Satiren: Lateinisch und deutsch 9783534181230, 9783534739806, 9783534739813, 3534181239

Die Satire gilt als originale römische Schöpfung. Sie prangert Missstände und Unsitten innerhalb der Gesellschaft an, ko

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German Pages 561 Year 2015

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Impressum
Inhalt
Vorwort
C. Lucilius
Senare und Septenare ohne Buchangabe
Literaturverzeichnis
Die lex Lindsay
Karte zum Iter Siculum (B. III)
Konkordanz
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Satiren: Lateinisch und deutsch
 9783534181230, 9783534739806, 9783534739813, 3534181239

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TEXTE ZUR FORSCHUNG

Band 106

LUCILIUS SATIREN

Lateinisch und deutsch eingeleitet, übersetzt und erläutert von Johannes Christes und Giovanni Garbugino

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Computus Druck Satz & Verlag, Gutenberg Karte: Peter Palm, Berlin; neu gezeichnet nach der von Faller (2001) bearb. Karte bei Marx (II 1905,51) Einbandgestaltung: Neil McBeath, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-18123-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73980-6 eBook (epub): 978-3-534-73981-3

Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 C. Lucilius. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Lucilius, Satiren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Bücher I–XX.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Bücher XXI–XXV.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Bücher XXVI–XXIX. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Senare und Septenare ohne Buchangabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Buch XXX. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Hexameter ohne Buchangabe.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Zweifelhaftes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Die lex Lindsay.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Karte zum Iter Siculum (B. III) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Konkordanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

Vorwort In den letzten Jahren hat sich das Bild, das die Forschung sich von Lucilius machte, in einem wesentlichen Punkte gewandelt. Man stellt seine Satiren literarhistorisch nicht mehr, wie zumeist geschehen, ans Ende der archaischen oder vorklassischen Literaturepoche. Vielmehr scheint sich die bisher nur von wenigen Philologen vertretene These durchzusetzen, dass mit Lucilius eine neue Literaturepoche begann. Bei dieser Sicht wird deutlich, dass nicht erst mit Catull die Persönlichkeitsdichtung begann. Eine neue Edition der Lucilius-Fragmente kommt deshalb vielleicht nicht ungelegen. Friedrich Leo hatte Marx’ Edition und Kommentar aus den Jahren 1904 und 1905 mit hohem Lob bedacht (1906, 837): „Man darf bemerken, daß wir Lucilius erst jetzt kennen.“ Conrad Cichorius befand 1908 im Vorwort seines Buches ‚Untersuchungen zu Lucilius‘: „Philologisch dürfte die Arbeit für Lucilius durch Marx im wesentlichen getan sein.“ Marx’ Edition markiert einen Meilenstein in der Lucilius-Forschung; sie ist mit Recht der Referenztext jeder Neubearbeitung der Fragmente. Aber die nachfolgenden Editionen zeigen auch, dass Cichorius zu optimistisch war. Sie bieten eine Vielfalt neuer Konjekturen der oft desolat überlieferten Fragmente, eine Vielfalt auch neuer Deutungen und, daraus resultierend, der Rekonstruktion thematischer Zusammenhänge. Eine neue Ausgabe muss all das kritisch sichten. Sie kann dem Benutzer Lesarten und Deutungen als plausibel empfehlen, sollte aber auch Alternativen diskutieren oder wenigstens auf sie hinweisen, um ihm ein eigenes Urteil zu überlassen. Die Anordnung der Fragmente divergiert naturgemäß von Edition zu Edition erheblich. Allzu viele Fragmente sind vieldeutig, die Kontexte der Autoren, die ein Fragment bewahren, geben, abgesehen von der Angabe des Buches – und auch diese fehlt oft –, nur selten etwas her. Die aemulatio späterer Dichter kann zwar Anhaltspunkte liefern, birgt aber die Gefahr von Zirkelschlüssen. Für die Bücher XXVI–XXX sind Rückschlüsse aus der Zitierweise des Nonius Marcellus, dem wir die meisten Fragmente verdanken, etwas ergiebiger. Dies ist in einer Appendix mit dem Titel ‚Die lex Lindsay‘ ausgeführt. Mit der Chance, aus Nonius Rückschlüsse für die Rekonstruktion zu gewinnen, sind die Editoren unterschiedlich umgegangen. Die Folgerungen, die Marx aus der erkennbar schematischen Arbeitsweise des Nonius gezogen hatte, waren schon bei Erscheinen seiner Ausgabe durch Wallace M. Lindsays Untersuchung (1903) in Vielem überholt. Folgt man ihm, sind weniger Fragmente in ihrer relativen Reihenfolge festgelegt, als Marx annahm. Kurioserweise hat Nonius überdies die Bücher XXVI–XXX in umgekehrter Reihenfolge zitiert, was die Frage aufwarf, ob dann auch die Fragmente der Reihen umzukehren seien. Marx bejahte dies und drehte die Reihen um. Zwanzig Jahre später ignorierte Nicola Terzaghi (1933/1934) die Diskussion um Nonius. Doch Eric H. Warmington (1938) machte sich Lindsays These wieder zu eigen. Er entschied sich auch als erster, die Fragmentreihen aus den Büchern XXVI–XXX für die einzelnen Bücher in ihrer bei Nonius vorliegenden Reihenfolge zu belassen. Ettore Bolisani, der 1932 bereits eine italie-

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Vorwort

nische Übersetzung der Ausgabe von Marx vorgelegt hatte, verteidigte noch einmal (1939) ohne Erfolg Marx’ Sicht. Neuen Auftrieb erfuhr die Luciliusforschung durch Werner A. Krenkel. In seiner Habilitationsschrift (1963, gedruckt 1965; die zweisprachige Ausgabe von 1970 lag bereits der Einreichung 1961 als Anhang bei) versuchte er über Lindsays Ergebnisse hinauszukommen. Dabei entfernte er sich vom Kern der lex Lindsay (Christes 1972, 1206–1208) und schmälerte damit ungewollt wohl auch ihre Überzeugungskraft. François Charpin (1978) verwarf jedenfalls sämtliche Versuche, aus der Zitierweise des Nonius Rückschlüsse zu gewinnen. Seine Entscheidung führt aber auch zu deutlichen Fortschritten in Textherstellung und Deutung, da so das je einzelne Fragment im Fokus steht. Meine Überzeugung von der grundsätzlichen Richtigkeit der Lindsayschen These wird von Giovanni Garbugino geteilt (s. seine Beiträge in den Jahren 1980–1990 in den Studi Noniani). Es lag daher nahe, ihn um eine Teilnahme an dem Projekt zu bitten, als ich an seiner Fertigstellung zu zweifeln begann. Herr Garbugino hat die Bücher XXVII–XXIX sowie die ohne Buchangabe überlieferten Senare und Septenare bearbeitet. Seine Übersetzungen und Erläuterungen habe ich ins Deutsche übersetzt; um aber ein Minimum an Authentizität zu wahren, sind seine Übersetzungen der Fragmente ins Italienische den Erläuterungen vorangestellt. Wir sind uns der Schwierigkeit bewusst, zwischen Interpretation des einzelnen Fragments und Hypothesen thematischer Zusammenhänge die Balance zu halten. Doch hoffen wir erweisen zu können, dass sich die Beachtung der lex Lindsay – sicherlich keiner lex im strikten Sinne einer ausnahmslos bestehenden Gültigkeit – positiv auf Anordnung und Interpretation der Fragmente auswirkt. Hinweise: Unserer Zählung der Fragmente ist jeweils Marx’ Zählung in Klammern beigegeben. Da alle nachfolgenden Ausgaben eine Konkordanz ihrer Zählung mit der von Marx enthalten, genügt in dieser Ausgabe eine Konkordanz ‚Marx vs. Chr./Gbg.‘, um Vergleiche zwischen den Ausgaben zu ermöglichen. Nonius zitieren wir nach der Ausgabe von Lindsay, und zwar mit der Seitenund Zeilenzählung von Mercier. Dabei geben wir immer die (erste) Zeile des Lemmas an. Mit * vor der Fragmentzahl sind mit Marx die Fragmente gekennzeichnet, bei denen der Name des Autors oder die Buchzahl auf einer Konjektur beruhen. (Für Sonderzeichen bei den fragmenta incertae sedis s. die Einführung dort). Die Abkürzung der Namen antiker Autoren und Buchtitel sowie bibliographischer Angaben folgt der Vorgabe der Enzyklopädie ‚Der Neue Pauly‘ (DNP). Im Juni 2014 Johannes Christes 

Giovanni Garbugino

C. Lucilius Literatur: Marx I, XVII–LV; Cichorius 1–97; West 1928; Terzaghi 1934, 1–97; Coppola 1941; Anderson 1963 (zum Nachleben); Krenkel I 18–30; Krenkel 1972, 1240–1259; Christes 1972, 1185–1203; Charpin I 7–31; Christes 1979, 8–10. 55–61 (zum Nachleben); Raschke 1979 (zu Datierungsfragen); Christes 1986, 57–74; Lefèvre 1997, 185 f., ders.: 2001, 139 f.; Haß 2007, 9–51 (die letzten 3 Angaben zum Stichwort ‚Persönlichkeitsdichtung‘) C. Lucilius gehörte dem Ritterstand an. Das bezeugt Horaz, der von sich sagt, er stehe infra Lucili censum ingeniumque (sat. 2,1,74 f.). Auch Lucilius’ Haltung zur Tätigkeit der publicani setzt es voraus (B. XXVI, Fr. 612–618). Die gens Lucilia war in die der Hirri, Rufi und Balbi verzweigt. Die Ehefrau des S. Pompeius Faustulus († 117 v. Chr.) und damit Großmutter des Cn. Pompeius Magnus war eine Schwester des Lucilius. Die Mutter des Cn. Pompeius war ebenfalls eine Lucilia; sie war Tochter eines Manius Lucilius, Senator 129 v. Chr. (West 1928; Krenkel I 19). Lucilius erwähnt einmal einen Bruder (Fr. 427), in dem man Lucilius Hirrus, Prätor im J. 134 v. Chr. (s. Varro rust. 2,5,5), zu erkennen glaubte. Dessen Sohn wiederum, der mit einem von Varro (rust. 2,1,2) erwähnten C. Lucilius Hirrus identisch sein dürfte, hat wahrscheinlich den Besitz des anscheinend unverheiratet und kinderlos gebliebenen Dichters geerbt. Dieser Besitz war beträchtlich. Lucilius’ Nähe zum Leben auf dem Lande zeigt sich in nicht wenigen Fragmenten und Aspekten, z. B. in seiner Haltung zu den Sklaven auf seinen Gütern (s. B. XXII–XXV) sowie in seinem Faible für Pferde (s. nur B. XV Fr. 501–507). Er besaß Grund und Boden nicht nur in der Nähe von Suessa Aurunca, wo er geboren wurde, sondern wohl auch in Apulien und Calabrien, vielleicht auch in Sizilien (s. jedoch Erl. zu Fr. 112–13) und Sardinien. In Rom erwarb er ein Haus (Ascon. Pis. p. 13,16 Cl.). Er muss auch in Neapel eines besessen haben; denn dort starb er und wurde von der Bürgerschaft mit einem öffentlichen Begräbnis geehrt (s. w. u.). Lucilius hatte also gute Voraussetzungen, die senatorische Laufbahn einzuschlagen. Aber er wollte weder dies noch fand er Geschmack an der dem Ritterstand vorbehaltenen Publikanentätigkeit; er selber zu bleiben ging ihm über alles (Fr. 617–18). Sein Freund und Idol war P. Cornelius Scipio Aemilianus, dessen Landgut Lavernium in unmittelbarer Nachbarschaft des Besitzes der Lucilii bei Suessa Aurunca lag. Die Freundschaft kann also bis in die Kindheit des Dichters zurückreichen. Als Scipio das Kommando in Spanien übernahm (134/3 v. Chr.), welches mit der Eroberung von Numantia endete, gehörte Lucilius zur persönlichen Gefolgschaft des Heerführes (Vell. 2,9,4). Wohl schon vor 134 v. Chr., spätestens aber unmittelbar nach der Rückkehr aus Spanien scheint er eine Bildungsreise nach Griechenland unternommen zu haben. Dafür sprechen die Fragmente eines Philosophensymposions in Athen (B. XXVIII Fr. 753–762) sowie Ciceros Zeugnis (ac. 2,102), der Akademiker Kleitomachos habe ihm eine Schrift gewidmet. Die Fragmente seiner Satiren belegen eine Bildung, die die Kenntnis der griechischen wie der lateinischen Literatur umfasste.

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C. Lucilius

Noch zu Lebzeiten Scipios begann er Satiren zu dichten. Mit ihm teilte er naturgemäß Freundschaften wie Feindschaften. Doch bewies er auch eigenständiges Denken, wenn er etwa das brutale Vorgehen des Senatorenstandes gegen Ti. Gracchus brandmarkte (B. XXVII Fr. 732–739). Seine Kritik machte auch vor hochgestellten Persönlichkeiten nicht halt (s. nur B. I sowie das Zeugnis des Horaz, sat. 2,1,62–70). Immer wieder diskutiert wurde die Frage, wie tief die Feindschaft mit dem Dichter Accius ging: Beschränkte sie sich auf eine literarische Fehde mit dem Vorsitzenden des collegium poetarum (s. B. XXVI, 5. Satire ‚Literarische Polemik‘)? Kam persönliche Antipathie hinzu (s. Fr. 657 u. 791)? Oder hatte sie gar einen politischen Hintergrund (s. Christes 1986, 6132, Zusammenstellung der Literatur)? Die Frage der Lebenszeit des Lucilius ist bis heute umstritten. Hieronymus gibt in seiner Übersetzung der ‚Chronik‘ des Eusebios das Jahr 148/7 als Geburtsjahr und das Jahr 103/2 als Todesjahr an (chron. 143e, 148e H.). Die Angabe zum Todesjahr wirkt glaubhaft: Gaius Lucilius satyrarum scriptor Nea­ poli moritur ac publico funere effertur anno aetatis XLVI. Lucilius müsste dann, um nur einen Punkt anzuführen, mit 14 Jahren am bellum Numantinum teilgenommen haben. Das ist nicht gänzlich unmöglich (Christes 1971, 12–17), aber wenig wahrscheinlich. Vorgeschlagen wurden vor allem die Jahre 180 (Verwechslung der Konsulnamen) und 168 (Lebensalter nicht XLVI, sondern LXVI). Vielleicht ist es nicht ganz abwegig, sich von dem Eindruck leiten zu lassen, welches Alter des Verfassers die Fragmente suggerieren. Für jeden Ansatz sind Indizien zu finden, ihre Interpretation bleibt jedoch subjektiv. Um nur auf das gewichtigste Indiz einzugehen, das für hohes Alter zu sprechen scheint: Horaz spricht einmal von der vita senis, die in seinem Werk wie auf einer Votivtafel offen vor dem Leser liege (sat. 2,1,30–34). In der Lebenspraxis bemaß man in republikanischer Zeit die Altersstufen nicht primär nach Jahren. Ein se­ nex war man, wenn man sich nach der Zeit seiner adulescentia gewissermaßen zur Ruhe setzte (s. Erl. zu Fr. 584). Tod und Beisetzung des Lucilius in Neapel lassen vermuten, dass er sich gegen Ende seines Lebens dort niedergelassen hatte. Horaz kann ihn schon deswegen als senex gesehen haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass sowohl Krenkel (1970, dann 1972) als auch Christes (1971 und 1972, dann 1986) ihre Meinung zur Altersfrage im Laufe der Jahre geändert haben. Viel wäre gewonnen, wenn Einigkeit darüber hergestellt werden könnte, dass Lucilius nicht erst in weit fortgeschrittenem Alter mit dem Dichten begann. Wenn sich denn in den Angaben des Hieronymus zum Geburtsjahr bzw. zum erreichten Alter Richtiges verbergen sollte, kommt die Konjektur LVI (statt XLVI), damit das Geburtsjahr 159/8, der Wahrheit vielleicht am nächsten. Bald nach dem Tode des Dichters kam eine Sammlung der Satiren im Umfang von 30 Büchern in Umlauf. Sueton, der Beispiele für Grammatiker anführt, die sich um Schriften verstorbener Freunde verdient gemacht haben, verdanken wir folgende Nachricht (gramm. 2,4): ... ut Laelius Archelaus Vettiusque Philocomus Lucilii saturas familiaris sui quas legisse se apud Archelaum Pompeius Lenaeus, apud Philocomum Valerius Cato praedicant. Archelaus und Philocomus waren wahrscheinlich Freigelassene, Archelaus vielleicht des C. Laelius Sapiens, der in engster Verbindung mit Scipio Ae-

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milianus stand (Christes 1979, 8–10). Die Gesamtausgabe der Satiren wird also auf sie zurückgehen. Von der nächsten Generation der Grammatiker, die sich mit dem Werk des Lucilius beschäftigte, stehen zwei in Beziehung zu Cn. Pompeius, dem Großneffen des Dichters: Pompeius Lenaeus, Schüler des Archelaus, war ein Freigelassener des Pompeius (Christes 1979, 57–61). Der Grammatiker Curtius Nicias, Verfasser einer Schrift über Lucilius, stand zu Pompeius in freundschaftlicher Beziehung, die freilich einen abrupten Abbruch fand (Suet. gramm. 14,3; s. Christes 1979, 55 f.). Das spricht für die These, Pompeius habe sich für das literarische Erbe seines Großonkels eingesetzt (Anderson 1963). Von den 30 Büchern der Sammlung sind die Bücher XXVI–XXX die ältesten. Die ersten beiden Bücher sind in trochäischen Septenaren geschrieben, in B. XXVIII und XXIX kommen jambische Senare und daktylische Hexameter hinzu, B. XXX besteht nur noch aus Satiren in Hexametern. Dabei blieb es in der späteren Sammlung der Bücher I–XX (bzw. XXI). Der Dichter experimentierte also zunächst, bis er sich endgültig für den Hexameter entschied. Seine Entscheidung wurde für die lateinische Verssatire kanonisch. Fr. 981 in B. XXX lässt sich auf das Jahr 130/129 datieren, und Fr. 990 im selben Buch wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Scipios plötzlichen Tod im Jahre 129 bezogen (s. Erl. zu den Fragmenten). Am Ende von B. XXX stand ein Gedicht, worin sich Lucilius dankbar an literarische Anerkennung durch eine ihm wichtige Person erinnert (Fr. 1085–1090). Wenn es sich, wie in der hier vorgelegten Ausgabe vertreten wird, um Scipio handelt, löste der Tod des Freundes die Herausgabe dieser ersten Sammlung aus. Lucilius verstand sie als seinen Beitrag zur memoria seines Freundes. In der ersten Satire von B. XXX, worin der Dichter nach hier vorgetragener Deutung den Feldherrn Scipio preist und nochmals begründet (s. die Einleitungssatire in B. XXVI), warum er dennoch kein Epos auf ihn dichtet, spricht er es aus (Fr. 974): Haec virtutis tuae artis monumenta locantur. Die Betreuer des literarischen Erbes des Lucilius stellten diese erste Sammlung an das Ende ihrer Gesamtausgabe; denn sie war ja schon verbreitet. Welchen Titel sie trug, ist nicht bekannt. Nonius, dem zwei Teilausgaben vorlagen, zitierte die der Bücher XXVI–XXX immer als ‚Lucilius lib.‘ + Buchzahl. Lucilius scheint einmal stolz von seinen poemata (‚Dichtungen‘, Fr. 1089) zu sprechen, ein anderes Mal nennt er sie bescheiden schedium (‚Stegreifdichtung‘, Fr. 1109). Mehrere Male wendet er den Begriff sermones auf seine Satiren an (‚Gespräche‘, Fr. 1017 [doppeldeutig], 1018, 1055–56 – hier in Verbindung mit ludus). Alle diese Begriffe, wahrscheinlich auch sched­ ium (s. Erl. zu Fr. 1109), erscheinen vielleicht nicht zufällig in B. XXX, fallen also in die Zeit, als er sich zu einer Sammlung entschloss. Nach Lucilius hat sich Horaz für den Titel sermones entschieden. Außer den genannten Termini sind ein paar Sondertitel bezeugt: Laktanz (inst. 4,3,12) überliefert für B. I den Titel Deorum concilium. Er gilt wohl für das ganze Buch (s. dort). Arnobius (2,6) bezeugt den Titel Fornix. Seine Zuweisung zu einem Buche bzw. der Satire eines Buches ist unsicher (s. F. 1329 + Erl.). Porphyrio (zu Hor. carm. 1,22,10) schließlich nennt den Sondertitel Collyra für B. XVI (s. dort die Einführung und Fr. 514).

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C. Lucilius

Lucilius nahm in vielen seiner Satiren an der Diskussion aktueller Themen teil. Das spricht dafür, dass er seine Satiren zumindest teilweise einzeln in Umlauf brachte – ob auch buchweise, wofür Mondin (2013, 29–37) plädiert, oder in anders bemessenen Teilsammlungen, die dann postum in die endgültige Form und Einteilung der Gesamtausgabe gebracht wurden, ist eine plausible, aber durch nichts bezeugte Hypothese. Eher unwahrscheinlich ist es, dass Lucilius die Sammlung der Bücher I–XX (bzw. XXI) noch selbst zusammenstellte, denn der letzte Datierungshinweis führt auf das Jahr 107/106 (s. die Einführung zu B. XX), also nahe an sein Lebensende heran. Die Bücher XXII–XXV wurden mit Sicherheit postum veröffentlicht. Ihr Anhangscharakter ergibt sich aus Form und Inhalt (Epigramme, vor allem, wenn nicht ausschließlich, auf Sklaven seiner familia rustica). Von B. XXI ist kein einziges Fragment erhalten. Es bleibt darum eine offene Frage, ob es mit den Büchern XXII–XXV zusammenzusehen ist – entweder inhaltlich, weil es ebenfalls Epigramme enthielt, oder formal, etwa weil es ein Gedicht oder Gedichte in Distichen auf die Hetäre Collyra enthielt (s. Ausf. zu B. XXI) – , oder ob es eine Sammlung der Bücher I–XXI gab. Varro (ling. 5,17) jedenfalls bezeugt eine Teilsammlung dieses Umfangs. Andererseits zitieren Gellius und Nonius nur aus den Büchern I–XX, was aber auch daran liegen kann, dass der Eifer von Exzerptoren gegen Ende eines Werkes oft erlahmt. Angesichts dessen, dass sich, wie oben dargestellt, zwei familiares des Dichters um die Erhaltung seiner Dichtungen verdient gemacht haben, ist die Hypothese nicht abwegig, wenn auch unbeweisbar, dass es (zunächst?) zwei Teilsammlungen unterschiedlichen Umfangs gab (s. Christes 1986, 71 f.). Auf die Abfassungszeit der älteren Sammlung XXVI–XXX wurde schon oben eingegangen. Ihrer Datierung auf das Jahr 129/8 v. Chr. schienen ursprünglich mehrere Indizien entgegenzustehen, die eine Veröffentlichung frühestens im J. 123 möglich erscheinen ließen. Sie räumte jedoch Raschke (1979) aus (zusammengefasst: Christes 1986, 69 f.). Damit entfiel auch die Notwendigkeit, zu erklären, aus welchen Gründen Lucilius den scharfen Angriff auf L. Cornelius Lentulus Lupus (B. I), der unmittelbar nach dessen Tod, wohl im J. 126 v. Chr., erfolgt sein muss, nicht schon in diese Sammlung aufnahm, Die zeitlichen Indizien, die sich aus einzelnen Fragmenten der Bücher I–XX ablesen lassen, hat Marx in den Prolegomena seiner Edition ausführlich besprochen (p. XXXV–L, ergänzt durch Cichorius 86–92). Sie führen bis in das Jahr 107/6 v. Chr. und legen es nahe, dass die Satiren im Wesentlichen chronologisch angeordnet wurden. Erhalten sind knapp 1400 Verse, wobei die Fragmente mit ungewisser Zuweisung an Lucilius mitgezählt sind. Nicht wenige Fragmente füllen nicht einmal einen vollständigen Vers. Fragmente im Umfang von zwei Versen sind noch relativ häufig, das umfangreichste Fragment ist mit 13 Versen das sog. Virtus-Fragment (Fr. 1119–31). Die allermeisten Fragmente verdanken wir dem lexikographisch arbeitenden Grammatiker Nonius Marcellus. Hinzu kommt Überlieferung, die sich bei Autoren von Cicero bis Laktanz, antiken Kommentatoren von Werken der römischen Literatur sowie Grammatikern findet. Die Fragmente lassen eine beeindruckende thematische Vielfalt und Individualität ihrer Darbietung erkennen: „Politik, Gesellschaft, Freundschaft, Lie-

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be, Menschlich-Allzumenschliches, Tafelluxus, Geiz, Maßdenken und immer wieder Literatur. [...] Vor allem war er ein großer Erzähler von Kriegsgeschichten, Reiseerlebnissen, Fabeln – wie später Horaz nannte er seine Gedichte wohl Sermones. Der Zeit entsprechend war die Form locker. Sie entsprach seiner überlegen-lässigen Art.“ So fasst es Lefèvre (1997, 186) zusammen. Sein Verdienst ist es auch, die Frage des literarhistorischen Orts des Lucilius neu zur Diskussion gestellt zu haben. Für ihn markieren die Satiren des Lucilius nicht das Ende der archaischen, der vorklassischen Literatur (2001, 1406), sondern: „Mit Lucilius beginnt ein neues Kapitel der römischen Literatur“ (1997, 186; 2001, 190 f.). Er begründet dies mit der Freisetzung des Individuums in einer Zeit der Infragestellung und Auflösung der althergebrachten Verhaltensmuster, die der mos maiorum herausgebildet hatte. „Das Individuum ist in einen Freiraum entlassen, in dem es unabhängig zu urteilen lernt“ (2001, 147). „Erst mit der Gefährdung der alten Ordnungen […] fühlten sich die Dichter berechtigt, den eigenen Lebenskreis in den Mittelpunkt ihres Schaffens zu stellen“ (1997, 185). Lucilius ist demnach der Archeget einer neuen Art zu dichten, der Persönlichkeitsdichtung. Karin Haß hat in ihrer Freiburger Dissertation aus dem Jahre 2007 die neue Sicht der literarischen Leistung des Lucilius mit einer aspektreichen Interpretation eindrucksvoll vorgetragen. Lucilius war der erste Römer aus dem Ritterstand, der Dichtung zu seiner Passion machte. Sein gesellschaftlicher und sozialer Status beeinflusste erkennbar seine Haltung zur Philosophie und zu den literarischen Gattungen. Marx meinte zu erkennen, dass Lucilius dem Epikureismus angehangen habe. Vielleicht hat der lucilische Individualismus zu dieser Einschätzung beigetragen, vielleicht aber auch seine Vermutung, Lucilius sei nicht Ritter, sondern socius nominis Latini gewesen (I p. XVI). Heute herrscht die Überzeugung vor, dass der Dichter sich auch gegenüber den zeitgenössischen philosophischen Richtungen ein unabhängiges Urteil bewahrte (s. nur zu Fr. 625). Den Lehren der Stoa panaitianischer Prägung, die im Hause des Scipio Aemilianus lebendig waren, stand er anscheinend positiv gegenüber (s. B. XIV). Die zeitgenössische hellenistische Dichtung gehörte zu seinem Rüstzeug. Varro lobte seine gracilitas (bei Gell. 6,14,6), aber Horaz’ Kritik an ihm (sat. 1,4,10 u. ö.), bei der er den Maßstab des kallimacheischen Stilideals anlegte, wiegt schwerer: Der erste Kallimacheer in Rom war er gewiss nicht (Bagordo 2001). Die von Pathos und Melodramatik durchtränkte Tragödie empfand er als Gegenpol zu seinen eigenen Intentionen; für sie hatte er nur polemischen Spott übrig (vor allem B. XXVI Fr. 637–674). Eine hohe Affinität empfand er zur Komödie (B. XXX Fr. 1087); an sie lehnte er sich in Motivwahl und Sprache oft an. Das Epos, das neben der Geschichtsschreibung Ansehen genoss, weil es der memoria der römischen Elite diente, behandelte er mit Respekt (B. XXVI Einleitungssatire; B. XXX Satire 1: Preis eines Feldherrn); aber es entsprach nicht seinem Naturell, sich dieser Gattung zuzuwenden. Seine eigene literarische Leistung, die Satire, sah er wahrscheinlich als seinen persönlichen Beitrag zur res publica an (Fr. 974). Satirische Elemente im heutigen Wortsinn finden sich schon bei Naevius und Ennius. Aber erst bei Lucilius werden sie zu Wesensmerkmalen seiner Dichtung. In materieller und geistiger Unabhängigkeit formte er die Verssatire

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C. Lucilius

zu einem Medium, das geeignet war, das gesellschaftliche und politische Geschehen kritisch und mit bisweilen beißendem Spott zu begleiten. Es war ihm augenscheinlich wichtig, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Zugleich war er ein großartiger Erzähler. Gern und oft sprach er dabei von sich, Maßstab seiner Urteile waren seine eigenen Überzeugungen. Sein Nachfolger Horaz hat diesen Grundzug seiner Dichtung, das Subjektiv-Persönliche, das es in dieser Durchdringung eines ganzen Œuvres vor ihm nicht gab (Haß 2007, 11 f.), treffend mit dem Bild eines Lebens beschrieben, das wie eine Votivtafel vor dem Leser stehe (sat. 2,1,30–34). Selbst in einem veränderten gesellschaftlichen Umfeld lebend, das es ihm deutlich schwerer machte, seine geistige Unabhängigkeit zu behaupten, ehrte er ihn als inventor der satura (sat. 1,10,48), der in seinen Augen ein geradliniger und prinzipientreuer Mann war, uni aequos virtuti atque eius amicis (sat. 2,1,62–70).

Lucilius Satiren

Liber I Es ist umstritten, wie viele Satiren Buch 1 enthielt: außer dem Deorum concilium eine eigene Einleitungssatire (nach Michelfeit für das ganze Korpus), oder gar drei Satiren (Warmington)? Die hier vorgelegte Rekonstruktion geht mit Marx von einer einzigen Satire aus. Sie hatte den Götterrat (Deorum concilium) über L. Cornelius Lentulus Lupus zum Inhalt, den princeps senatus und politischen Gegner des Scipio Aemilianus. Ein eigenes Einleitungsgedicht braucht nicht angenommen zu werden. Auch Seneca, der Lucilius mit der Apocolocyntosis nacheifert, tritt an ihrem Beginn als Autor hervor, und wenn die Sammlung der Bücher 1–20 (bzw. 21) postum entstanden ist, schließt das eine Einleitungssatire geradezu aus. Ein 1 (3) (De huius saturae, fortasse totius libri, titulo quidque contineat:) Lact. inst. 4,3,12: Lucilius in deorum concilio (v. fr. 34–37). Serv. Aen. 10,104: Totus hic locus [i.e. Aen. 10,96–104] de primo Lucilii translatus est, ubi introducuntur dii habere concilium et agere primo de interitu Lupi cuiusdam ducis in re publica, postea sententias dicere; ducis M F, Krenkel : iudicis G, Marx | in rep. L, Krenkel : inprobi Marx

sed hoc quia indignum erat heroo carmine, mutavit. 2 (1) Varro ling. 5,17: Lucilius suorum unius et viginti librorum initium fecit hoc: Lucilius Scaliger Lucretius codd. –

Aetheris et terrae genitabile quaerere tempus

quaerere, tempus dist. Marx

3 (48) Diom. GL 1,486,10: Alii autem dictam putant (sc. saturam) a lege satura, quae uno rogatu multa simul conprehendat, quod scilicet et satura carmine multa simul poemata conprehenduntur. cuius saturae legis Lucilius meminit in primo:

per saturam aedilem factum qui legibus solvat. satyram A B M : saturam edd.

Lit. zu B. I: Cichorius 77–86 (zur Abfassungszeit: widerlegt durch Raschke 1979 im Ganzen, bes. 78 f.); Cichorius 219–237; Waszink 1957, 322–328 / 1970, 267–274; Michelfeit 1965, 113–128; degl’ Innocenti Pierini 1987. 1: Zur Ungenauigkeit der Angaben des Servius s. Marx II 3–5, zu ihrer Deutung Michelfeit 1965, 113–119.

Buch I paar nicht zweifelsfrei einzuordnende Fragmente können kaum ein weiteres Gedicht eigenen Inhalts begründen (anderer Ansicht: Cichorius 232–237). Das Deorum concilium, wohl eine der gehässigsten Verunglimpfungen eines römischen Senators aus der Feder des Satirikers, wird seine beißende Wirkung am nachhaltigsten bei einer Veröffentlichung unmittelbar nach dem Tod des Lupus (wahrscheinlich 126 v.Chr.) entfaltet haben. Lucilius parodiert gleichermaßen das Epos (Götterrat bei Ennius, der seinerseits Homer verpflichtet ist) und die Sitzungen des Senats von Rom.

1 (Über Titel und Inhalt dieser Satire, vielleicht des ganzen Buches:) Lactantius: Lucilius in seiner „Ratsversammlung der Götter“ (s. Fr. 34–37). Servius: Diese ganze Passage [Vergil, Aeneis 10,96–104] wurde aus dem ersten Buch des Lucilius übernommen, wo die Götter eingeführt werden, wie sie eine Ratsversammlung abhalten und zuerst über den Tod des Lupus, eines führenden Staatsmannes, verhandeln, dann ihre Stimme abgeben; da das aber eines Epos unwürdig war, hat er (Vergil) es geändert. 2 Varro: Lucilius begann seine einundzwanzig Bücher mit folgendem Vers:

Die Zeit zu untersuchen, die Himmel und Erde hervorbrachte … 3 Diomedes: Andere aber meinen, ‚satura‘ (Satire) sei nach der ‚lex satura‘ benannt, die in einem einzigen Antrag Vieles zugleich erfasse, weil ja auch in einer Satirendichtung viele Gedichte zugleich zusammengefasst werden. Diese lex satura erwähnt Lucilius im ersten (Buch):

so dass (?) er [nml. der Senat] den per Sammelgesetz zum Ädilen gewählten (Soundso) von den Gesetzen entbindet. 2: (d.h. ein naturphilosophisches Gedicht zu verfassen) ist nicht meine Absicht; vgl. Prop. 2,10,1–8, [Tib.] 3,7 (4,1),18–27. 3: Zu per saturam s. vor allem Marx II 23 f. und Cichorius 234–236 sowie Charpin I 198 f. zu Fr. 15. Der Bezug von per saturam und die Deutung des Fr. sind umstritten. Vielleicht prangert Lucilius – oder Iuppiter? (Kappelmacher, RE13.2, 1635,11–22) – die Aufhebung

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4 (2) Non. 31,23: Inritare dictum est proprie provocare; tractum a canibus, qui cum provocantur inriunt. Lucilius Satyrarum lib. I: Char. GL 1,125,19: Canes Lucilius I ... pro canis. Id. GL 1,145,19: Hic et haec canes a Lucilio libro I dictum legimus. Don. Ter. Ad. 282: Irritari proprie canes dicuntur. Lucilius de littera ‚r‘:

irritata canes quam homo quam planius dicit. canes codd. Char. : cane codd. Non. : canis codd. Don. | quam ... quam Char. Non. : quod ... quam Don.

5 (53) Non. 117,17: ‚Gangraena‘ est cancer. Lucilius Satyrarum lib. I:

serpere uti gangraena malo atque herpestica posset.

malo codd., Marx : mala F. Dousa, edd. : malum Mueller | atque codd. : ad quem L

6–7 (5–6) Sch. Veron. Aen. 12,680: ‚Amplius‘] id est diutius, ulterius. Lucilius: Char. GL 1,195,6 (Iul. Roman.): ‘Amplius‘ Lucilius satyrarum lib. I:

quo populum atque urbem pacto servare potisset amplius Romanam.

quo p. atque u. pacto edd. : quo p. adque u. pactos cod. Sch. : quo pactum p. a. u. codd. Char. | potisset cod. Sch. : potissit codd. Char.

8 (7) Non. 159,27: ‘Protollere‘ est differre. Lucilius Satyrarum lib. I:

si non amplius, at lustrum hoc protolleret unum

at Fruterius, lustrum Aldus : ad iustrum codd.

9 (8) Non. 497,4: Accusativus positus pro ablativo. ... Lucilius Satyrarum lib. I:

munus tamen fungi et muros servare potissent.

potissent Mercier : possint codd. : potissint Lachmann : potisset Waszink, WSt 70 (1957), 323

der Einhaltung des cursus honorum (vgl. u. a. Liv. per. 50) als eine Fehlentwicklung im politischen Zusammenspiel von Plebs und Senat an. 4: Von der Reaktion Betroffener auf die Satire? Vgl. Pers. 1,109 f. 5: herpestica, gr. ἑρπηστική (sc. νόσος) – belegt ist aber nur ἑρπηστικὸν ἕλκος –: pustulöses Geschwür (Cels. 5,28,3). – Lesart, (s. auch Garbugino 1982, 98–100), Deutung und Zuordnung sind überaus unsicher; vgl. auch White 1973, 41 (plädiert für malum). Auf eine Verurteilung des Lupus zu Krankheit mit Todesfolge – das Fr. wäre dann an späterer Stelle einzuordnen – bezieht den Vers Charpin (I 208 zu Fr. 30); doch dagegen spricht, dass wegen

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4 Nonius: ‚Inritare‘ (erregen) meinte eigentlich ‚reizen‘; abgeleitet von den Hunden, die knurren, wenn sie gereizt werden. Charisius: ‚canes‘ (hat) Lucilius B. I statt ‚canis‘. Ders.: Wir lesen, dass von Lucilius in B. I ‚canes‘ maskulin und feminin verwandt wurde. Donatus: ‚Irritari‘ wird im eigentlichen Sinne von Hunden gesagt. Lucilius über den Buchstaben ‚r‘:

(das ‚r‘,) das ein gereizter Hund deutlicher hören lässt als ein Mensch.

Nonius: ‚Gangraena‘ ist ‚Krebs‘.

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…, so dass durch das Übel Knochenfraß und Ausschlag schleichend wuchern konnten.

6–7 Scholion: ‚Amplius‘ (weiter)] das ist ‚länger‘, ‚weiterhin‘. Iulius Romanus bei Charisius: ‚Amplius‘ ...

wie er das römische Volk und seine Stadt weiterhin unversehrt bewahren könne.

8 Nonius: ‚Protollere‘ (hervorstrecken) bedeutet ‚hinausschieben‘.

wenn schon nicht weiter, so doch dieses eine Lustrum lang hinauszuschieben

9 Nonius: Der Akkusativ für den Ablativ gesetzt.

(damit) sie dennoch ihres Amtes walten und (Roms) Mauern schützen könnten.

posset das Tempus des fehlenden Hauptsatzes ein Präteritum gewesen sein muss. Knochenfraß und Ausschlag sind selbst Krankheiten. Wenn sie hier Folgen eines malum sind, so spricht das für übertragene Bedeutung, d. h. für politische Missstände. Zugunsten des hier angenommenen Zusammenhangs argumentiert Rita Pierini SIFC 43 (1971) 199–221, die den Vers allerdings Romulus zuweisen möchte. Der Satiriker hat wohl die Gracchische Bewegung im Blick; so Lefevre 2001, 145 f. 6–7. 8. 9: Iuppiters Überlegungen, die ihn den Götterrat einberufen lassen? 8: nml. den Tod des Lupus, vgl. Sen. apoc. 3,3 (Cichorius 224).

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10 (4) Serv. auct. et Serv. Aen. 9,227: ‚Consilium summis regni de rebus habebant‘] Summis, utrum maximis an quod putabant eas in extremo sitas? et est Lucilii versus uno tantum sermone mutato; nam ille ait:

consilium summis hominum de rebus habebant. 11 (9) Sch. Pers. 1,2: hunc versum de Lucili primo transtulit, et bene vitae vitia increpans ab admiratione incipit.

‚O curas hominum! O quantum est in rebus inane!‘ Sch. ad Pers. 1,1 referendum est.

*12 (26) Ps.-Ascon. Cic. div. 43: Incipiebant autem veteres, ut Vergilius ostendit, aut ab invocatione deorum, ... aut reprehensione superioris temporis, ut ait Lucilius:

‚Vellem cumprimis, fieri si forte potisset,‘

Lib. I tribuit Scaliger propter fr. quod sequitur. (Refutat Charpin III 101 Fr. H 9, comm. 249.)

*13–15 (27–29) Iulius Rufinianus de figuris sententiarum 31 (Rhet. Lat. min. p. 46,1 Halm): Epanalepsis, repetitio sententiae propter aliam necessariam causam. ... sic apud Lucilium:

‚vel concilio vestrum, quod dicitis olim caelicolae adfuissemus priore concilio.‘

vellem J. Dousa : vel codd. | v. 14 hic habitum vellem suppl. Marx : factum vellem suppl. Lachmann

16 (10) Porph. Hor. epist. 1,3,6: ‚Cohors‘] nunc amici. Nam et Lucilius eos, qui cum praesidibus ad salarium eunt, mercedimeras legiones ait. Non. p. 345,1: ‚Meret‘, humillimum et sordidissimum quaestum capit. ... Lucilius lib. I:

‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ et mercedimerae legiones‘

et mercedimerae legiones Buecheler, Marx : et mercede meret relegiones codd.

11: Den Bezug des Scholions auf V. 2 verfocht D. Henss, Philologus 98 (1954) 159–161, dem Krenkel (Fr. 2) folgt. Dass der Scholiast V. 1 gemeint haben muss, hat W. Kißel (Per­ sius-Kommentar, Heidelberg 1990, 109–112) ausführlich begründet. – Wohl Worte Iuppiters (Marx II 6 f.); anders Charpin I 191 f. zu Fr. 2.

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10 Servius auctus und Servius zu Aeneis 9,227: ‚Über die höchsten Angelegenheiten des Reiches hielten sie Rat‘] Die höchsten: die wichtigsten, oder weil sie glaubten, es gehe um Sein oder Nichtsein? Und zwar ist es ein Vers des Lucilius mit der Änderung nur eines Wortes; denn jener sagt:

Rat hielten sie über die höchsten Angelegenheiten der Menschen.

11 Scholia: Diesen Vers hat er dem ersten Buch des Lucilius entnommen, und trefflich setzt er bei der Schelte der Laster des Lebens mit einem Ausruf der Verwunderung ein.

„Oh, die Sorgen der Menschen! Oh, wie viel Nichtiges gibt es doch im Leben!“

*12 Ps.-Asconius: Es begannen aber die Alten, wie Vergil zeigt, entweder mit einer Anrufung der Götter, .... oder mit Kritik an früherer Zeit, wie Lucilius sagt:

„Besonders wünschte ich mir, wenn es vielleicht möglich wäre,“

*13–15 Iulius Rufinianus: Epanalepsis, die Wiederholung eines (in ein Wort oder in Worte gefassten) Gedankens aus einem anderen zwingenden Grunde. ... So bei Lucilius:

„Ich wünschte mir, bei eurer Ratsversammlung, die nach euren Worten, ihr Himmelsbewohner, einst hier abgehalten wurde, (ja,) ich wünschte mir, bei der früheren Ratsversammlung wäre ich (auch schon) dabei gewesen.“ 16 Porphyrio: ‚ Kohorte‘] hier: die Freunde. Auch Lucilius nennt ja die, die Statthalter für Sold begleiten, ‚lohnverdienende Legionen‘. Nonius: ‚Meret‘ (er verdient), er erzielt eine überaus schäbige und schmutzige Einnahme.

„……… und (ganze) Legionen von Soldempfängern“

13–15: Beim Götterrat am Anfang der Odyssee fehlt Poseidon (Od. 1,20–27). Die Nachahmung des Ennius (ann. 53–57 Sk.) lässt dagegen Cichorius (221–224) an Romulus als Sprecher denken; entschieden hierfür auch Charpin I 201 f. zu Fr. 18. 16: „Gemeint ist wohl die cohors amicorum (Fest. 249,7), [...] hier wohl der Klüngel um Lupus...“ (Krenkel zu Fr. 36). N.B.: legiones (dazu Plural) statt cohors! (Anders Charpin I 195

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17 (11) Non. 161,11: Popinones vel hi, quos nunc dicimus tabernarios, a popinis, vel luxuriosi qui se popinis dedunt. ... Lucilius lib. I:

‚infamem †honestam† turpemque odisse popinam‘ infamem ed. pr. : infamam codd. | † infamam honestam Marx : infamam incestam Corpet, Terzaghi, Charpin

18 (12) Non. 536,15: ‚Tunica‘ est vestimentum sine manicis. ... Lucilius Satyrarum lib.:

‚praetextae ac tunicae, Lydorum opus sordidum omne‘

tunicae Lydorum, opus dist. Marx | sordidulum J. Dousa : sordidum codd. : sordidam L1

19 (13) Non. 540,26: ‚Amphitapoe‘ vestes dicuntur utrimque habentes villos. Lucilius Satyrarum lib. I: psilae atque amphitapi ... Isid. orig. 19,26,5: ‚Sipla‘ tapeta ex una parte villosa, quasi simpla. Amphitapa ex utraque parte villosa tapeta. Lucilius: siplae atque amphitapae ...

‚psilae atque amphitapoe villis ingentibus molles,‘ psilae codd. Non. : siplae codd. Isid. | atque codd. : adque L1 Non. | amphitapoe Terzaghi (cf. fr. 238. 1383) : amfytapae AA BA : amfytavi L1 CA DA : amphitapae Marx : amphitapi Warmington

20 (14) Non. 521,27: ‚Mira‘ et ‚miracula‘ veteres pro monstris vel horrendis ponebant. Lucilius Satyrarum lib. I:

‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – miracla ciet tylyphantas.‘

ciet tylyphantas Marx : ciet (t)elefantas L BA CA : ciet et el. L1 : ciet (t)etelefantes AA : ciet elephantas Terzaghi

zu Fr. 8: Tadel an den rekrutierten Bürgern, die nur den Sold, nicht Ruhm und Ehre im Blick haben.) – Gehören dieses und die folgenden Fragmente zu einer Eröffnungsrede Iuppiters? Oder spricht – so Cichorius 227 f. - Romulus als Romexperte? 17: Marx (II 8) zu diesem korrupt überlieferten Fr.: „Ego temptavi ‚famam inhonestam turpemque odisse popinam‘. Clamat deus apud maiores honestum fuise odisse famam turpem turpemque popinam: nunc in lustris et ganeis nobilissimum quemque diem perdere.“ 18–22: Kritik an dem (von Lupus?) geübten Tafelluxus, s. Puelma Piwonka 1949, 30 f. – Umsetzung des Griechischen ins Französische hier und im Folgenden nach Weinreich. 18: Die Deutung des Textes ist umstritten. Marx (II 8 zu Fr. 12, mit Interpunktion vor opus) deutet das Fr. als Kritik in dem Sinne, man trage jetzt nur noch Kleidung aus Lydien, die römischen Frauen seien sich jetzt zu fein für die Fertigung. Cichorius (226 f.), der auf den Kleiderluxus als Folge von Attalus’ III. Schenkung seines Reiches an die Römer (133 v.Chr.)

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17 Nonius: ‚Popinones‘ sind entweder die jetzt so genannten Schankwirte, von ‚popinae‘ (Garküchen, auch: Kneipen), oder Schwelger, die sich nur noch in Kneipen aufhalten.

„... die verrufene [...] und schändliche Kneipe hassen“

18 Nonius: ‚Tunica‘ ist ein Kleidungsstück ohne Ärmel.

„Oberkleider mit Borten und Hemden, schimpfliches Werk das alles von Lydern,“

19 Nonius: ‚Amphitapoe‘ heißen Kleidungsstücke, die auf beiden Seiten Zotteln haben. Isidorus: ‚Sipla‘ [richtig: ‚psila‘, die kahle (sc. Decke)], Decken mit Zotteln nur auf einer Seite, gleichsam ‚einfache‘ (Decken); ‚Amphitapa‘, auf beiden Seiten mit Zotteln versehene (Decke).

„weiche Kleidung dank gewaltiger Zotteln, d’un côte ou de deux,“

20 Nonius: ‚Mira‘ (Seltsames) und ‚miracula‘ (Wunder) pflegten die Alten anstelle von ‚monstra‘ (Scheusale) oder ‚horrenda‘ (Schauderhaftes) zu sagen.

„Wunderwerke bringt der Polsterer hervor.“ (?)

hinweist, setzt Komma nach opus und bezieht sordidulum omne (nml. habetur o. ä.) auf die jetzt von den Trägern der Kleidung verachtete heimische Produktion. Wieder anders Charpin I 196 zu Fr. 10. – Ich schließe mich hier Warmington (Fr. 12) und Krenkel (Fr. 14) an. 20: tylyphantas (die dorische Form) = τυλυφάντης, ‚Polsterer‘, „le tisseur de matelas et coussins“ (Charpin I 198 zu Fr. 13), kommt dem Überlieferten am nächsten. „poeta deum induxerat loquentem de triclinii sumptuosissimo apparatu …“ (Marx II 9). – Die dorische Form könnte ebenso wie die metrisch erforderliche Längung ciēt – normal für Plautus, aber nicht für Lucilius (White 1973, 41) – zur sprachlichen Charakterisierung des sprechenden Gottes (wohl Romulus) dienen. – Oder ist elephantas zu lesen? So Krenkel zu Fr. 13 (doch kann ciet nicht ‚nennt‘ heißen; s. White a. O.), auch von Charpin (a. O.) in Erwägung gezogen: Dann wäre miracla Apposition zu elephantas, Objekt von ciet, und elephas hieße ‚Gegenstand aus Elfenbein‘, vgl. Verg. georg. 3,26; Aen. 3,464; Aen. 6,895.

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21–22 (15–16) Macr. Sat. 6,4,18: Inseruit (sc. Vergilius) operi suo et Graeca verba, sed non primus hoc ausus. ... Lucilius in primo:

‚porro ‚clinopodas‘ ‚lychnos‘que, ut diximus, semnos, ante ‚pedes lecti‘ atque ‚lucernas‘ – ⏑ ⏑ – ⏑‘

semnos, ante ... temptavi in translatione.

23 (17) Char. GL 1,118,27: Nomina quaedam sunt principalia, quae Plinius Secundus ... facientia appellat, ex quibus possessiva nascuntur, quae patiendi vocat, ut aquale; nam Lucilius libro I saturarum

‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ ‚arutaenae‘que‘, inquit, aquales‘

... Huius autem principale nomen est aqua. quod vero patitur ac tenet aquam, aquale ... 24–25 (51–52) Non. 500,18: Ablativus pro genetivo. ... Lucilius Satyrarum lib. I:

‚porro quacumque et cuicumque, ut diximus ante, obstiterit primo, †hoc minuendi† refert res.‘

quacumque et Warmington : quaecunque et codd.. | porro quacumque it, cuicumque, u. d. a., / o. p., hoc minuendae refert re[s] Marx

26–27 (49–50) Non. 159,29: ‚Priva‘ significat singula. Lucilius Satyrarum lib. I [ad ... dabo]. Non. 35,17: ‚Privum‘ est proprium uniuscuiusque; unde et res privata. ... [abdomina tunni ... priva dabo]. Gell. 10,20,4: quia veteres priva dixerunt, quae nos singula dicimus; quo verbo Lucilius in primo Satirarum libro usus est [abdomina ...acarnae].

‚ad cenam adducam, et primum hisce abdomina tunni advenientibus priva dabo cephalaeaque acarnae.‘ Abdomina tunni codd. Non. 35 : abdominat hymni codd. Non. 159 : abdomina thynni codd. Gell. : | advenientibus codd. Non. : avenientibus codd. Gell. 21–22: Ein von Puelma Piwonka (1949, 30 + Anm. 4.) inspirierter Deutungsversuch, der Charpins Einwand (I 197 f. zu Fr. 12) gegen die Zusammennahme von ut diximus semnos berücksichtigt: Es geht nicht um den Gegensatz zwischen einst und jetzt, sondern zwischen emphatisch-hohler Ausdrucksweise einiger Snobs und der korrekten Bezeichnung. (Charpins Übersetzung berücksichtigt allerdings nicht, dass pedes lecti und lucernas im Akkusativ stehen.) – Zu den Fragmenten 21–22 und 23 s. Baier 2001, 40 f. 24–25: Die Wiederherstellung des Textes ist noch nicht gelungen; wohl deshalb bleibt auch der Bezug der Noniusangabe ungeklärt. Auch die Zuordnung ist hypothetisch: Vielleicht stellt Romulus – zu seiner Weitschweifigkeit würde ut diximus ante passen (vgl. Fr. 21–22) – den Lupus als redselig hin (bezüglich der neuen Kreationen seines Kochs? so Marx II 26 f.),

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21–22 Macrobius: (Vergil) hat seinem Werk auch griechische Wörter eingefügt, aber er war nicht der erste, der das wagte.

„ferner ‚pieds de lit‘ und ‚chandeliers‘ (führt er [= Lupus?]), wie ich (schon) sagte, feierlich-aufgeblasen (im Munde), vorher (nannte man das, wie es sich gehört,) ‚Bettgestellfüße‘ und ‚Lampen‘.“

23 Charisius: Es gibt Ursprungswörter, die Plinius Secundus als handelnde bezeichnet, woraus sich die einen Besitz anzeigenden ableiten, die er (Wörter) des Duldens nennt, wie ‚aquale‘ (zum Wasser gehörig, Wasser-).

„und (von) ‚pots à eau‘ (spricht er),“ sagte er, „(wenn es um) Wassereimer (geht).“

Dessen Ursprungswort aber ist ‚aqua‘ (Wasser). Was aber Wasser duldet und festhält, ist ‚aquale‘ (zum Wasser gehörig, Wasser-)...

Nonius: Ablativ statt Genitiv.

24–25

„ferner, wo auch immer und zu wem auch immer er, wie ich vorhin (schon) sagte, zuerst hintritt, ... bringt er die Neuigkeiten an den Mann.“

26–27 Nonius: ‚Priva‘ meint ‚einzelne, je ein‘. Nonius: ‚Privum‘ ist das einem jedem einzelnen Eigene; daher auch (der Ausdruck) ‚Privatsache‘. Gellius: ... da die Alten ‚priva‘ nannten, was wir als ‚singula‘ (einzelnes, je ein) bezeichnen; Dieses Wort hat Lucilius im ersten Buch der Satiren verwendet:

„Ich werde zu Tisch bitten, und zuerst werde ich meinen (Gästen) hier beim Eintritt Bauchscheiben du thon und des hures du loup de mer reichen.“ was er im folgenden Fr. belegt, wo er Lupus zu Wort kommen lässt. – In völlig andere Richtungen gehen z. B. Krenkel Fr. 3–4 (Lucilius spricht von sich selbst) und Charpin Fr. 31 (+ Erl. I 209 f.), mit dem Text Porro quaecumque et quicumque, ut diximus ante, obstiterit, pri­ mo hoc (abl. Limitationis) minuendi rēfert res und der Deutung: Iuppiter sehe bei allem Dissens (obstiterit = „fait opposition“) Einigkeit in dem Punkte der Verurteilung des Lupus. Gegen seine Interpretation spricht aber, dass die als römische Senatssitzung angelegte Götterversammlung sich anders als die Versammlung der Götter bei Homer mit der Teilnahme von Göttinnen (quaecumque!) nicht recht verträgt. Sie ist im Erhaltenen auch nicht belegt. 26–27: Zu priva (Stücke vom Bauch) Marx II 24–26. – Zum Sprachstil des Lupus, unter Verweis auch auf Fr. 774–80, Puelma Piwonka 1949,14 f.

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28 (18) Non. 158,6: ‚Pausa‘ est quies alicuius rei. ... Lucilius Satyrarum lib. I:

– ⏑ ⏑ haec ubi dicta, dedit pausam ore loquendi.

*29 (43) Isid. diff. verb. 1,589: ‚Facies‘ est naturalis oris habitus immutabilis, vultus vero pro rerum ac temporum qualitate varius et mutabilis ... itaque Lucilius haec quasi distinguens ait:

‚quae facies, qui vultus viro?‘ Lib. I tribuit Mueller.

30 (44) Non. 426,33: ‚Vultus‘ et ‚facies‘ hoc distant. vultus est voluntas quae pro motu animi in facie ostenditur, facies ipsa oris species. ... Lucilius Saryrarum lib. I:

‚vultus item ut facies, mors, icterus morbus, venenum‘ icterus Scaliger : citer AA : cetera Marx : acer Lachmann : teter Passerat | facies mors cetera, morbus dist. Marx

31 (46) Char. GL 1,98,3: ‚Vultur‘ dixit Vergilius in VI, sed et ‚vulturius‘ Lucilius in I.

‚vulturius‘ *32 (47) Sch. Hor. sat. 2,1,67 (in cod. Paris. 7975 γ Hauthal): ‚Offensi‘] laesi. num inimici ipsius facti sunt aut propter Lupum aut propter Metellum. Lupus princeps senatus fuit.

33 (23) Serv. auct. Aen. 3,119: ‚pulcher Apollo‘] Et quidam ‚pulcher Apollo‘ epitheton datum Apollini reprehendunt: pulchros enim a veteribus exsoletos dictos. nam et apud Lucilium Apollo pulcher dici non vult.

29: Ein Gott will wissen, wie und woran er Lupus erkennt. 30: „Lucilius führt uns also einen Menschen vor, dessen Miene seine Emotionen zum Ausdruck bringt“ (Gärtner 2008, 174 in Auswertung der Nonius-Erklärung).

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28 Nonius: ‚Pausa‘ ist der Ruhezustand von etwas.

Als das gesagt war, machte er eine Pause im Reden.

*29 Isidorus: ‚Facies‘ (Gesicht) ist das naturgegebene unveränderliche Aussehen des Gesichts, ‚vultus‘ (Miene) dagegen das unterschiedliche und veränderliche (Aussehen) je nach der Beschaffenheit der Situationen und Zeitumstände. ... Deshalb sagt Lucilius, sie in etwa unterscheidend:

„Wie sieht der Mann aus, was für ein Gesicht (hat er)?“

30 Nonius: ‚Vultus‘ (Miene) und ‚facies‘ (Gesicht) unterscheiden sich darin: ‚Vultus‘ ist der gewollte Ausdruck, der sich je nach Gemütsbewegung auf dem Gesicht zeigt, ‚facies‘ ist das unmittelbare Aussehen des Gesichts.

„Miene ebenso wie Gesicht: Tod, Gelbsucht, (reines) Gift“

31 Charisius: ‚Vultur‘ hat Vergil in Buch VI gesagt, aber auch ‚vulturius‘ Lucilius in Buch I.

„ein Geier“ *32 Scholia: ‚Offensi‘] ‚beleidigt‘. (Horaz fragt,) ob sie etwa seine (= des Luci­lius) Feinde wurden wegen Lupus oder wegen Metellus. Lupus war princeps senatus (erster Mann im Senat).

33 Servius auctus: ‚der schöne Apollon‘] Und manche tadeln das mit ‚pulcher Apollo‘ dem Apollo gegebene Epitheton. Als ‚pulchri‘ seien nämlich von den Alten die Buhlknaben bezeichnet worden. Denn auch bei Lucilius will Apollo nicht ‚der Schöne‘ heißen.

33: Dieses Zeugnis legt es nahe, die beiden folgenden Fragmente dem Apollo in den Mund zu legen, der (entgegen Laktanz – s.u.) nie ‚pater‘ genannt wurde.

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Liber I

34–37 (19–22) Lact. inst. 4,3,12: Itaque et Iuppiter a precantibus ‚pater‘ vocatur et Saturnus et Ianus et Liber et ceteri deinceps, quod Lucilius in deorum concilio inridet:

‚ ut nemo sit nostrum quin aut pater optimus divum, aut Neptunus pater, Liber Saturnus pater, Mars Ianus Quirinus pater siet ac dicatur ad unum.‘

ut V : uti codd. | siet B V : sit codd.

38–39 (24–25) Non. 258,38: ‚Contendere‘ significat conparare. ... Lucilius Satyrarum lib. I:

‚ ut contendere possem Thestiados Ledae atque Ixionies alochoeo.‘

Ἰξιονίης ἀλόχοιο Mercier: ixiones alcholocheo L BA : eximone salcholocheo AA

*40 (30) Serv. auct. et Serv. Aen. 4,458: ‚Coniugis antiqui‘]. Aut prioris aut cari. Lucilius

‚concilio antiquo sapiens vir solus fuisti.‘

antiquus ergo est qui praecedit eum, qui praesens est. Lib. I tribuit van Heusde.

41 (31) Lact. inst. 5,14,3 (= Cic. rep. 3,9): Carneades, Academicae sectae philosophus, cuius in disserendo quae vis fuerit, quae eloquentia, quod acumen, qui nescit ipsum, ex praedicatione Ciceronis intelleget aut Lucilii, apud quem disserens Neptunus de re difficillima ostendit non posse id explicari,

‚ – ⏑ ⏑ – non Carneaden si ipsum Orcus remittat‘ non Carneaden (-dem H) si R V : nec si Carneaden B S P

42 (32) Non. 5,16: ‚Cinaedi‘ dicti sunt apud veteres saltatores vel pantomimi, ἀπὸ τοῦ κινεῖν σῶμα. ... Lucilius Satyrarum lib. I:

34–37: „Apollon n’est pas appelé pater parce que les Romains ne l’ont pas adopté. Il appar­ tient spécifiquement à la Grèce. Il est responsable de la grécomanie abusive, de l’introduction de la mollesse orientale, de la corruption des moeurs.” (Charpin I 199 f. – Zitat: 200 a. E. – zu Fr. 16.) 38–39: Marx II 13 f. schlägt folgende Ergänzung vor: „nec studui faciem facie ut contendere possem ...“ – Leda und Dia: Geliebte des Zeus (Eur. Hel. 17–21; Hom. Il. 14,317–328).

Buch I

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34–37 Lactantius: Deshalb wird sowohl Iuppiter von den Betern ‚Vater‘ genannt wie auch Saturn und Ianus und Liber und die übrigen der Reihe nach, worüber Lucilius in der „Ratsversammlung der Götter“ spottet:

„sodass es niemanden unter uns gibt, der nicht entweder ‚Vater, trefflichster der Götter‘, oder ‚Vater Neptunus‘, ‚Vater Liber‘, ‚(Vater) Saturnus‘, ‚Vater Mars‘, ‚(Vater) Ianus‘, ‚(Vater) Quirinus‘ ist und heißt, ausnahmslos (alle – nur ich nicht).“

38–39 Nonius: ‚Contendere‘ (anspannen) meint ‚vergleichen‘.

„(mein Aussehen) vergleichen zu können mit dem der Thestiostochter Leda und der Gattin des Ixion.“

*40 Servius: ‚Coniugis ‚antiqui‘] Entweder ‚des früheren‘ oder ‚des teuren (Gatten). Der Ergänzer des Servius fügte hinzu: Lucilius

„Im früheren Rat warst nur du ein verständiger Mann.“

‚antiquus‘ ist also, wer dem (als Gatte) vorausgeht, der gegenwärtig (Gatte) ist.

41 Lactantius: Was für eine Kraft, was für eine Beredsamkeit, was für einen Scharfsinn Karneades, ein Philosoph der Akademie, in seinen Erörterungen an den Tag legte, wird, wer ihn (d. i. seine Schriften) nicht selbst kennt, an Ciceros Lobpreis ablesen können, oder an dem des Lucilius, bei dem Neptunus in Erörterung eines überaus schwierigen Sachverhalts erklärt, das könne nicht im einzelnen dargestellt werden,

„nicht (einmal), wenn Orcus den Karneades höchstpersönlich zurückschicken sollte.“

42 Nonius: ‚Cinaedi‘ (Wollüstlinge) hießen bei den Alten die Tänzer oder Pantomimen, vom Bewegen des Körpers.

40: Spricht Apollo Neptun an? In der Ilias (12,17 f.) planen sie gemeinsam die Zerstörung der Mauern Trojas. Vgl. Charpin I 204 f. zu Fr. 21. 41: Orcus = Pluto, Gott der Unterwelt. – Karneades (†129) bewies 155/4 in Rom am Thema ‚Gerechtigkeit‘ seine Meisterschaft in der disputatio in utramque partem (vgl. Cic. rep. 3). 42: Sprichwörtlich (Otto, Sprichw. 83, Nr. 388), wegen te an die Adresse eines Gottes gerichtet: an Romulus (so Cichorius 230)? Eher wohl eine Abfuhr (durch Neptun?), die Apollon zuteil wird (Charpin I 202 f. zu Fr. 19).

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Liber I

‚stulte saltatum te inter venisse cinaedos‘ cinaedos codd. : cinaedis CA DA

*43–45 (33–35) Iulius Rufinianus de figuris sententiarum 30 (Rhet. Lat. min. p. 45,27 Halm): Enthymema fit cum periodos orationis ex contrariis sententiis astringitur. apud Lucilium:

‘si me nescire hoc nescis quod quaerere dico, quare divinas quicquam? an tu quare debes ipse? et si scis q b e scire, hoc d t.‘

Lib. I tribuit I. Becker. – an tu Marx : aut codd. | quaerere Gesner : quare codd., Terzaghi | v. 45s. suppl. Marx, alii alia

46 (36) Don. Ter. Andr. 941: ‚Nodum in scirpo quaeris‘] Scirpus palustris res est levissima. Lucilius in primo:

‚–⏑ ⏑ – nodum in scirpo, in sano facere ulcus.‘

scirpo codd. : cirpo A | in sano facere ulcus Havet RPh 14 (1890) 89 et Housman CQ 1 (1907) 56 : insano facere ulcus codd. : insane quaerere vultis Marx

est autem scirpus sine nodo et levis iunci species. *47–50 (40–42) Iulius Rufinianus de figuris sententiarum 26 (Rhet. Lat. min. p. 45,6 Halm): Epagoge. fit haec ex rerum similium collatione vel argumentorum, salva tamen similitudine. rerum ..., argumentorum autem, ut Luci

  • us:

    ‚nam si tu fluctus undasque e gurgite salso tollere decreris, venti prius Emathii vim, ventum, inquam, tollas. t c q i | l.‘

    Lib. I attribuit I. Becker. | Emathii vim Lachmann : Haematium codd. | v. 49s. supplevit Housman CQ 1 (1907), 148, alii alia.

    51–53 (37–39) Don. Ter. Eun. 734: ‚Iam dudum, aetatem‘, pro longinquo tempore. Lucilius [ut multos ... aetatem]. 43–45: Einer der Götter – so gut wie sicher Neptun (Charpin I 203 f. zu Fr. 20) – reagiert indigniert auf des Sehergottes Apollo verschlüsseltes Reden. 46: Ebenfalls sprichwörtlich (Otto, Sprichw. 312 f., Nr. 1607); wohl gegen einen der im Rat gemachten Vorschläge gerichtet. 47–50: Mittels Vergleich rät ein Gott (Romulus? so Cichorius 225 f.; Liber oder Saturn? so Michelfeit 1965, 119–122.) Iuppiter zur Beseitigung des Lupus als Ursache des Übels.

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    „... dass du wie ein Dummkopf zum Tanzen unter die Kinäden geraten bist.“ *43–45 Iulius Rufinianus: Ein Enthymema entsteht, wenn eine Periode der Rede aus gegensätzlichen Gedanken zusammengebunden wird. Bei Lucilius:

    „Wenn du nicht weißt, dass ich das nicht weiß, wonach ich, wie ich sage, frage, warum gibst du dann eine Prophezeiung? Oder musst du selbst erst fragen? Und wenn du weißt, was zu wissen schön ist, ver­such’ doch das zu sagen!“

    46 Donatus: ‚Du suchst in der Binse einen Knoten‘] Die Binse ist eine völlig glatte Sumpfpflanze.

    „(Das hieße,) einen Knoten an einer Binse, am Gesunden ein Geschwür zu erzeugen.“

    Es ist aber der scirpus ohne Knoten und eine glatte Spezies der Binse. *47–50 Iulius Rufinianus: Epagoge. Sie entsteht aus der Zusammenstellung ähnlicher Dinge oder Inhalte, jedoch unter Beibehaltung der Ähnlichkeit. (Ähnlicher) Dinge ..., Inhalte aber, wie Lucilius:

    „denn wenn du dich entschließt, Fluten und Wogen aus der brodelnden Salzflut zu entfernen, so entferne zuerst die Wucht des emathischen Windes, den Wind, sage ich. “

    51–53 Donatus: ‚Iam dudum, aetatem‘ (schon längst, ein Lebensalter lang), für ‚in langer Zeit‘. Lucilius – Emathia: Teil, dann Landschaft Makedoniens; an deren Grenze der Olymp liegt, wo die Götter tagen. 51–53: ‚Unwetter‘: Lupus; vgl. nur, von Verres gesagt, Cic. Verr. 2,2,91 Siculorum tem­ pestas. (An ein wirkliches Unwetter denken Marx (II 19–21) und Krenkel (zu Fr. 41–43). Zur Deutung: Cichorius 225, Charpin I 210 f. zu Fr. 32; Winkelsen 2012, 208 f.

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    Liber I

    Non. 174,28: ‚Scelerosi‘ pro scelerati. Lucilius Satyrarum lib. I [non tamen ... mirentur].

    ‚ut multos mensesque diesque, non tamen aetatem, tempestatem hanc scelerosi mirentur.‘

    *54 (54) Varro ling. 7,47: Apud Lucilium [fr. 926] et

    ‚occidunt, Lupe, saperdae te et iura siluri.‘

    Lib. I trib. Marx. | Lupe saperdae te edd. : lupes aper de te cod.

    et [fr. 1317] piscium nomina sunt, eorumque in Graecia origo.

    54: Einer der Götter bringt ihren Beschluss auf den Punkt. – Zum Präsens mit futurischem Sinn s. Kühner-Stegmann I 119, 7. – Wortspiele mit lupus (Name des Delinquenten und eines

    Buch I

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    Nonius: ‚Scelerosi‘ für scelerati (Verruchte, Frevler).

    „dass viele Monate und Tage, nicht aber ein Leben lang, die Verruchten dieses ‚Unwetter‘ bestaunen können.“

    Varro: Bei Lucilius [Fr. 926] und

    54

    „Sardellen bringen dich um, Lupus, und Welssuppe.“

    sowie [Fr. 1317] begegnen Namen von Fischen, und zwar liegt ihr Ursprung in Griechenland.

    Edelfisches [loup de mer]) und ius (Recht und Sauce, vgl. ius Verrinum, Cic. Verr. 2,1,121). Zu Ironie und Wortspielen s. Haß 2007, 195 und Winkelsen 2012, 90.

    LIBER II Wie wahrscheinlich Buch I hat auch das zweite Buch nur eine Satire enthalten. Mitglieder der Nobilität sind ihre Akteure. Lucilius zeichnet szenisch einen Repetundenprozess nach, in welchem T. Albucius, ein Anhänger Epikurs, den Q. Mucius Scaevola Augur, Schwiegersohn des C. Laelius, seinerseits Schwiegervater des L. Licinius Crassus (Fr. 79) einen Anhänger des Stoizismus, erfolglos anklagte. Scaevola hatte im Jahr 120 v. Chr. die Provinz Asia als Prätor verwaltet. Ablauf und Inhalt des 119 angestrengten Prozesses und damit der Satire lassen sich nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Die Fragmente sind im Folgenden nach ihrer Zugehörigkeit zum auktorialen Vorspann sowie ihrer Zuweisung an Anklage und Verteidigung grob geordnet. Erkennbar ist, dass Albucius den Scaevola einer Ge-

    Sch. Veron. Aen. 2,81: Lucilius in II:

    55 (55)

    – ⏑ ⏑ – fandam atque auditam iterabimus (famam.)

    famam add. Keil

    56–57 (82–83) Non. 10,10: ‚Inlex‘ et ‚exlex‘ est qui sine lege vivat. … Lucilius Satyrarum II:

    ‚non dico: vincat licet, et vagus exulet, erret exlex‘

    vincat codd. : vivat Mueller | vagus codd. : vacus L CA

    58 (59) Non. 129, 27: ‚Inpuno‘, quod est inpudens. Lucilius lib. II: Non. 167,17: ‚rapinatores‘ pro raptoribus. … Lucilius lib. II:

    ‚– ⏑ homo inpuratus et inpuno est rapinator.‘

    inpuratus et inpuno codd 129 : inpudicus et impune codd. 167 | rapinator codd. 167 : rapister codd. 129 | h. i. et i. est 〈ne〉 rapister? Marx : | et est inpune rapinator Terzaghi |

    Lit. zu B. II: Cichorius 237–251. – K.-L. Elvers: Art. [18] M. Scaevola, Q. („Augur“), in: DNP 8 (2000) 426f. – Ders.: Art. Albucius [2], in: DNP 1 (1996) 442. 55: Ähnlich Hor. sat. 1,7,1–3, zum Topos vgl. auch Plaut. Amph. 118, Ov. ars 1,681. – „En introduisant le récit des mésaventures judiciaires de Scaevola et d’Albucius, Lucilius crée un genre nouveau dans la littérature latine.“ (Charpin I 212 zu Fr. 1).

    Buch II walttat beschuldigte, was dieser anscheinend zu widerlegen wusste, ferner des Raubs. (Von Kunstgegenständen? Wenn dazu die Fr. 71 angeführten Gegenstände  – Kleidungsstücke von Dirnen – gehören, so ist das sicherlich als komische Verzerrung zu werten.) Ferner suchte er ihn als Wüstling zu verunglimpfen, wohl um sein stoisch geprägtes Auftreten als scheinheilig hinzustellen. Scaevola punktet nicht zuletzt mit der Eröffnung, dass Albucius aus persönlicher Feindschaft handelt: Er hatte ihn bei einem Zusammentreffen in Athen als Graecomanen bloßgestellt (Fr. 86–92). Die Idee, einen Prozess zum Thema einer Satire zu machen, hat Horaz mit seiner Satire 1,7 aufgegriffen. Auch Senecas Apocolocyntosis steht in dieser Tradition.

    55

    Scholia: Lucilius in B. II:

    Eine erzählenswerte und (schon oft) gehörte Geschichte werden wir erneut erzählen. Albucius klagt an:

    56–57 Nonius: ‚inlex‘ und ‚exlex‘ (gesetzlos) ist, wer außerhalb des Gesetzes lebt.

    „Ich sage nicht: ‚Mag er obsiegen‘; nein, heimatlos soll er in der Verbannung leben, vogelfrei soll er umherirren.“

    58 Nonius 129: ‚Inpuno‘ (ungestraft), was ‚unverschämt‘ bedeutet. – ein Missverständnis des Nonius.

    Nonius 167: ‚rapinatores‘ für ‚raptores‘ (Räuber).

    „ein Schandkerl ist er und ungestraft ein Räuber.“

    56–57: ‚nein‘: et in adversativer Bedeutung (Marx II 38). – Lucilius parodiert die Medea des Accius (Fr. 415 R); s. M. Barr, RhM 108 (1965) 10–13.

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    LIBER II

    59–60 (67–68) Prisc. GL 2,483,24: Et multa praeterea a vetustissimis similiter sunt prolata participia praeteriti a neutralibus verbis, ut … ‚obeo‘ ‚obitus‘ ὁ τεθνεώς, ‚occido‘ ‚occasus‘ ὁ δύνας … (484,11) Lucilius in II:

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – quae horis sublata duabus omnia sunt sole occaso ductoque ⏑ – ⏑‘ ductoque codd., def. Charpin I 214 ad fr. 4 : †ductoque Marx : obductoque tenebris suppl. J. Dousa : noctuque Warmington

    61–62 (62–63) Non. 102,7: ‚Excantare‘ significat ‚excludere‘. … Lucilius Satyrarum lib.II:

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – quae ego nunc 〈huic〉 Aemilio prae canto atque exigo et excanto ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑‘ quae Marx : qua codd. | huic add. Marx

    Cf. Porph Hor. epist. 2,2,94.95: ‚circum spectemus‘] Una pars orationis est divisa in duos versus Lucili more et antiquorum. (= fr. 1132M) Lucili G : Lucii reliqui

    63–64 (69–70) Non. 102,19: ‚Exculpere‘ est ‚extorquere‘ … Lucilius Satyrarum lib. II:

    ‚nunc nomen iam, quae ex testibus ipse rogando exculpo, haec dicam.‘ in add. Marx | nomen iamque codd. : nomen iam quae Marx : Nomentani quae Scaliger

    65–66 (57–58) Non. 291,34: ‚Elidere‘ etiam ‚excludere‘ significat. … Lucilius Satyrarum lib. II:

    ‚inpuratum hunc in fauces invasse animamque elisisse illi‘ inpuratum Muret : iniuriatum codd.

    67 (59) Non. 37,9: ‚Monogrammi‘ dicti sunt homines macie pertenues ac decolores: tractum a pictura, quae prius quam coloribus corporatur umbra fingitur. Lucilius lib. II: 61–62: Tmesis: s. Index grammaticus Marx I 169 s. v. – Ankündigung einer Zeugenvernehmung, wahrscheinlich durch Albucius. 63–64: ‚Schuldtitel’: der in den Akten festgehaltene und zurückzufordernde Betrag, s. die Erklärungen bei Marx I, XLII sowie II 33, ferner Charpin I 214f. zu Fr. 5. – Für Scaligers weitgehende Konjektur votiert Cichorius 244–246.

    Buch II

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    59–60 Prisc.: Und viele Partizipien des Perfekts (in aktiver Bedeutung) wurden außerdem von den ältesten (Autoren) gebildet von intransitiven Verben, wie ‚… obeo‘ (ich sterbe) ‚obitus‘, griech. ὁ τεθνεώς (der Gestorbene), ‚occido‘ (ich falle, gehe unter) ‚occasus‘, griech. ὁ δύνας (der Untergegangene) …

    „…, alles (Wertgegenstände), die binnen zwei Stunden entwendet wurden nach Untergang und Verschwinden der Sonne.“

    61–62 Nonius: ‚Excantare‘ (hervorzaubern) bedeutet auch ‚herausschließen‘ (i.S.v. ‚herausfließen lassen‘).

    „was ich jetzt dem Aemilius hier vorsinge, was ich ihm entlocke und hervorzaubere.“

    Vgl. Porphyrio: ‚Ringsum lasst uns blicken‘] Ein Redeteil ist auf zwei Verse verteilt nach Art des Lucilius und der alten Autoren.

    63–64 Nonius: ‚Exculpere‘ (herausmeißeln, [durch Fragen] herauspressen) bedeutet ‚entwinden‘, ‚entreißen‘.

    „Jetzt will ich zum Schuldtitel, was ich selbst durch Befragung den Zeugen entwinde, nun ausführen.“

    65–66 Nonius: ‚Elidere‘ (herausschlagen) bedeutet auch ‚ausschließen, entfernen‘. Vgl. das Primärzitat bei Nonius, Verg. Aen. 8,261 Elisos oculos…

    „dass dieser Schandkerl jenem an die Kehle gesprungen sei und (ihm) die Seele (aus dem Leib) geprügelt habe,“

    67 Nonius: ‚Monogrammi‘ (Nur aus Umrissen bestehend) wurden Menschen genannt, die aus Magerkeit ganz dünn und bleich sind: abgeleitet von einem Bild, das, bevor es durch Farben Gestalt gewinnt, in Umrissen skizziert wird. 65–66: erg. etwa: „… hat mir die Person X erzählt.“ 67: Vielleicht die unmittelbare Fortsetzung von Fr. 65–66.

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    LIBER II

    ‚vix vivo homini ac monogrammo‘ 68 (73) Non. 187,17: ‚Vulga‘, capacitas vel sinus cum laxitate. Lucilius lib. II:

    ‚in bulgam penetrare pilosam‘ bulgam Marx : vulgam codd.

    69 (72) Non. 65,24: ‚Natrices‘ dicuntur angues natantes. … Lucilius Satyrarum lib. II:

    ‚si natibus natricem inpressit crassam et capitatam‘

    70 (74) Glossar. cod. Vat. ap. CGL 4,18: ‚Pedicum‘, vicium mollitiae. Lucilius II Satirarum:

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ pedicum iam excoquit omne‘

    pedicum codd., Krenkel : paedicum Warmington | – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – pedicum Marx, qui pedicum ductum esse a ‘pedis,is c.‘ existimat.

    71 (71) Non. 539,17: ‚Rica‘ est quod nos ‚sudarium‘ dicimus. … Lucilius Satyrarum lib. II:

    ‚chirodytoe aurati, ricae, toracia, mitrae‘

    chirodytoe Marx : hrodyty codd. : chirodyti Mueller : chirodoti Bouterwek | ricae Carrio, toracia Roth : cice et oracia L AA CA : cae et oracia BA | mitrae codd. : mare CA

    72–74 (78–80) Non. 10,27: ‚Lurcones‘ dicti sunt a lurchando; ‚lurchare‘ est cum aviditate cibum sumere. Lucilius Satyrarum lib. II:

    ‚nam quid moetino subrectoque huic opus signo? ut lurcaretur lardum et carnaria fartim conficeret?‘

    subrectoque F. Dousa : subiectoque codd. | fartim F³ CA DA : parum L1 : fartim parum BA : fartim porro Marx : furtim partum Lachmann

    68: Für die Lesart vulga (= vagina) tritt anders Winkelsen (2012, 54) ein, und zwar mit dem Argument, dass „ein Lustknabe im Allgemeinen glaber (glattrasiert) war.“ Aber das Opfer muss kein professioneller Lustknabe gewesen sein. 70: Marx denkt an den morbus pedicularis (φθειρίασις); vgl. Serv. georg. 3,564; Plut. Alex. 55,9, Sull. 36. Doch s. Krenkel zu Fr. 73 und Charpin I 217f. zu Fr. 10. 71: „Manicatas tunicas hoc loco recte agnouit Bouterwekius quaest. Lucil. p. 7“ (Marx II 33). Ausführliche Diskussion des von Marx rekonstruierten Fr. bei Winkelsen 2012, 221f.

    Buch II

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    „einem kaum noch lebenden Manne und bloßen Schatten (seiner selbst)“ 68 Nonius: ‚Vulga‘ (lederner Sack [= bulga]), ‚Fassungsvermögen‘ oder auch ‚geräumige Vertiefung‘

    „eindringen in den behaarten Balg“

    69 Nonius: ‚Natrices‘ ist eine Bezeichnung für Wasserschlangen.

    „wenn er (ihm) sein dickes und kopfbewehrtes Reptil in den Hintern presste“

    70 Glossar: ‚Pedicum‘, Laster der Päderastie.

    „seine Lüsternheit nach Knaben schwitzt er nun ganz aus.“

    71 Nonius: ‚Rica‘ (Kopftuch) ist das, was wir ‚sudarium‘ (Schweißtuch, Taschentuch) nennen…

    „langärmelige golddurchwirkte (Tuniken), Kopftücher, Brustbinden, Kopf­ binden“

    72–74 Nonius: ‚Lurcones‘ (Fresser) wurden so nach dem Verb lurchare (fressen) genannt; ‚lurchare‘ bedeutet ‚Nahrung gierig zu sich nehmen‘.

    „Denn wozu braucht der hier ein Amulett mit einem erigierten Phallus? Um Speck zu verschlingen und sich vollzustopfen, indem er (ganze) Rauchkammern leer frisst?“

    Rica wurde von Nonius fehlgedeutet. – Alles Kleidungsstücke „in usum meretricis“ (Marx II 33f.) – oder „von verweichlichten Männern“ (Krenkel zu Fr. 61 sowie I 64f.)? „Tous ces objets de luxe sont cités, parce qu’ils évoquent, ainsi que les excès de table, l’amollissement et l’effémination des nobles“ (Charpin I 219 zu Fr. 13). 72–74: Zur Deutung – Verunglimpfung der einfachen Lebensweise des Stoikers Scaevola – Marx I p. XLIII–XLV, Cichorius 240f., Charpin I 216f zu Fr. 9; Winkelsen 201, 272. – Unheil abwehrendes Phallusamulett: Plin. nat. 28,39.

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    LIBER II

    75 (75) Non. 10,27: ‚Lurcones‘ dicti sunt a lurchando; ‚lurchare‘ est cum aviditate cibum sumere. … Lucilius Satyrarum lib.V: Don . Ter. Phorm. 988: An ‚ventrem‘ totum parasitum dicit? ut Lucilius in secundo:

    ‚vivite lurcones, comedones, vivite ventres.‘

    vivite codd. Non., V Don. : invitus codd. Don. | lurcones codd. Non. : claucones (gl. V) codd. Don. | ventrem (-es V) codd. Don. : ventris codd. Non., Marx

    76 (81) Char. GL 1,82,5: ‚Iuris consultus‘ dici debet, non ‚iure consultus‘; licet Cicero pro Murena ita dixerit et Lucilius II:

    – ᴗᴗ – ᴗ ᴗ – ᴗ ᴗ – ut iure peritus‘ *77–78 (84–85) Cic. de orat. 3,171: Collocationis est componere et struere verba sic, ut neve asper eorum concursus neve hiulcus sit, sed quodam modo coagmentatus et levis. in quo lepide soceri mei persona lusit is, qui elegantissime id facere potuit, Lucilius:

    Cic. orat. 44,149: Est enim quasi structura quaedam, nec id tamen fiet operose; nam esset cum infinitus tum puerilis labor; quod apud Lucilium scite exagitat in Albucio Scaevola: Cf. Cic. Brut. 79,274, Quint. inst. 9,113. Plin. nat. 36,185: Romae scutulatum in Iovis Capitolini aede primum factum est post tertium bellum Punicum initum, frequentata vero pavimenta Poenica ante Cimbricum magna gratia animorum indicio est Lucilianus ille versus [arte … vermiculato]. Non. 188,18: ‚Vermiculatum‘ pro minuto. Cicero in Oratore (149) et de Oratore lib. III (171) [lexis … vermiculato].

    ‚quam lepide lexis compostae ut tesserulae omnes arte pavimento atque emblemate vermiculato.‘

    lexis codd. orat., Non. : ex iis H de orat., A3 de orat. : sinthesis V O P de orat. | compostae codd. : composui et codd. Non. | pavimento codd. : -ta vel -ti codd. Plin. | emblemate vermiculato codd. : vermiculato emblemate codd. Brut.

    75: Oder, wie häufig, „Lebt wohl …“? Das könnte Albucius – ihm meint auch Charpin (I 215f zu Fr. 8) das Fr. zuordnen zu können – z. B. den Provinzialen als Abschiedsgruß an den abziehenden Tross des Scaevola in den Mund gelegt haben. 76: Mucius Scaevola war Rechtsgelehrter; s. Cic. Brut. 306, de orat. 1,200. Vielleicht (meine Vermutung) mokiert er sich, der wahre Experte, über seinen Gegner.

    Buch II

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    75 Nonius: ‚Lurcones‘ (Fresser) wurden so nach dem Verb lurchare (fressen) genannt; ‚lurchare‘ bedeutet ‚Nahrung gierig zu sich nehmen‘. Donatus: Oder nennt er den ganzen Parasiten ‚venter‘ (Bauch)?

    „Lasst’s euch gutgehen, ihr gefräßigen Fresssäcke, gutgehen, ihr Dickwänste!“ Scaevola verteidigt sich: 76 Charisius: Es muss ‚iuris consultus‘ heißen, nicht ‚iure consultus‘, mag auch Cicero pro Murena so [nml. ‚iure consultus‘, Mur. 27,2] formuliert haben und Lucilius (in Buch) II:

    „… als (vermeintlicher?) Rechtsgelehrter“

    77–78 Cicero, de oratore: Aufgabe der Wortstellung ist es, die Worte so zu fügen und anzuordnen, daß sie weder rauh zusammenstoßen noch auseinanderklaffen, sondern ganz fugenlos und glatt zusammenfinden. Darüber spottete Lucilius, der sich besonders gut darauf verstand, mit treffendem Witz in der Maske meines Schwiegervaters:  (Übers.: H. Merklin) Cicero, orator: Es ist nämlich sozusagen ein Gefüge (von Worten), aber es soll nicht mühevoll geschehen, denn das wäre ein unendlicher und zumal kindischer Aufwand; (eben) das verspottet bei Lucilius Scaevola klug an (der Rede des) Albucius: Plinius, naturalis historia: In Rom wurde ein rautenförmig gewürfelter (Mosaik­ boden) erstmals im Tempel des Iuppiter Capitolinus nach Beginn des Dritten Punischen Krieges verlegt, Häufigkeit aber und Beliebtheit punischer Mosaikböden vor dem Kimbernkrieg zeigt jener lucilianische Vers an. Nonius: ‚Vermiculatum‘ (wurmförmig) für ‚minutum‘ (klein).

    “Wie artig sind seine Worte gefügt, kunstvoll wie all die Steinchen in einem Mosaikboden und einer bunt geringelten Einlegearbeit.“

    77–78: Einen ausführlichen Kommentar bietet Charpin (I 220f. zu Fr. 15). – Zu der hier zum Ausdruck kommenden Stilkritik s. Koster 2001, 127.

    42

    LIBER II

    *79 (86) Cic. de orat. 3,171: quae cum dixisset in Albucium inludens, ne a me quidem abstinuit:

    ‚Crassum habeo generum, ne rhetoricoterus tu seis.‘

    rhetoricoterus tu seis edd. : rhetorico te rustus eis A² H P² : rhetorico te rus tu ses reliqui codd.

    80 (87) Non. 268,1: ‚Coicere‘, furari, auferre. … Lucilius lib. II:

    ‚quid dicis? cur est factum quod coicis istuc?‘

    quod codd. : quo E, Lindsay : quor Mueller

    81–82 (60–61) Non. 4,17: ‚Capulum‘ dicitur quicquid aliam rem intra se capit. nam sarcophagum, id est sepulchrum, ‚capulum‘ dici veteres volunt, quod corpora capiat.… Lucilius Satyrarum lib.II:

    ‚quom illic vidissent, Hortensius Postumiusque ceteri item, in capulo hunc non esse aliumque cubare,‘

    quom illic Mueller (probante Garbugino 1982 101) : quem illi cum codd. : quom illi [cum] Marx : quom illico Lindsay

    83 (64) Non. 261,29: ‚Circumferre‘ est proprie ‚lustrare‘. Lucilius Satyrarum lib. II:

    ‚tum facta omnia, sum circumlatus ⏑ ⏑ – ⏑‘ facta AA : facto L BA : farto Iunius | sum Marx : sunt codd. | circumlatus codd. : circumlata Iunius

    Non. 335,16:

    84 (65) ‚Lustrare‘, ‚expiare‘. … Lucilius Satyrarum lib.II:

    ‚lustratus, piatus‘

    85 (56) Don. Ter. Phorm 123: ‚Qui‘ ‚utinam‘ est, ut Lucilius in secundo:

    ‚qui te 〈di〉, montane, malum‘ – 〈atque〉 ad cetera pergit.

    te di Charpin : te codd. : di te Baehrens, Marx | montane codd., Marx, Terzaghi : Nomentane Scaliger, Cichorius | atque add. Marx : tum add. Charpin 80: Nonius hat coicere missverstanden; vgl. Afranius, CRF 309. 310 f.; Hor. sat. 1,4,79 f. 81–82: Aufdeckung eines vorgetäuschten Begräbnisses, wohl durch die Untergebenen des Scaevola; Cichorius 242–244 stellt den Bezug zu der Person her, von der Fr. 65–66 handelt. 83: circumferre eigl.: ‚geweihte Gegenstände um jemanden herumtragen’.

    Buch II

    43

    79 Cicero: Als er damit Albucius verspottet hatte, nahm er auch mich aufs Korn: (Übers.: H. Merklin)

    „(Keinen Geringeren als) Crassus habe ich zum Schwiegersohn: dass du (dir) nicht (einbildest, du) seiest ein besserer Redner.“

    80 Nonius: ‚Coicere‘ (hinwerfen), ‚stehlen‘, ‚wegtragen‘.

    „Was sagst du da? Wie konnte es dazu kommen, dass Du (mir) so etwas vorwirfst?“

    81–82 Nonius: ‚Capulus‘ (Sarg) wird alles genannt, was eine andere Sache in sich aufnimmt (‚capit‘). Denn ein Sarkophag, d. h. ein Grab, wird nach dem Willen der Alten ‚capulus‘ genannt, weil es Leiber aufnehme.

    „Als dort Hortensius und Postumius, ebenso die anderen (Anwesenden), gesehen hatten, dass nicht der hier im Sarg war und ein anderer (darin) lag, …“

    83 Nonius: ‘Circumferre‘ (herumtragen) ist im spezifischen Sinne ‘lustrare‘ (reinigen, sühnen).

    „Dann wurde alles getan, ich wurde entsühnt.“

    84 Nonius: ‚Lustrare‘ (entsühnen), ‚reinigen‘, ‚läutern‘.

    „entsühnt, geläutert“

    85 Donatus: ‚Qui‘ bedeutet ‚ ‚wenn doch‘, wie z. B. Lucilius im zweiten Buch:

    „Ach zum Teufel mit dir, du Flegel“ – (sagt er) und geht zu den weiteren Punkten über.

    85: Die Übersetzung setzt die (nicht belegte) Verwendung von montanus als Schimpfwort (vgl. rusticus) voraus; s. (auch zur Einfügung von di nach te) Charpin I 224f. zu Fr. 21. Cichorius (244–246) stellt wie in Fr. 63–64 den Namen Nomentanus her. – Das Fr. könnte zum Part des Scaevola gehören.

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    LIBER II

    *86–92 (88–94) Cic. fin. 1,8: Res vero bonas verbis electis graviter ornateque dictas quis non legat? nisi qui se plane Graecum dici velit, ut a Scaevola est praetore salutatus Athenis Albucius. (9) quem quidem locum cum multa venustate et omni sale idem Lucilius, apud quem praeclare Scaevola:

    ‚Graecum te, Albuci, quam Romanum atque Sabinum, municipem Ponti, Tritanni, centurionum, praeclarorum hominum ac primorum signiferumque, maluisti dici. Graece ergo praetor Athenis, id quod maluisti, te, cum ad me accedis, saluto: ‚χαῖρε‘ inquam ‚Tite‘, lictores, turma omnis chorusque: ‚χαῖρε, Tite‘. hinc hostis mi Albucius, hinc inimicus.‘ Ponti codd. : pontii A B E P | Tritanni vulg. : tritanii A² E : tritunii B : trianii A1 : Tritani Marx : | ergo codd. : enim B E | χαῖρε codd., Charpin : chaere A, Marx | chorusque codd. : cohorsque P | hinc A² P² : hic A1 B E

    *93 (95) Cic. de orat. 2,281: Bella etiam est familiaris reprehensio quasi errantis: ut quom obiurgavit Albium Granius quod, cum eius tabulis quiddam ab Albucio probatum videretur, et valde absoluto Scaevola gauderet neque intellegeret contra suas ta­ bulas esse iudicatum.

    94–95 (76–77) Non. 25,14: ‚Catax‘ dicitur quem nunc coxonem vocant. Lucilius Satyrarum II: Non. 218,32: ‚Pernities‘ generis feminini. Lucilius Satyrarum lib. II [pestem … nobis].

    ‚ Hostilius contra pestem permitiemque, catax quam et Manlius nobis‘

    Hostilius Passerat : hostilibus codd., Marx : hostilius Gerlach : hostibus J. Dousa | catax codd. : Catax Marx | manlius codd. : manius Mueller | nobis edd. : novis F³ : novus L : novius BA 86–92: Zu (T.) Pontius s. Cic. Cato 33 und fat. Fr. 5 bei Macr. Sat. 3,16,4 (Zenturio unter Scipio Aemilianus). Tritan(n)us ist nicht identifizierbar (Cichorius 248f.: der Plin. nat. 7,81 Genannte ein anderer). Scaevola war im J. 120 v. Chr. als Prätor in Athen (Cic. de orat. 2,269, vgl. Cichorius 88f.). – Zum Fr. Charpin I 222–224 zu Fr. 19 – mit ihm auch die Schreibweise χαῖρε) –, ferner Baier 2001, 38–40. 93: Granius wird auch B. XI Fr. 424–25 sowie in Fr. 1223–24 und Cic. Brut. 160 genannt (= 1180 M, in der vorliegenden Ausgabe als Testimonium nach Fr. 1181 zu finden). 94–95: Ein kaum sicher zu deutendes und darum nicht eingeordnetes Fragment. Cichorius (248–251) hat die Existenz eines C. Hostilius Cato als Zeitgenossen des Lucilius als möglich erschlossen. In dem (von Marx vermuteteten) Namen Catax vermutet er eine scherzhafte

    Buch II

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    86–92 Cicero: Wertvolles aber, das mit gewählten Woren eindrucksvoll und glänzend formuliert ist, wer sollte das nicht lesen? Da müßte einer schon als ganzer Grieche gelten wollen wie Albucius, den Scaevola als Prätor in Athen begrüßte. Gerade diese Episode hat derselbe Lucilius mit viel Geschmack und allem Witz gestaltet; herrlich sagt Scaevola bei ihm:  (Übers.: H. Merklin)

    „Ein Grieche wolltest du, Albucius lieber genannt werden als ein Römer und Sabiner, Mitbürger des Pontius, des Tritanus, Zenturionen, hervorragender und vorzüglicher Männer. Griechisch also – so zogst du es vor – grüße ich als Prätor dich in Athen, wie du zu mir trittst. ‚Χαῖρε,‘ sage ich, ‚Titus!‘ Meine Liktoren, mein Trupp vereint und im Chor: ‚Χαῖρε, Titus!‘. Seitdem ist Albucius mein Feind, seitdem mein Gegner.“

    93 Hübsch ist ferner, was man einem freundlich vorhält, als ob er sich irre. So wies z. B. Granius den Albius zurecht, mit dessen Rechnungbüchern Albucius einen bestimmten Beweis geführt zu haben schien. Da freue er sich sehr über den Frei­ spruch Scaevolas und merke nicht, daß gegen seine Rechnungsbücher entschieden worden sei. (Übers.: H. Merklin) 94–95 Nonius 25: Als ‚catax‘ wird jemand bezeichnet, den man jetzt ‚hinkend‘ (coxo) nennt. Nonius 218: ‚Pernities‘ (Verderben) femininen Geschlechts.

    „… Hostilius dagegen (bringt?) Pest und Verderben, wie sie auch der hinkende Manlius uns (gebracht hat?).“

    Abwandlung eben des Cognomens Cato. Er vermutet weiter, dass die Genannten unter Scaevola Legaten oder jedenfalls Mitglieder seines Stabes waren. Für Manlius hatte Marx (II 36) das Cognomen Torquatus vermutet. Eine andere Deutung entwickelt Charpin (I 226f. zu Fr. 23): Er stimmt Terzaghi zu, dass catax nur zu dem Relativsatz, damit zu Manlius gezogen werden könne. Ihn identifiziert er mit Cn. (Charpin irrtümlich: C.) Manlius Vulso, dem die Überlieferung zur Last legt, er habe 189 v. Chr. den Luxus des Ostens nach Rom gebracht; s. über ihn: T. Schmitt, Art. [I 24] M. Vulso, Cn., in: DNP 7 (1999), 827f. Anders als Charpin halte ich es für wenig wahrscheinlich, dass hostilibus zu halten sei; Hostilius ist auch ohne Cichorius’ These, dass Catax = Cato sei, eine naheliegende und längst vor ihm vorgeschlagene Konjektur. – Aber die in oben gegebener Übersetzung zum Ausdruck gebrachte Deutung bleibt auch nur ein Vorschlag.

    LIBER III Auch dieses Buch bestand aus einer einzigen Satire, dem Iter Siculum. Hierzu trat Horaz mit seinem Iter Brundisinum (sat. 1,5) in Wettstreit (s. u. Fr. 96). Das Iter Siculum ist die erste uns bekannte poetische Reisebeschreibung in der römischen

    96 (96) Porph. Hor. sat. 1,5,1: Lucilio hac satyra aemulatur Horatius iter suum a Roma Brundesium usque describens, quod et ille in tertio libro fecit, primo a Roma Ca­ puam usque, et inde fretum Siciliense. 97–98 (97–98) Non. 475,20: ‚partiret‘ pro ‚partiretur‘. … Lucilius lib. III:

    tu partem laudis caperes, tu gaudia mecum partisses.

    partisses codd. : partissis L1 CA

    99–100 (99–100) Non. 63,3: ‚Grumae‘ sunt loca media, in quae directae quattuor congregantur et conveniunt viae. est autem gruma mensura quaedam, qua fixa viae ad lineam deriguntur, ut est agrimensorum et talium. … Lucilius lib. III:

    viamque degrumabis, uti castris mensor facit olim. viamque Marx : viam quae codd. | degrumabis Mercier : degrumavis codd. : degrumavisti Warmington | uti Mueller : ut codd. : ut in Merula

    *101–2 (107–8) Non. 266,21: ‚Commodum‘, integrum, totum. Lucilius:

    bis quina octogena videbis commoda te, Capua quinquaginta atque ducenta

    Lib. III tribuit J. Dousa. – bis codd. : vis L1 AA | quina octogena Scaliger : quin actogena G1 B L : qui in actogena AA | videbis codd. : videƀ AA

    Lit zu B. III.: Cichorius 251–261; Lafaye 1911; Faller 2001, 72–89 (86–88 mit Literaturverzeichnis); Haß 2007, 154–158. – C.J. Classen: Eine unsatirische Satire des Horaz? Zu Hor. sat. 1,5. Gymnasium 80 (1973) 235–250; W. W. Ehlers: Das ‚Iter Brundisinum‘ des Horaz (Serm. 1,5). Hermes 113 (1985) 69–83. 97–98: Der Adressat dieser Zeilen konnte oder wollte an der Reise nicht teilnehmen. Wegen des Futurs in den folgenden 3 Fragmenten nahm Cichorius (256–259) eine eigene Satire, ein Propemptikon an. Demgegenüber glaube ich mit Charpin (I 227 f. zu Fr. 1), dass der Dichter

    Buch III Literatur. Für die Anordnung der Fragmente geben die Reiseroute (s. Karte a. E. dieses Buches) und Horaz Anhaltspunkte, die jedoch längst nicht immer sicher sind (Faller 72 f.).

    96 Porphyrio: Dem Lucilius eifert mit dieser Satire Horaz nach, wenn er seine Reise von Rom bis Brundisium beschreibt, was auch jener tat, zunächst von Rom bis Capua, und von dort bis zur Meerenge von Sizilien. 97–98 Nonius: ‘partiret‘ (er würde teilen) statt ‘partiretur‘.

    Dir würde ein Teil des Ruhmes gehören, du hättest das Vergnügen mit mir geteilt.

    99–100 Nonius: ‚Grumae‘ sind Mittelpunkte, an denen vier gerade Wege sich vereinen und zusammenlaufen. Es ist aber eine gruma ein Messgerät; wenn dieses aufgestellt ist, können Wege schnurgerade ausgerichtet werden, wie es (Werkzeug) der Feldvermesser und solcher (Fachleute) ist.

    und du wirst den Weg ‚vermessen‘, wie es gewöhnlich der Feldvermesser für das Lager tut.

    101–2 Nonius: ‚Commodum‘ (dem Maß entsprechend), ‚vollständig‘, ‚ganz‘.

    Du wirst sehen: zweimal volle fünfundachtzig, von Capua zweihundertfünfzig (Meilen hast) du (dann zurückgelegt).

    seinem Freunde lediglich ausmalt, was er erleben wird, wenn er seinen Bericht liest. – Zur Reinszenierung der Emotion Freude s. Gärtner 2008, 180 f. 99–100: ‚vermessen‘: natürlich im übertragenen Sinne: Der Freund wird sich ein genaues Bild von der Route machen können. 101–2: Charpin zufolge (I 229 f. zu Fr. 4) diskutiert Lucilius die Vor- und Nachteile der Reise zu Lande und zu Wasser. – Zu Rückschlüssen aus den Entfernungsangaben zuletzt Faller 2001, 75.

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    LIBER III

    103 (109) Non. 489,11: Ab eo quod est ‚labos‘ ‚labosum‘ facit, non ‚laboriosum‘ Lucilius Satyrarum lib. III:

    praeterea omne iter est hoc labosum atque lutosum.

    104–6 (102–4) Prob. Verg. ecl. 326,17 H.: Facelitis autem Dianae Lucilius quoque in tertio Satyrarum meminit sic:

    et saepe quod ante optasti, freta, Messanam, Regina videbis moenia, tum Liparas, Facelinae templa Dianae …

    messanam V1 : messanae V marg., Mueller : messana P | regina V2 P1 : reginam V1 : rhegina P² | facelinae P : fascelinae V

    107–10 (110–13) Gell.16,9,3: Significat autem ‚susque deque ferre‘ animo aequo esse et, quod accidit, non magni pendere atque interdum neglegere et contemnere et propemodum id valet, quod dicitur Graece ἀδιαφορεῖν. … (6) Lucilius in tertio:

    verum haec ludus ibi, susque omnia deque fuerunt, susque et deque fuere, inquam, omnia ludus iocusque: illud opus durum, ut Setinum accessimus finem, αἰγίλιποι montes, Aetnae omnes, asperi Athones.

    susque et codd. : susque haec F. Dousa | et om. T, et ...opus om. X | durum codd. : dirum Π | Setinum X O Π N : sedinu Q Z : sed in que T | αἰγίλιποι Giphanius, Mueller : aigilipes Marx : Α ΙΓΙΑ ΠΟΙ Ζ : ΑΙ ΓΙ ΑΙ Β Ο Ι Τ : ΑΙ ΠΙ Λ Ι Π Ο Ι a i t Χ Ο (-ΤΟΙ ait Ν, -ΠΟΥ ait Π) | aetnae codd. : aetene X : ethnae Π | omnes Q O N T : omne Z : om. X Π | asperi athones Z I : asperiathones X Π O N : asperia hones Q

    111 (114) Iulius Romanus ap. Char. GL 1,203,20: ‚Longe‘ pro ‚longitudine‘ Lucilius Saturarum III:

    〈Volturnus Capua〉 longe III milia passu[u]m

    Volturnus Capua add. Becker Philologus 4 (1849) 82–84, coll. [Ascon.] ad Cic. Verr. 2,1,125, p. 193 Bait.; eminus est Volturnus Capua tria milia passuum.

    103: Nonius irrt: labosum ist von lābi, nicht von lăbor abgeleitet. – Charpin (I 230 zu Fr. 5) sieht in dem Fr. das letzte Argument gegen den Landweg auf der via Popilia. Anders bezieht es Faller (2001, 77 f.) auf das Gebiet der pomptinischen Sümpfe, das Horaz (sat. 1,5,9–24) auf einem Treidelbot umschiffte. 104–6: ‚den Tempel der Diana Facelina‘ (auch Phakelitis genannt): auf dem Kap Artemision bei Mylae. – Vgl. Seneca dial. 6,17,2–5, der Marcia zu einer Reise zu animieren sucht.

    Buch III

    49

    103 Nonius: Von der Form ‚labos‘ leitet Lucilius … ‚labosum‘, nicht ‚laboriosum‘ (mühevoll) ab.

    Außerdem ist der ganze Weg hier schlüpfrig und schlammig.

    104–6 Probus: Die Diana Facelina aber erwähnt auch Lucilius im dritten Buch der Satiren wie folgt:

    und du wirst, was du dir schon so oft gewünscht hast, die Meerengen, Messina, Rhegiums Mauern sehen, dann die Liparischen Inseln, den Tempel der Diana Facelina …

    107–10 Gellius: Es bedeutet aber ‚susque deque ferre‘ ‚gleichmütig sein‘ und, was geschieht, nicht wichtig zu nehmen und bisweilen sich nichts daraus zu machen und sich darüber hinwegzusetzen, und es meint ungefähr das, was griechisch ἀδιαφορεῖν (gleichgültig sein) heißt.

    Doch dies war Spiel dort, ein Klacks war alles, ein Klacks war‘s, sage ich, alles Spiel und Spaß: das (dagegen) harte Arbeit, als wir die Gegend von Setia erreichten, Berge, wohin selbst Ziegen nicht klettern, jeder ein Aetna, ein holprig-steiler Athos.

    111 Iulius Romanus: ‚longe‘ statt ‚longitudine‘ (in einer Entfernung von).

    der Volturnus, von Capua drei Meilen entfernt

    107–10: ibi: bei Aricia (Faller 2001, 77). – susque deque: ugspr., s. Otto 1890/1964, 237; mit ‚Klacks‘ ugspr. übersetzt. – Hilfreich Winkelsen 2012, 310 f. (u. a. mit Kritik an der programmatischen Überbewertung des Wortes ludus duch Puelma Piwonka 1949, 81 f.). 111: Charpin (I 238 zu Fr. 20) lehnt die Ergänzung als ‚gratuite‘ ab. Immerhin grenzt die kurze Distanz die Angabe auf den Landweg bis Puteoli ein. Für Krenkel (zu Fr. 112) deutet die Entfernungsangabe auf den Ort Casilinum am Flusse Volturnus.

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    LIBER III

    112–13 (105–6) Non. 279,24: ‚Deponere‘ est ‚desperare‘; unde et depositi desperati dicuntur. Lucilius Satyrarum lib.III: Non. 38,23: ‚Expirare‘ dictum est vel ab spiritu effuso vel ab spiraminibus. Lucilius lib. III [esxpirans ... agebat].

    Symmacus praeterea iam tum depostus bubulcus exspirans animam pulmonibus aeger agebat.

    depostus edd. . depositus codd. | ex(s)pirans codd. 38 : exalans codd. 279

    114 (138) Serv. auct. ecl. 6,53: Apud veteres unus quisque eo super quod iacebat fultus dicebatur. Lucilius in tertio:

    – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ et pulvino fultus ⏑ – ⏑

    115–16 (115–16) Non. 396,13: ‚Sumere‘ etiam significat ‚eligere‘. Lucilius Satyrarum lib. III:

    ‚– ⏑ ⏑ et spatium curando corpori honestum sumemus.‘

    corpori F. Dousa : corpore codd.

    117–18 (117–18) Non. 25,22: ‚Brocci‘ sunt producto ore et dentibus prominentibus. Lucilius Satyrarum lib. III: brocci Garbugino 1982, 103 : bronci plerique codd.

    Prisc. GL 2,217,8: Lucilius in IIII ‚Aethiopus‘ dixit pro ‚Aethiops‘[rinocerus velut Aethiopus]. Huc posuit J. Dousa.

    broccus Bovillanus: dente adverso eminulo hic est rinoceros velut Aethiopus.

    broccus Marx (cf. GL 5,443,28) : broncus codd. | Bovillanus Turnebus probante Garbugi­ no 1982, 103 : novit (ovat A1, Iunius) lanius codd. : obit lanius J. Dousa : broccus Novi † tlanus Marx | rinoceros codd. : riceros L1 112–13: Krenkel (zu Fr. 113–14) widersprach der Annahme, dass die Erkrankung des Symmachus Anlass der Reise gewesen sei und dass der griechische Name auf Besitzungen des Lucilius auf Sizilien schließen lasse (Marx II 49 und Cichorius 252, s. auch 25). In der Tat hätte ihn dazu wohl allenfalls die Notwendigkeit veranlassen können, den vilicus zu ersetzen. (Charpin, der am Sterben des Symmachus als einem Anlass zur Reise festhält [I 230 zu Fr. 6], sieht diese Schwierigkeit und folgert, Symmachus müsse eine leitende Funktion gehabt haben. Warum aber kennzeichnet Lucilius ihn dann einfach als bubulcus?) Symmachus gehörte vermutlich zum Begleitpersonal der Reisegesellschaft. Dann war sein nahender Tod einer der Gründe (praeterea) für eine Unterbrechung der Reise, vermutlich in oder bei Capua. (Das legt u. a. Fr. 117–18 nahe.) – Es ist der Diskussion wert, wenn Faller 78 f. jetzt die Existenz sizilischer Besitzungen in Zweifel zieht. Sie wird noch von Charpin (I 230 zu Fr. 6) als sicher angenommen. Allerdings bleibt Fr. 241–42 in B. VI (s. dort) ein Gegenindiz.

    Buch III

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    112–13 Nonius 279: ‚deponere‘ (ablegen) meint ‚(an jemandes Weiterleben) verzweifeln‘, ‚(ihn) aufgeben‘. Daher heißen auch ‚im Sterben liegend‘ die Aufgegebenen. Nonius 38: ‚Expirare‘ (aushauchen) sagte man entweder von der ausgehauchten Atemluft oder von den Atemzügen.

    zudem lag Symmachus, der Ochsentreiber, da schon im Sterben; im Begriff, sein Leben auszuhauchen, lag er lungenkrank darnieder.

    114 Servius auctus: Bei den Alten sagte man von jedem, er sei von dem, worauf er lag, gestützt.

    und von einem Kissen gestützt

    115–16 Nonius: ‚Sumere‘ (nehmen) bedeutet auch ‚auswählen‘.

    „und wir werden uns angemessene Zeit nehmen, den Körper zu pflegen.“

    117–18 Nonius: ‚Brocci‘ sind Menschen mit vorgestülptem Mund und vorstehenden Zähnen. Priscianus: Lucilius hat in Buch IV ‚Aethiopus‘ statt ‚Aethiops‘ gesagt: Die beiden Fragmente verband J. Dousa.

    der Mann aus Bovillae mit Pferdegebiss: mit seinem ein wenig vor- und herausstehenden Zahn sieht der Mann aus wie ein äthiopisches Rhinozeros.

    114: Dass das Fragment – schon wegen des Singulars fultus – eher hierher gehört und nicht hinter Fr. 137, vermutet ansprechend Krenkel (zu Fr. 138). 115–16: Gehört das Fragment zum Komplex der Fragmente 99–106, also weiter nach vorn? Oder, Krenkels Vermutung (zu Fr. 115–16), handelt es sich um aufmunternde Worte des Lucilius an Symmachus? Oder, dann wie abgedruckt als direkte Rede, um Worte des Lucilius oder eines anderen Reiseteilnehmers, die sich an die Reisegesellschaft richten? – Faller 80. 117–18: Die Verse 117–123 schildern entweder einen von wechselseitigen Beschimpfungen der Kontrahenten begleiteten Gladiatorenkampf, wohl in Capua, oder, so Heurgon (1959, 83 f.) – das nahe Atella ist die Heimat des ludus Oscus –, die Aufführung einer Posse. Weiteres bei Faller 2001, 80 f. – Horaz (sat. 1,5,51–70) ahmt die Episode mit einem burlesken Wortgefecht zweier Tischgäste des Maecenas nach.

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    LIBER III

    119 (119) Non. 217,12: ‚Posticam‘ feminino genere consuetudine appellamus. Lucilius Satyrarum lib. III: III L BA : IIII F³

    ‚non peperit, verum postica parte profudit.‘

    peperit L BA : peri F³ | verum Bentin : virum codd. | profudit edd. : profundit BA : protundit L

    120 (120) Prisc. GL 2,501,10: Deponentia in –rior desinentia, ‚orior‘ et ‚morior‘, tam secundum tertiam quam secundum quartam coniugationem declinaverunt auctores … (22) Lucilius in III:

    conturbare animam potis est quicumque adoritur.

    121 (101) Non. 123,18: ‚Incitas‘ dicitur ‚egestas‘. … Lucilius Satyrarum lib. III:

    illud ad incita cum redit atque internecionem

    redit G1 : rediit codd. | atque codd. : aque L1

    122–23 (121–22) Don. Ter. Phorm. 163: ‚Abundare‘ dicitur qui successu prospero affluit. Lucilius libro tertio: Sch. Iuv. 3,158: Pinnis pavonum ornari solent gladiatores, si quando ad pompam descendunt. ‚pinnirapos‘ autem dicit lanistas. … aut ideo ‚pinnirapos‘, quia pinnas in galeis habebant, ut Lucilius [cum ... se].

    ille alter abundans cum septem incolumis pinnis redit ac recipit se. ille alter codd : ille alter autem R C O Don. | incolumis pinni codd. Sch. : in locum his pinnis codd. Don. | redit ac recipit se codd. Sch. : r a r p codd. Don.

    *124 (123) Paul. Fest. 109,17 L: ‚Minorem Delum‘ Puteolos esse dixerunt, quod Delos aliquando maximum emporium fuerit totius orbis terrarum; cui successit postea Puteolanum, quod municipium Graecum antea Δικαιαρχία vocitatum est. Unde Lucilius:

    inde Dic[i]architum populos Delumque minorem

    Hic posuit J. Dousa. | Dicarchitum Unger : diciarchicum codd. : diciathicum L

    121: Nonius hat die Wortbildung nicht verstanden: Plaut. Poen. 907 ad incitas (sc. calces) redigit, vgl. Trin. 537, beide Stellen von Nonius vor dem Lucilius-Fr. zitiert; Incita bei Lucilius ist also n. pl. des Partizips zu (in +) cieo, ebenso Fr. 507. – ad incita redire: wie beim Brettspiel. – Abwegig wohl Charpins Deutung (I 231 zu Fr. 7).

    Buch III

    53

    119 Nonius: Die ‚postica‘ (den Hintern) benennen wir gewöhnlich in der femininen Form.

    „nicht geboren hat sie (dich / ihn), sondern aus ihrem Hinterteil ausgeschieden.“ 120 Priscianus: Deponentien, die auf –rior enden, ‚orior‘ (ich entstehe) und ‚morior‘ (ich sterbe), konjugierten die Autoren sowohl nach der dritten als auch nach der vierten Konjugation.

    (Den Gegner) vermag durcheinanderzubringen, wer immer zum Angriff schreitet.

    Nonius: ‚Incitas‘ heißt ‚bittere Armut‘.

    121

    als es zum Schachmatt kommt und zur vollständigen Niederlage

    122–23 Donatus: ‚Abundare‘ (in Überfluss haben) sagt man von jemandem, der mit glücklichem Erfolg gesegnet ist. Scholia: Mit Pfauenfedern pflegen Gladiatoren geschmückt zu werden, wenn sie einmal zu einem Umzug einmarschieren. ‚Pinnirapos‘ (Federräuber) aber nennt er die Gladiatorenmeister. … Oder deshalb ‚pinnirapos‘, weil sie Federn an den Helmen hatten, wie Lucilius (es schildert):

    Jener, der eine (oder: der andere) von den beiden, kehrt, mit sieben Federn prangend, unverletzt zurück und tritt ab.

    124 Paulus, epitoma Festi: Puteoli soll man ‚Delus minor‘ (das kleinere Delos) genannt haben, weil Delos einst der größte Handelsplatz auf der ganzen Welt gewesen sei; an dessen Stelle trat später Puteoli, eine griechische Provinzstadt, die zuvor Δικαιαρχία hieß. Daher Lucilius:

    Von dort (reisten wir weiter) zu den Völkerschaften der Dikaiarchiten, dem kleineren Delos.

    122–23: Der mit fünf Federn geschmückte Gladiator hatte also seinem Gegner zwei Federn abgenommen (Krenkel zu Fr. 122–23). 124: Gemeint ist Puteoli, dessen Name sich nicht in den Hexameter einfügen lässt; zu Einzelheiten s. Charpin I 232 zu Fr. 9.

    54

    LIBER III

    125 (124) Gell. 1,16,2: Lucilius in tertio Satirarum

    ad portam mille a porta est. exinde Salernum.

    ad portam codd. : ad portum Carrion | a porta codd. : a portu Lafaye RPh 35 (1911) 24 | exinde codd. Gell. (def. Keller Philologus 45 [1886] 191) : sex inde codd. Macr. | Salernum codd. Macr. : salternum codd. Gell.

    ‚mille‘, inquit ‚est‘, non ‚mille sunt‘. – Cf. Macr. Sat. 1,5,6. *126 (125) Serv. auct. Aen. 1,244: ‚Superare‘ nauticus sermo est. Lucilius:

    promontorium remis superamus Minervae.

    Hic posuit J. Dousa.

    *127 (126) Prob. Verg. georg. 3,146: Silarus flumen est Lucaniae. portus Alburnus et eiusdem nominis mons ad sextum a Primis Tabernis. mentionem facit Lucilius hoc versu:

    quattuor hinc Silari ad flumen portumque Alburnum.

    Hic posuit J. Dousa. | quattuor codd. : quatuor P | hinc codd. : huic V | Silari ad edd. : ad silari codd. | Alburnum codd. : taburnum V

    128 (127) Serv. auct. Aen. 10,244: Alii more antiquo ‚lux‘ pro ‚luce‘ accipiunt. Lucilius in tertio

    hinc media remis Palinurum pervenio nox.

    pro ‚nocte‘.

    129 (131) Char. GL 1,72,6: ‚Lignum‘ singulariter dici semper debet in multitudine … ut Lucilius III [fr. 133], idem in eodem ligna pluraliter dicit:

    ‚⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – si dent hi ligna videte.‘

    si dent Buecheler : student codd. | videte N : videre ed. princ.

    130 (128) Prisc. GL 2,209,6: Et sciendum quod quinque inveniuntur in –o terminantia, quae faciunt in –a feminina, leo leaena vel lea, draco dracaena, leno lena, caupo caupona, quod significat tam ipsam tabernam quam mulierem. Lucilius in III:

    125: Marx II 60 verteidigt überzeugend die einhellige Überlieferung ad portam ... a porta: in Puteoli von der porta Capuana zur porta Marina (Charpin I 235 f zu Fr. 15). ‚Weiter nach Salernum‘: Wie sich zeigt, mit dem Schiff. 126: h. Punta Campanella, damals mit einem Athenetempel auf der Höhe; Faller 2001, 82. 127: ‚Vier‘ nml. ‚Stunden‘ Krenkel mit Marx (zu Fr. 127); anders Charpin (I 236 f zu Fr. 16):

    Buch III

    55

    125 Gellius: Lucilius sagt im dritten Buch der Satiren

    Von Tor zu Tor sind‘s tausend (Schritte). Weiter nach Salernum.

    ‚ist es tausend‘, nicht ‚sind es tausend‘. 126 Servius auctus: ‚Superare‘ (überwinden) ist Seemannsdiktion. Lucilius:

    rudernd umschiffen wir das Vorgebirge der Minerva.

    127 Probus: Silarus ist ein Fluss in Lukanien. Der Hafen Alburnus und ein Berg gleichen Namens (liegen) beim sechsten (Meilenstein) nach Primae Tabernae. Lucilius erwähnt sie mit folgendem Vers:

    Vier (sind es) von hier bis zum Fluss Silarus und zum Hafen Alburnus.

    128 Servius auctus: Andere nehmen nach altem Sprachgebrauch ‚lux‘ für ‚luce‘ (bei Tagesanbruch). Lucilius im dritten Buch

    Von hier gelange ich mitten in der Nacht rudernd nach Palinurus.

    für ‚nocte‘.

    129 Charisius: ‚Lignum‘ (Holz) im Singular muss es bei einer Menge immer heißen …, wie Lucilius Buch III …, doch sagt er im selben Buch auch im Plural:

    „Schaut nach, ob die Leute hier uns Holz geben.“

    130 Priscianus: Man sollte wissen, dass sich fünf auf –o endende (Substantive) finden, die Feminina auf –a bilden, ‚leo‘ (Löwe) ‚leaena‘ oder auch ‚lea‘, ‚draco‘ (Drache) ‚dracaena‘, ‚leno‘ (Kuppler) ‚lena‘, ‚caupo‘ (Schankwirt) ‚caupona‘, (ein Wort,) das ebenso die Schenke selbst wie die Frau bezeichnet. Lucilius in Buch III: quattuor sc. milia; so weit ist es vom berühmten Paestum, das die Reisenden vom auf See ankernden Schiff aus besucht haben können, zum Silarus und zum Hafen Alburnus. 129: Den überlieferten Text verteidigt Charpin (Fr. 24 + Erl. I 239). Aber sollte der Grammatiker tatsächlich den dann notwendigen Infinitiv (z. B. colligere, wie Terzaghi 1934/1970, 2964 vermutet) weggelassen und einen syntaktischen Torso zitiert haben?

    56

    LIBER III

    caupona hic tamen una Syra – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – x hic tamen codd. : hic tantum L : tamen hic A

    131 (129) Non. 20,29: ‚Cernuus‘ dicitur proprie inclinatus, quasi quod terram cernat. Lucilius Satyrarum lib. III:

    cernuus extemplo plantas convestit honestas. Cf. Paul. Fest. 48,8: ‚Cernuus‘ calciamenti genus. Isid. orig. 19,34,13: Socci non ligantur, sed tantum intromittuntur. ‚cernui‘ socci sunt sine solo. 132 (132) Non. 216,4: ‚Ostrea‘ generis feminini. Lucilius Satyrarum lib. III:

    ostrea nulla fuit, non purpura, nulla peloris.

    peloris codd. : pelobis L1

    133 (133) Char. GL 1,72,6: Lignum singulariter dici semper debet in multitudine … (7) sicut et fasces dicuntur ‚asparagi‘, quamvis asparagos pluraliter dicamus, ut Lucilius III:

    asparagi nulli 134–35 (134–35) Sch. Hor. sat. 1,3,56: … ‚incrustari‘ autem vas dicitur, cum aliquo vitioso suco inlinitur atque inquinatur, secundum quod et Lucilius in III satyrarum ait: lib. IV tribuit [Acro].

    nam mel regionibus illis incrustatus calix, rutai caulis habetur.

    rutai Lachmann : rutia cod. Bambg. : ruta Porph. codd. : et rutae Meyer

    136 (136) Non. 164,26: ‚Ructus‘ a ructando dictus. … Lucilius Satyrarum lib. III:

    – ⏑ ⏑ exhalas tum acidos ex pectore ructus.

    137 (137) Non. 455,37: ‚Rictum‘ ferarum dici volunt, cum Titinius auctor sit etiam hominis dici debere. … Lucilius Satyrarum lib. III:

    132: Winkelsen (2012, 70 f.) macht darauf aufmerksam, dass die Gienmuschel neben Auster und Purpurschnecke „eine weit verbreitete Speise war“ und deutet: „Es gab keine Austern

    Buch III

    57

    Hier jedoch gab es nur eine syrische Wirtin 131 Nonius: ‚Cernuus‘ (eigl.: vornüber stürzend; radschlagender Gaukler [so Fr. 698]; Gamasche) heißt im prägnanten Sinne einer, der (nach vorn) geneigt ist, sozusagen weil er zu Boden schaut.

    Eine Gamasche bekleidet sogleich die ansehnlichen Füßchen.

    Vgl. Paulus, epitome Festi: ‚Cernuus‘, eine Art Schuhwerk. Isidorus: ‚Socci‘ (leichte Schuhe) werden nicht geschnürt, sondern nur angelegt. ‚cernui‘ sind leichte Schuhe ohne Sohle.

    132 Nonius: ‚Ostrea‘ (Auster), ein Femininum.

    keine einzige Auster gab es, Purpurschnecke (auch) nicht, keine Gienmuschel.

    133 Charisius: ‚Lignum‘ (Holz) im Singular muss es bei einer Menge immer heißen …, wie man auch von Spargelbündeln (= Bündeln des Spargels) spricht, obwohl wir ‚asparagi‘ (die Spargel) im Plural sagen, wie Lucilius Buch III:

    keine Spargel

    134–35 Scholia: … ‚incrustari‘ (mit einer Kruste überzogen werden) heißt es von einem Gefäß, wenn es mit einem verdorbenen Saft bestrichen und beschmiert wird, entsprechend dem, was auch Lucilius in Buch III der Satiren sagt:

    denn für Honig werden in jenen Gegenden ein verschmierter Becher, ein Rautenstengel gehalten.

    136 Nonius ‚Ructus‘ (Rülpsen), von ructare (rülpsen) abgeleitet.

    (Da) hauchst du dann saure Rülpser aus der Brust.

    137 Nonius: Den Ausdruck ‚rictus‘ (Aufreißen des Mauls) will man nur auf Tiere angewandt wissen, obwohl Titinius bezeugt, dass er auch vom Menschen gesagt werden darf. und Purpurschnecken – darüber kann man hinwegsehen; aber dass es noch nicht einmal gewöhnliche Gienmuscheln gab!“

    58

    LIBER III

    malas tollimus nos atque utimur – ⏑ ⏑ rictu. ‚excidit velut ocius‘ Marx

    138 (139) Non. 173,11: ‚Sententia‘, sensibilitas. … Lucilius Satyrarum lib. III: III BA : IIII L

    Isid. orig. 1,36,3: Zeugma est clausula, quum plures sensus uno verbo clauduntur. quae fit tribus modis. nam aut in primo, aut in postremo, aut in medio id verbum ponitur, quod sententias iungit. in primo, ut … Sch. Pers. 5,140: Oenophorum vas vinum ferens. οἶνος enim vinum est. Cf. Isid. orig. 20,6,1. Consent. GL 5,345,19 : Simile est fundus. Lucilius dicit:

    Vertitur oenophori fundus, sententia nobis.

    oenophori Marx : enophori codd. Sch. Pers. : enofori codd. Isid. 20 : oenoforis codd. Non., codd. Isid.

    139–40 (130) Non. 150,18: ‚Praecox‘ [et] ‚praecoca‘, quod est immatura. … Lucilius lib. III (130):

    – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ annicula aspera 〈equa〉 atque 〈praecoca〉

    annicula H1 : anicula L : amicula F. Dousa | annicula aspera atque Housman CQ 1(1907) 148–149, Warmington (cf. Garbugino 1982, 104–105) : annicula aspera Marx

    141–42 (140–41) Non. 489,14: ‚Nefantia‘ pro ‚nefanda‘. Lucilius Satyrarum lib. III:

    Tantalus, qui poenas, ob facta nefantia poenas pendit.

    poenas pendit codd. : pendit DA | T., qui p. ob f. nefantia, poenas dist. Marx

    143–44 (142–43) Diom. GL 1,376,12: Sed ‚expergitus‘ dicitur qui satiatus somno sponte evigilat. unde et Lucilius ait: Prisc. GL 2,512,24: Quamvis vetustissimi etiam ‚expergitus‘ dicebant. Lucilius in III [e somno ... clamo]. 138: Die Lesart oenophoris favorisiert Winkelsen 2012, 330. – Die Übersetzung folgt Nonius’ Deutung von sententia. Ähnlich Charpin (zu Fr. 32 + Erl. I 241 f.), der sententia mit ‚notre manière de voir‘ übersetzt. – Oder ändern sich, was Krenkel (zu Fr. 139) bevorzugt, als Folge zu reichlichen Weinkonsums die Reisepläne? – Auf besseren Wein als den der syrischen Wirtin und damit auf eine andere Situation möchte Faller 2001, 86 das Fragment beziehen. 139–40: Vergleicht der Dichter damit die hübsche Syrerin? Wenn ja, wäre das ein Indiz mehr für die Annahme, dass Horaz sat. 1,5,82–85 sich von dieser Episode inspirieren ließ. Dann

    Buch III

    59

    (So) setzen wir die Kinnbacken in Bewegung und sperren das Maul auf. 138 Nonius: ‚Sententia‘ (Meinung, Gesinnung), Fähigkeit, zu empfinden. Isidorus: Ein Zeugma ist ein Satzschluss (derart), wenn mehrere Gedanken nur durch ein Wort abgeschlossen werden. Es kommt auf drei Weisen zustande. Denn entweder wird das Wort, das die Gedanken verbindet, an den Anfang oder an das Ende oder in die Mitte gestellt. An den Anfang, wie (z. B.) … Scholia: ‚Oenophorum‘ ist ein Gefäß mit Wein. οἶνος heißt nämlich Wein. Consentius: Etwas Ähnliches ist ‚fundus‘ (Boden). Lucilius sagt:

    Umgedreht wird des Weinkrugs Boden, uns (dreht sich) der Kopf.

    139–40 Nonius: ‚Praecox‘ und ‚praecoca‘ (vor der Zeit reif, frühreif), soviel wie ‚unreif‘.

    … ein einjähriges störrisches und unreifes Fohlen

    141–42 Nonius: Nefantia‘ für ‚nefanda‘ (unaussprechlich, ruchlos).

    Tantalus, der Strafe, wegen unsäglicher Taten Strafe erleidet.

    143–44 Diomedes: Aber ‚expergitus‘ (aufgewacht) sagt man, wenn jemand ausgeschlafen hat und von selbst erwacht. Daher sagt auch Lucilius: Priscianus: Gleichwohl sagten die ältesten Autoren auch ‚expergitus‘. Lucilius in Buch III: kann vielleicht nicht nur das folgende, sondern auch Fr. 1206 hierher gesetzt werden. – Wenn nein, könnte mit diesem Fragment Fr. 1319 (so Warmington zu Fr. 101) in Zusammenhang gebracht werden. 141–42: „La satire parodie certainement la tragédie“ (Charpin I 241 zu Fr. 31). Andere Zusammenhänge (als der oben angedeutete) sind denkbar; s. Charpin ebd. und Faller 2001, 84.

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    LIBER III

    ergo e somno pueros cum mane expergitus clamo, ergo edd. : ego codd. Diom. | pueros B Diom., codd. Prisc. : puteros A Diom. : puero M Diom. | clamo codd. Diom. : clamas codd. Prisc.

    145–46 (144–45) Non. 21,11: ‚Stricturae‘ dicuntur proprie scintillae quae de ferro ferventi eunt: quod aut stricte emittantur, id est celeriter, aut quod oculos sui fulgore perstringant. … Lucilius Satyrarum lib. III:

    crebrae ut scintillae, in stricturis quod genus olim ferventi ferro

    → fr. 1256–57 ?

    147 (146) Non. 206,17: ‚Forum‘ generis neutri. masculini Lucilius lib. III: Char. GL 1,71,26: ‚Forum‘ neutro genere dicimus locum rebus agendis destinatum, vel cum commercium significamus. … quamvis … Lucilius negotiorum forum masculine extulerit libro III [forus ... lucernis].

    Romanis ludis forus olim ornatus lucernis 148 (147) Iulius Romanus ap. Char. GL 1,223,21: ‚ut pote‘ Lucilius III.

    ut pote

    149 (148) Porph. Hor. sat. 1,10,53: ‚Nil comis tragici mutat Lucilius Acci?‘] Facit autem haec Lucilius cum alias, tum vel maxime in tertio libro, meminit VIIII et X. → fr. 1115 (1190 M); sic E. A. Schmidt 1977, 128, aliter Warmington lib. X Fr. 413

    145–46: Nach allgemeiner Ansicht ist vom Stromboli die Rede. Charpin (I 237 zu Fr. 18) hält auch den Aetna für möglich. 147: Mit negotia können sowohl öffentliche als auch Handelsgeschäfte gemeint sein. Es ist jedenfalls das Forum Romanum gemeint, vgl. Cic. nat. 1,22 signis et luminibus, Liv. 9,40,16, Sch. Pers. 5,180. Die ludi Romani fanden vom 4.–19. September statt. 149: Buch III als Hauptort der Accius-Kritik ist kaum überzeugend zu verifizieren, in Buch IX betrifft sie nicht den Tragiker, und in Buch X findet sich überhaupt keine Spur; s. Lafaye

    Buch III

    61

    Als ich also, aus dem Schlaf erwacht, früh am Morgen die Sklaven rufe,

    145–46 Nonius: ‚Stricturae‘ (Stabeisen) nennt man insbesondere die Funken, die vom glühenden Eisen ausgehen: weil sie entweder ‚stricte‘ (dicht, straff), das heißt schnell entsandt werden, oder weil sie die (Pupillen der) Augen durch ihr Blitzen verengen.

    wie ein Funkenregen, von der Art, wie er bei Stabeisen gewöhnlich (aus) dem glühenden Metall (sprüht).

    147 Nonius: ‚Forum‘ (Marktplatz) ein Neutrum. Als Masculinum … Charisius: ‚Forum‘ als Neutrum nennen wir einen Ort, der für öffentliche Verhandlungen bestimmt ist, oder wenn wir einen Handelsplatz bezeichnen. … wenn auch …Lucilius den für Geschäfte bestimmten Marktplatz in maskuliner Form bezeichnet hat in Buch III:

    (wie) bei den ludi Romani zuzeiten das mit Leuchten geschmückte Forum

    148 Iulius Romanus: ‚ut pote‘ (nämlich) Lucilius Buch III.

    nämlich

    149 Porphyrio: ‚Will denn der launige Lucilius nichts beim Tragiker Accius geändert sehen?‘] Es tut dies aber Lucilius an anderer Stelle, ganz besonders aber im dritten Buch, er kommt darauf zurück im neunten und zehnten Buch.

    1911, 26. Eine Lösung bietet E. A. Schmidt (1977, 122–129) an: Die Scholiasten hängen eine auf eine Versgruppe bezügliche Notiz an den ersten Vers der Gruppe an. Porphyrio bezieht sich auf Hor. sat. 1,10,53–55, wo neben Accius vor allem Ennius genannt wird. Facit autem haec meint also für Buch III die Eposparodie, auf die Lucilius in den Büchern IX und X nochmals zu sprechen kommt, wie auch Horaz seine Luciliuskritik von sat. 1,4 in sat. 1,10 aufnimmt. – Accius wird vor allem in Buch XXVI attackiert. Porphyrio führt dieses Buch nicht an, weil er die Sammlung der Bücher XXVI–XXX nicht kannte; s. Christes 1971, 134 f.

    LIBER IV Die wenigen Fragmente des um 118 v. Chr. entstandenen 4. Buches bieten ein buntes Bild: Ein paar Verse (Fr. 151 – 157) scheinen die Angabe des Persius-Scho­ liasten (Fr. 150) zu bestätigen, Persius habe die Thematik seiner 3. Satire – luxuria und vitia divitum – nach dem Vorbild einer Satire des 4. Buches des Lucilius gestaltet. Wir lesen von einem Gaul (Fr. 158 – einem Vorläufer von Don Quichottes Rosinante), von einem Jäger, der wohl die Jungen einer Bärin an sich nahm und dafür mit dem Leben bezahlte (Fr. 159. 160–161), von einer Tür, deren Riegel festsitzt (Fr. 164–165), vom Bau eines Bettes (Fr. 166), von einem Gespräch zwischen einem Päderasten und einem Liebhaber der Frauen (Fr. 167. 168–170). Zwei längere Fragmente (Fr. 171–174. 175–180) handeln von zwei Gladiatoren, die bei 150 (165) Sch. Pers. 3,1: Hanc satiram poeta ex Lucili libro quarto transtulit, castigans lu­ xuriam et vitia divitum. 151–52 (166–67) Serv. auct. Aen. 10,329: ‚Septem numero‘] Hoc est pro ‚septem‘. … veteres enim ita enuntiabant. Lucilius in IV:

    ‚hi prae se portant mi ingentes munere pisces triginta numero.‘

    hi edd. : bi codd. | mi ingentes Mueller : ingentes Marx : mihi gentes codd.

    153 (168) Non. 208,16: ‚Grues‘ genere feminino … Lucilius Satyrarum lib. IV:

    ‚longior hic quam grus, grue tota, cum volat olim.‘

    grus grue tota codd. : grus grege F. Dousa : congrus grue Lachmann

    → fr. 1321. 1285 ? 154 (171) Prisc. GL 2,522,8: In –do unum anomalum invenitur: ‚edo es est‘. vetustissimi tamen etiam ‚edo edis edit‘ dicebant correpta prima syllaba. … (17) Lucilius in IIII:

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ qui edit se, hic comedit me.‘ se codd. : sese Fleckeisen

    Lit. zu B. IV: Cichorius 262–268; Kaiser 1950, 187 f.; Pierini 1971, 205–221 (zum Gladiatorenkampf). 151–52: hi: wohl Klienten, vgl. Pers. 3,73–76, Iuv. 7,119–121. – Vielleicht ist Iuv. 4 von diesem Zusammenhang inspiriert.

    Buch IV einem auf die Zeit um 140 v. Chr. zu datierenden historischen Ereignis aufeinander trafen. Über die Reihenfolge der Fragmente lässt sich gar nichts, über die Zahl der Satiren nichts Sicheres ausmachen. Warmington nimmt zwei Satiren an, Krenkel, der versuchsweise Gaul, festsitzende Tür, Bau des Bettes und Pirsch mit üblem Ausgang für den Finder der Bärenjungen zu einem Jagdausflug zusammenfügt, kommt dennoch auf 4 Satiren. Vielleicht fügt sich aber auch vieles zu einer Satire, die eine cena als Grundgerüst und unter anderem Gespräche der convivae zum Inhalt hatte. Aber auch das ist nur eine Spekulation, weswegen hier auf eine Gliederung in Satiren verzichtet wird. 150 Scholia: Diese Satire übertrug der Dichter (= Persius) aus dem vierten Buch des Lucilius; er geißelte (mit) ihr Ausschweifung und Laster der Reichen. 151–52 Servius auctus: ‚Sieben an der Zahl‘] Das steht für ‚sieben‘. … Die alten Dichter drückten es nämlich so aus.

    „Die hier tragen vor sich her (und bringen) mir zum Geschenk riesige Fische, dreißig an der Zahl.“

    153 ‘Grues‘ (Kraniche) femininen Geschlechts.

    „Länger ist dieser als ein Kranich, als ein ganzer Kranich, wenn er mal fliegt.“

    154 Priscianus: Bei den Verben auf –do findet sich nur ein unregelmäßiges: ‚edo es est‘ (essen). Die ältesten Dichter sagten jedoch auch ‚edo, edis, edit‘ bei kurzer erster Silbe.

    „Der hier, der (erst) sich aufzehrte, verprasst jetzt mich.“

    153: ‚Dieser‘: wohl einer der Fische. – Wegen der sprachlichen Abundanz vermute ich, dass hier entweder der Reiche oder einer seiner Gäste spricht. 154: ‚sich/mich‘: iSv ‚sein/mein Hab und Gut‘ (patrimonium). – Über einen Parasiten gesagt.

    64

    LIBER IV

    155–56 (169–70) Non. 427,8: ‚Sebum‘ et ‚unguentum‘ hanc habent diversitatem: sebum fit ex adipe ruminantium. Lucilius Satyrarum lib. IV:

    Tisiphone Tityi e pulmonibus atque adipe unguen excoctum attulit, Eumenidum sanctissima Erinys.

    Tisiphone Tityi e Mueller : tisifone titene codd. : T. titini Gerlach : T. Titini Marx | atque G : adque codd. | adipe ed. pr. : adirem codd. | unguen Iunius : unguem codd. | attulit Eumenidum Iunius : attuli eumenidibus codd.

    157 (172) Prisc. GL 2,485,17: In -geo desinantia, l vel r antecedentibus, -geo in -si conversa faciunt praeteritum perfectum, ut … ‚turgeo tursi‘ … (486,18) Lucilius in XX [fr. 566]… idem in IIII:

    obtursi ebrius.

    ebrius codd. : ebreus G L K

    158 (163) Non. 16,26: ‚Succussare‘ est susum frequenter excutere. … Lucilius Satyrarum lib. IV: Non. 86,12: ‚Caballus‘. Lucilius lib. II: III (IIII) codd. Non. 16 : II codd. Non. 86

    succussatoris, taetri tardique caballi

    succussatoris BA N 16, F 86 : sucusatoris codd. : succussatori BA 86 : succussator L1 CA DA 86 | taetri tardique codd. 86 : tardi rarique codd. 16 | caballi codd. 16 : caballo L1 68

    159 (164) Non. 457,7: ‚Catuli‘ non solum canum diminutive, verum omnium animalium appellantur. … (16) Lucilius Satyrarum lib. IV:



    concursaret agros, catulos fetumque ferai

    concursaret codd. : concussaret Paris. 7666 : concursare et Mueller | agros codd. : apros Scaliger | ferai Mueller : ferat codd.

    160–61 (179–80) Non. 477,5: ‚Manducatur‘, pro manducat. … Lucilius Satyrarum lib. IV [adsequitur ... totum]. 155–56: Tityos, ein Sohn der Gaia, versuchte Leto Gewalt anzutun; zur Strafe fressen zwei Geier in der Unterwelt seine stets nachwachsende Leber: Hom. Od. 11,576–581; Lucr. 3,992–994. – Hier ist die Rede von einem unappetitlichen Gericht. Rita degl‘Innocenti Pierini (SIFC 50 [1978] 55–60) arbeitet die Nähe der Tisiphone zu einer Hexe heraus und weist Ov. met. 4,500–505 sowie Hor. sat. 2,8, 93–95 und epod. 3,5–8 (beide Stellen Canidia betreffend) als motivische Parallelen nach. 157: der Dichter als conviva vor Kummer über das Gebotene? – obtursi = pf. v. obturgescere (wtl. also: ‚ich schwoll trunken an‘), wohl nicht von sonst nicht belegtem obturgere.

    Buch IV

    65

    155–56 Nonius: ‚Sebum‘ (Talg) und ‚unguentum‘ (Salbe) unterscheiden sich wie folgt: Talg wird aus dem Fett der Wiederkäuer gewonnen.

    Tisiphone brachte Öl, ausgekocht aus den Lungen und dem Fett des Tityos, die ehrwürdigste Furie unter den Eumeniden.

    157 Priscianus: Die auf -geo endenden Verben, mit vorausgehendem l oder r, bilden das Perfekt als -geo zu -si verwandelt, wie z. B. …. ‚turgeo tursi‘ (strotzen).



    ich wurde immer betrunkener.

    158 Nonius 16: ‚Succussare‘ (in die Höhe stoßen) meint ‚oft nach oben stoßen‘. Nonius 86: ‚Caballus‘ (Pferd, Gaul)

    eines Stößers, eines hässlichen und langsamen Gaules

    159 Nonius: ‚Catuli‘ (Welpen) nennt man nicht nur in Verkleinerungsform die (Jungen) von Hunden, sondern von allen Tieren.

    (als er) die Fluren durchstreifte, (spürte er) Junge, den Wurf des Wildes, (auf).

    160–61 Nonius 477: ‚Manducatur‘ statt manducat (kaut).

    159: Ergänzungen nach Marx (II 74 f.), der u. a. Ov. met. 13,834–836 – inveni geminos … / villosae catulos in summis montibus ursae – anführt. – catulos fetumque: ein Hendiadyoin (-que = ‚und zwar‘). 160–61: Den Zusammenhang mit dem vorhergehenden Vers stellte Cichorius 267 f. her: Die fera, am ehesten eine Bärin, holt sich ihre Jungen zurück. – in caput insilit: Wenn von einer Bärin, vielleicht nicht wörtlich zu nehmen, sondern iSv. ‚sie kommt über ihn‘.

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    LIBER IV

    Non. 478,30: ‚Commanducatur‘. Lucilius lib. IV [adsequitur … conplexa]. Non. 81,6 ‚Comest‘ pro comedit. …. (28) Lucilius Satyrarum lib. IV: [commanductur …comestque]

    adsequitur nec opinantem, in caput insilit, ipsum commanducatur totum conplexa comestque.

    nec codd. 478 : neque codd. 477 | commanducatur codd. 81 et 478, AA 477 : commanducatum L BA CA 477 | conplexa recc. 81 : conplexum 478 : complexu‘ Mueller | comestque edd. : comisque codd. 81

    162–63 (161–62) Non. 207,27: ‚Genu‘ neutri est generis … masculini Lucilius Satyrarum lib. IV: Fest. p. 510,2 L: ‚Verticulas‘ Ateius articulos dixit. … cum ait Lucilius … ita appellavit … vertebras. Paul. Fest. p. 511,1: ‚Verticulas‘ Lucilius cum dixit, articulos intellegi voluit.

    ……………… haeret verticulis adfixum in posteriore parte atque articulis: nam, ut nobis talus genusque, est verticulis F³ BA : verticulum L | articulis codd. : aerticulis L1 | nobis edd. : novis codd.

    164–65 (177–78) Non. 231,8: ‚Vectis‘ generis masculini. Lucilius Satyrarum lib. IV:

    ‚…………………………‚ ne agitare manu tu pessulum et hunc vectem possis: cuneis opus.‘

    agitare Gerlach : agitarem codd. | pessulum ed. pr. : pessulus codd.: pessulam J. Dousa | possis codd. : poscis J. Dousa | cuneis opus Marx : cuneis ipso codd. : cuneost opus ipso Mueller

    166 (160) Non. 206,26: ‚Fulmentum‘ neutro, ut est in proverbio veteri, quo Varro utitur saepius: ‚Fulmenta lectum scandunt‘, feminino Lucilius lib. XXVIII [fr. 767] et lib. IV: 162–63: Marx II 74:„Parum recte Paulus: verticulae enim proprie sunt quibus vertitur corpus, articuli quibus coniungitur.” verticulis atque articulis also ein Hendiadyoin. – ‚ist‘ = ‚funktioniert (diese Konstruktion?)‘ – Marx denkt an die Aufhängung des menschlichen Kopfes durch die Halswirbel. Aber es ist – zumal wegen nobis – nicht wahrscheinlich, dass Körpergelenk mit Körpergelenk verglichen wird. Warmington (zu Fr. 150–51) und Krenkel (zu Fr. 165–66) denken an das Bett von Fr. 167, wobei Krenkel sich wegen der Scharnierfunktion ein Klappbett (oder auch ein Campingtischchen) vorstellt. adfixum verlangt ein Neutrum als Subjekt. Das könnte fulcrum (Fr. 166) sein, aber ein hochklappbares Wandbett braucht nur zwei, nicht vier Füße. – Warum nicht eine Tür (ostium)? „Aber auch Angeltüren (= Scharniertüren, mein Zusatz) sind im Altertum nicht fremd, trotzdem immer wieder das Gegenteil behauptet wird.“ (H. Klenk: Die antike Tür. Diss. Gießen 1924, 12; s. auch: Ch. Höcker: Art. Tür, in: DNP 12,1 (2002) 890–892, hier: 891.

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    Nonius 468: ‚commanducatur‘ (zerkaut). Nonius 81: ‚comest‘ statt ‘comedit (isst auf, verzehrt).

    Sie holt den Ahnungslosen ein, springt ihm auf den Kopf, umschlingt und zermalmt ihn ganz und frisst ihn auf.

    162–63 Nonius: ‚Genu‘ (Knie) ist ein Neutrum. … Als Masculinum hat es Lucilius. Festus: ‚Verticulae‘ nannte Ateius Gelenke. Wenn Lucilius sagte …, bezeichnete er so Gelenkstücke. Paulus, epitoma Festi: Wenn Lucilius von ‚verticulae‘ sprach, wollte er darunter Gelenke verstanden wissen.

    … hängt mit Scharniergelenken an der hinteren Seite befestigt; denn, wie bei uns Sprungbein und Knie, ist …

    164–65 Nonius: ‚Vectis‘ (Türriegel) maskulinen Geschlechts.

    „(… hindert dich daran?), dass du mit bloßer Hand den Riegel und diesen Türbalken bewegen kannst: da sind (oder: wären?) Keile nötig.“

    166 Nonius: ‚Fulmentum‘ (Stütze) als Neutrum, wie es in einem alten Sprichwort der Fall ist, das Varro des Öfteren hat: „Die Stützen besteigen das Bett“; als Femininum Lucilius. 164–65: Der Zusammenhang ist völlig offen: Spricht, wegen des pessulus, ein im Hause Eingeschlossener (Marx II 77)? Oder ein exclusus amator (Warmington zu Fr. 170–71)? Sitzt der Riegel durch Feuchtigkeit fest? (Krenkel zu Fr. 162–63)? – Angenommen, Marx hat recht, weniger wegen des pessulus, der auch von außen über ein Schloss geöffnet werden kann – zu Schlössern in der Antike s. H. Diels: Antike Technik. Leipzig, Berlin ²1920, Nachdr. Osnabrück 1965, 40–56 –, sondern vor allem wegen des vectis, der in der Tat nur bei einer nicht ständig benutzten Hütte oder dgl. (Krenkel denkt an eine Jagdhütte) außen, dann natürlich zusätzlich gesichert, vorstellbar ist. Der Angesprochene ist vielleicht ein inclusus amator. (So auch Charpin zu Fr. 11.) Dann kann auch der andernfalls triviale Vergleich von Sprungbein und Kniegelenk mit einem mechanischen Scharnier (Fr. 162–63) hintersinnig sein: Der Mann hatte sich für den Notfall einen leichten Fluchtweg ausgerechnet. Nun aber hat der gehörnte Ehemann die Tür verriegelt und verrammelt und verhöhnt ihn. – Ist der Zusammenhang so richtig erkannt, hat sich vielleicht Horaz in Satire 1,2 (V. 37–46) hiervon inspirieren lassen.

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    LIBER IV

    su〈bi〉cit huic fulcrum, fulmentas quattuor addit subicit Charpin, suppl. Salmasius : sucit codd. | fulcrum Scaliger : fuldum codd. : sulcum H² : soldum Mueller

    167 (173) Non. 158,14: ‚Puellos‘, pueros. …. Lucilius Satyrarum lib. IV: Fest. p. 291,5 L: ‚Puelli‘ pueri per deminutionem. … Lucilius: Cf. Prisc. GL 2,231,23.

    ‚cumque hic tam formonsus homo ac te dignus puellus‘

    formonsus codd. : formosus codd. Fest. Prisc. | homo codd. Fest. Prisc. : tibi codd. Non.

    168–70 (174–76) Non. 458,2: ‚Sumen‘ proprie a sugendo dictum; nam et mulieris mammam sumen veteres dici volunt. Lucilius Satyrarum lib. IV:

    ‚quod si nulla potest mulier tam corpore duro esse, tamen tenero maneat, qui sucus lacerto, et manus uberi, lactanti in sumine, sidat.‘

    tenero codd. : tenere CA DA | maneat qui sucus Marx (sc est) : maneatque sucus codd. : manat quoi sucus Mueller : manet cui sucus Warmingon | et codd. : eo Mueller | uberibus suppl. Marx : uberi codd.

    171–74 (149–52) Non. 393,30: ‚Spurcum‘, saevum vel sanguinarium. … Lucilius Satyrarum IV: Non. 257,16: ‚Conponere‘ rursus significat conparare. … Lucilius Satyrarum lib. IV: [Samnis … fuit unus.] Cf. Cic. opt. gen. 6,17, ad Q. fr. 3,4,2, Tusc. 2,41 Cic. orat. 161: Quin etiam, quod iam subrusticum videtur, olim autem politius, eorum verborum, quorum eaedem erant postremae duae litterae, quae sunt in ‚optumus‘, postremam litteram detrahebant, nisi vocalis insequebatur. … ita enim loquebantur: ‚qui est omnibu princeps‘, non ‚omnibus princeps‘ et ‚vita illa dignu locoque‘, non ‚dignus‘. Quint. inst. 9,4,37s.: Ceterum consonantes quoque, earumque praecipue, quae sunt asperiores, in commissura verborum rixantur, ut ‚s‘ ultima cum ‚x’ proxima, quarum tristior etiam si binae collidantur, stridor est, ut ‚ars studiorum‘. quae fuit causa et Servio Sulpicio subtrahendae ‚s‘ litterae, quotiens ultima esset aliaque

    166: Sinn des (von Nonius angesprochenen) Sprichworts: der Diener will mehr sein als der Herr (Krenkel); Otto 1890/1964, 148 f. – Bau eines (provisorischen?) Bettes oder eines „lit de table“ (Charpin zu Fr. 12). 167: Fortsetzung nach Marx II 76 f. etwa: „sit praesto, impetus in quem fiat.“ 168–70: ‚einen so festen Körper‘: wie ein Knabe. – Ein Frauenliebhaber im Disput mit dem

    Buch IV

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    Er baut ein Gestell darunter, fügt vier Füße an.

    167 Nonius: ‘Puellos‘ (dasselbe wie) ‘pueros‘ (Knaben). Festus: ‚Puelli‘ hießen sie mittels Verkleinerung von pueri.

    „und wenn der hier, eine so schöne Person und ein Knabe, deiner würdig, …“ 168–70 Nonius: ‚Sumen‘ (Euter) ist eigentlich von Saugen abgeleitet; auch die Brust der Frau wird ja, so wollen es die Alten, als sumen bezeichnet.

    „Wenn aber keine Frau einen so festen Körper haben kann, so bleibe doch ihrem jugendlich zarten Arm die Prallheit erhalten, und mag die Hand auf ihre Brüste, den stillenden Busen, sich senken.“

    171–74 Nonius 393: ‚Spurcum‘ (schweinisch, unflätig), ‚(blind)wütig‘ oder ‚blutrünstig‘. Nonius 257: ‚Conponere‘ (zusammenstellen) heißt andererseits ‚gegenüberstellen‘. Cicero, orator: Ja sie pflegten sogar – heute wirkt es etwas bäuerisch, einst aber (galt es als) recht elegant – von den Wörtern, deren letzte zwei Buchstaben dieselben waren wie bei ‚optumus‘, den Schlussbuchstaben wegfallen zu lassen, außer es folgte ein Vokal. … So nämlich sagten sie: ‚qui est omnibu princeps‘ (der für alle der erste ist), nicht: ‚omnibus princeps‘, und: ‚vita illa dignu locoque‘ (jenes Lebens und jenes Standes würdig), nicht ‚dignus‘. Quintilianus: Übrigens beißen sich auch Konsonanten, davon vor allem Reibelaute, an der Nahtstelle von Wörtern, wie z. B. auslautendes s mit folgendem x. Noch unangenehmer klingt ihr Zischen, wenn zwei (gleiche) auf einmal zusammenstoßen, wie z. B.: ‚ars studiorum‘. Das war auch für Sevius Sulpicius der Grund, den

    Päderasten des Fragments 167. – uberi sidat: vgl. Mart. 14,134 Fascia crescentes dominae compesce papillas, / ut sit quod capiat nostra tegatque manus. 171–74: ‚Samnit‘: „ein mit samnitischen Waffen ausgerüsteter Gladiator“ (Georges, L-D Hwb s. v.), in diesem Falle aber stammen zudem beide aus Samnium; s. Heurgon 1959, 92 f. – Zur möglichen Identität der Flaccus-Brüder und der Datierung (etwa 140 v. Chr. oder wenig frü-

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    LIBER IV

    consonante susciperetur, quod reprehendit Luranius, Messala defendit. nam neque Lucilium putat uti eadem ultima, cum dicit ‚Aserninus fuit‘ et dignus locoque‘ et Cicero in Oratore plures antiquorum tradit sic locutos.

    Aeserninus fuit Flaccorum mune quidam Samnis, spurcus homo, vita illa dignus locoque. cum Pacideiano conponitur, optimus multo post homines natos gladiator qui fuit unus. Aeserninus M1 Crm ad Q. fr., codd. opt. gen. orat. Tusc. : aserninus codd. Non. 393, R ad Q. fr. : a serinus G P ad Q. fr. : serinus codd. Quint., om. ceteri | flaccorum munere quidam edd. : flacchorum unae quidam L G Non. 393 : flacchorum una equidem AA Non. 393 : flacco fuit quidem DA Non. 393 | illa codd. Tusc., orat., Non. 393 : ista codd. Non. 257 | pacideiano codd. opt. gen. orat. Non. 393 : pacideiane codd. Non. 257 | optimus multo codd. Non. : optimus longe codd. opt. gen. orat. | natos codd. opt. gen. orat. Non. 257 : natus cod. Non. 393

    → fr. 1246–47 ? *175–80 (153–58) Cic. Tusc. 4,48: An vero vir fortis, nisi stomachari coepit, non potest fortis esse? gladiatorium id quidem; quamquam in eis ipsis videmus saepe constantiam: ‚conlocuntur, congrediuntur, quaerunt aliquid, postulant‘, ut magis placati quam irati esse videantur. sed in illo genere sit sane Pacideianus aliquis hoc animo, ut narrat Lucilius: Serv. auct. Aen. 12,646: ‚usque adeone mori miserum est?‘] Tacitae quaestioni occurrit. et quidam hoc verbum reprehendunt ‚usque adeone‘, melius dici ‚usque eo‘: Lucilius septimo [usque … ira]. septimo non recte: “Verba sunt Pacideiani ut Cicero indicat” (Marx II 73).

    ‚occidam illum equidem et vincam, si id quaeritis‘, inquit ‚verum illud credo fore: in os prius accipiam ipse quam gladium in stomacho furi ac pulmonibus sisto: odi hominem, iratus pugno, nec longius quicquam nobis, quam dextrae gladium dum accommodet alter. usque adeo, studio atque odio illius, ecferor ira.‘

    furi Tischeret : suria codd. : furia Marx : surdi Warmington | nobis φ : vobis χ Cic. | ecferor codd.: haec feror K : efferor P her) sowie des Festspielcharakters (Leichenspiele oder ein Festspiel der Aedile) s. Cichorius 262 f. und Charpin I 243 f. zu Fr. 1 (schließt Leichenspiele aus). 175–80: Bereitet sich Pacideianus psychologisch auf den Kampf vor, sind Subjekt von quaeri­ tis die Zuschauer? (so Marx II, 72 f., Heurgon 1959, 91–96, Charpin I 244–246 zu Fr. 2:) Oder handelt es sich nicht um das Vorspiel zum Kampf, sondern um Überlegungen des Kämpfers, die er gegenüber seinen Auftraggebern äußert? (Cichorius 262–264; dazu neigt auch Gärtner 2008, 17531). Für die Beantwortung der Frage, ob der an sich überlegene Pacideianus die Be-

    Buch IV

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    Buchstaben s wegzulassen, wann immer er der letzte (eines Wortes) war und durch einen weiteren Konsonanten (am Anfang des nächsten Wortes) aufgenommen wurde, was Luranius tadelt, Messala aber verteidigt. Denn er glaubt nicht, dass Lucilius besagten Buchstaben am Wortende hat, wenn er sagt: ‚Aeserninus fuit‘ und ‚dignus locoque‘. und Cicero berichtet im Orator, von den Alten hätten noch mehr so gesprochen.

    Es gab da beim Festspiel der Flacci einen Aeserninus, einen Samniten, einen unflätigen Gesellen, wie geschaffen für jenes Leben und jenen Stand. Den Pacideianus erhält er zum Gegner: der allein war seit Menschengedenken bei weitem der beste Gladiator.

    175–80 Cicero: Kann denn vollends ein tapferer Mann nur tapfer sein, wenn er sich in Wut steigert? Das ist zwar die Art von Gladiatoren; gleichwohl erleben wir gerade bei ihnen oft gelassene Beständigkeit: ‚Sie reden miteinander, gehen aufeinander zu, bitten um etwas, fordern etwas‘, sodass sie eher friedlich als zornig wirken. Doch in jener Zunft mag es durchaus einen Pacideianus mit solcher Stimmung geben, wie es Lucilius erzählt: Servius auctus: „Ist es denn so schlimm, zu sterben?“] Er begegnet der unausgesprochen bleibenden Frage. Und manche tadeln diesen Ausdruck ‚usque adeone‘, besser heiße es ‚usque eo‘: Lucilius im siebenten Buch … (Die Buchangabe kann nicht stimmen, wie Ciceros Zeugnis zeigt.)

    „Ich werde ihn jedenfalls töten und besiegen, wenn ihr es so haben wollt“, sagte er. „Nun, ich glaube, es wird so ablaufen: Erst werde ich (einen Hieb) ins eigene Gesicht abbekommen, ehe ich dem Schurken mein Schwert in Magen und Lunge treibe: Ich hasse den Kerl, voll Wut kämpfe ich, und ich kann es kaum erwarten, dass der andere sein Schwert in die Rechte nimmt. So sehr treibt mich, mit abgrundtiefem Hass auf ihn, die Wut.“

    fürchtung äußerte, er könne sich durch seine ira im Nachteil befinden (Cichorius ebd.), oder ob er als Sieger zwar feststand, Lucilius aber aus stoischer Haltung heraus zeigen wollte, dass der Affekt ungute Folgen, hier bis zum Tod, haben könne (Pierini 1971, 205–219), ist Gärtners Hinweis (a. O. 176) vielleicht hilfreich, dass Pacideianus hier „künstliche Wut“ gegenüber einem Gegner aufbaue, der ja nicht sein persönlicher Feind war. Lucilius erzählt um 118 v. Chr. von einem Ereignis, das um 140 v. Chr. stattgefunden haben dürfte. – studio: abl. modi als begleitender Nebenumstand; Kühner-Stegmann I 410 f. Anm. 31.

