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German Pages [311] Year 2020
Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres
Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse Bausteine für eine inspirierte Coachingund Beratungspraxis
Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres
Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse Impulse für eine inspirierte Coachingund Beratungspraxis
Mit 42 Abbildungen und 3 Tabellen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: ColorMaker/Shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-40856-4
Inhalt
Vorwort von Wolfgang Looss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vorwort der Autorinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Eine kurze Geschichte der Ressourcenperspektive in der Transaktionsanalyse – für Theorieinteressierte und Neugierige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2 Grundlagen der Transaktionsanalyse: Menschenbild und Entwicklungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.1 Von der Überanpassung zur Eröffnung neuer Spielräume: bezogene Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.2 Auf dem Weg zu einer O. k.-o. k.-o. k.-Haltung: Lebensgrundhaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3 Die Potenziale im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.1 Guter Boden für Wachstum: Grundbedürfnisse erfüllen 42 3.2 Eine Quelle von Lösungsenergien: Gefühle . . . . . . . . . . 54 4 Impulse für die Selbstorganisation: Intrapsychische Dynamiken verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.1 Das Erbe sortieren und sich neu einrichten: das Lebensskript . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.2 Ich bin einfach anders und das ist gut so: Typologie . 91 4.3 Das innere Team neu aufstellen: Ich-Zustände . . . . . . . 105
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5 Impulse für die Beziehungsgestaltung: Soziale Dynamiken auf privaten und professionellen Bühnen verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Nicht persönlich nehmen – den Blick schärfen für Rollenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Frech gekreuzt ist halb gewonnen – konstruktiv kommunizieren: Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Von symbiotischer Verstrickung zur Verantwortungsübernahme: Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Dicke Luft? Frischer Wind in Beziehungen: Ausstieg aus psychologischen Spielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhalt
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6 Der Transfer in professionelle Beratungsrollen . . . . . . . . . . . 193 6.1 Moment mal! Vom Drauflos zu guten Abmachungen: Beratungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.2 Wie geht denn nun Transaktionsanalyse? Von der Analyse zur Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 8 Werkzeugkiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
»Nimmst du jemanden, wie er ist, wird er bleiben, wie er ist, aber gehst du mit ihm um, als ob er wäre, was er sein könnte, wird er zu dem werden, was er sein könnte.« Frei nach Johann Wolfgang von Goethe
Vorwort von Wolfgang Looss
In den Sozialwissenschaften entsteht unser fachliches Handwerkszeug für professionelles Handeln auf vielen Wegen. Jemand erarbeitet einen konzeptionell neuen Entwurf zur Beschreibung eines Zusammenhangs, andere produzieren empirische Erkenntnisse. Manche Wissensproduzenten gehen in die Vertiefung und Ausdifferenzierung, wieder andere starten eine argumentative Auseinandersetzung, um den Blick zu schärfen. Und dann gibt es noch den Weg, bereits Vorhandenes und Genutztes nach längerer Zeit erneut zu sichten. Erich Kästner erfand für diese Aktivität schon 1946 den berühmt gewordenen Buchtitel »Bei Durchsicht meiner Bücher« für eine Auswahl seiner prophetischen Gedichte aus der Vorkriegszeit. Dieses intellektuelle Manöver des »revisiting« ist in allen Wissenschaften unverzichtbar für die Produktion fachlicher Orientierung. Und manchmal macht erst ein solcher zweiter Blick auf einen komplexen Gesamtzusammenhang dessen Rezeption und vielfältige Nutzung möglich. Nun haben sich drei prominente Vertreterinnen der Transaktionsanalyse im Zenit ihrer gelebten Professionalität und nach vielen Jahren beraterischer und fortbildnerischer Arbeit in das Abenteuer gestürzt, dieses hochkomplexe therapeutisch-beraterische Aussagensystem der Transaktionsanalyse vor dem Hintergrund ihrer immensen Erfahrungen zu sichten, neu zu ordnen, in Teilen auch neu zu bewerten. Hier sind souveräne Könnerinnen am Werk und so entstehen jede Menge erweiterte Perspektiven, vielfältige Ergänzungen, manche Modifikationen. Das professionelle Feld und die Kolleginnen und Kollegen werden ihnen diese konzeptionelle Großtat (hoffentlich) danken. Der Nutzen für kommende Generationen von Beraterinnen und Beratern, die von diesem Arbeitsbuch profitieren werden, ist indes
