren und mit Öl einreiben. Wie geht es Ihnen mit dieser Vorstellung? Schreibimpuls für Männer: Sie sind der Mann einer reichen italienischen Schönheit, die Sie sehr liebt und ein Faible für kräftige, wohlgenährte Männer hat. Sie werden mit Köstlichkeiten verwöhnt und erhalten alles, wonach es Ihnen gelüstet. Denken Sie daran, Sie können schlemmen, so viel sie wollen, da Ihre Frau wohlgenährte Männer mag. Wie geht es Ihnen mit dieser Vorstellung?
Übung 8 Idee: Manche Essstörungen gehen mit einer verzerrten Körperwahrnehmung einher. Menschen, die unter Magersucht leiden, fühlen sich beispielsweise zu dick, obwohl sie in der Realität sehr dünn sind. Aber auch Menschen, die im Übermaß essen und dick sind, schätzen sich häufig als zu dick ein, vielleicht aus Scham oder Ekel. Schreibimpuls: Besorgen Sie sich einen etwa fünf Meter langen Wolloder Bindfaden. Wenn Sie jemanden haben, der Ihnen helfen kann, ist die Übung leichter. Sonst müssen Sie versuchen, den Faden selbst zu
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platzieren. Legen Sie sich auf den Boden und bitten Sie die Person, den Faden ganz eng um Ihren Körper herumzulegen. Oder Sie legen den Faden selbst um Ihren Körper herum, was natürlich etwas schwieriger ist. Danach erheben Sie sich vorsichtig, so dass der Faden nicht verrutscht. Alternativ können Sie die Umrisse Ihres Körpers auf großes auf dem Boden liegendes Packpapier malen lassen, während Sie auf dem Papier liegen. Betrachten Sie die durch die Fäden oder Zeichnung entstandenen Umrisse Ihres Körpers und notieren Sie, was Ihnen dazu einfällt.
Übung 9 Idee: Menschen mit Essstörungen haben oft verlernt, eine Mahlzeit wirklich zu genießen. Sie schlingen das Essen in sich hinein oder sie vermeiden das Essen und zählen Kalorien. Zudem hat das Essen für Menschen mit Essstörungen häufig den gesellschaftlichen Aspekt verloren, weil die Essanfälle heimlich geschehen und das »Nicht-Essen« dazu führt, dass soziale Kontakte, die mitunter mit Mahlzeiten einhergehen, vermieden werden. Schreibimpuls: Stellen Sie sich Ihre Lieblingsspeise vor. Jemand, den Sie mögen, bereitet diese für Sie zu und lädt Sie zum Essen ein. Beschreiben Sie, wie es Ihnen damit geht und wie Sie sich verhalten.
Übung 10 Idee: Im Leben von Menschen mit Essstörungen gibt es häufig Lebensmittel, die erlaubt, und solche, die unerlaubt sind. Meist handelt es sich bei den erlaubten um Nahrungsmittel mit weniger Kalorien, während alles, was dick machen könnte, zu den unerlaubten Lebensmitteln zählt. Dabei wird wenig darauf geachtet, welche Lebensmittel schmecken und welche nicht. Schreibimpuls: Fertigen Sie zwei Listen an. In einer Liste notieren Sie alle erlaubten, in der anderen Liste alle unerlaubten Lebensmittel. Dann fertigen Sie eine Liste an mit Lebensmitteln, die Ihnen schmecken, und eine mit Lebensmitteln, die Sie nicht mögen. Betrachten Sie die vier Listen und schreiben Sie einen Text dazu.
Hauterkrankungen
»Da ist eine Wunde geblieben, die durch Schreiben geheilt werden will.« Adolf Muschg
In den letzten Jahren sind Hautkrankheiten wie Schuppenflechte und Neurodermitis fast schon zu Volkskrankheiten geworden. In Deutschland leiden etwa acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung unter einer dieser Krankheiten und bei den Kindern ist jedes vierte Kind von einer Neurodermitis betroffen. Sowohl die Schuppenflechte als auch die Neurodermitis sowie Akne und Kontaktekzeme werden zuweilen auch als psychosomatische Hautkrankheiten bezeichnet, weil die Psyche einen großen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat. Obwohl die genannten Hautkrankheiten oft eine erbliche Komponente haben, entscheidet die psychische Verfassung mit darüber, ob und wann die Krankheit ausbricht und wie schwer und lange ihr Verlauf ist. Nicht umsonst wird die Haut im Volksmund oft als Spiegel der Seele bezeichnet. Sie ist das größte Organ des Menschen und bildet sich aus den gleichen Anlagen heraus wie das zentrale Nervensystem. Vielleicht haben Haut und Psyche deswegen eine enge Verbindung. Die Haut reagiert je nach Gefühlslage anders: So löst Furcht beispielsweise eine Gänsehaut aus, Scham lässt erröten und Angst treibt den Schweiß auf die Stirn. Auch in vielen Redewendungen findet man die enge Beziehung zwischen Haut und Psyche. So gibt es die Redewendung, dass einem etwas unter die Haut geht, oder die, dass etwas zum aus der Haut fahren ist. Wie groß auch immer der Anteil von Vererbung und Psyche bei den einzelnen Hautkrankheiten sein mag, bedeutsam ist in jedem Fall, dass es eine Wechselwirkung zwischen Psyche und Haut gibt. Entscheidend ist festzustellen, welche Gefühle, Verhaltensweisen und Ereignisse auf die Erkrankung zurückwirken und sie verschlech-
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tern oder verbessern. Zumal die Therapie der Hauterkrankungen auf körperlicher Ebene sehr eingeschränkt ist, so dass sich verstärkt die Frage stellt, ob sich durch psychotherapeutische Verfahren eine Verbesserung des Hautzustandes und eine Verringerung der Leiden erreichen lässt. So wie die Psyche primär Einfluss auf die Hautsituation hat, haben auch Hauterscheinungen Rückwirkungen auf die Psyche. Zum einen sind bestimmte Beschwerden wie etwa Juckreiz sehr ermüdend und nervend und zum anderen kann es durch auffällige Hauterscheinungen zu Schwierigkeiten im Umfeld kommen. Menschen mit auffälligen Hauterscheinungen trauen sich oft nicht, ihre Haut zu zeigen, weil sie mitunter verletzende Bemerkungen zu hören bekommen haben oder mit Blicken taxiert worden sind. Manchmal sind die Reaktionen der Umwelt so verletzend, dass Betroffene sich zurückziehen. Die soziale Angst und Isolation kann sich bis zur sozialen Phobie steigern. Betroffene leiden oft auch darunter, dass der Krankheitsverlauf unberechenbar und unkontrollierbar ist. Dies führt zu Gefühlen der Hilflosigkeit und einer gespannten und ängstlichen Erwartungshaltung, die wiederum dazu beitragen kann, dass die Erkrankungsphase länger anhält. Doch sollte man vorsichtig sein und nicht vorschnelle Schlüsse ziehen. Nicht hinter jeder Hautkrankheit steht eine angeschlagene Psyche und wie in allen Bereichen gilt auch hier, dass es in erster Linie darum geht, die Beschwerden zu verbessern. Was immer eine Verbesserung bewirkt, ist positiv zu bewerten und wenn seelische Entlastung durch Schreiben zur Verbesserung beiträgt, dann ist das gut.
Übungsreihe Hauterkrankungen Übung 1 Idee: Es juckt überall? Die Haut ist trocken und rissig und je mehr man kratzt, umso schlimmer wird es? Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, wissen Sie sicher, wie quälend und nervend es ist und wie hilflos und wütend man sich fühlt. Nicht immer gibt es Linderung, vor allem, wenn man nicht ständig kortisonhaltige Cremes oder Ähnliches
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Hauterkrankungen
auf die betroffenen Hautstellen auftragen möchte. Kälte hilft ebenfalls nur vorübergehend, weil Kälte zwar den Juckreiz stoppt, die Haut aber meist zusätzlich belastet und irritiert. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einer Kältekammer. Die Kälte schmerzt nicht, sondern befreit Sie vom Juckreiz. Wie geht es Ihnen? Was geht Ihnen durch den Kopf?
Übung 2 Idee: Wenn die Haut Beschwerden macht, was sich meist in einem Spannungsgefühl, Brennen, Juckreiz oder in Schmerzen äußert, gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Man kann versuchen, die Beschwerden zu beseitigen, sie zu ignorieren, sich abzulenken, wütend zu werden, zu resignieren oder sich konstruktiv mit dem Zustand auseinanderzusetzen, was natürlich nicht immer funktioniert, aber doch zeitweise Erleichterung verschaffen kann. Schreibimpuls: Wie immer Ihre Hautbeschwerden sind, stellen Sie sich vor, dass sie von einem Tier verursacht werden. Von welchem Tier werden sie verursacht? Beschreiben Sie, wie das Tier auf oder vielleicht auch unter Ihre Haut gekommen ist und was es dort macht, das heißt, womit es die Beschwerden auslöst. Beschreiben Sie weiterhin, wie Sie sich dem Tier gegenüber verhalten und wie es mit Ihnen und dem Tier weitergeht.
Übung 3 Idee: Hauterscheinungen gehen oft mit Schamgefühlen einher. Im Idealbild unserer Gesellschaft haben Menschen eine makellose Haut und diese wird oft, ebenso wie die gesamte Erscheinung, fälschlicherweise mit Erfolg assoziiert. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine makellose Haut. Was würde sich dadurch in Ihrem Leben ändern?
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Übung 4 Idee: Häufig ist man sich selbst gegenüber kritischer als einem Freund oder sogar fremden Menschen gegenüber. Zudem lassen sich die Vorstellungen, was andere von einem denken, nicht immer mit dem, wie man selbst auf andere reagiert, vereinbaren. Schreibimpuls: Sie sehen jemanden mit einer schuppigen, rissigen Haut und Rötungen an verschiedenen Stellen des Körpers. Was denken Sie?
Übung 5 Idee: Mitunter sind unsere Phantasien, was andere von uns denken, katastrophaler, als die Gedanken der anderen es tatsächlich sind. Die Abwertung, die wir innerlich selbst vornehmen, kann zugleich als eine Art Schutz verstanden werden, weil Sie uns gewissermaßen auf das Schlimmste vorbereitet. Schreibimpuls: Ihre Haut befindet sich gerade in einem schlechten Zustand. Sie gehen alleine in ein Café und meinen zu bemerken, wie ein Mann oder eine Frau am Nebentisch Sie anstarrt. Sie gehen zu dieser Person und sprechen sie an. Notieren Sie den sich daraus ergebenden Dialog.
Übung 6 Idee: Die Haut ist unser größtes Organ und wird oftmals als Spiegel der Seele bezeichnet. Schreibimpuls: Was verrät Ihre Haut über Ihre Seele?
Übung 7 Idee: Zuweilen sind wir von einem Makel oder einer Schwachstelle unseres Körpers so in Anspruch genommen, dass wir vergessen, dass es auch Positives gibt.
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Schreibimpuls: Schreiben Sie alles auf, was Ihnen an positiven Eigenschaften Ihrer Haut einfällt. Für was dient sie? Was macht sie gut? Gibt es Bereiche und Stellen Ihrer Haut, die Sie mögen, und falls ja, warum?
Übung 8 Idee: Seeluft ist gut für Seele und Haut. Deswegen wird Menschen mit Hautproblemen empfohlen, an die See zu fahren. Leider zahlen die Kassen nicht immer Kuren oder Aufenthalte in entsprechenden Kliniken, so dass manche Menschen sich einen solchen Aufenthalt nicht leisten können. Schreibimpuls: Sie haben einen sechswöchigen Urlaub am Meer geschenkt bekommen. Für alles wird Sorge getragen: Ihre Reise, die Unterkunft und Verpflegung, die Versorgung aller Eventualitäten bei Ihnen zu Hause. Schreiben Sie, wie es Ihnen in diesen sechs Wochen geht und welche Auswirkungen das auf Ihre Haut hat.
Übung 9 Idee: Viele Dinge im Leben halten sich die Waage, einiges ist gut, anderes weniger. Bei niemandem läuft alles perfekt. Doch wenn uns ein Problem besonders beschäftigt, vergessen wir diese Tatsache. Wer Probleme mit der Haut hat, bei dem läuft es in anderen Bereichen vielleicht gut, so dass es unter Umständen möglich ist, die Hautprobleme zu akzeptieren, weil es Dinge gibt, die gewissermaßen einen positiven Ausgleich schaffen. Mitunter müssen wir auch, wenn wir etwas haben wollen, dafür etwas anderes loslassen. Schreibimpuls: Auf was wären Sie bereit zu verzichten, wenn Sie ab heute keine Hautprobleme mehr hätten?