    LIBER V Die Satiren des 5. Buchs entstanden um 117/116 (Cichorius 86–89). Drei Themen – ein Brief des erkrankten Dichters an einen Freund; eine rustica cena, eine Kriegsanekdote aus weit zurückliegender Zeit – können drei (Krenkel), wenn die Anekdote bei der cena rustica erzählt wurde, zwei Gedichten (Warmington) entsprechen. Über ihre Reihenfolge kann nichts gesagt werden. Gastgeber der cena

    181–88 (181–88) Gell. 18,8,1: Ὁμοιοτέλευτα … ceteraque huius modi scitamenta … quam sint insubida et inertia et puerilia, facetissime hercle significat in quinto saturarum Lucilius. (2) nam ubi est cum amico conquestus, quod ad se aegrotum non viseret, haec ibidem addit festiviter:

    quo me habeam pacto, tam etsi non quaeris, docebo, quando in eo numero mansi, quo in maxima non est pars hominum … ut perisse velis, quem visere nolueris, cum debueris. hoc ‘nolueris‘ et ‘debueris‘ te si minus delectat, quod ἄτεχνον et Eissocratium hoc ληρῶδεςque simul totum ac συμμειρακιῶδες, non operam perdo, si tu hic…

    perisse edd. : perisse codd. | ἄτεχνον Charpin : ateχnon vel atexnon codd. | (quod atechnon) Marx | Eissocratium hoc Marx : eis socratium Q : eis socraticum Z : eisocratium X : eisocratium est Ν Ο Π | ληρῶδεςque Scaliger : lerodesque Marx : ΟΧΛΗΡΩΔΕΣ que (vel sim.) X1 X2 Π Z (reliqui Graecum omittunt) | simul totum codd. : si multorum X Π | συμμειρακιῶδες Ernout : synmiraciodes (vel sim.) codd. : si miraciodes Marx | si tu hic L V. edd. : sicuti Π : situ codd.

    189–90 (189–90) Non. 173,11: ‚Sententia‘, sensibilitas … Lucilius Saryrarum lib. III [fr. 138]. idem lib. V:

    si tam corpus loco validum ac regione maneret scriptoris, quam vera manet sententia cordi.

    maneret ... manet codd. : mearet ... meat Mueller | scriptoris J. Dousa : scriptores codd.

    → fr. 1213. 1276. 1279 ?

    Lit. zu B. V: Cichorius 268–281 und (zur Entstehungszeit des Buches) 86–89. Haß 2007, 176–178. 180–181. 200–201 (zu Satire 1), 145. 150 (zu Satire 2), 152 (zur Anekdote). 181–88: ‚der größte Teil‘ der Menschen ist tot. – ἄτεχνον = iners. – Zum Fragment im Ganzen Puelma Piwonka 1949, 21–23, zu Eissocratium (man warf Isokrates vor, dass er Briefe wie Reden stilisierte) a. O. 23. – Zur Erwartung des Dichters gegenüber Freunden vgl. B.

    Buch V ist vermutlich der Laevius von Fr. 196. Ein paar inhaltlich durchaus gehaltvolle Verse sind nicht sicher zuzuordnen und deswegen an den Schluss gestellt. (Phantasievolle und erwägenswerte Versuche, einen Zusammenhang herzustellen, in Krenkels Somnia des 5. Buches [I 67 f.])

    Brief des erkrankten Dichters an einen Freund 181–88 Gellius: Homoioteleuta … und die übrigen Feinheiten dieser Art – wie einfältig, kunstlos und kindisch sie sind, führt, beim Hercules, überaus launig Lucilius im fünften Buch seiner Satiren vor; denn als er sich gegenüber einem Freund beklagte, dass er ihn, den Kranken, nicht besuche, fügt er witzig Folgendes hinzu:

    Wie es mir geht, will ich dich, obschon du nicht danach fragst, wissen lassen, da ich immer noch unter den Menschen weile, zu denen der größte Teil nicht mehr gehört. …. so dass du den tot sehen möchtest, den du nicht hast besuchen wollen, obwohl du ihn hättest besuchen sollen. Wenn dir dieses ‚nicht hast wollen‘ und ‚hättest sollen‘ nicht gefällt, weil du es stilwidrig und isokrateisch findest und zugleich gänzlich schwatzhaft und albern, vergeude ich doch nicht meine Mühe, wenn du so …

    189–90 Nonius: ‚Sententia‘ (Meinung, Gesinnung), Fähigkeit, zu empfinden.

    (ich wäre froh?), wenn des Dichters Leib so gesund auf seinem Platz und Posten bliebe, wie Wahrhaftigkeit in seinem Herzen bleibt.

    XXVI Fr. 632. 633–34. – Zum Vorwurf an den Freund vgl. Catull. 38. – Ausführlich Charpin I 253–355 (zu Fr. 1), mit dem ich in der Wiedergabe der griechischen Worte Ernout folge; zu stilistischen Aspekten S. Koster 2001, 125 f.; zu der zum Ausdruck kommenden Emotionalität auch Gärtner 2008, 181 f.

    74

    LIBER V

    191–92a (191–92) Non.13,11: ‚Crepera‘ res proprie dicitur dubia; unde et ‚crepusculum‘ dicitur lux dubia et senes ‚decrepiti‘ dicti in dubio vitae constituti; ‚creperum‘ bellum, anceps et dubium. … Lucilius Satyrarum lib. V:

    Fannius solus mihi in magno maerore , tristitia in summa, crepera , inventus salutis . Fannius Warmington : sannunt codd. : sed nunc Mueller, Marx : nam tu Lachmann | solus Mercier : solis codd. : sol is Marx | metuque add. Scaliger : datorque add. Marx : repostor add. Warmington | summa Iunius : summo codd. | re add. Scaliger | salutis codd. : saluti es Mueller : fons add. Garbugino 1982, 106–107

    193 (200) Prisc. GL 2,502,20: Lucilius vero in V – fr. – secundum quartam coniugationem producta paenultima protulit.

    Deficit alma Ceres, nec plebes pane potitur.

    deficit codd. : defecit K | plebes codd. : plebis P L K | pane codd. : panis L K

    194–95 (198–99) Non. 154,20: … ‚primitus‘ pro ‚primo‘. … Lucilius lib. V: Non. 279,9: ‚dare‘, praebere. Lucilius lib. V:

    sicuti cum primos ficos propola recentis protulit et pretio ingenti dat primitus paucos.

    primos codd. 154 : primus codd. 279, Charpin | propola codd. : propula L 154 | protulit et Iunius : protuli item F³ BA 154 : item protuli L 154 : pirotulit et codd. 279 | dat codd. 154 : ad codd. 279

    196 (202) Non. 497,4: Accusativus positus pro ablativo. …Lucilius Satyrarum lib. I [fr. 9], idem lib. V:

    Laevius pauperem ait se ingentia munera fungi.

    laevius L AA, edd. : laelius codd.

    197–99 (203–5) Non. 445,23: ‚Multum‘ et ‚satis‘ eo distant, quod ‚multum‘ infinitum est, ‚satis‘ finitum; avaris illud, hoc parcis seu continentibus applicandum est. Lucilius lib. V: 191–92a: Der Text bleibt unsicher. – Zur Annahme einer Freundschaft mit C. Fannius (cos. 122 v. Chr.) Garbugino 1982, 107 + Anm. 45. – Anders Krenkel zu Fr. 190–91, der namque solis … liest, unter Verweis auf Hor. sat. 2,1,30–31: ‚Kamerad fürs Leben‘ = seine Dichtung? Vgl. Haß 2007, 180 f. 194–95: Vgl. Mart. 4,29,3 rara iuvant: primis sic maior gratia pomis; Anth. Pal. 12,197.

    Buch V

    75

    191–92a Nonius: ‚Crepera‘ (dämmrig; ungewiss) heißt im eigentlichen Sinne eine ungewisse Lage, woher auch dämmriges Licht ‚crepusculum‘ heißt und alte Menschen ‚decrepiti‘(altersschwach) hießen, weil sie auf schwankender Lebensgrundlage stehen; ‚creperum bellum‘, ein unentschiedener und im Ausgang ungewisser Krieg. …

    In Fannius allein habe ich in tiefer Niedergeschlagenheit und Furcht, in höchster Traurigkeit, in misslicher Lage einen Quell meiner Rettung gefunden.

    Eine cena rustica 193 Priscianus: Lucilius jedoch in Buch V – Fr. – hat ‚potītur‘ nach der 4. Konjugation durch Längung der vorletzten Silbe gebildet.

    Das nährende Korn wird knapp, und das Volk erhält kein Brot mehr.

    194–95 Nonius 154: ‚Primitus‘ statt ‚primo‘ (zuerst, anfangs). Nonius 279: ‚dare‘ (geben), ‚darreichen‘.

    So, wie wenn der Krämer die ersten frischen Feigen zum Verkauf ausgelegt hat und anfangs nur wenige zu einem überhöhten Preis hergibt.

    196 Nonius: Akkusativ für den Ablativ gesetzt.

    Laevius sagt, er erbringe, obwohl arm, gewaltige Aufwendungen. 197–99 Nonius: ‚Multum‘ (viel) und ‚satis‘ (genug) unterscheiden sich darin, dass ‚multum‘ unbegrenzt ist, ‚satis‘ begrenzt; auf Habgierige ist jenes, dieses auf Sparsame oder auch Genügsame zu beziehen. 196: Nach Cichorius’ (270 f.) ansprechender Vermutung ein nicht so sehr armer als vielmehr geiziger Mann und Gastgeber der cena. Krenkel (zu Fr. 208) trägt Cic. Pis. 67 als Parallele für eine sordida cena bei; s. auch Haß 2007, 145; Winkelsen 2012, 137 f. 197–99: Zu satis erat von der Gegenwart s. Kühner-Stegmann I 173 Anm. 1. –„Avarum aliquem facete sub philosophi persona appellat poeta his verbis“ (Marx II 84 f.); an einen

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    LIBER V

    ‚nam si, quod satis est homini, id satis esse potisset, hoc sat erat; nunc cum hoc non est, qui credimus porro divitias ullas animum mi explere potisse?‘ satis esse Iunius : potis esse codd. | potisset codd. : potuisset AA : potesset F. Dousa | mi edd. : mihi codd. : illi Mueller | potisse BA, Marx : posse L AA : potesse F. Dousa

    200 (193) Char. GL 1,100,26: ‚Intiba‘ neutro genere… sed et masculino genere frequenter a veteribus dictum est. nam Lucilius in V deridens rusticam cenam enumeratis multis herbis: Sch. Verg. georg. 1,120: ‚Intyba‘: pluralis numerus neutri generis, singularis vero generis masculini ut Lucilius in V: Non. 208,32: ‚Intiba‘ generis neutri. … Masculini Lucilius Satyrarum lib. V:

    intubus praeterea pedibus praetensus equinis, intubus codd. Non. : intibus codd. Char. : intyba codd. Sch. | praetensus codd. Non. : praessus vel presus codd. Sch. : proserpit C Char. : perserpsit N Char. : perserpit codd. Char.

    201 (194) Non. 201.1: ‚Cepe‘ generis neutri. Lucilius Satyrarum lib. V:

    flebile cepe simul lacrimosaeque ordine tallae,

    tallae Scaliger : talpae codd.

    → fr. dub. 1369. fr. 1141–46. 1302 ? 202 (195) Non. 201,8 ‚Cepa‘ feminini. Lucilius Satyrarum lib. V: Prisc. GL 2,203,15: (Cepe), quod in plurali numero femininum est primae declinationis, ‚hae cepae‘, ‚harum ceparum‘, quamvis antiquissimi in a quoque singulare feminino genere hoc recte protulisse inveniuntur. … Lucilius in Saturarum VI:

    lippus edenda acri assiduo ceparius cepa lippus edenda acri codd. : lippo sedenda agri L1 Non. | assiduo codd. Non. : assido L1 Non. : assidue codd. Prisc. | cepa codd. Prisc. : cepa lacrimosa codd. Non.

    Teilnehmer an der cena, der auf die Äußerung des Laevius (Fr. 196) antworte, denkt Charpin I 260 zu Fr. 14. – Der Grundgedanke bei Epikur (473 p. 302 Usener): ᾧ ὀλίγον οὐχ ἱκανόν, ἀλλὰ τούτῳ γε οὐδὲν ἱκανόν; Val. Max. 6,4,2 (Scipio Aemilianus über Ser. Galba und L. Cotta): Alter nihil habet, alteri nihil satis est. Weitere Belege für den Topos bei Marx ebd. und Krenkel zu Fr. 205–7. 200: Ein frugales Mahl, vgl. Plaut. Pseud: 810–838; von Laevius (s. Fr. 196) ausgerichtet? – „Le repas du livre 5 est donc le contropartie ridicule des banquets, le festin chez l’avare par opposition au festin chez le prodigue“ (Charpin I 257 zu Fr. 4–7).

    Buch V

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    „denn wenn das, was für einen Menschen genug ist, (für mich) genug sein könnte, so wäre das hier genug; da dies nun aber nicht so ist: wie kann ich forthin glauben, mich könnten irgendwelche Reichtümer zufriedenstellen?“ 200 Charisius: ‚Intiba‘ (Endivien) ein Neutrum … Aber auch als Maskulinum wurde es von den alten Autoren gebraucht. Denn wie Lucilius in Buch V ein ländliches Mahl unter Aufzählung vieler Kräuter verspottet, (sagt er): Scholia: ‚Intyba‘: der Plural ein Neutrum, der Singular jedoch ein Masculinum wie Lucilius in Buch V: Nonius: ‚Intiba‘ ein Neutrum. … Ein Maskulinum:

    Endivie außerdem, (wie sie) vor Pferdehufen (als Futter) ausgebreitet (wird), 201 Nonius: ‚Cepe‘ (Zwiebel) ein Neutrum.

    Zwiebel zugleich, die zum Weinen bringt, und aufgereiht Lauchstangen, die die Augen tränen lassen,

    202 Nonius: ‚Cepa‘ ein Femininum. Priscianus: ‚Cepe‘ (Zwiebel), im Plural ein Femininum der ersten Deklination: ‚hae cepae‘, ‚harum ceparum‘ (die Zwiebeln, der Zwiebeln), wenngleich sich Stellen finden, wo die ältesten Autoren auch auf –a als femininen Singular dies richtig gebildet haben. Priscian geht von cepe als Grundform aus.

    ein von ständigem Verzehr der scharfen Zwiebel triefäugiger Zwiebelesser

    201: Zu tallae hier = Lauch s. Marx II 82 f.; anders Charpin Fr. 5 (s. auch Erl. I 257): „pelures d’oignon“. 202: Wohl Beschreibung eines bei der cena bedienenden Sklaven (Marx II 83 und Cichorius 269), „an onion-eater, not an onion-seller“ (Warmington zu Fr. 217). – Anders Charpin I 258 zu Fr. 10: Lucilius stelle Arbeitende in der Regel mit den für sie charakteristischen Werkzeugen vor. Aber hier spricht er vom Verzehr eines Produkts; so auch Winkelsen 2012, 135 f., der allerdings meint, dass „die Bezeichnung ceparius zu speziell ist“. Aber die Wortgruppe ceparius cepa spricht für scherzhaft gemeinte Spezialisierung nach dem Vorbild etwa von ostiarius.

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    LIBER V

    203–4 (196–97) Char. GL 1,94,16: Similiter et opus pistorium quod adipe conficitur omni genere dici potest, et hic adipatus, quo intellegitur panis aut aliud quid, et ‚haec adipata‘, hoc est pars, et ‚hoc adipatum‘, opus scilicet. nam et Lucilius V ‚adipatam‘ dicit feminino genere, sed ibi iungit ‚pultem‘.

    pultem

    adipatam

    pultem ω edd. : pulten N | adipatam pultem Charpin

    205 (201) Serv. auct. georg. 1,266: ‚Fiscina‘ genus est vasis, id est corbulae brevis, quas perferunt qui arbusta vindemiant. Lucilius in quinto:

    fiscina fallaci cumulo

    → fr. 1187. 1188 ?

    206–7 (223–24) Prisc. GL 2,115,8: ‚Scutum‘ vel ‚scuta‘, id est rotunda forma, ‚scutula‘ et ‚scutella‘. Lucilius in V:

    scutam ligneolam in cerebro infixit. scutam codd. : scutulam Dresd. Erl. 1 Krehl : scutellam Corpet | scutam l. in c. infixit uno versu Charpin

    208 (225) Non. 341, 35: ‚Mactare‘ est magis augere. ...Lucilius Satyrarum lib. V: Serv. auct. Aen. 9,641: … et Lucilius lib. V [macte … viribus].

    ‚macte‘, inquam, ‚virtute simulque his viribus esto.‘

    his viribus codd. Serv. : hic versibus codd. Non.

    209–10 (226–27) Non. 235,25: ‚Aequales‘ rursum aequaevi. …Lucilius Satyrarum lib. V: 205: cumulus = aufgetürmter Haufen. Der knauserige Gastgeber hat also die Trauben z. B. mit Weinlaub unterlegt, um größere Fülle vorzutäuschen (Cichorius 271). – An mangelnde Reife der Früchte denkt dagegen Charpin I 258 zu Fr. 9. 206–7: „Describitur convivium sordidum ubi ‚servi sordidati ministrant, nonnulli etiam senes‘ (Cic. in Pison. 67)“ (Marx II 91zu Fr. 226–27). Hier und in den beiden folgenden Fr.-en ist dann die Rede von dem Übergriff eines verärgerten Gastes auf einen der bedienenden Sklaven, eines wie der Seher Teiresias hochbetagten Mannes, weswegen Lachmann und Warmington (Fr. 228–9) auch Fr. 1237–38 hierher setzen; doch s. die Erl. dort.

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    203–4 Charisius: Ähnlich kann auch mit Fett hergestelltes Backwerk in jedem grammatischen Geschlecht benannt werden, sowohl ‚hic adipatus‘ (der geschmalzte), wo­ runter Brot oder irgendetwas anderes verstanden wird, als auch ‚haec adipata‘ (die geschmalzte), d. h. ‚pars‘ (Schnitte), als auch ‚hoc adipatum‘ (das Geschmalzte), nml. ‚opus‘ (Produkt). Auch Lucilius Buch V sagt ja ‚adipatam‘ als Femininum, aber dort fügt er ‚pultem‘ (Brei) hinzu.

    geschmalzten Brei

    205 Servius auctus: ‚Fiscina‘ (geflochtener Korb) ist eine Art Gefäß, und zwar ein kleines Körbchen, wie sie diejenigen mit sich führen, die in den Baumweingärten Lese halten.

    ein Körbchen mit trügerisch gehäuftem Inhalt

    206–7 Priscianus: ‚Scutum‘ (Schild) oder ‚scuta‘ (Schale), also eine runde Form, (davon die Deminutiva) ‚scutula‘ und ‚scutella‘ (Trinkschale). ‚rotunda forma‘ bezieht sich nur auf die Schale, denn ein ‚scutum‘ ist länglich viereckig.

    Eine Trinkschale aus Holz schmetterte er ihm aufs Gehirn.

    208 Nonius: ‚Mactare‘ (verherrlichen) heißt ‚mehr erheben‘. Servius auctus: … und Lucilius Buch V …

    „Bravo“ sage ich, „deinem Heldenmut und zugleich dieser Kraftentfaltung.“

    209–10 Nonius: ‚Aequales‘ (gleichartig) meint auch gleichaltrig. 208: Am ehesten referiert der Dichter mit inquam sich selbst, vielleicht in vorliegender Situation. Dann signalisieren die Worte ironische Distanz wie die von Horaz (sat. 1,2,31–35) berichtete sententia dia Catonis. Zur Lesart his versibus und der Annahme eines Zusammenhangs mit der Kriegsanekdote neigen Warmington (Fr. 245), Krenkel (Fr. 228, s. auch I 68) und Charpin (Fr. 27), ebenso Winkelsen (2012, 108), der zugleich auch die Lesart his viribus für beziehbar auf Ruhmestaten während des Krieges hält. 209–10: Die Zuordnung zu diesem Zusammenhang ist keineswegs sicher; s. auch Charpin I 259 zu Fr. 11.

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    LIBER V

    verum unum cecidisse tamen senis Tiresiai aequalem constat. verum Mercier : veterum codd. | unum cecidisse tamen BA : unum cecidisset a me L : unum cecinisse tamen Mueller | senis Tiresiai Mueller : senem Tiresiam codd.

    211 (221) Non. 546,26: ‚Mixtarium‘ (Mischgefäß), quo miscemus. Lucilius lib. V:

    urceus haut longe Gemino, mixtarius Paulo haut Lachmann : aut codd. : haud L | longe codd. : longus F. Dousa | paulo codd. : aure F. Dousa

    212 (222) Porph. Hor. carm. 3,21,7: Descende Corvino iubente promere languidiora vina.] Attende elocutionem ‚descende promere‘ pro ‚descende ut promas‘, ut est illud Lucilianum: Don. Ter. Andr. 484: Quod iussi dari bibere et quantum inperavi, date.] Consuetudine quam ratione dixit pro ‚date ei potionem‘. Lucilius in quinto:

    ‚da bibere ab summo‘ da bibere ab codd. Porph.. : date bibere C T Don. | summo codd. : om. T

    213 (213) Non. 392,1: ‚Stat‘ etiam plenum est. Lucilius Satyrarum lib. V: Gell. 8,5: Quid illud sit, quo Vergilius [Aen. 12,407] ‚caelum stare pulvere‘, et quod Lucilius ‚pectus sentibus stare‘ dixit. Don. Ter. Andr. 699: ‚Stetisse‘] Hoc est ‚esse‘ … aliter ‚plenum est‘ … aliter ‚horrent‘, ut … Lucilius [v. fr. 1288].

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ interea stat sentibus pectus.‘

    pectus codd. Gell. Non. : fundus codd. Don.

    214 (214) Non. 363,24: ‚Prodere‘ rursus differre vel excludere. … Lucilius Satyrarum lib. V: Don. Ter. Andr. 313: ‚Prodat‘, proferat, prolatet, differat. Lucilius in quinto [an … sit].

    ‚possisne elabi, an porro prodenda dies sit.‘

    porro om. codd. Non.

    213: Hierzu und zum Folgenden – einer beim Symposion erzählten Episode aus dem Ligurerkrieg (180 v. Chr.) des Aemilius Paullus – Cichorius 273–277. Zum Geschehen – Angriff auf das römische Lager und Entkommen – vgl. Liv. 40,25–28 und Frontin. strat. 3,17,2.

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    Es steht jedenfalls fest, dass einer umkam, der so alt war wie der greise Teiresias. Eine Kriegsanekdote, bei einem Trinkgelage erzählt 211 Nonius: ‚Mixtarium‘ (Mischgefäß), worin wir mischen.

    ein Wasserkrug in Reichweite für Geminus, ein Mischgefäß für Paulus

    212 Porphyrio: Steig hernieder: Corvinus gebeut, hervorzuholen die milderen Weine (Übers.: B. Kytzler)] Beachte die Formulierung ‚descende promere‘ statt ‚descende ut promas‘, wie auch jener Satz des Lucilius formuliert ist: Donatus: Was zu trinken zu geben ich anordnete und wie viel ich befahl, das gebt.] Sie (nml. Lesbia) sagte das eher nach gewohntem Sprachgebrauch als mit Überlegung statt ‚gebt ihm einen Trunk‘. Lucilius im 5. Buch:

    „Gib zu trinken, vom oberen Ende (der Liege) beginnend.“

    213 Nonius: ‚Stat‘ (steht) (bedeutet auch) ‚ist voll‘. Gellius: Was gemeint ist, wenn Vergil ‚dass der Himmel voll Staub steht‘ und Lucilius ‚dass sein Herz voll Dornen steht‘ formuliert hat. Donatus: ‚Stetisse‘ (gestanden haben)] Das meint ‚sein‘ …, sonst ‚voll sein‘ …, sonst ‚starren‘, wie … Lucilius [s. Fr. 1288].

    „derweil starrt sein Herz von dornigen Gedanken.“

    214 Nonius: ‚Prodere‘ (hervorbringen) heißt auch ‚‘aufschieben‘ oder ‚ausschließen‘. Donatus: ‚Prodat‘, ‚(dass er) verschiebt, hinausschiebt, verzögert‘.

    „ob man entwischen kann oder ob der Zeitpunkt (für den Durchbruch) weiter hinausgeschoben werden sollte.“

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    LIBER V

    215 (215) Serv. auct. Aen. 10,398: Alii ‚dolorem‘ alicuius studii ardorem et promptam gloriae cupiditatem veterum more dictum volunt, ut Graeci πόνον appellant; Lucilius in quinto:

    ‚nam omnibus unus dolor re captus labosque,‘

    turpi add. Marx : tali add. Warmington : | re captus Marx : recaptus F : receptus Daniel : est captus Mueller

    216 (219) Non. 552,8: ‚Catapulta‘, iaculum celer vel sagitta. … Lucilius Satyrarum lib. V:

    ‚custodem classis catapultas pila sarisas‘ catapultas pila Lachmann : catapulta stila L : catapulta ulila BA : catapulta pultastila L² : catapultas tela Roth

    217–18 (216–17) Prisc. GL 2,470,6: Quidam tamen etiam ‚nexi‘, … ut ‚flecto flexi‘ … Lucilius in V: Cf. Prisc. GL 2,536,7; Diom GL 1,369,16.

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ hic solus vigilavit, opinor, et cum id mi visus facere est, tum retia nexit.‘ nexit cod. Prisc. : nectit codd. Diom.

    219 (220) Non. 261,3: ‚Cernere‘ rursum disponere. Lucilius Satyrarum lib. V:

    ‚postquam praesidium castris educere crevit,‘

    crevit ed. 1476, Marx : decrevit L BA : decrevi AA DA

    220 (218) Macr. 6,1,7: Dicam itaque primum, quos ab aliis traxit [sc. Vergilius] vel ex dimidio sui versus vel paene solidos; ... post haec quaedam ex his, quae ab Homero sumpta sunt, ostendam non ipsum ab Homero tulisse, sed prius alios inde sumpsisse, et hunc ab illis, quos sine dubio legerat, transtulisse. … (35) ‚Dicite, Pierides, non omnia possumus omnes‘ [Verg. ecl. 8,63]: Lucilius in quinto:

    ‚maior erat natu: non omnia possumus omnes.‘ → fr. 1225 ? 215: Unwille der Soldaten wegen des ausbleibenden Ausbruchsversuchs und der vermeintlichen Ängstlichkeit ihres Kommandeurs (Frontin. strat. 3,17,2). 216: Aus Liv. 40,26,8 – der Senat schickt den Flottenduumvir C. Matienus dem Aemilus zur Unterstützung – ergibt sich folgender Zusammenhang: „der Senat befahl dem Matienus

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    215 Servius auctus: Andere wollen ‚dolor‘ (Schmerz) als eine eifervolle Glut und als (zur Tat) entschlossene Ruhmbegier nach Art der Alten gesagt sehen, wie die Griechen von πόνος sprechen, Lucilius in Buch V (sagt):

    „denn alle beherrschte nur e i n Schmerz in dieser schmachvollen Lage und e i n e Pein, …“

    216 Nonius: ‚Catapulta‘ (Wurfmaschine; Wurfgeschoss), ein schneller (d. h. abgeschossener?) Wurfspieß oder Pfeil.

    „den Waffenmeister der Flotte, Geschosse für die Katapulte, Wurfspieße, Lanzen (zu laden)…“

    217–18 Priscianus: Manche (haben) jedoch auch ‚nexi‘ (ich habe geknüpft), … wie flecto, flexi (ich beuge, habe gebeugt). …

    „Er allein war hellwach, glaube ich, und während er mir das (nml. untätig sein) zu tun schien, da (gerade) knüpfte er seine Netze.“ 219 Nonius: ‚Cernere‘ (sichten, scheiden) meint auch ‚anordnen, beschließen‘.

    „nachdem er beschlossen hatte, die Besatzung aus dem Lager zu führen,“

    220 Macrobius: Ich will deshalb zuerst (die Verse) besprechen, die er (nml. Vergil) von anderen entweder zur Hälfte seines Verses oder fast vollständig übernahm; … danach will ich zeigen, dass er einiges von dem, was von Homer entnommen wurde, nicht unmittelbar von Homer nahm, sondern dass vorher andere von dort entnommen haben und er von jenen, die er ohne Zweifel gelesen hatte, (in seine Dichtung) übertrug. …

    „Älter (und somit erfahrener) war er: nicht alles können wir alle (tun).“

    als custos classis, Geschütze usw. parare oder comparare und dann abzusegeln“ (Cichorius 276). 219: Vgl. Liv. 40,27 f., Frontin. strat. 3,17,2.

    84

    LIBER V

    221–22 (210–11) Non. 455,9: ‚Rostrum‘ hominis dici non debere cosuetudo praesumpsit. set… Lucilius Satyrarum lib. V:

    ne designati rostrum praetoris pedesque spectes.

    praetoris BA, Marx : pectores CA : praetores L

    223 (212) Non. 158,31: ‚Pecus‘. non solum quadrupes animal, verum omnia animalia pecudes dicuntur. … Lucilius Satyrarum lib. V:

    lascivire pecus Nerei rostrique repandum.

    pecus Nerei Onions : pecus nisi BA : niri L1 : pecus nasi Marx : genus nasi Mueller : | rostrique Crinitus, edd. : nostrique codd. (cf. Garbugino 1982, 108)

    224–25 (206–7) Non. 133,11: ‚Lupari‘, ut scortari vel prostitui. … Lucilius lib. V [et divos ... luperis]. Sch. Veron. Verg. Aen. 8,106: … nius [absterge … precemur]

    ‚absterge lacrimas et divos ture precemur consilium fassi, placeatne impune luperis.‘

    placeatne Mueller : placent tune codd. : placent, tu [ne] Marx | luperis Scaliger (ex lemma­ te emendatum) : superbis codd.

    → fr. 1198 ? 226–27 (208–9) Non. 515,3: ‚Minutim‘ pro minute. Lucilius lib. V:

    ‚– ⏑ ⏑ dic quaenam cogat vis ire minutim per commissuras rimarum noctis nigrore.‘

    quaenam Mueller : quam codd., Marx : quae F. Dousa | vis ire G, edd. : visire L1 : tusire L² : tus ire P. 7666 | nigrore codd. : nigrere CA : rigore BA

    221–22: Will jemand lieber Rom verlassen als das stolze Gehabe des designierten Prätors mitansehen zu müssen (Marx II 86 f.)? Oder rät Lucilius jemandem zum Weggang (Cichorius 279, unter Verweis auf die VV. 601 und 602)? Der designierte Prätor ist wahrscheinlich C. Caecilius Metellus Caprarius, Prätor 117 v. Chr. (designiert also Ende 118), ein dem Dichter wohl schon aus der Zeit des bellum Numantinum verhasster und von Scipio verspotteter Mann (s. Cic. de orat. 2,267). – Mehr hierzu (und zu Fr. 1225) Cichorius 277–281; Charpin I 264 zu Fr. 24. 223: pecus Nerei = Delphine. Lucilius parodiert Pacuvius (TRF 408 R.): Nerei repandiros­ trum incurvicervicum pecus. – rostrique repandum aus metrischen Gründen. – Hängt das Fr. mit dem vorhergehenden zusammen, etwa: „(und sehen zu müssen), wie …?“

    Buch V

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    Verse mit unklarem Zusammenhang 221–22 Nonius: Dass von ‚rostrum‘ (Schnauze) eines Menschen nicht gesprochen werden dürfe, setzte der herrschende Sprachgebrauch (eigentlich) voraus. Doch …

    um nicht die Schnauze des designierten Prätors und seine (Riesen)füße sehen zu müssen.

    223 Nonius: ‚Pecus‘ (Vieh). nicht nur ein Lebewesen mit vier Füßen, sondern alle Lebewesen können ‚pecudes‘ genannt werden.

    dass die Herde des Nereus, (die Herde) mit aufgestülpter Schnauze, ausgelassen spielt.

    224–25 Nonius: ‚Lupari‘ (als Dirne arbeiten), (dasselbe) wie ‚scortari‘ oder ‚prostitui‘. (Scholia: …nius.)

    „Trockne deine Tränen und lass uns mit Weihrauch zu den Göttern beten, ihnen unser Vorhaben gestehen (und sie fragen), ob du mit ihrer Zustimmung ungestraft als Dirne arbeiten kannst.“

    226–27 Nonius: ‚minutim‘ (in kleinen Stücken) statt ‚minute‘

    „Sag doch, welche Kraft bringt es denn dazu, sich Stück für Stück durch die Fugen der Ritzen zu zwängen in stockdunkler Nacht?“

    224–25: Wohl Worte eines Ehemanns, der seine Frau verkuppeln will – vielleicht der Cipius, von dem lt. Fest. 173,5 L Lucilius Fr. 1198 handelt. 226–27: Aus dem Verhör eines servus mendax, der einen Fehlbestand in der Speisekammer mit dem Eindringen eines hungrigen Tieres zu erklären sucht (Marx II 86, der Hor. epist. 1,7,29 ff. heranzieht)? – Oder – so von Krenkel (zu Fr. 200–01) und Haß (2007, 150) in Betracht gezogen – vom Saft der Zwiebel (dann in Zusammenhang mit Fr. 201 und 202)? – Weitere Deutungen hat Charpin I 263 (zu Fr. 22) zusammengestellt.

    LIBER VI Der Inhalt des 6. Buches ist außerordentlich bunt und hat zu höchst unterschiedlichen Kombinationen eingeladen. Warmington schloss sich Fiske an, der eine Satire unter der Prämisse konstruierte, sie sei für Horaz das Vorbild seiner Satire 1,9, der sog. Schwätzersatire, gewesen. Warmington kam so mit dem Ansatz von insgesamt zwei Satiren aus. Krenkel und Charpin (s. sein Urteil I 161 n. 1) haben ihm wohl mit Recht die Gefolgschaft verweigert; denn im Grunde besteht eine enge Parallele nur zwischen Fr. 256–57 und Hor. sat. 1,9,78. Fiskes These setzt überdies die Einordnung des fr. incertae sedis 1217–21 in Buch VI voraus, und die übrigen Analogien zwischen Fragmenten des 6. Buches und der Satire 1,9 überzeugen kaum. Krenkel seinerseits kommt auf 4 Satiren. Angesichts so unter-

    228 (230) Non. 324,4: ‚Iubere‘ est velle. Lucilius Satyrarum lib. VI:

    – salvere iubere salutem est mittere amico.

    iubere codd. : iuveres L1 : viveres AA

    229 (233) Non. 479,36: Genetivus positus pro ablativo vel adverbio loci. … Lucilius Satyrarum lib. VI:

    hortare, illorum si possim pacis potiri,

    pacis potiri J. Dousa : capi sortiri AA BA : capisotiri L1 CA : captus potiri Scaliger

    230 (235) Serv. auct. Aen. 1,76: ‚Optare‘ non tantum eligere significat, ut alibi ‚optavitque locum regno‘ (Aen. 3,109), sed etiam velle ... Lucilius in VI:

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ quid ipsum facere optes.‘

    me add. Mueller : hic ante ipsum add. Marx

    231–32 (236–37) Non. 500,18: Ablativus pro genetivo. … Lucilius Satyrarum lib. I [fr. 24–25] … idem lib. VI:

    et id solum adversae fortunae reque resistit.

    et id codd. : mi id Mueller | reque L1 : reique codd. Lit. zu B. VI: Cichorius 281–287; Fiske 1920/1971, 330–336. 228: Vgl. Buch V die Verse 181 bis 192a: Der Dichter scheint immer noch krank zu sein und mit den Versen 228–232 auf die (briefliche?) Reaktion seines Freundes einzugehen (Haß 2007, 141). 229: S. Marx II 93.

    Buch VI schiedlicher Rekonstruktionsergebnisse ist Zurückhaltung geboten. (So sieht es auch Charpin I 162 n. 2, der zu dem Schluss kommt: „le charme du livre 6 venait peut-être de sa discontinuité.“) Unstrittig sind lediglich drei Themen: Freundschaft (Fr. 228 bis 232) – Polemik des Ständekampfes (Fr. 233 bis 246) – Geiz (247 bis 253). Wie sich der Festtag der Sklaven (Fr. 254–55), die ungleichen Schwestern (Fr. 258–59), die Kritik des Mucius Augur an seinem Schwiegersohn Crassus (Fr. 260–61) und drei weitere Verse, die von häuslichen Verhältnissen handeln (Fr. 262 bis 264), dazu verhalten, sei offen gelassen, wie im Übrigen auch über die Reihenfolge der Themen nichts ausgesagt werden kann und die hier vorgeschlagene Zuordnung von Fragmenten im Einzelnen durchaus unsicher bleibt. Gedankenaustausch über Freundschaft 228 Nonius: ‚Iubere‘ (jmd. etw. heißen) meint ‚wollen‘.

    Wollen, dass er sich wohl befinde: das ist gemeint, wenn man seinem Freunde einen Gruß schickt.

    229 Nonius: Genitiv gesetzt statt Ablativ oder adverbium loci.

    Du ermunterst mich, wenn ich das Wohlwollen jener Leute (wieder)gewinnen könne, (nicht zu zögern). 230 Servius auctus: ‘Optare‘ (wünschen) bedeutet nicht nur ‚auswählen‘, wie an anderer Stelle ‚und wählte sich einen Platz für sein Reich‘ (Aen. 3,109), sondern auch ‚wollen‘.

    „…, was du möchtest, dass ich es meinerseits tue.“

    Nonius: Ablativ statt Genitiv.

    231–32

    und nur das widersteht widrigem Schicksal und Unglück.

    231–32: reque (die Lesart, die seit L. Mueller alle Editoren gewählt haben, ist eher Dativ wie in Fr. 963 und wie facie in Fr. 271–72 sowie Fr. 1194–95. (Winkelsen 2012, 151 verteidigt J. Dousas Wahl reique, begibt sich damit aber der Möglichkeit, das irrige Nonius-Lemma zu erklären.)

    88

    LIBER VI

    233 (257) Non. 159,36: ‚Prodigitas‘ dicta profusio. Lucilius Satyrarum lib. VI:

    ‚nequitia occupat hoc, petulantia prodigitasque.‘

    hoc codd. : hos J. Dousa | petulantia Bentin : peculantia codd. : penulentia G

    234–35 (258–59) Non. 111,21: ‚Facul‘ pro faciliter; huic contrarium est difficul. Lucilius lib. VI:

    ‚peccare impune rati sunt posse et nobilitate facul propellere iniquos.‘

    nobilitate codd. : nobilitati Marx (sed v. Leo 1906, 232; Housman 1907, 57.)

    236 (260) Non. 125,9: ‚Innubere‘ positum pro transire, quod hae, quae nubunt, ad domos maritorum transeunt. Lucilius Satyrarum lib. VI:

    ‚ suam enim invadere atque innubere censent.‘

    Sic Cichorius 285–286 : – suam enim invadere Marx : – suam enim insinuare Lachmann

    237 (251) Non. 181,22: ‚Tenta‘, dictum pro extensa. … Lucilius Satyrarum lib. VI:

    tres a Deucalione grabati restibus tenti.

    238 (252) Non. 540,26: ‚Amphitapoe‘ vestes dicuntur utrimque habentes villos. Lucilius Saryrarum lib. I [fr. 19] … idem lib. VI:

    pluma atque amphitapoe et si aliud quid deliciarum.

    239–40 (261–62) Non. 21,18: ‚Quiritare‘ est clamare; tractum ab is qui Quirites invocant. Lucilius Satyrarum lib. VI:

    233: hoc, nml. genus, vgl. Cic. Sest. 96. – Ein popularis; vielleicht der aus Sall. Iug. 31 bekannte C. Memmius (so Cichorius 281–284), polemisiert hier und im Folgenden gegen die Nobilität. – Auf Memmius möchte Cichorius (ebd.) auch Fr. 247 beziehen, wofür die Verhöhnung seiner Überheblichkeit durch Crassus sprechen kann: Cic. de orat. 2, 267 ita sibi ipsum magnum videri Memmium, ut in forum descendens caput ad fornicem Fabianum demitteret. – Zu diesem und dem folgenden Fr. s. auch Krenkel I 69 und zu Fr. 258–59; Winkelsen 2012, 205f. u. 344. 234–35: Zu nobilitate s. Cichorius 284f.

    Buch VI

    89

    Polemik des Ständekampfes 233 Nonius: Mit ‚prodigitas‘ ist profusio (Verschwendung) gemeint.

    „Unvermögen beherrscht diesen Stand, Frechheit und Verschwendung.”

    234–35 Nonius: ‚Facul‘ für ‚faciliter‘ (leicht), das Gegenteil dazu ist ‚difficul‘ (schwierig).

    “Sie dachten, sie könnten sich ungestraft vergehen und gestützt auf ihre hohe Geburt leicht unbequeme (Gegner) aus dem Feld schlagen.”

    236 Nonius: ‚Innubere‘ (einheiraten) gebraucht statt ‚transire‘ (übergehen), weil heiratende Frauen in die Häuser ihrer Ehemänner übergehen.

    „Sie (die Adligen) sind nämlich der Ansicht, dass diese Leute in ihren Besitz einbrechen und einheiraten.”

    237 Nonius: ‚Tenta‘, gesagt für ‘extensa‘ (ausgespannt).

    drei vorsintflutliche, mit Seilen bespannte Feldbetten.

    238 Nonius: ‚Amphitapoe‘ heißen Kleidungsstücke, die auf beiden Seiten Zotteln haben.

    Daunenkissen und Decken beidseitig mit Zotteln und jeder erdenkliche andere Komfort.

    239–40 Nonius: ‚Quiritare‘ (urspr.: die Hilfe der Quiriten anrufen; ein Klagegeschrei erheben) heißt ‚rufen‘, hergeleitet von denen, die die römischen Bürger (= Quiriten) anrufen.

    236: rem stünde dann sowohl für das Adelsprivileg, die höchsten Ämter zu besetzen, als auch für ihren Reichtum; s. Cichorius 285f. 237: Zu ‚vorsintflutlich‘ (so treffend Krenkel Fr. 256) vgl. Mart. 10,39; zu grabatus vgl. Porph. Hor. epod. 12,12 tenta autem cubilia lectum dicit restibus sive fasciolis subtentum. – Dieses und das folgende Fragment gehören vielleicht in eine demagogische Kontrastierung der Armut der Plebejer mit dem Luxus der Optimaten. 239–40: Wenn der Dichter nicht selbst spricht, kommt der Fr. 260–61 genannte Crassus als Redner in Betracht. Er hat nachweislich gegen C. Memmius polemisiert: s. Cic. de orat.

    90

    LIBER VI

    Varro ling. 7,103: Multa ab animalium vocibus tralata in homines; partim quae sunt aperta, partim obscura. perspicua ut … Lucilii [haec … heiulitabit].

    ‚haec, inquam, rudet ex rostris atque heiulitabit, concursans veluti Ancarius clareque quiritans.‘

    heiulitabit F Non. : heiulitavit G L Non. : heilitabit codd. Varro | Ancarius codd. : angarius Scaliger

    241–42 (254–55) Porph. Hor. sat. 1,3,1: … adnotandum ergo et Sardum et Sardiniensem dici posse. nam Lucilius ‚Sardiniensem‘ dixit in sexto Satyrarum sic:

    – ⏑ ⏑ e Sicula Lucilius Sardiniensem terram. Lucilius Marx : Lucilium codd.

    243–44 (318) Non. 212,27: ‚Mercatura‘ feminini. … Lucilius Satyrarum lib. VI: VI codd. L F H E : VIII cod. G alii

    verum et mercaturae omnes et quaesticuli isti intuti

    isti / intuti Scaliger : isti Marx : instituti codd.

    245 (256) Non. 137,21: ‚Musimones‘, asini, muli aut equi breves. Lucilius lib. VI:

    praedium emit, qui vendit equum, musimonem.

    illic add. Krenkel | praedium emit F. Dousa : praetium emit codd. : pretium redimet Marx

    246 (234) Non. 159,37: ‚Porcet‘ significat prohibet. … Lucilius lib. VI:

    ‚– ⏑ ⏑ – non te porro procedere porcent.‘

    suspicatur Krenkel.

    2,240. 267. Lucilius teilte jedenfalls seinen Standpunkt; denn der 134 v. Chr. aus Scipios Heer unehrenhaft entlassene Memmius (Plut. reg. et imp apophth. 201C–D; Frontin. strat. 4,1,1) war seitdem ein Gegner Scipios. – Zu Ancarius s. Marx II 99 und Cichorius 282 Anm. 1. Vielleicht ist stattdessen mit Scaliger angarius (= ἄγγαρος, Eilbote) zu lesen. 241–42: Marx II 96f.vermutet als Versanfang. Zur Verschiebung der Erzählperspektive s. Haß 2007, 108. – Zur Vermutung, Lucilius habe in beiden Gegenden Landbesitz gehabt, s. Cichorius 28f. Doch s. auch zu Fr. 112–13 (Zweifel an Besitz auf Sizilien). – Die nachfolgende Anfügung der Verse 243 bis 246 an die vorstehende Polemik folgt Krenkels hypothetisch hergestelltem Zusammenhang (I 69 Somnia zu B. 6., 4. Satire). 243–44: Scaligers vielfach akzeptierte Konjektur stützt sich auf Cato agr. praef. 1 est in­ terdum praestare mercaturis rem quaerere, nisi tam periculosum sit. Vgl. auch Cic. off. 1,151 – eine Argumentation, die den hier vermuteten Zusammenhang mit den folgenden

    Buch VI

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    Varro: Vieles wurde von den Lauten der Tiere auf die Menschen übertragen; das ist teils offenkundig, teils dunkel. Unverkennbar (ist es) z. B. …

    „(All) das wird er, sage ich, von der Rednerbühne her schreien und heulen, dabei hin- und herrennen wie Ancarius und laut kreischen.“

    241–42 Porphyrio: Es ist also anzumerken, dass sowohl ‚Sardus‘ als auch ‚Sardiniensis‘ gesagt werden kann. Denn Lucilius hat ‚Sardiniensem‘ gesagt im sechsten Buch der Satiren wie folgt:

    (als ich,) Lucilius, vom sizilischen Boden aus den sardinischen (ansteuerte).

    243–44 Nonius: ‚Mercatura‘ (Handel) als Femininum.

    Aber alle Arten des Handels und diese kleinen unsichereren Gewinne da …(oder: … diese kleinen Gewinne da sind unsicher.) 245 Nonius: ‚Musimones‘, Esel, Maulesel und Ponys.

    (Dort) kann ein Grundstück kaufen, wer ein Pferd, ein Mufflon verkauft.

    246 Nonius: ‚Porcet‘ (hält ab) bedeutet ‚hindert‘.

    „Sie hindern dich nicht fortzugehen.“

    Fragmenten wahrscheinlich macht. Marx’ Einspruch (II 121) – er folgt wie alle Editoren nach ihm dem Zweig der nonianischen Überlieferung, die das Fr. Buch VIII zuweist – widerspricht Garbugino 1982, 114f. Ich folge seiner Argumentation zugunsten der Einordnung des Fr. in Buch VI; denn in Buch VIII ist kein Kontext erkennbar, wohl aber in Buch VI. Allerdings halte ich den Zusammenhang mit der Ständepolemik für wahrscheinlicher als den mit der Thematik „autarkeia ed avaritia“. 245: ‚Dort‘: Wenn illic mit Recht ergänzt wurde, auf Sardinien, wo es wie auf Korsika, in Spanien, Nordafrika und Zypern Mufflons gibt. Nonius hat musimones wohl falsch gedeutet (Marx II 97f.). – emit deute ich phraseologisch. – qui sehen Marx und Krenkel (Fr. 255) als alten Ablativ an. 246: Appell an die Nachkommen des Romulus, sich eine neue Existenz aufzubauen (Krenkels Vermutung)? „Der ursprüngliche Kontext ist unklar (Glei 2009, 355).

    92

    LIBER VI

    247 (242) Non. 136,27: ‚Macellum‘ dictum pro macilentum Lucilius probat lib. VI:

    si nosti, non magnus homo est, nasutus, macellus. 248–51 (243–46) Non. 78,2: ‚Bulga‘ est folliculus omnis, quam et cruminam veteres appellarunt. et est sacculus ad bracchium pendens. Lucilius Satyrarum lib. VI:

    cui neque iumentum est nec servus nec comes ullus: bulgam, et quidquid habet nummorum, secum habet ipse, cum bulga cenat, dormit, lavat. omnia in una sunt homini bulga: bulga haec devincta certo est. lavat FA BA : lavit L, Marx : omnia in una sunt homini bulga Marx : omnis in una seti hominibus codd. | lacerto suppl. Lachmann : certo codd.

    252–53 (247–48) Non. 363,1: ‚Protelare‘ est percutere, perturbare. … Lucilius Satyrarum lib. VI:

    quem neque Lucanis oriundi montibus tauri ducere protelo validis cervicibus possent.

    ducere protelo codd. : duceri AA | cervicibus codd. : cervibus AA

    254–55 (228–29) Porph. Hor. sat. 1,5,87: ‚mansuri oppidulo quod versu dicere non est, signis perfacile est.‘] Aequum Tuticum significat, cuius nomen hexametro versu compleri non potest. hoc autem sub exemplo Lucili posuit. nam ille in sexto Saturarum sic ait:

    servorum est festus dies hic, quem plane hexametro versu non dicere possis. hexametro edd. : exametro codd.

    247: Figur der effictio (Rhet. Her. 4,63). Die Beschreibung passt auf einen Geizigen (Marx II 94. Krenkel I 195 zu Fr. 245): τὸν δὲ φιλάργυρον … τοιόνδε εἶναι λέγε: μικρομελῆ μικρόμματον μικροπρόσωπον … (R. Foerster: Scriptores Physiognomonici I 1893, 419). – Oder ist Memmius gemeint? S. o. Erl. zu Fr 233. 248–51: Vgl. Catull. 23,1 Furi cui neque servus est neque arca; Mart. 9,59,22 (Mamurra) asse duos calices emit et ipse tulit: auch er verfügt also nicht über einen Sklaven. Der von Lucilius Portraitierte ist demgegenüber ein Geizhals, denn fast jeder hat wenigstens einen

    Buch VI

    93

    Ein Geizhals sondergleichen 247 Nonius: Dass ‚macellus‘ (etwas mager) statt ‚macilentus‘ gesagt werden konnte, belegt Lucilius Buch VI:

    wenn du ihn kennst: klein von Statur ist der Mann, aber mit großer Nase, dürr.

    248–51 Nonius: ‚Bulga‘ (lederner Sack) ist jede Art von kleinem Sack, den die alten Autoren auch ‚crumina‘ (Geldbeutelchen) nannten. Und zwar ist das ein am Arm hängendes Säckchen.

    der weder ein Zugtier noch einen Sklaven noch irgendeinen Begleiter hat: einen Sack und sein ganzes Geld trägt er bei sich, mit dem Sack isst er, schläft er, badet er. Alles hat der Mann in einem einzigen Sack: dieser Sack ist an seinem Arm festgebunden.

    252–53 Nonius: ‚Protelare‘ (fortjagen) heißt ‚heftig stoßen‘, ‚sehr verwirren‘.

    …, den auch in den lucanischen Bergen geborene Stiere mit ihren starken Nacken am Zugseil nicht (fort)ziehen könnten.

    Schwer einzuordnende Verse 254–55 Porphyrio: ‚um in einem Städtchen zu verweilen, das nicht im Vers, durch Hinweise aber leicht zu nennen ist.‘] Er meint Equus Tuticus, dessen Name im hexame­ trischen Versmaß nicht ausgeführt werden kann. Er hat dies aber nach dem Vorbild des Lucilius formuliert. Denn jener sagt im sechsten Buch der Satiren wie folgt:

    Es ist dies der Festtag der Sklaven, den man im Hexameter nicht klar benennen kann.

    Sklaven, aber nicht jeder hat ein Zugtier, er also will es sich nicht leisten, und wegen seines Geizes hat er auch keinen freigeborenen Begleiter (Marx II 94f.). –– An kynische Lebensführung denkt M. M. Barroso de Albuquerque (Euphrosyne 9 [1978/79] 173–177). 252–53: nml. den Geizigen von seiner bulga (Marx II 95). 254–55: J. A. C. van Heusde: Studia critica in C. Lucilium poetam. Utrecht 1842, 143–144: der 13. August, Geburtstag des Servius Tullius, wie sich aus Fest. 343,7 L ergibt; vgl. Plut. qu. R. 100. Für die Saturnalien plädiert neuerdings wieder Auhagen 2001, 1937. Die Sigillaria

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    LIBER VI

    256–57 (231–32) Porph. Hor. sat. 1,9,78: ‚Sic me servavit Apollo.‘] Hoc de illo sensu Homerico sumpsit, quem et Lucilius in sexto Satyrarum repraesentavit sic dicens:

    ut discrepet ac τὸν δὲ ἐξήρπαξεν Ἀπόλλων fiat.

    nil add. Marx | ἐξήρπαξεν edd. : ee Ξ ΠΡΠΣΕ Ν codd. | fiat edd. : quem rapuit Apollo fiat codd. : quem rapuit Apollo eiecit Lachmann

    258–59 (238–39) Non. 68,20: ‚Abstemius‘. … Lucilius Satyrarum lib. VI:

    ⏑ ⏑ ‚thaunomeno‘ inquit balba, sororem lanificam dici, siccam atque abstemiam ubi audit.

    thaunomeno BA, Mariotti : thaunumeno L : thaunomeno vel thaunameno F³ : chauno meno Marx, Krenkel : θαῦμα μέγα Mueller : θαῦμα μέν Lachmann | balba F. Dousa : valva codd.

    260–61 (240–41) Non. 281,14: ‚Dominus‘ rursum appellatur convivii exhibitor. unde et ‚dominia‘ convivia. Lucilius Satyrarum lib. VI:

    ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ –‚qui te bonus Iuppiter‘ inquit Crasso Mucius, ‚cum cena[bat] dominum fortem‘.

    Mucius edd. : Mucium codd. | cena[bat] Marx : cenabat codd. | improbe suppl. Marx

    262–63 (249–50) Non. 189,24: ‚Zonatim‘, per goerum. Lucilius lib. VI:

    zonatim circum inpluvium cinerarius cludebat.

    zonatim edd. : per zonatim codd. | cinerarius Lipsius : cineraris codd. | curtus suppl. Brak­ mann, Mnemosnye 60 (1933) 440 | cludebat codd. : fluebat Mueller, alii alia

    → fr. 1237–38 ? Doch s. zu Fr. 206-07. (7 Tage der Saturnalien) können aber nicht gemeint sein, weil von einem einzigen Festtag der Sklaven die Rede ist. – Zum „Spiel mit der Meta-Ebene des Textes“, das auch Hor. sat. 1,5,87 trieb, s. Haß 2007, 203. – Vielleicht gehört Fr 1212 hierher (Cichorius 286f.). 256–57: Vgl. Hom. Il. 20,443. Marx (II 92f.) vermutet, dass Lucilius den Wunsch eines arg geprügelten Mannes wiedergibt. 258–59: chauno meno = χαῦνο(ς) μένω od. μενῶ, von Marx (Fr. 238) hergestellt, würde wohl (wie auch sicca) doppelsinnig gemeint sein: vom Weingenuss und sexuell. Sollte es so zotig wirklich beim Mahle im Hause des Crassus (Fr. 260–61), gar auf Kosten der eigenen Frau, zugegangen sein (Krenkels Vermutung [I 69 Somnia], zustimmend Haß 2007, 153)? Die hier mit Charpin (I 268 zu Fr. 7) vorgezogene Lesart, die Mariotti (1960, 80) entwickelte, geht davon aus, dass keine Konjektur paläographisch gesehen befriedigt; darum – so Charpin

    Buch VI

    95

    256–57 Porphyrio: ‚So errettete mich Apoll.‘] Das hat er aus dem bekannten Homerischen Satz übernommen, den auch Lucilius im sechsten Buch seiner Satiren zitiert hat, indem er folgendermaßen dichtete:

    … dass alles übereinstimmt und der Fall „ihn aber rettete Apoll“ eintritt.

    Nonius: ‚abstemius‘ (nüchtern)

    258–59

    „Da ‚schschtaune‘ ich aber“, sagte sie lallend, wie sie hörte, dass von ihrer Schwester gesagt wurde, sie sei eine Wollespinnerin, trocken und enthaltsam.

    260–61 Nonius: ‚Dominus‘ (Herr) wird auch der Ausrichter eines Gastmahls genannt. Von daher (heißen) Gastmähler auch ‚dominia‘.

    „Soll dich doch irgendwie der gute Iuppiter“, sagte zu Crassus Mucius, „mitsamt dem Mahl den wackeren Gastgeber …“.

    262–63 Nonius: ‚Zonatim‘, ‚im Kreis herum‘

    Im Kreis rings um das Regenbecken hinkte der verstümmelte Haarkräusler.

    I 268f. zu Fr. 7 –: „Reste l’hypothèse que Lucilius imiterait le balbutiement de la dame.“ Er vergleicht Plaut. Most. 320 ecquid tib videor ma-m-ma-madere? Die Skansion mit langem e lässt sich als Aussprache von ae auf dem Lande erklären. Weiteres zum Fr. bei Charpin a. O. 260–61: Mucius Augur, stoisch geprägt und von einfachster Lebensführung (Athen. 6 p. 274C–E = 6,108 Kaib.), tadelt anlässlich einer cena seinen im Luxus lebenden Schwiegersohn, den Redner L. Licinius Crassus. – Marx’ Herstellung des korrupt überlieferten Fragments ist nur einer von vielen Vorschlägen. 262–63: cinerarius: gehört zur familia urbana; über ihn Varro ling. 5,129; Schol. Hor. sat. 1,2,98). – „Ein Zusammenhang für dieses Fragment ist schwer zu finden“ (Krenkel zu Fr. 236–37). Gehört es vielleicht in Buch V, in die Nähe von Fr. 206-07?

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    LIBER VI

    264 (253) Non: 212,7: ‚Latrina‘ genere feminino; et est lavatrina, quod nunc balneum dicitur. Lucilius lib. XI [fr. 399] … (10) Neutro … Lucilius lib. VI:

    ‚hic tu apte credis quemquam latrina petisse?‘

    hic Marx : hoc codd. | credis J. Dousa, edd. : credit codd.

    264: ‚hier‘: viell. = ‚unter solchen Umständen‘. – Ist die Rede von ungepflegten Gästen (Marx II 96)?

    Buch VI

    97

    264 Nonius: ‚Latrina‘ (eigl.: Abtritt) femininen Geschlechts; und zwar ist es ‚das Bad‘, das heute ‚balneum‘ heißt.

    “Glaubst du wirklich, hier habe jemand die Bäder aufgesucht?”

    Liber VII Buch VII wird von erotisch-sexuellen Themen beherrscht: Erwerbssinn und Körperpflege der Hetäre, Gewerbe der Kuppler(innen) (Fr. 265–273) – untreue Ehefrau und masochistische Reaktion des Ehemanns (Fr. 274–280) – Lucilius und seine Lustknaben (Fr. 281–286). Diese drei Motive können, müssen aber nicht in einer Satire behandelt worden sein. Denn in ihrem jeweiligen Tenor sind sie von einander sehr verschieden. Das gilt auch für die Warnung des Horaz in Satire 1,2 vor einem Verhältnis mit einer matrona gleichermaßen wie mit einer Dirne. Stattdessen empfiehlt er die Libertine, weswegen die oft vermutete Anregung durch Buch VII des Lucilius wenig spezifisch gewesen sein dürfte. Übrig bleiben Fragmente, die (wahrscheinlich) von der römischen Auseinandersetzung mit den Lusitanern handeln (Fr. 287–291), Klagen eines Bauern wiedergeben (292 f.) und alte Männer charakterisieren (294 f.), wobei der Bauer durchaus einer der alten Männer sein kann, die Verse also zusammengehören können – vor allem dann, wenn Lucilius sich an

    265 (263) Non. 351,20: ‚Nobilis‘ dicitur et notus. … Lucilius Satyrarum lib. VII:

    Phryne nobilis illa ubi amatorem inprobius quem

    266–67 (264–65) Non. 95,11: ‚Desquamat‘, squamis expoliat. … Lucilius Satyrarum lib. VII:

    ‚rador, subvellor, desquamor, pumicor, ornor, expolior, pingor‘

    rador Turnebus, Charpin : sador codd. | expolior pingor F. Dousa : expilor pingor Marx : expilor pingor codd.

    268 (266) Non. 21,24: ‚Caries‘ est vetustas vel putrilago: unde cariceum veteres dixerunt. Lucilius Satyrarum lib. VII:

    ne auriculam obsidat caries, ne vermiculi qui

    vermiculi qui Lachmann : vermiculique codd.

    Ich möchte nicht verschweigen, dass ich meine 1986 (S. 107) gegebene Zusammenfassung des Buches in fast allen Punkten revidiert habe. Lit. zu B. VII: Cichorius 287–291; Haß 2007, 125–128. 131 f. 265: Phryne war eine in Athen bekannte Hetäre (Val. Max. 4,3 ext. 3). Vermutlich folgte bei Lucilius ein dictum von ihr; der ubi-Satz hat iterativen Sinn (Marx II 99 f.).

    *

    Buch VII die Komödie anlehnen sollte, worin der senex meist Bauer ist. Warmington (S. 91 n. a) stellt diese Gruppe von Fragmenten in einer zweiten Satire „of uncertain bearing but perhaps dealing with life’s changes of fortune“ zusammen. Bemerkenswert ist, dass hier einmal die Zitierweise des Nonius für die relative Reihenfolge der Fragmente 268 – 279–80 – 289–90 spricht, woraus sich entsprechend ihrer thematischen Zuordnung die Reihenfolge der Themen ‚Hetäre‘ – ‚untreue Ehefrau‘ – ‚Auseinandersetzung mit den Lusitanern‘ ergibt. Das Thema ‚Lucilius über seine Lustknaben‘ wird hier hinter das Thema ‚untreue Ehefrau‘ gestellt. Eine Entscheidung, ob die drei Themen sexuellen Inhalts in einer Satire zusammenzufassen sind, soll damit nicht getroffen sein. Wurde der Prätor von Fr. 282–83 richtig identifiziert, so müssen zumindest die Verse über die Lustknaben Anfang 117 v. Chr. geschrieben worden sein (s. zu B. V Fr. 221–22).* 1. Von Hetären und Kuppler(inne)n 265 Nonius: ‚Nobilis‘ (vornehm) heißt auch ‚bekannt‘.

    Wenn die stadtbekannte Phryne (wieder einmal) einen Liebhaber recht unverschämt (ausgeplündert hatte), ...

    266–67 Nonius: ‚Desquamat‘ (entschuppt), ‚befreit von Schuppen‘.

    „Ich werde geschabt, enthaart, entschuppt, (mit Bimstein) abgerieben, herausgeputzt, geglättet, angemalt.“ 268 Nonius: ‚Caries‘ ist ‚hohes Alter‘ oder ‚Fäulnis‘: von daher sagten die alten Autoren ‚faulig‘.

    damit nicht Eiter das (äußere) Ohr verstopft, nicht Würmchen ...

    266–67: Vgl. Plaut. Poen. 219–224 (Körperpflege einer Dirne), Ov. ars 3,193–204, Scipio Aemilianus bei Gell.6,12,5 (eines Mannes). – Marx II 100: „Quattuor igitur componuntur commata: raduntur supercilia, subvelluntur femora; cutis destringitur, eadem pumicatur; capilli comuntur; pili evelluntur, expingitur facies.“ 268: Zu den Ohrwürmern s. Cels. 6,7,5, vgl. Plin. nat. 20,256 und 259; Weiteres bei Marx II 100 f. – ‚Ohrenschmalz‘ (Krenkel Fr. 268) scheint mir eine zu schwache Übersetzung.

    100

    Liber VII

    269 (267) Non. 215,2: ‚Nasus‘ masculini. neutri Lucilius lib. VII:

    quos? oculi non sunt neque nasum et qualia sunt ...

    quos codd. : queis Iunius | qualia sunt codd. : qualia sanis Mueller | quos? oculi n. s. n. nasum? et qualia sunt! dist. Marx

    270 (271) Non. 22,34: ‚Sagae‘ mulieres dicuntur feminae ad lubidinem virorum indagatrices; unde et ‚sagaces‘ canes dicuntur, ferarum vel animalium quaesitores. Lucilius satyrarum lib. VII:

    aetatem et faciem ut saga et bona conciliatrix

    → fr. 1194–95 ?

    271–72 (269–70) Gell. 9,14,21–22: In casu autem dandi, qui purissime locuti sunt, non ‚faciei‘, uti nunc dicitur, sed ‚facie‘ dixerunt. Lucilius in Saturis [fr. incert. 1194–95]. Lucilius in libro septimo:

    ‚qui te diligat, aetatis facieque tuae se fautorem ostendat, fore amicum polliceatur.‘

    tuae se codd. : tua est B

    sunt tamen non pauci, qui utrobique ‚facii‘ legant. 273 (284) Non. 169,34: ‚Simat‘, deprimit. Lucilius lib. VII:

    si movet ac simat nares, delphinus ut olim.

    si codd. : sic Mueller | ac simat Roth : aximad codd.

    274 (278) Non. 19,20: ‚Evannetur‘ dictum est ventiletur vel moveatur; a vannu, in qua legumina ventilantur. … Lucilius Satyrarum lib. VII:

    hunc molere, illam autem ut frumentum vannere lumbis. illam Iunius : illa codd. | lumbis Mercier : tum vis codd. 269: Charpin I 280 zu Fr. 9: „Il s’agit vraisemblabement de gens qui ont perdu la vue, l’odorat, l’ouïe ..., parce qu’ils sont saisis par la passion.“ Ähnlich (bei anderer Textgestaltung) Krenkel zu Fr. 279: „Von Leuten, die nicht sehen und riechen und mit gesundem Menschenverstand urteilen können“ (mit Verweis auf Hor. sat. 1,2,92–95, Varro Men. 290 B., Lucil. Fr. 935). 271–72: Marx (II 102 zu Fr. 269–70) hat plausibel begründet, dass hier überliefertes aetatis zu halten und facie als alter Genitiv zu verstehen ist. – Jemand scheint ein Mädchen oder

    Buch VII

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    269 Nonius: ‚Nasus‘ (Nase) maskulinen Geschlechts. Als Neutrum ...

    Was für Leute? die Augen nicht haben noch Nase und was (sonst noch) ....

    270 Nonius: ‚Sagae‘ (scharfsinnig, hier subst. ‚Kupplerinnen‘) werden Frauen genannt, die eine Frau zur Triebbefriedigung der Männer aufspüren. Deshalb werden auch Hunde ‚leicht aufspürend‘ genannt, als Aufspürer von Wild oder (überhaupt) Lebewesen.

    ... (lobt) das (zarte) Alter und das (hübsche) Aussehen wie eine Kupplerin und (geschäfts)tüchtige Vermittlerin.

    271–72 Gellius: Im Dativ aber haben die konsequentesten sprachlichen Puristen nicht ‚faciei‘, wie man heute sagt, sondern ‚facie‘ gesagt. ...

    „der dich liebt, sich als Bewunderer deiner Jugend und deines hübschen Gesichts erweist, (und) verspricht, dein Freund zu sein.“ Es gibt jedoch nicht wenige, die in beiden Fällen ‚facii‘ lesen.

    Nonius: ‚Simat‘, ‚drückt herab‘.

    273

    wenn er die Nasenflügel bläht und platt drückt, wie zuweilen der Delphin.

    2. Ehefrau beim Seitensprung 274 Nonius: ‚Evannetur‘ (es wird ausgeworfelt werden) wurde gesagt für ‚es soll geschwungen‘ oder auch ‚bewegt werden‘, von der Futterschwinge, in der Ackerfrüchte geworfelt werden. Nonius hält evannetur fälschlich für einen Konjunktiv; vannu: heteroklitischer Ablativ.

    (Er sah,) wie er mahlte und wie sie mit den Lenden (hin- und her)schwang wie beim Getreideworfeln.

    einen Knaben zur Prostitution überreden zu wollen – vielleicht die im vorausgehenden Fr. vorgestellte Person. (Charpin I 279 f. zu Fr. 8 legt sich nicht fest.) 273: „Agitur de homine amore perdito, qui ἀσθμαίνει in re venerea (Lucian. dial. meretr. V 4) ...“ (Marx II 106 f.); s. auch Charpin I 281 zu Fr. 14. – ‚wie ... der Delphin‘: wenn er gestrandet ist, vgl. Anth. Pal. 11,52. 274: „Agi videtur de marito, qui moechum et uxorem haud invita quae patiatur deprehendit ἐν ἔργῳ supplendumque erit vidit“ (Marx II 105).

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    Liber VII

    275 (285) Non. 450,6: ‚Gannire‘ cum sit proprie canum, … etiam humanam vocem nonnulli ‚gannitum‘ vocaverunt. Lucilius lib. VII:

    ‚– eodem pacto oggannis‘

    ogganis F. Dousa (probante Garbugino 1982, 112) : pactologannis codd. : pacto [lo] gannis Marx : pacto li oganni Mueller

    276–78 (279–81) Non. 398,31: ‚Samium‘ rursum acutum. unde et ‚samiare‘ dicimus acuere, quod in Samo hoc genus artis polleat. Lucilius Satyrarum lib. VII: Gell. 4,16,5–6: Set non omnes concedunt in casu dativo ‚senatui‘ magis dicendum quam ‚senatu‘, sicuti Lucilius in eodem casu ‚victu‘ et ‚anu‘ dicit, non victui‘ nec ‚anui‘, in hisce versibus: [fr. 1179] et alio in loco ‚anu noceo‘ inquit.

    hanc ubi vult male habere, ulcisci pro scelere eius, testam sumit homo Samiam sibi, ‚anu noceo‘, inquit, praecidit caulem testisque una amputat ambo. scelere Iunius : cele codd. | homo codd. : humo F. Dousa | sibi Lachmann : ibi codd. : atque ibi Mueller | anu noceo codd. Gell., Marx : anunotelo vel anunctelo codd. Non. | praecidit G L1 : praecedit BA Gen | testisque codd. : tetisque AA

    279–80 (282–83) Non. 21,31: ‚Virosae‘ mulieres dicuntur virorum adpetentes vel luxuriosae. Lucilius Satyrarum lib. VII:

    dixi. ad principium venio: vetulam atque virosam uxorem caedam potius quam castrem egomet me.

    281 (272) Apul. apol. 10: Et quidem C. Lucilium, quamquam sit iambicus, tamen improbarim, quod Gentium et Macedonem pueros directis nominibus carmine suo prostituerit. Lucilium Lipsius : lucullū cod.

    275: Charpin I 284 zu Fr. 23: „Ce sont sans doute de jappements de volupté.“; vgl. Plaut. Asin. 421 f., Ter. Phorm. 1030, Apul. met. 2,2,6. 2,11,1. 276–78: Zur hier angenommenen kausalen Färbung von ubi s. Kühner-Stegmann II 354 Anm. 1. – Zur Samia testa s. Plin. nat. 35,165, Mart. 3,81. – Wortspiel testa – testis. – Groteske Kurzschlusshandlung des maritus.

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    275 Nonius: ‚Gannire‘ (kläffen), obwohl es den Hunden eigentümlich ist, ... haben manche auch menschlichen Laut ‚gannitus‘ (Gekläff, Kreischen) genannt.

    „Du japst genauso (wie ein Hund).“

    276–78 Nonius: ‚Samius‘ (von Samos) heißt auch scharf. Daher sagen wir auch ‚samiare‘ für ‚schärfen‘, weil auf Samos diese Art Handwerk blüht. Gellius: Aber nicht alle räumen ein, dass im Dativ eher ‚senatui‘ als ‚senatu‘ gesagt werden sollte, wie z.B. Lucilius im selben Kasus ‚victu‘ und ‚anu‘ sagt, nicht ‚victui‘ und ‚anui‘, in folgenden Versen: [Fr. 1179] und an anderer Stelle sagt er ‚(damit) schade ich meiner Alten‘.

    Da er sie quälen, sich rächen will für ihr Vergehen, greift er sich eine scharfe Scherbe, „(damit) schade ich meiner Alten“, sagt er, schneidet sich sein Glied ab und amputiert sich gleich auch beide Hoden.

    279–80 Nonius: ‚Virosae‘ (mannstoll) heißen Frauen, die nach Männern gieren oder wollüstig sind.

    So weit mein Bericht. Ich komme zum Ausgangspunkt (zurück): Ich für meine Person würde meiner abgetakelten und mannstollen Frau lieber den Hintern verspunden als mich kastrieren.

    3.(?) Lucilius und seine Lustknaben 281 Apuleius: Und obwohl C. Lucilius ja Satiriker ist, muss ich ihn dennoch tadeln, weil er die Knaben Gentius und Macedo mit ihren wahren Namen in seiner Dich­ tung öffentlich preisgegeben hat.

    279–80: Caedere: in obszön sexuellem Sinne wie futuere, vgl. Catull. 56,7, Priap. 26,10. – Pointierter Schluss der Thematik, wie das aus rhetorischer Praxis übernommene dixi zeigt (Marx II 106). 281: Nicht anders erging es seinen Geliebten: Fr. 514 (Collyra), Fr. 920–22 (Cretaea), Fr. 1214–15 (Hymnis). – Haß 2007, 131 Anm. 130 hält es nicht für erwiesen, dass Apuleius bezeuge, Gentius und Macedo seien Lieblinge des Lucilius gewesen.

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    Liber VII

    282–83 (273–74) Don. Ter. Andr. 976: ‚Tuus est nunc Chremes‘] Lucilius in septimo:

    Nunc, praetor, tuus est: meus, si discesserit horno, Gentius

    praetor tuus codd. : precor tuus V : pretur tuus C : praetor tuos Mueller | discesserit codd. : decesserit Mueller : discesseris Terzaghi | Gentius Mueller : gentilis codd.

    284 (275) Non. 110,11: ‚Flaccet‘, languet, deficit. Lucilius lib. VII:

    – hic est Macedo, si Agrion longius flaccet.

    si Agrion codd.: si agron L2 : sei Gentio Mueller : si ἀχρεῖον Lachmann : si eugion Qui­ cherat

    285–86 (276–77) Non. 258,38: ‚Contendere‘ significat conparare. … Lucilius Satyrarum lib I [Fr. 38–39]. idem lib. VII:

    huncin ego umquam Hyacintho hominem, cortinipotentis deliciis, contendi?

    *287 (286) Non. 102,19: ‚Exculpere‘ est extorquere. … Lucilius Satyrarum lib. II [fr. 63–64]. idem VII: VII Mueller : uti codd.

    esuriente leoni ex ore exculpere praedam

    esuriente Mercier : esurienti codd.

    288 (287) Non. 457,7: ‚Catuli‘ non solum canum diminutive, verum omnium animalium appellantur. … Lucilius Satyrarum lib. IV [fr. 159]. idem lib. VII:

    iratae ad catulos accedere inultum.

    ursaeque suppl. cum Quicherat Brakmann, Mnemosyne 60 (1933) 440, cl. Ov. met. 13,836 | iratae Quicherat : rate codd. : recte J. Dousa | accedere F³ BA : accederet codd. 282–83: Der Praetor hat den Lustknaben in die Provinz mitgenommen, vgl. Prop. 2,16,1 f., Verg. ecl. 10,46–49, Liv. 39,42,8; s. Marx II 103 f., Puelma Piwonka 1949, 267, Charpin I 277 f. zu Fr. 12; anders Cichorius 287 f. Der Praetor kann gut der hinter B. V Fr. 221–22 vermutete und, wenn das zutrifft, dem Dichter verhasste C. Caecilius Metellus Caprarius sein (Marx a.O.). – Hier liegt sicher nicht das alexandrinische Motiv des armen Dichters vor, der dem reichen Rivalen weichen muss (Puelma Piwonka 1949, 169); denn „Lucilius war reich“ (Haß 2007, 132 Anm. 131). 284: Vgl. Tib. 2,6,49 f.; Ov. rem. 511. – L. Mueller ersetzt Agrion durch Gentius. – Zum Verhältnis des Lucilius zur alexandrinischen Μοῦσα παιδική s. Puelma Piwonka 1949, 269 f.

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    282–83 Donatus: ‚Der Deine ist jetzt Chremes‘] Lucilius im 7. Buch:

    Jetzt, Praetor, ist er der Deine: der Meine (wird) Gentius (sein), wenn er noch in diesem Jahr (aus der Provinz) abreist.

    Nonius: ‚flaccet‘, ‚ist matt‘, ‚erlahmt‘.

    284

    hier ist Macedo, wenn Agrion länger unpässlich ist.

    285–86 Nonius: ‚Contendere‘ (sich messen [lassen]) bedeutet ‚vergleichen‘.

    Habe ich jemals diesen Burschen hier mit Hyacinth, dem Liebling des Dreifußmächtigen, verglichen? 4. Erinnerung an die Kriege in Spanien: die Auseinandersetzung mit den Lusitanern 287 Nonius: ‚Exculpere‘ (ausmeißeln) heißt ‚entwinden‘.

    einem Löwen aus seinem hungrigen Rachen die Beute zu entwinden 288 Nonius: ‚Catuli‘ (Welpen) nennt man nicht nur in Verkleinerungsform die (Jungen) von Hunden, sondern von allen Tieren.

    straflos den Jungen einer gereizten nahe zu kommen.

    285–86: ‚verglichen‘: wie auch Q. Lutatius Catulus seinen Liebling Roscius idealisierte (FPL³ p. 96)? Dies vermutet Cichorius 288–291; s. auch Haß 2007, 132 + Anm. 133. – Zu Hyacinth, Liebling des Apoll, s. Ov. met. 10,183–219. 287: Vgl. Naev. pall., CRF 20 R deprandi item leoni si obdas oreas (= in: Otto, Sprichwörter 189) – „Nova incipit satura qua centurionis fortitudo describitur bello Hispanico probata” (Marx II 107 f.). “Rash desires or actions” (Warmington Fr. 319). Auf Liebesabenteuer, wie von Horaz sat. 1,2 thematisiert, bezieht Krenkel (Fr. 276. 277) dieses und das folgende Fragment.

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    289–90 (288–89) Non. 22,3: ‚Capronae‘ dicuntur comae quae ante frontem sunt, quasi a capite pronae. Lucilius Satyrarum lib. VII:

    iactari caput atque comas fluitare capronas altas, frontibus inmissas, ut mos fuit illis.

    iactari … fluitare Iunius : actari … fruitare codd. | inmissas F³ BA : missas L

    291 (290) Non. 552,30: ‚Rorarii‘ appellabantur milites qui, antequam congressae essent acies, primo non multis iaculis inibant proelium; tractum quod ante maximas pluvias caelum rorare incipiat. Lucilius Satyrarum lib. VII:

    quinque hastae, aureolo cinctu rorarius veles.

    veles Iunius : velis codd.

    292 (292) Non. 395,11. ‚Segetem‘ … etiam ipsam terram dicimus. … Lucilius Satyrarum lib. VII:

    solem, auram adversam segetem inmutasse statumque.

    solem G L1 : solam codd. | statumque codd. : satumque J. Dousa

    293 (291) Non. 506,7: ‚Fulgit‘ pro fulget. Lucilius Satyrarum lib. VII:

    primum fulgit, uti caldum e furnacibus ferrum.

    e furnacibus J. Dousa : et furnacium codd.

    294 (293) Non. 496,14: Genetivus casus positus pro accusativo. … Lucilius Satyrarum lib. VII:

    ‚tristes, difficiles sumus, fastidimus bonorum.‘

    295 (294) Non. 139,4: ‚Munginare‘, murmurare. Lucilius lib. VII: Non. 346,13: ‚Moliri‘, retinere, morari ac repigrare. … Lucilius lib. VII: 288: Für eine Bärin argumentiert Cichorius 291. – Mart. 6,64,27 f. Sed miserere tui, rabido nec perditus ore / fumantem nasum vivi temptaveris ursi spricht für eine sprichwörtliche Redensart (Charpin I 282 zu Fr. 19). 289–90: Schilderung der Lusitaner (Marx II 108 f., mit Verweis auf App. Ib. 67). Näheres zum historischen Hintergrund bei Cichorius 32 f.: ihr Gegner nicht Scipio Aemilianus, sondern Popilius (vgl. Fr. 588). –– Gegen Krenkels Einordnung in das Ehedrama (nach Fr. 274; s. auch Haß 2007, 128) spricht das dann blasse ut mos fuit illis sowie die Noniusreihe 268 – 279–80 – 289–90 (p. 21 f.); denn Fr. 279–80 schließt die sexuelle Thematik unverkennbar ab.  – Vielleicht werden hier aber auch Pferde beschrieben (Martyn, WZ Rostock 15

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    289–90 Noniius: ‚Capronae‘ werden die Haare genannt, die sich vor der Stirn befinden, sozusagen ‚am Kopf nach vorn hängend‘.

    dass ihr Kopf hin- und herflog und ihre Stirnlocken in die Höhe wogten, die sie über die Stirn lang herabhängen ließen, wie es bei ihnen Brauch war.

    291 Nonius: ‚Rorarii‘ wurden Soldaten genannt, die, bevor die Schlachtreihen aufeinanderprallten, das Gefecht mit ein paar Wurfspießen eröffneten; davon hergeleitet, dass vor kräftigen Regengüssen der Himmel zu tröpfeln (rorare) beginnt.

    fünf Lanzen, mit einem goldenen Gurt der leichtbewaffnete Plänkler.

    5. Klagen eines Bauern 292 Nonius: Mit ‚seges‘ (Saat) ... bezeichnen wir auch die Erde selbst.

    dass Sonne, widriger Wind das Saatfeld verdorben haben. 293 Nonius: ‚Fulgit‘ (strahlt, leuchtet) statt ‚fulget‘.

    Zuerst leuchtet er, wie glühendes Eisen aus den Schmelzöfen.

    6. (?) Alte Männer 294 Nonius: Der Genitiv statt des Akkusativs gesetzt.

    „Griesgrämig, schwierig im Umgang sind wir, all dessen sind wir überdrüssig, was das Leben lebenswert macht.“ 295 Nonius: ‚Munginare‘, ‚murren‘. Nonius: ‚Moliri‘, ‚zurückhalten‘, ‚aufhalten und hemmen‘. [1966] 496; Haß 2007, 138), allerdings wohl, ohne dass von diesem Fr. gesagt werden kann, es passe „in both equestrian and sexual matters“. 291: militärische Belohnungen; s. auch Cichorius 33 Anm. 1. – Ich vermute, dass mit rorari­ us veles eine einzige Waffengattung gemeint ist; vgl. Cic. epist. 9,20,1 scurra veles. 292: Marx II 110: „Queritur querulus agricola ...“ – „segetem … statumque forme un hendiadyn“ (Charpin I 282 zu Fr. 17). 293: Vom Mond vor einem Sturm, vgl. Ov. met. 12, 276–279; Verg. georg. 1,430 f. (Marx II 109 f.). – Charpin (I 282 zu Fr. 15) denkt dagegen an Liebesglut.

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    ‚munginamur, molimur, subducimur – ⏑‘ munginamur codd. 139 : mutilamur codd. 346 | molimur codd. 346 : molimus codd. 139 : olimur L1 346

    296–97 (268) Non. 200,16:‘Collus‘ masculino. … Lucilius Satyrarum lib. VII:

    calda simitu ac bene plena ei ius olerorum atque anseris collus.

    calda simeitu Mueller : caldais seme L : caldissime L1 G : calda siem Marx | plena ei ius olerorum Garbugino 1982, 108–111 : plenaiiasolorum codd. : plena, si olorum Marx

    298 (295) Non. 257,49: ‚Calx‘ est finis. Lucilius Satyrarum lib. VII:

    – ⏑ ⏑ – hoc est cum ad * * *

    hoc est cum ad edd. : hoc est cum ad aeneidos lib. V calcemque etc. AA (= Gen.) : ... calcemque (versus Aeneidos) L B : ‚Calx pro fine positum‘ scr. Marx. – Interciderant versus Vergilii (Aen. 5,324) cum versu Luciliano; v. Lindsay in Nonii editione.

    294: Anscheinend spricht wie auch im folgenden Fr. ein senex über sich und seinesgleichen, vgl. Cic. Cato 65; Hor. ars 172 f. Weitere Parallelen bei Marx II 110 f. und Krenkel zu Fr. 270. – Charpin (I 282 zu Fr. 16) bezieht beide Fragmente als „désenchantement devant la vie“ auf menschliche Verhaltensweisen überhaupt; s. auch Winkelsen 2012, 169 f. 296–97: ‚Gänseklein‘: wtl. ‚Hals der Gans‘. – Für Marx (Fr. 268, Erl. II 101 f.), Krenkel (Fr. 269 u. Erl.) und Charpin (Fr. 3, Erl. I 276 f.) ist es ausgemacht – bei unterschiedlicher Aus-

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    „Wir murren, setzen nur zaudernd ins Werk, drücken uns“ Unsicheres 296–97 Nonius: ‚Collus‘ (Hals) als Maskulinum.

    Eine heiße und gehaltvolle Gemüsebrühe sowie Gänseklein (werden) ihm (serviert?).

    298 Nonius: ‚Calx‘ (Kalk; Ziel, Ende der Rennbahn) heißt Ende.

    das heißt, wenn zum Ende ...

    legung des Aussagetenors –, dass weibliche Körpermerkmale verhandelt werden. Doch Garbugino (1982, 108–111) bringt gegen Marx’ Lösung schwerwiegende Einwände vor: calidus von der Liebesglut ist erst bei Tertullian belegt, Elision von si (langer Vokal) vor olorum (kurzer Vokal) wäre singulär. Muellers Konjekturen finden seinen Beifall (vor ihm schon Warmington Fr. 315–16), weil sie sich in den „usus scribendi luciliano“ einfügen (vgl. Fr. 505 holerorum, 1090 simitu). Doch ersetzt er vasa durch paläographisch näherliegendes ius.

    LIBER VIII Auch die wenigen Fragmente dieses Buches gehen thematisch weit auseinander. Warmington setzte zwei Satiren an – I. On women and men‘s relations with them, II. On table-luxury? – Krenkel unterschied drei Themen, deren Zugehörigkeit zu einer Satire er aber für möglich hielt. Im Folgenden werden die Fragmente (bis auf

    299–300 (296–97) Non. 489,22: ‚Gracila est‘ pro gracilis est. Lucilius Satyrarum lib. VIII:

    – ⏑ ⏑ quod gracila est, pernix, quod pectore puro, quod puero similis.

    301–1a (298) Prisc. GL 2,115,15: Praeterea ‚panus‘, panucula. Lucilius in VIII: Char. GL 1,105,8, cf. Beda GL 7,285,20: Paniculae πρωτότυπον ‚panus‘ est; Lucilius in VIII [subteminis panus]. Non. 149,17: ‚Panus‘, tramae involucrum, quam diminutive panuclam vocamus. Lucilius lib. IX (sic!) [foris … panus].



    intus modo stet rectus, foris subteminis panus.

    fusus add. Warmington | subteminis codd. : subteminus F² Non. : substeminus L Non. : substeminis BA Non 302–3 (300–1) Non. 427,22: ‚Priores‘ et ‚primores‘ hanc habent diversitatem. ‚priores‘ enim conparativi sunt gradus, ‚primores‘ summae quaeque res. Lucilius Satyrarum lib. VIII:

    gallinaceus cum victor se gallus honeste in tentos digitos primoresque erigit unguis. honeste in tentos digitos Housman, CQ 1 (1907) 151 probante Garbugino 1982, 113 : honestemtelitus codd. : honeste altius digitos Marx | primoresque erigit ed. pr. : primores quae erigunt codd.

    Lit. zu B. VIII: Haß 2007, 114 f. (zum erstgenannten Thema) 299–300: pernix: wie Atalante (Catull. 2,12; Stat. Theb. 4,312). – Vgl. Ov. met. 8,322 f. facies quam dicere vere / virgineam in puero, puerilem in virgine posses. – „The best woman for a man?“ (Warmington zu Fr. 324–25). „Physiquement et moralement, elle illustre l’idéal féminin selon Lucilius.“ (Charpin I 286 zu Fr. 6). 301–301a: „The good wife‘s work“ (Warmington). Möglicherweise liegt aber obszöne Metaphorik vor (Krenkel zu Fr. 306–06a unter Verweis auf Priap. 73,2; CIL 4,1830).

    Buch VIII zwei Ausnahmen a. E.), ohne damit ihre Reihenfolge festlegen zu wollen oder für eine Zusammenführung zu einer oder zwei Satiren zu votieren, ebenfalls drei Themen zugeordnet: Ehe oder ‚freie Liebe‘? (Fr. 299 bis 308) – Konsum und Handel (?) (Fr. 309 bis 314) – Ein rassiges spanisches Pferd (Fr. 315 bis 318). Ehe oder ‚freie Liebe‘? 299–300 Nonius: ‚Gracila est‘ statt gracilis est (sie ist schlank).

    weil sie schlank und rank ist, behend, weil reinen Herzens, weil sie einem Knaben gleicht.

    301–1a Priscianus: Außerdem ‚panus‘ (eine Art Geschwulst), panucula (Büschel). Charisius: Das Stammwort von panicula ist ‚panus‘. Nonius: ‚Panus‘, die Wicklung des Fadens (auf der Spule), die wir in der Verkleinerungsform ‚panucla‘ nennen.

    wofern nur innen aufrecht steht, (darum herum) außen das Knäuel des Fadens.

    302–3 Nonius: ‚Priores‘ (erstere) und ‚primores‘ (erste) weisen folgenden Unterschied auf: ‚priores‘ nämlich steht im Komparativ, ‚primores‘ sind die jeweils obersten Dinge.

    wenn ein siegreicher Haushahn sich ansehnlich aufrichtet auf seinen gespreizten Zehen und Spitzen der Krallen.

    302–3: Mit dem Hahn (Maskulinum) wird wohl kaum eine hochmütige Ehefrau (Femininum) verglichen (Marx II 113, vgl. Martyn 1966, 496, Haß 2007, 126 Anm. 92), eher der Typ des miles gloriosus (Krenkel zu Fr. 300–01, zustimmend Winkelsen 2012, 365), vielleicht einer, der sich aufplustert wie der Hahn, um der jungen Frau zu gefallen (Krenkel I 71 Somnia; skeptisch auch Charpin I 286 zu Fr. 7).

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    LIBER VIII

    304–5 (303–4) Non. 257,37 ‚Conponere‘, coniungere. … Lucilius Satyrarum lib. VIII: Non. 308, 18: ‚Fingere‘ est lingere. Vergilius lib. VIII (634): : suppl. Stowasser cl. Non. 257. | Fort. addendum unde fictricem meretricem dicit Lindsay.

    cum poclo bibo eodem, amplector, labra labellis fictricis conpono, hoc est cum ψωλοκοποῦμαι, poclo codd. : ploco AA 257 : proclo L 308 | bibo eodem codd. 308, edd. : eodem obvio codd. 257 : obvic AA 257 | p. e. o. om. DA 257 | labra labellis codd. 257 : obra labellis codd.308 : abra bellis AA 308 | fictricis Scaliger, edd. : fictrices codd. Non. 308, om. codd. 257 | ψωλοκοῦμαι Iunius, Crönert RhM 65 (1910) 470  f. : ipso loco pomas codd. Non. 257 : via ωλοκοπουμη L 308 : via οκοσιουμη AA : ωλοκοπουμα BA : psolo copumai Marx

    306 (305) Non. 257,37: ‚Conponere‘ coniungere. … Lucilius Satyrarum lib. VIII [fr. 304–305]. idem in eodem:

    tum latus conponit lateri et cum pectore pectus.

    tum J. Dousa : tuum codd. : cum Mueller | latus Mercier : latum codd.

    307 (306) Porph. Hor. sat. 1,2,125: ‚Haec ubi supposuit dextro corpus mihi laevum‘] Hoc est quod Lucilius ait in VIII:

    – et cruribus crura diallaxon ⏑ ⏑ – ⏑

    308 (307) Porph. Hor. sat. 1,2,68: ‚Muttonem‘ pro virili membro dixit Lucilium imitatus. ille etenim in VIII sic ait:

    at laeva lacrimas muttoni absterget amica.

    at Marx : a codd., om. [Acro] | absterget codd. : abstergeret vett. : abstergere Mueller 304–5: Zur Textherstellung vgl. Winkelsen 2012, 48 f. – Marx (II zu Fr. 304) ergänzt dem Sinne nach: „non curo bonane sit an mala, pulcra honesta an turpis.“ fictrix vesteht er im Sinne von Lucr. 4,1192 ficto suspirat amore. Charpin (I 284) unterstützt diese Interpreta­ tion, ohne allerdings gleich an eine Dirne zu denken. – Wenn Nonius fictrix in unserem Fr. zu Unrecht im Lichte von fingere im Vergil-Zitat gedeutet hat, kann die Umarmte nicht die unschuldige junge Frau von Fr. 299–300, die Traumfrau heiratswilliger Männer sein, wie Krenkel (I 71 Somnia, vgl. Haß 2007, 114) annimmt. Eher ist anzunehmen, dass der erklärte Ehefeind Lucilius die ‚freie Liebe‘ propagiert. – Eine zu den Versen 304 bis 308 bis in Details ähnliche Szene: Apul. met. 2,16 f. (Krenkels Hinweis). – Trinken aus demselben Becher: Ov. ars 1,575 f.

    Buch VIII

    113

    304–5 Nonius 257: ‚Componere‘ (zusammenfügen), ‚verbinden‘. Nonius 308: ‚Fingere‘ (formen; streichelnd betasten) heißt ‚lecken‘. Vergil Buch VIII (634): : Ergänzt hat Stowasser ... | Vielleicht zu ergänzen: daher nennt er ‚fictrix‘ die Dirne Lindsay. – (Übers. der Vergilverse: Binder)

    Wenn ich aus demselben Becher trinke, (sie) umarme, meine Lippen mit ihren, der Heuchlerin, zarten Lippen vereine, das heißt, wenn ich vor Lust berste,

    Nonius: (w. o.)

    306

    Dann schmiegt sie Leib an Leib und (lässt sie) Brust mit Brust (verschmelzen). 307 Porphyrio: ‚Wenn sie ihre linke Körperseite unter meine rechte gelegt hat‘] Damit ist gemeint, was Lucilius in Buch VIII sagt:

    und wenn ich mich anschicke, Schenkel mit Schenkeln zu verschränken, ...

    308 Porphyrio: ‘Muttonem‘ hat er für das männliche Glied gesagt in Nachahmung des Lucilius. Jener sagt nämlich in Buch VIII wie folgt:

    Doch mit seiner hilfreichen Linken trocknet er seinem Phallus die ‚Tränen‘.

    306: „schmiegt“: so treffend Krenkel Fr. 304. – „supplendum est iungit“ Marx zu Fr. 305. 307: Wohl eher part. fut. (διαλλάξων), nicht imper. aor. (διάλλαξον) (Marx II 115). – Vgl. Tib. 1,8,25 f.; Ov. am. 3, 7, 10. 3,14,22; Catull. 69,1 f. 308: Mar. Victorin. defin. 64,904 Migne: Turpis translatio fit ... ut si quis patrationem defi­ niens lacrimas dicat veneris fatigatae. – Gegen die Auffassung von amică = ‚Freundin‘ als Subjekt spricht unzweideutig Mart. 9,41,1 f. und Priap. 33,6. (So auch Charpin I 285 zu Fr. 4.). Stellt Lucilius seinem unkomplizierten Sexualleben (vgl. Hor. sat. 1,2) die Nöte eines zur Masturbation greifenden Mannes gegenüber oder spricht er von einem Sklaven, der heimlich zuschaute? Winkelsen, der den Vers nach Fr. 304–5 einordnet (2012, 53 [50 f. zur Textherstellung]), nimmt an, „dass die Frau den Mann mit ihrer Hand befriedigt“.

    114

    LIBER VIII

    309 (308) Non. 497,36: Genetivus positus pro ablativo vel adverbio loci. … Lucilius Satyrarum lib. VI [fr. 229]. idem lib. VIII:

    quarum et abundemus rerum et quarum indigeamus.

    310 (312) Non. 217,12: ‚Posticam‘ feminino genere consuetudine appellamus. … (17) Titinius neutro … Lucilius lib. VIII:

    pistrinum adpositum, posticum, sella, culina.

    sella codd. : cella Gulielmus

    311–12 (309–10) Non. 119,16: ‚Gigeria‘, intestina gallinarum conquisita cocta. Lucilius lib. VIII:

    gizeria ni sunt sive adeo hepatia

    gizeria ni sunt Marx : gizerini sunt codd. : gigeria (Bentinus) insunt Mueller | hepatia Iunius : hepetia codd.

    313 (311) Non. 84,8: [Columnam] ‚Colustra‘, lac concretum in mammis. Lucilius lib. VIII:

    † hiberam insulam † omento omnicolore colustra

    hiberam insulam L2 G2 BA : beram sulam L1, hiberam insuam G1 : permulsam Marx, Char­ pin | omento Warmington, Krenkel : fomento codd., Marx (qui add. horto), Charpin | hiberno inclusam omento omnicolore colustra coni. Krenkel, alii alia.

    314 (317) Prisc. GL 2,546,9: ‚Sallio‘ sallitum facit, ‚sallo‘ salsum. … similiter Lucilius in VIII:

    sallere murenas, mercem in frigdaria ferre.

    frigdaria G : frigidaria R B D K

    309: Marx (II 116) vermutet: „Hoc scire medici opinor officium est sollertis.“ Charpin (I 289 zu Fr. 17) deutet: „La comptabilité d’un commerçant“. – Am ehesten handelt es sich um „Human needs“ (Warmington zu Fr. 336), die im Folgenden am Tafelluxus illustriert werden. 310: pistrinum: Stampfmühle, in der zugleich das Brot gebacken wurde. – „A simple house“ (Warmington zu Fr. 326), die Backstube kann verpachtet gewesen sein (Charpin I 286 zu Fr. 8). Die inhaltliche Zuordnung des Fr. ist fraglich. 311–12: Es ist nicht auszumachen, ob die Form gizeria auf Lucilius zurückgeht oder die Orthographie zur Zeit des Nonius wiedergibt; s. Marx II 116 f.; Charpin I 287 zu Fr. 11. –

    Buch VIII

    115

    Konsum und Handel (?) 309 Nonius: Genitiv gesetzt statt Ablativ oder adverbium loci.

    woran wir Überfluss und woran wir Mangel haben. 310 Nonius: Von ‚postica‘ (Hinter[tür]) sprechen wir im allgemeinen Sprachgebrauch als einem Femininum. ... Titinius als Neutrum ... Lucilius Buch VIII:

    angebaut eine Backstube, ein Hinterhaus, ein Latrine, eine Küche.

    311–12 Nonius: ‚Gigeria‘, gekochte ausgesuchte Innereien der Hühner.

    wenn es nicht Hühnerklein gibt oder wenigstens geschnetzelte Leber.

    313 Nonius: ‚Colustra‘, eingedickte Milch in den Eutern (= erste Milch nach dem Kalben, Biestmilch).

    ... mit Kaldaunen in allen Farben, mit Biestmilch

    314 Priscianus: ‚Sallio‘ (ich salze) bildet das Supinum sallitum, ‚sallo‘ (ich salze) salsum. … ähnlich Lucilius in Buch VIII:

    Muränen einsalzen, die Ware in die Kühlräume bringen.

    hepatia: griech. ἡπάτιον, Geflügelleber, eine in Athen verbreitete Speise; Charpin (a. O.) verweist auf Athen. 3p. 107 F = 3,69 f. Kaib.; Petron. 66. 313: Der desperat überlieferte Text hat weit auseinandergehende Konjekturen und Deutungen gezeitigt. – omentum von Tieren = Lappen- oder Gekrösefett. – colustra (bzw. colus­ trum) galt als Delikatesse (Mart. 13,38; Plaut. Poen. 367.390). Ausgiebige Diskussion bei Marx II 117 f.; Krenkel zu Fr. 311; Charpin I 287 f. zu Fr. 12.

    116

    LIBER VIII

    315 (313) Non. 4,1: ‚Tolutim‘ dicitur quasi volutim vel volubiliter. … item Lucilius Satyrarum lib. VIII:

    si omne iter evadit stadiumque acclive tolutim,

    omne codd. : omnem L1 BA | iter codd. : inter BA

    *316 (314) Non. 4,1: (v. supra)… item Lucilius Satyrarum lib. VIII [frg. 315]. idem:

    velle tolutim hic semper iter coepturus videtur.

    lib. VIII trib. Marx | iter coepturus Lachmann : incepturus codd. incepturus Marx

    317–18 (315–16) Non. 533,25: ‚Cercyrus‘ navis est Asiana pergrandis. … Lucilius Satyrarum lib. VIII:

    verum flumen uti, atque ipso de vortice ingens, pedibus cercurum currere ut aequis

    uti atque codd. : atque uti CA | de vortice Marx : divortio codd. : divortio aquae sunt Mueller : velocior igne Lindsay : divortio aquae vis Warmington | igneis codd. : saxum ingens Marx : iligneis Iunius : propellit Warmington | concurret aequis codd. : conferet aequis Mueller : currat ut aequis Warmington : currere ut aequis Terzaghi : currere et aequis Charpin

    319 (299) Prisc. GL 2,397,24: Nam a ‚lenteo‘ lentesco derivatur, quomodo a duro duresco et a vireo viresco. Lucilius tamen in VIII ‚lentet opus‘ protulit. Cf. Macr. GL 5,650,31.

    lentet opus

    320 (302) Non. 81,1: ‚Buas‘ potionem positum pavulorum. … Lucilius lib. VIII cum vinulentas diceret, ‚vinibuas‘ designavit.

    vinibuas 315: Die Übersetzung setzt explikatives -que voraus (‚und zwar‘). Zu iter evadere vgl. Verg. Aen. 2,730 f. 12,906 f. – Der Ritter und Gutsbesitzer Lucilius verstand etwas von Pferden, s. auch Fr. 475 und 501–3; zu Spanien: Strab. 3,4,15; Veg. mil. 4,6. 316: Vermutlich eine spanische Rasse; vgl. Plin. nat. 8,166. 317–18: Die Übersetzung gibt den Versuch von Marx (s. II 119 f.) wieder, den korrupten Text zu heilen. – Der κέρκουρος war entgegen der Angabe des Nonius ein leichtes und schnelles Schiff, vgl. Liv. 23,34,4. – pedibus aequis: „bedeutet, dass die Haltetaue der Rahe und der

    Buch VIII

    117

    Ein rassiges spanisches Pferd 315 Nonius: ‚Tolutim‘ heißt sozusagen ‚schnell dahinrollend‘.

    Wenn es die ganze Strecke der leicht ansteigenden Rennbahn im Trabe hinter sich lässt, Nonius: (w. o.)

    316

    Diese (Rasse) scheint eine Wegstrecke immer im Trab angehen zu wollen. 317–18 Nonius: ‘Cercyrus‘ ist ein sehr großes asiatisches Schiff.

    Aber wie (wir) eine Strömung und unmittelbar vom Gipfel eines Berges einen riesigen Felsbrocken, wie (wir) einen Schnellsegler unter dem Wind dahineilen (sehen, so jagt dieses Pferd dahin).

    Schwer zuzuordnen 319 Priscianus: Denn von ‚lenteo‘ (ich gehe langsam vonstatten) wird lentesco (ich werde zäh) abgeleitet, wie von duro (ich härte) duresco (ich werde hart) und von vireo (ich bin grün) viresco (ich werde grün).

    die Arbeit zieht sich hin.

    320 Nonius: ‚Buas‘ (= Naturlaut der Kinder zur Bezeichnung des Trankes) gesetzt als ‚Trank kleiner Kinder‘ ... Als Lucilius in Buch VIII von betrunkenen Frauen sprach, bezeichnete er sie als ‚vinibuas‘.

    Weinschlürferinnen

    Rahsegel gleich lang gespannt sind, der Wind also genau von achtern kommt“ (Krenkel zu Fr. 320–21). 319: „She is allured by an adulterer“ (Warmington zu Fr. 330)? Oder opus vom Koitus (Krenkel zu Fr. 307)? S. auch Charpin I 287 zu Fr. 10. 320: Eine solche schildert Lucilius B. VI Fr. 258–59. Das Wort übersetzt οἰνοπότις; vgl. Aristoph. Thesm. 393; Plaut. Curc. 96 f. S. Marx II 113, Charpin I 285 zu Fr. 5.

    LIBER IX Unter den Autoren besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich in Buch IX zwei klar voneinander getrennte Themenbereiche unterscheiden lassen: Zum einen „Römische Impressionen“ (so Krenkel I 71) verschiedensten Inhalts (Fr. 321 bis 339). Sie lassen sich am ehesten unter der Annahme zusammenführen, Lucilius führe den Adressaten seines Gedichts durch Rom und kommentiere für ihn, was 321 (319) Prisc. GL 2,251,12: Invenitur etiam ‚haec capis, capidis‘, cuius diminutivum est capidula. … Lucilius in IX:

    hinc ancilia, ab hoc apices capidasque repertas.

    hinc G L : hi K | ancilia codd. : mancilia K : anncilia D | capidasque codd. : caspidasque D : capices K

    322 (320) Fest. 334,19 L: ‚Redantruare‘ dicitur in Saliorum exultationibus: ‚cum praesul amptruavit‘, quod est, motus edidit, ei referuntur invicem idem motus. Lucilius: Non. 165,16: ‚Redandruare‘, redire. Lucilius lib. IX [ut … inde].

    praesul ut amptruet inde, ut vulgus redamptruet inde.

    ut amptruet edd. : ut (om. codd. Fest.) ampiruet codd. | redamptruet inde edd. : redandruet inde codd. Non. : redamplavit at codd. Fest.

    323 (321) Non. 67,11: ‚Pareutactoi‘, qui de pueritia veniunt ad pubertatem, a Graeco vocabulum sumptum. Lucilius lib. IX:

    unde pareutactoe, clamides ac barbula prima. unde codd. : inde G | pareutactoe Buecheler RhM 48 (1893) 631 : parectato e codd. | clamides edd. : calamides codd.

    324–25 (322–23) Non. 18,17: ‚Rutrum‘ dictum est a radendo. … Lucilius Satyrarum lib. IX:

    Lit. zu B. IX: Zu einigen der Fragmente der erstgenannten Satire: Cichorius 292–298. – Die Fragmente der zweitgenannten Satire wurden in den ersten drei Jahrzehnten nach Erscheinen der Ausgabe von Marx lebhaft diskutiert, s. die Zusammenstellung in Christes 1972, 1214 f., ferner: Faller 2002, 141–160, hier 152–155; Koster 2001, 121–131; Haß 2007, 172–175. 321: Es geht um die instituta des Königs Numa. ancilia: der Salier; apices: der Flamen (= Priester einer individuellen Gottheit), capides: der Pontifices (Oberpriester). Vgl. Plut. Numa 13; Liv. 6,41,9. 10,7,10; Cic. parad. 1,11.

    Buch IX es dabei zu sehen und zu erleben gibt. Zum anderen eine Satire mit Erörterung poetologischer und orthographischer Fragen (Fr. 340 bis 384) in Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Lehren des Accius. Welche der beiden Satiren das Buch eröffnete, lässt sich nicht mehr sagen. Römische Impressionen 321 Priscianus: Es findet sich auch der feminine Nominativ ‚capis‘, Genitiv ‚capidis‘ (Opferschale); ihre Verkleinerungsform ist ‚capidula‘.

    Daher die Schilde, daher die Erfindung der Priestermützen und der Opferschalen.

    322 Festus: ‚Redantruare‘ ([dem Vortänzer] wieder entgegenhüpfen) sagt man beim Springen der Salier: ‚wenn der Vortänzer tanzend gehüpft ist‘, das heißt, Bewegungen vorgegeben hat, werden ihm dieselben Bewegungen abwechselnd erwidert. Nonius: ‚Redandruare‘, zurückkehren.

    dass der Vortänzer von der einen Seite tanzend hüpft, dass die Schar (der Tänzer) von der anderen Seite ihm tanzend entgegenhüpft.

    323 Nonius: ‚Pareutactoi‘ (Mitglieder einer besonderen Klasse von Epheben), die aus dem Knabenalter in die Pubertät kommen, von einem griechischen Wort genommen. daher (ihr Name) παρεύτακτοι, ihre Mäntel und der erste Bartflaum.

    324–25 Nonius: ‚Rutrum‘ (Schaufel), heißt es nach ‚radere‘ (schaben, kratzen). Nonius irrt; rutrum von ruere (tr.: aufwühlen); rutellum: Deminutivum von rutrum.

    322: Vgl. Liv. 1,20,4. 323: pareutactoe: nach παρευτακτέω, „perform one’s duty regularly, of sentries, Plb. 3.50.7“ (Liddell / Scott, Gr.-Engl. Lex.). Vgl. Aristot. Ath. pol. 42,4. 324–25: Cichorius 292–296 hat das Fr. zum Sprechen gebracht: Es handelt sich um einen Empfänger der durch C. Gracchus eingeführten Getreidespenden, wenn nicht gar jenen Piso Frugi, von dem Cicero (Tusc. 3,48) berichtet; dann treibt Lucilius vielleicht sein Spiel mit

    120

    LIBER IX

    frumentarius est: modium hic secum atque rutellum una adfert. atque rutellum edd. : adque etrutellum codd. | una edd. : unam BA : unum L | adfert L1 : affert codd.

    326–27 (324–25) Non. 445,13: ‚Acerosum‘ et ‚aceratum‘. utrumque nove positum, sed distanti proprietate signatum. acerosum namque panem farre minus purgato nec sordibus a candido separatis dicendum veteres putaverunt. Lucilius lib. XV [fr. 494–95]. hunc Graeci αὐτόπυρον vocant. aceratum vero est lutum paleis mixtum, ut laterariis usus est. Lucilius lib. IX:

    – lateres qui ducit, habet nihil amplius numquam quam commune lutum ac paleas caenumque aceratum. lateres Leo GGA 168 (1906) 848 : latere nam codd. : laterem Marx : laterem Charpin : nam laterem Iunius : | numquam Lindsay : nam quam codd. : natum Marx | ac paleas Francken : a paleis codd., Marx | caenumque aceratum F. Dousa : cenumque aceroso codd. : cenoque aceratum Marx

    328 (326) Char. GL 1,100,5: ‚Lora‘ correpta prima syllaba et feminino genere dicenda est, … producta autem neutraliter e corio vincula, ut et Lucilius in VIIII:

    ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ ipsa suo e corio omnia lora suo e Marx : si se codd. : secet Corbet

    329 (327) Gell. 1,16,6–13: Lucilius … in libro IX: Textus completus reperitur ad fr. 501–3.

    Macr. Sat. 1,5,7: Lucilius … alibi vero etiam declinationem huius nominis exsecutus est. nam in libro quinto decimo ita dicit [fr. 501–3], item in libro nono:

    tu milli nummum potes uno quaerere centum. tu om. codd.Gell.

    Frugi : frumentarius. Zu frumentarius = Getreideempfänger vgl. ceparius Fr. 202 (dort wohl Zwiebelesser). 326–27: Vgl. Cato agr. 14,3. – Zur Negationshäufung s. Kühner-Stegmann I 827 f.; vgl. Fr. 547–48. 328: Wohl nach einem Sprichwort, angewandt auf jemanden, der gezüchtigt wird; vgl. Theogn. eleg. 1,539, Mart. 3,16,3.

    Buch IX

    121

    ein Kornempfänger ist er: Scheffel und Schaufelchen bringt er gleich mit.

    326–27 Nonius: ‚Acerosum‘ (voll Spreu) und ‚aceratum‘ (mit Spreu vermischt). Beides ist unüblicher Wortgebrauch, aber durch unterschiedliche Bedeutung gekennzeichnet. Die Alten meinten nämlich Brot ‚acerosus‘ (voll Spreu) nennen zu sollen, wenn das Mehl zu wenig gereinigt und Abfälle nicht vom weißen Mehl getrennt wurden. Lucilius Buch XV [Fr. 494–95]. Die Griechen nennen dieses Brot αὐτόπυρος (aus dem ganzen Weizenmehl). ‚Aceratum‘ (mit Spreu vermischt) dagegen ist mit Spreu vermengter Lehm, wie ihn die Ziegelstreicher brauchen.

    Wer Ziegel streicht, hat niemals mehr (zur Hand) als gewöhnlichen Lehm und ein Gemisch aus Spreu und Schmutz.

    328 Charisius: ‚Lora‘ (Schlauch, [= lura]) ist mit Kürze der ersten Silbe und als Femininum auszusprechen, … mit Länge aber im Neutrum [nml. pl.] (sind es) Bänder aus Leder, wie auch Lucilius in Buch IX:

    sogar aus seiner eigenen Haut alle Riemen

    Gellius: (s. den Text zu Fr. 501–3.)

    329

    Macrobius: Lucilius … hat an anderer Stelle sogar die Deklination dieses Wortes ausgeführt. Denn im fünfzehnten Buch sagt er so [Fr. 501–3], ebenso im neunten Buch:

    Du kannst für eintausend Sesterzen hundert … erwerben.

    oder, wahrscheinlicher:

    Du kannst mit nur eintausend Sesterzen hunderttausend gewinnen.

    329: milli: abl. sing. wie auch Fr. 501. – Der Deutungsmöglichkeiten sind viele, je nachdem, ob man zu ‚hundert‘ eine Ware (welche? mit Marx [II 125] Austern [s. Fr. 330–31]) oder ‚tausend Sesterzen‘ ergänzt, wofür R. C. Rolfe (CPh 23 [1928] 183–185) mit guten Argumenten eintritt. Vielleicht – aber das ist nicht beweisbar (s. auch Winkelsen 2012, 174 f.) – geht es dann um die utilitaristisch ausgerichtete Erziehung der Römer; vgl. Hor. ars 325–332, Pers. 5,149 f., Iuv. 14,189–207.

    122

    LIBER IX

    330–31 (328–29) Non. 216,4: ‚Ostrea‘ generis feminini. Lucilius Satyrarum lib. III [fr. 132] … (17) neutri. Lucilius Satyrarum lib. IX:

    quid ergo? si ostrea Cerco cognorit fluvium limum ac caenum sapere ipsum:

    si ostrea Cerco Cichorius 296–298 : si cerno ostrea codd. : si tenera ostrea Marx : si ostrea certo Charpin

    → fr. 1311 ? 332–33 (331–32) Non. 166,4: ‚Ramites‘ dicuntur pulmones vel hirnea. … Lucilius Satyrarum lib. IX: ramites L1 : ramices codd.

    quod deformis, senex arthriticus ac podagrosus est, quod mancus miserque, exilis, ramite mango

    arthriticus ac podagrosus Iunius : apopititus as potagrosus L : apθpititus as potagrosus G : arthriticus as (ac H²) potagrosus codd. | ramite L : ramice BA, Marx

    334 (333) Prisc. GL 2,507,1: similiter ‚scabo, scabi‘. idem Lucilius in VIIII:

    scaberat ut porcus contritis arbore costis

    335–36 (334–35) Non. 497,36: Genetivus positus pro ablativo vel adverbio loci. … Lucilius Satyrarum lib. VI [fr. 229]. idem lib. VIII [fr. 309]. idem lib. IX:

    si nihil ad faciem et si olim lupa prostibulumque, nummi opus atque opus fit.

    nummi Lipsius : numi L1 : minimi AA : numini codd. | opus fit Iunius, Housman CQ 1 (1907) 157 : subit Marx : obit Charpin : obsit codd.

    337 (330) Non. 19,20: ‚Evannetur‘ dictum est ventiletur vel moveatur; a vannu, in qua legumina ventilantur. … Lucilius Satyrarum lib. VII [fr. 274]. idem lib. IX:

    crisabit ut si frumentum clunibus vannat. crisabit edd. : crisabitque J. Dousa : crisavit Iunius : cursavit codd. 330–31: Auf jeden Fall ist von einem Feinschmecker die Rede (vgl. Hor. sat. 2,4,45 f.; 2,2,19–22; Iuv. 4,139–143), weswegen auch Fr. 1311 in diesem Kontext gestanden haben kann. Zu seiner hypothetischen Identifizierung s. Cichorius 296–298. Zurückhaltung übt demgegenüber Charpin. Folgt man ihm, ist zu übersetzen: „Wie also, wenn er mit untrüglicher Sicherheit merkt, …?“ Zur Unsicherheit der Textherstellung Winkelsen 2012, 337:

    Buch IX

    123

    330–31 Nonius: ‚ostrea‘ (Auster) femininen Geschlechts. … als Neutrum:

    Wie also? Wenn Cerco (gleich) merkt, dass die Austern nach dem Fluss, seinem unverwechselbaren Schlamm und Morast schmecken, …

    332–33 Nonius: ‚Ramites‘ (Brüche am Leib) nennt man Lungen [das gilt für ramices] oder Brüche. hirnea: Nonius meint hernea, griech. τὸ ἔρνος, εος, eigl. Spross.

    weil er hässlich, ein an Rheuma und Gicht leidender alter Mann, weil er verkrüppelt und elend ist, abgemagert, mit einem ausgeprägten Bruch …

    334 Priscianus: Ähnlich (wird gebildet) ‚scabo, scabi‘ (ich kratze, habe gekratzt).

    … hatte er gerieben wie ein Schwein, wenn es seine Rippen an einem Baumstamm scheuert.

    335–36 Nonius: Genitiv gesetzt statt Ablativ oder adverbium loci.

    Wenn ihr Aussehen nichts mehr hermacht und wenn sie immer schon eine Dirne und Hure war, braucht‘s eine Münze, und es geht ans Werk.

    337 Nonius: ‘Evannetur‘ (es wird ausgeworfelt werden) wurde gesagt für ‚es soll geschwungen‘ oder auch ‚bewegt werden‘, von der Futterschwinge, in der Ackerfrüchte geworfelt werden. (S. Anm. bei Fr. 274.)

    Sie wird (hin- und her)schwingen, wie wenn sie Getreide mit den Hinterbacken worfelte.

    „Cichorius’ Lösung erscheint am schönsten, setzt aber starke Texteingriffe voraus.“ – ‚nach Fluss … schmecken‘: so Leo 1906, 849/1960, 234. 332–33: Zur Deutung s. Krenkel I 71 f.; Classen, in Manuwald (Hrsg.) 2001, 64; Winkelsen 2012, 226 f.

    124

    LIBER IX

    338–39 (336–37) Non. 455,9: ‚Rostrum‘ hominis dici non debere consuetudo praesumpsit. set … Lucilius Satyrarum lib. V. [fr. 221–22]. idem lib. IX:

    arripio et rostrum labeasque huic Zopyriatim percutio dentesque advorsos discutio omnes.

    labeasque Bentin : labeatque L AA BA libeatque CA DA | huic Iunius : hoc codd., Marx | zopyriatim Varges : zeferiatin codd. : zopyrioni Iunius : vociferanti Marx

    340–42 (338–40) Non. 428,5: ‚Poesis‘ et ‚poema‘ hanc habent distantiam. ‚poesis‘ est textus scriptorum; ‚poema‘ inventio parva quae paucis verbis expeditur. Lucilius Satyrarum lib. IX:

    non haec quid valeat, quidve hoc intersiet illud, cognoscis. primum hoc, quod dicimus esse poema. pars est parva poema.

    valeat codd. : valeant Lachmann | hoc codd. : huic J. Dousa | intersiet codd. : intersit et Mueller | poema codd. : poesis AA

    343–49 (341–47) Non. 428,5 [v. supra] … (11) idem:

    – ⏑ epistula item quaevis non magna poema est. illa poesis opus totum, tota Ilias una est, una ut θέσις Annales Enni, atque opus unum est, maius multo est quam quod dixi ante poema. qua propter dico: nemo qui culpat Homerum perpetuo culpat, neque quod dixi ante poesin; versum unum culpat, verbum, enthymema locumve.

    tota Lachmann : totaque codd. : ut tota J. Dousa : tota[que] Marx | Ilias una est J. Dousa : illa summast codd. | una ut θέσις Marx : una θέσις ut codd. : una θέσις sunt Lachmann | opus unum Marx : stoc unum codd. : ἔπος unum Lachmann : | locumve Lachmann : timalocum codd. : locum unum Mercier

    338–39: Die Konjektur zopyriatim beruft sich auf Hdt. 3,153 f., Iust. epit. hist. Phil. 3,10,15 (Selbstverstümmelung des Persers Zopyrus), doch wird Buch XXII Fr. 581 ein Zopyrion genannt, ein Sklave des Lucilius und kräftiger Schläger. – Ob deshalb Lucilius hier in eigener Person spricht oder das Fr. als Wiedergabe direkter Rede in Anführungszeichen zu setzen ist, bleibe dahingestellt. 340–42: haec: nml. poesis; hoc und illud: nml. verbum. Lucilius spielt auf die Didascalica des Accius an (FPL³ 13): nam quam varia sint genera poematorum, Baebi, quamque longe distincta alia ab aliis, nosce. Vielleicht setzt er sich auch inhaltlich mit ihm auseinander; s. Puelma Piwonka 1949, 142 f., Krenkel (1957/58) 1970, 241–246, Charpin zu Fr. 2. – Grund-

    Buch IX

    125

    338–39 Nonius: Dass von ‚rostrum‘ (Schnauze) eines Menschen nicht gesprochen werden dürfe, setzte der herrschende Sprachgebrauch (eigentlich) voraus. Doch …

    Ich greife ihn mir und zertrümmere ihm Schnauze und Lippen zopyrionmäßig und schlage ihm alle Vorderzähne aus. Poetik und Orthographie

    340–42 Nonius: ‚Poesis‘ (Dichtung) und ‚poema‘ (Gedicht) weisen folgenden Unterschied auf: ‚Poesis‘ ist ein (in sich geschlossener) Zusammenhang von Geschriebenem, ‚poema‘ eine kleine Schöpfung, die sich in wenigen Worten entfaltet.

    Was diese (nml. poesis, Dichtung) bedeutet und wie sich davon jener Begriff (nml. poema, Gedicht) unterscheidet, erkennst du (noch) nicht. Zuerst das, was wir ein Gedicht nennen. Ein Gedicht ist nur ein kleiner Teil (einer Dichtung).

    Nonius: [s. o.] … derselbe:

    343–49

    Auch jede nicht umfangreiche (Vers)epistel ist ein poema. Die erwähnte poesis (aber) ist ein Werk im Ganzen, die Ilias ist im Ganzen e i n (Thema), wie e i n Thema die Annalen des Ennius sind, und zwar ist sie e i n Werk, sie ist etwas viel Größeres als ein poema, wovon ich vorher sprach. Deshalb sage ich: Niemand, der Homer kritisiert, kritisiert stetig und nicht die poesis, von der ich vorhin sprach; einen Einzelvers kritisiert er, ein Wort, einen Gedanken oder einen Passus.

    legend zu diesem und dem folgenden Fr. Marx II 129–131; aus der von Krenkel (zu Fr. 376–85) angeführten Literatur sei Puelma Piwonka 1949, 138–144 hervorgehoben (mit Folgerungen für Lucilius’ Verhältnis zu Accius einerseits, Ennius andererseits). Hinzugefügt seien Koster 2001, 121–123 (zur antiken Klassifizierung der Textsorten in der Poesie) und Haß 2007, 182 f. 343–49: „Omisit Nonius omnia poematum genera praeter ultimo loco quam enumeraverat epistulam“ (Marx II 130). – Zum Inhalt des Fr. vgl. Varro Men. 398 B. (zitiert bei Nonius 428,19–26 nach dem Luciliuszitat): poema est lexis enrhythmos, id est, verba plura modice in quandam coniecta formam. Itaque etiam distichon, epigrammation vocant poema. Poesis

    126

    LIBER IX

    350 [= 149] (348) Porph. Hor. sat. 1,10,53: ‚Nil comis tragici mutat Lucilius Acci?‘] Facit autem haec Lucilius cum alias tum vel maxime in tertio libro, meminit VIIII et X. 351–52 (349–50) Non. 286,33: ‚Discere‘ est ignotam rem meditando adsequi. Lucilius lib. IX:

    labora discere, ne te res ipsa ac ratio ipsa refellat. labora discere ne te res Iunius : discere labora ne res te codd.

    353–57 (351–55) Ter. Scaur. GL 7,18,12: Primum igitur per adiectionem illa videntur esse vitiosa, quod Accius geminatis vocalibus scribi natura longas syllabas voluit, cum alioqui adiecto vel sublato apice longitudinis vel brevitatis nota posset ostendi. nam singulares vocales et produci et corripi possunt. unde etiam Lucilius in nono Saturarum de orthographia praecipiens ait:

    A primum est, hinc incipiam, et quae nomina ab hoc sunt

    deinde:

    aa primum longa, brevis syllaba. nos tamen unum hoc faciemus et uno eodemque ut dicimus pacto scribemus ‚pacem : placide; Ianum, aridum : acetum‘ ῏Αρες Ἄρες Graeci ut faciunt.

    deinde Terentio Scauro tribuunt edd., Lucilio Marx | aa primum Ribbeck : a primum codd. | a add. Ribbeck | ῏Αρες Ἄρες J. Dousa : apec ape E P ω : arpe cape e B

    358 (357) Quint. inst. 1,6,8–9: At quae ‚o‘ solam habent … brevia fiunt: ‚lego dico curro legere dicere currere‘, etiamsi est apud Lucilium – fr. –. Sed pace dicere hominis eruditissimi liceat: si ‚fervit‘ putat illi simile ‚currit‘ et ‚legit‘, ‚fervo‘ dicet ut

    est perpetuum argumentum ex rhythmis, ut Ilias Homeri et Annalis Enni. Poetice est ars ear­ um rerum. – Zu den Versen 347 – 349 bemerkt E. A. Schmidt 1977, 126: „… steht dem Horazabschnitt sat.1,10,50–55 so nahe, daß man nicht nur vermuten möchte, Horaz habe an diese Verse gedacht, sondern auch, sie seien Porphyrio bei seiner Anmerkung präsent gewesen.“ 350: S. die Anmerkung zu B. III Fr. 149. – Am ehesten findet sich ein Beleg für Porphyrios Behauptung, soweit sie Accius betrifft, hier in B. IX; nur scheint es da nicht wie vor allem in

    Buch IX

    127

    350 [= 149] Poprphyrio: ‚Will denn der launige Lucilius nichts beim Tragiker Accius geändert sehen?‘] Es tut dies aber Lucilius an anderer Stelle, ganz besonders aber im dritten Buch, er kommt darauf zurück im neunten und zehnten Buch. 351–52 Nonius: ‚Discere‘ (lernen) meint, sich einen unbekannten Sachverhalt durch Nachdenken anzueignen.

    Gib dir Mühe zu lernen, damit dich nicht schon die Sache und schon die Logik widerlegt.

    353–57 Terentius Scaurus: Erstens also scheint jene (Anweisung) ‚durch Verdoppelung‘ mangelhaft zu sein, dass (nämlich) Accius von Natur lange Silben mit verdoppelten Vokalen geschrieben haben wollte, wo doch im Übrigen durch Hinzufügen oder Weglassen des Längezeichens das Merkmal Länge oder Kürze angezeigt werden konnte. Denn Einzelvokale können gedehnt und kurz gesprochen werden. Weshalb auch Lucilius im neunten Buch der Satiren, wo er über Orthographie doziert, sagt:

    ‚a‘ ist der erste (Buchstabenname), mit ihm will ich beginnen und (dann) die, die danach kommen, (behandeln).

    darauf:

    ‚aa‘ erstens als lange, ‚a‘ als kurze Silbe (sagt Accius). Wir jedoch werden dies vereinheitlichen und auf ein und dieselbe Weise schreiben, wie wir sprechen: ‚pācem‘, aber ‚plăcide‘, ‚Iānum‘, ‚āridum‘, aber ‚ăcetum‘, wie es die Griechen mit ῏Αρες und Ἄρες tun.

    358 Quintilianus: Aber (die Verben,) die nur ‚o‘ haben …, werden kurz: ‚lego dico curro : legere dicere currere‘, wenngleich es bei Lucilius heißt – Fr. –. Aber ohne dem hochgebildeten Manne nahetreten zu wollen, sei es gestattet zu sagen: Wenn er

    B. XXVI (s. dort) um Auseinandersetzung mit seinen Tragödien, sondern – s. die folgenden Fragmente – mit seinen Didascalica zu gehen (Marx II 131 f., Cichorius 203 f.). 353–57: ‚vereinheitlichen‘: also graphisch keinen Unterschied zwischen kurzem und langem a machen; ‚wie wir sprechen‘: d. h. wir sprechen ja bei langem a auch nicht zwei a; vgl. White 1973, 41, Charpin II 189 f. zu Fr. 5.

    128

    LIBER IX

    ‚lego‘ et ‚curro‘, quod nobis inauditum est. Sed non est haec vera comparatio; nam ‚fervit‘ est illi simile ‚servit‘. Quam proportionem sequenti dicere necesse est ‚fervire‘ ut ‚servire‘.

    Non. 502,32: Fervit‘ pro ‚fervet‘. Lucilius lib. IX: [fervit nunc … annum]. Prob. GL 4,241,22: sed in hoc verbo recte corripitur, quoniam antiqui tertiam con­ iugationem magis quam secundam esse voluerunt, ut Lucilius: [fervit nunc … annum]. Prisc. GL 2,478,18: ‚Ferveo‘ quoque etiam ‚fervo‘ invenitur. … Lucilius [fervit nunc … annum].

    fervit aqua et fervet: fervit nunc, fervet ad annum.

    359 (356) Non. 503,16: Ab eo quod est ‚fervit‘ breviato accentu ‚fervere‘ facit, ut ‚spernit spernere‘. … Lucilius Satyrarum lib. IX:

    fervere, ne longum. vero hoc lictoribus tradam. ne Paris. 7665 : non Montepess. Oxon. : nei Mueller | lictoribus codd. : lectoribus Marx, qui dist. ne longum. vero: hoc lectoribus tradam.

    360–61 (362–63) Char. GL 1,78,4: ‚Lucius‘ et ‚Aemilius‘ et cetera nomina quae ante ‚u‘ habent ‚i‘, duplici ‚i‘ genetivo singulari finiri debent, ut necesse sit adversus observationem nominum nominativo non minorem fieri genetivum; idque Varro tradens adiecit vocativum quoque singularem talium nominum per duplex ‚i‘ scribi debere, sed propter differentiam casuum corrumpi. Lucilius tamen et per unum ‚i‘ genetivum scribi posse existimat. ait enim [fr. 1096–97]. numquam enim hoc intulisset, nisi et Numerium per ‚i‘, huius Numeri, faciendum crederet. denique et in libro IX (362–63) sic ait:

    porro hoc si filius Luci fecerit, ‚i‘ solum, ut ‚Corneli Cornificique‘. libro IX trib. Coloniensis, libro IV N | si filius Luci om. N | fecerit N : feceris F. L. Schmidt : ferit J. Dousa | solum F. L. Schmidt : colum N : collum Coloniensis | Corneli Cornificique J. Dousa : cornelii cornificiique N

    359: Für die Beibehaltung des überlieferten lictoribus plädieren Warmington (Fr. 373), Terzaghi (Fr. 372) und White (1973, 43); „apparently a pun on ‚corripere‘, make a syllable or vowel short, and ‚corripere‘, arrest; cf. Süss, H(ermes) LXII, 342–3“ (Warmington 116 n. b). – Ähnlich auch Charpin (II 190 zu Fr. 6(-7), der anders interpungiert und übersetzt: fervere,

    Buch IX

    129

    ‚fervit‘ (kocht) dem bekannten ‚currit‘ (läuft) und ‚legit‘ (liest) an die Seite stellt, wird er ‚fervo‘ (ich koche) sagen wie ‚curro‘ (ich laufe) und ‚lego‘ (ich lese), was für uns ungewöhnlich ist. Aber das ist nicht der richtige Vergleich; denn ‚fervit‘ ist dem bekannten ‚servit‘ (dient) ähnlich. Deshalb muss, wer der Analogie folgt, ‚fervire‘ wie ‚servire‘ sagen. Nonius. ‚fervit‘ (kocht) anstelle von ‚fervet‘. Probus: Aber in diesem Wort wird mit Recht gekürzt, weil die alten Autoren die dritte der zweiten Konjugation vorzogen, wie Lucilius: Priscianus: Auch ‚ferveo‘ findet man gleichermaßen als ‚fervo‘. ... Lucilius:

    Wasser kocht (fervit) und wird kochen (fervet): es kocht jetzt, kochen wird es übers Jahr. 359 Nonius: Aufgrund der Wortbildung ‚fervit‘ (kocht) bildet er (der vorher zitierte Varro?) mit verkürztem Ton ‚fervěre‘ (kochen), wie ‚spernit, spernere‘ (verachtet, verachten). …

    ‚fervěre‘, nicht mit einem langen ‚e‘. Doch das will ich den Liktoren übergeben.

    360–61 Charisius: ‚Lucius‘ und ‚Aemilius‘ und die übrigen Namen, die vor u ein i haben, müssen auf doppeltes i im Genitiv Singular enden, sodass zwangsläufig entgegen der für Namen geltenden Regel der Genitiv nicht kleiner als der Nominativ wird; und zwar fügte Varro, der das überlieferte, hinzu, auch der Vokativ Singular solcher Namen müsse mit doppeltem i geschrieben werden, aber wegen des Unterschieds der Kasus werde er entstellt. Lucilius jedoch glaubt, der Genitiv könne auch mit einem i geschrieben werden. Er sagt nämlich [Fr. 1096–97]. Niemals nämlich hätte er das vorgebracht, wenn er nicht gemeint hätte, dass auch (der Genitiv von) Numerius mit i, ‚huius Numeri‘, gebildet werden müsse. Schließlich sagt er auch in Buch 9:

    weiter ‚wenn dies des Lucius Sohn getan hat‘: nur ein ‚i‘, wie ‚Corneli Cornificique‘.

    ne longum vero hoc lictorius tradam – „FERVERE: que je n’aie pas à livrer aux licteurs ce verbe avec un E long.“ Aber ist vero in einem Nebensatz und in dieser Position erklärbar? 360–61: Marx II 136: „… supplendumque est quod in antecedentibus fuerat scriptum veluti scribes.“

    130

    LIBER IX

    362–64 (364–66) Quint. inst. 1,7,15: Diutius duravit ut ‚e‘ et ‚i‘ iungendis eadem ratione qua Graeci ει uterentur: ea casibus numerisque discreta est, ut Lucilius praecipit: [iam … fiant]. Char. GL 1,78,8: Lucilius … et per unum ‚i‘ genetivum scribi posse existimat. … denique in libro VIIII sic ait [v. supra] ... et paulo post [pupilli … fiet]. Velius Longus GL 7,56,2: alii vero, quorum est item Lucilius, varie scriptitaverunt; siquidem in iis quae producerentur alia per ‚i‘ longam, alia per ‚e‘ et ‚i‘ notaverunt, velut differentia quadam separantes, ut cum diceremus ‚viri‘, si essent plures, per ‚e‘ et ‚i‘ scriberemus, si vero esset unius ‚viri‘, per ‚i‘ notaremus. et Lucilius in nono:

    iam ‚puerei venere‘ ‚e‘ postremum facito atque ‚i‘, ut puerei plures fiant. ‚i‘ si facis solum, ‚pupilli, pueri, Lucili‘, hoc unius fiet. iam puerei P Quint. : pueri B Quint. : puere A Quint. : puerbi cod. Vel. 363 | ut puerei P Quint. : ut pueri A B Quint. : ut cod. Vel. | fiant codd. Quint. : faciant cod. Vel. | Lucili Putsch : lucii N Char.: et Lucilli cod. Vel.

    365–66 (367–68) Quint. inst. 1,7,15: [v. supra] … ac deinceps idem:

    mendaci furique addes ‚e‘, cum dare furei iusseris.

    dare furei Marx : dare furi codd.

    367–68 (369–70) Velius Longus GL 7,56, 2: [v. supra] … item:

    ‚hoc illi factum est uni‘, tenue hoc facies ‚i‘: ‚haec illei fecere‘, addes ‚e‘, ut pinguius fiat.

    illei fecere …. fiat edd. : ille facere … facit codd.

    369–72 (358–61) Ter. Scaur. GL 7,18,23: Itemque quod Lucilius, ubi ‚i‘ exile est, per se iubet scribi, at ubi plenum est, praeponendum esse ‚e‘ credit, his versibus:

    365–66: ‚es … zu geben‘: Zur vieldiskutierten Doppeldeutigkeit der Wendung zuletzt Haß 2007, 174. 365–66: ut pinguius fiat: vgl. V. 372 ut plenius fiat. – Lucilius’ Inkonsequenz in der Schreibweise des langen i hat einiges Kopfzerbrechen verursacht: s. W. Süß, Hermes 62 (1927) 345 f; F. Skutsch, Glotta 1 (1909), 309; Warmington zu Fr. 382–3.

    Buch IX

    131

    362–64 Quintilianus: Länger dauerte es, dass sie (nml. die lateinischen Autoren) die Verbindung von e und i auf dieselbe Weise wie die Griechen ει verwendeten. Sie ist nach Kasus und Numerus unterschieden, wie Lucilius lehrt [iam … fiant]. Charisius: Lucilius … glaubt, der Genitiv könne auch mit einem i geschrieben werden. … Schließlich sagt er auch in Buch IX [s.o. Fr. 360–61]. … und wenig später [pupilli … fiet]. Velius Longus: Andere jedoch, wozu auch Lucilius gehört, benutzten unterschiedliche Schreibweisen; markierten sie doch bei Silben mit langem i die einen durch lang (zu sprechendes) i, die anderen durch e und i, indem sie so zum Beispiel durch ein Unterscheidungsmerkmal auseinanderhielten, dass wir, wenn wir von ‚viri‘ sprächen, wenn es mehrere seien, sie mit e und i schreiben, wenn es aber nur um einen Mann im Genitiv gehe, ihn mit i wiedergeben sollten. Auch Lucilius ...:

    Ferner: Bei ‚puerei venere‘ (die Knaben kamen) setze am (Wort)ende ‚e‘ und ‚i‘, damit es mehrere Knaben werden. Wenn du nur ‚i‘ setzt, ‚pupilli, pueri, Lucili‘, wird es eines einzigen (Waisen, Knaben, Lucilius) Nennung im Genitiv Singular werden.

    365–66 Quintilianus: [s. o.] … und anschließend derselbe:

    Dem Lügner (mendaci) und dem Dieb (furi) wirst du ein ‚e‘ hinzufügen, wenn du verlangst, es dem Dieb (furei) zu geben.

    Velius Longus: [s. o.] … ebenso:

    367–68

    ‚Das ist ihm allein (illi uni) geschehen‘: dieses ‚i‘ wirst du einfach schreiben. ‚Das haben sie (illei) getan‘: (hier) wirst du ein ‚e‘ einfügen, damit es (das Pronomen) breiter klingt.

    369–72 Terentius Scaurus: Und ebenso, dass Lucilius, wenn i kurz ist, verlangt, dass es ohne Zusatz geschrieben wird, jedoch, wo es lang ist, glaubt, es müsse ein e vorgeschaltet werden, (zeigt er) mit folgenden Versen:

    369–72: Da Lucilius seine Regel keinesfalls konsequent umsetzt, bleiben Lesart und Deutung umstritten; s. bes. Mariotti 1960, 27–29; M. Zincàri, Studi Urbinati 36 (1962) 178–182; Krenkel zu Fr. 360–63. – Die Inkonsequenzen der lucilianischen Lehre veranlassen Faller (2002, 155) zu der Frage, „ob er (d. i. Lucilius) vielleicht gar keine ernsthaften Regeln aufstellen, sondern nur Schabernack treiben wollte“.

    132

    LIBER IX

    Cf. Velius Longus GL 7,56,13: Idemque ‚peila‘ quibus milites utuntur per ‚e‘ et ‚i‘ scribenda existimat, at ‚pilam‘, qua pinsitur, per ‚i‘. Cf. Mar. Victorin. GL 6,18,3: ‚Pilum‘ aiunt militare et ‚vineam‘, … per ‚e‘ et ‚i‘ scribenda; at si ‚pilum‘ sit, quo pinsitores utuntur, ... per ‚i‘.

    ‚meille hominum‘, ‚duo meilia‘, item huc ‚e‘ utroque     opus, ‚miles‘, ‚militiam‘: tenues ‚i‘. ‚pilam‘ in qua lusimus, ‚pilum‘ quo piso, tenues. si plura haec feceris ‚pila‘ quae iacimus, addes ‚e‘: ‚peila‘, ut plenius fiat. meile ... meilia Scaliger : mille … milia codd. | miles militiam codd., Mariotti : meiles meilitiam Marx, qui dist. meilitiam. tenues i: | piso Scaliger : ipso codd. | addes e peila Scaliger : ades se pella P, adesse pella B | plenius cod. : plenus B

    373 (371) Quint. inst. 1,7,18: ‚Ae‘ syllabam, cuius secundam nunc ‚e‘ litteram ponimus, varie per ‚a‘ et ‚i‘ efferebant, quidam semper ut Graeci, quidam singulariter tantum, cum in dativum vel genetivum casum incidissent, unde ‚pictai uestis‘ et ‚aquai‘ Vergilius amantissimus vetustatis carminibus inseruit. (19) in eisdem plurali numero ‚e‘ utebantur: ‚hi Sullae, Galbae‘. est in hac quoque parte Lucili praeceptum, quod quia pluribus explicatur versibus, si quis parum credet apud ipsum in nono requirat.

    Cf. fr. sequens.

    374 (372) Mart. Cap. 3,266: Lucilius in dativo casu ‚a‘ et ‚e‘ coniungit dicens:

    – huic – ⏑ Terentiae Orbiliae Licinus

    huic ... Licinius codd. | et ... dat suppl. Marx

    375 (382) Cassiod. GL 7,149,1: ‚Q‘ littera tunc recte ponitur, cum illi statim ‚u‘ littera et alia quaelibet una pluresve vocales coniunctae fuerint ita ut una syllaba fiat; cetera per ‚c‘ scribuntur. hoc Lucilio quoque videtur. Lucilio Semler : lucio codd.

    373: Dem (mit unzweifelhaft korruptem Lĭcĭnĭus) überlieferten Text lässt sich auch mit Marx’ Ergänzungen (Fr. 372) kein klarer Sinn entlocken.

    Buch IX

    133

    Vgl. Velius Longus: Und er glaubt auch, ‚pila‘, wie sie die Soldaten benutzen (Wurfspieße), seien mit e und i zu schreiben, jedoch ‚pila‘ worin gestampft wird (Mörser), … (nur) mit i. Vgl. Marius Victorinus: Das im Kriegshandwerk gebrauchte ‚pilum‘ (Wurfspieß) sowie die ‚vinea‘ (Schirmdach), sagen sie, seien mit e und i zu schreiben; doch wenn es sich um das ‚pilum‘ handelt, das die Stampfer benutzen (Mörser), (nur) mit i.

    ‚meille hominum‘ (tausend Menschen), ‚duo meilia‘ (zweitausend), ebenso wird hier beide Male ein ‚e‘ gebraucht, ‚miles‘ (Soldat), ‚militia‘ (Kriegsdienst): einfache ‚i‘. ‚pila‘, mit dem wir gespielt haben (Ball), ‚pilum‘, worin ich stampfe, einfache (‚i‘). Wenn du den Plural bildest von diesen ‚pila‘, die wir werfen (Wurfspieße), wirst du ‚e‘ hinzufügen, damit es voller klingt.

    373 Quintilianus: Die Silbe ‚ae‘, dessen zweiten Buchstaben wir heute als e schreiben, pflegten sie unterschiedlich mit a und i auszudrücken, manche immer wie die Griechen, manche nur im Singular, wenn sie auf einen Dativ oder Genitiv trafen, weshalb Vergil, ein entschiedener Liebhaber der früheren Zeit, ‚pictai vestis‘ (des gestickten Gewandes) und ‚aquai‘ (des Wassers) seinen Gedichten einfügte. In denselben Wörtern pflegten sie im Plural e zu verwenden: ‚hi Sullae, Galbae‘. Es existiert auch in diesem Punkte eine Anweisung des Lucilius; weil sie in mehreren Versen entfaltet wird, mag sie, wenn jemand sie nicht recht glauben will, bei ihm selbst im neunten Buch nachlesen. Vgl. das folgende Fragment.

    374 Martianus Capella: Lucilius verbindet im Dativ a und e, wenn er sagt:

    dieser Terentia und Orbilia gibt Licinus …

    375 Cassiodorus: Der Buchstabe q wird dann mit Recht gesetzt, wenn mit ihm unmittelbar der Buchstabe u und beliebige andere Vokale, einer oder auch mehrere, so verbunden sind, dass eine Silbe zustande kommt; in allen übrigen Fällen wird c geschrieben. Das meint auch Lucilius.

    134

    LIBER IX

    376–79 (377–78.379–80) Velius Longus GL 7,47,1: Possit etiam plerasque consonantes et omnes semivocales pro syllabis ponere. nam apud Lucilium in nono, in quo de litteris disputat, omnes vicem syllabarum implent, cum dicit:

    [a] ‚r‘[e]: non multum [ab]est, hoc cacosyntheton atque canina si lingua dico; nihil ad me, nomen hoc illi est.

    [a] r[e] Mueller : a re cod. | est Lindsay CR 20 (1906) 64 : abest cod.| nomen hoc illi cod. : nomen enim illi Marx

    item:

    ‚s‘ nostrum et semigraece quod dicimus sigma nil erroris habet.

    semigraece cod. : semigraeci Marx | nil Marx : nihil cod.

    apparet ergo haec nihil aliud quam locum syllabae tenere nec tamen syllabas esse.

    *380 (373) Velius Longus GL 7,60,14: Antiquos scimus et ‚abs te‘ dixisse: nos contenti sumus ‚a te‘ dicere. … scimus ipsos et ab Lucilio dixisse: nos observamus ut ‚ab‘ praeponatur his nominibus quae a vocalibus incipiunt, ut cum dicamus ‚ab Olympo‘. Lucilio trib. Becker, lib. IX editores. – Lucilio M : lucidio cod.

    381 (374) Velius Longus GL 7,62,18: ‚Abbibere‘ etiam quidam geminata ‚b‘ maluerunt et dicere et scribere intermissa ‚d‘. et in hoc nullam differentiam putat esse Lucilius qui ait:

    – ⏑ ⏑ abbibere: non multum est, ‚d‘ siet an ‚b‘.

    non tamen suppl. Krenkel | abbibere Marx : abbire cod. | hic add. Marx

    382–83 (375–76) Velius Longus GL 7,61,14: Sic in his partibus orationis, quae incipiunt a littera ‚c‘, non facile potest hac praepositione (sc. ‚ad‘) admota sonare ‚d‘ littera. haec similiter littera (sc. ‚c‘) geminatur in eo quod est ‚capio accipio‘; itaque Lucilius:

    376–79: f, l, m, n, r, s, x können mit fortgesetztem Ton gesprochen werden (= Dauerlaute) und darum im Vers die Stelle einer langen Silbe einnehmen. – Krenkel (Fr. 367–70) liest semigraecei, fasst den Terminus als Genitiv und sieht darin eine mögliche Anspielung auf Accius. Aber warum sollte Lucilius, der nahe der Magna Graecia geboren wurde und gern Griechisches in seine Verse einflocht, sich nicht einmal scherzhaft-selbstironisch in eine Rei-

    Buch IX

    135

    376–79 Velius Longus: Es wäre auch denkbar, die meisten Konsonanten und alle Semivokale als Silben anzusetzen. Denn bei Lucilius im neunten Buch, worin er die Buchstaben erörtert, spielen sie alle die Rolle von Silben, wenn er sagt:

    ‚r‘: es macht nicht viel aus, ob ich es als schnarrende Lautfolge und in der Hundesprache spreche; mich kümmert‘s nicht, es hat (nun einmal) diesen Namen.

    ebenso:

    Unser ‚s‘ und was wir nach Art der Halbgriechen ‚sigma‘ nennen, bringt keinerlei Missverständnis mit sich.

    Es zeigt sich also, dass diese nur den Platz einer Silbe einnehmen und doch keine Silben sind. 380 Velius Longus: Wir wissen, dass die Alten auch ‚abs te‘ (von dir) sagten: wir (dagegen) begnügen uns damit, ‚a te‘ zu sagen. Wir wissen, dass sie selbst auch ab Lucilio (von Lucilius) sagten: wir (dagegen) achten darauf, dass ‚ab‘ vor die mit Vokal anlautenden Wörter gestellt wird, wie z. B. wenn wir ‚ab Olympo‘ (vom Olymp) sagen. 381 Velius Longus: ‚Abbibere‘ (sich antrinken) wollten manche sogar mit Doppel-‚b‘ aussprechen und schreiben, bei Wegfall des ‚d‘. Und darin bestehe kein Unterschied, glaubt Lucilius, der sagt:

    ‚abbibere‘: hier macht nicht viel aus, ob ‚d‘ oder ‚b‘ steht.

    382–83 Velius Longus: So kann bei diesem Teil der Worte, die mit dem Buchstaben ‚c‘ beginnen, der Buchstabe ‚d‘ nicht leicht (als Laut) hörbar gemacht werden, wenn diese Präposition (nml. ‚ad‘) angefügt wird. In ähnlicher Weise wird dieser Buchstabe (nml. ‚c‘) verdoppelt im Falle von ‚capio accipio‘ (ich nehme, nehme an); deshalb Lucilius (sagt):

    he etwa mit den semigraeci Livius Andronicus und Ennius (Suet. gramm. 1,2) gestellt haben können? 380: Marx (im App. zu Fr. 373) vermutet, dass Lucilius ähnlich wie im fr. dubium 1359 ab Luciliada geschrieben hat. – Zur Benutzung des eigenen Namens vgl. Fr. 362–64.

    136

    LIBER IX

    atque accurrere scribas ‚d‘ne an ‚c‘, non est quod quaeras eque labores. scribas J. Dousa : scribes cod. | an c J. Dousa : an t cod. | quod edd. : quot cod. | eque Marx : aeque cod.

    384 (381) Velius Longus GL 7,65,11: ‚Per‘ vero praepositio omnibus integra praeponitur, nisi cum incidit in ‚l‘ litteram, adfinem consonantem, quam elegantioris sermonis viri geminare volunt quam ‚r‘ litteram exprimere, ut cum ‚pellabor‘ malunt dicere quam ‚perlabor‘. nec aliter apud Lucilium legitur i n de praepositione ‚per‘: Krenkel, i n Stowasser, WS 27 (1905) 220.

    pelliciendus, quod est inducendus, geminat ‘l’. pelliciendus Marx : per l liciendo cod. : pelliciendo Iunius

    ‚pellicere‘ malunt quam ‚perlicere‘. → fr. 1098–1100 ?

    Buch IX

    137

    und ob man ‚accurrere‘ (herbeilaufen) mit ‚d‘ oder ‚c‘ schreibt, darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen.

    384 Velius Longus: Die Präposition ‚per‘ wird jedoch allen Wörtern unverändert vorgeschaltet, außer wenn sie auf den Buchstaben ‚l‘, einen ihm benachbarten Konsonanten, trifft; ihn wollen Männer mit gewählterer Ausdrucksweise verdoppeln als den Buchstaben ‚r‘ aussprechen, wie z.B. wenn sie lieber ‚pellabor‘ (ich schlüpfe durch) als ‚perlabor‘ sagen wollen. Und nicht anders liest man bei Lucilius im neunten Buch über die Präposition ‚per‘:

    ‚pelliciendus‘, was bedeutet ‚er muss verlockt werden‘, verdoppelt das ‚l‘. Sie ziehen ‚pellicere‘ dem ‚perlicere‘ vor.

    LIBER X Von Buch X sind nur wenige Fragmente erhalten. Sie verteilen sich auf zwei Gruppen: Literarische Kritik (Fr. 392. 393–94) und Schilderung wohl eines Landungsunternehmens (Fr. 387 bis 391). Die Herausgeber haben aus so divergenten Themen einmütig auf zwei Satiren geschlossen, über deren Reihenfolge wieder einmal nichts ausgesagt werden kann, außer dass man die Verse über literarische Kritik an erste Stelle setzte, weil man in ihnen eine Fortsetzung der entsprechenden Thematik in Buch IX sah (so z. B. Warmington S. 127 Anm. c). Das Thema ‚Literarische Kritik‘ hat Warmington um alle einschlägigen ohne Buchangabe überlieferten Fragmente – die Verse 1106, 1107, 1108, 1113, 1111–12, 1114 und 1115 –, angereichert, was Charpin (II 27 f. Anm. 3) als „trop facile“ bezeichnet. So bleibt wenig Fassbares, was das Zeugnis der Persius-Vita (Fr. 385) illustrieren könnte, Persius sei durch Lektüre des Buches 10 dazu gebracht worden, seinerseits Satiren zu dichten; erst recht fehlt es an einem Beleg für die (so verstandene) 385 (383) Vita Persii p. 238 Jahn: Sed mox ut a schola magistrisque devertit lecto Lucili libro decimo vehementer saturas componere instituit. cuius libri principium imi­ tatus est, sibi primo, mox omnibus detrectaturus cum tanta recentium poetarum et oratorum insectatione, ut etiam Neronem illius temporis principem inculpaverit.

    386 [= 149 u. 350] (384) Porph. Hor. sat. 1,10,53: ‚Nil comis tragici mutat Lucilius Acci?‘] Facit autem haec Lucilius cum alias tum vel maxime in tertio libro, meminit VIIII et X. 387 (389) Non. 234,37: ‚Aptum‘ rursum conexum et conligatum significat. … Lucilius Satyrarum lib.X:

    tonsillas quoque validis in funibus aptas

    tonsillas Iunius : consellas codd. | praevalidis F. Dousa : validis codd. : quae validis Marx Lit. zu B. X: Cichorius 298–302. 385: Krenkel (Fr. 386) versteht anders detrectaturus unter Verweis auf Ov. trist. 2,337 als absolut gebraucht: „… Satiren zu dichten …, zuerst für sich, bald auch für die Öffentlichkeit. Bei seiner beißenden Kritik zeigte er einen derartigen Angriffsgeist …“ – Gegen den Versuch, diese Nachricht mit dem Scholion zu Pers. 1,2 (s. Lucil. B. I Fr. 11) zu harmonisieren, wendet sich W. Kißel (Persius-Kommentar, Heidelberg 1990, 110 f.) mit dem Argument: „… handelt es sich doch um zwei ganz verschiedene Dinge: Die Vita nennt den Beginn des 10. Luciliusbuches als Vorbild für den Stoff unserer ganzen Satire, das Schol. dagegen verweist auf die Herkunft eines Einzelverses.“ – Zur Lucilius-Nachfolge des Persius (Bezugnahme auf Pers. 1,107–115) s. auch Charpin II 27 f. (Notice zu B. X) und Haß 2007, 91.

    Buch X Behauptung des Porphyrio (Fr. 386), Lucilius übe auch in diesem Buch Kritik an dem Tragiker Accius. (Wie diese beiden Zeugnisse zu verstehen und wie sie aufein­ander zu beziehen sind, ist in den Erläuterungen referiert.) Die hier gewählte Anordnung der Fragmente möchte auf die Möglichkeit aufmerksam machen, dass wir es sehr wohl mit einer einzigen Satire zu tun haben können, wenn nämlich Lucilius mit der Schilderung des Landungsunternehmens ein Fallbeispiel für ein episches Thema vorlegte, um dann innezuhalten und (nach dem Einwurf eines Interlokutors?) einen Disput über literarische Kritik und schmeichlerisches Lob anzuschließen. Natürlich kann die magere Ausbeute diese Hypothese weder stützen noch widerlegen. Ein kleines Indiz zu ihren Gunsten könnte immerhin sein, dass in dem Erhaltenen diesmal kein Hinweis auf persönliches Erleben des Dichters zu finden ist (von Haß 2007, 161 beobachtet).

    385 Vita des Persius: Aber sobald er sich von Schule und Lehrern abgekehrt hatte, be­ gann er bald nach Lektüre des 10. Buches des Lucilius mit Leidenschaft Satiren zu dichten. Den Anfang dieses Buches ahmte er nach, entschlossen zur Kritik zuerst an sich selbst, bald an allen Autoren mit so heftigen Ausfällen gegen die modernen Dichter und Redner, dass er auch Nero angriff, den Princeps jener Zeit. 386 Porphyrio: ‚Will denn der launige Lucilius nichts beim Tragiker Accius geändert sehen?‘] Es tut dies aber Lucilius an anderer Stelle, ganz besonders aber im dritten Buch, er kommt darauf zurück im neunten und zehnten Buch. 387 Nonius: ‚Aptum‘ (angefügt) bedeutet auch ‚verknüpft‘ und ‚zusammengebunden‘.

    auch Pfähle, umwunden mit überaus starken Tauen 386: S. hierzu E. A. Schmidt 1977 (zitiert und referiert in den Anmerkungen zu Fr. 149 und 350). Die Verbindung zwischen diesem und dem Persius betreffenden Zeugnis (vorausgehendes Fr.) besteht nach Schmidts Deutung wohl nicht darin, dass Lucilius den Persius durch Angriffe auf zeitgenössische Dichter und Redner zu gleichem Tun inspiriert habe, sondern (127): „Wahrscheinlicher ist aber doch wohl, dass Persius gerade nicht von der konkreten Kritik, sondern von der Reflexion über Kritik … angeregt worden ist.“ – Zum fehlenden Nachweis der Kritik an Accius im 10. Buch zuletzt Faller 2002, 155; Haß 2007, 217225. 387: tonsillae: Pfähle am Ufer, an denen die Schiffe vertäut werden; s. Isid. orig. 19,2,14; Fest. p. 251,9 L.

    140

    LIBER X

    388 (390) Non. 512,21: ‚Firmiter‘ pro firme. Lucilius Satyrarum lib. X:

    fluctibus a ventisque adversis firmiter essent.

    a ventisque codd. : avenentisque L BA : ac ventisque Leo GGA 168 (1906) 851: ac ventis Buecheler | adversis edd. : aversis codd.

    389 (391) Non. 219,12: ‚Pigror‘ generis masculini. Lucilius Satyrarum lib. X:

    languor obrepsitque pigror torporque quietis.

    obrepsitque Iunius : obressitque codd.

    390 (392) Non. 517,8: Omnes artem secuti negant adverbiis praepositionem addi oportere; sed auctoritas veterum praeponi iubet. ‚Desubito‘. … Lucilius Satyrarum lib. X:

    quamvis desubito trinis deducere scalis 391 (393) Non. 552,30: ‚Rorarii‘ appellabantur milites qui, antequam congressae essent acies, primo non multis iaculis inibant proelium; tractum quod ante maximas pluvias caelum rorare incipiat. Lucilius Satyrarum lib. VII [fr. 291]. idem lib. X:

    pone paludatus stabat rorarius velox.

    paludatus codd. : paludatum F. Dousa : paludatos Mueller

    392 (388) Don. Ter. Andr. 324: ‚Ne‘ valde, aut, ut quidam volunt, ‚o quam‘. Lucilius in decimo:

    ‚ne in arce bovem descripsi magnifice‘ inquit.

    ne illum ego coni. Marx : ne A B V : neque T C : ne quem Mueller : νὴ τὸν Buecheler RhM 39 (1884) 338 | descripsi A B T : decripsit C : escripsisti V : discerpsi Mueller

    → fr. 1254–55 ?

    388: Übers.: Krenkel. – ‚sie‘: die an den tonsillae vertauten Schiffe. 389: languōr mit metrischer Dehnung wie z.B. noch Verg. ecl. 10,69 amōr; vgl. pudōr Fr. 978. – quietis: könnte auch gen. von quies sein. – Das Fr. handelt wohl von Menschen (Soldaten), die auf den Schiffen zusammengepfercht verharren müssen (Cichorius 302). Vgl. Cato bei Gell. 11,2,6; Claudian. paneg. de IV cons. Hon. 322 f.; Sen. epist. 122,4; Suda s.v. ἀκινησία. – Literarkritisch – unter anderem Vergleich mit Hor. ars 359 f. – deuten das Fr. Puelma Piwonka 1949, 143 und Charpin zu Fr. 3. 390: Zur (vermuteten) Situation s. Cichorius 301 f., vgl. Verg. Aen. 10,653 f. und Liv. 26,44,11.

    Buch X

    Nonius: ‚Firmiter‘ (fest) statt ‚firme‘.

    141

    388

    (damit) sie fest den peitschenden Wellen und Winden trotzten.

    389 Nonius: ‚Pigror‘ (Trägheit) maskulinen Geschlechts.

    und Mattigkeit befiel sie, Trägheit und Erschlaffen in ihrer (erzwungenen) Untätigkeit.

    390 Nonius: Alle Fachleute sagen, Adverbien dürfe keine Präposition hinzugefügt werden, aber die Autorität der alten Schriftsteller verlangt, dass sie vor (das Adverb) gesetzt wird. ‚Desubito‘ (urplötzlich) …

    ganz urplötzlich über je drei Leitern auszuschiffen

    391 Nonius: ‚Rorarii‘ wurden Soldaten genannt, die, bevor die Schlachtreihen aufeinanderprallten, das Gefecht mit ein paar Wurfspießen eröffneten; davon hergeleitet, dass vor kräftigen Regengüssen der Himmel zu tröpfeln (rorare) beginnt.

    Dahinter stand im Kriegsmantel der flinke Plänkler.

    392 Donatus: ‚Ne‘ ‚ganz gewiss‘, oder, wie manche wollen, ‚Oh wie‘. Lucilius im zehnten Buch:

    „Oh wie großartig habe ich doch den Stier auf der Burg beschrieben“, sagt er.

    391: rorarius: erwähnt auch Liv. 8,8,8. Zur Rolle der Leichtbewaffneten s. Veg. mil. 2,15 und 2,17. – Der Dichter hat die Aufstellung einer Schlachtordnung beschrieben (Cichorius 300). 392: in arce bovem: geht auf sprichw. βοῦς ἐν πόλει zurück; auf der athenischen Akropolis gab es einen Stier aus Bronze, zu Einzelheiten s. O. Jahn, Hermes 3 (1896) 181 und Marx II 146 f. – Worte eines Schmeichlers, der das Werk eines Dichters lobt, statt es zu kritisieren; vgl. Hor. ars 416–433. – Bei der von Marx bevorzugten Lesart hat man das dann vorliegende Eigenlob auf Accius bezogen (so Terzaghi 1934 /1970, 381, Charpin zu Fr. 2).

    142

    LIBER X

    393–94 (386–87) Non. 396,13: ‚Sumere‘ etiam significat eligere. Lucilius Satyrarum lib. III [fr. 115–16]. … Lucilius Satyrarum lib X:

    horum est iudicium, ‚crisis‘ ut describimus ante, hoc est quid sumam, quid non, in quoque locemus.

    horum Roth : honorum codd. : bonorum J. Dousa | crisis ut Marx : crassis ut codd. : Crassis ut J. Dousa, Cichorius 300 | discribimus codd. : descripsimus J. Dousa : dixi scribimus Cichorius 300

    393–94: Die Herstellung des Textes ist unsicher. Aber auch Cichorius 299 f., der sich mit Leo für ut di, scribimus entschied und überliefertes crassis als Crassis (Leute wie Crassus) verstand, kommt zu dem Ergebnis, dass Lucilius eine Stilfrage (Wortwahl und -stellung) dem Urteil von viri docti unterwirft. S. auch Haß 2007, 218 (Ihre Paraphrase für horum est

    Buch X

    143

    393–94 Nonius: ‚Sumere‘ (nehmen) bedeutet auch ‚auswählen‘.

    Dieser Männer Urteil ist es, ihr Unterscheidungsvermögen, wie ich oben schildere, was ich wählen, was nicht, und wohin ich es stellen soll.

    iudicium – „der Kritiker … m ü s s e [meine Hervorhebung] Urteilsvermögen besitzen“ – vermag ich mir allerdings nicht zu eigen zu machen. Lucilius spricht von vorher genannten Männern, deren Urteil er sich zu eigen macht. – Zum Fr. (sowie zu dem von Warmington ihm zugeordneten Fr. 1106) Koster 2001, 126 f.

    LIBER XI Buch XI, zwischen 116 und 110 v. Chr. entstanden, enthält Anekdoten politischen und historischen Inhalts, weshalb sich der Historiker Cichorius in bisher nicht überbotener Intensität um ihre Deutung bemüht hat. Insgesamt sind sechs Zeitgenossen zu fassen, wobei Scipio Aemilianus – als Feldherr vor Numantia (Fr. 395 bis 409) und von Claudius Asellus angefeindeter Censor (Fr. 410–11) – auch jetzt noch eine herausragende Rolle spielt. Die anderen Personen, wobei die Zuordnung

    *395 (426) Iulius Romanus GL 1,240,8: ‚Mu‘ pro muttire. Lucilius Saturarum libro:

    ‚non laudare hominem quemquam neque mu facere, inquam.‘

    Libro XI trib. J. Dousa, libro II C | neque mu ω : neque N | inquam N², J. Dousa : umquam N1 : in quemquam P

    396–97 (405–6) Non. 344,34: ‚Meret‘, militat. Lucilius Satyrarum lib. XV [frg. 512–13]. idem lib. XI:

    ‚annos hic terra iam plures miles Hibera nobiscum meret.‘

    hic terra iam Palmer : hic errat tam E BA : incerrat tam AA : hic erarat tam L1 | Hibera Palmer : hiberna codd.