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noch ein anderer: Im diskursiven Vorgehen der Autorinnen, in ihren Manövern des achtsamen Hereinnehmens und Abgleichens benachbarter Aussagensysteme – etwa aus der Systemtheorie, der Logik der »neuen Autorität«, den Neurowissenschaften oder dem Zürcher Ressourcen-Modell –, im sorgsamen Prüfen und in der unermüdlichen Suche nach Entsprechungen kann einmal mehr eine fundamentale Lektion gelernt werde: Bei allen Konzepten und Modellen geht es eben nicht um »Wahrheit«, die ja nach Heinz von Foerster ohnehin immer die »Erfindung eines Lügners« (von Foerster u. Pörksen, 1998) ist. Es geht um Hilfsmittel der Orientierung, um Landkarten, die bekanntlich nicht mit dem Territorium verwechselt werden dürfen, um Erklärungsprinzipien, die uns helfen, aussichtsreiche Interventionen zu erfinden. So selbstverständlich, wie das klingt, ist das eben gar nicht für werdende Beraterinnen und Coaches, die sich noch unsicher in der endlosen Kontingenz menschlicher Interaktionen bewegen. Bevor jemand zur »Expertin des Nichtwissens« wird, wie Dirk Baecker (2004) die Zunft der Menschenarbeiter einmal nannte, ist es verführerisch und naheliegend, nach jedem Aussagenelement zu greifen, das ein wenig Sicherheit verspricht. Hier werden die Autorinnen mit der Art und Weise des Vorgehens in ihrer souveränen Gelassenheit und mit der breit gefächerten methodischen Kenntnis einmal mehr zu Rollenmodellen für jüngere Professionelle unserer Zunft. Das will eben gekonnt sein, sich fernab jeder dogmatischen Verfestigung zu bewegen und dabei dem eigenen Fachgebiet der Transaktionsanalyse treu zu bleiben. Vorurteilsfrei offen zu sein für andere Herangehensweisen heißt eben gerade nicht, in konzeptionelle Beliebigkeit eklektischen Vorgehens zu geraten. In den Anfängen der Humanistischen Psychologie standen sich Dogmatiker verschiedener Schulen oft unversöhnlich gegenüber. Als Gegenbewegung entstand dann jenes »anything goes«, weil es angeblich der »Erleuchtung egal ist, wie du sie erlangst« (Golas, 2013) Wie wunderbar zu erleben, dass es eben auch anders geht. Denn leicht ist ein solches Resultat ganz sicher nicht zu erzielen. Die Autorinnen stellen ja für dieses Gemeinschaftswerk die eigenen gewachsenen professionellen Überzeugungen und erprobten Verfahrensmuster im methodischen Grenzland zur Verfügung. Erst damit wird jener Diskurs überhaupt möglich, aus dem eine
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Vorwort von Wolfgang Looss
so organisch neue Sicht entstehen kann. Wer so gemeinsam tätig wird, macht sich angreifbar und strapaziert womöglich kollegiale Beziehungen. Das alles geht nur bei extremer fachlicher Souveränität und in sicherer Bezogenheit. Ein Glücksfall und ein außergewöhnliches publizistisches Projekt, dem man nur sehr viele Leserinnen und Leser sowie die verdiente Reputation in der Professionswelt wünschen kann. Dr. Wolfgang Looss
Vorwort der Autorinnen »Tradition heißt nicht die Asche aufheben, sondern die Flamme weiterreichen.« Ricarda Huch
Wir Autorinnen sind seit mehr als dreißig Jahren der Transaktionsanalyse und einander im kollegialen Diskurs verbunden – als Lehrtrainerinnen, Praktikerinnen und Funktionsträgerinnen in der Deutschen Gesellschaft für Transaktionsanalyse. Bei durchaus kritischem Blick schätzen wir bis heute den hohen Praxisnutzen der transaktionsanalytischen Konzepte. In Kontexten außerhalb der Transaktionsanalyse wie in systemischen Weiterbildungszusammenhängen oder unseren Fortbildungsangeboten für Führungskräfte erleben wir immer wieder große Resonanz auf die zentralen Konzepte der Transaktionsanalyse wie Ich-Zustände, Transaktionen, Drama-Dreieck, Lebensskript, Antreiberdynamiken, Funktion von Gefühlen und anderen mehr. Ausgelöst durch eine Verlagsanfrage spürten wir zunehmend Freude an der Idee, unseren Beratungsansatz, der sich im Laufe der Jahre durch neuere ressourcenorientierte Konzepte aus der Transaktionsanalyse und anderen Quellen angereichert