Übung 10 Idee: Hautprobleme können zu Ausgrenzung führen. Selbst wenn man von anderen nicht ausgegrenzt wird, zieht man sich oftmals aus Scham zurück, was einer Ausgrenzung gleichkommt.
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Schreibimpuls: Stellen Sie sich eine Welt vor, in der alle Menschen den gleichen Hauttyp und die gleichen Hautprobleme wie Sie haben. Beschreiben Sie diese Welt und Ihr Leben in dieser Welt.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
»In diesem Sinne bezeichne ich dann Dichtung als ein Sesam öffne dich.« Hilde Domin
Mechanistisch betrachtet ist das Herz eine Pumpe. Es ist das Zentralorgan des Kreislaufs, das Blut durch den Körper befördert. Das Blut fließt vom Körper über die Venen zum rechten Herzvorhof und in die rechte Herzkammer. Von dort wird es in die Lunge gepumpt, mit Sauerstoff angereichert und gelangt über den linken Herzvorhof in die linke Herzkammer. Danach wird es durch den Körper gepumpt und versorgt alle Organe sowie die Muskulatur mit Sauerstoff und lebenswichtigen Substanzen. Anschließend strömt das sauerstoffarme Blut über die Venen wieder zurück zum Herzen und der Kreislauf beginnt von neuem. Das Herz erfüllt seine Pumpfunktion durch rhythmisches Anspannen und Entspannen. Die Anspannungsphase wird als Systole, die Entspannungsphase als Diastole bezeichnet. In der Systole zieht sich der Herzmuskel zusammen und pumpt Blut in den Lungenkreislauf und Körper. In der Diastole erschlafft der Herzmuskel und die Herzkammern füllen sich mit Blut. Das Zusammenziehen des Herzmuskels wird durch elektrische Erregungen gesteuert, die von einer Art natürlichem Schrittmacher, dem Sinusknoten, gesteuert werden. Über Leitungsbahnen erreichen die Erregungen den sogenannten Atrioventrikularknoten, der die Erregung in einen rechten und linken Schenkel weitergibt, welche zur rechten und linken Herzkammer führen. Alle diese Vorgänge sind genau aufeinander abgestimmt und führen zu einer geordneten, rhythmischen Aktion des Herzens. Dabei ist das Herz-Kreislauf-System in der Lage, sich wechselnden Bedingungen anzupassen. Sowohl die Menge des vom Herzen gepumpten Blutes als auch die Anzahl der Herzschläge pro Minute können bei
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Bedarf erhöht werden und die Herzleistung wird bei körperlicher Arbeit bis zum Fünffachen gesteigert. Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen und sind eine der Haupttodesursachen in den Industrienationen. Vier von zehn Todesfällen in Deutschland sind auf HerzKreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. Meist handelt es sich bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen um chronische Erkrankungen, die unbehandelt die Lebensqualität einschränken und massive Folgeschäden nach sich ziehen können. Zu den häufigsten Ursachen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zählen Übergewicht, mangelnde Bewegung, ungesunde Ernährung, Rauchen, Stress sowie die Nebenwirkungen einiger Medikamente. Bluthochdruck ist die häufigste Herz-Kreislauf-Erkrankung, von der etwa 20 Prozent der Erwachsenen betroffen sind, wobei die Anzahl der Erkrankungen mit dem Alter zunimmt. Damit das Blut alle Organe und auch die kleinsten Kapillargefäße erreichen kann, muss es mit einem gewissen Druck aus dem Herzen gepumpt werden. Jedes Mal, wenn sich das Herz zusammenzieht, drückt es Blut in die Arterien und der Blutdruck steigt. Hat sich das Herz maximal zusammengezogen, ist der höchste Wert des Blutdrucks erreicht. Danach erschlafft das Herz und der Blutdruck sinkt auf den niedrigsten Wert ab. Von hohem Blutdruck spricht man erst, wenn der Blutdruck über einen längeren Zeitraum Werte von 140 mmHg für den oberen und 90 mmHg für den unteren Wert überschreitet. Oft kennt man den Grund für den hohen Blutdruck nicht, allerdings kann eine Vielzahl von Einflüssen die Entstehung von Bluthochdruck fördern. Neben Faktoren, die man nicht verändern kann, wie Veranlagung und Alter, gibt es viele, die der Patient beeinflussen kann, wie Ernährung, psychische Belastungen und Bewegung. Die zweithäufigste unter den Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist die koronare Herzkrankheit, der eine Arterienverkalkung zugrunde liegt und von der mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Unter dem Begriff der koronaren Herzkrankheit werden Krankheitsbilder wie Angina pectoris, Herzinfarkt und plötzlicher Herztod zusammengefasst. Typisches Anzeichen eines Angina-pectoris-Anfalls ist ein Druckund Engegefühl im Brustbereich. Oft strahlt der Schmerz in die linke
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Schulter oder den Oberarm aus, gelegentlich werden die Beschwerden auch im Nacken und Schlüsselbeinbereich angegeben oder als Magenverstimmung empfunden. Ein Herzinfarkt tritt auf, wenn ein Hauptgefäß des Herzens weitgehend verschlossen und die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten wird. Der Teil des Herzmuskelgewebes, der durch dieses Gefäß mit Blut versorgt wurde, stirbt ab und vernarbt. Stirbt mehr als die Hälfte des Herzgewebes ab, kommt es zum plötzlichen Herztod, der durch das Stehenbleiben des Herzens verursacht wird. Etwa zwei Millionen Deutsche leiden an chronischem Herzversagen, auch als Herzinsuffizienz bekannt. Hier ist das Herz nicht mehr in der Lage, die für die Versorgung des Körpers erforderliche Pumpleistung zu erbringen. Die Organe werden nur noch unzureichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Eine Herzinsuffizienz entwickelt sich meist über Jahre hinweg. Während im Anfangsstadium keine Beschwerden auftreten, kommt es im weiteren Verlauf zu Leistungseinschränkungen. Herzerkrankungen können sich auch als Herzrhythmusstörung äußern. Die bekannteste und häufigste Herzrhythmusstörung ist das Vorhofflimmern. Es können allerdings auch Unregelmäßigkeiten des Herzschlages auftreten, die nicht krankhaft sind, weil das Herz bald wieder in seinen geordneten Rhythmus zurückkehrt. Von krankhaften Herzrhythmusstörungen spricht man erst, wenn sie häufiger wiederkehren, länger anhalten oder besonders stark ausgeprägt sind und die Blutversorgung des Körpers gefährden.
Übungsreihe Herz-Kreislauf-Erkrankungen Übung 1 Idee: Oft sind wir uns nicht ausreichend bewusst, was unser Herz den ganzen Tag leistet und wie unsere Lebensgewohnheiten unser HerzKreislauf-System beeinflussen. Wir gehen davon aus, dass alles von allein und immer perfekt funktioniert, und sind verwundert oder verärgert, wenn das nicht der Fall ist. Nur selten schätzen wir unser Herz oder andere Teile unseres Körpers wert und nicht immer nehmen wir in unseren Verhaltensweisen Rücksicht auf sie.
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Schreibimpuls: Treten Sie in einen Dialog mit Ihrem Herzen. Gibt es etwas, das Sie Ihrem Herzen mitteilen möchten? Was erwidert Ihr Herz? Oder vielleicht möchte Ihr Herz primär Ihnen etwas mitteilen? Was könnte es sagen? Was antworten Sie?
Übung 2 Idee: Hoher Blutdruck hängt neben vielen anderen Faktoren vom Spannungszustand des Körpers und Geistes ab. Stress lässt den Blutdruck steigen. Deswegen kann alles, was zur Entspannung beiträgt, dazu beitragen, den Blutdruck zu senken. Schreibimpuls: Sie liegen in einer Hängematte unter einem Apfelbaum. Ein sanfter Wind schaukelt die Hängematte. Was geht Ihnen durch den Kopf? Wie geht es Ihnen?
Übung 3 Idee: Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen oft unter Stress. Sie befinden sich in einem starren Gerüst von Aufgaben und müssen ist eines der häufigsten Worte, die ihnen durch den Kopf gehen. Deswegen könnte es hilfreich sein, einmal alles, was ihnen durch den Kopf geht, in der Möglichkeitsform zu denken. Schreibimpuls: Notieren Sie alle Ihre Gedanken in der Möglichkeitsform. Jeder Gedanke, der kommt, wird von Ihnen im Konjunktiv aufgeschrieben. Ein Beispiel wäre, dass Sie schreiben: »Heute könnte ich einkaufen gehen« oder »Ich könnte mir vorstellen, später Sport zu machen«. Wenn Sie mögen, können Sie diese Übung später auch mental im Alltag durchführen und nach einer Woche einen Text schreiben, welche Auswirkungen das auf Sie und Ihren Alltag hatte.
Übung 4 Idee: Obwohl unser Herz ein so zentrales Organ ist und wir mit ihm Gefühle wie Liebe und Hass verbinden, nehmen wir es – so lange, wie es problemlos funktioniert – nur selten bewusst wahr. Das Herz wird
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen
oft als Pumpe bezeichnet und darin kommt zugleich zum Ausdruck, dass es ein Energiekraftwerk ist, dem wir uns in dieser Übung bewusst zuwenden wollen. Schreibimpuls: Atmen Sie durch die Nase ein und spüren Sie, wie sich Ihr Herz mit Energie auflädt und Blut in Ihren Kreislauf pumpt. Beim Ausatmen gönnen Sie Ihrem Herzen eine Ruhepause. Mit jedem Einatmen spüren Sie, wie Ihr Herz voller Energie das Blut in den Körper pumpt. Machen Sie dies so lange, wie Sie mögen, und beschreiben Sie dann, was Sie erlebt haben. Achten Sie beim Schreiben immer mal wieder darauf, wie Ihr Herz voller Energie tätig ist.
Übung 5 Idee: Die Fähigkeit, aus vollem Herzen anderen Menschen Gutes zu tun, hat positive Rückwirkungen auf uns selbst. Unser Herz wird weit, die Atmung ruhig. Dabei muss es sich keinesfalls um etwas Großes handeln, die kleinen Gaben des Herzens sind genauso wichtig. Schreibimpuls: Notieren Sie für die nächsten sieben Tage jeweils eine kleine gute Tat oder Sache, die Sie anderen Menschen zukommen lassen wollen. Schreiben Sie, wie es Ihnen damit geht und was für Auswirkungen das auf Ihren Puls und Blutdruck hat.
Übung 6 Idee: Ausdauerübungen sind gut für Herz und Kreislauf. Dabei muss es sich keineswegs um sportliche Leistungen handeln, sondern es reicht bereits ein halbstündiger Spaziergang am Tag. Versuchen Sie, eine Woche lang einen solchen in Ihren Tagesablauf zu integrieren. Schreibimpuls: Schreiben Sie nach der Woche, wie es Ihnen mit dem Spaziergang in der Woche ergangen ist. Wie leicht oder schwer es Ihnen gefallen ist, diesen in den Alltag zu integrieren, und welche Wirkung er auf Ihr Herz, Ihren Kreislauf, Ihren gesamten Körper und Ihr Wohlbefinden hatte.
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Übung 7 Idee: »Sich etwas zu Herzen nehmen« ist ein gängiger Ausdruck. Doch sehr selten schenken wir den Dingen, die wir uns zu Herzen nehmen, bewusst unsere Aufmerksamkeit. Schreibimpuls: Notieren Sie spontan Dinge, die Ihnen zu Herzen gehen. Dann wählen Sie eines der Notate aus und schreiben Sie einen Text dazu.
Übung 8 Idee: Anderen von Herzen zugetan zu sein, ist ein positives Gefühl, das unser Gemüt erfreut. Dabei muss es nicht immer um Liebe gehen, sondern auch Menschen, die uns scheinbar nicht direkt nahestehen, können wir ins Herz schließen. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text über einen Menschen, den Sie ins Herz geschlossen haben.
Übung 9 Idee: Neben Menschen, die unser Herz berühren, können auch Dinge und Aktivitäten unser Herz anrühren. Mitunter sprechen wir auch von unseren Leidenschaften. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text darüber, was Ihnen am Herzen liegt, welche Leidenschaften Sie haben.
Übung 10 Idee: Zu viel Stress ist Gift für unseren Blutdruck und unser Herz. Nicht immer lässt Stress sich vermeiden und nicht immer wissen wir, was uns stresst. Deswegen kann es hilfreich sein, sich von Zeit zu Zeit darüber klar zu werden, welche Dinge wir als stressig erleben, um diese möglicherweise zu vermeiden oder zu verändern.