    398 (397) Non. 181,22: ‚Tenta‘, dictum pro extensa. … Lucilius Saryrarum lib. VI [fr. 237]. idem lib. XI:

    hic, ubi concessum, pellesque ut in ordine tentae,

    hic codd. : huc Mueller | concessum codd. : consessum F. Dousa | ordine F³ : ordines L BA

    Lit. zu B. XI: Cichorius 302–315. 395: mu facere: vgl. Enn. inc. 10 V. – Vgl. Cic. rep. 4,12: Concludit … veteribus displicuisse Romanis vel laudari quemquam in scaena vivum hominem vel vituperari. – Cichorius (59– 61) erwägt einen Zusammenhang mit dem Rhet. Her. 2,19 erwähnten Beleidigungsprozess des Lucilius gegen einen Schauspieler. Charpin (II 216 zu Fr. 16) hält es für möglich, dass sich das Fr. auf ein Wort Scipios bezieht, von dem Augustinus (civ. 2,9) nach Cic. rep. 4,12 berichtet: dicit deinde alia et sic concludit hunc locum, ut ostendat veteribus displicuisse Romanis vel laudari quemquam in scena vivum hominem vel vituperari. Auch Krenkel (zu Fr. 397) zitiert dieses Zeugnis, doch s. seine ‚Somnia‘ I 73. 396–97: Das durchaus nicht eindeutige Fr. (mustergültig Charpin II 204 zu Fr. 1: meret echtes oder narratives Präsens? miles individualisierendes oder generalisierendes Subjekt, oder

    Buch 11 der Fragmente zum Teil nicht ganz sicher ist, sind: L. Aurelius Cotta (Fr. 412 bis 416), C. Cassius (Sabaco?) (Fr. 417–19), Q. Opimius (Fr. 420 bis 423) und Q. Granius (Fr. 424 bis 426). Die Herausgeber nehmen meist an, dass alle Anekdoten in einer einzigen Satire dieses Buches assoziativ verbunden und aufgereiht waren (s. etwa Krenkel I 73 f. „Somnia“), doch ist auch vorstellbar, dass selbständige anekdotische Gedichte in Buch XI zusammengestellt sind. Scipio in Spanien – Belagerung von Numantia 395 Iulius Romanus: ‚Mu‘ für ‚muttire‘ (mucksen).

    ‚keinen Menschen zu loben und noch zu bekritteln, sage ich.‘

    396–97 Nonius: ‚Meret‘ (verdient), dient als Soldat.

    „Schon seit vielen Jahren dient er als Soldat mit uns hier auf spanischem Boden.“

    398

    Nonius: ‚Tenta‘, gesagt für ‚extensa‘ (ausgespannt). … derselbe Buch XI: hier, sobald man haltgemacht hatte, und sobald die Zeltplanen in Reihe aufgespannt waren, …

    prädikativ zu meret? Wer sind ‚wir‘ in nobiscum?) gehört am ehesten in einen dialogischen Zusammenhang. Scipio Aemilianus kommt als Sprecher nicht in Frage, weil er (134–133 v. Chr) in Spanien nur 15 Monate das Kommando führte. Cichorius (39 f.) hält es für möglich, dass der Dichter schon seit 139 in Spanien gedient hat (erschlossen aus Bezügen in seinen Fragmenten auf Ereignisse von 139 bis 136) und dass er hier von einem langjährigen Kriegskameraden spricht. Lucilius könne gegen 136 nach Rom zurückgekehrt sein und 134 nach der Übernahme des Kommandos durch Scipio seiner ἴλη φίλων (App.  Ib.  84) beigetreten sein. – Krenkel (zu Fr. 398–99) nimmt umgekehrt an, ein Soldat spreche zu einem Dritten über Lucilius. Aber passt meret … miles auf ein Mitglied der ἴλη φίλων? 398: vom Aufschlagen nicht eines Standlagers, sondern eines vorläufigen Lagers (vgl. Liv. 37,39,2), weswegen Cichorius 306 die Situation der Belagerung von Numantia ausschließt,

    146

    LIBER XI

    399 (400) Non. 212,7: ‚Latrina‘ genere feminino; et est lavatrina, quod nunc balneum dicitur. Lucilius lib. XI:

    – qui in latrina languet   –   – 

    languet Iunius : languae codd. : lang L1

    400–1 (398–99) Non. 394,16: ‚Spurcum‘ etiam fetidum. … Lucilius lib. XI:

    praetor noster adhuc, quam spurcos ore quod omnis extra castra ut stercus foras eiecit ad unum.

    adhuc codd. : ad hoc Mueller | quam codd. : quem AA | spurcos Lachmann : spurcus codd. : spurcust Mercier : spurcus sit Mueller

    *402–5 (401–4) Char. GL 1,94,21: ‚Forfices‘ et ‚forcipes‘ et ‚forpices‘ quidam distingunt, ut forfices sint sarcinatorum a faciendo, forcipes fabrorum, quod ferrum calidum capiant, forpices tonsorum, quod pilum secent. sed inepta haec esse Lucilius docet, qui etiam medicorum forcipes dicit libro XI: Forpex,icis ist durch Umstellung von c und p in forceps,ipis (aus formus, heiß = θερμός und capere) entstanden.

    –   –   – scalprorum forcipiumque milia viginti

    item paulo post:

    et uncis forcipibus dentes evelleret.

    Libro XI trib. cod. Coloniensis quem secutus est J. Dousa, libro XIX N | scalprorum ω : scalptor N | et uncis Putsch : eunis N : quivis ω | evelleret Putsch : veller N

    → fr. 1174 ? 406–7 (407–8) Non. 18,14: ‚Rudus‘, stercus, quod raditur. Lucilius Satyrarum lib. XI: wo die Soldaten in Baracken untergebracht waren. Nach A. Schulten (Geschichte von Numantia. München 1933, 96) kann es sich jedoch um eines von zwei rückwärtigen vorläufigen Lagern handeln; s. auch Charpin II 205 zu Fr. 2. 399: Scipio stellte vor Numantia die Disziplin im Heer wieder her, s. vor allem Plut. reg. et. imp. apophth. 201C; App. Ib. 85; Val. Max. 2,7; s. jetzt Olshausen 2001, 17143. – Marx II 151: „Itaque haec fere dixerat poeta: ‘nam qui in latrina languet, fit mollis cinaedus‘.“ 400–1: ‚Stinkergesichter‘: Strichjungen und anderes „nichtmilitärische(s) Gesindel“ (Cichorius 308), s. die oben zu Fr. 399 angeführten Zeugnisse. – ‚unser Praetor‘: Scipio war zum zweiten Mal Konsul, aber Provinzstatthalter und Feldherrn wurden unbeschadet ihres wirklichen Ranges nicht selten mit praetor tituliert, s. Marx II 175 zu Fr. 467. – Zu diesem und den folgenden Fr. s. auch Haß 2007, 161.

    Buch 11

    147

    399 Nonius: ‚Latrina‘ (eigl. Abtritt) femininen Geschlechts; und zwar ist es ‚das Bad‘, das heute ‚balneum‘ heißt. wer träge im Bad verweilt, …

    400–1 Nonius: ‚Spurcum‘ (schweinisch) meint auch ‚stinkend‘.

    (Nichts weiter tat) unser Praetor bisher, als dass er alle ‚Stinkergesichter‘ ohne Ausnahme wie Mist aus dem Lager hinauswarf.

    402–5 Charisius: ‚Forfices‘ und ‚forcipes‘ und ‚forpices‘ unterscheiden manche (dahingehend), dass ‚forfices‘ (Scheren) Werkzeuge der Schneider sind, (abgeleitet) von ‚facere‘ (machen), ‚forcipes‘ (Feuerzangen) der Schmiede, weil sie (damit) heißes Eisen halten, ‚forpices‘ der Barbiere, weil sie Haare (damit) schneiden. Aber dass diese Unterscheidungen läppisch sind, lehrt Lucilius, der auch von Zangen der Chirurgen spricht in Buch XI:

    zwanzigtausend Messer und Zangen

    ebenso bald darauf:

    und dass er mit gebogenen Zangen Zähne ziehe.

    406–7 Nonius: ‚Rudus‘ (zerbröckeltes Gestein), Schlacken, die geschabt werden. 402–5: Cichorius (303 f.) weist mit Recht darauf hin, dass Charisius mit medizinischen Instrumenten wohl nur die Zangen des zweiten Verses meint, und sieht mit Skutsch, der auf Plaut. Curc. 577 und Pers. 4,40 verweist, in den Messern und Zangen des ersten Verses Toilettenartikel; s. auch Charpin II 208 f. zu Fr 7. Die Zahl 20 000 für die (von Scipio eingesammelte) Toilettenausrüstung von Offizieren klingt mir unwahrscheinlich hoch. Folgende Vermutung sei gewagt: In der Gegend von Numantia dürfte es Metallverarbeitung gegeben haben (Erzvorkommen im Norden der Iberischen Halbinsel). Die Soldaten (gleich welchen Dienstranges) haben sich möglicherweise mit den genannten Werkzeugen, wohl einem lokalen Produkt von besonderer Qualität, eingedeckt, viele vielleicht nur, um sie nach der Rückkehr mit Gewinn zu veräußern. – Vgl. auch das ohne Buchangabe überlieferte Fr. 1174. 406–7: Bau einer Verbindungsstraße zwischen den Kastellen des Belagerungsringes um Numantia (Cichorius 305 f., Krenkel zu Fr. 408–09). – Aber auch Marx’ Textherstellung und -deutung ist nicht von der Hand zu weisen; s. auch Charpin II 205 f. zu Fr. 3.

    148

    LIBER XI

    viai sternendae iaciendum huc aggerem et id genus rudus. viai sternendae Mercier : vim sternenda et codd. : vim sternendam et Marx :

    408–9 (409–10) Non. 227,33: ‚Torquem‘ generis masculini. Lucilius Satyrarum lib. XI: Non. 506,15: ‚Fulgěre‘, correpte, pro fulgēre. … Lucilius Satyrarum lib. XI:

    conventus pulcher: bracae, saga fulgere, torques †datis† magni

    bracae codd. 506 : braces codd. 227 | torques codd. 506 : torquem codd. 228 | datis codd. : aurati coni. Marx : sat Lachmann : induti Mueller : caelati Cichorius 307s.

    410–11 (394–95 + 396) Gell. 4,17,1: Lucilii ex XI versus sunt:

    Scipiadae magno improbus obiciebat Asellus lustrum illo censore malum infelixque fuisse.

    ‚obiciebat‘ o littera producta multos legere audio, idque eo facere dicunt, ut ratio numeri salva sit. Cf. Cic. de orat. 2,268: Arguta etiam significatio est cum parva re et saepe verbo res obscura et latens illustratur. … ut Asello Africanus obicienti lustrum illud infelix: ‚Noli,‘ inquit, ‚mirari; is enim, qui te ex aerariis exemit, lustrum condidit et taurum immolavit.‘

    412–14 (413–15) Non. 22.28: ‚Tricones‘, morosi et ad reddendum duri. Lucilius Satyrarum lib. XI: – fr.–, id est facilis. Non. 338,10: ‚Lentum‘, facile. Lucilius Satyrarum lib. XI:

    Lucius Cotta senex, crassi pater huius, Paceni, magnus fuit trico nummarius, solvere nulli lentus.

    Lucius Turnebus, Charpin : Lucilius codd. | Paceni codd. 22 : pacem codd. 338 | fuit trico codd. 22 : trico fuit codd. 338 408–9: von Keltiberern entweder auf Seiten der Numantiner, wenn nicht gar die Numantiner selbst gemeint sind (Cichorius 306 f.), oder von Keltiberern, die auf römischer Seite vor Numantia standen (App. Ib. 92). – Der Anlass der Versammlung (vielleicht die Siegesparade nach der Eroberung von Numantia?) bleibt unklar; s. auch Krenkel zu Fr. 410–11, Charpin II 208 zu Fr. 5. 410–11: lustrum: eigl. das Sühneopfer, das die maximal 18 Monate des census abschließt, dann der Zeitraum von fünf Jahren zwischen zwei census, hier Scipios Amtszeit als Censor (142 bis Mai 141); s. zuletzt Charpin II 209 f. zu Fr. 8 (ausführliche Erläuterung), ferner allg.: Ch. Gizewski: Art. Census, in: DNP 2 (1997) 1059 f.; F. Mora, Art. Lustrum, in: DNP 7 (1999) 522. –– Tib. Claudius Asellus erhob 140 v. Chr. als Volkstribun Anklage gegen Scipio Aemilianus. Zu seinen Reibereien mit ihm s. außer dem folgenden Zeugnis auch Cic.

    Buch 11

    149

    Für das Aufschütten eines Weges müssen sie Schutt heranschaffen und Geröll dieser Art. 408–9 Nonius 227: ‚Torquem‘ (Halskette) männlichen Geschlechts. Nonius 506: ‚Fulgěre‘ (glänzen), verkürzt, für fulgēre.

    eine ansehnliche Versammlung: Pluderhosen, Kriegsmäntel verbreiteten Glanz, große … Halsketten …

    Scipio und Claudius Asellus 410–11 Gellius: Aus Buch XI des Lucilius stammen die Verse:

    Dem großen Sohn aus dem Hause Scipios warf der unverschämte Asellus vor, seine Zeit als Censor sei schlimm und unheilvoll gewesen.

    ‚obiciebat‘ lesen viele, so höre ich, mit langem ‚o‘, und zwar sagen sie, sie täten dies deswegen, damit das Versmaß stimme. Vgl. Cicero de oratore: Geistreich ist auch eine Anspielung, wenn mit nur einer Kleinigkeit und oft nur einem Wort ein dunkler und verborgener Sachverhalt ans Licht gezogen wird. … wie z. B. zu Asellus Africanus sagte, der ihm jenes unheilvolle Lustrum vorhielt: „Wundere dich nicht! Der nämlich, der dich aus dem Ae­ rarierstande aufsteigen ließ, hat das Opfer verrichtet und den Stier geschlachtet. L. Aurelius Cotta 412–14 Nonius 22: ‚Tricones‘ (Ränkeschmiede), eigensinnige und im Hinblick auf Zahlungsverpflichtungen hartleibige (Menschen): - Fr. -, d. h. leicht (bei der Hand). Non. 338: ‚Lentum‘ (zäh, träge), leicht.

    der alte Lucius Cotta, Vater dieses fettleibigen (Sohnes) hier, war, mein Pacenius, ein großer Trickser in Gelddingen, zäh darin, niemandem seine Schuld zu begleichen.

    de orat. 2,258; Gell. 2,20,6. 3,4,1. 6,11,9. – (zu Cic. de orat. 2, 268:) ‚von der Schande‘: nml. der Entfernung aus dem Ritterstand durch Scipio, die L. Mummius Achaicus wieder aufhob, sein Kollege im Censoramt, der Scipios strengen Census vielfach abschwächte (Cass. Dio fr. 76; Val. Max. 6,4,2). – Die bei Val. Max. 4,1,10 bewahrte Anekdote, wonach Scipio den Text des Opfergebets abgewandelt habe – statt ‚Mehrung‘ ‚Erhaltung‘ des Gemeinwesens –, kann dem hier vorgelegten Zeugnis zufolge nicht stimmen. 412–14: S. Cichorius 308–310: L. Aurelius Cotta, Konsul 144 v. Chr., mit Scipio verfeindet, der verhindert hatte, dass er das Kommando in Spanien erhielt (Val. Max. 6,4,2), welches er seiner Schulden wegen doch so nötig brauchte (Val. Max. 6,5,4). Sein gleichnamiger, noch lebender Sohn war Konsul 119 v. Chr.

    150

    LIBER XI

    415 (416) Non. 8,11: ‚Tricae‘ sunt inpedimenta et inplicationes; et ‚intricare‘ inpedire, morari. … Lucilius Satyrarum lib. XI:

    ‚nec mihi amatore hoc opus nec tricone vadato.‘

    amatore codd. : amore L BA

    416 (417) Gell. 11,7,9: ‚non enim Lucilium‘ inquit, ‚legistis, qui tergiversatorem bovinatorem dicit?‘ est autem in Lucili XI versus hic: Non, 79,27: ‚Bovinatores‘, quos nunc malitiosos et tergiversatores dicimus. Lucilius lib. XI:

    ‚si tricosus bovinatorque ore inprobus duro‘

    si tricosus Lachmann : si stric(h)osus codd. Gell. : hic sitricosus codd. Non. | bovinatorque codd. Gell. : boviatorque codd. Non.

    417–19 (422–24) Non. 276,20: ‚Damnare‘ est exheredare. Lucilius Satyrarum lib. XI:

    Cassius Gaius hic operarius, quem Cephalonem dicimus sectorem furemque. hunc Tullius Quin iudex heredem facit, et damnati alii omnes.

    Cephalonem edd. : cefalonem codd. | sectorem codd. : sextorem BA | furemque Scaliger : furiumque codd. | Quintus Lachmann : quem codd. : inquam Quicherat | iudex Marx : index codd.

    420–22 (418–20) Non. 305,23: ‚Fama‘ est rursus infamia; unde et ‚famosum‘ dictum est infame. … Lucilius Satyrarum lib. XI:

    Quintus Opimius ille, Iugurtini pater huius, et formosus homo fuit et famosus, utrumque primo adulescens, posterius dare rectius sese.

    Quintus codd. : qui intus AA | Opimius Bentin : opimus codd. | dare Turnebus, Charpin : da codd. : dat B

    → fr. 1222 ?

    415: trico wie Fr. 412–14. Wenn auch hier (und im folgenden Fr.) der nicht mehr lebende Cotta gemeint ist, muss es sich um direkte Rede eines Widerparts in der von Lucilius wiedergegebenen Anekdote handeln. 416: ore… duro: was gemeint ist, hat Marx (II 156) aus Cic. Quinct. 77, Ov. met. 5,451 und Petron. 43,3 erschlossen. – Vgl. Krenkel I 261 zu Fr. 415–17; Winkelsen 2012, 171. 417–19: ‚Gelegenheitsarbeiter‘: so Krenkel (Fr. 419–21), denn ‚Tagelöhner‘ im wörtlichen Sinne kann kaum zutreffen, überdies ist eine sexuelle Konnotation denkbar. ‚Cephalo‘ (= Capito): Cichorius, der einen C. Cassius Sabaco (er wurde 115 v. Chr. aus dem Senat verstoßen) als

    Buch 11

    151

    415 Nonius ‚Tricae‘ (Ränke) sind Hindernisse und Verwicklungen; und ‚intricare‘ (heißt) ‚hindern, hinhalten‘.

    „Mit diesem Wüstling, diesem vor Gericht gezogenen Intriganten will ich nichts zu tun haben.“

    416 Gellius: „Habt ihr denn nicht den Lucilius gelesen“, sagte er, „der den nach Ausflüchten Suchenden ‚bovinator‘ nennt? Es steht aber in Buch XI des Lucilius folgender Vers: Nonius: ‚Bovinatores‘ (Leute, die toben und schimpfen), die wir heute hinterlistige Gauner und Ausflüchte Suchende nennen.

    „Wenn der intrigante und abgefeimte Gauner mit seinem unverschämten Gesichtsausdruck …“

    C. Cassius (Sabaco?) 417–19 Nonius: ‚Damnare‘ (schuldig sprechen) heißt ‚enterben‘.

    Gaius Cassius hier, der Gelegenheitsarbeiter, den wir Cephalo nennen, den Beutelschneider und Dieb. Ihn macht der Richter Quintus Tullius zum Erben – und damit sind alle anderen enterbt.

    Q. Opimius 420–22 Nonius: ‚Fama‘ (Ruf) bedeutet auch ‚Schande‘; weshalb auch ‚famosum‘ (von sich reden machend) ‚schändlich‘ bedeutet.

    Der bekannte Quintus Opimius, Vater dieser Marionette des Iugurtha hier, war so schön wie verrufen, beides anfangs, als er jung war; später benahm er sich besser.

    hier angegriffene Person vermutet, sieht darin ein ad hoc erfundenes Cognomen (‚der mit dem dicken Kopf‘). Zu sector als zonarius vgl. Plaut. Trin. 862; die Bedeutung ‚Käufer konfiszierter Güter‘ ist erst seit Cicero bezeugt, s. Cic. S. Rosc. 103. – Parallelen für alii omnes (statt reliqui omnes) bei Marx II 158 f. – S. insgesamt außer Marx vor allem Cichorius 313–315. 420–22: Q. Opimius, Konsul 154 v. Chr., lebte nicht mehr, als Lucilius dies schrieb. Sein Sohn L. Opimius, Konsul 121 v. Chr., war einer der Gesandten, die sich von Iugurtha bestechen ließen (Sall. Iug. 16, vgl. Iug. 40: Prozess und Exil). – dare sese rectius = gerere se rectius, vgl. Ter. Eun. 230; Cic. fam. 8,15,2 (Caelius). – Cichorius 310–312.

    152

    LIBER XI

    *423 (421) Cic. de orat. 2,277: Est bellum illud quoque, ex quo is, qui dixit, irridetur in eo ipso genere, quo dixit: ut, cum Q. Opimius consularis, qui adulescentulus male audisset, festivo homini Decio, qui videretur mollior nec esset, dixisset: ‚Quid tu, Decilla mea? quando ad me venis cum tua colu et lana?‘ ‚Non pol,‘ inquit, ‚audeo; nam me ad famosas vetuit mater accedere.‘ Cf. Non. 198,16, Non. 305,23 Libro XI trib. Marx. – Decio Marx II 158, Cichorius 310 : Decilla codd. Non. 198 : ecilio, ecilia codd. Cic.

    nam vetuit me ad famosas accedere mater.

    suspicatur Marx l. c.

    namque ad famosas vetuit me accedere mater.

    “Fortasse scripsit Lucil.” Warmington

    424–25 (411–12) Gell. 4,17,1: Lucilii ex XI versus sunt [fr. 410–11] … (2) idem infra:

    conicere in versus dictum praeconis volebam Grani, …

    in hac quoque primi verbi praepositione o ob eandem causam producunt.

    Vgl. Cic. Brut. 172: ego memini T. Tincam Placentinum hominem facetissimum cum familiari nostro Q. Granio praecone dicacitate certare. ‚eon‘, inquit Brutus, ‚de quo multa Lucilius?‘ isto ipso; sed Tincam non minus multa ridicule dicentem Granius obruebat nescioquo sapore vernaculo.

    426 (425) Prisc. GL 2,231,15: Non est tamen ignorandum, quod etiam hic puerus et hic et haec puer vetustissimi protulisse inveniuntur, et puellus puella. Lucilius in XI:

    inde venit Romam, tener ipse etiam atque puellus.

    423: P. Decius, Volkstribun 120 v. Chr., Praetor 115; Weiteres bei Cichorius 311, Krenkel zu Fr. 425. 424–25: „Tinca Placentinus … Gallus erat, Granius Romae vixit …“ (Marx II 153). – Zu Granius s. auch B. XX. Über ihn ferner: Cic. Brut. 160, fam. 9,15,2, de orat. 2,244. 254. 282, Planc. 33; s. auch Ch. Frateantonio: Art. Granius [I 2], in: DNP 4 (1998) 1205. – Wegen des

    Buch 11

    153

    423 Cicero: Hübsch ist auch eine Wendung, durch die man den, der einen Witz gemacht hat, mit seinem eigenen Witz lächerlich macht. Als z. B. der frühere Konsul Q. Opimius, der als ganz junger Mann einen schlechten Ruf gehabt hatte, an den eleganten Decius [Egilius Merklin], der etwas weichlich wirkte, ohne es zu sein, die Frage richtete: „Wie steht‘s, meine Decilla [Egilia Merklin]? Wann kommst du mit deinem Spinnrocken und deiner Wolle zu mir?“ erwiderte er: „O nein, das würde ich nicht wagen; denn meine Mutter hat mir verboten, zu Damen von zweifelhafem Ruf zu gehen.“ (Übers.: H. Merklin).

    denn meine Mutter hat mir verboten, zu verrufenen Frauen zu gehen.

    Q. Granius 424–25 Gellius: [s.o. Fr. 410–11] … derselbe weiter unten

    Ich wollte (gerade) ein Witzwort des Auktionators Granius in Verse fassen, (als …)

    Auch in dieser Präposition des Anfangswortes längen sie aus demselben Grunde das ‚o‘.

    Cicero: Ich weiß noch sehr gut, wie T. Tinca aus Placentia, ein witziger Mensch, mit unserem guten Bekannten, dem Auktionator Q. Granius, in Bissigkeit wettei­ ferte. ‚Mit dem‘, sagte Brutus, ‚von dem Lucilius vieles schreibt?‘ Mit eben dem, aber Granius stellte Tinca, obwohl der vieles nicht minder witzig formulierte, durch eine irgendwie einheimische Redeweise in den Schatten. 426 Priscianus: Man sollte jedoch wissen: es finden sich Belege, dass die ganz alten Autoren auch ‚hic puerus‘ (der Junge) und ‚hic‘ und ‚haec puer‘ (der Junge, das Mädchen) gebildet haben, sowie ‚puellus, puella‘ (kleiner Junge, kleines Mädchen).

    Von dort kam er nach Rom, selbst noch zart und ein kleiner Junge.

    folgenden Fr. hat Marx’ These, dass das Planc. 33 erzählte Dictum mit dem von Lucilius gemeinten identisch sein könne, viel für sich; anders Charpin II 215 f. zu Fr. 15. 426: Übers.: Krenkel (Fr. 430), der denVers auf Granius bezieht. – Vgl. Petron. 75,10. – Warmington, der Fr. 423 hierzu stellt, unter (zögernder) Beibehaltung des Namens Egilius, denkt offenbar an Identität der Personen.

    LIBER XII Für die sieben Fragmente des Buches XII lässt sich kein eindeutiger Zusammenhang herstellen. Kaum eines der Fragmente hat einen eindeutigen Inhalt. (Charpin führt dies eindrucksvoll vor; s. II 45 f. sowie seine Erläuterungen.) Durch Fr. 427 wissen wir, dass Lucilius einen Bruder hatte. Auch einige andere Fragmente schlagen einen privaten und persönlichen Ton an oder können jedenfalls so gedeutet werden. Fiske hat einen Zusammenhang unter der Prämisse hergestellt, dass Horaz in Satire 1,6,65–99 mit dem Lob auf seinen Vater und seine erzieherischen Qualitäten von Lucilius Buch XII angeregt sei. Sollte dies der Fall sein, so doch

    427 (427) Serv. auct. Aen. 2,77: Fuerit quodcumque] sane ‚quodcumque‘ vetusta voce mortem significari Lucilius docet in XII:

    hunc, siquid pueris nobis, me et fratre, fuisset, hoc est, si mors vel me vel fratrem oppressisset. 428 (431) Non. 512,21: ‚Firmiter‘ pro firme. Lucilius Satyrarum lib. X [fr. 388]. idem lib. XII:

    ‚firmiter hoc pariterque tuo sit pectore fixum.‘

    429–30 (428–29) Non. 513,1: ‚Publicitus‘ pro publice. Lucilius Satyrarum lib. XII:

    ‚huic homini quaestore aliquo esse opus atque corago, publicitus qui mi atque e fisco praebeat aurum.‘

    libro XII codd., libro XV CA | homini codd. : hemini L1 | atque codd. : adque L1 | fisco Gu­ lielmus : pisco codd.

    Lit. zu B. XII: Fiske 1920/1971, 321–323; Haß 2007, 142. – Zur speziellen Situation in Hor. sat. 1,6: Johannes Christes / Gunnar Fülle: Causa fuit pater his. Überlegungen zu Horaz, Sat. 1,6, in: Klodt 1996, 37–56. 427: ‚Dieser Mann‘: wohl Subjekt eines Satzes in indirekter Rede; der paedagogus (Mueller)? der Vater (Warmington)? ein Lehrer (Terzaghi)? – Zur möglichen Identität des Bruders Krenkel (zu Fr. 43, s. auch I 19): „Vielleicht Lucilius Hirrus, der Prätor des Jahres 134 v. Chr.“ (s. auch Christes 1986, 59 u. Anm. 18); anders zuvor Cichorius (1–6 und 19–22): Manius Lucilius.

    BUCH XII wohl kaum in dem Maße, wie Fiske annimmt; denn dazu ist die Situation des Horaz – eine subtile Auseinandersetzung mit seinem Gönner Maecenas – zu speziell. Die Vieldeutigkeit der Fragmente lässt Raum für die Vorstellung, dass Buch XII aus einer einzigen Satire bestand; sicher ist das aber nicht. Ihre hier gewählte Anordnung ist mehr oder minder arbiträr. Wie üblich kennzeichnen Anführungszeichen die Fragmente, die vielleicht eher einem andern Interlokutor als dem Dichter-Ich zuzuweisen sind; aber auch dies ist hier nicht unumstößlich.

    427 Servius auctus: ‚Was auch kommen mag‘] Dass in der Tat mit ‚quodcumque‘ (was auch immer) in alter Ausdrucksweise der Tod bezeichnet wird, lehrt Lucilius in Buch XII:

    Dieser Mann, wenn uns etwas zugestoßen wäre, als wir, ich und mein Bruder, noch Kinder waren, ….

    d. h.: wenn der Tod mich oder meinen Bruder ereilt hätte.

    Nonius: ‚Firmiter‘ für ‚firme‘ (fest).

    428

    „Und dies sei gleichermaßen fest deinem Herzen eingeprägt.“

    429–30 Nonius: ‚Publicitus‘ für ‚publice‘ (öffentlich, auf Staatskosten).

    „(ich glaube,) dieser Mann hier braucht einen Quaestor und Sponsor, der mir auf Staatskosten und aus der Staatskasse Gold gewährt.“

    428: Zur Stellung von -que vgl. Verg. Aen. 11,673. – Vgl. Hom. Il. 1,297, Od. 15,27. – „S’agit-il d’un conseil du poète à son frère, du père à son fils, du précepteur à son élève ou du satirique à son lecteur?“ (Charpin II 218 zu Fr. 3) Geht es um eine Lektion in praktischer Ethik wie bei Hor. sat. 1,4,103–131 (Terzaghi 1934/1970, 391 f.)? – Wenn der Dichter selbst spricht, erübrigen sich die Anführungszeichen. 429–30: huic homini = mihi, vgl. Plaut. Epid. 141, Hor. sat. 1,9,47. – c(h)orago: χορηγός: in Athen bezahlte und leitete er den Tragödienchor. – Marx und andere dachten an den Vater des Dichters, der sich über Extravaganzen seines Sohnes beklagt, was kaum zu beweisen sein wird. Eher spricht hier wohl ein Lebemann (Krenkel zu Fr. 434 –35, doch vgl. Charpin II 218 f. zu Fr. 4).

    156

    LIBER XII

    431–32 (433–34) Diom. GL 1,365,4: ‚decollo, decollavi‘: hoc verbum apud veteres decipio significat, ut apud Plautum (Capt. 497) ‚si ea decollabit‘; item Lucilius duodecimo:

    colavi victus.‘

    ‚quibus fructibus me de

    de collavi Marx : decollavi codd. : decollam A

    433 (430) Gell. 9,14,9–11: Sic autem ‚dies, dii‘ a veteribus declinatum est, ut ‚fames, fami‘ … M. enim Cato in oratione, quam de bello Carthaginiensi composuit, ita scripsit: ‚Pueri atque mulieres extrudebantur fami causa.‘ Lucilius in XII (430):

    ‚rugosum atque fami plenum   –   – ‚ suspicatus est Marx cl. Plaut. Cas. 777 ut ipsae solae ventris dis­ tendant suos.

    434 (432) Prisc. GL 2,399,12: ‚assentio‘ et ‚assentior‘, ‚dissentio‘ et ‚dissentior‘ in una eademque inveniuntur significatione. … Lucilius in XII (432):

    assensus sum homini.

    435–36 (435–36) Non. 363,1: ‚Protelare‘ est percutere, perturbare. … Lucilius Satyrarum lib. VI [fr. 252–53]- idem lib. XII:

    hunc iuga mulorum protelo ducere centum non possunt.

    Diom. GL 1,487,23: Alii autem putant a faece, quam Graecorum quidam τρύγα appellant, tragoediam nominatam, per mutationem litterarum υ in α versa, quoni431–32: Oder: „Um diese Lebensfreuden habe ich mich gebracht.“ – decolare anders als bei Plautus transitiv gebraucht; de | colavi: Tmesis, vgl. Fr. 61–62. victus = vitae (anders Terzaghi = part. pf. zu vincere): so Marx II 161 f.; vgl. Charpin II 217 zu Fr. 2 (dort auch Erörterung anderer Deutungsversuche). – Im Tenor passt das Fr. m. E. am ehesten zum Sprecher des vorausgehenden Fr.

    BUCH XII

    157

    431–32 Diomedes: ‚decollo, decollavi‘ (ich enthaupte, habe enthauptet): Dieses Verb bedeutet bei den alten Autoren ‚decipio‘ (ich täusche), wie z. B. bei Plautus (Capt. 497) ‚wenn sie (d.i. die spes cenatica, Hoffnung auf eine Mahlzeit) sich in Luft auflöst (wtl.: zu Wasser wird)‘; ebenso Lucilius in Buch XII: Diomedes verwechselt – wie auch die Plautushandschriften – decollare mit decolare (durchsickern, zu Wasser werden, fehlschlagen).

    „um was für Lebensfreuden ich mich gebracht habe.“

    433 Gellius: So aber wurde ‚dies, dii‘ (Tag, des Tages) von den Alten dekliniert, wie (z. B. auch) ‚fames, fami‘ (Hunger, des Hungers) … M. Cato nämlich schrieb in seiner Rede, die er über den Krieg mit Karthago verfasste, folgendermaßen: „Die Kinder und Frauen wurden des Hungers wegen (fami causa) (aus der Stadt) vertrieben.“ Lucilius in Buch XII:

    „den runzligen und (nur) mit Hunger vollen “

    434 Priscianus: ‚Assentio‘ und ‚assentior‘ (ich stimme zu), ‚dissentio‘ und ‚dissentior‘ (ich stimme nicht zu) finden sich in ein und derselben Bedeutung.

    Ich stimmte dem Manne zu.

    435–36 Nonius: ‚Protelare‘ (fortjagen) heißt ‚heftig stoßen‘, ‚sehr verwirren‘.

    Den hier können (auch) hundert Maultiergespanne am Zugseil nicht (von der Stelle) bewegen. Den folgenden Text (437 M) zähle ich (wie auch Charpin) nicht als Fragment, da kein einziges Originalwort des Lucilius greifbar ist. Diomedes: Andere aber glauben, die Tragödie habe ihren Namen von der Hefe, welche gewisse Griechen τρύξ nennen, wobei die Buchstaben υ und α gegenein­ 433: Vgl. Fr. 494(–95) rugas conducere ventris. – Spricht auch hier der Sprecher der beiden vorausgehenden Fragmente? 434: Zur Aporie, in die der Versuch führt, die hinter ‚ich‘ stehende Person und damit den Zusammenhang zu bestimmen, s. Charpin II 216 f. zu Fr. 1. 435–36: Lucilius imitiert Hom. Od. 9,241 f. – hunc: „some huge person or thing“ vermutet Warmington zu Fr. 461–62.

    158

    LIBER XII

    am olim, nondum personis a Thespide repertis, tales fabulas peruncti ora faecibus agitabant, ut rursum est Horatius testis sic (ars 275–277): ignotum tragicae genus invenisse Camenae dicitur et plaustris vexisse poemata Thespis, quae canerent agerentque peruncti faecibus ora. alii a vino arbitrantur, propterea quod olim τρύξ dictitabatur a quo τρύγητος hodieque vindemia est, quia Liberalibus apud Atticos die festo Liberi patris vinum cantoribus pro corollario dabatur, cuius rei testis est Lucilius in duodecimo.

    BUCH XII

    159

    ander ausgetauscht wurden, und zwar deshalb, weil man einst, als Thespis noch nicht den Einzelschauspieler eingeführt hatte, solche Dramen derart aufführte, daß man die Gesichter mit (roter) Weinhefe bestrichen hatte. Auch das bezeugt Horatius mit folgenden Worten: ‚Die noch unbekannte Gattung der tragischen Muse soll Thespis erfunden und auf Wagen die Werke (durch das Land) gefahren haben, die man dann – das Gesicht mit (rötlicher) Hefe bestrichen – spielte und sang.‘ Andere meinen, das Wort Tragödie sei von (der griechischen Bezeichnung für) Wein abgeleitet, erstens, weil man diesen früher τρύξ nannte, woher denn auch heute noch die Weinlese τρύγητος heißt, zweitens, weil an den Dionysien, dem Festtage des Dionysus bei den Bewohnern von Attica, den Sängern Wein als Preis gegeben wurde; das bezeugt Lucilius im 12. Buche.  (Übers.: Krenkel)

    LIBER XIII In Buch XIII mit nur 11 Fragmenten lassen sich zwei Themen fassen: Tafelluxus und die Rolle von Zufall und Können im Kriege. Mit einiger Vorsicht kann man zwei Satiren ansetzen, nicht aber ihre Reihenfolge festlegen. Die hier gewählte Zuordnung der Fragmente und ihre Anordnung bleiben hypothetisch, ebenso die damit angedeuteten Grundlinien: Auf eine Geißelung des zeitgenössischen Tafelluxus (Fr. 437 bis 441) folgte vielleicht – ähnlich wie später bei Horaz, besonders in sat. 2,2 – ein Lob der Frugalität (Fr. 442), festgemacht an einem historischen Leichenschmaus (Fr. 443). Den Abschluss mochte ein Katalog geforderter Maßnahmen zur Eindämmung des Tafelluxus gebildet haben, wovon noch die erste Forderung erhalten ist (Fr. 444). 437–38 (440– 41) Non. 216,4: ‚Ostrea‘ generis feminini. Lucilius Satyrarum lib. III [fr. 132]. … (17) neutri. Lucilius Satyrarum lib. IX [fr. 330–31]. (20) idem lib. XIII:

    hoc fit idem in cena: dabis ostrea milibus nummum empta.

    hoc codd. : ho L

    439– 40 (442– 43) Non. 511,18: ‚Ampliter‘. Lucilius lib. XIII: Prisc. GL 3,71,2: Lucilius ‚ampliter‘, ignaviter.

           nam sumptibus magnis extructam ampliter atque * * cum accumbimus mensam

    exstructam codd. : exstructa Marx | ampliter codd. : ambiter CA | atque codd. : atque apte coni. Mueller : atque unctam coni. Francken : ac decumanam coni. Lindsay | mensam edd. : mensa codd., Marx

    441 (446) Non. 151,10: ‚Pasceolus‘, ex aluta sacculus. … Lucilius lib. XIII:

    437 M: Vermutungen zu dieser Nachricht: Marx II 162 f., Krenkel zu Fr. 441. Lit. zu B. XIII: Cichorius 315 f.; L. R. Shero: A possible Lucilian Antecedent of Horace Serm. II.2, CPh 23 (1928) 398– 400; Krenkel 2001, 137 f. (zu den Luxus-Gesetzen); Haß 2007, 146 f. (zu den Fragmenten über Tafelluxus). 437–38: Der Konsul M. Aemilius Scaurus erließ 115 v. Chr. ein Gesetz gegen den Luxus, das u.a. den Genuss von Austern zu unterbinden suchte, s. Plin. nat. 8,223; zu Gesetzen gegen Luxus s. Gell. 2,24. S. auch Winkelsen 2012, 315 f. 439– 40: Wenn der Tenor des nicht erhaltenen Hauptsatzes negativ-tadelnd ist, passt Muellers Ergänzung apte nicht. Winkelsen 2012, 325 f. hält dagegen Muellers Herstellung für die

    Buch XIII Die Diskussion der Rolle von Zufall und Können im Kriege, die Mitte des 2. Jh. v. Chr. die Beurteilung der römischen Erfolge beherrschte (s. zu Fr. 449–50), nahm vielleicht ihren Ausgangspunkt von einer anekdotisch erzählten Begebenheit (Fr. 445). Wie die folgenden Verse (Fr. 446 bis 448) hier eingeordnet werden können, bleibt unsicher. (Zumal Fr. 448 ließe sich auch als Teil der vorausgehenden Thematik denken.) Eine prägnante und ergänzbare Aussage enthält erst wieder das an den Schluss gestellte Fr. 449–50: Zufall allein kann im Krieg nicht entscheidend sein; wäre es so, könnte es keinen Ruhm geben

    Wider den Tafelluxus 437–38 Nonius: ‚ostrea‘ (Auster) femininen Geschlechts. … als Neutrum …:

    Das geschieht auch beim Gastmahl: Du wirst Austern reichen, die du für tausende von Sesterzen gekauft hast. 439– 40 Nonius: ‚Ampliter‘ (reichlich). Priscianus: Lucilius ‚ampliter‘ (reichlich), ignaviter (träge).

    denn wenn wir uns an einem Tisch niederlassen, der mit gewaltigem Aufwand und ** üppig ausgestattet ist, …

    441 Nonius: ‚Pasceolus‘ (Beutel), ein Säckchen aus Alaunleder.

    beste. – Kaum zu entscheiden ist, ob man besser mensam …exstructam oder mensa exstruc­ ta herstellt. Letzteres wäre wohl als abl. absolutus aufzufassen (Charpin II 222 zu Fr. 4), nicht als abl. loci (so Winkelsen a. O.; bei Verg. Aen. 1,79 epulis accumbere divom liegt ein Dativobjekt vor, s. Kühner-Stegmann I 265, § 70,4 A.a). – Marx (II 165) zur Lücke: „ego arbitror veluti opibus aut epulis excidisse.“ Vgl. Cic. Tusc. 5,62 mensae conquisitissimis epulis extruebantur. 441: sola hier = soleae. – Syracusis: abl. orig., bei einem Substantiv, vgl. Fr. 1316 Aegyp­ to. – Man trug Sandalen, wenn man zu einer cena ging. Der (vom Sklaven nachgetragene) pasceolus enthielt Geld (vgl. Iuv. 14, 282) und Utensilien; s. Cichorius 315 f. – Die Frage, ob aluta oder alutam zu lesen ist, lässt Charpin offen (II 220 zu Fr.1).

    162

    LIBER XIII

    adde Syracusis sola, pasceolum * * aluta.

    pasceolum …aluta Cichorius, optima coni. Terzaghi : pasceolum alutamen codd. : pasceolumque et alutam J. Dousa : pasceolum … alutam Marx, suppl. optimam in comm. :

    442 (445) Non. 398,26: ‚Samium‘ est testeum. Lucilius Satyrarum lib. XIII:

    et non, pauper uti, Samio curtoque catino

    pauper uti Iunius : pauperitiae codd.

    443 (444) Non. 204,15: ‚Epulum‘ generis neutri est. feminini Lucilius Satyrarum lib. XIII:

    idem epulo cibus atque epulae Iovis omnipotentis.

    qui versus utrumque designat. → fr. 1367 ? 444 (438–39) Non. 281,14: ‚Dominus‘ rursum appellatur convivii exhibitor. unde et ‚dominia‘ convivia. Lucilius Satyrarum lib VI [fr. 260–61]. idem lib. XIII:

    tollantur primum dominia atque sodalicia omnia. primum d. a. s. omnia / tollantur codd., Marx | tollantur primum Krenkel : primum tollantur Warmington | dominia L BA, Havet RPh 1890, 29 : domini codd. : domina Mueller

    445 (449) Non. 261,3: ‚Cernere‘ rursum disponere. Lucilius Satyrarum lib. V [fr. 219]. idem lib. XIII:

    acribus inter se cum armis confligere cernit,

    446 (447) Non. 425,6: ‚Fors‘ et ‚Fortuna‘ hoc distant: ‚fors‘ est casus temporalis; ‚Fortuna‘ dea ipsa est. … Lucilius Satyrarum lib. XIII:

    cui parilem fortuna locum fatumque tulit fors.

    442: Vgl. Cic. Mur. 75 (und die Erl. zum folgenden Fr.). 443: epulo ist wohl ein abl. loci (Marx II 165), idem … atque = ‚derselbe … wie“ (Terzaghi 1934/1970, 325; Charpin II 222 f. zu Fr. 5; Winkelsen 2012, 332). – Ist die Rede von den zu Ehren Iuppiters auf dem Kapitol veranstalteten Festessen? Vgl. Mart. 12,48,12, s. Marx II a. O., Krenkel zu Fr. 453. – Eine interessante Hypothese entwickelt Charpin (a. O.): Lucilius nehme Bezug auf das Totenmahl für Scipio Aemilianus (129 v. Chr.), zu dem sein Neffe Q. Aelius Tubero mit einer als skandalös empfundenen Kargheit der Ausstattung (u. a. samisches Tongeschirr) beitrug, s. Cic. Mur. 75, vgl. Komm. J. Adamietz, Darmstadt 1989, 226 f.

    Buch XIII

    163

    Füge hinzu die Sandalen aus Syrakus, den Geldbeutel aus (feinstem) Leder.

    442 Nonius: ‚Samium‘ (aus Samos) bedeutet irden

    und nicht, wie ein Armer, mit einem angeschlagenem (irdenen) Napf aus Samos

    443 Nonius: ‚Epulum‘ (Schmaus, Festmahl) ist ein Neutrum. Als Femininum …:

    Die gleiche Speise beim Mahl wie das Festmahl des allgewaltigen Iuppiter.

    Dieser Vers bildet beides ab.

    444 Nonius: ‚Dominus‘ (Herr) wird auch der Ausrichter eines Gastmahls genannt. Von daher (heißen) Gastmähler auch ‚dominia‘. …:

    Aufgehoben gehören erstens alle Gastmähler und ‚Amigo‘-Treffen. Entscheidet Zufall oder kluge Strategie einen Krieg? 445 Nonius: ‚Cernere‘ (sehen) heißt auch ‚anordnen‘. Hat Nonius das Fr. hier falsch eingeordnet? ( s. Marx II 167 f.)

    als er sieht, wie sie im Kampf aneinander geraten, …

    446 Nonius: ‚Fors‘ und ‚Fortuna‘ unterscheiden sich in Folgendem: ‚Fors‘ (Zufall) ist ein vorübergehender Vorfall; ‚Fortuna‘ (Glücksfall) ist die Göttin selbst.

    dem gleichen Rang das Glück und gleiches Schicksal der Zufall brachte.

    444: „Die politisch wirksamen Vereine wurden wiederholt verboten“ (Krenkel zu Fr. 455, s. dort zu Einzelheiten). – Krenkels Umstellung hat den Vorzug, das Prädikat in betonte Anfangsstellung zu bringen, bleibt aber naturgemäß unsicher. 445: Marx (II 167 zu Fr. 449) vermutet Scipio als Subjekt; er verweist auf App. Lib. 71, wonach sich Scipio als Zuschauer einer Schlacht in gleicher Situation wie Iuppiter (Hom Il. 8,51 f.) und Poseidon (Il.13,10–16) sah. 446: locus hier die gesellschaftliche Stellung, wie z.B. Cic. Lael. 94.

    164

    LIBER XIII

    447 (452) Serv. auct. georg. 4,25: Et ‚inertem‘ hic pro otioso posuit … quae vox ponitur pro ignavo … et pro eo qui sine arte sit, ut apud Lucilium in tertio decimo: Serv. auct. Aen. 4,158: ‚Inertia‘ autem pro ignavis et innocuis posuit … nam iners proprie quid sit Lucilius declarat:

    ut perhibetur iners, ars in quo non erit ulla. erit codd. Serv. Aen. : est codd. Serv. georg.

    448 (448) Non. 519,1: Veterum memorabilis scientia paucorum numerum pro bonis ponebat; ‚multos‘ contra malos appellabant. … Lucilius Satyrarum lib. XIV [fr. 461–62]. idem lib. XIII:

    –   unus modo de multis qui ingenio sit.

    ingenio sit L AA BA : ingeniosa sit CA : ingenuo sit Mueller : ingeniosust Lindsay

    449–50 (450–51) Non. 425,6: ‚Fors‘ et ‚Fortuna‘ hoc distant: ‚fors‘ est casus temporalis; ‚Fortuna‘ dea ipsa est. … Lucilius Satyrarum lib. XIII [fr. 446]. idem in eodem:

    aut forte omnino ac fortuna vincere bello. si forte ac temere omnino, quid rursum ad honorem?

    rursum Mueller : cursum codd. : quorsum Marx | omnino quid, quorsum? ad honorem? dist. Marx

    447: Vgl. Cic. fin. 2,115 sed lustremus animo non has maximas artis, quibus qui carebant inertes a maioribus nominabantur, … 448: Zur Erklärung des Nonius vgl. im Griech. den Gebrauch von οἱ πολλοί und οἱ ὀλίγοι als politische Termini; s. auch Fr. 461–62 u. Erl. – Charpin II 225 zu Fr. 11: „Lucilius dépeint un homme … simplement pourvu de bon sens (ingenio: c’est un ablatif de qualité à l’intérieur d’une relative au subjonctif à valeur consécutive).“ 449–50: Marx (II 168) verweist auf diesbezügliche Diskussionen, die im Hause des Aemilius Paulus stattfanden; vgl. Liv. 22,39,20 omnia audentem contemnet Hannibal, nihil temere

    Buch XIII

    165

    447 Servius auctus georg.: Und zwar ‚iners‘ (träge) hat er statt ‚otiosus‘ (müßig) gesetzt, … ein Wort, das für ‚ignavus‘ (faul, feige) gesetzt wird … und für jemanden, der ohne Kunstfertigkeit ist, wie bei Lucilius im 13. Buch: Servius auctus Aen.: ‚Inertia‘ (Trägheit) aber hat er für ‚ignavi‘ (Feige) und für ‚innocui‘ (Unschädliche, Unschuldige) gesetzt; denn was ‚iners‘ im eigentlichen Sinne bedeutet, macht Lucilius deutlich:

    wie der ungeschickt genannt wird, bei dem sich keinerlei Geschicklichkeit findet.

    448 Nonius: Eine denkwürdige Einsicht der alten Autoren pflegte den Mengenbegriff ‚Wenige‘ für die Guten zu setzen; die Schlechten nannten sie dagegen ‚die Vielen‘.

    einer nur von vielen mit gesundem Menschenverstand. 449–50 Nonius: [wie oben vor Fr. 446]. derselbe im selben Buch:

    … oder überhaupt nur durch Zufall und Glück im Kriege zu siegen. Wenn nur durch Zufall und blindlings: was hat das dann wiederum mit Ruhm zu tun?

    agentem metuet. nec ego, ut nihil agatur , sed ut agentem te ratio ducat, non fortuna. Vgl. Gell. 13,3,6, App. Ib. 87, Val. Max. 7. – Zum Gegensatz fors / virtus: Sall. Iug. 1,1–3. – Im 2. Jh. v. Chr. suchte griechische Propaganda die Erfolge der Römer als zufällig zu entwerten. Der griechische Historiker Polybios, der zwischen 168 und 150 als Geisel in Rom lebte und in enger Beziehung zu Scipio Aemilianus stand, trat dieser Propaganda in seinem Geschichtswerk entgegen; s. H. Fuchs: Der geistige Widerstand gegen Rom. Berlin 1938, 2, 7–30.

    LIBER XIV Buch XIV enthält die Reste einer Diskussion um die rechte Lebenswahl, die Entscheidung zwischen Engagement in der Politik und Politikferne (Fr. 451–462). Wenn mit Letzterem, wie wahrscheinlich und zumeist angenommen, die Verse in Verbindung gebracht werden dürfen, die von Esskultur handeln (Fr. 463–468), hebt sich von dieser Satire eine zweite Satire ab (Fr. 469–476), die „affairs in

    451 (453) Non. 219,3: ‚Palumbes‘ feminino …. Masculino Lucilius lib. XIV: Char. GL 1,106,24: ‚Palumbes‘ Vergilius feminino genere dixit [ecl. 3,69. 1,57]… Lucilius XIV masculine:



    macrosque palumbes

    palumbes codd. Non. : palumbos codd. Char.

    452 (454 –55) Char. GL 1,79,15: ‚Caseus‘ masculini generis est, ut Vergilius [ecl. 1,34] … et Lucilius XIIII:

    caseus alium olit

    alium olit Mueller: ala mol lit aut alumol liet N : ala molis Coloniensis : aula / mollis Marx

    453 (456) Non. 477,5: ‚Manducatur‘ pro manducat. … Lucilius Satyrarum lib IV [fr. 160– 61]. idem lib. XIV:

    cum illud quid faciat, quod manducamur in ore,

    cum codd. : tum Lindsay | faciat codd. : satiat Mueller

    454 –55 (457–58) Prisc. GL 2,215,7: ‚Hilum‘ … pro ‚ullum‘ vetustisimi proferebant. Lucilius in XIIII:

    naumachiam licet haec, inquam, alveolumque putare, et calces. delectes te, hilo non rectius vivas.

    delectes codd. : dilectes G L Lit: zu B. XIV:Cichorius 33–36 und 316–328. 451: „through ill-feeding“ Warmington; vgl. Hor. sat. 1,5,71 f. 452: Die Herstellung des Textes bleibt umstritten. Warmington (Fr. 481), Krenkel (Fr. 458) und Charpin (Fr. 2) folgen Muellers Konjektur, Winkelsen (2012, 80) neigt Marx’ Textfassung zu. – Ob der Knoblauch ‚duftet‘ (Krenkel Fr. 458) oder ‚stinkt‘ (Warmington 481), hängt von der Einstellung zum Knoblauch ab; die des Dichters kennen wir nicht. 453: Ich verstehe mit Charpin cum kausal; ders. II 227 zu Fr. 3: „ il apporte une justification dans un contexte qui pouvait traiter le thème il faut manger pour vivre et non pas vivre pour manger. “ – quid hier = aliquid, vgl. nur – auch zur Redewendung – Lucr. 1,440 Praeterea per se quodcumque erit, aut faciet quid …

    Buch XIV the provinces“ (Warmington) zum Inhalt hat. Beide Satiren enthalten dialogische Partien, die erstgenannte stellt vielleicht ein frühes Zeugnis für aufkeimende Politikverdrossenheit dar, gegen die später Cicero so leidenschaftlich ankämpfte. Zu Einzelheiten sei auf die Erläuterungen zu den oft mehrdeutigen Fragmenten verwiesen. Politik und Politikferne 451 Nonius: ‚Palumbes‘ (Ringeltauben) als Femininum … Als Maskulinum: Charisius: ‚Palumbes‘ (Ringeltauben) hat Vergil als Femininum gesagt …. Luci­ lius Buch XIV maskulin:



    … und magere Ringeltauben

    452 Charisius: ‚Caseus‘ (Käse) ist maskulinen Geschlechts, wie Vergilius … und Lucilius Buch XIV (hat):

    Der Käse duftet nach Knoblauch

    453 Nonius: ‚Manducatur‘ statt ‚manducat‘ (kaut). …:

    da das etwas ausmacht, was wir im Munde kauen, … 454 –55 Priscianus: ‚Hilum‘ (ein Fäserchen, ein Geringes) pflegten die ältesten Autoren für ‚ullum‘ (irgendein) zu formulieren.

    Du magst das, sage ich, als Seekampfspiel und als Brettspiel mit Steinen ansehen. Du magst dich daran ergötzen, (aber) du würdest um keinen Deut richtiger leben.

    454 –55: ‚Seekampfspiel‘: erklärt bei Serv. Aen. 5,114; vgl. Suet. Iul. 39,4. – Brettspiel mit Steinen: das Spiel der duodecim scripta (s. Cic. de orat. 1,217; Quint. 11,2,38), eine Art Vorläufer des Backgammon, gespielt auf einem umrandeten Brett mit Steinen; calces aus metrischen Gründen für calculi. – „Agitur de vanis hominum studiis gloriae honorum divitiarum“, so deutet Marx (II 170) das Fragment. Wenn aber Lucilius selbst spricht, lässt sein wahrscheinliches Eintreten für Scipios Lebenswahl (s. u. Fr. 457–58 und 461– 462) nicht unbedingt an Polemik gegen honores und gloria denken, sondern eher gegen divitiae, die für Tafelluxus ausgegeben werden; aufschlussreich Cic. fin. 2,24 f. mit Lucil. Fr. 1141– 46. Jedenfalls argumentiert er popularphilosophisch, in Übereinstimmung sowohl mit stoischer als auch epikureischer Lehre, wie nach ihm viele Male Horaz; s. nur epist. 1,6,29–31. („Die

    168

    LIBER XIV

    456 (461) Non. 230,17: ‚Vulgus‘ neutro genere solum dici putant. Lucilius Satyrarum lib. XIV:

    dilectum video studiose vulgus habere.

    457–58 (459–60) Non. 425,36: ‚Antiquior‘, melior. … Lucilius lib. XIV:

    ‚Quin potius vitam degat sedatus quietam.‘ – quanto antiquius quam facere hoc, fecisse videri!

    vitam edd. : vita codd. | quanto J. Dousa : quamtu codd. | videri Marx : videaris codd. : videris J. Dousa : viderist Lachmann

    459–60 (478–79) Prisc. GL 2,534,25: ‚Lacesso lacessivi‘: sic Probus. et videtur mihi melius dicere, participium enim passivum ‚lacessitus‘. Caper tamen ‚lacessi‘ dicit esse, ut ‚facessi‘, et profert exemplum Lucilii, quo usus est in XIIII:

    num vetus ille Cato †lacessisse appellari †quod conscius non erat ipse sibi? num codd. : nam G | lacessisse appellari quod codd. : illa lacessisse ad scelera inquit, Marx : audit aperte non appellari quod Baehrens, alii alia

    sed potest ‚lacessisse‘ per syncopam esse prolatum ‚vi‘ syllabae, ut ‚cupisse‘, ‚petisse‘ dicimus pro ‚cupivisse‘ et ‚petivisse‘. 461–62 (462–63) Non. 519,1: Veterum memorabilis scientia ‚paucorum‘ numerum pro ‚bonis ponebat; ‚multos contra ‚malos‘ appellabant. … Lucilius lib. XIV:

    non paucis malle ac sapientibus esse probatum

    ἢ πᾶσιν νεκύεσσιν καταφθιμένοισιν ἀνάσσειν. (Hom. Od. 11,491) malle codd. : male G | ac sapientibus J. Dousa : acsasipientibus L1 : ac si sapientibus AA CA : a sapientibus Mueller | ἢ om. codd. Thematik eher epikureisch als stoisch angehaucht“ sieht Winkelsen 2012, 164.) – Anders deutet Haß 2001, 58 das Fr. zusammen mit Fr. 457–58 und 461–62 als Aussagen zur eigenen Lebenswahl des Dichters: „scheinbar ein geruhsames Leben …, und doch im Stillen aktiv …, beispielsweise, indem man Satiren schreibt.“ 456: Marx (II 171) und zuletzt Charpin verstehen dilectum als Attribut zu einer vor dem Erhaltenen genannten Person, und zwar mit dem Argument, dass beim einfachen Volk keine Begeisterung für einen dilectus (= delectus), eine Truppenaushebung (so Housman 1907, 65 f., und Warmington Fr. 483) vorausgesetzt werden könne (II 229 zu Fr. 6). – Krenkel beruft sich für seine Übersetzung (Fr. 459 „das Volk trifft … seine Wahl“) zu Unrecht auf Housman. 457–58: Der Interlokutor des ersten Verses vertritt den bekannten epikureischen Standpunkt; vgl. Lucr. 5,10–12, s. auch Lucil. Fr. 590. Der Sprecher des zweiten Verses – „vraisemblablement Lucilius“ (Charpin II 231 zu Fr. 9) – verficht eine vitae ratio civilis (Cic. rep. 3,6) auch um den Preis, im öffentlichen Urteil verurteilt zu werden: fecisse videri ist eine juristi-

    Buch XIV

    169

    456 Nonius: ‚Vulgus‘ (die Volksmenge), so glaubt man, wird nur als Neutrum gebraucht.

    Das Volk, sehe ich, liebt ihn heiß.

    457–58 Nonius: ‚Antiquior‘ (wichtiger), besser.

    „Soll er sich doch fürwahr lieber zur Ruhe setzen und ein zurückgezogenes Leben führen.“ Wie viel besser, als dies zu tun, ist es, für schuldig erkannt zu werden.

    459–60 Priscianus: ‚Lacesso lacessivi‘ (ich reize, habe gereizt). So Probus. Und in der Tat scheint er mir (das Perfekt) besser zu bilden: denn das Passivpartizip lautet ‚lacessitus‘. Caper jedoch sagt, es laute ‚lacessi‘, wie ‚facessi‘, und bringt einen Beleg aus Lucilius bei, den dieser in Buch XIV hat:

    Hat denn etwa der alte Cato …, weil er sich … nicht bewusst war?

    Es kann aber ‚lacessisse‘ durch Synkope der Silbe ‚vi‘ gebildet sein, wie wir ‚cupisse‘, ‚petisse‘ statt ‚cupivisse‘ und ‚petivisse‘ sagen. 461–62 Nonius: Eine denkwürdige Einsicht der alten Autoren pflegte den Mengenbegriff ‚Wenige‘ für die Guten zu setzen; die Schlechten nannten sie dagegen ‚die Vielen‘.

    … sich nicht lieber nur von Wenigen, aber Verständigen anerkannt sehen zu wollen als über all die zu Schatten gewordenen Toten zu herrschen.

    sche Formel, mit der die Schuld des Angeklagten festgestellt wird; s. CIL I 198,42; Cic. Att. 4,17,5, Verr. 2,5,14, Caec. 73, Pis. 97. Vgl. vor allem Ciceros Vorwort zu De republica, bes. 1,4 –10 (Gefahren politischer Tätigkeit). S. Krenkel I 76; Winkelsen 2012, 250. 459–60: Marx’ (II 178 f.) wie auch anderer Editoren Heilungsversuche bleiben unsicher; vgl. Charpin II 231 f. zu Fr. 10. lacessisse lässt etwa folgenden Sinn vermuten (Ders. a. O. 232): „Crois-tu que le grand Caton a sans cesse critiqué et repris ses contemporains (lacessisse), parce qu’il croyait échapper a tous les ennuis, parce que personellement (ipse) il avait la conviction intime (conscius ipse sibi) que personne ne l’attaquerait en justice (appellari: terme juridique désignant l’inculpation cf. Cic., off. 1, 39). La sagesse exige un engagement total dans la société.“ (Dort auch zur möglichen Skansion Catō.): – Krenkel (zu Fr. 480–81), der Marx’ weitgehende Konjektur übernimmt, hält einen Zusammenhang mit der bei Horaz (sat. 1,2,31–35) erzählten Anekdote für denkbar. – Ausführliche Diskussion des Fr. bei Winkelsen 2012, 358–360.

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    LIBER XIV

    463–64 (474 –75) Non. 184,12: ‚Viscus‘ positum pro viscera. … Lucilius Satyrarum lib. XIV: Non. 470,29: ‚Largi‘ pro largire. Lucilius lib. XIV [quod viscus … largi].

    ‚idne aegre est magis, an quod pane et viscere privo?‘ ‚quod viscus dederas tu quidem, hoc est: viscera largi.‘

    aegre J. Dousa : aegri codd. : viscera codd. : vicere G

    465 (473) Non. 220,17: ‚Prosecta‘, exta quae aris dantur ex fibris pecudum dissecta, sunt generis neutri. … feminino Lucilius lib. XIV:

    ‚cenam‘, inquin, ‚nullam neque divo prosectam ullam?‘ inquin Marx : inquit codd. | prosectam BA, Mariotti SIFC 29 (1957) 255–257 : prosecam L1 : prosiciem Scaliger, Marx

    → fr. 1232 ? 466–67 (464 –65) Non. 533,25: ‚Cercyrus‘ navis est Asiana pergrandis. … Lucilius Satyrarum lib. VIII [fr. 317–18]. idem lib. XIV:

    ‚ad regem legatus, Rhodum, Ecbatanam ac Babylonem ibo, cercurum sumam.‘

    Ecbatanam H² : et batanam codd. | sumam codd. : summam BA

    461–62: Achill hätte selbst ein Leben in Armut und Mühsal einer prominenten Rolle im Hades vorgezogen. M. E. ergibt sich kein vergleichbarer Gegensatz, wenn man pauci ac sa­ pientes auf die Philosophen bezieht, die sich gegen Beteiligung an der Politik wenden (Warmington Fr. 491–92), oder auf den von Lucilius gewünschten Leserkreis (Puelma Piwonka 80 unter Verweis auf B. XXVI Fr. 671 – 674; vgl. Hor. sat. 1,10,74, ars 419– 452; hierzu kritisch Bagordo 2001, 30 f.), oder auf das collegium poetarum (Krenkel zu Fr. 464 –65). Andere Fragmente dieses Buches (besonders s. o. Fr. 457–58) lassen auf einen Disput über Für und Wider politischen Engagements schließen (ähnlich auch Winkelsen 2012, 143, der aber ansonsten Krenkel folgt). Wenn mit den Wenigen die für das Gemeinwesen Engagierten gemeint sind – vgl. auch Fr. 448 –, könnte der Sinn etwa sein: „(Eine Entscheidung für eine vita quieta hieße), lieber Herrscher über Schattenexistenzen sein zu wollen (vgl. Sall. Cat. 2,8) als von den wenigen Kundigen anerkannt zu werden“ (was unausgesprochen impliziert: sich auch unter Inkaufnahme von Gefahren und Verunglimpfungen politisch betätigen zu wollen, vgl. Fr. 457–58 und Erl.). So gesehen, zitiert Lucilius wahrscheinlich sein Idol Scipio, der seinerseits gern Homer im Munde führte (s. Marx II 171). Scipios Freund Laelius belegt mit seinem Beinamen Sapiens (hierzu K. L. Elvers: Art. Laelius, C. [I.2], in: DNP 6 (1999) 1056) die Anwendung des Terminus auf Politiker. 463–64: „Eine der verzweifeltsten Stellen im ganzen Lucilius“ (Cichorius 325–327, hier: 325). „Das Fragment ist mir unverständlich“ (Krenkel zu Fr. 478–79). Marx und andere bezogen das Fr. auf Scipios Maßnahmen vor Numantia. Doch scheitert das an Plut. reg. et imp. apophth. 201C und App. Ib. 54 (Brot und Fleisch, letzteres überreichlich, als Verpflegung der Soldaten). Cichorius denkt deswegen an eine öffentliche Fleischverteilung an das Volk (visceratio) und weist auf mögliche Maßnahmen zur Eindämmung von Übertreibungen hin,

    Buch XIV

    171

    463–64 Nonius 184: ‚Viscus‘ (Eingeweide, Innereien, Fleisch), gesetzt für ‚viscera‘. Nonius 470: ‚Largi‘ (spende) für ‚largire‘.

    „Ist das denn schlimmer, oder dass ich Brot und Fleisch entziehe?“ „Wenn du jedenfalls Fleisch gegeben hattest, so ist das (nun einmal, wie es ist?): Verteile reichlich Fleisch!“

    465 Nonius: ‚Prosecta‘ (Abgeschnittenes), Innereien, die, aus den Eingeweiden der Tiere herausgetrennt, auf die Altäre gelegt werden, sind von Geschlecht ein Neutrum. … im Genus femininum Lucilius Buch XIV:

    „kein Mahl“ sagst du, „auch keine Opfergabe für den Gott?“

    466–67 Nonius: ‚Cercyrus‘ ist ein sehr großes asiatisches Schiff. … Zum cercurus, in Wirklichkeit einem leichten und schnellen Schiff, s. oben zu Fr. 317–18.

    „Zum König werde ich als Gesandter gehen, nach Rhodos, Ecbatana und Babylon, einen Schnellsegler werde ich nehmen.“

    weswegen dieses und das folgende Fr. wohl eher zu den Fragmenten politischen Inhalts gehören. – ‚das‘: muss sich auf zuvor Ausgeführtes beziehen; ‚entziehe‘: vermutlich im Sinne von ‚einschränke‘. – tu quidem hoc liest als Anapäst F. Bücheler, ArchLLG 3 (1886) 145; vielleicht doch eine Korruptele, die den Sinn verdunkelt? „It is difficult to accept tŭ quidem in spite of Buecheler Arch. lex. Lat. III, 145 and in spite of the two references in Nonius“ (Warmington zu Fr. 487–8). – An anderes ‚Fleisch‘ (die Dirnen, die Scipio aus dem Lager verbannte,) denkt Krenkel (zu Fr. 478–79). 465: prosectam ullam: Spondeus im 5. Versfuß wie Fr. 127. 1054. 1177. – Zur Deutung des Verses s. Cichorius 327 f. in Fortsetzung der Erl. zum vorausgehenden Fr.: „Es könnte also der Sprecher beispielsweise ein Gesetz beantragt haben, das, ganz im Sinne jener Zeit, auf verschiedenen Gebieten das übermäßige Überhandnehmen von allen möglichen Gastmählern und Bewirtungen zu beschränken versuchte und bei Lucilius der Antragsteller selbst Einwände gegen einzelne Bestimmungen seines Antrags widerlegen.“ – Krenkel (I 77) interpretiert das Fr. in den ‚Somnia‘ als dreiste Frage eines Soldaten nach dem Verbot von Schmausereien durch den Feldherrn (s. vorausgehendes Fr.). Abwägend Winkelsen 2012, 203 f. 466–67: Es handelt sich nicht um eine offizielle Gesandtschaftsreise, aus inhaltlichen Gründen erst recht nicht um Scipios Reise 140 v. Chr. (Marx II 171–173), sondern um eine legatio libera, mit deren Verfügung der Senat des Öfteren eine missliebig gewordene Persönlichkeit aus der Schusslinie brachte (detailliert Cichorius 320–325). – ad regem: vermutlich Ptolemaeus, von dem vorher die Rede gewesen sein dürfte; erstes Reiseziel also Ägypten. – Wahrscheinlich lässt der Dichter so einen Politiker sprechen, der die Frage politischer Verantwortung auf die leichte Schulter nimmt. Haß stellt fest (2001, 158291): „Eindeutig handelt es sich hier … um eine Geschäftsreise.“ Aber das scheitert m. E. an legatus.

    172

    LIBER XIV

    *468 (466) Serv. auct. georg. 4,387: Carpathium mare inter Rhodum et Alexandriam appellatum esse dicitur a Carpatho insula, ut Lucilius:

    Carpathium mare transvectus cenabis Rhodi.

    lib. XIV trib. Mueller. – Carpathium edd. : carpatium codd.

    → fr. 1286 ? 469–70 (467–68) Non. 18,24: ‚Nebulones‘ et tenebriones dicti sunt, qui mendaciis et astutiis suis nebulam quandam et tenebras obiciant aut quibus ad fugam et furta haec erant accomodata et utilia. … Lucilius Satyrarum lib. XIV:

    ‚Publius Pavus mihi Tubitanus quaestor Hibera in terra fuit, lucifugus, nebulo, id genus sane.‘

    mihi tubitanus G : mihi turbitanus L : mihi Tuditanus F. Dousa : Tuditanus mihi Bouterwek : mihi † tubitanus Marx, coni. mihi Bubetanus

    471–72 (469–70) Macr. Sat. 6,4,2: Ut ecce ‚addita‘ pro inimica et infesta: quis non aestimet poetam arbitrio suo novum verbum sibi voluisse fabricari? sed non ita est. nam quod ait: ‚nec Teucris addita Iuno usquam aberit‘, id est ‚affixa‘ et per hoc ‚infesta‘, hoc iam dixerat Lucilius in libro quarto decimo his versibus:

    Cf. Serv. Aen. 6,90: ‚Addita Iuno‘] Inimica. est autem verbum Lucilii et antiquorum.

    ‚si mihi non praetor siet additus atque agitet me, non male sit: ille, ut dico, me exenterat unus.‘

    exenterat Eyssenhardt : extenterat codd.

    473 (471) Non. 481,16: ‚Libertatem uti‘ pro uti libertate. … Lucilius Satyrarum lib. XIV:

    ‚quem metuas saepe, interdum quem utare libenter.‘

    468: Carpathium mare: Servius auctus ist ungenau; korrekt Strabon (10,5,13): der Nordteil des Ägyptischen Meeres zwischen Kreta und Kleinasien. – cenabis Rhodi: Charpin (II 235 zu Fr. 17) vermutet sprichwörtlichen Charakter (für: wirst Du in Sicherheit sein). – Schildert Lucilius die Reise, die der Sprecher des Fr. 466–67 sich vorstellt, im Detail, dann vermutlich mit ironischem Kommentar? 469–70: Der Quaestor kann nicht identifiziert werden. – Der Sprecher kann nicht Scipio gewesen sein, wie Marx II 175 f. annahm; denn dessen Quaestor war sein Neffe Q. Fabius Maximus (Val. Max. 8,15,4; App. Ib. 84). Es kommt nur ein Statthalter einer der beiden spa-

    Buch XIV

    173

    468 Servius auctus: Das Karpathische Meer zwischen Rhodos und Alexandria soll nach der Insel Karpathos benannt worden sein, …

    Hast du das Karpathische Meer durchquert, wirst Du in Rhodos speisen.

    Erinnerungen an die Zeit in Spanien 469–70 Nonius: ‚Nebulones‘ (Windbeutel) und ‚tenebriones‘ (lichtscheue Gesellen) nennt man Leute, die ihre Lügen und Ränke hinter Nebel und Dunkelheit verstecken oder denen dies zu Flucht und Diebstahl dienlich und nützlich war.

    „Publius Pavus Tubitanus war mein Schatzmeister im Lande Spanien, ein lichtscheuer Geselle, ein Windhund, ganz dieser Schlag.“

    471–72 Macrobius: Wie, siehe da!, ‚addita‘ (beigegeben) für ‚inimica‘ (feindlich) und ‚infesta‘ (feindselig): Wer wüsste es nicht zu würdigen, wenn ein Dichter nach seinem Gutdünken sich ein neues Wort hat bilden wollen? Aber es verhält sich nicht so. Denn wenn er sagt (Verg. Aen. 6,90): „Nie wird die den Teucrern feindliche Juno jemals weichen‘, d. h. ‚affixa‘ (angeheftet) und deswegen ‚infesta‘ (feindselig), so hatte das schon Lucilius im vierzehnten Buche in folgenden Versen formuliert: Servius: ‚Addita Iuno‘] feindselig. Es ist aber ein Wort des Lucilius und alter Schriftsteller.

    „Wenn nicht der Praetor im Nacken mir säße und mich auf Trab hielte, wär’ es nicht übel: Jener allein, sag’ ich dir, raubt mir den Nerv.“

    473 Nonius: ‚Libertatem uti‘ für ‚uti libertate‘ (Freiheit nutzen). …

    „(ein Mann,) den du oft fürchtest, in dessen Gesellschaft du aber (auch) manchmal gern bist.“

    nischen Provinzen vor Scipio in Frage, vielleicht sein und des Dichters Freund C. Laelius, der 145 v. Chr. als Praetor in der Hispania citerior amtierte; s. insgesamt Cichorius 317–319, der außerdem Scipios Bruder Q. Fabius Aemilianus und L. Furius Philus in Betracht zieht. 471–72: Hier kommt umgekehrt der Quaestor zu Wort (Cichorius 319): „Wir werden uns … die Sache wohl so vorzustellen haben, dass … der ehemalige Feldherr im Verlaufe seiner Erzählung die Worte anführte, die jener sein Quästor bei einer bestimmten Gelegenheit … geäußert hatte.“ 473: Ebenfalls Worte des Quaestors über seinen Vorgesetzten?

    174

    LIBER XIV

    474 (472) Don. Ter. Phorm. 184: ‚Punctum‘ pro momento, ut Lucilius in XIIII:

    – puncto uno horae qui quoque invasit.  – 

    horae Baehrens : hora et codd.

    → fr. 1298 ? 475 (476) Non. 17.22: ‚Gradarius‘ est molli gradu et sine succussatura nitens. Lucilius Satyrarum lib. XIV:

    ipse ecus, non formonsus, gradarius, optimus vector.

    ecus L : equus G | formonsus L1 : formosus L² G | vector Iunius : victor codd.

    476 (477) Char. GL 1,92,31: Calx igitur, sive qua calcamus sive qua aedificamus, feminini generis est, ut et Vergilius (Aen. 11,714) ait ‚ferrata calce fatigat‘. sed et Lucilius XIIII masculino genere dixit.

    474: wtl.: ‚zum beliebigen Zeitpunkt einer Stunde‘. – Wegen der Spanienthematik in diesem Buche ist mit ziemlicher Sicherheit – vgl. App. Ib. 67 – von dem Lusitaner Viriatus die Rede; s. Cichorius 33 f. (allzu skeptisch m. E. Charpin II 234 zu Fr. 14), über die Person D. Rohmann: Art. Viriatus, in: DNP 12/2 (2002) 244.

    Buch XIV

    175

    474 Donatus: ‚Punctum‘ (Punkt) für ‚Augenblick‘, wie Lucilius in Buch XIV:

    der zu jeder Tages- und Nachtzeit überfallartig angreifen konnte.

    475 Nonius: ‚Gradarius‘ (Schritt für Schritt gehend) meint mit weichem Schritt und ohne Stoß auftretend.

    (dann) das Pferd selbst, kein rassiges Tier, (aber) ein Passgänger, ein aus­ gezeichnetes Reitpferd.

    476 Charisius: Calx also, sei es womit wir treten (Ferse), sei es womit wir bauen (Kalk), ist femininen Geschlechts, wie auch Vergil (Aen. 11,714) sagt: ‚mit eisen­ bewehrter Ferse spornt er (das Pferd) an.‘ Aber auch Lucilius Buch XIV hat es im maskulinen Geschlecht gebraucht.

    475: Ein spanisches Pferd (vgl. Plin. nat. 8,166), vielleicht im Zusammenhang mit einem Auftritt des Viriatus beschrieben (Cichorius 34 –36). – S. weiter (auch zur vermuteten Einordnung des Fr. 1298) Haß 2007, 136.

    LIBER XV Warmington verteilt die Fragmente dieses Buches auf die Themen ‚(A) On horses‘ und ‚(B) Philosophy cures superstition‘, Krenkel auf die Themen ‚Aberglauben‘, ‚Warnung vor Lastern‘ (mit dem Vermerk [I 78]: „Ein rechter Zusammenhang will sich nicht ergeben.“) und ‚Lob eines Pferdes‘ (mit einem ‚Somnium‘ [I 78], das für diese Thematik der Wahrheit vielleicht recht nahe kommt), Charpin erkennt (II 67) „quelques centres d‘interêt“ des Dichters und macht darauf aufmerksam (II 68 n. 2), dass mannigfache Gegenüberstellungen das Buch durchziehen. Mit anderen Worten: der Versuch, hier Satiren gegeneinander abzugrenzen und ihre innere Struktur wenigstens in den Grundzügen zu erschließen, will nicht gelingen. 477–80 (480–83) Non. 533,11: ‚Corbita‘ est genus navigii tardum et grande. … Lucilius Satyrarum lib. XV:

    multa homines portenta in Homeri versibus ficta monstra putant, quorum in primis Polyphemus ducentos Cyclops longus pedes, et porro huic maius bacillum quam malus navi in corbita maximus ulla.

    versibus ficta Roth : versi ficta L A A CA : versus ficta DA : versificata BA | Polyphemus edd. : polyfemus codd. | ducentos codd. : ducendos L | baccillum edd. : bacchillum codd. | navi in corbita maxima ulla J. Dousa : navis in corbita maximus ulla codd. : navi e corbita maximus ullast CIL 8,27790 = Mosaik von Althiburos (cf. A. Mazzarino, Maia 3 [1950] 137s.), Marx

    → fr. 1209–10 ? 481–86 (484–89) Lact. inst. 1,22,13: Reliquit ergo posteris Faunus quoque non parum erroris, quem tamen prudentes quique perspiciunt. nam Lucilius eorum stultitiam, qui simulacra deos putant esse, deridet his versibus: Lact. epit. 22: Ideo Lucilius deridens ineptias istorum, qui vanis superstitionibus serviunt, hos versus ponit: Non. 55,26: ‚Infans‘ a non fando dictus est. … et est quod aut dici non debeat aut fari non possit; nam et infantes usque eo appellandi sunt, donec coeperint fari. Lucilius lib. XIX [fr. 563] et XV [ut pueri … homines].

    477–80: ‚zweihundert Fuß‘: für ‚überaus groß‘, vgl. Hom. Od. 9,190–192; Stöckchen: ironisiert 9,319–324. – ‚(wirkliche) Ungeheuer‘: vgl. V. 484 f. sic isti somnia ficta vera putant. Anders Krenkel (Fr. 482–85): „hält auch das Volk für erdichtete Fabelgestalten“. – Diese Verse „scheinen den Anfang einer Satire gebildet zu haben“ (Krenkel). 481–86: Lamiae: s. S. I. Johnston: Art. Lamia, DNP 6 (1999), 1079 f. – Zu Numa Pompilius als Einrichter von Kulten und Riten s. Liv. 1,20. – Fauni Pompiliique … Numae: generali-

    Buch XV Ich begnüge mich damit, die Fragmente folgenden Stichworten zuzuordnen, wobei die Reihenfolge wieder einmal willkürlich bleiben muss: Aberglauben (Fr. 477 bis 488) – Teuerung, Wucher (?), Armut (Fr. 489 bis 496) – Realitätssinn gegen Popularphilosophie (?) (Fr. 497 bis 500) – Pferde (Fr. 501 bis 508) – Nicht einzuordnen (Fr. 509 bis 513). Bemerkt sei noch, dass der Anteil dialogisch geprägter Fragmente hoch ist. Meist ist jedoch nicht entscheidbar, ob Lucilius oder eine andere Person spricht, weswegen auf Anführungszeichen zur Kennzeichnung von Interlokutoren verzichtet wurde. Aberglauben 477–80 Nonius: ‚Corbita‘ (Lastschiff, Korvette) ist eine langsam fahrende und bauchige Schiffsart.

    Viele in Homers Versen ersonnene Phantasiegestalten sind in den Augen der Leute (wirkliche) Ungeheuer, allen voran der zweihundert Fuß hohe Kyklop Polyphem, und weiter sein Stöckchen, größer als der größte Mast auf irgendeinem Lastschiff.

    481–86 Laktanz (inst.): Es hinterließ also der Nachwelt auch Faunus nicht wenig Irriges, was dennoch alle Verständigen durchschauen. Denn Lucilius verspottet die Torheit derer, die Bildnisse für Götter halten, mit folgenden Versen: Laktanz (epit.): Deshalb verfasste Lucilius, die Albernheiten derer verspottend, die sich von nichtigen Phantastereien bestimmen lassen, die folgenden Verse: Nonius: ‚Infans‘ (kleines Kind) heißt so nach seiner Unfähigkeit zu sprechen. … Und zwar ist es das, was entweder nicht gesagt werden darf oder nicht sprechen kann; denn auch die kleinen Kinder müssen so lange (infantes) genannt werden, bis sie zu sprechen anfangen.

    sierender Plural, vgl. Enn. ann. 207 Sk. – hic omnia ponit: Vgl. Iuv. 13,86 sunt in fortunae qui casibus omnia ponant, s. auch Lucil. Fr. 547– 48; „quae locutio a re aleatoria videtur esse deducta …“ (Marx II 180). – pictorum: weniger wahrscheinlich ‚von Malern‘. – Eine vergleichbare Polemik gegen Aberglauben übt Lukrez (2,53–58). – S. auch Haß 2007, 74 f.

    178

    LIBER XV

    terriculas, Lamias, Fauni quas Pompiliique instituere Numae, tremit has, hic omnia ponit. ut pueri infantes credunt signa omnia aena vivere et esse homines, sic isti somnia ficta vera putant, credunt signis cor inesse in aenis: pergula pictorum, veri nihil, omnia ficta. ut codd. Lact. : et codd. Non. : somnia Lachmann : omnia codd. | aenis edd. : ahenis vel haenis codd. | pictorum codd. : fictorum Marx | ficta codd. : picta T epit.

    487–88 (493–94) Non. 1,2: ‚Senium‘ est taedium et odium: dictum a senectute, quod senes omnibus odio sint et taedio. … (6) nam ‚aetatem malam‘ senectutem veteres dixerunt. … (2,14) senium ipsum positum sic. … Lucilius Satyrarum lib. XV:

    in numero quorum nunc primus Trebellius multost Lucius; nam arcessit febris, senium, vomitum, pus.

    primus codd. : primum CA | multost Lucius Lachmann : multos titos lucios codd. | nam arcessit Mueller : narcessibai L CA : narcesibai BA : narce, saeva i Marx | pus Aldina : plus codd.

    489–90 (499–500) Non. 213,21: ‚Medimnum‘ generis neutri. masculini Lucilius Satyrarum lib. XV:

    praeter quam in pretio: primus semisse, secundus nummo, tertius iam pluris quam totus medimnus.

    semisse edd. : seminisse L : seminis F³ BA | pluris Iunius : plures codd. : plurest Mueller

    491–92 (497–98) Non. 397,25: ‚Sacrum‘ etiam scelestum et detestabile … Lucilius Satyrarum lib. XV:

    ac de isto sacer ille tocoglyphos ac Syrophoenix quid facere est solitus?

    isto edd. : istos codd. | ille tocoglyfos ac syrophoenix Roth : illotocolfo saxiro fenix (phoenix B) L G

    493 (492) Non. 124,17: ‚Inuncare‘, quasi unco invadere et arripere. Lucilius lib. XV:

    –   –   aut qui nummos tristis inuncat. aut G : at L | inuncat codd. : inungat L1 487–88: L. Trebellius (sonst unbekannt) ein Zauberer, womit das Fr. unter dem Aspekt des Aberglaubens mit den beiden vorausgehenden zusammengehören könnte? (Krenkel zu Fr. 486–87, ihm folgt Haß 2007, 75) oder einfach ein ‚Ekelpaket‘? (Charpin II 239 zu Fr. 8). 489–90: Ein griechischer Scheffel (μέδιμνος) umfasst 6 römische Scheffel (modii) von je 8,754 l; 1 Sesterz = 2 ½ As. – ‚(kostete) schon mehr‘: Es bleibt unklar, ob im Vergleich zum ersten oder zweiten modius. Unbekannt bleibt auch die Ware. Für Weizen wären die Preisan-

    Buch XV

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    Die Schreckgespenster, die Hexen, die unsere Fauni und Numae Pompilii einführten, vor denen erschauert er, auf ihr Wirken setzt er alles. Wie unmündige Kinder glauben, alle Standbilder aus Erz lebten und seien wirkliche Menschen, so halten diese da Traumbilder für wahr, glauben sie, in Statuen aus Erz schlage ein Herz: (bloß) eine Galerie von Malereien (ist das), nichts Reales, alles erfunden.

    487–88 Nonius: ‚Senium‘ (hohes Alter) bedeutet Überdruss und Widerwille: gesagt vom Alter, weil Greise bei allen Abneigung und Überdruss erregen. … denn die alten Autoren bezeichneten das Alter als ‚schlimmes Lebensalter‘. … ‚Senium‘ selbst ist so verwendet. …

    … unter denen jetzt Lucius Trebellius sich bei weitem hervortut; denn er führt Fieberanfälle, Kräfteverfall, Erbrechen, Eitergeschwüre herbei.

    Teuerung, Wucher (?), Armut 489–90 Nonius: ‚Medimnum‘ (Scheffel, μέδιμνος), ein Neutrum. Als Masculinum …

    außer im Preis: der erste modius für ein halbes Ass, der zweite für einen Sesterz, der dritte (kostete) schon mehr als ein ganzer Scheffel.

    491–92 Nonius: ‚Sacrum‘ (heilig) auch ‚verrucht‘ und ‚verabscheuenswert‘.

    Und was das betrifft, was pflegte jener verruchte Geldeintreiber und Syrophönizier zu tun?

    493 Nonius: ‚inuncare‘ (mit Haken ergreifen), gleichsam mit einem Haken attackieren und an sich reißen.

    … oder der die Münzen mit mürrischer Miene aufklaubt.

    gaben nicht ungewöhnlich. Marx (II 186) denkt deswegen an Dinkel oder Gerste; s. ferner Charpin II 239 zu Fr. 9. 491–92: τοκογλύφος, „One who marks down his interest …; usurer“ (Liddell-Scott, Gr.Engl. Lex. s. v.). – Syrophoenix: Synonym für einen Geizigen, vgl. Firm. 1,3,3. 3,32. 26,34. 493: ein Geldverleiher? S. Marx II 183.

    180

    LIBER XV

    494–95 (501–2) Non. 445,13: ‚Acerosum‘ et ‚aceratum‘, utrumque nove positum, sed distanti proprietate signatum. ‚acerosum‘ namque panem farre minus purgato nec sordibus a candido separatis dicendum veteres putaverunt. Lucilius lib. XV: –fr. – . hunc Graeci αὐτόπυρον vocant. ‚aceratum‘ vero est lutum paleis mixtum, ut laterariis usus est. Lucilius lib. IX [fr. 326–27].

    Paul. Fest. p. 85,8: [Gallam … ventri] cum ait Lucilius, praemonet parsimonia esse utendum neque gulae indulgendum ventremque coartandum.

    quae gallam bibere ac rugas conducere ventris farre aceroso, oleis, decumano pane coegit. bibere codd. Paul. : vivere codd. Non. | ventris codd. Non. : ventri codd. Paul. | oleis Lindsay : olei codd. : oleo Iunius | decumano pane Turnebus, Charpin : decumano pane cumano codd.

    496 (496) Char. GL 1,96,9: ‚Alicam‘ sine adspiratione dictam Verrius tradit, et sic multi dixerunt; quamvis Lucilius XV

    –   – nemo est halicarius posterior te.

    cum adspiratione dixerit.

    praeterea add. Brakman Mnemosyne 60 (1933) 442 | halicarius ed. pr. : halicaribus N

    497 (495) Non. 536,15: ‚Tunica‘ est vestimentum sine manicis. … Lucilius Satyrarum lib. I [fr. 18]. idem lib. XV: scit ποιητικὸν esse, videt tunica et toga quid sit. ποιητικόν Iunius : poeticon codd. : poeeticon Marx | tunica Iunius : tunicam codd.

    498 (514) Non. 22,7: ‚Cerebrosi‘ dicuntur ad insaniam faciles, quibus frequenter cerebrum moveatur. Lucilius Satyrarum lib. XV:

    te primum cum istis, insanum hominem et cerebrosum,

    494 –95: quae: Das Bezugswort kann z. B. fames, egestas, parsimonia, oder auch lex (so Krenkel zu Fr. 506–07) gewesen sein. – ‚riesig‘: decumanus = ingens, vgl. Fr. (1141–)46. 1285. 1289. 1307. – Verschiedene Deutungen diskutiert Haß 2007, 148230. 496: halicarius: „pro homine sordido et rustico“ (Marx II 185) wie hordearius Suet. gramm. 26, alicaria (von einer Dirne) Plaut. Poen. 266; s. Cichorius 294. Speltgraupen wurden lt. Plin. nat. 18,112 in Kampanien angebaut. – posterius wtl.: ‚hinter einem (dem Range nach)‘. 497: ‚gestalterisch‘: ποιητικόν im Unterschied zu θεωρητικόν und πρακτικόν, den drei Klassen der τέχναι / artes; s. nur Diog. Laert. 3,84 und Quint. inst. 2,18,1. – „Lucilius met

    Buch XV

    181

    494 –95 Nonius: ‚Acerosum‘ (voll Spreu) und ‚aceratum‘ (mit Spreu vermischt). Beides ist unüblicher Wortgebrauch, aber durch unterschiedliche Bedeutung gekennzeichnet. Die Alten meinten nämlich Brot ‚acerosus‘ (voll Spreu) nennen zu sollen, wenn das Mehl zu wenig gereinigt und Abfälle nicht vom weißen Mehl getrennt wurden: – Fr. –. Die Griechen nennen dieses Brot αὐτόπυρος (aus dem ganzen Weizenmehl). ‚Aceratum‘ (mit Spreu vermischt) dagegen ist mit Spreu vermengter Lehm, wie ihn die Ziegelstreicher brauchen. Lucilius Buch IX [Fr. 326–27]. Paulus, epitome Festi: Wenn Lucilius ‚gallam … ventri‘ sagt, zeigt er an, dass es gilt, Sparsamkeit zu üben und seiner Kehle nicht zu Willen zu sein und seinen Bauch knapp zu halten.

    …, die sie zwang, herben Wein zu trinken und den Bauch bei(m Verzehr von) spreureichem Spelt, Oliven, einem riesigen Brot in Falten zu legen.

    496 Charisius: Dass ‚alicam‘ (Speltgraupen) ohne Aspiration gesprochen wurde, berichtet Verrius, und so sprachen es viele aus, wenngleich Lucilius Buch XV

    Kein Graupenesser steht tiefer als du.

    (alicarius) mit ‚h‘ gesprochen hat.

    Realitätssinn gegen Popularphilosophie? 497 Nonius: ‚Tunica‘ (Hemd) ist ein Kleidungsstück ohne Ärmel.

    Er weiß, dass es gestalterisch ist, er erkennt den Unterschied zwischen Tunica und Toga. 498 Nonius: ‚Cerebrosi‘ (Hirnwütige) heißen Menschen, die zu Tollheit neigen, weil ihr Gehirn oft erschüttert wird.

    dich zuerst mit deinesgleichen, du verrückter und toller Kerl, …

    en scène un philosophe qui vient de faire ses classes … Apparemment le poète se moque des exercices de définitions …“ (Charpin II 243 zu Fr. 14). – Anders stellen Warmington (zu Fr. 542) und Raschke (1976, 87) das Fr. zu Fr. 491–92. Gegen eine Zusammenstellung mit Fr. 477–80 und 481– 486 (so Haß 2007, 74135) spricht der Singular des Subjekts. In ganz andere Richtung – Auffassung von ποιητικόν als ‚dichterisch‘, Verhältnis von Dichtung und Wahrheit – geht Krenkel (zu Fr. 499); s. auch Winkelsen 2012, 148. 498: „Supplendum ‚di perdant omnes‘“ (Marx II 191) – cerebrosus auch bei Hor. sat. 1,5,21, woraus Fiske (1920, 307) aber wohl zu weitgehende Folgerungen zieht. – Der Zusammen-

    182

    LIBER XV

    499–500 (515–16) Non. 537,5: ‚Paenula‘ est vestis quam supra tunicam accipimus. … Lucilius Satyrarum lib. XV:

    paenula, si quaeris, cantherius, servus, segestre utilior mihi quam sapiens.

    501–3 (506–8) Gell 1.16.6–13: In his atque in multis aliis ‚mille‘ numero singulari dictum est; neque hoc, ut quidam putant, vetustati concessum est aut per figurarum concinnitatem admissum est, sed sic uidetur ratio poscere. ‚Mille‘ enim non pro eo ponitur, quod Graece χίλιοι dicitur, sed quod χιλιάς, et sicuti una χιλιάς et duae χιλιάδες, ita ‚unum mille‘ et ‚duo milia‘ certa atque directa ratione dicitur. Quamobrem id quoque recte et probabiliter dici solitum ‚mille denarium in arca est‘ et ‚mille equitum in exercitu est‘. Lucilius autem, praeterquam supra [i.e. fr. 125] posui, alio quoque in loco id manifestius demonstrat; (11) nam in libro XV ita dicit: –fr. –. item in libro nono [fr. 329]. (13) ‚milli passum‘ dixit pro ‚mille passibus‘ et ‚uno milli nummum‘ pro ‚unis mille nummis‘ aperteque ostendit ‚mille‘ et vocabulum esse et singulari numero dici eiusque plurativum esse ‚milia‘ et casum etiam capere ablativum. Macr. Sat. 1,5,7: Lucilius in IIII [recte: in III, v. fr. 125] Satirarum … alibi vero etiam declinationem huius nominis exsecutus est. nam in libro quinto decimo ita dicit: Non. 16,26: ‚Succussare‘ est susum frequenter excutere. … Lucilius Satyrarum lib. IV [fr. 158]. idem lib. XV [Campanus … sequetur].

    hunc, milli passum qui vicerit atque duobus Campanus sonipes succussor, nullus sequetur maiore in spatio, ac diversus videbitur ire.

    hunc codd. : nunc R Gell. | milli β ‘Gell. P Macr. | succussor codd. Non. : subcursor codd. Macr. : succustior codd. Gell. | nullus codd. : nullos B Macr. | in spatio codd. : spatio codd. Macr. | ire codd. Macr. : om. codd. Gell.

    504 (509) Gell. 4,17,1: Lucilii ex XI versus sunt [fr. 410–11]. ‚obiciebat‘ o littera producta multos legere audio, idque eo facere dicunt, ut ratio numeri salva sit. idem infra [fr.

    hang, den Marx mit den Fragmenten 501 bis 507 herstellt, ist nur einer von vielen möglichen; s. etwa Gärtner 2008, 176 mit Anm. 39. 499–500: „Paenula … utebantur ad imbrem defendendum“ (Marx II 192). – sapiens: Die Opposition zu den Gebrauchsgegenständen lässt vermuten, dass hier ein praktisch denkender Mensch philosophische Lehren verächtlich als lebensfremd abtut. Zur negativen Konnota­ tion von sapiens s. Haß 2007, 83.

    Buch XV

    183

    499–500 Nonius: ‚Paenula‘ (ein rundes und geschlossenes Oberkleid) ist ein Kleidungsstück, das wir über die Tunica ziehen.

    Ein Regenumhang, wenn du’s wissen willst, ein Wallach, ein Sklave, eine Decke nützen mir mehr als ein Klugschwätzer.

    Pferde 501–3 Gellius: Bei diesen und vielen anderen Autoren wurde ‚mille‘ (tausend) im Singular gesagt, und das wurde nicht, wie manche glauben, der alten Zeit zugestanden oder zugunsten einer harmonischen Struktur der Figuren zugelassen, sondern so scheint es sprachliche Logik zu verlangen. Denn mille wird nicht für Griechisch χίλιοι (tausend) gesetzt, sondern für χιλιάς (Anzahl von Tausend), und wie ‚eine χιλιάς‘ und ‚zwei χιλιάδες‘, so heißt es einleuchtender- und logischerweise unum mille und duo milia. Deshalb pflegte auch richtig und billigerweise ‚eine Tausend-Einheit von Denaren liegt im Kasten‘ und ‚eine Tausend-Einheit von Reitern dient im Heer‘ gesagt zu werden. Lucilius aber zeigt das, über das oben [s. Fr. 125] Angeführte hinaus , auch an anderer Stelle; denn in Buch XV formuliert er so: – Fr. –. ebenso im neunten Buch [Fr. 329]. ‚milli passum‘ hat er gesagt für ‚mille passibus‘ und ‚uno milli nummum‘ für ‚unis mille nummis‘ und so unmissverständlich gezeigt, dass mille ein Substantiv ist und im Singular gebraucht wird und dass sein Plural milia heißt und auch den Kasus Ablativ annimmt. Macrobius: Lucilius in Buch IV [richtig: B. III, s. Fr. 125] der Satiren … Anderenorts hat er jedoch auch die Deklination dieses Wortes ausgeführt. denn im 15. Buch sagt er so: Nonius: ‚Succussare‘ (in die Höhe stoßen) meint ‚oft nach oben stoßen‘.

    Diesem Pferd wird kein kampanischer Schallfuß und Stößer über eine größere Strecke folgen können, mag er auch über (eine Distanz von) tausend und (auch noch) zweitausend Doppelschritten überlegen sein, und es wird aussehen, als bewege er sich rückwärts.

    504 Gellius: Aus Buch XI des Lucilius stammen die Verse [Fr. 410–11]. ‚obiciebat‘ lesen viele, so höre ich, mit langem ‚o‘, und zwar sagen sie, sie täten dies deswegen,

    501–3: ‚Diesem Pferd‘: einem spanischen gradarius wie B. XIV Fr. 475? – Der Pferdekenner Lucilius lässt sich wohl über Fragen der Eignung als Reitpferd aus; vgl. Marx II 188 f. – Zum Thema ‚Lucilius und die Pferde‘ Haß 2007, 135 f. 504: Die Übersetzung setzt se im Vers davor voraus. – ‚bietet … seinen Rücken‘: nml. zum Aufspringen des Reiters. Strabon (3,4,15) beschreibt diese besondere Dressurnummer spanischer Pferde.

    184

    LIBER XV

    424–25]. in hac quoque primi verbi praepositione o ob eandem causam producunt. item XV: – fr. –. ‚subicit‘ u littera longa legunt, quia primam syllabam brevem esse in versu heroico non convenit.

    subicit huic humilem et suffert citus posteriorem suffert citus Leo : suffercitus codd.

    505 (510) Non. 490,23: ‚Holerorum‘ pro holerum. Lucilius Satyrarum lib. XV:

    tintinnabulum abest hinc surpiculique holerorum.

    tintinnabulum codd. : tintinabulum L1 G

    506–7 (512–13) Non. 123,18: ‚Incitas‘ dicitur egestas. … Lucilius Satyrarum lib. III (fr. 121]. idem lib. XV: Non. 143,4: ‚Mediastrinos‘ non balnearum, sed ministros et curatores aedium legimus. Lucilius lib. XV [vilicum … bubulcum]. Non. 478,30: ‚Commanducatur‘. Lucilius lib. IV [fr. 160–161]. idem lib. XV:

    vilicum Aristocratem, mediastrinum atque bubulcum commanducatus conrupit, ad incita adegit.

    aristocratem codd. 143 478 : magistocraten codd. 123 : Aristocraten Marx | mediastrinum codd. 123 143 : meiastrinum codd. 479 | conrupit L1 G : ut conrupit codd.

    508 (511) Non. 22,24: ‚Postomis‘ dicitur ferrum quod ad cohibendam equorum tenaciam naribus vel morsui inponitur. Graece ἀπὸ τοῦ στόματος. Lucilius Satyrarum lib. XV:

    trulleus postomide huic ingens de naribus pendet.

    trulleus postomide Salmasius, Charpin : truleus codd. | stomide Salmasius, Marx, Mariotti 1960, 60s.

    505: ‚Korbpaar‘: immer zwei Körbe, die rechts und links vom Joch eines Lasttiers herunter­ hängen; vgl. Varro rust. 2,2,9, (vom Fischhändler:) Plaut. Capt. 814 f., Hor. epist. 1,18,36 (holitoris caballus). – ‚Glöckchen‘: um Kunden herbeizurufen. – Ist also die Rede von einem Tier – dem spanischen Pferd der vorausgehenden Verse? –, das, nicht unterjocht, in Freiheit lebt (Charpin II 237 zu Fr. 2)? Mehrere andere Deutungen bei anderen Interpreten. 506–7: Ein wild gewordenes Pferd wie bei Varro rust. 2,7,9? – Wohl Sklaven des Lucilius, obwohl strenggenommen nichts beweist, dass es sich um solche handelt, wie es bei Pacilius Fr. 578, Zopyrion Fr. 581, Metrophanes Fr. 576–77 und wohl auch Symmachus Fr. 112–13 der Fall ist. Auch muss Letzterer, der B. III mit dem Tode ringt, nicht mit dem hier namenlos bleibenden bubulcus identisch sein. – Lucilius scheint mir aber nicht ausdrücken zu wollen

    Buch XV

    185

    damit das Versmaß stimme. Derselbe weiter unten [Fr. 424 –25]. Auch in dieser Präposition des Anfangswortes längen sie aus demselben Grunde das ‚o‘. Ebenso Buch XV: – Fr. –. ‚subicit‘ (wirft unter) liest man mit langem ‚u‘, weil es nicht angeht, dass die erste Silbe im Hexameter kurz ist.

    Es wirft sich vor ihm hin (und macht sich so) klein und bietet ihm schnell seinen Rücken

    505 Nonius: ‚Holerorum‘ (der Kohlköpfe) statt holerum.

    Hier gibt es kein Glöckchen und kein Korbpaar mit Kohlköpfen.

    506–7 Nonius 123: ‚Incitas‘ heißt ‚bittere Armut‘. Nonius hat die Wortbildung nicht verstanden – s. Anm. bei Fr. 121.

    Nonius 143: ‚Mediastrinos‘ (Gehilfen, Hausburschen) begegnen uns (bei früheren Autoren) nicht als Badewärter, sondern als Hausdiener und –verwalter. Nonius 478: ‚commanducatur‘ (zerkaut).

    Den Gutsverwalter Aristocrates, den Hausburschen und den Ochsentreiber biss es zuschanden, setzte sie außer Gefecht.

    508 Nonius: ‚Postomis‘ (Mundstück) heißt das Eisen, dass, um den Eigensinn der Pferde im Zaume zu halten, in die Nüstern oder das Gebiss eingeführt wird. Griechisch „vom Maule“.

    Ein riesiger Futtersack – der Maulkorb – hängt ihm an den Nüstern (herab).

    – so Charpin (II 235 f. zu Fr. 1) –, dass die drei Opfer zu Tode kamen; corrumpere heißt ‚bis zur Unbrauchbarkeit beschädigen‘ (Georges, L-D Hwb. s. v.) – bei Sklaven liegt die Assoziation an ‚Arbeitsunfähigkeit‘ nahe –, und die Spiel-Metapher besagt zunächst auch nur Bewegungsunfähigkeit. 508: Mit Charpin (II 237 zu Fr. 2) behalte ich die Lesart aller Handschriften bei, die von Mariotti wie folgt verteidigt wird: postomis entstanden aus ἐπιστομίς durch Prokope des ‚e‘ und – eine Art Vulgäretymologie: die Präposition post schwebte nun vor – Vokaländerung zu Bedeutung ‚Maulkorb‘. – postomide hier Teil eines Ablativus absolutus, dessen Partizip, etwa dempta, am Ende des vorausgehenden Verses gestanden hat. Ist von dem bissigen Pferd – wenn es ein Pferd war – des vorausgehenden Fr. die Rede? S. auch Haß 2007, 137.

    186

    LIBER XV

    509 (503) Non. 447,5: ‚Ergastilum‘ et ‚ergastilus‘ ut genere ita intellectibus differunt. nam neutro carceris locus est, masculino custos poenalis loci. Lucilius lib. XV:

    non ergastilus unus

    et alius: ‚indicem adposuit, quasi ergastilum, ut nemo sententiam libere possit dicere.‘ indicem J. Dousa : iudicem codd.

    510–11 (504–5) Non. 537,32: ‚Palla‘ est honestae mulieris vestimentum, hoc est: tunicopallium. Lucilius Satyrarum lib. XV:

    cum tecum est, quidvis satis est; visuri alieni sint homines, spiram pallas redimicula promit.

    512–13 (490–91) Non. 344,34: ‚Meret‘, militat. Lucilius Satyrarum lib. XV:

    dum miles Hibera terrast atque meret ter sex aetatis quasi annos.

    hibera codd. : habera AA | terrast atque Lachmann : terras ac codd. | ter sex Iunius : tersa ex codd. | aetati‘ Lachmann : aetate codd. | ac m. … aetati Marx

    509: Der von Nonius mit et alius hinzugefügte Text zeigt, dass er wohl ergastilus missdeutet hat. Georges, L-D Hwb. zu ergastulum: „das (ländliche) Gefängnis, worin Sklaven, auch zuweilen Schuldner, zur Strafe eingesperrt und zu harter Arbeit angehalten wurden.“ – Marx (II 187 f.) stellte einen Zusammenhang mit Fr. 494 –95 her; berechtigte Zweifel bei Warmington (zu Fr. 543) und Charpin (II 241 zu Fr. 11). 510–11: (Zu Nonius:) Georges, L-D Hwb. s. v. palla: „ein langes, weites, bis auf die Füße herabgehendes, vorn offenes u. mit vielen Hefteln zusammengehaltenes Obergewand der röm. Frauen …“; s. v. tunicopallium: „ein Gewand, das die Eigenschaften der tunica mit denen des pallium in sich vereinigte.“ – ‚sie‘: die Ehefrau (Marx II 188; Charpin I 242 zu Fr. 13) oder eine Hetäre (Krenkel I 78; Haß 2001, 114; dies. 2007, 126); die palla (s. Nonius) spricht für die Ehefrau. Vgl. Iuv. 6,464 – 466 quando videri / vult formonsa domi? moechis foliata

    Buch XV

    187

    509 Nonius: ‚Ergastilum‘ (Gefängnis) und ‚ergastilus‘(Zuchthäusler) unterscheiden sich wie im Genus so auch in der Bedeutung. Denn im Neutrum ist es der Gefängnisort, im Maskulinum der Wärter der Strafanstalt.

    …. nicht ein einziger Zuchthäusler

    und ein anderer (Schriftsteller): „Und er gesellte noch einen Spitzel hinzu, gleichsam einen Zuchthäusler, sodass niemand seine Meinung offen sagen konnte.“ Nicht einzuordnen 510–11 Nonius: ‚Palla‘ (Umhang) ist ein Kleidungsstück einer ehrbaren Frau, d. h. ein ‚tunicopallium‘.

    Wenn sie mit dir zusammen ist, tut’s ein beliebiges Outfit; sagen fremde Männer sich zu Besuch an, holt sie ihre Haarflechten, (die ganze Kollek­ tion) ihre(r) Mäntel, ihre Stirnbänder hervor.

    512–13 Nonius: ‚Meret‘ (verdient Sold), ‚leistet Kriegsdienst‘.

    … während er Soldat auf spanischem Boden war und und fast 18 Jahre seines Lebens diente.

    parantur, / his emitur quidquid graciles huc mittitis Indi. S. auch Tib. 1,9,67 f.; s. Haß 2007, 126. – Zu spira s. Plin. nat. 9,117. „Spira bedeutet ‚falscher Zopf‘ …, in den Perlenschnüre eingeflochten waren“ (Krenkel zu Fr. 502–3). 512–13: Hiberā terrā: abl. loci. – Kriegsdienst – in Spanien bei den Soldaten unbeliebt – wohl während des Kelt-Iberischen Krieges 153–135 v. Chr. – Woraus Charpin (II 242 f. zu Fr. 12) bei fehlendem Hauptsatz auf „une valeur adversative“ der Konjunktion dum schließt, ist mir nicht nachvollziehbar. – Krenkel (I 77 ‚Somnia‘ zu Buch XV) kombiniert, der Soldat sei der L. Trebellius von Fr. 487–88, der seinen Zauber bei den Kelten gelernt habe. Möglicherweise spielt unser miles eine nicht mehr erkennbare Rolle im Thema ‚Pferde‘, wo es anscheinend um ein Pferd spanischer Herkunft geht.

    LIBER XVI Porphyrio bewahrt zu Hor. carm. 1,22,10 die Nachricht, Lucilius habe in Buch XVI von seiner Freundin Collyra gesungen und dem Buch ihren Namen gegeben (= Fr. 514). Aber kein einziger Vers bestätigt dies, weswegen Cichorius (93 f.) die These entwickelte, es handele sich um Buch XXI, nicht XVI. Warmington und Krenkel haben sich ihm angeschlossen, Charpin (II 79 f. und 113) zeigt sich skeptisch, und das aus gutem Grund. Leider ist von Buch XXI kein einziges Fragment erhalten, so dass sich die These nicht verifizieren lässt. Porphyrios Zeugnis bedeutet nicht zwingend, dass der Satiriker lyrische Töne angestimmt haben müsse. Die Aussage, das Buch sei ü b e r Collyra geschrieben, kann ungenau sein. Puelma Piwonka glaubt, dass Buch XVI „mehrere der Geliebten gewidmete sermones enthielt“ (1948, 271). Wenngleich die von ihm ausgemachten Spuren von Berührungen mit lyrischer und elegischer Dichtung – Motiv des dives amator (Fr. 519–21), eines Geburtstagsgedichtes: Stichwort genius, (Fr. 515), Lob des Landlebens (VV. 524 bis 529) – sich kaum bewahrheiten lassen, ist eine solche Annahme unabhängig von der Frage, ob Buch XVI einen oder mehrere sermones enthielt, nicht von der Hand zu weisen. (Charpin 80 n. 6 urteilt: „L’hypothèse est ingénieuse, mais

    514 (517) Porph. Hor. carm. 1,22,10: ‚Dum meam canto Lalagen‘] Id est carmen in Lalagen nomine amicam compositum, scilicet liber Lucilii XVI Collyra inscribitur eo quod de Collyra amica scriptus sit. XVI codd : XXI (?) Cichorius 93–94

    515 (518) Cens. 3.3: non nulli binos genios in his dumtaxat domibus quae essent maritae colendos putaverunt: Euclides autem Socraticus duplicem omnino nobis genium dicit adpositum, quam rem apud Lucilium in libro satyrarum XVI licet cognoscere.

    516–17 (519–20) Gell. 4,1,3: ‚Penus‘ quoque, inquit, variis generibus dictum et varie declinatum est. nam et hoc penus et haec penus et huius peni et penoris veteres dictaverunt; mundum quoque muliebrem Lucilius in Satyrarum XVI non virili genere, ut ceteri, sed neutro appellavit his verbis Non. 214,13: ‚Mundus muliebris‘ generis est masculini. neutri Lucilius lib. XVI [legat … penumque]. 514: S. die Einleitung zu diesem Buch.

    Buch XVI incontrôlable ou invraisemblable“; ausführlich setzt sich neuerdings mit Puelma Piwonkas These Haß 2007, 112–118 auseinander.) Auch das von Censorinus für Buch XVI bezeugte Vorkommen eines duplex ge­ nius (Fr. 515) wird durch keines der wenigen Fragmente bestätigt (Charpin 80). Und dennoch ist m. W. bisher niemand auf den Gedanken verfallen, die Angabe XVI durch XXVI zu ersetzen, obwohl in Buch XXVI tatsächlich – beiläufig, wie es scheint – vom genius die Rede ist (Fr. 633–3 4). Angesichts der insgesamt dürftigen Textgrundlage ist es wohl klüger, bei der überlieferten Buchangabe zu bleiben. Ein Handlungsfaden lässt sich im Erhaltenen nicht ausmachen, die hier vorgelegte Anordnung der Fragmente ist mehr oder weniger willkürlich. Deutlichere Konturen fassen wir bei Fr. 516–17 (Erörterung einer Erbschaftsfrage), Fr. 519–21 (einem Hieb gegen Neureiche), Fr. 524 –25 (Bedeutung des vilicus für den Ertrag eines Landguts), Fr. 526–28 (bäurisch-derbe Beschreibung eines Widders), Fr. 530–31 (kolossale Größe der Iuppiterstatue in Tarent) und Fr. 532–34 (König Cotys und die Winde). Für Deutungsansätze sei auf die Erläuterungen zu den einzelnen Fragmenten verwiesen.

    514 Porphyrio: ‚Während ich meine Lalage besinge‘] Das ist eine Ode, die er für seine Freundin mit Namen Lalage gedichtet hat, wie ja auch Buch XVI des Lucilius den Titel Collyra deswegen trägt, weil es von seiner Freundin Collyra handelt.

    515 Censorinus: Manche haben geglaubt, nur in den Häusern Verheirateter seien zwei Genii zu verehren. Der Sokratiker Euklid aber sagt, jedem von uns sei ein zweifa­ cher Genius beigegeben, ein Sachverhalt, den man bei Lucilius im 16. Buch der Satiren belegt finden kann. 516–17 Gellius: Auch ‚penus‘ (Vorrat), sagte er, wurde in verschiedenen Genera gebraucht und unterschiedlich dekliniert. Denn die alten Autoren sagten sowohl ‚hoc penus‘ als auch ‚haec penus‘ und ‚huius peni‘ wie auch ‚penoris‘; auch vom weiblichen Putz sprach Lucilius in Buch XVI seiner Satiren nicht im Maskulinum wie die übrigen Autoren, sondern im Neutrum mit folgenden Worten: Nonius: ‚Mundus muliebris‘ (weiblicher Putz) ist maskulinen Geschlechts. Als Neutrum … 516–17:Was zum Hausrat gehört, war unter Juristen umstritten; s. Gell. 4,1,20–23; Cic. part. orat. 107. Um mundus geht es dig. 34,2,32,7; dig. 32,100,2.

    190

    LIBER XVI

    legavit quidam uxori mundum omne penumque. quid ‚mundum‘ , quid non? quis dividet istuc? legavit quidam uxori codd. Gell. : legat uxori codd. Non. | omne codd. Non. Gell. : omnem R Gell. | mundum atque penum vett. : mundum atque penus Marx | quid non codd. : quod non P

    → fr. 1326 ? 518 (521) Char. GL 1,72,30: ‚Pistrinum‘ neutraliter dicitur; sed Lucilius XVI feminine extulit – fr. – ad tabernam referens, ut caupona dicitur.

    Cf. Varro ling. 5,138: ‚pilum‘, quod eo far pisunt; a quo, ubi id fit, dicitur ‚pistrinum‘ – l et s inter se saepe locum conmutant –, … inde post in urbe Lucili pistrina et pistrix. Grammaticus GL 5,588,4: ‚Pistrinum‘ generis neutri, sed Varro [media est pistrina].

    –   –   – media e pistrina

    e N Char. : est Gramm., Marx : a Coloniensis Char.

    519–21 (522–24) Non. 422,25: ‚Horridum‘ plerumque exstans et prominens et erectum. … Lucilius Satyrarum lib. XVI:

    et hi quos divitiae producunt et caput ungunt horridulum

    et hi Iunius : et ii BA : etit L1 : eti G : hi Mueller

    522 (530) Non. 513,1: ‚Publicitus‘ pro publice. Lucilius Satyrarum lib. XII [fr. 429–30]. idem lib. XVI:

    publicitus vendit tamen atque extrema ligurris.

    vendit codd. : vendis Bentin, Marx

    518: (Zu Varros Ausführungen:) ‚des Lucilius‘: im Sinne von ‚bei Lucilius‘; so einleuchtend Charpin II 252 zu Fr. 10, womit die These entfällt, hinter ‚in urbe‘ (nml. Lucili) könne ein Satirentitel stehen (Krenkel I 28 nach dem Varro-Herausgeber R. G. Kent). – Ich folge Charpin (Fr. 10 u. Erl. II 251 f.), der „du milieu de la boulangerie“ als Übersetzung bietet (wtl.: mitten aus …). Die Aussage media est pistrina ist, für sich genommen, nichtssagend, während Charpins Deutung das Fr. zum folgenden Fr. 519–21 insofern stellen lässt, als beide Male der sozio-kulturelle Status von Personen angesprochen wird.

    Buch XVI

    191

    Es vermachte jemand seiner Ehefrau allen Schmuck und Vorrat. Was ist nun ‚Schmuck‘ und ‚Vorrat‘, was nicht? Wer wird das auseinanderhalten können?

    518 Charisius: ‚Pistrinum‘ (Stampfmühle) sagt man als Neutrum; aber Lucilius Buch XVI hat als Femininum präsentiert media e (oder est?) pistrina, wobei er das Wort an ‚taberna‘ (Laden) ausrichtete, so wie man ‚caupona‘ (Schenkwirtin, Schenke) sagt. Vgl. Varro: ‚pilum‘ (Mörserkeule), weil man damit Dinkel zerstampft; danach heißt (der Ort) wo das geschieht, ‚pistrinum‘ (Stampfmühle) – l und s tauschen oft miteinander den Platz –, … Daher später in Rom die ‚pistrina‘ (Backstube) und ‚pistrix‘ (Bäckerin) des Lucilius. Grammatiker: ‚Pistrinum‘ (Stampfmühle) ein Neutrum, aber Varro (hat):

    aus dem Milieu einer Backstube. 519–21 Nonius: ‚Horridum‘ (struppig), in der Regel ‚hervorstehend‘ und ‚vorragend‘ und ‚aufgerichtet‘. …

    und diese hier, die der Reichtum emporbringt und (ihnen) ihren Strubbelkopf stylt …

    522 ‚Publicitus‘ für ‚publice‘ (öffentlich, auf Staatskosten). … Ders.:

    In öffentlicher Versteigerung verkauft er (es) jedoch, und du leckst die Überbleibsel auf.

    519–21: Vgl. Hor. sat. 2,3,124 –126. – Eine Attacke auf Neureiche wie bei Hor. epist. 1,18,22, so zuletzt Haß 2007, 93; Winkelsen 2012, 341 f. 522: ‚verkauft er‘: wohl ein Ausbieter (praeco) auf gerichtliche Anordnung. Lucilius (oder eine andere Person innerhalb eines erzählten Dialogs) spricht anscheinend jemanden an, dessen Besitz gepfändet wurde und der sich damit tröstet, dass er das Wenige, was ihm bleibt, in Nahrung anlegt; vgl. Cic. fam. 9,18,4. – Vgl. zu den Versen 522–525 Charpin II 247 f. zu Fr. 1–3.

    192

    LIBER XVI

    523 (537) Non. 513,14: ‚Ignaviter‘ pro ignave. Lucilius Satyrarum lib. XVI: Prisc. GL 3,71,2: Lucilius ampliter, ‚ignaviter‘.

    cur tam ignaviter hoc praesertim tempore quaeris? 524 –25 (532–33) Prisc. GL 2,87,15: Vetustissimi tamen comparativis etiam huiuscemodi sunt [es quando] usi. … (88,12) Lucilius in XVI [ad Fundium]:

    fundi delectat virtus te, vilicus paulo strenuior si evaserit. delectat codd. : dilectat Dd B : delectet van Heusde | vilicus codd. : villicus R | strenuior Dd B : strennuior G L K R : strenuor Hh | si evaserit r : sive vasserit R: si evaseris G

    526–28 (534 –36) Non. 234,37: ‚Aptum‘ rursum conexum et conligatum significat. … Lucilius Satyrarum lib.X [fr. 387]. idem lib. XVI:

    ‚ibat forte aries‘, inquit, ‚iam genus! quantis testibus! vix uno filo hosce haerere putares, pellicula extrema exaptum pendere onus ingens.‘

    hosce Gerlach : hoc se codd. | pellicula codd. : pericula AA

    529 (531) Non. 201,1: ‚Cepe‘ generis neutri. Lucilius Satyrarum lib. V [fr. 201]. idem lib. XVI:

    ‚hoc aliud longe est‘, inquit, qui cepe serebat.

    530–31 (525–26) Non. 201,14: ‚Cubitus‘ masculini generis. neutri Lucilius Satyrarum lib. XVI:

    Lysippi Iuppiter ista transivit quadraginta cubita altus Tarento. transivit codd. : transibit Lachmann 523: Oder: ‚bemühst du dich‘? Krenkel (zu Fr. 538) vermutet sexuellen Sinn. In diesem Falle spricht am ehesten eine (weibliche?) Dialogperson: dann sind Anführungsstriche zu setzen. 524 –25: delectat: Zum Präsens in futurischer Funktion s. Kühner-Stegmann I 119,7a. – Kontrolle des vilicus tut not; vgl. Cato agr. 4–6, Colum. 11,1,14 f. – Die Hss. bieten vor dem Fr.Text einhellig ad Fundidum oder ad Fundium. Deswegen liest Charpin Fundi als Vokativ des Namens Fundius. Wenn aber virtus ohne Ergänzung bleibt, wird der Leser sie auf den Angesprochenen beziehen, wonach der Kondizionalsatz unverständlich bleibt. Der vilicus, Subjekt erst des Nebensatzes, kommt kaum in Frage, zumal Lucilius ohne Not hätte schreiben können: delectat virtus te vilici, … Es dürfte also bei der schon von Marx gebotenen Erklärung von ad Fundi(d)um als Interpolation bleiben: s. Marx II 201; vgl. Winkelsen 2012, 183 f.

    Buch XVI

    193

    523 Nonius: ‚Ignaviter‘ statt ignave (träge, ohne Energie). Priscianus: Lucilius ampliter (reichlich), ‚ignaviter‘ (träge, ohne Energie).

    Warum fragst du, zumal zu diesem Zeitpunkt, so unbeteiligt? 524 –25 Priscianus: Die ältesten Autoren haben jedoch auch Komparativbildungen dieser Art verwendet …: nml. statt der Umschreibung mit magis.

    Die Güte deines Landguts macht dir Freude, wenn dein Verwalter sich etwas mehr ins Zeug legt.

    526–28 Nonius: Aptum‘ (angefügt) bedeutet auch ‚verknüpft‘ und ‚zusammengebunden‘.

    „Da kam zufällig ein Widder daher“, sagte er, „wirklich ein Prachtexemplar! Wie groß seine Hoden! Man hätte meinen können, sie hingen nur an einem Faden, am äußersten Ende der dünnen Haut baumele die gewaltige Fracht.“ 529 Nonius: ‚Cepe‘ (Zwiebel) ein Neutrum.

    „Das ist etwas ganz anderes“, sagte der Mann, der Zwiebeln säte. 530–31 Nonius: ‚Cubitus‘ (Elle) ein Maskulinum. Als Neutrum …:

    Der Iuppiter des Lysipp zu Tarent hat diese da mit seiner Höhe von 40 Ellen (weit) übertroffen. 526–28: ‚der dünnen Haut‘: des durch das Gewicht lang gezogenen Hodensacks. – Der Beginn einer Erzählung (Fiske 1920/1971, 167 f.) wie Hor. sat. 1,9,1 Ibam forte via sacra. – Einen Zusammenhang mit dem (sexuell aufgefassten) Fr. 523 stellt Haß 2007, 128 her. 529: Vergleicht der Sprecher Garten- mit Landarbeit (Marx II 200 f.)? Eher handelt es sich um ein epilogisches Sprichwort (Krenkel zu Fr. 525), dessen Sinn freilich noch der Aufklärung harrt. Wenn es erlaubt ist, einmal zu fabulieren: Ist das ganz andere etwa die Besamung der Mutterschafe durch den Widder? In ihrem Erzählduktus passen die beiden Fragmente jedenfalls gut zusammen. 530–31: So Charpins Deutung (II 251 zu Fr. 9), die Lachmanns bisher von allen Editoren angenommene Konjektur transibit überflüssig macht. – ‚diese da‘: andere Statuen, von denen

    194

    LIBER XVI

    532– 34 (527–29) Non. 98,16: ‚Demagis‘, valde magis. Lucilius lib. XVI:

    rex Cotus ille duo hos ventos, austrum atque aquilonem novisse aiebat solos demagis; istos ex nimbo austellos nec nosse nec esse putare. duo Salmasius, Charpin : duos codd. | novisse Bentin : novisime codd. | aiebat codd. : alebat L | se solos Bentin : solos se Salmasius : solos hos Mercier : solos sed Gerlach, Marx | nec nosse nec esse F³ BA : nec nos seneces L

    die Rede war. – ‚zu Tarent‘ (eigl.: aus Tarent) ist dann wie bei Eigennamen als Herkunftsangabe zu verstehen, s. Kühner-Stegmann I 476. – Zum Koloss des Tarentinischen Iuppiter s. Strab. 6,3,1; Plin. nat. 34,39 f.; Plut. Fab. 22,8. 532–34: ‚Cotys‘: König der Thraker, entweder der Verbündete des Perseus, der sich später den Römern anschloss (2. Jh. v. Chr.; s. Liv. 42,29,12 u. ö.), oder – wahrscheinlicher – der

    Buch XVI

    Nonius: ‚Demagis‘, sehr viel mehr

    195

    532–34

    Der bekannte König Cotys pflegte zu sagen, er kenne ganz gewiss nur Südwind und Nordwind; aber die kleinen Südwinde, die aus einer Wolke kommen, die kenne er nicht, und er glaube auch nicht, dass es sie gibt.

    u. a. wegen seiner dicta häufig genannte Vater des Cersobleptes (4. Jh. v. Chr.; s. nur Plut. reg. et imp. apophth. 174D). – Zu Süd- und Nordwind als den wesentlichen Winden s. Aristot. pol. 4,1290a14, Strab. 1,2,21, zu den Südwinden aus einer Wolke (gr. ἐκνεφίαι) s. Aristot. mund. 394b18, Plin. nat. 2,131.

    LIBER XVII Die 6 Fragmente dieses Buches – sie haben immerhin einen Umfang von zusammen 16 Versen – lassen zwei Themen erkennen: die Überhöhung schöner Frauen und Helden des Mythos im Epos (Verse 535 bis 545) und eine Auseinandersetzung mit einem Dichter, dem Plagiat vorgeworfen wird (546 bis 550). Es ist durchaus

    535–36 (538–39) Prisc. GL 2,475,20: Frequenter tamen antiquissimi neutro participii futuri addebant ‚esse‘ et infinitum futuri significabant, ‚oraturum esse‘ pro ‚oratum ire‘ (daran gehen zu reden) dicentes et ‚facturum esse‘ pro ‚factum ire‘ (daran gehen zu tun). … Lucilius in XVII [ad Penelopam conversus]: – fr. –: in hoc quoque subaudiendum est ‚esse‘, id est ‚nupturum esse‘ pro ‚nuptum ire‘, γαμηθήσεσθαι.

    nupturum te nupta negas, quod vivere Ulixen speras.

    nupta codd. : nuptam R B G K

    537– 43 (540– 46) Non. 25,26: ‚Compernes‘ dicuntur longis pedibus. Lucilius Satyrarum lib. XVII: Non. 26,8: ‚Vari dicuntur obtortis plantis. Lucilius Satyrarum lib. XVII [conpernem … acoetin]. nunc censes καλλιπλόκαμον, καλλίσφυρον illam

    non licitum esse uterum atque etiam inguina tangere mammis? conpernem aut varam fuisse Amphitryonis ἄκοιτιν Alcmenam, atque alias, lenam ipsam denique – nolo dicere: tute vide atque disyllabon elige quodvis – ρην eupatereiam aliquam rem insignem habuisse, verrucam, naevum, rictum, dentem eminulum unum?

    nunc codd. : num Scaliger, Marx | καλλιπλόκαμον καλλίσφυρον Lindsay : caliplocamora a ΛΙ ΣΦΥΡΟΝ L : calipocamora aΔ ΑΛ ΣΦΥ ΡΟ Ν G: callipolocamon callisphyron Marx | illam codd. : ullam Scaliger, Marx | atque etiam Iunius : aquae etiam codd. | varam codd. : baram L1 25 | Amphytrionis edd. : amfitrionis vel sim. codd. | ἄκοιτιν Iunius : acoetin codd. | Helenam suppl.Scaliger : lenam F³ BA : menam L1 | κούρην suppl. Marx : ΡΙΝ codd. | rictum F. Dousa : dictum codd. : punctum Marx Lit. zu B. XVII: Koster 2001, 128 f. (zum Thema Plagiat); Haß 2007, 129 f. u. 226 f. 535–36: [ad Penelopam conversus]: wohl Interpolation wie [ad Fundium] Fr. 524 –25 (Marx II 202). – Für den Gebrauch der maskulinen statt der femininen Form s. Gell. 1,7. Nuptu­ rum (sc. esse) ist wohl unpersönlich gebraucht und darum im Genus nicht angepasst; s. V. Bulhart: Neutrum absolutum und der Infinitiv auf -urum. WS 70 (1957) 81. – nupta: auf negas bezogen, im klassischen Latein wäre nuptam zu erwarten. – Gibt Lucilius – in diesem Falle sind Anführungszeichen zu setzen – die Ansprache einer Person aus der Umgebung der

    Buch XVII möglich (Haß 2007, 129 f. und 226 f.), dass die Verse des ersten Themas neben dem Aspekt der Idealisierung das Anschauungsmaterial für den Vorwurf des Plagiats lieferten, Buch XVII also aus einer einzigen Satire bestand.

    535–36 Priscianus: Häufig jedoch fügten die ganz alten Autoren dem Neutrum des Partizips des Futurs ‚esse‘ hinzu und kennzeichneten so einen Infinitiv des Futurs, indem sie ‚oraturum esse‘ statt ‚oratum ire‘ und ‚facturum esse‘ statt ‚factum ire‘ sagten. … Lucilius in Buch XVII [an Penelope gewandt]: – Fr. –. Auch hierbei ist ‚esse‘ mitzuhören, d. h. ‚nupturum esse‘ statt ‚nuptum ire‘, γαμηθήσεσθαι.

    Da du verheiratet bist, sagst du, würdest du dich nicht verheiraten; denn du hoffst, dass Odysseus noch lebt.

    537– 43 Nonius 25: ‚Compernes‘ (mit zusammengebogenen Knien [so richtig!]) heißen Personen mit langen Füßen. Nonius 26: ‚Vari‘ (auseinandergebogen) heißen Personen mit gekrümmten Fußsohlen [conpernem … ἄκοιτιν].

    Da glaubst du, (die Vorstellung) verbiete sich, dass jene schönlockige und schlankfüßige Frau ihren Bauch und gar ihren Schoß mit ihren Brüsten berührte? dass Amphitryons Gattin Alkmene x- oder o-beinig gewesen sei und dass andere Frauen, gar Helena selbst – ich will‘s nicht sagen: sieh du selbst und wähle ein beliebiges zweisilbiges Wort –, die Tochter eines adligen Vaters, irgendein ins Auge fallendes Merkmal gehabt hat, eine Warze, ein Muttermal, einen offenstehenden Mund, einen einzelnen ein wenig vorstehenden Zahn?

    Penelope an sie wieder, oder spricht der Dichter selbst sie mittels Apostrophe an? In letzterem Falle könnte ein satirischer Angriff auf ihre castitas erfolgt sein wie etwa bei Hor. sat. 2,5,81–84; vgl. Charpin II, 254 f. zu Fr. 3. 537– 43: In Textgestaltung und -herstellung folge ich Charpin (II 253 f. zu Fr. 2); s. seine Begründung. – ‚jene Frau‘: Sie dürfte vorher genannt worden sein. (Scaligers Konjektur ullam halte ich für überflüssig.) Das Eptitheton καλλιπλόκαμος erhalten bei Homer Demeter (Il. 14,326), Tethys (Il. 18,407; 20, 207), Ariadne (Il. 18,592) und Kirke (Od. 10,220. 310), καλλίσφυρος Marpessa (Il. 9,560), Danaë (Il. 14,319), Ino (Od. 5,333) und Hebe (Od. 11,603). – ‚einen offenstehenden Mund‘: vgl. Ov. met. 2,480 f. laudataque quondam / ora Iovi lato fieri deformia rictu. – Ausführlich zum Fr. Haß 2007, 129 f. (mit Zurückweisung von Liebergs Sicht [1962, 42 f., 47 und 301–302], Lucilius sei der erste subjektive Liebesdichter Roms gewesen). Ansprechend auch ihre These (S. 216 f. – angedeutet schon bei Krenkel I

    198

    LIBER XVII

    544 – 45 (547– 48) Macr. Sat. 6,1,7: Dicam itaque primum, quos ab aliis traxit vel ex dimidio sui versus vel paene solidos … (43) Ad Vergilianum ‚magna ossa lacertosque extulit‘ (Verg. Aen. 5,422) Lucilius in septimo decimo:

    adparent homini.

    magna ossa lacertique

    homini codd. : hominis Lachmann

    546 (549) Non. 134,35: ‚Laverna‘, dea cui supplicant fures. … Lucilius lib. XVII:

    si messes facis Musas si vendis Lavernae,

    si messes codd. : si semissis J. Dousa : si versus Corpet | facis codd. : facitis Mueller | et suppl. Marx

    547– 48 (550–51) Non. 361,27: ‚Proprium‘ rursum significat perpetuum. …. (362,8) Lucilius Satyrarum lib. XVII:

    cetera contemnit et in usura omnia ponit non magna: proprium vero nil neminem habere.

    contemnit edd. : contempnit (contempni L1) codd.

    → fr. 1119–31 ? 549–50 (552–53) Non. 6,21: ‚Calvitur‘ dictum est frustratur: tractum a calvis mimicis, quod sint omnibus frustratui. … Lucilius Satyrarum lib. XVII:

    ‚si non it, capito‘, inquit, ‚eum, et si calvitur.‘ ergo fur dominum?

    79 a. E. des ‚Somnium‘ zu Buch XVII), das Fr. könne mit den folgenden Fragmenten zusammenhängen: Verspottung eines Dichters, der sich kritiklos mythische Anschauungen zu eigen macht. 544 – 45: Vielleicht geht es um den Boxkampf des Odysseus mit dem Bettler Irus; s. Od. 18,66–70. – V. 544 ist ein Hypermeter. – Die Konstruktion adparent homini erklärt Marx (II 205) analog zu esse cum dat. – Einen Zusammenhang mit den folgenden Fragmenten (Thema ‚Plagiat‘) stellt Haß 2007, 216 her. 546: ‚Laverna‘: Schutzgöttin des Gewinns, daher auch der Diebe und Betrüger; ‚die Musen der Laverna verkaufen‘ = ein Plagiat begehen und das Produkt auf den Markt bringen. Da­ raus ergibt sich die Ergänzung auch der ersten Vershälfte; Marx (II 205 zu Fr. 549) vermutet etwas wie agris alienis im vorausgehenden Vers. – Vgl. zu diesem und den beiden folgenden Fragmenten Koster 2001, 128 f.; Haß 2007, 226 f.

    Buch XVII

    199

    544 – 45 Macrobius: Deshalb will ich zunächst sagen, welche Verse er von anderen Autoren entlehnt hat, sei es zur Hälfte, sei es fast vollständig. … Zum Vergilianischen ‚mächtige Knochen und Muskeln zeigte er‘ Lucilius in Buch XVII:

    mächtige Knochen und Muskeln werden an dem Manne sichtbar.

    546 Nonius: ‚Laverna‘, die Göttin, zu der die Diebe beten.

    wenn du (fremde Äcker) aberntest und wenn du die Musen der Laverna verkaufst,

    547– 48 Nonius: ‚Proprium‘ (eigen) bedeutet auch ‚beständig‘.

    Das Übrige verachtet er und rechnet alles zum kurzlebigen Genuss: Eigenes habe in der Tat gar niemand.

    549–50 Nonius: ‚Calvitur‘ (sucht Ausflüchte) hieß ‚täuscht‘: abgeleitet von den Kahlköpfen des Mimus, weil sie angeblich alle zum Besten haben.

    „Wenn er nicht geht und Ausflüchte sucht, soll er ihn verhaften“, sagt er. – Also der Dieb den Eigentümer?

    547– 48: Der Weise verachtet alle Güter außer der virtus; vgl. Hor. epist. 2,2,171–174. Zum Nießbrauchgedanken s. ferner cons. ad Liv. (PLM 1,117) 369; Varro Men. 71 B.; Cic. fin. 3,45 f. – Zu ponere alqd in alqa re vgl. Fr. 482. – nil neminem: Negationshäufung (weitere Beispiele bei Marx II 206 f.). – Beruft sich der Plagiator des vorausgehenden Fr. auf stoische Lehre? (Weitergehende Überlegungen bei Winkelsen 2012, 155 f.) S. auch das folgende Fr. 549–50: Jemand zitiert das Zwölftafelgesetz (1,1–3), s. den bei Porph. Hor. sat. 1,9,76 erhaltenen Text. Der Dichter oder ein Interlokutor unterbricht ihn mit einer paradox erscheinenden Gegenfrage. Sie erhält (als Scherz gemeint) Sinn, wenn man das Fr. mit dem vorausgehenden Fr. in Beziehung setzen kann (Charpin II 256 f. zu Fr. 5); denn wenn niemand Eigentum besitzt, gibt es weder Dieb noch Eigentümer. Charpin vermutet überdies Kritik an der stoischen Lehre von der societas generis humani, wie sie auch Cicero off. 1,51 geübt habe – der kritisierende Satz wird allerdings meist als Interpolation verdächtigt.

    LIBER XVIII Im ersten von nur zwei für dieses Buch überlieferten Fragmenten wird ein reicher Landwirt angesprochen, im zweiten Fragment wird anscheinend dieser Reichtum im Hinblick auf seinen Genuss hinterfragt. Aus der Wortbildung frunisci hat man auf Kampanien als szenischen Hintergrund geschlossen. Ob ein Disput zwischen 551–52 (555–56) Non. 544,8: ‚Cadi‘, vasa quibus vina conduntur. Lucilius lib. XVIII [tollis … cadum]: Non. 495,7: Accusativus numeri singularis positus pro genetivo plurali. … (36) Lucilius lib. XVIII:

    milia ducentum frumenti tollis medimnum, vini mille cadum.

    ducentum codd. : tu centum Bouterwek | frumenti edd. : formenti codd. | tollis codd. 495 : tolles codd. 544

    553 (554) Non. 113,6: ‚Frunisci‘ pro frui. Lucilius lib. XVII:

    –   –   – aeque fruniscor ego ac tu.

    ego Bentin : eso L : rego G

    551–52; zu tollere vgl. Cic. Verr. 2,3,36 u.ö. – dūcentum auch Fr. 982–83, – Der in diesem und dem folgenden Fr. aufscheinende Gedanke kann von Horaz in sat. 2,3,111–117 und 1,1,44 – 46 aufgenommen worden sein; s. Fiske 1920/1971, 235 f.

    Buch XVIII dem Reichen und einem Kleinbauern vorliegt oder ob das Du in beiden Fragmenten durch Apostrophe – wie in der imitatio des Horaz in sat. 1,4 (s. u.) – zu erklären ist, muss offenbleiben.

    551–52 Nonius 544: ‚Cadi‘ (Krüge), Gefäße, in denen Wein aufbewahrt wird. Nonius 495: Akkusativ des Singulars gesetzt für den Genitiv des Plurals.

    Zweihunderttausend Scheffel Getreide erzielst du (als Ertrag), tausend Krüge Wein.

    553 Nonius: ‚Frunisci‘ für ‚frui‘ (genießen).

    (Was ich habe,) genieße ich nicht anders als du.

    553: Die Wortbildung frunisci ist für Kampanien belegt. – Zum Inhalt vgl. Hor. sat. 1,1,45 f. milia frumenti tua triverit area centum / non tuus hoc capiet venter plus ac meus.

    LIBER XIX Buch XIX enthielt vermutlich nur eine Satire. Es spricht vieles dafür, dass die Satire 1,1 des Horaz mit ihr wetteifert. Die argumentative Struktur ist aus dem Wenigen kaum zweifelsfrei wiederherzustellen. Ihr kommen Krenkel mit seinem

    554 (557) Non. 11,26: ‚Passum‘ est proprie rugosum vel siccum. … (29) unde et ‚uva passa‘ dicta est quod sit rugis inplicata. … Lucilius Satyrarum lib. XIX:

    rugosi passique senes eadem omnia quaerunt.

    555–56 (559–60) Non. 358,13: ‚Optare‘, eligere. Lucilius Satyrarum lib. XIX:

    ‚aurum vis hominem? habeas.‘ ‚hominem? quid ad aurum?‘ quare, ut dicimus, non video hic quid magno opere optem.

    hominemne Quicherat : hominem codd. : hominem en J. Dousa

    557 (567) Prisc. GL 2,542,26: Alia vero in ‚si‘ desinentia supra dictam regulam servant, id est generalem in ‚si‘ desinentium – ‚sensi sensum‘, ‚rausi rausum‘, unde Lucilius in XIX:

    rausuro tragicus qui carmina perdit Oreste.

    rausuro codd. : rausero K B | tragicus codd. : traicus H | perdit oreste R² : perdito resto B : perdit orestae R H G L

    558 (564) Non. 396,13: ‚Sumere‘ etiam significat eligere. Lucilius Satyrarum lib. III [fr. 115–16]. … Lucilius Satyrarum lib. X [fr. 393–94] … et lib. XIX:

    sume diem, qui est visus tibi pulcherrimus unus.

    Lit: zu B. XIX: Fiske 1920/1971, 230–247 (sieht Richtiges, zieht aber im Ganzen zu weit gehende Folgerungen.); Haß 2007, 84 –86. 554: ‚immer nur dasselbe‘: Die Interpreten denken zumeist an Gewinnstreben, vgl. die Charakteristik des senex bei Aristot. rhet. 2,13. 1389b28 ff. und Hor. ars 169–171, ferner sat. 1,1,30–32: Vgl. Winkelsen 2012, 339 f.; anders Charpin II 258 f. zu Fr. 2 („horreur du changement“). 555–56: Ohne gesicherten Kontext bleibt die genaue Zielrichtung des Fr. unklar. – ‚den Mann‘: einen avarus? Dann trifft vielleicht Marx‘ Deutung zu (II 209): „et aurum sordet et dominus auri.“ Vgl. Charpin II 259 f. zu Fr. 4. – Für eine ähnliche Wahlsituation (Manneswert vs. Reichtum) s. Cic. off. 2,71. 557: ‚seinen Auftritt‘: wtl. seine Verse. – ‚sein Orest‘: witzige Übertragung der Heiserkeit des Schauspielers auf die dargestellte Person. In der Technik vergleichbar: Hor. sat. 2,5,41 Furius hibernas cana nive conspuet Alpes. – rausuro Oreste: vielleicht der erste abl. absol.

    Buch XIX ‚Somnium‘ zu diesem Buch (I 80) und neuerdings Haß wahrscheinlich näher als Fiske. Zu Einzelheiten s. die Erläuterungen.

    554 Nonius: ‚passum‘ ist im eigentlichen Sinne ‚runzlig‘ oder auch ‚trocken‘. … Daher ist auch die ‚uva passa‘ (Rosine) so genannt, weil sie von Falten umwunden ist.

    Runzlige und ausgetrocknete Alte suchen immer nur dasselbe.

    555–56 Nonius: ‚Optare‘ (wünschen), wählen.

    „Willst du das Gold oder den Mann? Es sei dein!“ – „Den Mann? Was ist der schon im Vergleich zum Gold?“ Daher, wie wir zu sagen pflegen, sehe ich hier nicht, was ich ernsthaft wählen soll.

    557 Priscianus: Andere Verben jedoch, die (im Perfekt) auf –si enden, bewahren die oben genannte Regel, d. h. die allgemeine Regel der auf –si endenden Verben – ‚sensi sensum‘, ‚rausi rausum‘, …

    ein Tragöde, der seinen Auftritt verdirbt, weil sein Orest zur Heiserkeit neigt.

    558 Nonius: ‚Sumere‘ (nehmen) bedeutet auch ‚auswählen‘.

    Wähle den Tag, der allein dir dein glücklichster schien. mit part. fut. in der lateinischen Literatur. – Benutzt Lucilius den tragischen Schauspieler zur Illustration (‚wie ein Tragöde‘), etwa eines Lebensentwurfs? Vgl. Krenkel I 80 zu Fr. 563: Anders erwägt Koster (2001, 124 f.) die Deutung, einem Tragiker werde „Überzogenheit der Diktion“ vorgeworfen, womit er sein Werk ruiniere. Zum Tatbestand vgl. Verg. ecl. 3,26 f. – Anders kann bei einem Redner Heiserkeit durchaus positive Wirkung haben: Cic. de orat. 1,259. 558: D.h.: Es gehört so wenig dazu, glücklich zu sein; s. Marx II 209 f., Charpin II 261 zu Fr. 8. – Anders interpretieren das Fr. Housman (1907, 153 f.), der mit Plat. apol. 40 D vergleicht, und Fiske (1920/1971, 230 f.), der das Fr. in Parallele zu Hor. sat. 1,1,15 f. setzt.

    204

    LIBER XIX

    559 (563) Non. 176,6: ‚Singulatim‘ et ‚singillatim‘, a singulis. … Lucilius lib. XIX:

    sic singillatim nostrum unus quisque movetur.

    560–61 (561–62) Non. 357,31: ‚Olim‘ trinam habet significationem temporum: …praeteriti. …, temporis futuri. … Lucilius Satyrarum lib. XIX:

    sic tu illos fructus quaeras, adversa hieme olim quis uti possis ac delectare domi te.

    sic L BA : si AA | ac J. Dousa : haec (hac E) codd. | domi te L1 : domine codd.

    562 (565) Non. 149,27: ‚Peniculamentum‘ a veteribus pars vestis dicitur. … Lucilius lib. XIX:

    peniculamento vero reprehendere noli,

    peniculamento vero J. Dousa : penulamento vere codd.

    563 (566) Non. 55,26: ‚Infans‘ a non fando dictus est. … nam et infantes usque eo appellandi sunt, donec coeperint fari. Lucilius lib. XIX:

    ut pueri infantes faciunt, mulierculam honestam. 564 (558) Non. 445,23: ‚Multum‘ et ‚satis‘ eo distant, quod multum infinitum est, satis finitum: avaris illud, hoc parcis seu continentibus applicandum est. Lucilius lib. V [fr. 197–99]. et lib. XIX:

    denique uti stulto nil sit satis, omnia cum sint.

    uti stulto nil Iunius : ut stulto nihil codd.

    559: Der Vers zieht wohl – wie später bei Horaz sat. 1,1,59 f. – ein moralisches Resümee aus der Aufzählung menschlicher Typen, die jeder auf anderem Wege vermeintlichem Glück nachjagen, vgl. Hor. sat. 1,1,1–58; s. zuletzt Charpin II 258 zu Fr. 1. 560–61: ‚So‘: wie die fleißige Ameise (fab. Aesop. 295 Halm), vgl. Hor. sat. 1,1,32–35. 562: Marx II 210: „Coniungendum est hoc fragmentum cum versu sequenti.“ – ‚vollends‘: oder – je nach Kontext – ‚jedoch‘? 563: Die Römer begegneten in der Öffentlichkeit Frauen von Stande mit höflicher Zurückhaltung; vgl. Plut. Romulus 20,4, Val. Max. 5,2,1. – Fiske (1920/1971, 238–244) deutet das Fr.-Paar im Lichte von Hor. sat. 1,1,23–26 (sowie Iuv. 14,208).

    Buch XIX

    205

    559 Nonius: ‚Singulatim‘ und ‚singillatim‘ (einzeln), von singuli (einzelne, je einer).

    So wird ein jeder von uns auf seine Weise umgetrieben.

    560–61 Nonius: ‚Olim‘ (einst) hat eine dreifache zeitliche Bedeutung: … der Vergangenheit. … der Zukunft.

    So suche (auch du) die Güter zu erwerben, die du dereinst in rauer Winterszeit genießen und an denen du dich daheim erfreuen kannst.

    562 Nonius: ‚Peniculamentum‘ (Schleppe) wird von den alten Autoren ein Teil eines Kleides genannt.

    Suche vollends nicht an ihrem Mantelsaum festzuhalten, …

    563 Nonius: ‚Infans‘ (der nicht redet) wurde von ‚non fari‘ (nicht sprechen) gebildet. … denn auch kleine Kinder (= die noch nicht sprechen können) müssen so lange so genannt werden, bis sie zu sprechen beginnen.

    … wie es kleine Kinder tun, eine ehrbare zarte Frau.

    564 Nonius: ‚Multum‘ (viel) und ‚satis‘ (genug) unterscheiden sich darin, dass ‚multum‘ unbegrenzt ist, ‚satis‘ begrenzt; auf Habgierige ist jenes, dieses auf Sparsame oder auch Genügsame zu beziehen.

    kurzum: sodass einem Toren nichts genug ist, obwohl er alles hat.

    564: Vgl. Hor. sat. 1,1,61 f. At bona pars hominum decepta cupidine falso / ‚nil satis est‘, inquit, ‚quia tanti, quantum habeas, sis‘. – ‚für den Toren‘: der stultus in Opposition zum sapiens; vgl. Hor. epist. 1,1,41 f. – ‚alles hat‘: nml. ‚was man braucht, um glücklich zu sein.‘ – Der Gedanke liegt auch Lucil. B. V Fr. 197–99 und B. XXIX Fr. 910–11 zugrunde; vgl. Hor. sat, 1,1,62.

    LIBER XX Cicero hat im Brutus, wo er den Werdegang des L. Licinius Crassus schildert (Brut. 160 = Fr. 1180M, s: die Einführung zu B. XXI sowie nach Fr. 1181), eine wertvolle Information bewahrt: Das (durch Brut. 161 auf das Jahr 107 v. Chr. datierte) Volkstribunat des Crassus sei so geräuschlos gewesen, dass man nicht davon wüsste, wenn Lucilius nicht zweimal (? – s. dazu Buch XXI) von der Teilnahme des Crassus an einem Gastmahl des Auktionators Granius berichtet hätte. Granius war ein Freund des Lucilius, der uns schon in Buch XI begegnete (Fr. 424 –25), Man ist sich einig, dass diese Nachricht auf Buch XX zu beziehen ist. 565 (569) Non. 151,1: ‚Praecisum‘ et ‚omasum‘, partes carnis et viscerum. … Lucilius lib. XX:

    illi praeciso atque epulis capiuntur opimis.

    praeciso codd. : praecioso L1 G1

    → fr. 1091–92 ? Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehört dieses Fr. nicht in Buch XXX, sondern hierher. – s. Erl. zum Fr., am Ende von B. XXX.

    566 (568) Prisc. GL 2,485,19: ‚Tergeo, tersi‘ … Lucilius in XX:

    purpureo tersit tunc latas gausape mensas.

    purpureo codd. : porpuero L K | tunc codd. : tum Lachmann

    567–68 (573–74) Non. 427,22: ‚Priores‘ et ‚primores‘ hanc habent diversitatem: priores enim conparativi sunt gradus, primores summae quaeque res. Lucilius Satyrarum lib. VIII [fr. 302–03] … (30) Lucilius Satyrarum lib. XX:

    ‚Calpurni saeva lege in Pisonis reprendi eduxique animam in primoribus naribus.‘

    saeva lege in codd. : saevam legem Iunius | reprendi Iunius : reprehendi codd. | naribus Lindsay : naris codd. : primoriibus naris Marx, alii alia. Lit. zu B. XX: Marx I, XLIX (zur Inhaltsbestimmung und Datierung); Haß 2007, 151 f. 565: Es ist gut möglich, dass Fr. 1184 –86 vorausging; vgl. Haß 2007, 151. Doch warnt Charpin (II 262 zu Fr. 2) angesichts mehrerer cenae im Werk des Lucilius davor, alle da­ rauf bezüglichen Fragmente Buch XX zuzuweisen, zumal hier – das gilt m. E. auch für Fr. 1184 –86 – Kritik an zu großer Üppigkeit im Erhaltenen nicht zu erkennen sei. Anderer Meinung in diesem Punkte ist jedoch Haß (2007, 151). 566: Vgl. Hor. sat. 2,8,10–15 his ut sublatis puer alte cinctus acernam / gausape purpureo mensam pertersit et alter / sublegit quodcumque iaceret inutile quodque / posset cenantis offendere, ut Attica virgo / cum sacris Cereris procedit fuscus Hydaspes / Caecuba vina ferens, Alcon Chium maris expers. – V. 11 ist deutliche Übernahme. Wie bei Horaz geht man

    Buch XX Zwei Fragmente (565 und 566) gehören zur Schilderung der Bewirtung, fünf weitere Fragmente dürften Reste der Gespräche sein, die beim sich anschließenden Umtrunk geführt wurden. (Sie sind deswegen als direkte Rede gekennzeichnet.) Ihr Inhalt ist bunt, ihre Reihenfolge nicht festlegbar. In der Nachfolge dieser cena steht die cena Nasidieni des Horaz (sat. 2,8). → fr. 1184 –86 ?

    565 Nonius: ‚Praecisum‘ (abgeschnittenes Stück Fleisch) und ‚omasum‘ (Rinderkaldaunen), Stücke vom Fleisch und den Innereien.

    Sie werden betört von einem Steak und von nahrhaften Gerichten.

    566 Priscianus: ‚tergeo, tersi‘ (ich wische, habe gewischt) …

    Mit einem purpurnen Fries wischte er dann die ausladenden Tische ab.

    567–68 Nonius: ‚Priores‘ (erstere) und ‚primores‘ (erste) weisen folgenden Unterschied auf: ‚priores‘ nämlich steht im Komparativ, ‚primores‘ sind die jeweils obersten Dinge.

    „Ich ereiferte mich anlässlich des (allzu) strengen Gesetzes des Calpurnius Piso und schnaubte meine Empörung hinaus vorn an den Nasenlöchern.“

    anscheinend von der cena zur commissatio mit ihren Tischgesprächen über (Krenkel zu Fr. 570). – Anders als bei Horaz hat hier jeder Gast einen eigenen Tisch, vgl. Petron. 34,5. 567–68: ‚Gesetz des Calpurnius Piso‘: die lex Calpurnia repetundarum des Jahres 149 v. Chr.; vgl. Cic. Brut. 106, Verr. 2,3,195. 2,4,56, off. 2,75; zu L. Calpurnius Piso Frugi s. W. Kierdorf: Art. [III 1) C. Piso Frugi, L, in: DNP 2 (1997) 948 f. – Es spricht ein zur Nobilität gehörender Gegner, vielleicht L. Licinius Crassus, Teilnehmer am Gastmahl des Granius und im Jahre 107 v. Chr. Volkstribun. – Zum Ausdruck der Empörung vgl. Pers. 5,91 und Petron. 62,5. – Gärtner (2008, 177) stellt mit Recht fest: „Ob Lucilius sich über die heftige Emotion lustig machte oder gar der Sprecher sich über sich selbst, ist nicht zu entscheiden, beides aber durchaus möglich.“

    208

    LIBER XX

    569–71 (570–72) Gell. 3,14,6–11: Omnis autem disputationis eius, quam subtiliter quidem, sed subobscure explicat, summa haec est: ‚dimidiatum‘ ‚dimidiatum‘ est quasi ‚dismediatum‘ et in partis duas pares divisum, ‚dimidiatum‘ ergo nisi ipsum, quod divisum est, dici haut convenit; ‚dimidium‘ vero est non quod ipsum dimidiatum est, sed quae ex dimidiato pars altera est. Cum igitur partem dimidiam libri legisse volumus dicere aut partem dimidiam fabulae audisse, si ‚dimidiam fabulam‘ aut ‚dimidium librum‘ dicimus, peccamus; totum enim ipsum, quod dimidiatum atque divisum est, ‚dimidium‘ dicis. Itaque Lucilius eadem secutus [fr. 1209–10] et alio loco [fr. 1254 –55]. Iam in vicesimo manifestius ‚dimidiam horam‘ dicere studiose fugit, sed pro ‚dimidia‘ ‚dimidium‘ ponit in hisce uersibus: – fr. –. nam cum obvium proximumque esset dicere ‚dimidia et tribus confectis‘, vigilate atque attente verbum non probum vitavit. per quod satis apparet ne ‚horam‘ quidem ‚dimidiam‘ recte dici, sed vel ‚dimidiatam horam‘ vel ‚dimidiam partem horae‘.

    tempestate sua atque eodem uno tempore et horae dimidio et tribus confectis dumtaxat, eandem ad quartam. ad quartam codd. : at quartam V P R

    572–73 (575–76) Non. 201,20: ‚Colubra‘ feminini. Lucilius Satyrarum lib. XX:

    ‚iam disrumpetur medius, iam, ut Marsus colubras disrumpit cantu, venas cum extenderit omnis.‘

    iam disrumpetur, medius iam, ut dist. Marx

    → fr. 1223–24 ? 574 (577) Non. 18,24: : ‚Nebulones‘ et tenebriones dicti sunt, qui mendaciis et astutiis suis nebulam quandam et tenebras obiciant aut quibus ad fugam et furta haec erant accomodata et utilia. … Lucilius Satyrarum lib. XIV [fr. 469–70]. idem lib. XX:

    569–71: Es geht um das viertägige Fieber (quartana febris), vgl. Plin. nat. 7,169. – eandem ad quartam versteht Marx (II 212 f. zu Fr. 570–72) im Sinne von eadem quarta hora; doch s. Charpin II 263 zu Fr. 5. – Gellius hat sich im Übrigen verkünstelt; denn wer ‚dimidia hora‘ sagte, folgte vermutlich dem Gebrauch von Adjektiven wie medius, imus, summus; vgl. Kühner-Stegmann I 233.

    Buch XX

    209

    569–71 Gellius: Seine (nml. des Varro) ganze Untersuchung aber, die er zwar detailliert, aber etwas unklar entwickelt, läuft auf Folgendes hinaus: ‚dimidiatum‘ (halbiert) ist sozusagen (gleichbedeutend mit) ‚dismediatum‘ (in der Mitte geteilt) und in zwei gleiche Teile geteilt; ‚dimidiatum‘ darf also nur eben das, was geteilt wurde, genannt werden; ‚dimidium‘ (halb) dagegen ist nicht, was selbst geteilt wurde, sondern was einer der beiden Teile vom Geteilten ist. Wenn wir also sagen wollen, wir hätten die Hälfte eines Buches gelesen oder die Hälfte einer Erzählung gehört, drücken wir uns fehlerhaft aus, wenn wir ‚dimidiam fabulam‘ (die halbe Erzählung) oder ‚dimidium librum‘ (das halbe Buch) sagen. Man bezeichnet so nämlich eben das Ganze, das halbiert und geteilt wurde, als ein Halbes. Deshalb sagt Lucilius, denselben Grundsätzen folgend [Fr. 1209–10] und an anderer Stelle [Fr. 1254 –55]. Vollends im zwanzigsten Buche vermeidet er es tunlichst, ‚dimidiam horam‘ zu sagen, sondern statt ‚dimidia‘ (nml. als Adjektiv in KGN-Kongruenz) setzt er ‚dimidium‘ (nml. als Substantiv) in folgenden Versen: – Fr. – denn obgleich es sich anböte ‚dimidia et tribus confectis‘zu sagen, vermied er wachsam und aufmerksam das unpassende Wort. Dadurch wird hinreichend deutlich, dass auch ‚hora dimidia‘ (halbe Stunde) nicht richtig gesagt wird, sondern ‚dimidiata hora‘ (halbierte Stunde) oder auch ‚dimidia pars horae‘ (halber Teil einer Stunde).

    Zu der ihm eigenen Zeit, und zwar zu ein und demselben Zeitpunkt und nach mindestens dreieinhalb Stunden (sinkt das Fieber), bis zur selben vierten Stunde hin.

    572–73 Nonius: ‚Colubra‘ (Schlange) femininen Geschlechts.

    „Gleich wird er mitten auseinanderplatzen, gleich (ist es so weit) – wie der Marser die Schlangen durch seinen (magischen) Gesang zum Platzen bringt, wenn er alle ihre Adern hat anschwellen lassen.“

    574 Nonius: ‚Nebulones‘ (Windbeutel) und tenebriones (lichtscheue Gesellen) nennt man Leute, die ihre Lügen und Ränke hinter Nebel und Dunkelheit verstecken oder denen dies zu Flucht und Diebstahl dienlich und nützlich war.

    572–73: Zur Fähigkeit der Marser s. Gell. 16,11,1, vgl. auch Hor. epod. 17,29; Ov. fast. 6,142, ars 2,102. – Zorn (vgl. Sen. dial. 4,35,3), Gelächter u. a. wurden als Ursache des Geschehens vermutet; s. auch Gärtner 2008, 177. 574: Lesart und Deutung sind unsicher. Marx (II 214 f.) verweist auf obszönen Sinn von dare in Fr. 868–69 und denkt an eine Dirne als Sprecherin. Anders lässt etwa Sen. benef. 3,11,1 an fehlgeleitete Freigebigkeit denken.

    210

    LIBER XX

    ‚nugator, cui dem, ac nebulo sit maximus multo.‘ cui dem Lachmann : cuidem codd. : cum idem Mueller; Stowasser WS 27 (1905) 212

    → fr. 1294 –95 ? 575 (578) Non. 490,29: ‚Guberna‘ pro ‚gubernacula‘. Lucilius Satyrarum lib. XX: Mar. Vict. GL 6,56,6: Pari ratione in versu et apocope praecepta est, id est subtractio syllabae syllabarumve cuiuslibet partis orationis, metro cogente facta; quae sive in verbo sive in nomine acciderit, pro integra parte orationis accipietur; ut …, similiter:

    ‚proras despoliate et detundete guberna.‘ despoliate et detundete edd. : despoliate et detundite codd. Non. : despoliate et detundiate CA Non. : detendite et spoliate codd. Mar.

    575: detundete: wird aus metrischen Gründen als Parallelbildung (nach der e-Konjugation) zu detundite angenommen; anders Georges, L-D Hwb. s. v. (= detondete). – Es existiert ein sprichwörtlicher Gebrauch von prora et puppis, s. Philostr. Her. 2,140,2 Kayser; Cic. fam. 16,24,1. – Cichorius (95–97) hat das Fr. bildlich, als Abschied des Dichters von seiner Dichtung gedeutet, was dann voraussetzen würde, dass Lucilius die Sammlung der Bücher I–XX selbst zusammengestellt und Buch XXI den Charakter eines Anhangs hätte; zustimmend z.B.

    Buch XX

    211

    „Ein Angeber, dem ich gebe, und bei weitem der größte Tunichtgut mag (?) er sein.“ 575 Nonius: ‚Guberna‘ für ‚gubernacula‘ (Steuerruder). Marius Victorinus: Gleichermaßen war im Vers auch die Apokope geboten, d. h. die Verkürzung einer Silbe oder von Silben eines beliebigen Teils der Worte, wenn ausgeführt aus metrischem Zwang. Ob sie nun an einem Verb oder einem Nomen geschieht: sie wird als gleichwertig mit dem unversehrten Teil der Worte genommen; wie z. B. …, ähnlich:

    „Takelt die Schiffe ab und hängt die Steuerruder aus.“

    Krenkel I 335 zu Fr. 579, zögernd Winkelsen 2012, 294, mehr als skeptisch Charpin II 264 zu Fr. 6. – Wie wäre es, wenn z. B. der rex mensae (συμποσίαρχος), vielleicht im Aufgreifen einer von einem Seeunternehmen handelnden Anekdote oder/und in Anspielung darauf, dass er einmal eine Flotte kommandierte, mit diesen Worten das Symposion für beendet erklärte? Beweisbar ist das freilich genauso wenig.