hat, in einem Buch zu verdichten. Damit wenden wir uns vornehmlich an methodische Quereinsteiger aus den Praxisfeldern Beratung, Coaching, Führung, Organisationsberatung und Bildung, die sich als Ergänzung zu ihrer systemischen oder anderweitigen Weiterbildung einen kompakten und praxisnahen Überblick über die Transaktionsanalyse aus einer ressourcenorientierten Perspektive wünschen. Wir wenden uns aber auch an unsere Weiterbildungskandidatinnen und interessierte Kollegen, die gern einige zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten veröffentlichte Weiterentwicklungen in einem Werk lesen würden. Und wir schreiben ebenso für allgemein interessierte Leserinnen und Leser auf der Suche nach einer praktischen Psycho-
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logie für den Alltag. Die Essenz unseres Beratungsansatzes einer ressourcenorientierten Transaktionsanalyse wollen wir im Sinne eines Ausblicks auf das Buch in diesem Vorwort skizzieren. Durch die Erkenntnisse der neurobiologischen Forschung zur Frage der Funktionsweise des menschlichen Gehirns wurden in den letzten Jahrzehnten die Grundannahmen vieler Schulen der Humanistischen Psychologie bestätigt, zu der auch die Transaktionsanalyse zählt. Als zentrale Wirkfaktoren in Beratungskonstellationen rücken dabei die hohe Bedeutung der Beziehungsgestaltung und die der Ressourcenorientierung in den Vordergrund. Der Begriff der Ressourcenorientierung bezieht sich dabei sowohl auf die Fokussierung vorhandener Kräfte im Unterbewussten auf der Ebene des limbischen Gehirns wie auch auf Ressourcen im sozialen Umfeld der zu beratenden Personen oder Systeme. In der gegenseitigen Befruchtung dieser Ansätze gewinnen Konzepte und Methoden der Humanistischen Psychologie weiter an Gewicht und nehmen ihren festen Platz im Kanon moderner Beratungskonzepte ein. Transaktionsanalytische Konzepte und Modelle beschreiben auf bestechend einfache Weise Musterbildungen im limbischen Gehirn. Diese Einfachheit, verbunden mit einprägsamen Metaphern, wurde von dem Gründer der Transaktionsanalyse, Eric Berne, bewusst gewählt. Sie macht es Professionellen wie Laien möglich, die Grundkonzepte im Gedächtnis zu behalten und bei Bedarf schnell auf sie zuzugreifen. Bernes Ziel war zudem das Empowerment seiner Klienten und Klientinnen, ihm war das Teilen von Expertenwissen im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe ein zentrales Anliegen. Als Psychoanalytiker war sein Augenmerk vorzugsweise auf Menschen und Beziehungen gerichtet, die in Schwierigkeiten steckten. Die ursprünglichen transaktionsanalytischen Modelle beschreiben daher leicht verständlich die Dynamik dysfunktionaler Muster und verfahrener Situationen, wie sie jeder intuitiv sofort aus dem eigenen Leben wiedererkennt. Bernes übergreifende, im Kern schon ressourcenorientierte Interventionsmethode war, antithetisch zur Beschreibung dieser Muster mit seinen Klienten zu arbeiten. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wendeten Transaktionsanalytikerinnen ihren Blick ergänzend einer ausdrücklich antithetischen, ressourcenorientierten Modellentwicklung
Vorwort der Autorinnen13
zu. Sie leiteten aus den differenzierten Beschreibungen von misslichen und defizitären Situationen – wie beispielswiese im Modell des Drama-Dreiecks mit seinen psychologischen Rollen Retter, Opfer und Verfolger – Bezeichnungen ab, die zu einem erstrebenswerten »Hin-zu-Zustand« führen, in diesem Fall dem Okay- oder Gewinner- Dreieck. Aus einem »So nicht!« und dem anschließenden »Wie dann?« entstanden ressourcenorientierte konzeptionelle Beschreibungen des »Stattdessen«. Einzelne dieser Konzepte, die noch nicht in den transaktionsanalytischen Grundlagenwerken veröffentlicht sind, werden wir neben praktisch bewährten in diesem Buch vorstellen. Im Kanon der Beratungsansätze scheinen die transaktionsanalytischen Konzepte durch die Art und Weise, wie sie Muster des Erlebens und Verhaltens beschreiben, das Bedürfnis zu erfüllen, sich bei aller Vorsicht gegenüber Etiketten und Schubladen doch an einem Ordnungssystem orientieren zu können. Die Konzepte reduzieren Komplexität auf sinnvolle Weise und ermöglichen dadurch schnelles Verstehen und Handeln. Die visuelle Darstellungsweise hat einen wesentlichen Anteil an der verblüffenden Eingängigkeit – die Modelle sind sowohl bildlich als auch sprachlich reich an Metaphern. Gerade diese ordnungsstiftende Stärke der Transaktionsanalyse scheint