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Schreibimpuls: Notieren Sie in einer Art Listengedicht, was Sie stresst. Beginnen Sie jeden Satz mit: »Ich bin gestresst, wenn …« Schreiben Sie so viele Sätze, wie Sie benötigen, um alles aufzulisten, was Sie unter Druck setzt. Dann sehen Sie sich die Liste an und schreiben einen Text darüber, was Ihnen beim Anblick der Liste durch den Kopf geht und wie es sich im Körper anfühlt, wenn Sie sehen, wie viele und welche Dinge Sie stressen.
Krebserkrankungen
»Die objektivierende Bannung von bedrohlichen Tendenzen und Möglichkeiten ist eine bedeutende Funktion von Literatur.« Dieter Wellershoff
Tumor bezeichnet eine Gewebeneubildung. Diese kann bös- oder gutartig sein. Bösartige Tumore können Tochtergeschwülste bilden, sogenannte Metastasen, während gutartige Geschwülste in der Regel keine Metastasen bilden. Aber auch gutartige Geschwülste können entarten oder lebenswichtige Organe in ihrer Funktion beeinträchtigen. Krebs ist im allgemeinen Sprachgebrauch ein Sammelbegriff für Krankheiten, bei denen Körperzellen unkontrolliert wachsen, sich teilen und gesundes Gewebe verdrängen oder zerstören. Die deutsche Bezeichnung Krebs geht auf das griechische Wort »karkínos« zurück, das sowohl die Krankheit als auch das Tier bezeichnet. Krebserkrankungen sind nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Jeder vierte Todesfall in Deutschland wird durch Krebs verursacht. Bei Frauen steht der Brustkrebs an erster Stelle, gefolgt von Dickdarm- und Mastdarmkrebs, bei Männern sind Lungenkrebs, Prostatakrebs sowie Dickdarm- und Mastdarmkrebs am häufigsten. Bei Kindern ist Krebs die zweithäufigste Todesursache. Die häufigsten Krebsarten bei Kindern sind Leukämie, Tumore des Gehirns und Lymphome. Krebserkrankungen haben potenziell immer einen lebensgefährlichen Charakter. Denn selbst wenn die Heilungschancen gut sind, verursachen sie meist ein starkes Gefühl der Bedrohung. Hinzu kommt die Angst vor Rückfällen. Zudem sind die meisten Therapien wie Operationen, Bestrahlung und Chemotherapie sehr belastend. Mitunter ist auch keine vollständige Heilung möglich, was bedeutet, dass eine neue Lebensorganisation erlangt werden muss, um einen Umgang mit den bestehenden Einschränkungen zu finden.
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Krebserkrankungen
Sollte die Krebserkrankung die Lebenszeit einschränken oder massiv verkürzen, besteht immer die Frage der Lebensqualität, weswegen es auch gut sein kann, dass sich jemand, dem nur noch wenig Lebenszeit zur Verfügung steht, unter Umständen gegen eine belastende Therapie und einen langen Krankenhausaufenthalt entscheidet. Da eine Krebserkrankung ein einschneidendes Erlebnis ist, führt sie oftmals dazu, dass Betroffene ihre Werte und Prioritäten noch einmal überdenken und vielleicht eine andere Lebensführung ins Auge fassen. Auch können verschiedene Gefühlszustände rasch wechselnd auftreten, von Angst bis Wut und von Hoffnung bis Verzweiflung, um nur einige zu nennen. Und auch diese Gefühle wollen beachtet und verarbeitet werden.
Übungsreihe Krebserkrankungen Übung 1 Idee: Wie in der Einleitung angemerkt, kann es sein, dass Krebserkrankungen die Lebenszeit verkürzen. Und obwohl es schwierig ist, sich mit einer solchen Tatsache auseinanderzusetzen, kann sie zugleich den Anlass bieten, Prioritäten zu klären und zu entscheiden, was wichtig ist und was man mit der verkürzten Lebenszeit anfangen möchte. Genaugenommen eine Aufgabe, der man sich in vermeintlich gesundem Zustand ebenfalls öfter aussetzen sollte, um Klarheit zu erhalten. Zudem weiß niemand von uns, wann er sterben wird, und es muss nicht unbedingt eine Krebserkrankung sein, die unser Leben gefährdet oder vorzeitig beendet. Schreibimpuls: Sie haben noch vier Wochen zu leben. Was wollen Sie in diesen Wochen machen? Versuchen Sie, sich dabei in Ihren Gedanken möglichst wenig einzuschränken. Schreiben Sie so, als wäre alles, was Sie sich für die vier Wochen wünschen, möglich.
Übung 2 Idee: Obwohl man angesichts einer lebensbedrohlichen Krankheit alle Gedanken an den Tod sicher lieber verdrängen würde, gibt es zugleich
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einen Impuls, sich damit auseinanderzusetzen. Einige Menschen verspüren auch den Wunsch, alles zu klären und zu regeln: sowohl, was im aktuellen Leben noch ansteht, als auch alles, was den Tod betrifft. Mitunter ist dieser Wunsch auch Ausdruck des Bedürfnisses, den Hinterbliebenen nicht über den Tod hinaus zur Last zu fallen. Natürlich wird niemand von Ihnen erwarten, dass Sie ihm die »Last« einer Grabrede ersparen. Doch das Schreiben einer eigenen Grabrede kann dazu beitragen, dass wir klären, wie wir uns selbst sehen und wie wir von anderen gesehen werden wollen. Und dies kann wiederum dazu beitragen, Beziehungen zu klären, denn auch das kann ein wichtiges Ziel sein, wenn die Lebenszeit begrenzt ist. Schreibimpuls: Schreiben Sie eine eigene Grabrede. Versuchen Sie, sich selbst dabei wie einen guten Freund oder eine gute Freundin zu sehen. Wenn Sie mögen, können Sie sich auch vorstellen, wer diese Rede für Sie halten würde, und aus dessen Perspektive schreiben.
Übung 3 Idee: Ob wir wollen oder nicht, machen wir uns alle von Zeit zu Zeit Vorstellungen darüber, was nach unserem Tod sein wird. Und wenn es sich dabei nur um die Vorstellung handelt, dass da nichts ist. So stellen wir uns vielleicht ein bedrückendes schwarzes, vielleicht aber auch ein beruhigendes weißes Nichts vor. Alle Menschen machen sich diese Vorstellungen, sogar Kinder. Oder sollte ich besser sagen: Gerade Kinder machen sich diese Vorstellungen, weil sie den Dingen auf den Grund gehen. Und selbst wenn unsere Vorstellungen, was uns nach dem Tod erwartet, grauenvoll sein mögen, kann es erleichternd sein, sie aufzuschreiben und mit anderen zu teilen. Oft fragen wir uns auch, was mit für uns lieben und wertvollen Menschen nach unserem Tod sein wird. Vielleicht machen wir uns Sorgen um den einen oder anderen oder wir haben die bedrückende Vorstellung, dass unser Tod keine große Lücke hinterlassen wird. Auch dies will unter Umständen zum Ausdruck gebracht werden. Schreibimpuls: Was passiert in Ihrer Vorstellung, wenn Sie tot sind? Was passiert mit Ihnen und was mit denen, die zurückbleiben? Welche
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Krebserkrankungen
Gefühle lösen diese Vorstellungen in Ihnen aus? Haben Sie den Wunsch, sich mit jemandem darüber auszutauschen?
Übung 4 Idee: »Warum gerade ich?« ist eine häufig gestellte Frage von Menschen mit einer Krebserkrankung. Und obwohl es mitunter eine müßige Frage ist, auf die wir keine abschließende Antwort finden, drängt sie sich zuweilen so sehr in den Vordergrund, dass es hilfreich sein kann, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Schreibimpuls: Versuchen Sie, die Frage »Warum gerade ich?« auf sich wirken zu lassen. Dann fangen Sie an zu schreiben. Versuchen Sie dabei nicht, die Frage zu beantworten, sondern lassen Sie sich vom Schreiben treiben. Die Frage ist nur der allererste Ausgangsschritt für Ihr Schreiben. Schreiben Sie, was immer Ihnen in den Sinn kommt.
Übung 5 Idee: Dass einen angesichts einer potenziell lebensbedrohlichen Krankheit Ängste überkommen, ist normal. Schon die Krebsdiagnose macht Angst, selbst wenn die Prognose günstig ist. Dazu kommen Ängste bezüglich belastender Therapien und deren Nebenwirkungen. Angst vor Schmerzen, anhaltendem Leid, Hilflosigkeit, Einsamkeit und dem Tod. Oftmals versuchen Menschen mit der Diagnose Krebs, diese Ängste mit sich selbst auszumachen, um beispielsweise Angehörige nicht zu belasten. Schreibimpuls: Schreiben Sie das Wort »Angst« in die Mitte eines Blattes und notieren Sie ungeordnet um das Wort herum, was Ihnen dazu einfällt. Sehen Sie sich an, was Sie dort assoziativ notiert haben, und schreiben Sie einen Text dazu. Lassen Sie sich wieder von Ihren Gedanken und Gefühlen und dem Stift treiben, wo immer Sie das hinführt. Sie müssen nicht bei dem Thema Angst bleiben.
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Übung 6 Idee: Die Diagnose Krebs löst nicht nur Ängste aus, sondern zugleich Wut und Verzweiflung. Häufig findet die Wut keinen Adressaten, weil man nicht weiß, auf wen man wütend sein soll. Dennoch ist sie vorhanden und sucht nach einem Ausdruck. Schreibimpuls: Beginnen Sie einen Text mit den Worten: »Ich bin so scheißwütend …«
Übung 7 Idee: Auch Niedergeschlagenheit kann ein Gefühl sein, das einen im Rahmen einer Krebserkrankung überkommt, eine Form der Trauer um die mit der Krankheit verbundenen Verlusterlebnisse. Dabei kann es sich sowohl um reale oder phantasierte Einbußen handeln, und zwar im Hinblick auf die körperliche Attraktivität, Selbstständigkeit oder die soziale Position, als auch um eine Trauer über ungelebtes Leben. Schreibimpuls: Beginnen Sie einen Text mit den Worten: »Ich bin traurig, weil …«
Übung 8 Idee: Mitunter sind die Krebsdiagnose und die daraus resultierenden Folgen so verwirrend, dass man nicht genau weiß, was man bräuchte, um wieder etwas mehr Sicherheit und Stabilität in seinem Leben zu erhalten. Schreibimpuls: Beginnen Sie einen Text mit den Worten: »Helfen würde mir …«
Übung 9 Idee: Auch wenn eine Krebserkrankung möglicherweise mit Einschränkungen einhergeht und man vielleicht gewohnte und geliebte Dinge und Aktivitäten aufgeben muss, lohnt es sich, immer auch zu sehen, was trotz der Krankheit möglich ist.
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Krebserkrankungen
Schreibimpuls: Notieren Sie alles, was Ihr Leben trotz und mit oder gerade vielleicht wegen der Diagnose Krebs lebenswert macht.
Übung 10 Idee: Krebserkrankungen sind eine große Herausforderung sowohl für die Betroffenen als auch für das Umfeld. Nicht immer ist es leicht, alles zu sagen, was einem auf dem Herzen liegt. Und doch besteht der Wunsch, der Partner, die Kinder oder geliebte Menschen mögen erfahren, was in einem vorgeht. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Brief an eine geliebte Person, den diese lesen kann, sofern die Krebserkrankung Sie von diesem Menschen vorzeitig trennen sollte.
Magen-Darm-Erkrankungen
»Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.« Franz Kafka
Ohne unseren Magen-Darm-Trakt und seine Funktionstüchtigkeit wären wir ebenso wenig lebensfähig wie ohne unser Herz und unsere Lungen. Das Wunderbare: Unser Magen und Darm arbeiten ganz automatisch, ohne unsere bewusste Steuerung. Sie nehmen Nahrung auf, zerkleinern und spalten sie und befördern die einzelnen Nahrungsbestandteile in unseren Körper. Was wir nicht verwerten können, wird weiterbefördert, eingedickt und ausgeschieden. An dieser Stelle wäre es wohl an der Zeit, unserem Magen und Darm einmal Danke zu sagen! Denn auch wenn wir zuweilen Beschwerden haben, könnte man doch sagen, dass Magen und Darm, hochgerechnet auf unsere gesamte Lebenszeit, die meiste Zeit einwandfrei arbeiten. Und mal ganz ehrlich, mitunter sind wir selbst schuld, wenn Magen und Darm verstimmt sind, bei dem, was wir ihnen alles zumuten: Überfülle, fettes Essen, ungeregelte Mahlzeiten, kalte Getränke und was uns sonst noch einfällt. Zudem stressen wir unser Magen-Darm-System oft. Denn obwohl der Magen-Darm-Trakt in der Tat leistungsstark und einigermaßen robust ist, ist er zugleich sehr sensibel. Redensarten wie »Eine Sache schlägt uns auf den Magen« oder »Wir machen uns vor Angst in die Hose« sind nicht grundlos über die Zeiten hinweg erhalten geblieben. Schon unsere Mütter und Großmütter wussten, dass Stress auf den Magen schlagen kann, und die Wissenschaft gibt ihnen Recht. Stress kann von einer Magenschleimhautentzündung über ein Magengeschwür bis hin zum Reizdarmsyndrom oder einer Divertikulitis (Entzündung der Darmausstülpungen) fast alles auslösen, aufrechterhalten und verschlechtern.