    LIBRI XXI-XXV Von Buch XXI ist kein einziges Fragment erhalten. Aber es gibt zwei Thesen, die dem Buch einen Inhalt zuzuweisen suchen: Für Buch XVI bezeugt Porphyrio (zu Hor. carm. 1,22,10 = Fr. 514), Lucilius habe in ihm seine Freundin Collyra besungen. Da aber kein Fragment dieses Buches Porphyrio bestätigt, nahm Cichorius (93f.) einen Schreibfehler an – nicht XVI, sondern XXI – und machte so Buch XXI zu einem Buch mit dem Sondertitel Collyra. Warum dieser These hier nicht gefolgt wird, ist in der Einleitung zu Buch XVI dargelegt. Ciceros Zeugnis, das Buch XX ein Gastmahl des Granius zuweisen ließ (s. Einleitung zu Buch XX), hat den Wortlaut (Brut. 160): Multae deinde causae (sc. L. Licinii Crassi oratoris). sed ita tacitus tribunatus ut nisi in eo magistratu cenavisset apud praeconem Granium idque nobis bis narravisset Lucilius, tribunum plebis nesciremus fuisse.

    Demnach hätte Lucilius das Gastmahl gleich zweimal geschildert. Als Ort der zweiten – mit keinem Fragment erhaltenen – Schilderung hat Marx (I, XLIX) LIBER XXII 576–77 (579–80) Don. Ter. Phorm. 287: ‚columen vero familiae‘] Columen, culmen. an columen columna? unde ‚columellae‘ apud veteres dicti servi maiores domus. Lucilius XXII [servus …situs]. Mart. 11,90,4: Carmina nulla probas molli quae limite currunt, sed quae per salebras altaque saxa cadunt, et tibi Maeonio quoque carmine maius habetur: ‚Lucili columella hic situs Metrophanes‘.

    Servus neque infidus domino neque inutilis quaquam Lucili columella hic situs Metrophanes. inutilis codd. : inutili R C Don., Marx | quaquam Warmington : quanquam codd., Marx : quoiquam J. Dousa | Lucili Lindsay: Lucilli CA Q F Mart. : Luceilei P Mart. : Lucilii codd. Don.

    578 (581) CGL IV, XVIII = Goetz, RhM 40 (1885) 324: ‚Abzet‘: extincta est vel mortua. Lucilius in XXII:

    Lit. zu B. XXI: Alfonsi 1965, 566–568 (zur Textgestaltung); Haß 2007, 143f. 576–77: inutili: Apokope des s. – Marx sucht überliefertes quanquam durch Verweis auf IGS I 793b Kaib. zu stützen. Doch findet sich dort anders als hier eine klare Gegenüberstellung des vergänglichen Körperlichen, der Schönheit, und des bleibenden Geistigen, der ἀρετή. (Alfonsi a.O. 567 führt Argumente für J. Dousas Konjektur quoiquam an.) – S. zum Fr. auch Mutschler 1985, 60f., ferner Haß 2007, 93. 108 und 143 (zum autobigraphischen Charakter).

    Bücher XXI–XXV Buch XXI in Betracht gezogen. Das ist an sich nicht unwahrscheinlich; denn in der Sammlung der Bücher I–XX (bzw. XXI) ist die Tendenz zur Zusammenstellung verwandter Themen zu beobachten (Christes 1986, 110 + Anm. 211). Dagegen spricht aber, dass eine zweimalige Behandlung desselben Ereignisses in jeweils einer ganzen Satire recht unwahrscheinlich ist. Die Wortfolge nobis bis legt die Annahme einer Diplographie nahe. Die Bücher XXII bis XXV enthalten Distichen. Sie wurden der Sammlung I– XX (bzw. XXI) postum als Anhang angefügt (Marx I, L; Cichorius 97 f.). Zumindest Buch XXII – aus den übrigen drei Büchern sind nur insgesamt zwei Fragmente erhalten – stellte dem Leser wohl ausschließlich Sklaven des Dichters vor. „Es hat etwas Rührendes, zu sehen, wie hier der große Dichter und vornehme römische Herr seinen Sklaven, jedem ein bescheidenes Denkmal setzt, ein in jener Zeit gewiss seltenes Beispiel von wahrhaft humaner Gesinnung, für die z. B. der alte Cato kein Verständnis gehabt haben würde“ (Cichorius 98).

    BUCH XXII 576–77 Donatus: „Fürwahr eine Stütze der Familie“] Columen, culmen (Dachfirst). oder bedeutet columen columna (Säule)? Davon (abgeleitet) wurden bei den alten Autoren wichtigere Sklaven eines Hauses ‚columellae‘ genannt. Martial: Dir gefallen keine Gedichte, die auf sanftem Pfade einhergehen, sondern solche, die auf holprigen Wegen und spitzen Steinen bloß stolpern, und weit mehr als das Lied des mäonischen Sängers gilt dir der Vers ‚ruht Metrophanes hier, Sklave und Stütze Lucils‘.  (Übers.: Krenkel)

    weder seinem Herrn untreu noch jemals nicht nützlich, ruht Metrophanes hier, Sklave und Stütze Lucils.

    (Übers.: Krenkel)

    578 Glossarium: ‚abzet‘, ‚ist ausgelöscht oder tot‘.

    578: abzet: ein oskisches oder paelignisches Wort, vgl. paelignisch afded; es entspricht abest in der Bedeutung mortuus est. Pacilius = oskisch Paakul. Näheres bei Marx II 216f., Krenkel zu Fr. 583, Charpin II 256 zu Fr. 5. – ‚eine Vaterfigur‘: mein Versuch, der Vorstellung zu entgehen, Lucilius habe seinen Sklaven seinem Vater gleichgestellt. Anders versucht es Terzaghi (Fr. 617): Primum Pacilius: teserophylax, pater, abzet, womit sich der Dichter als pater (= patronus) anreden lässt; ablehnend Alfonsi a.O. 566f.

    214

    LIBRI XXI-XXV

    primum Pacilius tesorophylax pater abzet. tesorophylax edd. : tesorofilax cod.

    579 (582) Non. 215,2: ‚Nasus‘ masculini. neutri Lucilius lib. VII [fr. 269]. idem lib. XXII:

    nasum rectius nunc homini est suraene pedes?

    suraene edd. : serene L BA : surene F³ | pedesne Lachmann : pedes BA : pedes dicic L : pedes dici F³

    *580 (583) Non. 149,5: ‚Petilum‘, tenue et exile. Lucilius lib. XXII:



    insignis varis cruribus et petilis.

    Lib. XXII trib. Lachmann, lib. XII codd. – varis cruribus Bentin : variis crucibus codd.

    581 (584) Non. 210,26: ‚Labea‘ rursum feminini. … Lucilius Satyrarum lib. XXII:



    Zopyrion labeas caedit utrimque secus.

    Zopyrion edd. : Zopirion codd. | caedit edd. : cedit codd.

    LIBER XXIII 582 (585) Prisc. GL 2,506,24: ‚‚Lambo‘ quoque ‚lambi‘. Lucilius in XXIII: Cf. Paul. Fest. 105,19: ‚Lamberat‘, ‚scindit ac laniat.‘

    iucundasque puer qui lamberat ore placentas.

    LIBER XXV 583 (586) Char. GL 1,123,8: ‚Arabis‘ Maro (Aen. 7,605): ‚Hircanisque Arabisque parant‘; … quid ergo, si sic declinavit ut Plautus in … et in Poenulo (1178): ‚Arabus murrinus odor‘. Lucilius XXV: Arabus … Artemo

    579: Hier und in den folgenden beiden Fragmenten macht sich Lucilius in einer Weise ironisch lustig, die auf emotionale Nähe schließen lässt; s. dazu auch Haß 2007, 143f., die darin allerdings eine Rückkehr (nach Fr. 576–77) zu „wieder gewohnte(n) Töne(n)“ sieht. Aber selbst Seneca konnte da noch außerordentlich drastisch sein: s. epist. 12,3. 580: wtl.: ‚auffallend durch …‘. – Der Pentameter ist vielleicht die Fortsetzung des vorausgehenden Fr., womit Lucilius selbst die Antwort gibt; so schon Marx II 217f. – Die mögliche Nähe zu Archil. fr. 114,3 f. West – ἀλλὰ μοι σμικρός τις εἴη καὶ περὶ κνήμας ἰδεῖν | ῥοικός, … – lässt es als denkbar erscheinen, dass vielleicht auf den Spott ein positives ‚Aber‘ folgte (Alfonsi 1965, 568, anders Haß 2007, 144).

    Bücher XXI–XXV

    215

    Zuerst ist Pacilius, mein Kassenverwalter, eine Vaterfigur, dahingegangen. 579 Nonius: ‚Nasus‘ (Nase), maskulinen Geschlechts. Als Neutrum …

    Hat der Bursche jetzt eine geradere Nase oder Schienbeine oder Füße? 580 Nonius: ‚Petilum‘ (schmächtig), dünn, winzig.

    auffallend seine schmächtigen O-Beine.

    581 Nonius: ‚Labea‘ (Lippe) auch femininen Geschlechts.

    Zopyrion schlägt (ihm mit Hieben) von links und von rechts die Lippen (blutig).

    BUCH XXIII 582 Priscianus: Auch ‚lambo‘ (ich lecke) ‚lambi‘ (habe geleckt). Vgl. Paulus, epitome Festi: ‚Lamberat‘ (er zerleckt), ‚schlitzt und zerreißt‘.

    der Bursche, der (so gern) die leckeren Kuchen zerkaut hatte. Für Buch XXIV ist kein Fragment überliefert. BUCH XXV 583 Charisius: ‚Arabis‘ (den Arabern) hat Vergil [Aen: 7,605]; … Wie also, wenn er so deklinierte wie Plautus in … und im Poenulus (1179): ‚arabischer Myrrhenduft‘. Lucilius Buch XXV:



    der Araber Artemo

    581: Vgl. Buch IX Fr. 338–39. 582: Das Plusquamperfekt lässt vermuten, dass das Fr. aus einem Epitaph auf einen jungen Sklaven stammt (so auch Charpin II 266f. zu Buch XXIII). Nicht unmöglich, im Kontext der Bücher XXII-XXV aber wenig wahrscheinlich, ist die durch Paulus nahegelegte Auffassung als Präsens. (von Krenkel Fr. 587 favorisiert). 583: Näheres zum Sklavennamen und zur Stellung der Worte im Versmaß (Hexameter?) bei Marx II 218f.

    LIBER XXVI Die Einführung in Buch XXVI muss mit der Erörterung eines Fragments beginnen, dessen Deutung erhebliche Konsequenzen für die Rekonstruktion hat. Fr. 657 veterem historiam inductus studio scribis ad amores tuos war für Cichorius (109–127) der Grundstein einer Satire, in der Lucilius dem jungen Historiker Iunius Congus empfahl, statt ‚alter Geschichte‘ ein Epos zu dichten. Eine Gegenthese, vetus historia heiße hier nicht ‚alte Geschichte‘ im heutigen Wortsinn, sondern ‚alter Mythos‘ (Christes 1971, 25–27), und das Fr. beinhalte einen Angriff auf Accius (a. O. 133 f.), hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst (zustimmend Krenkel, Gnomon 45 [1973] 207, im Grundsatz auch Charpin II 276 f. zu Fr. 23; ablehnend Frassinetti 1972, 396 und 400; Garbugino 1990, 143–148; Scholz 1996). Scholz’ Behauptung, bei dem einzigen noch existierenden Beleg für vetus historia – Plaut. Trin. 380 f. (historia vetus atque antiqua) – handele es sich jedenfalls um ‚alte Geschichte‘, darum auch bei Lucilius, ist widerlegt (Christes 1998, 74–76); die Plautusstelle spricht eher für die Gegenthese. Garbugino (a. O. 146 f.) nahm einen schon von G. Coppola (1941, 29) entwickelten Gedanken auf: historia meine hier das historische Epos, vetus beziehe sich nicht auf dessen Inhalt, sondern auf den Gattungsbegriff selbst, und angesprochen sei vielleicht der Epiker Hostius. Dazu ist bereits knapp Stellung genommen (Christes 1998, 7419 – Weiteres in der Erl. zum Fr.). Mit der hier wieder vorgetragenen Deutung von vetus historia in Fr. 657 wird der Blick auf eine Einleitungssatire für die Sammlung der Bücher XXVI–XXX erst vollends frei. Horaz hat sie sich in seiner Satire 2,1 zum Vorbild genommen (Knoche 1949/1982, 27 f.; Ter Vrugt-Lentz 1966). Ein weiterer Punkt verlangt eine Vorbemerkung: Garbugino (1990, 213–253), der die Rekonstruktion des Buches XXVI ungemein gefördert hat, bringt bestimmte Fragmente, die von Freundschaft handeln, sowie solche, deren Inhalt sich als philosophisch-protreptisch deuten lässt, mit dem Thema ‚Krankheit‘ in einer Satire zusammen. Eingehende Einzelprüfung hat mich schließlich bei den meisten dieser Fragmente zu meiner früher vertretenen Lösung (Christes 1971) zurückgeführt. Für Buch XXVI sind sechs Hauptthemen auszumachen. Sie sind wahrscheinlich mit ebenso vielen Satiren identisch. Das ergibt sich aus der durch Noniusreihen erschließbaren Reihenfolge, die die Zusammenfassung benachbarter Themen in einer Satire ausschließt. Folgende Themen lassen sich identifizieren: 1. eine Einleitungssatire für das ganze Korpus der Bücher XXVI–XXX (584– 600), 2. Frau und Ehe (601–611), 3. Lucilius und die Steuerpacht (612–618), 4. Geiz und Verschwendung, falsche und echte Freunde (619–636), 5. Literarische Polemik: Streitgespräch mit einem Tragödiendichter (637–674), und 6. Krankheit (675–685).

    Buch XXVI Ihre soeben vorweggenommene Reihenfolge ergibt sich aus der Reihung einiger weniger Fragmente, die sich aus der Arbeitsweise des Nonius ablesen lässt, und der Zuordnung dieser Fragmente zu verschiedenen Themen (s. die Appendix lex Lindsay, mit wichtiger Ergänzung durch Garbugino, s. dort Anm. 1): Aus der Reihe Non. p. 38 ergibt sich die Reihenfolge der Themen 3 (Fr. 617–18), 4 (Fr. 619–20 – Fr. 629), 5 (Fr. 646 – Fr. 659–60 – Fr. 661) und 6 (mit Fr. 684–85). Non. p. 97 stellt Thema 2 (mit Fr. 607–8) vor Thema 3 (mit Fr. 612). Non. p. 186 bestätigt die relative Reihung der Themen 1 und 4, Non. p. 138 die der Themen 4 und 5, Non. p. 88 die der Themen 2, 5 und 6, Non. p. 103 die der Themen 4 und 6. Nur für die interne Struktur jeweils eines Themas von Belang sind die Nonius-Reihen p. 74, p. 125, p. 165 und p. 437. Die Existenz der Einleitungssatire wurde von Scholz (1986) bestritten, jedoch nach unserer Meinung mit wenig überzeugenden Argumenten (Christes 1989 und Garbugino 1990, 131 Anm. 7.). Kürzlich hat sich jedoch Mondin (2013) wieder für Scholz’ These eingesetzt, dass es in Buch XXVI nur eine einzige programmatische Satire gegeben habe. Er sieht in ihr drei Themen vereinigt: „Polemica contro la tragedia“ (= Thema 5), „Le scelte personali e la vocazione satirica“ und „‚Recusatio‘ della poesia epica“ (= Thema 1). Von der Richtigkeit und Anwendbarkeit der lex Lindsay zeigt er sich überzeugt (a. O. 1–14). Er sucht sogar indirekt wahrscheinlich zu machen, dass diese eine programmatische Satire an vorletzter Stelle in Buch XXVI gestanden haben müsse (a. O. 19 f.). Seine Argumentation läuft darauf hinaus, eine Nachbarschaft auch der recusatio-Thematik mit der sechsten und damit letzten Satire des Buches (Thema ‚Krankheit‘) zu postulieren: Zwischen den Fragmenten 615–16M/593–94C und 602M/628C, die Non. p. 186 f. Reihe bilden, klafft nach seiner Meinung eine verdächtig große Spanne ohne Zwischenglied zwischen dem recusatio-Thema und dem Thema ‚Krankheit‘ (Satire 6), wenn denn das recusatio-Thema als Satire 1 anzusetzen sei. Aber die Reihe steht in Buch II des Nonius, dessen Lemmata nachträglich nach den Anfangsbuchstaben gruppiert wurden, was die ursprünglich vorhandenen Reihen zerstückelt hat. (Im Übrigen bin ich in der hier vorgelegten Ausgabe zu dem Schluss gekommen, Fr. 602M nicht mehr Satire 6 [so 1971, 65], sondern Satire 4 zuzuordnen.) Von den drei Fragmenten der Reihe p. 437 möchte Mondin das letzte Fragment dieser Reihe, 609M/599C, der Satire 6 zuschlagen. Nach meinem Dafürhalten gehören aber alle drei Fragmente dieser Reihe (auch Fr. 617M/584C) in die Einleitungssatire. Für das vorletzte Fragment der Reihe p. 38 f., 649M/661C, vermutet er mit Charpin Zugehörigkeit zur recusatio-Thematik; das letzte Fragment dieser Reihe,

    218

    LIBER XXVI

    645–46M/684–85C gehört unstreitig zu Satire 6. In meiner Rekonstruktion dagegen fand Fr. 649M/661C einen Platz im Thema 5 ‚Polemik gegen die Tragödie‘. Seine These hängt also genauso wie die hier vorgelegte Rekonstruktion von Prämissen ab, die meist nicht strikt beweisbar sind, sondern im Grad ihrer Plausibilität miteinander konkurrieren. Mit anderen Worten: Den Philologen, die sich mit Lucilius befassen, bleibt es nicht erspart, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Auf Mondins weitere, auf dem Dargelegten aufbauende Argumentation (a. O. 22 ff.) wird an geeigneten Stellen eingegangen. In der hier vorgelegten Ausgabe halte ich an der Existenz einer Einleitungssatire fest. Ihre Anfangsstellung wird zwar, wie immer schon gesehen, durch keine Nonius-Reihe gestützt, doch ihr In-

    → fr. 949–50 ?

    I

    s. u. Erl.

    584 (617) Non. 437,12: ‚Probatum‘ et spectatum‘ vis maioris est. Lucilius lib. XXVI: suppl. Quicherat

    ‚tuam probatam mi et spectatam maxume adulescentiam.‘

    585 (631) Non. 183,31: ‚Vegrande‘, valde grande. Lucilius lib. XXVI: Non. 297,37: ‚Ecferre‘, edere, provehere. … Lucilius lib. XXVI:

    Lit. zu B. XXVI: Cichorius 101–142; Schmitt 1914; Christes 1971, 72–102; Frassinetti 1972; Scholz 1986, Christes 1989; Garbugino 1990, Scholz 1996; Christes 1998; Mondin 2013. Lit. zu I: Cichorius 106–109. 109–127; ter Vrugt-Lentz 1966; Christes 1971, 72–100; Mutschler 1985, 53–55; Garbugino 1990, 135–156; Haß 2007, 204–210. 949–50: Vielleicht das Gegenstück zu Hor. sat. 2,1,5–7 ‚quiescas‘. ne faciam, inquis, / om­ nino versus? ‚aio‘. peream male, si non / optimum erat: verum nequeo dormire. S. Christes 1971, 79. 584: Das Fr. galt Cichorius (109 f.) zusammen mit Fr. 657 (s. dort sowie die Einführung zu diesem Buch) als Eckstein für seine These, Lucilius habe dem jungen Historiker Iunius Congus das Epos ans Herz gelegt. Ich halte es aber für völlig ausgeschlossen, dass Lucilius sich selbst, dazu noch ohne jede parodistische Intention, so hochgestochen sprechend dargestellt hätte. Vielmehr dürfte sein Gegenüber sich vor allem auf die Teilnahme des Dichters am Numantinischen Krieg bezogen haben. – Ein Indiz für ein besonders jugendliches Alter (so Christes 1971, 101 f.) vermag ich heute nicht mehr darin zu sehen, wohl aber gegen ein hohes Alter; denn die adulescentia deckte zu jener Zeit, die nur drei Altersstufen kannte (puer, adulescens, senex), die gesamte Lebenszeit des aktiv im Leben stehenden Erwachsenen ab; s. J. Christes. Jugend im antiken Rom, in: Jugend und Bildung im antiken Rom. Bamberg 1997, 13–17; in diesem Punkte übereinstimmend auch Frassinetti 1972, 400. Damit entfällt ein Argument für Garbuginos These (1990, 147 f.), der Vers sei von Lucilius an den jungen Epiker Hostius gerichtet.

    Buch XXVI

    219

    halt und die aemulatio des Horaz (sat. 2,1) macht ihren Platz an prominenter Stelle wahrscheinlich. Auch hebt sich die recusatio-Thematik durch ihr ‚Gesprächsklima‘ (Ratgebersituation) von der Polemik gegen die Tragödie ab – eine Feststellung, die Mondin (a. O. 62 f.) zu entkräften sucht, indem er ein paar Verse exempli causa noch einmal vereinzelt betrachtet und den bei Fragmenten immer möglichen Nachweis führt, dass man sie auch anders interpretieren kann. Davon abgesehen muss die Frage erlaubt sein, ob nicht eine einzige programmatische Satire in Buch XXVI thematisch überfrachtet wäre, zumal Lucilius die Ablehnung der Tragödie einerseits, die recusatio des Epos andererseits überaus unterschiedlich begründet.

    1. Einleitungssatire

    584 Nonius: ‚Probatum‘ (geprüft, gebilligt) und ‚spectatum‘ (prüfend betrachtet, erprobt), nachdrücklicher ist.

    „deine von mir geprüfte und bestens bewährte Jugend.“ 585 Nonius 183: ‚Vegrande‘ (nicht eben groß; überaus groß), sehr groß. Nonius 297: ‚Ecferre‘ (heraus-, forttragen), herausgeben / gebären, emporbringen

    585: Die meisten Interpreten nehmen für vegrandis die Bedeutung ‚nicht eben groß, klein‘ an, sie sei die etymologisch einzig richtige Bedeutung des Präfixes ve. Garbugino 1990, 223–225 versteht: „una vita anche troppo lunga / “ und deutet das Fr. als philosophische Aussage („una risposta del poeta a chi lo invitava alla tranquillitas“), die er der sechsten Satire des Buches (seelische und körperliche) Krankheiten zuordnet. Wenn aber grandis zeitliche Bedeutung hat, so heißt es nicht ‚lang(dauernd), sondern – nur in Verbindungen wie grandior aetas, grandis natu vorkommend – ‚bejahrt‘, ‚betagt‘. Für die Gegenposition s. Christes 1971, 93–95, vgl. bes. Gell. 16,5,7 (u. bei Fr. 628). Hinzu kommt, dass extollere nicht wie efferre die Bedeutung ‚gebären‘ hat; das Fr. ist Non. 297 bei der nachträglichen Alphabetisierung der Lemmata möglicherweise versehentlich (wegen extulit im vorausgehenden Vergilzitat?) unter das Stichwort ecferre geraten. – Die Diktion passt zum Ratgeber in der Einleitungssatire. Er mag Lucilius, dessen vielversprechende adulescentia er soeben (Fr. 584) lobte, vorgehalten haben, dass er als Verfasser von Satiren nicht seiner gesellschaftlichen Stellung gerecht werde. (Man wüsste nur zu gern, ob der Dichter ähnlich wie Cicero seine philosophische Schriftstellerei [vor allem fin. 1,1–12 und off. 3,1–5] und Sallust [Catil. 3, Iug. 4] seine Geschichtsschreibung als eine andere Form des Dienstes an der Allgemeinheit verteidigt hat.)

    220

    LIBER XXVI

    non idcirco extollitur nec vitae vegrandi datur,‘ nec vitae vegrandi codd. 183 : velite vegrandi codd. 297 : vel grandi B A 297

    586 (610) Non. 497,20: Accusativus vel nominativus pro ablativo. …. (34) Lucilius lib. XXVI:

    ‚haec tu si voles per auris pectus inrigarier,‘

    auris codd. : aures G

    587 (620) Non. 396,9: ‚Sumere‘, suscipere. Lucilius lib. XXVI:

    ‚hunc laborem sumas, laudem qui tibi ac fructum ferat:‘

    fructum codd. : fructu AA (non B)

    588 (621) Non. 255,1: ‚Crepare‘ est sonare. … Lucilius lib. XXVI:

    ‚percrepa pugnam Popili, facta Corneli cane.‘

    Popili Gerlach : pompili codd.

    589 (627) Non. 250,24: ‚Colere‘, diligere. … Lucilius lib. XXVI:

    ‚quare hoc colere est satius quam illa, studium omne hic consumere.

    satius codd. : statius AA

    586: Haec … pectus inrigarier = haec … in pectus rigarier (Housman, CQ 1 [1907] 66). Vgl. Petron. 4,3 ut studiosi iuvenes lectione severa irrigarentur. – Die betuliche Sprache passt am besten zum Ratgeber der Einleitungssatire. Demgegenüber hat Hor. epist. 1,8,16 praeceptum auriculis hoc instillare memento dank dem Deminutiv auricula einen ironischen Unterton: der Dichter will Celsus davor warnen, hochmütig zu werden – anders stellt Garbugino 1990, 219 f. das Fr. in die 6. Satire, zusammen mit den Freundschafts-praecepta. – Bei der hier vorgeschlagenen Deutung erübrigt sich der Hinweis, dass Lucilius das Hören betone, obwohl er doch an den Leser denke (Krenkel zu Fr. 677; Garbugino a. O. 220). 587: Das Fr. wird im Allgemeinen mit dem folgenden Fr. zusammen gesehen. Wer die These akzeptiert, dass vetus historia (Fr. 657) nicht ‚alte Geschichte‘ heißt, wird die beiden Fragmente als Ratschlag des Interlokutors an die Adresse des Lucilius deuten, statt Satiren ein Epos zu dichten; vgl. Hor. sat. 2,1,10–12 aut si tantus amor scribendi te rapit, aude / Caes­ aris invicti res dicere, multa laborum / praemia laturus. – Anders Charpin II 129 und 280 zu Fr. 30: Rat eines Interlokutors, statt Satiren zu schreiben, einträgliche Geschäfte (als Steuerpächter) zu machen. Doch s. Christes 1971, 75 + Anm. 13 (fructus in Verbindung mit einem ideellen Wert immer auch ideell gemeint). Garbugino (1990, 138 f.) beharrt anders auf der Topik des recusatio-Motivs, wonach fructus im Lichte der horazischen praemia zu sehen sei (‚vantaggi‘). Aber Horaz substituiert durch praemia nicht fructus – so Garbugino –, sondern

    Buch XXVI

    221

    „Nicht deswegen wird man herausgehoben oder einem recht bedeutenden Leben gegeben, …“ 586 Nonius: Akkusativ oder Nominativ statt Ablativ.

    „Wenn du willst, dass dies durch die Ohren ins Herz (dir) eingeträufelt wird, …“ 587 Nonius: ‚sumere‘ (nehmen), auf sich nehmen.

    „Nimm eine Mühe auf dich, die dir den Lohn der Anerkennung einbringt:“

    588 Nonius: ‚Crepare‘ (erschallen lassen) heißt ‚tönen‘. …

    „Lass erschallen den Kampf des Popilius, besinge die Taten des Cornelius.“

    Nonius: ‚Colere‘ (pflegen), lieben.

    589

    „Deshalb ist es besser, dies hier zu pflegen als jenes, allen Eifer hierauf zu verwenden.“

    die ganze Wendung laudem ac fructum, passt also das lucilische Argument den veränderten Verhältnissen an. Von der Geschichtsschreibung abgesehen, von Haus aus dem Metier der politischen Führungsschicht selbst, genoss nur die literarische Gattung des Epos wegen ihres Beitrags zur Pflege der memoria gesellschaftliche Anerkennung. Nur darum geht es m. E. bei Lucilius. Das Fr. setzt deswegen auch nicht zwangsläufig – so Zucchelli 1977, 9 – einen noch lebenden Scipio Aemilianus voraus; s. hierzu den Epilog in Buch XXX. – Vgl. Mondins ausführliche Diskussion der beiden Fragmente (2013, 49–54) 588: ‚Lass erschallen‘: vielleicht mit dem Unterton des Tadelns, vgl. increpare, s. auch Non. 255,15 Crepare significat rursum queri vel dolere. – M. Popilius Laenas, cos. 139 v. Chr., hatte 138 v. Chr. eine unrühmliche Niederlage gegen die Lusitaner erlitten (Liv. per. 55). (An positiv gemeinte Erwähnung glaubt E. Lefèvre 2001, 144.) Ihr Anführer Viriatus hatte wohl auch die Keltiberer zum Abfall von Rom gebracht (D. Rohmann: Art. Viriatus, in: DNP 12/2 [2003] 244), was zur Eroberung von Numantia 133 v. Chr. durch Scipio Aemilianus führte. „ L’interlocuteur demande à Lucilius d’être un nouvel Ennius “ (Charpin II 278 zu Fr. 26). 589: ‚dies hier‘: das Epos; ‚jenes‘ (n. pl.!): die Satiren (Christes 1971, 82 f., Garbugino 1990, 140). – Andere Deutungen bei Marx II 231 f.; Cichorius 115; Puelma Piwonka 1949, 147; Krenkel zu Fr. 629; Charpin II 268 zu Fr. 3, Mondin 2013, 62.

    222

    LIBER XXVI

    590 (626) Nonius 388,16: ‚Saevum‘ dicitur inmite. … Lucilius lib. XXX [fr. 1081]. idem lib. XXVI:

    ‚quodque te in tranquillum ex saevis transfert tempestatibus.‘

    te in E B : te in te in codd. | saevis codd. : evis L1 AA | transfert Mercier : transfer codd. : transfers J. Dousa

    591–92 (613–14) Non. 420,31: ‚Vis‘ est celer impetus. Lucilius lib. XXVI [Romanus … proeliis]. Non. 437,14: ‚Bellum‘ et ‚proelium‘ hoc differunt, quod proelia partes sunt belli, hoc est in bello congressiones. Lucilius lib. XXVI:

    ut Romanus populus victus vi et superatus proeliis saepe est multis, bello vero numquam, in quo sunt omnia. ut codd. 437 : om. codd. 420 | vi et codd. 437 : vel codd. 420 : vei Mueller

    → fr. 948 ? 593–94 (615–16) Non. 186,31: ‚Viriatum‘ dictum est magnarum virium. Lucilius lib. XXVI:

    contra flagitium nescire bello vinci a barbaro Viriato, Annibale 595 (622) Non. 110,30: ‚Folliculum‘ Lucilius posuit pro corpore lib. XXVI:

    ego si, qui sum et quo folliculo nunc sum indutus, non queo

    590: Die Konjektur transfert liegt paläographisch näher (Haplographie), aber auch die Konjektur transfers (te transfers um der Alliteration willen statt te confers) hat etwas für sich: „und weil du dich (damit) … hinüberbegibst.“ – Garbugino (1990, 222 f.) sieht in dem Fr. eine unmittelbare Fortsetzung des Fr. 666–67 (quod … quodque) und deutet mit Marx (s. auch Charpin II 290 f. zu Fr. 54) den Inhalt epikureisch. Aber die Metaphorik des Fr. hat in Anwendung auf gesellschaftlich und politisch unruhige Zeiten eine ältere und weiter reichende Tradition (Christes 1971, 81, bes. Anm. 47). (Winkelsen 2012, 252 wundert sich, dass ich „gerade an das Epos“ denke, denn Seestürme seien doch „fürs Epos typisch“. Muss ich betonen, dass ich nicht literarisch dargestellte Stürme meine?) Eine epikureische Einfärbung ist deswegen nicht einmal ausgeschlossen, dann aber eher in dem Sinne zu verstehen, dass Römer, die ein Privatleben dem Leben in der Öffentlichkeit vorzogen, sich gern auf Epikurs Lehre beriefen; vgl. Cic. rep. 1,1 homo demens (i. e. Cato Censorius), ut isti putant, cum cogeret eum necessitas nulla, in his undis et tempestatibus ad summam senectutem maluit iactari, quam in illa tranquillitate atque otio iucunde vivere. So verstanden, kann das Fr. als Teil der Begründung des Ratschlags verstanden werden, statt der nur Feindschaft stiftenden Satire besser ein Epos zu dichten.

    Buch XXVI

    223

    590 Nonius: ‚Saevum‘ (wild) heißt ‚unsanft‘.

    „und weil es dich aus tosenden Stürmen in ruhiges Gewässer hinüber­ rettet.“ 591–92 Nonius 420: ‚Vis‘ (Kraft, Gewalt) ist schnelles Vorwärtsdrängen. Nonius 437: ‚Bellum‘ (Krieg) und ‚proelium‘ (Gefecht, Schlacht) unterscheiden sich darin, dass Schlachten (nur) Teilereignisse eines Krieges sind, d. h. (feindliches) Zusammentreffen im Kriege.

    wie das r ö m i s c h e Volk zwar oft durch den (gegnerischen) Ansturm besiegt und in vielen Treffen geschlagen wurde, im Kriege aber niemals, worauf doch alles ankommt.

    593–94 Nonius: ‚Viriatum‘ hieß ‚von großen Kräften‘. Von Nonius missverstanden.

    dagegen die Schande nicht zu kennen, im Krieg von einem Barbaren, einem Viriatus, einem Hannibal … besiegt zu werden.

    595 Nonius: ‚Folliculus‘ (kleiner Sack) setzte Lucilius in Buch XXVI für ‚Körper‘:

    wenn ich, wie ich bin und in was für einer Haut ich nun einmal stecke, (dazu) nicht in der Lage bin …

    591–92: ‚wie‘: kann eine indirekte Frage (im älteren Latein oft noch mit Indikativ) oder einen Vergleich einleiten. – Zum Topos vgl. Liv. 9,18,9. Puelma Piwonka (1949, 144³) nimmt Ennius als Quelle an. – Wenn hierzu Hor. sat. 2,1,13–15 in Parallele gesehen werden darf – neque enim quivis horrentia pilis / agmina nec fracta pereuntis cuspide Gallos / aut labentis equo describit volnera Parthi –, gehören dieses und das folgende Fr. zum Part des Lucilius. Die Stilisierung (bes. Alliteration, emphatische Voranstellung von Romanus) macht deutlich: auch Lucilius könnte sehr wohl ein Epos dichten, aber es fehlt an der inneren Einstellung, s. auch Mutschler 1985, 54 f. – Vgl. zu diesem und dem folgenden Fr. Mondin 2013, 54–58. 593–94: Zu Viriatus s. D. Rohmann: Art. Viriatus, in: DNP 12/2 (2003) 244; der Krieg gegen die von ihm angeführten Lusitaner fand 153–133 v. Chr. statt. – In diesem Fr. liegt der erste lateinische Beleg für barbarus im Sinne von ‚Fremder, Ausländer‘ vor (G. Walser: Art. barbarus, in: Enciclopedia Virgiliana I, Rom 1984, 457): ein Beleg für die kulturelle Hellenisierung Roms (Garbugino 1990, 150). 595: ‚(dazu)‘: nml. ein Epos zu dichten; zu ergänzen etwa: ‚so fruchtet aller guter Wille nichts‘; vgl. Hor. sat. 2,1,12 f. cupidum, pater optime, vires / deficiunt. So fast alle Interpre-

    224

    LIBER XXVI

    596 (623) Non. 78,2: ‚Bulga‘ est folliculus omnis, quam et cruminam veteres appellarunt. et est sacculus ad bracchium pendens. Lucilius Satyrarum lib. VI (fr. 248–51] … (12) Lucilius lib. XXVI:

    ita uti quisque nostrum e bulga est matris in lucem editus,

    uti Lachmann : ut codd.

    597–98 (633–34) Non. 238,27: ‚Appellere‘ est applicare. Lucilius lib. XXVI: Non. 327,25: ‚Iacit‘, facit. Lucilius lib. XXVI [aggere … opus]. Non. 243,41: ‚Actum‘, admotum. Lucilius lib. XXVI [aggere … opus]

    aggere in iaciendo, si quost vineis actis opus, primum id dant operam ut quam primum appellant

    aggere Marx : agere codd. | iaciendo codd. 238, 327 : iacendo codd. 243 | si quost codd. 327 : si quo est G 327 : si quos tu codd. 243 : si quo est in AA DA 238 | vineis codd. 238, 327 : vinis codd. 243

    → fr. 952 ? 599 (609) Non. 437,20: Inter ‚cavere‘ et ‚vitare‘ Lucilius esse distantiam voluit lib. XXVI et esse plus vitare:

    quid cavendum tibi censerem, quid vitandum maxume. censerem Quicherat : censere codd.

    ten, zuletzt auch Mondin 2013, 58; anders Charpin II 281 zu Fr. 33, der das Fr. mit Fr. 617–18 in Zusammenhang bringt. – Gegen die Deutung, Lucilius stehe hier in der Nachfolge des Kallimachos (Puelma Piwonka 1949, 167), wenden sich Christes 1971, 77 und Garbugino 1990, 141 f. S. im Ganzen auch Bagordo 2001, 24–36. 596: bulga: vulgärer sermo castrensis für alvus (so etwa Lucr. 5,225). – Gegenüber der Betonung der Individualität im vorausgehenden Fr. hier die der allgemeinen conditio humana (Charpin II 284 f. zu Fr. 42). – Marx (II 231 f.) denkt an Fortsetzung des Satzes im epikureischen Sinne, vgl. Cic. fin. 1,30 (… voluptatem appetere). Doch vgl. Hor. sat. 2,1,21–27 (gegen die Warnung des Trebatius vor dem odium, das der Satire entgegenschlägt, Beispiele für die Unwiderstehlichkeit des Naturtriebs), was V. 27 f. – quot capitum vivunt, totidem studiorum / milia – als Parallele wahrscheinlich macht (Christes 1971, 78 f., zustimmend Garbugino 1990, 143.) 597–98: Das Fr. beschreibt Belagerungstechnik; vgl Caes. Gall. 2,12,5, illustrativ im Ganzen: 7,22–28. Schildert Lucilius vielleicht Scipios Mühen vor Numantia? So Charpin II 279 zu Fr. 28, ferner Mondin 2013, 60 f. Aber das Fr. klingt nicht nach Schilderung einer konkreten Situation, sondern nach grundsätzlicher Erörterung eines militärischen modus operandi: Vielleicht dient sie zur Illustration, etwa des Verhaltens des Satirikers, wenn er angefeindet wird; so Schmitt 1914, 18 und Christes 1971, 95 f.

    Buch XXVI

    225

    596 Nonius: ‚Bulga‘ (lederner Sack) ist jede Art von kleinem Sack, den die alten Autoren auch ‚crumina‘ (Geldbeutelchen) nannten. Und zwar ist das ein am Arm hängendes Säckchen. …

    So, wie ein jeder von uns aus dem Mutterleib ins Licht getreten ist, …

    597–98 Nonius 238: ‚Appellere‘ (herantreiben) heißt ‚anfügen, etw. mit etw. verbinden‘. Nonius 327: ‚Iacit‘ (wirft), ‚macht, baut‘. Nonius 243: ‚Actum‘ (getrieben), ‚heranbewegt‘.

    Wenn es beim Bau eines Erdwalls irgendwie erforderlich ist, Schirm­ dächer heranzuführen, bemühen sie sich zuerst darum, (sie) sobald wie möglich (an die Stadtmauer) heranzubringen.

    599 Nonius: Zwischen ‚cavere‘ (sich hüten) und ‚vitare‘ (meiden), so wollte es Luci­ lius in Buch XXVI, besteht ein Unterschied, und den größeren Nachdruck hat vitare:

    wovor du dich, so lautete mein Rat, hüten, was du ganz und gar meiden solltest.

    599: Der gravitätische Duktus und die gleichsam zensorische Haltung (censerem!) sprechen dafür, den Vers dem Ratgeber in der Einleitungssatire zu geben (Christes 1971, 85 f.; ähnlich Krenkel II 387 zu Fr. 675); auch Trebatius warnt noch einmal rekapitulierend (Hor. sat. 2,1,80 f.): sed tamen ut monitus caveas, ne forte negoti / incutiat tibi quid sanctarum inscitia legum. Anders Charpin II 267 f. zu Fr. 2 und Garbugino 1990, 220 f., der das Fr. auf die (von ihm in die 6. Satire eingeordneten) Ratschläge des Dichters für einen Freund bezieht. 600: praeterito kann auch 2. pers. imperativi sein, glutinator ist dann ein Vokativ. – Von der Fertigung einer Papyrusrolle; vgl. Plin. nat. 13,82. – Mueller hatte den als Senar vollständigen Vers Buch XXVIII zugewiesen, Marx (II 278 zu Fr. 793) auf der Grundlage seiner irrigen Auffassung der Arbeitsweise des Nonius ihm zugestimmt. Cichorius 152 f. widersprach als erster unter Verweis auf die eindeutige Buchangabe des Nonius. Das Fr. könnte den Schlusspunkt der Einleitungssatire gesetzt haben, nachdem der Dichter sein Gegenüber vom Sinn seines Tuns überzeugt hatte (Christes 1971, 93) – vielleicht so: die Einleitungssatire kommt auf das äußere Blatt der Rolle zu stehen. Lucilius könnte also fingieren, der Buchbinder möge nun der fertigen Sammlung das Blatt mit dem Text der Einleitungssatire hinzufügen. – Zum Fr. s.T. Dorandi: Lucilio fr. 798 Krenkel. SIFC 54 (1982, 216–218; T. Dorandi / J. Quack: Art. Rolle, in: DNP 9 (2000) 300. Vgl. Hor. sat. 1,10,92 i, puer, atque meo citus haec subscribe libello; hier geht es allerdings um eine Ergänzung am Ende des Textes.

    226

    LIBER XXVI

    600 (793) Non. 491,29: ‚Glutino‘ pro glutine. Lucilius lib. XXVI:

    praeterito tepido glutinator glutino.

    lib. XXVI codd. : lib. XXVIII trib. Mueller, senariis incertae sedis Charpin | iam cartam add.Cichorius 153 | glutinator glutino H1 : glutinator glutinor L BA DA

    II 601 (677) Non. 165,12: ‚Repedare‘. Lucilius lib. XXVI:

    rediisse ac repedasse, ut Romam vitet gladiatoribus.

    rediisse Mueller: redisse codd. | Romam Scaliger : Roma codd. | vitet codd. : bitat Scaliger : ut vitet Lindsay | vitet, gladiatoribus dist. Marx

    Non. 165,13: (v. supra) idemque:

    602 (676)

    sancto ego a Metelli Roma iam repedebam munere.

    sancto dub. Lindsay in app., sed v. nunc Garbugino 1984, 111–118. : sanctum codd., Marx | Metelli Terzaghi : Metello codd., Marx | Roma iam Terzaghi : Romam iam codd. : Roma rem Marx | sanctum ego a Metellorum iam repedabam munere Cichorius 137–141

    603–4 (678–79) Non. 360,26: ‚Offerre‘, invenire. Lucilius lib. XXVI: Non. 372,36: ‚Producere‘, instituere. … Lucilius lib. XXVI [ducunt … liberos].

    homines ipsi hanc sibi molestiam ultro atque aerumnam offerunt,

    Literatur zu II: Cichorius 133–142; Christes 1971, 53–60; Charpin II 285–290; Heldmann 1979; Garbugino 1984, 111–118, ders. 1990, 157–166; Haß 2001, 117 f.; Lefèvre 2001, 144 f.; Haß 2007, 58–60. 601: Wie auch immer zu ergänzen ist: Die Handlung spielt im Präsens, was am ehesten an eine generelle Aussage denken lässt. – ‚um Rom zu meiden‘: vgl. Hor. epod. 2,7 f. forumque vitat et superba civium / potentiorum limina. – ‚zur Zeit der Gladiatorenspiele‘: vgl. Cic. Mur. 67. – Gladiatorenkämpfe wurden in der zweiten Hälfte des 3. Jh. v. Chr. Bestandteil von Leichenfeiern der Nobilität (munera, s. das folgende Fr. und Flaccorum munere Fr. 171–74); s. F. Kolb: Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike. München 1995, 195; A. Hönle: Art. Munus, Munera, III. Gladiatorenspiele, in: DNP 8 (2000) 486–494. Römer von Stande mieden gern die damit verbundenen Umtriebe; vgl. Cic. Att. 2,1,1, fam. 7,1,3, ad Q. fr. 3,1,1, de orat. 1,24. Charpin (II 285 zu Fr. 43–44) betont mit Recht die propagandistische Wirkung solcher Veranstaltungen, die hier (s. das folgende Fr.) einem Widersacher des Scipio Aemilianus zugutekommt. 602: Der überlieferte Text ist aus metrischen wie inhaltlichen Gründen nicht haltbar. Am weitesten wagte sich Cichorius vor (akzeptiert von Krenkel Fr. 632 und Christes 1971, 53). Garbugino (a. O.) schlug nach gründlicher Revision aller Vorschläge vor, lediglich sanctum in sancto zu ändern (von sancire. in der Bedeutung ‚istituire, stabilire‘ [a. O. 117], ironisch gebraucht; sancto … munere ein Ablativus absolutus). Aber die Erweiterung des abl. abs. durch a Metello wäre ungewöhnlich (wenn auch nicht unmöglich; s. Kühner-Stegmann I 772

    Buch XXVI

    227

    600 Nonius: ‚Glutino‘ statt ‚glutine‘ (mit Leim).

    (Nun) bestreiche (das Papier) der Leimer mit warmem Leim.

    2. Frau und Ehe 601 Nonius: ‚Repedare‘ (zurückgehen, -weichen)

    … zurückgekehrt und zurückgewichen zu sein, um Rom zur Zeit der Gladiatorenspiele zu meiden.

    Nonius: (s. o.) und derselbe:

    602

    Ich war gerade auf dem Rückzug aus Rom, weg von den (ach so) ‚erhabenen‘ Leichenspielen des Metellus,

    603–4 Nonius 360: ‚Offerre‘ (entgegentragen, anbieten), ‚finden‘. Nonius 372: ‚Producere‘ (vowärts-, hervorbringen), ‚hinstellen, errichten‘.

    Die Menschen bereiten sich selbst diesen Verdruss aus freien Stücken und diese Mühsal,

    § 138 Anm. 6.), und die Stellung von ego unorganisch. Deshalb schlage ich (nach Rücksprache mit Herrn Garbugino) vor, auch Terzaghis Konjektur Metelli aufzunehmen. Irrtümer bei den Kasusendungen sind in der Nonius-Überlieferung häufig (Garbugino a. O. 117 Anm. 22), und ist erst einmal ein Text unverständlich, kommt es leicht zu Schlimmbesserungen. Dann ist sancto als (ebenfalls ironisch gemeintes) Adjektiv zu verstehen; vgl. Cic. Catil. 1,9 sanctissimo … consilio (der Senat ist gemeint), Sest. 83 sanctissimo in magistratu, vgl. auch Verr. 2,5,36 ludos sanctissimos. Es ergibt sich so ein schlüssiger Versaufbau (babab). – ‚des Metellus‘: Zur Person s. die Erl. zum folgenden Fr.; gemeint ist nicht der Tote, sondern der Veranstalter der Spiele (Christes 1971, Anm. 3) – für wen seiner Angehörigen, bleibt ungewiss (vielleicht seinen Bruder L. Caecilius Calvus, s. Cichorius 139, der allerdings an dessen Söhne als Veranstalter denkt). – ‚gerade‘ (in Verbindung mit Tempus Imperfekt): deutet auf einen durch cum inversum eingeleiteten Nebensatz (oder einen Hauptsatz in gleicher Funktion) hin; s. Kühner-Stegmann II 388 f. §204, 1; vgl. Hor. sat. 1,9,1–3 Ibam forte via sacra … . accurit quidam … . Darin kann der Dialogpartner (s. Fr. 611 und wahrscheinlich Fr. 609–10) eingeführt worden sein. – Zum Fr. s. auch David B. George: Lucilius 676M, Metellus, and his munus. CJ 83 (1987–1988) 298–300, der, von Marx’ Textherstellung ausgehend, einen möglichen Doppelsinn von munus herausarbeitet: munus = Spiele, aber auch = officium (Metelli) im Sinne von Fr. 617. 603–4: Der Censor Q. Metellus Macedonicus ergriff 131 v. Chr. eine Gesetzesinitiative mit dem Ziel, ut cogerentur omnes ducere uxores liberorum creandorum causa (Liv. per. 59).

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    LIBER XXVI

    ducunt uxores, producunt, quibus haec faciant, liberos. faciant codd. : faveant Mueller

    605 (680) Non. 324,10: ‚Inpurus‘ est aliquo vitio maculatus. … Lucilius lib. XXVI:

    coniugem infidamque, flaccam familiam, inpuram domum

    infidamque codd. : infidam atque Quicherat | flaccam Mariotti 1960, 64, Garbugino 1990, 157. 161 : flaticam codd. : pathicam Duebner : placitam Marx | impuram domum G : impuramodum codd.

    606 (681) Non. 88,25: ‚Cribrum‘. Lucilius lib. XXVI:

    cribrum, incerniculum, lucernam, in laterem, in telam licium

    cribrum codd. : cibrum DA | incerniculum codd. : in cerniculum Mueller | in laterem codd. : in lateram CA DA : in del. Buecheler RhM 43 (1888) 291

    607–8 (682–83) Non. 97,5: ‚Depeculassere‘ ac ‚deargentassere‘ et ‚decalauticare‘. Lucilius lib. XXVI:

    depeculassere aliqua sperans me ac deargentassere, decalauticare, eburno speculo despeculassere,

    depeculassere L1 : depoculassere H1 G : depoclassere Schmidt, Marx | despeculassere Schmidt : depeculassere codd.

    Aus seiner Rede vor dem Senat hat Gellius (1,6,2 = Met. Mac. Fr. 6 ORF4) folgenden Passus bewahrt: si sine uxore vivere possemus, Quirites, omnes ea molestia careremus; sed quoniam ita natura tradidit, ut nec cum illis satis commode, nec sine illis ullo modo vivi possit, saluti perpertuae potius quam brevi voluptati consulendum est. Der Dichter polemisiert (im Dialog mit einem Heiratswilligen, s. u.), mit deutlichem Anklang an diese Worte gegen den Antrag; s. Cichorius 133 f.; Schmitt 1914, 24; Christes 1971, 54 f., Charpin II 286 f. zu Fr. 47; Garbugino 1990, 159 f.; abweichend Heldmann 1979, der die Worte Iuppiter in den Mund legt und als einen Fall von μεμψιμοιρία deutet. – Zwischen ita natura tradidit (Metellus) und homines ipsi … ultro (Lucilius) besteht in der Tat ein Gegensatz (Schmitt ebd.), aber mit dem ‚Naturgesetz’, auf das Metellus sich beruft, ist in der Tat nicht der Trieb zur Fortpflanzung gemeint, sondern (so auch Heldmann) die Gesetzlichkeit, dass Kinderlosigkeit zum Aussterben führt. Dem kann sich das Individuum sehr wohl verweigern, und Lucilius tut dies. Er teilt die Meinung des Metellus, dass die Ehe eine molestia ist, fragt nach dem Grunde, weshalb trotzdem Ehen geschlossen werden, und benennt (was dem Fortpflanzungstrieb nahekommt) Kinderliebe als Grund, womit Metellus eben nicht argumentiert. Der Relativsatz hat am ehesten kausalen Nebensinn. Die Haltung seines Gegenübers (s. Fr. 611) bestätigt die Sicht des Dichters. – Fraglich bleibt, worauf sich haec bezieht. Marx’ Deutung (II 247) – er

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    sie nehmen Frauen, sie setzen, für die sie dies (alles) tun, Kinder in die Welt 605 Nonius: ‚Inpurus‘ (unrein) meint ‚von einem Makel besudelt‘.

    eine (ehebrecherische?) und treulose Frau, ein schlappes Gesinde, ein sitt­ lich verkommenes Haus

    Nonius: ‚Cribrum‘ (Sieb).

    606

    ein Sieb, einen Durchschlag, eine Lampe, für das Schiffchen, für den Einschuss einen Faden

    Nonius: (s. die Übersetzung des Fr.)

    607–8

    eine, die hofft, mich um Vermögen und Geld zu bringen, durch ihre Gelüste nach einer Haube, einem in Elfenbein gefassten Spiegel zu ruinieren, …

    bezieht haec bei finalem Sinn des Relativsatzes darauf, „ut sumptum praebeant, vestitum, victum, alia“, wovon im Text zuvor die Rede gewesen sein müsse – ist vielleicht zu sehr von heute her gedacht; haec kann sich einfach auf den Inhalt der beiden Hauptsätze beziehen. 605: „Versus antecedentis vox erat veluti adulteram“ (Marx II 247). – Der Charakter der Ehefrau – Negation einer römischen matrona (Garbugino 1990, 161 f.) – verdirbt die fami­ lia, im Ergebnis ist das ganze Hauswesen verdorben; Terzaghi 1934/1970, 1492, vgl. (von Krenkel [zu Fr. 633] beigebracht) Apul. apol. 75 Domus eius tota lenonia, tota familia cont­ aminata: ipse propudiosus, uxor lupa, filii similes. 606: Mit satirischer Überspitzung ihres geringen Wertes zählt Lucilius Gegenstände auf, mit denen in früherer Zeit eine matrona auskam – oder auch jetzt noch gefälligst auszukommen hat? Im Einzelnen s. Charpin II 288 f. zu Fr. 51; Christes 1971, 56 f.; Garbugino 1990, 162 f. 607–8: Der aus der Komödie bekannte Typus der verschwenderischen Frau, vgl. Plaut. Truc. 51–56, Aul. 167–169. – Zu Einzelheiten Christes 1971, 57 f., in allem zustimmend Garbugino 1990, 163 f.; lediglich in der Auffassung von deargentassere abweichend Charpin II 288 zu Fr. 49. Zum Aspekt ‚verschwendungssüchtige Ehefrau‘ (im Vergleich mit der Komödie) s. Auhagen 2001, 13 f.

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    LIBER XXVI

    609–10 (684–85) Non. 366,19: ‚Petere‘ significat poscere. … Lucilius lib. XXVI [ferri … petit]. Non. 382,42: ‚Rogare‘, poscere. Lucilius lib. XXVI:

    ‚ferri tantum si roget me, non dem, quantum auri petit, si secubitet, sic quoque a me, quae roget, non impetret.‘

    sic Gulielmus : si codd.

    611 (686) Non. 17,32: ‚Delirare‘ est de recto decedere. ‚lira‘ est autem fossa recta, quae contra agros tuendos ducitur et in quam uligo terrae decurrat. … Lucilius XXVI:

    ‚qua propter deliro et cupidi officium fungor liberum.‘ fungor ruberum Marx; fungo ruberum L F H, fungor ruberum G P E

    III 612 (666) Non. 97, 9: ‚Difflare‘ est flatu disturbare. … Lucilius lib. XXVI:

    ‚pars difflatur vento, pars autem obrigescit frigore.‘

    613 (667) Non. 521,1: ‚Proventum‘ etiam malarum rerum dici veteres voluerunt. Lucilius lib. XXVI:

    ‚denique adeo male me accipiunt decimae et proveniunt male,‘

    denique edd. : deinque vel dein quae codd.

    614 (668) Non. 272,27: ‚Constat‘, valet, consistit. Lucilius lib. XXVI:

    ‚trado ergo alias nummo porro, quod mihi constat carius.‘ ergo alias codd. : ego aliis Lachmann

    609–10: Spricht Lucilius, der sich alsdann in der Rolle des Ehemanns sieht? (Garbugino 1990, 164 f.) Aber zu seiner offenkundigen Ablehnung der Ehe würde eine Formulierung im Irrealis besser passen. Eher trumpft hier sein zur Heirat entschlossener Gesprächspartner auf, s. das folgende Fr. (Christes 1971, 58 f.). Charpin II 288 zu Fr. 50 lässt die Frage offen. Vgl. Plaut. Aul. 498–533. Literatur zu III: Cichorius 101–106; Christes 1971, 28–37; Garbugino 1990, 166–176; Haß 2007, 54–57. 612: Wenn ein Zusammenhang mit dem folgenden Fr. vorausgesetzt werden kann, spricht ein Zehntpächter (decumanus). – Der wohl eher zufällige Anklang (Garbugino 1990, 172 Anm.

    Buch XXVI

    231

    609–10 Nonius 366: ‚Petere‘ (erstreben) bedeutet ‚fordern‘. Nonius 382: ‚Rogare‘ (bitten), ‚fordern‘.

    „Eisen würde ich, wenn sie mich darum bäte, nicht so viel geben, wie sie Gold verlangt; (selbst) wenn sie getrennt schliefe – auch so würde sie von mir nicht bekommen, um was sie bittet.“

    611 Nonius: ‚Delirare‘ (verrückt sein) meint ‚von der geraden Richtung abweichen‘. ‚lira‘ (Furche) ist aber ein gerade gezogener Graben, der gegenüber zu schützenden Äckern gezogen wird und in den sich die Nässe des Bodens absetzt.

    „Deswegen bin ich verrückt und erfülle die Pflicht eines Mannes, der sich Kinder wünscht.“

    3. Lucilius und die Steuerpacht 612 Nonius: ‚Difflare‘ (zerblasen) heißt ‚durch Blasen auseinander wirbeln‘.

    „Ein Teil wird vom Wind weggeblasen, ein Teil aber erstarrt im Frost.“

    613 Nonius: ‚proventus‘ (Hervorkommen, Gedeihen) wurde, so wollten es die alten Autoren, auch von üblen Dingen gesagt.

    „Am Ende spielen mir die Zehnten so übel mit und fallen so schlecht aus, …“

    614 Nonius: ‚Constat‘ ([als t.t. der Geschäftssprache:] es kommt zu stehen), ‚es ist wert‘, ‚stellt sich hin, [als t.t. des Würfelspiels:] fällt‘.

    „Ich verkaufe also ein anderes Mal für einen Spottpreis weiter, was mich teurer zu stehen kommt.“

    141) an Hor. sat. 2,1,60–62 … frigore te feriat ist für entsprechende Schlussfolgerungen (Schmitt 1914, 23 und Krenkel zu Fr. 646) kaum tragfähig. 613: Es spricht kein possessor (so Marx II 243; Charpin II 282 zu Fr. 35), sondern ein decu­ manus, der sich über die schlechte Rendite des Zehnten bei einer Missernte beklagt (Cichorius 102 f.; Schmitt 1914, 24; Christes 1971, 28 f.; Garbugino 1990, 170–172). 614: Umgekehrt (s. das vorausgehende Fr.) drückt bei guter Ernte die auf den Markt drängende Ware auf den Preis, so dass der Zehntpächter wieder Grund hat, über schlechte Geschäfte zu klagen; s. Christes 1971, 29–31, Garbugino 1990, 172 f.

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    615 (644) Non. 110,19: ‚Fulgorivit‘, fulgorem fecit vel fulmine afflavit. … Lucilius lib. XXVI:

    lucorum exactorem Albanum et fulguritarum arborum.

    lucorum Lachmann : luporum codd. | exactorem Lipsius : exauctorem codd., Marx : sanctorum Buecheler Jen. Lit. Z. (1874) 394 | Albanum Duentzer : malvanum codd. | fulguritarum F³ : fulguritatem L BA

    616 (675) Non. 351,1: ‚Mutare‘, derelinquere. Lucilius lib. XXVI:

    mihi quidem non persuadetur, pulices mutem meos.

    pulices codd. (publices L BA) Smith AJPh 22 (1901) 44–46, Garbugino 1984, 120–122 : publicis Marx, Charpin

    617–18 (671–72) Non. 351,6: ‚Mutare‘, aliud pro alio accipere. Lucilius lib. XXVI: Non. 37,32: ‚Scripturarios‘ veteres, quos nunc tabularios dicimus, dici volunt, quod scripturis et commentariis omnia vel urbium vel provinciarum complecterentur. Lucilius lib. XXVI [publicanus … scripturarius].

    publicanus vero ut Asiae fiam, ut scripturarius, pro Lucilio, id ego nolo et uno hoc non muto omnia. publicanus codd. 351 : publicanum codd. 37 | fiam ut codd. 37, : fiam codd. 351

    IV 619–20 (669–70) Non. 38,5: ‚Versipelles‘ dicti sunt quolibet genere se commutantes. Lucilius lib. XXVI:

    615: Die Herstellung des Textes bleibt vor allem beim zweiten Wort umstritten, entsprechend auch die Deutung, s. Krenkel zu Fr. 678; Christes 1971, 36; Charpin II 276 zu Fr. 22; Garbugino 1990, 173–175. Bei der hier vorgezogenen Variante ist die Zugehörigkeit zur 3. Satire wahrscheinlich (Cichorius 103 f., Garbugino a. O. 175). 616: Garbuginos Votum für die Lesart pulices (s. auch 1990, 175) überzeugt (unentschieden noch Mutschler 1985, 50 f.) Es handelt sich um eine sprichwörtliche Redensart, die zuerst (mit Zecken als Quälgeistern) bei Aristot. rhet. 2.1393 b 23–1394 a 1 von Aesop berichtet wird. – ‚wegzugeben‘ (vgl. das Nonius-Lemma): nml. gegen eine schlimmere Plage. – Das Fr. könnte, so gedeutet, auch in die Ehesatire passen (Garbugino 1984, 131 f.). 617–18: ‚gar‘: Die hier gewählte Übers. von vero basiert auf der Vermutung, dass der Gedanke, Steuerpächter in Asien zu werden, dem neuen Eldorado, eine Klimax der vorausgehenden Diskussion darstellt (s. Kühner-Stegmann II 81, § 162,5). Das emphatische Beharren des Dichters auf seiner Unabhängigkeit und Individualität lässt sich am ehesten als betonter Höhepunkt einer Argumentation denken. Natürlich ist das nicht strikt beweisbar. (Garbugino 1990, 168–170 unterdrückt vero in seiner Übersetzung und setzt das Fr. an den Anfang der

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    233

    615 Nonius: ‚Fulgorivit‘ (es blitzte), ‚machte einen Blitz’ oder ‚versengte mit einem Blitz’.

    einen Aufseher albanischer Haine und vom Blitz getroffener Bäume.

    616 Nonius: ‚Mutare‘ (ändern), ‚aufgeben, im Stich lassen‘.

    Ich jedenfalls lasse mich nicht überreden, meine Flöhe wegzugeben.

    617–18 Nonius 351: ‚Mutare‘ (ändern), ‚eines für ein anderes erhalten‘. Nonius 37: ‚Scripturarios‘ (Einzieher des Triftgeldes) heißen nach dem Willen der alten Autoren diejenigen, die wir heute ‚tabularii‘ (Rechnungsführer, Steuereinnehmer) nennen, weil sie in Schriftstücken und Aktennotizen alle Vorgänge in den Städten oder Provinzen erfassten.

    Dass ich gar Steuerpächter in Asien werde, ein Einzieher von Triftgeldern, statt Lucilius zu sein, das will ich nicht, und gegen dies eine tausche ich was auch immer nicht ein.

    4. Geiz und Verschwendung, falsche und echte Freunde 619–20 Nonius: ‚Versipelles‘ (das Fell wechselnd) hießen Leute, die sich in beliebiger Art verwandeln (können).

    Thematik.) – Zur Datierung: Cichorius (72–74) war noch zu dem Ergebnis gekommen, pu­ blicani Asiae habe es erst 123 v. Chr. geben können. Schmitt (1914, 25) hielt Spekulationen auf dieses einträgliche Geschäft schon in der Zeit 131/130 v. Chr. für möglich. Schließlich hat Raschke (1979, 79–83) nachgewiesen, dass es schon seit 131 v. Chr. Steuerpächter in Asien gegeben haben muss; s. auch, mit ausführlicher Dokumentation, Garbugino 1984, 126 f. – Wohl kein Fr. des Lucilius wurde so oft zitiert und kommentiert wie dieses; s. nur aus jüngerer Zeit: Mutschler 1985, 51; Lefèvre 2001, 142 f. und Haß 2007, 54 f., 63, 109 f., 209. 619–20: Vgl. Plaut. Poen. 138 f. (für tricorius), Cas. 361, Curc. 567; Rud. 1022 (mastigias); Syrer galten als gewinnsüchtig, s. Firm. math. 1,3,3; „Syri nomen ad faeneratorem videtur deducere“ (Marx II 244) – Garbugino (1984, 127–131 und 1990, 168–170, jetzt auch ders. rez. Haß, in: Latomus 68 [2009] 486–489, hier: 488) sieht in diesem Fr. die unmittelbare Fortsetzung des Fr. 617–18 (publicanus vero ut Asiae fiam …): Dafür spreche vor allem die Epiphora non muto omnia (618) – conmuto omnia (620). Überdies lasse nolo (618) für V. 619 ein (esse) volo mitverstehen. Die in V. 619 angehäuften Begriffe spiegelten plautinischen Jargon wider. Mit ihnen betone der Dichter in hyperbolischer Übersteigerung (und

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    at libertinus, tricorius, Syrus ipse, at mastigias, quicum versipellis fio et quicum conmuto omnia, at edd. : ad codd. : ac Scaliger | Syrus edd. : sirus codd. | at Marx : ad codd.

    621 (659) Non. 138,18: ‚Mordicus‘. Lucilius lib. XXVI:

    mordicus petere aurum e flamma expediat, e caeno cibum.

    e flamma Marx : et flamma codd. : ex f. Iunius : ec f. Mueller

    622–23 (647–48) Non. 103,24: ‚elevit‘, maculavit. Lucilius lib. XXVI:

    si hic vestimenta elevit luto, ab eo risum magnum inprudens ac cachinnum subicit. vestimenta elevit codd. : vestimenta * * elevit (deest veluti immundo) Marx | inprudens ac cachinnum Quicherat : ad chacinnum inprudens codd.

    624 (662) Non. 254,1: ‚Capere‘, accipere. … Lucilius lib. XXVI: Non. 337,13: ‚Lautum‘, mundum. Lucilius lib. XXVI:

    mit literarisch-programmatischer Intention) sein Anderssein und seine Individualität. Diese interessante These verdient eine ausführlichere Entgegnung. Folgende Argumente sprechen gegen sie: conmuto omnia steht in einem Relativsatz und hat so nicht das Gewicht von non muto omnia, das in einem Hauptsatz (wahrscheinlich) die letzte Steigerung einer Klimax bildet. Mitverstandenes (esse) volo setzt den behaupteten Zusammenhang voraus, kann ihn aber nicht begründen. (Das gilt auch für eine Zusammenstellung des Fr. mit Fr. 595, wofür sich Charpin II 282 zu Fr. 34 wegen angenommener Opposition von versipellis zu qui sum ausspricht.) Die epanaphorisch wiederholte Konjunktion at ist ursprünglich in dialogischen Zusammenhängen zu Hause und drückt einen lebhaften Gegensatz aus. Sie kann daher kaum die abgeschwächte, beim Wechsel von einer negativen zu einer positiven Aussage erforderliche Bedeutung ‚sondern‘ (sed) haben. Der Terminus libertinus ist sicher nicht typisch für plautinischen Jargon, und in der Tat ist Syrus, wie Garbugino (a. O. 2009, 488) selbst sieht, ein in der Komödie beliebter Name von Sklaven, nicht von Freigelassenen. Die Kombination Syrus, nicht mehr Sklave, aber mit den Prügelspuren seines früheren Sklavendaseins behaftet (Christes 1971, 40–42), setzt eine konkrete Person voraus, die mit dem Ich, das mit ihm ‚das Fell austauscht‘, nicht identisch sein kann. Dieses Ich kann ein skrupelloser Geschäftsmann sein, der sich zu seinem Gebaren bekennt, aber auch Lucilius, der von sich sagt, er werde unter bestimmten, von ihm abgelehnten Voraussetzungen jenem zum Verwechseln ähnlich (s. auch Charpin II 281 f. zu Fr. 34). Letzteres könnte wegen des Libertinenstatus der Ver­ gleichs­person nur dann seinen Platz in der Publikanenthematik haben, wenn Lucilius sich hypothetisch mit einem Bediensteten eines (zum Ritterstand gehörenden) Steuerpächters verglich. Da aber Syrus an einen Wucherer denken lässt und überhaupt der Gedanke an einen quaestus sordidus, der sich für einen Freien nicht schickt, naheliegt – vgl. Petron. 76,9 Sus­

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    235

    Doch ein Freigelassener, ein dreifach Gehäuteter, ein unverwechselbarer Syrer, doch ein Gauner, der ständig Prügel verdient, mit dem ich das Fell auswechsle und mit dem ich alles austausche, … 621 Nonius: ‚Mordicus‘ (mit Beißen, mit den Zähnen).

    Es mag sich (ja) lohnen, mit den Zähnen Gold aus dem Feuer, aus dem Schmutz Speise zu holen.

    622–23 Nonius: ‚elevit‘ (hat über und über besudelt), ‚hat beschmutzt‘. von elinere, nur hier bei Lucilius belegt.

    Wenn der hier seine Kleider beschmutzt hat, handelt er sich damit unversehens lautes Lachen und schallendes Gelächter ein.

    624 Nonius 254: ‚Capere‘ (nehmen), ‚annehmen (im Sinne von: ‚nicht zurückweisen‘). Nonius 337: ‚Lautum‘ (sauber), ‚reinlich‘.

    tuli me de negotiatione et coepi per libertos faenerare – ist eine Einfügung in die Thematik der 4. Satire wohl vorzuziehen. – s. zum Fr. auch Mutschler 1985, 58 f. 621: ‚mag‘: der Konjunktiv kann auch jussiv gemeint sein oder sich als Modus eines Nebensatzes erklären (z. B. Krenkel Fr. 622: „daß es sogar die Mühe lohnt, …“). – Hinter dem Vers, der einen avarus charakterisiert – vgl. Hor. sat. 1,1,38–40 –, steht eine sprichwörtliche Redensart, vgl. Ter. Eun. 491, Petron. 43, s. Otto 1890/1965, 137. 622–23: Dass das Fr. irgendwie in den vorliegenden Zusammenhang gehört, scheint mir immer noch am wahrscheinlichsten zu sein. Gegen Marx (II 237), der es mit Fr. 684–85 zusammenstellt, spricht, dass lutum, soweit ich sehe, nicht für ‚Exkremente‘ steht. Charpin (II 286 zu Fr. 45) betont die „maladresse (imprudens)“ der geschilderten Person, verweist mit Terzaghi (1934/1970, 135) auf die Ähnlichkeit mit Hor. sat. 1,3,30–32 und epist. 1,1,94–97, betont aber auch mit ihm, dass bei Horaz Nachlässigkeit der Grund für mangelnde Pflege ist, hier aber Unaufmerksamkeit zu einem Missgeschick führt. Das kann auf den Habgierigen passen, aber auch, wenn eine andere Person gemeint ist, könnte am ehesten in der hier behandelten Satire von ihr die Rede gewesen sein. – Garbugino (1990, 197 f.) stellt das Fr. zu der Polemik gegen die Tragödie und sieht sie als Teil einer Entgegnung des Gegenübers an, das dem Satiriker im Gegenzug gegen seine Vorwürfe die Banalität seiner Themen und sein Haschen nach wohlfeiler Unterhaltung auf Kosten anderer vorhalte. Demselben Zusammenhang (nach Fr. 668) weist das Fr. Mondin zu (2013, 43 f.). 624: S. Garbugino 1990, 179 f., der Marx’ Emendation verteidigt; Diskussion anderer Konjekturen bei ihm und bei Christes 1971, 39 f. S. auch Charpin II 283 zu Fr. 38.

    236

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    malis, nec esse lautum e mensa pure capturus cibum? malis nec esse Marx : malis necesse codd. 254 : malis necesse est codd. 337 : malis ne esse Lindsay : malis nec esse Charpin | lautum codd. 337 : lutum L BA : iautum AA | pure codd. 337 : purae codd. 254 : puere Lindsay | capturus codd. : captivus L 254

    625 (624) Non. 367,10: ‚Petere‘, cupere, adpetere. … Lucilius lib. XXVI:

    sin autem hoc vident, bona semper petere sapientem, et putant

    et putant codd. : putant Iunius

    626 (663) Non. 525,17: Quotiens per accusativum casum ‚annos‘ vel ‚dies‘ loquimur, iuges annos vel dies significamus; quotiens per dativum, intervallum interiectis aliquibus annis vel diebus. Itaque qui optantes multis annis dicunt, multos annos melius dixerint. … (526,14) Lucilius lib. XXVI: Non. 283,25: [Orco … septimum]. suppl. Quicherat, Lindsay

    qui sex menses vitam ducunt, Orco spondent septimum.

    orco codd. 526: orpo codd. 283

    627 (664) Non. 23,9: ‚Moenes‘ aput veteres dicebantur non a largitia, ignota erat, sed consentientes ad id quod amici velint. … Lucilius lib. XXVI: non a largitia ed. Ald. 1476 : nonam largitia (aut largiatia) codd.

    ‚munifici comesque amicis nostris videamur viri.‘

    625: ‚das Gute‘: Anspielung auf die Eudaimonielehre, doch kann der Plural bona auch für materielle Güter stehen. Lucilius treibt sein Spiel mit einem Gemeinplatz: Er spricht von Leuten, die die philosophische Suche nach dem summum bonum missverstehen und dabei etwa an Reichtum (Christes 1971, 50 f.) oder Ruhm (Terzaghi (1934) 1970, 133) oder – in der Annahme, der hier gemeinte Weise sei Epikureer – an „la ricchezza e il piacere“ (Garbugino 1990, 221 f.) denken. Garbugino stellt das Fr. in Satire 6 und erläutert: „Questa affermazione … si oppone presumibilmente alla filosofia spicciola dei borghesi benpensanti, secondo cui tantum habeas, tantum ipse sies tantique habearis (v. 1120 M. = 1128 K. [= 1156]).“ Ebenso gut passt es auf die Haltung der Verschwender (oder auch der Leute, die sich zunächst von deren Lebensstil blenden lassen); s. die folgenden Fragmente.

    Buch XXVI

    237

    Willst du (das) lieber, und nicht (lieber) reinlich saubere Speise vom Tisch entgegennehmen und essen?

    625

    Nonius: ‚Petere‘ (etw. zu erlangen suchen), ‚wünschen, anstreben‘.

    Wenn sie aber dies sehen, dass der Weise immer das Gute erstrebt, und glauben, …

    626 Nonius 525: Sooft wir im Akkusativ von ‚Jahren‘ oder ‚Tagen‘ reden, meinen wir zusammenhängende Jahre oder Tage; sooft im Dativ, eine Zwischenzeit, weil einige Jahre oder Tage dazwischen liegen. Deshalb sollte, wer einen Wunsch ‚multis annis‘ ausspricht, besser ‚multos annos‘ sagen. Nonius 283:

    die sechs Monate lang ein Leben (in Saus und Braus) führen, dem Orkus den siebten geloben. 627 Nonius: ‚Moenes‘ (gefällige) hießen bei den alten Autoren Leute nicht aufgrund ihrer Spendierfreudigkeit, die unbekannt war, sondern wenn sie mit dem einverstanden sind, was ihre Freunde wollen. Die auf das Lucilius-Fr. nicht zutreffende Erklärung hat Nonius ersichtlich aus Sall. Iug. 103,6 (Non. 23,12) abgeleitet.

    „Lasst uns gegenüber unseren Freunden als freigebige und zuvorkommende Männer dastehen.“

    626: Dem Habgierigen wird hier der Verschwender gegenübergestellt wie Hor. sat. 1,1,64–107; 1,2,7–22; 2,3,168–178. – ‚sechs Monate‘: steht für einen kurzen Zeitraum, vgl. Plaut. Trin. 543, Ter. Eun. 277. 331 f., Adelph. 396. – Lucilius greift einen (von Cic. fin. 2,22 bewahrten) Vers aus der ‚Hymnis‘ des Caecilius auf (CRF 70 R.): Mihi sex menses satis sunt vitae, septimum Orco spondeo. – Zum Zusammenhang dieses und der beiden folgenden Fragmente s. Christes 1971, 42–44, Garbugino 1990, 180–182. 627: Natürlich kann das Fr. auch als (am ehesten finaler) Nebensatz aufgefasst werden (Krenkel Fr. 644). – Zu beachten ist die durch Endstellung unterstrichene Wortwahl viri (= ‚wahre‘ Männer). – Vgl. Hor. sat. 1,2,7–11, vor allem V. 10 sordidus atque animi quod parvi nolit haberi. – Ausführlich zum Fr. Winkelsen 2012, 348 f.

    238

    LIBER XXVI

    628 (602) Non. 186,35: ‚Vescum‘, minutum, obscurum. Lucilius lib. XXVI: Gell. 16,5,7: ‚Ve‘ particula, sicuti quaedam alia, tum intentionem significat, tum minutionem … ‚vescum‘ autem, quod ex ‚ve‘ particula et ‚esca‘ copulatum est, utriusque diversae significationis vim capit. aliter enim Lucretius (1,326) ‚vescum salem‘ dicit ex edendi intentione, aliter Lucilius ‚vescum‘ appellat cum edendi fastidio.



    quam fastidiosum ac vescum vivere.

    Versus initium esse existimat Marx | : vescum vivere Gerlach, Marx, v. etiam Garbugino 1990, 186 : vescum cum fastidio v. codd. : vescum fastidio v. L v. cum fastidio Terzaghi

    629 (665)

    Non. 38,11: ‚Conbibones‘, conpotores, a bibendo dicti. Lucilius lib. XXVI: conbibones edd. : conviviones codd. (convivones L2)

    quandoquidem reperiri magnis conbibonum ex copiis

    reperiri Schmitt 1914, 23 : repperi codd. : repperii Marx | conbibonum edd. : convivorum codd.

    630–31 (660–61) Non. 269,1: ‚Conficere‘, colligere. … Lucilius lib. XXVI:

    nonne multitudinem tuorum, quam in album indidit tua dextra, confecisti ibi?

    nonne Duebner : non te codd. : † non te Marx | tua dextra Lindsay : a dextera codd., Marx | confecisti ibi Krenkel : conficis ibi codd., Marx | Marx in apparatu: „non te multitudinem curem quam in alvum indidi, ista dextra confecisse ibi temptavi.“

    632 (611) Non. 372,1: ‚Praecipere‘ est iubere vel monere. … Lucilius lib. XXVI:

    porro amici est bene praecipere, tueri, bene praedicere,

    tueri bene codd. : bene tueri Marx : et veri bene Terzaghi : Tusci bene Mercier | praedicere Mercier : praedicare codd. : praedicant Marx

    → fr. 946–47. 945 ? 628: S. Garbugino 1990, 183–186 (sieht den Vers in Zusammenhang mit dem vorausgehenden Fr.). – Nicht undenkbar bleibt auch eine Zugehörigkeit zur 6. Satire (Christes 1971, 65). 629: Es ist alles verprasst, die ‚Freunde‘ verflüchtigen sich. 630–31: Der Text ist unsicher. – Zu album – hier wohl ironisch auf die Freundesliste des Verschwenders übertragen – s. Ch. Gizewski: Art. Album [2], in DNP 1 (1996) 443 f. – Zur Deutung des Fr. s. Christes 1971, 45 f., Charpin II 296 f. zu Fr. 71, Garbugino 1990, 182 f. 632: Denkbar ist auch – bei Zusammennahme von tueri bene –: ‚gut raten, gut schützen, … einschätzen‘. – Die Aufzählung von Freundespflichten hat vorher begonnen (porro!) und

    Buch XXVI

    239

    628 Nonius: ‚Vescum (an etwas nur nagend; ausgezehrt), ‚winzig‘, ‚verschlossen, ungesellig‘. (nach I. Mariotti, SIFC 33 (1961) 114–126.) Gellius: Die Partikel ‚ve‘ zeigt, wie einiges andere, bald eine Intensivierung, bald eine Verkleinerung an. … ‚Vescum‘ aber, eine Verbindung aus der Partikel ‚ve‘ und aus ‚esca‘ (Speise), nimmt die Kraft beider entgegengesetzter Bedeutungen an. Einerseits nämlich sagt Lukrez ‚vescum salem‘ (fressendes Salz) aufgrund der Intention (des Salzes), zu zerfressen, andererseits spricht Lucilius von ‚vescus‘ im Zusammenhang mit einem Ekel, zu essen.

    … als angewidert und angeekelt (vom Dasein) zu leben.

    629 Nonius: ‚Conbibones‘ (Zechbrüder), ‚Mittrinker‘, nach ‚ bibere‘ so genannt.

    da ja nun einmal aus der großen Fülle der Zechgenossen (auch nicht ein Helfer) gefunden werden (kann). 630–31 Nonius: ‚Conficere‘ (zustande bringen), ‚sammeln‘.

    Hast du nicht die Menge der Deinen, die deine Rechte in die weiße Tafel eintrug, dort zusammengebracht?

    632 Nonius: ‚praecipere‘ (belehren) meint ‚befehlen‘ oder ‚ermahnen‘.

    Weiter sollte ein Freund gut raten, schützen, (die Folgen eines Tuns) gut einschätzen, …

    mag noch fortgesetzt worden sein. – Die Einreihung des Fr. an dieser Stelle beruht auf der Annahme, dass der Dichter (nicht der Verschwender – wohl ein Versehen Garbuginos [1990, 218 Anm. 306]) nach der Schilderung des Verhaltens der Parasiten auf das Wesen echter Freundschaft zu sprechen kam; vgl. im Virtus-Fr. die Verse 1127–29. – Anders Cichorius 116 f. (stellt das Fr. zur – von ihm anders gedeuteten – Einleitungssatire), s. auch Gärtner 2001, 92 f. + Anm. 16; doch s. Christes 1971, 46 f. – Weiteres s. zum folgenden Fr.

    240

    LIBER XXVI

    633–34 (618–19) Non. 117,24: ‚Genium‘, parsimoniam. … Lucilius lib. XXVI:

    curet aegrotum, sumtum homini praebeat, genium suum defrudet alii parcat. defrudet alii Krenkel, Garbugino 1990, 218 : defrudet ali parcat codd. : defrudet alii Marx

    635–36 (673–74) Non. 351,3: ‚Mutare‘, transferre. Lucilius lib. XXVI:

    doctior quam ceteri sis, ab amicis mutes aliquo te, cum satias facta sit.

    ceteri sis ab amicis mutes Marx : ceteri sis asa mittis mutes L BA : ceteris is sa mittis mutes AA : ceteri si ista mittis; mutes Garbugino 1984, 124s. | te cum satias facta sit Marx, ‚fort. recte‘ Garbugino 1984, 123s. (vel satura?, v. 125s. n. 60) : tecum satra fa acutia AA : tecum satra facta vitia L BA : tecum sartas textas ditias Duentzer : cum satrapae ditia Krenkel

    V 637 (587) Non. 191,11: ‚Angues‘ masculino genere dici Vergilius testis est. … Lucilius lib. XXVI:

    633–34: genium suum defrudet: wtl. ‚er tue seinem Genius Zwang an‘, vgl. Plaut. Aul. 724 egomet me defraudavi animumque meum geniumque meum. – Zu genius s. W.-A. Maharam: Art. Genius, in: DNP 4 (1998) 915–917. – An die Ehefrau in der Ehesatire denken Terzaghi 1934/1970, 147–149 und Charpin II 289 f. zu Fr. 52; Einwände bei Christes 1971, 4961 und Garbugino 1990, 219. – Ähnliche Gedanken bei Sen. epist. 9,8; zur Frage epikureischen Einflusses auf Lucilius Marx II 229 f.; Christes 1971, 49 f.; Garbugino a. O.; Gärtner 2001, 93 f. – Garbugino weist dieses Fr. und andere auf die Freundschaftsthematik zu beziehende Fragmente der 6. Satire mit dem Thema Krankheit zu, der er (1990, 132) den Titel „precetti ad un amico sulle malattie dell’anima e del corpo“ gibt. Vermutlich hat ihn u. a. der Gedanke der Pflege eines kranken Freundes dazu bewogen. Aber passt die Schilderung des (anscheinend selbstverschuldeten) Krankseins in der 6. Satire mit dem protreptischen Ton zusammen, mit dem das Thema Freundschaft hier behandelt ist? 635–36: Marx’ Textherstellung bleibt unsicher, hat aber wohl immer noch am meisten für sich; denn Krenkels Konjektur ist gewagt, und Garbuginos Lösung zerlegt den Text in zwei Teile, sodass sich die Frage stellt, warum Nonius, dem es um das Verb mutare ging, nicht erst ab mutes zitiert hat. Garbuginos weitgehende Kombinationen – ein Gegenüber im Rahmen der Publikanenthematik rate Lucilius, von seinen Satiren zu lassen (mittere in der Bedeutung ‚sein lassen‘) – haben also eine überaus unsichere Grundlage. (Zu der Überlegung, dass sich hinter satra der Terminus satura verbergen könne: Das wäre dann der vielleicht einzige Beleg für Lucilius. Die Sammlung XXVI–XXX trug jedenfalls nicht den Titel Sa­ tura(e) [so auch Garbugino 1980, 86—89], und der Titel Saturarum libri der Sammlung I-XX(I) geht vermutlich nicht auf Lucilius selbst zurück [Christes 1986, 67–69]). – Dem

    Buch XXVI

    241

    633–34 Nonius: ‚Genium‘ ([im Nominativ] der durchs Leben geleitende persönliche Schutzgeist), ‚Sparsamkeit‘.

    Er kümmere sich um den kranken (Freund), er lasse es sich etwas kosten, (ihm zu helfen,) er sei sparsam in eigenen Belangen und halte Haus (mit seinen Mitteln) für den anderen.

    635–36 Nonius: ‚Mutare‘ (ändern), ‚‚hinüberbringen‘.

    Sei gescheiter als die anderen, von Freunden trenn dich (und orientiere dich) anderswohin, wenn Sättigung erreicht ist.

    5. Literarische Polemik: Streitgespräch mit einem Tragödiendichter 637 Nonius 191: Dafür dass ‚angues‘ (Schlangen) als Maskulinum gesagt wird, ist Vergil Zeuge. …

    Verständnis des Textes, wie Marx ihn hergestellt hat, und damit seiner (hier unentschieden gelassenen) Einordnung in den Zusammenhang kommt wohl am nächsten Charpin (297 f. zu Fr. 73); wichtig sein Hinweis auf Cic. Lael. 33 f. Quamquam ille quidem nihil difficilius esse dicebat, quam amicitiam usque ad extremum vitae diem permanere. Nam, vel ut non idem expediret, incidere saepe, vel ut de re publica non idem sentiretur; muta­ ri etiam mores hominum saepe dicebat, alias adversis rebus, alias aetate ingravescente. Atque earum rerum exemplum ex similitudine capiebat ineuntis aetatis, quod summi pue­ rorum amores saepe una cum praetexta toga ponerentur; sin autem ad adulescentiam perduxissent, dirimi tamen interdum contentione vel uxoriae condicionis vel commodi alicuius, quod idem adipisci uterque non posset. – Möglicherweise (so Christes 1971, 36; mit anderer Lesart und Deutung Garbugino 1984, 124 f.) gehört dieses Fr. (zusammen mit den Versen 616 und 617–18) in die 3. Satire. Dafür kann trotz Garbuginos grundsätzlich berechtigtem Einspruch die Noniusreihe p. 351 unter dem Stichwort mutare sprechen; Näheres s. Anm. 2 zur Appendix ‚Die lex Lindsay‘. Literatur zu V: Literarische Polemik: Cichorius 127–132; Krenkel (1957/58) 1970, 189–200; Christes 1971, 103–140; Garbugino 1990, 187–213; Manuwald 2001, 150–165; Gärtner 2008, 183–185. 637: Das zielt auf den Schlangenwagen der Medea bei Pacuvius (TRF 387 R., zitiert bei Cic. inv. 1,27): Angues ingentes alites, iuncto iugo. – Vgl. die literarische Kritik bei Pers.1, Iuv. 1,4–13 und Mart. 10,4. – Zu Puelma Piwonkas ‚kallimacheischer‘ Deutung (1949, 118) Christes 1971, 115–118, ausgewogener Garbugino 1990, 192 f.

    242

    LIBER XXVI

    Non. 435,27: ‚Monstra‘ et ‚prodigia‘ et ‚portenta‘ hoc distant, quod sunt ‚monstra‘ ostenta et monita deorum. … (436,1) ‚prodigia‘ deorum minae vel irae …(436,7) ‚portenta‘ ostenta quae aliquid imminere significant. Lucilius lib. XXVI:

    nisi portenta anguisque volucris ac pinnatos scribitis. volucris codd. 191 : volucres codd. 435

    638–39 (599–600) Non. 125,27: ‚Inluvies‘, sordes. … Lucilius lib. XXVI:

    hic cruciatur fame, frigore, inluvie, inperfundie, inbalnitie, incuria.

    inperfundie inbalnitie codd. : inbalnitie inperfundie Guietus, Marx

    640–41 (597–98) Non. 401,31: ‚Summum‘, extremum. … Lucilius lib. XXVI [squalitate … obrutam]; cf. Non. 226,8. Non. 225,35: ‚Squalor‘ masculini est generis. Feminini … (226,7) [squalitate … obrutam] Lucilius lib. XXVI om. codd. hoc loco.

    Non. 126,3: ‚Invidiosum‘, quod sit vitabile ad videndum. Lucilius lib. XXVI:

    squalitate summa ac scabie, summa in aerumna, obrutam neque inimicis invidiosam, neque amico exoptabilem. squalitate codd. 225 : sculitate codd. 126 : isculitate codd. 401 | ac codd. 126, om. codd. 401, 225 | aerumna edd. : erumna codd. 225, 401 : re summa codd. 126 | obrutam codd. 126, 401 : obruta codd. 225

    642 (601) Non. 502,6: Accusativus pro dativo. Lucilius lib. XXVI:

    suspendatne se an [in] gladium incumbat, ne caelum bibat.

    sese Quicherat : se codd., Marx | gladium edd. : in gladium codd., Marx | bibat Mercier : vivat L BA CA : videat AA : ruat Lachmann

    638–39: Möglicherweise ist von der eingekerkerten Antiopa die Rede (Marx II 223 f.; in diesem Falle ist hic Ortsadverb. Wahrscheinlicher aber (Heurgon 1959, 37 f.) ist die Rede von Telephos, wie ihn Accius dargestellt hat; vgl. Acc. fr. 617 R. nam etsi opertus squalitate est luctuque horrificabili. Zur Häufung der Elisionen – vielleicht ein Charakteristikum seines Stils (Garbugino 1990, 194) – W. A. Oldfather: The most extreme case of elision … . CJ 38 (1943) 478. 640–41: Gemeint ist Antiopa, wie bei Pacuvius dargestellt, s. Pers. 1,77 f. + Schol. – Mariotti (1960, 14 Anm. 2) verweist auf Ov. trist. 4,4,65 f. non invidiosa nefandis / nec cupienda

    Buch XXVI

    243

    Nonius 435: ‚Monstra‘ (Ungeheuer) und ‚prodigia‘ (Ungeheuer) und ‚portenta‘ (Scheusale) unterscheiden sich darin, dass ‚monstra‘ mahnende Zeichen der Götter sind. … ‚prodigia‘ (sind) erzürnte Drohungen der Götter. … ‚portenta‘ (sind) Zeichen, die anzeigen, dass irgendetwas droht.

    wenn ihr nicht Ungeheuer, und zwar fliegende und geflügelte Schlangen schildert.

    638–39 Nonius: ‚Inluvies‘ (angeschwemmter Unflat), ‚Schmutz’

    Der hier wird gemartert von Hunger, Kälte, Schmutz, Unreinlichkeit, Ungebadetsein, Ungepflegtheit.

    640–41 Nonius: 401: ‚Summum‘ (höchst), ‚äußerst‘. Nonius 225: ‚Squalor‘ (Schmutz) ist maskulinen Geschlechts. Als Femininum …

    Nonius 126: ‚Invidiosum‘ (Hass, Missfallen erregend), was sich anzuschauen man besser vermeiden sollte.

    vom Übermaß an Schmutz und Krätze überschüttet, in äußerstem Elend, ihren Feinden nicht missliebig, dem Freunde nicht erwünscht.

    Nonius: Akkusativ statt Dativ.

    642

    ob sie (oder er?) sich aufhängen oder ins Schwert stürzen soll, um nicht (weiter) die Himmelsluft trinken zu müssen.

    bonis regna Toantis erant; auch Thoas wird von Pacuvius, und zwar im Chryses, auf die Bühne gebracht. 642: ‚die Himmelsluft trinken‘: = atmen, vgl. griech. τὸν ἀέρα ἕλκειν (Belege bei Marx II 224), Verg. Aen. 10,898 f. ut auras / suspiciens hausit caelum. – Charpin II 275 f. zu Fr. 21: „De telles discussions se rencontrent dans l’Helène d’Euripide et dans celle d’Accius … peut-être aussi dans l’Antiope de Pacuvius.“ Zu Antiope neigen Marx a. O.; Christes 1971, 119; Garbugino 1990, 195.

    244

    LIBER XXVI

    643 (653) Non. 74,21: ‚Averruncare‘, avertere. Lucilius lib. XXVI:

    ‚di monerint meliora, amentiam averruncassint tuam.‘

    di monerint edd. : diminuerint codd. : di monuerint H²

    644–45 (588–89) Non. 253,10: ‚Capere‘, delectare. … Lucilius lib. XXVI:

    ‚nunc itidem populost ut scriptoribus: voluimus capere animum illorum,‘

    populost ut Leo 1906, 853/1960, 238 : populo istum codd. : populo his cum Marx | nostrum capere illi volunt suppl. Leo

    646 (658) Non. 38,13: ‚Capital‘ dictum est capitis periculum. … Lucilius lib. XXVI:

    ‚facile deridemur: scimus capital esse irascier.‘

    647–48 (603–4) Non. 499,7: Dativus pro accusativo. … (18) Lucilius lib. XXVI:

    si miserantur se ipsi, vide ne illorum causa superior † e loco conlocavit † superior e loco Lachmann : superiore loco codd. | conlocavit codd. : collocarit Guyet | superior et loco bono locata sit coni. Marx

    649 (650) Non. 359,2: ‚Offendere‘, invenire. … (13) Lucilius lib. XXVI:

    si quod verbum inusitatum aut zetematium offenderam.

    verbum Gulielmus : verum codd. 643: Lucilius lässt sich von seinem erschrockenen Gegenüber einen Vers aus dem Chryses des Pacuvius (fr. 112 R. – identisch bis auf ein atque) entgegenschleudern; s. Marx II 239 (denkt an den Interlokutor der Einleitungssatire), Krenkel zu Fr. 616, Christes 1971, 122 f., Charpin II 267 zu Fr. 1 (stellt das Fr. an den Anfang des Buches), Garbugino 1990, 196 f. 644–45: Folgt man Leo (s. App.), so ist etwa zu ergänzen: „umgekehrt wollen jene über uns verfügen.“ – ‚Nun aber‘: Die Aussage gilt nicht nur ‚jetzt‘, ohnehin liegt nahe, dass eine irreale Aussage – ‚wir würden ja gern …‘ – vorausging; zu dieser Funktion von nunc s. Kühner-Stegmann II 399 Anm. 1. – Das Gegenüber, selbst ein Tragiker, spricht für seine Zunft; zur Deutung im Ganzen Christes 1971, 123–125; Garbugino 1990, 199–201; Manuwald 2001, 153 f. + Anm. 15. 646: Vgl. Enn. trag. 280 J. Palam muttire plebeio piaculum est (aufgenommen von Phaedr. 3 epil. 34). – Krenkel ([1957/58] = 1970, 192145) vermutet Accius als Sprecher und macht auf sein wahrscheinlich auch zu Scipio Aemilianus distanziertes Verhältnis aufmerksam (so nicht mehr in seiner Ausgabe zu Fr. 597). Zur Vieldeutigkeit des Fr. s. Christes 1971, 126; Garbugino 1990, 198; Mondin 2013, 4077.

    Buch XXVI

    245

    643 Nonius: ‚Averruncare‘, ‚abwenden, entfernen‘.

    „Möchten doch die Götter (dir) Besseres eingeben, möchten sie doch deine Verrücktheit tilgen.“

    644–45 Nonius: ‚Capere‘ (nehmen, fassen, ergreifen), ‚erfreuen‘.

    „Nun aber ergeht es dem Volke ebenso wie uns Autoren: wir haben Herz und Sinn der Leute fesseln wollen, …“

    646 Nonius: Mit ‚capital‘ (Kapitalverbrechen) meinte man ‚Gefahr für Leib und Leben‘.

    „Wir sind eine leichte Beute für Spott: wir wissen, dass es gefährlich ist aufzubegehren.“

    Nonius: Dativ statt Akkusativ.

    647–48

    Das bleibt rätselhaft. Es ist kaum anzunehmen, dass Nonius ipsi für einen Dativ hielt.

    Wenn sie sich in Selbstmitleid ergehen, gib acht, dass nicht ihre Sache die Oberhand (gewinnt).

    649 Nonius: ‚Offendere‘ (an etw. anstoßen), ‚finden‘.

    …, wenn ich auf ein ungebräuchliches Wort oder ein Problemchen gestoßen war.

    647–48: Die Heilung des zweiten Verses ist noch nicht gelungen. Nur so viel ist deutlich, dass von der rhetorischen Taktik der commiseratio die Rede ist; vgl. Cic. de orat. 2,196, hierzu Marx II 224. – Garbugino (1990, 189 f.) hat recht, wenn er das Fr. lieber hierher als zu den Versen 626 – 629 (so Christes 1971, 45 f.) stellen möchte; denn bankrotte Verschwender werden zum Schaden eher noch Spott ernten als Mitleid erwecken können. – Auf Personen der Tragödie, die sich durch ihr pathetisch zum Ausdruck gebrachtes Selbstmitleid um ihre Glaubwürdigkeit bringen, bezieht das Fr. Mondin 2013, 39. 649: Als Inhalt des vorausstehenden Hauptsatzes erschloss Cichorius 128: „Gewiß, ich habe es jedesmal rund herausgesagt und dich inlitteratus geheißen, …“. In dem nachfolgenden Fr. sah er eine Fortsetzung im Sinne von ‚gleiches Recht für alle‘. – zetematium = lat. quaes­ tiuncula: entweder ein (verächtlich ‚klein‘ genanntes) grammatisches oder ein psychologisch-moralisches Problem, wie es besonders Euripides liebte; vgl. Gell. 6,3,28 f.. – Näheres zu diesem und dem folgenden Fr. bei Christes 1971, 106–108; Garbugino 1990, 205–208.

    246

    LIBER XXVI

    650 (654) Non. 88,27: ‚Contemnificum‘. Lucilius lib. XXVI:

    ‚ego enim contemnificus fieri et fastidire Agamemnonis‘

    651 (655) Non. 297,14: ‚Efferre‘, subdere. Lucilius lib. XXVI:

    ‚depugnabunt pro te ipsi et morientur ac se ultro efferent.‘

    depugnabunt edd. : depugnabant L | efferent codd. : efferrent L : offerent Passerat

    652 (605) Non. 264,30: ‚Cogere‘, in unum colligere. … (265,3) Lucilius lib. XXVI:

    ‚rauco contionem sonitu et curvis cogant cornibus.‘

    contionem codd. : contentionem AA L²

    653 (606) Non. 528,9: ‚De‘ pro ‚ab‘. Lucilius lib. XXVI:

    ‚solus Aiax vim de classe prohibuit Vulcaniam.‘

    Aiax Passerat, Garbugino 1990, 210 : iam codd. : etiam Mueller, Marx : illam Lachmann | de classe edd. : declarasse codd.

    654 (607) Non. 96,1: ‚Domutionem‘. … Lucilius lib. XXVI:

    ‚domuitionis cupidi imperium regis paene inminuimus.‘

    domuitionis Stowasser WS 27 (1905) 212, Garbugino 1990, 211 : domutionis codd. : domum itionis Lachmann, Marx

    655–56 (656–57) Non. 158,11: ‚Prosperari‘, inpetrari. Lucilius lib. XXVI:

    650: contemnificus: für Lucilius sicher ein verbum inusitatum. – Ist Achill – im Chryses des Pacuvius oder in den Myrmidones des Accius – oder vielleicht Thersites (von Krenkel [zu Fr. 602] erwogen) der Sprecher? 651: Wieder Achill? – vgl. Il. 9,315–322. Oder Thersites? – vgl. Acc. fr. 491 R. (Nyctegre­ sia) Tun quod superest socium mittis leto? an lucti paenitet? – Beispiel für ein moralisches Problem (zetematium)? 652: Den bombastischen Stil übertrifft noch Enn. ann. 451 Sk. at tuba terribili sonitu tara­ tantara dixit. – Marx (II 225 zu Fr. 605) denkt an das Armorum iudicium des Pacuvius als Vorlage. „Morem Romanum adplicat poeta aetati Troicae.“; anders Manuwald 2001 157 f. + Anm. 25; (158:) „Eine solche Art der Schilderung kann als charakteristisch für Accius gelten.“ – Garbugino (1990, 152 f.) weist das Fr. der Einleitungssatire zu, ebenso Mondin (2013, 59 f.), der einen Zusammenhang mit Fr. 595 erwägt.

    Buch XXVI

    247

    650

    Nonius: ‚Contemnificum‘ (verächtlich tuend).

    „Ich nämlich (habe es gewagt?), Verachtung und Ablehnung gegenüber Agamemnon zu zeigen.“

    651 Nonius: ‚Efferre‘ (hinaustragen), ‚unten hinlegen‘.

    „Auf Leben und Tod kämpfen werden sie für dich aus freien Stücken und sterben und sich noch freiwillig zu Grabe tragen.“

    652 Nonius: ‚Cogere‘ (zusammenholen), ‚an einem Orte versammeln‘.

    „Mit dem heisernen Klang der gebogenen Hörner sollen sie die Versammlung einberufen.“

    653 Nonius: ‚De‘ (von herab) statt ‚ab‘ (von weg).

    „Ganz allein wehrte Aiax den vulkanischen Feuersturm von der Flotte ab.“

    654 Nonius: ‚Domutionem‘ (Rückkehr nach Hause).

    „Aus Sehnsucht nach Heimkehr hätten wir die Befehlsgewalt unseres Königs beinahe untergraben.“

    655–56 Nonius: ‚Prosperari‘ (Erfolg, Gedeihen finden), ‚erlangt werden‘.

    653: Vgl. Il. 15,685–688; Ov. met. 13,5–8. Das Fr. kann auf ein Armorum iudicium (des Pacuvius oder Accius), aber auch – wegen des folgenden Fr. weniger wahrscheinlich – auf den Philocteta des Accius zurückgehen, wo Ulixes den Philoktet über die Geschehnisse vor Troja unterrichtet. – Kritikpunkt für Lucilius war vermutlich nicht die Metonymie, sondern der Solözismus prohibere de. 654: Umgekehrt jetzt das Verdienst des Ulixes (vgl. Il. 2,278–335), ein Bezug also wohl ebenfalls auf ein Armorum iudicium. – „Certamente domuitio era il verbum inusitatum che aveva urtato Lucilio“ (Garbugino 1990, 211). 655–56: ‚Nur um den höchsten Preis‘: d. h. um den des Lebens; wtl.: ‚um den nicht geringsten Preis‘: so habe ich Marx II 240 verstanden, der Iuv. 5,123 und Catull. 43,1 für die Verbindung nec minimus vergleicht. nec kann im älteren Latein = non sein (Kühner-Stegmann I 817 § 149,1), oder: nec minimo = et non minimo (Dies. II 39 § 157,3). – Das Fr. spielt auf

    248

    LIBER XXVI

    ‚nec minimo ei prosperatur pax, quod Cassandram signo deripuit.‘ minimo ei Marx II 240, Garbugino 1990, 212 : minimo et codd. : minima ei Mueller : minimo est Marx : homini mea Leo GGA (1906) 853s. : Minervae ei Onions | prosperatur edd. : prosferatur codd. | Cassandram Leo ibid. : C. deae Quicherat : C. Locrus Marx

    657 (612) Non. 350,13: ‚Induci‘, delectari. Lucilius lib. XXVI:

    veterem historiam inductus studio scribis ad amores tuos.

    658 (608) Non. 138,22: ‚Monstrificabile‘. Lucilius lib. XXVI:

    – ⏑ nunc ignobilitas his mirum ac monstrificabile

    nunc codd. : nostra nunc coni. Schmidt | monstrificabile edd. : mortificabile codd.

    659–60 (651–52) Non. 38,17: ‚Clandestino‘ est abscondite. Lucilius lib. XXVI: Non. 249,7: ‚Conmittere‘, credere, permittere. …. Lucilius lib. XXX [fr. 971]. idem lib. XXVI:

    Athenes Groll gegen Aiax, Sohn des Oileus, an; vgl. Hyg. fab. 116,1. – Ging es Lucilius um die Wendung prosperatur pax (Garbugino 1990, 212)? – ‚Frieden‘: „benevolenza divina“ (Garbugino ebd.); vgl. Plaut. Curc. 270, Lucr. 5,1229. prosperare: gehört zur Sakralsprache; vgl. Hor. carm. saec. 17 f., Liv. 8,9,7. 657: Zu dieser Deutung des Fr. s. die Einführung zu diesem Buch (mit Literaturangaben). – ‚Alte Geschichten‘: Die Grundbedeutung von historia ist ‚Erkundetes‘ (ein kollektiver Singular); auch die historia vetus atque antiqua (Plaut. Trin. 380 f.) bedeutet: Philto kann viele (selbsterlebte) Geschichten erzählen. Ebenso besteht die von Scholz ins Spiel gebrachte sacra historia des Euhemeros aus (Götter)geschichten (Christes 1998, 75). – ‚deiner Liebe‘: Das kann eine Frau oder ein Mann sein. Auch die Auffassung ‚Freund‘ (ohne erotische Konnotation) ist möglich, würde aber nicht die hier vertretene Deutung von vetus historia als solche in Frage stellen, sondern nur die Vermutung, es handele sich um Geschichten erotischen Inhalts; doch s. hierzu Charpin II 276 f. zu Fr. 23, der entschieden für erotische Konnotation des Fr. eintritt und für das hier vorgetragene Verständnis von historia auf Hor. carm. 3,7.20 verweist. – Zu Garbuginos These (historia = historisches Epos, vetus beziehe sich auf den Gattungsbegriff selbst; s. Einführung zu diesem Buch) sei noch nachgetragen: Hor. carm. 2,12,9 f. tuque pedestribus / dices historiis proelia Caesaris ist vielleicht die einzige Stelle, die für die Vorstellung spricht, dass historia auch ‚Epos‘ heißen kann. Kiessling-Heinze kommentieren, Horaz habe ausdrücklich pedestribus hinzugefügt, damit der Leser nicht automatisch an das Epos – traditionell der Widerpart zur Lyrik – denkt. Wenn aber Attribute zu historia eine differenzierende Funktion haben, so wäre eine vetus historia am ehesten als ein Epos (oder auch Kleinepos) mit mythischem Inhalt zu verstehen, im Gegensatz zu dem in Rom ‚modernen‘ historischen Epos. Der Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung wäre damit verschwindend klein und bestätigte sie eher, als sie zu widerlegen. – Als Interlokutor in der hier behandelten Satire wurde längst schon Accius vermutet (s. o. zu

    Buch XXVI

    249

    „(Nur) um den höchsten Preis wird ihm Frieden zuteil, denn er hat Kassandra von meinem Standbild weggerissen.“

    657 Nonius: ‚Induci‘ (zu etw. gebracht, veranlasst werden), ‚erfreut werden‘

    Alte Geschichten bringst du, von Eifer beschwingt, zu Papier und widmest sie deiner Liebe.

    658 Nonius: ‚Monstrificabile‘ (ungeheuerlich).

    jetzt ist ihre Niedrigkeit diesen hier (noch) befremdlich und ungeheuer­ lich, …

    659–60 Nonius 38: ‚Clandestino‘ (insgeheim), meint ‚versteckt‘. Nonius 249: ‚Conmittere‘ (zusammenbringen; anheimgeben), ‚anvertrauen, überlassen‘. Lucilius B. XXX [Fr. 971]. Derselbe B. XXVI:

    Fr. 646 und u. zu Fr. 661). Auch die hier vertretene Deutung von vetus historia weist auf ihn: Plin. epist. 5,3,1–6 verteidigt versiculos severos parum mit dem Hinweis, dass er sich da in guter Gesellschaft befinde, und nennt u. a. Accius. Das Zeugnis des Porphyrio (zu Hor. sat. 1,10,53 – s. Lucil. B. III Fr. 149), der Lucilius-Bücher nennt, in denen der Satiriker Accius kritisiert habe, darunter aber nicht Buch XXVI, steht dem nicht im Wege; denn er kannte wahrscheinlich nur die Sammlung der Bücher I–XXI aus eigener Anschauung (Christes 1971, 134 f.). Deswegen entging ihm z. B. auch, dass Lucilius den Accius in B. XXIX sogar namentlich verspottet hat; s. Fr. 791. – Es ist gut möglich, dass Accius im hier behandelten Zusammenhang vom Satiriker bloßgestellt wurde und daraus eine Diskussion erwuchs, von der die beiden folgenden Fragmente noch erhalten sind. – Mondin (2013, 42 f.) stellt das Fr. (mit der üblichen Auffassung von historia als Geschichtsschreibung – s. bes. a. O. 64–66) hinter Fr. 665; s. ferner a. O. 5095und 54107. 658: ‚ihre‘: die der satirischen Dichtung im Gegensatz zu den nobiles trimetri des Accius (Hor. ars 259); vgl. Petron. 4,5 schedium Lucilianae humilitatis; so Krenkel zu Fr. 624 und Charpin II 269 zu Fr. 6. – monstrificabilis ist wahrscheinlich eine Wortschöpfung des Lucilius, vielleicht auch das hier erstmals belegte Wort ignobilitas; er parodiert damit Wortbildungen der Tragiker: luctificabilis Pacuvius lt. Pers. 1,77 f., horrificabilis Acc. TRF 617 R., tabificabilis Acc. TRF 421 R. – andere Deutungen bei Cichorius 130 (noch niedriger Bekanntheitsgrad der Satiren); Puelma Piwonka 1949, 168; Christes 1971, 126 f.; Garbugino 1990, 204 f.; Mondin 2013, 38. 659–60: At enim: leitet eine occupatio ein (Kühner-Stegmann I 154). – Vgl. Hor. sat. 1,4,84 f. Commissa tacere qui nequit, / hic niger est, hunc tu, Romane, caveto; s. auch Iuv. 9,93 f., für muttire Pers. 1,119. – S. Christes 1971, 104 f., Garbugino 1990, 201 f. – Mondin bringt das Fr., darin Terzaghi folgend (1934/1970, 103), mit Fr. 949–50 zusammen (2013, 46 f.).

    250

    LIBER XXVI

    at enim dicis: ‚clandestino tibi quod conmissum foret, neu muttires quicquam neu mysteria ecferres foras.‘ at enim codd. 38 : adenim codd. 249, L1 38 | clandestino codd. 38 : clamdestino codd. 249, L1 38 | neu codd. 38 : ne codd. 249 | muttires codd. 249 : mittere codd. 38 : muttiris L AA 249 | neu codd. 38 : nec codd. 249 | ecferres codd. : ecferret L 38 : haec ferres AA 249

    661 (649) Non. 38,20: ‚Idiotas‘, a Graeco tractum, inutilis; quasi sibi tantum, non plurimis utiles. Lucilius lib. XXVI:

    quidni? et tu inlitteratum me atque idiotam diceres.

    et tu codd. : tu Lachmann | quid ni et tu scr. Marx

    662–63 (590–91) Non. 297,16: ‚Efferre‘ significat proferre. … Lucilius lib. XXVI:

    ecfero versum,

    ego ubi quem ex praecordiis

    ecfero G : et fero L1

    664 (628) Non. 74,27: ‚Apisci‘, adipisci. Lucilius lib. XXVI:

    ut ego effugiam, quod te in primis cupere apisci intellego.

    effugiam codd. : effuciam L1 : effutiam L² : efficiam Lipsius | quod codd. : quod ego G

    665 (629) Non. 88,29: ‚Cordi est‘, honeste dictum, animo sedet. Lucilius lib. XXVI: ‚et quod tibi magno opere cordi est, mi vehementer displicet.‘ mi vehementer Terzaghi : mihi vehementer codd. : mihi vementer Lachmann, Marx

    661: Von diesem Fr. ausgehend identifizierte schon Cichorius 131 f. (u. a. Hor. sat. 1,10,53 nil comis tragici mutat Lucilius Acci? als bestätigendes Indiz nehmend) den Tragiker Accius als Interlokutor; s. auch Terzaghi 1934/1970, 56 ff. und Krenkel (1957–8 =) 1970, 190 f. Garbugino 1990, 207 f. bleibt skeptisch und betont, dass die Tragödie im Ganzen angegriffen werde. Das ist unbestritten, aber Polemik gegen die Gattung und Attacken gegen den Dialogpartner, der sie vertritt, schließen einander nicht aus. Anders sehen Charpin (II 279 f. zu Fr. 29) und Mondin (2013, 61) in diesem Fr. einen Teil der Antwort auf Fr. 588. – Die folgenden Fragmente sind vermutlich (tatsächliche oder auch fingierte) Zitate aus Tragödien, die verba inusitata und/oder zetematia belegen sollen; s. Christes 1971, 108–112; Garbugino 1990, 208–211. 662–63: Vgl. Hor. sat. 1,4,88 f. post hunc quoque potus, / condita cum verax aperit prae­ cordia Liber …; Pers. 5,21 f. tibi nunc hortante Camena / excutienda damus praecordia. – S. (auch zum Zusammenhang mit dem vorausgehenden Fr.) Warmington zu Fr. 670–71

    Buch XXVI

    251

    Aber du sagst freilich: „Was dir insgeheim anvertraut wurde, davon hät­ test du keinen Mucks sagen und nicht Geheimnisse an die Öffentlichkeit tragen dürfen.“

    661 Nonius: ‚Idiotas‘ (der Ungebildete, Laie) aus dem Griechischen übernommen, ‚unnütz’; (Leute, die) sozusagen nur sich selbst, nicht sehr vielen nützlich (sind).

    Wie nicht? Auch du würdest mich ungebildet und einen Stümper nennen. 662–63

    Nonius: ‚Efferre‘ (hinaustragen) bedeutet ‚hervorbringen‘. Wenn ich einen Vers aus meinem Innersten hervorhole,

    664 Nonius: ‚Apisci‘ (erlangen), (dasselbe wie) ‚adipisci‘.

    damit ich das vermeide, was du, wie ich sehe, vor allem zu erreichen wünschst.

    665 Nonius: ‚Cordi est‘ (es liegt am Herzen), im guten Sinne gebraucht, ‚es bleibt fest im Herzen‘.

    „und was dir (so) sehr eine Herzenssache ist, missfällt mir über die Maßen.“

    (allerdings gibt die Zitierweise des Nonius hier keinen eindeutigen Hinweis); Christes 1971, 105 f.; Charpin II 272 zu Fr. 14; Garbugino 1990, 202–204. 664: ‚damit‘: auch konsekutiver Sinn ist denkbar. – Marx setzt am Ende des Fr. Komma, weil er im folgenden Fr. 665 die unmittelbare Fortsetzung vermutet (II 232). Aber die Unterschiedlichkeit der den quod-Sätzen übergeordneten Sätze spricht dagegen: hier finaler oder konsekutiver Nebensatz, dort Aussagesatz als Hauptsatz. – Die beiden Fragmente müssen zur Polemik gegen die Tragödie gehören, weil die Noniusreihen p. 74 und p. 88 eine andere Zuweisung ausschließen. Das erweist Marx’ Bezug auf eine Erörterung des Nutzens der Philosophie als unzutreffend. 665: „L’incompatibilità dei generi, la tragedia e la satira, adombra un conflitto di mentalità, di visione della realtà; è il mondo nuovo che si oppone all’antico“ (Garbugino 1990, 213). – Zu der hier vorgeschlagenen Lösung, das Fr. dem Gegenüber zuzuweisen, s. zum folgenden Fr.

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    LIBER XXVI

    666–67 (625) Non. 88,29: [v. supra ad fr. 665]. idemque:

    ‚si tibi porro istaec res idcirco est cordi, quod rere utilem‘

    si codd., del. Lachmann et Marx | rere Iunius : re codd.| utilem codd. : utilest Onions

    668 (630) Non. 353,11: ‚Niti‘, fultum esse. Lucilius lib. XXVI:

    summis nitere opibus, at ego contra ut dissimilis siem.

    summis DA E B : summi L AA BA | nitere Iunius : nitire codd. : nitinere G : niti DA

    669 (632) Non. 293,1: ‚Evadere‘, exire, tendere. … Lucilius lib. XXVI:

    – ⏑ evadat saltem aliquid aliqua, quod conatus sum. evadat codd. : si / prospere evadat coni. Schmitt 1914, 18 : denique evadat Brakman Mne­ mosyne 60 (1933) 442.

    670 (687) Non. 381,23: ‚Referre‘ significat perferre, indicare. … Lucilius lib. XXVI:

    quod is intellegebar posse * * ad paucos rettuli.

    quod is codd. : quo is E1 : quo si coni. Lindsay | ad paucos L1 : haud paucos BA : aut paucos AA : haud aut paucos E1 666–67: Marx (II 231), ebenso Garbugino (1990, 222) nehmen dieses Fr. mit Fr. 590 zusammen, und beziehen ihre Aussagen unter Verweis auf Lucr. 5,9–12 auf Epikurs Lehre. Die Noniusreihe p. 88 (650 – 665 – 666–67) macht aber für Fr. 666–67 einen Platz nur in der hier behandelten Satire oder in der darauf folgenden und letzten Satire des Buches möglich. Auch die Wiederholung der Wendung cordi est spricht für gleichen Zusammenhang: Der Sprecher hat zunächst auf etwas Bezug genommen, was seinem Gegenüber wichtig ist, und kommt hier – nach mindestens einem anderen Argument (porro) und in der Absicht, dagegen zu argumentieren – darauf zu sprechen, warum es jenem wichtig ist. Für den Satirendichter, der seinem Publikum nicht nur Angenehmes zu sagen hat, liegt die Berufung auf den Nutzen seines Tuns gewiss näher als für den Tragödiendichter, der bestrebt ist, den Publikumsgeschmack zu treffen (vgl. Fr. 644–45); s. Christes 1971, 128–130, zur Zuweisung der beiden Fragmene an den Interlokutor a. O. 131. 668: Zu den Fragmenten 664, 665 und 668 s. auch Cichorius 129; Christes 1971, 130 f.; Charpin II 291 zu Fr. 55–57. – Anders schlägt Garbugino 1990, 176 vor, Fr. 668 der Steuerpachtthematik zuzuschlagen, doch fehlt es dort an scharfer dialogischer Auseinandersetzung. 669 – 674: Diese Fragmente hatte ich in meiner Dissertation noch an das Ende der Einleitungssatire gesetzt (Christes 1971, 86–93), darin, was die Fragmente 592–96 M anlangt, Marx, Warmington und Krenkel folgend. Sie sind sich einig, dass der Nennung unerwünschter und erwünschter Leser ein prominenter Platz am Anfang des Buches gebühre. Auch Charpin hielt es nicht anders, brachte sie aber wie Marx, für den die Polemik gegen die Tragödie nach seiner Auffassung der Nonius-Zitation am Anfang des Buches stand, wieder mit ihr in Zusammenhang (bei ihm die Fragmente 15 – 17). Er konnte das ebenfalls am Anfang des Buches tun, weil er der lex Lindsay keine Aussagekraft beimisst. Mondin argumentiert neuer-

    Buch XXVI

    253

    666–67 Nonius: [s. o. zu Fr 665.] und derselbe:

    „Wenn dir ferner das da deswegen (so) am Herzen liegt, weil du es für nützlich hältst …“

    668 Nonius: ‚niti‘ (sich stemmen), ‚gestützt sein‘.

    Du bemühst dich mit aller Macht, doch ich dagegen, ganz anders zu sein.

    669 Nonius: ‚Evadere‘ (heraus-, hervorgehen), ‚zum Vorschein kommen, hervorgehen‘, ‚streben, ausgehen‘.

    Möge wenigstens irgendetwas irgendwie (bei dem) herauskommen, was ich versucht habe.

    670 Nonius: ‚Referre‘ (wohin zurücktragen, überbringen) bedeutet ‚berichten‘, ‚bekannt machen‘.

    Was ich, wie man erkannte, als der Mann (, der ich bin) kann, * * habe ich nur vor Wenige gebracht.

    dings mit beachtenswerten Argumenten gegen einen Platz dieser Fragmente am Anfang des Buches (2013, 29–37) und verweist unter anderem auf die imitatio des Motivs durch Horaz (sat. 1,10,81–92) und Persius (1,123–134), woraus er den Schluss (a. O. 37) zieht: „Ma … la collocazione delle due imitazioni nei rispettivi contesti nulla ci dice circa la posizione che il passo di Lucilio poteva avere all‘interno del XXVI libro, salvo il fatto che anche nel suo caso il discorso cadeva forse in chiusura di componimento.“ Ich trage im Folgenden seiner Argumentation Rechnung. In der Polemik gegen die Tragödie kommt in der Tat, wie Marx und Charpin sahen, das Verhältnis zwischen Autor und Leser (Fr. 644–45) zur Sprache. Auch Mondin kann sich bei der Suche nach einem Platz für die Nennung von Lesern nur diesen Zusammenhang vorstellen (a. O. 41) und gibt zu (ebd.): „in tal caso, stando alle imitazioni di Orazio e di Persio (vd. supra, p. 36s.), si potrebbe anche immaginare che la satira terminasse così, e che il tema successivo ricadesse in un nuovo componimento.“ Ich nehme dies als Bestätigung, dass die Vorstellung einer Einleitungssatire mit dem Thema der Epos-recusatio doch nicht so abwegig ist, wie er es darstellt. 669: Es ist nicht entscheidbar (s. die o. angeführten Konjekturen), ob ein Haupt- oder Nebensatz vorliegt. – ‚etwas irgendwie‘: vgl. Plaut. Epid. 100 aliquid aliqua reperiundum est. – Vgl. Pers. 1,45–47 non ego cum scribo, si forte quid aptius exit / … laudari metuam; s. Fiske 1909, 127; vgl. aber auch Hor. sat. 1,10,88–90 quibus haec, sint qualiacumque, / adridere velim, doliturus, si placeant spe / deterius nostra; s. Christes 1971, 86–88, Garbugino 1990, 153; Mondin 2013, 47 f. 670: Marx’ Textherstellung hat überwiegend Zustimmung gefunden. (Andere Wege gehen Warmington Fr. 735 und Krenkel Fr. 603.) So gelesen, wird der Text in Analogie zu Hor. sat. 1,4,73 – non recito cuiquam nisi amicis – und sat, 1,10,74 – contentus paucis lectoribus –

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    LIBER XXVI

    *671–72 (595–96) Plin. nat. praef. 7: Praeterea est quaedam publica etiam eruditorum reiectio. Utitur illa et M. Tullius extra omnem ingenii aleam positus et, quod miremur, per advocatum defenditur:

    nec doctissimis . Manium Persium haec legere nolo, Iunium Congum volo. suppl. Marx, aliter alii

    Quod si hoc Lucilius qui primus condidit stili nasum, dicendum sibi putavit, Cicero mutuandum, praesertim cum de re publica scriberet, quanto nos causatius ab aliquo iudice defendimur. *673–74 (592–593) Cic. de orat. 2,25 (Crassus): Nam ut C. Lucilius, homo doctus et perurbanus, dicere solebat neque se ab indoctissimis neque a doctissimis legi velle, quod alteri nihil intellegerent, alteri plus fortasse quam ipse, de quo etiam scripsit

    Persium non curo legere,

    (hic fuit enim, ut noramus, omnium fere nostrorum hominum doctissimus)





    Laelium Decumum volo,

    quem cognovimus virum bonum et non inlitteratum, sed nihil ad Persium, sic ego … 674a (594) Cic. fin. 1,7 (594): Nec vero, ut noster Lucilius, recusabo, quominus omnes mea legant. utinam esset ille Persius, Scipio vero et Rutilius multo etiam magis, quorum ille iudicium reformidans Tarentinis ait se et Consentinis et Siculis scribere. facete is quidem, sicut alia; sed neque tam docti tum erant, ad quorum iudicium elaboraret, et sunt illius scripta leviora, ut urbanitas summa appareat, doctrina medio­cris.

    gedeutet; s. auch Mondin 2013, 48 f. – intellegebar in persönlicher Konstruktion auch Cic. de orat. 3,110, umgangssprachlich gebrauchtes is im Sinne von ego hat schon Plaut. Merc. 631 f. 671–674: Hinter Manius (?) verbirgt sich wahrscheinlich der Jurist M.’ Manilius (Cichorius 105 f.); zur Person s. W. Kierdorf, Art. [I 3] Manilius, M.’, in: DNP 7 (1999) 87 f. – Iunius Congus, vielleicht der römische Antiquar, der erst kurz vor 54 v. Chr. starb (Cic. Planc. 58). Er könnte also etwa um 131/130 v. Chr. auch bei Annahme einer sehr langen Lebenszeit höchstens ein ganz junger Mann gewesen sein (Christes 1971, 88 f., s. auch Cichorius 71). – Charpin (II 273 zu Fr. 16–17) bestreitet deshalb die Identität; anders wendet sich Mondin (2013, 26–28) gegen eine enge Auslegung der Cicerostelle und führt plausible Argumente dafür an, dass Iunius Congus deutlich früher als 54 v. Chr. gestorben und durchaus ca. 150

    Buch XXVI

    255

    671–72 Plinius, naturalis historia, praefatio 7 (= rep. 1, fr. 1c Ziegler): Außerdem gibt es ein Recht der Gelehrten, sich öffentlich einen Richter zu verbitten. Davon macht auch M. Tullius (Cicero) Gebrauch, der doch über allen Zweifel an seiner Genialität erhaben ist, und (dabei) lässt er sich, worüber ich mich wundere, durch einen Rechtsbeistand verteidigen:

    Weder für Hochgebildete . Ich will nicht, dass Manilius (?), (aber) ich will, dass Iunius Congus dies liest.

    Wenn also Lucilius, der als erster den spöttisch-satirischen Witz schuf, meinte das sagen zu müssen, und Cicero, es zu borgen, zumal er über das Gemeinwesen schrieb, mit wie viel besserem Grunde schützen wir uns da vor einem Richter. 673–74 Crassus bei Cicero, de oratore 2,25: Denn wie Lucilius, ein gelehrter und hochgebildeter Mann, zu bemerken pflegte, das, was er schreibe, solle weder von ganz Ungebildeten noch von besonders Hochgebildeten gelesen werden, weil die eine Gruppe nichts verstehe, die andere vielleicht mehr als er selbst – ein Punkt, zu dem er auch schrieb:

    Persius soll mich nicht lesen,

    (denn der war, wie wir wissen, wohl von unseren Landsleuten der gelehrteste)

    Laelius Decumus dagegen wohl,

    (und von ihm wissen wir, daß er ein tüchtiger, nicht ungebildeter Mann, doch mit Persius nicht zu vergleichen war) –, so also …  (Übers.: H. Merklin) 674a Cicero, de finibus bonorum et malorum 1,7: Ich werde aber nicht wie unser Lucilius dagegen protestieren, daß mich alle lesen. O wäre doch nur jener Persius noch am Leben, erst recht Scipio und noch viel mehr Rutilius! Weil er ihr Urteil scheute, erklärte er, er schreibe für die Tarentiner, Consentiner und Sizilier. Das war, wie anderes, ein Witz von ihm; doch waren einerseits die Menschen damals noch nicht so gebildet, daß er sich im Hinblick auf ihr Urteil große Mühe hätte geben müssen, und andererseits sind seine Schriften recht anspruchslos, so daß in ihnen Witz in hohem, Gelehrsamkeit nur in geringem Maße zum Vorschein kommt. (Übers.: H. Merklin) v. Chr. geboren worden sein kann. Zur Person s. K.-L. Elvers: Art. [I 20] Iunius Congus (Gracchanus?), M., in: DNP 6 (1999) 63. – C. Persius wird als von Lucilius hochgebildet genannter Mann auch Cic. Brut. 99 erwähnt (= Fr. 595 Krenkel); zur Person s. J. Rüpke: Art. [1] Persius, C., in: DNP 9 (2000) 617 f. – Von Decimus Laelius ist nichts bekannt. – S. insgesamt Cichorius 104–109; Christes a. O. 87–90; Charpin a.O.; Garbugino 1990, 154–156, Gärtner 2001, 99 f., 103 f.; Koster 2001, 124. 674a: Trotz Garbuginos Einspruch (a. O. 155) halte ich es (wie schon Cichorius 108) nach wie vor für unwahrscheinlich, dass das Zeugnis Cic. fin. 1,7 sich auf den vorliegenden Zusammenhang bezieht (Christes a. O. 90–92). In dem Satz Scipio vero et Rutilius multo etiam magis … hat vero steigernde Funktion, die ihre Kraft erst voll entfaltet, wenn man sie als

    256

    LIBER XXVI

    VI 675–76 (635–36) Non. 272,41, ‚Constat‘, conpositum est. Lucilius lib. XXVI:

    principio physici omnes constare hominem ex anima et corpore dicunt.

    physici edd. : fisici codd.

    677 (639) Non. 268,27: ‚Confectum‘, defessum. … Lucilius lib. XXVI:

    tum doloribus confectum corpus animo obsistere.

    678 (638) Non. 279,7: ‚Dare‘, ostendere. Lucilius lib. XXVI:

    animo qui aegrotat, videmus corpore hunc signum dare.

    qui aegrotat videmus Gulielmus : que aegrotat vidimus codd.

    679 (640) Non. 293,9: ‚Evadere‘ est liberari. … (15) Lucilius lib. XXVI:

    idcirco omnes evasuros censent aegritudinem,

    evasuros ed. princ. (ex lemmate) : cursuros codd.

    680 (642) Non. 408,29 ‚Tangere‘, inspicere. Lucilius lib. XXVI:

    nequam priusquam venas hominis tetigit ac praecordia,

    nequam codd. (tuetur Leo GGA 1906, 853) : neque Iunius, Marx

    681 (637) Non. 214,19: ‚Nundinae‘ generis sunt feminini. … Masculini Lucilius lib. XXVI:

    Überleitung zu einem anderen Textzusammenhang versteht. Cichorius schloss den gleichen Zusammenhang auch deswegen aus, weil im Jahre 123 v. Chr. (seine Datierung) Scipio nicht mehr lebte. Literatur zu VI: Fiske 1909, 137–139; Christes 1971, 61–71; Garbugino 1990, 225–233; Haß 2007, 175 f. 675–76: ‚Erstens‘: Der Vers ist Ausgangspunkt weiterer Erörterungen, aber kaum der Anfang der Satire. – Einzelheiten zu den VV. 675 – 678 (bes. zu physici, anima vs. animus, psychosomatische Wechselwirkung): Christes 1971, 61 f.; Charpin II 293 f. zu Fr. 64–66; Garbugino 1990, 225–227; zu Fr. 678 s. auch Winkelsen 2012, 118–120.

    Buch XXVI

    257

    6. Krankheit 675–76 Nonius: ‚Constat‘ (besteht), ‚ist zusammengesetzt‘.

    Erstens sagen alle Naturphilosophen, dass der Mensch aus Seele und Leib besteht.

    677 Nonius: ‚Confectum‘ (aufgerieben), ‚erschöpft‘.

    …, dass dann, von den Schmerzen erschöpft, der Leib sich dem Geiste widersetzt.

    Nonius: ‚Dare‘ (geben), ‚zeigen‘.

    678

    Wer seelisch leidet, der, so sehen wir, lässt das mit dem Körper erkennen.

    679 Nonius: ‚Evadere‘ (entkommen) meint ‚befreit werden‘.

    Deswegen glauben sie, dass sich alle von der Krankheit befreien können …

    680 Nonius: ‚Tangere‘ (berühren), ‚untersuchen‘.

    (Nur ein) untauglicher (Arzt behandelt eine Krankheit,) bevor er Puls und Brust des Patienten abgefühlt hat.

    oder:

    …, bevor er noch Puls und Brust des Wichtes abgefühlt hat.

    681 Nonius: Die ‚nundinae‘ (alle acht Tage stattfindender Markttag) sind femininen Geschlechts. … Als Maskulinum … 679: omnes kann auch Subjekt zu censent sein. Fraglich ist ferner, ob nach aegritudinem Punkt oder Komma zu setzen ist. Entsprechend vieldeutig ist der Vers: Geht es um Wiederherstellung der Harmonie von Leib und Seele wie bei Iuv. 10,356 (Krenkel zu Fr. 671)? Oder um Wiederherstellung der Herrschaft des Geistes über den Körper (Christes 1971, 62 f.)? Oder – bei der Annahme, hiermit ende der Satz – um eine irrige Illusion (Charpin II 292 zu Fr. 59)? Oder leitet das Fr. zu dem Gedanken ‚Philosoph = Seelenarzt‘ über (Garbugino 1990, 227 f.)? 680 (1): So deutet F. Leo (1906, 853 = 1960, 293) das Fr., vgl. Sen. epist. 22,1; Cic. de orat. 2,186; s. auch Garbugino 1990, 228 f. – (2): ‚des Wichtes‘: nequam hominis. – So Warmington Fr. 680; s. auch Christes 1971, 64. – Zur möglichen imitatio durch Persius (3, 88–106) s. Fiske 1909, 137–139.

    258

    LIBER XXVI

    paucorum, atque hoc pacto si nil gustat internundino,

    nil edd. : nihil codd. | internundino codd., Marx : inter nundinum F² 682 (641) Non. 394,31: ‚Siccum‘, exercitum. Lucilius lib. XXVI:

    ‚cum stadio, in gymnasio, in duplici corpus siccassem, pila,‘

    stadio Marx : stadio codd. | in duplici codd. : duplici Schmitt 1914, 19 | pila edd. : pilas codd. | siccassem, pila dist. Garbugino 1990, 216 Nr. 97 et 230s.)

    683 (643) Non. 290,31: ‚Exigere‘ est excludere. … (291,9) Lucilius lib. XXVI:

    vestimentis frigus atque horrorem exacturum putet.

    horrorem codd. : orrorem L | exacturum codd. : exactorem L | putet codd. : putat F. Dousa

    684–85 (645–46) Non. 38,23: ‚Expirare‘ dictum est vel ab spiritu effuso vel ab spiraminibus. Lucilius lib. III [fr. (112-)13]. idem XXVI: Non. 103,27: ‚Eluviem‘, purgationem. Lucilius lib. XXVI [ ut . velis]

    ⏑ – ⏑ ut, si eluviem facere per ventrem velis, cura, ne omnibus distento corpore expiret viis.

    ut si codd. 38 : ut codd. 103 | eluviem codd. 38 : eleviem codd. 103 | ventrem codd. 38 : ventum codd. 103 | cura ne Lachmann : curare codd. 38 | viis F. Dousa : vis codd.

    681: Dieser Deutung liegt die Annahme zugrunde, dass der Arzt einem konkret geschilderten Kranken, einem Schlemmer, strenge Diät verordnet hat; s. Christes 1971, 64 f. – Anders Marx II 234: paucorum sc. dierum; nach 7–8 Tagen Nahrungsentzug muss man sterben; zustimmend Garbugino 1990, 229 f. 682: Text und Inhalt sind unsicher. Garbuginos Deutung von stadium duplex = δίαυλος (1990, 230) ist hier übernommen. – ‚Sooft‘: siccassem dürfte iterativer Konjunktiv sein (Kühner-Stegmann II 206 § 182,8). – Zur Therapie der siccatio corporis s. Cels. 2,17, vgl. auch Hor. sat. 2,2,9–15. – Eine Reminiszenz an frühere körperliche Ertüchtigung (Christes 1971, 67 f.)? Anders zuletzt Garbugino a. O. 230 f.

    Buch XXVI

    259

    … (nur) weniger (Speisen), und wenn er auf diese Weise nichts (sonst) zu sich nimmt sieben Tage lang, 682 Nonius: ‚Siccum‘ (trocken), ‚austrainiert‘.

    ‚Sooft ich mit doppeltem Lauf, im Gymnasium, meinen Körper austrainiert hatte, mit dem Ball, …‘

    683 (643)

    Nonius: ‚Exigere‘ (hinaustreiben) meint ‚ausschließen‘.

    Vielleicht glaubt er, er könne Kälte und Schüttelfrost durch Decken vertreiben.

    684–85 Nonius 38: ‚Expirare‘ (aushauchen) sagte man entweder von der ausgehauchten Atemluft oder von den Atemzügen. Nonius 103: ‚Eluviem‘ (Ausspülung), ‚Reinigung‘.

    (Eben)so, wenn du eine Abführung durch den Leib hindurch vornehmen willst, gib acht, dass sie nicht auf allen Wegen aus dem aufgeblähten Kör­ per herausbläst.

    683: Ein Rückfall (Christes 1971, 65 f.)? Oder eine Maßnahme des Arztes (Garbugino 1990, 231 f.)? – Vgl. Cels. 3,3 Aliae enim protinus a calore incipiunt, aliae a frigore, aliae ab horrore, s. auch Cels. 3,6. 684–85: Oder: „… ne expiret venter eluviem e distento corpore per omnes vias“ (Marx II 237). Zum möglichen Zusammenhang s. Christes 1971, 66 f.; Charpin II 295 zu Fr. 68; Garbugino 1990, 232 f.

    LIBER XXVII Die Mehrzahl der Herausgeber setzt in Buch XXVII drei Satiren an (Warmington 238–255; Terzaghi 1934/1970, 153–167; Krenkel I 87–89; II 394 – 421). Aber in Anbetracht des nicht homogenen Charakters einiger dieser Zusammenstellungen geht man besser von den fassbaren Themen aus, ohne zu versuchen, sie zu einzelnen Satiren zu verbinden. Christes (1986, 83) unterscheidet fünf Themenbereiche: Umgang mit Hetären (A) Parasiten (B) Zwischenmenschliche Beziehungen (C) Auf und Ab des menschlichen Lebens (D) Politik (E) Leider sind die Noniusreihen für dieses Buch nicht von großem Nutzen, weil entweder die Zuweisung der Fragmente dieser Reihen zu den Themenbereichen sehr problematisch ist, oder weil sich in der Mehrzahl der Fälle nur eine relative Reihenfolge von Fragmenten ableiten lässt, die zur selben Satire bzw. zur selben Thematik gehören. Die Reihe p. 37 (Fr. 705–722–723–24–732–33) zeigt die Reihenfolge der Themen A – B – B – E an, die Reihe p. 88 (725–728–30–731) belegt die Reihenfolge B – B – B, und schließlich die Reihe p. 275 (686–688–690 bezeugt die Reihenfolge D – D – D. Thema A kann präzisiert werden als „Widrigkeiten der Liebe“. Für das ursprünglich wahrscheinlich diatribische Thema macht Lucilius Anleihen bei Szenen der Komödie, insbesondere bei der ersten Szene des ersten Aktes des Terenzischen Eunuch (Fiske 1920/1971, 394 –396), was dann von Horaz (sat. 2,3,259 ff.) und von Persius (5,161 ff.) wieder aufgenommen wird. Gut repräsentiert ist die Thema-

    686 (738) Non. 275,13: ‚Commodare‘ est mutuari. Lucilius lib. XXVII:

    certa sunt, sine detrimento quae inter sese commodent.

    687 (697) Nonius 384,26: ‚Redire‘, referri, revocari. Lucilius lib. XXVII: Lit. zu B. XXVII: Cichorius 143–149; Fiske 1920/1971, 394 –396; Warmington 238–255; Terzaghi 1934/1970, 153–167; Krenkel I 87–89. II 394 – 421; Mariotti 1974, 133–139; Zucchelli 1977, 81–141; Christes 1986, 83–87. Lit. zu ‚Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens‘: Fiske 1920/1971, 386; Bolisani 1932, 260–69; Terzaghi 1934/1970, 158–161; Puelma 1949, 62; Garbarino 1973, 511–12; Mariotti 1974, 133–139; Christes 1986, 85–87. 686: ci sono cose sicure, che ci si possono scambiare senza danno. – Die Herausgeber führen das Fr. meist auf eine von Cicero (off. 1,51 f.) zitierte Lehre des Panaitios zurück: Una ex re satis praecipit ut, quicquid sine detrimento commodari possit, id tribuatur vel ignoto: ex quo sunt illa communia, non prohibere aqua profluente, pati ab igne ignem capere … Es

    Buch XXVII tik B („Parasiten“), die wahrscheinlich den Anstoß zu Betrachtungen über wahre Freundschaft gibt. Gut erkennbar ist auch die Gruppe der Fragmente, die sich Thema D („Auf und Ab des menschlichen Lebens“) zuweisen lassen. Es kann jedoch nicht leicht ins Innere des Buches gestellt werden, denn die Noniusreihe p. 275 gibt hierauf keinen Hinweis. Die Reflexionen des Dichters kreisen um den Topos der Unbeständigkeit des Schicksals und gehen von sententiae des Archilochos aus (I.  Mariotti, 1974, 133–139). Thema C, das in keiner der Noniusreihen wiederkehrt, kann gut ein Teil von D sein, bedenkt man die Verwandtschaft des Inhalts. Christes (1986, 87) folgt einer Vermutung Warmingtons und neigt dazu, anzunehmen, dass vielleicht auch Thema E, wovon letztlich nur wenige Fragmente erhalten sind, mit Thema D verbunden werden kann. Für sich genommen, würden die Noniusreihen mit einer solchen Gruppierung übereinstimmen, aber in Anbetracht des einleitenden Charakters einiger Fragmente, die Thema D zugewiesen werden können, ziehe ich es vor, die beiden Themenbereiche getrennt zu halten und Thema D an den Anfang des Buches XXVII zu setzen. Das von aktueller Politik handelnde Thema E, das durch die Noniusreihe p. 37 an das Buchende verwiesen wird, lässt die politische Unabhängigkeit des Dichters erkennen, der unbeschadet seiner Nähe zu Scipio nicht zögert, die Optimaten wegen der Ermordung des Ti. Gracchus zu kritisieren (Cichorius 1908, 143–149; Zucchelli 1977, 120–121). Letztendlich können auf der Grundlage der vorausgehenden Beobachtungen vier Themenkomplexe vorgeschlagen werden, und zwar in der Reihenfolge: D („Höhen und Tiefen des Lebens“) – A („Widrigkeiten der Liebe“) – B („Wahre und falsche Freundschaft“) – E („Politische Satire“). Höhen und Tiefen des Lebens 686 Nonius: ‚Commodare‘ (leisten) meint ‚austauschen‘.

    Es gibt sichere Dinge, die man ohne Schaden austauschen kann.

    687 Nonius. ‚Redire‘, ‚zurückgeführt, zurückgerufen werden‘. geht um Handlungen, die man im allgemeinen Interesse ohne Beeinträchtigung leisten kann. Lucilius spielt vielleicht auf Ratschläge an, die er seinem Gegenüber geben möchte, für dessen Identität Christes (1986, 85) den heillos Verliebten der Thematik ‚Widrigkeiten der Liebe‘ in Betracht zieht. Wie aber Terzaghi (1934/1970, 160) beobachtet, kann certa auch die Antithese zu incerta implizieren, damit auch zu den Gaben des Schicksals, die man als gute wie als schlechte entgegennehmen muss, wie alle menschlichen Unwägbarkeiten. Das spricht aus meiner Sicht für die Einfügung in diesen Zusammenhang. 687: se ciò tuttavia non ti tornerà utile, tu farai a meno di questo vantaggio. – Charpin (II 318 zu Fr. 44) bemerkt eine enge Beziehung mit dem vorausgehenden Fr.; er betont die Antithese zwischen commodum und detrimentum und verbindet mit den beiden Termini je-

    262

    LIBER XXVII

    si non tamen ad te hoc redibit, tu hoc carebis commodo. redibit Mercier : redivit codd.

    688 (696) Non. 275,19: ‚Captare‘, capere. Lucilius lib. XXVII:

    quod si paulisper captare atque observare haec volueris

    689 (692) Non. 138,16: ‚Mutuum‘ pro mutuo. Lucilius lib. XXVII:

    et si, maxime quod spero, mutuum hoc mecum facis

    quod spero codd.: id quod spero F², Lindsay

    690 (693) Non. 238,5: ‚Adtendere‘ est intendere. …. Lucilius lib. XXVII: Non. 275,21: ‚Cognoscere‘ est audire, aestimare. Lucilius lib. XXVI: lib. XXVI codd. Non. 275, sed v. codd. Non. 238 et fragmentorum ordinem 686–688–690.

    rem cognoscas simul et dictis animum adtendas postulo.

    cognoscas codd. 238 : cognoscat codd. 275 | postulo codd.275 : postula codd. 238

    691 (724) Non. 269,35: ‚Concedere‘, credere vel consentire. … Lucilius lib. XXVII:

    id concedere unum atque in eo dare, quo superatur, manus.

    id Corpet : in codd.

    weils die philosophische Bedeutung, konform mit stoischer Lehre, der εὐχρηστήματα und βλάμματα (vgl. Cic. fin. 3,69). Wenn, wie vermutet, Fr. 686 auf Handlungen anspielt, die ohne Schaden im allgemeinen Interesse geleistet werden können, scheint sich Fr. 687 im Gegenteil auf Handlungen zu beziehen, die keine Vorteile für das Individuum mit sich bringen. 688: che se per un po’ vorrai prendere in considerazione e esaminare queste cose … – Lucilius empfiehlt seine Überlegungen der Aufmerksamkeit des Lesers. Die dialogische Struktur, die es mit Fr. 690 teilt – auch dieses Fr. ist in der Noniusreihe p. 275 bezeugt (vgl. Christes 1986, 85) –, lässt an einen Prolog denken, der den Eingangsteil der hier behandelten Satire ausgemacht haben kann (vgl. Terzaghi 1934/1970, 160). Christes (1986, 86) teilt das Fr. dem Dialog mit dem heillos Verliebten zu, aber – so Charpin II 154 zu Fr. 4 – Lucilius dürfte in diesem Fr. sowie in Fr. 690 die Regeln definieren, die den Wert des Dialogs ausmachen. 689: e se, come spero vivamente, tu mi contraccambi … – Zur Erläuterung des Gemeinten zitiert Marx (II 252) Plaut. Trin. 437 f. quid agit filius? / Bene volt tibi. Edepol mutuum me­ cum facit. – Terzaghi (1934/ 1970, 156) nimmt an, dass Fr. 690 sich unmittelbar anschließt. – Christes (1986, 85) unterstreicht unter Hinweis darauf, dass Nonius (p. 275,13) commodare im Sinne von mutuari versteht, die thematische Affinität nicht nur zu Fr. 690, sondern auch zu Fr. 686. Man kann festhalten, dass Lucilius hier den sermo als einen Dialog definiert, der die Funktion hat, eine Wahrheit vor die Öffentlichkeit zu bringen (Charpin II 305 zu Fr. 8).

    Buch XXVII

    263

    Wenn dieser (Nutzen) jedoch nicht zu dir zurückkommt, wirst du auf diesen Vorteil verzichten müssen. 688 Nonius: ‚Captare‘ (zu ergreifen suchen) bedeutet ‚ergreifen‘.

    wenn du aber diese Dinge für eine Weile in Betracht ziehen und prüfen willst …

    689 Nonius: ‚Mutuum‘ statt ‚mutuo‘ (gegenseitig).

    und wenn du, wie ich lebhaft hoffe, antwortest …

    690 Nonius 238: ‚Adtendere‘ meint ‚aufmerksam machen‘. Nonius 275: ‚Cognoscere‘ meint ‚hören‘, ‚abwägen‘.

    Ich bitte dich, die Angelegenheit abzuwägen und zugleich meinen Ausführungen deine Aufmerksamkeit zu schenken. 691 Nonius: ‚Concedere‘ bedeutet ‚glauben‘ oder ‚übereinstimmen‘.

    nur darin beizupflichten und sich geschlagen zu geben, worin man sich besiegt sieht.

    690: ti chiedo di valutare la cosa e nello stesso tempo di fare attenzione alle mie parole. – Die Fragmente der Noniusreihe p. 275 (686–688–690) ähneln sich alle in Ton und dialogischer Struktur (Christes 1986, 85 f.). Puelma Piwonka (1949, 62) erkennt hierin und in anderen Fragmenten dieser Einleitungspartie ein typisches Vorgehen in den Prologen der Komödien des Plautus und Terenz wieder; vgl. z. B. Plaut. Cas. 29 aures vocivae si sunt, animum advortite; Men. 5; Poen. 3; Amph. 95; Trin. 7; Ter. Hec. 28 nunc quid petam mea causa aequo animo adtendite; Andr. 8. – Erwähnenswert ist, dass Lucilius wie Terenz die Wendung animum adten­ dere verwendet, während Plautus animum advertere bevorzugt. 691: dichiararsi d‘accordo e vinto solo in ciò in cui si sente superato. – Dare manus, zum militärischen Jargon gehörig, findet sich oft in dialogischen Kontexten; vgl. Caes. Gall. 5,31,3 Res disputatione ad mediam noctem perducitur. Tandem dat Cotta permotus manus: superat sententia Sabini; vgl. Cic. Lael. 99. In einer Diskussion muss man sich nur dann beugen, wenn die Argumente der Gegner sich als zwingend überlegen erweisen. – Marx (II 259) kontrastiert dieses Verhalten mit dem des Parasiten, der immer bereit ist, um des persönlichen Vorteils willen zu schmeicheln. Aber die Reflexion passt ebenso gut in den Eingangsteil der Satire, worin Lucilius die Regeln bestimmt, die die Qualität der Diskussion gewährleisten (Charpin II 154 zu Fr. 6).

    264

    LIBER XXVII

    692 (698) Non. 300,19: ‚Excidere‘, dissentire. Lucilius lib. XXVII:

    metuo ut fieri possit: ergo quor ab Arciloco excido?

    ergo quor ab I. Mariotti Miscell. philol., Genova 1974, 133–139 : ergo quo ab L BA : ego vivo codd. : ergo quo ab Marx : ego quo ab Puelma Piwonka 50

    693 (699) Non. 286,1: ‚Dimissum‘, abiectum. …. (8) Lucilius lib. XXVII: vel post lacunam l. 5 novum lemma (cum codd.):‘Dimissum‘, humile, miserandum, abiectum. …

    re in secunda tollere animos, in mala demittere.

    in mala L1 : et in mala codd. | demittere edd. : dimittere codd.

    694 (700) Non. 302,25: ‚Ferre‘, pati. … Lucilius lib. XXVII:

    ceterum quid sit, quid non sit, ferre aequo animo ac fortiter.

    quid sit Lachmann : quidquid sit codd. | quid non sit codd. : quasi non sit DA | ferre codd. : fero AA L² : fere L1 BA

    695 (701) Non. 361,27 ‚Proprium‘ rursum significat perpetuum. …. Lucilius lib. XXVII:

    cum sciam nihil esse in vita proprium mortali datum.

    datum edd. : datum est codd.

    696 (740) Non. 368,16: ‚Pernix’ significat celer. … Lucilius lib. XXVII: 692: temo che non sia possibile; e allora perché mi discosto da Archiloco? – Man erkennt in dem Vers meist eine Anspielung auf Fr. 122 West des Archilochos wieder: χρημάτων ἄελπτον οὐδέν ἐστιν / οὐδ᾿ ἀπώμοτον οὐδὲ θαυμάσιον … ἐκ δὲ τοῦ καὶ πιστὰ πάντα κἀπίελπτα γίγνεται ἀνδράσιν … (Marx II 53; Terzaghi 1934/1970, 159). Besser aber teilt man Mariottis Interpretation (1974, 135), der den Vers des Lucilius auf Fr. 128 West des Archilochos bezieht, das im folgenden Fr. 693 anklingt: Das Glück scheint von Dauer zu sein, ist es aber nicht (vgl. Fr. 695 und 696). „Und warum“, sagt Lucilius, „freue ich mich dann zu sehr und ignoriere die Weisheit des Archilochos?“ – S. auch D. Mankin: Lucilius and Archilochus. Fragment 698 (Marx). AJPh 108 (1987) 405– 408. 693: insuperbirsi nella fortuna, abbattersi nella sventura. – Quelle ist ziemlich sicher Archilochos 128 West θυμέ, θύμ᾿ ἀμηχάνοισι … . Hierzu I. Mariotti 1974, 135: „la doppia antitesi re in secunda / in mala re tollere animos / demittere riprende νικῶν / νικηθεὶς […] e ἀγάλλεο / ὀδύρεο […].“ Der Vers setzt eine Formel der Rüge wie stultum est, sapientis non est voraus. – Es ist bedeutungsvoll, dass Lucilius in einer seiner ersten Satiren sich offen auf Archilochos beruft, so als ob er die Affinität seiner Satire zur ἰαμβικὴ ἰδέα unterstreichen wollte. 694: del resto, sopportare con animo sereno e forte ciò, che accade o che non accade – Es geht immer noch um die Unwägbarkeit des Schicksals und die Notwendigkeit, sich den Höhen und Tiefen anzupassen, die es uns beschert. Insbesondere scheint hier das stoische The-

    Buch XXVII

    265

    692 Nonius: ‚Excidere‘ (herausfallen), ‚anderer Meinung sein‘.

    ich fürchte, das ist nicht möglich; und warum rücke ich dann von Archilochos ab?

    693 Nonius: ‚Dimissum‘ (fortgeschickt), ‚erniedrigt‘.

    stolz werden im Glück, niedergeschlagen sein im Unglück.

    Nonius: ‚Ferre‘ (tragen), ‚ertragen‘.

    694

    im Übrigen heiteren Gemüts und tapfer das zu ertragen, was geschieht oder was nicht geschieht.

    695 Nonius: ‚Proprium‘ (eigen) bedeutet auch ‚beständig‘.

    da ich weiß, dass nichts im Leben dem Menschen als sein völliges Eigentum gegeben ist.

    696 Nonius: ‚Pernix’ (flink) bedeutet ‚schnell‘. ma der aequabilitas entwickelt zu werden; vgl. Cic. off. 1,80 Fortis vero et constantis est non perturbari in rebus asperis nec tumultuantem de gradu deici, ut dicitur, sed praesentis animi uti consilio, nec a ratione discedere; ibid. 90 Atque etiam in rebus prosperis et ad voluntatem nostram fluentibus, superbiam, fastidium, arrogantiamque magnopere fugiamus. Nam ut ad­ versas res, sic secundas immoderate ferre levitatis est; praeclaraque est aequabilitas in omni vita et idem semper vultus, eademque frons, ut de Socrate, idemque de C. Laelio accepimus; Hor. carm. 2, 3, 1–2 Aequam memento rebus in arduis / servare mentem, non secus in bonis. 695: poiché so, che nulla nella vita è dato all‘uomo in assoluta proprietà. – Dieses Thema haben die führenden hellenistischen Philosophenschulen, Kyniker, Stoiker und Epikureer, gemeinsam (vgl. Garbarino 1973, 511–12). Das gleiche Konzept findet sich auch v. 548 proprium vero nil neminem habere und bei Hor. sat. 2,2,133–136, wo Ofellus von seinem Landgut spricht, das jetzt einem anderen Eigentümer gehöre, und versichert, es gehöre nicht wirklich jemandem, sondern sei vom Schicksal zuerst ihm, dann einem anderen zum Gebrauch gegeben, der jetzt tapfer darauf leben und sich gegen Unbill tapfer wappnen müsse. 696: „siamo stati troppo rapidi, speravamo che durasse per sempre.“ – Terzaghi (1934/1970, 1654) denkt an die Vergänglichkeit des Liebesglücks. Plausibel ist aber Mariottis Interpretation (1974, 137), der das Fr. mit den Vv. 695 und 692 in Zusammenhang bringt. Es ist töricht, zu denken, dass das Glück ewig währt, und sich entsprechend zu verhalten. – Dass pernix

    266

    LIBER XXVII

    ‚fuimus pernices, aeternum id nobis sperantes fore.‘ nobis ed. princ.: vobis codd., Marx

    697 (702) Non. 29,21: ‚Mediocritatem‘ medium dici voluit M. Tullius de officiis lib. I … Lucilius lib. XXVII:

    paulum hoc melius quam mediocre, hoc minus malum quam ut pessumum.

    hoc melius codd. : homelius L | pessumum edd. : opes summum codd.

    698 (703) Non. 20,29: ‚Cernuus‘ dicitur proprie inclinatus, quasi quod terram cernat. Lucilius Satyrarum lib. III [fr. 131] … (21,5) Lucilius Satyrarum lib. XXVII: Non. 200,16: ‚Collus‘ masculino. … Lucilius Satyrarum lib. VII [fr. 296–97]. idem lib. XXVII:

    modo sursum, modo deorsum, tamquam collus cernui.

    sursum codd. : rursum L1 20 | cernui codd. 20 : cernis codd. 200

    699 (707) Non. 213,34: ‚Messem‘ generis feminini. Masculino Lucilius lib. XXVII:

    potius quam non magno messe, non proba vindemia.

    magno messe Mercier : magnum esse codd. : magnum me est H³ | proba vindemia codd. : proba vindemedia BA : probavi indemedia L

    700 (708) Non. 477,26: ‚Adiutatur‘, pro adiutat. … Lucilius lib. XXVII:

    nec, si paulo minus usurast magna adiutatus diu,

    usurast Corpet : usuras et codd. sich der Bedeutung ‚allzu schnell‘ annähern kann, zeigt Acc. trag. 421 R³ pernici … leto (vgl. Ov. Pont. 4,16,16 celeri morte). 697: questo è un po’ meglio che mediocre, questo è un male minore di quello che si può definire pessimo. – Zu den Überlegungen des Lucilius über die Notwendigkeit, sich den Bedingungen des Schicksals anzupassen, scheint die über die ‚rechte Mitte‘ zu gehören. Die Weisheit schließt die Extreme aus. Mediocre gibt genau die rechte Mitte zwischen optimum und pessimum wieder (Charpin II 317 zu Fr. 41): – Für mediocritas vgl. Cic.off. 1,89 num­ quam enim iratus qui accedet ad poenam mediocritatem illam tenebit, quae est inter nimium et parum, quae placet Peripateticis, et recte placet (Puelma Piwonka 1949, 53). 698: ora in alto, ora in basso, come il collo di un funambolo. – Man kann sich kaum vorstellen, dass cernuus hier wie in Fr. 131 in der Bedeutung ‚Schuhwerk‘ vorliegt (vgl.Isid. orig. 19,34,13), wie Marx II 254 und Terzaghi 1934, 158 annehmen. In cernuus („abwärts am Kopf“) kehrt die Wurzel *kar von kavra und von cerebrum wieder (Walde-Hofmann, LEW, 206). Die Definition des Nonius ist also substanziell korrekt. – Der Mensch ist gezwungen, sich den wechselnden Situationen anzubequemen, die das Schicksal ihm auferlegt, so, wie der Seiltänzer seinen Hals entsprechend den Positionen, die er einnimmt, bald hochrecken, bald einziehen muss.

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    267

    „Wir waren allzu schnell, wir hofften, es werde uns für immer bleiben.“ 697 Nonius: ‚Mediocritatem‘ (Mittelmäßigkeit) hat Cicero als ‚das Mittlere‘ verstanden wissen wollen.

    dies ist ein wenig besser als mittelmäßig, das ist ein geringeres Übel als (jenes, das man) als das schlimmste (definieren kann).

    698 Nonius 20: ‚Cernuus‘ (eigl.: vornüber stürzend; radschlagender Gaukler; Gamasche) heißt im prägnanten Sinne einer, der (nach vorn) geneigt ist, sozusagen weil er zu Boden schaut. Nonius 200: ‚Collus‘ (Hals) maskulin.

    bald in die Höhe, bald in die Tiefe, wie der Hals eines Seiltänzers. 699 Nonius: ‚Messem‘ (Ernte) (gebrauchen die Autoren) als Femininum. Als Maskulinum …

    mehr als eine nicht üppige Ernte oder eine nicht gute Weinlese.

    700 Nonius: ‚Adiutatur‘ statt ‚adiutat‘ (hilft).

    auch nicht, wenn (dein Gut) lange Zeit ein bisschen weniger gute Gewinne abgeworfen hat, …

    699: piuttosto che un raccolto non abbondante o una vendemmia non buona. – Für probus in diesem Sinne vgl. Plaut. Rud. 373 improbae sunt merces; Liv. 32,2,2 Argentum … probum non esse. – Marx II 255: „Nemo tam insanus est, ut dicat ‚incultus horno pereat ager potius, quam non magno messe, non proba vindemia ludat operam rusticorum‘“ (vgl. Bolisani 1932, 262). Aber es ist nicht gesagt, dass Marx damit recht hat, wenn er die Verse 699 und 700 (s. u.) als Aussagen des Dichters in seiner Eigenschaft als Latifundienbesitzer ansieht; vgl. Terzaghi 1934/1970, 162. 700: Nemmeno se per molto tempo ha fornito dei guadagni un po’ meno buoni – Das Fr. weist ein paar Gemeinsamkeiten mit dem vorausgehenden Fr. auf: 1) Es ist die Rede von Einkünften aus landwirtschaftlicher Arbeit; 2) diese Einkünfte sind mäßig (non magno messe, non proba vindemia, minus magna usura); 3) beide setzen Vergleiche voraus. Eine Zuweisung des Fr. zu der Satire, die aktueller Politik gewidmet ist (Christes 1986, 86137), überzeugt mich nicht ganz. Trotz der Kompetenz und Erfahrung des Lucilius in Sachen Landwirtschaft und Latifundien: hier scheint der Diskurs allgemeinen Charakter zu haben. Deshalb möchte ich mit Terzaghi (1934/1970, 162) einen möglichen Bezug auf neidische Menschen sehen, die das Glück anderer mehr umtreibt als das eigene Pech, und beide Verse dem Thema „Höhen und Tiefen des Lebens“ zuordnen.

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    701–2 (704 –5) Non. 27,1: ‚Strabones‘ sunt strambi quos nunc dicimus. … Lucilius lib. XXVII:

    nulli me invidere, non strabonem fieri saepius deliciis me istorum,

    703– 4 (726–27) Non. 358,31: ‚Offendere‘, laedere. … Lucilius lib. XXVII:

    nam hic reditum quidem talem portendebant, neque alia in mare ulla offendere.

    hic codd. : hi Marx | reditum quidem Terzaghi : quidem reditum codd. : quidem reditum Marx

    705 (732) Non. 37,6: ‚Maltas‘ veteres molles appellari voluerunt, a Graeco, quasi μαλακούς. Lucilius lib. XXVII:

    insanum vocat, quem maltam ac feminam dici videt.

    vocat Marx : vocant codd. | videt codd. : vident Turnebus 706 (715) Non. 301,12: ‚Excludere‘, liberare. Lucilius lib. XXVII:

    primum qua virtute servitute excluserit.

    sese add. Marx

    701: non invidio nessuno né mi capita mai di diventare strabico per il lusso di costoro – Wer ohne inneres Gleichgewicht ist und nicht die wahren Werte des Lebens zu erkennen weiß – scheint Lucilius sagen zu wollen –, ist dazu verurteilt, voller Neid auf den Reichtum und Luxus anderer zu schauen; vgl. Hor. epist. 1,14,37 f. Non istic obliquo oculo mea commoda quisquam / limat, non odio obscuro morsuque venenat; Varro Men. 176 Multi enim qui limina intrarunt integris oculis, strabones sunt facti; habet quiddam enim ἑλκυστικόν (‚Anziehendes‘) provincialis formonsula uxor. – Fiske (1920/1971, 386) sieht bei Hor. sat. 2,2,129 ff. einen Anklang und erblickt eine wahrscheinliche Verbindung mit Fr. 695: in Anbetracht der Unbeständigkeit des Schicksals ist es töricht, jemanden um seinen Reichtum zu beneiden. 703– 4: infatti predicevano che in seguito il ritorno sarebbe stato tale e che in mare non vi sarebbero state più insidie. – Die Anspielung auf eine Rückkehr (reditus) und auf Vorhersagen (portendebant) veranlasste Marx (II 260), in der hier vergegenwärtigten Person Odysseus zu sehen, dem Teiresias (Hom. Od. 11,111–115) und Kirke (12,139–141) vorhersagten, dass er bei seiner Heimkehr keine Hindernisse mehr zu erwarten habe, wenn er und seine Gefährten sich nicht an den Herden des Sonnengottes vergriffen. Der Rückgriff auf die Odyssee diente wahrscheinlich dazu, zu zeigen, wie der Mensch immer die Möglichkeit von Situationsumschwüngen im Auge behalten müsse. – Hic präzisiert hier als Zeitadverb die Zeit der Rückkehr. Lit. zu ‚Widrigkeiten der Liebe‘: Schmitt 1914, 39; Fiske 1920/1971, 394 –396; Terzaghi 1934/1970, 164 –167; Puelma Piwonka 1949, 131–132; Mariotti 1960, 64; Lieberg 1962, 180–81; Garbarino 1973, 493; Christes 1986, 85–87; Haß 2007, 123–24.