eine hilfreiche Ergänzung zum großen Spiel der Möglichkeiten und Wirklichkeitskonstruktionen des systemischen Ansatzes zu sein. Für das systemische Arbeiten kann der transaktionsanalytische Blick zurück in individuelle oder kollektive Lebensgeschichten inspirierend sein. Hier können transaktionsanalytische Konzepte kurz und prägnant mögliche Ursachenhypothesen ausmachen und damit den Sinn alter Muster im Skriptzusammenhang erklären. Selbst Systeme haben organisationale Lebensskripte. Nach unserer eigenen Erfahrung und der unserer Klienten ist es tröstlich zu verstehen, dass auch im Hier und Jetzt destruktiv wirkendes Verhalten zu anderen Zeiten Sinn ergeben hat, und es auf diese Weise begreifen, würdigen und loslassen zu können. Gestalttherapeutisch gesprochen bedeutet dies »eine Gestalt schließen« zu können, um dann im nächsten Schritt neue, stimmigere Muster zu entwickeln und zu verankern. Besonders in einer Zeit, die geprägt ist vom Credo der Selbstoptimierung und der oft vorschnellen Fokussierung auf Lösungsräume, scheint die
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Hinwendung zu den tieferen Kräften des Verstehens, Trauerns und Abschiednehmens ein wirksamer Kontrapunkt zu einer Sinnentleerung zu sein, die in der Wahrnehmung von vielen Menschen zunehmend unsere Gesellschaft prägt. Gleichzeitig ruft die systemische Idee des Wirklichkeitskonstruk tiven uns als Transaktionsanalytikerinnen dazu auf, so manche auf den ersten Blick verführerisch einfachen Konzepte nicht als Wahrheiten zu betrachten, sondern vielmehr als Narrativ – als eine von vielen möglichen subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen. Ergänzend zur Stärke der Transaktionsanalyse, dysfunktionale Muster schnell zu erkennen, schätzen wir den ressourcenvollen systemischen Blick des »Guten im Schlechten« (Simon, 2006). Transaktionsanalytisches und systemisches Denken sind sich sehr nah; Berne verstand seine Theoriebildung bereits systemisch: »Theorien individueller Psychodynamik konnten bis jetzt die Pro bleme menschlicher Beziehungen nicht zufriedenstellend lösen. Dies sind transaktionale Situationen, die nach einer Theorie der Sozialen Dynamik verlangen und nicht allein durch die Betrachtung individueller Motivationen erklärt werden können« (Berne, 1964). Ebenso passend zur systemischen Perspektive beschrieb er mit der Entwicklung des Lebensskriptkonzepts detailliert Muster individueller Wirklichkeitskonstruktionen und mit dem Spielekonzept deren transaktionale Wirkung in Beziehungen. Wir wurden schon oft gefragt, wie es zu dem Begriff »Transaktionsanalyse« kam, der eher Assoziationen an Banken und ihre finanziellen Transaktionen weckt als an ein psychologisches Konzept. Eric Berne wählte ihn in den 1950er Jahren bewusst so provokativ. Als sozial engagiertem Psychoanalytiker ging ihm die Einbeziehung der Beziehungsdimension in der klassischen Analyse nicht weit genug. Mit »Transaktionen« beschrieb er die kleinste Einheit von Kommunikation zwischen Menschen. Dahinter stand die Idee, dass in zwischenmenschlichen Beziehungen – wie auch in Bankgeschäften – ein gegenseitiger Austausch stattfindet, mit gutem oder auch enttäuschendem Ausgang. Der achtsame Blick schon auf kleinste Momente der Beziehungsgestaltung – die Analyse von Transaktionen – ermöglichte ihm oft einen schnelleren Zugang zum Verstehen eines Menschen als die langjährige Innenschau der
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Psychoanalyse, da in den Transaktionen häufig grundlegende Muster des Lebensskripts aufscheinen. So trägt auch eines seiner ersten Bücher den Titel »Was sagen Sie, nachdem Sie guten Tag gesagt haben?« (Berne, 1983). Für Berne war in diesem Sinne bereits die Eingangstransaktion interessant für die Hypothesenbildung möglicher Lebensskriptmuster. Vermag die Transaktionsanalyse Dynamiken zum besseren Verstehen in die Nähe zu holen, kann der systemische Ansatz durch sein Denken in Kontexten und Wirklichkeitskonstruktionen Beratern die Perspektive der Weite ermöglichen. Die Transaktionsanalyse hat sich von der Theorie und Methode her schon früh als Integrative Therapie und Beratung verstanden, indem sie verschiedene Konzepte aus Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Gestalttherapie und der Systemischen Therapie ergänzend genutzt hat. Dieser integrativen Tradition folgend haben wir zwei weitere Ansätze in unsere Arbeit integriert, die spezifisch auf Ressourcen fokussieren: Mit dem Ansatz der Analytischen Psychologie nach Carl Gustav Jung ergänzen wir das Lebensskriptkonzept um temperamentsbedingte typologische Präferenzen von Menschen, beispielsweise die der Extra- und Introversion, um der Unterschiedlichkeit von Menschen gerecht zu werden und diese nicht mit Lebensskripteinengungen zu verwechseln. Bernes Fokus in der Beschreibung von Musterbildungen war historisch bedingt die Sozialisationserfahrung von Menschen. Jungs Ansatz verleiht dem Blick auf das Individuum mit der Annahme unterschiedlicher typologischer Präferenzen jenseits von Sozialisation und dem daraus abgeleiteten Konzept des »Schattens« die notwendige Tiefe. Auf methodischer Ebene arbeiten wir mit dem neurobiologisch und motivationspsychologisch basierten Konzept des Zürcher Ressourcen-Modells (ZRM ) von Maja Storch und Frank Krause. Es nutzt sehr kreativ unterbewusste Ressourcen durch den Einsatz von Bildern sowie die Körperintelligenz durch Embodiment-Übungen. Auf diese Weise wird die notwendige Energie für die nachhaltige Verankerung von Haltungs- und Verhaltensänderungen aktiviert. In unserer praktischen Arbeit erleben wir das Zusammenspiel dieser Richtungen als äußerst wirksam, belebend und gut geeignet, den
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Menschen gerecht zu werden, die sich mit unterschiedlichsten Fragestellungen an Professionelle in Beratungskontexten wenden. Unser wichtigstes Anliegen mit diesem Buch ist es, zu vermitteln, auf welche Weise die Transaktionsanalyse dazu beitragen kann, sich in einer immer komplexer werdenden Welt sicherer zu bewegen und die Verantwortung und den Spielraum in den jeweiligen Rollen auf beruflichen und privaten Bühnen persönlich stimmig zu gestalten. Von daher werden wir die Konzepte vorstellen, deren praktischer Nutzen uns im Laufe der Jahre besonders überzeugt hat. Sie sind für Professionelle gleichermaßen zur Selbststeuerung wie auch zur Steuerung von Interventionen zur Unterstützung von Klientinnen und Systemen hilfreich. Wir weichen punktuell von der ursprünglichen Sprache der Transaktionsanalyse ab, wenn sie aus unserer Sicht eine Erfrischung gebrauchen könnte, und greifen dabei besonders den transaktionsanalytischen Diskurs der letzten Jahre zur Theorie der Ich-Zustände auf. Da wir in unterschiedlichen Praxisfeldern tätig sind, werden unsere Fallbeispiele aus verschiedenen Kontexten stammen. Ganz im Sinne Eric Bernes wollen wir einen Schreibstil wählen, der einerseits die wesentlichen Konzepte prägnant und genügend tiefgründig darstellt, andererseits zugunsten eines ganzheitlichen leichten Verstehens an mancher Stelle auf Detailtreue und Fachjargon verzichtet. Sollte der eine oder andere Leser sich durch die Lektüre inspiriert fühlen, die Theorie zu vertiefen, finden sich neben den expliziten Quellenangaben im Literaturverzeichnis am Ende des Buches jeweils am Kapitelende vertiefende Literaturempfehlungen. Alle erwähnten Artikel aus der Zeitschrift für Transaktionsanalyse können von der Website der DGTA aus der Mediathek (https://www.dgta.de/mediathek) heruntergeladen werden. Für Professionelle finden sich, meistens am Ende jedes Kapitels, interventionsleitende Fragestellungen und Impulse für den Beratungsprozess sowie am Ende des Buches eine den Themen der Kapitel zugeordnete Werkzeugkiste mit ausgewählten Lieblingswerkzeugen. Die Kapitel können auch einzeln gelesen werden; Querverweise stellen Verknüpfungen zu anderen Kapiteln her. Wir werden sprachlich abwechselnd die männliche und die weibliche Form verwenden, um ein flüssigeres Lesen zu ermöglichen. Kleine Stolper-
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steine in der Lesegewohnheit durch den Wechsel der Form sind beabsichtigt. Wir danken allen, die zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben – zuallererst unseren eigenen Ausbilderinnen und Ausbildern Christa Marwedel, Bernd Schmid, Johann Schneider und Lisbeth Fischer. Wir danken auch unseren Klientinnen und Weiterbildungsteilnehmern, durch deren Resonanz wir über die Jahre vieles dazugelernt haben, und all jenen Freundinnen, Familienmitgliedern und Kollegen, die mit uns Themen diskutiert, uns tatkräftig unterstützt oder unser Abtauchen in das Buchprojekt freundlich begleitet haben. Wir danken auch unseren Lektorinnen vom Verlag, die uns in Phasen der Entmutigung durch ihre Rückmeldungen motivierten, dranzubleiben. Und wir sind einander dankbar für eine große gegenseitige Bereicherung! Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir eine inspirierende Lektüre. Bertine Kessel, Hanne Raeck und Dörthe Verres