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Verdauungsprobleme hängen ebenfalls häufig mit unserer Lebensweise zusammen. Hektik und Stress sind nicht dazu angetan, eine gesunde Verdauung zu fördern. Und wieder: So wie wir uns ernähren, so verhält sich unser Magen und Darm. Schokolade stopft, zu viel Säure führt zum Durchfall. Alles keine Geheimnisse, aber Wissen und Handeln sind zwei unterschiedliche Größen. Und die moderne Medizin leistet Vorschub: Etwas klemmt, zwickt, zwackt, wir schaffen Abhilfe mit einer Tablette, die Pharmaindustrie freut sich und wir machen weiter mit den ungünstigen Lebensgewohnheiten, die schwer umzustellen sind. Es geht hier wohlgemerkt nicht um eine Wertung oder Moral, sondern ums Verstehen. Rebellieren Magen und Darm, sollten wir versuchen herauszufinden, woran das liegen könnte. Und wenn wir es herausgefunden haben, sollten wir versuchen, etwas zu verändern, von Zeit zu Zeit, immer mal wieder. Natürlich lassen sich Stress und Hektik nicht einfach abbauen und wir müssen manchmal schnell etwas zwischendurch essen und auch die hygienischen Bedingungen unterwegs sind nicht immer die besten, aber wir können unser Bestes versuchen, um unseren Magen und Darm zu beruhigen und die Situation zu verbessern. Dies gilt alles, wenn Sie Beschwerden haben und sie vermindern wollen. Haben Sie keine Beschwerden, danken Sie Ihrem MagenDarm-Trakt und leben Sie, wie es Ihnen in den Sinn kommt. Das können Sie auch mit Beschwerden machen, nur werden diese dadurch vermutlich nicht besser, auch wenn eine gute Portion Lebenslust und Genuss bei allen Arten von Beschwerden ebenfalls heilsam sein kann.
Übungsreihe Magen-Darm-Erkrankungen Übung 1 Idee: Belastende Situationen können auf den Magen schlagen. Bei einem fühlt es sich an, als hätte er einen zusammengeschnürten Magen, ein anderer mag es als Faust im Magen spüren. Übelkeit und Durchfall können weitere Beschwerden sein. Manchmal reicht es schon, sich die belastende Situation vorzustellen, um Magen und Darm in Aufruhr zu versetzen, wie beispielweise vor einer wichtigen Prüfung.
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Schreibimpuls: Denken Sie an eine für Sie persönlich belastende Situation und beschreiben diese detailliert. Es kann eine Situation sein, die Sie erlebt haben, oder eine, die Sie sich vorstellen. Beobachten Sie dabei und danach, wie es Ihrem Magen und Darm geht, und notieren Sie auch das.
Übung 2 Idee: Situationen, die uns belasten, sind uns nicht immer völlig bewusst. Wir spüren vielleicht, dass unser Körper reagiert, und zuweilen versuchen wir, auch das zu ignorieren, weil wir meinen, die Situation aushalten zu müssen, oder weil wir sie tatsächlich nicht verlassen können, wie beispielsweise eine Prüfung. Um aktiv etwas verändern zu können, müssen wir wissen, welche Situationen uns belasten und die Beschwerden hervorrufen. Schreibimpuls: Notieren Sie eine Woche lang, welche Situationen Ihnen Magen- und Darmprobleme bereiten. Dann lesen Sie, was Sie aufgeschrieben haben, und schreiben Sie einen Text darüber, was das für Sie in Zukunft bedeuten könnte.
Übung 3 Idee: So wie manche Menschen Beschwerden ignorieren, sind andere wiederum sehr besorgt über ein leichtes Unwohlsein. Schreibimpuls: Beschreiben Sie, wie Sie reagieren, wenn Sie Unwohlsein im Magen verspüren, Durchfall oder Verstopfung haben. Sind Sie eher der Typ, der Beschwerden herunterspielt, oder der Typ, der zum Katastrophisieren neigt? Haben Sie eine Idee, warum das so ist?
Übung 4 Idee: Im Volksmund spricht man von einem guten Bauchgefühl, wenn ein Mensch eine gute Intuition hat.
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Schreibimpuls: Haben Sie so etwas wie ein Bauchgefühl? Falls ja, wie funktioniert es? Falls nein, was halten Sie von der Idee dieses sogenannten Bauchgefühls?
Übung 5 Idee: Eine Verhaltensänderung auf der Ernährungsebene umzusetzen, ist schwer. Doch bevor dies überhaupt gelingen kann, müssen wir wissen, welche Nahrung gut für uns ist und welche uns Beschwerden bereitet. Schreibimpuls: Notieren Sie eine Woche lang, welche Speisen Ihnen Magen- und Darmprobleme bereiten. Dann lesen Sie, was Sie aufgeschrieben haben, und schreiben Sie einen Text darüber, was das für Sie in Zukunft bedeuten könnte.
Übung 6 Idee: Wie bereits erwähnt, machen wir uns wenig Gedanken darüber, wie unser Magen und Darm arbeitet, solange wir keine Beschwerden haben. Oft haben wir keine Vorstellung, welchen Weg unsere Nahrung nimmt. Und selbst wenn wir medizinisches Wissen darüber besitzen, so ist dieses Wissen nur ein Teil dessen, was wichtig ist. Mindestens ebenso relevant wie die Fakten ist unsere Phantasie. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, Sie essen ein Stück Brot. Schreiben Sie einen Text darüber, was damit in Ihrem Körper passiert. Denken Sie daran, dass es nicht darauf ankommt, medizinisches Wissen zu präsentieren, sondern dass einzig Ihre Vorstellung entscheidend ist, so phantastisch diese auch sein mag.
Übung 7 Idee: Unsere Ernährungsgewohnheiten hängen ebenso von unserer Psyche ab wie davon, welches Essverhalten wir gelernt haben. Schreibimpuls: Welchen Stellenwert hatte Essen in Ihrer Familie? Wer hat es zubereitet und gab es gemeinsame Mahlzeiten? Welchen Stel-
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lenwert hat Essen heute für Sie und wie nehmen Sie die meisten Mahlzeiten ein?
Übung 8 Idee: Essen kann für vieles stehen und positiv oder negativ besetzt sein. Essen kann sowohl Genuss bereiten, Gesellschaft und Versorgtsein bedeuten als auch, sich zügeln und disziplinieren zu müssen. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, es gäbe keine unterschiedlichen Nahrungsmittel mehr, sondern nur eine einzige Sorte, die geschmacksneutral ist und Ihren Nährstoffbedarf komplett decken würde. Welchen Einfluss hätte das auf Ihr Leben?
Übung 9 Idee: Es gab eine Untersuchung, die zu dem Schluss kam, dass Amerikaner ihre Kinder ernähren und Italiener ihren Kindern Lust bereiten. Dies äußert sich laut Studie unter anderem darin, dass amerikanische Kinder angehalten werden, erst das gesunde Gemüse zu essen, bevor sie den leckeren Nachtisch bekommen, während italienischen Kindern erlaubt wird, zu essen, worauf sie Lust haben (Ochs et al., 1996). Natürlich lässt sich diese Untersuchung nicht verallgemeinern, dennoch handelt es sich um einen spannenden Aspekt. Schreibimpuls: Wenn Sie noch einmal Kind wären, was würden Sie sich von Ihren Eltern an Ernähung wünschen und welche Mahlzeiteneinnahme wäre Ihnen am liebsten?
Übung 10 Idee: Oftmals ist das Essverhalten stark an Emotionen gekoppelt, was mitunter zu Problemen führen kann, wie etwa beim bekannten Frustessen. Schreibimpuls: Schreiben Sie vier kurze Texte über Ihr Essverhalten: und zwar über Ihr Essverhalten, wenn Sie unter Stress stehen, wenn Sie traurig sind, wenn Sie entspannt sind und wenn Sie glücklich sind.
Posttraumatische Belastungsstörungen
»[...] und, so Gott will, mir zu der Geschichte verhilft, die ich schreiben will […] ich knüpfe immerfort, unbewußt aber doch zielstrebig an einem Netz, in dem die Zufälle des Lebens ihren Platz finden und eines Tages als Muster, als mein Muster kenntlich werden.« Monika Maron
Menschen, die mit einer außergewöhnlichen Bedrohung oder einem katastrophenartigen Ereignis konfrontiert werden, wie etwa einem Krieg, Naturkatastrophen und Unfällen, sowie Menschen, die körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erleben, leiden zuweilen noch Jahre nach dem traumatischen Erlebnis unter psychischen und physischen Beschwerden. Erlebt ein Mensch als Opfer oder Zeuge unerträgliches Leid, werden sein bisheriges Selbst- und Weltbild, seine Weltanschauung und seine Welterklärungsmuster, sein Vertrauen in die Menschen und die Ordnung der Dinge erschüttert. Wird das Vertrauen auf grundlegende Weise nachhaltig beeinträchtigt oder zerstört und findet der Betroffene keine Erklärung für das Geschehene, ist er mit einer existenziellen Absurdität konfrontiert, die seine innere Orientierung und psychische Stabilität gefährdet. Manchmal ist dem Traumatisierten nicht oder nicht vollständig bewusst, was geschehen ist und wie das Geschehen einzuordnen und zu bewerten ist, er leidet unter Gefühlen der Fassungs- und Sinnlosigkeit. Je massiver und unerklärlicher das Trauma und je jünger die betroffene Person zum Zeitpunkt des Geschehens, umso stärker werden einige Aspekte des Traumas oder die ganze Situation aus dem Bewusstsein entfernt, was dazu führt, dass die verstörenden Erfahrungen nicht verarbeitet werden können. Im Vergleich zu Unfällen oder Naturkatastrophen zieht die Erfahrung menschlicher Gewalt wie bei Vergewaltigung oder Folter meist tiefgreifendere Folgen nach sich, weil sich das Erlebte nur schwer
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mit dem ursprünglichen Glauben an die Existenz von Menschlichkeit vereinbaren lässt. Kann ein Mensch in einer bedrohlichen Situation weder kämpfen noch fliehen, was die unmittelbaren Reaktionen wären, verfällt er in einen Erstarrungszustand, der mit innerer Übererregung gepaart ist. Ist es aufgrund mangelnder Ressourcen nicht möglich, die Schockstarre aufzulösen und zu verarbeiten, kann es zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung kommen. Typische Merkmale einer Posttraumatischen Belastungsstörung sind das wiederholte Erleben des Traumas in der Erinnerung, Albträume, Teilnahms- und Freudlosigkeit sowie die Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen können. Meist bestehen zudem Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen und die Neigung zum Grübeln. Die Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung sollte frühzeitig erfolgen. In einem möglichst geschützten Rahmen nähert sich der Betroffene, am besten unter professioneller Anleitung, seinen traumatischen Erinnerungen. Er bewertet Eindrücke und Bilder neu und kann im Idealfall mit der belastenden Erinnerung abschließen. Ziel einer Behandlung ist es, Betroffenen zu helfen, Kontrolle über ihre ungewollt auftretenden Erinnerungen zu erlangen, das Trauma als Teil der Lebensgeschichte zu integrieren und neuen Sinn im Leben zu finden. Grundvoraussetzung für die Behandlung ist eine minimale Stabilität der Betroffenen. Unabdingbar für die Stabilisierung sind Lebensumstände, in denen sich Betroffene vor weiterer Traumatisierung sicher fühlen. Falls erforderlich, sollten Betroffene Unterstützung bei einer beruflichen und sozialen Neuorientierung, Trauerverarbeitung und bei Problemen in der Partnerschaft erhalten.
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Posttraumatische Belastungsstörungen
Übungsreihe Posttraumatische Belastungsstörungen Übung 1 Idee: Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden häufig unter Schlafstörungen oder haben Albträume, wenn sie dann mal schlafen – oft wiederkehrend. Mitunter erinnern sie sich aber auch an keine Träume, sondern fühlen sich am Morgen einfach wenig erholt. Schreibimpuls: Beginnen Sie einen Text mit dem Halbsatz »Als ich heute Morgen erwachte, …« und schreiben Sie so lange, wie der Stift über das Papier gleiten will.