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    701–2 Nonius: ‚Strabones‘ sind die, die wir heute ‚strambi‘ (Schieler) nennen.

    (dass) ich auf niemanden neidisch bin noch es jemals dahin kommen lasse, missgünstig zu werden wegen des Luxus dieser Leute da, …

    Nonius: ‚Offendere‘, ‚verletzen‘.

    703– 4

    In der Tat sagten sie voraus, dass fortan die Rückkehr so sein werde und dass keine weiteren Tücken auf dem Meere auf ihn warteten.

    Widrigkeiten der Liebe 705 Nonius: ‚Maltas‘ (Weichlinge) nannten die alten Autoren gern verweichlichte Menschen, aus dem Griechischen, sozusagen μαλακούς.

    Verrückt nennt er (ihn), der, wie er sieht, Weichling und Weib genannt wird.

    706 Nonius: ‚Excludere‘ (ausschließen), ‚befreien‘.

    zunächst die Vorzüge, dank derer er sich aus der Sklaverei befreit hat.

    705: chiama pazzo, chi vede esser chiamato molle ed effeminato. – Malta ist ein griechischer technischer Fachbegriff; er bezeichnet eine Mischung aus Wachs, Kalk und Fett zum Teeren der Schiffe (Plin. nat. 36,181; s. I. Mariotti 1960, 64). Hier, so Nonius, ist er im metaphorischen Sinn von ‚weichlich, verweichlicht‘ verwendet. Der sapiens bezeichnet als unvernünftig jemanden, den die anderen maltam ac feminam nennen. – Das Fr. scheint der Anfang einer Satire oder eines Abschnitts zu sein, worin es um die Verrücktheit einer Person geht, die sich von Leidenschaften und insbesondere von der Liebe leiten lässt (vgl. Hor. sat. 2,3,77–81). Das Fr. lässt den Abstand begreifen, der bei diesem Thema zwischen dem satirischen und dem elegischen Dichter besteht: vgl. Tib. 1,1,57 Non ego laudari curo, mea Delia, tecum / Dum modo sim, quaeso segnis inersque vocer (s. Haß 2007, 123). 706: anzitutto i meriti, grazie ai quali si è liberato dalla schiavitù. – Das Fehlen des Kontextes hindert uns nachzuprüfen, ob hier jemand von einem Freigelassenen spricht (Marx II 257) oder von einem Verliebten, der sich aus der Knechtschaft der Leidenschaft befreien konnte (Krenkel II 415 mit Verweis auf Prop. 3,25,3 Quinque tibi potui servire fideliter annos). Im zweiten Falle ist der Ton jedoch mit Sicherheit ironisch, bedenkt man die Haltung des Lucilius gegenüber Personen, die sich freiwillig als Sklave einer Herrin unterwerfen (Haß 2007, 123).

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    LIBER XXVII

    707 (706) Non. 289,9: ‚Deductum‘, delectatione ductum. … Lucilius lib. XXVII:

    illo oculi deducunt ipsi atque animum spes illuc rapit.

    illo Iunius : illoc codd.

    708 (729) Non. 237,33: ‚Aditus‘, interpellatio. … Lucilius lib. XXVII:

    ‚cum pacem peto, cum placo, cum adeo et cum appello „meam“‚

    cum pacem peto codd. : pacem cum peto Lachmann

    709 (730) Non. 238,21: ‚Appellare‘ est familiariter respondere. Lucilius lib. XXVII:

    ‚cum mei me adeunt servuli, non „dominam“ ego appellem “meam”?‘

    meam? Lachmann : meam. Marx

    710 (741) Non. 284,33: ‚Differre‘, distare. … Lucilius lib. XXVII:

    tamen aut verruca aut cicatrix melius: papulae differunt.

    tamen aut Mercier : tamen aliti L BA : tamen aditi AA | melius Marx : medius codd.

    711 (733) Non. 74,19: ‚Ardum‘ pro aridum. Lucilius lib. XXVII:

    ‚Ardum, miserinum atque infelix lignum‘ sabucum vocat.

    miserinum F³, def. Lindsay CR 10 (1986) 17 : miserrimum L BA, Marx | lignum Iunius : signum codd.

    707: là lo conducono gli occhi stessi e là trascina il suo animo la speranza. – Die Zuweisung zu einer Satire erweist sich als schwierig. Christes (1986, 87) denkt zweifelnd an die politische Thematik, Terzaghi (1934, 162) an die über die Parasiten, auch der Bezug auf Geldgier ist möglich; vgl. Petron. 141,5 Excaecabat pecuniae ingens fama oculos animosque miser­ orum. Aber die Glosse des Nonius delectatione deductum lässt vermuten, dass die in Frage stehende Person von der Leidenschaft für eine schöne Frau erfasst ist; vgl. den anonymen Pompejaner der Inschrift CIL 4, 4966 vi me oculi postquam deducxsistis in ignem; ferner Tib. 2,6,27 Spes facilem Nemesim spondet mihi. 708: „quando le chiedo la pace, quando la placo, quando mi rivolgo a lei e la chiamo ‚mia‘“ – Im Fr. wird die Liebe wie ein Ringen dargestellt. Der verliebte Mann sucht unterwürfig Frieden zu schließen; vgl. Ter. Eun. 59–61 In amore haec omnia insunt vitia: iniuriae, / suspiciones, inimicitiae, indutiae, / bellum, pax rursum. Der ersehnte Frieden ist die condi­ tio sine qua non, nicht vor der Geliebten zu kapitulieren: ibid. 52–55 ubi pati non poteris, cum nemo expetet / infecta pace ultro ad eam venies, indicans / te amare et ferre non posse, actumst, ilicet / peristi. 709: „i miei giovani servi si rivolgono a me in modo ossequioso, e io non dovrei chiamare ‚signora‘ la mia donna?“ – Mit Ausnahme von Marx, der in dem Satz eine Aussage sieht, versteht die Mehrzahl der Herausgeber den Vers als eine Frage des Liebhabers: Seine jungen Sklaven wenden sich an ihn mit allem ihm zukommenden Respekt (vgl. Catull. 8,16),

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    707 Nonius: ‚deductum‘ (herab-, weggeführt), ‚von Vergnügen geleitet‘.

    dorthin leiten die Augen selbst und ihren Sinn reißt die Hoffnung dorthin.

    708 Nonius: ‚Aditus‘ (Hingang, Zutritt), ‚Richten des Wortes an jemanden‘.

    „wenn ich (sie) um Frieden bitte, wenn ich sie besänftige, wenn ich mich an sie wende und ‚meine‘ nenne“

    709 Nonius: ‚Appellare‘ (ansprechen) bedeutet ‚freundlich antworten‘.

    „meine jungen Sklaven wenden sich ehrerbietig an mich, und ich sollte nicht ‚Herrin‘ meine Dame nennen?“

    710 Nonius: ‚Differre‘ (sich unterscheiden), ‚verschieden sein‘.

    Doch Warze oder Narbe sind passendere Bezeichnungen: Pusteln haben ein anderes Aussehen.

    711 Nonius: ‚Ardum‘ statt ‚aridum‘ (trocken)

    Er nennt den Holunder ‚ein trockenes, unglückseliges und unheilvolles Holz‘.

    warum sollte dann nicht auch er die Geliebte domina mea nennen dürfen? Die Anrede do­ mina, die in der Folge den Status der Geliebten bei den Elegikern charakterisiert, muss, so angewendet, zur Zeit des Lucilius ungewöhnlich, wenn nicht gar skandalös geklungen haben (Lieberg 1962, 180 f.). – L. Edmunds (Lucilius 730M: A Scale of Power. HSPh 94 [1992] 217–225) weist domina die Bedeutung uxor zu und glaubt, dass der Sprecher sich ironisch fragt: „When my slaves consult me, am I not to consult my wife?“ 710: „Tuttavia verruca o cicatrice sono definizioni più appropriate: le pustole hanno un altro aspetto.“ – Der Verliebte sieht nicht die körperlichen Fehler der Geliebten und nennt die Warzen und Narben euphemistisch ‚kleine Pusteln‘; vgl. Hor. sat. 1,3,38–40 amatorem …/ amicae turpia decipiunt caecum vitia aut etiam ipsa haec / delectant, veluti Balbinum poly­ pus Hagnae. – Der Sprecher, wahrscheinlich der Dichter selbst, korrigiert ohne allzu große Rücksichtnahme die Meinung des Liebenden. Die Ironisierung seiner Illusionen, ein Topos der Diatribe, der Lucr. 4,1058–1072 wiederkehrt, zeigt deutlich, wie wenig Lucilius die Sichtweise teilt, die alsbald für die elegischen Dichter charakteristisch ist (Haß 2007, 124). 711: chiama il sambuco ‚un legno secco, malaugurato e infausto‘. – Das von F³ bewahrte Adjektiv miserinum rechtfertigt sich als umgangssprachliches Deminutiv, ähnlich den italienischen Bildungen auf -ino. – Der Verliebte ist unfähig, die körperlichen Fehler der geliebten Frau bei ihrem wahren Namen zu nennen (vgl. Fr. 710), und die von ihm verwendeten Euphemismen klingen lächerlich wie die schwülstige Ausdrucksweise, in der ein Tragiker den

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    712–13 (709–10) Non. 196,18: ‚Chartam‘ generis feminini. Masculini Lucilius lib. XXVII:

    [nec] sic ubi Graeci, ubi nunc Socratici carti? ‚Quidquid quaeritis, periimus.‘

    [nec] sic Terzaghi : nec sic codd. : † nec sic Marx, coni. alii alia. | periimus edd. : perimus codd.

    714 (734) Non. 296,27: ‚Expedire‘, utile esse. … Lucilius lib. XXVII:

    ‚ego enim an perficiam, ut me amare expediat …?‘

    perficiam Madvig Adversaria crit. 2, 651: pereiciam codd. | expediat edd. : expediam codd.

    715 (735) Non. 253,24: ‚Capere‘, decipere, circumvenire. … Lucilius lib. XXVII:

    at metuis porro ne aspectu et forma capiare altera.

    at codd. : ad L1

    716 (737) Non. 420,3: ‚Verrere‘, ferire, pervertere. … Lucilius lib. XXVII:

    quam non solum devorare se omnia ac deverrere

    deverrere codd. : devorrere Lindsay

    717 (736) Non. 271,27: ‚Caedere‘, excidere. … Lucilius lib. XXVII: Non. 420, 7: ‚Verrere‘, mundare. … Lucilius lib. XXVII:

    lignum caedat, pensum faciat, aedis verrat, vapulet.

    lib. XXVII codd. : XXVIII H²271, G 420 : XXVI G BA 271 | pensum faciat om. codd. 420 | verrat codd. : varrat G 271, 420 | vapulet codd. 271 : ac vapulet codd. 420

    Holunder umschreibt (Schmitt 1914, 39). – Die Bedeutung von miserinus erklärt Plin. nat. 16,108 infelices autem existimantur damnataeque religione, quae neque seruntur unquam neque fructum ferunt. – miserinum et infelix bilden ein Hendiadyoin. 712: così, dove sono andati ora i Greci? dove la letteratura socratica? qualunque cosa cer­ chiate, siamo perduti. – Puelma Piwonka (1949, 131 f.) versteht das Fr. im Lichte von Hor. ars 310 rem tibi Socraticae poterunt ostendere chartae. Überzeugender ist aber die Interpretation, die sich auf Prop. 2,34,25–28 stützt: Lynceus ipse meus seros insanit amores! / … Quid tua Socraticis tibi nunc sapientia libris / proderit aut rerum dicere posse vias? (Marx II 286; Garbarino 1973, 493). Deshalb scheint eine Verbindung des Fr. mit den Versen plausibel, die einen Menschen beschreiben, der eine Beute der Liebesleidenschaft geworden ist (Charpin II 310 zu Fr. 22). – Aus linguistischer Sicht kennzeichnet das Maskulinum cartus die Absicht, das griechische Vorbild des Lehnworts (χάρτης) zu bewahren. 714: “Riuscirò davvero a fare in modo che le convenga amarmi?“ – Zu perficiam vgl. Cic. Phil. 2,7 Itaque hodie perficiam, ut intellegat, quantum a me beneficium tum acceperit. – Nach Fiske (1920/1971, 395) ruft die Situation die Szene des terenzischen Eunuchus in Erinnerung (Eun. 46–80, vgl. 729). Die gleiche Szene gestaltet Horaz aus (sat. 2,3,259–271).

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    712–13 Nonius: ‚Chartam‘ femininen Geschlechts. als Maskulinum …

    So, wo sind jetzt die Griechen geblieben? wo jetzt die sokratischen Schriften? Was ihr auch (vorzubringen) sucht, wir sind verloren.

    714 Nonius: ‚Expedire‘ (zustatten kommen), ‚nützlich sein‘.

    „Wird es mir wirklich gelingen, es dahin zu bringen, dass es sich für sie lohnt, mich zu lieben?“

    715 Nonius: ‚Capere‘ (nehmen, fassen), ‚täuschen‘, ‚einwickeln‘.

    Doch du fürchtest, du könntest durch den Anblick und die Schönheit einer anderen verführt werden.

    716 Nonius: ‚Verrere‘ (schleifen, am Boden schleppen), ‚schlagen‘, ‚auf den Kopf stellen‘.

    die nicht nur (fähig ist,) alles zu verschlingen und zu verputzen …

    717 Nonius 271: ‚Caedere‘ (fällen), ‚hacken‘. Nonius 420: ‚Verrere‘ (schleifen, am Boden schleppen), ‚reinigen‘.

    Holz soll sie hacken, ihr Tagespensum Wolle spinnen, das Haus fegen, heruntergeputzt werden können.

    715: ma temi di poter essere sedotto dall’aspetto e dalla bellezza di un’altra. – Aspectu et forma altera ist wahrscheinlich als Hendiadyoin zu verstehen (Schmitt 1914, 39): aspectu formae alterius. – Der Liebhaber, Sklave seiner Liebesleidenschaft, fürchtet in die Netze einer anderen Frau zu geraten. Er will jedoch nicht versuchen, sich zu befreien; vgl. Ter. Eun. 84; Hor. sat. 2,7,46. 716: che non solo è capace di divorare e di spazzare via tutto … – Das feminine Relativpronomen macht deutlich, dass es sich um eine raffgierige Frau handelt – nicht notwendig um eine meretrix, da weibliche Raffgier ein wiederkehrendes Thema bei Lucilius ist (vgl. Fr. 607–8 und 1034). 717: tagli la legna, fili la lana di ciascun giorno, spazzi la casa, possa essere strigliata. – Lucilius bedient sich eines plautinischen Zitats (Merc. 397), um die Aufgaben einer guten Sklavin zu illustrieren. Eine Sklavin schafft keine Probleme; über sie übt der dominus seine Macht aus und muss nicht mit absurden Ansprüchen rechnen. Die Welt der Komödie wird kontrastiert mit den romantischen Situationen, die sich die elegischen Dichter ausdenken.

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    LIBER XXVII

    718–19 (716–17) Non. 331,8: ‚Insigne‘, utile, necessarium. Lucilius lib. XXVII:

    cocus non curat caudam insignem esse illam, dum pinguis siet. sic amici quaerunt animum, rem parasiti ac ditias.

    caudam BA : claudam L : claudus AA : cauda Ribbeck | insignem L E G : insignam AA | quaerunt animum Lachmann : animum quaerunt codd. | ac ditias edd. : ac divitias aut codd. : aut divitias aut B

    720–21 (720–21) Non. 29,1: ‚Pedetemtim‘ et ‚pedepressim‘ dictum est caute, quasi lenta et tarda itione. … Lucilius lib. XXVII:

    ille contra omnia inter plures sensim et pedetemtim foris, nequem laedat.

    722 (725) Non. 37,9: ‚Monogrammi‘ dicti sunt homines macie pertenues ac decolores: tractum a pictura, quae prius quam coloribus corporatur umbra fingitur. Lucilius lib. II [fr. 67] et XXVII:

    quae pietas? monogrammi quinque adducti: pietatem vocant.

    723–24 (722–23) Non. 37,15: ‚Portorium‘ dicitur merces quae portitoribus datur. Lucilius lib. XXII:

    facit idem quod illi qui inscriptum e portu exportant clanculum, ne portorium dent.

    portorium codd. : portitorium L

    Lit. zu ‚Wahre und falsche Freundschaft‘: Schmitt 1914, 38; Mariotti 1960, 48; Terzaghi 1934/1970, 161–164; Christes 1986, 85–87. 718–19: Al cuoco non importa che la coda sia bella, purché l‘uccello sia grasso. Allo stesso modo gli amici cercano un’anima, mentre i parassiti badano al patrimonio e alle ricchezze. – Zweifellos dient der Vergleich dazu, Schein und Sein zu konfrontieren. – Mit Recht hält Christes (1986, 85133) die Konjektur cauda, die an pavo als Subjekt des Infinitivs denken ließe, für wenig plausibel; denn pavo ist in der Regel maskulinen Geschlechts. In jedem Falle bleibt eine allgemeine Beziehung auf den Pfau wahrscheinlich, da dieser Vogel als Symbol des rein äußerlich Schönen und darum Unnützen angesehen wurde; vgl. Hor. sat. 2,2,27 f. num vesceris ista / quam laudas pluma? 720–21: Quello, al contrario, fuori, in mezzo alla folla, fa tutto con prudenza e cautela, per non urtare nessuno. – Die Person, von der hier die Rede ist, scheint ein doppeltes Verhalten an den Tag zu legen: Allein, zwischen ihren vier Wänden, zeigt sie ihr wahres Gesicht, ist

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    Wahre und falsche Freundschaft 718–19 Nonius: ‚Insigne‘ (hervorstechend), ‚nützlich‘, ‚notwendig‘.

    Dem Koch ist es gleichgültig, dass jener Schwanz schön ist, wenn (der Vogel) nur fett ist. Auf die gleiche Weise suchen Freunde ein Herz, während Parasiten es auf das Vermögen und den Reichtum absehen.

    720–21 Nonius: ‚Pedetemtim‘ und ‚pedepressim‘ sagte man im Sinne von ‚caute‘ (vorsichtig), sozusagen ‚mit verhaltenen und lagsamen Schritten‘.

    jener dagegen, inmitten der Menge, (tut) alles bedacht und vorsichtig, um niemanden zu verletzen.

    722 Nonius: ‚Monogrammi‘ (nur aus Umrissen bestehend) wurden Menschen genannt, die aus Magerkeit ganz dünn und bleich sind: abgeleitet von einem Bild, das, bevor es durch Farben Gestalt gewinnt, in Umrissen skizziert wird.

    Was für eine Großzügigkeit? fünf ausgezehrte Gestalten sind eingeladen, und das nennen sie Großzügigkeit!

    723–24 Nonius: ‚Portorium‘ heißt die Steuer, die den Zöllnern gegeben wird.

    Er macht es wie jene, die heimlich nicht registrierte Ware aus dem Hafen schmuggeln, um keinen Zoll zu zahlen.

    sie bösartig und vielleicht aggressiv, draußen, in der Öffentlichkeit, agiert sie mit Umsicht, darauf bedacht, niemanden zu beleidigen. Das Fr. kann im Lichte der sprichwörtlichen Wendung nunc populus est domi leones, foras vulpes (Petron. 44,14) verstanden werden. Das von Lucilius beschriebene kluge Verhalten findet seine Entsprechung bei Cic. off. 1,120 Eam mutationem si tempora adiuvabunt facilius commodiusque faciemus, sin minus, sensim erit pedetemtimque facienda. 722: quale generosità? Invitano cinque uomini macilenti: e la chiamano generosità! – Die fünf monogrammi sind hier wahrscheinlich Parasiten, dazu eingeladen, das Bankett mit geistreichen Witzen und Clownerien zu bereichern, vergleichbar den umbrae, die Mäzenas zur cena des Nasidienus mitbrachte (Hor. sat. 2,8,22). Vgl. Schmitt 1914, 38. 723–24: fa come quelli che di nascosto fanno uscire dal porto la merce non registrata, per non pagare il dazio. – Inscriptum bezeichnet hier nicht deklarierte Ware, um die Zollgebühren zu umgehen, die generell in den Häfen erhoben wurden; vgl. Cic. Verr. 2,2,171 Canuleius

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    725 (718) Non. 88,8: ‚Cibicidas‘. Lucilius lib. XXVII:

    viginti domi an triginta an centum cibicidas alas.

    an centum Mueller : vel centum codd. | cibicidas Iunius : tibicidas codd.

    726 (719) Non. 370,29: ‚Parcere‘, servare. … Lucilius lib. XXVII:

    parcat illi magis, qui possit, cui fidem esse existimet.

    magis Gerlach : maius L BA : malus codd. | qui possit Marx: cui possit codd. : cui prosit Mueller | existimet Mueller : eximent codd. : existiment F. Dousa

    727 (728) Non. 366,31: ‚Petere‘, sequi. … Lucilius lib. XXVII:

    ‚regum expilatorem mittam, miserum mendicum petam?‘

    regum Schmitt : rerum codd. : recum L1 AA | expilatorem AA : exploratorem E², Marx : explicatorem L : expiratorem B

    728–30 (712–14) Non. 88,10: ‚Contenturum‘. Lucilius lib. XXVII: Non. 382,24: ‚Rumpere‘, defetigare. … Lucilius lib. XXX [fr. 1079]. idem lib. XXVII [contenturum … fecerim.]

    Tu Lucilium credis contenturum, cum me ruperint, summa omnia fecerim?

    contenturum codd. 88 : contentu cum AA 382 : contentum cum L 382: contemptum cum BA 382 | me ruperint codd. 88, L BA 382 : eruperint AA : me ruperim Iunius

    vero, qui in portu Syracusis operas dabat, furta quoque istius permulta nominatim ad socios perscripserat ea quae sine portorio Syracusis erant exportata: portum autem et scripturam eadem societas habebat. Mit ihrer Erhebung war der portitor (τελώνης) beauftragt, der sich im Allgemeinen wie der publicanus keines guten Rufes erfreute; vgl. Plaut. Asin. 241; Ter. Phorm. 150; Cic. off. 1,150. – Das durch diesen Vergleich vor Augen gestellte Benehmen scheint das einer scheinheiligen Person zu sein, die es vorzieht, sich nicht mit freimütigem Kundtun der eigenen Ansichten zu exponieren – eine Person, die gut dem in Fr. 720–21 beschriebenen Menschen entspricht. 725: che tu possa mantenere a casa tua venti o trenta o cento divoratori di cibo. – Cibicida ist ein hapax, das Lucilius nach dem Vorbild von σιτόκουρος (vgl. Athen. 6 p,247 E = 6,52 Kaib.) und anderer Komposita gebildet hat, die die griechischen Komödiendichter (Μen. 420 p. 122K; 244 p. 70 K, Alex. 177 p. 363K) verwandten, um scherzhaft Parasiten zu kennzeichnen. Es stellt sich zu Wortbildungen wie parricida und homicida, wenn es auch offenkundig nicht die gleiche sakral-juristische Konnotation hat; aber es evoziert „un tono di ridicola truculenza guerresca“ (Mariotti 1960, 48). 726: Se può, risparmi piuttosto per colui di cui ritiene di potersi fidare. – Die Deutung des Verses ist kontrovers. Die wohl am ehesten annehmbare hat Marx (II 258) vorgeschlagen:

    Buch XXVII

    277

    725 Nonius: ‚Cibicidas‘ (Speisenverschlinger).

    …, ob du daheim zwanzig oder dreißig oder hundert Vielfraße ernährst.

    726 Nonius: ‚Parcere‘ (schonen), ‚bewahren‘.

    Wenn er kann, spare er eher für den, dem er vertrauen zu können glaubt.

    727 Nonius: ‚Petere‘ (nach etw. langen), ‚folgen‘.

    „Soll ich mir diesen Plünderer reicher Herren entgehen lassen und einem armseligen Bettler folgen?“

    728–30 Nonius 88: ‚Contenturum‘ (hier wohl part. fut. von continere, zusammenhalten). Nonius 382: ‚Rumpere‘ (brechen), erschöpfen.

    Du glaubst, Lucilius werde sich ruhig verhalten, während sie mich zugrunde gerichtet haben und ich alles nur Mögliche getan habe?

    „paterfamilias servet potius rem illi filio aut amico, si liceat non omnia consumere victu, cui fidem et probitatem esse existimet, non ganeoni aut parasito infido“. Für die von Nonius gegebene Bedeutung vgl. Serv. Verg. Aen. 10,531 Parce autem est secundum antiquos serva, ut apud Lucilium et Ennium invenitur. 727: „devo lasciarmi sfuggire questo depredatore di ricchi signori e seguire un misero mendicante?“ – Der Satz kann in Abhängigkeit von einem Hauptsatz wie nemo mihi persuadet oder als rhetorische Frage verstanden werden. Wie Schmitt (1914, 38) gesehen hat, spricht wahrscheinlich der Parasit eines Wucherers, der seinerseits reiche Herren erfolgreich aus­ nimmt. – Rex ist insbesondere der reiche und mächtige Patron der Parasiten; vgl. Plaut. Asin. 919; Men. 902; Ter. Phorm. 338, Hor. epist. 1,7,37. 728–30: Tu credi che Lucilio se ne starà zitto, quando mi avranno distrutto e io avrò fatto tutto il possibile? – Contenturum hat wohl intransitive Bedeutung, wobei Lucilium und me sehr wahrscheinlich auf die gleiche Person zielen. Der Dichter verwendet den Eigennamen anstelle des Pronomens me, um seiner eigenen Stellungnahme größere Entschiedenheit zu verleihen, aber es ist ziemlich wahrscheinlich, dass er in der ersten Person spricht. Eine Korrektur von ruperint in ruperim scheint deswegen nicht notwendig zu sein. Ebenso wenig plausibel ist Marx’ Deutung (II 257), der Vers werde von einem Sklaven des Lucilius gesprochen.

    278

    LIBER XXVII

    731 (711) Non. 88,17: ‚Canicas‘ veteres furfures esse voluerunt. Lucilius lib. XXVII:

    ‚quanti vellet, quam canicas ac pultem e mangonis manu‘ ac pultem Marx : a pulte L, apud te BA | e Mueller : et codd. | mangonis ed. princ. : magonis F³ BA : maconis L : Magonis Iunius, Marx

    732–33 (688–89) Non. 37,19: ‚Inpertire‘ est participare et partem dare. Lucilius lib. XXVII [quibus potest, inpertit.] Non. 37,27: ‚Sedulum‘ significat sine dolo. Lucilius lib. XXVII [salutem … sedulo.] Non. 308, 24: ‚Fingere‘, conponere. … Lucilius lib. XXVII:

    rem populi salute et fictis versibus Lucilius, quibus potest, inpertit, totumque hoc studiose et sedulo.

    rem populi Lachmann : item populi codd. : te, Popli, Marx : | salute et codd. 308 : salutem codd. 37 | fictis codd. : factis L1 37 | inpertit codd. : imperat AA 308

    734 (739) Non. 472,13: ‚Inpertit‘.Lucilius lib. XXVII:

    sospitat, salute inpertit plurima et plenissima.

    sospitat codd. : sospita Lachmann | salute inpertit plurima Marx : inpertit salutem plurimam codd. : inperti salute plurima Lachmann

    731: „al prezzo che volesse, piuttosto che la polenta di crusca dalla mano di un mercante imbroglione.“ – Canicae ac pultem bilden ein Hendiadyoin und bezeichnen eine wenig einladende Speise, einen Brei auf der Grundlage von Kleie, die gewöhnliche Nahrung von Hunden; vgl. Paul Fest. p. 46 M. Canicae, furfures de farre a cibo canum vocatae; s. auch Phaedr. 4, 19, 4, wo die Hunde sich bei Iuppiter beklagen, weil die Menschen ihnen furfuribus…consparsum …panem zu fressen gaben. Bei Mart. 10,5,5 f. müssen sich die Bettler mit dieser Speise zufrieden geben: interque raucos ultimus rogatores / oret caninas panis inprobi buccas. – Quam lässt an ein potius im Hauptsatz denken. – quanti ist gen. pretii, nach Marx (II 256) in der Bedeutung „minumo pretio“ verwendet, insofern als nach seiner Ansicht das Subjekt ein Sklave sein dürfte, der bereit ist, sich auch zu einem Minimalpreis verkaufen zu lassen, nur um die ihm dargebotene Speise nicht essen zu müssen. – Ich schließe mich der Emendation mangonis der editio princeps an. mango – sicher ein Gräzismus, der dem lucilianischen Schreibstil nicht fremd ist – ist der zu jeder beliebigen Ausflucht, die Mängel seiner Sklaven zu vertuschen, bereite venalicius; vgl. Varro logistorici 20 (= Non. 179,7) ita … unc­ tuli, ut mangonis (H : magonis cett.) esse videantur servi; Hor. epist. 2,2,13; Sen. epist. 80,9; Plin. nat. 7,56; 9,168; 10,140; 21,170; 23,26; Mart. 1,58,1; 7,80,9; 9,5 [6],4; Quintil. inst. 2,15,25 artificium … mangonum, qui colorem fuco et verum robur inani sagina mentiantur. Lit. zu ‚Politische Satire‘: Cichorius 1908, 143; Schmitt 1914, 33; Terzaghi 1934/1970, 153–157; C. Wirszubski, Audaces: A Study in Political Phraseology, JRS 51, 1961, 12–22; Zucchelli 1977, 120–121; Christes 1986, 85–87; Olshausen 2001, 170; Haß 2007, 62.

    Buch XXVII

    279

    731 Nonius: ‚Canicas‘ (geringwertige Kleie) nannten die alten Autoren ‚furfures‘ (Hülsen; Kleie).

    zu einem Preis, den er wolle, (lieber) als Kleiebrei aus der Hand eines (betrügerischen) Händlers (entgegenzunehmen).

    Politische Satire 732–33 Nonius 37,19: ‚inpertire‘ heißt ‚teilnehmen lassen‘ und ‚einen Teil geben‘. Nonius 37,27 ‚Sedulum‘ bedeutet ‚ohne Täuschung‘. Nonius 308:

    ‚Fingere‘ (formen, bilden), ‚verfassen‘.

    Lucilius richtet an die Gemeinschaft seinen Gruß und die Verse, die er im Rahmen seiner Fähigkeit verfasst hat, und er tut dies mit Elan und Aufrich­tigkeit.

    Nonius: ‚inpertit‘ (lässt teilhaben).

    734

    wünscht Wohlergehen und grüßt aus vollem Herzen.

    732–33: Lucilio indirizza alla comunità il suo saluto e i versi che ha composto nei limiti delle sue capacità e fa tutto ciò con zelo e con sincerità. – Überliefertes item populi ist sicher verfehlt. Am plausibelsten erscheint Lachmanns Korrektur rem populi (= rem publicam, vgl. Pers. 4,1), unter Berücksichtigung der einleuchtenden Einwände, die Cichorius 143 gegen Marx’ Verbesserung te, Popli erhebt. – Inpertit: hier konstruiert mit dem Akkusativ der Person und dem Ablativ der Sache, wie es manchmal bei Plautus begegnet (ThLL VII 1, 593, 67 ff.; Christes 1986, 87140). – Marx, der Popli (= Publi) las und das Fr. an den Buchanfang setzte, war der Ansicht, Lucilius habe das ganze Buch dem Publius Scipio gewidmet. Das wird jedoch durch die Endstellung des Fr. in der Noniusreihe p. 37 ausgeschlossen. Es ist schwierig, den affirmativen Ton genau zu erfassen, aber sehr wahrscheinlich muss man ihm, da dem Fr. keine Anfangsstellung zukommt, keinen klaren programmatischen Wert beimessen. Immerhin ist die besondere Funktion bemerkenswert, die Lucilius auch hier anscheinend für seine dichterische Aktivität beansprucht: er begreift sie in erster Linie als Dienst an der Gemeinschaft (s. auch Mutschler 1985, 48), ohne übertriebene Sorge um die stilistische Gestaltung (fictis versibus … quibus potest; vgl. Haß 2007, 62). 734: Augura prosperità e saluta di tutto cuore. – Zu sospitare vgl. Paul. Fest. p. 389,8 ,Sospi­ tare‘ est bona spe adficere aut bonam spem non fallere; Non. p. 258, 2 ‚Sospitent‘, salvent. – Die Wendung salute inpertire lässt eher an Lucilius als Sprecher denken (vgl. Fr. 732–33) als an die arbeitsame und unterwürfige Sklavin, an die Terzaghi (1934/1970, 166) denkt. Es ist daher plausibel, das Fr. der Satire mit politischer Aktualität zuzuordnen (vgl. Christes 1986, 87140).

    280

    LIBER XXVII

    735–35a (690) Non. 374,21: ‚Proferre‘, palam facere. Lucilius lib. XXVII:

    proferat ergo iam vester ordo scelera quae in se admiserit.

    proferat ergo codd : proferam ego iam Lachmann, Marx | iam Norden (= iănč), v. Cichorius 148 : iam Cichorius 147 : ea vester susp. Warmington

    736 (691) Non. 320,30: ‚Honor‘, sepultura. … Lucilius lib. XXVII:

    nullo honore, dis fletu , nullo funere

    dis Buecheler RhM 43 (1888) 291, fletu Iunius : displetu codd. : dis fletu Marx : | add. Marx

    737 (694) Non. 360,10: ‚Observare‘, captare. … Lucilius lib. XXVII:

    quod si observas hominem, quid pro commodo et regno audeat

    quid Marx : qui codd. | audeat Iunius : gaudeat codd. : gaudeas L1

    738 (695) Non. 330,11: ‚Inducere‘, instituere, confirmare. Lucilius lib. XXVII:

    aut quod animum induxit semel et utile omnino putat.

    utile codd. : ut ille L BA | putat codd. : putavit DA

    735–35a: il vostro ordine sveli ora dunque pubblicamente i delitti di cui si è macchiato. – Marx’ Korrektur proferam ego ist nicht zwingend; vester ordo ist wahrscheinlich Subjekt von proferat und auch von admiserit, wenn man bedenkt, dass in se admittere im Sinne von ‚sich schuldig machen, sich besudeln‘ zu verstehen ist; vgl. Ter. Phorm. 270 Si est, patrue, culpam ut Antipho in se admiserit; Ps. Sall. ad Caes. 2,6,2 Equidem ego sic apud animum meum statuo: malum facinus in se admittere, qui incommodo rei publicae gratiam sibi con­ ciliet. Wenn der Sprecher, wie meist angenommen wird, Lucilius ist, kann der als vester gekennzeichnete ordo nur der Senat sein, da der Dichter bekanntermaßen dem ordo equester angehörte. Das Verbrechen, auf das er anspielt, könnte dann die Ermordung des Tiberius Gracchus sein (vgl. Fr. 736). 736: senza alcun onore, senza il compianto degli eredi, senza funerale. – Es ist die Rede vom Tod einer hochgestellten Persönlichkeit, der die Totenehrung verweigert wurde. Wie Marx II 251 f. vorschlug und Cichorius 145 erhärtete, gestützt auf die Zeugnisse Plut. Gracch. 20,3 f., App. civ. 1,16 und Oros. hist. 5,9,3, spielt Lucilius wahrscheinlich auf Ti. Gracchus an, dessen Leiche in den Tiber geworfen wurde, obwohl sein Bruder ihre Übergabe an ihn verlangte. Wenn dieser Bezug korrekt ist, haben wir hier einen weiteren Beweis für die Unabhängigkeit

    Buch XXVII

    281

    735–35a Nonius: ‚Proferre‘ (vorbringen), ‚öffentlich machen‘.

    Euer Stand lege jetzt endlich öffentlich die Delikte offen, mit denen er sich besudelt hat.

    Nonius: ‚Honor‘ (Ehre), ‚Begräbnis‘.

    736

    ohne Ehre, ohne Trauer der Hinterbliebenen, ohne Begräbnis

    737 Nonius: ‚Observare‘ (beobachten), ‚erfassen‘.

    Wenn du den Mann beobachtest, und was er für seinen Vorteil und die Macht zu tun wagt, …

    738 Nonius: ‚Inducere‘ (hineinführen), ‚bestimmen‘, ‚gutheißen‘

    oder was er sich einmal in den Kopf gesetzt hat und überhaupt für nützlich hält.

    des Lucilius, der es, obwohl mit Scipio in der Agrarfrage einer Meinung, nicht an sich fehlen lässt, die in diesem Fall vom Senatorenstand gezeigte Grausamkeit zu brandmarken; vgl. Zuchelli 1977, 120 f.; Olshausen 2001, 170; Haß 2007, 70. 737: Se tu osservi l’uomo, e che cosa osa fare per l’interesse e per il potere. – Die Korrekturen quid von Marx und audeat von Iunius scheinen angemessen. Man hat versucht, die in Frage stehende Person zu identifizieren – dabei dachte man auch wieder an Ti. Gracchus –, aber der Diskurs bezieht sich wahrscheinlich generell auf den Menschen. In der politischen Sprache Roms stehen die audaces in Gegensatz zu den boni und unterscheiden sich von ihnen durch die Neigung, die Gesetze im Namen der Interessen ihrer factio zu brechen; vgl. C. Wirszubski: Audaces: A Study in Political Phraseology. JRS 51 (1961) 12–22. 738: o ciò, che si è messo in testa una sola volta e ritiene del tutto utile. – Vgl. Cic. Att. 14,13,6 Etenim ille, quoniam semel induxit animum sibi licere, quod vellet, fecisset nihilo minus me invito. Das Fr. scheint inhaltlich eng mit Fr. 737 verbunden zu sein: Wer sich vor politischem Ehrgeiz verzehrt, macht vor keinem Hindernis halt, um das zu erreichen, was er begehrt und als nützlich für sich ansieht (Terzaghi 1934/1970, 157).

    282

    LIBER XXVII

    739 (731) Non. 407,31: ‚Tempestas‘, tempus. … Lucilius lib. XXVII:

    ‚iam, qua tempestate vivo, certe sine: ad me recipio.‘

    certe sine codd. : certem sine Schmitt : chresin Lachmann : Cretaeam Krenkel

    739: Ormai, nelle circostanze in cui mi trovo, lasciami fare. Prendo su di me la responsabilità. – Das Fehlen genauer Bezüge auf einen Kontext hat zu unterschiedlichen Deutungen geführt. Marx (II 261 f.) glaubt, dass ein Verschwender spricht. Andere Kommentatoren beziehen das Fr. auf einen vermuteten Dialog mit der Hetäre oder auch auf das Thema, das wir hier ‚Widrigkeiten der Liebe‘ genannt haben (Terzaghi 1934/1970, 165; Krenkel II 404 kon-

    Buch XXVII

    283

    739 Nonius: ‚Tempestas‘ (Zeit; Sturm), ‚Zeit‘.

    jetzt, in den Gegebenheiten, in denen ich mich befinde, lass mich gewähren: ich nehme die Verantwortung auf mich.

    jiziert Cretaeam). Ich möchte jedoch nicht ausschließen, dass – so Schmitt 1914, 33 – Lucilius selbst spricht, der gegenüber den Einwürfen eines Gegenübers das Recht beansprucht, in eigener Person die Themen seiner Satiren zu entscheiden. – Es scheint im Übrigen nicht notwendig, certe in certem zu ändern. Die letzten Worte des Fr., ad me recipio, finden sich am Versende auch bei Ter. Haut. 1056 und Plaut. Mil. 230 f.

    LIBER XXVIII Buch XXVIII war polymetrisch angelegt. Überliefert sind Fragmente in Septenaren, Senaren und Hexametern. Bei den sechs in Hexametern überlieferten Fragmente ergibt sich kein deutliches Bild der Satire (oder, weniger wahrscheinlich, der Satiren), wozu sie gehören (A). Die sieben Fragmente in Septenaren – mit Krenkel wird hier jedoch Fr. 741 als Senar gelesen – können auf das Thema „Ratschläge praktischer Moral“ (B) zurückgeführt werden. Die Senare sind weitaus zahlreicher. Unter ihnen kann man mit einiger Sicherheit zwei Themen ausmachen: den Bericht über ein Gastmahl von Philosophen (C), wahrscheinlich in Athen (Cichorius 152), und die Schilderung der Erstürmung des Hauses eines Kupplers mit dem Ziel, eine Frau zu rauben (D). (Krenkel stellt zu dieser Satire auch Fr. 606 [= 798 K] , aber die Handschriften weisen es einhellig Buch XXVI zu [s. Christes 1986, 91149].) Von den Fragmenten in Senaren, die Marx keinem der beiden Themen zuwies, stellt Warmington Fr. 751–52 (= 796–7 W) zu Thema D, die Fragmente 740. 742–43. 747–750 (= 764–770 M = 817–8. 826–828. 831–2 W) zu Thema C. Terzaghi und Krenkel glauben in diesen Fragmenten sowie den Versen 744, 745 und 764 – Krenkel überdies Fr. 753 – die Existenz einer dritten Satire in Senaren zu erkennen. Ersterer denkt an einen Dialog mit einem Geizhals, Letzterer an eine Diskussion zwischen einem Sklaven und seinem Herrn, ähnlich wie bei Horaz, Satire 2,7. Für Krenkels Auffassung spricht, dass der Interlokutor des Ich-Erzählers, vermutlich des Lucilius selbst, ein Sklave ist (s. zu den Fragmenten 740–751–52). Zur Anordnung der Satiren sowie der Fragmente im Rahmen der einzelnen Satiren können ein paar Noniusreihen beitragen:

    I 740 (768) Non. 496,15: Genetivus casus positus pro accusativo… Lucilius lib. XXVIII:

    cui saepe mille inposui plagarum in diem.

    in diem codd. : in die Ribbeck

    741 (750) Non. 365,39: ‚Pretium‘ dicitur quod re empta datur. … Lucilius lib. XXVIII:

    Lit. zu B. XXVIII: Cichorius 149–157; Terzaghi 1934/1970, 170–181; Christes 1986, 87–91. Lit. zu I: Cichorius 150 f. ; Fiske 1920/1971, 200; Terzaghi 1934/1970, 174; Christes 1986, 89; Haß 2007, 101 f. 740: gli ho spesso rifilato mille colpi di frusta al giorno. – Da unmissverständlich von einem Sklaven gesprochen wird, scheint das Fr. Krenkels These von der Existenz einer Satire zu stützen, worin ein Dialog zwischen einem dominus (Lucilius?) und einem Sklaven, ähnlich wie bei Hor. sat. 2,7, wiedergegeben wird (s. Haß 2007, 10163).

    Buch XXVIII 1) p. 36 f. reiht die Fragmente 747 und 748, die beide der Satire E zugewiesen werden können. 2) p. 175 f. bezeugt die Reihung der Fragmente 754–55 (C) und 789 (B), woraus folgt, dass der Satire in Septenaren mindestens eine Satire in Senaren vorausging. 3) p. 331 findet sich die Folge 742–43 (E), 753 und 756 (beide C), demzufolge Satire E der Satire C vorausging. (Ich stimme nicht mit Krenkel überein, der auch Fr. 753 der Satire E zuschlägt. Die Reihenfolge E vor C wird jedenfalls durch die Anfangsstellung des Fr. 742–43 in der fraglichen Noniusreihe bestätigt.) 4) p. 414 f. bürgt dafür, dass Fr. 751–52 dem Fr. 758–59 vorausging, und damit ein weiteres Mal, dass Satire E vor der Satire C stand. 5) Die Noniusreihe p. 496 lehrt, dass innerhalb der Satire E Fr. 740 dem Fr. 744 vorausging. Um zusammenzufassen: die Noniusreihen stellen sicher, dass eine Satire in Senaren (C) einer Satire in Septenaren (B) vorausging und dass Satire E vor Satire C stand. Wir haben also die Folge E – C – B. Wenn man unterstellt, dass der Block der Dichtungen in Senaren den Satiren in Septenaren und Hexametern vorausging, kann man die Reihenfolge E – C – D – B ansetzen. Für die Position der Satire in Hexametern haben wir kein Indiz, das uns helfen könnte. Geht man davon aus, dass die Hypothese eines geschlossenen Blocks von Satiren in Senaren Bestand hat, könnte Satire A am Anfang oder am Ende des Buches gestanden haben. Aufgrund der Entwicklung, die dazu führte, dass der Hexameter in den Satiren kanonisch wurde, ist die Überlegung wohl nicht abwegig, dass Satire A den Abschluss des Buches XXVIII bildete; anders Christes 1986, 89. 1. Diskussion zwischen einem Sklaven und seinem Herrn 740 Nonius: Genitiv anstelle des Akkusativs gesetzt.

    dem ich oft tausend Schläge am Tag verpasst habe.

    741 Nonius: ‚Pretium‘ (Preis) wird das genannt, was beim Kauf einer Sache gegeben wird.

    741: e non è costato poco a Catulo. – Cichorius 150 f. liest nec parvo Catulo und identifiziert den Käufer mit Q. Lutatius Catulus, cos. 102 v. Chr., der für einen sehr hohen Preis den literarisch gebildeten Sklaven Daphnis kaufte (Plin. nat. 7,128, Suet. gramm. 3,5); s. auch Christes 1979, 12–15. – Marx (II 268) sieht in dem Fr. den Teil eines Septenars, aber der Vers lässt sich auch als Anfang eines Senars lesen (so Cichorius a. O.) – Krenkel (I 90) vermutet, dass Lucilius einen Vergleich, man weiß nicht, wie ernst gemeint, zwischen seinem Sklaven und Daphnis anstellt.

    286

    LIBER XXVIII

    nec parvo Catulo pretio nec parvo Catulo Cichorius 150 : necparvocatullo codd. : nec parvo Catullo Marx

    742–43 (769–70) Non. 330,28: ‚Interficere‘, consumere, finire. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚piscium magnam atque altilium vim interfecisti.‘ – ‚ut nego.’

    ut Onions : ut codd.: at Mueller

    744 (760) Non. 496,15: Genetivus casus positus pro accusativo… Lucilius lib. XXVIII [v. supra fr. 740]. … idem:

    ‚si argenti indiges‘

    745 (759) Non. 250,53: ‚Cedere‘, recedere. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚vel si alio opus sit, fore, si hinc aliquo cesseris.‘

    fore si hinc codd. : fores hinc AA DA

    746 (761) Non. 384,17: ‚Redundare‘, abundare, superesse. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚primo redundant, aurum ac tensauri patent.’ primo codd. : om. DA | redundant codd., Marx : redundat DA, Lindsay | tensauri codd. : thesauri L2 G

    747 (765) Non. 36,29: ‚Pensum‘ significat exaequatum, quod sine inclinatione sunt quae penduntur. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚nil parvi ac pensi, uti litteras doceas lutum.‘

    nil edd. : nihil codd. | litteras Gerlach : littera codd.

    742– 43: „hai fatto fuori una gran quantità di pesci e di uccelli.“- „non lo nego.“ – Der Sklave hält anscheinend dem Herrn sein widersprüchliches Verhalten vor; vgl. Hor. sat. 2,7,37 f.: ‚etenim fateor me‘ dixerit ille / ‚duci ventre levem, nasum nidore supinor‘; 105 f. tergo plec­ tor enim. Qui tu impunitior illa / quae parvo sumi nequeunt, obsonia captas? – Andere Deutungen trägt Winkelsen 2012, 317 zusammen. 744: ‚se hai bisogno di denaro …‘ 745: „o se hai bisogno di qualcos’altro, lo avrai, se da qui te ne andrai in qualche altro luogo.“ – Vgl. Hor. Sat. 2, 7, 28 f. Romae rus optas; absentem rusticus urbem / tollis ad astra levis. 746: „all’inizio abbondano, oro e tesori sono a portata di mano.“ – Vgl. Cic. fam. 6,10,3: omnia Ciceronis patere Trebiano. Fr. 744, 745 und 746 scheinen zum selben Kontext zu

    Buch XXVIII

    287

    und er hat den Catulus nicht wenig gekostet. 742– 43 Nonius: ‚Interficere‘, verzehren, beenden.

    „Du hast eine große Menge Fische und Vögel vernichtet.“ – „Das leugne ich nicht.“

    Nonius: [S. o. Fr. 740]

    744

    „wenn du Geld brauchst…“ 745 Nonius: ‚cedere‘ (weichen), ‚sich entfernen‘.

    „oder wenn du etwas anderes brauchst, wirst du es haben, wenn du dich von hier anderswohin begibst.“

    746 Nonius: ‚Redundare‘ (überreichlich vorhanden sein), ‚überströmen‘, ‚im Überfluss vorhanden sein‘.

    „anfangs sind sie im Überfluss vorhanden, Gold und Schätze sind in Reichweite.“

    747 Nonius: ‚Pensum‘ (gewogen) bedeutet ‚im Gleichgewicht gehalten‘, weil die auf die Waage gelegten Gegenstände keine Neigung (der Waagschale) hervorrufen.

    „Es ist keine Kleinigkeit und nicht leicht, einem Schwein Lesen und Schreiben beibringen zu wollen.“

    gehören. Krenkel nimmt an, dass der Sklave dem Dichter Widersprüchlichkeit vorwirft: er sei geringschätzig gegenüber dem Geld in seinen Satiren, aber in seinem Tun habgierig und zu allem bereit, um Gold und Schätze anzuhäufen. 747: „non è cosa da poco né agevole, come volere insegnare a leggere a un maiale.“ – Für das mit der Wendung nil parvi ac pensi Gemeinte sollte man, wie Terzaghi (1934/1970, 1744) anmerkt, „tener ferma la interpretazione di Nonio pensum significat exaequatum, cioè ‚equilibrato‘ e quindi facile, più che ricordare le analogie sallustiane della parola pensi (cf. Marx II 271) usata piuttosto col significato di difficoltà, che qui non torna pel contrapposto con parvi.“ – Nach Krenkel (I 90) könnte es der Sklave sein, der sich mit diesen Worten an den Dichter wendet (vgl. Hor. sat. 2,7,25).

    288

    LIBER XXVIII

    748 (764) Non. 37,1: ‚Aqua intercus‘, hydropum morbus; quasi aqua inter cutem. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚⏑ – aquam te in animo habere intercutem.‘

    749–50 (766–67) Non. 74,11: ‘Armillum’. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚hinc ad me, hinc, licet. anus russum ad armillum.‘

    ad me codd.: a me F. Dousa | russum L1 : rursum codd.

    751–52 (771–72) Non. 414,7: ‚Tergora‘ dicuntur coria. …dorsa: Lucilius lib. XXVIII:

    ‚orationem facere conpendi potes: salve, dum salvo tergo et tergino licet.‘

    potes L2 H1 : postes L1 AA : potest BA | salve Lachmann : salvi codd. | salvo tergo L1 : salvo in tergo codd. | et tergino codd. : et in tergino BA

    II 753 (757) Non. 330,30: ‚Interpellare‘, dicere, docere. Lucilius lib. XXVIII:

    verum tu quid agis? interpella me, ut sciam.

    interpella me ut codd. : interpellam ut AA : interpella ut B DA

    754–55 (762–63) Non. 175,22: ‚Subsicivum‘, secundum, sequens. Lucilius lib. XXVIII:

    748: „sei affetto da idropisia nell’animo.“ – Der Vergleich mit Hor. carm. 2,2,13–16 zeigt, dass die in Frage stehende Leidenschaft die Habsucht ist. Das Verlangen des wassersüchtigen Patienten nach Wasser wird mit dem unersättlichen Durst der Habsucht verglichen: crescit indulgens sibi dirus hydrops / nec sitim pellit nisi causa morbi / fugerit venis et aquosus albo / corpore languor (s. Fiske 1920/1971, 200). Vgl. Plaut. Men. 891: Num eum veternus aut aqua intercus tenet?; Gell. 13, 8, 5 Quod homines ignavi ac desides … vitia facundissime accusarent, intercutibus ipsi vitiis madentes. 749–50: „‚via di lì, qui da me, via di lì, sì‘. La vecchia torna alla brocca del vino.“ – Für den ersten Vers verweist Marx (II 272) auf Hor. sat. 2,3,80 f.  huc propius me / dum doceo insanire omnis, vos ordine adite. Es dürfte sich also um eine Einladung handeln, seinen Lebensstil zu ändern. Aber der Interlokutor (der Dichter?) kehrt zu seinen eigenen Gewohnheiten zurück, wie die Alte zum Weinkrug. Zum Sprichwort vgl. CGL 5,6,12; 5,48,21 Armillum, vas vina­ rium, unde ‚anus ad armillum‘; s. auch Apul. met. 6,22,1; 9,29,1. 751–52: „puoi risparmiarmi questi discorsi: stammi bene, finché puoi, salvando la schiena e la frusta.“ – Wie bei Horaz (sat. 2,7,116–118) scheint der Herr die Geduld verloren zu haben und dem frechen Sklaven mit harter Vergeltung zu drohen (vgl. Christes 1986, 89). Die Sprache ist die der Komödie; vgl. Plaut. Most. 60 f. Orationis operam compendi face, / nisi

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    289

    748 Nonius: ‚Aqua intercus‘ (Wasser unter der Haut), eine Wassersuchtkrankheit, gewissermaßen Wasser unter der Haut.

    „von Wassersucht bist du im Herzen befallen.“

    Nonius: ‚Armillum‘ (Weingefäß).

    749–50

    „weg da, her zu mir, weg da, bitte! – Die Alte (kehrt) zum Weinkrug zurück.“

    751–752 Nonius: ‚Tergora‘ (Rücken) wird gesagt für ‚Haut‘. … ‚ ‚Rücken‘.

    „Du kannst mir diese Reden ersparen: sieh dich vor, solange du kannst und Rücken wie Peitsche schonst.“

    2. Ein Philosophengastmahl 753 Nonius: ‚Interpellare‘ (in die Rede fallen), ‚sagen‘, ‚belehren‘.

    Doch du, was machst du? Sag es mir, sodass ich es weiß!

    754 –55 Nonius: ‚Subsicivum‘ (beim Vermessen abfallend, übrigbleibend), ‚zweitrangig‘, ‚verbleibend‘. te mala re magna mactari cupis; Pseud. 154: Numquam edepol vostrum durius tergum erit quam terginum hoc meum. Lit. zu II: Cichorius 45– 46; Schmitt 1915, 41– 42; Terzaghi 1934/1970, 171–173; Garbarino 1973, II 487– 489; Baier 2001, 37–50. 753: Ma tu che cosa fai? Dimmelo, in modo che io sappia. – In der Noniusreihe p. 331 geht diesem Fragment Fr. 742– 43 voraus, das mit hoher Wahrscheinlichkeit der Satire 1 (Diskussion zwischen Sklave und Herr) zuzuweisen ist; seinerseits geht es Fr. 756 voraus, das mit Sicherheit dem Philosophenbankett zuzuschreiben ist. Krenkel fügt es in die Diskussion zwischen Sklave und Herr ein, aber da der Ton an ciceronische Briefformeln erinnert (s. z. B. fam. 7,10,3), liegt die Vermutung nahe, dass das Fragment einer in Briefform geschriebenen Satire zuzuweisen ist (Schmitt 1914, 42), an deren Anfang es den Adressaten des Briefes eingeführt haben kann (Charpin II 322 zu Fr. 9). Der Dichter kann den Bericht vom Philosophensymposion in die Form eines Briefes gekleidet haben (Christes 1986, 62). 754 –55: inoltre, se qualche volta vorrai nei ritagli di tempo queste pagine, … – Mit Terzaghi (1934/1970, 171 verstehe ich opera im Sinne von „tempo impiegato in un’attività“, demzufolge subsiciva opera die von den negotia abgezogene Zeit anzeigt. Opera enthält in sich die Vorstellung von tempus auch bei Plaut. Truc. 883 operae ubi mi erit, ad te venero,

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    LIBER XXVIII

    praeterea haec subsiciva si quando voles opera, opera J. Dousa : operam codd.

    756 (751) Non. 331,4: ‚Ire‘, accumbere. Lucilius lib. XXVIII:

    Chremes in medium, in summum ierat Demaenetus.

    ierat Roth : iere ad L : ire ad codd.

    757 (754) Non. 410,4: ‚Tristis‘, doctus. … Lucilius lib. XXVIII:

    adde eodem, tristis ac severus philosophus

    severus edd. : severos codd. | philosophus G : filosofus L1 : philosofus L2 : philosophos J. Dousa

    758–59 (755–56) Non. 414,17: ‚Transmittere‘, tradere, derelinquere. Lucilius lib. XXVIII:

    Polemon et amavit, morte huic transmisit suam scolen quam dicunt.

    Polemon et L BA : polemo et AA : Polemonem Iunius | morte Lachmann : mortem codd. | scolen Lachmann : scolem AA, scotlem L BA

    *760 (752) Non. 67,11: ‚Pareutactoi’, qui de pueritia veniunt ad pubertatem, a Graeco vocabulum sumptum. Lucilius lib. IX [fr. 323]. idem XXVIII: XXVIII ephebum Mueller : XX tuum efoebum codd.

    ephebum quendam quem pareutacton vocant.

    pareutacton vocant Onions : vocant praeutacton L1 : pareutaton L² : parectaton G Mil. 252 operae non est. – Lucilius lädt seinen Adressaten, einen offenbar vielbeschäftigten Mann, dazu ein, nur dann seine Schrift zu lesen, wenn er dafür freie Zeit hat. Die an den Tag gelegte Bescheidenheit des Dichters dürfte in Relation zum Rang der Person stehen, die er als Adressat wählte, wahrscheinlich – so Schmitt 1914, 42 – des Akademikers Kleitomachos, der Lucilius ein Buch über Wissen und Meinungen gewidmet hatte (Cic. ac. 2,102). 756: Cremete si era sistemato nel letto di mezzo, Demeneto nel primo. – Das Noniuslemma zeigt an, dass in dem Fr. von der Platzverteilung bei einem Gastmahl die Rede ist. Ich verstehe die beiden Epitheta medium und summum als Bezugnahmen auf die lecti des Triclinium, aber sie könnten sich auch auf die Plätze des jeweiligen lectus beziehen. – Cichorius 45 folgert aus der Anwesenheit eines Chremes und eines Demainetos, attische Namen, die sich in der Palliata finden – der erste in der Andria des Terenz, der zweite in der Asinaria des Plautus – und nicht bestimmten bekannten Persönlichkeiten zugeordnet werden können: „… ist ihre Einführung … nur verständlich, wenn der Dichter bei dem betreffenden Gastmahl selbst zugegen ist und also ein persönliches Erlebnis damit geschildert hat.“ 757: in aggiunta a ciò, un filosofo accigliato e austero. – Marx II 269 identifiziert den Philosophen, um den es hier geht, als Xenokrates, das Haupt der alten Akademie, den Diogenes Laertios (4,2,6) als σεμνός … καὶ σκυϑρωπὸς ἀεί charakterisiert. Die Parallele bei Plaut.

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    291

    außerdem, wenn du einmal in den verbleibenden Resten deiner Zeit das hier (lesen) willst, … 756 Nonius: ‚Ire‘ (gehen), ‚sich zu Tisch legen‘.

    Chremes hatte es sich auf dem mittleren, Demainetos auf dem ersten Bett bequem gemacht.

    757 Nonius: ‚Tristis‘ (traurig, finster), ‚gelehrt‘

    um dies noch hinzuzufügen, ein finster blickender und gestrenger Philosoph

    758–59 Nonius: ‚Transmittere‘ (überlassen), ‚übergeben‘, ‚überlassen‘.

    und Polemon liebte ihn, und bei seinem Tode hinterließ er ihm seine Schule, wie sie sie nennen.

    760 Nonius: ‚Pareutactoi‘ (Mitglieder einer besonderen Klasse von Epheben), die aus dem Knabenalter in die Pubertät kommen, von einem griechischen Wort genommen.

    ein Ephebe, den sie ‚pareutactos‘ nennen.

    Curc. 294, wo die griechischen Philosophen als tristes atque ebrioli beschrieben werden, veranlasst Baier (2001, 46 f.) festzustellen, dass die Charakterisierung des Xenokrates und darüber hinaus ganz allgemein des Philosophensymposions, in Übereinstimmung mit dem negativen Beigeschmack des Begriffes philosophus im Rom des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, von Ironie durchzogen sei. 758–59: e Polemone lo amò, e alla sua morte gli lasciò la sua scuola, come la chiamano. – Das Fr. erzählt von der Nachfolge des Krates auf Polemon und spielt auf die tiefe Freundschaft an, die den Lehrer mit seinem Schüler verband. Über ihre Freundschaft informiert Diog. Laert. 4,21. – Marx II 266 f. nennt als wahrscheinliche Quelle für die Fragmente 757 und 758–59 (sowie – s. dort – 788) Panaitios; er wird als Quelle des Diogenes Laertios in einem Kontext zitiert, der manche Berührungspunkte mit dem Inhalt der lucilianischen Verse aufweist (Garbarino 1973, II 4895). 760: un efebo, che chiamano ‚pareutactos‘. – pareutactos (s. auch Fr. 323): Das Adjektiv bezeichnet einen jungen attischen Rekruten, der die Aufgabe hat, „stationes, vigilias agere“ (Marx II 123 f. mit Verweis auf Pol. 3,50,7; 5,56,7). – Der Vers scheint sich unter die Fragmente einzureihen, die dem Symposion ein athenisches Kolorit verleihen. Baier 2001, 44 merkt an, dass der spürbar pädagogische Ton in der Wendung quem pareutacton vocant,

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    761 (753) Non. 478,24: ‚Volam‘ pro velim. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚eidola atque atomus vincere Epicuri volam.‘

    eidola Mercier : et dola codd. | atomus G : acomus L AA CA

    762 (758) Non. 278,33: ‚Da‘, dic. … (279,1) Lucilius lib. XXX [fr. 1024] et lib. XXVIII:

    ‚persuade et transi vel da, quam ob rem transeas.‘

    vel codd. : sed Marx

    III 763 (774) Non. 31,23: Inritare dictum est proprie provocare; tractum a canibus, qui cum provocantur inriunt. Lucilius Satyrarum lib. I: [fr. 4] … (32) Lucilius lib. XXVIII:

    Lucili, si in amore inritarit suo.

    764 (775) Non. 239,13: ‚Argutum‘, audax, malitiosum. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚agite, agite, fures, mendaci argutamini‘

    765 (773) Non. 268,32: ‚Conficere‘, frangere. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚malo hercle vestro, confectores cardinum!‘

    verwandt im Übrigen mit dem des vorausgehenden Fr. (scolen quam dicunt), die ironische Intention des Satirikers durchscheinen lässt. 761: ‚vorrei vincere gli „eidola“ e gli atomi di Epicuro‘. – Ein Opponent der epikureischen Lehre kommt zu Wort, der zum Ausdruck bringt, dass er unbedingt die Theorien des Meisters des Gartens widerlegen möchte; für vincere in dieser metaphorischen Bedeutung vgl. etwa Hor. sat. 2,4,2, s. Krenkel zu Fr. 774 (er ergänzt im Übrigen zu einem aci.: „Ich möchte, daß … widerlegen.“); Baier 2001, 47; Haß 2007, 77). Einen aci. nimmt auch Charpin an (II 325 zu Fr. 15), der jedoch eidola und atomus als Subjektsakkusative deutet, womit im Gegenteil der Wunsch eines Triumphes der epikureischen Lehre ausgedrückt sein würde. – Die beiden termini technici (atomus ist acc. pl., = griech. ἀτόμους) verweisen zweifellos auf Epikurs Lehre. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Hinweis auf die εἴδωλα die epikureische Theorie über das gleiche Problem der Sinneswahrnehmungen in Erinnerung ruft, von dem auch die Schrift handelte, die Kleitomachos dem Lucilius widmete (Cic. acc. 2,102). Cichorius (46) vermutet, dass auch die Worte des hier behandelten Fr. von Kleitomachos bei dem Symposion in Athen gesprochen wurden, an dem Lucilius persönlich teilnahm. 762: „persuadici e passa, oppure spiega il motivo per cui tu passi.“ – Bücheler (RhM 43 [1888] 293) nahm an, dass transi sich auf eine Überfahrt in Griechenland beziehe. Aber nach vorherrschender Ansicht ist das Verb im Sinne von ‚von einer Schule zu einer anderen wechseln‘ gemeint (Schmitt 1914, 41; Terzaghi 1934/1970, 172; Krenkel zu Fr. 775). Krenkel a.O. zitiert Suet. gramm. 18,3 … dimissa repente schola transiit ad Q. Sextii philosophi sectam.

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    761 Nonius: ‚Volam‘ statt ‚velim‘ (ich möchte).

    „Ich möchte Epikurs ‚eidola‘ und Atome besiegen“

    Nonius: ‚Da‘ (gib), ‚sag‘.

    762

    „Überzeuge (uns) und wechsle die Seiten oder gib Aufschluss über dein Motiv, zu wechseln.“

    3. Erstürmung eines Hauses und Entführung einer Frau 763 Nonius: ‚Inritare‘ (erregen) meinte eigentlich ‚reizen‘; abgeleitet von den Hunden, die knurren, wenn sie gereizt werden.

    des Lucilius, wenn man ihn reizt, verliebt wie er ist.

    764 Nonius: ‚Argutum‘ (scharfinnig), ;verwegen‘, ‚schlau‘.

    „Fort, fort, ihr Gauner, ihr faselt mit verlogener (Zunge).“

    765 Nonius: ‚Conficere‘ (vollenden), ‚brechen‘.

    „Beim Herkules, das soll euch schlecht bekommen, ihr Türenzertrümmerer!“

    Lit. zu III: Marx II 273; Terzaghi 1934/1970, 177–178; Krenkel I 91–92; Garbugino 1984, 111–136; Baier 2001, 37–50; Haß 2007, 164 –16. 763: di Lucilio, se lo provoca nel suo amore. – Marx II 273 legt diese Worte einem Sklaven des leno in den Mund: „mox ille iram sentiet Lucili, si in amore inritarit suo“; Terzaghi 1934/1970, 177 versteht den Passus als direkte Kundgabe des Dichters. Wenn man sich der zweiten Interpretation anschließt, dürfte der Protagonist der erzählten Episode der Satiriker selbst sein. Er präsentiert sich dann in der Rolle eines adulescens, dem die geliebte Frau, wahrscheinlich eine Hetäre, verwehrt wird; vgl. Haß 2007, 164. Er schreitet wie Thraso in der berühmten Szene des terenzischen Eunuchus (IV 7) sofort zur Tat und setzt zum Sturm­ angriff auf das Haus des Kupplers an; vgl. Krenkels Rekonstruktion (I 91 f.). 764: „Via, via, ladri, ciarlate con lingua menzognera.“ – Marx II 273 vermutet: „in proximo versu erat ablativus lingua“. – Es handelt sich vermutlich um die Beschimpfungen der Angreifer durch den Kuppler, bevor der Kampf losbricht. – Agite, agite: vgl. Plaut. Pers. 606 f. Age, age, nunc tu; in proelium / vide ut ingrediare auspicato; Ter. Ad. 877 Age age nunciam experiamur contra. 765: „Per Ercole, peggio per voi, distruttori di porte!“ – Das Fr. gibt wahrscheinlich den Aufschrei des leno wieder, wie der Angriff beginnt. – malo hercle vestro: vgl. Plaut. Asin. 471 Malo hercle iam magno tuo, ni isti nec recte dicis. – confector (wie von Nonius interpretiert): vgl. Cic. nat. deor. 2, 41 ignis confector est et consumptor omnium.

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    LIBER XXVIII

    766 (776) Non. 555,26: ‚Ballistae‘, saxa maiora et gravia quibus iaciuntur. Lucilius lib. XXVIII: a machinis dicta suppl. Marx : om. codd.

    ‚quid fit?‘ – ‚ballistas iactant centenarias.‘

    quid fit codd. : qui sit Lugd. | iactant Lachmann : iactans codd. : iactas Marx (qui interro­ gationem esse putat)

    767 (777) Non. 206,27: ‚Fulmentum‘ neutro … Feminino Lucilius lib. XXVIII:

    fulmentas aeneis † atque aeneis † subducere aeneis atque aeneis L BA : eis atque aeneis F3, aeneis ex antis dubitanter coniecerim, aedis ac valveis Krenkel

    768 (778) Non. 390,4: ‚Submittere‘, subdere, subponere. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚submittas alios, si quos possis, censeo.‘

    censeo J. Dousa : censeas codd., Marx

    769 (779) Non. 403,29: ‚Subire‘ significat ingredi. … Lucilius lib. XXVIII:

    pueri praeterea nostris qui subeant iubet.

    qui codd. : quo Mueller | iubet codd. : iubent Terzaghi

    770 (781) Non. 121,7: ‚Hornum‘, ipsius anni. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚utrum anno an horno te abstuleris a viro’.

    te Leo GGA 168,2 (1906) 854 : te codd. : tete Mueller : te Marx 766: „Che succede?‘Scagliano proiettili di cento libbre.“ – Ballista bezeichnet nicht nur die Wurfmaschine, sondern auch die von ihr geschleuderten Geschosse; vgl. Plaut Trin. 668 Ita est amor, ballista ut iacitur; nil sic celere est neque volat. – Marx liest iactas und meint, der Satz werde vom Anführer der Angreifer gesprochen. quid fit bringt nach seiner Meinung die Irritation des Herrn über die Langsamkeit und das Zögern der Sklaven zum Ausdruck. Besser folgt man jedoch Lachmann, der iactant liest und aus quid fit Verblüffung heraushört. Die Worte dürften dann vom Kuppler gesprochen worden sein. 767: scalzare le fondamenta dei bronzei – Der Text ist überaus unsicher. Terzaghi hält fest (1934/1970, 178³), „che fulmentas sia oggetto di subducere e che una volta aeneis sia sano.“ Dies vorausgesetzt, möchte ich statt atque aeneis, was sicher korrupt ist, ex antis lesen und so die sytaktisch ziemlich diffuse Konstruktion heilen: aliquid ex aliqua re sub­ ducere (vgl. Caes. civ. 2,11,4 compluribus … lapidibus ex turri subducere). Antae bezeichnen viereckige Pilaster, wie sie auch als Türpfosten verwendet werden; vgl. Paul Fest. 16 M = 15,18 L antes sunt extremi ordines vinearum, unde etiam nomen trahunt antae, quae sunt latera ostiorum. – Aeneus wird hier vielleicht im übertragenen Sinne, als parodistische Anspielung auf epische Diktion, gebraucht (Garbugino 1984, 132–135).

    Buch XXVIII

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    766 Nonius: ‚Ballistae‘ (Katapulte), ziemlich große und schwere Felsstücke, , mit denen sie geschleudert werden.

    „Was passiert da?“ – „Sie schleudern hundert Pfund schwere Geschosse.“ 767 Nonius: ‚Fulmentum‘ (Stütze), ein Neutrum. … Als Femininum hat es Lucilius in Buch XXVIII:

    die Fundamente der bronzenen untergraben

    768 Nonius: ‚Submittere‘ (herunter -, hinablassen), ‚unterlegen ‚, ‚setzen anstelle von‘

    „Ich bin der Meinung, du solltest andere kommen lassen, wenn du sie auftreiben kannst.“

    769 Nonius: ‚Subire‘ (unter etwas gehen) meint ‚hineingehen‘, ‚sich nähern‘.

    Außerdem ordnet er an, dass die Sklaven den Unsrigen zu Hilfe kommen.

    770 Nonius: ‚Hornum‘ (heurig), ‚dieses Jahres‘.

    „ob du dich von deinem Mann im vorigen oder in diesem Jahr getrennt hast.“

    768: „sono dell’opinione che tu faccia venire degli altri, se riesci a trovarli.“ – „Il senso di submittere è quello di far venire altra gente per sostituire i combattenti freschi a quelli ormai stanchi“ (Terzaghi 1934/ 1970, 1784). Lucilius, der sich hier in der Rolle des miles comicus geriert, gibt anscheinend einem seiner Sklaven Anweisungen. 769: Ordina inoltre che gli schiavi vengano in aiuto dei nostri. – Es scheint nicht notwendig, den von Nonius überlieferten Text zu verbessern, wenn man auch zugeben muss, dass die Bedeutung ingredi für subire, die der Grammatiker anbietet, nicht völlig mit dem Kontext übereinstimmt. Subire ist hier militärischer Terminus, vgl. Liv. 27,2,7. – für qui mit finalem Sinn Plaut. Poen. 1264 magis qui credatis, dicam; Ter. Andr. 334 f.; vgl. Kühner-Stegmann II 233,2 Anm. 1. 770: „se ti sei allontanata dal tuo uomo l’anno scorso o quest’anno.“ – Für anno im Sinne von ‚im vorigen Jahr‘ vgl. Plaut. Amph. 91 und Men. 205 (Marx II). – Es kann hier der Kuppler sprechen, der entschlossen ist, seine Rechte auf die Frau geltend zu machen (Terzaghi 1934/1970, 177), oder der Liebhaber, der die Frau zu überreden sucht, ihm zu folgen. – Krenkel (zu Fr. 786) und Charpin (II 327 zu Fr. 19) glauben, dass in dem Passus ein Scheidungsverfahren impliziert ist; vgl. dig. 24,2,3 Divortium non est nisi verum, quod

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    LIBER XXVIII

    771 (780) Non. 275,9: ‚Credere‘, fidei conmittere. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚vitam ac fortunas cui concrediderim meas.‘

    concrediderim codd. : crediderim DA

    772 (782) Non. 506,26: ‚Es‘ pro esto. Lucilius lib. XXVIII:

    ⏑ – ⏑ – ⏑ ‚coice te intro ac bono animo es.‘

    coice te intro Mercier : coicite intro L1 BA : conicite intro AA CA : coicito te Lachmann

    773 (783) Non. 280,11: ‚Dicere‘, denuntiare. Lucilius lib. XXVIII:

    minitari aperte capitis dicturum diem.

    minitari codd. : minutari L

    774–80 (784–90) Prob. ad Verg. ecl. 6,31: Si ergo caelum pro igni acceperimus, superest ut in eo quod ait ‚spiritus intus alit‘ [Aen. 6,726] aerem dictum praesumamus. … item Lucilius in XXVIII Satyrarum:

    ‚hoc cum feceris, cum ceteris reus una tradetur Lupo. non aderit: ἀρχαῖς hominem et stoechiis simul privabit, igni cum et aqua interdixerit. duo habet stoechia, adfuerit anima et corpore (γῆ corpus, anima est πνεῦμα): posterioribus stoechiis, si id maluerit, privabit tamen.‘

    vv. 1/2 feceris cum ceteris codd. : feceris ceteris M v. 3 stoechiis codd. : stoechiisque V v. 4 privabit edd. : privabitur P V, privabitur et M v. 6 γῆ Deubner : κη P : tum V | πνεῦμα codd. : πρευμα V animo perpetuam constituendi discessionem fit. Itaque quidquid in calore iracundiae vel fit vel dicitur, non prius ratum est, quam si perseverantia apparuit iudicium animi fuisse. 771: „A cui ho affidato la mia vita e le mie fortune.“ – Nach Meinung fast aller Interpreten spricht hier eine Frau; vgl. Plaut. Merc. 701 f. tali viro quae nupserim. Heu miserae mihi! / Em cui te et tua quae habeas commendes viro. Weniger plausibel ist Terzaghis Hypothese (1934/ 1970, 177), der in dem Sprecher den Kuppler erkennt. – In der allgemein vorgelegten Rekonstruktion (vgl. Haß 2007, 164 –166) gilt Lucilius selbst als der Mann, von dem die Frau sich abhängig gemacht hat. 772: „rifugiati dentro e sii tranquilla.“ – Zum ersten Teil des Verses vgl. Ter. Heaut. 277 continuo hic se coniecit intro, ego consequor, zum zweiten Phorm. 965 At vereor ut placari possit. – Bono animo es: Auch hier bleibt zweifelhaft, ob der Liebhaber (Lucilius?) spricht (Krenkel I 91) oder der Kuppler (Terzaghi 1934/1970, 177). 773: minaccia apertamente di intentare un’azione capitale. – Lucilius erzählt wahrscheinlich einem Interlokutor, dass der Hauseigentümer ihm gedroht habe, ihn anzuzeigen (Haß 2007, 166).

    Buch XXVIII

    297

    771 Nonius: ‚Credere‘ (glauben), ‚anvertrauen‘.

    „dem ich mein Leben und mein Vermögen anvertraut habe.“

    Nonius: ‚Es‘ (du bist) statt ‚esto‘ (sei).

    772

    „flüchte hinein und sei unbesorgt.“

    773 Nonius: ‚Dicere‘ (sagen), ‚vor Gericht anzeigen‘.

    … dass er offen androht, einen Kapitalprozess anzustrengen.

    774 –80 Probus: Wenn wir also annehmen, dass caelum für Feuer steht, können wir nur annehmen, dass die Luft gemeint ist, wenn er ‚spiritus intus alit‘ [Aen. 6,726] sagt. … Gleichermaßen Lucilius in Buch XXVIII der Satiren:

    „Wenn du das getan hast, wird der Angeklagte zusammen mit den übrigen dem Lupus übergeben werden. Angenommen, er erscheint nicht (vor dem Richterstuhl): er wird ihn der Ursprünge und Urelemente berauben, indem er ihm den Gebrauch von Wasser und Feuer untersagt. Ihm bleiben zwei Elemente; angenommen, er stellt sich mit Seele und Leib (denn der Leib ist Erde, die Seele ist Luft): er wird ihn auch dieser beiden letzten Elemente berauben, wenn er will.“

    774 –80: „Quando avrai fatto ciò, l’accusato sarà consegnato a Lupo insieme con gli altri. Supponiamo che non si presenti: lo priverà dei princípi e degli elementi primi, quando gli interdirà l’uso dell’acqua e del fuoco. Gli rimangono due elementi; supponiamo che si presenti con l’anima e il corpo (perché il corpo è la terra, l’anima è l’aria): lo priverà anche di questi due ultimi elementi, se lo vorrà.“ – Das Fr. ist mit dem vorhergehenden zu verbinden, worin der Kuppler seinen Angreifern androht, einen Kapitalprozess gegen sie anzustrengen. Der Sprecher dieser Sätze ist vielleicht der Interlokutor, dem Lucilius die Episode der Hauserstürmung erzählt hatte; vgl. dig. 48,6,11 Hi qui aedes alienas aut villa expilaverint, effregerint, expugnaverint, si quid in turba cum telis fecerint, capite puniuntur. Der Dichter macht sich über Lupus lustig, indem er ihn als einen grausamen und ungerechten Richter darstellt, der fähig ist, für den vorliegenden Fall gänzlich unverhältnismäßig hohe Strafen, Exil oder Hinrichtung, zu verhängen. Die Pointe aber lebt vor allem von der Einfügung einer Formel der lateinischen juristischen Sprache (igni et aqua interdicere) in eine Art pseudophilosophischen Kontext, der von der Lehre der vier Ursprungselemente Feuer, Wasser, Erde und Luft inspiriert ist (Baier 2001, 43); zum juristischen Aspekt der interdictio aquae et ignis s. D. Mantovani, Athenaeum 95 (2007) 561–596.

    298

    LIBER XXVIII

    781 (792) Non. 318,21: ‚Habere‘, audire. Lucilius lib. XXVIII:

    habes omnem rem. timeo ne accuser ⏑ –

    accuser edd. : accusser codd. : accuser miser Buecheler, RhM 43, 1888, 292

    782 (791) Non. 296,18: ‚Exire‘, evadere, liberari. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚ne hoc faciat atque ex hac aerumna is exeat.’

    is exeat Iunius : exeatis codd.

    IV 783–84 (745–46) Non. 378,1: ‚Religiosos‘ quoque dies infames vel infaustos lib. XI Commentariorum Grammaticorum Nigidius appellavit. … (19) Lucilius lib. XXVIII: lib. XXVIII L : lib XXVIIII G

    anno vertenti dies tetri, miseri ac religiosi

    vertenti Lachmann : vertente codd.

    785 (749) Non. 248,24: ‚Conmittere‘, coniungere, sociare. Lucilius lib. XXVIII:

    ‚quid me fiet?‘ – ‚si quidem non vis te inprobis conmittere,‘

    fiet codd. : fiet et L1 | non vis te L BA DA : novis te AA : nunc vis te Vahlen

    786 (743) Non. 492,18: ‚Senectam‘ pro senectute. … Lucilius lib. XXVIII:

    ‚prospiciendum ergo in senectam nunc adulescentia est‘.

    senectam F. Dousa : senecta codd. | nunc ab Lachmann, Marx : nunc codd. : iam nunc Mueller : nunc in Casaubon

    781: „tu sai tutto: temo di essere accusato.“ – Das Fr. muss die Erzählung von der Erstürmung des Hauses vonseiten des Lucilius abgeschlossen haben; vgl. Ter. Hec. 194 Habes omnem rem. Offenkundig ist auch der Zusammenhang mit den Drohungen des Kupplers. 782: „che non lo faccia e che lui possa salvarsi da questo guaio.“ – Das Fr. gehört wahrscheinlich in den Mund des Interlokutors. Das Subjekt von faciat dürfte der Kuppler sein, das von exeat der Angeklagte oder Lucilius selbst. – Für die von Nonius angezeigte Bedeutung von exire vgl. Cic. fam. 8,6,2 Expectes, quem ad modum exeat ex hac causa. Lit. zu IV: Cichorius 149 f., 170 f.; Schmitt 1914, 40– 41; Terzaghi 1934/1970, 168 f.; Garbarino 1972, II 492; Haß 2007, 79. 783–84: i giorni tetri, tristi e di cattivo augurio alla fine dell’anno. – vertenti: Adjektiv wie Fr. 145– 46 ferventi ferro. – Es wird auf die zweite Februarhälfte angespielt – im antiken Kalender begann das Jahr im März (Cichorius 170 f.) –, wo hinein die Parentalia fielen, Ge-

    Buch XXVIII

    299

    781 Nonius: ‚Habere‘ (haben, halten), ‚hören‘.

    Du weißt (jetzt) alles: Ich fürchte angeklagt zu werden.

    782 Nonius: ‚Exire‘ (hinausgehen), ‚entkommen‘, ‚sich befreien‘.

    „dass er das nicht tut und dass der Mann aus diesem Schlamassel herauskommt.“

    4. Ratschläge praktischer Moral 783–84 Nonius: ‚Religiosi‘ hat Nigidius in Buch XI der Commentarii Grammatici auch die verhängnisvollen und unglückseligen Tage genannt.

    die düsteren, tristen und von üblen Vorahnungen erfüllten Tage am Jahresende 785 Nonius: ‚Conmittere‘ (zusammenfügen), ‚verbinden‘, ‚vereinigen‘.

    „Was wird aus mir?“ – „Wenn du dich wirklich nicht gemeinmachen willst mit unehrenhaften Leuten, …“

    786 Nonius: ‚Senectam‘ (Alter) für ‚senectus‘.

    „Also musst du schon jetzt, wo du jung bist, auf das Alter vorausschauen.“

    dächtnisfeiern für die verstorbenen Eltern (Ov. fast. 2,557 f.). – Wahrscheinlich begann die Satire mit dieser zeitlichen Festlegung, vgl. in Buch VI Fr. 254 –55 servorum est festus dies hic / quem plane hexametro versu non dicere possis. 785: ‚che avverrà di me?‘ – ‚se tu non vuoi affidarti a delle persone disoneste, …‘ – Aus diesem Fr. ergibt sich die dialogische Struktur der Satire; vgl. Ov. ars 1,536 Quid mihi fiet? Der Adressat war wahrscheinlich ein junger Mann (s. das folgende Fr.), der Ratgeber – wenn auch wie Horaz docendus adhuc (epist. 1,17,3) – vielleicht der Dichter selbst. 786: „perciò, già sin da ora che sei giovane, devi provvedere alla vecchiaia.“ – Bolisani (1932, 278) legt diese Worte einem Geizhals in den Mund, „che si vale di una massima, per sé lodevole, per giustificare l’esagerata cura di risparmiare“. In Anbetracht des Kontextes ist es wahrscheinlicher, dass der Dichter einem jungen Mann rät, Weisheit zu erwerben; vgl. das Diktum des Bias bei Diog. Laert. 1,88 ἐφόδιον ἀπὸ νεότητος εἰς γῆρας ἀναλάμβανε σοφίαν. βεβαιότερον γὰρ τοῦτο τῶν ἄλλων κτημάτων.

    300

    LIBER XXVIII

    787 (744) Non. 248,31: ‚Conmittere‘, facere. … (249,2) Lucilius lib. XXVIII:

    commovet se nusquam neque conmittet, ut pereat sibi

    conmittet codd. : committit Quicherat

    788 (742) Non. 237,2: ‚Autumare‘ est dicere. … Lucilius lib. XXVIII:

    Socraticum quidam tyranno misse Aristippum autumant

    Socraticum Iunius : socratitum AA : socratium codd. | quidam Lachmann : quid(d)ante codd.: quiddam Lindsay | misse Guietus, Marx : misisse codd.

    789 (747) Non. 175,33: ‚Sarcinator‘.Lucilius lib. XXVIII:

    sarcinatorem esse summum, suere centonem optume.

    sarcinatorem esse summum codd. : sarcinatorem sutorem CA DA

    *790 (748) Non. 328,6: ‚Iactare‘, ambitiosius gloriari. … Lucilius lib. XXVIII: lib. XXVIII trib. Quicherat, Mueller : lib. XVIII codd.

    in re agenda ipsa ridicula, iactat se de re t.

    Virgulam post ridicula pos. Charpin, post agenda Marx, utramque pos. Krenkel. | ridicula codd. : radigla L1 | iactat (Iunius ex lemmate) se de re t Marx in comm.: id adque adsederet L1, id atque adseret B

    V 791 (794) Non. 226,25: ‚Statura‘ generis feminini. Lucilius lib. XXVIII:

    quare pro facie, pro statura Accius

    Accius edd. : Accius status codd. 787: non si muove assolutamente e non farà in modo che vada a finir male. – Die beschriebene Situation ist nicht ganz klar. Die meisten Interpreten beziehen sie auf das Verhalten eines Geizigen, der seinen Schatz eifersüchtig bewacht; vgl. Sen. dial. 3,21,2 Acervis auri argentique incubat. Aber es lassen sich auch andere Zusammenhänge vorstellen. Schmitt 1914, 41 z. B. denkt an einen Parasiten, der „es nicht auf den Verlust eines einträglichen Postens ankommen läßt.“ 788: Alcuni dicono che Aristippo Socratico inviò al tiranno … . – Aristippos von Kyrene, geb. ca. 435 v. Chr., Schüler des Sokrates, Gründer der kyrenaischen Schule (vielleicht aber tat das einer seiner gleichnamigen Enkel), hatte lt. Diogenes Laertios (2,83 f.) dem Dionysios von Syrakus drei Bücher ‚Geschichte Libyens‘ und, wahrscheinlich das hier gemeinte Werk, eine χρεία πρὸς Διονύσιον, gewidmet. – Das Epitheton Socraticus findet sich auch Cic. Tusc. 2,15 Quorum (sc. philosophorum) et auctoritate et antiquitate, Socraticus Aristippus, non dubitavit summum malum dolorem dicere. Das spricht gegen Warmingtons Konjektur (Fr. 835) Socraticum quiddam. – Das Fr. gehört zu den Berührungspunkten zwischen Luci­ lius und Diogenes Laertios, die Marx (I 266 f.) an eine gemeinsame Quelle denken ließen – für ihn Panaitios, den Diogenes 2,85 zitiert (Garbarino 1972, II 492).

    Buch XXVIII

    301

    787 Nonius: ‚Conmittere‘ (zusmmenfügen), ‚machen‘

    Er bewegt sich unter keinen Umständen und wird es nicht dahin kommen lassen, dass ihm irgendetwas böse endet.

    788 Nonius: ‚Autumare‘ (behaupten) heißt ‚sagen‘.

    Man sagt, der Sokratiker Aristipp habe dem Tyrannen … geschickt.

    Nonius: ‚Sarcinator‘ ((Flickschneider).

    789

    ein trefflicher Schneider zu sein, (zu wissen, wie man) ein Flickwerk am besten näht.

    790 Nonius: ‚Iactare‘ (schleudern), ‚sich reichlich prahlerisch rühmen‘.

    … bei einer in sich lächerlichen Handlung, gibt er gleichermaßen mit ihr an.

    5. Satire in Hexametern 791 Nonius: ‚Statura‘ (Gestalt) ist femininen Geschlechts.

    Deshalb Accius, in Anbetracht seines Aussehens und seiner Statur

    789: di essere un ottimo sarto, di saper cucire benissimo un centone. – Cichorius (150) und Terzaghi (1934/1970, 168) erkennen hier eine Parodie des stoischen Weisen, der alles in höchster Vollkommenheit zu tun weiß; vgl. Hor. sat. 1,3,124–128 Si dives, qui sapiens est, / et sutor bonus et solus formosus et est rex, / cur optas quod habes? Non nosti, quid pater inquit, / Chrysippus dicat; sapiens crepidas sibi numquam / nec soleas fecit, sutor tamen est sapiens. 790: nel fare una cosa in sé ridicola, se ne vanta ugualmente. – Der Mann, der sich bei einer in sich lächerlichen Handlung brüstet, ist vielleicht einer der Sonderlinge der kynisch-stoischen Sekte, die sich in Arroganz hervortaten und durch ihr Verhalten Gelächter erregten. Insbesondere kann es sich um Diogenes handeln, der sich bei einem Aufenthalt am Hofe des Dionysios von Syrakus damit brüstete, er könne von Gemüse leben, und Aristipp seine Höflingshaltung vorwarf; vgl. Hor. epist. 1,17,13 f.; Diog. Laert. 2,68; s. Schmitt 1914, 40; Terzaghi 1934/ 1970, 168 f. Lit. zu V: Cichorius 153–157; Faller 2002, 156. 791: perciò Accio, rispetto al suo aspetto e alla sua statura … – Obwohl klein von Statur, ließ Accius sich im Tempel der Camenen eine überlebensgroße Statue errichten (Plin. nat. 34,19).

    302

    LIBER XXVIII

    792 (795) Non. 308,33: ‚Fingere‘, parare. Lucilius lib. XXVIII:

    sed fuga fingitur timido pede percitus vadit.

    fingitur codd. : fungitur L1 AA | ac timido Acidalius : timido codd. : ut timido Mueller, Marx : et timido Krenkel | pede percitus vadit Acidalius (qui primus heroum constituit) : vadit pede percitus codd.

    793–94 (796–97) Non. 332,34: ‚Legere‘ subripere significat: unde et sacrilegium dicitur, id est de sacro furtum. … Lucilius lib. XXVIII [omnia … leget] Non. 395,31: ‚Sumere‘ est accipere, tollere. … Lucilius lib. XXVIII:

    omnia viscatis manibus leget, omnia, crede mihi: prossus auferet omnis.

    Lachmann ex lemmate | prossus Bücheler RhM 43 (1888) 29) : presse codd., def. Terzaghi 1934/1970, 1801: prae se Marx : prendet Leo GGA 1906, 855 | add. Pop­ ma, Lachmann, Bücheler | p res se Schmitt : p res se Krenkel

    795 (798) Non. 394,16: ‚Spurcum’ etiam fetidum. … Lucilius lib. XI [fr. 400–1]. (27) idem lib. XXVIII:

    – ⏑ ⏑ – quaeque aspectu sunt spurca et odore.

    aspectu codd. : aspecto DA

    796 (799) Non. 406,32: ‚Tollere‘ est elevare. … Lucilius lib. XXVIII:

    tantis e tenebris montes se in aethera tollent.

    tantis e Lachmann : tanti se codd. | tenebris Lachmann : temporis codd. : nemoris Marx | se in aethera Lachmann : et faetera codd. : ad sidera Palmer, Marx : eis aetera Vahlen, alii alia (v. Winkelsen 2012, 298)

    Vermutlich machte Lucilius sich hier über das Missverhältnis zwischen der körperlichen – und, aus der Sicht des Satirikers, geistigen – Größe des Accius und seiner Statue lustig; s. Cichorius 153 f.; Faller 2002, 156. 792: ma si prepara la fuga e se ne va scosso con piede incerto. – Marx II 271 nimmt an, dass es sich um einen Sklaven handelt, der dabei beobachtet wird, wie er sich zur Flucht anschickt; vgl. Plaut. Capt. 208 At fugam fingitis; sentio quam rem agitis. 793–94: tutto ruberà con le sue mani invischiate, tutto prenderà, tutto, credimi: insomma porterà via ogni cosa. – Lachmanns Textherstellung wird durch das Nonius-Lemma gerechtfertigt. omnia ist wahrscheinlich durch ein saut du même au même ausgefallen. Büchelers Verbesserung prossus ist der überlieferten Lesart presse wohl vorzuziehen; denn für die Gleichsetzung mit denique (Terzaghi) finden sich keine genauen Parallelen, vgl. dagegen

    Buch XXVIII

    303

    792 Nonius: ‚Fingere‘ (bilden), ‚vorbereiten‘.

    doch die Flucht wird (schon) vorbereitet und er macht sich aufgeregt unsicheren Fußes davon.

    793–94 Nonius 332: ‚Legere‘ (sammeln), bedeutet ‚entwenden‘: daher heißt es auch ‚sacrilegium‘, d. i. Diebstahl von Heiligem. Non. 395: ‚Sumere‘ ist ‚annehmen‘, ‚aufheben‘.

    Alles wird er stehlen mit seinen klebrigen Händen, alles entwenden, alles, glaub mir; kurzum, er wird jeden Gegenstand forttragen.

    795 Nonius: ‚Spurcum‘ (schweinisch) meint auch ‚stinkend‘.

    all das, was widerwärtig anzusehen und zu riechen ist. 796 Nonius: ‚Tollere‘ (aufheben) meint ‚erhöhen‘.

    Aus so tiefer Finsternis werden sich die Berge zum Himmel erheben.

    Sall. Catil. 25,5 prorsus multae facetiae multusque lepos inerat. (Winkelsen 2012, 231 findet dagegen Schmitts [1914, 47] von Krenkel [Fr. 750–51) angeblich übernommene Konjektur bestechend. Aber Schmitt schrieb nicht p, wie schon Krenkel irrtümlich behauptete, sondern p. Winkelsens Annahme, dass an der Korruptele eine Abbreviatur beteiligt gewesen sei, ließe sich auf p, aber wohl kaum auf p anwenden. – Zusatz Christes). 795: tutto ciò che è ripugnante a vedersi e a odorarsi. – Vielleicht eine Anspielung auf die sprachlichen Übertreibungen der Tragiker; vgl. Fr. 640– 41. 796: da tenebre così profonde i monti si innalzeranno verso il cielo. – Parodie eines epischen Verses? Vgl. Lucr. 3,1 e tenebris tantis tam clarum extollere lumen; 2, 325 fulgor ubi ad caelum se tollit…. – Das Lehnwort aether (schon bei Ennius, ann. 545 Sk.), findet sich auch in Fr. 2 (Aetheris et terrae genitabile quaerere tempus); s. Mariotti 1960, 75.

    304

    LIBER XXVIII

    797–98 (800–1) Non. 25,10: ‚Vatax‘ et ‚varicosus’, pedibus vitiosis. Lucilius lib. XXVIII:

    ut si progeniem antiquam, qua est Maximus Quintus, qua varicosus vatax qua varicosus vatax edd. : vacax qua varicosus codd.

    797–98: come se un’antica progenie, da cui proviene Massimo Quinto, da cui il varicoso dalle gambe ad x … – Maximus Quintus: In ihm kann man wahrscheinlich Q. Fabius Maximus Aemilianus (Scipios Bruder, cos. 145 v. Chr.) oder seinen Sohn Allobrogicus (cos. 121

    Buch XXVIII

    305

    797–98 Nonius: ‚Vatax‘ (schiefe Füße habend) und ‚varicosus‘ (voller Krampfadern), ‚mit Fehlbildungen der Füße‘

    wie wenn du ein altes Geschlecht, aus dem Quintus Maximus stammt, aus dem der krampfadrige x-beinige …

    v. Chr.) wiedererkennen. – Vatax: vermutlich eine scherzhafte Anspielung auf den Namen Vatia, worin Cichorius 154 f. den C. Servilis Vatia erkennt, Vater des P. Servilius Vatia (cos. 79 v. Chr.) und Schwiegersohn des Metellus Macedonicus.

    LIBER XXIX Bei Buch XXIX erweist es sich als schwierig, die Fragmente zu größeren Komplexen zusammenzustellen, sei es wegen ihrer großen Zahl, die mehr Satiren als in den Büchern XXVII und XXVIII vermuten lässt (vgl. Marx I, CVII–CVIII), sei es wegen der Mannigfaltigkeit erkennbarer Themen (vgl. Terzaghi 1934/1970, 181). Drei Versmaße werden in diesem Buch verwandt: der trochäische Septenar, der jambische Senar und der Hexameter. Marx, der die Satiren auf der Grundlage der unterschiedlichen Versmaße und der Zitierweise des Nonius zusammengestellt und geordnet hat, identifiziert fünf Themen. Warmington behält Marx’ Einteilung mit geringen Modifikationen bei, kehrt aber die Reihenfolge der Satiren aufgrund seiner (von uns geteilten) Sicht des Kriteriums der von Nonius angewandten Zitierweise um. Auch Krenkel identifiziert, mit ein paar Umstellungen, fünf Satiren, doch legt er eine unorthodoxe Auffassung der lex Lindsay zugrunde. Terzaghi, der sich nur auf Inhalt und Metrik stützt, identifiziert zehn Themen. Charpin, der ebenfalls darauf verzichtet, die lex Lindsay anzuwenden, unterteilt die Fragmente lediglich nach dem metrischen Kriterium in drei Gruppen und beschränkt sich darauf, Untertitel innerhalb der drei Gruppen anzubieten. Christes schließlich (1986, 91–97) unterscheidet in Anwendung der lex Lindsay und unter Berücksichtigung der Einteilungen von Marx, Warmington und Krenkel fünf Themen, und zwar in folgender Reihung: 1. Dialog mit einem Freund (Senare), 2. Betrachtungen über Tragödie und Komödie (Septenare), 3. Ratschläge für die Wahl einer Geliebten (Hexameter), 4. Belagerung eines Hauses (Senare), 5. Habgier und andere Laster (Septenare). In Wahrheit vermutet Christes im Fortgang seiner Analyse, dass nur vier Satiren vorlägen, weil sich aus seiner Sicht das Thema der Laster in die zweite, ebenfalls in Septenaren geschriebene Satire einfügen lasse. Wie man sehen wird, glaube ich in diesem Punkte anderer Ansicht sein zu müssen, weil eine Nonius-Reihe die Existenz einer zweiten Satire in Septenaren nach der vierten Satire in Senaren anzeigt. Überdies ist festzustellen, dass innerhalb von zwei dieser Satiren Themen behandelt werden, die nicht leicht ein und demselben Urheber zugewiesen werden können. In Satire 2 lassen sich in der Tat zwei verschiedene Themen unterscheiden: Betrachtungen über die Tragödie und Betrachtungen über die Komödie. Es lässt sich natürlich nicht ausschließen, dass Lucilius diese beiden Themen in einem Gedicht behandelte, aber es besteht, wie Christes (1986, 94) beobachtet, ein Unterschied in der Tonlage zwischen den beiden Fragmentgruppen: die Verse, die sich auf die Tragödie beziehen, sind deutlich von Kritik geprägt. nicht ebenso jedoch die Verse, die sich mit der Komödie befassen. In Satire 4 erkennt man drei unbestreitbar heterogene Themen: Sokrates  – Belagerung eines Hauses – Hannibalkrieg. Auch in diesem Fall kann man nicht zweifelsfrei ausschließen, dass Lucilius

    Buch XXIX die drei Themen im Rahmen einer einzigen Satire ausführte. Um die Subjektivität der Zuweisung der einzelnen Fragmente zu einer Satire mehr als zu einer anderen so weit wie möglich einzuschränken, empfiehlt es sich, eine größere Zahl thematischer Kerne in Betracht zu ziehen, im vorliegenden Fall: 1. Dialog mit einem Freunde (Senare) (799 – 821) 2A. Betrachtungen über die Tragödie (Septenare) (822 – 829) 2B. Betrachtungen über die Komödie (Septenare) (830 – 851) 3. Ratschläge zur Wahl einer Geliebten (Hexameter) (852 – 870) 4A. Sokrates (Senare) (871 – 879) 4B. Belagerung eines Hauses (Senare) (880 – 900) 4C. Hannibalkrieg (Senare) (901 – 905) 5. Habgier und andere Laster (Septenare) (906 – 916) Die soeben präsentierte Abfolge nimmt die Reihenfolge vorweg, die sich aus den Nonius-Reihen ergibt. Davon sind folgende Reihen bestimmend: p. 36: 815 (1) – 816–17 (1) – 838 (2B) – 856–857 (3) – 897 (4B). p. 289: 820–21 (1) – 847– 49 (2B)– 868–69 (3). p. 472: 839– 40 (2B) –876 (4A). p. 405: 827–28 (2A) – 872–73 – 847–75 (4A). p. 313: 834 (2B) – 866–67 (3). p. 300: 833 (2B) – 858–59 (3) – 884 –85 (4B). p. 350: 881–83 (4B) –916–17 (5). p. 171: 823 (2A) – 851 (2B). p. 288: 871 (4A) – 893–94 (4B) – 904 (4C). Die Reihenfolge der Satiren wird besonders durch die Reihen p. 36 und p. 289 beglaubigt: 1 (Senare) – 2B (Septenare) – 3 (Hexameter) – 4B (Senare). Die Existenz der von Krenkel (I 97) und Christes (1986, 94) in Zweifel gezogenen Satire 5 wird durch die Reihe p. 350 erwiesen. Dort folgen auf ein Fragment in Senaren (881–83), das zur Satire über die Belagerung eines Hauses (4B) gehört, zwei Septenare (916–17), woraus man mit Sicherheit auf die Endstellung einer Satire in Septenaren (Satire 5) schließen kann, die sich von den Septenaren der Themen 2A und 2B unterscheidet. Für die Reihenfolge der beiden in Septenaren gehaltenen Themen der Tragödie und der Komödie zeigt die Reihe p. 171 an, dass Lucilius erst von der Tragödie (2A) und dann von der Komödie (2B) sprach. Für die umfangreiche Gruppe der Senare, die sich zwischen den Hexametern (3) und den Septenaren (5) findet, leitet sich die Reihenfolge der einzelnen Themen im Rahmen dieser Gruppe von der Nonius-Reihe p. 288 ab. Wir wissen nicht, ob es sich um eine, zwei oder drei Satiren handelte, aber sie boten sich in dieser Abfolge dar: 4A (Sokrates) – 4B (Belagerung eines Hauses) – 4C (Hannibalkrieg). Die Nonius-Reihe p. 405 hat man so verstanden: auf Fr. 827–28 folge Fr. 874 –75, das wiederum dem Fr. 872–73 vorausgehe. Aber diese beiden letztgenannten Frag-

    308

    LIBER XXIX

    mente müssen in umgekehrter Reihenfolge gelesen werden, weil die Verse 872– 73 sich in ihrem Inhalt nur nach den Versen 874 –75 verstehen lassen. Um einen Bruch der lex Lindsay handelt es sich nicht. Leo erkannte (1906, 840 f. = 1960, 224 f.; s. auch Garbugino 1980, 91, Christes 1986, 92 f.), dass Nonius zuerst die Verse 874 –75 zitierte, um die prägnante Bedeutung von signare zu belegen (desi­ gnare, ostendere), und in der Folge die Verse 872–73 für die sekundäre Bedeutung discernere, separare anfügte. Ist das richtig erkannt, ergibt sich aus der Reihe, dass den vier Senaren, die von Sokrates sprachen, in Buch XXIX die Septenare über die Charakteristika der Tragödie (2A) vorausgingen. Es ist deshalb auszuschließen, dass die Ausführungen über Sokrates Teil der Satire 1 sein können, wie Krenkel glaubt, der auf der Grundlage dieser Zuweisung in dem Dialogpartner einen puer delicatus zu erkennen meinte (vgl. Christes 1986, 93). Auch aus der Nonius-Reihe p. 472 ergibt sich, dass ein Sprechen über Sokrates in Satire 1 auszuschließen ist; denn Fr. 876, das sich auf Sokrates bezieht, folgt hier auf Fr. 839– 40, das den Septenaren über die Komödie zuzuweisen ist, die Sokratesthematik (4A) wird also auch durch die Thematik 2B von Satire 1 getrennt. Das bedeutet aber nicht, dass die Senare über Sokrates notwendig mit der anderen in Senaren geschriebenen Satire über die Belagerung eines Hauses verbunden werden müssen; denn nichts hindert anzunehmen, dass zwei aufeinander folgende Satiren, 4A und 4B, in Senaren existierten. Ich schließe mich damit der These nicht

    I 799 (898) Non. 318,24: ‚habere‘, dirigere. Lucilius lib. XXIX:

    huc, alio cum iter haberet, praeteriens venit.

    huc edd. : hunc codd.

    800–1 (895–96) Non. 24,5: ‚Ignominia‘ est nominis nota. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚Apollost numen, qui te antiquis non sinet deliciis maculam atque ignominiam inponere.‘

    numen edd. : nomen codd. | deliciis edd. : delicis codd.

    Lit. zur Einführung: Marx I, CVII-CVIII; F. Leo 190, 840 f./1960, 224 f.; Terzaghi 1934/1970, 181; Krenkel I 97; Garbugino 1980, 91; Christes 1986, 91–97. Lit. zu I: Cichorius 177 f.; Schmitt 1914, 51–52; Warmington III 276–282; Terzaghi 1934/1970, 200–202; Charpin III 31–33; Krenkel II 448– 459. 799: mentre si recava altrove, essendo di passaggio, venne qui. – Vgl. Ter. Andr. 253 f. Prae­ teriens modo / mihi inquit. Der größere Teil der Interpreten setzt das Fr. an den Anfang der Satire über die Freundschaft.

    Buch XXIX

    309

    an (Christes 1986, 96 f.), in den Versen über Sokrates liege eine Einleitung in die Satire über die Belagerung vor, woraus sich die Möglichkeit ergebe, dass der Angriff auf das Haus nicht durch eine Frau, sondern einen Lustknaben motiviert war. Wenn man in der Reihe p. 313 Fr. 834 als Septenar liest und so seine von Krenkel angenommene Zugehörigkeit zur Satire 1 (Senare) ausschließt, ergibt sich daraus, dass die in Septenaren geschriebene Thematik über die Komödie (2B) der in Hexametern geschriebenen Satire (3) vorausging. Die Reihe p. 300 zeigt, dass Fr. 884 –85 nicht Teil der Satire 1 sein kann, wie es Krenkel (I 93) annahm, sondern in Satire 4B eingefügt werden muss (s. Christes 1986, 93). Die Reihe bestätigt die Abfolge 2B (Fr. 833) – 3 (Fr. 858–59) – 4B (Fr. 884 –85). Die bisher nicht besprochenen Nonius-Reihen bestätigen die Anordnung der Themen und helfen auch dabei, ein paar Fragmente innerhalb der einzelnen Satiren zu reihen. p. 74 : 843 (2B) – 886–87 (4B). p. 360: 808 (1) – 835 (2B). p. 330: 814 (1) – 912–13 (5). p. 245: 889 (4B) – 890 (4B). p. 364: 809 (1) –810 (1). p. 417: 895 (4B) – 900 (4B). p. 30: 822 (2A) – 825–26 (2A). p. 383: 852 (3) – 881–83 (4B)– 898–99 (4B).

    1. Dialog mit einem Freunde 799 Nonius: ‚Habere‘ (haben, halten), ‚ausrichten, lenken‘.

    Während er anderswohin unterwegs war, kam er auf der Durchreise hierher.

    800–1 Nonius: ‚Ignominia‘ (Schande) ist ein Makel, der am guten Ruf haftet.

    „Apollo ist ein Gott, der dich nicht deine alte Liebe besudeln und entehren lassen wird.“

    800–1: Apollo è il dio che non ti consentirà di macchiare e di disonorare il tuo antico amore.  – Die angerufene Gottheit lässt darauf schließen, dass der Sprecher ein puer delicatus ist, der sich wie ein zweiter Hyazinth benimmt. Nach Marx’ Ansicht (II 104 zu Fr. 276–77) kann sich hinter Apollos Name ein mächtiger Gönner verbergen, der nur darauf wartet, den Dichter für die Beleidigungen des puer zu bestrafen.

    310

    LIBER XXIX

    802 (899) Non. 357,13: ‚Obscenum‘ significat et male dictum. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚deum rex avertat verba obscena‘ – ⏑ –

    deum rex avertat Turnebus, Charpin : deum rixa vertat vertat (rixa vertat E H1) codd.

    803– 4 (900–1) Non. 325,35: ‚Indulgere‘, augere. Lucilius lib. XXIX:

    ⏑ – ⏑ – ⏑ tu, qui iram indulges nimis, manus abstinere melius est a muliere.

    abstinere melius est a muliere Soubiran, Charpin : abstinere a muliere melius est codd., a muliere abstinere melius est Iunius, edd.

    805 (902) Non. 110,28: ‚Favitorem‘. Lucilius lib. XXIX:

    ‚favitorem tibi me, amicum, amatorem putes,‘

    806–7 (903– 4) Non. 315,29: ‚Grave‘, necessarium. Lucilius lib. XXIX:

    ‚habeasque animo, mi admodum causam gravem fore, quae me ab ullo commodo abducat tuo.‘

    habeasque in animo Lachmann : habeasque animo codd. : habeas quoque animo Mueller | gravem E H², edd. : grave L BA : gravum AA (gratum B)

    808 (912) Non. 360,29: ‚Offerre‘, adferre. Lucilius lib. XXIX:

    ‚ut nunc hac re mihi opem atque auxilium offeras.‘

    in hac re Quicherat : hac re codd. (acre AA) 802: il re degli dèi tenga lontane le ingiurie. – Die Formel Iuppiter omen avertat wird beschworen. Aber das bedeutet nicht, wie Schmitt meint (1914, 53²), dass das Lemma des Nonius unglaubwürdig ist. – Marx (II 301) legt diesen Ausruf einer Frau in den Mund, gegen die jemand verba obscena geschleudert habe. Terzaghi (1934, 202) erblickt in ihm die Reaktion des Dichters auf aggressive Worte des jungen Interlokutors. 803– 4: tu che ti lasci trasportare troppo dalla collera, faresti bene a non alzare le mani su una donna. – Der überlieferte Text entspricht weder einem jambischen noch einem trochäischen Rhythmus, doch gegenüber der Änderung der Wortfolge durch Iunius ist die von Soubiran vorgeschlagene und von Charpin (III 26 Fr. 40 und III 185) übernommene Wortfolge vorzuziehen. – Schwerlich zutreffen dürfte Terzaghis Vermutung (1934, 200), die Vorhaltung sei an Albinus gerichtet, der über die Zurückweisung seiner Tochter durch ihren Ehemann erzürnt sei (Fr. 881–83). Im Kontext der Satire über die Freundschaft kann man das Fr. als Rat des Dichters an den Interlokutor verstehen. 805: considerami uno che vuole proteggerti, ti è amico, ti ama. – Vgl. Ter. Andr. 717–719 Summum bonum esse erae putavi hunc Pamphilum, / amicum, amatorem, virum, in quovis loco / paratum… – Marx (II 301 f.) verbindet mit Dousa diesen Vers mit dem (auch hier folgenden) Fr. 806–7 und sieht in den drei Versen eine Liebeserklärung eines amator an eine

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    311

    802 Nonius: ‚Obscenum‘ (anstößig) bedeutet auch ‚Schmähung‘.

    „Der König der Götter möge die Schmähungen fernhalten.“

    803– 4 Nonius: ‚Indulgere‘ (nachsichtig sein), ‚wachsen lassen‘.

    Du, der du dich allzu sehr von deiner Wut beherrschen lässt, würdest gut daran tun, deine Hände nicht gegen eine Frau zu erheben.

    Nonius: ‚Favitorem‘ (Begünstiger).

    805

    „Sieh in mir jemanden, der dich schützen will, dein Freund ist, dich liebt,“

    806–7 Nonius: ‚Grave‘ (schwer), ‚zwingend‘.

    „und denke immer daran, dass nur ein wirklich zwingender Grund mich davon abbringen könnte, in deinem Interesse zu handeln.“

    808 Nonius: ‚Offerre‘ (anbieten), ‚bringen‘.

    „ …, dass du mir jetzt, bei dieser Gelegenheit, Hilfe und Beistand gewährst.“

    Frau; anders erkennt Cichorius (178) in ihnen die Anrede eines älteren Freundes an einen Jüngeren. Schmitt (1914, 52) und Terzaghi (1934, 201) glauben, dass diese Worte vom Interlokutor gesprochen wurden: erstens halte der junge Mann hier dem Dichter ein ihm früher gegebenes Versprechen vor, zweitens versichere er ihm seine eigene Ergebenheit. 806–7: tieni bene a mente che soltanto una ragione veramente grave potrà distogliermi dall’agire nel tuo interesse. – Cato agr. 1, 1 Praedium quom parare cogitabis, sic in animo habeto, uti ne cupide emas. Marx (II 301 f.) legt diese Worte einem Liebhaber in den Mund, der sich an seine domina wendet, und denkt, dass hinter causam gravem Untreue steht. Krenkel (II 457) akzeptiert Cichorius’ Interpretation (178 f.), der an einen Dialog zweier Freunde denkt, und vermutet, dass man causa gravis als mors verstehen könne. 808: perché tu ora, in questa circostanza, mi porga aiuto e assistenza. – Cic. Verr. 2,2, 9 quibus opem auxiliumque ferretis. Nach Marx (II 303) geht die Aufforderung zur Hilfe von einer Frau aus, nach Schmitt (1914, 51) von einem puer delicatus. – Da in der Nonius-Reihe p. 360 auf diesen Vers Fr. 835 folgt, der offenkundig zu Thema 2B (über die Komödie) gehört, ist Terzaghis Hypothese (1934, 200) auszuschließen, der diese Worte der Tochter des Albinus in den Mund legt (vgl. Fr. 881–83) und in Thema 4B einfügt.

    312

    LIBER XXIX

    809 (913) Non. 364,1: ‚Periculum‘ est salutis discrimen. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚adde alios omnes meo periclo ex ordine.‘

    periclo edd. : periculo codd.

    810 (905) Non. 364,5: ‚Periculum‘, experimentum. … (13) Lucilius lib. XXIX:

    cuius si in periclo feceris periculum,

    si L BA : se AA | periclo edd. : periculo codd.

    811–12 (906–7) Non. 372, 24: ‚Producere‘ dicitur longius ducere. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚⏑ – ⏑ – ⏑ et, si retinere hunc voles, si longius te producturum et diutius‘

    813 (911) Non. 234,23: ‚Aptus‘ significat adeptus. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚ut, si id, quod concupisset, non aptus ,‘

    aptus foret J. Dousa : aptus codd.

    814 (914) Non. 330,20: ‚Insultare‘, iniuriosius aliquid dicere. Lucilius lib. XXIX:

    ‚insulta miserum tu quoque in me!‘ – ⏑ –

    tu Passerat edd. : te codd.

    815 (915) Non. 36,2: ‚Subplantare‘ dictum est pedem subponere. Lucilius lib. XXIX:

    subplantare aiunt Graeci – ⏑ – ⏑ –

    809: aggiungi di séguito tutti gli altri a mio rischio e pericolo. – meo periclo: vgl. Plaut. Cas. 293 Liber si sim, meo periclo vivam. – ex ordine: vgl. Cic. leg. agr. 1,4 vendit Italiae possessiones ex ordine omnes. – Diese Worte scheinen eine (offenkundig negative) Antwort auf das Verlangen nach Hilfe (Fr. 808) zu sein, von wem auch immer sie formuliert worden sein mögen. 810: se nel pericolo lo metterai alla prova, … – Vgl. Ter. Hec. 766 f. amicus qualis sim, aut quid possiem, / potius quam inimicus, periclum facias. – Das Fr., das Lachmann (zu Lucr. 3,55) zu den drei vorausgehenden Fragmenten stellte, wird von Marx (II 302) auf einen Liebhaber, von Cichorius (179) und Krenkel (I 93) auf einen Freund bezogen. 811–12: hunc: Für Marx (II 302) steht dahinter amorem, für Schmitt (1914, 53) amicum: Im zweiten Falle ist es jedoch schwierig, hunc als Objekt auch von producturum zu verstehen. –

    Buch XXIX

    313

    809 Nonius: ‚Periculum‘ (Gefahr) meint ‚Risiko für das eigene Überleben‘.

    „Füge alle anderen der Reihe nach hinzu, auf mein Risiko und meine Gefahr .“

    810 Nonius: ‚Periculum‘ (Gefahr), ‚Versuch, Beweis‘.

    „wenn du ihn in der Gefahr auf die Probe stellst,“

    811–12 ‚Producere‘ (vorwärts-, weiterführen) wird gesagt im Sinne von ‚verlängern‘.

    „und wenn du sie erhalten willst, wenn du sie immer weiter auf lange Zeit zu verlängern (wünschst),“

    813 Nonius: ‚Aptus‘ (angeheftet; passend) bedeutet ‚erlangt habend‘.

    „wie, wenn er nicht erreicht hätte, was er brennend ersehnt hatte,“

    814 Nonius: ‚Insultare‘ (herumspringen auf), etwas ziemlich Beleidigendes sagen.

    „Unglücklich wie ich bin, beleidige auch du mich!“

    815 Nonius: ‚Subplantare‘ (jemandem ein Bein unterstellen) sagte man für ‚ein Bein stellen‘.

    Die Griechen sagen „ein Bein stellen“ …

    Anapher (si … si) und Hendiadyoin (longius et diutius) zeugen von einem bemerkenswerten Streben nach stilistischen Effekten. 813: come se non avesse ottenuto ciò che aveva ardentemente desiderato, … – Schwer zu sagen, wer Subjekt dieses kondizionalen Vergleichs war. Terzaghi (1934/1970, 201) glaubt, dass es sich um den jungen Interlokutor handelt (vgl. auch Krenkel I 93). 814: infelice come sono, insultami anche tu! – Der Interlokutor scheint wegen der erhaltenen Abfuhr beleidigt zu sein (vgl. Fr. 809). Aus miserum ergibt sich, dass er männlichen Geschlechts ist (Schmitt 1914, 521). 815: i Greci dicono ‚fare lo sgambetto‘. – Subplantare ist griechischem ὑποσκελίζειν nachgebildet. – Die Einfügung des Fr. in die erste Satire von B. XXIX ergibt sich aus der No­ nius-Reihe p. 36.

    314

    LIBER XXIX

    816–17 (909–10) Non. 36,8: ‚Coniugare‘, copulare: dictum est a iugo. Lucilius lib. XXIX: coniugare Montepess. : coniungere L BA CA

    ‚ quam mihi quantum est inter humanum genus rerum, quae inter se coniugant, communicat.‘

    suppl. Charpin | quam mihi codd. : cum amicis Marx | rerum quae Marx : rerumque codd. | coniugant Soubiran, Charpin : coniungat codd. : coniungant Marx (sed v. lemma)

    818 (916) Non. 313,12: ‚Ferre‘, adferre. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚colligere auxilium, tam etsi est indigna, ut feram.‘

    colligere AA BA : colligare L | colligere auxilium Warmington: colligere, auxilium Marx

    819 (917) Non. 252,13: ‚Carpere‘, celeriter praeterire. … Lucilius lib. XXIX:

    „hiemem unamquamque carpam“ – ⏑ – ⏑ –

    hiemem codd.: hieme Marx

    820–21 (920–21) Non. 289,29: ‚Deferre‘, celatum prodere: Lucilius lib. XXIX: lib. XXVIIII L : lib XXVIII G

    quapropter certum est facere contra, ac persequi et nomen deferre hominis.

    ac edd. : hac codd.

    816–17: mediante la quale mi trasmette tutto quanto vi è nel genere umano capace di rinsaldare i loro rapporti. – Die von Charpin (III 33 Fr. 69) vorgeschlagene Ergänzung des überlieferten quam mihi durch per ist der Konjektur cum amicis (Marx) aus paläographischer Sicht überlegen. Als ebenso einleuchtend erweist sich die Korrektur coniugant, die ebenfalls Charpin für überliefertes coniungant empfahl: coniugare, copulare, wie sich aus der etymologischen Erklärung des Nonius (a iugo) ergibt. Für die Verwendung des Verbs in dieser Bedeutung vgl. Cic. off. 1,58 amicitia, quam similitudo morum coniugavit. – Die Zugehörigkeit des Fr. zu Satire 1 ergibt sich aus der Nonius-Reihe p. 36, wo es dem Fr. 838 (Satire 2B) vorausgeht. Die von Cichorius (177 f.) aufgestellte Hypothese, das Fr. sei eine Anspielung auf die Lehren des Sokrates, ist damit wohl auszuschließen. 818: raccogliere degli aiuti, sebbene lei non meriti che io la soccorra. – Gegenüber Marx’ Interpretation und daraus folgender Interpunktion (II 303 f.) ist Warmingtons Deutung (III 277 Anm. b) wohl vorzuziehen: auxilium Objekt sowohl von colligere als auch von feram. Doch möchte ich auxilium nicht als „rescue party“ auffassen, sondern in dem konkreten Sin-

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    315

    816–17 Nonius: ‚Coniugare‘ (verbinden): das ist von ‚iugum‘ (Joch) abgeleitet.

    „aufgrund dessen er alles an mich weitergibt, was beim Menschengeschlecht geeignet ist, ihre Beziehungen zu festigen.“

    818 Nonius: ‚Ferre‘ (tragen, bringen), ‚heranbringen‘.

    „Hilfe aufzutreiben, obwohl sie es nicht verdient, dass ich sie bringe.“

    819 Nonius: ‚Carpere‘ (pflücken), ‚schnell vorübergehen‘

    „Ich werde jeden Winter schnell verstreichen lassen.“

    820–21 Nonius: ‚Deferre‘ (hinabtragen), etwas Geheimes enthüllen.

    Deshalb habe ich beschlossen, gegen ihn vorzugehen und ihn zu verfolgen und anzuzeigen.

    ne wie bei Plaut. Pseud. 105 tibi inventurum esse auxilium argentarium und Epid. 117 si ad rem auxilium emortuum est. In diesem Sinne ist Terzaghis Übersetzung (1934, 200) treffend: „raccogliere quanto può per aiutarla“, wenn er auch Marx’ Interpunktion übernimmt. 819: lascerò scorrere rapidamente ciascun inverno. – Hiems steht für annus (vgl. Hor. carm. 1,11,4 Seu plures hiemes seu tribuit Iuppiter ultimam). – Das Fr. scheint auf eine existenzielle Problematik anzuspielen. Sehr zweifelhaft ist die Beziehung auf die Fabel von der Ameise und der Zikade, die Marx (II 304) zu erkennen glaubte. 820–21: perciò ho deciso di agire contro di lui, nonché di perseguirlo e di denunziarlo. – Cer­ tum est gehört zur Sprache der Komödie, vgl. Plaut. Mil. 303 certum est facere; Ter. Phorm. 551 certum est persequi. Deferre nomen gehört zur juristischen Sprache, vgl. Cic. S. Rosc. 64 nomina filiorum de parricidio delata sunt. – Terzaghi (1934/1970, 1791) und Charpin (II 329 zu Fr. 28) weisen das Fr. aufgrund des Zeugnisses der Handschrift G Buch XXVIII zu. Aber die Nonius-Reihe p. 289 sichert die Lesart von L, im Übrigen auch die Einfügung in Satire I, weil Fr. 820–21 den Fragmenten 847– 49 (2B) und 868–9 (3) vorausgeht.

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    IIA 822 (875) Non. p. 30,23: ‚Exordium‘ est initium. … (27) Lucilius lib. XXIX:

    verum tristis contorto aliquo ex Pacuviano exordio.

    verum Mercier : virum codd. : utrum Iunius

    823 (876) Non. 171,2: ‚Signatam‘ virginem vetustas voluit dicere. Lucilius lib. XXIX:

    primum Chrysi cum negat signatam reddere primum F. Dousa : primam codd. | Chrysi cum Scaliger : Crysi cum Marx : crisicum codd. | negat codd. : negaret Soubiran, Charpin | signatam natam Baehrens, Marx : signatam codd. : se signatam Soubiran, Charpin : se gnatam Mercier | reddere edd. : redere codd.

    824 (877) Non. 27,7: ‚Exterminatum‘ est praeter terminos missum. Lucilius lib. XXIX:

    ni rediret ad se atque illam exterminaret miseriam.

    ni L : ne BA | exterminaret edd. : exterminare codd. | miseriam Passerat : miseram codd.

    825–26 (870–71) Non. 31,15: ‚Sudum‘ dictum est quasi semiudum, ut est aer post pluvias serenus et liquidus. … Lucilius lib. XXIX:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ nec ventorum flamina flando suda secundent

    suda iter Marx : suda codd.

    Lit. zu IIA: Betrachtungen über die Tragödie: Leo 1906, 856 = KlSchr I 1960, 241 f.; Terzaghi 1934/1970, 186 f.; Krenkel II 460– 463; Charpin III 16–18; Manuwald 2001, 159 f. 822: ma incupito da qualche contorto esordio pacuviano … – Zutreffend ist wohl Marx’ Deutung (II 296); er bezieht tristis auf einen Zuschauer (Lucilius selbst?), der soeben den Prolog einer Tragödie des Pacuvius gehört hat. Für die Konstruktion contorto ex Pacuviano exordio, vgl. Ter. Andr. 268 laborat e dolore atque ex hoc misera sollicitast. Warmigton (III 283) und Krenkel (II 460) beziehen dagegen tristis auf eine Figur des pacuvianischen Prologs. – Das Fehlen von Klarheit verstößt gegen eine der fundamentalen Regeln der Rhetorik: ne qui contorte … dicamus (Rhet. Her. 1,15). Ähnlich verlachte Aristophanes (Ran. 1197 ff.) die Prologe des Euripides; vgl. Manuwald 2001, 159. 823: dapprima, quando egli rifiuta di restituire a Crise la figlia inviolata … – Wahrscheinlich eine Anspielung auf den ‚Chryses‘ des Pacuvius; vgl. Hyg. fab. 121,1 f. cum Chryses ad Agamemnonem deprecandum venisset, ut sibi filiam redderet, non impetravit. Ob id Apollo exercitum eius partim fame partim morbo totum consumpsit. Itaque Agamemnon Chryseida gravidam sacerdoti remisit. Die in dem Fr. angesprochenen Ereignisse wurden wahrscheinlich in dem Prolog der pacuvianischen Tragödie erzählt (Manuwald 2001, 159 f.).

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    2A Betrachtungen über die Tragödie 822 Nonius: ‚Exordium‘ (Anfang), heißt ‚Beginn‘.

    doch düster gestimmt aufgrund eines verdrehten pacuvianischen Prologs …

    823 Nonius: ‚Signatam‘ (kenntlich; wohlverwahrt, geschützt) wollten die Alten eine Jungfrau nennen.

    zuerst, wie er sich weigert, Chryses seine Tochter unversehrt zurückzugeben

    824 Nonius: ‚Exterminatum‘ (vertrieben, verbannt) meint ‚über die Grenze hinausgeschickt‘.

    wenn er nicht wieder zu sich komme und jenes Unglück verbanne.

    825–26 Nonius: ‚Sudum‘ (heiter, sonnig) wurde verwendet, wie wenn es ‚semiudum‘ (halbfeucht) wäre, so wie die Luft nach einem Regen sauber und klar ist.

    auch sollen die trockenen Brisen der Winde nicht mit ihrem Blasen deine Fahrt unterstützen

    824: se non ritornasse in sé e non bandisse quella sventura. – Auch dieses Fr. scheint wie das vorausgehende auf den ‚Chryses‘ des Pacuvius anzuspielen: Es könnte sich auf die Drohungen des Priesters beziehen, göttliche Strafe herbeizurufen, falls Agamemnon nicht bereit sei, ihm die Tochter Astynome zurückzugeben. – Zu ni rediret ad se vgl. Ter. Ad. 794 Tandem reprime iracundiam atque ad te redi. 825–26: né le brezze asciutte dei venti favoriscano, soffiando, il tuo viaggio. – Wenn man von Marx’ Emendation iter absieht, sind, wie Leo (1906, 856 = 1960, 242) beobachtet, „die Verse wie gute Anapäste so auch ein schlechter Hexameter“. Da jedoch die hier nachfolgenden Verse 827–28 aus dem ‚Thyestes‘ des Ennius genommen sind, einer Tragödie, worin Thyestes dem Atreus weissagt, dass er in einem Schiffbruch umkommen wird, stammen wahrscheinlich auch diese Verse, wie Marx verrmutet, aus demselben Drama und gehören darum zu der in Septenaren geschriebenen, der Tragödie gewidmeten Satire; s. Terzaghi 1934/1970, 186 f.; Manuwald 2001, 161 (Hinweis, dass auch „die Realisierbarkeit dessen, was die Figuren der Tragödie sagen und erwägen“, ein Kritikpunkt für Lucilius sind.) – Vgl. Ov. epist. 13,136 blandaque compositas aura secundet aquas; Prop. 3,21,14 iam liquidum nautis aura secundat iter.

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    *827–28 (872–73) Non. 405,2: ‚Spargere‘, madefacere. Lucilius lib. XXIX: lib. XXIX E AA edd. : lib. XIX L BA, versum Lucili excidisse arbitratur Muellerus cum verbis Ennius Thyeste

    latere pendens, saxa spargens tabo, sanie et sanguine atro

    sanguine L E BA : sanguineo AA

    829 (874) Non. 489,14: ‚Nefantia‘ pro ‚nefanda‘. Lucilius Satyrarum lib. III [fr. 141– 42]. idem lib. XXIX:

    – ⏑ – ⏑ dissociataque omnia ac nefantia

    dissociataque Buecheler : dissociat atque codd.

    IIB 830 (878) Non. 274,11: ‚Conducere‘ est, sicuti usu, emere. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚magno, non magna mercede, magno quod conduxeris.‘ magno codd. : mango Mueller

    831–32 (879–80) Non. 294,9: ‚Explorare‘, probare. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚certum scio esse ita ut dicis: nam mihi erant de illo explorata omnia.‘

    827–28: appeso per un fianco, spruzzando le rocce di muco, di bava e di sangue nerastro. – Cicero (Tusc. 1,106) bezeugt, dass der Vers sich im ‚Thyestes‘ des Ennius befand (362 V. = 297 J.). Bei Ennius war der Vers ein Oktonar, Lucilius hat ihn zu einem Septenar umgeformt, indem er atro in den folgenden Vers stellte. – Die zuverlässigeren Handschriften teilen das Fr. Buch XIX zu, aber die Nonius-Reihe p. 405 macht die Zuweisung zu B. XXIX überaus wahrscheinlich, zumal nur die Bücher XXVI-XXIX trochäische Septenare enthielten. –Wie sich aus Ciceros Zeugnis ergibt, beschwor das Fr. die gegen Atreus gerichteten Verwünschungen des Thyestes herauf. Lucilius führte es wahrscheinlich als Beispiel für tragischen tumor an; vgl. Hor. sat. 1,10,54 non ridet (sc. Lucilius) versus Enni gravitate minores? 829: e tutte azioni inumane ed esecrabili. – Dasselbe lucilianische Zitat erscheint in dem Fr. aus Varros ‚Menippeae‘ (509 B.), das im Folgenden von Nonius zitiert wird: ego, inquit, eam suppetias, quicum mihi nec res nec ratio est, dissociataque omnia ac nefantia. Das Partizip dissociatus entspricht griechischem ἀκοινώνητα. Die tragische Diktion lässt an Tragödienparodie denken, vielleicht immer noch des ennianischen ‚Thyestes‘. Lit. zu IIB: Betrachtungen über die Tragödie: Cichorius 171–173; Schmitt 1914, 57 f.; Baehrens 1919, 75–86; Terzaghi 1934/1970, 185–186. 191; Puelma Piwonka1949, 272 f.; Soubiran 1988; Haß 2007, 116–118.

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    319

    827–28 Nonius: ‚Spargere‘ (sprengen), ‚befeuchten‘.

    aufgehängt an einem Abhang, die Felsen bespritzend mit Schleim, Schaum und schwarzblauem Blut 829 Nonius: ‚Nefantia‘ für ‚nefanda‘ (unaussprechliche, ruchlose Dinge)

    und alle unmenschlichen und ruchlosen Handlungen 2B Betrachtungen über die Komödie 830 Nonius: ‚Conducere‘ (zusammenziehen, anwerben) bedeutet, wie üblich, ‚erwerben‘.

    „was dich viel, viel ohne großen Gewinn gekostet hat.“

    831–32 Nonius: ‚Explorare‘ (erkunden), ‚prüfen‘.

    „Ich weiß sicher, dass es so ist, wie du sagst, denn ich wusste alles über ihn.“

    830: ciò che ti è costato caro, caro senza tuo grande profitto. – Charpin (III 182) sieht plausibel im zweiten magno eine (wahrscheinlich emphatische) Wiederholung und in non magna mercede eine Art Einschub zwischen den beiden ablativi pretii. Es liegt also eine Gegenüberstellung vor, von magno als Zahlung eines Preises (im prägnanten oder übertragenen Sinne) und von non magna mercede, einer Anspielung auf die nicht brillanten Resultate der Transaktion. Problematisch bleibt, ob die Aussage des ganzen Fr. eine materielle oder moralisch-intellektuelle Frage betrifft. Krenkel denkt an eine typische Komödiensituation: Ein junger Mann hat für eine Hetäre ein Zimmer zu einem überhöhten Preis gemietet. 831–32: so per certo che è come tu dici, perché sapevo tutto su di lui. – Es handelt sich wahrscheinlich um eine Komödienszene. Der Sprecher scheint der typische senex zu sein, dem ein Denunziant die Intrige hinterbringt, die sein Sklave zu seinem Schaden eingefädelt hat. Der dominus erwidert, er durchschaue den servus callidus nur zu gut. Das bedeutet aber nicht, dass er am Ende siegt, denn oft hat die Warnung des senex zum Ziel, den Sklaven am Ende noch glänzender triumphieren zu lassen (Cichorius 172). Charpin (III 180 zu Fr. 24) macht jedoch darauf aufmerksam, dass diese Interpretation auf der Annahme basiert, illo beziehe sich auf eine Person. Dagegen spricht, dass explorare, wo es in der von Nonius ausgewiesenen Bedeutung gebraucht wird, sich beide Male auf ein unbelebtes Objekt bezieht (Caes. Gall. 2,4,4; Cic. fam. 2,16,6).

    320

    LIBER XXIX

    833 (815) Non. 300,12: ‚Exui‘, liberari. Lucilius lib. XXIX:

    unde domum vix redeat vixque hoc exuat se – ⏑ – 834 (816) Non. 313,15: ‚Filum‘, oris liniamentum. Lucilius lib. XXIX:

    – ⏑ – ⏑ ‚surge, mulier, duc te, filum non malum.‘

    surge codd. : surge Warmington | mulier codd. : multer L1 | duc te Mueller : ducte AA DA : ducite L BA Marx (surge, mulier, ducite – ⏑ – ⏑ filum non malum) | filum BA DA : filium AA

    835 (817) Non. 360,33: ‚Obducere‘, aperire. Lucilius lib. XXIX:

    ‚Vos interea lumen auferte atque aulaea obducite!‘

    auferte AA DA edd. : autferte L1: afferte G

    836–37 (818–19) Non. 196,11: ‚Consortium‘ neutri generis. ‚Consortionem‘ feminini. Lucilius lib. XXIX:

    deierat se non scripsisse et post non scripturum. Redi in consortionem!

    deierat CA DA : deierat enim F³ BA L1 : deiera Cichorius | se non scripsisse Baehrens : scripsisse G : scribisse L2 : scribse L1 : te non scripsisse Cichorius : se scripsisse Lachmann

    838 (881) Non. 36,14: ‚Emungi‘ ex manifesta significatione manat. Lucilius lib. XXIX:

    833: da cui a stento torna a casa e a stento riesce a liberarsi da questo (male). – Man muss nicht mit Marx (II 285) hoc als Äquivalent von huc verstehen; für die Konstruktion vgl. Cic. Verr. 2,5,151 Si [… ] ex his te laqueis exueris. – Es ist unwahrscheinlich, dass hier an die Unterwelt gedacht ist, wie Krenkel (II 469 zu Fr. 863) vermutet. Eher ist an einen laqueus wie die Liebesleidenschaft zu denken; vgl. Terzaghi 1934/1970, 185; Charpin III 178 zu Fr. 19. 834: alzati, donna, vieni qua; niente male come figura! – Marx vemutet eine Lücke zwischen ducite und filum, aber man hält sich besser an Muellers Verbesserung duc te – eine in der Komödiensprache gut belegte Wendung; vgl. Plaut. Amph. 1042 ad regem recta me ducam; Aul. 708; Ter. Hec. 522 se duxit foras. – Filum bezeichnet die Figur, hauptsächlich die Gesichtszüge einer Person; vgl. Plaut. Merc. 755 satis scitum filum mulieris. – Charpin (III 179 zu Fr. 21) nimmt an, dass ein Lupanarbesucher diese Anerkennung ausspricht. 835: voi nel frattempo portate via il lume e tirate le tende. – Nonius irrt vermutlich. Anstelle von aperire „forse bisognerà leggere operire“ (Terzaghi 1934/1970, 1861); vgl. Plin. epist. 7,21,2 cubicula obductis velis opaca nec tamen obscura facio. Das Fr. könnte eine Szene beschreiben, die sich in einem Bordell abspielt; vgl. Mart. 1,34,5 f. At meretrix abigit testem ueloque seraque / raraque Submemmi fornice rima patet.

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    321

    833 Nonius: ‚Exui‘ (ausgezogen -, von etwas losgemacht werden), ‚sich befreien‘.

    von wo er nur mit Mühe heimkehren und sich nur mit Mühe aus diesem (Unheil) befreien kann.

    834 Nonius: ‚Filum‘ (Faden; Form) ‚ ‚Profil‘.

    „erhebe dich, Frau, komm her, gar nicht schlecht, wie du aussiehst!“

    835 Nonius: ‚Obducere‘ (entgegen-, vorziehen), ‚öffnen‘.

    „Tragt ihr inzwischen das Licht weg und zieht die Vorhänge zu!“

    836–37 Nonius: ‚Consortium‘ (Gemeinschaft), von Geschlecht Neutrum. ‚Consortionem‘ Femininum.

    Er schwört keine Wechsel unterschrieben zu haben und keine in Zukunft unterschreiben zu wollen. Kehr in die Gemeinschaft mit uns zurück!

    838 Nonius: ‚Emungi‘ (ausgeschneuzt werden; erleichtert, geprellt werden), sein Gebrauch ergibt sich aus der Offensichtlichkeit seines Wortsinns. 836–37: giura di non aver firmato cambiali e di non volerne firmare in futuro. Torna in società con noi! – Cichorius’ Verbesserung (168 f.), enim zu non, von Baehrens (Hermes 54 [1919] 80), der die dritte Person deierat wieder in den Text nahm, ansprechend überarbeitet, stellt einen akzeptablen Sinn für das Fr. her. Andererseits hat Charpin (III 183 zu Fr. 31) recht, wenn er betont, dass consortio zum Wortschatz eines allzu spezifisch ökonomischen Sprachgebrauchs gehört, als dass sich das Wort in einen Zusammenhang mit amicitia oder sodalitas einfügen ließe. Analoge Überlegungen können für den absoluten Gebrauch von scribere gelten, das in der Sprache der Komödie im Sinne von ‚Wechsel unterschreiben‘ gebraucht wird (vgl. Plaut. As. 440). Daher ist wohl auszuschließen, dass Lucilius sich hier an eine Person wendet – einen Prozessbeteiligten (Marx II 286), Hymnis (Cichorius und Krenkel [Fr. 857–58]) –, die er in einer Satire schwer beleidigt hat. 838: essi ripongono in me ogni speranza di potermi abbindolare con qualsiasi trucco. – Nonius zitiert das Fr. für den bildlichen Gebrauch von emungere im Sinne von ‚ausquetschen, (Geld) abknöpfen‘; wie er in der Sprache der Komödiendichter bezeugt ist (Plaut. Most. 1109; Ter. Phorm. 682). Auch das griechische Lehnwort bolus, prägnant ‚Wurf des Netzes‘, somit in übertragenem Sinne ‚Falle, Coup‘, ist komödientypisch (Plaut. Pers. 658, Ter. He-

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    LIBER XXIX

    ‚in me illis spem esse omnem, quovis posse me emungi bolo.‘ in me illis Iunius : in mellis codd. codd.

    | posse me emungi bolo Carrio : possem emungi volo

    839– 40 (882–83) Fest. 230,18 L: ‚Pedibus obsitum‘, id est pediculis. Titinius pedicosum appellat hoc modo … et Lucilius: ‚Ubi me vidit, caput scabit, pedes legit‘. Paul. Fest. 231,15 L:‘Pedes‘ dicuntur, quos deminutive pediculos dicimus. Ab his pedicosi apellantur, ut est illud ‚Pedicosus, squalidus ubi me vidit, caput scabit, pedes legit‘.

    Non. 472,3: ‚Palpatur‘.Lucilius lib. XXIX:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ ‚hic, ubi me videt, subblanditur, palpatur, caput scabit, pedes legit.‘

    hic codd. Non. : om. codd. Fest., Paul. Fest. | ubi me videt Schmitt 1914, 59 : ubi me vidit codd. Fest., Paul. Fest. : me ubi videt codd. Non. | subblanditur palpatur Schmitt 1914, 59 : subblanditur palpatur codd. Non. : om. codd. Fest, Paul. Fest. : subblanditur fur palpatur Marx | pedes legit codd. Fest, Paul. Fest : om. codd. Non.

    841– 42 (884 –85) Non. 283,28: ‚Ducere‘, volvere, pertractare. … Lucilius lib. XXIX:

    – ⏑ ‚age nunc summam sumptus duc atque aeris simul adde alieni.‘

    duc Leo 1906, 856 = 1960, 242 : duc codd. | aeris Iunius : aeri codd. | simul adde alieni codd. : alieni simul / adde Marx, qui versum ab age incipit

    aut. 673); vgl. Mariotti 1960, 65. Der Bezug auf die Komödie ist daher mehr als wahrscheinlich, und es ist plausibel, daran zu denken, das diese Worte ein senex spricht, traditionell das Opfer der Ränke von Parasiten und Sklaven (Cichorius 171; Schmitt 1914, 58). 839– 40: questi, appena mi vede, mi liscia, mi accarezza, mi gratta la testa, mi toglie i pidocchi. – Für Marx (II 298) kratzt sich die in dem Fr. geschilderte Person den eigenen Kopf und entfernt die eigenen Läuse, ein Verhalten, mit dem er sein schlechtes Gewissen erkennen lässt. Terzaghi (1934/1970, 191) beobachtet aber mit Recht: „contro questa interpretazione sta il senso di subblanditur e, se è proprio da legger così, come sembra sicuro, di subpalpa­ tur, parole plautinissime, le quali denotano sempre un’azione, che vien fatta non su se stessi, ma su altri“. Tatsächlich wird scabere oft mit reflexiver Bedeutung gebraucht (vgl. Hor. sat, 1,10,71), aber das Verb findet sich auch mit transitiver Bedeutung verwendet (vgl. Sen. epist. 75,7 quid aures meas scabis?). Auch der Ausdruck pedes legit (sc. meas) erscheint als ein Symptom, mehr als für mala conscientia, für eine freche captatio benevolentiae. Unter

    Buch XXIX

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    „Sie setzen auf mich alle Hoffnung, mich mit einem beliebigen Schwindel betrügen zu können.“ 839– 40 Festus: ‚Pedibus obsitum‘ (mit Läusen übersät), d. h. ‚voll von Läusen‘. Titinius spricht von einem Verlausten folgendermaßen …, und Lucilius: ‚Ubi me vidit … legit.‘ Paulus, epitome Festi: Man nennt ‚pedes‘ (Läuse) jene, die wir mit dem Diminutivum ‚pediculi‘ benennen. Von diesem Terminus wird die Bezeichnung ‚pedicosi‘ (Verlauste) gebildet, wie in dem Satz ‚Pedicosus, squalidus ubi me vidit, caput scabit, pedes legit‘. Nonius: ‚Palpatur‘ (er betastet).

    „Dieser, kaum dass er mich sieht, umschmeichelt mich, streichelt mich, kratzt mir den Kopf, klaubt mir die Läuse.“

    841– 42 Nonius: ‚Ducere‘ (ziehen, führen), ‚abwägen, prüfen‘.

    „Auf denn! Berechne die Gesamtsumme der Kosten und füge zugleich die der Verbindlichkeiten hinzu.“

    anderem trifft auch Marx’ Hinweis auf Apul. met. 10,10 nicht ganz zu: Ingens exinde verbe­ ronem corripit trepidatio et in vicem humani coloris succedit pallor. … Tum pedes incertis alternationibus commovere, modo hanc, modo illam partem capitis scalpere …, ut eum nemo prorsus a culpa vacuum merito crederet. S. Th. Birt: Laus und Entlausung. Ein Beitrag zu Lucilius und Martial, Rh.Mus. 71 (1916) 270–277, hier: 272–273). Die in Frage stehende Person könnte gut die sein, von der in Fr. 831–32 (s. w. o.) gesprochen wird. 841– 42: su, dunque, calcola il totale della spesa e nello stesso tempo aggiungi quello dei debiti. – Marx (II 298 f.) denkt an einen Dialog zwischen einem dominus und seinem dispen­ sator. Cichorius (173) erkennt eine Komödiensituation: Der senex fordert vom Sklaven eine Offenlegung der Ausgaben sowie der Verbindlichkeiten, die sein Sohn angehäuft hat. Natürlich kann es sich um ein Betrugsmanöver des Sklaven handeln, um ihm das Geld für den Freikauf des Mädchens abzuluchsen, in das der adulescens verliebt ist.

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    LIBER XXIX

    843 (886) Non. 74,4: ‚Aera‘, numeri nota. Lucilius lib. XXIX:

    ‚hoc est ratio? perversa aera, summa est subducta inprobe.‘ summa est Casaubon : summa et codd. : summae Lindsay : summae et Warmington

    844 (887) Non. 399,11: ‚Subducere‘, subputare. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚eodem uno hic modo rationes subducet suas.‘ hic L AA DA : hi BA | rationes Iunius errationes codd. | omnes subducet Mueller : subduceret codd. : subducent Iunius

    *845 (888–89) Non. 275,4: ‚Credere‘ est fidem habere dictis vel factis. Lucilius lib. XXIX: libro XXVIIII trib. Marx : lib XXVII L AA : lib. XXVI BA

    – ⏑ – Hymnis, velim te id quod verum est credere.

    hymnis L BA : hynnis AA, om. DA | te mi id Onions, Charpin (qui unum versum constituit) : te id codd. : tete Mueller | Hymnis, velim / te id q. v. e. c. Marx

    846 (890) Non. 369,37: ‚Putare‘, aestimare. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚perge, amabo, ac, si pote, face dignam me ut vobis putem.‘

    amabo L E B : ambo AA | pote Lachmann : potes L AA : potest E B

    843: questo è il conto? le cifre sono truccate, la somma è stata calcolata scorrettamente. – Aera als fem. sing., wie Nonius versteht, ist spätlateinischer Sprachgebrauch. Aber hier ist es wahrscheinlich neutr. plur.; vgl. Cic. Hort. 30 Grilli (bei Non. 193,11) Quid? Tu, inquam, soles, cum rationem a dispensatore accipis, si aera singula probasti, summam, quae ex his confecta sit, non probare? Die Kommentatoren sehen in der Mehrzahl eine Verbindung mit dem vorausgehenden Fr. 841– 42: Es dürfte sich dann immer noch um den senex in Auseinandersetzung mit dem servus callidus handeln. 844: costui farà tutti i suoi conti in questa sola e unica maniera. – Der Sinn legt die Verbesserung rationes nahe, die Iunius vorschlug, die Metrik die Einfügung von omnes und die Konjektur subducet (Mueller). Jemand (vielleicht ein Sklave) empfiehlt dem dominus, den dispensator oder den servus callidus im Auge zu behalten, weil er anderenfalls fortfahre, seine Abrechnungen zu fälschen (Terzaghi 1934/1970, 192 f.). Alle Kommentatoren unterstreichen den engen Zusammenhang des Fr. mit Fr. 841– 42. 845: Innide, io vorrei che tu mi credessi in quella che è la verità. – Die von Onions vorgeschlagene Einfügung von mi ist aus metrischen Gründen geboten (vgl. Soubiran 1988, 93; Charpin III 175 zu Fr. 11). Das Fr., das die Hss. B. XXVII oder XXVIII zuteilen, weist Marx B. XXIX zu, sei es wegen seiner Position im nonianischen Kontext – zwischen einem Zitat

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    843 Nonius: ‚Aera‘ (‚die einzelnen Posten einer berechneten Summe‘ [Georges s. v.]), Zeichen, das eine Zahl ausdrückt.

    „Das soll eine Rechnung sein? Die Zahlen sind gezinkt, ihre Summe ist falsch berechnet.“

    844 Nonius: ‚Subducere‘ (von unten nach oben zusammenrechnen), ‚zusammenzählen‘.

    „Der hier wird alle seine Abrechnungen auf diese eine und einzige Weise machen.“

    845 Nonius:‘Credere‘ (glauben) ist Worten oder Taten Vertrauen schenken.

    Hymnis, ich möchte, dass du mir in dem, was die reine Wahrheit ist, glaubst. 846 Nonius: ‚Putare‘ (halten für), ‚schätzen‘.

    „Fahre fort, bitte, und wenn möglich, lass mich als euer würdig mich betrachten.“

    aus B. XXX und einem aus B. XXVIII –, und auch, weil Hymnis in diesem Buch in Fr. 850 erwähnt wird. Außer in B. XXIX begegnet der Name Hymnis bei Lucilius drei weitere Male 1214 –15. 1216. 935). – „Hymnis is a stock name for a tart“ (M. Coffey: Roman Satire. London 1976, 56125 [p. 225]). Da der Name auch in einer auf Menander zurückgehenden Komödie des Caecilius begegnet, ist es fraglich, ob Lucilius von einer persönlich erlebten Situation spricht oder den Stoff einer Komödie paraphrasiert (Puelma Piwonka 1949, 272 f.; Haß 2007, 116–118). 846: continua, ti prego, e, se possibile, fa’ che io mi consideri degna di voi. – Eine Frau (dignam) bittet ihr Gegenüber etwas zu tun, dass sie sich als würdig des Kreises der beim Dialog anwesenden Personen (vobis) betrachten kann. Schmitt (1914, 57 f.) nimmt die Aussage ernst und bezieht das Fr. auf die Satire über die Laster. Für die Mehrzahl der Kommentatoren spricht den Vers jedoch eine meretrix (wahrscheinlich die in den Fragmenten 845 und 850 erwähnte Hymnis), und zwar als ironische Beteuerung. Im Übrigen bleibt unklar, in welcher Hinsicht die Frau als ihrer Gesprächspartner würdig angesehen sein möchte. – Typisch für die Komödie ist der Imperativ face; vgl. Plaut. Epid. 39. – Pote für überliefertes potes „metri causa“; vgl. Soubiran 1988, 99.

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    LIBER XXIX

    847– 49 (891–93) Non. 289,32: ‚Destinare‘, emere. Lucilius lib. XXIX: Lib. XXIX codd. : lib. XXVIII BA

    ‚facio : ad lenonem venio, tribus in libertatem milibus destino.‘

    facio ilico Marx : facio codd. : facio cito Mueller | destino Acidalius, Marx : destiner codd., destinor Warmington

    *850 (894) Non. 330,9: ‚Inducere‘, persuadere. Lucilius lib. XXIX: libro XXVIIII trib. Mueller, libro XXVIII codd.,

    Hymnis, ego animum si induco, quod tu ab insano auferas,

    hymnis BA edd. : ighymnis L AA | si Marx : sic codd. | quod tu (quod E1 B : quod tua G) ab codd. : quo tua ab Mueller | auferas codd. : aut inferas L

    851 (810) Non. 172,5: ‚Satias‘ pro satietas. … (13) Lucilius lib. XXIX:

    quid mihi proderit quam satias iam omnium rerum tenet?

    satias iam edd. : satis iam F³, satiasti iam L1 | tenet edd. : tenet facta codd.

    III *852 (853) Non. 383,13: ‚Rogare‘, instituere. … Lucilius lib. XXIX: libro XXIX trib. Marx : XXVII codd., XXVIII Mueller

    consilium patriae legumque oriundus rogator

    oriundus codd. : oriundis AA | rogator E AA (orator B) : progator L BA (propagator L2)

    847– 49: lo faccio subito, vengo dal lenone, rimetto in libertà per tremila. – Der Freikauf eines Mädchens, das sich im Besitz eines Kupplers befindet, ist bekanntermaßen eine typische Komödiensituation; vgl. Plaut. Rud. 44 f. ad lenonem devenit, / minus triginta sibi puellam destinat. Bei tribus milibus ist drachmarum mitzuverstehen, ein Betrag, der einem halben Talent entspricht und in etwa der übliche Preis für den Kauf einer puella ist (Marx II 300; Cichorius 172). Terzaghi (1934/1970, 186) sieht einen Zusammenhang mit dem hier folgenden Fr. 850 und merkt an, dass der Dichter selbst spricht und das für einen hohen Preis befreite Mädchen Hymnis ist. Baehrens (1919, 79) weist darauf hin, dass die Situation an die der Hym­ nis des Caecilius erinnert, wo der senex eine puella kauft, um sie seinem Sohn zu entziehen. 850: Innide, se io mi persuado ciò che tu potresti ottenere da un pazzo, … – Das Fr., das die Hss. Buch XXVIII zuteilen, hat Mueller B. XXIX zugewiesen, und zwar aufgrund der plausiblen Hypothese, das keinen Sinn ergebende i des in der Hs. L überlieferten ighym­ nis gehe auf die vorausgehende Buchzahl zurück. – Marx (II 300) interpretierte: „Colloquitur cum meretrice adulescens: ego si recogito, quod tu cottidie a me insano auferas, piget sane ab lenone te abduxisse.“ Aber animum inducere bedeutet, wie Nonius deutlich macht, im eigentlichen Sinn ‚sich überzeugen/überreden, entscheiden‘, nicht ‚recogitare‘. Deshalb ziehe

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    847– 49 Nonius: ‚Destinare‘ (festsetzen, beschließen), ‚kaufen‘.

    „Das tue ich auf der Stelle, ich komme zum Kuppler, ich kaufe dich frei für dreitausend.“

    850 Nonius: ‚Inducere‘ (etwas darüberziehen; verleiten), ‚überreden‘.

    Hymnis, wenn ich mich dazu überrede, (dir zu geben), was du von einem Liebestollen erhalten würdest, 851 Nonius: ‚Satias‘ anstelle von ‚satietas‘ (Sättigung, Überdruss).

    Wozu wird mir (eine Frau) nützen, die schon mit allem gesättigt ist?

    3. Ratschläge für die Wahl einer Geliebten 852 Nonius: ‚Rogare‘ (bitten, fragen), ‚vorbringen‘.

    Lenker des Vaterlandes und der geborene Initiator von Gesetzesanträgen

    ich es mit Terzaghi (1934/1970, 186) vor, einen Infinitiv („a darti“) mitzuverstehen, der den Rest des Satzes (quod tu etc.) regiert. – Kaum zu entscheiden ist im Übrigen, ob hier Lucilius oder eine Person der kleinen vom Dichter in Szene gesetzten Komödie spricht. 851: a che cosa mi servirà una donna che è già sazia di tutto? – Marx (II 284) folgend legen fast alle Kommentatoren diese Worte einer Frau in den Mund, und viele identifizieren sie mit Hymnis (vgl. Auhagen 2001, 18). Aber es ist wahrscheinlich (so Charpin III 174 zu Fr. 9), dass der Sprecher Lucilius oder eine von ihm in Szene gesetzte Person ist, die eine Frau (eine Dirne?) abweist, die schon aller Dinge überdrüssig ist; vgl. Ter. Hec. 594 f. satias iam tenet / studiorum istorum. Lit. zu III: Ratschläge für die Wahl einer Geliebten: Cichorius 158–163; Schmitt 1914, 62–64; Fiske 1920, 262–265; Terzaghi 1934/1970, 205–208; Charpin III 198–200; Haß 2007, 125. 852: guida della patria e per nascita autore di proposte di legge, … – Die Hss. teilen das Fr. B. XXVII zu, aber die Zuweisung zu B. XXIX ist plausibel, weil B. XXVII keine Hexameter enthält und die wenigen Hexameter von B. XXVIII, die kaum zu dem Widmungscharakter dieses Fr. passen, Muellers Zuweisung wenig wahrscheinlich machen. – Marx (Index III, p. 110), Warmington und Krenkel fassen consilium als gen. pl. auf, wahrscheinlich fasst jedoch

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    LIBER XXIX

    853–54 (851–52) Non. 238,5: ‚Adtendere‘ est intendere. …Lucilius lib. XXIX:

    praeterea ut nostris animos adtendere dictis atque adhibere velis,

    nostris Bentinus : nostros codd. | adtendere dictis E1 : adtendere de re dictis ceteri codd.

    855 (856) Non. 271;18: ‚Convenire‘, interpellare. … Lucilius lib. XXIX: Non. 340,28: ‚Locare‘, parare. Lucilius lib. XXVIII:

    haec tum conventus tela insidiasque locavit.

    tum codd. 340 : tu codd. 271 | insidiasque edd. : insidiaeque codd. 340 : insidiisque (insidisque L1 AA) codd. 271 | locavit Krenkel : locavi codd. 271, 340

    856–57 (854 –55) Non. 36,21: ‚Collare‘ est vinculi genus, quo collum adstringitur. Lucilius lib. XXIX: lib. XXIX codd. : XXVIII F3

    ‚cum manicis catulo collarique ut fugitivum deportem‘

    collarique edd. : collareque codd. : collareique Lindsay

    858–59 (857–58) Non. 300,21: ‚Eiectum‘ dictum exclusum. … Lucilius lib. XXIX:

    ibi erat scabiosum eicere istum abs te quam primum et perdere amorem.

    ibi L AA DA : ubi G | scabiosum Schmitt 1914, 64 (scabiosus dub. Marx) : scopios L BA, scopiose AA , speciosa Onions, κοπιῶσα Mueller | eicere AA: eiecere L E G DA Cichorius (158²) das Wort richtig als Nominativ auf, in der Bedeutung dem Terminus con­ siliator entsprechend; vgl. Ov. trist. 4,2,321 f. ille ferox …. / hortator pugnae consiliumque fuit. – Schmitt (1914, 63) empfindet bei diesen Worten eine ironische Tönung. 853–54: inoltre, perché tu voglia prestare e accordare la tua attenzione alle nostre parole, … – Vgl. Cic. leg. agr. 2,38 Attendite animos ad ea quae consequuntur. – Schmitt (1914, 62 f.) hält es für möglich, dass der gleichsam episch-feierliche Appell, wie er sich durch den Plural animos – er bietet sich allerdings auch aus metrischen Gründen an – und den ‚pluralis maiestatis‘ nostris … dictis zeigt, „im Dienste einer satirischen Wirkung“ stehen könnte. Dazu passt auch das Hendiadyoin adtendere … atque adhibere. 855: essa allora ha preparato armi e insidie per l’appuntamento. – Obwohl das Lemma des Nonius spezifiert: convenire, interpellare, ist Fiskes (1920, 262) und Krenkels (II 475) Deutung plausibel, die conventus als ‚Verabredung‘ verstehen; vgl. Paul Fest. p. 36,21 Conventus quattuor modis intellegitur. Uno, cum quemlibet hominem ab aliquo conventum dicimus; später im Sinne von ‚Beischlaf‘: Arnob. 2,70,93 Ex conventu Iovis inseminati et nati sunt (sc. Liber, Venus, Diana, etc.). Plausibel ist auch, weil syntaktisch naheliegend, Krenkels Konjektur locavit für überliefertes locavi. Die Frau, von der hier die Rede ist, hat ihre ‚Waffen‘ angesichts einer Verabredung mit dem jungen Interlokutor des Lucilius ‚geschärft‘. – Anders

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    853–54 Nonius: ‚Adtendere‘ (hinstrecken, aufmerken) bedeutet ‚richten auf‘.

    außerdem, damit du deine Aufmerksamkeit meinen Ausführungen schenken und gewähren magst,

    855 Nonius 271: ‚Convenire‘ (zusammenkommen), ‚stören‘. Nonius 340: ‚Locare‘ (legen, stellen), ‚bereiten‘.

    Sie bereitete darauf ihre Waffen und Fallen für das Rendezvous vor.

    856–57 Nonius: ‚Collare‘ (Halseisen) ist eine Art Kette, mit der der Hals eingeschnürt wird.

    „dass ich dich wie einen flüchtigen Sklaven mit Handschellen, Fessel und Halseisen mit mir schleife … 858–59 Nonius: ‚Eiectum‘ (hinausgeworfen) gesagt für ‚ausgeschlossen‘.

    Dort war es möglich, dir schnellstens diese juckende Leidenschaft auszutreiben und zu unterdrücken.

    versteht Charpin (III 196 f. zu Fr. 74) mit Rücksicht auf das Lemma: ‚après cette rencontre‘ und verbindet haec mit tela. Zur Stützung seiner Auffassung verweist er auf Plaut. Cist. 704 volunt te conventam (vgl. auch Liv. 7,5,3 opus esse sibi domino eius convento ait). 856–57: che io ti trascini come uno schiavo fuggitivo con le manette, la catena e il collare … – Zu catulus vgl. Paul. Fest. 39,21 catulus, genus quoddam uinculi, qui interdum canis appellatur; zu collare vgl. Plaut. Capt. 357 Hoc quidem haud molestumst, iam quod collus collari caret. – Marx teilt diese Worte einer meretrix zu, Cichorius (159) und Schmitt (1914, 63²) sehen in dem Subjekt von deportem den Dichter, der entschlossen ist, seinen Dialogpartner den Klauen einer Frau zu entreißen; s. auch Christes 1986, 96. 858–59: là era possibile strapparti e sopprimere al più presto questo amore pruriginoso. – Erat = ἐξῆν (Terzaghi 1934/1970, 2051). – Anstelle des überlieferten scopios, das keinen Sinn ergibt, folge ich Schmitts Verbesserung (1914, 64³): scabiosum. Der Terminus scheint sich auf die sexuellen Lustempfindungen zu beziehen; vgl. zu scabies Mart. 6,37,4. 11,7,6. Dem von der Mehrheit der Hss. bezeugten Adverb ibi gebe ich den Vorzug vor dem von G überlieferten ubi. Das Ortsadverb bezieht sich nach Charpin (III 198 zu Fr. 77) auf ein Bordell. Es ist der Erwähnung wert, dass Warmington (III 294) dieses Gedicht als die ‚Fornix‘ betitelte Satire identifiziert; vgl. Arnob. 2,6.

    330

    LIBER XXIX

    860–62 (863–65) Non. 153,14: ‚Permities‘, periculum, exitium. Lucilius lib. XXIX:

        nunc tu contra venis, vel qui in nuptis voluisse neges te, nec sine permitie

    in nuptis edd. : in nuptiis codd. | voluisse Cichorius 160: vel sese codd., versasse Lindsay | neges F3 BA : neces L

    863–64 (859–60) Non. 391,35: ‚Stare‘, erigi, prominere. Lucilius lib. XXIX: lib. XXVIIII L DA: lib. XXVIII AA BA

    hic corpus solidum invenies, hic stare papillas pectore marmoreo.

    865 (861–62) Non. 220,2: ‚Polypus‘, generis feminini. Lucilius lib. XXIX:

    paulisper [cui] me dem, iam edet haec se, ut polypus, ipsa.

    paulisper [cui] me dem, iam edet Krenkel : paulisper cui medemtia medem haec codd. : cui / paulisper me dem, iam edet Marx : paulisper comedens edet Scaliger

    → fr. 1197 ? 866–67 (866–67) Non. 313,19: ‚Flagitium‘ veteres vitium quod virgini infertur dici voluerunt. ‚Flagitium‘, periculum. Lucilius lib. XXIX:

    quae et poscent minus et praebbunt rectius multo et sine flagitio.

    quae et Cichorius 162 : quiete codd., qui et Mercier | poscent J. Dousa : poscente codd. | praebunt J. Dousa : praebunt codd.