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Eine kurze Geschichte der Ressourcen perspektive in der Transaktionsanalyse – für Theorieinteressierte und Neugierige
Auf der im Vorwort beschriebenen Reise »weg von« pathologisch fokussierten Modellbildungen »hin zu« antithetischen, salutogenetischen Modellen erleben wir im besonderen Maße die wechselseitige Befruchtung von ressourcenorientiertem systemischem und transaktionsanalytischem Denken. Aus systemischer Perspektive wird die Frage nach der Ursache der Störung radikal gedacht bedeutungslos, wie Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer (2012) schreiben: »Die Suche nach Antwort auf die Frage nach der Ursache erübrigt sich, da es sich um ein Problem der Frage handelt und nicht der Antwort. Daher leistet die Systemtherapie weder eine ›Behandlung der Ursachen‹ noch eine der Symptome, sondern sie gibt lebenden Systemen Anstöße, die ihnen helfen, neue Muster miteinander zu entwickeln, eine neue Organisationsgestalt anzunehmen, die Wachstum ermöglicht.« Dass allein der Anstoß wirksam sein kann, basiert auf der Vorstellung, dass alle Ressourcen zur Lösung bei Menschen und Systemen vorhanden sind, aber bisher nicht genutzt wurden. Auch Berne sah das Erwachsenen-Ich als eine Ressource zur Lösung von Problemen, auf die zwar häufig noch nicht der volle Zugriff möglich ist, die jedoch durch Übung verfügbar werden kann. Er warnte auch vor dem psychologischen Spiel »Archäologie« in der Psychotherapie im Sinne von zu ausführlicher Skriptanalyse und fokussierte sich stattdessen auf die Veränderungskompetenz seiner Patienten durch die Stimulierung ihres Erwachsenen-Ichs. Aus transaktionsanalytischer Perspektive kann zugleich der punktuelle Blick zurück auf die Ursache, auf das individuelle Lebensskript, Sinn machen, wenn Blockaden im Veränderungsprozess entstehen. Dieser Blick kann zudem tröstlich sein. Das rückblickende Verstehen ermöglicht die Würdigung, dass die eigenen dysfunktionalen
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Lösungsmuster im Hier und Jetzt in der Vergangenheit intelligente, zu den damaligen Bedingungen passende Lösungsstrategien waren. Das bedeutet, dass auch diese Muster ursprünglich Ressourcen darstellten, um unter den Bedingungen der Vergangenheit möglichst gut zu (über-)leben. Die Psychoanalytikerin Alice Miller beschreibt in ihrem Buch »Das Drama des begabten Kindes« (1979), dass einschneidende verletzende Erlebnisse aus der Lebensgeschichte so etwas wie eine nachträgliche Zeugenschaft brauchen, um sich von ihnen lösen zu können. Im politischen Kontext entspricht dieser Akt dem Begriff der Rehabilitierung, der mit der Wiederherstellung der verletzten Ehre einer Person übersetzt wird. Diese Übersetzung trifft im Kern die Wirkung der nachträglichen Zeugenschaft in Beratungsoder Therapieprozessen. Zugleich wird durch die neurobiologische Forschung deutlich, dass die alten Musterbahnungen nicht mehr als nötig durch ihre Thematisierung getriggert und damit verstärkt werden sollten. Stattdessen macht es Sinn, so bald wie möglich ressourcenorientiert neuronale Ersatzschaltungen anzulegen, wie sie der Neurobiologe Gerhard Roth (Roth u. Ryba, 2018) nennt, und mit ihnen die alten Muster durch Übung zu überlernen. Die Auflösung der Polarisierung der beiden beschriebenen Perspektiven – entweder die Arbeit mit der Vergangenheit, der Biografie eines Menschen, oder mit dem Lösungsraum, der das Bild der Zukunft kreiert – liegt für uns im Prinzip des Sowohl-als-auch. Der Hypnotherapeut Gunther Schmidt (2015) beschreibt dies treffend mit der Metapher des Problem-Lösung-Twistes. Sie symbolisiert den Lernprozess, der das Ziel hat, zwischen den alten, durch einen aktuellen Auslöser getriggerten Musterschaltungen und den neu angelegten Ersatzschaltungen bewusst wechseln, also twisten zu können. Die Metapher löst die Polarisierung zwischen Problemtrance einerseits und Lösungsaktionismus andererseits auf und ermöglicht sowohl die zurückblickende Analyse und Würdigung einer frühen Problemlösungsstrategie wie auch eine Handlungs- und Lösungsorientierung. In der englischen Bewegung der Kokreativen Transaktionsanalyse entstand in diesem Sinne folgendes Wortspiel zur professionellen Identität: Wir sind sowohl Transaktionsanalytikerinnen als auch Transaktionsdesigner.