Übung 2 Idee: In der Lebensgeschichte von Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung gibt es oft mehrere belastende Erlebnisse. Doch meist ist ein Erlebnis besonders prägnant und in Gedanken wiederkehrend. Schreibimpuls: Schreiben Sie an drei aufeinanderfolgenden Tagen über das Erlebnis, das Sie aktuell am meisten belastet. Schreiben Sie nicht länger als zwanzig Minuten. Am vierten Tag schreiben Sie ohne zeitliche Begrenzung einen Text darüber, wie es Ihnen mit dem Schreiben an den Tagen zuvor ging.
Übung 3 Idee: Menschen reagieren auf belastende Ereignisse unterschiedlich. Jene, die in der Vergangenheit ähnliche Situationen erlebt haben, sind gefährdeter, eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, weil belastende Erlebnisse reaktiviert werden können. Schreibimpuls: Erstellen Sie eine Liste aller Erlebnisse in Ihrem Leben, die für Sie belastend waren. Denken Sie daran, dass auch Erlebnisse, die für andere unter Umständen nicht belastend sind, von Ihnen möglicherweise so erlebt wurden. Sehen Sie sich die Liste an und wählen Sie ein Erlebnis aus, über das Sie schreiben wollen.
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Übung 4 Idee: Es ist nicht immer leicht, anderen Menschen von belastenden Erlebnissen zu erzählen. Manchmal kann es helfen, einen Brief zu schreiben, am besten einen, der unter Umständen nicht einmal abgesendet oder übergeben werden muss. Schreibimpuls: Schreiben Sie über ein belastendes Erlebnis einen Brief an einen wichtigen Menschen.
Übung 5 Idee: Bei Menschen, die Extremsituationen erlebt haben, kann sich leicht ein Gefühl der Sinn- und Hoffnungslosigkeit einstellen. Dies kann dazu führen, dass die eigene Existenz in Frage gestellt oder zumindest hinterfragt und die Sinnfrage wesentlich wird. Schreibimpuls: Was glauben Sie hat die menschliche Existenz für einen Sinn? Hat Ihre persönliche Existenz einen darüber hinausgehenden Sinn?
Übung 6 Idee: Menschen, die Belastendes erlebt haben, wünschen sich mitunter, die Zeit zurückzudrehen und das Erlebnis ungeschehen zu machen. Was in der Realität nicht möglich ist, lässt sich in der Phantasie versuchen. Schreibimpuls: Reisen Sie in Ihrer Phantasie zu einem Zeitpunkt vor dem Erlebnis zurück, das Sie aktuell am meisten belastet. Dann erfinden Sie den Lauf der Geschichte neu.
Übung 7 Idee: Unter Resilienz versteht man die Fähigkeit, belastende Erlebnisse zu verarbeiten und gesund zu bleiben. Es gibt viele Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, wie gut unsere Resilienz ist. Hierzu zählen beispielsweise eine harmonische Kindheit, ein unterstützendes
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Posttraumatische Belastungsstörungen
Umfeld, zufriedenstellende Tätigkeiten und auch die Fähigkeit, sich zu entspannen und sich zu erholen. Schreibimpuls: Notieren Sie alle Faktoren, die zu Ihrer persönlichen Resilienz beitragen oder beitragen könnten.
Übung 8 Idee: Oftmals bleiben uns unangenehme Erlebnisse stärker in Erinnerung als angenehme. Deswegen kann es hilfreich sein, sich an angenehme Erlebnisse zu erinnern, auch wenn die belastenden Erlebnisse mitunter alles andere zu überschatten drohen. Schreibimpuls: Notieren Sie alle angenehmen Erlebnisse, an die Sie sich erinnern. Dann schreiben Sie einen Text dazu.
Übung 9 Idee: Mitunter sind die negativen Erlebnisse der Vergangenheit so mächtig, dass man sich keine Zukunft vorstellen kann, in der angenehme Erlebnisse eintreten und die belastenden zurücktreten. Schreibimpuls: Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der die Erlebnisse, die Sie aktuell belasten, keine Macht mehr haben. Beschreiben Sie einen Tag in dieser Zukunft.
Übung 10 Idee: Belastende Erlebnisse können einsam machen. Zum einen, weil man niemanden damit belasten will, und zum anderen, weil man vielleicht die Idee hat, andere könnten ohnehin nicht nachvollziehen, was man erlebt und erlitten hat. Schreibimpuls: Stellen Sie sich einen Menschen vor, mit dem Sie Ihre belastenden Erlebnisse teilen wollen und können. Wie müsste dieser Mensch sein? Versuchen Sie, ihn zu beschreiben.
Schmerzstörungen
»[...] eben weil die Dichter ihre Schmerzkerne begrifflich nicht erfassen können und sie in immer neuen Suchbewegungen erkunden. Immer größere Annäherung, bis zur Schmerzgrenze und über sie hinaus.« Urs Widmer
Schmerzen lassen sich nicht objektiv messen. Ihre Stärke beziehungsweise Intensität lässt sich nur einschätzen, etwa mittels einer sogenannten Schmerzskala. Die Auskunft, die ein schmerzgeplagter Mensch über Art und Intensität der Schmerzen gibt, ist immer eine subjektive Einschätzung, der Glauben zu schenken ist. Auf welche Art und in welcher Intensität ein Mensch Schmerzen empfindet, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Entscheidend für die Bewertung von Schmerz ist, dass ein aktueller Schmerz immer mit den bereits gemachten Schmerzerfahrungen abgeglichen wird. Das heißt, je öfter, länger und intensiver ein Mensch in seinem Leben unter Schmerzen gelitten hat, umso sensibler wird er. Obwohl Schmerzen ebenso wie andere Gefühle zunächst eine sinnvolle und schützende Funktion haben, können sie zum Problem werden, wenn sie sich verselbstständigen und lange anhalten. Während akuter Schmerz ein Warnsignal ist, hat chronischer Schmerz diese Funktion nur noch bedingt. Mitunter finden sich auch keine hinlänglichen körperlichen Hinweise darauf, was den Schmerz auslöst beziehungsweise aufrechterhält. Mediziner sprechen dann von einer Somatoformen Schmerzstörung. Etwa 30 Prozent der deutschen Bevölkerung klagen über chronische Schmerzen. Am häufigsten sind Kopf-, Rücken- und Gelenkschmerzen. Oft haben Schmerzpatienten bereits zahlreiche unterschiedliche Behandlungen hinter sich, mitunter auch mit unterschiedlichen Diagnosen. Zuweilen kann auch keine organische Ursache gefunden werden, die das erlebte Ausmaß und die Häufigkeit der
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Schmerzen erklären könnte. Im Lauf der Zeit bestimmt der Schmerz zunehmend das Leben der Betroffenen. Oft entstehen berufliche Probleme und es kommt zu innerfamiliären Konflikten. Manchmal kann sich aufgrund der anhaltenden Schmerzen auch eine depressive Verstimmung einstellen. Schmerzstörungen sind nie isoliert als rein körperliche Erkrankung zu verstehen. Meist besteht eine belastende Lebenssituation, in der ein Zusammenwirken von körperlichen, seelischen sowie aktuellen und zurückliegenden Faktoren zu berücksichtigen ist. Manchmal können wir seelischen Schmerz geradezu körperlich spüren und wir alle kennen das Phänomen, dass wir weniger Schmerzen empfinden, wenn wir uns gut fühlen oder abgelenkt sind. Menschen mit Schmerzerkrankung sind häufig stress- und schmerzempfindlicher als andere und es kommt bei ihnen zur Verknüpfung von Schmerz und negativen Gefühlen. Ziel einer Behandlung ist es unter anderem, die Schmerzwahrnehmung zu verändern und zu lernen, zwischen Schmerzen und Gefühlen zu unterscheiden. Wichtig ist es, andere Ausdrucksformen für Gefühle zu finden als den Schmerz. Auch die Betrachtung zwischenmenschlicher Beziehungen spielt eine wichtige Rolle. Weitere wichtige Themen sind Erwartungen, die man an sich und andere stellt, Bedürfnisse und Wünsche und das Thema Selbstfürsorge. Mitunter können im Verlauf der Therapie auch zurückliegende und noch immer belastende Ereignisse, Kränkungen und Verluste angesprochen werden, wodurch es zur Entlastung und Schmerzreduktion kommt.
Übungsreihe Schmerzstörungen Übung 1 Idee: Schmerz ist nichts, was von uns als Person getrennt wäre. Und doch erleben wir ihn oft als Feind, als etwas, das außerhalb von uns ist, mit dem wir nichts zu tun haben, das wir loswerden wollen. Allerdings hat Schmerz seine Funktion und Bedeutung und da wir das Phänomen kennen, dass etwas, das wir ignorieren wollen, sich umso deutlicher bemerkbar macht, kann es hilfreich sein, sich dem Schmerz bewusst
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zuzuwenden. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass man sich von Schmerzen zuweilen ablenken darf. Zuwendung und Ablenkung sind jeweils zu ihrer Zeit angebracht und sinnvoll. Schreibimpuls: Stellen Sie sich Ihren Schmerz als Person vor und geben ihm einen Namen. Wählen Sie den Namen eines Mannes oder einer Frau. Dann treten Sie mit dieser Person in einen Dialog. Unterwerfen Sie sich dabei keiner Zensur. Sie dürfen sagen, was Sie wollen, ohne Furcht, die fiktive Person zu verletzen. Auch müssen Sie keine negativen Konsequenzen fürchten. Sie dürfen so emotional werden, wie Ihnen zumute ist. Vielleicht hat auch der personifizierte Schmerz Ihnen Überraschendes mitzuteilen.
Übung 2 Idee: Die Farbe Rot wird häufig mit Schmerz assoziiert, vielleicht weil Schmerzen brennen können und das wiederum die Vorstellung von rot glühender Kohle weckt. Rot steht aber nicht nur für brennende Schmerzen, sondern zugleich für Zorn, Leidenschaft und Liebe. Schreibimpuls: Schreiben Sie eine feuerrote Geschichte und lassen Sie sich von Ihrer eigenen Erzählung dorthin tragen, wo immer die Worte Sie hinführen.
Übung 3 Idee: Wahrscheinlich gab es auch in Ihrem Leben Tage, Wochen oder sogar Monate und Jahre ohne Schmerzen. Und wenn es sich auch nur um Augenblicke handelt, die vielleicht schon länger zurückliegen, so kennen auch Sie schmerzfreie Zeiten. Schreibimpuls: Erinnern Sie sich an einen Tag Ihres Lebens, an dem Sie keine Schmerzen hatten, und beschreiben Sie diesen Tag so konkret wie möglich. Was haben Sie gemacht? Wie haben Sie sich gefühlt?
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Schmerzstörungen
Übung 4 Idee: Schmerzen sind in der Regel unerwünscht. Kein Mensch würde Schmerzen freundlich zu sich einladen. Doch genau das möchte ich Ihnen vorschlagen. Denn obwohl Schmerzen oftmals Feindbildcharakter haben, sind sie in uns und nicht von uns getrennt, weswegen es keinen Sinn hat, sie zu bekämpfen. Und wenn wir Schmerz schon nicht loswerden oder vermeiden können, kann es hilfreich sein, es mit einer anderen Strategie zu versuchen. Schreibimpuls 1: Sie haben beschlossen, Ihren Schmerz als Gast zu empfangen. Entwerfen Sie eine Einladung. Schreibimpuls 2: Überlegen Sie, was Sie mit Ihrem Gast machen wollen, und beschreiben Sie Ihre Vorbereitungen. Schreibimpuls 3: Ihr Gast ist angekommen. Beschreiben Sie, wie das Treffen verläuft, angefangen von seiner Ankunft bis zu seinem Abschied. Was unternehmen Sie? Über was unterhalten Sie sich?
Übung 5 Idee: Körperliche und seelische Schmerzen sind eng miteinander verknüpft und mitunter manifestiert sich seelischer Schmerz auch am Körper oder kann körperlichen Schmerz verstärken. Schreibimpuls: Welches war die emotional schmerzhafteste Erfahrung in Ihrem Leben? Schreiben Sie so konkret wie möglich. Hören Sie auf zu schreiben, wenn Sie merken, dass es Sie zu sehr belastet oder Ihre Schmerzen verstärkt, und setzen Sie das Schreiben möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt fort.