    → fr. 1204 ? 860–62: ora tu te ne vieni con un’obiezione, o negando di esserti impelagato con donne sposate, e non senza pericolo … – Das a von contra ist kurz wie bei Ennius (ann. 492. 576 Sk.). Diese Handhabung charakterisiert die erste Satirensammlung der Bücher XXVI-XXX. In den späteren Hexametern verwendet Lucilius dagegen contra als Spondeus; vgl. Fr. 1204 und V. 1128. Am überlieferten Text scheinen zwei Korrekturen nötig: Alle Editoren haben nuptis für nuptiis akzeptiert, ferner empfiehlt sich die von Cichorius (160) vorgeschlagene Konjektur voluisse anstelle von vel sese. Aber während er (1601) voluisse auf velle (iSv. ‚begehren‘) zurückführt, bezieht es Charpin (III 197 zu Fr. 76) auf volvere (zu verstehen in erotischem Sinne). – Zu contra venire vgl. Cic. Q. Rosc. 18 Quid? tu, Saturi, qui contra hunc venis, existimas aliter? Der Interlokutor leugnet, zur Schar der Ehebrecher zu gehören; vgl. Hor. sat. 1,4,27 Hic nuptarum insanit amoribus, hic puerorum. Die Litotes nec sine permi­ tie spielt auf die Risiken eines Verhältnisses mit einer verheirateten Frau an; vgl. Hor. sat. 1,2,133 ne nummi pereant aut puga aut denique fama. 863–64: qui troverai un corpo solido, qui delle mammelle svettare su un petto di marmo. – Die Mehrzahl der Kommentatoren bezieht hic auf das Bordell. Die Frauen des fornix verhüllen nicht ihre ‚Ware‘ wie es die Matronen tun vgl. Hor. sat. 1,2,83 f. Adde huc, quod mercem

    Buch XXIX

    331

    860–62 Nonius: ‚Permities‘ (Verderben), ‚Gefahr, Untergang‘.

    Jetzt kommst du mit einem Einwand daher, oder indem du abstreitest, du hättest dich mit verheirateten Frauen eingelassen, und nicht ohne Risiko …

    863–64 Nonius: ‚Stare‘ (stehen), ‚sich erheben, vorragen‘.

    Hier wirst du einen festen Körper finden, hier Brüste, die auf einem Busen von Marmor sich wölben. 865 Nonius: ‚Polypus‘ (Polyp), als Femininum verwandt.

    (Nimm an,) ich widme mich ihr für einen Moment: sofort wird sie sich selbst wie ein Polyp verzehren.

    866–67 Nonius: ‚Flagitium‘ (Schimpf; Schandtat), bezeichnet nach dem Verständnis der Alten ein Vergehen, das gegenüber einem Mädchen begangen wird. ‚Flagitium‘, ‚Gefahr‘.

    die weniger verlangen und sich mit weit geringeren Risiken und ohne Schande darbieten.

    sine fucis gestat, aperte / quod venale habet ostendit (s. Fiske 1920, 263 f.; Haß 2007, 164). Schmitt (1914, 66) glaubt dagegen, dass Lucilius sich auf virgines ingenuae bezieht, wobei er sich beruft auf Ter. Eun. 318 corpus solidum et suci plenum sowie auf das Scholion des Donat, der paraphrasiert: corpus non vitiatum. – Als „syntaktisch nicht allzu sauber“, aber „zu der duritas der lucilischen Versbildung“ passend sieht Winkelsen (2012, 41) den aci. nach invenies an. 865: metti che io mi dedichi per un momento a quella, subito lei divorerà se stessa come un polipo. – Von den verschiedenen Wiederherstellungsversuchen des corrupt überlieferten Textes verdient Krenkels Lösung den Vorzug. Das Nonius-Lemma geht in die Irre, polypus ist maskulin, ipsa bezieht sich nicht auf polypus, sondern auf haec. – Zu polypus vgl. Plin. nat. 9,87 Ipsum (polypum) bracchia sua rodere falsa opinio est. Es ist die Rede von einer eifersüchtigen Frau; vgl. Hor. epod. 5,48 Canidia rodens pollicem; [Acro] ad loc. cit. habitum et motum Canidiae expressit furentis. Petronius ut monstraret furentem, ‚pollice‘ ait ‚usque ad periculum roso‘. 866–67: le quali e chiederanno di meno e si presteranno con rischi molto minori e senza infamia. – Das überlieferte quiete ist zweifellos corrupt. Mercier änderte in qui et. Ihm folgte

    332

    LIBER XXIX

    868–69 (868–69) Non. 290,2: ‚Docere‘, dicere. Lucilius lib. XXIX:

    ‚At non sunt similes neque dant.‘ – quid? si dare vellent acciperesne? doce.

    si edd. : sint codd. : sin Mueller | acciperesne edd. : acciperisne L1 AA, acceperisne BA

    870 (922) Non. p. 287, 8: ‚Distrahere‘ est vendere. Lucilius, lib. XXIX:

    distrahere

    post Lucilius lib. XXIX lacunam statuit Muellerus, qui verba sequentia (dividant differant dissipent distrahant) comico cuidam tribuit.

    IVA 871 (897) Non. 288,10: ‚Detrahere‘, extrahere. Lucilius lib. XXIX:

    cum ipsi in lutum descendant, cum alios detrahant.

    cum alios L AA BA : tum alios DA | detrahant L AA DA: detrahunt BA

    872–73 (830–31) Non. 282,20: ‚Discrimen‘ rursum separatio, a discernendo, unde et discerniculum dicitur acus, quae capillos a media fronte disseparat. … (28) Lucilius lib. XXIX: Non. 405,15: ‚Signare‘, discernere, separare. Lucilius lib. XXIX [nam … alba]: lib. XXVIIII codd. 282 : lib. XVIIII codd. 405 (XXVIIII E1)

    et amabat omnes. nam ut discrimen non facit neque signat linea alba

    nam ut L BA DA 282, codd. 405 : ut AA 282 | alba codd. : alba Marx in app. (cf. Soph. fr. 307 N = TGF 4 fr. 330 Radt)) Marx, der den Vers auf Knabenliebe bezog. Vorzuziehen ist jedoch Cichorius’ (162) Verbesserung quae et; denn der Vergleich mit Hor. sat. 1,2,34 f. Huc iuvenes aequum est descendere, non alienas / permolere uxores macht die Beziehung auf die Mädchen des Lupanars wahrscheinlich, die sich als weniger riskant erweisen als die verheirateten Frauen und weniger raffgierig als die Libertinen (Fiske 1920, 264 f.; Haß 2007, 125). 868–69: ‚Ma esse non sono simili e non concedono nulla‘ – Perché? Se esse volessero concedersi, tu accetteresti? Rispondimi. – Das Verb dant verweist auf das Thema der Willfährigkeit in der Liebe; vgl. Mart. 4,71,6 Quid ergo/ casta facit? Non dat, non tamen illa negat. Der erste der beiden Gesprächspartner (nach der von Marx II 294 getroffenen Einteilung), spricht von einer Kategorie von Frauen, die sich erkennbar vom Verhalten der meretrices unterscheiden. Für Marx sind das die matronae, für Cichorius (163) jedoch die virgines. Die Antwort, wahrscheinlich des Dichters, sucht die Risiken zu betonen, die eingehen würde, wer auf eine solche unterstellte Willfährigkeit eingeht. – Wenn sich das auf virgines bezieht, spielte Lucilius vielleicht auf den Dichter Valerius Valentinus an, der sich in einem Gedicht gebrüstet hatte, ingenuam virginem a se corruptam (Val. Max. 8,1,8), und deswegen in einen Repetundenprozess vewickelt wurde; s. Cichorius 162 f. und 343. 870: svendere. – Der von Nonius B. XXIX des Lucilius zugeteilte Vers besteht aus vier cretici – einem Rhythmus, der in den Satiren nie vorkommt. Mueller nimmt an, dass der

    Buch XXIX

    Nonius: ‚Docere‘ (lehren), ‚sagen‘.

    333

    868–69

    „Aber sie sind nicht vergleichbar und gewähren nichts.“ – Wie? Wenn sie sich hingeben wollten, würdest du es annehmen? Antworte mir!

    870 Nonius: ‚Distrahere‘ (auseinanderreißen, verschleudern) bedeutet ‚verkaufen‘.

    ausverkaufen

    4A Sokrates 871 Nonius: ‚Detrahere‘ (herabziehen), ‚herausziehen, -schleppen‘.

    von dem Moment an, wo sie in den Schmutz hinuntersteigen und andere herausziehen.

    872–73 Nonius 282: ‚Discrimen‘ (Unterschied), bedeutet auch ‚Trennung‘, von ‚discernere‘ (unterscheiden), wonach man auch ‚discerniculum‘ die Nadel nennt, die die Haare mitten auf der Stirn zerteilt. Nonius 405: ‚Signare‘ (anzeigen), ‚unterscheiden, trennen‘.

    und er liebte alle. Denn wie keinen Unterschied bewirkt und keine Markierung hinterlässt eine weiße Linie (auf weißem Marmor),

    lucilianische Vers ausgefallen ist und das Zitat einem Komödienautor gehört; vgl. Plaut. Cist. 209 feror, differor, distrahor, diripior. Nach Warmingtons Ansicht (III 294 n. a) könnte Lucilius dieses für ihn ungebräuchliche Metrum als Zitat aus einem befreundeten Autor verwandt haben. Die Infinitivform würde sich in einen Hexameter einfügen (Charpin III 200 zu Fr. 82). – Die von Nonius angegebene Bedeutung ‚vendere‘ findet sich bei Apuleius wieder: met. 9,6,3 strenuum negotiatorem nacta sum, qui rem quam ego mulier et intra hospitium contenta iam dudum septem denariis uendidi, minoris distraxit. Lit. zu IVA: Cichorius 50. 177 f.; Terzaghi 1934/1970, 208 f.; Christes 1986, 92 f. 871: dal momento che essi scendono nel fango e ne traggono fuori altri. – Bei der Übersetzung halte ich mich an das nonianische Lemma; so auch Warmington III 279 n. a; Terzaghi 1934/1970, 209; Charpin II 26 Fr. 39. Es ist festzuhalten, dass es sich um Personen handelt, die andere auf eigene Kosten retten. Charpin (III 185) entdeckt einen Anklang an die Fabel des Phaedrus vom Fuchs und vom Ziegenbock (4,9). Terzaghi (a. O.) hört einen moralischen Sinn heraus und teilt das Fr. der Satire über Sokrates zu. Schmitt (1914, 55; s. auch Krenkel II 482 zu Fr. 894) glaubt, dass detrahere im Sinne von ‚hinunterziehen‘ zu verstehen ist, und teilt die Worte einem Verleumder des Lucilius zu. 872–73: e amava tutti; infatti, come non fa differenza e non lascia il segno una linea bianca (sul marmo bianco),

    334

    LIBER XXIX

    874 –75 (832–33) Non. 405,10: ‚Signare‘ est designare, ostendere. Lucilius lib. XXIX:

    sic Socrates in amore et in adulescentulis meliore paulo facie: signat nil quem amet.

    sic edd. : si codd. | signat L BA DA : signant AA : signabat Leo 1906, 856 (1960, 242) | nil quem amet Marx : nihilque amaret codd : nihil / quem amaret Leo

    876 (834) Non. 472,9: ‚Partiret‘, pro partiretur. Lucilius lib. XXIX: lib. XXVIIII L BA CA DA : lib. XXVIII AA

    quid? quas partiret ipse [pro] doctrinas bonis,

    [pro] (Marx) doctrinas bonis Cichorius 1908, 177, edd. : pro doctrina boni codd. : doctrinas novas dub. Marx

    877 (908) Non. 557, 4: ‚Nobilis‘ dicitur et notus… Lucilius Satyrarum lib. VII… Lucilius lib. XXIX:

    tum illud epiphoni, quod etiam nunc nobile est.

    epiphoni (Praesens historic.) Marx : epifoni AA BA DA, epitofoni L, ἐπιφώνει J. Dousa (Imperativ), ἐπεφώνει Mueller | nunc J. Dousa : tum codd.

    878–79 (828–29) Non. 339,9: ‚Longe‘, etiam valde. … Lucilius lib. XXIX:

    ⏑ – ⏑ – cum viderim in vita mea epiteugma Apelli longe opera ante alia omnia.

    cum viderim in vita mea Quicherat : cui ubi deriminutia meae L BA : cui derim in vita meae (mea H1) AA : cuium viderim in vita mea Marx | epiteugma Iunius : epitegma L BA, epitagma AA | Apelli Gerlach : apepelli L BA, apelli AA, belli Marx 874 –75: così Socrate nell’amore per i giovinetti di bell’aspetto: non distingue per nulla chi ami. – Die beiden Fragmente sind Teile ein und desselben Bildes, eingeführt durch ut im ersten und entwickelt durch sic im zweiten. In der Nonius-Reihe p. 405 stehen sie in umgekehrter Reihenfolge, aber das bedeutet nicht, wie Marx glaubte, dass alle Nonius-Reihen in umgekehrter Reihenfolge gelesen werden müssten, denn „im vierten Buche des Nonius wurden Zitate und Unterlemmata nachträglich nach der Nähe zur prägnanten Wortbedeutung umgruppiert“ (Christes 1986, 92–93). – Die Verse sind unverkennbar inspiriert durch eine Passage des platonischen Charmides (p. 154 B): ἐμοὶ μὲν οὖν, ὦ ἑταῖρε, οὐδὲν σταθμητόν· ἀτεχνῶς γὰρ λευκὴ στάθμη εἰμὶ πρὸς τοὺς καλούς. Das Bild gehört zu einer sprichwörtlichen Wendung, die von Sophokles bezeugt ist (Fr. 330 N.²): οὐ μᾶλλον ἢ λευκῷ λίθῳ λευκὴ στάθμη. – Da den beiden Fragmenten in der Nonius-Reihe p. 405 Fr. 827–28 vorausgeht, kann die Anspielung auf Sokrates nicht in der ersten Satire ihren Platz haben, wie Krenkel glaubt. Christes (1986, 97; s. auch Haß 2007, 167) vermutet, sie könne den Eingangsteil der Satire ΙVB (Belagerung eines Hauses) darstellen, und leitet daraus ab, das Streitobjekt könne ein puer delicatus sein. Seitens der Nonius-Reihen steht der Hypothese nichts im Wege, doch es ist nicht gesagt, dass alle Septenare, die auf Satire 2 (Septenare)

    Buch XXIX

    335

    874 –75 Nonius: ‚Signare‘ (anzeigen), ‚bestimmen, zeigen‘.

    so Sokrates in der Liebe zu Jünglingen mit hübschem Aussehen: er ließ durch nichts erkennen, wen er liebte.

    876 Nonius: ‚Partiret‘, anstelle von ‚partiretur‘.

    Wie? Die Lehren, die er selbst seinen ehrbaren Mitbürgern vermittelte,

    877 Nonius: ‚Nobilis‘ (bekannt, edel, adlig) heißt auch ‚bekannt‘.

    Dann spricht er jene Worte aus, die auch heute noch berühmt sind.

    878–79 Nonius: ‚Longe‘ (weithin, lang), auch ‚bei weitem.‘

    als ich ein Meisterwerk des Apelles erblickte, das bei weitem alle anderen Werke übertrifft (, die ich) in meinem Leben (gesehen habe).

    und Satire 3 (Hexameter) folgen, notwendigerweise zu einer einzigen Satire zusammengefügt werden müssen. 876: Che cosa? Quegli insegnamenti che egli stesso impartiva ai galantuomini, … – Marx hat pro, das Sinn und Metrik stört, getilgt und doctrina zu doctrinas ergänzt. Cichorius (177) hat boni zu bonis verbessert, was die Vorstellung der καλοὶ κἀγαθοί weckt, und das Fr. mit den beiden hier vorausgehenden verbunden, wobei er Sokrates als Subjekt annimmt. – In der Nonius-Reihe p. 472 geht Fr. 839– 40 (Septenare, die der Satire ΙΙB zuzurechnen sind) diesem Fr. voraus. 877: allora pronuncia quel detto che è famoso anche ora. – Epiphoni ist die Umschrift des griechischen ἐπιφωνεῖ (mit Bezug auf den rhetorischen Terminus ἐπιφώνημα; s. Mariotti 1960, 79) und wird von Marx (II 302) als praes. hist. verstanden. Cichorius (1781) glaubt mit Norden, wahrscheinlich mit Recht, dass illud auf die berühmteste aller γνῶμαι hinweist, nml. γνῶθι σεαυτόν, zitiert auch von Iuv. 11,27 e caelo descendit γνῶθι σεαυτόν; vgl. Garbarino 1973, 4904. 878–79: avendo visto un capolavoro di Apelle che supera di gran lunga tutte le altre opere che ho visto in vita mia. – Der unsichere Text verlangt mehrere Konjekturen. Epiteugma,

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    LIBER XXIX

    IVB 880 (835) Non. 381,40: ‚Referre‘, reddere. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚quod te intromisi, gratiam referat mihi.‘

    881–83 (848–50) Non. 350,29: ‚Maestum‘, triste, miserandum. … Lucilius lib. XXIX [cohibet … Albinus] Non. 383, 21: ‚Remissum‘, missum. Lucilius lib. XXIX:

    cohibet domi maestus se Albinus, repudium quod filiae remisit.

    domi maestus codd. 383 : et omnia aestus AA 350, et domina aestus L1 350, et domina maestus BA 350

    884 –85 (918–19) Non. 269,24: ‚Concedere‘, dare vel permittere. … Lucilius lib. XXIX [concedat … deleniat]. Non. 278,9: ‚Delenitus‘ est mente alienatus. … Lucilius lib. XXVIII: XXVIIII B cum codd. Non. 269 et 301

    Non. 301,9: ‚Eligere‘, defetigare. Lucilius lib. XXIX:

    concedat homini id quod velit, deleniat, corrumpat prorsum ac nervos omnis eligat.

    velit codd. 269 : vult codd. 278 | prorsum G1 278, edd. : prorsus L AA DA 278, codd. 301, Marx

    von Iunius für überliefertes epitegma gesetzt, lässt keinen Raum für Zweifel; denn es stellt die Umschrift des gleichen griechischen Wortes her, das hier im Sinne von ‚capolavoro‘ verwendet ist. Vgl. den Gegenbegriff ἀπότευγμα (Cic. Att. 13,27,1); s. Mariotti 1960 64². Apelli, das in ein paar Handschriften bezeugt ist, weckt bei Charpin (III 191 f. zu Fr. 59) Zweifel, weil das einen Nominativ Apellus voraussetzt. Doch Bertini (1967, 47) beobachtet: „la restituzione plausibile di un nome proprio in un passo corrotto od incomprensibile di Nonio è da considerare accettabile in linea di massima“. Schließlich Quicherats Herstellung cum viderim in vita mea verweist plausibel auf Wendungen wie At quem uirum! Quem ego uiderim in vita optimum (Ter. Phorm. 367) oder Et longe ante omnes mihi quae me carior ipso est (Catull. 68, 159). – Die thematische Einfügung des Fr. ist problematisch. Man kann sich mit Terzaghi (1934/1970, 208) vorstellen, dass es „avesse posto nella satira di Socrate, dove potrebbe aver costituito un termine di confronto fra l’eccellenza della dottrina socratica e quella dell’arte figurata“. – Für Cichorius (50) stellt das Fr. einen Beweis für den Aufenthalt des Lucilius in Griechenland dar. 880: che egli mi ‚ringrazi‘, per averti fatto entrare. – gratiam referre ist wahrscheinlich ironisch gemeint; vgl. Ter. Eun. 385 Si [ …] illis crucibus […] nunc referam gratiam.– Nach allgemeiner Auffassung spricht der ostiarius des Hauses, der den Zorn seines Herrn fürchtet, weil er einen unerwünschten Gast hat eintreten lassen. Für Schmitt (1914, 48) handelt es sich dagegen um die amica, die dem Dichter erlaubt habe, in das Haus ihres dominus einzutreten.

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    4B Belagerung eines Hauses 880 Nonius: ‚Referre‘ (zurückbringen), ‚erstatten‘.

    „dass er mir dafür ‚dankt‘, dich hereingelassen zu haben.“

    881–83 Nonius 350: ‚Maestum‘ (betrübt), ‚traurig‘, ‚bemitleidenswert‘. Nonius 383: ‚Remissum‘ (losgelassen; zurückgeschickt), ‚geschickt‘.

    Albinus schließt sich jammervoll in seinem Hause ein, weil (der Schwiegersohn) seine Tochter verstoßen hat.

    884 –85 Nonius 269: ‚Concedere‘ (einräumen), ‚geben‘ oder ‚erlauben‘. Nonius 278: ‚Delenitus‘(besänftigt), meint ‚nicht bei Sinnen‘. Nonius 301: ‚Eligere‘ (auswählen), ‚erschöpfen‘.

    dass sie ihm erlaubt, was er will, ihn verführt, ihn vollständig zerrüttet und völlig ‚entnervt‘.

    881–83: Albino se ne sta tristemente chiuso in casa, perché (il genero) ha ripudiato sua figlia. – Folgte man Merciers Interpunktion – Komma nach maestus se –, wäre Albinus der Ehemann, der seine Frau verstößt. Aber das Nonius-Zitat p. 350 spricht dafür, dass Albinus Subjekt von cohibet ist (Marx II 291). Marx identifiziert diesen Albinus mit dem Redner Spurius Postumius Albinus, cos. 148 v. Chr., aber diese Identifikation ist überaus unsicher (Cichorius 352–354). – Christes (1986, 97165) verbindet das Fr. mit dem Eingangsteil dieser Satire und erblickt in der Aussage ein polemisches Argument gegen die Ehe und überhaupt gegen feste Beziehungen. – Die Einfügung in den Eingangsteil der Satire IVB – Krenkel I 97 denkt an eine Antwort gegenüber dem ostiarius – wird zum Teil durch die Nonius-Reihe p. 383 gerechtfertigt, wo das Fr. dem zum Schlussteil der Belagerung gehörigen Fr. 898–99 vorausgeht. 884 –85: che gli conceda ciò che vuole, lo seduca, lo sfibri completamente e lo snervi del tutto. – Wegen der Nonius-Reihe p. 300 kann das Fr. nicht Teil der ersten Satire sein, wie Krenkel (I 39) glaubt, sondern muss in Thema IVB eingefügt werden (Christes 1986, 93). Das schließt wohl auch Schmitts Hypothese (1914, 54) aus, diese Worte würden von dem puer gesprochen, der auf das Verhältnis des Dichters mit einer Frau eifersüchtig sei. – Für Marx (II 304) wird das Verhalten eines Schmeichlers beschrieben, aber die obszöne Bedeutung der nervi (vgl. Petron. 131,6) und die Anspielung auf eine Frau (vgl. delenit amore Fr. 1043) sind hinreichend deutlich; vgl. Terzaghi 1934/1970, 203². – Marx behält überliefertes prorsus bei,

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    LIBER XXIX

    886–87 (821–22) Non. 74,8: ‚Advocasse‘ pro vocasse. Lucilius lib. XXIX:

    ‚amicos hodie cum inprobo illo audivimus Lucilio advocasse.‘

    888 (836) Char. GL 1,96,15: ‚Nemo‘ in homine proprium est, quia significat ‚ne homo‘. antiqui et pro ‚nullo‘ saepe posuerunt, ideoque ‚nemo‘ dicentes, quasi minus significarent, et ‚homo‘ addebant ut Terentius (Eun. 549) … et Lucilius XXIX ideo dixit:

    ⏑ – ⏑ – ⏑ ‚quis tu homo es?‘ – ‚nemo sum homo‘. 889 (840) Non. 245,13: ‚Anceps‘, duplex. Lucilius lib. XXIX:

    ‚nemo hos ancipiti ferro effringat cardines.‘

    ancipiti Bentley, Housman 1907, 61 : ancipites codd.

    890 (839) Non. 245,20: ‚Anceps‘, acutum ex utraque parte. Lucilius lib. XXIX:

    ‚vecte atque ancipiti ferro effringam cardines.‘

    891–92 (837–38) Non. 381,8: ‚Reddere‘, facere. Lucilius lib. XXIX:

    ‚pluteos ex scutis tectaque et testudines reddet.‘

    ex scutis Marx : excutit codd. : excudit Iunius : excutiet Mueller : excudet Quicherat  das in Synalöphe mit ac stehen könne, aber da das bei Lucilius singulär wäre, ziehen die Editoren prorsum vor; vgl. Charpin III 187 zu Fr. 47. 886–87: abbiamo sentito dire che oggi ha fatto venire degli amici con quello sfrontato di Lucilio. – Das Fr. wird allgemein mit der Satire über die Belagerung eines Hauses verbunden, an der Lucilius in der Rolle eines Protagonisten teilnahm. Der Dichter lässt sich hier mit dem Epitheton improbus apostrophieren, das sich zugleich auch auf seine satirische Dichtung beziehen mag (Haß 2007, 102). – Das Verb advocare impliziert das Verlangen nach Hilfe; vgl. Ter. Phorm. 312–14 aliquos mihi / amicos advocabo ad hanc rem qui adsient, / ut ne imparatus sim, si veniat Phormio. 888: ‚chi sei?‘ – ‚sono nessuno‘. – Auf die Frage des ostiarius antwortet der Interlokutor mit ironischer Anspielung auf die Antwort, die Odysseus dem Kyklopen gab (Hom. Od. 9,366; Aristoph. Vesp.184); vgl. Ter. Eun. 549 Numquis hic me sequitur? nemo homo est. 889: nessuno spezzi questi cardini con un’ascia a doppio taglio. – Ausgehend von der Annahme, dieser Vers folge auf Fr. 890, wo der Angreifer droht, die Tür ancipiti ferro aufzubrechen, verteidigen die Editoren überliefertes ancipites … cardines als eine Fehleinschätzung des Türwächters, der, sich dabei irrend, die Worte des Angreifers wiederholt habe (s. auch

    Buch XXIX

    339

    886–87 Nonius: ‚Advocasse‘ (herbeigerufen haben) anstelle von ‚vocasse‘.

    „Wir haben sagen hören, dass er heute Freunde hat kommen lassen zusammen mit jenem unverschämten Lucilius.“

    888 Charisius: ‚Nemo‘ (niemand) wird speziell in Verbindung mit Mensch gebraucht, weil es ‚ne homo‘ (kein Mensch) bedeutet. Die Alten setzten es auch oft für ‚nullo‘ (kein), und deshalb, wenn sie ‚nemo‘ sagten, wie wenn sie damit zu wenig bezeichneten, fügten sie auch ‚homo‘ (Mensch) hinzu wie Terenz (Eun. 549. … Und deshalb schrieb Lucilius in Buch XXIX:

    „Wer bist du?“ – „Ich bin niemand.“

    889 Nonius: ‚Anceps‘ (doppelköpfig), ‚doppelt‘.

    „Diese Türangeln kann wohl niemand mit einer Doppelaxt herausbrechen.“

    890 Nonius: ‚Anceps‘ (doppelköpfig), scharf auf beiden Seiten.

    „Ich werde die Türangeln mit einer Brechstange und einer Doppelaxt her­ ausbrechen.“

    891–92 Nonius: ‚Reddere‘ (zurückgeben), ‚machen‘.

    „Mit den Schilden wird er Schirmwände, Schutz- und Sturmdächer bilden.“

    ThlL III 443,40 „ut videtur ridicule“). Aber in der Nonius-Reihe p. 245 geht dieser Vers dem Fr. 890 voraus und daher hat das Argument zur Verteidigung der unpassenden Wendung weniger Gewicht. Möglicherweise hat Nonius schon im Text des Lucilius die korrupte Lesart ancipites … cardines gelesen und irrigerweise ein Lemma ad hoc formuliert. Eine indirekte Bestätigung in diesem Sinne geht aus dem nachfolgenden nonianischen Zitat Verg. Aen. 3,180 hervor, wo man prolem ancipitem anstatt prolem ambiguam liest. – Nach Warmingtons Ansicht (III 303 n. b) verweist nemo in diesem Vers vielleicht auf nemo in Fr. 888 zurück. 890: romperò i cardini con una leva e con un’ascia a due tagli. – Vgl. Ter. Eun. 774 In me­ dium huc agmen cum uecti, Donax. Lucr. 6, 168 ancipiti … ferro. Suet. Nero 26, 1 assuerat tabernas etiam effringere et expilare. – Ein Fr. aus der Belagerungsszene. Nach den frechen Worten des Türstehers in Fr. 889 geht der Angreifer zu konkreten Drohungen über. 891–92: con gli scudi farà dei ripari, delle coperture e delle testuggini. – Die Belagerungssituation lädt dazu ein, Termini der technisch-militärischen Sprache zu benutzen, was Lucilius im Übrigen oft in seinen Satiren genutzt hat; vgl. Pennacini 1967, 401– 405. Zu plutei vgl. Fest. 259, 9 plutei crates corio crudo intentae quae solebant obponi militibus opus facienti­ bus. Plutei und tecti vereint auch bei Caes. civ. 2,9,2.

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    LIBER XXIX

    *893–94 (841– 42) Non. 288,27: ‚Deicere‘ dicitur mittere. … Lucilius lib. XXIX: lib. XXIX trib. L. Mueller in comm., edd. : XXVII codd.

    ⏑ – ⏑ – ‚has e fenestris in caput deiciam, qui prope ad ostium aspiraverint.‘

    has codd. : vas Warmington | e (ex Lindsay) fenestris Marx : et fenestris L² AA : et fenestras L1 BA Charpin | deiciam AA DA : deiciunt L BA Marx, deiciant dub. Marx

    895 (843) Non. 272, 12: ‚Caedere‘, frangere. … Lucilius lib. XXIX: Non. 417,31: ‚Urguere‘, insistere. Lucilius lib. XXIX: lib. XXVIIII codd. 417 : lib. XXVIII codd. 272

    ‚caede ostium, Gnatho, urgue!‘ – ‚restant, periimus.‘

    ostium Gnatho codd. 417 (Gnato Marx) : hostium grato codd. 272 | urgue restant codd. 417 : urguere (vel urgere) istam codd. 272 | periimus codd. 272 : perimus codd. 417

    896 (844) Non. 358,26: ‚Offendere‘ est percutere: … Lucilius lib. XXIX:

    ‚crus lapide!‘ – ‚nihil est.‘ – ‚credam si te offenderit.‘

    sic Charpin : ‚„crus lapide“ nihil est, credam, si te offenderit.‘ Marx crus lapide (nihil est credam) si te offenderit Schmitt

    897 (845) Non. 36,25: ‚Depilati‘ dictum rarefacti. Lucilius lib. XXIX:

    ‚Gnatho, quid actum est?‘ – ‚depilati omnes sumus.‘

    Gnatho Mercier, edd. : nato codd.

    898–99 (846– 47) Non. 384,4: ‚Recipere‘, revocare. Lucilius lib. XXIX: 893–94: le getterò dalla finestra sulla testa di chiunque cerchi di accostarsi alla porta. – Gegen das Zeugnis der Handschriften, die B. XXVII bezeugen, sichert die Nonius-Reihe p. 288 die Zuteilung zu B. XXIX. Paleographisch gerechtfertigt ist die Korrektur e anstelle von et – eine in der nonianischen Überlieferung häufige Verwechslung (Bertini 1967, 35). – Eine analoge Situation wird bei Dittenberger, Sylloge Inscr. Graec. 356,17 beschrieben: τοὺς δὲ τῆς οἰκίας δεσπότας … προστεταχότας ἑνὶ τῶν οἰκετῶν … ἀνεῖρξαι ἀνασκεδάσαντα τὰ κόπρια αὐτῶν. τὸν δὲ οἰκέτην σὺν τοῖς καταχεομένοις … ἀφεῖναι τὴν γάστραν. 895: ‚rompi la porta, Gnatone, forza!‘ – ‚resistono, siamo perduti.‘ – Gnatho, ein bekannter Parasit des terenzianischen ‚Eunuchus‘, wird dann geradezu ein Synonym für Parasit; vgl. Cic. Lael. 93 und Phil. 2,15. Lucilius wählte den Namen wahrscheinlich wegen der Ähnlichkeit der von ihm geschilderten Szene mit der Belagerung des Hauses der Thais; vgl. Terzaghi 1934/1970, 199. 896: ‚una gamba con un sasso!‘ – ‚non è niente‘ – ‚ti crederò quando avrà colpito te‘. – Die von Charpin vorgenommene Interpunktion III 189 f. zu Fr. 55) geht von einem schnellen verbalen Schlagabtausch zwischen zwei Interlokutoren aus, während Marx (II 290 f.) und

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    893–94 Nonius: ‚Deicere‘ (hinabwerfen) wird gesagt für ‚werfen‘.

    „Die werde ich aus dem Fenster (allen) auf den Kopf werfen, die sich der Tür zu nähern suchen.“

    895 Nonius 272: ‚Caedere‘ (fällen), ‚brechen‘. Nonius 417: ‚Urguere‘ (drängen), ‚beharren‘.

    „Brich die Tür auf, Gnatho, tritt sie ein! – „Sie stemmen sich dagegen, wir sind verloren.“ 896 Nonius: ‚Offendere‘ (anstoßen, verletzen) bedeutet ‚erschüttern‘.

    „Ein Bein mit einem Stein!“ – „Macht nichts.“ – „Ich werde es dir glauben, wenn er dich getroffen hat.“

    897 Nonius: ‚Depilati‘ (enthaart), gesagt im Sinne von ‚ausgedünnt‘.

    „Gnatho, was ist geschehen?“ – „Wir sind alle gehäutet.“

    898–99 Nonius: ‚Recipere‘ (zuücknehmen, -holen), ‚zurückrufen, (zurückziehen)‘. Schmitt (1914, 49), mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen, den ganzen Vers einem Interlokutor zuweisen. – Die Situation erinnert an die von Ateius Capito erzählte (Gell. 4,14): Aulus Hostilius Mancinus aedilis curulis fuit. Is Maniliae meretrici diem ad populum dixit, quod e tabulato eius noctu lapide ictus esset, vulnusque ex eo lapide ostendebat. Manilia ad tribunos plebi provocavit. Apud eos dixit comissatorem Mancinum ad aedes suas venisse, eum sibi recipere non fuisse e re sua, sed cum vi inrumperet, lapidibus depulsum. 897: Gnatone, che cosa è successo?‘ – ‚siamo stati tutti pelati‘. – Das Lemma des Nonius ist vage. Viele Interpreten glauben, dass depilati im übertragenen Sinne zu verstehen ist, d. h. als ‚gerupft, ruiniert“. Aber die Situation der Belagerung und das Ausschütten kochenden Wassers auf die Köpfe der Angreifer scheint die wörtliche Interpretation zu rechtfertigen, für die Marx (II 291) zum Beleg auf Apic. 219 André verweist (= 6,3,2 Milham): Perdicem elixabis et madefactam depilabis. 898–99: prima di tutto se qui di fronte c’è un solaio, in cui ti possa rifugiare … – Paleographisch und semantisch glaubwürdig ist Lachmanns Korrektur recipias; vgl. Lucil. Fr. 122–23 redit ac recipit se. Der Angriff ist übel ausgegangen und macht es nötig, sich in Sicherheit zu

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    ‚primum exadvorso siquod est cenaculum, quo recipias te‘ primum L BA DA : primo AA | recipias te Lachmann : recipiat te codd.

    900 (820) Non. 418,3: ‚Urguere‘ est premere, cogere. … Lucilius lib. XXIX:

    ‚urguet gravedo saepius culpa tua.‘

    urguet codd. : urget Marx | gravedo edd. : gravido codd.

    IVC 901–2 (826–27) Non. 240,9: ‚Accipere‘, decipere. Lucilius lib. XXIX:

    sic, inquam, veteratorem illum, vetulum lupum Hannibalem acceptum

    sic inquam AA BA DA : scinquam L | acceptum codd. : acceptum dabo Krenkel : acceptum tibi dabo Leo, GGA 1906, 856

    903 (824) Non. 317,29: ‚habere‘, tenere, occupare. … Lucilius lib. XXIX:

    hoc tum ille habebat et fere omnem Apuliam.

    Apuliam AA BA DA : mapuliam L1

    904 (825) Non. 288,33: ‚Deicere‘, praecipitare. … Lucilius lib. XXIX:

    detrusus tota vi deiectusque Italia

    detrusus Iunius : detrursus codd. : detrussus Marx | vi deiectusque Iunius : vi deiectaque L BA, vide iactaque AA bringen. – Zu cenaculum vgl. Liv. 39,14,2 Consul rogat socrum, ut aliquam partem aedium vacuam faceret, quo Hispala immigraret. Cenaculum super aedes datum est, scalis ferenti­ bus in publicum obseratis aditu in aedes verso. 900: per colpa tua assai spesso mi tormenta l’emicrania. – gravedo bedeutet im allgemeinen Sinne ‚schwerer Kopf‘, Migräne; vgl. Cels. 1,2,1–3 At imbecillis — quo in numero mag­ na pars urbanorum omnesque paene cupidi litterarum sunt — observatio maior necessaria est… cavere meridianum solem, matutinum et vespertinum frigus, itemque auras fluminum atque stagnorum, … quae res maxime gravedines destillationesque concitat. Sie kann durch Trunkenheit verursacht sein; vgl. Plin. nat. 20,136; Catull. 44,13. – Dem Fr. geht in der Nonius-Reihe p. 417 Fr. 895 voraus, ein dem Thema IVB zuschreibbarer Senar. Es ist daher plausibel, es mit Krenkel (I 97) am Ende dieser Satire einzufügen, umso mehr, als das Kopfweh durch eine „Kopfwunde“ (Krenkel) verursacht sein könnte. Lit. zu IVC: Cichorius 164 –167. 901–2: così, dico, quel volpone, quel vecchio lupo di Annibale fu ingannato. – Acceptum, von Nonius im Sinne von deceptum gedeutet, ruft die Vorstellung einer überraschenden Niederlage Hannibals hervor. Marx (II 287) versteht unterschwellig male mit; vgl. Cic. fam. 12,14,4 et in oppugnando male acceptus. – Marx glaubt, dass es sich um Zama handelt. Cichorius (164 –167) stützt sich auf die Indizien der Fragmente 903 und 904 und denkt an

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    „Zu allererst, wenn es hier gegenüber ein Dachstübchen gibt, wohin du dich zurückziehen kannst“ 900 Nonius: ‚Urguere‘ (drängen) bedeutet ‚nieder-, zusammendrücken‘.

    „Durch deine Schuld martert mich ziemlich oft Migräne.“

    4C Hannibalkrieg 901–2 Nonius: ‚Accipere‘ (annehmen, empfangen), ‚täuschen.

    So, sage ich, wurde jener Fuchs, jener alte Wolf Hannibal getäuscht

    903 Nonius: ‚habere‘ (haben, halten), ‚festhalten, besetzen‘.

    Damals beherrschte er diese Region und fast ganz Apulien.

    904 Nonius: ‚Deicere‘ (hinabwerfen), ‚kopfüber hinabstürzen‘.

    verjagt und hinausgeworfen gewaltsam aus ganz Italien

    eine Täuschung Hannibals durch den Konsul Claudius Nero im Jahr 207 v. Chr.: Dank dieser List (vgl. Frontin. strat. 1,1,9, s. auch Liv. 27,47,6; Val. Max. 7,4,4; Flor. 1,22,52) bewegte Hannibal sich nicht von Canusium weg, wo er sich befand, als sein Bruder Hasdrubal nach Italien einrückte, und wurde so zum indirekten Grund von dessen Niederlage bei Sena Gallica. – Zu veterator, ein Terminus der Soldatensprache, s. Don. Ter. Andr. 457 veterator est vetus in astutia et qui in omni re callidus est. – Krenkel (II 485), der das Fr. in die Satire der Belagerung eines Hauses einfügt, glaubt, dass Hannibalem ein Appellativum für eine der beteiligten Personen sei; vgl. Cic. Phil. 13,25; Vell. 2,18,1; Petron. 101,4. 903: egli allora aveva il possesso di questa regione e di quasi tutta l’Apulia. – Subjekt von habebat ist wahrscheinlich der in Fr. 901–2 genannte Hannibal. Hoc spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine andere Region mit einem Namen im Neutrum an. Marx ((II 287) denkt an Samnium und fügt die beschriebene Situation in das Jahr 216 v. Chr.; vgl. Liv. 22,54,9 Hannibalis Apuliam, Samnium ac iam prope totam Italiam factam. Cichorius (208; 164 –167) hebt auf die Präzisierung fere omnem Apuliam ab, bezieht das Fr. auf den Zeitraum zwischen 213 und 207 v. Chr. – Hannibal musste in dieser Zeit tatsächlich auf einen Teil Apuliens verzichten – und denkt bei hoc an Bruttium. Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass Lucilius auf andere geographische Orte oder auf Umstände allgemeineren Charakters anspielte; vgl. Terzaghi 1934/1970, 194.

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    905 (823) Non. 97,3: ‚Deletio‘.Lucilius lib. XXIX:

    deletionem nostri ad unum exercitus

    V 906 (802) Non. 186,28: ‚Vomica‘, concava loca, vetustate exesa. Lucilius lib. XXIX:

    Chironeo et non mortifero adfectus vomicae vulnere.

    Chironeo J. Dousa : tyroneo codd. : tironeo Marx | vomicae Quicherat : vomica et codd. | vulnere edd. : vulnera codd.

    907 (803) Non. 527; 23: ‚Vel‘ pro etiam est. … Lucilius lib. XXIX:

    hoc invenisse unum ad morbum illum, homini vel bellissimum.

    hoc codd. : huius AA | invenisse Vahlen : invenisset codd.

    908 (804) Non. 224,37: ‚Schema‘ feminino genere dici veterum usurpat auctoritas. Neutrum… (225,5) Lucilius lib. XXIX:

    in gymnasio ut schema antiquo spectatores retineas,

    gymnasio edd. : gemnasio codd. (gemnaseo L1) | schema G : scema L, Marx | spectatores edd. : est peccatores L : et spectatores BA | retineas Lachmann : retineres codd.

    904: scacciato ed espulso con la forza da tutta Italia … – Subjekt ist sehr wahrscheinlich nicht der populus Romanus (so Marx II 287, der darauf abhebt, dass Hannibal formal gesehen Italien auf Anordnung des karthagischen Senats verließ), sondern Hannibal, der nach der Niederlage seines Bruders am Metaurusfluss Italien geräumt und sich darauf beschränkt hatte, Bruttium zu verteidigen (vgl. Cichorius 165). 905: la distruzione del nostro esercito fino all’ultimo uomo … – Wahrscheinlich eine Anspielung auf die Niederlage von Cannae; vgl. Liv. 22,54,7 Romam ne has quidem reliquias superesse civium sociorumque sed occidione occisum cum duobus consulibus exercitum de­ letasque omnes copias allatum fuerat. Sie wurde vermutlich bei Gelegenheit des Sieges der Römer bei Canusium in Erinnerung gerufen; vgl. Sil.15,814 Cannas pensavimus (Worte des Konsuls Claudius Nero). Lit. zu V: Schmitt 1914, 56 f.; Terzaghi 1934/1970, 181–183. 906: colpito nella piaga da una ferita chironea e non mortale. – Die Korrektur Chironeo, die den anderen vorgeschlagenen Verbesserungen vorzuziehen ist, wirft Probleme im Hinblick auf das Gemeinte auf. In der Tat, wenn man an die tödliche Verletzung denkt, die Chiron durch einen in das Blut des Nessus getauchten Pfeil zugefügt wurde, dann erscheint die Wortfügung Chironeo et non mortifero … vulnere als ein Widerspruch in den Begriffen. Deshalb trennt Schmitt (1914, 56) Chironeo von non mortifero und ergänzt vor dem Vers: is sanataus pharmaco / Chironeo et. Vielleicht spielt Lucilius jedoch nicht so sehr auf die Bedeutung ‚tödlich‘ an, sondern auf die Bedeutung ‚heilend‘, die z. B. in dem Ausdruck Χίρωνος ῤίζα präsent ist (Vgl. Leo 1906, 855 = 1960, 241). Vielleicht spielt der Dichter auch wirklich mit der Ambiguität des Wortes. In allen Fällen sind sich die Kommentatoren

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    Nonius: ‚Deletio‘ (Vernichtung).

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    905

    die Vernichtung unseres Heeres bis auf den letzten Mann

    5. Habgier und andere Laster 906 Nonius: ‚Vomica‘ (Abszess), Schwellungen, nach langer Zeit ausgezehrt.

    befallen in einer Wunde mit einem chironeischen und nicht todbringendem Geschwür.

    907 Nonius: ‚Vel‘ (oder, oder auch) steht für ‚etiam (auch, sogar)‘.

    dass er für jene Krankheit dieses eine Heilmittel fand, und auch das beste für ihn.

    908 Nonius: ‚Schema‘ (Haltung, Figur) wird der Autorität der Alten zufolge als Femininum gebraucht. … als Neutrum:

    um die Zuschauer im Gymnasion mit einer Figur auf alte Art zu unterhalten,

    überwiegend darin einig, hier eine Anspielung auf Jason von Pherai zu sehen, der, mit einer als unheilbar geltenden Wunde geschlagen, aufgrund eines in der Schlacht empfangenen Hiebs gesund wurde; vgl. Plin. nat. 7,166 Pheraeus Iason deploratus a medicis vomicae morbo cum mortem in acie quaereret, vulnerato pectore medicinam invenit ex hoste; vgl. auch Cic. nat. deor. 3,70,7; Val. Max. 1,8 ext. 6. – Der wahrscheinliche Zusammenhang mit Fr. 907 legt es nahe, dass der Dichter darauf ausgeht, die Habgier seines Interlokutors zu heilen, indem er ihn genau bei diesem Fehlverhalten fasst. 907: si trovò per quel morbo questo solo rimedio, e anche il migliore per lui. – Der Vers scheint sich auf die in Fr. 906 beschriebene Situation zu beziehen, d. h. auf Jason von Pherai und auf die wundersame Heilung seiner Wunde, hervorgerufen durch einen Hieb, den er in einer Schlacht empfing. – Marx (II 282) merkt an: „homini positum per ei.“ 908: per intrattenere gli spettatori nel ginnasio con una figura all’antica, … – Schema, als Ablativ zu verstehen (Marx II 282), bedeutet hier wahrscheinlich ‚gymnastische Figur, Pirouette‘ (vgl. Suet. Tib. 43,1; Isocr. 15,183; Aristoph. Pax 323; Eur. Cyclops 221), eher als ‚Aussehen, Frisur‘ wie bei Naev. trag. 32 R.³, Plaut. Amph. 117 (s. Mariotti 1960, 68 f.). Die gymnastische Figur kann hier vielleicht eine alte Anekdote heraufbeschwören, die fähig war, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erregen. Die Bezugnahme auf das Gymnasion (bezeugt auch in Fr. 682), worin Cichorius (51) eine Bestätigung für den Aufenthalt des Lucilius in Griechenland sah, kann einfach als Beweis für seine gute Kenntnis der griechischen Kultur und Traditionen gesehen werden; s. E. S. Gruen: Culture and National Identity in Republican Rome. Ithaca 1992, 306–309.

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    LIBER XXIX

    909 (805) Non. 248,9: ‚Bellum‘, elegans, melius, prudens. Lucilius lib. XXIX: melius prudens codd : secl. Onions

    aetatem istuc tibi laturam et bellum, si hoc bellum putas.

    istuc codd. : stuc AA | et codd. : del. Mercier

    910–11 (806–7) Non. 436,32: ‚Cupiditas‘ et ‚cupido‘ diversa sunt. nam cupiditas levior est. Lucilius lib. XXIX – [fr.]. – quod cupiditas pars quaedam sit temperatior, defluens ex cupidine. lib. XXVIIII trib. Mueller : lib. XVIIII codd.

      cupiditas ex homine , cupīdo ex stulto numquam tollitur.

    cupiditas / ex homine cupīdo dubit. Lindsay (vide adnot.): cupiditas ex homine cupido codd. : lacunam statuit inter homine et cupīdo Marx

    912–13 (808–9) Non. 330;22: ‚Interficere‘, occidere. Lucilius lib. XXIX:

    prius non tollas quam [Tulli] animum ex homine atque hominem ipsum interfeceris.

    prius non tollas codd. : non tollas prius (in fine primi versus) Marx | quam [Tulli] animum Ribbeck : quam tulli animum codd. : quam sustuleris animum Marx | homine Passerat : nomine codd.

    914 (812) Non. 298,1: ‚Efferre‘, extollere. … Lucilius lib. XXIX:

    omnia alia, in quibus ecferimur rebus, ne ego multis loquar

    ecferimur codd. : haec ferimur L

    909: l’età ti porterà questo vantaggio, e anche gradevole, se tu lo ritieni gradevole. – Marx (II 285) lässt dem Vers die Ergänzung credas bonum vorangehen. Man nimmt an, dass der in Frage stehende Gewinn oder das Heilmittel in der Kontrolle der Laster besteht, in Anbetracht dessen, dass viele Objekte der Begierde mit der Zeit an Gewicht verlieren. Im vorliegenden Kontext scheint das zum Versiegen bestimmte Laster die Habgier zu sein (Haß 2007, 86); vgl. Fr. 985; Ter. Ad. 855 f. Numquam ita quisquam bene subducta ratione ad vitam fuit / quin res, aetas, usus semper aliquid adportet novi. 910–11: il desiderio si può estirpare da un uomo desideroso, ma la bramosia non si può mai estirpare dallo stolto. – Die Zuweisung des Fr. ist Konjektur, die Handschriften teilen das Fr. B. XIX zu, das jedoch ausschließlich Hexameter enthält. – Nonius zitiert das Fr. wegen der unterschiedlichen Bedeutung von cupiditas und cupīdo, weswegen es nicht akzeptabel ist, cupido als Adjektiv, bezogen auf homine zu verstehen, wie es Schmitt (1914, 56) und Terzaghi (1934, 183³) tun. Der Rhythmus des trochäischen Septenars impliziert notwendig eine Lücke zwischen homine und cupīdo; sie wird von Marx (II 283) so aufgefüllt: „cupiditas ex homine cupido ex stulto numquam

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    909 Nonius: ‚Bellum‘ (hübsch), ‚elegant, besser, klug‘.

    dass dir die Zeit diesen Gewinn bringt, und auch einen angenehmen, wenn du ihn für angenehm hältst. 910–11 Nonius: ‚Cupiditas‘ (Begehrlichkeit) und ‚cupido‘ (Begierde, Gier) haben verschiedene Bedeutungen. In der Tat ist ‚cupiditas‘ weniger schwerwiegend – [Fr.]. – Denn ‚cupiditas‘ ist eine moderatere Form und Ableitung aus ‚cupido‘.

    Begehrlichkeit kann man aus einem begehrlichen Menschen entfernen, Begierde aber kann man niemals aus einem Toren beseitigen.

    912–13 Nonius: ‚Interficere‘ (töten), ‚niederhauen, töten‘.

    Man kann sie nicht aus ihm entfernen, bevor man nicht die Seele aus dem Menschen entfernt oder den Mann selbst tötet.

    914 Nonius: ‚Efferre‘ (hinaustragen), ‚rühmen‘.

    Alle anderen Dinge, auf die wir stolz sind, um es mit wenigen Worten zu sagen, …

    tollitur.“ Doch erscheint Lindsays kürzere Ergänzung als plausibel, der die einfache Auslassung des Adjektivs cupĭdo annimmt. – Garbarino zufolge (1973, 513) lässt sich das Fr. im Umkreis stoischen Denkens verorten, insofern das Konzept der cupido jenem der ἐπιθυμία nahesteht; Cicero übersetzt ἐπιθυμία mit libido oder mit cupiditas effrenata. 912–13: non gliela si può togliere via, senza che prima non si tolga l’animo dall’uomo o non si uccida l’uomo stesso. – Tulli, von Ribbeck getilgt, erklärt sich wahrscheinlich aus einer irrtümlichen Bezugnahme auf das von Nonius anschließend zitierte Cicero-Fragment oder aus einer ebenso irrtümlichen Einfügung einer Glosse, die erklären sollte, dass man das Verb tollere in dem elliptischen Satz animum ex homine mitverstehen müsse. – Bezüglich des Gemeinten kann das Fr. eng mit Fr. 910–11 verbunden werden; Objekt von tollas ist dann cupido. Der Parallelismus ex homine …, ex stulto, ex homine ist ein deutliches Indiz für die Verbindung der beiden Fragmente (Terzaghi 1934/1970, 183³). 914: tutte le altre cose, per le quali ci inorgogliamo, per dirla in poche parole, … – Charpin (III 172 zu Fr. 2) nimmt an, dass das Fr. die Aufzählung einer Serie von Gegenständen ab-

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    LIBER XXIX

    915 (811) Non. 291,17: ‚Exigere‘ significat agere. … Lucilius lib. XXIX:

    – ⏑ – ⏑ cum cognoris, vitam sine cura exigas.

    cum codd. : cum Schmitt 1914, 57 | cognoris L1 : cognoveris ceteri codd.

    916–17 (813–14) Non. 311,23: ‚Fovere‘ est nutrire, provehere. … Lucilius lib. XXIX: Non. 350,35: ‚Maestum‘, enectum fame. Lucilius lib. XXIX:

    – ⏑ ventrem alienum maestum fovere ex molito hordeo uti cataplasma.

    maestum Gen² 311, codd. 350 : est tum ceteri codd. 311 | ex molito codd. 311, BA DA 350 : ex mamolito L AA 350 | uti Soubiran, Charpin : uti codd., Marx | cataplasma codd. 350 : cataplasmo codd. 311

    schließt, die menschliche Leidenschaften wecken. Dem Weisen gelingt es, sich nicht in diese Emotionen verstricken zu lassen, weil er weiß, dass er nichts davon wirklich als sein Eigenes besitzen kann. – Krenkel (II 497 zu Fr. 924) verweist auf Fr. 547– 48, Schmitt (1914, 57) verbindet dieses Fr. eng mit Fr. 915. 915: quando comprenderai, condurrai una vita senza affanni. – „Philosophiae praecepta commendat poeta“(Marx II 284); vgl. Lucr. 5,1430–1433 Ergo hominum genus in cassum frus­ traque laborat / semper et in curis consumit inanibus aevom, / ni mirum quia non cognovit quae sit habendi / finis; s. auch Verg. catal. 5,10 vitamque ab omni vindicabimus cura. Wie schon gesagt, stellt Schmitt (1914, 57) vor diesen Vers Fr. 914 und liest: omnia alia, in quibus ecferimur rebus, ne ego multìs loquar, / cum cognoris, vitam sine cura exigas (s. auch Terzaghi 1934/1970, 183).

    Buch XXIX

    349

    915 Nonius: ‚Exigere‘ (wegtreiben; vollenden) bedeutet ‚verbringen‘.

    Wenn du (das) begreifst, wirst du ein von Ängsten freies Leben führen.

    916–17 Nonius: ‚Fovere‘ (wärmen) ist ‚ernähren, fördern‘ Nonius: ‚Maestum‘ (traurig), ‚erschöpft durch Hunger‘.

    Sie stärkten den ausgehungerten Magen anderer mit gemahlener Gerste, wie mit einer Wickel.

    916–17: hanno confortato l’affamato ventre altrui con orzo macinato, come con un cataplasma. – ‚Metri causa‘ ist fovere als Indikativ des Perfekts zu verstehen. Uti wird meist als ein narrativer Infinitiv interpretiert, aber es scheint natürlicher, es als eine Vergleichspartikel zu verstehen, die es im Übrigen nahelegt, zu uti zu vervollständigen (Charpin III 179 zu Fr. 20). Die meisten Herausgeber weisen alienum die Bedeutung „feindlich, zornig, rebellisch“ zu, aber das Asyndeton rechtfertigt sich besser, wenn man alienum als Gegensatz zu suum versteht. Charpin (a. O.) verweist auf Plaut. Men. 479 Satur nunc loquitur de me et de parti mea? – kataplasma ist als abl. sing. zu verstehen, wie schema in Fr. 908.

    LIBRI XXVIII aut XXIX (senarii incertae sedis) 918–19 (923–24) Non. 406,22: ‚Tollere‘, occidere. Lucilius lib. † XXVI †: libro XXVI codd. : libro XXVIII trib. Mueller

    at cui? quem febris una atque una ἀπεψία, vini, inquam, cyathus unus potuit tollere.

    at cui codd. : anxit Warmigton | atque una edd.: atque quem una codd. | ἀπεψία codd. : απεψα L1 | cyathus man. rec. in F : hyatrus codd.

    920–22 (925–27) Varro ling. 6,69: Spondere est dicere spondeo, a sponte: nam id idem valet et a voluntate. Itaque Lucilius scribit de Cretaea, cum ad se cubitum venerit sua voluntate, sponte ipsam suapte adductam, ut tunicam et cetera reiceret.

    , cum ad me cubitum venerat sponte ipsa suapte adducta ut tunicam et cetera reiceret. Cretaea nuper suppl. Lachmann, Marx | cetera edd. : ceterae codd.

    923 (935) Dub. Nom. GL 5,584,24: ‚Nasum‘ generis neutri, ut Lucilius:

    nasum hoc corpusque scutum corpusque scutum codd. : corpusque est tutum Krenkel

    918–19: ma per chi? Per uno che una febbre, un’ indigestione, anzi, una sola coppa di vino avrebbe potuto portarsi via? – Die Handschriften teilen das Fr. B. XXVI zu, das jedoch keine Senare enthält. Deshalb teilte Mueller es B. XXVIII zu. Da febris hier zum ersten Mal als Trochaeus gemessen wird, nimmt Marx (II 305) an, das Fr. sei nicht von Lucilius, sondern müsse Varros Menippeae zugeteilt werden, worin tatsächlich febris als Trochaeus begegnet. Bei Nonius sei ein Lucilius-Fr. aus B. XXVI sowie Varros Name ausgefallen. – Der Dichter scheint sagen zu wollen, der Tod liege jederzeit auf der Lauer und auch ein banaler Grund könne ihn herbeiführen. Terzaghi (1934/1970, 174³) vergleicht das Fr. mit Hor. epist. 2,2,171 ff. und zieht daraus den Schluss, das Fr. sei in die erste Satire von B. XXVIII einzufügen, wo sich ein Dialog mit einem Geizhals abzuspielen scheint. Der Gräzismus ἀπεψία ist ein lucilianisches hapax; vgl. bei Cato agr. 127,1 dyspepsia; s. Mariotti 1960, 72.

    BÜCHER XXXVIII oder XXIX (Senare ohne Buchangabe)

    Nonius: ‚Tollere‘ (aufheben), ‚töten‘

    918–19

    Aber für wen? Für einen, den ein einziger Fieberschub, eine einzige Verdauungsstörung – was sage ich: ein einziger Becher Wein hätte hinwegraffen können? 920–22 Varro: ‚Spondere‘ heißt zu sagen ‚spondeo‘ (ich verspreche), von ‚sponte‘ (aus eigenem Antrieb): in der Tat hat dieses Wort dieselbe Bedeutung, die es hätte, wenn es von ‚voluntas‘ (Wille) käme. So schreibt Lucilius von Cretaea, sie sei, als sie zu ihm gekommen sei, um sich zu ihm zu legen, freiwillig, aus eigenem Antrieb dazu gebracht worden, die Tunica und das Übrige von sich zu werfen.

    Vor Kurzem, als sie gekommen war, um sich zu mir zu legen, hatte sich Cretaea spontan entschlossen, die Tunica und die übrige Kleidung auszuziehen.

    923 Grammatiker de dubiis nominibus: ‚Nasum‘ Neutrum, wie Lucilius (es hat):

    Diese Nase und dieser Körper (sind) mein Schild.

    920–22: poco fa Cretea, quando era venuta a coricarsi con me, aveva deciso spontaneamente di togliersi la tunica e le altre vesti. – Das Fr. wurde von Lachmann auf der Grundlage der Paraphrase Varros rekonstruiert. Alle Editoren außer Krenkel, der hier ein Ganzes aus Septenaren sieht, lesen die Verse als Senare. Puelma (1949, 272) und Haß (2007, 116) neigen dazu, in Cretaea und Hymnis dieselbe Person zu sehen. 923: questo naso e questo corpo (sono) il mio scudo. – Das Fr., Teil eines Senars, beschreibt eine Person mit langer Nase; vgl. Mart. 2,11,4 quod paene terram nasus indecens tangit. Marx (II 307) vermutet, dass diese Worte ein Parasit sprach. Krenkel zufolge (zu Fr. 936), der est tutum statt scutum liest, könnte der Vers eine Komödiensituation widerspiegeln; vgl. Plaut. Capt. 604 f.

    352

    LIBRI XXVIII aut XXIX

    924 –25 (936–37) Prisc. GL 2,381,4: Lucilius: ‚Amplexetur‘: περιπλεκέσθω.

    quin amplexetur qui velit; ego non sinam me amplectier

    quin codd.: non impedis quin Charpin | me amplectier codd. edd. : sinam *** me amplectier Marx, sinam me amplectier coram omnibus Krenkel

    926 (938) Varro ling. 7,47: Apud Lucilium – fr. – et [fr. 54] et [fr. 1317] piscium nomina sunt eorumque in Graecia origo.

    quod thynno capto cobium excludunt foras

    quod b, Marx : quidem F, qui Mueller | cobium Mueller : corium codd.

    927 (939) Non. 205, 23: ‚Fretum‘ neutri tantum generis… masculini… Lucilius:

    serena caeli numina et salsi fretus serena ed. pr. : serana codd. | caeli ed. pr. : caecaeli L caecli F3 caecili BA | numina ed. pr. : nomine L BA Marx, nomina F3, momina Lachmann | salsi Scaliger : salis codd.

    DUBIA 928–29 (942– 43) Probus GL 4,212,11: Nasus hic an hoc nasum? Antiqui neutraliter dicebant , itaque Lucilius: Lucilius edd. : Lucretius Probus

    ⏑ – ⏑ – ⏑ – nasum deductius quam pandius paulo vellem – ⏑ –

    si add. Marx metri causa

    924 –25: che anzi la abbracci chi vuole; io non mi lascerò abbracciare. – Warmingtons Herstellung (Fr. 974 –5), der keine Lücke annimmt, es sei denn am Ende des zweiten Verses, leuchtet ein. Marx (II 307) setzt eine Lücke am Anfang des ersten Verses an, und eine weitere im zweiten Vers zwischen sinam und me amplectier, weil die archaischen Infinitivformen im Allgemeinen am Ende stehen; s. jedoch Plaut. Men. 1005; Ter. Ad. 535. – Zu quin in diesem Kontext s. Marx II a. O. sowie II 170 zu Fr. 459–60. 926: perché quando hanno preso il tonno, gettano via il ghiozzo. – Cobius, griechisch κωβιός, allein von Lucilius anstelle von gobius (Ov. hal. 128, Mart. 13,88,2) und gobio (Iuv. 11,37) gebraucht, bezeichnet einen kleinen und verachtenswerten Fisch (Mariotti 1960, 56). Der Vers, der sprichwörtlich klingt, beschreibt das Verhalten einer meretrix, „die, wenn ihr ein reicher Liebhaber ins Netz gegangen ist, den unbemittelten verschmäht“ (Cichorius 179 f.). Insbesondere excludere scheint auf den exclusus amator anzuspielen (Fiske 1920/1971, 151). 927: le serene potenze del cielo e del mare salato. – Das Fr. bildet einen Senar. Es ist nicht notwendig, mit Krenkel (Fr. 974) eine Lücke anzunehmen, um einen Septenar daraus zu

    BÜCHER XXXVIII oder XXIX

    353

    924 –25 Priscianus: Lucilius: ‚Amplexetur‘ (er mag umarmen).

    Da mag sie ja umarmen, wer will; ich werde mich nicht umarmen lassen.

    926 Varro: Bei Lucilius – Fr. – und [Fr. 54] und [Fr. 1317] begegnen Namen von Fischen, und zwar liegt ihr Ursprung in Griechenland.

    weil sie, wenn sie den Thunfisch gefangen haben, den Gründling wegwerfen.

    927 Nonius: ‚Fretum‘ (Meerenge; Meer), nur im Neutrum …, als Maskulinum … Lucilius:

    die heiteren Mächte des Himmels und des salzigen Meeres

    ZWEIFELHAFTES 928–29 Probus: ‚Nasus hic‘ (Nase, maskulin) oder ‚hoc nasum‘ (Nase, als Neutrum)? Die Alten verwandten es als Neutrum; so Lucilius:

    wenn ich eine eher gebogene als eine platte Nase wollte

    machen. Salsi fretus begegnet bei Porcius Licinus (vgl. Charisius GL 1,129,7), caelique se­ rena bei Lukrez (2,1100 f. nubibus ut tenebras faciat, caelique serena / concutiat sonitu). Beide Wortgruppen lassen wahrscheinlich an eine Tragödie des Ennius denken, der die salzigen Weiten (aequora salsa) oder das Himmelsgewölbe (cava caeli, vgl. Androm. 96 J.) beschreibt. – Warmington reiht das Fr. in B. XXIX ein, in die Satire über die Tragödie. 928–29: se volessi un naso un po’ più adunco che camuso. – Probus teilt das Fr. Lukrez zu, aber da es in De rerum natura nicht vorkommt, darf man wohl an eine Verwechslung zwischen Lukrez und Lucilius denken. deductus lässt an eine Adlernase denken, vgl. Suet. Aug. 79,2 Nasum et a summo eminentiorem et ab imo deductiorem. Ein nasus pandus wird den Delphinen zugeschrieben; vgl. Ov. met. 3,674 Lati rictus et panda loquenti / naris erat. – Leo (1906, 857) erkennt in dem Fr. zwei hexametrische Segmente: – ⏑ ⏑ – nasum deduc­ tius pandius paulo / quam vellem. – Lucilius scheint Personen zu kritisieren, die mit ihren körperlichen Eigenschaften unzufrieden sind.

    354

    LIBRI XXVIII aut XXIX

    V. Cic. Tusc. 2,36.

    [940– 42 Krenkel]

    930 (945 Krenkel) Rufin. GL 6,562,4: Iuba in libro quarto sic dicit: Iamborum itaque exempla, quae maxime frequentata sunt, subdidi …

    videre non vult Caelium Panaetius

    Lucilio tribuit Cichorius, 1922, 75–77 | caelium R A : celium B, Laelium coni. Baehrens FPL. 391

    [940–  42 Krenkel]: Cichorius’ (und Krenkels) Argumente (Römische Studien. [1922] Darmstadt ²1961, 73–75) halte ich für schwach. Der Gelehrte misst dem von ihm oft strapazierten Argument, Lucilius habe gute Kenntnis des griechischen Lebens, großes Gewicht bei. Aber es bedurfte keiner tiefgehenden Kenntnis der griechischen Gesetze, um eine Feststellung dieser Art zu machen; vgl. z. B. Gruen 1992, 306–309. Ferner stammen im Kontext des 2. Buches der Tusculanae disputationes die anderen Zitate aus ungenannt bleibenden und als bekannt vorausgesetzen Dichtern alle von Tragikern. Auch im vorliegenden Fall scheint mir die traditionelle Zuweisung, wahrscheinlich zum Meleager des Accius (TRF inc. 206–208), plausibler.

    BÜCHER XXXVIII oder XXIX

    S. Cic. Tusc. 2,36.

    355

    [940– 42 Krenkel]

    930 Rufinus: Juba sagt im vierten Buch: Ich habe deshalb Beispiele von Senaren angefügt, die besonders häufig angewendet wurden …

    Panaitios will Caelius nicht sehen

    930: Panezio non vuole vedere Celio, – Angenommen, der hier genannte Panaitios ist der stoische Philosoph, und Caelius kann als der Historiker Caelius Antipater identifiziert werden, der zu Scipios Umgebung gehörte, erscheint Cichorius’ Vorschlag (Römische Studien. [1922] Darmstadt ²1961, 73–75) als akzeptabel, diesen von Rufinus zitierten herrenlosen Vers dem Lucilius zuzuweisen. In der Tat kann es sich bei einem in jambischen Senaren schreibenden Dichter, der „presentava, probabilmente in tono ironico, i motivi di ostilità e di antipatia fra Panezio e Celio […]“ (Garbarino II 1973, 524 f.), nur um Lucilius handeln. Der Dichter hatte eigens in den Jahren, in denen er jambische Senare schrieb, eine Auseinandersetzung mit einem Cae­lius, der mit dem Historiker identifizierbar war; s. Rhet. Her. 2,19 (= testimonium 93 bei Krenkel I 56).

    LIBRI XXVI-XXIX (septenarii incertae sedis) 931–32 (928–32) Non. 463, 5: ‚Propitios‘ et homines placatos dici vetustas voluit. † XXVII †: Lucilius lib. add. edd., om. codd. | XXVII codd. : lib. XXVIII trib. Lachmann

    in bonis porro est viris, si irati seu cui propitii sunt, ut diutius eadem una maneant in sententia.

    nam cum benignitate sollicitos propitios Terentius in Adelphis (31) bonis Iunius : uonis codd. | ut Ald : vi L AA CA : di BA | diutius codd. : diu edd. | nam … propitios Nonio tribuit Lindsay, Lucilio edd. | propitios Quicherat : propositos codd. | posuit add. Lindasy, om. codd.

    933–34 (933–34) Don. Ter. Phorm. 614: Id ‚cum hoc agebam commodum‘] ‚commodum‘, tantum quod. Lucilius:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – mihi commodum statuerat dare: vestimenta < – ⏑ – > reposueram

    statuerat Marx : est aut codd. | dare C O : clare R : ulla V | vestimenta reposueram V : vestimentum posueram O vestimento posueram R C : iam vestimenta posueram Marx : vestimenta posueram Terzaghi : vestimenta et in toro reposueram Warmington vestis momento toro reposueram Krenkel

    935 (940–941) Non. 107, 26: ‚Eugium‘, media pars inter naturalia muliebria. Lucilius in epodis:

    Hymnis sine eugio † ac destina† in epodis hymnis codd. : sine podice Hymnis Marx | sine eugio codd. : sine eugio Marx | ac destina codd.: ac destinas Marx : atque destina Terzaghi : ac intestino Krenkel 931–32: capita alle persone dabbene, che se sono irritate o benevole nei confronti di qualcuno, rimangano assai a lungo nella loro opinione. – Die Editoren erkennen überwiegend in dem Fr. einen jambischen Rhythmus und fügen entsprechende Verbesserungen ein. Doch die Herstellung trochäischer Septenare durch Lindsay ist paläographisch weit weniger aufwändig. Dasselbe kann man zu der Hinzufügung der Wörter nam cum benignitate sollicitos propitios [Quicherat : propositos codd.] zu Nonius statt zum Lucilius-Fr. sagen, umso mehr als das so rekonstruierte Lemma gut zu dem folgenden aus den Adelphoe des Terenz gezogenen Zitat passt (V. 31): quam quae parentes propiti. – Zur Gegenüberstellung irati vs. propitii vgl. Cic. Pis. 59 neque propitii cuiquam esse solent neque irati; Plin. paneg. 66,3 ut facilius esset iratos quam propitios cavere. 933–34: aveva appena deciso di offrirsi a me: io avevo deposto i miei vestiti. – Der von Donatus überlieferte Text ist so sehr zerstört, dass man nicht sicher sein kann, ob es sich um

    BÜCHER XXVI-XXIX (Septenare ohne Buchangabe) 931–32 Nonius: Der alte Sprachgebrauch wollte, dass man ‚propitii‘ (geneigt) auch die wohlwollenden Menschen nannte.

    Weiter geschieht es bei rechtschaffenen Personen, dass sie, ob sie nun erzürnt oder jemandem geneigt sind, recht lange bei ein und derselben Meinung bleiben.

    In der Tat hat Terenz in den Adelphoe ‚propitii‘ im Sinne von gut aufgelegt verwandt.

    933–34 Donatus: ‚Darüber sprach ich gerade eben.‘] ‚commodum‘, ‚gerade eben‘. Lucilius:

    Sie hatte gerade beschlossen sich mir hinzugeben: ich hatte meine Kleider abgelegt.

    935 Nonius: ‚Eugium‘ (Hymen, Scheide), der mittlere Teil zwischen den weiblichen Organen. Lucilius, in den Epoden:

    Hymnis ohne Jungfräulichkeit …

    Senare (Lachmann, Marx) oder um Septenare (Warmington, Krenkel, Charpin) handelt. In beiden Fällen sind Korrekturen erfoderlich. Ich votiere für die Herstellung von Septenaren, wobei ich mich an die von Marx anstelle des überlieferten est aut vorgeschlagene Verbesserung statuerat halte und die von Charpin zwischen vestimenta und reposueram angesetzte Lücke annehme. – Das Gemeinte ist im Übrigen hinreichend klar. Das Verb dare hat so gut wie sicher erotische Bedeutung (vgl. B. XXIX Fr. 868–69) und steht in enger Beziehung zu vestimenta ... reposueram, was Fr. 920–21 in Erinnerung ruft. 935: Hymnis senza verginità… . – Nonius, der das Fr. indirekt zitiert, weist wahrscheinlich auf eine Ausgabe des Lucilius hin, worin ein paar Kompositionen polymetrischer Natur als Epodi tituliert waren; s. Puelma 1949, 283²; Garbugino 1980, 88f. – Eugium, dem griechisch *εὔγειον entspricht, verbunden mit εὔγειος (fruchtbar‘), ist nur hier und bei Laberius (37 und 175 Bon.) belegt und wird als gleichbedeutend mit cunnus angesehen. Im vorliegenden

    358

    LIBRI XXVI-XXIX

    936 (944) Prisc. GL 2,379,17: communia vero esse defendit cum natura ipsius sensus, tum veterum non improbanda auctoritas, a qua quae potuimus a diversis colligere libris exempla proferamus. Lucilius passive, βοηθηθείς. Prisc. GL 2, 567,18: ‚Auxilior, auxiliatus‘: βοηθήσας καὶ βοηθηθείς. Lucilius:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ a me auxiliatus sies auxiliatus sies Marx : auxiliatus si est codd. 379, auxiliatus et G L K 567, auxiliatus R P B H A 567, auxiliatus siet Quicherat

    937 (945) Non. 195,3: ‚Cima‘, neutro, ut Lucilius:

    asparagi molles et viride cyma – ⏑ – ⏑ –

    molles et edd. : molle set F3 : molle sed BA | viride codd. : virde L1

    938 (946) Non. 17,11: ‚Manducones‘, qui manduci dicti sunt et ‚mandones‘ edaces… Lucilius:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – atque omnes mandonum gulae

    939 (947) Probus GL 4,67,32: Nunc cum dicat Lucilius :

    austerissimarum herbarum sucos exprimat ⏑ –

    utique iam ‚hic‘ vel ‚haec austeris‘, non ‚hic austerus‘ facere demonstratur. sucos codd. : sucos omnes Charpin, susp. Soubiran | exprimat Terzaghi : exprimebat codd. : exprimeret vafer susp. Marx : exprimat homo susp. Krenkel

    Fr. deutet man es im Übrigen als Synonym von hymen; s. J. N. Adams: The Latin Sexual Vocabulary. London 1982, 83. – Cichorius (176) verbindet destina mit dem Verb destinare im plautinischen Sprachgebrauch (Epid. 487; Pers. 667) und setzt das Fr. mit der Satire in Septenaren in B. XXIX in Beziehung, worin Hymnis erwähnt wird. Aber der Ausdruck ac destina, in Aussage und Metrik problematisch und deshalb vielfältig korrigiert, scheint unheilbar verderbt; s. Warmington Fr. 896 Anm. b. 936: che tu sia stato aiutato da me. – Priscianus zitiert das Fr. wegen des passivischen Gebrauchs des Verbs auxilior. – Cichorius (114) und Fiske (1920, 448) nehmen an, die von Lucilius gewährte Hilfe könne ein kritisches Urteil gegenüber einem Freunde sein, der nach literarischem Ruhm strebte. 937: dei teneri asparagi e un cavolo verde. – Cyma, ein griechisches Lehnwort (κῦμα), wird nur von Lucilius im Neutrum verwandt. Bei Celsus (vgl. Non, 195,5), Plinius (nat. 19,137;

    BÜCHER XXVI-XXIX

    359

    936 Priscianus (379): Dass manche Wörter zu den communia gehören, beweisen ihre natürliche Bedeutung und der Sprachgebrauch der alten Autoren, den man nicht kritisieren kann; wir werden Beispiele zitieren, die wir aus verschiedenen Werken sammeln konnten. Lucilius – fr. – , mit passiver Bedeutung, βοηθηθείς. Priscianus (567): ‚Auxilior, auxiliatus‘: βοηθήσας und βοηθηθείς (‚geholfen habend‘ und ‚unterstützt worden seiend‘)

    … dass dir von mir geholfen wurde

    937 Nonius: ‚Cima‘ (der junge Spross am Kohl), im Neutrum, wie Lucilius:

    zarte Spargeln und ein grüner Kohlspross

    938 Nonius: ‚Manducones‘ (Vielfraße), die ‚manduci‘ genannt wurden und ‚mandones‘, ‚Verfressene‘ … Lucilius:

    und all die Schlünde der Vielfraße

    Probus: Wenn jetzt Lucilius sagt:

    939

    er presse die bittersten Säfte der Pflanzen aus

    zeigt das in jedem Falle, dass er den Nominativ ‚hic‘ oder ‚haec austeris‘ (nom. sing. m. oder f.) bildet, nicht ‚hic austerus‘.

    20,90) und Columella (10,129) findet sich die feminine Form (Mariotti 1960, 57). – Winkelsen (2012, 74) versteht mollis im negativen Sinn von ‚matschig’, aber im Allgemeinen hat das Adjektiv in Verbindung mit Früchten und Speisen positiven Sinn; vgl. Verg. ecl. 1,81 castaneae molles, georg. 1,341 mollissima vina. 938: e tutte le gole dei mangioni. – Mando scheint ein lucilianischer, von mandere (kauen, essen) abgeleiteter Neologismus zu sein. Die vollständige Wendung hat Varro aufgegriffen (Bimarcus 53 B): Magna uti tremescat Roma et magnae mandonum gulae. 939: sprema i succhi delle piante più amare. – Eine Person bereitet ein Getränk; vgl. Petron. 88,3 Herbarum omnium sucos Democritus expressit. Die Ableitungen des Probus bezüglich der Nominativform austeris sind kaum glaubwürdig.

    360

    LIBRI XXVI-XXIX

    940– 41 (948–949) Non. 94,4: ‚Coxendices‘, coxas. Lucilius:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – collo caput sustentatur, truncus sustinetur coxendicibus.

    collo caput / sustentatur G. Hermann, Praefatio zu Plaut. Bacch. V : caput collo sustentatur F3 : caput colos temtatur ceteri codd. | coxendicibus edd. : a coxendicibus codd.

    942– 43 (950–951) Serv. Aen. 1,181: ‚Anthea si quem …‘] ‚quem‘ vacat, ut superius diximus istas frequenter vacare particulas … item in Lucilio:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ ecquem Pamphilum quaeris?

    ecquem edd. : et quem codd.

    quem vacat; nam de uno loquebatur. 944 (952) Gell. 1,3,18: ‚contra patriam‘, inquit Cicero, ‚arma pro amico sumenda non sunt‘: hoc profecto nemo ignoravit, et priusquam Theognis, quomodo Lucilius ait, nasceretur.

    hoc, priusquam nasceretur Theognis, omnes noverant.

    septenarium temptavit Marx : nemo nesciit Charpin, susp. Soubiran

    945 (953) Lact. inst. 6,18,6: Itaque viator ille verus ac iustus non dicet illud Lucilianum:

    homini amico et familiari non est mentiri meum.

    946– 47 (954 –55) Non. 66,27: ‚Praeficae‘ dicebantur apud veteres quae adhiberi solent funeri, mercede conductae, ut et flerent et fortia facta laudarent. … Lucilius: libro XXII codd. (sed in hoc libro versus septenarii non inveniuntur) : libro XXVI Cicho­ rius (118), libro XXVII Lachmann 940–41: la testa è sorretta dal collo, il tronco dalle cosce - Vgl. Isid. orig. 11,1,72 Truncus media pars corporis a collo usque ad inguina. De quo Nigidius: caput collo vehitur, truncus sustinetur coxis et genibus cruribusque. S. auch Fr. 162–63. – Lucilius scheint ein volkstümliches geflügeltes Wort, ein Sprichwort wiederzugeben. 942–43: tu cerchi un certo Panfilo? – Das Fr. ruft Ter. Hec. 803f. in Erinnerung: ‚Non sum‘ – ‚At Callidemides?’ – ‚Non‘ – ‚Hospitem equem Pamphilum / hic habes? Deswegen darf man aber nicht die lucilianische Vaterschaft verneinen (Marx II 310f. gegen Lachmann 1876, 91). 944: ciò era noto a tutti, anche prima che Teognide nascesse. – Marx (I 64 im Apparat) hat, ausgehend von der Paraphrase des Gellius, einen Septenar hergestellt. Soubirans Konjektur unterstützt Charpin (III 241 zu Fr. 7) mit dem Argument, nemo nesciit sei näher am Text des Gellius. – Spuren dieses sprichwörlichen Satzes finden sich bei Plut. cum princip. esse

    BÜCHER XXVI-XXIX

    361

    940– 41 Nonius: ‚Coxendices‘ (Hüftknochen), ‚Hüfte‘.

    Der Kopf wird gestützt durch den Hals, der Rumpf durch die Hüften.

    942– 43 Servius: ‚ob er den Antheas …‘] ‚quem‘ ist überflüssig, denn, wie ich schon weiter oben gesagt habe, sind diese Satzteilchen oft überflüssig. … ähnlich bei Lucilius:

    suchst du einen gewissen Pamphilus?

    ‚quem‘ hat keine Aussagekraft, tatsächlich sprach er von einer einzigen Person. 944 Aulus Gellius: ‚Um einen Freund zu verteidigen‘, sagt Cicero, ‚darf man nicht die Waffen gegen das Vaterland erheben.‘ Niemand ignorierte offenkundig diesen Grundsatz, auch nicht bevor Theognis geboren wurde, wie Lucilius sagt.

    Das war allen bekannt, auch schon bevor Theognis geboren wurde.

    945 Laktanz: Deshalb wird der aufrichtige und gerechte Wanderer nicht jenes bekannte Wort des Lucilius sagen:

    Es ist nicht meine Gewohnheit, einen Menschen zu belügen, der mein enger Freund ist.

    946– 47 Nonius: ‚Praeficae‘ (Klageweiber) wurden bei den Alten die Frauen genannt, die für Bezahlung an den Begräbnissen teilnahmen, sei es um zu weinen, sei es um die Verdienste (der Verstorbenen) zu preisen. philos. 2 p. 777 C (vgl. CAF 3, 495K): τὸ δὲ λέγειν ὅτι δύο λόγοι εἰσίν ... ἕωλόν ἐστι καὶ ὑποπτιπτέτω τῷ τοὐτὶ μὲν ᾔδειν πρὶν Θέογνιν γεγονέναι´. 945: non è mio costume mentire a un uomo che è mio amico intimo. – Der zweite Halbvers ist terenzisch (Haut. 549). Das Hendiadyoin homini amico et familiari verleiht der Wendung einen feierlichen Ton. – Cichorius (119) stellt eine Beziehung zum vir bonus et prudens des Horaz her (ars 445), der sich nicht scheut, die versus ... inertis des Freundes zu kritisieren (vgl. auch Fiske 1920/1971, 458f.) Anders Christes 1971, 48 (weiter gefasst, vermutet Zugehörigkeit zu B. XXVI, nach Fr. 632); vgl. Charpin III 241 zu Fr. 8; Haß 2007, 88 und 142. 946–47: le prefiche, che, pagate per piangere nei funerali di un estraneo, si strappano i capelli e si lamentano molto più . – Die Kommentatoren haben die enge Entsprechung zu Hor. ars 431f. beobachtet: Ut qui conducti plorant in funere, dicunt / et faciunt prope plura

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    – mercede quae conductae flent alieno in funere praeficae, multo et capillos scindunt et clamant magis. mercede codd. : ut mercede Mueller, sic mercede Brakman Mnemosyne 60, 1933, 444

    948 (956) Don. Ter. Andr. 914: ‚metuo ut substet hospes‘] ut, ne non. Lucilius:

    tuam ut memoriam retineas – ⏑ – ⏑ – ⏑ – metuam Bentley : tuam A V : tua iam B T C | retineas A : retinebas B T C V

    949–50 (957–58) Serv. Aen. 10,564: ‚tacitis regnavit Amyclis.‘] … unde tacitae Amyclae dictae sunt quod periere silentio. Hinc est quod ait Lucilius:

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ mihi necesse est eloqui, nam scio Amyclas tacendo periisse. – ⏑ – ⏑ –

    eloqui edd. : loqui codd. | periisse edd. : perisse codd.

    951 (959) Gloss (CGL) 2,131,61: ‚muttonium‘, προβασκάνιον. Λουκίλιος. Λουκίλιος edd. : Λούκιος codd.

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – muttonium

    952 (960) Fest. 406,2 L et Paul. Fest. 407,1 L: ‚Sub vitem‘ proeliari dicuntur milites cum sub vinea militari pugnant. Lucilius:

    neque prodire in altum, proeliari sub vitem procul sub vitem procul Scaliger: procul sub vite codd. dolentibus ex animo… Dementsprechend hat Mueller am Anfang des Fr. ut hinzugefügt. – Cichorius (118f.) hat aus der Parallele abgeleitet, dass Lucilius wie Horaz die amici menda­ ces geißelt, die für die Geschenke, die sie erhielten, darauf eingestellt sind, jede beliebige Art eines poetischen Produktes zu loben. Daher sein Vorschlag, die überlieferte Buchzahl XXII, die nicht akezptabel ist, weil B. XXII keine Septenare enthält, in XXVI zu ändern; s. dort Fr. 632, vgl. Christes 1971, 47f. 948: temo che tu non serbi la memoria ... – Warmington (Fr. 698) weist das Fr. B. XXVI zu; vgl. auch Terzaghi 1934/1970, 1144. – Warmington (a. O.) übersetzt ut memoriam retineas mit „you do not keep in mind“, aber mit Recht verweist Christes (1971, 86) auf Cic. Mil. 101; Caes. Gall. 2,21,2, Sen. dial. 6,3,2 und Tac. hist. 3,68,2, wo memoriam retinere ‚die Erinnerung bewahren‘ bedeutet. – Das von Warmington (a. O.) und Terzaghi (1934/1970) 111) B. XXVI zugewiesene Fr. fügt Christes (a. O.) in die Einleitungssatire ein. 949–50: bisogna che io parli, perché so che Amiclae per il suo silenzio andò in rovina. – Es gibt zwei bekannte Städte mit dem Namen Amyclae: eine, die in Lakonien liegt, die andere in Latium; vgl. M. Cancellieri, s.v. Amicle, in: Enciclopedia Virgiliana I, Roma 1984, 136–137. Das in Frage stehende Amyclae scheint das italische zu sein. – Servius bietet zwei

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    Die Klageweiber, die, dafür bezahlt, bei Begräbnissen eines Fremden zu weinen, zerraufen ihre Haare und klagen weit mehr (als die Verwandten). 948 Donatus: ‚ich habe Angst, dass der Fremde nicht standhält.‘] ‚ut‘, im Sinne von ‚ne non‘.

    Ich fürchte, dass du nicht die Erinnerung bewahrst

    949–50 Servius: ‚er herrschte über das ruhige Amyclae:‘] Amyclae wurde ‚ruhig‘ genannt, weil es durch Schweigen zugrunde ging. Daher kommt es, dass Lucilius sagt:

    Ich muss reden, denn ich weiß, dass Amyclae durch sein Schweigen unterging.

    951 Glossarium: ‚muttonium‘ (männliches Glied), Amulett.

    der Phallus 952 Festus und Paulus, epitome Festi: Man sagt, dass die Soldaten ‚sub vitem‘ (unter der Weinrebe) kämpfen, wenn sie unter der militärischen ‚vinea‘ (dem Schutzdach) kämpfen.

    nicht hinaufrücken, von fern unter dem Schutzdach kämpfen

    Erklärungen für sein Schweigen an. Die erste lautet, dass die Bewohner, die Pythagoreer waren, ihr Schweigen kultivierten, die zweite, dass sie per Gesetz verboten, vom Feinde zu reden und infolgedessen umkamen, als der Feind überraschend über sie kam (Afran. 275 R; Sil. 8,528). – Cichorius (1191) wies das Fr. B. XXVI zu; so auch Christes 1971, 79, der es an den Anfang der Einleitungssatire setzt, als Gegenstück zu Hor. sat. 2,1,6f. S. auch Mondin 2013, 46. 951: il fallo. – Muttonium (mutunium), abgeleitet von mutto (Lucil. Fr. 308; Hor. sat. 1,2,68) findet sich auch in pompejanischen Graffiti (CIL IV 1939, 1940); bei Martial (3,73,1. 11,63,2). und im Corpus Priapeorum (52,10) begegnet die Ableitung mutuniatus. Hier, dem Glossarium zufolge, ist ein phallisches Amulett gemeint; vgl. Adams (s. zu Fr. 935) 63. Terzaghi (1934/19)70, 210 vermutet eine Zugehörigkeit des Fr. zu B. XXIX, der Hymnis-Thematik, s. die Fragmente 845–851. 952: non avanzare verso l’alto, combattere da lontano sotto la tettoia. – Der Ausdruck sub vitem im Sinne von sub vinea gehört zur militärischen Sprache. Lucilius verwendet ihn auch in Fr. 1248. – Terzaghi (1934/1970, 1114) vermutet aufgrund der Entsprechung zu Fr. 597–98 die Zugehörigkeit zu B. XXVI.

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    953 (961) Prisc. GL 2,338, : Naevius neutraliter ‚hoc Samnite‘ protulit in carmine belli Punici … Lucilius tamen: ὠμοτριβές oleum Casinas. pro ‚Casinate‘. ὠμοτριβές B : ομωτριβε r : ομωριος R : ομοτριος G : ομογριος D ομοττριος H ομοτριως K | casinas edd. : cassinas R H : casinatis K : cassinatis G

    954 (962) Don. Ter. Ad. 295: ‚E re nata‘] sic proprie dicimus de his quae contra voluntatem nostram acciderunt, ut nunc vitium virginis; ergo ‚e re nata‘, ex vitio virginis. Sic Lucilius:

    – ⏑ puer hic e re nata sic eis dedit, haud malus [est] eis Krenkel : eius codd. | malus Marx : malus est codd.

    955–56 (963–64) Fest. 334,28 L: ‚Redarguisse‘ per ‚e‘ litteram Scipio Africanus, Pauli filius, dicitur enuntiasse, ut idem etiam pertisum; cuius meminit Lucilius cum ait:

    quo facetior videare et scire plus quam ceteri pertisum hominem, non pertaesum, dicere humanum genus. hominem codd.: hominum Mueller| humanum genus Marx: ferum nam genus codd.

    957 (965) Fest. 344,14 L et Paul. Fest. 345,6 L: ‚Remeligenes‘ et ‚remorae‘ a remorando dictae… et Lucilius:

    Quaenam vox ex tuo ore resonans meo gradu remoram facit? quae nam codd. : quoia nam Marx | ex tuo ore Hardie CQ. 5 (1911) 104 : ex te codd. : ex tete Mueller

    953: l’olio di Cassino, fatto di olive acerbe. – Das Öl von Cassino wurde von Varro als das beste in Italien angesehen; vgl. Macr. Sat. 3,16,12. – Das griechische Wort ὠμοτριβές (aus grünen Oliven gepresst) wird von Theophrast (odor. 15) bezeugt; s. Mariotti 1960, 50. 954: allora, date le circostanze, il ragazzo, non sciocco, rispose loro così. – Krenkels Korrektur eis (für überliefertes eius) wird der Metrik gerecht und ergibt einen Sinn. Ebenso ist die von Marx vorgenommene Athetierung von est gerechtfertigt, bedenkt man, dass haud malus wahrscheinlich eine Klausel des trochäischen Septenars war; vgl. Plaut. Rud. 35. – Die Litotes verleiht der Figur des jungen Sklaven eine gewisse Herausgehobenheit vgl. Fr. 576–77 (neque inutilis). – sic dedit: = sic dixit; vgl. Fr. 762 und 1024. Hic ist Adverb. Zu e re nata vgl. Apul. met. 4,14,4 Tunc e re nata suptile consilium ego et iste Babulus tale comminiscimur.

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    953 Priscianus: Naevius verwandte ‚hoc Samnite‘ (das Samnitische) in seiner Dichtung über den Punischen Krieg im Neutrum. Lucilius

    das Öl von Cassino, aus grünen Oliven gepresst.

    anstelle von ‚Casinate‘.

    954 Donatus: ‚unter diesen Umständen ‚] Wir drücken uns eigentlich in diesen Termini angesichts von Ereignissen aus, die gegen unseren Willen geschehen, wie, im vorliegenden Falle, die Verletzung der Jungfrau; deshalb meint ‚e re nata‘ ‚da die Verletzung der Jungfrau gegeben ist‘. So Lucilius:

    Da antwortete, unter diesen Umständen, der Knabe, kein Dummkopf, ihnen Folgendes.

    955–56 Festus: ‚Redarguisse‘ (widerlegt haben), soll Scipio Africanus, Sohn des Paulus, mit ‚e‘ ausgesprochen haben, und so auch ‚pertisum‘. Lucilius spielt darauf an, wenn er sagt:

    Um liebenswürdiger und gebildeter als die anderen zu erscheinen, (behauptest du), das Menschengeschlecht sage von einer Person pertisum (verdrüßlich), nicht pertaesum (verdrießlich).

    ‚verdrüßlich … verdrießlich‘:Krenkels hübscher Einfall (Fr. 971–72).

    957 Festus und Paulus, epitome Festi: ‚Remeligenes‘ (Aufhalterinnen, Verzögerinnen) und ‚remorae‘ (Verzögerungen) kommen von ‚remorari‘ (sich aufhalten, aufhalten). …

    Was für ein Ton ist das, der, aus deinem Munde schallend, meine Schritte anhalten lässt?

    955–56: per apparire più garbato e più dotto degli altri, che la gente dice di un uomo pertisum, non pertaesum. – Die Herstellung des zweiten Versendes ist problematisch. Marx‘ Korrektur hat den Vorteil einer plausiblen Interpretation des Fragments. – Die geistvolle Kritik des Lucilius an den puristischen Marotten Scipios bezeugt die Ehrlichkeit ihres Verhältnisses und die vollkommene Unabhängigkeit des Dichters gegenüber dem bedeutenden Staatsmann, wie sie im Übrigen Horaz (sat. 2,1,71–74) attestiert; vgl. Zuchelli 1977, 116f.; Gruen 1992, 283. Im vorliegenden Fall wird die Berechtigung der Kritik des Lucilius bestätigt durch Cic. orat. 159 Ex quo quidem pertisum etiam volunt, quod eadem consuetudo non probavit; vgl. Puelma Piwonka 1949, 13. 957: che suono è questo, che, risuonando dalla tua bocca, ritarda i miei passi? – Da dem Vers eine Silbe fehlt, ändert Marx überliefertes quae nam in quoia nam. Aber – so Housman 1907,

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    958 (966) Serv. auct. Aen. 6,1: ‚Classis‘ dicitur vel quod fiat de fustibus; calas enim dicebant maiores nostri fustes quos portabant servi sequentes dominos ad proelium; unde etiam calones dicebantur; nam consuetudo erat militis Romani, ut ipse sibi arma portaret, ipse vallum; vallum autem dicebant calam, sicut Lucilius:

    scinde calam, ut caleas – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ –

    id est ‚o puer, frange fustes et fac focum‘.

    959 (967) Auson. 341 P: ‚Pythagora Euphorbi, reparas qui semina rerum corporibusque novis das reduces animas, dic quid erit Marcus iam fata novissima functus si redeat uitam rursus in aeriam?’ ‚Quis Marcus? Feles nuper pullaria dictus corrupit totum qui puerile secus, perversae Veneris postico uolnere fossor Lucili uatis subpilo, pullipremo‘. ‚Non taurus, non mulus erit, non hippocamelus, non caper aut aries, sed scarabaeus erit.‘ subpilo codd. : subulo Ferrarius | pullipremo Mueller. : pullo premor codd. : pulliprema Scaliger

    960–61 (978–79) Non. 274,9: ‚Curatum‘, cum dilectu apparatum. Lucilius lib. [XXX]: lib. XXX codd., Marx [sed versus septenarii in hoc libro non inveniuntur] : lib. XXIX Mueller, Lindsay, Garbugino 1985, 50. 71. 170f.

    et circum volitant ficedulae, turdi, curati cocis

    ficedulae Warmington : ficetulae codd. : ficedula Lachmann, Marx | curati cocis Mueller : curatis coci codd. : curati os cocti Marx – Marx constituit heroum in lib. XXX: – ⏑ ⏑ et circum volitant ficedula, turdi / curati os cocti 59 – quoia ist kein Synonym von qualis und erscheint hier in Anbetracht der Verbindung ex te als überflüssig. Hardie’s Konjektur ex tuo ore ist metrisch akzeptabel („tuo can be a monosyllable, and can suffer elision“) und verdient paläographisch gesehen – Haplographie von extuooreresonans – und hinsichtlich des Sinns den Vorzug. 958: rompi la legna per scaldarti ... . – Es handelt sich um ein – wahrscheinlich sprichwörtliches – Wortspiel. – Das Fr. ist das einzige literarische Zeugnis für cala, eine Anleihe der Alltagssprache beim Neutrum Plural κᾶλα, „legna, legname da lavoro” (Mariotti 1960, 66). 959: Pitagora di Euforbo, che fai rivivere i principi delle cose e che assegni le anime rein­ carnate ai nuovi corpi, dimmi: che cosa sarà di Marco quando avrà compiuto il suo destino, se tornerà a vivere nelle regioni dell’aria? Quale Marco? Quello che poco fa era detto la faina dei fanciulli, che ha corrotto tutti i ragazzi, quel fornicatore che spinto da una passione

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    958 Servius auctus: ‚Classis‘ (Flotte) sagt man, weil sie aus Holzstücken hergestellt wird; unsere Vorfahren nannten nämlich ‚calae‘ (Holzstücke, Brennholz) die Hölzer, welche die Sklaven trugen, die ihren Herren zum Kampfe folgten; deshalb wurden sie auch ‚calones‘ (Trossknechte) genannt; denn es war Brauch des römischen Soldaten, dass er selbst seine Waffen trug, selbst den Schanzpfahl, den Schanzpfahl aber nannten sie ‚cala‘; so Lucilius:

    spalte Holz, um dich aufzuwärmen …

    959 Ausonius: „Pythagoras, Sohn des Euphorbos, der du die Urspünge der Dinge zu neuem Le­ ben erweckst, der du die wiedergeborenen Seelen neuen Körpern zuweist, sag mir: was wird Marcus sein, wenn er sein Schicksal erfüllt hat, wenn er zurückkehrt, um in den Regionen des Lichts zu leben?“ „Was für ein Marcus? Jener, der so­ eben erst Kindermarder genannt wurde, der alle Knaben missbraucht hat, jener Schänder, der, getrieben von einer perversen Lust, von hinten eindrang, jener, um es mit den Worten des Dichters Lucilius zu sagen, Enthaarer, Knabenschänder? Nicht Stier wird er sein, nicht Maultier, nicht Pferdekamel, nicht Ziegenbock oder Widder, sondern ein Skarabäus.“

    960–61 Nonius: ‚Curatum‘ (mit Sorgfalt behandelt), ‚mit Kunstfertigkeit zubereitet‘.

    und umher fliegen Drosseln und Tauben, auf den Punkt genau zubereitet von den Köchen …

    perversa penetrava dal didietro, quel , per dirlo con le parole di Lucilio poeta, depilatore, pederasta? Non sarà toro, non sarà mulo, non ippocamelo, non capro o ariete, ma scara­ beo! – Die von Ausonius dem Lucilius zugeschriebenen Attribute sind von unsicherer Lesart. Die Herausgeber des Ausonius setzen zumeist die crux desperationis. Marx und die auf ihn folgenden Editoren lesen subpilo, pullo, premo. L. Muellers Konjektur pullipremo ist jedoch wohl vorzuziehen; vgl. Adams (s. zu Fr. 935), 182. Mueller korrigiert auch subpilo zu subu­ lo; vgl. Adams (a.a.O.), 43. 960–61: e intorno svolazzano beccafichi e tordi preparati a puntino dai cuochi. – Der jambisch-trochäische Rhythmus des Verses widerspricht der Zuweisung des Fr. durch die Handschriften zu B. XXX. Die vorgeschlagenen Verbesserungen mit dem Ziele, einen Hexameter herzustellen, überzeugen nicht. Das gilt für ficedula, was Lachmann einführte und Charpin

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    DUBIA 962 (968) Gloss. (CGL) 5,58,39: ‚Cordipugis versibus‘, litteris corda pungentibus.

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – cordipugis versibus

    963 (969) Non. 274,23: ‚Conducere‘ … utile esse:

    solus vero soli quid re et quaestu conducat suo

    quaestu ed. pr. : quaesti codd. | suo codd. : scio Onions

    964 (977 Krenkel) Cicero off. 3,58f.: C. Canius, eques Romanus, nec infacetus et satis litteratus, cum se Syracusas otiandi, ut ipse dicere solebat, non negotiandi causa contulissent dictitabat se hortulos aliquos emere velle, quo invitare amicos et ubi se oblectare sine interpellatoribus posset. Quod cum percrebuisset, Pythius ei quidam, qui argentariam faceret Syracusis, venales quidem se hortos non habere, sed licere uti Canio, si vellet, ut suis, et simul ad cenam hominem in hortos invitavit in posterum diem. Cum ille promisisset, tum Pythius, qui esset ut argentarius apud omnes ordines gratiosus, piscatores ad se convocavit et ab iis petivit ut ante suos hortulos postridie piscarentur, dixitque quid eos facere vellet. Ad cenam tempori venit Canius; opipare a Pythio adparatum convivium, cumbarum ante oculos multitudo, pro se quisque, quod ceperat, adferebat; ante pedes Pythi pisces abiciebantur. Tum Canius: ‚Quaeso‘ inquit ‚quid est hoc, Pythi? Tantumne piscium? Tantumne cumba­ rum?‘ Et ille: ‚Quid mirum?‘ inquit ‚Hoc loco est Syracusis quicquid est piscium, hic aquatio, hac villa isti carere non possunt‘. Incensus Canius cupiditate contendit

    (III 218f. zu Fr. 54) als generalisierenden Singular verteidigte, wie auch für Marx‘ curati os cocti, dass unter paläographischem Gesichtspunkt nur schwer zu rechtfertigen ist. – Im Übrigen bleibt die Einordnung in eines der Bücher XXVI–XXIX problematisch. Wenn, wie Charpin glaubt, circumvolitare bildlich gemeint ist, kann man an die Beschreibung eines Banketts denken. Aber der von Marx (II 318f.) mit Pherecr. CAF I p. 175,22 K. angestellte Vergleich ist nicht abwegig, wo ein aus der Unterwelt zurückgekehrter Mensch ein Schla­ raffenland beschreibt. 962: con versi che colpiscono il cuore. – Baehrens (FPR p. 266 n. 943) teilt das Fr. Lucilius aufgrund des Vergleichs mit noctipuga (Fr. 1205) zu. Aber das ἅπαξ cordipugus scheint anders als noctipuga eine ernstgemeinte Bildung zu sein, die wahrscheinlich das epische Adjektiv θυμαλγής übersetzen will; s. Mariotti 1960, 45. 963: ma lui da solo a solo che cosa giova al suo patrimonio e al suo interesse. – Die Zuteilung des von Nonius ohne den Namen des Autors zitierten Fr. an Lucilius ist plausibel, weil auch das vorausgehend zitierte Fr. Lucilius gehört (Fr. 973). – Zur Konstruktion solus vero soli s. Plaut. Asin . 500 f. absente ero solus mihi talentum argenti soli / adnumeravit.

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    ZWEIFELHAFTES 962 Glossarium: ‚Cordipugis versibus‘, mit Worten, die das Herz treffen.

    mit Versen, die das Herz treffen

    963 Nonius: ‚Conducere‘ (zuträglich sein), ‚nützlich sein‘.

    aber (er wird sagen) allein ihm allein, was seinem Besitz und seinem Interesse nützlich ist.

    964 Cicero: Als C. Canius, ein römischer Ritter, ein Mann nicht ohne Witz und einige Bildung, sich nach Syrakus begeben hatte – zu seiner Erholung, wie er selbst zu sagen pflegte, nicht, um Geschäfte zu machen –, ließ er immer wieder ins Gespräch einfließen, er wolle irgendeinen Park kaufen, in den er Freunde einladen und wo er sich ohne ungebetene Gäste ergehen könne. Als sich dies herumgesprochen hatte, sagte ein gewisser Pythius, der in Syrakus ein Bankgeschäft betrieb, er habe zwar keinen Park zu verkaufen, aber Canius dürfe, wenn er wolle, sich in dem seinen wie zu Hause fühlen, und zugleich lud er ihn zu einem Essen für den folgenden Tag in seinen Park ein. Als jener zugesagt hatte, rief Pythius, der ja als ein Bankbesitzer bei allen Ständen angesehen war, Fischer zusammen und ersuchte sie, tags darauf vor seinem Park zu fischen. Auch sagte er ihnen, was sie nach seinem Wunsche tun sollten, Canius kam zur abgemachten Zeit: ein prachtvolles Gastmahl ist von Pythius zubereitet, vor seinen Augen ein Gewimmel von Booten, ein jeder brachte an, so gut er konnte, was er gefangen hatte; vor die Füße des Pythius wurden die Fische geworfen. Da sagte Canius: „Ich bitte dich, was soll das bedeuten, Pythius? so viele Fische? So viele Boote?“ Und jener sagte: „Warum wunderst du dich? Von hier bezieht Syrakus alle Fische, hier liegt seine Wasserversorgung, die können auf dieses Anwesen nicht verzichten.“ Begeistert bittet 964: andava raccontando di volere comprare una piccola villa. . . . . . . lo invitò a cena in villa per il giorno dopo. . . . . . . ... gli amici; Canio il giorno dopo / venne puntualmente a cena. – Die von Cichorius (1922/1961, 71f.) getroffene Zuweisung an Lucilius ist plausibel. Es handelt sich um eine Begebenheit, die sich zu Lebzeiten des Dichters zutrug, und um eine Person aus seinem Umkreis: C. Canius verteidigte im J. 107 v. Chr. den P. Rutilius Rufus, einen Legaten im Umfeld der Scipionen, gegen Anklagen, die M. Aemilius Scaurus gegen ihn angestrengt hatte (Cic. de orat. 2,280). Es ist unter anderem bedeutungsvoll, dass sich die Episode in Sizilien abspielte, wo Lucilius Güter besaß und wahrscheinlich auf einige Zeit gelebt hat (vgl. Iter Siculum; s. Christes 1972, 1198 – doch s. auch die Erl. zu Fr.112–13). – Zu der Möglichkeit, dass Cicero die in Frage stehenden Sätze unmittelbar aus Lucilius geschöpft haben kann, vgl. Nordens Beobachtung (zitiert von Cichorius a. O.): „Es hat den Anschein, als ob hie und da trochäische Septenare durchschimmern.“ 965: consumato da una spaventosa magrezza. – Nonius (p. 270,31) bezeugt als lucilianisch den Gebrauch des nicht allgemein üblichen Adjektivs vegrandis (Fr. 585) im Sinne von val­ de grande, der eine Entsprechung bei Persius (1,97) findet; vgl. Terzaghi 1934/1970, 1274;

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    a Pythio, ut venderet. Gravate ille primo. Quid multa? Impetrat. Emit homo cupidus et locuples tanti, quanti Pythius voluit, et emit instructos; nomina facit, negotium conficit. Invitat Canius postridie familiares suos, venit ipse mature, scalmum nullum videt. Quaerit ex proximo vicino, num feriae quaedam piscatorum essent, quod eos nullos videret. ‚Nullae, quod sciam‘, ille inquit ‚sed hic piscari nulli solent; itaque heri mirabar quid accidisset‘. Stomachari Canius, sed quid faceret?

    hortulos se dictitabat aliquos emere – ⏑ – .................... hominem in hortos invitavit in posterum diem .................... familiares; Canius postridie / ad cenam venit tempori Lucilio tribuit Cichorius 1922/1961, 70–72.

    965 (979 Krenkel) Cicero leg. agr. 2,93: Erant hostiae maiores in foro constitutae, quae ab his praetoribus de tribunali, sicut a nobis consulibus, de consili sententia probatae ad praeconem et ad tibicinem immolabantur. Deinde patres conscripti vocabantur. Iam vero voltum Considi videre ferendum vix erat. Quem hominem ‚vegrandi macie torridum‘ Romae contemptum, abiectum videbamus, hunc Capuae Campano fastidio ac regio spiritu cum videremus, Blossios mihi videbar illos videre ac Vibellios.

    – ⏑ – ⏑ – ⏑ – vegrandi macie torridum ut locum antiqui scriptoris agnoscit C. Pascal, Studi sugli scrittori latini, Torino 1900, 54; Lucilio tribuit I. Mariotti, ‚Vegrandis‘, ,vescus‘ e Ovid. fast. 3, 445 sg., SIFC 33 (1961), 118–119

    [980–981 Krenkel]

    V. Lact. epitom. inst. 64,7–8.

    Christes 1971, 94. – Als im Jahre 83 v. Chr. M. Iunius Brutus eine Kolonie in Capua gründete, wurden L. Considius und S. Saltius dort als duumviri eingesetzt. Cicero veranschaulicht seine Feindschaft gegen Considius durch den Vergleich mit den fratres Blossi (Liv. 27,3,4) und mit Cerrinus Vibellius Taurea (Liv. 26,15,11–16,4), beispielhaften Verrätern kampanischen Ursprungs. [980–81]: Die Verse 980–81 Krenkel sind meiner Ansicht nach nicht lucilianisch. Krenkel zitiert Kap. 64 (nicht 59, wie er irrtümlich angibt) und verweilt besonders bei quae (sc. veri­

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    Canius Pythius, er möchte ihm verkaufen. Jener gibt sich zunächst spröde. Doch was soll ich viel erzählen? Er setzt sich durch. Der begüterte Mann kauft in seiner Begeisterung so teuer, wie Pythius wollte, und zwar mitsamt der Einrichtung. Er unterschreibt, schließt das Geschäft ab. Da lädt tags darauf Canius seine Freunde ein, kommt selbst früh, sieht aber nicht ein Ruder. Er fragt den nächsten Nachbarn, ob die Fischer einen Feiertag hätten, weil er keinen von ihnen sähe. „Nein, soviel ich weiß“, antwortet jener, „aber hier pflegt niemand zu fischen. Deshalb wunderte ich mich gestern, was geschehen sei.“ Da stieß dem Canius die Galle auf. Aber was hätte er tun sollen?  (Übers.: H. Gunermann [reclam 6881])

    Er erzählte immer wieder, er wolle eine kleine Villa kaufen. . . . . . . Er lud ihn zum Mahl in die Villa ein für den folgenden Tag. . . . . . . … die Freunde; Canius kam am Tag darauf pünktlich zum Gastmahl.

    965 Cicero: Ausgewachsene Opfertiere wurden auf dem Forum aufgestellt, die, für gut befunden, auf Beschluss des Rates, von diesen ‚Prätoren‘ von der Höhe ihres Tribunals aus, wie von uns, den Konsuln, zum Ruf des Herolds und zur Musik des Flötisten geopfert wurden. Alsdann wurden die Senatoren einberufen. Aber es war da schon kaum der Anblick des Stirnrunzelns des Cosidius zu ertragen. Dieser Mensch, verzehrt von einer erschreckenden Magerkeit, den wir in Rom schon als verachtetes und gedemütigtes Individuum erlebt hatten, als ich den in Capua mit all seiner kampanischen Arroganz und all seinem Hochmut eines Alleinherrschers erblickte, da war mir, als sähe ich die übelberüchtigten Blossier und Vibellier.

    verzehrt von einer erschreckenden Magerkeit

    S. Lact. epitom. inst. 64,7f.

    [980–81 Krenkel]

    tas) sit ad praesens insuavis, tamen, cum fructus eius atque utilitas apparuerit, non odium pariet, ut ait poeta, sed gratiam. Er hält den in Frage stehende Dichter für Lucilius, weil Laktanz Fr. 945 homini amico et familiari non est mentiri meum zitiert. Aber unbeschadet der inhaltlichen Nähe handelt es sich, wie die Herausgeber des Laktanz schon sahen, um eine wörtliche Bezugnahme auf Ter. Andr. 68 obsequium amicos, veritas odium parit. Lak­ tanz zitiert Terenz, um seine Behauptung zu verneinen: „ non odium pariet, , sed gratiam“.

    LIBER XXX Für Buch XXX lassen sich neun, folgt man Garbugino, zehn Themenkomplexe ausmachen: A. Preis eines Feldherrn B. Tagespolitik C. Il valore del tempo e la caducità della vita (Garbugino) D. Ein schäbiges Gastmahl E. Über die Frauen F. Verteidigung der Satire G. Eine Frau und ihre Versuchungen H. Fabel vom kranken Löwen und der Füchsin I. Spanische Kriegsanekdoten J. Erinnerung an literarische Anerkennung und Dank Die hier gebotene Reihenfolge dieser Themen wird zum Teil durch Noniusreihen gestützt (s. Appendix): Aus der Fragmentreihe Non. p. 34 f. ergibt sich die Reihenfolge der Themen B (980–990–992) – D ( – 994) – G ( – 1041–1051). Aus der Reihe Non. p. 117 f. (998–99 [D] – 1052–53 [E]) ergibt sich, dass erst an einer Position hinter Thema D das Thema E einzuordnen ist. Non. p. 462 schließlich bezeugt die Reihenfolge G (1050) vor I ( – 1080). Danach sind bisher diese Themenabfolgen möglich: B – D – E – G – I oder B – D – G – E – I oder B – D – G – I – E. Nicht einbinden lässt sich die durch Non. p. 175 verbürgte Reihenfolge der Themen F (1007) vor J (– 1090). Non. p. 274 bietet die Reihe 960–61–973–1078. Davon gehört Fr. 960–61 wahrscheinlich in Buch XXIX (Garbugino 1985, 50 und 170 f.; anders noch 1980, 96– 98), fällt also aus der Reihe heraus. Fr. 973 wird einhellig dem Thema A zugewiesen. Dieselbe Zuordnung habe ich auch für Fr. 1078 vertreten (Christes 1971, 143), doch rücke ich hiervon ab (s. die Erl. zum Fr.) und schließe mich der communis opinio an, die das Fr. Thema I zuweist. Alle anderen Hinweise, die die Zitierweise des Nonius gibt (pp. 160, 330, 420, 493; m. E. auch p. 350: s. Anm. 5 zur Appendix lex Lindsay), sind nur für die Binnenstruktur je einer Thematik hilfreich. Meine frühere These (1971, 142–144), dass die Themen A, F und J zusammenzunehmen seien und einen Epilog zur Sammlung der Bücher XXVI–XXX darstellten, der bald nach Scipios plötzlichem Tod (129 v. Chr.) geschrieben worden sei, und zwar in der Absicht, ihm mit der Sammlung ein Denkmal zu setzen, kann ich in dieser Form nicht aufrechterhalten; denn nach Non. p. 274 wird Thema A (Preis eines Feldherrn), wenn man für die Themen F (Verteidigung der Satire) und J (Erinnerung an literarische Anerkennung) an ihrer Endstellung im Buch festhält, von ihnen durch Thema I getrennt. Aber auch für Thema F möchte ich nicht mehr an meiner früheren These festhalten. Garbuginos Argument (1980, 98 und 100), dass auch Thema F nicht mit Thema J zusammengehen könne, weil Thema G (wegen Non. p. 274 Fr. 866–67) dazwischentrete, ist zwar mit der Zuweisung

    Buch XXX dieses Fr. zu Buch XXIX (s. o.) hinfällig, doch sticht ein Argument, das schon in Buch XXVI bei der Trennung der Epos-recusatio in der Einleitungssatire und der Polemik gegen die Tragödie galt (s. Einführung zu Buch XXVI): die scharfe Polemik in Thema F verträgt sich nicht mit der fast intimen Stimmung des Themas J. Stattdessen gebe ich Garbuginos Anordnung den Vorzug, der das Thema ‚Verteidigung der Satire‘ mitten ins Buch stellt, das Thema ‚Preis eines Feldherrn‘ an den Anfang setzt (so schon Puelma Piwonka 1949, 155) und das Thema ‚Erinnerung an literarische Anerkennung und Dank‘ am Ende belässt. Inwieweit ist ein Thema mit einer Satire identisch? Die Prüfung der einzelnen Fragmente hat mich mehr und mehr dazu gebracht, von Garbuginos These eines selbständigen Themas C abzurücken. Ferner sehe ich keinen Grund, der dagegen spräche, die beiden Frauen-Themen E und G zu einer Satire ‚Über die Frauen‘ zusammenzufassen (Garbugino 1985, 111); sie können sich, setzt man die Reihenfolge G vor E voraus, wie Illustration und grundsätzliche Erörterung zueinander verhalten (Christes 1986, 101). Thema H (Fabel vom kranken Löwen und der Füchsin) kann keine selbständige Satire gewesen sein; es kann zu Thema I oder zu den Themen G/E gehören. In der Antike war der Fuchs grundsätzlich femininen Geschlechts; deswegen braucht sich aber die Anekdote nicht auf die F r a u in Thema G zu beziehen. Vielleicht hat sich der ehefeindlich eingestellte Dichter mit der klugen Füchsin verglichen (Christes 1986, 101 f.) – In dieser Ausgabe ist die Fabel zwar mit einer eigenen Überschrift versehen, aber ohne Zählung als Satire zwischen die Satiren 5 und 6 gestellt. Insgesamt wird also von 7 Satiren des Buches XXX ausgegangen: 1. Preis eines Feldherrn (966–976) 2. Tagespolitik (977–991) 3. Ein schäbiges Gastmahl (992–1006) 4. Verteidigung der Satire (1007–1032) 5. Über die Frauen (1033–1065) 6. Fabel vom kranken Löwen und der Füchsin (1066–1077) 7. Spanische Kriegsanekdoten (1078–1084) 8. Erinnerung an literarische Anerkennung und Dank (1085–1090) Der Satire 4 scheint Horaz zahlreiche Anregungen für seine Satire 1,4 zu verdanken (s. die Erläuterungen). Schließlich muss noch folgende Frage weiterer Diskussion überantwortet werden: Garbugino ist zwar zu der schon von Marx (und u. a. Terzaghi 1934/1970, 217 f.) vertretenen These zurückgekehrt, dass der Adressat der nun am Anfang und Ende des Buches stehenden Satiren Scipio Aemilianus ist, doch beharrt er darauf, dass Lucilius mit ihnen seinen noch lebenden Freund anspricht. Seine Argumente, mit denen er zu Marx’ Ansatz einer Publikation der ersten Sammlung schon vor 129 v. Chr. zurückkehrt (1985, 47– 49), haben mich nicht überzeugt. Es hängt viel

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    davon ab, worauf man mehr Gewicht legt: Stand für Lucilius im Vordergrund, sich vom „παίγνιον alessandrino“ inspirieren zu lassen (Garbugino 1980, 96 f.), oder ging ihm, unbeschadet seiner Vertrautheit mit den künstlerischen Prinzipien der alexandrinischen Dichtung, persönliche Unabhängigkeit über alles? Dann lässt sich der episch hohe Klang der Eingangssatire dieses Buches und die geradezu ehrfurchtsvolle Sprache der Schlusssatire – durchaus mit Epilogcharakter zumindest für dieses anscheinend besonders sorgfältig komponierte Buch, eher aber für das ganze Korpus (s. zu Fr. 974) – überhaupt nur verstehen, wenn sie sich an den I 966–67 (1080–81) Non. 287,28: ‚Dicare‘, indicare, nuntiare. Lucilius lib. XXX:

    sicubi ad auris fama tuam pugnam claram adlata dicasset.

    auris edd. : auri codd. | claram Baehrens : claram Marx | adlata Lipsius : adlatam AA CA DA : illatam G

    968–69 (1082–83) Non. 292,7: ‚Exanclare‘ etiam significat perpeti. … Lucilius lib. XXX:

    quantas quoque modo aerumnas quantosque labores exanclaris.

    970 (1079) Non. 323,30: ‚Invadere‘ est adpetenter incipere. … Lucilius lib. XXX:

    ut semel in caeli pugnas te invadere vidi, in pugnas, Caeli, te Marx

    → fr. 1109 ?

    Lit. zu B. XXX: Cichorius 181–219; Christes 1971, 141–200; Garbugino 1980; Garbugino 1985. Lit. zu I: Puelma Piwonka 1949, 150–160; Christes 2001, 53–60; Haß 2007, 210–214. 966–67: dicasset: hier als iterativer Konjunktiv verstanden, s. Kühner-Stegmann II 398, § 214,3. Als Irrealis verstehen ihn Schmitt 1914, 82, Garbugino 1985, 73 f. und Charpin III 204 f. zu Fr. 10. Aber gerät dann nicht das Nicht-Eintreffen der Kunde zur Entschuldigung, dass der Dichter sich des Stoffes nicht annahm? – Marx (II 345 zu Fr. 1080–81) ergänzt den Satz wie folgt: „Ego Lucilius paratus eram cartis et calamo canere laudem tuam et gloriam, …“; s. auch Cichorius 184, Christes 1971, 180 f.

    Buch XXX

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    hochgestellten und kürzlich verstorbenen Freund richtet, den er ehren und zu dessen memoria er auf seine Weise beitragen wollte. Cichorius’ These jedenfalls – er nimmt dabei die Themen ‚Literarische Anerkennung‘ und ‚Preis eines Feldherrn‘ zusammen –, der Dichter habe nach Scipios Tode in C. Sempronius Tuditanus, dem Feldherrn im Istrischen Krieg des Jahres 129 v. Chr., einen neuen Gönner zu gewinnen gesucht (a. O. 181–192, zustimmend noch Charpin – s. zu den entsprechenden Fragmenten), halte ich für unvereinbar mit Einstellung und gesellschaftlicher Stellung unseres Satirikers. 1. Preis eines Feldherrn 966–67 Nonius: ‚Dicare‘ (feierlich verkünden), ‚anzeigen, melden‘.

    sooft irgendwo die Kunde zu meinen Ohren drang und mir von deinem glorreichen Kampf kündete.

    968–69 Nonius: ‚Exanclare‘ (ausschöpfen) bedeutet auch ‚erdulden‘.

    wie große Drangsal und auf welche Weise, und wie große Mühen du hast erdulden müssen.

    970 Nonius: ‚Invadere‘ (nach einem Orte hingehen; eindringen) meint ‚begierig beginnen‘.

    sobald ich einmal erlebt hatte, dass du in Kämpfe eintratest, die den Himmel stürmen,

    968–69: Vgl. Enn. trag. 103 J. quantis cum aerumnis illum exanclavi diem. – Lucilius spielt vielleicht auf die innerpolitischen Kämpfe an, die Scipio nach seiner Rückkehr aus Spanien bestehen musste (Christes 1971, 179 f.). 970: Die Übersetzung folgt Puelma Piwonka (1949, 151), der die singuläre Wendung caeli pugnae als caelestes, divinae pugnae interpretiert. Weiteres, u. a. auch über die Deutungen, die von dem Namen Caelius ausgehen, ist zusammengetragen bei Christes 1971, 181–183 und Garbugino 1985, 74 –76, s. auch Christes 2001, 55 f. – Der Dichter hat im (vorangehenden oder folgenden) Hauptsatz wahrscheinlich zum Ausdruck gebracht, Scipios alle Vorstellungskraft übersteigende Großtaten hätten ihn zu der Einsicht gebracht, dass er der Aufgabe nicht gewachsen sei, diesen Stoff episch zu besingen.

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    LIBER XXX

    971 (1028) Non. 249,7: ‚Conmittere‘, credere, permittere. … Lucilius lib. XXX:

    cui sua conmittunt mortali claustra Camenae.

    cui Marx : quia codd. : qui E1 : quoi Lachmann

    972 (1008) Non. 317,7: ‚Gestire‘ est cupere. Lucilius lib. XXX: Non. 319,12: ‚Haurire‘ significat exhaurire vel impleri. … Lucilius lib. XXX:

    quantum haurire animus Musarum e fontibus gestit. quantum codd. 319 : quanto codd. 317 | animus codd. 317, G AA L 319 : animas DA 319 | e fontibus L BA : et fontibus AA DA 317, L BA 319 : ea fontia AA DA 319

    973 (1085) Non. 274,21: ‚Conducere‘, convenire. Lucilius lib. XXX:

    et virtute tuae et claris conducere cartis

    et virtute tuae Mueller, def. Garbugino 1985, 79 : et (e B) virtute tua codd., Marx

    974 (1084) Non. 340,21: ‚Locare‘, constituere. … Lucilius lib. XXX:

    haec virtutis tuae artis monumenta locantur.

    haec virtutis Corpet : virtutis haec codd. | cartis Corpet : artis codd. 971: ‚die Kamenen‘: die Musen; Enn. ann. 487 Sk. Musas quas memorant nosce nos esse Camenas. – Nimmt man claustra wörtlich, kann Accius gemeint sein; s. Cichorius 205 f.; Krenkel (1957/58) 1970, 236 f. sowie zu Fr. 1068; Garbugino 1985, 77–79. Der Zusammenhang legt aber nahe, dass Lucilius sagen will, die Aufgabe, Scipio in einem Epos zu verherrlichen, müsse ein Dichter übernehmen, der (wie Ennius) ein Jünger der Musen sei. Man braucht dazu claustra nur metaphorisch zu deuten: Ennius hat als erster römischer Dichter die Musen angerufen und er hat Einfluss darauf genommen, dass M. Fulvius Nobilior (cos. 189 v. Chr.), der aus dem Feldzug gegen die Aitoler u. a. eine Statuengruppe der Musen nach Rom mitgebracht hatte, dem Hercules Musarum einen Tempel stiftete, worin er auch die Statuengruppe unterbrachte und in dessen Aedes Camenarum das collegium poetarum fortan tagte; s. F. Kolb: Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike. München 1995, 226; P.  L. Schmidt: Art. [2] Collegium poetarum, in: DNP 3 (1997) 69; Christes 1971, 185 f., ders. 2001, 56 f. 972: Oder (vgl. Krenkel Fr. 1064 und Charpin Fr. 1): ‚sosehr mein Herz darauf brennt, aus den Quellen der Musen zu schöpfen.‘ – Es liegt Epos-recusatio vor, vgl. vor allem Hor. sat. 2,1,12–15 und epist. 2,1,250–259. Dem Wollen entspricht nicht das Können; s. Marx II 325; Garbugino 1985, 71 f. Vgl. auch Prop. 3,3,5 f. (Bezug auf Ennius, der das auf Hesiod zurückgehende Bild von der Musenquelle in die lateinische Literatur einführte.) Das Verb gestire – ihm entspricht bei Lucr. 4,1–3 = 1,926–928 iuvat – spricht vielleicht dafür, dass Lucilius im hier vermuteten Kontext stärker betont, dass er gleichwohl alles ihm Mögliche zur Verherrlichung Scipios beitragen möchte (Christes 1971, 186 f., ders. 2001, 57 f.). – Garbugino (a. O.) verweist auf Pers. prol. 1–3 Nec fonte labra prolui caballino nec in bicipiti somniasse Parnaso memini, um damit die Anfangsstellung und den Prologcharakter der vorliegenden Thematik zu stützen.

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    971 Nonius: ‚Conmittere‘ (zusammenlassen; überlassen), ‚anvertrauen‘, ‚überlassen‘.

    dem, einem Sterblichen, die Kamenen die Riegel (zu ihrem Hause) anvertrauen.

    972 Nonius 317: ‚Gestire‘ (sich ausgelassen freuen) heißt ‚begehren‘. Nonius 319: ‚Haurire‘ (schöpfen) bedeutet ‚ausschöpfen‘ oder auch ‚erfüllt, gesättigt werden‘.

    soviel mein Herz aus den Quellen der Musen zu schöpfen begehrt.

    973 Nonius: ‚Conducere‘ ([intr.] zuträglich sein), ‚zusammenpassen, entsprechen‘.

    dass … sowohl deiner Bedeutung als auch hoher Dichtung entsprechen kann.

    974 Nonius: ‚Locare‘ (stellen, legen), ‚hinstellen, errichten‘.

    Das hier wird als Denkmal deiner Verdienste in Buchform errichtet.

    973: ‚dass …‘: zu ergänzen etwa: ‚(Ich weiß nur zu gut,) dass (nur ein begnadeter Dichter) …‘; s. Christes 1971, 178 f.; Garbugino 1985, 79 f. – ‚Bedeutung‘: Es ist unmöglich, virtus mit einem Worte erschöpfend wiederzugeben; virtus umfasst alles, was einen Mann für die Gemeinschaft seiner Mitbürger wertvoll macht. 974: ‚Das hier‘: Für Cichorius (185–190) verweist haec auf das in Arbeit befindliche Bellum Histricum des Epikers Hostius, für Garbugino (1985, 80–82) auf einen anonym bleibenden Dichter. Hic ist jedoch von den Demonstrativpronomina dasjenige, welches der ersten Person zugeordnet ist. Deshalb kann sich haec nicht auf ein (in Arbeit befindliches oder vielleicht einmal in Aussicht stehendes) Werk eines anderen beziehen. Auch das Präsens locantur steht dem entgegen. Die Parallelen, die Garbugino (1985, 82) für einen Verweis auf einen anderen Dichter anführt – Hor. carm. 1,6,1– 4; Verg. ecl. 6,1–12 –, stehen jedenfalls im Futur. (Es wäre im Rahmen der recusatio-Topik auch nicht unbedingt schlüssig, auf einen Dichter zu verweisen, der bereits an dem gewünschten Epos arbeitet: Ist dies der Fall, so ist kaum zu verstehen, warum dann noch das Ansinnen gestellt wurde, ein Epos zu dichten. Wurde es aber gestellt, weil der an der Arbeit befindliche Epiker die Erwartungen nicht erfüllt, kann nicht gut auf das Erscheinen seines Werks vertröstet werden.) Ich bin deshalb unverändert davon überzeugt, dass Lucilius von seiner eigenen Sammlung spricht, die er gerade zusammenstellt (in Übereinstimmung mit Puelma Piwonka 1949, 154 f. Christes 1971, 187 f.; [einschränkend gegenüber seiner ‚kallimacheischen‘ Deutung a. O. 188 Anm. 227; ähnlich auch Garbugino a. O. 81]; s. auch Hor. sat. 2,1,21. 34. 39). Nicht anders bezieht sich his versibus im folgenden Fr. unzweideutig auf die Verse des hier behandelten Gedichts. Darin, dass Lucilius einmal (vermutlich in dieser Satire, s. o. vor Fr. 971) seine Satiren als ‚Stegreifdichtung‘ bezeichnet hat (Fr. 1109), kann ich keinen Widerspruch sehen. Bescheidenheit im Rahmen der recusatio ist eine Sache, durchaus provozierender Stolz auf das ei-

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    975–76 (1086–87) Non. 263,24: ‚Contentus‘ dicitur cui res etiam parva abunde est. … (264,4) Lucilius lib. XXX:

    et his te versibus interea contentus teneto.

    et his te Marx : et iste codd. : et te his Gulielmus : his te Mueller

    II 977 (1048) Non. 385,21: ‚Sublatum‘ dicimus remotum. … Lucilius lib. XXX:

    sublatus pudor omnis, licentia fenus refertur.

    978 (1049) Non. 250,38: ‚Cedere‘ significat secundum consuetudinem abire superatum et locum victori dare. … Lucilius lib. XXX:

    – ⏑ ⏑ – quandoque pudor ex pectore cessit,

    pudor ex E1 : pudore ex L AA BA DA

    979 (1058) Non. 493: ‚Inberbi‘, pro inberbes. Lucilius lib. XXX:

    inberbi androgyni, barbati moechocinaedi.

    gene Werk eine andere. Lucilius spielt mit den Topoi der alexandrinischen Dichtung, aber er unterwirft sich ihnen nicht (s. auch Haß 2001, 212–214). Neuere Publikationen, die Lucilius „Stolz, der auf dem Bewußtsein seiner Individualität beruht“ attestieren (Manuwald [Hrsg.] 2001, Vorwort; ähnlich schon Mutschler 1985, 56 f.) und sein Werk als Beginn der Persönlichkeitsdichtung in Rom interpretieren (Haß 2007), geben dem recht. – monumenta dienen dem Nachruhm; vgl. (am Schluss des Buches und damit ebenfalls an exponierter Stelle) Hor. carm. 3,30,1 exegi monumentum aere perennius. Das scheint der Topik der Grabesdichtung zu entstammen, s. D. Korzeniewski, Mnemosyne 21 (1968) 32. Wenn hier der Dichter für den Freund ein literarisches monumentum errichtet, so spricht auch das dafür, dass Scipio tot war, als dieser Vers geschrieben wurde. 975–76: ‚einstweilen‘: vgl. Verg. georg. 3,40– 49; Ciris 44 – 46. In Anerkennung der Funktion, die die römische Nobilität dem Epos für die Bewahrung der memoria zuwies, sieht Lucilius seine Satirensammlung, worin Scipio eine so bedeutende Rolle spielt, nicht als Ersatz, sondern als eine durch persönliche Freundschaft legitimierte Alternative ganz eigener Art an (Puelma Piwonka 1949, 155; Christes 1971, 189). Garbugino (1985, 82 f.) sieht in diesem Vers den endgültigen Beweis, dass Lucilius diese Verse noch zu Scipios Lebzeiten gedichtet und an ihn gerichtet habe. Mit Frassinetti (Athenaeum 50 [1972] 399) ist er überzeugt, dass die Widmung der Sammlung in der vorliegenden Formulierung den lebenden Scipio voraussetzt. Ich vermag dieses Argument nicht nachzuvollziehen. Für die Anrede eines oder einer Verstorbenen, immer schon ein gängiges Element der Trauersprache, lassen sich allein unter den Grabinschriften leicht Belege finden (z. B. die Scipionen-Grabinschrift CIL I² 10, ferner CIL I² 1603), wie umgekehrt auch der oder die Verstorbene in der Ich-Form zu uns sprechen kann (z. B. die Freigelassene der Inschrift CIL I² 1570). Die antiken Jenseitsvorstellungen

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    975–76 Nonius: ‚Contentus‘ (zufrieden) wird jemand genannt, dem auch etwas Kleines voll ausreicht.

    und mit diesen Versen begnüge dich unterdessen.

    2. Tagespolitik 977 Nonius: ‚Sublatum‘ (aufgehoben), ‚entfernt‘.

    Aufgehoben ist jegliches Schamgefühl, Zügellosigkeit gilt als das, was sich auszahlt.

    978 Nonius: ‚Cedere‘ (gehen, weichen) bedeutet nach üblichem Sprachgebrauch: überwunden weggehen und dem Sieger das Feld überlassen.

    … und wenn (erst) einmal das Schamgefühl aus dem Herzen gewichen ist, …

    979 Nonius: ‚Inberbi‘, statt ‚inberbes‘ (bartlos).

    bartlose Eunuchen, bärtige Männerhuren.

    sind so vielfältig, dass sie für die Vorstellung, man könne mit einem Toten kommunizieren, durchaus Raum lassen; s. F. Graf: Art. Jenseitsvorstellungen, in: DNP 5 (1998) 897–899. Hinzu kommt, dass sich speziell in der gens Cornelia eine von Ennius für den älteren Africanus begründete Tradition des Anspruchs auf einen Platz im Himmel herausgebildet zu haben scheint, die für Scipio Aemilianus in Ciceros Somnium Scipionis (vgl. auch Lael. 12) einmündet (Christes 2001, 56). 977: Dieses und das folgende Fr. zielen wohl nicht auf die Frauen – Thema E oder G (s. etwa – auch zu Fr. 979 – Krenkel zu Fr. 991 und 994; Haß 2007, 117 f. ) –, sondern in umfassenderem Sinne auf die gesellschaftlichen Verhältnisse (Charpin III 222 zu Fr. 68; Garbugino 1985, 83 f.). 978: quandoque: Kausal verstehen es Krenkel (zu Fr. 992) und Garbugino (1985, 118). – pudōr mit metrischer Dehnung, vgl. languōr Fr. 389. – „ pudor … se réfère au respect de la loi morale “ (Charpin III 222 zu Fr. 67, unter Verweis auf Cic. Catil. 2,25). – Anders setzt Garbugino (a. O. 118 f.) das Fr., darin Puelma Piwonka (1949, 273 f.) folgend, in Satire 4 (Über die Frauen) zu Fr. 1055–56. 979: androgyni: eigl. ‚Zwitter‘, doch s. Iuv. 6,366–368. – moechocinaedi: von Lucilius aus moechus (Ehebrecher) und cinaedus (Wollüstling) gebildet. – Garbugino (1985, 85 f.) erkennt in dem Fr. das Echo einer Rede Scipios: Scip. Aem. ORF4 Bd. I Nr. IX fr. 30 p. 133 Malc. (= Macr. Sat. 3,14,6 f.) docentur praestigias inhonestas, cum cinaedulis et sambuca psalterioque eunt in ludum histrionum, discunt cantare, quae maiores nostri ingenuis pro­ bro ducier voluerunt: eunt, inquam, in ludum saltatorium inter cinaedos virgines puerique ingenui.

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    LIBER XXX

    980 (1094) Non. 34,20: ‚Praestringere‘ dictum est non valde stringere et claudere. Plautus in Milite Glorioso (4): praestringat oculorum aciem in acie hostibus. Lucilius lib. XXX: et claudere BA : et laudere L1 : et laudare F1 : et plaudare (cum L mg.) an et perlaudare incert. F3 : et plaudere CA DA

    praestringat oculorum aciem splendore micanti

    praestrigat oculorum aciem secl. Mueller | aciem in acie hostibus splendore codd. : in acie hostibus secl. Marx

    981 (1053) Non. 493,26: ‚Sescentum‘, pro sescentorum. Lucilius lib. XXX:

    Maximus si argenti sescentum ac mille reliquit,

    argenti edd. : argentis codd.| ac mille om. CA

    982–83 (1051–52) Non. 493,28 (v. supra) idem lib. XXX:

    quid vero est, centum ac ducentum possideas si milia?

    ac codd. : atque Bouterwek si G, om. L AA CA DA | milia J. Dousa : milium codd.

    984 (1078) Non. 344,21: ‚Meret‘, meretur. … Lucilius lib. XXX:

    publicitus lege ut mereas, praesto est tibi quaestor.

    publicitus lege Mueller : publica lege codd. : publicu lege Marx : publico lege Cichorius 214 f.

    980: Die Textgestaltung der Mehrzahl der Editoren geht davon aus, dass Lucilius den Vers des Plautus aufnahm; s. Garbugino 1985, 86 f.; anders Charpin Fr. 39, s. auch III 213 f. Ansprechend auch Garbuginos Vermutung, dass sich der Vers – wie bei Hor. sat. 2,2,5 stupet insanis acie fulgoribus – auf den Glanz des Tafelluxus bezieht; vgl. ebd. V. 4 inter lancis mensasque nitentis. 981: argenti steht hier für sestertium = (mit Auslassung von mille) ‚tausend Sesterze‘. – ses­ centum: „Errat Nonius: sescentum non est genetivus sed accusativus“ (Marx II 335). – Seit Marx (II 335 f. zu Fr. 1053) wird Maximus im Allgemeinen mit Q. Fabius Maximus, cos. 145 v. Chr., dem Bruder des Scipio Aemilianus, identifiziert (u. a. Raschke 1979, 88; Garbugino 1985, 94; ablehnend: Charpin III 227 zu Fr. 79). Er muss vor Scipio gestorben sein (130 v. Chr. oder etwas früher), denn nicht er, sondern sein Sohn sprach die laudatio funebris für Scipio (Cic. Mur. 75, Val. Max. 7,5,1). Obwohl sein Vermögen den senatorum census von einer Million Sesterzen überstieg, war es für ein führendes Mitglied der Nobilität eher bescheiden (vgl. Pol. 31,28,3, s. Marx a. O.). 982–83: Das von Nonius unter demselben Lemma überlieferte Fr. steht sicher in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit dem vorausgehenden Fr. – ‚oder‘: wtl. ‚und‘, aber Lucilius hat das wohl nicht als Addition gemeint. In jedem Falle bleibt auch ein Vermögen von dreihunderttausend Sesterzen unterhalb des census equestre von vierhunderttau-

    Buch XXX

    381

    980 Nonius: ‚praestringere‘ (zuschnüren; vorn streifen) wurde gesagt im Sinne von ‚nicht sehr zusammenziehen und schließen‘. Plautus im ‚Miles Gloriosus‘ (4): ‚dass er im Kampf den Feinden die Schärfe ihrer Augen blendet.‘ Lucilius Buch XXX:

    dass es (?) das Augenlicht blendet mit funkelndem Glanze.

    981 Nonius: ‚Sescentum‘ (sechshundert), für ‚sescentorum‘.

    Wenn Maximus eine Million und sechshunderttausend Sesterze hinterlassen hat, …

    Nonius: (s. o.) derselbe Buch XXX:

    982–83

    … was fürwahr macht es, wenn du (nur [?]) hundert oder zweihunderttausend Sesterzen besitzest?

    984 Nonius: ‚Meret‘, ( = meretur), ‚verdienen; Kriegsdienst tun‘.

    dass du auf Staatskosten legal (ver)dienst, dafür ist der Quästor zuständig.

    send Sesterzen. – Garbugino (1985, 93–95) bestreitet einleuchtend den Bezug auf weibliche Verschwendungssucht (so z. B. Krenkel Fr. 996–98, Haß 2007, 119). Ich zögere allerdings, seiner These zu folgen, dass die beiden Fragmente in das von ihm postulierte Thema C einzureihen (s. Einführung zu diesem Buch) und Teil einer moralisch-philosophischen Erörterung der Fragwürdigkeit zügellosen Gewinnstrebens seien. Auch im hier folgenden Fr. 984 geht es bei aller Unsicherheit seiner Herstellung und Deutung irgendwie um den Zusammenhang von Vermögen und Status. Ich habe die beiden Fragmente deswegen hierher gesetzt und stelle folgende – natürlich nicht minder spekulative – Deutung zur Diskussion: „Wenn der kürzlich verstorbene Q. Fabius Maximus 1 600 000 Sesterze hinterließ, so zeigt das, dass er für seine hohe Stellung ein vergleichsweise bescheidenes Vermögen besaß. Was tut’s, wenn du den Rittercensus nicht erreichst? (Deswegen habe ich vero nicht adversativ, sondern affirmativ übersetzt.) Auch dich hindert nichts, dich in das große Ganze einzubringen (= vielleicht der Gedanke des folgenden Fr.).“ 984: Text und Deutung sind umstritten, eine Entscheidung ist noch dadurch erschwert, dass das Fr. bei Nonius möglicherweise unter das Lemma ‚Meret, militat‘ (Non. 344,34) gehört (so Quicherat und Mueller). Mit gewollter Doppeldeutigkeit – wie in der Übersetzung angedeutet – rechnet Garbugino 1985, 87 f.; anders (mit der Lesart publico ) Cichorius 214 f. und Charpin III 214 f. zu Fr. 41.

    382

    LIBER XXX

    985 (1054) Serv. Dan. georg. 3,159: ‚Pecori habendo summittere‘, admissarios facere. et aliter: id quod habetur: Luilius in tricesimo:

    non numquam dabit ipsa aetas, quod possit habendo.

    possit codd. : prosit habendo Mueller, Garbugino 1985, 97 f. 986 (1059) Non, 348,26: ‚Mittere‘, omittere. … Lucilius lib. XXX:

    hoc missum facies, illo me utere libente.

    me utere E G² : metuere AA : metutere L, metutenere G | libente edd. : libenter codd.

    987 (1088) Non. 10,10: ‚Inlex’ et ‚exlex’ est qui sine lege vivat. … Lucilius Satyrarum II [fr. 56–57] … (18) Lucilius lib. XXX:

    accipiunt leges, populus quibus legibus exlex

    988 (1089) Non. 370,25: ‚Parcere‘ est veniam dare. … Lucilius lib. XXX:

    quanti vos faciant, socii, cum parcere possint.

    cum parcere B : conparcere L AA BA DA : quom parcere

    989 (1090) Non. 478,13: ‚Nutritur‘ et ‚nutricatur‘, pro nutrit et nutricat. … (22) Lucilius lib. XXX:

    se nutricatum sane caput opprimit ipse.

    se nutricatum Lindsay : sensu nitricatum L AA BA DA : sensi nutricatum CA : † sensu nutricatum † Marx | sane L AA BA DA : sine CA : insane Vollmer ap. Schmitt

    985: habendo: finaler Dativ. – Vgl. Ter. Ad. 855–857 Numquam ita quisquam bene subducta ratione ad vitam fuit, / quin res aetas usus semper aliquid adportet novi, / aliquid moneat; s. auch Hor. sat. 1,4,131–133 und sat. 1,1,73–75. „Le passage s’insérait peut-être dans une comparaison entre les leçons de l’existence et les leçons de la satire“ (Charpin III 213 zu Fr. 36). – Garbugino (a. O.) votiert für Lachmanns Konjektur prosit und macht das Fr. zum Bestandteil des von ihm postulierten Themas C. 986: Vgl. Hor. epist. 1,6,67 f. si quid novisti rectius istis, / candidus imperti; si nil, his utere mecum. – Geht es wie bei Horaz um „precetti di carattere etico“ (Garbugino 1985, 99)? Und schließt das Fr. wie bei Horaz eine Thematik, vielleicht gar eine Satire ab (Terzaghi 1934/ 1970, 249)? Zuweisung zu einem Thema und Einordnung sind höchst unsicher. 987: Das bezieht sich nicht auf die lex Iunia de peregrinis des Jahres 126 v. Chr. (Cichorius 211 f.), sondern auf die Aktivitäten des Tib. Gracchus und des C. Papirius Carbo in der Zeit 131/130 v. Chr.; so Raschke 1979, 83–87; zustimmend Garbugino 1985, 88–90, der freilich auch einen Bezug auf die leges Tabellariae der Jahre 139 und 137 nicht ausschließen möchte. – Vielleicht lässt Lucilius in diesem und den beiden folgenden Versen Scipio in Anlehnung an eine wirklich gehaltene Rede sprechen.

    Buch XXX

    383

    985 Servius Danielis zu Vergil, Georgica 3,159: ‚dem eigenen Zuchtvieh einreihen‘ [Übers.: Erren]: ‚zu Zuchttieren machen‘. Und anders: ‚das, was gehalten wird.‘

    Manchmal wird schon die Zeit geben, was sie (geben) kann, dass man es hat.

    986 Nonius: ‚Mittere‘ (lassen, schicken), ‚aufgeben‘.

    Das hier wirst du verwerfen, jenes wirst du dir – meinen Beifall hast du – zunutze machen.

    987 Nonius: ‚inlex’ und ‚exlex’ (gesetzlos) ist, wer außerhalb des Gesetzes lebt.

    Sie stimmen Gesetzen zu, Gesetze, durch die das Volk gesetzlos wird. 988 Nonius: ‚Parcere‘ (schonen) meint ‚verzeihen‘.

    (Da seht ihr,) wie viel ihr ihnen wert seid, ihr Bundesgenossen, während sie euch doch schonen könnten.

    989 Nonius: ‚Nutritur‘ und ‚nutricatur‘, statt ‚nutrit‘ und ‚nutricat‘ (füttert, nährt).

    Eigenhändig bringt er das Wesen um, das ihn doch ernährt hat.

    988: Das Lemma des Nonius trug dazu bei, dass Cichorius (208–210) das Fr. auf die Erhebung von Fregellae im Jahre 205 v. Chr. bezog. Es dürfte jedoch wie das vorhergehende Fr. auf die Zeit 131/130 v. Chr. und hier auf die Tätigkeit der Agrarkommission (bis zum Verlust ihrer Kompetenz im Jahre 129) gemünzt sein, die u. a. den von Italikern okkupierten ager pub­licus einzufordern und zu verteilen suchten. Scipio hatte sich im Rahmen seiner Opposition gegen die Reformen des Gracchus zum Fürsprecher der Italiker gemacht; so Raschke 1979, 86 f., zustimmend Garbugino 1985, 90 f. 989: Text und Deutung sind unsicher. Schmitts (1914, 84) und Terzaghis (1934 /1970, 255) Lösung hat viel Zustimmung gefunden (Charpin III 235 zu Fr. 100, Garbugino 1985, 91 f.), wonach das Fr. aus Scipios Auseinandersetzung mit dem Volkstribunen Carbo im Jahre 131 v. Chr. zu deuten ist, worin er kundtat: Tiberium iure caesum videri, und das Protestgeschrei mit den Worten konterte: taceant quibus Italia noverca, non mater est (Vir. ill. 58,8; vgl. Vell. 2,4,4, Val. Max. 6,2,3, Plut. reg. et imp. apophth. 201E). – Zu caput in der Bedeutung ‚Person‘, ‚Mensch‘ vgl. Plaut. Asin. 538, Capt. 946, Pseud. 723, Stich. 751. – Völlig anders (auf Accius gemünzt, mit der Lesart sensu) deuten das Fr. Krenkel (zu Fr. 1071) und Haß (2007, 224).

    384

    LIBER XXX

    990 (1093) Non. 35,7: ‚Angina‘, genus morbi, eo quod angat; et graece συνάγχη appellatur. Lucilius lib. XXX:

    insperato abiit, quem una angina sustulit hora.

    abiit edd. : abit codd.

    991 (1098) Non. 180,2: ‚Temnere‘, contemnere. Lucilius lib. XXX:

    quodque adeo fuerint qui te temsere superbum

    quodque codd. ; quotque Scaliger | temsere J. Dousa : temere L1 : te temnere F³ : temnere BA : temnere … superbum Marx

    III 992 (1092) Non. 35,10: ‚Arquatus‘ morbus dictus, qui regius dicitur, quod arcus sit concolor, de virore, vel quod ita stringat corpora, ut in arcum ducat, †quod† < Lucilius lib. XXX>: quod secl. Iunius | suppl. Kettner, Krit. Bem., Halle 1868, 16

    ‚nos esse arquatos: surgamus, eamus, agamus!‘

    quod nos codd. : [quod] nos Marx

    990: Vgl. Sen. epist. 101,3 genere valetudinis praecipiti arreptus, angina, vix conpressum artatis faucibus spiritum traxit in lucem. Intra paucissimas ergo horas quam omnibus erat sani ac valentis officiis functus decessit. – Cichorius’ (212 f.) mit aller Vorsicht entwickelte These, dass Lucilius vom plötzlichen Tode seines Freundes Scipio spricht, hat entschiedene Anhänger gefunden; s. Krenkel zu Fr. 1028 und 1057–58; Raschke 1979, 88; Charpin III 203 f. zu Fr. 8. Dagegen meldet Garbugino (1985, 48 f. und 95 f.) Bedenken an. Er hält vor allem die Aussage des Lucilius, dass die von ihm gemeinte Person an einer Krankheit gestorben sei, für unvereinbar mit den Gerüchten, Scipio sei ermordet worden. Aber (was im Einzelnen auszuführen den Rahmen sprengen würde) jedes der angeführten Zeugnisse lässt sich so und so deuten; s. die angeführte Literatur. Garbuginos Alternative, das Fr. im Lichte der Seneca-Passage als Teil einer philosophischen Erörterung über die ‚caducità della vita‘ zu sehen (das von ihm postulierte Thema C, s. Einführung), macht sich Mondin (2013, 28 f. + Anm. 52) zu eigen. 991: fuerint: Der Konjunktiv nach quod lässt sich als Modusattraktion erklären; s. KühnerStegmann II 201–203 § 182,5. – Lucilius bezieht sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einen Vorwurf, den Scipio sich bei seinem letzten politischen Auftreten im Jahre 129 v. Chr. wegen seiner Opposition gegen Tib. Gracchus zuzog und der ihn in eine Reihe mit Tarquinius Superbus stellte, also als ‚Tyrannen‘ brandmarkte (Cichorius 213); s. Plut. reg. et imp. apophth. 201E–F; Vir. ill. 58,8. – Garbugino (1985, 76), der den Bezug des vorangehenden Fr. auf Scipio ablehnt, reiht das Fr. in die 1. Satire dieses Buches ein. Aber es verträgt sich kaum mit dem dort herrschenden elogischen Duktus. – Ist das Fr. mit Recht hier eingereiht, liegt in der Anrede an den verstorbenen Freund Apostrophe vor; vgl. die Erläuterungen zu Fr. 975–76.

    Buch XXX

    385

    990 Nonius: ‚Angina‘ (Halsbräune), eine Krankheitsart, danach (benannt), weil sie (die Kehle) zusammenschnürt; und griechisch wird sie συνάγχη genannt.

    Unerwartet ging er (von uns); eine Halsentzündung raffte ihn in einer einzigen Stunde dahin.

    991 Nonius: ‚Temnere‘ (wie contemnere:) ‚verachten‘.

    und weil sogar manche dich ablehnten, da du hochmütig seist.

    3. Ein schäbiges Gastmahl 992 Nonius: ‚Arquatus‘ morbus (Gelbsucht) heißt eine Krankheit, die die königliche genannt wird, weil der Regenbogen von gleicher Farbe ist, vom Grün, oder weil sie den Körper so zusammenzieht, dass sie ihn zu einem Bogen krümmt. Die zweite Erklärung ist Unsinn.

    „Gelbsucht haben wir! Auf also, gehen wir, seien wir aktiv!“

    Lit. zu III: Ein schäbiges Gastmahl: Garbugino 1985, 100 (zur literarischen Tradition des cena-Motivs); Haß 2007, 162–164. 992: Das Fr. gehört, obwohl nicht direkt bezeugt, zweifellos dem Lucilius und in Buch XXX; denn es ist Bestandteil der Noniusreihe p. 34 f. – Geht man von einem syntaktisch vollständigen Satz aus, ist nos esse arquatos als Ausruf zu fassen (Garbugino 1985, 98). Anderenfalls muss man an etwas Vorausgehendes wie z. B. medicus dixit denken (Marx II 347). Garbugino (a. O. 99) votiert dafür, „che Lucilio usi il termine in senso figurato, alludendo ad una malattia morale o psichica …“ Dagegen spricht aber, dass diese Krankheit, soweit ich sehe, nicht metonymisch verwendet, sondern mit geistigen oder moralischen Defekten lediglich verglichen wird; s. Varro Men. 148 B. ut arquatis lutea quae non sunt et quae sunt lutea videntur, sic insanis sani et furiosi videntur esse insani; vgl. auch Hor. epist. 1,2,34 (dazu Heinzes Komm.). – Das Fr. steht in der Noniusreihe zwischen Fr. 990 (2. Satire) und Fr. 994 (3. Satire), muss also zu einer der beiden Satiren gehören. Der Sprecher des Fr. (nicht notwendig Lucilius) hält sich an Therapieanweisungen, wie sie Celsus gibt (3,24,5): Per omne vero tempus utendum est exercitatione, fricatione, si hiemps est, balneo; si aestas, frigidis natationibus; lecto etiam et conclavi cultiore, lusu, ico, ludis, lascivia, per quae mens exhilaretur; ob quae regius morbus dictus uidetur. Seine Empfehlung lecto etiam et conclavi cultiore – eine Empfehlung zu gepflegter Esskultur – legt wörtliche Deutung und die Zuordnung des Fr. zur 3. Satire (‚Ein schäbiges Gastmahl‘) nahe: Der Sprecher (und Freunde von ihm) haben sich (wirklich oder der Fiktion nach) eine Gelbsucht zugezogen. Ihre Therapie mündet dann freilich in ein so gar nicht kultiviertes Gastmahl.

    386

    LIBER XXX

    993 (1060) Non. 234,37: ‚Aptum‘ rursum conexum et conligatum significat. … Lucilius Satyrarum lib.X [fr. 387]. idem lib. XVI [fr. 526–28] … (235,16) Lucilius lib. XXX:

    unus consterni nobis, vetus, restibus aptus

    consterni Lachmann : consternit codd. | nobis Turnebus, Charpin : novis codd. | restibus G AA DA : pestibus L | aptus codd. : aptis E1

    994 (1061) Non. 35,17 ‚Privum‘ est proprium uniuscuiusque; unde et res privata. Lucilius lib. XXX:

    culcitulae accedunt privae centonibus binis.

    culcitulae BA CA DA : culcituae L | accedunt G : accendunt L CA DA

    995 (1062) Non. 83,7: ‚Caries‘ est vetustas. … Lucilius lib. XXX:

    clauda una est pedibus cariosis mensula vino

    clauda Guietus plauda codd. | mensula vino vir doctus in Bodl., Charpin : mensu iabino F³, mensu libano L BA : mensula nobis Marx

    996 (1063) Non. 96,9: ‚Deblaterare‘, obloqui, confingere. Lucilius lib. XXX:

    deblaterant, blennus bonus rusticus concinit una. blennus Iunius : plennus codd., Marx

    997 (1091) Non. 81,6: ‚Comest‘ pro comedit. … (28) Lucilius Satyrarum lib. IV [fr. (160-)61] (30) et XXX: Non. 269, 16: ‚Conficere‘, consumere, finire. Lucilius lib. XXX:



    conficit ipse comestque.

    conficit codd. 81 : confecit codd. 269 | comestque F³ 81, codd. 269 : comesque L BA 81

    993: … ergänzt Marx II 337 f.; vgl. Fr. 237 tres a Deucalione grabati restibus tenti. – ‚ein einziges‘: Offenbar werden mehr Personen als üblich darauf platziert; vgl. Cic. Pis. 67. – ‚für uns‘: Das spricht dafür, das im vorausgehenden Vers Lucilius der Sprecher und der Dichter somit Teilnehmer an der cena ist, es sei denn, er hat die Rolle des Referenten übernommen, wie z. B. Horaz in der Ofellus-Satire (sat. 2,2). 994: Da drei culcitae pro lectus üblich sind, wurden hier also sechs Gäste auf eine Liege gesetzt; s. Marx II 338; Charpin III 218 zu Fr. 52; Garbugino 1985, 101 f. 996: Zur Konjektur blennus s. Mariotti 1960, 63. ‚der (wohl nicht: ‚ein‘) Tölpel‘: Es ist anzunehmen, dass er schon eingeführt ist; zum Typus vgl. Ter. Eun. 251–253. – Marx II 338 f. denkt an eine zur cena zusätzlich eingeladene Person (wie Volteius Mena bei Horaz, epist.

    Buch XXX

    387

    993 Nonius: ‚Aptum‘ (angefügt) bedeutet auch ‚verknüpft‘ und ‚zusammengebunden‘.

    (Man begann) ein einziges (Feldbett) für uns aufzuschlagen, ein altes, mit Stricken zusammengehaltenes. 994 Nonius: ‚Privum‘ (einzeln; eigen) meint ‚jedem einzelnen eigen‘; daher auch (der Ausdruck) ‚res privata‘ (Privatsache).

    Kleine Kissen kommen, je eines zu je zwei zusammengeflickten Decken, hinzu.

    Nonius: ‚Caries‘ (Fäule) meint ‚Alter‘.

    995

    Ein einziges wackliges Tischchen steht für den Wein da auf morschen Beinen.

    996 Nonius: ‚Deblaterare‘ (herplappern), ‚dareinreden, widersprechen‘, ‚erdenken, vorspiegeln‘

    Man schwatzt daher, der treuherzig-plumpe Tölpel plappert alles nach.

    997 Nonius 81: ‚Comest‘ statt ‚comedit‘ (isst auf, verzehrt). Nonius 269: ‚Conficere‘ (fertig machen, vollenden), ‚verzehren‘, ‚ein Ende machen‘.

    er allein verputzt (alles) und verzehrt (es).

    1,7,60–71). Fr. 992 sowie die Verse 993–995 (anscheinend improvisierte Bereitstellung von Liege und Tisch) sprechen aber eher dafür, dass umgekehrt die Gruppe, um die es Fr. 992 geht, zu einer cena hinzukommt. 997: ipse: ohne sichere Kenntnis des Kontextes kaum festzulegen. = sua sponte? (Krenkel zu Fr. 1053), oder „volontairement“? (Charpin III 223 zu Fr. 69), oder „da solo“? (Garbugino 1985, 109) – Handelt es sich um einen nicht wählerischen Fresssack? Anders denkt Charpin (ebd.) an einen Lebemann, der sein Erbe verprasst; vgl. Fr. 154; Plaut. Most. 12–17; ähnlich sieht es Garbugino (ebd.), der das Fr. hierher (wenn auch an spätere Stelle) setzt, auch als möglich an, dass im Kontext ein se zu finden war, woraus sich eine Parallele zu Fr. 865 ergäbe.

    388

    LIBER XXX

    998–99 (1065–66) Non. 117,29: ‚Gumiae‘, gulosi. Lucilius lib. XXX:

    illo quid fiat Lamia et Bitto oxyodontes quod veniunt, illae gumiae vetulae inprobae ineptae?

    Lamia L BA CA DA : lamiae F³ | Bitto oxyodontes Scaliger, Marx : pitto ixiodentes codd. | illae gumiae vetulae edd. : gumiae illi evetulae F³ : gumiae illiae vetulae L BA

    1000–1 (1071–72) Non. 277,28: ‚Delica‘ est aperi et explana. … (post 38) Lucilius lib. XXX: post 277,19 (17:‘Delicere‘ est inlicere. …) trai. Mueller, Lindsay

    ‚nemo istum ventrem pertundet.‘ – ‚delicet ecquae intus via atque videbis.‘

    delicet ecquae Housman CQ 1 (1907) 157 : delicietque codd. : delici etquae L : delica aitque Marx, alii alia | intus via Housman : ut(i) via codd. : uti via Marx, alii alia | videbis codd. : videbit Lindsay

    1002–3 (1073–74) Non. 321,17: ‚Invitare‘ significat replere. …. Lucilius [fr. 1138] … (27) Lucilius lib. XXX:

    scito etenim bene longincum mortalibus morbum in vino esse, ubi qui invitavit dapsilius se.

    scito etenim bene Muret : cito (cibo G) bene enim L AA DA : scibo ego enim bene Marx :

    1004 (1075) Non. 3487,32 ‚Micare‘, per vices sine ordine moveri. … (248,6) Lucilius lib. XXX:

    omnia tum endo muco videas fervente micare.

    998–99: Zu Lamia s. Fr. 481(–86); hier wie Bitto als Name einer Dirne; der Name Bitto hergestellt nach Anth. Pal. 5,207 und 6,48. – oxyodontes, eine Wortschöpfung des Lucilius, parodiert Epitheta des epischen Stils, vgl. calliplocamon und callisphyron (Fr. 537– 43). Das Gemeinte veranschaulicht Catull. 23,3 f. verum est et pater et noverca, quorum / dentes vel silicem comesse possunt. – gumiae: ein umbrisches Wort (Marx II 339). 1000–1: Die Ungewissheit, wie dieses Fr. herzustellen und zu deuten ist, beginnt schon mit der Frage, ob es unter das Nonius-Lemma ‚delica‘oder ‚delicere‘. gehört. Der hier vorgelegte Text folgt Garbuginos Lösung (1985, 106 f.); die zahlreichen Deutungsmöglichkeiten entfaltet Charpin III 229 f. zu Fr. 86.

    Buch XXX

    389

    998–99 Nonius: ‚Gumiae‘ (Schlemmer, Fresser), ‚gefräßige (Menschen)‘.

    Wozu soll das führen, dass die scharfzahnigen Lamia und Bitto kommen, diese alten, unverschämten und abgeschmackten verfressenen Weiber?

    1000–1 Nonius: ‚Delica‘ (kläre; mach durch die Rede klar) meint ‚leg offen und erkläre‘.

    „Niemand wird diesen Bauch durchstoßen können.“ – Sie wird schon erklären, ob es einen Weg hinein gibt, und du wirst sehen.“

    1002–3 Nonius: ‚Invitare‘ (einladen) bedeutet ‚anfüllen, sättigen‘.

    Denn sei dir bewusst, dass im Weine eine recht langwierige Krankheit auf die Sterblichen lauert, wenn sich einer allzu reichlich bedient hat. 1004 Nonius: ‚Micare‘ (zucken), ‚im Wechsel ohne Ordnung sich bewegen‘.

    (sodass) du dann im schwankenden Winkel (des Hauses) alles in flimmernder Bewegung siehst.