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Eine kurze Geschichte der Ressourcenperspektive
Die entscheidende Frage bei der Gratwanderung zwischen den Polen im Beratungsprozess ist, was die Klientin gerade stärkt oder schwächt. In diesem kreativen Spannungsfeld kann dann der schöpferische Prozess entstehen, der in der Transaktionsanalyse etwas nüchtern die Erweiterung des Bezugsrahmens genannt wird und in der Systemtheorie Emergenz. Dies ist eine schöne Metapher für den schöpferischen Aspekt einer Beratung, in der in der Begegnung unterschiedlicher Bezugsrahmen der beteiligten Personen im direkten Wortsinn des lateinischen Begriffs »Emergenz« etwas auftaucht, herauskommt, emporsteigt, etwas, das als eine Art dritter Qualität verstanden werden kann, weil es so möglicherweise weder von der Beraterin noch vom Klienten oder vom Klientensystem allein vorstellbar gewesen wäre. Die systemisch-konstruktivistische Perspektive war eine wichtige Inspiration für einige ressourcenorientierte Weiterentwicklungen der Transaktionsanalyse in Deutschland wie beispielsweise die von Bernd Schmid mit verschiedenen Publikationen ab den 1990er Jahren. In England wurden 1999 eine konstruktivistische Weiterentwicklung des Funktionsmodells der Ich-Zustände von Susannah Temple sowie 2000 die konstruktivistische Sichtweise der Cocreative Transactional Analysis von Graeme Summers und Keith Tudor sowie von Trudy Newton auf verschiedene Konzepte veröffentlicht. Neben diesen Namen gibt es sicherlich weitere, uns gar nicht bekannte Autoren ähnlicher Weiterentwicklungen in der sehr theorieentwicklungsfreudigen, großen, nationalen und internationalen Gemeinschaft der Transaktionsanalytikerinnen. Wir greifen in diesem Buch die Entwicklungen auf, die uns Autorinnen auf unserem Lernweg im Denken und Handeln entscheidend geprägt haben – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit. Bernd Schmids besonderer Beitrag war es, die Wechselwirkung von Systemen und Einzelpersonen durch sein Rollenmodell zu beschreiben, das wir in Kapitel 5.1 vorstellen. In dem Modell regt Bernd Schmid an, den Kontext der Person mit in den Blick zu nehmen, um Probleme nicht vorschnell zu psychologisieren. Weitere Differenzierungen zum Rollenmodell und von Systemdynamiken fügte Günter Mohr (2006, 2017) hinzu.
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Weiterentwicklungen speziell zum Herzstück der transaktionsanalytischen Theoriebildung, dem Ich-Zustands-Modell, wurden in Deutschland von Johann Schneider, in England von Susannah Temple und Keith Tudor beschrieben. Ihrem konstruktivistischen Blick hielten die klassischen Sprachbilder speziell im Funktionsmodell der Ich-Zustände nicht stand, die aus ihrer Sicht einen einschränkenden wirklichkeitskonstruktiven Einfluss auf Zukunftsbilder von Klienten im Beratungsprozess haben können – wie beispielsweise die Metapher des Freien Kindes im Funktionsmodell. Ihr Hintergrunddenken zu dieser Metapher teilen wir: Kinder sind durch ihre hierarchische Stellung eingeschränkt in ihrer Gestaltungsmacht, sie können zwar ursprünglich unbefangen und frei fühlen und denken, sich aber nicht frei verhalten. So ist es nicht hilfreich, einen Klienten nur anzuregen, sein freies Kind zu aktivieren, um eine wichtige Entscheidung zu treffen. Eine solche Anregung wäre nur gut für ein erstes Hinspüren, um sich selbst zu erlauben, unbefangen das eigene Bedürfnis zu fühlen und Gedanken dazu zu entwickeln. Im zweiten Schritt braucht es jedoch für die Ebene der Verhaltensumsetzung die Kraft und die Macht des Erwachsenen für eine hier und heute stimmige Entscheidung im Einklang mit seinen Werten. Ein frei entscheidender Erwachsener ist definitiv nicht in einem freien Kind-Ich-Zustand. In diesem Sinne erinnert Schneider auch an das etwas in den Hintergrund geratene Modell des »Integrierten Erwachsenen-Ichs« (Schneider, 2001) von Berne, das Tudor »Integrierendes ErwachsenenIch« nennt (Tudor, 2005). Damit beschreibt Tudor die Integration neuer Erfahrungen und die damit einhergehende Entwicklung von