Übung 6 Idee: Manchmal können Schmerzen, so unangenehm sie sind, auch mit angenehmen Begleiterscheinungen einhergehen, wie etwa der Aufmerksamkeit anderer oder damit, dass man lästige Aufgaben aufgrund
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des Schmerzes abgenommen bekommt. Diese positiven Aspekte sind nicht verwerflich, sondern oftmals nur der nötige Ausgleich für die sonst unerträglichen Schmerzen. Es kann hilfreich sein, sich klarzumachen, was die Schmerzen in ihrem ganzen Umfang für das eigene Leben bedeuten. Schreibimpuls: Versuchen Sie so aufrichtig wie möglich zu schreiben, ob der Schmerz auch etwas Positives für Sie bereithält. Es geht dabei nicht darum, vor irgendjemandem Rechenschaft abzulegen, sondern einzig darum, dass Sie selbst lernen, sich besser zu verstehen. Der Text ist Ihr Text und Sie müssen ihn niemandem zeigen.
Übung 7 Idee: Der Körper verfügt über eine Art Schmerzgedächtnis und wie ein Mensch Schmerzen erfährt, hängt viel damit zusammen, welche Schmerzen er bereits hatte und wie er damit umgegangen ist oder wie seine Eltern oder Freunde damit umgegangen sind. Schreibimpuls: Was ist der erste körperliche Schmerz in Ihrem Leben, an den Sie sich erinnern? Wie kam es zu diesem Schmerz und wie sind Sie und andere damit umgegangen?
Übung 8 Idee: Menschen mit dauernden Schmerzen haben mitunter keine positive Beziehung mehr zu ihrem Körper. Die Vorstellung vom Körper ist mit Schmerzen verbunden und folglich ist der Körper tendenziell negativ besetzt. Schreibimpuls: Was lässt sich Positives über Ihren Körper sagen? Notieren Sie auch Dinge, die Ihnen vermeintlich banal oder selbstverständlich vorkommen.
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Schmerzstörungen
Übung 9 Idee: Enttäuschungen spielen im Leben von Menschen mit Schmerzstörungen eine große Rolle, nicht zuletzt die Enttäuschung über den eigenen Körper, der nicht so problemlos »mitspielt«, wie man sich das wünscht. Schreibimpuls: Was fällt Ihnen zum Thema Enttäuschung ein?
Übung 10 Idee: Schmerzstörungen sind sehr individuell und nicht immer ist die Freiheit von Schmerzen das primäre Ziel. Manchen Menschen wäre unter Umständen mit anderen Dingen sehr geholfen. Schreibimpuls: Was, abgesehen von Schmerzfreiheit, könnte zur Verbesserung Ihrer Lebensqualität beitragen?
Suchterkrankungen
»Ich muss schreiben. Es ist eine Lebensart, eine Ausdruckssüchtigkeit.« Martin Walser
Sucht ist ein weites Thema, auch wenn sich das natürlich für alle Krankheitsbilder sagen lässt. Aber so komplex und unterschiedlich Suchterkrankungen auf den ersten Blick erscheinen, so viele gemeinsame Merkmale kann man bei näherer Betrachtung ausmachen. Prinzipiell kann jede Substanz abhängig machen. Klassische Suchtmittel sind Alkohol, Opiate, Cannabinoide, Beruhigungs- und Schlafmittel, Kokain, Halluzinogene sowie andere Stimulanzien und Tabak. Aber auch Verhaltensweisen können den Charakter einer Abhängigkeit aufweisen, wie etwa die Spiel- und Arbeitssucht oder die Sex- und Internetsucht. Die Abhängigkeit von einem Stoff oder einem Verhalten wird genaugenommen durch eine Fehlsteuerung des Belohnungssystems im Gehirn hervorgerufen. Dinge, die wir als positiv wahrnehmen, führen dazu, dass im Gehirn vermehrt Hormone wie beispielsweise Dopamin ausgeschüttet werden, die uns Glück oder Euphorie empfinden lassen. Suchtstoffe können ebenfalls zu dieser Hormonausschüttung führen. Und gerade Stoffe mit Suchtpotenz wie Alkohol, Zigaretten oder Drogen lösen einen sehr starken Reiz aus, gegen den andere positive Reize gewissermaßen verblassen. Wird das, was uns glücklich macht, regelmäßig konsumiert, gewöhnt sich der Körper an den dadurch erhöhten Hormonspiegel. Als Folge davon verschiebt sich das hormonelle Gleichgewicht im Gehirn und der Drang, das Suchtmittel zu konsumieren, nimmt zu, weil bei Suchtmitteln keine Sättigung eintritt, so dass das körpereigene Belohnungssystem immer mehr von der Substanz verlangt. Eine weitere Veränderung im Gehirn stellt die sogenannte Toleranzentwicklung dar. Alkohol beispielsweise verändert mit seiner
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Suchterkrankungen
beruhigenden Wirkung das Verhältnis zwischen dämpfenden und aktivierenden Botenstoffen im Gehirn. Da dieses eine optimale Balance anstrebt, erfolgt eine aktivierende Gegenregulation, sofern häufig Alkohol konsumiert wird, so dass die ursprünglich beruhigende Wirkung des Alkohols abgemildert wird und folglich mehr davon konsumiert werden muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Durch die Toleranzentwicklung kommt es zur Steigerung der Dosis, zumal das Gehirn die Eigenproduktion von dämpfenden Botenstoffen reduziert hat. Bei plötzlicher Abstinenz überwiegen die erregenden Mechanismen und es kommt zu den bekannten Entzugserscheinungen wie Zittern und Schwitzen und im Extremfall zu Krampfanfällen bis hin zum Delirium. Nach Absetzen eines Suchtsmittels muss das Gehirn erst wieder lernen, selbst ausreichend dämpfende Botenstoffe bereitzustellen, was erst nach einigen Wochen geschieht. Jeder Mensch kann von einer Substanz abhängig werden. Wie hoch das Suchtrisiko eines Menschen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Jeder Mensch empfindet die Wirkung eines Suchtstoffes anders und jeder Körper reagiert unterschiedlich darauf. Je angenehmer die Wirkung eines Suchtstoffes und je besser die körperlichen Folgen vertragen werden, umso höher ist die Gefahr des Missbrauchs. Eine weitere Rolle spielen Lebensereignisse und die Ursprungsfamilie. So haben beispielsweise Kinder von Alkoholikern ein höheres Risiko, ebenfalls alkoholabhängig zu werden, als Kinder von NichtAlkoholikern. Dabei spielen sowohl genetische Faktoren als auch die falsche Vorbildfunktion der Eltern eine Rolle, wobei Letzteres wahrscheinlich den größeren Einfluss hat. Die Grenze zwischen regelmäßigem Konsum bestimmter Substanzen und deren Missbrauch ist fließend. Man unterscheidet zwischen Risikokonsum, schädlichem Konsum und Missbrauch beziehungsweise Abhängigkeit. Von einer Abhängigkeit spricht man, wenn ein starker Drang zum Konsum des Suchtmittels besteht, es zu einem Kontrollverlust über den Konsum kommt, beim Verzicht auf die Substanz körperliche und psychische Entzugssymptome auftreten, es zu einer Toleranzentwicklung kommt, andere Interessen abnehmen und der Konsum fortgesetzt wird, obwohl bekannt ist, dass dies zu negativen körperlichen, psychischen und soziale Konsequenzen führt.
Suchterkrankungen
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Für Außenstehende ist eine Sucht nicht immer leicht zu erkennen, da Betroffene dazu neigen, sie zu verheimlichen, zu bagatellisieren oder zu verleugnen. Betroffene verändern sich häufig in ihrer Persönlichkeit, unterliegen starken Stimmungsschwankungen, sind weniger zugänglich und fallen durch zunehmendes Desinteresse oder nachlassende Leistung und Unkonzentriertheit auf. Die Folgen einer Sucht reichen von psychischen Problemen und körperlichen Schädigungen bis hin zum vorzeitigen Tod. Weitere Folgen sind meist der gesellschaftliche und berufliche Abstieg, Arbeitslosigkeit, Partnerschaftskonflikte, Rückzug aus dem Freundeskreis und erhebliche finanzielle Probleme. Für die meisten Betroffenen ist die absolute Enthaltsamkeit das Ziel der Behandlung, nur wenige kommen mit einem kontrollierten Gebrauch zurecht. Ein reduzierter Konsum kann allerdings ein erstes wichtiges Teilziel sein. Es gilt, die Persönlichkeit Betroffener zu stabilisieren und das meist verminderte Selbstbewusstsein wieder zu stärken. Ebenso wichtig ist das Erlernen von Strategien zur Bewältigung des Alltags und zum Wiedereinstieg in den Beruf. Zudem gilt es, alternative Mechanismen bei Problemen und Konflikten zu erlernen, damit es in Stresssituationen und schlechten Zeiten nicht wieder zum Griff zur Droge kommt. Allen Suchterkrankungen gemeinsam ist, dass sie viel Zeit und Raum im Leben eines Menschen einnehmen und sich früher oder später alles im Leben eines Menschen mit einer Suchterkrankung um die Substanz dreht, was auch erklärt, warum das Weglassen der Droge immer unmöglicher wird. Betroffene haben das Gefühl, dass ihr Leben ohne die Droge leer und sinnlos ist. Und da sich am Ende alles nur noch um die Substanz, deren Beschaffung und Konsum dreht, ist es tatsächlich so, dass beim Weglassen der Substanz zunächst eine große Leerstelle entsteht, die mit neuem Leben und Sinn gefüllt werden muss.
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Suchterkrankungen
Übungsreihe Suchterkrankungen Übung 1 Idee: Da die Sucht in der Regel zunehmend Raum und Zeit einnimmt und anderes verdrängt, ist es mitunter schwer, sich ein Leben ohne Sucht vorzustellen. Doch so lange man keine Idee hat, wie ein Leben ohne Sucht aussehen könnte, wird es schwer, die Sucht, die ja das aktuelle Leben repräsentiert, loszulassen. Schreibimpuls: Sie wachen am Morgen auf und haben keine Sucht mehr. Über Nacht ist ein Wunder geschehen und die Sucht ist verschwunden. Wie sieht der erste Tag Ihres Lebens ohne Sucht aus? Beschreiben Sie möglichst konkret, was Sie am ersten Tag Ihres Lebens ohne Sucht machen.
Übung 2 Idee: Loslassen, was man lange festgehalten hat, und verändern, was man lange auf vertraute Weise gemacht hat, ist das Schwierigste, was es gibt. Es braucht ein starkes Argument und einen kräftigen Impuls, um etwas aufzugeben und eine Verhaltensänderung zu erwirken. Es braucht etwas, wofür es sich lohnt, auf die Sucht zu verzichten. Schreibimpuls: Was könnte für Sie ein guter Grund sein, mit der Sucht aufzuhören? Egal, ob es realistisch ist oder nicht, stellen Sie sich vor, was Ihnen so viel wert wäre, dass Sie dafür die Sucht lassen würden. Notieren Sie auch Ideen, die vielleicht in der Realität nicht möglich sind, wie etwa ein Kind, wenn Sie gegebenenfalls keine bekommen können, oder ein Projekt, für das Sie Geld benötigen, obwohl Sie keines haben. Spielen Sie in der Phantasie alles durch, was Ihnen wert- und sinnvoll erscheint.
Übung 3 Idee: Süchtiges Verhalten geht oft mit Scham einher und wird verheimlicht. Das führt wiederum dazu, dass Beziehungen und Partnerschaften leiden, weil das Verheimlichen häufig mit Lügen einhergeht.
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Schreibimpuls: Was bedeutet Scham im Allgemeinen? Was bedeutet Scham für Sie ganz persönlich, sowohl in Ihrer aktuellen Situation als auch in Ihrer Vergangenheit? Schreiben Sie alles auf, was Ihnen dazu einfällt.
Übung 4 Idee: Süchtiges Verhalten wird oft verheimlicht. Das führt dazu, dass Beziehungen und Partnerschaften leiden, weil das Verheimlichen mit Lügen einhergeht. Das Lügen allerdings geschieht aus Gründen des Selbstschutzes und nicht, um den Partner zu verletzen, was allerdings häufig dennoch geschieht. Schreibimpuls: Schreiben Sie Ihrem Partner oder einem Menschen, der Ihnen wichtig ist, einen Brief, in dem Sie ihm von Ihrer Sucht erzählen und wie es Ihnen geht. Denken Sie daran, so offen und ehrlich wie möglich zu schreiben. Sie müssen den Brief nicht absenden, wenn Sie nach dem Schreiben das Gefühl haben, es würde Sie zu verletzlich machen.