    1002–3: Zu se invitare vgl. Suet. Aug. 77; Sall. hist. fr. 4,11 (= Non. 321,25). – ‚Krankheit‘: der sog. ‚Kater‘, schon wegen des Spannungsverhältnisses zwischen der Banalität der Krankheit und dem Spiel mit epischem und umgangssprachlichem Stil (s. hierzu Garbugino 1985, 107 f.). Cichorius 216 f. spricht von „Katzenjammer“ und weist im Übrigen die Fragmente, „in denen von Wein und Trinken die Rede ist“ (216), der von Troginus in den Spanischen Kriegsanekdoten erzählten Geschichte zu. – Anders sucht Charpin (III 223 zu Fr. 70) die Krankheit „dans la volonté et dans la règle de vie“. 1004: endo muco = ἐν μυχῷ, vgl. Il. 22,440; Od. 5,226 – hier vermutlich Ennius-Parodie. – Zu fervere vgl. Verg. georg. 1,455 f. – „Anche qui l’effetto comico deriva dalla sproporzione tra la banalità della situazione e i termini altisonanti che la descrivono“ (Garbugino 1985, 109).

    390

    LIBER XXX

    1005 (1070) Non. 157,12: ‚Potus‘, a bibendo. Lucilius lib. XXX:

    serus cum eo medio a ludo bene potus recessit,

    serus J. Dousa : secus codd. | cum eo codd. : cum e J. Dousa | a ludo Marx : ac ludo codd. : hac ludo Lindsay

    1006 (1064) Non. 298,28: ‚Excutere‘, excludere, deicere. … Lucilius lib. XXX:

    ‚ipso cum domino calce omnis excutiamus.‘

    IV 1007 (1018) Non. 175,14: ‚Sucerdae‘. Lucilius lib. XXX:

    hic in stercore humi fabulisque, fimo atque sucerdis

    fabulisque codd., Marx : stabulisque J. Dousa

    1008 (1055) Non. 399,19: ‚Subducere‘ est subripere. …. (26) Lucilius lib. XXX:

    neu qui te ignaro famuli subducere

    ignaro Gerlach : ignoro codd. | famuli Mueller : famulis L AA BA DA : famulus Lachmann | possint suppl. Marx

    1009 (1034) Non. 335,37: ‚Lustrari‘ dicimus et scortari: a lustris. … Lucilius lib. XXX:

    quem sumtum facis in lustris, circum oppida lustrans. sumtum Garbugino 1985, 61 (Nr. 60) : sumptum DA, Marx (sed v. fr. 1034) : sumptu L AA BA

    1005: ‚dorthin‘: Bezug auf endo muco? (meine Vermutung). – Ob der Hauptsatz erst noch folgt – etwa: ‚erging es ihm wie beschrieben‘ –, steht dahin; vgl. Cic. fam. 7,22 etsi domum bene potus seroque redieram, …; Apul. met. 3,5 Nam cum a cena me serius aliquanto reci­ perem, potulentus alioquin, … (Beide Male folgt der Hauptsatz!) 1006: Zu calce als kollektivem Singular s. Garbugino 1985, 110. – ‚Gastgeber‘: Nach Non. 281,14 (s. Fr. 260–61) ist dominus = convivii exhibitor. Lit. zu IV: Cichorius 193–208 (These: Polemik gegen a. Afranius, b. Accius); Kappelmacher in: RE 13.2,1631 ff. (Widerspruch gegen Cichorius); Christes 1971, 144 –168; Garbugino 1985, 120–138; Charpin III 41 und 206 zu Fr. 15–36; Haß 2007, 104 f., 181–190, 229–233 (zu mehreren der hier behandelten Fragmente und zur poetologischen Terminologie, vielfach im Anschluss an Cichorius und Krenkel). 1007: Erg. etwa volutatur; vgl. Fr. 1010. – Vgl. Hor. sat. 1,4,25–33; s. Christes 1971, 145 f. und Garbugino 1985, 122 f.

    Buch XXX

    391

    1005 Nonius: ‚Potus‘ (angetrunken, betrunken), vom Trinken.

    als er sich spät dorthin mitten aus dem Gelage volltrunken zurückgezogen hatte, …

    1006 Nonius: ‚Excutere‘ (herausschütteln), ‚ausschließen‘, ‚niederwerfen; vertreiben‘.

    „Befördern wir doch mitsamt dem Gastgeber selbst alle mit Fußtritten an die Luft!“

    4. Verteidigung der Satire 1007 Nonius 175: ‚Sucerdae‘ (Schweinekot).

    der hier im Kot am Boden und Ziegenbohnen, in Mist und Schweinekot …

    1008 Nonius: ‚Subducere‘ (darunter wegziehen), meint ‚heimlich entwenden‘.

    und dass dir nicht irgendwie ohne dein Wissen deine Haussklaven (etwas) entwenden (können).

    1009 Nonius: ‚Lustrari‘ (sich in Bordellen herumtreiben), ‚huren‘, von ‚lustra‘ (Bordelle).

    wieviel du in Bordellen verpulverst, auf der Suche nach Dirnen im Dunstkreis der Schranken des Zirkus.

    1008: neu qui = neu quo pacto (Marx II 336). Wohl kaum neu qui … famuli (erwogen von Garbugino 1985, 96); denn es sind natürlich die eigenen Sklaven, die gern etwas beiseiteschaffen. – „supplendum quicquam possint“ (Marx im App. zu Fr. 1055). – Schon Marx und nach ihm Fiske (1920/1971, 238) interpretieren das Fr. im Lichte von Hor. sat. 1,1,76–78 noctesque diesque / formidare malos fures, incendia, servos / ne te compilent fugientes, hoc iuvat? Es geht also wahrscheinlich um die Haltung eines avarus. Garbugino (a. O. 96 f.) reiht das Fr. in das von ihm postulierte Thema C ein (s. Einführung in dieses Buch); aber es fügt sich zwanglos in das Thema ‚Verteidigung der Satire‘. 1009: Deutung des Verses – insbes. circum – mit Garbugino 1985, 123 f., s. auch Charpin III 224 zu Fr. 72. – Wird hier – beachte das Stichwort sumtus – der decoctor, Gegentyp zum avarus, angegriffen? (Christes 1971, 149 f., zustimmend Garbugino a. O. 124).

    392

    LIBER XXX

    1010 (1019) Non. 420,25: ‚Volutari‘ dicitur volvi. Lucilius lib. XXX:

    ‚quid tu istuc curas, ubi ego oblinar atque voluter?‘

    istuc BA CA : istunc AA DA | atque AA BA CA : adque L

    1011 (1020) Non. 387,33: ‚Servare‘, sollicite et suspiciose observare. Lucilius lib. XXX:

    ‚quid servas quo eam, quid agam? quid id attinet ad te?‘ quid id BA CA : quid AA DA

    1012 (1033) Non. 350,9: ‚Macula‘, turpitudo. … Lucilius lib. XXX: Non. 354,18: ‚Nota‘ dicitur probrum. Lucilius lib. XXX:

    quem scis scire tuas omnes maculasque notasque.

    scis scire AA BA : sci scire L1 350, 354 : vis scire DA 354 | maculasque codd. 354 : maculas codd. 350

    1013 (1035) Non. 124,36: ‚Incilare‘ est increpare vel improbare. … (125,7) Lucilius lib. XXX:

    ‚nunc, Gai, quoniam incilans nos laedis, vicissim‘

    Gai codd. : Gat L | vicissim BA CA DA : vicissem L1

    1014 –15 (1095–96) Non. 32,31: ‚Involare‘ est inruere, insilire: aut a volatu aut a vola, id est media manu, dictum. … Lucilius lib. XXX:

    involem‘

    ‚inde canino ricto oculisque

    ricto Lindsay : rito codd. : ritu ed. pr., Marx

    1010: Replik des in Fr. 1007 Angegriffenen. 1011: Replik des in Fr. 1009 Angegriffenen. – quo eam: Hiat mit Kürzung des o wie Plaut. Men. 115. – Wie viel Lucilius in diesem und dem vorausgehenden Fr. Plautus verdankt, zeigt Garbugino 1985, 126342. 1012: Reaktion des Satirikers auf die Gegenwehr eines seiner Opfer? (Christes 1971, 148 f.) – Anders Marx II 331: „Horrere te apparet eum quem scis scire …“ 1013: Gegen Cichorius’ These (195 f.), hier melde sich der Komödiendichter Afranius zu Wort, spricht schon, dass dem Singular Gai nicht me entgegengesetzt wird; es dürften sich wie bei Horaz mehrere fiktive Dialogpartner mit Einwürfen zu Worte gemeldet haben (Chris-

    Buch XXX

    393

    1010 Nonius: ‚Volutari‘ (sich herumwälzen) meint ‚sich wälzen‘.

    „Was kümmert es dich, wo ich mich besudele und wälze?“

    1011 Nonius: ‚Servare‘ (erhalten; achtgeben), ‚angelegentlich und voll Argwohn beobachten‘.

    „Was passt du auf, wohin ich gehe, was ich treibe? Was geht das dich an?“

    1012 Nonius 350: ‚Macula‘ (Fleck), ‚Schande‘ Nonius 354: ‚Nota‘ (Zeichen, Merkmal) meint ‚Schimpf‘.

    der, wie du weißt, alle deine Makel und Schandflecken kennt.

    1013 Nonius. ‚Incilare‘ (schelten), bedeutet ‚anfahren‘ oder auch ‚zurückweisen‘.

    „Nun aber, Gaius, da du uns mit Scheltreden zusetzt, (wollen wir) unsererseits …“

    1014 –15 Nonius: ‚Involare‘ (hineinfliegen; sich stürzen auf) bedeutet ‚einstürmen auf‘, ‚anspringen‘: entweder von ‚volatus‘ (Flug) oder von ‚vola‘ (Höhlung der Hand), d. h. der Handmitte, abgeleitet.

    „daher will ich mit aufgerissenem Rachen und Augenfunkeln des Hundes mich stürzen auf …“

    tes 1971, 147; Garbugino 1985, 125335). – Das Fr. macht einen Unterschied der Reaktion auf die Satire deutlich: bei Hor. sat. 1,4,34 –38 „faenum habet in cornu …“ angstvolle Flucht, bei Lucilius Gegenwehr; s. auch Haß 2007, 107 und 188 f. – Zu nunc nach vorausgehendem irrealem Gedanken s. Christes a. O. 146 und Garbugino 125. 1014 –15: Für involare in alqm/alqd vgl. Plaut. Most. 203; Ter. Eun. 859. – Charpin (III 209 zu Fr. 24) arbeitet die Aggressivität, „symbolique de la colère [vgl. Fr. 4] et de l‘hostilité“, heraus und gibt den Vers dem adversarius, anders meint Garbugino (1985, 135 f.), Lucilius bediene sich der Metaphorik des Fr. als „di un simbolo programmatico della sua produzione satirica“ (136) im Gegensatz zur belehrenden und moralisierenden satura des Ennius und Pacuvius.

    394

    LIBER XXX

    1016 (1021) Non. 121,2: ‚Hilum‘, breve quoddam. Lucilius lib. XXX:

    ‚quod tu allaudes, culpes, non proficis hilum.

    tu allaudes Vollmer (cf. Plaut. Merc. 85) : tua lades codd. : tu nunc laudes Marx : tua tu laudes Lindsay : tu alios laudes Terzaghi

    1017 (1015) Non. 284,13: ‚Differre‘, diffamare, divulgare. Lucilius lib. XXX:

    ‚gaudes, cum de me ista foris sermonibus differs.‘ 1018 (1016) Non. 284,18: ‚Differre‘, dividere vel scindere. … (25) Lucilius lib. XXX:

    ‚et maledicendo in multis sermonibus differs.‘

    1019 (1014) Non. 388,27: ‚Saevum‘, durum. … Lucilius lib. XXX: Non. 409,6: ‚Triste‘, crudele, inmite. … Lucilius lib. XXX:

    ‚idque tuis factis saevis et tristibus dictis‘

    1020 (1031) Non. 408,31: ‚Tangere‘ etiam circumvenire. … (38) Lucilius lib. XXX: Fest. 492,5 L.: ‚Tagax’ furunculus a tangendo; cuius vocabuli Lucilius meminit: et … tagacem. Paul. Fest. 493,1 L.: ‚Tagax’ furunculus a tangendo dictus. Lucilius: et … tagacem.

    ‚et Muttonis manum perscribere posse tagacem.‘

    muttonis U Fest. P² Paul. (cf. Schmitt 1914, 77; Cichorius 207) : mutonis V X Z W Fest., L Paul. : musconis codd. Non., Marx | manum codd. Fest., codd. Paul. : manu codd. Non. | posse tagacem codd. Paul. : posse tagem U W X Z Fest. : posse tagetem V Y Fest. : posset agacem L1 Non. : posset aiacem BA CA Non.

    1016: quod: aufgreifend, wtl.: „was das anlangt; wenn“. – tu: Hiat statt Elision eines einsilbigen Pronomens z. B. auch Hor. sat. 1,9,38 si me amas; Verg. ecl. 8,108 qui amant. – (al-) laudare und culpare als Gegensatzpaar auch Plaut. Bacch. 397 illum laudabunt boni, hunc etiam ipsi culpabunt boni; Hor. sat. 1,2,11 laudatur ab his, culpatur ab illis. 1017: Vgl. Hor. sat. 1,4,78 f. ‚laedere gaudes‘ / inquis ‚et hoc studio pravus facis.‘ – Zur Doppeldeutigkeit von sermonibus (auch = Satire) s. Christes 1971, 155 Anm. 60, und Garbugino 1985, 120 f. 1018: Das Fr. muss keineswegs unmittelbar mit dem vorhergehenden zusammenhängen: s. Garbuginos Argumente (1985, 121). – ‚mit deinem Lästermaul‘: wtl. ‚durch dein Schmähen‘.

    Buch XXX

    395

    1016 Nonius: ‚Hilum‘ (ein Fädchen), ‚etwas überaus Kleines“.

    „Du magst loben, magst tadeln: du erreichst rein gar nichts.“

    1017 Nonius 284: ‚Differre‘ (auseinandertragen); ‚unter die Leute bringen‘, ‚bekannt machen‘.

    „Es freut dich, wenn du derlei über mich draußen in Umlauf bringen kannst.“

    1018 Nonius: ‚Differre‘ (auseinandertragen), ‚teilen‘ oder auch ‚spalten‘.

    „und mit deinem Lästermaul zerreißt du (mich? deine Opfer?) in vielen Satiren.“

    1019 Nonius 388: ‚Saevum‘ (wütend, grimmig), ‚hart, streng‘. Nonius 409: ‚Triste‘ (traurig; unfreundlich), ‚grausam‘, ‚unsanft‘

    „und das durch deine grimmigen Taten und galligen Worte …“

    1020 Nonius: ‚Tangere‘ (berühren), auch ‚umringen; umgarnen‘ Festus: ‚Tagax’ (gern zugreifend, diebisch), ‚Spitzbube‘, von ‚tangere‘ abgeleitet. Paulus, epitome Festi: [wie Festus]

    „und Muttos diebische Hand haarklein beschreiben zu können.“

    oder:

    „und eine masturbierende Hand beschreiben zu können.“

    1019: Vgl. Hor. sat. 2,1,21 f. quanto rectius hoc quam tristi laedere versu …; vgl. auch sat. 1,10,11. Marx (II 326) ergänzt nach Hor. sat. 1,4,34 f. und 83: „idque tuis factis saevis et tristibus dictis te consequi cupis ut risum excutias.“– Bemerkenswert der Begriff facta für satirisches Handeln (Christes 1971, 157; Garbugino 1985, 120 + Anm. 308). 1020: Die eine Deutung vertritt Garbugino 1985, 129–131 (Muttonis), die andere Charpin III 208 f. zu Fr. 23 (muttonis); bei beiden Diskussion früherer Deutungsversuche. – In jedem Falle dürfte ein adversarius dem Satiriker vorgeworfen haben, er vertue seine Zeit mit Belanglosem.

    396

    LIBER XXX

    1021 (1017) Non. 420,27 ‚Volutare‘, cogitatione perquirere. … Lucilius lib. XXX:

    haec tu me insimulas? nonne ante in corde volutas

    insimulas edd. : insimilas codd.

    1022 (1030) Non. 505,5: ‚Nolito‘, pro noli. Lucilius lib. XXX:

    nolito tibi me maledicere posse putare.

    1023 (1027) Non. 296,1: ‚Experiri‘, temptare. … Lucilius lib. XXX:

    summatim tamen experiar rescribere paucis.

    experiar rescribere BA E : experiar scribere AA : experire scribere L

    1024 (1036) Non. 278,33: ‚Da‘, dic. … (279,1) Lucilius lib. XXX:

    si liceat facere et iam hoc versibus reddere quod do.

    1025 (1032) Non. 240,1 ‚Accipere‘, audire. … Lucilius lib. XXX:

    hoc etiam accipe quod dico, nam pertinet ad rem.

    1026–27 (1022–23) Non. 181,22: ‚Tenta‘, dictum pro extensa. … Lucilius Satyrarum lib. VI [fr. 237]. idem lib. XI [fr. 398] et in lib. XXX: Non. 264,9: ‚Contentum‘ dicitur extensum. … Lucilius lib. XXX: Non. 385,28: ‚Sublatum‘, erectum. … Lucilius lib. XXX:

    1021: Das Fr. lässt an Hor. sat. 1,4,79 f. unde petitum / hoc in me iacis denken, und somit an Zuweisung zum Part des Dichters; so u. a. Christes 1971, 157 f.; Charpin III 210 zu Fr. 28. Anders sieht Griffith (1970, 64 –72) eine Parallele in Iuv. 1,168 f. tecum prius ergo voluta / haec animo ante tubas, was die Annahme zulässt, einer der Angegriffenen warne den Satiriker vor Überschreitung der Grenze, die die Gesetzgebung Verleumdern setzt; Garbugino 1985, 124 f. neigt dazu, dem zuzustimmen. – Die gewählte Diktion (Einzelheiten bei Garbugino und Charpin a. O.) könnte zur Entrüstung eines Opfers passen, fügt sich aber auch zur (sicher ironischen) Diktion des folgenden, zweifellos zum Part des Lucilius gehörenden Fragments. 1022: maledicere scheint maledicendo von Fr. 1018 aufzunehmen. – Zur Aussage vgl. Hor. sat. 1,4,65–70 (69 f. Ut sis tu similis Caeli Birrique latronum, / non ego sim Capri neque Sulgi; cur metuas me?); s. Christes 1971, 158–160. 1023: summatim: meint die Qualität, paucis (sc. verbis) die Quantität der Replik (Christes 1971, 163 Anm. 97). – Dass rescribere notwendig eine schriftliche Formulierung auch des-

    Buch XXX

    397

    1021 Nonius: ‚Volutare‘ (hin und herwälzen), ‚mit Überlegung genau erkunden‘.

    Dessen bezichtigst du mich? Erwägst du nicht vorher in deinem Herzen …?

    1022 Nonius: ‚Nolito‘ statt ‚noli‘ (wolle nicht)

    Glaube doch bitte nicht, ich könnte dich schmähen.

    1023 Nonius: ‚Experiri‘ (erproben), ‚versuchen‘.

    Dennoch will ich versuchen, summarisch in wenigen Worten zu antworten.

    Nonius: ‚Da‘ (gib), sage.

    1024

    wenn ich es denn tun und vollends folgendes in Versen ausdrücken darf, was ich zu sagen habe.

    1025 Nonius: ‚Accipere‘ (annehmen), ‚hören‘.

    Höre auch dies noch, was ich zu sagen habe; denn es gehört zum Thema.

    1026–27 Nonius 181: ‚Tenta‘, gesagt für ‚extensa‘ (ausgespannt). Nonius 264: ‚Contentum‘ (gespannt) meint ‚ausgebreitet‘. Nonius 385: ‚Sublatum‘ (erhoben), ‚aufgerichtet‘.

    sen voraussetzt, worauf der Dichter antworten will, meinen u. a. Cichorius 195, Krenkel zu Fr. 1092, Garbugino 1985, 11 f.; anders Christes 1971 ebd., vgl. auch Charpin III 210 zu Fr. 26–27. – Garbugino (ebd.) glaubt an eine Epistel Scipios, auf die Lucilius antworte, und reiht dieses und das folgende Fr. in Satire 7 ein. Anders verweist Charpin (ebd.) auf die den Versen 1023, 1024 und 1025 gemeinsame Tonlage, die sie zu ‚Scharnierversen‘ der Diskussion macht; vgl. die Fragmente 351–52, 688, 690 und 853–54: es ist ein Grundanliegen des Satirikers, Gehör zu finden. 1024: quod do hier entspricht quod dico im folgenden Vers. 1025: Vgl. Hor. sat. 1,4,38 agedum, pauca accipe contra; Lucr. 1,921 nunc age quod supe­ rest cognosce et clarius audi. 1026–27: Zur Entscheidung zwischen den Textvarianten s. Garbugino 1985, 132. – ‚Stachel‘: wtl. ‚Schwanz‘. – Mit dem Stiervergleich bei Hor. sat. 1,4,34 verbindet dieses Fr. nur die Form des Vergleichs; inhaltlich kann Hor. sat. 1,4,78–85 und 100 f. verglichen werden; s. Christes 1971, 160 f.; Garbugino a. O. 133 f. Es bezieht sich darum wohl nicht auf den Satiri-

    398

    LIBER XXX

    hic ut muscipula extenta atque ut scorpios cauda sublata. muscipula codd. 181, 264 : muscipulae codd. 385, Marx | extenta Schmitt (dub.), Garbugi­ no 1985, 63 (Nr. 70–71) et 132s. : tenta F³ 181 : tenta L BA 181 : tantae codd. 385 : contenta codd. 264 : tentae Marx | atque F³ 181, codd. 385, 264 : eaque L BA 181

    1028–29 (1024 –25) Non. 327,7: ‚Inprobum‘, saevum. … Lucilius lib. XXX:

    inprobior multo quam de quo diximus ante: quanto blandior haec, tanto vehementius mordet.

    1030 (1026) Non. 306,16: ‚Fortis‘ etiam dives. … (22) Lucilius lib. XXX: Non. 327,16: ‚Inprobum‘, turpe. Lucilius lib. XXX:

    omnes formonsi, fortes tibi, ego inprobus: esto.

    ego codd. 327 : ergo codd. 306

    1031–32 (1037–38) Non. 300,32: ‚Exultare‘ est gestu vel dictu iniuriam facere. Lucilius lib. XXX:

    quin totum purges, devellas me atque deuras, exultes sollicites. devellas Quicherat : delellas L AA DA : debellas G1 : depellas BA | et add. Gerlach : si add. Quicherat | sollicites codd. : adequites E Gen³

    V 1033 (1097) Non. 343,6: ‚Mitis‘ est tranquillus et lenis. … Lucilius lib. XXX:

    est illud quoque mite malum, blandum atque dolosum.

    est J. Dousa : et codd. ker, sondern umgekehrt auf jemanden, den Lucilius als hinterhältig charakterisiert. (Krenkel zu Fr. 1069–70 denkt an Accius.) 1028–29: Auf wen oder auf was bezieht sich haec? Marx (II 328 f.) macht haec durch Ergänzung von dicit zum Objekt und denkt an den falschen Freund, wie ihn Horaz in sat. 1,4,93–101 portraitiert. Schmitt (1914, 76 f.) bezieht haec auf die muscipula von Fr. 1026–27 (ebenso Christes 1971, 161 f.). Warmington (zu Fr. 1072–73) denkt an eine Prostituierte, Terzaghi (1934/1970, 227²) an die Füchsin in der Anekdote. Charpin (III 225 f. zu Fr. 76) glaubt, es werde die Frau schlechthin charakterisiert, und reiht das Fr. in die Satire über die Frauen ein. Am meisten hat wohl Garbuginos Lösung für sich (1985, 134 f.): Er denkt an ein Abstraktum als Subjekt, nml. invidia, die unter dem Deckmantel der adulatio und blanditia einhergeht; s. etwa Phaedr. 5 prol. 9 invidia mordax; Sen. dial. 4,28,5 saepe adulatio, dum blanditur, offendit; Q. Cic. pet. 42 (blanditia), cum deteriorem aliquem assentando facit, improba est. Auch hier kann Horaz für seine Satire 1,4 (s. o.) Anregungen erhalten haben.

    Buch XXX

    399

    Der hier (lauert) wie eine aufgespannte Mausefalle und wie ein Skorpion mit aufgerichtetem Stachel.

    1028–29 Nonius: ‚Inprobum‘ (schlecht, böse), ‚wild, grimmig‘.

    viel boshafter als der, von dem wir vorher sprachen: je mehr sie schmeichelt, desto heftiger beißt sie zu.

    1030 Nonius 306: ‚Fortis‘ (tapfer) auch ‚reich‘. Nonius 327: ‚Inprobum‘ (schurkisch, boshaft), ‚schändlich‘.

    Alle sind in deinen Augen schön und kraftvoll, ich niedertächtig: von mir aus!

    1031–32 Nonius: ‚Exultare‘ (in die Höhe springen, frohlocken) bedeutet ‚durch Gebärde oder Wort Unrecht zufügen‘.

    (Nichts hindert,) dass du mich zur Gänze abreibst, (wie ein Huhn) abrupfst und absengst, herumspringst und fuchtelst.

    5. Über die Frauen 1033 Nonius: ‚Mitis‘ (mild) meint ‚ruhig‘ und ‚sanft‘.

    Es ist auch das ein sanftes Übel, schmeichelnd und listig.

    1030: Zur Deutung des Nonius von fortis als dives s. Garbugino 1985, 131; Charpin III, 210 zu Fr. 29. – formonsi, fortes = καλοὶ κἀγαθοί. 1031–32: Zur Textherstellung zuletzt ausführlich Garbugino 1985, 137. – „Lucilius teste Horatio serm. I 10, 55 ‚de se loquitur non ut maiore reprensis‘: adversario sese tradit carpendum et vellicandum“ (Marx II 332). Der Bezug auf die Horazstelle mag diskussionswürdig sein, doch folgen fast alle Editoren Marx in der Annahme, dass sich hier der Satiriker ironisch seinem Gegner ausliefert. Dagegen geben Martyn (1966, 502) und Charpin (III 209 f. zu Fr. 25) das Fr. dem adversarius; undenkbar ist das nicht. Es ließe sich mit Fr. 1016, weniger gut aber mit Fr. 1010 und 1011 vereinbaren. Lit. zu V: Haß 2001, 111–120; dies. 2007, 112–134 (umfassend zum Thema ‚Erotik‘ – These: Nähe zur Komödie) 1033: „Agitur de mulieris ingenio“ (Marx II 348). Zweifel an diesem Bezug (Krenkel zu Fr. 1047) sind ausgeräumt durch D. Korzeniewski: ‚Dulce Malum‘. Ein unbeachtetes Sprichwort und das Lucilius-Fragment 1097 M. Gymnasium 83 (1976) 289–294; s. auch Charpin III 225 zu Fr. 75, Garbugino 1985, 138 f.)

    400

    LIBER XXX

    1034 (1050) Non. 484,24: ‚Sumpti‘, pro sumptus. … Lucilius lib. XXX:

    quid dare, quid sumti facere ac praebere potisset.

    potisset codd. : potissit J. Dousa : potesset Lindsay

    1035 (997) Non. 287,24: ‚Dicare‘, tradere. … Lucilius lib. XXX:

    iuratam se uni, cui sit data deque dicata,

    cui sit L BA DA : suistit AA | deque Carrio : adaequae L BA CA DA : adequae G³

    1036 (996) Non. 350,16: ‚Metiri‘ est transmeare. Lucilius lib. XXX:

    vir mare metitur magnum et se fluctibus tradit.

    et se Mercier : est codd. | tradit edd. : tradidit codd.

    1037–38 (998–99) Non. 297,29: ‚Ecferre‘, erigere, levare. … Lucilius lib. XXX:

    continuo, simul ac paulo vehementius aura inflarit, fluctus erexerit extuleritque,

    fluctus AA BA : fructus G | erexerit edd. : erexit codd.

    1039 (1000) Non. 408,6: ‚Trepidare‘, metuere. … Lucilius lib. XXX:

    ‚sed quid ego haec animo trepidanti dicta profundo?‘

    trepidanti H², Marx : trepidante L AA BA DA

    1040 (1003) Non. 283,16: ‚Ducere‘, existimare, iudicare. … (23) Lucilius lib. XXX: 1034: Charpin (III 226 zu Fr. 77) unterscheidet zwischen „les dons“, „le réglement des factures“ und „les gratifications“ (z. B. Taschengeld). Anders übersetzt Garbugino (1985, 119): „che cosa potesse offrire, quale spesa sostenere e quali regali donare“. – Subjekt ist entweder eine meretrix oder eine Frau, die ihren Mann nach materiellen Gesichtspunkten aussucht oder bewertet. – potisset setzt einen Hauptsatz im Präteritum voraus. Deswegen bringt Garbugino (ebd.) das Fr. in Zusammenhang mit den Versen 1055–56 und 978, die er mit Puelma Piwonka als Entsprechung zu Tib. 1,9,51 f. deutet. Ebenso gut kann das Fr. aber auch z. B. auf die Frau gemünzt sein, von deren Versuchungen Lucilius in den folgenden Fragmenten erzählt. Spekulation bleibt auch dies. 1035: deque dicata: Tmesis. – Das klingt nach Treueschwüren vor Abreise des Mannes; Garbugino setzt das Fr. dagegen nach Fr. 1039. – Andere mögliche Zusammenhänge listet Charpin (III 228 zu Fr. 84) auf. 1036: Also ein Kaufmann, vgl. Hor. sat. 1,1,6 contra mercator navim iactantibus Austris. – Wenn sich Fr. 1034 auf seine Frau bezieht, hat sie gut gewählt. – Das historische Präsens zeigt eine lebhaft erzählte Anekdote an. – mare metitur magnum: ironisierendes Pathos, erzeugt mit ennianischen Mitteln (Charpin III 220 zu Fr. 60, Garbugino 1985, 139 f.).

    Buch XXX

    401

    1034 Nonius: ‚Sumpti‘, statt ‚sumptūs‘ (des Aufwandes, der Kosten)

    …, was er geben, wieviel er aufbringen und zahlen könne.

    1035 Nonius: ‚Dicare‘ (feierlich verkünden), ‚übergeben‘

    …, sie sei an den einen eidlich gebunden, dem sie gegeben und angetraut sei.

    1036 Nonius: ‚Metiri‘ (messen; durchmessen) meint ‚durchziehen, durchwandern‘.

    Ihr Mann durchmisst das weite Meer und liefert sich den Fluten aus.

    1037–38 Nonius: ‚Ecferre‘ (hinaustragen), ‚aufrichten‘, ‚erheben‘.

    Sogleich, sobald der Wind ein wenig heftiger geblasen, die Fluten aufgewühlt und aufgetürmt hat, …

    1039 Nonius: ‚Trepidare‘ (zittern), ‚Angst haben‘.

    „Doch warum bringe ich diese Worte angstvollen Herzens hervor?“

    1040 Nonius: ‚Ducere‘ (ziehen), ‚meinen‘, ‚urteilen‘. 1037–38: Marx (II 323 zu Fr. 998) deutet das Fr. aus der Sicht der daheim gebliebenen Ehefrau, die, zunächst noch treu, um ihren Mann bangt. Aus der Sicht des Mannes, der fürchtet, seine Frau nicht wiederzusehen, deuten es – wohl eher zutreffend – Schmitt (1915, 69), Terzaghi ([1934] 1970, 247) und Garbugino (1985, 140). Die (so oder so) aufkeimende Angst erklärt Krenkel (zu Fr. 1012–13) mit der mangelnden Fähigkeit antiker Lastschiffe, unter dem Winde zu kreuzen. – Zur ennianischen Färbung auch hier s. Charpin III 220 zu Fr. 61. 1039: ‚angstvollen Herzens‘: weil er fürchtet, seine Frau nicht mehr wiederzusehen (Terzaghi 1934/1970, 247)? Oder – dann stünde das Fr. wohl nicht in Zusammenhang mit dem Sturm–, weil er argwöhnt, dass seine Frau untreu geworden ist (Schmitt 1914, 70)? Der parodierende hohe Stil (Charpin III 221 zu Fr. 62) stellt das Fr. eher zu der Sturmszene. 1040: Wie der Gatte schließlich doch heimkehrt, steht er vor verschlossener Tür. Seine Frau hat verbreitet, er sei tot; zur Szene vgl. Ter. Hec. 185–189. – Elision des Personalpronomens vermittelt Atemlosigkeit. Von Garbugino (1985, 141 f.) gut beobachtet der Wechsel von epischem Stil zu dem der Komödie.

    402

    LIBER XXX

    non datur: admittit nemo, nec vivere ducunt. 1041 (1002) Non. 35,23: ‚Nugator‘, nugis turbator. Lucilius lib. XXX:

    ‚quom me hoc tempore, nugator, cognoscere non vis,‘ quom Marx, def. Garbugino 1985, 142 : quam codd., Housman CQ 1 (1907) 57

    1042 (1001) Non. 273,28: ‚Colligere‘, auferre. Lucilius lib. XXX: Non. 380,6: ‚Ruere‘, inruere sine cautela. … Lucilius lib. XXX:

    ‚– ⏑ ⏑ – ruis hoc et colligis omnia furtim.‘

    et AA BA DA 273, L AA BA 462 : est L 273

    1043 (1004) Non. 278,4 ‚Delenitus‘, delectatus. … Lucilius lib. XXX:

    praeservit, labra delingit, delenit amore.

    delingit Turnebus, Charpin : delicit codd. : delibat dub. coni. Garbugino 1985, 65 (Nr. 87) et 144)

    1044 (1007) Non. 330,3: ‚Inmittere‘, demittere ad prolixitatem. Lucilius lib. XXX:

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – neque barbam inmiseris istam.‘ inmiseris AA DA : immiseris L² G : in miseriis L1

    1045– 46 (1005–6)

    Non. 330, 15: ‚Induci‘ est aliquibus fallaciis decipi. Lucilius lib. XXX: – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – quid quaerimus? acri inductum cantu stolidum acri Marx : acre AA BA DA : sacre L1 | cantu stolidum Roth, Lindsay CR 20 (1906) 63 : catustotitum AA : cantustoditum L1 : cantu custoditum BA, Marx 1041: Mnesilochus hatte da mehr Glück (Plaut. Bacch. 536 f.): salvus quom … advenis, / cena detur. – Zu kausalem quom (cum) mit Indikativ s. Kühner-Stegmann II 348 § 205,4 Anm. 5. – Der die Tür bewachende Sklave sucht – wie Sosias im Amphitruo – Zeit zu gewinnen, damit der dominus seine Gattin nicht in kompromittierender Situation überrascht. – Krenkel (zu Fr. 1005) und Charpin (III 221 zu Fr. 63), die beide quam lesen, verweisen auf die bekannte Anekdote vom Besuch des Ennius bei Scipio Nasica (Cic. de orat. 2,276): …exclamat Nasica domi non esse. Tum Ennius ‚Quid? Ego non cognosco vocem‘, inquit, ‚tuam?‘ Aber das Wiedererkennen eines Heimkehrers ist etwas anderes als das Wiedererkennen einer Stimme, was seinerseits für die Konjektur quom spricht. 1042: hōc = huc. – Worte des Mannes, der schließlich doch ins Haus gelangte, an die ser­ va conscia – vgl. Hor. sat. 1,2,29–131 –, die alle Spuren des Liebhabers zu beseitigen sucht (Garbugino 1985, 142 f.)?

    Buch XXX

    403

    (Einlass) wird nicht gewährt: niemand lässt (ihn) ein, und man meint, er lebe nicht mehr. 1041 Nonius: ‚Nugator‘ (Schwätzer), einer, der jemanden mit Belanglosigkeiten schwindelig redet.

    „da du mich zurzeit, du Maulheld, nicht wiedererkennen willst,“

    1042 Nonius 273: ‚Colligere‘ (zusammenlesen), ‚wegtragen‘. Nonius 380: ‚Ruere‘ (rennen, stürzen), ‚hineinstürzen ohne Vorsicht‘.

    „… stürzt du herein und raffst alles verstohlen zusammen.“

    1043 Nonius: ‚Delenitus‘ (besänftigt), ‚erfreut‘.

    Sie ist ganz ergebene Sklavin, gibt Zungenküsse, kirrt ihn mit Liebesbeweisen.

    1044 Nonius: ‚Inmittere‘ (hineinschicken, hingehen lassen), ‚zu reichlicher Länge her­ ablassen‘.

    „… und lass deinen Bart da nicht so lang wachsen.“

    1045– 46 Nonius: ‚Induci‘ (hineingeführt -; verführt werden) meint ‚durch irgendwelche Verstellungskünste getäuscht werden‘.

    Was fragen wir noch? (Sie führt) den von hellklingendem Gesang verführten Dummkopf (an der Nase herum.)

    1043: praeservire: wtl. ‚vorzugsweise dienen‘; vgl. Plaut. Amph. 126 ut praeservire amanti meo possem patri. – Die Ehefrau verhält sich wie die Hetäre des Ephippos (CAF II 254,6 Kock). – Garbuginos Vorschlag (1985, 143 f.), die Konjektur delingit durch delibat zu ersetzen, ist erwägenswert. 1044: „Barbato rostro videtur rediise maritus: hortatur mulier ut tondeatur“ (Marx II 325). – Entschuldigt sich damit die Ehefrau, weil sie ihren Mann nicht gleich erkannt habe? S. Garbugino (1985, 144), der auch andere, aus dem vorliegenden Zusammenhang hinausführende Deutungen diskutiert. 1045– 46: Das Lemma des Nonius verweist deutlich auf den hier behandelten Zusammenhang. (Die Ergänzung natürlich nur verbi causa.) – Vgl. Hom. Od. 12,44 – 46; s. Charpin III 222 zu Fr. 66, Garbugino 1985, 145.

    404

    LIBER XXX

    1047– 48 (993–94) Non. 522,17: ‚Apud‘, ad. Lucilius lib. XXX:

    aut cum iter est aliquo et causam conmenta viai aut apud aurificem, ad matrem, cognatam, ad amicam,

    conmenta viai Lipsius : conmentavi aut L BA CA DA : conmentavi ut E1 P

    1049 (992) Non. 523,8: ‚Operari‘ est deos religiose et cum summa veneratione sacrificiis litare vel convivari. … (20) Lucilius lib. XXX:

    aut operata aliquo in celebri cum aequalibus fano.

    operata Gulielmus : operat codd. : operatum Lachmann, Marx | in celebri L AA BA DA : inlecebri CA

    1050 (995) Non. 272,17: ‚Caedere‘, conmiscere. Lucilius lib. XXX: Non. 462,23: ‚Pallorem‘ vetustatem et neglegentiam Lucilius lib. XXX voluit dici posse:

    lana, opus omne perit: pallor, tiniae omnia caedunt.

    lana L AA DA 272, AA BA 462 : luna CA DA 462 lanae BA 272 | pallor codd. 462 : fallor codd. 272

    1051 (991) Non. 35,29: ‚Discerniculum‘, acus quae capillos mulierum ante frontem dividit: dicta a discernendo. Lucilius lib. XXX:

    euplocamo digitis discerniculumque capillo

    1052–53 (1056–57) Non. 118,6: ‚Gerdius‘. Lucilius lib. XXX:

    curare domi sint gerdius, ancillae, pueri, zonarius, textor.

    textor Iunius : tector codd. : lector coni. dub. Krenkel

    1047– 48: „Sollicitus esse debet de pudicitia maritus, cum iter aliquo uxor est commenta“ (Marx II 322). – Eine Ehefrau gehörte ins Haus, vgl. Cato agr. 143,1. (Allerdings wird eine vilica kaum einen Gang zum Goldschmied vorschützen.) – Lucilius kennt den Unterschied zwischen apud und ad, s. Fr. 1098–1100; der Gebrauch hier dürfte metrisch erzwungen sein. – Insgesamt zu diesem und dem folgenden Fr. Garbugino 1985, 145 f. 1049: Die paläographisch nächstliegende Konjektur operata verteidigt Garbugino a. O. 146. – Zum Inhalt vgl. Prop. 2,33,1 f., Ps.-Lukian. amor. 42. 1050: Das Nonius-Lemma p. 272 ist ungenau. – „La mulier domiseda era per tradizione lanifica“ (Garbugino 1985, 147).

    Buch XXX

    Nonius: ‚Apud‘ (bei), ‚zu‘.

    405

    1047– 48

    oder wenn sie sich einen Weg irgendwohin oder einen Grund auszugehen ausgedacht hat, entweder zum Goldschmid, zur Mutter, einer Verwandten, einer Freundin, …

    1049 Nonius: ‚Operari‘ (tätig -, beschäftigt sein) meint, die Götter fromm und mit höchster Verehrung mit Opfern besänftigen oder auch zu bewirten.

    oder mit einem Opfer beschäftigt mit Gleichaltrigen in irgendeinem vielbesuchten Tempel.

    1050 Nonius 272: ‚Caedere‘ (fällen), ‚vermischen‘. Nonius 462: Mit ‚pallorem‘ (Blässe; Schimmel) wollte Lucilius in Buch XXX ‚langes Liegenbleiben‘ und ‚Vernachlässigung‘ bezeichnet wissen.

    Wolle, jegliche Hausarbeit wird zuschanden: Schimmel, Motten zerfressen alles.

    1051 Nonius: ‚Discerniculum‘ (Haarnadel), eine Nadel, die die Haare der Frauen vorn an der Stirn teilt; abgeleitet von ‚discernere‘ (trennen).

    … der Schöngelockten (Ringe) für ihre Finger und eine Haarspange für ihr Haar

    Nonius: ‚Gerdius‘ (Weber).

    1052–53

    … dafür zu sorgen, dass es im Hause einen Leinenweber, Mägde, Diener, einen Gürtelmacher, einen Wolleweber gibt.

    1051: Zu euplocamo (hier dat. commodi) vgl. Fr. 537– 43 (Homerparodie). – Zu discernicu­ lum als Bestandteil einer „coiffure spécifique des matrones“ s. Charpin (III zu Fr. 92) unter Berufung auf Plut. qu. R. 87. – Garbugino 1985, 147 f. denkt an den maritus als Schenkenden, für Charpin a. O. beschreibt Lucilius, wie eine Frau Toilette macht. Für Garbuginos Deutung würde es sprechen, wenn das folgende Fr., wo curare ziemlich sicher eine Obliegenheit des Ehemanns ist, in denselben Zusammenhang gehört. 1052–53: gerdius: erstmals hier bei Lucilius; nach Marx II 336 f. im Unterschied zu textor (Wolleweber) ein Leinenweber. – Zur Fülle eines hochspezialisierten Hauspersonals vgl. Plaut. Aul. 507–519.

    406

    LIBER XXX

    1054 (990) Non. 350: ‚Manicae‘, quibus manus vinciuntur. Lucilius lib. XXX:

    sic laqueis, manicis, pedicis, mens inretita est.

    mens inretita L BA DA : inretita AA

    1055–56 (1039– 40) Non. 320,25: ‚Honor‘, praemium. … Lucilius lib. XXX: Non. 366,1: ‚Pretium‘, pro praemio. Lucilius lib. XXX:

    cuius vultu ac facie ludo ac sermonibus nostris virginis hoc pretium atque hunc reddebamus honorem. ac f. codd. 366, L AA DA 320 : a f. G 320 | ludo codd. 320 : ludis codd. 366 | virginis G AA DA 320, 366 : verginis L 320, 366 | reddebamus codd. 320 : reddimus codd. 366

    1057–58 (1043– 44) Non. 401,13: ‚Subigere‘, cogere. …Lucilius lib. XXX:

    ‚tune iugo iungas me ante et succedere aratro invitum et glebas subigas proscindere ferro?‘

    iugo iungas L BA DA : iugo iungans AA | ante codd. : anne Marx, dist. me? anne

    1059–60 (1041– 42) Non. 401,3: ‚Subigere‘, mollire vel exercere. … Lucilius lib. XXX: Non. 233,19: ‚Anima‘ iterum significat iracundiam vel furorem; unde et ‚animosi‘ dicuntur iracundi. … (38) Lucilius lib. XXX (atque animosam …domemque).

    an ego te vacuam atque animosam, Tessalam ut indomitam, renis subigam ante domemque?

    an Lachmann : an codd. | vacuam Lachmann : acuam codd. 401 Thessalam ut edd. : tessalam ut cod. 401 : thessaliam et codd. 233 | subigam ante domemque codd. 401 : subigantque domentque codd. 233 : subigamque domemque Marx

    1054: Hilfreiche Beobachtungen bei Charpin III 225 zu Fr. 73 und Garbugino 1985, 149. – M. E. folgen nach dieser die Anekdote abschließenden Feststellung grundsätzliche Erörterungen aus der Sicht des Dichters. 1055–56: Die hohe Tonlage des Fr. (Garbugino 1985, 117) kann, muss aber nicht ironisch gemeint sein; denn virgo kann auch eine Dirne bezeichnen (Marx II 332, Charpin III 228 f. zu Fr. 85, Garbugino ebd.); s. Plaut. Rud. 67. 81. Anders sieht Puelma Piwonka 1948, 273 f. in Tib. 1,9,47 f. eine Entsprechung: Enttäuschung darüber, dass die Geliebte – er vermutet, es handelt sich um Hymnis (s. Fr. 1216) – seinen sie preisenden Gedichten materielle Geschenke vorzieht. – Beachtenswert ist die programmatische Aussage des Dichters über seine Satiren: ludus charakterisiert sie als „repos de plus grand travail“ (Charpin a.O. 229), wie es Hor. sat. 2,1,62–65 beschreibt; vgl. auch Hor. sat. 1,10,37–39 haec ego ludo … und Pers. 5,15 f. – Sev. Koster (2001, 123 Anm. 10) überlegt, ob ludus hier „konkretes, ironisches Spiel“ und sermones „dessen Niederschlag in den sermones“ meinen könne. Haß 2007, 118

    Buch XXX

    407

    1054 Nonius: ‚Manicae‘ (Handfesseln), womit die Hände gefesselt werden.

    So wurde sein Verstand von Schlingen, Hand- und Fußfesseln eingeschnürt.

    1055–56 Nonius 320: ‚Honor‘ (Ehre), ‚Auszeichnung, Preis‘. Nonius 366: ‚Pretium‘ (Preis, Lohn), statt ‚praemium‘ (Auszeichnung, Preis).

    ein Mädchen, dessen Antlitz und Anblick wir im Spiel unserer Satiren diesen Preis und diese Auszeichnung zu verleihen pflegten.

    1057–58 Nonius: ‚Subigere‘ (unter etwas hintreiben), ‚zwingen‘.

    „Du willst mich eher unterjochen und zwingen, mich dem Pflug zu unterwerfen, gegen meinen Willen, und die Schollen mit der Pflugschar aufzubrechen?“

    1059–60 Nonius 401: ‚Subigere‘ (unter etwas hintreiben), ‚weich machen, zähmen‘ oder ‚ohne Rast beschäftigen, bändigen‘. Nonius 233: ‚anima‘ (Atem, Seele) bezeichnet auch Zorn oder Raserei; daher werden Zornige auch ‚animosi‘ genannt.

    … oder soll ich dich, eine freie und hochfahrende Frau, wie ein ungebändigtes Thessalerfohlen, in Zügel legen und zähmen?

    erwägt, dass Lucilius mit ludus seine ‚Komödienparaphrase‘ (nml. der Hymnis des Caeci­ lius) und mit sermones hier die Darstellung seines Verhältnisses zu seiner Geliebten gleichen Namens differenziert haben könne. Zu sermones – s. auch Fr. 1017. 1018 – vgl. Hor. epist. 1,4,1; 2,1,250; 2,2,60. – Hierzu s. Puelma Piwonka a. O. 270–284; Mariotti 1960, 17; Garbugino a. O. 118, Haß 2001, 111–115; dies. 2007, 112–14 und 183–188. – Setzt sich Lucilius, der sich schon in Buch XXVI ehefeindlich zeigte (Fr. 601–611), hier mit dem Bekenntnis eines bindungsfreien Liebesverhältnisses (wohl mit Hymnis, s. die Verse 845, 850, 935 und 1216) von ehewilligen Männern ab? 1057–58: ‚eher‘: nml. ‚als ich dich‘. – Dieses und das folgende Fr. gehören eng zusammen und beschreiben die Beziehung der Geschlechter als Machtkampf; die Einzelheiten nach Marx (II 332–334 zu Fr. 1041–1044) erschöpfend behandelt von Charpin (III 233 f. zu Fr. 96–97) und Garbugino (1985, 111–113). Beide vertreten mit Recht die auch hier gewählte Reihenfolge der Fragmente; anders (wegen Fehleinschätzung der Zitatenfolge bei Nonius –

    408

    LIBER XXX

    1061–62 (1045– 46) Non. 140,8; ‚Mansum‘, mandendum aut mansatum. … Lucilius lib. XXX:

    – sperans aetatem eadem haec proferre potesse et mansum ex ore daturum. eadem P : eandem codd. : in eandem Mueller : item eandem Marx : eadem me Lindsay | haec codd. : hanc Marx | proferre F³ : proferro L BA | potesse et CA DA : posset et F³ : posset mansum L BA

    1063 (1047) Non. 350,5 ‚Maculosum‘, sordidum, immundum. Lucilius lib. XXX:

    ‚haec vestimentis maculosis; tum aspice, sis, te.‘

    tum aspice sis te Mueller, Marx : tum aspice iste codd. : tum aspicit iste Iunius : cum aspicies te Lachmann, alii alia

    1064 (1067) Prisc. GL II 488,16: Ab ‚oleo‘ vel ‚leo‘ composita per ‚vi‘ syllabam faciunt praeter­itum perfectum, ut ‚impleo, implevi‘ …, quamvis ‚oleo‘ et ‚olui‘ et ‚olevi‘ faciat. … (24) Lucilius vero in XXX [ – fr. –] pro ‚perolevisse‘.

    quis totum scis corpus iam perolesse bisulcis scis corpus iam codd. : scis iam corpus Lachmann

    1065 (1068) Non. 320,35: ‚Invitare‘ apertam habet significantiam. …. (321,3) Lucilius lib. XXX:

    contra haec invitasse aut instigasse videntur.

    1066–67 (976–77) Non. 413,7: ‚Taetrum‘ dicitur inluviosum, faetidum. … (14) Lucilius lib. XXX:

    hierzu Garbugino a. O.) Marx (Fr. 1041–1044), Warmington (Fr. 1041–1044) und Krenkel (Fr. 985–988). 1061–62: Textherstellung und Deutung folgen Garbuginos Lösung (1985, 113–115); partiell übereinstimmend Charpin III 231 f. zu Fr. 90. – Ammen, die auch in römische Haushalte immer mehr Eingang fanden, zerkleinerten in ihrem Munde die Nahrung für das Kind in ihrer Obhut; s. Aristot. rhet. 3.1407a, Cic. de orat. 2, 162. Die Amme, von der dieses Fr. handelt, scheint sich eine dauerhafte Beschäftigung zu erhoffen. – Zu aetatem proferre vgl. Hor. epist. 1,6,24 quidquid sub terra est, in apricum proferet aetas. – daturum (sc. esse) als indeklinable (oder neutrale) Form statt daturam; vgl. Fr. 535–36 u. Erl., s. auch Charpin a. O. 231 und Garbugino a.O. 114 f. – Wie diese und die folgenden Fragmente sich in die Thematik ‚Über die Frauen‘ einfügen, bleibt unklar. Vielleicht dient das Verhalten der Amme zum Vergleich mit dem Streben der Matronen (s. Fr. 1034) in einen materiell sicheren Ehehafen.

    Buch XXX

    409

    1061–62 Nonius: ‚Mansum‘ (zu kauen), ‚mandendum‘ (= das Gerundivum v. mandere) oder ‚mansatum‘ (= das Partizip vom [sonst nicht belegten] Verbum intensivum).

    in der Hoffnung, dass die Zeit diese gleiche Situation aufrechterhalten könne und sie (weiterhin) Zerkautes werde zu essen geben können.

    1063 Nonius: ‚Maculosum‘ (voller Flecken), ‚schmutzig‘, ‚unrein‘.

    „Sie hier steckt (zwar?) in schmutzigen Kleidern; dann (aber) schau bitte dich an.“

    1064 Priscianus: Komposita von ‚oleo‘ (ich rieche etwas; ich rieche nach etwas) oder ‚-leo‘ bilden das Perfekt mit der Silbe ‚-vi‘, wie z. B. ‚impleo implevi‘, …, wenngleich ‚oleo‘ sowohl ‚olui‘ als auch ‚olevi‘ bildet. … Lucilius hat jedoch in Buch XXX [Fr. mit der Form ‚perolesse‘] statt ‚perolevisse‘.

    deren Körper – du weißt es – schon ganz den Geruch des Stalles angenommen hat.

    1065 Nonius: ‚Invitare‘ (einladen) hat eine klare Bedeutung.

    Das scheint im Gegenteil angezogen und angestachelt zu haben. Fabel vom kranken Löwen und der Füchsin 1066–67 Nonius: ‚Taetrum‘ (hässlich) meint ‚voller Schmutz’, ‚übelriechend‘. 1063: ‚Sie hier‘: Wenn damit die Amme des vorausgehenden Fr. gemeint ist – so auch Garbugino 1985, 115 –, wäre Krenkels Anstoß (s. zu Fr. 990) – er hätte eher ista oder illa erwartet – beseitigt. – sis: = si vis. – Schmitt (1914, 79) weist hin auf Plaut. Bacch. 434 corium tam maculosum, quam est nutricis pallium: sprichwörtlich, s. Otto (1890) 1964, 262. Lucilius spielt vielleicht mit der wörtlichen und bildlichen Bedeutung von maculosus; vgl. Marx II 334 f., Charpin III 228 zu Fr. 83, Garbugino a. O. 115 f. 1064: ‚deren Körper‘: wtl.: ‚denen der Körper‘ – bisulcis: porcus divisis ungulis (GL IV 489,7). – Sind Frauen vom Lande gemeint, „che, a dispetto dei loro effluvi poco gradevoli, riescono a farsi un amante o un marito“ (Garbugino 1985, 116)? 1065: ‚Das‘: Mängel wie der Stallgeruch? Vgl. Hor. sat. 1,3,38– 40; s. Charpin III 228 zu Fr. 82, Garbugino 1985, 116 f. In Zusammenhang mit Fr. 1002–3 – Weingelage und seine Folgen – bringt das Fr. Krenkel (Fr. 1040).

    410

    LIBER XXX

    quae non spectandi studiosa, abdominis taetri impulsu ingressast spectandi Gulielmus : spectans spectandi codd. | studiosa abdominis Baehrens: studiose ad (at L²) hominis L : studiose ab hominibus G : studiose hominibus AA DA : studio sed numinis Marx : studio sed abdominis Stowasser WS 28 [1906] 223) : studio sed nominis Krenkel : studio sed ab ominis Charpin | ingressast Mueller : ingressus codd., Marx

    1068–69 (980–81) Non. 341,4: ‚Lassum‘ dicitur fatigatum. Lucilius lib. XXX:

    aegrotum ac lassum

    leonem

    1070 (982) Non. 160,21: ‚Porrigo‘, morbi genus. Lucilius lib. XXX:

    tristem et corruptum scabie et porriginis plenum

    scabie BA CA DA : scaviae L1

    1071–72 (983–84) Non. 125,27: ‚Inluvies‘, sordes. … Lucilius lib. XXX: Non. 160,18: ‚Petigo‘, genus morbi. Lucilius lib. XXX:

    inluvies, scabies oculos huic deque petigo conscendere.

    inluvies BA CA DA : inluies L1 125 : illuies L2 125 | deque petigo Fruterius : denique petigo codd. 160 : denique spei codd. 125 : deinque petigo Iunius : deinde petigo Krenkel

    1073–74 (985–86) Non. 289,15: ‚Deductum‘, deminutum, subpressum. Lucilius lib. XXX:

    deducta tunc voce leo: ‚cur tu ipsa venire non vis huc?‘

    deducta tunc L1 DA : deductat hunc AA BA | cur tu L BA DA : cur tum AA

    Die Fabel vom Löwen und der Füchsin auch bei Plat. Alk. 1, 123a; Hor. epist. 1,1,73–76; Sen. dial. 8 (de otio), 1,3; Babr. 103; Them. or. 13,174c. 149 f. – Vgl. Sen. dial. 8,1,3 turba vestigorium, in quibus nulla sunt redeuntium. – S. auch Charpin III 216 zu Fr. 44 –50 und Garbugino 1985, 149 f. 1066–67: Die Herstellung des Textes ist überaus umstritten. Die hier vorgelegte Fassung folgt Garbugino (1985, 151–153). Transitives ingredi – angenommen schon von W. Ehlers: Art. ingredior, in: ThLL VII 1567,2ss. – muss angenommen werden, weil die Füchsin ja nicht die Höhle des Löwen betritt. – Mit anderer Textherstellung bezieht Krenkel (s. bei ihm Fr. 1032–33) das Fr. auf die Troginus-Anekdote (Fr. 1082). – Vgl. aber Charpin III 216 f. zu Fr. 47, der (ebenfalls mit Aufnahme z. T. anderer Konjekturen) das Fr. dennoch auf die Füchsin bezieht. – Trifft die hier vorgelegte Deutung im Wesentlichen zu, so gehört das Fr. m. E. an den Anfang der Fabel.

    Buch XXX

    411

    (Spuren,) denen sie nicht aus Schaulust, (sondern) angetrieben vom garstigen Bauche folgte.

    1068–69 Nonius: ‚Lassum‘ (matt) meint ‚erschöpft‘.

    den kranken und matten Löwen

    1070 Nonius: ‚Porrigo‘ (Grind), eine Krankheitsart.

    verdrossen und entstellt von Krätze und voller Grind

    1071–72 Nonius 125: ‚Inluvies‘ (Unflat), ‚Schmutz’. Nonius 160: ‚Petigo‘ (Räude), eine Krankheitsart.

    Schmutz, Krätze und Räude befielen (schon) seine Augen.

    1073–74 Nonius: ‚Deductum‘ (herabgeführt), ‚vermindert‘, ‚leise‘.

    darauf mit gedämpfter Stimme der Löwe: „Warum willst du nicht auch hierher kommen?“

    1068–69: Ergänze etwa: „trifft/findet die Füchsin …“. – Garbugino 1985, 150 weist darauf hin, dass nur bei Lucilius der Löwe wirklich krank ist, während er in den anderen Fassungen lediglich zu alt ist, um noch jagen zu können. 1070: Akkusative wie im Fr. zuvor. – Zu scabies s. Cels. 5,28,16a, zu porrigo Cels. 6,2,1. 1071–72: deque petigo: Tmesis; depetigo: Cato agr. 157,16. 1073–74: Auch bei Babrios – φωνὴν βαρεῖαν προσποιητὰ λεπτύνων (103,5) – verstellt sich der Löwe. Anders Garbugino 1985, 153: „Il leone parla con voce sottile, quasi da moribondo“ – Zu deductum vgl. Verg. ecl. 6,5 deductum dicere carmen; Prop. 2,33,38 et mea deducta carmina voce legis.

    412

    LIBER XXX

    1075 (987) Non. 143,31: ‚Noenum‘, pro non. Lucilius lib. XXX:

    ‚sed tamen hoc dicas quid sit, si noenu molestum est:‘

    quid sit edd. : quid est (esti L1) BA CA DA : quid rest Lachmann | noenu Iunius : noenum codd.

    1076–77 (988–89) Non. 303,16: ‚Ferre‘, dirigere, ducere. Lucilius lib. XXX: Non. 402,6: ‚Spectare‘, dirigi. Lucilius lib. XXX:

    ‚quid sibi vult? quare fit ut introvorsus et ad te spectent atque ferant vestigia se omnia prorsus?‘

    introvorsus codd. 303 : intravorsus codd. 402 : intro vorsus Marx | ed ad te Iunius : ut ad te codd. 303 : aetate codd. 402 | spectent L AA DA 303 : spectant L AA DA 402 : expectant G 303 : expectent G 402 | ferant codd. 303, AA BA DA 402 : ferent L1 402 | se omnia edd. : sed omnia codd. 402 : omnia se codd. 303 | prorsus codd. 402, AA BA DA 303 : prosus L1 303

    VI 1078 (970) Non. 275,1: ‚Concelebare‘, diffamare, dictum a celebritate. Lucilius lib. XXX:

    multis indu locis sermonibus concelebrarunt, 1079 (971) Non. 382,24: ‚Rumpere‘, defetigare. … Lucilius lib. XXX:

    quae quondam populo risu res pectora rumpit.

    populo risu res Madvig Advers. Crit. 1,73 : populi oris aures (vel auris) codd. : populis ora aures Mueller : populi risu res Marx :

    1080 (972) Non. 462,26: ‚Bonus‘ et fortis et aptus dici potest. Lucilius lib. XXX: aptus Mueller (v. Verg. Georg. 2,447 qui versus sequitur in Nonio) : pius codd. 1075: si noenu molestum est: vgl. Plaut. Rud. 120; Cic. Phil. 2,41 (nisi molestum est). – Spricht hier, mit ausgesuchter Höflichkeit gegenüber dem König der Tiere, die Füchsin (so u. a. Marx II 320 f.; Krenkel zu Fr. 1081; Garbugino 1985, 154), oder umgekehrt der Löwe, der wissen möchte, warum die Füchsin seine ‚freundliche‘ Einladung nicht annimmt (so Charpin III 217 zu Fr. 49)? – In ersterem Falle weist hoc auf das Folgende und ist Doppelpunkt zu setzen, im zweiten Fall ist hoc anaphorisch gebraucht. 1076–77: Vgl. Hor. epist. 1,1,74 f. quia me vestigia terren, / omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum. (Porph. ad loc.: Luciliana sunt haec.); hierzu Garbugino 1985, 154 f. Lit. zu VI: Spanische Kriegsanekdoten: Cichorius 215–219; Haß 2007, 162–164 (mit einer in vielem Krenkel folgenden Rekonstruktion, die nicht berücksichtigt, dass sich zwischen das Thema ‚Ein schäbiges Gastmahl‘ (3. Satire) und die ‚Spanischen Kriegsanekdoten‘ das Frauenthema schiebt. Doch sei betont, dass bei einer beträchtlichen Anzahl der Fragmente, die der 3. Satire zugewiesen wurden, fraglich bleibt, ob sie nicht vielmehr hierher gehören.

    Buch XXX

    Nonius: ‚Noenum‘ statt ‚non‘ (nicht).

    413

    1075

    „aber dennoch sag mir, was dies bedeutet, wenn es dir nichts ausmacht.“

    1076–77 Nonius 303: ‚Ferre‘ (tragen), ‚lenken‘, ‚führen‘. Nonius 402: ‚Spectare‘ (schauen), ‚gelenkt werden‘.

    „Wie darf ich das verstehen? Wie kommt es, dass einwärts nur und zu dir hin schauen und sich nur vorwärts bewegen sämtliche Spuren?“

    6. Spanische Kriegsanekdoten 1078 Nonius: ‚Concelebrare‘ (allgemein bekannt machen; rühmen), ‚unter die Leute bringen‘, abgeleitet von ‚celebritas‘ (zahlreicher Besuch; häufiges Erwähntwerden, Berühmtheit).

    An vielen Orten hat man in Gesprächen verbreitet …

    1079 Nonius: ‚Rumpere‘ (zerbrechen), ‚erschöpfen‘.

    eine Geschichte, die (heute noch) zuweilen den Leuten das Zwerchfell vor Lachen erschüttert.

    1080 Nonius: ‚Bonus‘ (gut, tüchtig) kann ‚tapfer‘, aber auch ‚tauglich‘ heißen.

    1078: In meiner Dissertation hatte ich die Hypothese aufgestellt, mit diesem Vers, der sogleich die Assoziation an Hor. sat. 1,7,1–3 weckt, werde der Preis des Feldherrn eingeleitet (Christes 1971,143 f.). Zwar bin ich immer noch der Meinung, dass erst der Kontext darüber entscheidet, ob der Vers ironisch oder ernst gemeint ist (Philologus 142 [1998] 77 f. gegen Garbuginos Einwände [1980] 93–101), doch halte ich mir jetzt selbst folgendes Argument entgegen: Wäre der Vers preisend gemeint, so wäre die Aussage ‚an vielen Orten‘ viel zu wenig für die Leistung eines berühmten Feldherrn: von ihm spricht man ‚allerorts‘. – Weiteres s. zuletzt bei Garbugino 1985, 155 f. 1079: Wie schon Marx durch seine Anordnung (Fr. 970–971) andeutet, dürfte dieses Fr. die unmittelbare Fortsetzung des vorhergehenden sein. (Terzaghi 1934/1970, 231). „Nach der zunächst pompös episch-hohen Stil parodierenden Einleitung … wird die suggerierte Erhabenheit des Stoffes sofort relativiert“ (Haß 2007, 162). – quondam = ‚zuweilen‘ auch Verg. georg. 4,261; Lucr. 6,109 f.

    414

    LIBER XXX

    calvus Palantino quidam vir non bonus bello Palantino Mercier : pallantino codd. | non bonus Guietus : nobilis bonus codd.

    1081 (973) Non. 285,5: ‚Durum‘, nocens. … Lucilius lib. XXX Non. 388,16: ‚Saevum‘ dicitur inmite. … Lucilius lib. XXX:

    et saevo ac duro in bello multo optimus hostis.

    ac duro codd. 388 : ut duro codd. 285

    1082 (1069) Non. 81,34: ‚Cuia‘ pro cuius. Lucilius lib. XXX: Non. 87,28: ‚Cluet‘, nominatur. Lucilius lib. XXX (1069):

    cuia opera Troginus ‚calix’ per castra cluebat.

    cuia codd. 81 : quia codd. 87

    1083–84 (974 –75) Non. 371,22: ‚Praestat‘, utile est. … Lucilius lib. XXX:

    ‚– ⏑ uti pecudem te, asinumque ut denique nasci praestiterit.‘

    te Iunius : tu codd. : tum Baehrens | denique Ald. : dentique codd.

    VII 1085 (1009) Non. 373,5: ‚Producere‘, foras ducere. … Lucilius lib. XXX:

    producunt me ad te, tibi me haec ostendere cogunt.

    1080: ‚im Palantinischen Krieg‘: Belagerung der spanischen Stadt Palantia durch M. Aemilius Lepidus 137 bis Frühjahr 136 v. Chr; zum Geschehen s. App. Ib. 80–82. – Cichorius 216 nimmt Teilnahme des Dichters schon an diesem Krieg, also vor seiner Teilnahme am bellum Numantinum (134 –133) an. Das muss bei dem von Lucilius selbst betonten Bekanntheitsgrad der Episode aber nicht zwingend der Fall sein (Kappelmacher in: RE 13.2, 1622 f.; Terzaghi 1934/1970, 233; Garbugino 1985, 159 f.). – Weiteres (auch zum folgenden Fr.) bei Charpin III 215 zu Fr. 42– 43 – interessant die von Terzaghi übernommene These, dass sich auf den Glatzkopf und den hostis von Fr. 1081 die Fabel vom Löwen und Füchsin beziehe – und Garbugino a. O. 10081: Ist er Opponent des calvus vir? Das ergibt nur einen Sinn, wenn es sich um einen einzelnen Spanier handelt (Charpin III 215 zu Fr. 42– 43); anders denkt Garbugino (1985, 158 f.) an Synekdoche: hostis = „tutti gli hostes (= Hiberi)“. Schmitt (1914, 67) glaubt, dass der Vers sich ebenfalls auf den calvus vir bezieht, gleich im folgenden Vers sociis stehe und sich somit eine ironische Pointe ergebe. – Die Charakterisierung des Krieges als saevum ac durum passt auf den Palantinischen Krieg, wie Appian ihn schildert. – multo beim Superlativ (statt longe) schon bei Plaut. Amph. 782. 994; Aul. 667. 1082: wtl.: ‚durch dessen Mühewaltung Troginus … hieß‘. Spitznamen gehören zum Lagerleben; vgl. Fronto 2,7,6 v.d.H. multos militum imperator suo quemque nomine proprio atque

    Buch XXX

    415

    ein Glatzkopf, der im Palantinischen Krieg nichts taugte, 1081 Nonius 285: ‚durum‘ (hart), ‚schädlich‘. Nonius 388: ‚saevum‘ (wild) meint ‚unsanft, hart‘.

    und in dem grausamen und harten Krieg der bei Weitem stärkste Gegner.

    1082 Nonius 81: ‚Cuia‘ statt cuius (dessen). Nonius ‚cluet‘ (wird genannt, gilt), ‚wird genannt, heißt‘.

    dem Troginus im ganzen Lager den Spitznamen ‚Becher‘ verdankte.

    1083–84 Nonius: ‚Praestat‘ (es ist besser), ‚es ist nützlich‘.

    „so dass es für dich besser gewesen wäre, als Tier, gar als Esel geboren zu werden.“

    7. Erinnerung an literarische Anerkennung und Dank 1085 Nonius: ‚Producere‘ (vorwärts -, vorführen), ‚hinausführen‘.

    Sie führen mich zu dir, sie zwingen mich, dir das hier zu zeigen.

    castrensi cognomine et ioculari appellabat. – Marx (II 340 zu Fr. 1069 f.) reihte das Fr. in die Satire ‚Ein schäbiges Gastmahl‘ ein. Wegen castra vertritt dagegen Cichorius 215 f. seine Zugehörigkeit (auch aller anderen, die mit Wein und Trinken zu tun haben; so auch in noch höherem Maße Krenkel Fr. 1035 ff.) zum hier behandelten Thema. Eine Entscheidung ist kaum möglich. – Der Name Troginus dürfte auf den keltischen Namen Trogus zurückgehen, es wird sich also um einen socius handeln. – Zur Parodie episch-tragischen Stils s. Garbugino 1985, 158 f. 1083–84: Seit Marx (II 317 f.) wird auf Menanders Theophorumena (fr. 223 p. 102 f. Kört.Th.) verwiesen, wo sich ein Mann namens Kraton angesichts der Aussicht auf Reinkarnation wünscht, auf keinen Fall wieder als Mensch, sondern als ein Tier, selbst als ein Esel (das am meisten verachtete der Tiere) wiedergeboren zu werden. Hier aber verspottet jemand – innerhalb der Anekdote? oder der Satiriker selbst? (dann keine Anführungszeichen!) – einen Menschen. Lucilius gibt der Menanderstelle, wo Kraton zu einem Gott spricht, eine neue Wendung; so Schmitt 1914, 67 f., zustimmend Garbugino 1985, 160 f. Lit. zu VII: Cichorius 181–184; Haß 2001, 224 –226 (glaubt mit Krenkel, der Kern dieser Thematik gehöre in eine Auseinandersetzung mit Accius.) 10085: Horaz beschreibt eine analoge Situation (sat. 1,6,54 f.): nulla … mihi te (sc. Maecenatem) fors obtulit; optimus olim / Vergilius, post hunc Varius dixere quid essem. – ‚Das

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    LIBER XXX

    1086 (1010) Non. 143,14: ‚Neminis‘ positum pro ‚nullius‘. … Lucilius lib. XXX: Prisc. GL II 207,5: Lucilius in XXX:

    neminis ingenio tantum confidere oportet

    ingenio codd. Prisc. : ingenium codd. Non. | tantum codd. Non. : quemquam codd. Prisc.

    1087 (1029) Non. 173,18: ‚Speciem‘, specimen vel exemplar. Lucilius lib. XXX:

    sicuti te, qui ea quae speciem vitae esse putamus, qui ea quae codd. : quem aequae J. Dousa | esse putamus J. Dousa : putamus esse codd.

    1088 (1012) Non. 326,37: ‚Iacet‘, sordet, neclectus est. Lucilius lib. XXX:

    et sua perciperent retro rellicta iacere,

    perciperent Garbugino 1985, 69 (Nr. 120) et 163s. : percipere codd. : perciperet Gulielmus, Marx | rellicta Gulielmus : relicta AA BA DA : relignta L1

    1089 (1013) Non. 303,21: ‚Ferre‘, laudare. Lucilius lib. XXX:

    et sola ex multis nunc nostra poemata ferri

    1090 (1011) Non. 175,16: ‚Simitu‘, simul. Lucilius lib. XXX:

    gratia habetur utrisque, illisque tibique simitu.

    tibique Iunius : sibique codd. | simitu BA CA DA : simetu L1 : simeitu Lindsay

    hier‘: meine Satiren. – Abgesehen von Cichorius (182 f.: mit te, tibi werde C. Sempronius Tuditanus angesprochen) und Krenkel ([1957/58] 1970, 236–240: Accius sei der Adressat; anders zu Fr. 1088: ein dramatischer Dichter spreche, der dem Lucilius auf Veranlassung der Spielgeber seine Dichtung vorlegen müsse) hat sich Marx’ Deutung (II 325) durchgesetzt, dass Scipio der Angesprochene sei; s. Terzaghi 1934/1970, 217; Puelma Piwonka 1949, 78. 151; Christes 1971, 170; Garbugino 1985, 166; Charpin III 202 f. zu Fr. 6. – Charpin (a. O. zu Fr. 5) bezweifelt allerdings den Widmungscharakter des Zusammenhangs und implizite die These (s. Einführung zu diesem Buch und die Erl. zu Fr. 975–76), Scipio werde postum angesprochen. 1086: „… quantum tuo, amice, qui es arbiter carminum subtilissimus“ (Marx II 325). Jedoch meint ingenium weniger den Kunstverstand als die unbestechliche Urteilskraft (Christes 1971, 169; Garbugino 1985, 167); vgl. Hor. sat. 2,1,65–68 num Laelius aut qui / duxit ob oppressa meritum Carthagine nomen / ingenio offensi aut laeso doluere Metello / famosisque Lupo cooperto versibus? – Scipios ingenium heben auch Laelius (ORF² fr. 22 p. 121 Malc.), Cicero durch den Mund des Philus (rep. 1,37) und Velleius Paterculus hervor, was – so Garbugino ebd. – Lucilius von dem Verdacht der adulatio freispricht.

    Buch XXX

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    1086 Nonius: ‚Neminis‘ (niemandes) gesetzt für ‚nullius‘. Priscianus: Lucilius in Buch XXX:

    Niemandes Urteil verdient so großes Vertrauen …

    1087 Nonius: ‚Speciem‘ (Anblick, Erscheinung, Gestalt), ‚Probe, Beispiel‘ oder auch ‚Muster‘.

    … wie dich, der das, was wir für ein Abbild des Lebens halten, …

    1088 Nonius: ‚Iacet‘ (liegt), ‚ist schmutzig; widert an‘, ‚ist vernachlässigt‘

    und erkennen mussten, dass ihre Schöpfungen unbeachtet liegen bleiben …

    Nonius: ‚Ferre‘ (tragen), ‚loben‘.

    1089

    und allein von vielen jetzt unsere Dichtungen in aller Munde sind.

    Nonius: ‚Simitu‘, ‚zugleich‘.

    1090

    Dankbar bin ich beiden, jenen und zugleich dir.

    1087: Gemeint ist die Komödie, s. die zahlreichen Belege bei Marx II 329, Garbugino 1985, 164 f., Charpin III 212 zu Fr. 33. – Mit putamus stellt der Dichter Einvernehmen mit dem Adressaten her (Christes 1971, 173 f.), wohl nicht einem Komödiendichter (Marx), schon gar nicht (dem angeblich angefeindeten) Afranius (Cichorius 197–200), sondern mit Scipio, wofür zahlreiche Indizien sprechen (zusammengetragen bei Schmitt 1914, Terzaghi 1934/1970, 216 f., Garbugino 1985, 165. – Es kommt also nicht von ungefähr, dass Horaz am Anfang seiner Satire 1,4 Lucilius von der Komödie abhängen lassen kann. 1089: Lucilius triumphiert über literarische Konkurrenz: so die überwiegend vertretene Deutung dieser beiden wohl unmittelbar aufeinanderfolgenden Verse. Die Aussage sola ex multis empfiehlt die Konjektur perciperent, nicht perciperet: Ist dies richtig, kommt als Subjekt des ersten Verses weder Afranius (so Cichorius) noch Accius (so z. B. Krenkel) in Frage. Wichtig Garbuginos Hinweis (1985, 165): Auch Horaz belässt epist. 1,19,35– 40 bei seiner Polemik gegen literarische Kritik seine Kritiker in der Anonymität; die Zeitgenossen werden schon gewusst haben, wen er meinte. Zu ferri vgl. Prop. 2,5,1 Hoc verum est, tota te ferri, Cynthia, Roma … – Die Verse belegen auch, dass Lucilius seine Satiren vor ihrer Zusammenstellung in einer Sammlung schon einzeln oder in kleinen Einheiten an die Öffentlichkeit gebracht hat.

    418

    LIBER XXX

    1091–92 (1076–77) Non. 137,26: ‚Mictilis‘, paupercula pulmentaria. Lucilius lib. XX: Non. 208,32: ‚Intiba‘ generis neutri. … Masculini Masculini Lucilius Satyrarum lib. V [fr. 200]. idem XXX [pulmentaria … herba].

    pulmentaria, ut intubus aut aliquae id genus herba, et ius maenarum bene habet se: mictilis haec res est

    intubus codd. 209 : entibus codd. 137 | aliquae id genus Onions : aliquod genus codd. 137 : aliqua et id genus codd. 209, | se codd. : sed Scaliger | mictilis G², Lindsay, Moscadi Stud. Non. 7 (1982) 225–229 : mictayris L CA DA : mictiris G1 : myctyris BA : mystila Lachmann : μυστιλίς Bucheler

    Das ist seinerseits ein Indiz für den Epilogcharakter der hier behandelten Fragmente. – Weiteres bei Christes 1971, 175; Garbugino a. O. 164 f.; Charpin III 201 zu Fr. 3– 4. – Zur Terminologie (poemata, aber auch sermones Fr.1017 und 1018) Koster 2001, 123; Haß 2001, 182 f. 1090: ‚jenen‘: den Freunden, die ihn dazu brachten, Scipio seine Gedichte vorzulegen; ‚dir‘: Scipio, der seine Art, zu dichten, guthieß; s. Garbugino 185, 167 f.

    Buch XXX

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    Unsicher, ob zu Buch XXX gehörig 1091–92 Nonius 137: ‚Mictilis‘ (harntreibend), eine gar ärmliche Zukost. Nonius 208: ‚Intiba‘ (Endivien) ein Neutrum. [fr. 200]. Ein Maskulinum:

    Zukost, wie Endivie oder irgendein Kraut dieser Art, und Sardinensauce gehen in Ordnung: das ist harntreibend.

    1091–92: aliquae als nom. sing. auch Lucr. 4,263. – Lindsay (1901/1965, 61) hat dieses Fr., wie es Nonius 137 bezeugt, Buch XX zugewiesen, weil Nonius 208 die beiden Luci­ lius-Fragmente zum Stichwort ‚intiba‘ der Quelle Lucilius I (= B. I–XX) entnommen haben dürfte. Garbugino 1985, 168 neigt dazu, sich dem anzuschließen, zumal in Buch XX (s. die Einführung) wahrscheinlich ein Gastmahl des Granius Gegenstand einer Satire war. – Zur Deutung des Fr. s. auch Charpin III 223 f. zu Fr. 71.

    Incertae sedis hexametri Marx hat die ohne Buchangabe überlieferten hexametrischen Fragmente im Umfang von 252 (oft nicht vollständigen) Versen streng nach dem ersten Buchstaben der Fragmente alphabetisch geordnet. Warmington war bemüht, möglichst viele dieser Fragmente auf der Basis thematischer Anklänge in den Büchern unterzubringen. Krenkel hält sich im Wesentlichen, mit geringen, im Einzelfall nachvollziehbaren Abweichungen (z. B Fr. 1130–37 K = 1235–37 + 1238–40 + 1122–23 M = 1141–48 Chr) an Marx’ Anordnung. Einen völlig anderen Weg schlug Charpin ein. Er ordnete die Fragmente nach thematischen Gesichtspunkten in 6 Gruppen: • Literarische und grammatische Kritik (1093–1118) • Philosophische und ethische Gedanken (1119–1150) • Kritische Betrachtung der römischen Gesellschaft (1151–1208) • Verhaltensweisen, Gesten, Haltungen (1209–1281)

    1093 (1100) Pomp. GL 5,289,6: quot modis, ait, fiunt soloecismi? Donatus redegit se ad summam brevitatem et dixit ‚duobus tantum‘ (GL 4,393,18), Lucilius autem ‚centum‘ et enumeravit omnes: extat liber ipsius, dicit illud et illud. nam ait sic – fr. – et percurrit ipsa vocabula versibus scriptis arte, et ibi enumeravit illa omnia. Serv. GL 4,446,19: Soloecismorum genera centum dicit esse Lucilius. Isid. orig. 4,446,19: Nam Lucilius centum genera soloecismorum dixit, quos omnes vitare potius quam sequi debet, qui regulam recte loquendi tenere studet.

    adde soloecismon genera atque vocabula centum.

    soloecismon edd.: soloecismo C S : soloecismos B : soloecismum P

    1094–95 (1153–54) Varro ling 9,81: Etiam illud putant esse causae cur non sit analogia, quod Lucilius scribit – fr. –. qui errant, quod Lucilius non debuit dubitare, quod utrumque.

    sive decusibus est

    decusis

    decusis Mueller : decuis codd. 1093: soloecismōn: gen. pl. – centum: iSv ‚unzählige‘. – Die Terminologie genera atque vocabula zeigt, dass zu Zeiten des Lucilius die Vertreter der Rhetorik um die Klassifizierung der Solözismen bemüht waren; s. Marx II 349; Charpin III 246 zu Fr. 1. 1094–95: decus(s)is (Zehn-As-Münze), zusammengesetzt aus decem und assis, ist im Singular indeklinabel. Darum verdeutlicht Lucilius durch den Zusatz sive decusibus, dass hier der Ablativ (pretii) gemeint ist. – Er spielt vielleicht auf die lex Fannia vom Jahre 161 v. Chr. an (s. Gell. 2,24,3 = der Kontext zu Fr. 1180), wonach der Wareneinsatz bei einer cena auf höchstens 10 Asse pro Person beschränkt wurde. – B. IX als Ort des Fr. vermutete L. Mueller. – S. im Ganzen Marx II 365 f.

    Hexameter ohne Buchangabe • Orte, Tiere, Gegenstände (1282–1328) • Worte und Wortgruppen (1329–1341) Man mag im Einzelnen anderer Meinung über die Zuordnung eines Fragments sein, doch hat diese Einteilung in Gruppen den Vorteil, inhaltlich Ähnliches zusammenzuführen. Überdies kennzeichnet Charpin Fragmente, die sich auch in einen jambischen Senar oder trochäischen Septenar einfügen lassen, durch *, und solche, bei denen das Versmaß nicht erkennbar oder völlig unsicher ist, durch +. Ich halte diese Neuerungen für einen nicht geringen Fortschritt und übernehme sie gern. Jedoch habe ich mit Marx schon Fragmente durch * gekennzeichnet, die dem Lucilius oder einem bestimmten Buch des Lucilius durch Konjektur zugewiesen wurden. Darum ersetze ich Charpins * durch das Zeichen #. Literarische und grammatische Kritik 1093 Pompeius: Auf wie viele Arten, sagt er, kommen Solözismen zustande? Donatus beschränkte sich auf höchste Kürze und sagte: „nur zwei“, Lucilius aber „hundert“, und er zählte sie alle auf. Es existiert ein Buch von ihm, da sagt er dies und das. Er sagt nämlich Folgendes [– Fr. –], und er durchläuft die Namen selbst in kunstvoll geschmiedeten Versen, und dort hat er sie alle aufgelistet. Servius: Es gebe hundert Arten von Solözismen, sagt Lucilius. Isidorus: Denn Lucilius sprach von hundert Arten von Solözismen, die alle eher meiden als anwenden muss, wer sich um korrekte Ausdrucksweise bemüht.

    Füge hundert Arten und Namen von Solözismen hinzu.

    1094–95 Varro: Auch das halten sie für einen Beweis, dass es keine Analogie gibt, weil Lucilius schreibt: – Fr. –. Sie irren, denn Lucilius musste gar keine Bedenken haben, weil es beide Formen gibt.

    für eine Zehn-As-Münze oder zehn Asse isst er

    1096–97: Bei Caeli Numeri denkt Marx (II 409 f.) an eine einzige Person, dem der ‚Preis eines Feldherrn‘ in B. XXX gegolten habe; doch s. dort zu Fr. 970. Meine Übersetzung folgt in diesem Punkte Mariotti (1960, 86) und Charpin (III 246 f. zu Fr. 3). – Lucilius gebraucht als erster numerus und modus als grammatische Termini (Marx und Charpin a. O.): vgl. Cens. GL 6,609,7 rhythmos graece, modus dicitur Latine, nominatus versus ab eo quod fluat seque ipse circumeat. Modus autem est lex quaedam et ordo vocalium intervallorum et differentia, vel, ut Aristoxenus finit, non utcumque compositorum vocalium temporum intervallum … Numerus et aequalium pedum legitima ordinatio. Vgl. auch Hor. sat. 1,4,56–62.

    422

    Incertae sedis hexametri

    1096–97 (1294–95) Char. GL 1,78,4: ‚Lucius‘ et ‚Aemilius‘ et cetera nomina quae ante ‚u‘ habent ‚i‘, duplici ‚i‘ genetivo singulari finiri debent, ut necesse sit adversus observationem nominum nominativo non minorem fieri genetivum; idque Varro tradens adiecit vocativum quoque singularem talium nominum per duplex ‚i‘ scribi debere, sed propter differentiam casuum corrumpi. Lucilius tamen et per unum ‚i‘ genetivum scribi posse existimat. ait enim:

    – ⏑ ⏑ servandi numeri et versus faciendi, nos Caeli Numeri numerum ut servemus modumque. et versus faciendi / nos caeli numeri C, Putschen, F. Dousa : om. N | modum C, Putschen, F. Dousa : om. N

    numquam enim hoc intulisset, nisi et Caelium et Numerium per ‚ii‘, , huius Numerii, faciendum crederet. Cf. Cassiod. GL 7,206,26. 1098–1100 (1215–17) Char. GL 1,111,18: ‚Intro‘ est in locum: ‚intus‘ in loco dicimus, ut etiam apud Graecos ἔσω vel εἴσω καὶ ἔνδον; ideoque Lucilius ait:

    nam veluti intro aliud longe esse atque intus videmus, sic apud te aliud longe est neque idem valet ad te: intro nos vocat, at sese tenet int apud se. veluti N² : velut N | item suppl. Marx, et J. Dousa | aliud longe est Marx : longe aliud esse N: longe alid est J. Dousa | neque idem valet J. Dousa : neque eadem valet N | ad te N: ad id Putschen | vocat J. Dousa : vocas N C | int edd.: int N | apud se C, Putschen, J. Dousa

    1101 (1322)+ Quint. inst. 1,5,56: Taceo de Tuscis et Sabinis et Praenestinis quoque; nam ut eorum sermone utentem Vettium Lucilius insectatur, quemadmodum Pollio reprehendit in Livio Patavinitatem, licet omnia Italica pro Romanis habeam.

    1098–1100: Die Grammatiker sind sich in dieser Unterscheidung einig (Charpin III 247 zu Fr. 4); s. Quint. inst. 1,5,50; Prob. GL 4,155,19, Cled. GL 5,21,19. Zu Zeiten des Lucilius war sie aber noch nicht fest (Marx II 384); s. B. XXX Fr. 1047–48, incert. Fr. 952 und 1216; ähnlich CIL 1,198,13 (in urbem Romam). – Das Fr. stand wohl in B IX (Krenkel zu Fr. 1238–40). 1101: Marx (II 424) betont, dass Lucilius nicht als Kritiker, sondern als Freund spottet, da er doch selbst Dialektwörter eingestreut habe. Charpin (III 247 f. zu fr. 5) verweist auf die Fragmente 245 musimo, sardisch, 998–99 gumia, umbrisch, 1270 pipas und 1174 sollo, beide oskisch. Schon Plautus verspottete den Dialekt der Praenestiner, s. Trin. 609 tam modo,

    Hexameter ohne Buchangabe

    423

    1096–97 Charisius: ‚Lucilius‘ und ‚Aemilius‘ und die übrigen Nomina, die vor ‚u‘ ein ‚i‘ haben, müssen mit doppeltem ‚i‘ im Genitiv Singular enden, sodass gezwungenermaßen entgegen der üblichen Wahrnehmung bei den Nomina der Genitiv nicht kleiner wird als der Nominativ; und zwar hat das Varro überliefert und hinzugefügt, auch der Vokativ Singular solcher Nomina müsse mit doppeltem ‚i‘ geschrieben werden, werde aber wegen der Unterscheidung der Kasus verstümmelt. Lucilius jedoch glaubt, der Genitiv könne auch mit einem ‚i‘ geschrieben werden. Er sagt nämlich:

    Das Metrum muss bewahrt und die Verse müssen (so) gestaltet werden, dass wir Metrum und Rhythmus (der Genitive) Caeli und Numeri bewahren.

    Niemals nämlich hätte er diese Bemerkung gemacht, wenn er nicht glaubte, dass (die Genitive von) Caelius und Numerius mit ‚ii‘, , huius Numerii, zu bilden sind. 1098–1100 Charisius: ‚Intro‘ (hinein) bedeutet in einen Raum hinein, ‚intus‘ (drinnen) sagen wir für innen im Raum, wie auch bei den Griechen ἔσω oder εἴσω καὶ ἔνδον; und daher sagt Lucilius:

    denn wie wir sehen, dass ‚hinein‘ etwas ganz anderes ist als ‚drinnen‘, genauso ist auch ‚bei dir‘ etwas ganz anderes, und nicht dasselbe bedeutet ‚zu dir‘: ‚hinein‘ ruft er uns, aber er hält sich ‚drinnen‘ zu Hause auf.

    1101 Quintilianus: Ich sage nichts über die Etrusker und Sabiner und auch nicht über die Praenestiner; denn wie Lucilius den Vettius bekrittelt, weil er deren Sprache benutzte, wie Pollio an Livius Patavinitas tadelt: ich für meine Person möchte alles Italische für Römisches halten.

    inquit Praenestinus; Truc. 691 ut Praenestinis est ciconia. – Vettius war einer der Freunde und Pfleger der Dichtung des Lucilius, s. Suet. gramm. 2 Crates Mallotes … nostris exemplo fuit ad imitandum. Hactenus tamen imitati, ut carmina parum adhuc divulgata vel defunc­ torum amicorum vel … diligentius retractarent ac legendo commentandoque et ceteris nota facerent, ut … Laelius Archelaus Vettiusque Philocomus Lucili saturas familiaris sui … – Cichorius 348 denkt anders an einen mit C. Gracchus befreundeten Vettius (Plut. Gracch. 22,1). Aber der griechische Beiname Philocomus spricht nicht unbedingt gegen den Freund des Lucilius; Vettius Philocomus kann ein verna gewesen sein.

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    Incertae sedis hexametri

    1102 (1160)# Varro ling. 5,80: ‚Praetor‘ dictus qui praeiret iure et exercitu; a quo Lucilius:

    ergo praetorum est ante et praeire. 1103 (1281) Varro ling. 7,30: Apud Lucilium – fr. –. Profectum a verbo ‚ambe‘ quod inest in ambitu et ambitioso.

    quid tibi ego ambages ambitus scribere coner?

    ambitus Brakmann Mnemosyne 60 (1933) 446 : ambiu vel ambui codd. : †ambiu Marx: Ambivi edd.

    1104 (1224) Iul. Rufin. RhL 62,16 H.: Antiphrasis est figura sententiae cum quaedam negamus nos dicere et tamen dicimus; ut apud Lucilium:

    non tango, quod avarus homo est, quodque improbus, mitto.

    homo est quodque Stephanus : modo est neque quod codd. | mitto F. Dousa : omitto codd.

    1105 (1227) Fest. 152,17 L: ‚Me‘ pro mihi dicebant antiqui, ut Ennius … et Lucilius:

    nunc ad te redeo, ut, quae res me impendet, agatur. 1106 (1168)+ Chir. Fortun. RhL 124,7 H.: Quid hic aliud observabimus? ut quae verba magis sonantia sunt, ea potius conlocemus, quae Lucilius euphona appellat, id est quasi vocalia…

    1102: Vgl. Cic. leg. 3,3,8 a praeeundo … praetores. – Wohl jemandes, vielleicht Scipios, Apophthegma (Marx II 367 f.). Er scheint auch in B. XI Fr. 400–1 und B. XIV Fr. 471–72 gemeint zu sein. – Zur Etymologie in der Antike und zu der Etymologie praetor = prae-itor s. Charpin III 248 zu Fr. 6. 1103: Der Annahme, hinter der Korruptele ambiu stecke der Name des Schauspielers Ambivius Turpio, hat F. Ritschl (Parerga Plautinorum Terentianorumque. Leipzig 1845, 187) widersprochen. Für Brakmanns Konjektur ambitus spricht, dass Varros Erläuterung an das Partizip Perfekt von ambire denken lässt. Vgl. Hor. carm. 1,35,5 f. te pauper ambit sollici­ ta prece / ruris colonus. – Ob es eher mit ‚ersucht‘ (Krenkel zu Fr. 1300) oder ‚umgarnt‘ (‚circonvenu‘ Charpin Fr. H 7) zu übersetzen ist, lässt sich ohne Kontext nicht entscheiden. 1104: Das lateinische Äquivalent zu Antiphrasis ist praeteritio oder occultatio. Eine Definition auch Rhet. Her. 4,37. Lucilius verspottet wahrscheinlich die Praxis der Redner (Marx II

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1102 Varro: ‚Praetor‘ hieß jemand, weil er in Rechtssachen und im Heer voranging; daher Lucilius:

    Also ist es Aufgabe der Praetoren, voranzugehen und zu leiten.

    1103 Varro: Bei Lucilius – Fr. –. Abgeleitet vom Wort ‘ambe‘, das in ambitus (das Herumgehen) und ambitiosus (ehrgeizig) steckt.

    Warum sollte ich, der ich umgarnt worden bin, versuchen zu beschreiben, wie er darum herumredete?

    1104 Iulius Rufinianus: ‚Antiphrasis‘ ist eine Gedankenfigur: wenn wir verneinen, dass wir etwas sagen und es dennoch sagen, wie bei Lucilius:

    Ich rühre nicht daran, dass er ein Geizhals ist, und dass er ein Schurke ist, übergehe ich.

    1105 Festus: ‚Me‘ (mich) statt ‚mihi‘ (mir) sagten die alten Autoren, wie Ennius … und Lucilius:

    Jetzt komme ich zu dir zurück, damit über die Angelegenheit gesprochen werden kann, die mich umtreibt.

    1106 Chirius Fortunatianus: Was sollen wir hier sonst noch beachten? Dass wir die Wörter, die tonreicher sind, bevorzugt einsetzen; Lucilius nennt sie euphona (wohltönend), d. h. in gewisser Weise klingend …

    389; „sans doute par dérision“ Charpin III 249 zu Fr. 8). – Für das Fr. schlug Lachmann B. II vor, B. I Becker (Philol. 5 [1850] 734); wozu auch Marx (a. O.) neigt. 1105: Horaz ahmt Lucilius nach (sat. 1,6,45): nunc ad me redeo libertino patre natum. – me impendet: vgl. Ter. Phorm. 180 tanta te inpendent mala; Plaut. Epid. 83 tantae [in] te im­ pendent ruinae. 1106: Hellenistische Theorien differenzieren zwischen wohl- und missklingenden Vokalen (Charpin III 249 f. zu Fr. 11); s. Dion. Hal. comp. 16 p. 66,18. 67,12 H; vgl. Fronto 4,1,3 v.d.H. si qua Lucretii aut Enni habes εὔφωνα. – Terzaghi (1934/1970, 378) weist das Fr. B. IX zu, aber Marx (II 369) urteilte bereits über diese Zuordnung: „libro IX tribuitur fragmentum sed temere.“ – Zum Fr. s. auch Haß 2007, 195.

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    Incertae sedis hexametri

    1107 (1133)# Serv. Aen. 9, 573s.: ‚(sternit) … Ortygium Caeneus, victorem Caenea Turnus, Turnus Ityn Cloniumque, …‘] Ut ait Lucilius, bonum schema est quotiens sensus variatur in iteratione verborum, et in fine positus sequentis fit exordium; qui appellatur climax.

    schema bonum (?)

    1108 (1209)+ Serv. Aen. 8,83: ‚Conspicitur sus‘] Horatius: ‚et amica luto sus‘; sciendum tamen hoc esse vitiosum, monosyllabo finiri versum, nisi forte ipso monosyllabo minora explicentur animalia, ut ‚parturiunt montes, nascetur ridiculus mus‘. Gratiores enim versus isti sunt secundum Lucilium.

    1109 (1279)# Fest. 450,16 L: a‘ genus navigii se conexis facmferunt post amissam us quoque poemata tis perfecti[s] qui essent, * * * * * * * * * cum dixit: Paul. Fest. 451,9 L: ‚Schedia‘, genus navigii inconditum, id est trabibus tantum inter se nexis factum, unde mala poemata schedia appellantur. Apul. Socr. praef. 104: Sed ut me omnifariam noveritis, etiam in isto, ut ait Lucilius, schedio … et incondito experimini. Petron. 4,5: Sed ne me putes improbasse schedium Lucilianae humilitatis, quod sentio et ipse carmine effingam.

    qui schedium fa … fa coni. Marx : fa codd.

    1107: Zur Klimax s. Quint. 9,3,54. – Den Beispielen zufolge, die Isidorus gesammelt hat (RhL p. 517. 518 H), liebte Scipio Aemilianus diese Gedankenfigur; s. Marx II 359, der es für möglich hält, dass Lucilius sich darüber lustig gemacht hat. Aber hätte er dann von einem bonum schema gesprochen? – Charpin (Fr. 12) weist anders als Marx bonum schema als Fr.Text aus. Aber das lässt sich in einem Hexameter nicht unterbringen. Also vielleicht, mit betonter Nachstellung des Attributs, schema bonum? Vgl. Fr. 1147–48 sermone bono, Fr. 1119– 31, hier V. 1128 hominum morumque bonorum. – Auch hier schlägt Terzaghi (1934/1970, 378) B. IX als Ort des Fr. vor, auch hier urteilte bereits Marx (II 359 f.): „temere“.

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1107 Servius auctus: ‚(streckt hin) … den Ortygius der Caenaeus, den Sieger Caenaeus Turnus, Turnus den Itys und den Clonius …‘] Wie Lucilius sagt, entsteht eine gute (Gedanken-)figur, wann immer der Sinn bei Wiederholung der Worte sich verändert und, ans Ende gesetzt, Beginn des Folgenden wird – eine sogenannte Klimax.

    eine g u t e Figur

    1108 Servius: ‚Erblickt wird eine Sau‘] Horaz (epist. 1,2,26): ‚und ein Schwein, das sich so gern im Schlamm suhlt‘; man muss jedoch wissen, dass dies fehlerhaft ist, einen Vers mit einem einsilbigen Wort enden zu lassen, es sei denn, dass durch eben das einsilbige Wort kleinere Lebewesen sinnfällig gemacht werden, wie z. B. (ars 139) ‚es kreißen die Berge, geboren wird eine lächerliche kleine Maus.‘ Denn diese Verse sind nach Lucilius gefälliger. 1109 Festus: ‚Schedia‘ (schedius,a,um = aus dem Stegreif gemacht), eine Art rudimentär gebautes Boot, gefertigt aus nur einfach verbundenen Planken … herumwerfen auf dem Meer nach einem Schiffbruch … Auch Lucilius (nannte so?) kunstlose Gedichte und Verse, die nicht vollkommen seien, … wenn er sagte: Paulus, epitome Festi: ‚Schedia‘, eine Art rudimentär gebautes Boot, d. h. ein nur aus untereinander verbundenen Planken gemachtes, wonach kunstlose Gedichte schedia genannt werden. Apuleius: Aber damit ihr mich in allen meinen Seiten kennt, lernt mich auch in diesem, wie Lucilius sagt, aus dem Stegreif gemachten … und kunstlosen Gedicht kennen. Petronius: Aber damit du nicht glaubst, ich lehnte ein Stegreifgedicht von lucilianischer Anspruchslosigkeit ab, will ich auch meinerseits in einem Gedicht abbilden, was ich denke.

    der (ich nur) Stegreifdichtung (mache)

    1108: Marx (II 1209) vermutet unter Verweis auf Fr. 1115 einen Zusammenhang mit der Kritik an Ennius. – Zu der gutgeheißenen Ausnahme s. auch Quint. inst. 8,3,20 at Vergilii miramur illud ‚saepe exiguus mus‘ (etc.). Charpin III 250 zu Fr. 13 führt für Lucilius an: Fr. 128 pervenio nox, (279–)80 egomet me, (487–)88 vomitum, pus. – Die Zuweisung zu B. IX geschah in Marx’ Augen wiederum „temere“. 1109: Marx (II 404) teilt das Fr. B. XXX zu, und zwar der Satire, die Horaz in Satire 1,4 nachgeahmt habe, des Näheren zu Fr. 1087. Anders möchte ich es, ebenfalls in B. XXX, mit Puelma Piwonka (1949, 152 f.) nach Fr. 970 einordnen, s. Christes 1971, 184 f. und 1986, 68; Charpin III 250 f. zu Fr. 14; Haß 2001, 181. 185. 212.

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    Incertae sedis hexametri

    1110 (1241)+ Cic. de orat. 1,72: Sed ut solebat C. Lucilius saepe dicere homo tibi (sc. Q. Mucio Scaevolae) subiratus, mihi (sc. L. Licinio Crasso oratori) propter eam ipsam cau­ sam minus quam volebat familiaris, sed tamen et doctus et perurbanus, sic sentio, neminem esse in oratorum numero habendum, qui non sit omnibus iis artibus, quae sunt libero dignae, perpolitus. 1111–12 (1264–65) Sch. Iuv. 3,175 f.: ‚Tandemque redit ad pulpita notum exodium, …‘] ‚Exodium‘: Exodiarius apud veteres in fine ludorum intrabat, qui ridiculus foret, ut quicquid lacrimarum atque tristitiae, quae exissent ex tragicis affectibus, huiusque spectaculi risus detergeret. huius et Lucilius meminit:

    exodiumque sequatur.

    principio exitus dignus

    sequatur Marx : sequitur codd. : sequetur Jahn

    1113 (1111) Atil. Fortun. GL 6,278,19: Quod si omnia velis cognoscere et nomina et genera metrorum, cum tibi ab oratoria otium fuerit, veteres legemus, id est, ut ait Lucilius,

    – archaeotera * * unde haec sunt omnia nata. archaeotera Terzaghi : archaeotyra A cod. Ambros. : archaeotypa B, ed. pr. : archetypos Keil | nata A : nota cod. Ambros. | nosce archaeotera illa unde haec sunt omnia nata coni. Marx

    1114 (1189)+ Hier. comm. in Michaeam 2,7 (vol. 6 p. 5518 f. Vallars): Poeta sublimis – non Homerus alter, ut Lucilius de Ennio suspicatur, sed primus Homerus apud Latinos –, ‚varium‘, inquit, ‚et mutabile semper femina‘ (Verg. Aen. 4,569 f.).

    1110: Q. Mucius Scaevola ist eine der beiden Hauptpersonen in B. II, s. dort; s. auch Pers. 1,114 f., Iuv. 1,154. Zu L. Licinius Crassus vgl. B. II Fr. 79, Cic. Brut. 160, s. zu Fr. 1181. – Die Einstellung des Lucilius zu Rhetorik einerseits, verantwortungsbewusster Redekunst andererseits ist B. VI Fr. 239–40 und B. XXIX Fr. 852 erkennbar. S. Marx II 393 f.; Charpin III 251 zu Fr. 15; Olshausen 2001, 174. Haß 2007, 1791. 1111–12: „Exodii i. e. Atellanae hic versus est testimonium antiquissimum“ (Marx II 400). Vgl. J. Blänsdorf: Art. Atellana Fabula, in: DNP 2 (1979) 151–153. – Zum Topos der Kongruenz von Anfang und Ende vgl. Cic. Verr. 2,5,189. 2,2,99; Cic. fam. 9,5,3; Sen. epist. 9,9. – Warmington weist das Fr. B. X zu (als Fr. 414–5), Marx a. O. denkt an B. I. – S. auch Charpin III 251 zu Fr. 16; Haß 2007, 232302. 1113: archaeotera: vgl. Aristoph. Nub. 1391 τῶν νεωτέρων in Opposition zu τῶν γεραιτέρων Nub. 1395. – An Homer denkt Marx (II 353), an die alte Komödie Fiske 1920,

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1110 Cicero: Doch wie Lucilius oft zu sagen pflegt – er war nicht gut auf dich zu spre­ chen und mir aus eben diesem Grunde weniger vertraut, als er es wollte, und doch ein Mann von Bildung und Gelehrsamkeit –, so finde auch ich, daß kein Mann als Redner gelten dürfe, der nicht in all den Fächern, die eines freien Mannes würdig sind, bewandert ist.  Übers.: H. Merklin [reclam 6884]) 1111–12 Scholiast: ‚Und endlich kehrt zurück auf die Bühne das bekannte Nachspiel, …‘] ‚Exodium‘ (Nachspiel, Posse). Der exodiarius (Nachspielschauspieler) trat bei den alten Dichtern am Ende der Aufführungen auf die Bühne, um den Clown abzugeben, damit alles an Tränen und Trauer, was die tragischen Affekte erzeugt hatten, Gelächter über seinen Auftritt wegwischte. Daran erinnert auch Lucilius:

    Ein des Anfangs würdiges Ende, und zwar eine Posse soll folgen.

    1113 Atilius Fortunatus: Wenn du aber alle Namen und Arten der Metren kennenlernen willst, so lass uns, sobald die Redekunst dir Muße dazu lässt, die alten Autoren lesen, d. h. wie Lucilius sagt,

    (lerne jene) älteren Werke (kennen), woraus das alles hervorgegangen ist.

    1114 Hieronymus: Ein erhabener Dichter – nicht der zweite Homer, wie Lucilius von Ennius annimmt, sondern der erste Homer unter den Latinern sagte: ‚Unstet und wechselhaft ist stets die Frau‘ (Verg. Aen. 4,569 f.).

    109. 281 (mit Zuweisung des Fr. zu B. XXX), an grammatische oder vielleicht auch philosophische Thematik Terzaghi 1934/1979 379 (mit Zuweisung zu B. IX). Überzeugender scheint mir Charpin (III 252 zu Fr. 17) zu argumentieren: Der Kontext cognoscere et nomina et genera metrorum lasse an die Metrik in älteren Werken denken; s. Mar. Vict. GL 6,69 pro­ totypa id est primiformia omnium metrorum genera e quorum fonte atque origine derivata innumerabilis metrorum profluit copia, ferner GL 6,100,4. – S. auch Haß 2007, 215208. 1114: Vgl. Hor. epist. 2,1,50–52 Ennius et sapiens et fortis et alter Homerus, / ut critici di­ cunt, leviter curare videtur, / quo promissa cadant et somnia Pythagorea. Horaz bezieht sich auf das erste Buch der Annales, wo Ennius sich von Homer, der ihm im Traum erscheint, als alter Homerus bezeichnen lässt; s. (so Krenkel zu Fr. 10) Cic. ac. 2,51. rep. 6,10; Sch. Pers. prol. 2 f. und 6,9–11; vgl. A. Kambylis: Die Dichterweihe und ihre Symbolik. Heidelberg 1965, 198–201. „Cela non veut pas dire qu’il (sc. Lucilius) lui portait une admiration sans bornes“ (Charpin III 252 zu Fr. 18).

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    Incertae sedis hexametri

    1115 (1190) Serv. Aen. 11,602: ‚Tum late ferreus hastis horret ager campique armis sublimibus ardent‘] ‚horret ager‘, terribilis est. Est autem versus Ennianus, vituperatus a Lucilio dicente per inrisionem debuisse eum dicere – fr. –. Macr. Sat. 6,4,6: ‚Tum ferreus hastis horret ager‘] ‚horret‘ mire se habet, sed et Ennius … et in Scipione ‚sparsis hastis longis campus splendet et horret‘.

    horret et alget. suppl. Marx ex Macr. Sat. 6,4,6

    1116 (1169)+ Gell. 6,3,28: ‚Recte‘, inquit (sc. Tiro), ‚hoc vitio dat Lucilius poetae Euripidae quod cum Polyphontes rex propterea se interfecisse fratrem diceret, quod ipse ante de nece eius consilium cepisset, Meropa, fratris uxor, hisce adeo eum verbis eluse­ rit: εἰ γάρ σε ἔμελλεν ὡς σὺ φῄς, κτείνειν πόσις, χρῆν καὶ σὲ μέλλειν, ὡς χρόνος παρήλυθεν. At hoc enim, inquit, plane stultitiae plenum est eo consilio atque ea fini facere velle aliquid, uti numquam id facias, quod velis.‘

    1117 (1212)+ Porph. Hor. sat 1,1,101 f. ‚quid mi igitur suades ut vivam Naevius aut sic ut Nomentanus?‘] … Naevius autem fuit in tantum parcus, ut sordidus merito haberetur, ut Lucilius ait. ut Lucilius ait Petschenig, Charpin : lucilius aut codd. : Lucilio auctore Marx

    1118 (1149)+ Serv. auct. Aen. 8,9: Diomedes postquam repperit ira Veneris a se vulneratae re­ vertens de Troia uxorem apud Argos cum Cyllarabo ut Lucilius, vel Cometa ut plerique tradunt turpiter vivere, noluit reverti ad patriam.

    1115: Charpin (III 252 f. zu Fr. 19) hält es für möglich, dass hier nur eine „plaisanterie sans conséquence“ vorliegt, das Fr. könne sich aber auch in die generelle Kritik am hohen Stil einreihen; s. vor allem die Polemik gegen die Tragödie in B. XXVI. Marx (II 376) vermutet für das Fr. den gleichen Zusammenhang wie für Fr. 1108; s. dort. 1116: Gellius zitiert aus einem Brief Tiros an Q. Axius. Der letzte Satz kann nicht, so Marx II 370, Worte des Lucilius wiedergeben, sondern besteht aus leicht abgewandelten Worten Tiros; denn ea fini ist eine spezifische Prägung des Gellius; vgl. 1,3,30. 4,1,6 u.a. Zu (unbefriedigend bleibenden) Versuchen, einen Halbvers herauszudestillieren, s. Marx a. O. und Charpin III 253 zu Fr. 20.

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1115 Servius: ‚Da starrt weithin von Lanzen mit Eisen überzogen das Feld und die Fluren brennen von hochragenden Waffen.‘] ‚horret ager‘ (es starrt das Feld), es ist schreckenerregend. Es ist aber ein Vers des Ennius, den Lucilius tadelte, indem er zum Spott sagte, er habe sagen müssen: – Fr. –. Macrobius: ‚Da starrt von Lanzen mit Eisen überzogen das Feld‘] ‚horret‘ (es starrt) hört sich seltsam an, aber auch Ennius (hat) … und im Scipio ‚von breit gefächert geschleuderten langen Lanzen starrt und gefriert das Feld.

    starrt und gefriert .

    1116 Gellius: „Mit Recht“, sagt (Tiro), „rechnet Lucilius dies Euripides als Fehler an, dass er, als König Polyphontes sagte, er habe seinen Bruder deshalb getötet, weil dieser seinerseits vorher den Entschluss gefasst habe, ihn zu töten, Merope, die Gattin des Bruders, ihn mit folgenden Worten geradezu verspotten lässt: ‚Ja wenn mein Gatte plante, wie du sagst, dich zu töten, hättest auch du (nur) planen dürfen, damit die Zeit verging.‘ Das aber“, sagte er, „ist pure Torheit, etwas in der Absicht und mit dem Ende tun zu wollen, niemals das zu tun, was man tun will.“ 1117 Porphyrio zu Hor. sat. 1,1,101: ‚Was rätst du mir also: dass ich lebe wie Naevius oder so wie Nomentanus?‘] … Naevius aber war in so hohem Grad sparsam, dass er verdientermaßen für geizig gehalten wurde, wie Lucilius sagt.

    1118 Servius: Als Diomedes bei der Rückkehr aus Troja herausfand, dass wegen des Zorns der von ihm verwundeten Venus seine Gattin zu Argos mit Cyllarabus, wie Lucilius, oder Cometes, wie die meisten Autoren überliefern, in Schande zusam­ menlebte, wollte er nicht in die Heimat zurückkehren.

    1117: Zu Naevius s. auch Hor. sat. 2,2,68 f. Nec sic ut simplex Naevius unctam / convivis praebebit aquam. 1118: Über das Schicksal des Diomedes berichtet Homer (Il. 5,375–378. 406–415). – Cylla­ rabus, den nur Lucilius nennt, wird bei Pausanias (2,18,5. 22,8) erwähnt. – Treulosigkeit der Frauen: s. auch die 5. Satire in B. XXX; vgl. Marx II 364; Krenkel zu Fr. 1166. Haß (2007, 129 f.) hebt unter Verweis besonders auf dieses Fr. sowie auf Fr. 537–43 (B. XVII) hervor (130): „Mythische Frauen sind nach Ansicht des Satirikers weder stets makellos noch treu, sie unterscheiden sich nicht von den Frauen Roms.“

    432

    Incertae sedis hexametri

    1119–31 (1326–38) Lact. inst. 6,5,2: Quaecumque autem in definitionem virtutis solent dicere, paucis versibus colligit et enarrat Lucilius; quos malo equidem ponere, ne dum multorum sententias refello, sim longior quam necesse est:

    Virtus, Albine, est, pretium persolvere verum quis in versamur, quis vivimus rebus, potesse, 1120 virtus est, homini scire id quod quaeque habeat res, virtus, scire, homini rectum, utile quid sit, honestum, quae bona, quae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum, virtus quaerendae finem re scire modumque, virtus divitiis pretium persolvere posse, 1125 virtus id dare quod re ipsa debetur honori, hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum, contra defensorem hominum morumque bonorum, hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum, commoda praeterea patriai prima putare, 1130 deinde parentum, tertia iam postremaque nostra. v. 1124 re Lachmann, Marx : rei codd. | v. 1129 magni facere S : magis facere R : magnificare codd. | v. 1130 patriai Burmann : patriae codd. | v. 1124 adfertur iterum Lact. inst. 6,7, v. 1125 6,10, v. 1130 6,18.

    1132 (1117)

    Don. Ter. Eun. 302: ‚di deaeque omnes senium perdant‘] … senex ad aetatem refertur, senium ad convicium. sic Lucilius: – ‚es,‘ ait quidam, ‚senium atque, insulse, sophista.‘

    – es ait quidam Marx : at sait (aes V, at ait T C) quidam (quidem T V) codd. ut ait quidam Soubiran, Charpin : heus ait quidam Krenkel, alii alia | senium Marx : the senium B T C : te senium V², Mueller | atque T C : atqui B | insulse V : insule B T C | sophista C : sophistica T : sosista B : hospita V²

    1119–31: Der Adressat Albinus ist nicht zu identifizieren (Cichorius 349–354). – pretium persolvere: vgl. Fr. 1055–56. – re: dat. wie in Fr. 231–32. – Dieses längste und vorzüglich überlieferte Fr. hat so viele ausführliche Interpretationen erfahren, dass Literaturangaben hier weiterführen als einzelne Hinweise. Marx (II 425–427); Cichorius (349–354); Charpin (III 254–257 zu Fr. 23); M. Coffey: Roman Satire. Bristol 1976; Nachdr. 1989, 58 f. u. 275; S. Koster: Neues virtus-Denken bei Lucilius. in: Neukamp, Peter (Hrsg.): Begegnungen mit Altem und Neuem (Dialog Schule und Wissenschaft 15) München 1981, 5–26; W. Goerler: Zum virtus-Fragment des Lucilius (1326–1338 Marx) und zur Geschichte der stoischen Güterlehre. Hermes 112 (1984) 445–468; W. J. Raschke: The virtue of Lucilius. Latomus 49 (1990) 352–369; C. J. Classen: Grundlagen und Absicht der Kritik des Lucilius, in: Satura Lanx. FS für W. A. Krenkel, hrsg. v. C. Klodt. Hildesheim/Zürich/New York 1996 (Spudas-

    Hexameter ohne Buchangabe

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    Philosophische und ethische Gedanken 1119–31 Laktanz: Was auch immer sie zur Definition der virtus zu sagen pflegen, bringt Lucilius auf den Punkt und führt es in wenigen Versen aus, die ich lieber zitieren will, um nicht, wenn ich die Meinungen Vieler zurückweise, weiter auszuholen, als es notwendig ist.

    Virtus, Albinus, ist es, fähig zu sein, den Verhältnissen, die uns umgeben, in denen wir leben, ihren Wert zuzuerkennen, virtus ist es, darum zu wissen, welchen Stellenwert ein jedes Ding für den Menschen hat, virtus, zu wissen, was für den Menschen richtig, nützlich, ehrenhaft ist, was gut, ebenso was schlecht, was nutzlos, schändlich, schimpflich ist, virtus, beim Besitzstreben Ziel und Maß zu kennen, virtus, dem Reichtum seinen Wert belassen zu können, virtus, einer Ehrenstellung das zu bezeigen, was ihr tatsächlich geschuldet wird, Feind und Gegner zu sein schlechter Menschen und Sitten, umgekehrt Verteidiger guter Menschen und Sitten, sie hoch zu schätzen, ihnen gewogen zu sein, mit ihnen befreundet zu leben, außerdem das Wohl des Vaterlandes an die erste Stelle zu setzen, dann das der Eltern, erst an die dritte und letzte Stelle unser eigenes Wohl.

    1132 Donatus: ‚Vernichteten doch alle Götter und Göttinnen das alte Wrack‘] senex bezieht sich auf das Alter, senium auf Schmähung. So Lucilius:

    „Du bist“, sagt einer, „ein altes Wrack und, du abgeschmackter (Sprüche­ macher), ein Sophist.“

    mata 52), 11–28, bes. 24 f.; F.-H. Mutschler: Virtus und kein Ende? Poetica 32 (2000) 23–49; Udo W. Scholz: Laktanz und die virtus des Lucilius. Festschrift Ch. Gnilka, Münster 2002, 303–312. Bei Haß (2007, 79–83) und Winkelsen (2012246–249) findet man eine gute Zusammenfassung der Diskussion (mit weiterer Literatur) über das Verhältnis von Stoischem und Römischem (dabei über den Einfluss des Panaitios; vgl. zu den letzten drei Versen Cic. off. 1,58), die Intention des Lucilius (castigare oder docere? – ersteres wieder durch Coffey herausgehoben, zustimmend Haß). – Corpet reihte das Fr. – wenig überzeugend – in B. XVII nach Fr. 547–48 ein. – Zum Bedeutungsspektrum von virtus s. Anm. zu Fr. 973. 1132: Der verstümmelt überlieferte Vers ist bis auf den Anfang einhellig emendiert. Marx verzichtet hier auf eine Konjektur. Charpin (III 257 zu Fr. 24) verwirft Krenkels Vorschlag wegen des Hiats und kommt auf Soubirans Konjektur zurück. Aber ut, zu ait quidam hinzugefügt, wirkt

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    Incertae sedis hexametri

    1133 (1340) Varro ling. 5,63: Poetae, de caelo quod semen igneum cecidisse dicunt in mare ac natam e spumis Venerem, coniunctione ignis et humoris, quam habent vim significant esse Veneris. A qua vi natis dicta ‚vita‘ et illud a Lucilio:

    vis est vita, vides, vis nos facere omnia cogit. 1134–36 (1284–86) Gell. 18,5,8: Pleraque enim veterum aetas et hominem equo insidentem et equum qui insideretur, ‚equitem‘ dixerunt. Propterea ‚equitare‘ etiam, quod verbum a vocabulo ‚equitis‘ inclinatum est, et homo equo utens et equus sub homine gradiens dicebatur. Lucilius adeo, vir adprime linguae Latinae sciens, ‚equum equitare‘ dicit his versibus: Non. 106,31: ‚Equitare‘ quoque Lucilius ecum dicit, cum sit hominis ecum insidentis: [quis … curritque oculis] Macr. Sat. 6,9,11: Sic et ‚equitare‘, quod verbum e vocabulo equitis inclinatum est, et homo utens equo et equus sub homine gradiens dicebatur. Lucilius namque, vir adprime linguae Latinae scius, equum equitare dicit hoc versu: [nempe hunc currere …videmus]

    quis hunc currere ecum nos atque equitare videmus, his equitat curritque; oculis equitare videmus: ergo oculis equitat. quis codd. Gell., Non. : nempe codd. Macr. | hunc codd. Non., Macr., X Gell. : hinc cett. | nos atque codd. Gell., Macr. : nos aquae codd. Non. | equitare codd. : ego equitare P Macr. | videmus codd. Gell., Macr. : videbat codd. Non.

    1137 (1268) Macr. GL 5,618,17: Similiter apud Latinos imperativus nascitur ab infinito abiecta ultima,… ‚esse es‘ et ‚ades‘ et ‚prodes‘. Lucilius:



    prodes amicis

    unorganisch – ait steht nicht selten für inquit in direkte Rede eingeschoben; s. Kühner-Stegmann II 532 f. (Anm. 1); vgl. nur Hor. sat. 1,3,21 f. –, weshalb ich mich Marx’ Zurückhaltung (und damit auch seiner Interpunktion) anschließe. – sophista: „Le mot a valeur dépréciative; au contraire de sophos (cf. H 30 [= 1141–46]) qui a valeur laudative …“ (Charpin a. O.). 1133: „Varro versum attulit ideo tantum, quo vitam a vi dictam esse probaret“ (Marx II 427); vgl. Men. monost. 1,66 M βίος κέκληται δ’ ὃς βίᾳ πορίζεται. Charpin (III 257 zu Fr. 25) betont zu Recht, dass Lucilius sich nicht auf die Anekdote über Venus bezieht. Zum Fr. s. auch Winkelsen 2012, 112 f.

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1133 Varro: Wenn die Dichter sagen, dass ein feuriger Samen vom Himmel ins Meer gefallen und aus dem Schaum Venus geboren worden sei, aus der Verbindung von Feuer und Wasser, so zeigen sie damit an, dass die Kraft, die sie (Feuer und Wasser) haben, das Wirken der Venus sei. Von den durch diese Kraft Geborenen heißt es, (dass sie) Leben (haben), und (dieser Gedanke stammt) von Lucilius:

    Kraft ist Leben, du siehst es, Kraft treibt uns zu allem Tun an.

    1134–36 Gellius: Der größte Teil der alten Autoren nannte ‚eques‘ (Reiter) sowohl den auf dem Pferd sitzenden Menschen als auch das Pferd, auf dem aufgesessen war. Deshalb sprach man auch von ‚equitare (reiten), dem Verb, das von dem Wort ‚eques‘ abgeleitet ist, sowohl bei dem reitenden Menschen als auch bei dem unter einem Menschen schreitenden Pferd. Lucilius, ein vorzüglicher Kenner der lateinischen Sprache, sagt geradezu ‚equum equitare‘ in folgenden Versen: Nonius: ‚Equitare‘ (reiten) sagt Lucilius auch vom Pferd, obwohl das doch Sache des auf dem Pferd aufsitzenden Menschen ist. Macrobius: So sagte man auch ‚equitare‘ (reiten), ein Verb, dass von dem Wort ‚eques‘ abgeleitet ist, sowohl vom Menschen, der ein Pferd benutzt, als auch vom Pferd, das unter einem Menschen schreitet. Und in der Tat sagt Lucilius, ein Mann, der die lateinische Sprache hervorragend kennt, ‚equum equitare‘ in folgendem Vers:

    Womit wir dieses Pferd galoppieren und traben sehen, damit trabt und galoppiert es. Mit den Augen sehen wir es traben: also trabt es mit den Augen.

    1137 Macrobius: Ähnlich entsteht bei den Lateinern der Imperativ aus dem Infinitiv nach Wegfall der letzten Silbe, … ‚esse es‘ (sein, sei) und ‚ades‘ (stehe bei) et ‚prodes‘ (nütze).

    nütze deinen Freunden

    1134–36: Ein logischer Trugschluss, gut erklärt von Krenkel (zu Fr. 1301–3) und Charpin (III 258 zu Fr. 26), in der Tradition griechischer Sophismen; vgl. Plat. Euth. 277a; Diog. Laert. 7,187; Aristot. soph. el. 177b. 1137: Zum Thema Freundschaft vgl. Fr. 632, 633–34 und 945. – Epikureischen Einfluss, wie ihn Marx (II 229 zu Fr. 618–19) sehen wollte, stellte jüngst wieder Gärtner in Frage (2001, 92–94).

    436

    Incertae sedis hexametri

    1138 (1269) Non. 321,17: ‚Invitare‘ significat replere. … Lucilius:

    – ⏑ ⏑ pulchre invitati acceptique benigne

    pulchre codd.: pulchre coni. Marx | invitati codd.: invitati sumus susp. Soubiran

    1139–40 (1155–55a) Cic. fin. 2,23: nemo nostrum istius generis asotos iucunde putat vivere. mundos, elegantis, optimis cocis, pistoribus, piscatu, aucupio, venatione, his omnibus exquisitis, vitantes cruditatem, quibus

    vinum defusum e pleno [sit] chrysizon ⏑ – ⏑ vinum defusum codd. : quibus v. d. E Vatic. : defusum e p. s. c. vinum Marx | pleno Charpin : pleno sit codd. | χρυσίζον Munroe AJPh 1 (1879) 219, chrysizon Marx : hrysizon B E : hirzison A : hirsiphon P : hirsihon R | sumite suppl. Marx (app.)

    ut ait Lucilius,

    cui nil, dum fit, vas et sacculus abstulit – ⏑

    cui nil dum fit vas et Marx : cui nihil dum sit vis et A B : nihil dum sit vis et E : cui nihil dempsit et P³ | abstulit (coni. artus ) Marx : abstulerit codd. | abstulit auri Krenkel : abstulerit nil Charpin

    adhibentis ludos et quae sequuntur, illa, quibus detractis, clamat Epicurus se nescire quid sit bonum. Cf. Grammaticus de dubiis nominibus GL 5,590,9: ‚Saccus‘ generis masculini, ut Varro: ‚vinum cui nihil sacculus abstulit‘. 1141–46 (1235–40) Cic. fin. 2,24: Nec ille, qui Diogenem Stoicum adolescens, post autem Panaetium audierat, Laelius, eo dictus est sapiens, quod non intellegeret quid suavissimum esset – nec enim sequitur, ut, cui cor sapiat, ei non sapiat palatus –, sed quia parvi id duceret

    ‘O lapathe, ut iactare, nec es satis cognitus qui sis!’ in quo Laelius clamores sophos ille solebat edere, compellans gumias ex ordine nostros. ut A R P : et B E | nec es satis Lachmann : nec cessatis codd. | in quo Laelius edd.: in quo cognitu laelius codd. | gumias A : gumas P : ginnas R: grumas B E 1138: Vgl. Cic. Att. 3,4 adhuc invitamur benigne … – Mueller wies das Fr. B. XXX zu, Warmington B. XX, Garbugino (1985, 169 f.) schwankt zwischen B. V und B. XX. S. auch Winkelsen 2012, 329. 1139–40: ‚chrysizon‘: „Vor dem Trinken wurde der Wein durch ein Sieb oder einen leinenen Filtriersack geseiht, um die Hefe abzutrennen. Danach wurde er in einen Mischkrug geschüttet …“ (K.-W. Weeber: Art. Wein, in: Alltag im alten Rom. Düsseldorf/Zürich 31997, 397–402, hier: 400). – Mit der Herstellung des Lucilius-Textes setzt sich ausführlich Winkelsen (2012, 320 f.) auseinander. – Charpin (III 258 zu Fr. 29a) betont, dass Cicero, der gegen den Epikureismus argumentiert, den Lucilius hier nur zur Illustration zitiert. Lucilius hat

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1138 Nonius: ‚Invitare‘ (einladen) bedeutet ‚anfüllen‘.

    großartig bewirtet und freundlich empfangen

    1139–40 Cicero: Keiner von uns nimmt an, daß hemmungslose Menschen dieses Schlages ein angenehmes Leben führen. Da gibt es aber feine, elegante Leute, die mit Hilfe der besten Köche oder Bäcker, mit Fischgerichten, mit Geflügel oder Wildbret, samt und sonders von erlesener Art, den Überdruß vermeiden; für die

    ein wie Gold funkelnder Wein sich in Strömen ergießt,

    wie Lucilius sagt,

    dem, während er (geseiht) wurde, Gefäß und Filtriersack nichts (von seinem Bouquet) genommen haben.

    Sie gönnen sich auch Spiele und Dinge, die dazugehören, Dinge, ohne die sich Epikur, wie er betont, kein Gut vorstellen kann. (Übers., ausgenommen die beiden Verse: Merklin [reclam 8593]) Vgl. Grammaticus: ‚Saccus‘ (Sack, um etwas durchzuseihen) maskulin, wie Varro: ‚ein Wein, dem das Seihtuch nichts genommen hat‘. 1141–46 Cicero: Man nannte ja auch den bekannten Laelius, der als junger Mann den Stoiker Diogenes, später jedoch Panaitios gehört hatte, nicht deshalb den Weisen, weil er sich nicht über den größten Genuß im klaren gewesen wäre – wenn jemand mit dem Herzen fühlt, so folgt daraus ja nicht, daß er sich mit dem Gaumen irrt –, sondern weil er ihm wenig bedeutete.

    “O Sauerampfer, wie verschmäht man dich! Wie wenig kennt man deinen Wert!” Mit diesem Ausruf pflegte jener weise Laelius die Schlemmer aus unserem Stand zu tadeln.

    die Epikureer wenig geschätzt; s. seine Darstellung des Albucius, B. II sowie B. XIV seine Haltung zu Politik und Politikferne. 1141–46: Zu C. Laelius Sapiens s. Erl. zu Fr. 461–62. Die Wiedergabe seines Beinamens mit der griechischen Vokabel sophos lässt die Folgerung zu, dass diese zu Lucilius Lebzeiten bereits in den allgemeinen Sprachschatz eingegangen war (Marx II 393), im Unterschied zu sophista in Fr. 1132 mit anerkennendem Beiklang (Charpin III 260 zu Fr. 30); vgl. Mart. 7,32,4 te sophos omnis amat. – Das Imperfekt solebat zeigt, dass Laelius (gestorben 129 v. Chr.) schon tot war, das Fr. also in eines der Bücher I–XXI gehört. F. Dousa dachte an B. IV, Marx (II 392) „propter herbae panegyricum paene ridiculum“ an B. V; vgl. dort Fr. 200; s.

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    Incertae sedis hexametri

    praeclare Laelius, et recte σοφός illudque vere:

    ‚O Publi, o gurges, Galloni! es homo miser‘, inquit. ‚cenasti in vita numquam bene, cum omnia in ista consumis squilla atque acupensere cum decimano.‘ miser A² : miseri A1 B E | cenasti A : cenastis B E | ista P B E : isto A R | accupensere edd. : accubans (accubas P) aere A B R : accubant ere E | decimano A : decimacio B E : decumano P

    is haec loquitur, qui in voluptate nihil ponens negat eum bene cenare, qui omnia ponat in voluptate, et tamen non negat libenter cenasse umquam Gallonium – mentiretur enim –, sed bene. ita graviter et severe voluptatem secernit a bono.

    1147–48 (1122–23) Cic. fin. 2,24 f.: ex quo illud efficitur, qui bene cenent omnis libenter cenare, qui libenter, non continuo bene. semper Laelius bene. (25) quid bene? dicet Lucilius: cocto condito, sed cedo caput cenae, sermone bono, quid ex eo? si quaeris, liben­ ter. Cic. Att. 13,52,1: Itaque et edit et bibit ἀδεῶς et iucunde; opipare sane et apparate, nec id solum sed –

    bene cocto et condito, sermone bono, si quaeris, libenter.

    1149–50 (1225–26) Porph. Hor. sat. 1,3,124: ‚Si dives qui sapiens est …‘] Porro autem Stoici existimant perfectae sapientiae virum omnia habere. In quo sensu et Lucilius versatus sic ait – fr. –. tamen poeta non simpliciter hoc, sed per derisum Stoicorum dicit.

    –⏑⏑ –⏑⏑ nondum etiam haec omnia habebit, formonsus, dives, liber, rex solus feretur. etiam qui Lachmann : etiam codd. : etiam hic Marx | feretur Mueller : testetur codd. : vocetur ed. pr. : ut extet Marx auch Winkelsen 2012, 84. Sprecher der Verse kann, wie ebenfalls Marx vermutet, Q. Mucius Scaevola sein; s. Cic. Lael. 1 Q. Mucius Augur multa narrare de Laelio socero suo memoriter et iucunde solebat nec dubitare illum in omni sermone appellare sapientem. – Die Kritik am Tafelluxus des P. Gallonius, eines praeco, greift Horaz auf (sat. 2,2,46–48 haud ita pridem / Galloni praeconis erat acipensere mensa / in famis. – cognitus: Wegfall des End-s, wie im Altlatein häufig; vgl. suggeris Fr. 1197. – lapathus: Vgl. Hor. epod. 2,53–58 non Afra avis descendat in ventrem meum, / non attagen Ionicus / iucundior quam lecta de pinguissimis / oliva ramis arborum / aut herba lapathi prata amantis et gravi / malvae salubres corpori …; Plin. nat. 20,231 schreibt dem Sauerampfer vielfach heilende Kräfte zu, doch wurde er von der Allgemeinheit verschmäht. Haß (2007, 152) unterstreicht die ironische Färbung des Preises einfachen Essens, die sich durch übertriebene Zuspitzung verrät. – ut iactare: „i.e. ut

    Hexameter ohne Buchangabe

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    Vortrefflich hat Laelius das gesagt, und er ist wohl ein Weiser; auch damit hat er recht gehabt:

    “O Publius Gallonius, Vielfraß”, sagte er, “du bist ein armer Kerl! Du hast in deinem Leben niemals gut gegessen und gibst doch alles für diese Krabbe aus und für einen mächtigen Stör.”

    So spricht jemand, der keinen Wert auf den Genuß legt und der darum sagt, daß einer nicht gut esse, dem es in allem auf die Lust ankomme. Dabei sagt er jedoch nicht, daß Gallonius nie mit Genuß gegessen habe – das wäre ja gelogen –, sondern daß er es niemals gut tat. So trennte er mit Nachdruck und mit Strenge die Lust vom Guten.  (Übers. von Kontext und Fr.: H. Merklin [reclam 8593]) 1147–48 Cicero (fin.): Daraus ergibt sich, daß die, die gut essen, auch genußvoll essen, doch die, die es genußvoll tun, darum nicht unbedingt auch gut. Laelius aß immer gut. Wie gut? Lucilius wird es sagen. „Entsprechend gekocht und gewürzt.“ Ja, aber nun das Wichtigste beim Essen! „Mit einem guten Gespräche“. Was folgt daraus? „Er tat es, wenn du mich fragst, mit Genuß.“ (Übers.: H. Merklin) Cicero (Att.): Deshalb isst und trinkt er (Caesar) unbesorgt und behaglich, und nicht nur das, sondern …

    von gut gekochtem und gewürztem Essen, bei gutem Gespräch, wenn du fragst, mit Genuss.

    1149–50 Porphyrio: ‚Wenn reich ist, wer weise ist …‘] Weiter aber glauben die Stoiker, ein Mann mit vollkommener Weisheit besitze alles. Auch Lucilius beschäftigt sich mit dieser Vorstellung und sagt Folgendes – Fr. –. Jedoch sagt der Dichter das nicht so dahin, sondern zur Verspottung der Stoiker.

    Auch wer dies alles hat, wird (deswegen) noch nicht allein als schön, reich, frei, als König in aller Munde sein.

    con­temneris et abiectus iaces“ (Marx II 392). Vgl. Plaut. Rud. 373 aedilis est: siquae inpro­ bae sunt merces, iactat omnis. – gumia: s. B. XXX Fr. 998–99. – decimanus: hier = ‚groß‘, ‚unge­heuer‘ („vocabulum … sermonis castrensis“ Marx II 393), s. auch Fr. 1289. 1147–48: cocto et condito: substantivierte Partizipien; vgl. Fr. 1061–62 mansum; Plaut. Aul. 429 f. quid tu, malum, curas, / utrum crudum an coctum ego edim, nisi tu mi es tutor? – si quaeris: beliebte Formel beim Abschluss einer Aufzählung, so auch B. IV 175 und B. XIV 499. – libenter: im Zusammenhang mit Essen = ‚mit Vergnügen‘, ‚mit Genuss‘, so auch Cato agr. 156,1 si voles in convivio multum bibere cenareque libenter …; s. ferner 156,6; 157,6; Mart. 11,35,4 solus ceno, Fabulle, non libenter. – Zum Fr. s. auch Haß 2007, 152. 1149–50: Zum Inhalt vgl. den vollenText bei Horaz, sat, 1,3,126–133; weitere Belege für dieses vielbehandelte Thema bei Krenkel zu Fr. 1249–50. S. auch Cichorius 150; Haß 2007, 79.

    440

    Incertae sedis hexametri

    1151 (1197) Non. 449,19: ‚Interfici‘ et ‚occidi‘ et inanimalia posse veteres vehementi auctoritate posuerunt … [Lucilius fr. 1191] … (30) Lucilius:

    intereunt, labuntur, eunt rursum omnia vorsum. intereunt edd. : intereunti codd. | eunt rursum J. Dousa : euntur codd. : eunt vestra Lindsay

    1152–53 (1213–14) Non. 214,2: ‚Mendum‘, neutro … feminino … Lucilius:

    nam, in quibus mendae omnibus in rebus fiunt fierique potis sunt

    1154 (1105)# Don. Ter. Ad. 176: ‚Ex tuis virtutibus‘] Sic veteres per ironiam virtutes pro flagitiis dicebant. Lucilius:

    animo ac virtutibus

    1155–56 (1119–20) Sch. Iuv. 1,106: ‚Quid confert purpura maior optandum‘] Lucilius [aurum … virtutis] Sch. Iuv. 3,143: ‚Quantum quique sua nummorum servat in arca, tantum habet et fidei.‘] Lucilius:

    aurum atque ambitio specimen virtutis utrique est: tantum habeas, tantum ipse sies tantique habearis.

    ambitio codd. Sch. 3: ambitiosum codd. Sch. 1: ambitiost Lachmann | specimen codd. Sch. 1 : speciem codd. Sch. 3 | utrique est codd.: utrumque est J. Dousa: virique est Bergk Philologus 14 (1859) 390: utrimque est Lachmann | tantum habeas codd.: quantum habeas J. Dousa

    → fr. dubium 1385? 1157 (1220) Fest. 160,23 L: - fr. -. Hoc versu Lucilium significare ait Sinnius Capito, nequam esse aurum quod auris laedat; vel pondere inaurium, cum mollissima pars auris in1151: rursum omnia vorsum: vgl. Plaut. Amph. 1112 ego cunas recessim rursum vorsum tra­ here et ducere. – Es scheint um den politischen und moralischen Niedergang zu gehen (Marx II 379; Charpin III 261 zu Fr. 33); ähnlich Verg. Aen. 2,169 f. ex illo fluere ac retro sublapsa referri / spes Danaum. – Ist das Fr. Teil der Klage Juppiters in B. I (Marx a. O.)? Skeptisch Winkelsen 2012, 270. Das Fr. würde dort aber auch zu Romulus passen. 1152–53: Vgl. Sall. Catil. 10,3. Marx (II 384) vermutet, dass Lucilius sich auf einen Ausspruch Scipios bezieht, s. bei Val. Max. 7,2,2 inemendabilis est enim error qui violentiae Martis committitur. Vgl. Charpin III 262 zu Fr. 34. 1154: Zu einem möglichen Zusammenhang mit dem Virtus-Fr. 1119–31 s. Haß 2007, 82 f.

    Hexameter ohne Buchangabe

    441

    Kritische Betrachtung der römischen Gesellschaft 1151 Nonius: ‚Interfici‘ (umgebracht werden) und ‚occidi‘ (getötet werden) kann auch Unbelebtes, wie die alten Autoren mit einer Autorität bestimmt haben, die keinen Widerspruch duldet. … Lucilius:

    zugrunde geht alles, es löst sich auf, entwickelt sich zum Schlechteren hin.

    1152–53 Nonius: ‚Mendum‘ (Fehler), ein Neutrum … als Femininum (hat es) … Lucilius:

    denn (Menschen), bei denen in allen Lebenslagen Fehler gemacht werden oder gemacht werden können, …

    1154 Donatus: ‚Aufgrund deiner Vorzüge‘] So sagten die Alten ironisch ‚Vorzüge‘ anstelle von Schandtaten. Lucilius:

    dank seinem Mut und seiner Vorzüge

    1155–56 Scholiast zu Iuv. 1,106: „Was verschafft denn der breitere Purpur Wünschenswertes?“] Lucilius … Scholiast zu Iuv. 3,143: „Soviel ein jeder in seiner Truhe an Geld hütet, so viel Vertrauen genießt er.“] Lucilius:

    Gold und Ehrgeiz sind für beide die Gewähr dessen, was einen Mann auszeichnet: so viel magst du haben, soviel magst du selbst sein und so viel giltst du.

    1157 Festus: - Fr. -. Mit diesem Vers macht Lucilius deutlich, wie Sinnius Capito sagt, dass das Gold nichts tauge, weil es die Ohren verletze, sei es durch das Gewicht 1155–56: Der gleiche Gedanke bei Hor. 1,1,62 ‚nil satis est‘, inquit, ‚quia tanti quantum habeas sis.‘; Petron. 77,6 ‚assem habeas assem valeas, habes, habeberis.‘; vgl. Sen. epist. 115,14; Apul. apol. 23. Charpin (III 262 zu Fr. 36) verweist überdies auf Sall. Catil. 10,4. – ‚für beide‘: Marx (II 355) denkt an die Brüder Spurius (cos. 110 v. Chr.) und Aulus Postumius Albinus (zu Letzterem s. Sall. Iug. 37–39). Aulus Albinus ist vielleicht auch der Adressat des Virtus-Fragments 1119–31. Das hier behandelte Fr. kann gut in dessen Kontext gehören; s. Scholz 2000, 232; Haß 2007, 81166, 82 f. Anders schlägt Cichorius (333 f.) L. Aurelius Cotta und Ser. Sulpicius Galba (coss. 144 v. Chr.) vor. Die Übertragung des Kommandos gegen Viriathus in Spanien verhinderte Scipio Aemilianus, u.a. mit dem Argument (Val. Max. 6,4,2): neutrum, inquit mitti mihi placet, quia alter nihil habet, alteri nihil est satis.

    442

    Incertae sedis hexametri

    ciditur; vel ex auro intellegi pecuniam, cuius respectu et nimia cupiditate homines ad peccandum adduci. Paul. Fest. 161,8 L: - fr. -. Hoc versu Lucilius significare videtur nequam esse aurum, quod aures laedat pondere inaurium, cum auris inciditur; vel etiam cupiditatem pecuniae voluit significare.

    nequam aurum est, auris quodvis vehementius ambit.

    quodvis codd.: quovis Baehrens: quod vi F. Dousa: quoius Scaliger | ambit codd. Paul.: ambiat F Fest.

    1158 (1103) SHA (Pert.) 8,9,4: Avaritiae suspicione privatus non caruit, cum apud vada Sabatia oppressis fenore possessoribus latius suos tenderet fines, denique ex versu Luciliano – fr. – est appellatus.

    agrarius mergus agrarius edd.: grarius codd. : aerarius Salmasius

    1159 (1253) Char. GL 1,109.10: ‚Plure‘ aut ‚minore emptum‘ antiqui dicebant. Cicero ‘plure venit’ et Lucilius [plure … vendunt], sed consuetudo pluris et minoris dicit. Char. GL 1,211,30: ‚‘Plure‘ … Lucilius – Fr. – antique.

    plure foras vendunt, quod [pro] minore emptum.

    quodcumque Soubiran, Charpin : quod pro codd. : quod proinde Marx : quod porro Kren­ kel | erat emptum Marx : emptum codd.: coemptum Lindemann

    1160 (1219) Fest. 516,24 L: ‚Vindiciae‘ appellantur res eae de quibus controversia est. quod potius dicitur ius, quia fit inter eos qui contendunt … Lucilius:

    nemo hic vindicias neque sacramenta veretur. sacramenta Huschke : sacra…en U : sacra neque numen V X Z : sacra Marx : sacra omenve Mueller 1157: „Priorem interpretationem ineptam esse patet“ (Marx II 387). Für ihn verurteilt Lucilius das Gold als Mittel der Korruption, sei es der castitas der Ehefrauen, sei es von Richtern. Charpin (III 263 zu Fr. 27) verweist auf die Häufigkeit des Themas, s. die Fragmente 412–14. 621 und 625. 701–2. 723–24. 727. 737. 982–83. 1158: agrarius: Zur Vorliebe des Lucilius für Wortbildungen auf -arius s. Marx II 351. – ‚Taucher‘: ein als unersättlich geltender Seevogel; s. Plin. nat. 11,202 – „probably a cormorant“ (Warmington zu Fr. 1159). – Zum Typus des Raffgierigen vgl. Iuv. 14,140–144. Lucilius stellt entweder einen Erbschleicher vor Augen (vgl. Fr. 417–19) oder eine Person, die Teile eines ager publicus an sich bringt (vgl. App. civ. 1,7,26); s. Charpin III 263 zu Fr. 38.

    Hexameter ohne Buchangabe

    443

    der Ohrgehänge, wenn der zarteste Teil des Ohres gepierct wird, oder dass unter Gold der Geldwert verstanden wird, der die Menschen verlockt und allzu begierig macht, sodass sie zu Fehlverhalten verleitet werden. Paulus, epitome Festi: - Fr. -. Mit diesem Vers macht Lucilius wohl deutlich, dass das Gold nichts tauge, weil es die Ohren durch das Gewicht der Gehänge verletze, wenn ein Ohr gepierct wird; oder auch: er wollte die Geldgier bezeichnen.

    Nichtswürdig ist jegliches Gold; es umgarnt die Ohren allzu heftig.

    1158 Scriptores Historiae Augustae: Er (nml. Pertinax) war als Privatmann nicht frei vom Verdacht der Habgier; denn bei Vada Sabatia drangsalierte er die Landbesitzer mit Wucherzinsen und dehnte seinen eigenen Besitz weiter aus, schließlich wurde er nach einem Vers des Lucilius – Fr. – genannt.

    ‚Land-Taucher‘

    1159 Charisius 109: Plure‘ (teurer) oder ‚minore emptum‘ (billiger gekauft) sagten die Alten. Cicero ‚plure venit‘ (es wird teurer verkauft) und Lucilius – Fr. –, aber der übliche Sprachgebrauch sagt ‚pluris‘ und ‚minoris‘. Charisius 211: ‚Plure‘ (teurer) … Lucilius – Fr. – archaisch.

    Teurer bringen sie alles auf den Markt, was billiger eingekauft worden war.

    1160 Festus: ‚Vindiciae‘ (Rechtsanspruch) werden die Sachverhalte genannt, worüber ein Rechtsstreit stattfindet. Besser nennt man das ‚ius‘ (Rechtsverfahren), weil es zwischen den streitenden Parteien stattfindet. Lucilius:

    Niemand achtet hier Rechtsansprüche und Kautionen.

    1159: Charpins Herstellung des Textes kommt einer Heilung wohl am nächsten (s. Fr. H 39 u. Erl. III 264). – Zur Aussage vgl. Fr. 614, ferner Iuv. 14,200 f. pares quod vendere possis / pluris dimidio. Das kaufmännische Gewinnstreben gibt das Argument her, das Prestige dieses Berufsstandes niedrig anzusetzen; vgl. Cic. off. 1,150 f.: die Differenz zwischen höherem Preis und Einkaufspreis wird als Lüge gebrandmarkt, inkonsequenterweise unter Nicht-Anwendung auf den Großhandel. 1160: vindiciae … sacramenta: s. Varro ling. 5,180 ea pecunia quae in iudicium venit in litibus, sacramentum a sacro …; qui iudicio vicerat, suum sacramentum a sacro auferebat, victi ad aerarium redibat. Vgl. Gell. 20,10,1; Gai. 4,16. – sācramenta: hier mit langem a vor

    444

    Incertae sedis hexametri

    1161–67 (1228–34) Lact. inst.5,9,20: Sed et Lucilius tenebrosam istam vitam circumscripte breviterque depinxit his versibus:

    Nunc vero a mani ad noctem, festo atque profesto totus item pariterque die populusque patresque iactare indu foro se omnes, decedere nusquam, uni se atque eidem studio omnes dedere et arti, verba dare ut caute possint, pugnare dolose, blanditia certare, ‚bonum‘ simulare ‚virum‘ se, insidias facere, ut si hostes sint omnibus omnes.

    a mani V : amant H : a mane rell. | die R B : dies V H | foro se R : foros H : forus set V : forum se B

    1168 (1118) Varro ling. 7,94: Apud Lucilium – fr. – ‚clepsere‘ dixit, unde etiam alii ‚clepere‘, id est corripere.

    atque aliquos ibi ab rebus clepsere foro qui

    aliquos ibi codd., si suppl. Marx : aliquo se illi Spengel : aliquas ibi si Warmington | ab rebus codd. : abreptos Marx | foro qui codd. : foroque Spengel

    1169 (1148) Char. GL 1,71,28: Forum neutro genere dicimus locum rebus agendis destinatum, vel cum commercium significamus; et Lucilius:

    cum illi fora irant cum illi codd. cum illic Mueller : tunc illi J. Dousa | fora mirant Lachmann : fora erat C, J. Dousa : fora irant N : in fora itant Mueller : fora † irant Marx, susp. transierant : fora iurant Krenkel .

    1170–71b (1312–13) Cic. nat. deor. 1,63: quid de sacrilegis, quid de impiis periurisque dicemus?

    muta cum liquida. – Baehrens teilt das Fr. B. I (Klage Iuppiters) zu. – S. auch die Diskussion der Textherstellung und der Zuordnung zu einem Buch bei Winkelsen 2012, 196 f. 1161–67: nunc vero: in der Gracchenzeit, im Unterschied zu früheren, besseren Zeiten? – a mani ad noctem: vgl. Plaut Most. 534 a mani ad noctem usque in foro dego diem. – verba dare: vgl. Q. Cic. pet. 42 id quod natura non habes, induc in animum ita simulan­dum esse, ut natura facere videare. nam comitas tibi non deest, ea quae bono ac suavi homine digna est, sed opus est magnopere blanditia, quae, etiam si vitiosa est et turpis in cetera vita, tamen in petitione necessariast. Etenim cum deteriorem aliquem adsentando facit, tum improba est, cum amiciorem, non tam vituperanda, petitori vero necessaria est, cuius frons et vultus et sermo ad eorum quoscumque convenerit sensum et voluntatem commutandus et accom­ modandus est. – bonus vir (bonus betont vorangestellt wie in Fr. 931–32): Der Idealtypus des pater familias und Senators; s. J. Christes: Bildung und Gesellschaft. Darmstadt 1975,

    Hexameter ohne Buchangabe

    445

    1161–67 Lactantius: Aber auch Lucilius hat dieses düstere Leben summarisch und knapp abgebildet in folgenden Versen:

    Jetzt jedoch drängen sich vom Morgen bis zum Abend, an Feier- und Werktagen, das ganze Volk ebenso wie gleichermaßen die Senatoren alle miteinander auf dem Forum, verlassen es nirgendwo, geben sich ein und demselben Streben, ein und derselben Kunstfertigkeit hin, fähig zu sein, ihre Worte mit Bedacht zu setzen, listig zu kämpfen, im Schmeicheln zu wetteifern, sich als untadeliger Mann zu geben, Fallen zu stellen, wie wenn alle die Feinde aller wären.

    1168 Varro: Bei Lucilius – Fr.– sagte er ‚clepsere‘ (sie haben gestohlen), wonach andere auch ‚clepere‘ (stehlen) (bildeten), d. i. ‚corripere‘ (raffen).

    … und weiter alle die, die auf dem Markt von den Waren entwendet haben

    1169 Charisius: ‚Forum‘ (Markt) als Neutrum nennen wir einen Ort, der für die Abwicklung von Geschäften bestimmt ist, oder wenn wir den Handel meinen; und Lucilius:

    wenn jene die Handelsgeschäfte bestaunen

    1170–71b Cicero: Was werden wir von Tempelräubern, was von Gottlosen und Meineidigen sagen? 133–135; ders.: Art. Erziehung, in: DNP 4 (1998) 114 (Abschn. C a.1). – Zur Polemik vgl. Varro Men. 435 B. in tenebris ac suili vivunt, nisi non forum hara atque homines qui nunc plerique sues sunt existimandi; 497 B. ubi tum comitia habebant, ibi nunc fit mercatus.– Zum Fr. im Ganzen s. Cichorius 17; Charpin III 265 zu Fr. 41; Krenkel 2001, 135; Schäfer 2001,182–186, Zimmermann 2001, 192 f.; Haß 2007, 65 f.; Winkelsen 2012, 192–194. 1168: Charpin (III 265 zu Fr. 42) erschließt den Text wie folgt: si … qui hat generalisierende Bedeutung, vgl. griech. εἴ τινες (seine Übersetzung von aliquos … si … qui: „tous ceux qui“); ibi: in Verbindung mit atque in logischer Funktion = „et, sur ce point“; foro: abl. loc. 1169: irant: Die aktive Form (statt mirantur) bezeugt Varro Men. 128 B. hospes quid miras nummo curare Serapim? 129 B. aut ambos mira aut noli mirare de me de eodem. 1170–71: Auch Marx (II 419) sieht hinter den Worten ab putasset Verse des Lucilius, verzichtet aber darauf, sie durch Eingriffe in den Rhythmus des Hexameters einzupassen. Ein

    446

    Incertae sedis hexametri

    Tubulus si Lucius umquam, si Lupus aut Carbo aut Neptuni filius – ⏑

    ut ait Lucilius,

    aut

    – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – ⏑ putasset esse deos, tam periurus,

    (a) (b1)



    (b2)

    tam impurus fuisset?

    1172 (1242–43) Consent. GL 5,440,4: Poetae faciunt metaplasmos cum ipsi iam scripturam relinquunt corruptam … sicut Lucilius – fr. –; dempsit enim unam litteram per metaplasmum ‚r‘.



    ore corupto

    ore / corupto Marx

    1173 (1287)# Fest. 308,15 L: tanam classem … cilius sic meminit:

    quod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . adeptus

    scripsit veluti ‘quod nunc iura siet quintanae classis adeptus’ Marx : quod adeptus coni. Krenkel

    1174 (1318) Fest. 384,29 L: ‚Sollo‘ Osce dicitur id quod nos totum vocamus. Lucilius – fr. – . id est non tota.

    vasa quoque omnino dirimit non sollo dupundi.

    vasa Augustinus (1559) : suasa cod.| dirimit cod. : redimit J. Dousa, Marx | non sollo, dupundi dist. Marx vollständiger Hexameter – esse deos … impurus fuisset – ergibt sich jedoch, wenn man mit Warmington (Fr. 1138–41) und Krenkel (Fr. 1328–30) aut als Ciceros Einfügung versteht; putasset nehmen sie als Abschluss des zweiten Verses. Das scheitert zwar nicht daran, dass sich putasset als Singular nur auf Neptuni filius beziehen könne (so Terzaghi 1934/1970 263³, s. jedoch Kühner-Stegmann I 45 § 13, 2a letzter Abs.), wohl aber an der Schwierigkeit, dann filius zweisilbig (mit kurzer Endsilbe – so Krenkel) zu lesen. Vielleicht ist mit Soubiran und Charpin (s. III 266 zu Fr. 44) eine größere Lücke zwischen filius und putasset anzunehmen, womit dann, wie oben vorgeschlagen, 4 Verse gewonnen wären. (Soubirans Vorschlag für eine inhaltliche Füllung bei Charpin a. O.). – Gegen J. Dousas Zuweisung zu B. I wenden sich Cichorius 347 (sein prosopographisch begründeter Zeitansatz führt auf eines der Bücher II – X) und Terzaghi a. O. – Zu den von Lucilius gebrandmarkten Personen s. Charpin a. O., im Einzelnen zu L. Hostilius Tubulus: P. Nadig: Art. Hostilius [11], in: DNP 5 (1998) 747, zu C. Papirius Carbo (Parteigänger des Ti. Gracchus): K. Bringmann: Art. Papirius [15] in: DNP 9 (2000), 290 f. Um L. Cornelius Lentulus Lupus geht es im Concilium deorum B. I – s. dort. – Neptuni filius: gemeint ist Polyphemus, vgl. Hom. Od. 9,275–278. Von Neptuns Söhnen insgesamt sagt Gellius (15,21): ferocissimos et immanes et alienos ab omni huma­ nitate, tamquam e mari genitos, Neptuni filios dixerunt, Cyclopa et Gercyona et Scirona et Laestrygonas. Marx (a.O.) betont die geistreiche Kopplung der gebrandmarkten Personen mit einer mythischen Figur.

    Hexameter ohne Buchangabe

    447

    Wenn Lucius Tubulus jemals, wenn Lupus oder Carbo oder Neptuns Sohn …

    wie Lucilius sagt,

    … an die Existenz von Göttern geglaubt hätte, wäre er dann so meineidig,

    oder

    so lasterhaft gewesen?

    1172 Consentius: Die Dichter stellen Metaplasmen (Umformungen) her, indem sie ihrerseits schon das Schriftbild fehlerhaft belassen … wie Lucilius – Fr. –; er hat nämlich einen Buchstaben, ‚r‘, durch Metaplasmus entfernt.

    mit ‚koruptem‘ Mund

    1173 Festus: Quintanam classem (die fünfte Klasse) … Lucilius erwähnt sie wie folgt.

    weil er (jetzt die Rechte der fünften Klasse) erlangt hat

    1174 Festus: ‚Sollo‘ heißt im Oskischen das, was wir ‚totum‘ (ganz) nennen. Lucilius: – Fr. –. Das heißt ‚nicht ganz‘.

    Auch Gefäße von nicht ganz zwei Pfund stellt er durchaus beiseite.

    1172: Marx (II 394 sowie ASAW 1922, 57) glaubte cōrupto lesen zu müssen, weswegen das Wort nicht am Versende stehen könne. Dass aber cŏrupto zu lesen sei (vgl. Lucr. 6,1135 f. an caelum nobis ultro natura coruptum / deferat – eine allerdings ebenfalls umstrittene Stelle), vertraten Stowasser (WS 27 [1905] 224 f.) und Diels (SB Berlin 1922, 57), s. auch Charpins Erklärung (III 267 zu Fr. 45). – Die Kennzeichnung von Personen mit ore corupto bezieht Charpin auf korrupte Politiker, s. Fr. 1170–71. Bezüglich „Sprache als Mittel des Spotts und der Verunglimpfung“ vergleicht Zimmermann (2001, 191 f.) Lucilius mit Aristophanes. 1173: Die ‚fünfte Klasse‘ war die unterste Klasse der Bürgerschaft, die zu Abgaben und Wehrdienst (als Leichtbewaffnete) herangezogen wurde; unter ihnen standen nur noch die Proletarier; vgl. Cichorius 17 f.; E. Meyer: Römischer Staat und Staatsgedanke. Zürich 4 1975, 81; Charpin III 167 zu Fr. 46. – Lucilius scheint jemanden zu verspotten, der sich auf den Aufstieg in diese Klasse etwas zugute hielt. 1174: Mit großer Plausibilität widerspricht Cichorius (304 f.) der von Marx (II 422 f.) vorgelegten Deutung – die Rede sei von dem geizigen Veranstalter einer cena rustica, der sich die beschriebenen Gefäße geliehen habe – und kehrt zu der früher (Studia Luciliana. Diss. Bonn 1882, 52 f.) auch schon von Marx im Anschluss an Corbet vertretenen Deutung zurück: Das Fr. gehöre vielleicht in den Zusammenhang der in B. XI geschilderten Maßnahmen Scipios, mit denen er im Numantinischen Krieg die Disziplin wiederherstellte; vgl. Frontin. strat. 4,1,1 (von Scipio berichtet:) frangente delicatioris usus ac parum necessaria expeditioni

    448

    Incertae sedis hexametri

    1175 (1147) Char. GL 1,21726: ‚Satis‘ diverse accipitur; ἀντὶ τοῦ par Lucilius Saturarum * * *

    cui, si coniuret, populus vix totus satis sit. 1176 (1221) Varro ling. 7,32: Dicta enim apud veteres ‚una canes‘. … Lucilius – fr. –. Impositio unius debuit esse ‚canis’, plurium ‚canes’.

    nequam et magnus homo, laniorum immanis canes ut immanis edd. : immanes codd.

    1177 (1260) Fest. 212,7 L: ‚Oufentinae tribus‘ initio causa fuit nomen fluminis Oufens, quod est in agro Privernate mare intra et Terracinum. Lucilius: Lucretius codd. : Lucilius Scaliger

    Priverno Oufentina venit fluvioque Oufente.

    Oufentina edd. : oufendina W : offentina X | Oufente edd. : ofente codd.

    1178 (1259) Sch. Bob. Cic. Planc. 254,17: Tusculani plurimum livoris naturaliter etiam circa municipis suos habuisse videntur; sic et M. Cato ille Censorius pro maligno et invido habitus est. Nec aliter etiam Lucilius de eorundem moribus sentit hoc dicens:



    prima Papiria Tusculidarum

    Tusculidarum Mai: tu solidarum codd.: tu stolidarum Lachmann

    Cf. Pers. 1,114 f. (= fr. 1261 M): secuit Lucilius urbem, te Lupe, te Muci, et genuinum fregit in illis. Cf. Sch. Pers. 1,114 (= fr. 1262 M): ‚Urbem‘ autem ideo dixit ‚secuit‘, quia tribus omnes XXXV laceravit ex quibus urbs tota constat. Cf. Hor. sat. 2,1,68–70 (= fr. 1263M): vasa. quod maxime notabiliter accidit C. Memmio tribuno, cui dixisse traditur Scipio: „Mihi paulisper, tibi et rei publicae semper nequam eris.“ (Zu Memmius s. Erl. zu B. VI Fr. 239– 40; vgl. Plut. reg. et imp. apophth. 201C) – dirimit: Das Prädikat bezieht sich demnach (so Cichorius a. O.) auf die „Sortierung der im Besitze der Soldaten befindlichen Silbergefäße … Ein weniger als zwei Pfund wiegendes Stück wird jedem Manne belassen, alles weitere dagegen verboten.“ S. auch Charpin III 267 f. zu Fr. 47. 1175: Wer gemeint ist, bleibt unsicher. Der Vers scheint sich auf politische Bündnisse (vgl. Fr. 444) zu beziehen; vgl. griech. συνωμοσίαι (Thuk. 8,54,4. 81,2); s. Marx II 363, Warmington (Fr. 1153 + n. a), Charpin III 268 zu Fr. 48. – F. Dousa wies das Fr. B. I zu (bezogen auf Lupus), Warmington (Fr. 1153 n. a) erwog B. XVI oder XII, bevorzugt aber B. XI.

    Hexameter ohne Buchangabe

    449

    1175 Charisius: ‚Satis‘ (genug) wird auf verschiedene Weise verstanden. anstelle von ‚par‘ (gleich, gewachsen) Lucilius Saturarum …

    dem, (selbst) wenn es sich durch Schwur vereinigte, das ganze Volk kaum gewachsen wäre.

    1176 Varro: Man sagte nämlich bei den alten Autoren ‚una canes‘ (ein Hund). … Lucilius – Fr. –. Die Grundbenennung des Singulars hätte ‚canis‘ lauten müssen, des Plurals ‚canes‘.

    ein nichtsnutziger und großer Kerl, wie ein riesiger Fleischerhund

    1177 Festus: (Die Bezeichnung) ‚Oufentina tribus` leitete sich anfangs von dem Namen des Flusses Oufens her, der im Gebiet von Privernum zwischen dem Meer und Terracina fließt. Lucilius:

    Von Privernum und dem Fluss Oufens kommt die Oufentinische (Tribus).

    1178 Scholiast: Die Einwohner von Tusculum scheinen ein Höchstmaß angeborenen Neides sogar gegen ihre Mitbürger gehabt zu haben; so galt auch der bekannte M. Cato Censorius als bösartig und neidisch. Nicht anders denkt auch Lucilius über ihr Wesen, wenn er folgendes sagt:

    (allen) voran die Papirische Tribus der Tusculaner

    Vgl. Persius 1,114 f. (= fr. 1261 M): Lucilius verbiss die (ganze) Stadt, dich, Lupus, dich, Mucius, und brach sich an ihnen den Kinnbacken. Vgl. Scholiast zu Pers. 1,114 (= fr. 1262 M): ‚Die Stadt‘ aber, sagte er, ‚verbiss er‘, weil er alle 35 Tribus geißelte, aus denen Rom im Ganzen besteht. (= Fr. 1262 M) Vgl. Horaz sat. 2,1,68–70 (= fr. 1263M): 1176: Metzgerhunde galten als besonders bissig; vgl. Varro rust. 2,9,5 videndum ne a vena­ toribus aut laniis canes emas. Zum Vergleich von Mensch und Hund s. Cic. Verr. 2,3,84 ad mino­res civitates habebat alios, quos tamquam canis immitteret, nequam homines et impro­ bos. 1177: S. Hor. sat. 2,1,68 primores populi arripuit populumque tributim; s. auch nach Fr. 1178. Vielleicht hat sich Lucilius wirklich alle Tribus vorgenommen; genannt wird im folgenden Fr. noch eine weitere Tribus, s. ferner die hier angefügten Testimonia (= Fr. 1261 – 1263 M); hierzu Cichorius 335–338; Krenkel zu den Fragmenten 1275 und 1278; Charpin III 268 f. zu Fr. 50 und 51. 1178: Tusculidarum (vgl. Apulidae Fr. 1297) aus metrischen Gründen für Tusculanarum.

    450

    Incertae sedis hexametri

    atqui primores populi arripuit populumque tributim, scilicet uni aequus virtuti atque eius amicis. 1179 (1288) Gell. 4,16,6: Sed non omnes concedunt in casu dativo ‚senatui‘ magis dicendum quam ‚senatu‘. Sicut Lucilius in eodem casu ‚victu‘ et ‚anu‘ dicit, non ‚victui‘ et ‚anui‘, in hisce versibus: – fr. –, et alio in loco ‚anu noceo’ [v. Fr. 276–78] inquit. Non. 501,24: Ablativus pro dativo. Lucilius:

    quod sumptum atque epulas victu praeponis honesto.

    sumptum P Gell., codd. Non .: sumptu V Gell. : sumtum Marx (qui sic scripsisse cod. P Gell. affirmat) | victu codd. Gell. : dictu codd. Non. | praeponis codd. Gell. DA Non. : praepones L BA CA Non.

    1180 (1172)# Gell. 2,24,3: Sed post id senatus consultum lex Fannia lata est, quae ludis Romanis, item ludis plebeis et Saturnalibus et aliis quibusdam diebus in singulos dies centenos aeris insumi concessit decemque aliis diebus in singulis mensibus tricenos, ceteris autem diebus omnibus denos; hanc Lucilius poeta legem significat, cum dicit: Macr. Sat. 3,17,5: Fanniae autem legis severitas in eo superabat Orchiam legem, quod in superiore numerus tantum modo cenantium cohibebatur licebatque secundum eam unicuique bona sua inter paucos consumere, Fannia autem etiam sumptibus modum fecit assibus centum, unde a Lucilio poeta festivitatis suae more ‚centussis‘ vocatur.

    Fanni centussis misellus misellus A : misellos rell.

    1181 (1200) Gell. 2,24,7: Lex deinde Licinia rogata est; quae cum certis diebus, sicuti Fannia, centenos aeris impendi permisisset, nuptiis ducenos indulsit ceterisque diebus statuit aeris tricenos; cum et carnis autem et salsamenti certa pondera in singulos dies 1179: F. Dousa weist das Fr. B. IV zu, Marx (II 407) beschränkt sich auf den Hinweis, dass die Reihenfolge der Lucilius-Zitate bei Gellius für eines der Bücher I – VII spricht. Die Häufigkeit dieses Themas bei Lucilius belegt Charpin (III 269 zu Fr. 52). – Zum Gedanken des Maßes, den die Gegenüberstellung zu sumptus dem victus honestus verleiht, s. Charpin a. O.; Scholz 2000, 227;Winkelsen 2012, 268 f. 1180: Die lex Fannia wurde 161 v. Chr. auf Initiative des Konsuls C. Fannius Strabo erlassen; vgl. Plin. nat. 10,139. „Scripsisse videtur poeta veluti ‚festisque diebus non placet huic homini Fanni centussis misellus“ (Marx II 371; s. auch Krenkel 2001, 137). „La dépense

    Hexameter ohne Buchangabe

    451

    Und doch rupfte er die Anführer des Volkes und das Volk Tribus für Tribus, natür­ lich einzig der Virtus und ihren Anhängern gewogen.

    1179 Gellius: Aber nicht alle geben zu, dass im Dativ ‚senatui‘ der Form ‚senatu‘ vorzuziehen ist. Wie z. B. Lucilius im selben Kasus ‚victu‘ (der Nahrung) und ‚anu‘ (der Alten) sagt, nicht ‚victui‘ und ‚anui‘, in folgenden Versen: – Fr:–, und an anderer Stelle sagt er ‚(damit) schade ich meiner Alten‘ (s. Fr. 276–78). Nonius: Ablativ statt Dativ. Lucilius:

    weil du Verschwendung und Mähler einem ehrbaren Lebenswandel vorziehst.

    1180 Gellius: Aber nach diesem Senatsbeschluss wurde die lex Fannia verabschiedet, die nur erlaubt, dass während der ludi Romani, ebenso der Plebeischen Spiele und der Saturnalien und an bestimmten anderen Tagen pro Tag je 100 As (pro Person) ausgegeben werden, sowie an zehn anderen Tagen pro Monat je dreißig, an allen noch verbleibenden Tagen aber nur je zehn; dieses Gesetz hat der Dichter Lucilius im Auge, wenn er sagt: Macrobius: Die Strenge der lex Fannia übertraf die lex Orchia noch darin, dass in der früheren nur die Zahl der Teilnehmer an einem Gastmahl begrenzt wurde und gemäß diesem Gesetz ein jeder seine Güter mit nur wenigen Leuten verzehren durfte, die lex Fannia aber setzte auch für die Aufwendungen ein Höchstmaß von einhundert As fest, weshalb sie von dem Dichter Lucilius mit seinem gewohnten launigen Witz ‚centussis‘ (hundert As) genannt wird.

    die erbärmlichen hundert As des Fannius

    1181 Gellius: Dann wurde die lex Licinia eingebracht, die, während sie wie die lex Fan­ nia erlaubt hatte, dass an bestimmten Tagen je einhundert As aufgewendet werden, bei Hochzeiten je zweihundert zugestand und für die übrigen Tage je dreißig As était ridiculement faible pour des citoyens habitués à manger des huîtres … et des plats extra­ ordinaires“ (Charpin III 270 zu Fr. 53); vgl. Fr. 330–31 und 437–38. – L. Mueller wies das Fr. B. IV zu. Dafür könnte sprechen, dass Cichorius (264–267) Lucilius in B. IV als Kritiker der luxuria sieht. 1181: Die lex Licinia wurde von P. Licinius Crassus (trib. pleb. 107, cos. 95 v.Chr.) eingebracht. Da Lucilius 102 v. Chr. starb und Cicero berichtet (Brut.160 [= Fr. 1180 M], s. o. sowie Einführung zu B. XX und XXI), Lucilius habe – nach einhelliger Meinung der Interpreten in B. XX – von der Teilnahme des Volkstribuns Crassus an einer cena des mit Lucilius

    452

    Incertae sedis hexametri

    constituisset, quidquid esset natum e terra, vite, arbore, promiscue atque indefinite largita est. … Lucilius quoque legis istius meminit in his verbis:

    legem vitemus Licini

    Cf. Cic. Brut. 160 (= fr. 1180M): Multae deinde causae (sc. L. Licinii Crassi oratoris): sed ita tacitus tribunatus ut nisi in eo magistratu (anno 647/107) cenavisset apud praeconem Granium idque nobis [bis] narravisset Lucilius, tribunum plebis nesciremus fuisse. [bis] Lambinus aliique : bis codd., Marx

    1182 (1307) Fest. 496,30 L: Tappulam legem convivalem ficto nomine conscripsit iocoso carmine Valerius Valentinus, cuius meminit Lucilius hoc modo –fr. -: Paul. Fest. 497,2 L: Tappula dicta est lex quaedam de conviviis.

    Tappulam rident legem congerrae Opimi.

    oder:

    Tappulam rident legem confer opimi.

    Tappulam Fest., Marx : Tapulam Paul. : Tapulam Krenkel : congerrae Scaliger : conterere V Z : committere X : confer W : conter U : conferti et Krenkel : † conter Marx |

    1183 (1316) Porph. Hor. sat. 1,6,12 ‚contra Laevinum Valeri genus‘] id est: Valerius Laevinus a Valerio Publicola, qui cum Iunio Bruto Tarquinium Superbum expulit, genus habens; periphrasin autem necessario fecit, sicut Lucilius cum dicit – Fr. –, quia scilicet nomen hoc quattuor brevium syllabarum est et, ob id, non potest in hexametrum recipi.

    Valeri sententia dia

    befreundeten Auktionators Granius erzählt, gehört das Fr. wohl auch in B. XX (Marx II 381; Charpin III 270 f. zu Fr. 54). – „Loquitur helluo vafer ‚videamus qua ratione legem vitemus Licini‘“ (Marx a. O), vgl. Cic. fam. 7,26,2, wo eine entsprechende Praxis geschildert wird). Zu den Gesetzen gegen luxuria s. Cichorius 267; Charpin a. O; Krenkel 2001, 137 f.; Winkelsen 2012, 65 f. 1182: Zwei Vorschläge halten sich die Waage (s. auch Winkelsen 2012, 198 f.). Nach Diskus­ sion mit Garbugino votiere ich jetzt für Tappula (mit einem l), wofür ein in Vercelli gefun­ denes Fr. der lex Tappula spricht (Marx II 416; Gruen 1992, 306). Nimmt man eine productio syllabi an, erübrigt sich Krenkels metrisch begründete Konjektur Tappullam. – Die Herstellung des vorletzten Wortes wird davon beeinflusst, ob man hinter dem letzten Wort den Genitiv des Namens Opimius (vgl. Fr. 420–22, s. Cichorius 341–345) oder den Nominativ Plural des Adjektivs opimus sieht. Die Konjektur congerrae hypostasiert eine Nebenform zu congerro,onis. Sie setzt Hiat voraus, was nicht unmöglich ist, aber als Voraussetzung einer

    Hexameter ohne Buchangabe

    453

    festsetzte; während sie aber bestimmte Gewichte für Fleisch und Salzfisch festgesetzt hatte, erlaubte sie unterschiedslos und uneingeschränkt alles was Boden, Rebe und Baum hervorbringen. … Auch Lucilius erwähnt dieses Gesetz mit folgenden Worten:

    Lasst uns das Gesetz des Licinius umgehen

    Vgl. Cic. Brut. 160 (= Fr. 1180M): Alsdann viele Prozesse (nml. des Redners L. Licinius Crassus): aber sein Tribunat verlief so lautlos, dass wir, hätte er nicht in diesem Amt (im J. 107 v. Chr.) bei dem Auktionator Granius gespeist und Lucilius uns das [zweimal] erzählt, gar nicht wüssten, dass er Volkstribun gewesen ist.

    1182 Festus: Valerius Valentinus verfasste unter einem Pseudonym in einem Scherzgedicht eine lex Tappula für Gastmähler, die Lucilius auf folgende Weise erwähnte: Paulus, epitome Festi: Lex Tappula wurde ein Gesetz über Gastmähler genannt.

    Über die lex Tappula lachen die Spießgesellen des Opimius.

    oder:

    vollgefressene, feiste Leute lachen über des Tappo ‚Gesetz‘. (Übers. Krenkel)

    1183 Porphyrio: ‚dagegen Laevinus vom Geschlecht des Valerius‘] Das heißt: Valerius Laevinus, Nachkomme des Valerius Publicola, der zusammen mit Iunius Brutus den Tarquinius Superbus vertrieb; die Umschreibung aber machte er notgedrungen, so wie Lucilius, wenn er sagt: – Fr. –, da nämlich dieses Gentilnomen (sc. Valerius) aus vier kurzen Silben besteht und aus diesem Grunde nicht in einen Hexameter eingefügt werden kann.

    der göttliche Ausspruch des Valerius

    Konjektur Unbehagen bereitet. Krenkels Konjektur confer (vgl. Cic. Catil. 2,10 con­ ferti cibo) löst dieses Problem, tilgt aber den Namen eines Mannes, auf den Lucilius nicht gut zu sprechen war. – Tappo: ein in der gens Valeria und der gens Villia belegtes Cognomen. Das Gedicht des Valerius Valentinus spiegelt vielleicht Plin. nat 14,410; Valerius Maximus (8,1,8) berichtet über seine Verwicklung in einen Prozess, der großes Aufsehen erregte. S. im Ganzen Charpin III 271 f. zu Fr. 55; Krenkel zu Fr. 1323; Winkelsen a. O. 1183: Darüber, wie Gentilnomina auf –ius in den Hexameter eingefügt werden können, äußert Lucilius selbst sich in Fr. 1096–97. – Vgl. Hor. sat.1,2,32 sententia dia Catonis. „sen­ tentia dia ex Ennio videtur esse sumptum ab Horatio et ab Lucilio per iocum adhibitum in re humili et vulgari“ (Marx II 421). – Cichorius (348) vermutet einen Zusammenhang mit dem hier voranstehenden Fr. 1182 und hält Identität des Valerius mit dem Verfasser der lex Tappula für möglich.

    454

    Incertae sedis hexametri

    1184–86 (1174–76) Macr. Sat. 3,16,17: Sed et Lucilius, acer et violentus poeta, ostendit scire se hunc piscem egregii saporis qui inter duos pontes captus esset eumque quasi ligurritorem ‚catillonem‘ appellat, scilicet qui proxime ripas stercus insectaretur. proprie autem ‚catillones‘ dicebantur, qui ad polluctum Herculis ultimi cum venirent, catillos ligurribant. Lucilii versus hi sunt:

    fingere praeterea, adferri quod quisque volebat. illum sumina ducebant atque altilium lanx, hunc pontes Tiberinus duo inter captus catillo. Tiberinus J. Dousa : tiberinos codd.

    1187. 1188 (1173. 1101)# Char. GL 1,95,22: ‚Haec ficus‘ et ‚hae fici‘ et ‚has ficos‘ facit. genetivus enim singularis ‚huius fici‘, non ‚huius ficus‘ est. et Lucilius

    fici

    inquit

    (26) et

    comeduntur et uvae

    adsiduas ficos

    1189 (1208) Paul. Fest. 119,9 L: ‚Mantisa‘ additamentum dicitur lingua Tusca, quod ponderi adicitur, sed deterius et quod sine ullo uso est. Lucilius:

    mantisa obsonia vincit. 1190 (1205) Non. 219,30: ‚Penus‘ generis feminini. Lucilius:

    1184–86: „Die beiden Brücken sind der pons Aemilius und der pons Sublicius“ (Krenkel zu Fr. 1193–95). – ducebant: vgl. Hor. sat. 2,2,35 ducit te species, gleichbedeutend mit capere, s. Fr. 565, vgl. Hor. sat. 1,4,28 capit argenti splendor – catillo: Bezeichnung des als besonders schmackhaft geltenden Fisches e contrario; über ihn s. Plin. nat. 9,169. – F. Dousa wies das Fr. B. IV zu, Marx B. XX, wo es gut zu Fr. 565 passt. – Ähnlich agiert als Gastgeber auch Trimalchio, s. Petron. 47. – sumina: zu dieser als Delikatesse geltenden Speise s. Plin. nat. 11,211, zu altilia Plin. nat. 10,140. – Man möchte gern glauben, dass Lucilius am Luxus Kritik übt, wie Schäfer (2001, 179 f.) mit dem Hinweis nahelegt: „zwischen Pons Aemilius und Pons Sublicius mündete ja die nahrhafte Cloaca Maxima in den Tiber!“, was auch Haß (2007, 151), für die der Gastgeber protzt (vgl. Hor. sat. 2,8), in Betracht zieht, doch hängt das auch davon ab, ob das hier behandelte Fr. zu B. XX gehört; s. die Erläuterungen zu Fr. 565.

    Hexameter ohne Buchangabe

    455

    1184–86 Macrobius: Aber auch Lucilius, ein scharfzüngiger und emotionaler Dichter, zeigt, dass er diesen ausnehmend gut schmeckenden Fisch kennt, der zwischen den zwei Brücken gefangen werde, und nennt ihn, als wäre er ein Leckermaul, ‚catillo‘ (Tellerlecker), weil er nämlich in nächster Nähe der Ufer nach Abfall jagt. Im eigentlichen Sinne hießen aber ‚catillones‘ die Leute, die die Teller ableckten, wenn sie zuletzt zu einem Opfermahl für Hercules kamen. Die Verse des Lucilius sind die folgenden:

    … zuzubereiten außerdem und auftischen zu lassen, was ein jeder nur wollte. Jenen verlockten ein Schweinebauch und eine Schüssel Geflügel, diesen ein Feinschmeckerbarsch aus dem Tiber, gefangen zwischen zwei Brücken.

    1187. 1188 Charisius: ‚Haec ficus‘ (diese Feige) bildet ‚hae fici‘ und ‚has ficos‘. Der Genitiv Singular lautet nämlich ‚huius fici‘, nicht ‚huius ficus‘. Und zwar sagt Lucilius

    Feigen werden verzehrt und Trauben

    und immerzu Feigen 1189 Paulus, epitome Festi: ‘Mantisa‘ (Zugabe) heißt im Etruskischen eine Zugabe, die dem Gewicht hinzugefügt wird, aber schlechter und ohne jeden Gebrauchswert ist. Lucilius:

    Die Beilage stellt das (eigentliche) Gericht in den Schatten.

    1190 Nonius: ‚Penus‘ (Vorrat an Speisen) femininen Geschlechts. Lucilius:

    1187.1188: ‚immerzu Feigen‘, nml.: ‚lässt er herumreichen‘? – L. Mueller und Warmington weisen beide Fragmente Buch V zu; zustimmend Winkelsen 2012, 75, – Der erste Vers bezieht sich auf den zweiten Gang einer cena rustica; vgl. Hor. sat. 2,2,121 f. tum pensilis uva secundas / et nux ornabat mensas cum duplice ficu); s. Marx II 350. – Die beiden bei Charisius unweit voneinander stehenden Versstücke stellen Warmington (Fr. 224–5) und Krenkel (Fr. 1111–12) zusammen, Charpin (Fr. H 58 und H 153) hält sie getrennt. 1189: Ein Sprichwort; Paulus führt zwar eher auf die Deutung „also wie die Zuwaage in der Fleischbank. Unbrauchbare Knochen“ (L. Döderlein: Lateinische Synonyme und Etymologien. Bd. 6, Leipzig 1838, 211), aber die Lucilius-Interpreten sind sich einig, dass der Dichter das Sprichwort auf ein Gericht der cena bezieht; s. Marx II 383; Warmington Fr. 1225; Krenkel Fr. 1231 (mit Hinweis auf Otto 1890/1965, 153 und der Vermutung, dass Lucilius sich auf die lex Licinia beziehe, vgl. Fr. 1181 und 1302; Charpin III 273 zu Fr. 59.

    456

    Incertae sedis hexametri

    Prisc. GL 2,170,18: Sciendum tamen quod vetustissimi in multis, ut diximus supra, dictarum terminationum inveniuntur confudisse genera. … ‚Hic‘ et ‚haec‘ et ‚hoc penus‘ et ‚hoc penum‘ … Lucilius: Prisc. GL 2,261,1: ‚penus‘ quoque et masculini et feminini et neutri invenitur teste Donato et Capro. … Lucilius:

    magna penus parvo spatio consumpta peribit.

    parvo codd. Prisc., BA H² Non. : per vos L Non.

    1191 (1157) Nonius 449,19: ‚Interfici‘ et ‚occidi‘ et inanimalia posse veteres vehementi auctoritate posuerunt. … Lucilius:

    durum molle voras, fragmenta interficis panis. interficis G1 : interficit L AA CA DA

    1192 (1167) Non. 207,14 ‚Guttur‘ neutri est generis. … Masculino … Lucilius:

    et ventrem et gutturem eundem

    1193 (1290) Serv. Aen. 1,726: ‚Dependent lychni laquearibus aureis incensi‘] Laquearibus: principaliter ‚lacus‘ dicitur, ut Lucilius: Isid. orig. 15,8,6 (cf. 19,12,1): Laquearia sunt quae cameram subtegunt et ornant, quae et lacunaria dicuntur. principaliter autem ‚lacus‘ dicitur, ut Lucilius:

    – ⏑ ⏑ – ⏑ resultabant aedesque lacusque.

    resultabant Lachmann : resultant codd. Serv., Isid. : resultat T Isid. 15 | lacusque codd. Serv., Isid. : lacumque K Isid. 19

    1194–95 (1257–58) Gell. 9,14,21 f.: In casu autem dandi, qui purissime locuti sunt, non ‚faciei‘, uti nunc dicitur, sed ‚facie‘ dixerunt. Lucilius in saturis:

    1190: „Il peut s’agir des lamentations d’un pingre, des exploits d’un goinfre, du repas d’un affamé …“ (Charpin III 273 zu Fr. 60); s. auch Winkelsen 2012, 267. 1191: Vgl. Plaut. Trin. 360 quin comedit quod fuit quod non fuit. „Agi videtur de meretrice voraci cuius ‚dentes vel silicem comesse possunt‘ (Catull. 23,4)“ (Marx II 367); von einer meretrix Ter. Eun. 938. S. Krenkel zu Fr. 1175; Haß 2007, 149238. Die Mehrdeutigkeit des Fr. – Fressgier? Habgier? Sexbesessenheit? – betont Winkelsen 2012, 178. – Warmington fügt das Fr. in B. V ein (Fr. 219). 1192: Marx (II 369) dachte, unter Verweis auf Plin. nat. 11,180, an die Anatomie eines Fisches. Näher liegt es aber, an einen ausgehungerten Parasiten zu denken; vgl. Plaut. Capt.

    Hexameter ohne Buchangabe

    457

    Priscianus 2,170: Man muss jedoch wissen, dass die ältesten Autoren, wie wir oben sagten, bei vielen der genannten Festlegungen, ersichtlich die Genera durcheinandergebracht haben. … ‚Hic‘ und ‚haec‘ und ‚hoc penus‘ und ‚hoc penum … Lucilius: Priscianus 2,261: Auch ‚penus‘ (Vorrat an Speisen) findet man als Maskulinum, Femininum und Neutrum, wie es Donatus und Caper bezeugen. … Lucilius:

    (Auch) ein großer Vorrat, verzehrt man ihn in kurzer Zeit, wird sich in nichts auflösen.

    1191 Nonius: ‚Interfici‘ (umgebracht werden) und ‚occidi‘ (getötet werden) kann auch Unbelebtes, wie die alten Autoren mit einer Autorität bestimmt haben, die keinen Widerspruch duldet. … Lucilius:

    Hartes wie Weiches verschlingst du, (sogar) die Brotkrümel bringst du um.

    1192 ‚Guttur‘ (Kehle) ein Neutrum. … Als Maskulinum … Lucilius:

    Bauch und Kehle in einem

    1193 Servius: ‚Es hängen flammende Leuchter von den goldenen Täfelungen herab‘] Laquearibus: hauptsächlich heißt es ‚lacus‘ (See; Trog; Grube), wie Lucilius (sagt): Isidorus: Laquearia (Täfelungen) sind (Platten), die einen Wohnraum abdecken und schmücken. Hauptsächlich aber spricht man von ‚lacus‘, wie Lucilius:

    es hallten wider der Raum und die Kassetten der Decke.

    1194–95 Gellius: Im Dativ aber sagte, wer besonders korrekt sprach, nicht ‚faciei‘ (dem Aussehen), wie man heute sagt, sondern ‚facie‘. Lucilius in den Satiren:

    468 Ita venter gutturque resident esuriales ferias; Iuv. 2,113 f. Rarum ac memorabile magni / gutturis exemplum. S. Cichorius 335 (Schmähung als „Fresser und Säufer in einer Person“); Krenkel zu Fr. 1187; Charpin III 274 zu Fr. 62; anders Haß 2007, 150239 (von einer Mahlzeit, die „Magen und Kehle zugleich“ belastet). 1193: Offenbar bei einem Fest; vgl. Plin. paneg. 73,1 inde resultantia vocibus tecta …; Lucr. 2,28 nec citharae reboant laqueata aurataque templa. 1194–95: L. Mueller wies das Fr. B. VII zu (vgl. Haß 2007, 127103); s. dort Fr. 271–72, das Gellius (9,14,23) gleich nach dem hier behandelten Fr. zitiert und das sich eng an Fr. 271–72 anschließen könnte. – Was alles zu einer species honesta gehört, zählt Cicero auf (off. 1,126), s. bei Charpin III 274 zu Fr. 64.

    458

    Incertae sedis hexametri

    tantis accedit

    primum facie quod honestae

    honestae edd. : honeste codd. | tantis codd., (addas naturae dotibus aetas Marx) : et aetati Mueller : et annis Baehrens : aetas Warmington

    1196 (1296) Non. 371,9 ‚Praestare‘, antecellere. …. (16) Lucilius lib. XXVII: lib. XVII Lachmann, nam in lib. XXVII hexametri desunt.

    si facie facies praestat, si corpore corpus

    facie facies E : facie AA BA DA

    1197 (1297) Fest. 370,20 L: ‚Suppum‘ antiqui dicebant, quem nunc ‚supinum‘ dicimus. … Eius vocabuli meminit etiam Luci
  • us: Lucilius Antonius Augustinus (ed. Festi 1559) : Lucius cod.

    si vero das quod rogat, et si suggeri’ suppus

    suggeri cod., Marx (cum annot. ‚sic cod.’)

    1198 (1223) Fest. 173,5 L: –fr. –. Proverbium videtur natum a Cipio quodam, qui ‚Pararhenchon‘ dictus est, quod simularet dormientem, quo impunitius uxor eius moecharetur. eius meminit Lucilius. Cf. Cic. fam. 7,24,2: Cipius, opinor, olim ‚non omnibus dormio‘. sic ego non omnibus, mi Galle, servio. Cf. etiam Att. 13,49,2.

    non omnibus dormio ⏑ – x

    1199–201 (1344–46) Sch. Pers. 1,27: ‚Usque adeone scire tuum nihil est, nisi te scire hoc sciat alter?] haec periodos apud Lucilium posita est: 1196: Wird Mann mit Mann, Frau mit Frau oder Mann mit Frau verglichen? Marx (II 410 f.) ordnet das Fr. nach Fr. 535–36 in B. XVII ein. Denkbar ist aber auch der Zusammenhang von B. XXIX (= XXVIIII), wo in Satire 3 Ratschläge zur Wahl einer Geliebten erteilt werden; s. Krenkel zu Fr. 1312; Charpin III 275 zu Fr. 65; Haß 200789. Marx’ Einspruch gegen diese Zuordnung (a. O.) beruht auf einer widerlegten Sicht der Noniuszitation. 1197: Abfall des Endkonsonanten bei suggeris, wie im Altlatein häufig; vgl. Fr. 1141 co­ gnitus. – Marx (II 411) vermutet als Ort dieses Fr.s B. XXIX, im Zusammenhang mit Fr. 866–67, und interpretiert den Vers und seine Fortsetzung so: Erfüllst du die Bitte der meretrix und trägst einen ganzen Sack voll Geld auf deinem Rücken herbei, verachtet sie dich, weil sie erkennt, dass du ihr verfallen bist. Wenn aber suppus hier die Bedeutung von supinus hat, ist eher an eine ‚scène d’amour‘ zu denken, wie Apul. met. 2,17,3 sie schildert – haec, simul dicens inscensa grabatulo super me sensim residens ac crebra subsiliens lubricis­ que gestibus mobilem spinam quatiens pendulae Veneris fructu me satiavit; s. Zimmermann 2001, 193; Charpin (III 275 zu Fr. 67). So versteht es m. E. schon Krenkel (zu Fr. 1313), der

    Hexameter ohne Buchangabe

    459

    vor allem, weil zu dem hübschen Aussehen, zu so (großen Gaben die Jugend hinzukommt.

    1196 Nonius: ‚Praestare‘, ‚überlegen sein‘…

    wenn Aussehen Aussehen übertrifft, wenn (der eine) Körper (schöner ist als) der andere, 1197 Festus: ‚Suppus‘ (rücklings, rückwärts gebeugt) nannten die Alten jemanden, den wir heute ‚supinus‘ nennen. … Auch Lucilius erwähnt dieses Wort: Wenn du aber gibst, worum sie bittet, und wenn du (sie?) rücklings (ausgestreckt) trägst, 1198 Festus: – Fr. –. Das ist ein Sprichwort, das wohl auf einen gewissen Cipius zurückgeht, den man ‚Pararhenchon‘ (Beischnarcher) nannte, weil er sich schlafend stellte, damit seine Frau ungestrafter Ehebruch treiben konnte. Lucilius erwähnt es. Cicero: Cipius, meine ich, sagte einst: ‚nicht für alle schlafe ich‘. So bin ich nicht allen, mein Gallus, zu Diensten.

    nicht für alle schlafe ich

    1199–201 Scholiast: ‚Ist denn dein Wissen so gar nichts, wenn sonst niemand weiß, dass du’s weißt?‘ (Übers. Kissel)] Diese Periode findet sich bei Lucilius: ebenfalls Apuleius zitiert. Winkelsen (2012, 228) versteht Krenkel im Sinne von „rücklings tragen“ = „jemanden auf Händen tragen“ und favorisiert diese Deutung. Vielleicht ist Krenkels Übersetzung von supinus, ‚rücklings, vorwärts geneigt‘ (richtig: ‚rückwärts geneigt‘) an diesem – wie ich meine – Missverständnis schuld. 1198: ‚Beischnarcher‘: So treffend Krenkel, dem ‚Beischläfer‘ nachgebildet. – Das Bonmot scheint sprichwörtlich geworden zu sein; s. außer den Cicero-Stellen Ov. ars. 2,545 f.; Iuv. 1,55–57. – Eine Begebenheit dieser Art im Hause des Maecenas schildert Plut. amat. 759F–760A; dieses und weitere Parallelen bei Marx II 388; Krenkel zu Fr. 1247; Charpin III 275 zu Fr. 67. – Marx’ Zuweisung an den Sprecher des Fr. 224–25 in B. V ist nicht unplausibel. 1199–201: Das Verständnis dieses Fr. hat m. E. Charpin (III Fr. H 68 + Erl. S. 275 f.) am weitesten vorangetrieben: Er geht davon aus, dass bei Lucilius derselbe Grundgedanke wie bei Persius vorliegt: Der wahre Dichter schielt nicht nach Beifall, sondern sagt das, was er weiß. Nur eine kleine Umstellung ist notwendig (nescit se für überliefertes se nescit), um den ganzen überlieferten Text (bis scierit) als Hexameter lesen und damit für Lucilius in An-

    460

    Incertae sedis hexametri

    ut me scire volo dici, mihi conscius sum, ne damnum faciam, scire hoc nescit se, alios id scire nisi scierit. ut me codd. : utmecum Monach 14482 : VIme B : sit me Warmington : moechum Mueller | dici mihi Leo GGA 1906, 588 : mimi vel dicimus mimi codd. : dicemus Mueller : dum mimi Marx : decimus mihi Warmington | sum Buecheler : sum codd. : sum mi et Muel­ ler : summum Marx : sura Warmington | nescit se Buecheler : se nescit codd., Marx | alios … scierit non trib. Lucilio Marx, Warmington, scire … scierit non trib. Lucilio Krenkel

    1202 (1323) Don. Ter. Eun. 899: ‚Dabit hic pugnam aliquam denuo.‘] ‚pugnam‘ pro stupro. … ut Lucilius: Don. Ter. Ad. 843: ‚Pugnaveris‘] Magnam rem feceris. sic Lucilius: Don. Ter. Ad. 859: ‚vitam duram quam vixi‘] ἀρχαισμός, ut Lucilius: [magnam … pugnam]

    vicimus, o socii, et magnam pugnavimus pugnam.

    vicimus o socii A Ad. 843, V Eun. 899 : vitium o sotii C Eun. 899 | ocius C, dett. Ad. 843 : o cives V Ad. 843

    1203 (1271) Serv. auct. Aen. 10,184: ‚Et Pyrgi veteres‘] Hoc castellum nobilissimum fuit eo tempore quo Tusci piraticam exercuerunt; nam illic metropolis fuit. quod postea expugnatum a Dionysio tyranno Siciliae dicitur. de qua Lucilius:

    Pyrgensia scorta

    Pyrgensia scorta Mueller : scorta pyrgensia cod.

    1204 (1186) Paul. Fest. 29,2 L: ‚Bubinare‘ est menstruo mulierum sanguine inquinare. Lucilius haec inquit

    inbubinat, at contra te inbulbitat .

    ‚Inbulbitare‘ est puerili stercore inquinare. dictum est ex fimo, quod Graeci appellant βόλβιτον. ille add. J. Dousa spruch nehmen zu können. Gegen Marx’ Festhalten an überliefertem mimi wendet Charpin ein, dass Mimus oder Theaterspiel bei Persius keine Funktion haben. Er gibt Leos Textherstellung (s. o. app. crit.) den Vorzug. – Es ergibt sich eine Gegenüberstellung der Haltung des Dichter-Ichs mit der eines anderen Dichters. – Zum Gedanken des Dichter-Wissens vgl. die Fragmente 189–90. 1012. 1119–31 (Virtus-Fr.). – Zu ne damnum faciam vgl. Fr. 189–90: Nur wenn der Dichter sich an die Wahrheit hält, vermeidet er Schaden für sich und seine Dichtung. – S. jedoch auch die in Text und Deutung stark abweichende Wiedergabe bei Krenkel (Fr. 1360–61), der gute Beobachtungen zum Verhältnis zwischen Satiriker und Publikum zusammengetragen hat.

    Hexameter ohne Buchangabe

    461

    So, wie ich will, dass man sagt, ich wisse, wenn ich mir bewusst bin zu wissen, damit ich keinen Schaden nehme, so weiß er nicht, dass er weiß, wenn er nicht weiß, dass andere es wissen.

    1202 Donatus (Eun. 899): ‚Der hier wird noch einmal einen Kampf bieten.‘] ‚pugnam‘ (einen Kampf) für ‚Schändung‘. … wie Lucilius: Donatus (Ad. 843): ‚Du wirst gekämpft haben‘] Du wirst ein großes Werk vollbracht haben. So Lucilius: Donatus (Ad. 859): ‚Das harte Leben, das ich gelebt habe.‘] Ein Archaismus, wie Lucilius:

    Wir haben gesiegt, meine Mitstreiter, und haben einen gewaltigen Kampf gekämpft.

    1203 Servius auctus: ‚und das alte Pyrgi‘] Dieses Kastell war hochberühmt zu der Zeit, als die Etrusker Piraterie betrieben; denn dort war ihre Hauptstadt. Diese soll später von Dionysios, dem sizilischen Tyrannen. erobert worden sein. Über sie Luciliius:

    … die Dirnen von Pyrgi

    1204 (1186) Paulus, epitome Festi: ‚Bubinare‘ heißt ‚mit Menstrualblut besudeln‘. Lucilius sagt:

    S i e besudelt dich, doch e r dagegen beschmutzt dich.

    ‚Inbulbitare‘ heißt ‚mit dem Kot eines Kindes beschmutzen‘. Das ist nach dem Kot benannt, den die Griechen βόλβιτον nennen.

    1202: „Agitur de pugna amatoria testatur Donatus loco primo“ (Marx II 425); vgl. Mart. 10,38,6–8. – Lucilius parodiert wahrscheinlich Ennius, vgl. Lucan. 6,164 vincimus o socii …; s. Marx a. O. Krenkel (zu Fr. 1339) und Charpin (III 276 zu Fr. 69) ziehen auch Apul. met. 2,17,2 f. zum Vergleich heran. S. ferner Haß 2007, 128 und 160. 1203: Pyrgi, h. San Severa, war das bedeutendste Seezentrum nahe Caere. Zu etruskischen Dirnen vgl. Plaut. Cist. 560–564. – S. zu beiden Punkten Krenkel zu Fr. 1289; Charpin III 276 zu Fr. 70, Winkelsen 2012, 40. 1204: „un comparison obscène“ (Charpin III 277 zu Fr. 71). „Lucilius, surely, describes an homosexual act with his usual repulsive accuracy“ (Martyn 1966, 496). S. Marx II 375;

    462

    Incertae sedis hexametri

    1205 (1222)# Fest. 180,1 L: lib. II obscae: Paul. Fest. 181,1 L: ‚Noctiiugam‘ Lucilius cum dixit, obscenum significat.

    noctipugam medica noctipugam Salmasius, Charpin: noctiiugam codd. Paul. : noctinugam L Paul. | medica codd. : medicam Salmasius, Charpin | noctipugam c medica Krenkel : noctipugam < ⏑ ⏑ – > medica Charpin

    1206 (1248) Porph. Hor. sat. 1,6,22 ‚quoniam in propria non pelle quiessem‘] ex proverbio sumptum est; eos namque qui mediocritatis suae obliti, maiora se ipsis adpetunt, solemus dicere non continere intra pelliculam suam; et hoc scilicet inde sumptum est quod veteres in pellibus dormirent; cuius rei et Lucilius testis est cum dicit:

    perminxi lectum, inposui pede pellibus labes. perminxi J. Dousa : per mihi codd. : permixi Holder, Marx | pede Petschenig : pedem codd. | labes Holder, Marx : habes codd.

    1207 (1267) Porph. Hor. carm. 1,27,1: ‚Natis in usum laetitiae scyphis pugnare Thracum est‘] ‚Natis‘ pro factis, ut apud Lucilium est:

    podicis, Hortensi, est ad eam rem nata palaestra. podicis Meyer : pudicis M : iudicis S

    1208 (1317)+ Cic. Att. 16,11,1: Nostrum opus tibi probari laetor. … De Sicca ita est ut scribis: hasta ea aegre me tenui. itaque perstringam sine ulla contumelia Siccae aut Sep­ Krenkel zu Fr.1205. – inbulbitat: vgl. Iuv. 9,43 f.; Mart. 12,26. – Das Fr. entstammt vielleicht B. XXIX, aus dem Umfeld von Fr. 866–67 (Lachmann, Marx). 1205: Festus gibt nie eine Buchzahl an, weswegen Lachmann die Angabe ‚lib. II‘ mit Recht angezweifelt hat. – noctipugam: so Claude de Saumaise nach (u. a.) GL 5,87,5 noctipugam obscenum quod quasi noctibus conpungatur; für die Wortbildung – Parodie epischer Epitheta – vgl. frg. dubium 962 cordipugis cordibus. – Klar ist, dass es um Analverkehr geht, unklar dagegen, ob medica ein Substantiv ist – wohl in der Bedeutung „obstetrix vel feminarum curatrix“ (Marx II 387 f.), ob zu ihm, als Akkusativ medica, noctipugam Epitheton ist, oder ob der Imperativ des Verbs medicare vorliegt. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt; vgl. Charpin (III 277 zu Fr. 72), der alle Möglichkeiten durchspielt. Marx a. O. schlägt vor: „Scripsit Lucilius hoc fere modo ‚temptat noctipugam medica improba‘.“ Krenkel Fr. 1246 übersetzt: „behandle du diesen ‚Nachtsteiß‘ auf diese Weise mit Stößen.“ Charpins Übersetzung lautet (Fr. H 72): „un poinçon de nuit pour médecine.“ 1206: pede: der Penis vgl. Paul. Fest. 14,8 L; Sch. Eur. Med. 679 (πούς). – Zur Situation vgl. Hor. sat. 1,5,84 f. tum immundo somnia visu / nocturnam vestem maculant ventremque

    Hexameter ohne Buchangabe

    463

    1205 Festus: Wenn Lucilius ‚noctipugam‘ ( Nacht Hintern) sagte, bezeichnet er etwas Obszönes: Paulus, epitome Festi: Wenn Lucilius ‚noctipugam‘ sagte, bezeichnet er etwas Obs­zönes.

    den nachtaktiven Hintern … die Zofe (?)

    1206 Porphyrio: ‚weil ich nicht in der eigenen Haut geruht hätte‘] Das ist aus einem Sprichwort genommen; denn von denen, die ihre Mittelmäßigkeit vergessen und nach Höherem streben, als sie selbst sind, pflegen wir zu sagen, sie hielten sich nicht innerhalb ihrer eigenen Haut; und das ist vielleicht daher genommen, dass die Alten in Fellen schliefen. Dafür ist auch Lucilius Zeuge, wenn er sagt:

    ich durchnässte mein Bett, machte Flecken auf die Felle mit meinem Stengel.

    1207 Porphyrio: ‚Sich mit Bechern, die zu fröhlichem Gebrauch geschaffen sind, zu bekämpfen ist Art der Thraker.‘] ‚Natis‘ (geboren, geschaffen) statt ‚factis‘ (gemacht), wie bei Lucilius:

    Der Ringkampf des Hinterns, mein Hortensius, wurde dazu geschaffen.

    1208 Cicero: Dass mein Werk dir gefällt, freut mich. … Was Sicca anlangt, ist es so, wie du schreibst: Dieses (boshaften) Pfeiles habe ich mich nur mit Mühe enthalten supinum. Also Folge eines sexuellen Traums? Dann könnte das Fr. in B. III nach Fr. 139–40 gehören (L. Mueller; Cichorius 255³; Haß 2007, 100 f. und 157 f.). Oder aber es geht um die Folgen eines Weingelages (Marx II 396; Charpin III 277 zu Fr. 73); vgl. Hor. sat. 1,3,90 commixit lectum potus; CIL 4,4957 Miximus in lecto: fateor, peccavimus, hospes; si dices quare: nulla matella fuit. 1207: ad eam rem nata: vgl. Cic. Verr. 2,4,54 ut ea ad illam rem nata esse diceres. – Zu palaestra im obszönen Sinn vgl. Mart. 10,55,4 f. idem post opus et suas palaestras / loro cum similis iacet remisso, … Marx (II 401) – s. auch Warmington Fr. 1180 – und Charpin (III 278 zu Fr. 74) betonen, dass mit palaestra nicht der Ort des Geschehens (so Krenkel Fr. 1285), sondern das Geschehen selbst gemeint ist. – Zur möglichen Identität des Hortensius s. Cichorius 338–340. Sein Votum für den Schwiegersohn des C. Sempronius Tuditanus kann sich aber nach meiner Überzeugung nicht auf dessen Status als neuer Gönner des Dichters berufen; s. Einführung (a. E.) zu B. XXX. – S. ferner (mit Folgerungen für den Umgang des Dichters mit Hortensius) Krenkel 2001, 133; Haß 2007, 69. 71. 133 f. 160.

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    Incertae sedis hexametri

    timiae, tantum ut sciant παῖδες παίδων sine vallo Luciliano eum ex Galli Fadi filia liberos habuisse. atque utinam eum diem videam cum ista oratio ita libere vagetur, ut etiam in Siccae domum introeat. φαλλῷ Gurlitt (Philologus 5 [1898] 403–405)

    1209–10 (1342– 43) Gell. 3,14,8–10: Omnis autem disputationis eius, quam subtiliter quidem, sed sub­ obscure explicat, summa haec est: ‚Dimidiatum‘ est quasi ‚dismediatum‘ et in partis duas pares divisum, ‚dimidiatum‘ ergo nisi ipsum quod divisum est, dici haut convenit; ‚dimidium‘ vero est, non quod ipsum dimidiatum est, sed quae ex dimidiato pars altera est. cum igitur partem dimidiam libri legisse volumus dicere aut partem dimidiam fabulae audisse, si ‚dimidiam fabulam‘ aut ‚dimidium librum‘ dicimus, peccamus; totum enim ipsum, quod dimidiatum atque divisum est, ‚dimidium‘ dicis. itaque Lucilius eadem secutus:

    uno oculo inquit pedibusque duobus, dimidiatus ut porcus.

    dimidiatus edd. : dimiditus V R : dimidius P

    1211 (1310) Char. GL 1,71.11: In vocativo tamen ‚i‘ litteram subtrahimus. nam si ‚o Aemilie‘ et ‚Iulie‘ dixeris, Graece declinaveris, ut Lucilius:

    cire, Leonidam uti, te, Manie, Thermopulas vi

    cire Soubiran, Charpin : cieren C : tierei N : te ire Marx, alii alia | Leonidam Charpin : leon­tado N : Leontadii vel Leontadon C : Leonida Marx; alii alia : Leontiada susp. Cichori­ us 345 | uti Marx, Charpin : et et N : et C : tete Stowasser | Manie Mazzarino : pumani N : pamani C : Numonie Marx | Thermopulas Marx, Mazzarino : ethernopula N : et thermo paulas C | vi Charpin, susp. Soubiran : VII C

    1208: nostrum opus: die ‚Philippicae‘; der entschärfte Passus: Phil. 2,3, vgl. 13,23. – παῖδες παίδων: die Abkömmlinge des Aeneas, die Römer; s. Hom. Il. 20,307 f.– sine vallo entspricht sine palo, s. Hor. 1,8,5; sermo castrensis, der diese Begriffe, wie z. B. auch hasta und fossa, gern sexualisiert. – Charpin (III 278 zu Fr. 75): „l’orateur veut démontrer qu’Antoine se flatte d’avoir eu des enfants avec Fadia, mais qu’en réalité il les a eus sine palo, car Fadia le trompait indignement.“ – Über Sicca ist nichts weiter bekannt. Septimia scheint die Tochter des Freigelassenen C. Fadius (erwähnt Phil. 2,3) zu sein. – S. insgesamt Marx II 421 f.; Warmington S. 383 n. c; Krenkel zu Fr. 1267; Charpin a. O. 1209–10: Schon Corpetus erkannte, dass vom Kyklopen Polyphem die Rede sein dürfte; vorsichtig zustimmend Marx (II 428), der als Ort des Fr. B. XV (nach Fr. 477–80) vorschlägt; bestimmter noch („sans doute“) Charpin (III 278 zu Fr. 76). – Vgl. die Fragmente 569–71 und 1254–55, die ebenfalls Gellius im Folgenden zitiert.

    Hexameter ohne Buchangabe

    465

    können. Deshalb werde ich, ohne Sicca oder Septimia zu verunglimpfen, nur inso­ weit daran rühren, dass die ‚Kindeskinder‘ ohne lucilianische Obszönität wissen, dass er (sc. Antonius) mit der Tochter des Gallus Fadius Kinder hatte. Und wenn ich doch den Tag erlebte, wo diese Rede so ungehindert in Umlauf ist, dass sie auch ins Haus des Sicca Einlass findet. Verhaltensweisen, Gesten, Haltungen 1209–10 Gellius: Seine (nml. des Varro) ganze Untersuchung aber, die er zwar detailliert, aber etwas unklar entwickelt, läuft auf Folgendes hinaus: ‚dimidiatum‘ (halbiert) ist sozusagen (gleichbedeutend mit) ‚dismediatum‘ (in der Mitte geteilt) und in zwei gleiche Teile geteilt; ‚dimidiatum‘ darf also nur eben das, was geteilt wurde, genannt werden; ‚dimidium‘ (halb) dagegen ist nicht, was selbst geteilt wurde, sondern was einer der beiden Teile vom Geteilten ist. Wenn wir also sagen wollen, wir hätten die Hälfte eines Buches gelesen oder die Hälfte einer Erzählung gehört, drücken wir uns fehlerhaft aus, wenn wir ‚dimidiam fabulam‘ (die halbe Erzählung) oder ‚dimidium librum‘ (das halbe Buch) sagen. Man bezeichnet so nämlich eben das Ganze, das halbiert und geteilt wurde, als ein Halbes. Deshalb sagt Lucilius, denselben Grundsätzen folgend:

    mit einem Auge und zwei Füßen, wie ein halbiertes Schwein.

    1211 Charisius: Im Vokativ jedoch beseitigen wir den Buchstaben ‚i‘. Denn wenn man ‚o Aemilie‘ und ‚Iulie‘ sagt, dekliniert man Griechisch, wie Lucilius:

    Dass du, Manius, wie Leonidas mit kämpferischer Kraft (eine) Thermopylen(schlacht) erregtest, …

    1211: Manius Acilius Glabrio, cos. 191 v. Chr., erzwang gegen König Antiochos III. den Durchmarsch durch die Thermopylen (Liv. 36,15 f.). – Das Fr. gilt als heillos verderbt. Zahlreiche Versuche übertrifft beeindruckend Charpin (Fr. H 77 III 278 f.). Seine Argumentationsschritte: Charisius zufolge muss der Text die Vokativbildung eines Namens auf -ie enthalten. Sein Vorschlag ‚Manie‘ hat den Vorzug, der Vorname eines römischen Konsuls (s. o.) zu sein, dessen Name sich wie der des Leonidas mit den Thermopylen verbindet. (Das gilt freilich auch für den Thebaner Leontiades – von Cichorius vorgeschlagen –, der zu den Persern überlief, aber der Gedanke an Ruhm liegt in Zusammenhang mit den Thermopylen näher.) Für den Versanfang schlug Soubiran cire vor, ein Verb epischer Sprache, das zu dem Ruhmesgedanken gut passt. (Vgl., so möchte ich hinzufügen, die Diktion von B. XXX, Satire 1). Für et et setzt er mit Marx uti. Am Versende hat die Handschrift C die Zeichenfolge VII; auch dafür hatte bereits Soubiran vi vorgeschlagen.

    466

    Incertae sedis hexametri

    1212 (1339)+ Arnob. 5,18: Ocrisiam prudentissimam feminam divos inseruisse genitali, expli­ cuisse motus certos: tum sancta efferventia numina vim vomuisse Lucilii ac regem Servium natum esse Romanum.

    1213 (1292)# Fest. 332,25 L: – fr. – cum dixit Lucilius, duo nomina piratarum posuit, tam infestum sibi corpus et valetudinem referens quam illi essent saluti navigantium.

    Rhondes Icadionque Cf. Fest. 94,7 L: Icadion, nomen saevissimi piratae.

    1214 –15 (1115–16) Don. Ter. Eun. 687 ‚quem tu videre vero velles‘] vere pulchra est cuius forma nec odium nec convicium commeruit. Lucilius:

    ex facie florem delegeris:

    at Hymnidis acri

    at Hymnidis acri Marx : athynnidi sacri V : athyonidi satin C : atimidi satri T : atinnidi vel athinidi vel athidini rell.: | et Hymnidis ac si Warmington

    1216 (1193) Explan. in Donat. GL 4,564,16: Per praepositiones sic fiunt soloecismi cum alia pro alia aut supervacua ponitur aut necessaria subtrahitur, ut apud Lucilium – fr. – pro ‚apud se‘.

    Hymnis, cantando quae me adseruisse ait ad se.

    quae me Marx : quem codd. quemquam Baehrens

    1217–21 (1138– 42) Fest. 378,21 L: ‚Scurrae‘ vocabulum Verrius ineptissime aut ex Graeco tractum ait, quod est σκυρθάζειν, aut a sequendo, cui magis adsentitur; quod et tenuioris fortunae homines, et ceteri alioqui, qui honoris gratia prosequerentur quempiam, 1212: Ocrisia ist die Mutter des Königs Servius; zur Legende ihrer Empfängnis s. Plin. nat. 36,204; Ov. fast. 6,627 f.; s. zum Fr. Marx II 427; Charpin III 279 f. zu Fr. 78. – Cichorius (286 f.) vermutet einen Zusammenhang mit B. VI Fr. 254–55. 1213: Marx (II 408 f.) erklärt den Namen Rhondes als thrakisch, den Namen Icadion als kretisch. Der letztgenannte Pirat ist (in der Form Icadios) näher bekannt durch Cic. fat. 5 f. (unter Bezugname auf ein Buch des Poseidonios) ne, hercule, Icadii quidem praedonis video fatum ullum. … quid mirum igitur ex spelunca saxum in crura eius incidisse? – Cichorius (51–53) bezieht ihre Nennung durch Lucilius nicht wie Marx auf seine Reise nach Sizilien (B. III), sondern nimmt sie als Indiz für einen Aufenthalt des Dichters in Athen. – Das Fr. wird allgemein B. V zugeordnet (s. Haß 2007, 176 f.), zusammen mit den Fragmenten incertae sedis 1276 und 1279.

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1212 Arnobius adversus nationes: Ocrisia, eine überaus kluge Frau, habe Götter in ihre Genitalien eingeführt und bestimmte Bewegungen vollzogen. Da hätten die heiligen Gottheiten sich verströmend die vis (Kraft) des Lucilius ergossen, und so sei der römische König Servius geboren worden. 1213 Festus 332: Als Lucilius – Fr. – sagte, benutzte er zwei Namen von Piraten; damit brachte er zum Ausdruck, sein Körper und seine Krankheit machten ihm so zu schaffen wie jene der Sicherheit der Seefahrer.

    Rhondes und Icadion

    Vgl. Festus 94: Icadion, Name eines überaus brutalen Piraten.

    1214–15 Donatus: „den du doch sehen wolltest“] Wahrhaft schön ist (eine Frau); deren Gestalt weder Hass noch Schmähung verdient hat. Lucilius:

    Aber du magst aus der lebensprallen Erscheinung der Hymnis die Blüte gepflückt haben:

    1216 Explanatio in Donatum: Durch Präpositionen entstehen Solözismen, wenn eine statt einer anderen oder eine überflüssige gesetzt oder eine notwendige unterdrückt wird, wie bei Lucilius – Fr. – statt ‚apud se‘ (bei sich).

    Hymnis, die sagt, sie habe mich durch ihren Gesang an sich gekettet.

    1217–21 Festus: Das Wort ‚scurra‘ (Possenreißer, Narr, Schmeichler), sagt Verrius höchst unbedacht, sei entweder aus dem Griechischen abgeleitet, nämlich von σκυρθάζειν (sich wie ein ‚Grünschnabel‘ benehmen?), oder von sequi (folgen) 1214–15: Der Gedanke des Hauptsatzes erschließt sich aus Donats Kontext: „tamen manebit pulcherrima“ (Marx II 354). Die Herausgeber sind sich einig, dass von Hymnis die Rede ist (s. auch Cichorius 170, Haß 2007, 115), der Hetäre, die Lucilius auch in den Versen 1216, 1263, ferner (in Septenaren des B. XXIX) 845, 850 feiert; sie ist wohl auch in Fr. 920–22 gemeint. Umstritten ist dagegen die Lesart acri. Marx verteidigt sie unter Hinweis auf Ov. met. 3,540 vosne, acrior aetas, o iuvenes. Liest man mit Warmington et Hymnidis ac si, ergibt sich ein Vergleich (in Krenkels Übersetzung, Fr. 1179–80): „und als wenn du aus dem Antlitz der Hymnis die Blüte genommen“. – „facies ut ubique apud Lucilium ad totam corporis pertinet figuram“ (Marx). 1216: Vgl. B. XXIX Fr. 850. – Es ist die Sprache der Komödie und später der Liebeselegie; vgl. Prop. 3,11,1–4; Ov. am. 3,11a,3 scilicet adserui iam me fugique catenas, … 1217–21: Noch Warmington (Fr. 254–8) stufte das Fr. trotz metrischer Korrektheit als hoffnungslos korrupt ein. Bei den nachfolgenden Editoren hat sich jedoch Marx’ detaillierte Deu-

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    Incertae sedis hexametri

    non antecedere, sed sequi sint soliti; quia videlicet dicat Lucilius – fr. –, cum secutos videri velit ob eorum iurgia, non ob adsuetum officium.

    Cornelius Publius noster Scipiadas dicto tempus quae intorquet in ipsum oti et deliciis, luci effictae atque cinaedo, et sectatori adeo ipse suo, quo rectius dicas. ibat forte domum, sequimur multi atque frequentes. deliciis edd. : delicis cod. | ipse edd. : ipsi cod.

    1222 (1280) Cic. de orat. 2,253: Ambigua sunt in primis acuta atque in verbo posita, non in re. … ut illud Africani quod est apud Lucilium:

    ‚quid Decius? nuculam an confixum vis facere?‘ inquit Decius L : Spedius M | nuculam an L: nuculan (sp. vac. 4 litt.) M

    *1223–24 (1181–82) Cic. Att. 6,3,7: Tibi autem valde solet in ore esse: Cic. Att. 2,8,1: Et scito Curionem adulescentem venisse ad me salutatum; valde eius sermo de Publio cum tuis litteris congruebat; ipse vero, mirandum in modum:

    tung (II 361 f.) durchgesetzt: dicto: Horaz (1,4,9 f.) bezeugt, dass Lucilius diktierte: in hora saepe ducentos, / ut magnum, versus dictabat stans pede in uno. – tempus in ipsum: vgl. Fr. 740 in diem; Hor. ars 44 praesens in tempus omittat; ferner Cic. Catil. 1,22. Tusc. 1,91. Phil. 5,25; Liv. 34,6,4. – „intorquere vox propria de conviciis ut Cic. Tusc. 4,77 alibi“ (Marx II 361). – luci effictae: lux als Kosewort = Licht, Leben. effictae deutet Marx (II 362) mit Vorbehalt: „videtur dicere hominem nitidum lautum tersum Lucilius.“ (Charpin [III 281 zu Fr. 82] erklärt überdies: „le participe effictus implique la création de celui qui refait le jour comme un peintre.“) – cinaedo: kann ‚Tänzer‘ (s. B. I Fr. 42, wo Apollo verunglimpft wird), ‚Prasser‘, ‚Wüstling‘ bedeuten und zielt jedenfalls auf effeminatio, die Scipio verabscheut; s. ORF IX 30 (Charpin a. O.). – sectator: Die Person ist also ein Parasit (Charpin a. O.) – Die Dative sind durch et in zwei Teile gegliedert, der erste Teil ist binnengegliedert durch Asyndeton und atque; zu atque in dieser Funktion vgl. Caes. Gall. 3,8,1. – Der Name des scurra bleibt unbekannt. Eine ähnliche Ankündigung eines dictum (dort des praeco Q. Granius) findet sich in B. XI (Fr. 424–25). Auf ein dictum Scipios im selben Buch XI nimmt Cicero (de orat. 2,268) Bezug; s. zu Fr. 410–11. – Cichorius (54) vermutet mit Marx, dass Lucilius wie in Fr. 955–56 seinem Freunde Scipio „mit gutmütigem Spotte“ begegnet; s. auch Lefèvre 2001, 141; Haß 2007, 140 f. – Aus dem historischen Praesens intorquet folgern Marx (a. O.) und Cichorius (73 u. 101), dass Scipio († 129 v. Chr.) noch lebte, das Fr. also in einem der Bücher der ersten Sammlung, die Hexameter enthalten, also den Büchern XXVIII–XXX,

    Hexameter ohne Buchangabe

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    – eine Deutung, der er mehr zuneigt –, weil sowohl Menschen mit eingeschränkterem Lebensunterhalt als auch überhaupt die anderen, die der Ehrung wegen jemanden begleiten, nicht voraus-, sondern hinter ihm zu gehen pflegten, weil nämlich Lucilius sage – Fr. –, obwohl er es so aussehen lassen wolle, als ob sie wegen ihrer Streitigkeiten, nicht aus gewohnheitsmäßiger Verpflichtung hinter ihm hergingen.

    Ich diktiere die Worte in die Feder, die Publius Cornelius aus dem Hause der Scipionen sogar in einer Zeit der Muße seiner Wonne, seinem leuch­ tenden Augenstern und Kinäden, und, um es genauer zu sagen, seinem ständigen Begleiter gar höchstselbst entgegenschleuderte. – Er befand sich gerade auf dem Heimweg. Wir folgen in großer Zahl und Schar.

    1222 Cicero: Zweideutigkeiten wirken besonders pointiert und liegen im Ausdruck, nicht in der Sache. … So auch das Wort des Africanus, das bei Lucilius steht: (Übers.: H. Merklin [reclam 6884])

    „Wie, mein Decius? Willst du etwa ‚das Nüsschen‘ durchbohren?“ sagte er.

    1223–24 Cicero: Du aber pflegst gern im Munde zu führen: Cicero: Und wisse: der junge Curio hat mich besucht; was er von Publius erzählte, stimmte genau mit deinem Brief überein; vollends er selbst, in staunenswerter Weise:

    seinen Platz hatte. – Charpin (a. O.) erläutert gut die Aussagekraft des Fr. über das Klientelwesen; s. auch Schäfer 2001, 179. 1222: Decius: kann Nominativ – so Krenkel Fr. 1297 und Warmington Fr. 1135 – oder (auch in der o-Deklination nicht selten) Vokativ sein; so Marx II 404 f., Cichorius 212, Charpin Fr. H 83 und Erl. III 282. Für Letzteres spricht, dass anderenfalls Decius ‚das Nüsschen‘ sein müsste, wenn damit eine Person gemeint ist, und Scipio eine ungenannt bleibende Person anspricht. – nuculam: Darin liegt die von Cicero angesprochene Ambiguität. Zum einen ist es ‚die kleine Nuss‘; man kann also verstehen: „Willst du ein Nüsschen (mit dem Pfeil) durchbohren?“ Vgl. die sprichwörtliche Redensart cornici oculum configere (Otto 1890/1965 s.v. cornix); s. Cic. Mur. 25. Zum anderen dürfte es sich um das Cognomen oder den Spitznamen einer Person handeln (vgl. Cic. Phil. 6,14; 9,26; 11,13), die wahrscheinlich aus Praeneste stammt; s. Fest. 176,32 L: ‚Nuculas‘ Praenestinos antiqui appellabant, …, vel quod in eorum regione plurima nux minuta nascitur. – confixum facere: umgangssprachlich, vgl. Ter. Heaut. 341, Phorm. 559. – Mit Decius ist sehr wahrscheinlich P. Decius, Volkstribun 120, Praetor 115 v. Chr., gemeint; s. in B. XI die von Cicero (de orat. 2,277) berichtete Anekdote (Fr. 423), in deren Zusammenhang Cichorius (310–312) das hier behandelte Fr. einwies. 1223–24: se contemnere: vgl. Plaut. Trin. 322; Cic. Att 12,21,5 ne me quidem contemno. – Der Auktionator Q. Granius spielt schon in B. XI eine Rolle (s. zu Fr. 424–25); von einer cena bei ihm berichtet Lucilius in B. XX (s. dort). Deswegen ist die Zuweisung des Fr. an

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    Incertae sedis hexametri

    Granius autem non contemnere se et reges odisse superbos. 1225 (1130) Varro ling. 7,96: In pluribus verbis ‚a‘ ante ‚e‘ alii ponunt, alii non, ut quod partim dicunt ‚scaeptrum‘, partim ‚sceptrum‘ … ac rustici ‚pappum Mesium‘, non ‚Maesium‘, a quo Lucilius scribit: Diom. GL 1,452,18 Barbarismus est dictio vitiosa … detractione … litterae, ut si detracta ‚a‘ littera ‚pretor‘ dicamus, ut Lulius:

    – ⏑ ⏑ Cecilius pretor ne rusticus fiat. pretor om. Varronis cod. | fiat cod. Varr., M Diom. : fias A B Diom.

    1226–28 (1134 –36) CGL 5,23321: Peritissimi lusores habiti sunt Coelius atque Veturius. De Coelio sic dicit Lucilius:

    Coelius, conlusor Galloni, scurra, trigonum cum ludet, solus * * * ludet et eludet

    trigonum cod. : trigonem Gundermann RhM 51 (1886) 632 | solus ludet cod. | Buecheler lacunam statuit, secuti sunt Marx et Charpin | scius ludet Housman CQ 1 (1907) 157, secuti sunt Warmington et Krenkel

    1229 (1299)+ Hier. epist. 7,5 Vallars: secundum illud quoque, de quo semel in vita Crassum ait risisse Lucilius: similem habent labra lactucam asino carduos comedente.

    unseren Dichter so gut wie sicher. Marx (II 373) teilt das Fr. nicht, wie die Herausgeber vor ihm, B. XI, sondern B. XX zu: zustimmend Charpin (III 282 zu Fr. 84), der den Sinn des Fr. wie folgt erläutert: „le propriétaire de Tarquinies mange princièrement, mais n‘est pas Tarquin le Superbe.“ 1225: ‚kein Pretor‘: oder ‚ein Pretor‘, wenn ein Verb der Fürchtens oder Hinderns vorausgeht. – Verspottet wird C. Caecilius Metellus Caprarius, der jüngste von vier Söhnen des Q. Caecilius Metellus Macedonicus (s. zu ihm B. XXVI die Ehesatire, bes. zu Fr. 603–4). Der Dichter spielt mit dem Terminus urbanus, der einerseits den praetor urbanus vom prae­ tor peregrinus unterscheidet, andererseits städtisch-feine Bildung bezeichnet. Diese spricht er dem designierten (fiat!) Praetor ab, indem er urbanus durch das ebenso im kulturellen Sinne gegensätzliche Wort rusticus ersetzt und den bäurischen Mangel an Bildung durch die Aussprache Cecilius pretor unterstreicht. Hierzu s. E. H. Sturtevant: The Monophthongization of Latin ae. TAPhA 47 (1916) 109. – „Tribuendus est versus lib. V, collocandus ante v. 210 [= Fr. 221(–22) in dieser Ausg.]“ (Marx I 76 im textkr. App). Lachmann und andere hatten das Fr. noch B. IX zugewiesen. Cichorius 87 f. erschließt aus dem Fr. für B. V eine Datierung

    Hexameter ohne Buchangabe

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    Granius aber weiß um seinen Wert und hasst die stolzen Tyrannen. 1225 Varro: Bei mehreren Wörtern setzen die einen ‚a‘ vor ‚e‘, die anderen nicht, wie dass sie teils ‚scaeptrum‘, teils ‚sceptrum‘ sagen … und die Leute vom Lande ‚Opa Mesius‘, nicht ‚Maesius‘, weswegen Lucilius schreibt: Diomedes: Barbarismus ist eine fehlerhafte Ausdrucksweise … durch Weglassung … eines Buchstabens, wie wenn wir unter Weglassung von ‚a‘ ‚pretor‘ sagen, wie Lucilius:

    … dass Cecilius kein bäurischer Pretor wird.

    1226–28 Corpus Glossariorum: Als erfahrenste Spieler galten Coelius und Veturius. Über Coelius sagt Lucilius Folgendes:

    Wenn Coelius, Spielpartner des Gallonius, ein Possenreißer, Dreiecksball spielt, wird er allein * * * (fehlerlos?) spielen und parieren

    1229 Hieronymus: Hierzu passend auch jenes Wort, das Crassus, wie Lucilius sagt, ein einziges Mal in seinem Leben zum Lachen brachte: Seine Lippen halten den Salat fast so, wie wenn ein Esel Disteln frisst.

    auf Ende 118 oder früher. – Zu den Animositäten des Lucilius gegenüber den Metellern s. auch Olshausen 2001, 172 f. – S. im Ganzen Marx II 358 f.; Cichorius 277 f., Krenkel Fr. 1146; Charpin III 282 f. zu Fr. 85; Haß 2007, 68. 1226–28: trigonum ludere: Drei Spieler – wurde der dritte (Veturius?) im Zusammenhang genannt? – spielen einander einen Ball zu. eludere bedeutet hier also im technischen Sinne ‚zurück- oder weiterspielen‘; s. Charpin, der das Spiel ausführlich erläutert (III 283 zu Fr. 86): „parer un coup“. Das Spiel war sehr beliebt; vgl. Hor. sat. 1,6,126 fugio campum lusum­ que trigonem. (Horaz benutzt das Wort trigon). 1229: Die Versuche, aus dem Text einen Septenar (L. Mueller u. a., s. bei Marx II 412 f.) oder einen Hexameter herzustellen (Marx im Apparat), bleiben hypothetisch. – Zur Sprödigkeit des Crassus, Vater des Schwiegersohns von Scaevola (s. B. II Fr. 79), vgl. Cic. fin. 5,92 = Lucil. Fr. 1333 (Crassus ein ἀγέλαστος); Tusc. 3,31; Plin. nat. 7,79. – An B. XXX als Ort des Fr. denkt Krenkel zu Fr. 1315: „wegen des Lachens …, des Grünzeugs … und des Esels“ (in der hier vorliegenden Ausgabe die Fragmente 1079, 1091–92 und 1083–84).

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    Incertae sedis hexametri

    1230–31 (1203– 4) Porph. Hor. sat. 1,3,21: ‚Maenius absentem Novium cum carperet‘] qui de personis Horatianis scripserunt, aiunt Maenium et scurrilitate et nepotatu notissimum Romae fuisse. Hic cum post patrimonium adrosum Kalendis Ianuariis in Capitolio clara voce optaret ut quadringenta milia nummorum aeris alieni haberet, quaerente quodam, quid sibi vellet, quod tam solemni die aes alienum habere optaret, ‚noli mirari‘ inquit, ‚octingenta debeo.‘ Hic fertur domo sua, quam ad forum spectantem habuerat, divendita, unam columnam inde sibi excepisse, unde gladiatores spectaret. quae ex eo ‚Maeni columna‘ nominabatur. Cuius et Lucilius sic meminit:

    Maenius – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ –⏑ ⏑ – ⏑ columnam cum peteret Sic Charpin : maenius columnam codd. : columnam Maenius J. Dousa : Maenius secl. Marx

    1232 (1348) Porph. Hor. sat. 1,7,23: ‚Laudat Brutum laudatque cohortem‘] ‚Cohortem‘ comites dicit Bruti, qui in consilio eius erant. Sic et Lucilius ait:

    ut praetoris cohors et Nostius dixit aruspex. praetoris edd. : praetores codd. | aruspex edd. : auruspex codd.

    1233 (1171) Sch. Veron. Aen. 9,373: ‚Sublustri noctis in umbra‘] nam ‚sub‘ pro parum ponitur. Lucilius:

    facti subpudet ut di …

    ut di cod. : tu di Mai : ut dico susp. Marx

    1234 (1128) Don. Ter. Andr. 183 ‚Carnufex‘ aut excarnificans dominum aut ipse dignus carnifice ut caro fiat, id est lanietur. Lucilius – fr. –. Don. Ter. Eun. 472: ‚Vix‘ aut difficile significat aut non, ut sit nec hoc. Lucilius – fr. –. 1230–31: Die Säule war zu Ehren des C. Maenius, cos. 338 v. Chr., errichtet worden (Plin. nat. 34,20). Sein Nachkomme – eine ausgiebige Charakteristik des Mannes bietet Hor. epist. 1,15,26–41 – verkaufte das Haus im J. 184 v. Chr. an die Zensoren Cato und Flaccus, damit auf dem Grundstück „Roms erste Basilica“ (Schäfer 2001, 180) erbaut werden konnte ([Ascon.] Cic. div. in Caec. 50; s. auch Liv. 39,44,7). – Einzelheiten bei Marx II 383; Krenkel zu Fr. 1226–27; Schäfer a. O. 1232: Ein Feldherr wurde oft unbeschadet seines Ranges als Praetor tituliert; s. zu B. XI Fr. 400–1; vgl. ferner B. XIV Fr. 471–72. Zur cohors praetoria, dem Stab des Feldherrn (Charpin III 284 zu Fr. 89), vgl. Paul. Fest. 249,7 L: praeterea cohors est dicta, quod a praetore

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1230–31 Porphyrio: ‚Als Maenius den Novius in Abwesenheit durchhechelte‘] Die Philologen, die über die bei Horaz vorkommenden Personen geschrieben haben, sagen, Maenius sei wegen seiner Schrulligkeit und Schwelgerei stadtbekannt gewesen. Als er, nachdem er das ererbte Vermögen durchgebracht hatte, an den Kalenden des Januar auf dem Kapitol mit lauter Stimme begehrte, ein Darlehen von 400 000 Sesterzen zu erhalten, fragte ihn jemand, was ihm einfiele, dass er an einem solchen Feiertag ein Darlehen zu erhalten wünsche. Darauf sagte er: „Wundere dich nicht, ich schulde 800 000“. Dieser Mann soll vom Verkauf seines Hauses, einem Haus mit Blick auf das Forum, das er besaß, für sich eine einzige Säule ausgenommen haben, um von ihr aus den Gladiatoren zuschauen zu können. Diese Säule wurde seitdem ‚Säule des Maenius‘ genannt. Sie erwähnt auch Lucilius wie folgt:

    Als Maenius … sich zu seiner Säule begab

    1232 Porphyrio: ‚Er preist den Brutus und preist sein Gefolge‘] Mit ‚cohortem‘ (Kohorte) meint er die Begleiter des Brutus, die zu seinem Beraterkreis gehörten. So sagt auch Lucilius:

    wie der Stab des Praetors und der Haruspex Nostius sagten.

    1233 Scholiast: ‚Im Schatten der halbdämmrigen Nacht‘] ‚sub‘ (unter) steht für ‚parum‘ (zu wenig). Lucilius:

    er schämt sich ein wenig seiner Tat, wie die Götter …

    1234 Donatus (Andria): ‚Carnufex‘ (Stockmeister; Schurke), entweder, weil er seinen Herrn martert oder weil er selbst den Stockmeister verdient, sodass er zu Fleisch, d. h. zerfleischt wird. Donatus (Eunuchus): ‚Vix‘ (kaum) meint entweder ‚schwierig‘ oder ‚nicht‘, sodass es ‚auch das nicht‘ bedeutet. non discedebat. Scipio enim Africanus primus fortissimum quemque delegit, qui ab eo in bello non discederent, cetero munere militiae vacarent et sesquiplex stipendium acciperent.– Baehrens verband das Fr. mit B. XI Fr. 400–1, Marx mit B. XIV Fr. 465. 1233: Das Ende des Fr. ist unsicher; s. o. den Apparat. Krenkel (Fr. 1191) athetiert ut di, Charpin sieht im Fr. das Ende eines Hexameters. 1234: Ein Spiel mit der prägnanten und der übertragenen Bedeutung von carcer in der Sprache der Komödie, wobei wohl carcer und nicht carcere in übertragener Bedeutung gemeint ist (s. Marx II 357 f., hier 358: „id est ‚poena carceris vix satis magna pro furciferi maleficiis“). – Zu den Wortspielen hier und Fr. 54 s. auch Haß 2007, 195.

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    Incertae sedis hexametri

    Don. Ter. Ad. 310: ‚Vix sum compos animi‘, aut vix tandem, aut vix non, ut Lucilius – fr. –. Don. Ter. Phorm. 373: ‚Ain tandem carcer?‘] non carcerarium, sed carcerem asperius appellavit. Sic Lucilius – fr. – et ‚vix‘ pro ‚non‘.

    – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – carcer, vix carcere dignus. carcer vix codd. Eun., Ad., Phorm. : carcer eis vix A Andr. : carcere vix C T Andr. : carcer eris vix Marx : carcer et is vix coni. Warmington

    1235 (1289)# Fest. 354,12 L: m vocem … parum antem; r loquen Lucilium: Paul. Fest. 355,3 L: ‚Rava vox‘, rauca et parum liquida, proxime canum latratum sonans, unde etiam causidicus pugnaciter loquens ‚ravilla‘.

    – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – t Ravi ⏑ – x

    t Ravi Scaliger, Cichorius : ….t ravi Marx

    1236 (1321) Non. 43,10: ‚Vernas‘ veteres appellabant qui vere sacro fuerant nati; et habebatur nomen hoc pro vitabili maledicto. … Lucilius:

    vernam ac cercopithecon vernam ac cercopithecon Marx : vernam ac cercupithecon Mercier, Charpin (sed v. Graece κερκοπίθηκος) : verna accer cupit hecon codd.

    1237–38 (1107–8) Don. Ter. Eun. 336: ‚Gemens‘] ob continuam tussim. sic Lucilius:

    ante fores autem et triclini limina quidam perditus Tiresias tussi grandaevus gemebat. triclini edd. : triclinii V : tridinii T : triclinis C | limina V : lumina C | quidam edd. : quidem codd. | T(e)iresias tussi Bentley : Tiresia tussi V, Marx : tyresiatus T C | grandaevus V C : grandeus T 1235: Krenkel (Fr. 1305) und Charpin (H 92, Erl. III 284) zeigen sich von der Textherstellung und Deutung, die Cichorius gibt (340 f.), vollauf überzeugt: Er verteidigt die bei Paulus überlieferte Lesart ravilla (vom Stamm rāvire, sich heiser reden), die Lindemann durch ra­ bula ersetzt hatte. Sie führt ihn zu L. Cassius Longinus, trib. pleb. 137, cos. 127, Censor 125, der das zweite Cognomen Ravilla führte, wie Frontin. aqu. 8,1 ausdrücklich bezeugt, und als Sachwalter vor Gericht durch Cicero Brut. 97 bekannt ist: L. Cassius multum potuit non eloquentia, sed dicendo tamen. Lucilius verspottet also die unangenehm klingende Stimme dieses Mannes.

    Hexameter ohne Buchangabe

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    Donatus (Adelphoe): ‚ich bin kaum meiner Sinne mächtig‘, entweder ‚schließlich kaum‘ oder ‚fast nicht mehr‘, wie Lucilius … Donat (Phormio): ‚Meinst du wirklich, was du da sagst, Schurke?‘] Er hat ihn nicht ‚Häftling‘, sondern schroffer ‚Schurke‘ genannt. So Lucilius – Fr. – und zwar ‚vix‘ im Sinne von ‚nicht‘.

    Schurke, kaum noch (nur) des Kerkers würdig!

    1235 Festus: Eine ‚heisere‘ Stimme, … rauh und nicht rein genug, fast wie das Bellen von Hunden klingend, weswegen man auch einen aggressiv redenden Sachwalter ‚ravilla‘ (der Heisere) nennt, wie es bei Lucilius heißt: Paulus, epitome Festi: ‚Rava vox‘ (eine heisere Stimme), rauh und nicht rein genug, fast wie das Bellen von Hunden klingend, weswegen auch ein aggressiv redender Sachwalter ‚ravilla‘ (der Heisere) heißt.

    es bellt Ravilla

    1236 Nonius: ‚Vernas‘ (im Hause geborene Sklaven) nannten die alten Autoren Sklaven, die in einem ‚heiligen Frühling‘ geboren worden waren; auch wurde dieses Wort als ein zu vermeidendes Schimpfwort angesehen.

    (er nannte ihn?) einen verna und langschwänzigen Affen.

    1237–38 Donatus: ‚Gemens‘ (stöhnend)] wegen nicht enden wollenden Hustens. So Lucilius:

    Vor der Türschwelle des Speisesaals aber krächzte ein uralter, vor Husten halbtoter Tiresias.

    1236: Hier ist auch eine Erläuterung des Nonius-Lemmas geboten: Zu ver sacrum s. Georges, Lat.-D. Hwb. s. v. ver: „die in Zeiten großer Bedrängnis als Opfer gelobten Erstlinge des nächsten Frühlings an Menschen und Herdenvieh …, später mit der Milderung, daß man bloß die Tiere opferte, die Menschen aber, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht hatten, auszuwandern zwang, das Erstlingsopfer, Liv. (s. bes. Fest. 158 (b), 4 sq., Liv. 22,10,2 sq., 34,44,3).“ – verna als Schimpfwort: s. Plaut. Amph. 1033; Mart. 1,41,2. Georges (w. o.) s. v. verna: „sie waren als niedrige Kriecher, gemeine (plumpe) Witzbolde u. freche Burschen berüchtigt.“ – cercopithecos: vgl. Plin. nat. 8,72: s. Marx II 424; Charpin III 284 f. zu Fr. 93. 1237–38: fores et limina: Hendiadyoin (Marx II 352). – „Describitur convivium sordidum: qui excipit convivas advenientes, servus erat senex, deformis, tussi perditus.“ So Marx a.O. unter

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    Incertae sedis hexametri

    1239 (1245) Paul. Fest. 61,14 L: ‚Depuvire‘, caedere. Lucilius: – fr. – id est ‚verberavit me‘, quod ipsum ex Graeco est ἀπὸ τοῦ παίειν.

    palmisque misellam depuviit me.

    depuviit edd. : depuvit M T, depuivit P

    1240 (1129)# Paul. Fest. 38,18 L: ‚Carissam‘ apud Lucilium vafrum significat.

    carissam

    1241– 42 (1324 –25)# Fest. 488,1 L: nomine appellantur et sparto leviter tortae restes, fiunt. Lucilius: Paul. Fest. 489,1 L: ‚Thomices‘ Graeco nomine appellantur ex cannabi inpolita et sparto leviter tortae restes, ex quibus funes fiunt. Pulluli quoque quos in collo habent, ne a resti laedantur, thomices vocantur.

    vidimus abina vinctum thomice cannabina restit. Ursinus : abina codd.

    1243 (1305) Cic. Att. 13,21,3: Nec est melius quicquam quam ut Lucilius:

    sustineas currum, ut bonus saepe agitator, equosque

    Cf. Cic. ac. 2,94: Nihil me laedit, inquit, ego enim ut agitator callidus prius quam ad finem veniam, equos sustinebo, eoque magis, si locus is, quo ferentur equi, praeceps erit. (Cf. etiam Cic. Lael. 63.)

    Verweis auf Lucr. 4, 1167 iam mortua tussi und Cic. Pis. 67 servi sordidati ministrant, nonnulli etiam senes. – Wegen der Nennung des Tiresias auch in B. V (Fr. 209–10) wies Lachmann das Fr. diesem Buche zu. Marx bezweifelt einen doppelten Witz auf Kosten derselben Figur und präferiert B. VI bei Fr. 262–63 über den cinerarius claudus. 1239: Vgl. Naev. CRF 134 R depuit me miseram ad necem; Ter. Phorm. 327 deverberasse usque ad necem. – „Le verbe depuuire est composé sur pauire, ‚battre la terre pour l‘aplanir, niveler‘“ (Charpin III 285 zu Fr. 95). 1240: Ein Wort unklarer Herkunft und darum auch metrisch nicht eindeutig positionierbar (Charpin III 285 zu Fr. 96). – Als Maskulinum belegt es auch CGL 2,97,43 carisa, μαυλιστής, πορνοβοσκός. Als Femininum erklärt es Placidus (CRF p. 381,18 R. = GL 5,15): ‚carisa’ vetus lena percallida, unde et in mimo fallaces ancillae ‚catacarisa‘ appella­ bantur. Dem schließt sich Charpin (Fr. 96) an; seine Übersetzung: „une rusée (commère)“.

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1239 Paulus, epitome Festi: ‚Depuvire‘ (abprügeln), ‚schlagen‘. Lucilius: – Fr. –, d. i. ‚er schlug mich‘, aus griechischem παίειν (schlagen).

    mit den Händen schlug er mich Unglückliche.

    1240 Paulus: ‚Carissam‘ bezeichnet bei Lucilius einen ‚Pfiffikus‘.

    einen Schlaukopf – oder: ein durchtriebenes Frauenzimmer (?)

    1241–42 Festus: ‚Thomices‘ (Fäden aus Hanf) werden mit einem griechischen Wort Stricke genannt, die aus ungeglättetem Hanf und Pfriemgras locker gedreht sind; woraus man Seile macht. Lucilius: Paulus, epitome Festi: ‚Thomices (Fäden aus Hanf) werden mit einem griechischen Wort Stricke genannt, die aus ungeglättetem Hanf und Pfriemgras locker gedreht sind; woraus man Seile macht. Auch Stricke, wie sie junge Tiere um den Hals haben, damit sie nicht von der Leine verletzt werden, heißen ‚thomices‘.

    wir mussten ihn mit Stricken aus Hanf gefesselt sehen

    1243 Cicero, ad Atticum: Und es gibt nichts Besseres als wie Lucilius sagt:

    Halte den Wagen zurück, wie oft ein guter Wagenlenker, und die Pferde

    Vgl. Cicero, academica priora: ‚Nichts verletzt mich, sagt er, denn ich werde wie ein kluger Wagenlenker, bevor ich ans Ziel komme, die Pferde zurückhalten, und zwar umso mehr, wenn der Ort, wohin die Pferde eilen, abschüssig ist.

    1241–42: vidimus: emphatisch betont durch die Anfangsstellung; vgl. Hor. carm. 3,5,21 f. vidi ego civium / retorta tergo bracchia libero. – ‚Stricke aus Hanf‘ = griech. θώμιγξ κανναβίνη. Das Fr. ist der früheste Beleg für die Erwähnung von Hanf in Rom; s. R. J. Forbes: Studies in Ancient Technology 4: Leiden 21964, 60. – Cichorius (37–39) bezieht das Fr. auf die (nicht angenommene) Auslieferung des Mancinus an die Numantiner 136 v. Chr.; vgl. Plut. Gracch. 7,4; Vell. 2,1,5; Oros. 5,4,21. Ein Indiz für Kriegsdienst des Dichters in Spanien schon vor 134 v. Chr. braucht das Fr. m. E. nicht zu sein. 1243: Wie Cicero zeigt, ein beliebter Vergleich in der philosophischen Ethik. Das Gegenteil zum Besonnenen stellt Fr. 1252–53 vor Augen; s. dort.

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    Incertae sedis hexametri

    1244 (1298) Fest. 226,26 L: ‚Petauristas‘ Lucilius a peteuro appellatos existimare videtur, quando ait: – fr. –, At Aelius Stilo in aere volent cum ait ‚Petaurista Graece ideo quod is πρὸς ἀέρα πέταται.‘

    sicuti mechanici cum alto exiluere peteuro. peteuro W : petauro N

    1245 (1187) Non. 208,12: ‚Gladius‘ masculini. neutri Lucilius:

    haerebat mucro gladium in pectore totum.

    gladiumque ed. pr. : gladium codd.

    1246– 47 (1273–74) Cic. de orat. 3,86: Omnes enim artes aliter ab eis tractantur, qui eas ad usum transferunt, aliter ab eis, qui ipsarum artium tractatu delectati nihil in vita sunt aliud acturi. Magister hic Samnitium summa iam senectute est et cotidie commentatur; nihil enim curat aliud. At. Q. Velocius puer addidicerat; sed quod erat aptus ad illud totumque cognorat, fuit, ut est apud Lucilium,

    quamvis bonus ipse Samnis in ludo ac rudibus cuivis satis asper. 1248 (1349) Fest. 404,35 L: ‚Sub vitem haa manu … t. Lucilius: Paul. Fest. 405,8 L: ‚Sub vitem hastas iacere‘ dicitur veles, cum eas sub manu sursum mittit. Lucilius:

    ut veles bonus, sub vitem qui subicit hastas. subicit Augustinus (1559), edd. : subsit F Fest. : submisit codd. Paul.

    1244: peteuro: allg. petauro, die Lesart peteuro hat nur das apographon Vatic. 3369 bewahrt. In der Sache handelt es sich um ein Gerüst mit Stangen und aufgespannten Seilen, vgl. Mariotti 1960, 35. Deshalb ist mechanicus (Ingenieur) hier = Seiltänzer, vgl. Iuv. 14,265 f.; Manil. 5,438–440; s. Krenkel zu Fr. 1314 und Charpin III 286 zu Fr. 99. 1245: Marx (II 375) vergleicht Il. 13,442 δόρυ δ’ἐν καρδίῃ ἐπεπήγει. Von einem Soldaten oder einem Gladiator; wenn Letzteres, könnte das Fr. zu der Gladiatorenszene in B. IV gehören. – Krenkels Verweis auf eine angebliche Zitatenfolge bei Nonius (s. jedoch Lindsay 1901, 61) ließ Haß (2007, 159) in Erwägung ziehen, dass das Fr. zu der Jagdszene in B. IV gehören könne; s. die Einführung in B. IV. Aber ging man mit einem Schwert auf die Jagd?

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1244 Festus: ‚Petauristas‘ (Seiltänzer), so scheint Lucilius anzunehmen, seien nach dem ‚peteurum‘ (Gerüst des Seiltänzers) so benannt, wenn er sagt: – Fr. –. Doch Aelius Stilo, weil sie in der Luft fliegen, wenn er sagt: ‚‘Petaurista‘ griechisch deswegen, weil er πρὸς ἀέρα πέταται (in die Lüfte fliegt).

    So, wie die Seiltänzer, wenn sie von ihrem hohen Seil gesprungen sind.

    1245 Nonius: ‚Gladius‘ (Schwert) ein Maskulinum. Als Neutrum (hat es) Lucilius:

    Die Spitze und das ganze Schwert steckten in seiner Brust.

    1246–47 Cicero: Denn alle Disziplinen werden ja von denen, die sie zu praktischer Anwendung bringen, anders betrieben als von denen, die an der Behandlung der Fächer selbst Gefallen finden und in ihrem Leben nichts anderes mehr treiben wollen. Unser Fechtmeister der Samniten steht schon in hohem Alter und macht doch täglich seine Übungen; er hat ja für nichts anderes zu sorgen. Q. Velocius dagegen hatte als Knabe auch im Fechten Unterricht erhalten; doch weil er sich für dieses Fach geeignet zeigte und es ganz beherrschte, war er, wie bei Lucilius steht,

    so gut wie nur einer, selbst als Fechter in der Kaserne, und mit dem Fecht­ stab jedem gefährlich genug.  (Übers.: H. Merklin [reclam 6884])

    1248 Festus: ‚Die Speere unter den Reben hervorwerfen‘ sagt man vom Plänkler, wenn er sie unter der vinea, dem Sturmdach, hervor mit der Hand nach oben schleudert. Paulus, epitome Festi: ‚Die Speere unter den Reben hervorwerfen‘ sagt man vom Plänkler, wenn er sie unter der vinea, dem Sturmdach, hervor mit der Hand nach oben schleudert.

    wie ein tüchtiger Plänkler, der seine Speere unter den Reben hinaufwirft.

    1246–47: bonus in ludo: anders Fr. 1080 non bonus bello. – Schon F. Dousa wies das Fr. B. IV zu. Marx (II 402 f.) bezieht es auf Aeserninus (Fr. 171–74) und legt die Worte seinem Gegner Pacideianus (Fr. 175–80) in den Mund; s. dort, s. auch Charpin III 286 zu Fr. 101. 1248: Die Leichtbewaffneten, ausgerüstet mit einem kleinen Schild, der parma, und einem Speer, werfen diesen bei einem Sturmangriff unter dem Schutzdach der Angreifer von unten her auf die Mauer hinauf (Charpin III 287 zu Fr. 102).

    480

    Incertae sedis hexametri

    1249 (1102) Fest. 232,16 L ‚Pedarium senatorem‘ significat Lucilius cum ait – fr. –, qui ita appellatur, quia tacitus, transeundo ad eum, cuius sententiam probat, quid sentiat, indicat.

    – ⏑ ⏑ – ⏑ agi pes, vocem mittere coepit.

    agi pes Marx : agipes codd. : Gai pes Hirschfeld Hermes 8 (1874) 468 f., Lachmann

    1250–51 (1319–20) Serv. auct. Aen. 12,5: ‚Saucius ille‘ ] κατ’ ἐξοχήν ille leo, id est princeps ferarum, vel certe veteri more ad magnitudinem pertinet, … interdum nobilitatem significat … aut similem designat. Lucilius

           velut olim auceps ille facit cum inproviso insidiisque olim F. Dousa : olli codd. | cum codd. : clam Marx

    1252–53 (1255–56) Festus 312,22 et Paul. Fest. 313,10 L: ‚Quartarios‘ appellabant antiqui muliones mercennarios, quod quartam partem quaestus capiebant. Lucilius:

    porro homines nequam, malus ut quartarius, cippos collegere omnes.

    collegere Marx : colligere codd. : collisere Scaliger

    1254 –55 (1282–83) Gell. 3,14,8–10: ‚Dimidiatum‘ …. (vide ante fr. 1209–10). itaque Lucilius eadem secutus [fr. 1209–10], et alio loco –fr.–. Char. GL 1,126,6 : ‚Clavim‘ Tibullus …., ‚strigilim‘ quoque Lucilius.

    quidni? et scruta quidem ut vendat scrutarius laudat, praefractam strigilim, soleam inprobus dimidiatam. quidni et Marx | scrutarius edd. : et scrutarius codd. | praefractam P : praefactam V R | strigilim codd. Char. : strigilem codd. Gell.

    1249: Bei der Konjektur Gai denken Hirschfeld und Lachmann an den B. XXX Fr. 1013 erwähnten Gaius, weswegen Lachmann den Vers auch dorthin stellt. – Den überlieferten Text verteidigt Marx (II 350): „Ego arbitror agi et recte et lepide esse dictum pro moveri: movetur et agitur pes senatoris tamquam navis sive currus, vel iumentum.“ – Zu pedarius senator s. auch Gell. 3,18. 1250–51: Charpin (III 287) bezeichnet zu Recht Marx’ Konjektur clam als „inutile“. – Zum Gedanken der Hinterhältigkeit bei Lucilius s. Haß 2007, 229287. 1252–53: Scaligers Konjektur collisere ist sachlich unwahrscheinlich, da die cippi in einem Abstand von der Fahrbahn standen und die Fahrrinnen ein Abweichen der Kutschen erschwerten (Charpin III 287 f. zu Fr. 105). Marx verweist auf Mart. 10,2,9–12 Marmora Messallae findit caprificus, et audax / dimidios Crispi mulio ridet equos:/ At chartis nec

    Hexameter ohne Buchangabe

    481

    1249 Festus: Einen ‚pedarius senator‘ meint Lucilius, wenn er sagt – Fr. –, der so genannt wird, weil er ohne Worte dadurch anzeigt, wofür er stimmt, dass er zu dem hinübertritt, dessen Votum er gutheißt .

    sein Fuß beginnt zu schreiten (und) seine Stimme abzugeben.

    1250–51 Servius auctus: ‚Jener bekannte Verwundete‘] vorzugsweise ‚der (bekannte) Löwe, d. h. der König der Tiere, oder auch, (‚ille‘) bezieht sich traditionell auf Größe, … bisweilen kennzeichnet es Prominenz … oder bezeichnet eine vergleichbare Person.

    wie es gewöhnlich der Vogelsteller macht, wenn er unversehens und hinterhältig …

    1252–53 Festus und Paulus, Epitome Festi: ‚Quartarios‘ (quartarius = das Viertel) nannten die Alten gemietete Maultiertreiber, weil sie ein Viertel des Erlöses bekamen.

    Ferner rafften die Nichtsnutze, wie ein übler Kutscher, sämtliche Gedenksteine an sich.

    1254–55 Gellius: ‘Dimidiatum‘ (halbiert) … (s. weiter vor Fr. 1209–10). Deshalb sagt Lucilius, denselben Grundsätzen folgend [Fr. 1209–10], und an anderer Stelle: Charisius: ‚Clavim‘ (Schlüssel [acc. auf –im]) Tibull …., auch ‚strigilim‘ (Schabeisen) Lucilius.

    Warum nicht? auch der Trödler preist ja, um zu verkaufen, das schon ausgezackte Schabeisen, die Sandale ohne Sohle an, der üble Gauner.

    furta nocent et saecula prosunt, / solaque non norunt haec monumenta mori und vergleicht für colligere in der Bedeutung ‚zusammenraffen, stehlen‘ Fr. 1042. – Zum Vergleich der Diebe mit den Maultiertreibern s. Krenkel zu Fr. 1273–74 und Charpin a. O. – J. Dousa und L. Mueller wiesen das Fr. B. III zu. 1254–55: quoque bei Charisius dürfte sich lediglich auf die Akkusativendung auf –im beziehen; anders Krenkel zu Fr. 1298–99. Die nur von Charisius angeführte Form strigilim wird meist als lectio difficilior in den Text aufgenommen; hierzu s. Winkelsen 2012, 45 f. – Für den Vergleich mit einem Trödler vgl. Hor. epist. 2,2,10 f. multa fidem promissa levant, ubi plenius aequo / laudat venalis qui volt extrudere merces; ferner ars 416–421. Fraglich bleibt, wer mit dem Trödler verglichen wird. Marx (II 406) möchte das Fr. zu Fr. 392 in B. X stellen, denkt also an den Lobhudler eines Dichters, aber das ist ganz willkürlich; vgl. Charpin III 288 zu Fr. 106; Winkelsen a. O.

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    Incertae sedis hexametri

    1256–57 (1165–66) Isid. orig. 19,7,2: ‚Marculus‘, malleus pusillus. Lucilius:

    et velut in fabrica fervens cum marculus ferrum multo cum magnis ictibus tundit.

    fabrica edd. : fabricam codd. | Mulcibero multo cum magnis Martyn : multorum magnis codd. : tinnitu multo cum magnis Marx, Charpin | ictibus tundit codd. : ictibus tunditur K M N P : tuditantium Scaliger : incumbentem Mueller : instantibus Buecheler

    1258–59 (1250–51) Fest. 126,11 L: ‚Mamphula‘ appellatur pa Syriaci genus, quod, ut ait Verrius, in clibano antequam percoquatur, decidit in carbones cineremque. cuius meminit Lucilius: Cf. Varro ling. 5,138: ‚pilum‘, quod eo far pisunt; a quo, ubi id fit, dicitur ‚pistrinum‘ – l et s inter se saepe locum conmutant –, … inde post in urbe Lucili pistrina et pistrix.

    pistricem validam, si nummi suppeditabunt, addas, empleuron, mamphulas quae sciat omnis. validam Scaliger : valida cod. | nummi codd. : numini X | mamphulasque edd. : maniphulasque X

    1260–61 (1191–92) Isid. orig. 19,4,10: ‚Catapirates‘, linea cum massa plumbea, qua maris altitudo temptatur. Lucilius: Fest. 320,24 L: ‚Rodus‘vel raudus significat rem rudem et inperfectam; nam saxum quoque raudus appellant poetae. … Vulgus quidem in usu habuit … pro aere inperfecto, ut Lucilius ait [plumbi … metaxam].

    hunc catapiratem puer eodem devoret unctum, plumbi pauxillum rodus linique metaxam. hunc K U V : hanc rell. : huc Scaliger | catapiratem edd. : cataportem vel cataporatem codd. | puer codd. : pueri D E | devoret CIL 8.27790 : deforet F K P T : defore V D E1 : deferat Arevalus : deforte B : deferet M : de foro U | rodus cod. Fest. : rudis T U Isid. : rudus rell. Isid. | metaxam edd. : matexam cod. Fest. : metaxat Mon. 6250 Isid. : mataxum M Isid. : mataxa T U V : maxaxum N Isid. : mactacsum P Isid. 1256–57: John R. C. Martyn (Lucilius 1165–6 Marx. AJPh 85 [1964] 66–70) folgt Varges in der Zuordnung des Fr. zu Fr. 145–46 in B. III (so auch Charpin III 288 zu Fr. 107). Er betont, dass es Lucilius in dem Vergleich um den optischen, nicht den akustischen Eindruck ging, was ihn Marx’ Ergänzung tinnitu sowie seine Deutung (Vergleich mit dem Hufschlag eines galoppierenden Pferdes) verwerfen und die Ergänzung Mulcibero vorschlagen lässt, worin ihm Krenkel folgt; zum metonymischen Gebrauch vgl. Macr. Sat. 6,5,2 Mulciber est Vulca­ nus quod ignis sit et omnia mulceat ac domet. – marculus bleibt für Martyn gegen Marx’ Deutung (II 368 f.) ein „light hammer for shaping metals“ (a. O. 69). – Charpin (III 288 zu Fr. 107) folgt hingegen Marx.

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1256–57 Isidorus: ‚Marculus‘ (Hämmerchen), ein kleiner Hammer. Lucilius:

    und wie in einer Schmiede, wenn das Hämmerchen das durch die starke Hitze glühende Eisen mit kräftigen Schlägen bearbeitet.

    1258–59 Festus: ‚Mamphula‘ (syrisches Brot) wird eine Art syrischen Brotes genannt, das, wie Verrius sagt, in Holzkohle und Asche abgelegt wird, bevor es im Backofen gebacken wird. Lucilius erwähnt es: Vgl. Varro: ‚pilum‘ (Mörserkeule), weil man damit Dinkel zerstampft; danach heißt (der Ort) wo das geschieht, ‚pistrinum‘ (Stampfmühle) – l und s tauschen oft miteinander den Platz –, … Daher später in Rom die ‚pistrina‘ (Backstube) und ‚pistrix‘ (Bäckerin) des Lucilius.

    Du solltest noch eine stämmige Bäckerin hinzufügen, wenn das Geld reicht, eine mit breiten Hüften, die sich auf (die Zubereitung) aller syrischen Brotsorten versteht.

    1260–61 Isidorus: ‚Catapirates‘ (Senkblei), eine Schnur mit einem Bleigewicht, womit die Meerestiefe untersucht wird. Lucilius: Festus: ‚Rodus‘ oder raudus(-eris, n., ein formloses Erzstück) bezeichnet einen rohen und unbearbeiteten Gegenstand; denn auch einen Felsen nennen die Dichter raudus. … Die Leute jedenfalls gebrauchen das Wort für ein unbearbeitetes Erzstück, wie Lucilius sagt.

    Dieses Lot soll der Schiffsjunge an derselben Stelle (zum Grund) sinken lassen, nachdem er (die Schnur) eingefettet hat, ein kleines unbearbeitetes Stück Erz und eine Hanfschnur.

    1258–59: Zum (hier wiederholten) Varro-Zitat s. Fr. 518. – empleuros: von griechisch πλευρά = Seite; ein Adjektiv der vulgären Sprache (Marx II 397; Cichorius 49). – Lt. Plin. nat. 18,107 entwickelte sich ein Bäckergewerbe in Rom erst Anfang des 2. Jh. v. Chr.; der in dem Fr. Angesprochene dürfte der Betreiber einer Bäckerei sein. Die Bäcker(innen) aus Syrien und Kappadokien galten als Spezialist(inn)en; (Athen. 3 p. 112C = 3,77 Kaib.). S. Krenkel zu Fr. 1268–69; Charpin III 289 zu Fr. 108. Als Indiz für eine nicht allzu ernstgenommene asketische Einstellung wertet das Fr. Olshausen 2001, 174. Die Nennung weiblicher körperlicher Merkmale auch außerhalb erotischer Themen notiert Haß 2007, 12375. 1260–61: Die im Museum von Tunis aufbewahrte Inschrift CIL 8.27790 zitiert offenbar Lucilius; devorare hat hier factitiven Sinn, vgl. Cic. Phil. 6,17 paucorum dierum molestiam devorate. – catapirates: gebildet nach griech. καταπειρητηρίη (vgl. Hdt. 2,5; Plaut. Aul. 598 [catapirateria]), ist nur hier belegt. – metaxa (auch mataxa): vgl. Isid. orig. 19,29,6 ma­

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    Incertae sedis hexametri

    1262 (1183) Porph. Hor. sat. 1,1,25: ‚Ut pueris olim dant crustula blandi doctores‘] ‚Crustula‘ et Lucilius dixit: Sch. Iuv. 9,5: ‚Nos colaphum incutimus lambenti crustula servo‘] … ‚crustula‘, species operis pistorii. Lucilius:



    gustavi crustula solus.

    gustavi codd. Porph. : crustavi codd. Sch.

    1263 (1161) Paul. Fest. 455,7 L: ‚Sicyonia‘, genus calciamenti. Lucilius:

    et pedibus laeva Sicyonia demit honesta.

    Sicyonia edd. : sicionia M L : sycionia E G

    1264 (1164)# Sch. Hor. sat. 2,4,81: ‚Vilibus in scopis, in mappis‘] ‚Mappas‘ antiqui dicebant, quae nunc mantelia. Lucilius:

    et velli mappas

    mappas codd. : snappas M1

    1265 (1145) Sch. Iuv. 10,66: Pone domi laurus, duc in Capitolia magnum cretatumque bovem: Seianus ducitur unco spectandus, gaudent omnes.] ‚Candidum‘, ut Lucilius: Lucilio trib. J. Dousa : Lucretio codd.

    cretatumque bovem duc ad Capitolia magna.

    duc ad Mercier : ducit codd. : duci Pithou

    1266 (1275)# Varro ling. 7,103: Multa ab animalium vocibus tralata in homines; partim quae sunt aperta, partim obscura. perspicua ut … Lucilii [fr. 239– 40]. Eiusdem:

    quantum hinnitum atque equitatum equitatum codd. : quiritatum Mueller taxa quasi metaxa a circuitu scilicet filorum, nam meta circuitus, vel quod transfertur.– S. im Ganzen Krenkel zu Fr. 1212–13 und Charpin III 289 zu Fr. 109. – Plaudert hier ein combibo (Haß 2008, 158)? 1262: gustare heißt als ‚vocabulum plebeium‘ einfach ‚essen‘; so auch Fr. 681 (s. Marx II 234); vgl. Petron. 62,13 nec postea cum illo panem gustare potui; 71,1 cito aquam liberam gustabunt. 1263: Marx (II 368) beschreibt anschaulich: „Mulier in grabato adsidens dextra lecto innititur, laeva calceos demit pedibus.“ – Die Sicyonia galten als höchst bequem, aber non viriles (Cic. de orat. 1,231). – Haß (2001, 113 f.; dies. 2008, 115) stellt das Fr. in den Zusammenhang der Verse, die auf die römische Elegie vorauszuweisen scheinen. 1264: velli: hier pf. (Marx II 368 unter Verweis auf Serv. Aen. 4,427); für inf. praes. pass. entscheidet sich Krenkel Fr. 1184, was zu völlig anderen Vorstellungen über die Situation

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1262 Porphyrio: ‘Wie den Knaben manchmal Zuckerwerk geben, ihnen schmeichelnd, die Lehrer‘] ‚Crustula‘ (Zuckerwerk) sagte auch Lucilius: Scholiast: ‚ Wir verpassen eine Ohrfeige dem Sklaven, wenn er Zuckergebäck leckt‘] ‚crustula‘ (Zuckerwerk), eine Art Backwerk. Lucilius:

    allein verzehrte ich das Gebäck.

    1263 Paulus, epitome Festi: ‚Sicyonia‘ (aus Sikyon), eine Art Schuhwerk.

    und von den Füßen streifte sie mit der Linken die eleganten Pumps aus Sikyon.

    1264 Scholiast: ‚Bei billigen Besen, Tüchern‘] ‚Mappas‘ (Tücher, Servietten) nannten die Alten, was jetzt ‘mantelia‘(Handtücher) sind.

    und ich zerrupfte meine Serviette

    1265 Scholiast: Schmücke mit Lorbeer dein Haus, führ auf das Kapitol einen großen und (mit Kreide) geweißten Stier. Den Seianus schleift man vor aller Augen am Haken, es freuen sich alle.] ‚Candidum‘ (weiß), wie Lucilius:

    und einen (von Kreide) weißen Stier führ hin zum hohen Kapitol.

    1266 Varro: Vieles wurde von den Lauten der Tiere auf die Menschen übertragen; das ist teils offenkundig, teils dunkel. Unverkennbar (ist es) z. B. … bei Lucilius (Fr. 239–40]. Bei demselben:

    was für ein Wiehern und Galoppieren

    führt. – mappas: plurale tantum (Marx a. O., s. Serv. Aen. 2,272). „Narrat Lucilius sese prae fame dentibus vellisse mappas“ (Marx a. O.) – natürlich bei einer cena sordida. Auch sieht er das Fr. mit Fr. 1262 zusammen. 1265: duc: Die Konjektur wird durch Iuvenal gestützt. Für Charpin (III 290 zu Fr. 113) spricht der Dichter den Verantwortlichen für die Zeremonie an. – Capitolia: Plural wie bei Verg. Aen. 8,347. – Iuppiter und Juno wurden weiße Rinder geopfert; notfalls „half man mit Farbe nach“ (Krenkel zu Fr. 1162). 1266: Macht Lucilius das Benehmen eines Menschen lächerlich? Dies vermutet Charpin (III 290 zu Fr. 114) unter Verweis auf Enn. ann. 554 Sk. clamore bovantes; 545 Sk. clamor ad caelum volvendus per aethera vagit. Anders hält Krenkel (zu Fr. 1293) es für möglich, dass equitatum hier von equire (brünstig sein, vgl. Plin. nat. 10,181) abzuleiten sei, also das Wiehern der Stuten bezeichne. Noch einen Schritt weiter geht Martyn (1966, 496), der das Fr. sexuell deutet; vgl. Haß 2007, 138.

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    Incertae sedis hexametri

    1267–68 (1162–63) Diom. GL 365,14: ‚Praefoco, praefocavi‘: Probus quasi novam vocem miratur. ‚Angit‘ enim veteres dicebant. … Lucilius tamen ait:

    conatur.

    et suffocare lagunas

    suffocare codd. : suffucare M | lagunas M² : lacunas M P A : laguna B : lacuna Marx

    1269 (1247) Char. GL 1,214,8: ‚Pedetemptim‘. Lucilius:



    pedetemptim hunc re salutem

    hunc codd. : nunc Baehrens : huc Lachmann | ferre salutem Marx : resalutem codd. : cur resalutem Mueller : ire salutem Lachmann

    1270 (1249) CGL 4 p. XVIII (ex Festo): ‚Pipatio‘ est clamor plorantis acerba voce. Lucilius – fr. –, id est petit clamas … ex quo antiqui clamorem acervum appellarunt.

    Paul. Fest. 235,11 L: ‚Pipatio‘ clamor plorantis lingua Oscorum.

    ‚– ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – petis, pipas? da.‘ – ‚libet‘, inquit. petis Buecheler : petit cod. : petis Marx | da libet edd. : clalibet codd.

    1271 (1185) Paul. Fest. 507,15 L: ‚Vitiligo‘ in corpore hominis macula alba quam Graeci ἀλφόν vocant, a quo nos ‚album‘; sive a ‚vitio‘ dicta, etiamsi non laedit; sive a ‚vitulo‘ propter eius membranae candorem qua nascitur involutus. Lucilius:

    ‚Haec odiosa mihi vitiligo est.‘ – ‚Num dolet?‘ inquit. vitiligo edd. : vituligo G R

    1272 (1179) Char. GL 1,85,8: ‚Gibber‘, ut Verrius ait, ipsum vitium dicitur, ut ‚tuber‘, ‚gibberosus‘ habens gibberem, ut ‚tuberosus‘. et sane Lucilius ita loquitur: – fr. –. sed

    1267–68: So deutete das Fr. schon L. Mueller, dem sich fast alle Editoren anschlossen. Marx entschied sich für lacuna, gedeutet als abl. loci, und denkt an Ertränken – an eine Situation, wie sie Polos im platonischen Gorgias schildert (Plat. Gorg. 471c). 1269: Vgl. Cic. fin. 2,118 cum opem indigentibus salutemque ferres. „Videtur de medico agi qui opitulatur aegrotanti“ (Marx II 396). – An die Situation eines cliens denkt Charpin (III 291 zu Fr. 116).

    Hexameter ohne Buchangabe

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    1267–68 ‚Praefoco, praefocavi‘ (ich erwürge, habe erwürgt). Probus wundert sich wie über ein neues Wort. Denn die Alten pflegten ‚angit‘ (er würgt) zu sagen. … Lucilius sagt jedoch:

    und er versucht die Flaschen zu verstöpseln.

    1269 Charisius: ‚Pedetemptim‘ (Schritt für Schritt) Lucilius:

    … dass er allmählich Rettung bringt

    1270 Corpus Glossariorum (aus Festus): ‚Pipatio‘ (das Piepen, Wimmern) ist das Schreien eines mit greller Stimme laut Weinenden. Lucilius – Fr. –, d. h. er fragt: ‚du schreist?‘ … Davon leiteten die Alten den Ausdruck clamor acervus (grelles Schreien) ab. Paulus, epitome Festi: ‚Pipatio‘ (das Piepen, Wimmern), das Schreien eines Weinenden in der Sprache der Osker.

    „Du bittest, wimmerst? Sag!“ – „es macht mir halt Spaß“, sagt(e) er.

    1271 Paulus, epitome Festi: ‚Vitiligo‘ (Flechte, Hautausschlag) ein weißer Fleck auf dem menschlichen Körper, den die Griechen ἀλφόν, wir entsprechend album (das Weiße) nennen; möglicherweise nach ‚vitium‘ (Fehler, Mangel) so benannt, wenn es auch nicht schmerzt; oder auch nach ‚vitulus‘ (Kalb) wegen des hellen Schimmers seines Fells, worin eingehüllt es geboren wird. Lucilius:

    „Diese weiße Flechte ist mir unerträglich.“ – „Schmerzt sie denn etwa?“ sagt er.

    1272 Charisius: ‚Gibber‘ (Höcker, Buckel) wird, wie Verrius sagt, die Fehlbildung selbst genannt, wie ‚tuber‘ (Höcker, Buckel); ‚gibberosus‘ (bucklig) einen Buckel habend, wie ‚tuberosus‘. Und wirklich spricht Lucilius so: – Fr. –. Dagegen berich1270: Wohl ein Dialog zwischen zwei Personen, vielleicht Gladiatoren, wie Charpin (III 291 zu Fr. 117) vermutet, der anders interpungiert: „… petis : ‚pipas? da!‘“. 1271: Vgl. Cels. 5,28,19a Vitiligo quoque quamvis per se nullum periculum adfert, tamen et foe­ da est et ex malo corporis habitu fit. (Weiteres bei Krenkel zu Fr. 1206.) – Haß (2007, 124) führt das Fr. unter den Belegen an, die zeigten, „dass Lucilius die Weltsicht der Elegiker nicht teilt“.

    488

    Incertae sedis hexametri

    Plinius ‚gibbus‘ vitium ipsum, ut ‚ulcus‘, maluisse consuetudinem tradit; quod mihi displicet.



    gibbere magno

    1273 (1121) Fest. 442,3 L: ‚Squarrosos‘ similitudine ait dicgat ob adsiduam inlu [num – rostra] Paul Fest. 443,1 L ‚Squarrosi‘ ab eadem squamarum similitudine dicti, quorum cutis exsurgit ob assiduam inluviem. Lucilius:

    baronum ac rupicum squarr rostra baronum F. Dousa : vorunum codd. Paul. : num codd. Fest. | edd. Festi in lacunis restituerunt

    1274 (1104) Non. 231,36: ‚Utres‘ usu generis masculini tantummodo deputantur. neutri Lucilius:

    Andronis flacci teget utria

    Andronis Mueller : andronius codd., Marx | flacci edd. : flacchi codd.

    1275 (1266) Fest. 232,12 L: ‚Piscinae publicae‘ hodieque nomen manet, ipsa non extat. ad quam et natatum et exercitationis alioqui causa veniebat populus. unde Lucilius ait:

    pro obtuso ore pugil piscinensis reses

    piscinensis Turnebus, Charpin : pisciniensis W, Ald. : piscinis X | reses W : res est X, Ald.

    1276 (1314) Max. Victorin. GL 6,217,1: Similiter Lucilius ait – fr. – pro ‚tum laterali dolor certissimu nuntiu mortis‘ subtractis tribus ‚s‘ litteris, quia licentius antiqui et ipsa quasi pro liquenti utebantur inerudita adhuc novitate, quod posteriores poetae non fecerunt. 1273: barones und rupices: Damit verbinden sich Tölpelhaftigkeit und Dummheit; vgl. Sch. Pers. 5,138 barones dicuntur servi militum qui utique stultissimi sunt, servi scilicet stul­ torum. Gell. 13,9,5 sed enim veteres nostri non usque eo rupices et agrestes fuerunt. S. auch Cic. fin. 2,76. – rostra (s. auch Fr. 221–22): „soldiers’ slang for face“ (Warmington zu Fr. 1184), für Charpin (III 291 f. zu Fr. 120) unter Verweis auf Plaut. Men. 89 – apud mensam plenam homini rostrum deliges – der Komödiensprache zugehörig. – squarrosa, incondita: lässt Marx an ungepflegte Bärte denken – vgl. Verg. Aen. 2,277 squalentem barbam, Varro Men. 419B barbato rostro –, ferner daran, dass Scipio Aemilianus in Rom damit begann, sich zu rasieren; s. Plin. nat. 7,211, Gell. 3,4 pr. quod P. Africano et aliis tunc viris nobilibus ante aetatem senectam barbam et genas radere moris fuit.

    Hexameter ohne Buchangabe

    489

    tet Plinius, der Sprachgebrauch habe für die Fehlbildung selbst das Wort ‚gibbus‘ (Buckel, Höcker) vorgezogen, wie ‚ulcus‘ (Geschwür); mir leuchtet das nicht ein.

    mit einem großen Buckel

    1273 Festus: ‚Squarrosi‘ (mit Schorf behaftet, grindig) heißen, so sagt er, nach der gleichen Ähnlichkeit mit den ‚squamae‘ (Schuppen) Leute, deren Haut wegen andauenden Schmutzes sich aufwirft. Paulus, epitome Festi: ‚Squarrosi‘ (grindig) wurden wegen der gleichen Ähnlichkeit mit ‚squamae‘ (Schuppen) genannt, deren Haut sich wegen andauernden Schmutzes aufwirft.

    die grindigen, dreckigen Schnäbel der Tölpel und Rüpel

    1274 Nonius: Das Wort ‚utres‘ (Schläuche) wird so gut wie immer als Maskulinum angesehen. Als Neutrum (hat es) Lucilius:

    bedecken wird sie (nml. die Erde) den Wanst des schlappohrigen Andron

    1275 Festus: Der Name ‚Piscina publica‘ (öffentliches Schwimmbad), existiert noch heute, nicht die Sache; dorthin ging das Volk zum Schwimmen und überhaupt sportlicher Übung wegen. Daher sagt Lucilius:

    nach seinem zerbleuten Gesicht zu schließen ein Boxer, ständiger Besucher des öffentlichen Schwimmbads

    1276 Maximus Victorinus: Ähnlich sagt Lucilius – Fr. – anstelle von ‚tum laterali dolor certissimu nuntiu mortis‘ wobei drei ‚s‘ unterdrückt sind, weil die Alten auch ‚s‘ mit größerer Lizenz, in einer noch ungebildeten Anfangssituation, so gebrauchten, als sei es ein Liquidum, was die nachkommenden Dichter nicht taten. 1274: Die Überlieferung verteidigt Marx (II 351); er denkt an einen Sklaven oder Freigelassenen eines Flaccus, welcher Bestattungen armer Leute durchführte. Anders meint Cichorius (328–333) eine Anspielung auf das Sprichwort ὄνος Ἀνδρώνιος (Mühlstein) zu erkennen. Der Dichter verspotte den stadtbekannten Alkoholiker M. Fulvius Flaccus (Plut. Gracch. 34 f.); utria stehe für ossa. – Auf jeden Fall dürfte Parodie einer Grabinschrift vorliegen; s. Krenkel zu Fr. 1115; Charpin III 292 zu Fr. 12; Haß 2007, 199. 1275: Marx II 400: „… id est pugil, qui tamquam emeritis stipendiis otio se dederit.“ – Die (u. a. von Cic. ad Q. fr. 3,5,8 und Liv. 23,32,4 erwähnte) piscina publica lag an der via Appia vor der porta Capena; sie bot Möglichkeiten auch zur sportlichen Betätigung, besonders im Faustkampf (Krenkel zu Fr. 1284; Charpin III 292 zu Fr. 122). – Für ein zerschlagenes

    490

    Incertae sedis hexametri

    tum lateralis dolor, certissimus nuntius mortis. 1277 (1195) Fest. 494,30 L et Paul. Fest. 495,13 L: ‚Tama‘ dicitur, cum labore viae sanguis in crura descendit et tumorem facit. Lucilius: Lucretio tribuunt codd.

    inguen ne existat, papulae, tama, ne boa noxit.

    / inguen … Charpin, susp. Soubiran | inguen ne codd. Fest. : inguemus W Fest. : inguem ne V Fest.

    1278 (1194)# Fest. 308,22 L: ‚Querque‚ … (30) Paul. Fest. 309, 4 L: ‚Querqueram‘ frigidam cum tremore, a Graeco κάρκαρα certum est dici, unde et ‚carcer‘. Lucilius:

    – ⏑ ⏑ – iactans me ut febris querquera querquera . . . r Marx (‚videtur supplendum terror.‘)

    1279 (1277) Fest. 308,22 L: ‚Querque‚ … (30) … t alibi: Paul. Fest. 309,5 L.: (v. supra) … et alibi:

    querquera consequitur * capitisque dolores *1280 (1306) Non. 229,1: ‚Torpor‘, generis masculini. Lucilius: Lucretio trib. codd.



    tantus conduxerat omnia torpor.

    Gesicht als Kennzeichen eines Boxers vgl. Suet. gramm. 22,3; Plaut. Cas. 862 f., Anth. Pal. 11,75; Lukian. deor. dial. 25,1. 1276: Zu (wohl unberechtigten) Zweifeln an der Zuweisung des Fr. an Lucilius s. Marx II 420; Charpin III 123 f. zu Fr. 123. Zum Inhalt vgl. Cic. de orat. 3,6 namque tum latus ei dicenti condoluisse sudoremque multum consecutum esse audiebamus; ex quo cum cohorru­ isset, cum febri domum rediit dieque septimo lateris dolore consumptus est. Vgl. auch Cels. 4,13; Iuv. 13,229–231. – Das Fr. würde gut zu dem Brief des Dichters an einen Freund in B. V passen (Marx a. O.; Haß 2007, 177). 1277: inguen: hier wohl ‚Geschwür in der Leistengegend‘, so auch Cels. 3,5,1; vgl. Plin. nat. 28,218 inguina et ex ulcerum causa intumescunt. – noxit = nocuerit. – tama: ein Hapax legomenon, wohl aus dem Luciliustext heraus erklärt (Marx II 378). – bo(v)a: für Paulus (epitome Festi 27,28 L) eine Wasserschlange, aber auch dasselbe wie tama; doch s. Plin. nat. 24,53 boa appellatur morbus papularum cum rubent corpora, vgl. 26,120. – Soubiran hypostasiert bei seiner Ergänzung des Fr., dass Cic. dom. 12 et tu in hoc ulcere tamquam inguen existeres Lucilius imitiert. Charpin, der die Ergänzung in den Text aufnimmt (H 124), verweist (III 293) überdies auf Plin. nat. 23,163 inguen ne intumescat ex ulcere und Fronto (5,95,1 v.d.H.) etiam inguen ex ulcere extitit. – Geht es um Prophylaxe (Charpin), etwa gegen

    Hexameter ohne Buchangabe

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    dann das Seitenstechen, sicherster Bote des Todes. 1277 Festus und Paulus, epitome Festi: Von ‚tama‘ (Geschwulst) spricht man, wenn aufgrund eines anstrengenden Weges das Blut in die Unterschenkel hinabsteigt und ein Ödem bildet. Lucilius:

    damit kein Geschwür in der Schamgegend entsteht, Pusteln, ein Ödem, Krampfadern Beschwerden bereiten.

    1278 Festus: ‚Querquera‘ (kaltes Fieber, Schüttelfrost) … den Lucilius Paulus, epitome Festi: Dass ‘querquera‘, ein kaltes mit Schüttelfrost einhergehendes (Fieber), von griechisch κάρκαρα abgeleitet ist, woher auch ‚carcer‘ (Gefängnis) stammt, ist sicher. Lucilius:

    mich durchschüttelnd wie ein von Schüttelfrost begleitetes Fieber

    1279 Festus: ‚Querquera‘ (kaltes Fieber, Schüttelfrost) … den Lucilius … und an anderer Stelle: Paulus, epitome Festi: (s. o.) … und an anderer Stelle:

    Schüttelfrost folgen … und Kopfschmerzen

    1280 Nonius: ‚Torpor‘ (Starre, Lähmung), ein Maskulinum. Lucilius:

    eine so starke Lähmung hatte alles erstarren lassen. mögliche Folgen des Reitens, oder um Warnungen vor den Folgen der Päderastie? S. Krenkel zu Fr. 1217; Haß 2007, 139. 1278. Zu iactans vgl. Cic. Cat. 1,31 aestu febrique iactatus. – Für querquera in Verbindung mit febris vgl. Gell. 20,1,26 an tu forte morbum appellari hic putas aegrotationem gravem cum febri rapida et quercera? – Die febris querquera dient dem Dichter, der hier von sich selbst sprechen dürfte, nur zum Vergleich (ut!); Marx (II 378) möchte als Subjekt terror ergänzen und zieht dazu den ersten Buchstaben nach der Lücke, ein r, heran. Weil das Fr. durch et alibi von Fr. 1279 getrennt ist und dieses in B. V gehören dürfte, möchte er Fr. 1278 B. III zuweisen, worin ihm jedoch niemand gefolgt ist. 1279: Zu consequitur in der hier vorliegenden Bedeutung vgl. Cic. de orat. 3,6 namque tum latus ei dicenti condoluisse sudoremque multum consecutum esse audiebamus, … Marx (II 403 f.), der auf diese Parallele hinweist, schlägt entsprechend als Füllung der Lücke des Fr. lateris vor. – Schüttelfrost und Kopfschmerzen finden sich auch bei Celsus im Verein (3,10,1): considerandum est etiam febresne solae sint an alia quoque his mala accedant, id est, num caput doleat, num lingua aspera, num praecordia intenta sint. – Wenn dieses Fr. in B. V gehört (in Zusammenhang mit Fr. 189–90; s. Marx II 378), hat Lucilius also in seiner Epistel an einen Freund seine Krankheit beschrieben (Krenkel zu Fr. 1215–16). s. auch Haß 2007, 176.

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    Incertae sedis hexametri

    1281 (1244) Explan. in Don. GL 4,542,12: ‚Sal‘ masculini generis est. Lucilius: Prob. GL 4,209,11: et ideo ‚sales‘ masculini generis est, ut apud Lucilium:



    ore salem expiravit amarum.

    expiravit Columna : expiavit codd., Explan., Prob.

    1282 (1124) Porph. Hor. sat. 1,10,30: ‚Canusini more bilinguis‘] Bilinguis dixit, quoniam utraque lingua usi sunt, sicut per omnem tractum Italiae, quoniam ex maiore parte Graeci ibi incoluerunt, ex quo Magnae Graeciae nomen accepit. ideo ergo et Ennius et Lucilius Bruttace bilingui dixerunt.



    Bruttace bilingui

    1283 (1125)# Porph. Hor. sat. 1,6,68: ‚Si neque avaritiam neque sordes aut mala lustra obiciet quisquam vere mihi‘] Lustra non ferarum cubilia tantum, sed et popinae dicuntur. nam et Plautus … . mala lustra autem perpetuo epitheto dixit; nec enim sunt bona, ut ad discretionem eorum mala dixerit. Sic dicit Plautus Athenis Atticis et Lucilius

    Campana Capua 1284 (1131) Serv. georg. 2,98: ‚Rex ipse Phanaeus‘] De Lucilio hoc tractum est, qui ait – fr. –, id est οἶνος. Χῖός τε δυνάστης sic edd. : exiocte (vel. sim.) ΑΥΝΑΣΤΗΣ P

    *1285 (1150) Paul. Fest. 4,11 L: ‚Albesia‘ scuta dicebantur, quibus Albenses qui sunt Marsi generis usi sunt. Haec eadem ‚decumana‘ vocabantur, quod essent amplissima, ut [v. fr. 1289] Lucilio trib. Mueller



    decumana Albesia scuta

    1280: Lachmann dachte in seinem Lukrez-Kommentar (Berlin 41884, 399) an eine Lücke im Text des Lukrez, in die dieses Fr. gehöre. Für Lucilius spricht aber, dass von den älteren Dichtern nur er das Wort torpor benutzt. Die Namen der beiden Dichter werden nicht selten verwechselt (Marx II 415). 1281: Eine Übersetzung von Hom. Od. 5,322 στόματος δ’ ἐξέπτυσεν ἄλμην πικρήν. 1282: Die Worte stehen im abl. sing. – L. Mueller weist sie B. III zu. Zur Zweisprachigkeit der Bruttier s. Cichorius 23 f. 1283: Die Worte stehen wahrscheinlich im abl. originis. Sie werden von J. Dousa, Lachmann und anderen B. III zugewiesen.

    Hexameter ohne Buchangabe

    493

    1281 Kommentar zu Donatus: ‚Sal‘ (Salz, Meerwasser) ist ein Maskulinum. Probus: Und deshalb ist ‚sales‘ (Salzkörner) ein Maskulinum, wie bei Lucilius:

    aus dem Munde spie er die bittere Salzflut.

    Orte, Tiere, Gegenstände 1282 Porphyrio: ‚die Canusiner mit ihrem Kauderwelsch‘] ‚Bilinguis‘ (zwei Sprachen sprechend) sagte er, weil sie zwei Sprachen benutzten, wie über den ganzen Landstrich Italiens hin, weil dort in der Mehrzahl Griechen wohnten, woher er den Namen ‚Magna Graecia‘ erhielt. Deshalb also sagten sowohl Ennius als auch Lucilius:

    der zweisprachige Bruttier

    1283 Porphyrio: ‚Wenn weder Habsucht noch Geiz oder liederliche Lebensart mir jemand begründet vorwerfen kann‘] ‚Lustra‘ (Wildlager; Bordell) heißen nicht nur Wildlager, sondern auch Kneipen. Denn auch Plautus … . Mala lustra (üble Kneipen) aber hat er mit stehendem Beiwort gebraucht; denn es gibt keine guten, dass er zu ihrer Unterscheidung mala hätte sagen müssen. So formuliert Plautus Athenis Atticis (im attischen Athen), und Lucilius

    vom kampanischen Capua

    1284 Servius: ‚Der König selbst von Phanae‘] Das ist aus Lucilius entnommen, der sagt – Fr. –, das heißt ‚Wein‘.

    und der Herrscher Chios

    1285 Paulus, epitome Festi: ‚Albesia‘ (Albesisch) wurden die Schilde genannt, die die Bewohner von Alba (Fucens) – sie gehören zu den Marsern – benutzten. Diese Schilde wurden auch ‚decumana‘ (riesengroß) genannt, weil sie äußerst ausladend waren, wie [v. Fr. 1289].

    riesige albesische Schilde

    1284: Lucilius hat seinerseits wohl den Dichter Archestratos zitiert (Marx zum Fr. sowie II 359). – Der Wein von Phanae (h. Kap Mastio) an der Südspitze von Chios war berühmt; s. Plaut. Curc. 78 f., Poen. 699 f.; Hor. sat. 2,8,15, epod. 9,34; Hermippos CAF 1,249, 82 K.; vgl. Krenkel zu Fr. 1147 (mit Literatur). – Fiske (1920, 410) will das Fr. B. XX (cena des Granius) zuweisen, was Winkelsen (2012, 318) mit Recht anzweifelt. 1285: Die Zuweisung dieses wie auch des Fr. 1307 an Lucilius durch L. Mueller stützt sich darauf, dass nur Lucilius das Wort decumanus, das vermutlich aus dem sermo castrensis stammt, gebraucht; s. Marx II 365 zu Fr. 1152. – Alba Fucens = h. Fucentia, östlich von Rom gelegen. Die Stadt war bekannt für die Fabrikation von Schilden. S. Marx II 364; Charpin III 295 zu Fr. 133. – Das Fr. könnte, zusammen mit Fr. 1321, zu B. IV gehören; s. Marx II 364.

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    Incertae sedis hexametri

    1286 (1291) Porph. Hor. sat. 1,7,1 ‚claram Rhodon‘: propterea claram quod sit soli obposita, dicit. De qua et Lucilius sic ait:

    Carpathium Rhodus in pelagus se inclinat apertum.

    Carpathium Rhodus edd. : rhodus carpatium codd. : Rhodus Carpathium Marx

    1287 (1211) Don. Ter. Hec. 440 ‚(Myconius) magnus, rubicundus, crispus‘] Imperite Terentium Myconium crispum dixisse aiunt, cum Apollodorus calvum dixerit, quod proprium Myconiis est, ut Lucilius:



    Myconi calva omnis iuventus.

    1288 (1301) Don. Ter. Andr. 699: ‚Si poterit fieri ut ne pater per me stetisse credat, quo minus haec fierent nuptiae, volo‘] ‚Stetisse‘: hoc est ‚esse … aliter ‚plenum est‘ … aliter ‚horrent‘, ut … Lucilius:



    stat sentibus fundus

    1289 (1152)# Sch. Lucan. 5,672: ‚decimus … fluctus‘] ‚Decimus‘, hucusque numerus crescit. … ‚decimus‘ ergo magnus, ut Lucilius: Paul. Fest. 4,11 L: (v. fr. 1285). Paul. Fest. 62,27 L: ‚Decumana ova‘ [v. fr. 1307] dicuntur et ‚decumani fluctus‘ [v. fr.], quia sunt magna. Nam et ovum decimum maius nascitur et fluctus decimus fieri maximus dicitur. CGL 5,16,19: ‚Decumano‘, maximo, a fluctu decimo. CGL 5,566,49 ‚Decumanum‘ ovum et fluctus dicimus, quia semper decimum ovum et decima unda maior est.



    decumanis fluctibus – x

    1290 (1303) Fest. 346, 3 L: ‚Re‚ … Lucilius: Paul. Fest. 347,1 L: ‚Remillum‘ dicitur quasi repandum.

    1286: Meine freie Übersetzung lehnt sich an die Charpins an (Fr. 134, s. auch Erl. III 295); vgl. B. XIV Fr.468 Carpathium mare transvectus cenabis Rhodi (und Erläuterungen). – pela­ gus … apertum: vgl. Ov. met. 8,165 et nunc ad fontes, nunc ad mare versus apertum; s. auch 11,397. 4,527. – se inclinat: vgl. Stat. silv. 5,4,6 terris maria inclinata quiescunt. 1287: Vgl. Plin. nat. 11,130 quippe Myconii carentes eo (sc. capillo) gignuntur; Strab. 10,5,9. – Für Cichorius (51) ist das Fr. eines der Indizien für einen Griechenlandaufenthalt des Dichters.

    Hexameter ohne Buchangabe

    495

    1286 Porphyrio: ‚das helle Rhodos‘: deshalb nennt er es ‚hell‘, weil es der (im Süden scheinenden) Sonne gegenüberliegt. Über die Insel sagt auch Lucilius Folgendes:

    Rhodos öffnet sich gegenüber der offenen See zum Karpathischen Meer hin.

    1287 Donatus: ‚(der Myconier) groß, rot, kraushaarig‘] Man sagt, Terenz habe den Myconier in Unkenntnis kraushaarig genannt; denn Apollodorus nannte ihn kahl, weil Kahlheit eine Eigentümlichkeit der Myconier ist, wie Lucilius (sagt):

    In Mykonos sind alle jungen Männer kahlköpfig.

    1288 Donatus: ‚Wenn eben möglich, möchte ich, dass mein Vater nicht glaubt, es sei durch mich dahin gekommen, dass diese Hochzeit nicht stattfindet‘]‚Stetisse‘ (gestanden haben): Das meint ‚sein‘ …, sonst ‚voll sein‘ …, sonst ‚starren‘, wie … Lucilius:

    es starrt von Dornen das Grundstück

    1289 Scholiast: ‚eine große Flut‘] ‚Decimus‘ (der zehnte), bis dahin wächst die Zahl. … ‚decimus‘ meint also ‚groß‘, wie Lucilius: Paulus, epitome Festi 4: (s. Text zu Fr. 1285). Paulus, epitome Festi 62: Man spricht von ‚decumana ova‘ (großen Eiern) und ‚decumani fluctus‘ (großen Fluten), weil sie groß sind. Denn sowohl das zehnte Ei gerät größer als auch die zehnte Flutwelle wird angeblich die größte. Corpus Glossariorum 5,16: ‚Decumanus‘, ‚der größte‘, von der zehnten Flutwelle. Corpus Glossariorum 5,566: ‚Decumanum‘ (groß) nennen wir ein Ei und eine Flutwelle, weil jeweils das zehnte Ei und die zehnte Flutwelle größer sind.

    mit riesigen Flutwellen

    1290 Festus: ‚Remillum‘ … Lucilius: Paulus, epitome Festi: ‚Remillum‘ heißt so viel wie ‚repandum‘ (rückwärts-, aufwärts gebogen). 1288: Vgl. B. V Fr. 213 interea stat sentibus pectus. vgl. auch Caecilius CRF 219 R ager autem stet sentibus; Titinius CRF 144 R fundi stabunt sentibus. – Krenkel (zu Fr. 1317, mit ihm Haß 2007, 12050) vermutet einen Zusammenhang mit B. XXX Fr. 1050. 1289: Vgl. Erl. zu Fr. 1285. – „Die gleiche falsche Meinung begegnet auch bei Ov. trist. 1,2,49: Qui venit hic fluctus, fluctus supereminet omnes: / Posterior nono est undecimoque prior; met. 11,530“ (Krenkel zu Fr. 1169). S. auch Charpin III 295 f. zu Fr. 137. 1290: Marx (II 414) wie Krenkel (zu Fr. 319) berufen sich auf Fr. 825–26 ventorum flami­ na … suda, wo suda ebenfalls ein Attribut des Windes ist. Auf den Delphin bezieht Marx

    496

    Incertae sedis hexametri

    suda …………………………………………remillum suda Marx : suda Krenkel | remillum codd. : remilium F Paul.

    1291 (1308) Varro ling. 5,23:… et dicitur humilior, qui ad humum demissior, infimus humillimus, quod in mundo infima humus. humor hinc. itaque ideo Lucilius:

    terra abi[i]t in nimbos imbremque. abit A. Augustinus : abiit cod. | imbremque cod. : humoremque Kent TAPhA 67 (1936) 67

    1292 (1309) Non. 546,15: ‚Carchesia‘, genera poculorum. … Alias summa pars mali, id est foramina quae summo mali funes recipiunt. Lucilius:

    tertius hic mali superat carchesia summa. hic G L1 CA DA : hinc AA | mali G L1 CA DA : malis AA

    1293 (1293) Non. 223,27: ‚Sibilum‘ neutro … . Masculino … Lucilius:

    saxa et stridor ubi atque rudentum sibilus instat

    rudentum Ribbeck : erunt dum codd. : ierunt tum Lipsius : ruentum vel furentum Mueller : furentum Marx | instat Lipsius : institis codd. : isti Marx (antecedente virgula)

    1294 –95 (1113–14) Non. 536,5: ‚Anquinae‘, vincla quibus antemnae tenentur. Lucilius:

    ‚armamenta tamen, malum, vela, omnia servo: funis enim praecisus cito atque anquina soluta.‘ vela Iunius : vel codd. : velum Mueller | anquina Iunius : anchora codd. remillum (nur hier bei Lucilius) = repandum, vgl. Fr. 223, wo sich repandum allerdings mit der Schnauze des Delphins verbindet. Krenkel andererseits fühlt sich durch Warmington inspiriert, der das Fr. mit Fr. 1292 zusammenstellt und beide vor Fr. 575 in B. XX ansiedelt, was dann „in den Vergleich zwischen Leben, Dichtung und einem Schiff“ passe (Krenkel a. O., mit Hinweis u. a. auf Prop. 2,26a). Diese Kombination setzt eine bestimmte Deutung von Fr. 575 voraus. Sein Ergänzungsvorschlag des hier behandelten Fragments kann aber unabhängig davon in die richtige Richtung weisen. 1291: „Agitur potius de tempestate subito coorta qua terra commutata esse videretur in nimbos et imbrem“ (Marx II 417). – Zu abire vgl. Ov. met. 1,236 in villos abeunt vestes, in crura lacerti. S. auch Charpin III 296 zu Fr. 139. – Vermutungen zum Kontext mit jeweils unterstützenden Vergleichsstellen bei Krenkel zu Fr. 1324 (vor Fr. 47–50 in B. I?) und Charpin a. O. (ein Schiff in Seenot).

    Hexameter ohne Buchangabe

    497

    (und) eine heitere Brise streichelt den sich hochbiegenden Rücken des Del­phins (? Vorschlag Marx) (und) eine heitere Brise füllt des Schiffes Segel, das gebläht (? Vorschlag Krenkel) 1291 Varro: … und man nennt ‚humilior‘ (niedriger) einen, der mehr zum Boden geneigt ist, den untersten nennt man ‚humillimus‘ (den niedrigsten), weil im Kosmos ‚humus‘ (Erde, Boden) das unterste ist. Daher kommt ‚humor‘ (Feuchtigkeit). Das ist der Grund, warum Lucilius (schreibt):

    die Erde verdampft zu Wolken und Regen.

    1292 Nonius: ‚Carchesia‘ (hohes Trinkgeschirr), eine Art von Bechern. … Ein anderes Mal der höchste Teil des Mastbaums (= der Topp), d. h. die Bohrungen, die an der Spitze des Mastbaums die Taue aufnehmen.

    diese dritte (Woge) überspült den Topp des Mastes.

    1293 Nonius: ‚Sibilum‘ (Sausen, Zischen) als Neutrum … Als Maskulinum … Lucilius:

    als Klippen und (Sturmes)brausen sowie das Knarren der Takelage drohten,

    oder, mit der Konjektur furentum:

    als Steine und Pfiffe sowie das Zischen der wütenden Menge drohten,

    1294–95 Nonius: ‚Anquinae‘ (Ring oder Schlinge von Tauwerk), Schlingen, mit denen die Rahen gehalten werden.

    „Das Takelwerk jedoch, den Mastbaum, die Segel, alles rette ich; denn schnell ist das Tau gekappt und die Schlinge (der Rahe) gelöst.“

    1292: Zu carchesia vgl. Serv. auct. Aen. 5,77: carchesia … dicitur autem et summitas mali per quam funes traiciunt. Zur wahrscheinlichen Situation vgl. Lucan. 5,418 hic (sc. Aquilo) utinam summi curvet carchesia mali. 1293: Die Textherstellung ist unsicher. Sie führt entweder zu dem Bild eines heraufziehenden Sturmes und eines Schiffes in Seenot – so Charpin III 297 zu Fr. 141, mit Verweis auf Pacuv. TRF 336 R. Strepitus fremitus, clamor tonitruum et rudentum sibilus; Verg. Aen. 1,87 stridorque rudentum; s. auch ecl. 5,82 f. – oder zu einer metaphorischen Darstellung des Volkszornes, der sich gegen einen Redner richtet. Marx (II 409) denkt dabei an Scipio (vgl. Vell. 2,4,4; Vir. ill. 58,8; Plut. reg. et imp. apophth. 201 E–F); ihm schließt sich Krenkel (zu Fr. 1309) an, mit Verweis auch auf Cic. fam. 8,2,1, wo dieser das Pacuvius-Zitat (s. o.) auf einen Auftritt des Hortensius bezieht. 1294–95: Marx (II 353 f.) erklärt ausführlich die Maßnahmen, von denen hier ein vom Sturm überraschter Kapitän erzählt. Das könnte gut zu den Gesprächen anlässlich einer cena in B. XX passen (und zwar im gleichen Kontext mit Fr. 575), wie schon Warmington sah; s. Fr.

    498

    Incertae sedis hexametri

    1296 (1218) Non. 72,7: ‚Algu‘ pro algore. … Lucilius:

    nautam algu atque nigrore maius

    nautam Iunius : nantam BA L CA DAF1 E : natam G1 : non tam H1 : † nantam Marx, qui coni. noctem algu atque nigrore malam : coni. Krenkel

    1297 (1109)# Fest. 412,1 L: , gravis, tar Paul. Fest. 413,1 L: ‚Stlembus‘, gravis, tardus, sicut Lucilius pedibus stlembum dixit equum pigrum et tardum.

    Apulidae ped

    corr. edd. in lacunis cod. Fest.

    1298 (1278) Apul. flor. 21: Hisce igitur moramentis omnibus qui volunt devitare †ac vectorem sibimet equum deligunt diutinae fortitudinis, vivacis pernicitatis, id est et ferre validum et ire rapidum – fr. –, ut ait Lucilius.

    qui campos collesque gradu perlabitur uno.

    1299 (1347) Fest. 228,1 L: ‚Petimina‘ in umeris iumentorum ulcera, et vulgus appellat et Lucilius meminit cum ait:

    ut petimen naso aut lumbos cervicibus tangat.

    petimen codd. : petiminum X

    1300 (1246) Fest. 386,27 L: ‚Solox‘, lana crassa et pecus, quod passim pascitur non tectum. … Lucilius: Paul. Fest. 387,8 L: ‚Solox‘, lana crassa vel pecus lana contextum. … Lucilius:

    pascali pecore ac montano, hirto atque soloce

    pascali A. Augustinus : pastali codd. Fest. Paul. | hirto codd. E P Paul. : hyrto L Paul. : hirco M Paul. 617–8 W. – S. auch Haß 2007, 158, skeptisch Winkelsen 2012, 300. – Anders wies C. E. Varges (Lucilii Satirarum. 1836, 11) das Fr. B. III zu. 1296: Das Fr. ist kaum überzeugend zu heilen. Teilt man Charpins konservative Haltung (III 297 zu Fr. 143), so wird man sich mit der Konjektur nautam begnügen. Eine kühne, aber kaum beweisbare Ergänzung des Textes bietet Krenkel (Fr. 1241–42: nautam algu atque nigrore / maius ); ihm folgt Haß 2007, 158 f. 1297: stlembus: nur bei Lucilius bezeugt. Die negative Charakterisierung durch den Pferdekenner Lucilius (hierzu Haß 2007, 135) wurde nicht von jedem geteilt; vgl. Hor. sat. 1,6,58 f. zusammen mit Porph. ad loc.; zur Vertrautheit des Dichters mit Apulien s. Cichorius 26 f. – L. Mueller vermutet B. III, Warmington (s. Fr. 154) B. IV als Ursprungsort.

    Hexameter ohne Buchangabe

    499

    1296 Nonius: ‚algu‘ (durch Kälte), statt ‚algore‘. … Lucilius

    den Seemann (traf?) ein größeres (Ungemach?) als Kälte und schwarze Nacht

    1297 Festus: (schwerfällig, langsam), ‚schwer‘, ‚zögernd‘ … Paulus, epitome Festi: ‚Stlembus‘, ‚schwer‘, ‚zögernd‘, so wie Lucilius ‚pedibus stlembus‘ ein träge und schwerfällig gehendes Pferd nannte.

    Pferde aus Apulien mit schwerfälligem Schritt

    1298 Apuleius: Angesichts all dieser Verzögerungen, wer sie vermeiden will, † wählt sich ein Reitpferd von ausdauernder Kraft (und) lebhafter Schnelligkeit, das heißt kräftig, um zu tragen, und flott im Traben, – Fr. – wie Lucilius sagt.

    das Felder und Hügel in zügigem Trab durchmisst.

    1299 Festus: ‚Petimina‘ sind Geschwüre an den Bügen der Zugtiere; die Leute nennen es so und Lucilius erwähnt sie, wenn er sagt:

    sodass er auf das Geschwür am Bug mit der Nase oder auf die Kruppe mit dem Nacken aufkommt.

    1300 Festus: ‚Solox‘ (filzig), dichte Wolle und eine Schafherde, die weithin unter freiem Himmel weidet. Paulus, epitome Festi: ‚Solox‘ (filzig), dichte Wolle oder auch eine mit Wolle bedeckte Herde.

    durch eine in den Bergen weidende Schafherde mit struppiger Wolle

    1298: Das Fr. passt gut zu Fr. 475 in B. XIV (so zuerst Colvius, zustimmend Marx II 404). – Von Pferden spricht der Dichter mit offenkundigem Sachverstand vor allem auch in B. VIII, den Versen 315 – 318 und in B. XV, den Versen 501–508. – S. auch Charpin III 297 f. zu den Fragmenten 144–146; Haß 2007, 136. 1299: Es handelt sich wohl kaum um ein Pferd, dass die Standards eines gut gebauten Pferdes (vgl. Hor. sat. 1,2,89) nicht erfüllt – so Marx II 429 f.; Terzaghi 1934/1970, 365 –, sondern um einen Reiter, dessen Pferd ihn abzuwerfen sucht; so Warmington Fr. 152; Krenkel zu Fr. 1362; Charpin III 298 f. zu Fr. 147, Haß 2007, 136. 1300: Also eine Schafherde, die nicht in Stallungen untergebracht wird. Colum. 7,2,6 unterscheidet zwei Arten der Schafe als Lieferanten von Wolle: duo genera sunt ovilli pecoris, molle et hirsutum; s. Marx II 395 f.; Charpin III 299 zu Fr. 148.

    500

    Incertae sedis hexametri

    1301 (1126)# Non. 120,13: ‚Hippocampi‘, equi marini, a flexu caudarum, quae piscosae sunt: et est Graecum. … Lucilius transverso ordine posuit:



    camphippi, elephantocamelos

    camphippi, elephantocamel(l)os Marx : hippocampi elefanto camillos codd. : camphipp­ elephantocamelos J. Dousa

    1302 (1188) Explan. in Don. GL 4,542,30: item ‚sero fruges‘ praeteritum tempus perfectum facit ‚sevi‘, ut Lucilius:

    – hic sunt herbae, quas sevit Iupiter ipse

    hic Soubiran, Charpin : hic codd. | herbae codd. : herbae * quas Marx (coni. inquam)

    1303 (1196)# Non. 212,2: ‚Lympha‘, aqua, genere feminino, ut saepe. Masculino Lucilius

    inpermixtum lymphorem lymphorem edd. : limforem BA AA DA : limporem L1, Marx

    1304. 1305–6 (1198)# Caper GL 7,98,2: ‚Lactens‘, lacte abundans, ut

    lactentes ficos

    lactentes ficos C1 : lactentes ficus M : lacteas ficus C2 : lactenteas ficus B

    Lucilius dicit

    – cum melle bibi.

    lactentia coagula – x

    sic scand. Soubiran, Charpin

    *1307 (1151)# Paul. Fest. 62,27 L: ‚Decumana ova‘ dicuntur et ‚decumani fluctus‘ et [v. fr. 1289], quia sunt magna. Nam et ovum decimum maius nascitur et fluctus decimus fieri maximus dicitur. 1301: camphippi statt hippocampi aus metrischen Gründen. – elephantocamel(l)os: vermutlich ein Fabelwesen, das nur noch einmal im Cyrano de Bergerac (1,4) des Edmond Ro­stand (1897) auftaucht; s. Marx II 357. Vgl. die Wortbildung camelopardalis (Giraffe); weitere vergleichbare Wortbildungen bei Krenkel zu Fr. 1141. 1302: Soubirans Lösung, einen Ausfall am Anfang des Verses anzunehmen, verdient den Vorzug, weil sie ohne Lücke im überlieferten Textfluss auskommt; Möglichkeiten für die Füllung des Versanfangs bei Charpin III 299 zu Fr. 150. – R. Bouterwek (RhM 21 [1866] 360) stellte das Fr. zu der cena rustica in B. V, nahe Fr. 200 und 201; zustimmend Marx II 375, Cichorius 269 u. a. – Zur Nennung Juppiters vgl. Iuv. 14, 205–207 illa tuo sententia semper in ore / versetur dis atque ipso Iove digna poeta: / unde habeas quaerit nemo, sed oportet habere.‘

    Hexameter ohne Buchangabe

    501

    1301 Nonius: ‚Hippocampi‘, ‚Seepferdchen‘, nach der Biegung ihrer Schwänze, die fischartig sind. Und zwar ist das griechisch. … Lucilius hat (die Wortzusammensetzung) umgestellt:

    Seepferdchen, ein Elephantkamel

    1302 Kommentar zu Donat: Ebenso ‚sero fruges‘ (ich säe Gereide) bildet das Perfekt ‚sevi‘ (habe gesät), wie Lucilius:

    Hier gibt es Kräuter, die Juppiter persönlich gesät hat.

    1303 Nonius: ‚Lympha‘, ‚Wasser, Nass‘, femininen Geschlechts, wie häufig: Im Maskulinum setzt es Lucilius:

    unvermischtes Nass

    1304. 1305–6 Caper: ‚Lactens‘ (eigl.: Milch saugend), ‚Milch in Überfluss habend‘, wie

    milchige Feigen ..

    Lucilius sagt

    Dickmilch mit Honig … habe ich getrunken.

    1307 Paulus, epitome Festi 62: Man spricht von ‚decumana ova‘ (großen Eiern) und ‚decumani fluctus‘ (großen Fluten), weil sie groß sind. Denn sowohl das zehnte Ei gerät größer als auch die zehnte Flut wird angeblich die größte.

    1303: ‚unvermischtes Nass‘: also reines Wasser. – Natürlich ist ein Substantiv auf –or ein Maskulinum. S. zu limpor → lymphor = lympha Charpin III 299 zu Fr. 151. 1304.1305–6: Während Marx nur die ersten beiden Worte in den Text aufnahm und das Weitere im Kommentar (II 379) dokumenierte, sehen Krenkel (Fr. 1220–21) und Charpin (H 152,1. 152,2) auch die folgenden Worte als Lucilius-Zitat an. Krenkel bringt sie in einem Vers unter, Charpin (III 300 zu Fr. 152) teilt sie aus metrischen Gründen in zwei Verse auf. – Zur Dickmilch vgl. Ov. fast. 4,545 f. mox epulas ponunt, liquefacta coagula lacte / pomaque et in ceris aurea mella suis. 1307: S. zu Fr. 1289.

    502

    Incertae sedis hexametri

    decumana ova – ⏑ ⏑ – x 1308 (1146)# Paul. Fest. 46,12 L: ‚Crucium‘, quod cruciat. unde Lucilius vinum insuave ‚crucium‘ dixit.

    – vinum crucium

    1309 (1270) Cledon. GL 5,40,20: ‚Pampinus‘ et ‚dies‘ generis sunt communis. … ‚haec pampinus‘ Lucilius:

    purpureamque uvam facit albam pampinum habere.

    1310 (1341) Char. GL 1,83,15: Item ‚caprina‘ et ‚apruna‘, cur dissimiliter derivetur quaeri solet. quibus respondebimus utrumque per ‚i‘ proferri debere, sed in alio usum ‚u‘ litteram celebrasse, quamvis Lucilius – fr.–, non ‚aprugnum‘ dixerit.



    viscus aprinum

    viscus C : discus N | aprinum C : aprinum non aprugnum J. Dousa

    1311 (1106) Serv. georg. 1,129: Non numquam pro fetore ponitur ‚virus‘, ut apud Lucilium:

    – ⏑ ⏑ – ⏑ ⏑ – – anseris herbilis virus

    Cf. Paul. Fest. 89,20 L: Herbilis anser herba pastus, qui gracilior est quam frumento altus. 1312 (1170) Char. GL 1,98,11 et Beda GL 7,264,34: ‚Acceptor‘ quoque et ‚accipiter‘. Vergilius enim ‚accipiter‘ dicit, Lucilius autem:



    exta acceptoris et unguis

    1308: Eine Wortbildung des Lucilius, abgeleitet von crux oder cruciare; s. Cichorius 2181. – Ein ähnlicher Scherz bei Plin. nat. 14,12; s. Krenkel zu Fr. 1163; Charpin III 301 zu Fr. 155. 1309. Von weißen Weinranken im Winter spricht Ov. ars 3,703 f.: palluit, ut serae lectis de vite racemis / pallescunt frondes, quas nova laesti hiemps – worauf Charpin (III 301 zu Fr. 156) hinweist. Doch da sind die Trauben schon geerntet. Deshalb wird Marx (II 402) recht haben: „De autumno agi videtur qui distinguit lividos racemos purpureo varius colore auctore Horatio carm. II 5,10.“ 1310: viscus: hier in der Bedeutung ‚Fleisch‘, wie auch in Fr. 463–64. Charpin (III 301) steuert die Information bei, dass man in vorciceronischer Zeit vom Wildschwein nur die Schwarte aß, s. Plin. nat. 8,210 solidum aprum Romanorum primus in epulis adposuit P. Ser­ vilius, pater eius Rulli, qui Ciceronis consulatu legem agrariam promulgavit: tam propinqua origo nunc cotidianae rei est.

    Hexameter ohne Buchangabe

    503

    Eier der Größe XL 1308 Paulus, epitome Festi: ‚Crucium‘ (marternd), was martert. Daher nannte Lucilius einen sauren Wein:

    ein Krätzer

    1309 Cledonius: ‚Pampinus‘ (Weinranke) und ‚dies‘ (Tag; Frist) sind sowohl maskulinen als auch femininen Geschlechts. Lucilius:

    … und sorgt dafür, dass die weiße Ranke purpurne Trauben trägt.

    1310 Charisius: Ebenso fragt man immer wieder, warum ‚caprina‘ (zu den Ziegen gehörig, Ziegen-) und ‚apruna‘ (Wildschwein-) auf verschiedene Weise abgeleitet werden. Ihnen werden wir antworten: beide Wörter müssten (genaugenommen) mit ‚i‘ gebildet werden, aber in dem einen Falle hat der Sprachgebrauch den Buchstaben ‚u‘ favorisiert; allerdings sagte Lucilius – Fr. –, nicht ‚aprugnum‘.

    Fleisch vom Wildschwein

    1311 Servius: Manchmal wird für f(o)etor (Gestank) ‚virus‘ (Schleim) gesetzt, wie bei Lucilius:

    der ekle Geruch einer mit Gras gefütterten Gans

    Vgl. Paulus, epitome Festi: ‚herbilis anser‘ eine mit Gras gefütterte Gans, die magerer ist als eine mit Getreide gemästete. 1312 Charisius und Beda: Auch ‚acceptor‘ und ‚accipiter‘ (Stoßvogel: Habicht, Sperber, Falke). Vergil nämlich sagt ‚accipiter‘, Lucilius dagegen:

    die Innereien des Habichts und seine Krallen

    1311: „Agitur de sapore anseris taetro, quem scite vituperat homo mundus nescioquis …“ (Marx II 351). Cichorius (297 f.) fühlt sich dadurch an Fr. 330–31 in B. IX erinnert (s. auch Fiske 1920/1971, 382). Anders stellte L. Mueller das Fr. zur cena rustica in B. V (s. auch Haß 2007, 145213). L. R. Shero (CPh 18 [1923] 130) zieht B. XIV vor (s. dort bes. Fr. 463–64). 1312: Die Deutungen dieses Bruchstücks gehen weit auseinander. Marx (II 370), führt aus, dass zu den exta Herz, Leber, Lunge und Gallenblase gehören. Lucilius erzähle hier, dass ein Raubvogel, der einen Habicht getötet habe, ihn auffresse bis auf die Krallen und die durch die Galle bitteren Innereien. Warmington (Fr. 1254, n. a) und Krenkel (zu Fr. 1190) vermuten dagegen einen obskuren Zauber- oder Heiltrank. Charpin (III 301 zu Fr. 158) verweist auf Plin. nat. 10,139 f., wonach die Römer pflanzlich ernährtes Geflügel nicht geschätzt, sondern mit Korn und Gekochtem gemästetes Geflügel vorgezogen hätten. Aber trifft das auf Habicht und Sperber zu?

    504

    Incertae sedis hexametri

    1313–14 (1201–2) Gell. 20,8,3 f.: Ibi tum cenantibus nobis magnus ostrearum numerus Roma missus est. Quae cum adpositae fuissent et multae quidem, sed inuberes macriusculaeque essent, ‚luna‘ inquit Annianus ‚nunc videlicet senescit; ea re ostrea quoque, sicuti quaedam alia, tenuis exuctaque est.‘ Cum quaereremus, quae alia item senescente luna tabescerent, ‚nonne Lucilium‘ inquit ‚nostrum meministis dicere – fr. –?‘

    luna alit ostrea et implet echinos, muribus fibras et iecur addit luna codd. : lina Z | et implet Ald. : implet et Z X N, implet Q | iecur Keller Zeitschr. f. d. Öst. Gymn. 30 (1879) 23 f. : pecu Z N, peccu Q

    1315 (1252)# CGL 5,234,1: ‚Pistris‘, belua maris; Luci
  • us – fr. – dixit pluraliter.

    pistrices 1316 (1276) Fest. 430,26 L: ‚Sargus‘, piscis genus, qui in Aegyptio mari fere nascitur. Lucilius: Cf. Paul. Fest. 431,2 L: ‚Sargus‘, piscis genus in mari Aegyptio.

    quem praeclarus helops, quem Aegypto sargus movebit 1317 (1304) Varro ling. 7,47: Apud Lucilium [fr. 926] et [fr. 54] et – fr. – piscium nomina sunt eorumque in Graecia origo. Cf. Paul. Fest. 19,22 L: ‚Amian‘, genus piscis.

    sumere te atque amian

    1313–14: mus: hier wohl „mus marinus, eine Art Seefisch oder Schaltier, Plin. 9,71)“ (Geor­ ges, L-D Hwb, s. v.). Für die Muschel spricht Aug. civ. 5,6 lunaribus incrementis atque detri­ mentis augeri et minui quaedam genera rerum, sicut echinos et conchas. – Zum angeblichen Einfluss des Mondes s. ferner Cic. div. 2,33; Plin. nat. 2,221. 11,196. Weitere Belege bei Marx II 381; Krenkel zu Fr. 1224–25; Charpin III 302 zu Fr. 160. – Das Fr. stammt vielleicht aus einer Satire über eine cena (B. XX ?), s. Fr. 1184–86 und Erl. dazu; vgl. Haß 2007, 151. 1315: Mehrere Belege für das Wort sammelte Krenkel (zu Fr 1270); Charpin (III 302 zu Fr. 161) vermutet, dass nicht der Wal, sondern ein Meerungeheuer gemeint ist. 1316: Aegypto: abl. orig. bei einem Substantiv wie Syracusis in Fr. 441. – movebit: „cui salivam movebit“ (Marx II 403); vgl. Hor. epod. 2,49–60. – Andere Erwähnungen des Störs oder des Brachsen bei Krenkel (zu Fr. 1294); Kulturgeschichliches bei Charpin (III 302 f. zu

    Hexameter ohne Buchangabe

    505

    1313–14 Gellius: Damals, als wir dort speisten, wurde eine große Zahl Austern aus Rom geschickt. Als sie – viel zwar, aber nicht ausgewachsen und recht mager – aufgetischt waren, sagte Annianus: „Natürlich, jetzt nimmt der Mond ab; aus diesem Grunde ist auch die Auster, so wie manches andere, dünn und saftlos.“ Als wir fragten, was denn sonst noch gleichermaßen bei abnehmendem Mond hinschwinde, entgegnete er: „Fällt euch da nicht ein, dass unser Lucilius sagt: – Fr. – ?“

    Der Mond nährt die Austern und füllt die Seeigel, den Muscheln gibt er Fasern und Leber.

    1315 Corpus Glossariorum: ‚Pistris‘ (Wal, Sägefisch, Hai), ein im Meer lebendes Tier. Lucilius hat es im Plural gebraucht.

    Wale

    1316 Festus: ‚Sargus‘ (Brachsen), eine Fischart, die überwiegend im Ägyptischen Meer lebt. Lucilius: Vgl. Paulus, epitome Festi: ‚Sargus‘ (Brachsen), eine Fischart im Ägyptischen Meer.

    (ein Mensch,) dem der brühmte Sterlet, dem aus Ägypten der Brachsen das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt.

    1317 Varro: Bei Lucilius … und … und – Fr. – begegnen Namen von Fischen, und zwar liegt ihr Ursprung in Griechenland. Vgl. Paulus, epitome Festi: ‚Amian‘ (Thunfisch), eine Fischart.

    dass du (den hier) nimmst und einen Thunfisch

    Fr. 162). – Für Olshausen (2001, 174) zählt das Fr. zu denjenigen, die Zweifel an einer allzeit asketischen Einstellung des Dichters wecken. Aber wie will man das ohne Kontext wissen? S. dazu und zu denkbaren Zusammenhängen mit anderen Fragmenten (B. I Fr. 26–27? ) auch Haß 2007, 149 und Winkelsen 2012, 149. Ein Bezug auf die Hedyphagetica des Ennius ist wahrscheinlich (Haß und Winkelsen a. O.). 1317: amian: griech. ἀμία, hier mit griech. Akkusativendung. – „Suppleas veluti ‚licet coracinum sumere te atque amian stomachus si firmus“ (Marx II 415). – Vom Thunfisch handeln Athen. 7 p. 277 F = 7,6 f. Kaib.; Plin. nat. 9,49. – Krenkel (zu Fr. 1320) vermutet Zusammengehörigkeit des Fr. mit Fr. 26–27 in B. I und vergleicht Fr. 1313–14 (s. o. Erl.). – Diskussion des Fr. bei Winkelsen 2012, 90–92.

    506

    Incertae sedis hexametri

    1318 (1210) Sch. Hor. sat. 2,4,32: ‚Murice Baiano melior …‘] ‚ Murex‘ autem genus est piscis. Lucilius:



    murexque marinus

    1319 (1207) Porph. Hor. sat. 1,6,106: ‚Mantica cui lumbos onere ulceret‘] ‚Mantica‘ pera est. sed hoc ex Luciliano illo sumptum est:

    mantica cantheri costas gravitate premebat. cantheri … premebat edd. : canthari … praemebat codd.

    1320 (1311)# CGL 4,186,43: ‚Transennas‘ dicit tegulas per quas lumen admittitur. Lucilius. a ‚transeundo‘ appellatas. Lucilius Götz : luĉ cod. | appellatas edd. : apettatas cod.

    transennas

    1321 (1315) Non. 224,1: ‚Spari‘, quod est genus teli, masculino genere. … neutro Lucilius: [tum … rumices] Fest. 332,3 L: ‚Rumex‘, meminit Lucilius: [tum … porro] Paul. Fest. 333,1 L: ‚Rumex‘, genus teli simile. Fest. 442,25 L: ‚pa‚, parvissimi Ohnelachen