Übung 5 Idee: Oftmals finden sich in der Lebensgeschichte von Menschen mit Suchtproblemen belastende Erlebnisse, mit denen sie nicht oder nur schwer fertig werden konnten. Diese wirken dann ein Leben lang fort und nehmen Einfluss auf den späteren Umgang mit belastenden Erlebnissen. Schreibimpuls: Notieren Sie belastende Erlebnisse aus Ihrer Lebensgeschichte. Wenn Sie mögen, können Sie bei denen, die Ihnen besonders bedeutsam erscheinen, verweilen und diese ausführlicher beschreiben.
Übung 6 Idee: Suchterkrankungen belasten oftmals Angehörige, Partner und freundschaftliche Beziehungen. Versprechen werden gegeben und gebrochen, Phasen der Reue und Scham wechseln sich ab mit Phasen
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Suchterkrankungen
der Resignation und Hingabe an die Sucht. Oftmals wiederholen sich dabei die Dialoge und die Gesprächsparteien drehen sich im Kreis. Schreibimpuls: Beschreiben Sie einen typischen Dialog mit einer Ihnen wichtigen Person. Versuchen Sie, so konkret und detailliert wie möglich zu schreiben. Lesen Sie sich den Dialog anschließend durch und notieren Sie, was Ihnen dazu einfällt.
Übung 7 Idee: Viele Menschen mit Suchterkrankungen kommen aus schwierigen familiären Konstellationen. Mitunter mussten sie innerhalb der Familie Positionen einnehmen und Aufgaben übernehmen, die sie überfordert haben. Zuweilen spielen auch verbale oder körperliche Gewalt und damit einhergehende Angst eine Rolle. Auch können wiederholte Kränkungen vorgekommen sein. Schreibimpuls: Beschreiben Sie Ihre Herkunftsfamilie und Ihre Position in dieser Familie. Wie ging es Ihnen in Ihrer Familie? Haben Sie aktuell noch Kontakt zu Mitgliedern Ihrer Familie?
Übung 8 Idee: Bei Suchterkrankungen bleibt einiges innerhalb von Beziehungen ungesagt. Miteinander zu reden ist zuweilen nicht einfach, weil das Gespräch oftmals in alte Muster treibt. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Brief, den Sie mit folgendem Halbsatz beginnen: »Was ich dir schon immer sagen wollte …«
Übung 9 Idee: Menschen mit Suchterkrankungen haben meist schon viele Anläufe genommen und viel versucht, um die Sucht aufzugeben. Häufig sind sie deswegen rat- und hoffnungslos und warten auf Hilfe von außen. Doch der Impuls von innen heraus kann bereits ein wichtiger Schritt bei der Heilung sein.
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Schreibimpuls: Was könnte Sie beim Aufgeben Ihrer Sucht unterstützen? Wer könnte Sie unterstützen und wie? Schreiben Sie so konkret wie möglich.
Übung 10 Idee: Menschen mit Suchterkrankungen erfahren in unserer Gesellschaft häufig Ausgrenzung. Sie werden stigmatisiert und ihre Sucht wird oftmals als Schwäche angesehen. Um diesem Bild entgegenzutreten, wird in den neueren medizinischen Diagnosesystemen explizit von einer Suchterkrankung gesprochen. Schreibimpuls: Beginnen Sie einen Text mit dem folgenden Halbsatz: »Ich bin krank, weil …«
Trauerreaktionen
»Dieses Schreiben führte zur Erleichterung von schwierigen Lebenssituationen. Aber nur zur Erleichterung. Die Schwere der Melancholie wurde nicht von der Brust gehoben.« Marlene Streeruwitz
Jedes Gefühl hat einen Sinn. Zum einen ist es evolutionär bedingt und sichert unser Überleben, zum anderen hat es einen je spezifischen Sinn für uns in einer bestimmten Lebenssituation. Bei der Trauer ist der evolutionäre Sinn, dass wir Abschied von jemandem oder etwas nehmen, der oder das uns wichtig war. Da Menschen nur gemeinsam überleben können, ist es nötig, dass wir überhaupt in der Lage sind, Gefühle für andere zu entwickeln und soziale Bindungen einzugehen, welche unser Überleben sichern. Um aber neue Bindungen einzugehen, müssen wir uns von alten und vergangenen verabschieden und daher trauern. Irgendwann in seinem Leben trauert jeder Mensch, bewusst oder unbewusst. Auslöser sind Abschiedserlebnisse, die uns mit dem Tod eines nahestehenden Menschen konfrontieren. Aber genauso können Gefühle von Trauer beim Verlust von Gesundheit, Heimat, Jugend und Lebenszielen sowie beim Scheitern von Partnerschaften auftreten. Die Äußerungsweisen von Trauer sind in den meisten Kulturen ähnlich und auch bei höheren Säugetieren treten bei Verlusten und nach Trennungen Verhaltens- und Ausdrucksweisen auf, die den menschlichen vergleichbar sind. Zugleich ist Trauer individuell, wobei die Individualität des Trauerprozesses auf der Flexibilität menschlichen Verhaltens beruht, die unter anderem dazu führt, dass das Bindungsverhalten, das zugleich das Ablösungsverhalten bedingt, bereits in der frühen Kindheit aufgrund der Umweltbedingungen und Verhaltensstile der Eltern geprägt wird. Trauer ist also ein höchst
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individuelles und zugleich ein zutiefst existenzielles Phänomen, das alle Lebensbereiche betrifft und eine Neuorientierung voraussetzt, die als aktiver Prozess verstanden werden kann. Während klassische Konzepte der Trauerbewältigung davon ausgehen, dass der Trauerprozess in vorhersagbaren Stadien abläuft und eine Behandlung darauf hinwirken sollte, die Bindung zu den Verstorbenen in den Hintergrund treten zu lassen, verstehen neuere Konzepte Trauer als einen Prozess, der eine Adaptation an neue Lebensbedingungen ebenso umfasst wie ein Gedenken an den Verstorbenen. Und weil der Mensch ein leibliches Wesen ist, das in einer materiellen Welt handelnd agiert, und Sprache als Handlung verstanden werden kann, ist es vorstellbar, dass die Verbalisierung eines traumatischen Geschehens einen aktiven Beitrag zur Neuorientierung und Verortung eines vorübergehend in eine Sinnkrise geratenen Menschen leisten kann. Die Methode der Biographieberatung hat sich im Rahmen der Trauerbewältigung als sehr hilfreich erwiesen. Die eigene Lebensgeschichte mit Abschieden und Neuanfängen zu Papier zu bringen und sich damit auseinanderzusetzen, kann als ein Weg zur inneren Besinnung verstanden werden. Das Aufschreiben kann helfen, der Trauer eine Form zu geben, um diese bewusst, transparent und fassbar zu machen.
Übungsreihe Trauerreaktionen Übung 1 Idee: Jeder Mensch wird von Zeit zu Zeit mit einem Verlust konfrontiert und empfindet sich als einsam, unabhängig davon, ob er tatsächlich alleine ist oder nicht. Bei einem aktuellen Verlust geht es nicht immer unbedingt nur um diesen speziellen Verlust, sondern oftmals um das Thema Verlust als solches und um das damit zusammenhängende Gefühl der Einsamkeit, das einem aus verschiedenen Situationen bereits bekannt zu sein erscheint. Schreibimpuls: Was fällt Ihnen zum Thema Verlust und Einsamkeit ein?
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Übung 2 Idee: Wie beschrieben, gehen neuere Trauerkonzepte davon aus, dass es wenig hilfreich ist, Gedanken an geliebte und verstorbene Menschen gänzlich zu vermeiden. Vielmehr kann es hilfreich sein, sich verschiedene Momente mit diesem Menschen zu vergegenwärtigen. Schreibimpuls: Beschreiben Sie einen Augenblick, in dem Sie sich mit dem verstorbenen Menschen wohl gefühlt haben. Was genau haben Sie gemacht? Wie ging es Ihnen dabei? Und was war das Besondere an der Situation? Beschreiben Sie alles so konkret und detailliert wie möglich, sofern Sie sich erinnern.
Übung 3 Idee: Auch diese Übung dient dazu, sich den Verstorbenen beziehungsweise die Verstorbene zu vergegenwärtigen, um in Ruhe Abschied nehmen zu können. Dies kann insbesondere dann hilfreich sein, wenn beispielsweise die Angst aufkommt, man könnte die verstorbene Person vergessen oder sich allmählich nicht mehr genau an ihre Gesichtszüge und bestimmte Eigenschaften und Liebenswürdigkeiten erinnern. Schreibimpuls: Beschreiben Sie die Person, die Sie verloren haben. Was hat den Verstorbenen oder die Verstorbene ausgezeichnet? Gibt es etwas, das Sie an diesem Menschen besonders geschätzt haben? Vielleicht auch etwas, das Sie gestört hat?
Übung 4 Idee: Oftmals kreisen die Gedanken bei einem Trauerfall wild im Kopf herum. Hier kann es sinnvoll sein, sich zu konzentrieren und den Gedanken eine klare Form und Struktur zu geben. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Nachruf auf eine verstorbene Person oder eine verlorene Sache. Stellen Sie sich vor, der Nachruf würde in einer Zeitung abgedruckt und Sie müssten die Essenz der Person oder Sache darstellen.
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Übung 5 Idee: Zuweilen kann es sein, dass man mit dem Menschen, den man verloren hat, oder auch mit einer Sache nicht richtig abschließen kann, weil der Verlust unerwartet oder plötzlich eingetreten ist. Einiges blieb vielleicht ungesagt und ungetan. Man hat das Gefühl, dies nicht nachholen und deshalb mit der Beziehung nicht abschließen zu können. Und obwohl manches in der Tat nicht mehr in direktem Kontakt oder vor Ort nachgeholt und abgeschlossen werden kann, kann es doch in der Phantasie eine Art Abschluss geben. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Brief an eine verstorbene Person oder eine verlorene Sache. Verwenden Sie dabei die Anrede »Du«, auch wenn es sich um eine Sache handelt. Schreiben Sie unzensiert und ohne den Gedanken, bestimmte Gefühle oder Aussagen anderen nicht zumuten zu können.
Übung 6 Idee: Manchmal fühlen sich Menschen am Tod eines anderen schuldig, ohne es zu sein. Allein die Tatsache, dass man selbst am Leben ist, während ein anderer nicht mehr lebt, kann Schuldgefühle auslösen. Schreibimpuls: Was fällt Ihnen zum Thema Schuld ein?
Übung 7 Idee: Egal, wie verzweifelt eine Lage ist, immer gibt es auch so etwas wie Hoffnung und Sehnsucht. Schreibimpuls: Was fällt Ihnen zum Thema Hoffnung und Sehnsucht ein?
Übung 8 Idee: Ein Verlust ist häufig ein so einschneidendes Erlebnis, dass wir es nicht in unser Leben integrieren können. Unser Lebensfaden scheint möglicherweise zerrissen. Hier kann es hilfreich sein, sich diesem
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Lebensfaden wieder anzunähern, ihn trotz des Verlustes wieder aufzunehmen. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Text, wie Ihr Leben vor dem Verlust war. Dann schreiben Sie einen Text über Ihre aktuelle Lebenssituation und schließlich einen dritten Text darüber, wie Sie sich Ihr zukünftiges Leben vorstellen. Sehen Sie sich alle drei Texte an und versuchen Sie, einen roten Faden zu finden.
Übung 9 Idee: Wenn wir einen für uns wichtigen Menschen verlieren, sind wir oftmals so in unserer Trauer gefangen, dass wir vergessen, dass es in unserem Leben auch andere Menschen gibt oder geben könnte, die uns wichtig sind. Schreibimpuls: Schreiben Sie über die Menschen, die Ihnen aktuell im Leben wichtig sind.
Übung 10 Idee: Fotos wirken wie Türen zu unserer Erinnerung. Manchmal brauchen wir sie, um uns Menschen und Ereignisse zu vergegenwärtigen. Schreibimpuls: Nehmen Sie ein Bild der verstorbenen Person, betrachten Sie es eine Weile und schreiben Sie ungefiltert alles, was Ihnen in den Sinn kommt, ungeachtet der Form des Schreibens.
Tipps für das Schreiben in Gruppen
»Buchstaben haben […] die Fähigkeit, Menschen zu solidarisieren.« Peter Bichsel
Gerade im stationären Bereich finden oftmals Gruppentherapien statt. Allerdings finden sich zuweilen auch Gruppen im ambulanten Bereich zusammen und hier sind nicht nur Gruppen gemeint, die explizit therapeutisches Schreiben praktizieren, sondern auch solche, bei denen das kreative Schreibmoment im Vordergrund steht. Selbstverständlich lassen sich in Gruppen alle Einzelübungen durchführen, doch um den Austausch untereinander zu intensivieren, kann es hilfreich sein, von Zeit zu Zeit Übungen durchzuführen, die die Gruppenmitglieder auf unterschiedliche Weise miteinander in Kontakt bringen. Erfahrungsgemäß haben die Gruppenübungen auch auflockernden Charakter, so dass sie sich ebenfalls gut eignen, wenn zuvor eine eher intensive und möglicherweise belastende Einzelübung stattgefunden hat. Für einige Gruppenübungen benötigen Sie einfache Holzwürfel und Klebeetiketten, die sich leicht wieder vom Holz ablösen lassen. Beides ist in Bastelgeschäften erhältlich oder übers Internet bestellbar. Die Gruppenübungen lassen sich beliebig kombinieren und erweitern, für einige der Übungen sind Kombinationen vorgeschlagen.
Gruppenübungen Übung 1 Idee: In dieser Übung erhalten Sie von Ihrem Nachbarn ein magisches Geschenk. Obwohl das Geschenk bereits einige Eigenschaften besitzt, die sich dem kreativen Einfallsreichtum Ihres Nachbarn verdanken,
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müssen Sie Ihre eigene Kreativität und Phantasie einsetzen, um die Eigenschaften zu nutzen. Sie haben ein Geschenk bekommen, das Ihnen Möglichkeiten eröffnet, und zugleich haben Sie gewisse Vorgaben erhalten, die Sie kreativ einsetzen müssen, was etwas anderes als die Freiheit ist, die magischen Eigenschaften des Gegenstandes selbst zu bestimmen. In gewisser Weise sind Sie damit nicht mehr allein in der von Ihnen in dieser Übung erdachten und beschriebenen Notsituation, sondern mit der Person verbunden, von der Sie den Gegenstand erhalten haben, wie Sie auch mit der Person verbunden sind, der Sie Ihren magischen Gegenstand geschenkt haben. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Gegenstand auf Ihren Zettel. Das kann ein alltäglicher oder ein spezieller Gegenstand sein. Was Ihnen gerade einfällt. Dieser wird nun zu einem magischen Gegenstand. Notieren Sie, warum der Gegenstand magisch ist und welche Eigenschaften er besitzt. Reichen Sie den Zettel Ihrem linken Nachbarn und nehmen Sie den Zettel mit dem als magisch beschriebenen Gegenstand von Ihrem rechten Nachbarn entgegen. Nun stellen Sie sich Folgendes vor: Sie befinden sich in diesem Moment, in dem Ihnen der magische Gegenstand geschenkt wird, in einer Notsituation. Beschreiben Sie die Notsituation und wie der magische Gegenstand Sie daraus befreit.
Übung 2 Idee: Wenn Kinder sich einsam fühlen, kommen sie mitunter auf die Idee, sich einen fiktiven Begleiter auszudenken, der zuweilen so real ist, dass für ihn am Tisch ein eigenes Gedeck aufgelegt werden muss. Als Erwachsene greifen wir eher selten auf solche kreativen Lösungen zurück, obwohl sie vielleicht hilfreich sein könnten. Während Kinder sich ihre Begleiter selbst wählen, bekommen Sie in dieser Übung einen Begleiter von Ihrem rechten Nachbarn geschenkt und schenken selbst einen Begleiter an Ihren linken Nachbarn. Auch hier werden die Zettel wie in der Übung 1 nach links gereicht, so dass es zu keinem direkten Austausch der Zettel und Begleiter kommt und Sie mit zwei Personen statt nur mit einer verbunden sind.
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Schreibimpuls: Notieren Sie auf Ihrem Zettel den Namen einer Figur. Notieren Sie zudem alles, was diese Figur charakterisiert. Beschreiben Sie, wie die Figur ihren Tag verbringt, was sie denkt, fühlt und macht. Dann schenken Sie Ihre Figur Ihrem linken Nachbarn als Begleiter. Da Sie von Ihrem rechten Nachbarn ebenfalls einen Begleiter erhalten, schreiben Sie als Nächstes eine Geschichte darüber, was Sie mit Ihrem neuen Begleiter erleben.
Übung 3 Idee: Um den Austausch zwischen den Gruppenteilnehmern zu intensivieren, kann man Übung 1 mit Übung 2 kombinieren, indem man dem Nachbarn, von dem man den magischen Gegenstand bekommen hat, nun eine Figur zurückschenkt. Auf diese Weise bekommt jeder die Möglichkeit, Einfluss auf die Geschichte zu nehmen, deren Ausgangspunkt der eigene magische Gegenstand gewesen ist, den man im ersten Durchlauf dieser Übung an den linken Nachbarn verschenkt hat. Schreibimpuls: Schreiben Sie einen Gegenstand auf Ihren Zettel. Das kann ein alltäglicher oder ein spezieller Gegenstand sein. Was Ihnen als Erstes einfällt. Dieser Gegenstand wird nun zu einem magischen Gegenstand. Notieren Sie, warum der Gegenstand magisch ist und welche Eigenschaften er besitzt. Reichen Sie den Zettel Ihrem linken Nachbarn und nehmen Sie von Ihrem rechten Nachbarn dessen Zettel entgegen. Nun stellen Sie sich vor, dass Sie sich in dem Moment, in dem Ihnen der magische Gegenstand geschenkt wird, in einer Notsituation befinden. Beschreiben Sie die Notsituation und wie der magische Gegenstand Sie daraus befreien kann. Wenn Sie damit fertig sind, lassen Sie etwa eine halbe Seite Platz und notieren den Namen einer Figur. Notieren Sie alles, was diese Figur charakterisiert. Wie sie ihren Tag verbringt, was sie denkt, fühlt und macht. Nun schenken Sie Ihre Figur dem Nachbarn, von dem Sie Ihren magischen Gegenstand geschenkt bekommen haben. Von Ihrem linken Nachbarn erhalten Sie die Geschichte zurück, deren Ausgangspunkt Ihr magischer Gegenstand war, erweitert um die von Ihrem Nachbarn beschriebene Figur. Ihre Aufgabe besteht nun darin, die Geschichte fortzuschreiben und die
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von Ihrem Nachbarn beschriebene Figur in den Verlauf der Geschichte zu integrieren.
Übung 4 Idee: Manchmal ist es leichter, mit bestimmten Vorgaben zu starten, als sich von Grund auf alles auszudenken. Und Zwangslagen können die Kreativität befeuern. In diesem Fall besteht die Zwangslage darin, dass zwei Personen zusammengebracht und an zwei vorgegebene Orte geführt werden müssen. Schreibimpuls: Zwei oder drei Teilnehmer bilden eine Kleingruppe und erhalten zwei Blankowürfel und Klebeetiketten. Bei zwei Teilnehmern denkt sich jeder drei Namen und drei Orte aus, bei drei Teilnehmern zwei Namen und zwei Orte. Die Würfel werden so beklebt, dass ein Orte- und ein Namenswürfel entstehen. Jeder Teilnehmer würfelt mit beiden Würfeln zweimal und schreibt dann mit den auf diese Weise gewürfelten Personen eine Geschichte, die an den beiden Orten spielt, die er gewürfelt hat.
Übung 5 Idee: Starke Emotionen machen zuweilen einsam, weil Betroffene das Gefühl haben, nur sie allein leiden unter diesen starken Gefühlen. Deswegen kann es hilfreich sein, seine starken Gefühle auszutauschen. Mitunter kann es bei dieser Übung auch vorkommen, dass alle Teilnehmer das gleiche Gefühl notiert haben oder es nur zwei in der Gruppe an diesem Tag vorherrschende Gefühle gibt. In jedem Fall kommt man durch die gemeinsame Schreibübung in einen intensiven Austausch über die Gefühlslage der einzelnen Teilnehmer. Schreibimpuls: Jeder Teilnehmer schreibt die erste Emotion, die ihm an diesem Tag in den Sinn kommt, auf einen kleinen Zettel, faltet diesen und legt ihn in die Tischmitte. Alle Zettel sollten vom gleichen Papier und gleich oft gefaltet sein. Die Zettel werden gemischt und jeder zieht einen Zettel. Dann schreiben alle Teilnehmer etwas zu dem Gefühl, das auf dem von ihnen gezogenen Zettel steht. Auch wenn Sie
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Ihren eigenen Zettel gezogen haben, schreiben Sie über das darauf stehende Gefühl.
Übung 6 Idee: Jeder entwirft das Zimmer eines Hauses. Dies geschieht ohne vorherige Absprache, wer welches Zimmer übernimmt. Die Herausforderung besteht dann darin, die entworfen Zimmer zu einem Haus zusammenzufügen. Sollten beispielsweise alle nur Wohnzimmer entworfen haben, muss gemeinsam geschaut werden, wie man ein Haus aus Wohnzimmern entwirft, das unter Umständen weder ein Bad noch eine Küche enthält. Hier ist dann die Kreativität der Teilnehmer gefragt. Vielleicht müssen die Hausbewohner eine Badeanstalt aufsuchen, außer Haus essen, ihre Notdurft im Garten verrichten oder Ähnliches. Schreibimpuls: Beschreiben Sie ein Zimmer in einem Haus. Schreiben Sie so konkret und detailliert wie möglich. Wie groß ist das Zimmer, in welchem Stockwerk liegt es, wie ist es eingerichtet? Nachdem jeder Teilnehmer ein Zimmer beschrieben hat, versuchen die Teilnehmer aus den Einzelzimmern ein Haus zu gestalten. Sollten bestimmte Zimmer fehlen, müssen die Teilnehmer entscheiden, wie die Hausbewohner mit diesem Mangel umgehen. Es sollten keine zusätzlichen Zimmer integriert werden, es darf nur mit den Zimmern gearbeitet werden, die in der ersten Phase der Übung entworfen wurden.
Übung 7 Idee: Unser Leben besteht vielfach aus Kompromissen. Gerade in Partnerschaften oder Beziehungen kommt es häufig vor, dass unterschiedliche Wünsche miteinander kollidieren und eine gemeinsame Lösung gefunden werden muss. Schreibimpuls: Jeder Teilnehmer schreibt ein Wunschreiseziel auf einen Zettel. Dann tauschen zwei Teilnehmer die Zettel untereinander aus. In der Regel erhält damit jeder Teilnehmer ein Reiseziel, das er selbst nicht gewählt hat. Nun soll er schriftlich seinen Zettelpartner davon überzeugen, warum sein eigenes Reiseziel attraktiver ist als das, das
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er von diesem erhalten hat. Die beiden Zettelpartner lesen sich dann ihre Überzeugungstexte vor und geben sich wechselseitig Feedback.
Übung 8 Idee: Gerade in Gruppenkonstellationen kann es vorkommen, dass wir uns minderwertig fühlen, weil wir unter Umständen nicht genug beitragen können oder zumindest denken, nicht genug beizutragen. Schreibimpuls: Sie sind in einer Gruppe, die ein Fest organisieren soll. Sie sind eher schweigsam und haben am Ende das Gefühl, nicht viel zu dem gemeinsamen Projekt beigetragen zu haben. Schreiben Sie der Gruppe, wie es Ihnen damit geht. Im Austausch der Texte können die Gruppenteilnehmer voneinander lernen.
Übung 9 Idee: Familienmitglieder kann man sich nicht aussuchen, Arbeitskollegen kann man sich nur bedingt aussuchen und vielfach im Leben befindet man sich in Gruppenkonstellationen, die man nicht ändern kann. Dann muss man sich zu allen Angehörigen der jeweiligen Gruppe in eine bestimmte Beziehung setzen und einen Umgang mit den Menschen finden. Schreibimpuls: Stellen Sie sich vor, alle Teilnehmer der Gruppe sind Angehörige Ihrer Familie. Machen Sie ein Gruppenfoto von allen Teilnehmern und beschreiben Sie, wer in der Gruppe für welches Familienmitglied steht und in welcher Beziehung Sie zu diesem stehen.
Übung 10 Idee: Mitunter hat man das Gefühl, dass das Leben ein Theaterstück ist. Zuweilen eins, in dem die eigene Rolle nicht unbedingt klar ist. In dieser Übung können die Teilnehmer zumindest über die eigene Figur entscheiden. Welche Rolle diese dann in dem anschließend gemeinsam entworfenen Stück spielt, hängt von den getroffenen Absprachen ab.
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Schreibimpuls: Sie sind eine Figur in einem Theaterstück. Wählen Sie aus, welche Figur Sie sind, und beschreiben Sie genau den Charakter dieser Figur und deren spezifische Verhaltensweisen. Nachdem jeder Teilnehmer seine Figur vorgestellt hat, ist es die Aufgabe der Gruppe, ein Theaterstück für die vorhandenen Figuren zu entwerfen, wobei die Handlung nur grob skizziert werden muss.
Literatur
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