Bewusstheit und Autonomie als einen lebenslangen Prozess und verabschiedet sich von dem Bild eines linearen Entwicklungsprozesses, der einen Anfang und ein Ende hat. Zudem betont das Modell die ursprüngliche Definition von Berne, nämlich dass jeder Ich-Zustand ein zusammenhängendes Muster aus Fühlen, Denken und Verhalten darstellt und der Erwachsenen-Ich-Zustand also nicht nur aus Denken besteht (mehr dazu in Kapitel 4.3). Auch zu intrapsychischen Dynamiken wie dem Antreiberkonzept, das wir in Kapitel 4.1 beschreiben, gibt es inzwischen ressourcenorientierte Beschreibungen wie die »erlösten Tugenden« der Antrei-
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Eine kurze Geschichte der Ressourcenperspektive
ber (Schmid u. Hipp, 2000) oder die der »Handlungsfähigkeiten« im Konzept des »Dynamischen Handlungspentagons« (Schneider, 2006). Die Engländerin Julie Hay formulierte die »Vorteile« des Antreiberverhaltens und lenkte so den Blick auf Kompetenzen, die Menschen unter dem Einfluss der jeweiligen Antreiberdynamik entwickeln (Hay, 1996). Zu den Entstehungsbedingungen des Lebensskripts beschrieb die amerikanische Transaktionsanalytikerin Pamela Levin mit ihrem Konzept »Stufen der Entwicklung« schon 1982 ressourcenorientierte Kriterien in Form von Ermutigungen (fälschlich im Deutschen als »Erlaubnis« übersetzt), die Kinder in den jeweiligen Entwicklungsstufen brauchen, um ihr volles Potenzial ausschöpfen zu können. Erwachsene können diese nutzen, um hier und jetzt ihren persönlichen Bezugsrahmen für die Gestaltung ihres Lebens zu erweitern. Der englische Transaktionsanalytiker William F. Cornell konzipierte 1988 die Visualisierung der Lebensskriptentwicklung, die Skriptmatrix, neu und im konstruktivistischen Sinne. Beide Weiterentwicklungen beschreiben wir ausführlicher in Kapitel 4.1. Ergänzend zum Konzept der Grundbedürfnisse arbeitete der amerikanische Transaktionsanalytiker Richard Erskine (2008) ressourcenorientierte Beziehungsbedürfnisse in der therapeutischen und beraterischen Beziehung heraus, die wir in Kapitel 3.1 beschreiben. In dem Buch »Into TA« (Cornell, de Graaf, Newton u. Thunnissen, 2016), einer europäischen Koproduktion, finden sich ebenfalls einige Anregungen zu konzeptionellen Weiterentwicklungen. Die Engländerin Trudy Newton beschreibt mit ihrem Modell des Resilienz-Zyklus (Newton, 2014) das Zusammenwirken der klassischen Konzepte mit den ressourcenfokussierten Weiterentwicklungen. Wir werden es in unserem Fazit im Kapitel 7 vorstellen. Die drei Grundsätze der von der Systemtheorie beeinflussten englischen Bewegung der Kokreativen Transaktionsanalyse (Summers u. Tudor, 2000) fassen unsere Haltung und die verschiedenen ressourcenorientierten Modellentwicklungen gut zusammen: 1. Das Wir-Prinzip (»We’ness«) Dieses Prinzip stellt das unterstützende Kraftfeld der beraterischen Beziehung zwischen zwei erwachsenen Personen in den Mittelpunkt.
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Es fördert und unterstützt kokreative menschliche Entwicklung und Veränderung und ist – im Sinne der Emergenz-Metapher – mächtiger als die Beraterin oder der Klient allein. Im schöpferischen Dialog kann aus den Wirklichkeiten A und B eine neue Wirklichkeit C entstehen. Interessant ist der kulturelle Hintergrund des Wir-Prinzips im Unterschied zum Ich-Prinzip: Weltweit gibt es mehr Wir-Kulturen als Ich-Kulturen; letztere setzen ihren Fokus auf die Individualität und prägen nur die Gesellschaften in Nord- und Westeuropa und im nicht indigenen Nordamerika. Daher stand möglicherweise das »Wir« in der Transaktionsanalyse in der Vergangenheit unter dem Generalverdacht, in symbiotische Beziehungen einzuladen und Übertragungsbeziehungen zu etablieren, die eine ElternKind-Beziehungsgestaltung bewirken, welche die Autonomieentwicklung behindern – mit dem Resultat einer relativ konfrontativen Auffassung von Eigenverantwortung von Klientinnen. Das »Wir« zwischen zwei Erwachsenen aber unterscheidet sich davon deutlich im Sinne einer bezogenen Autonomie – dazu mehr im Kapitel 2.1. 2. Das Prinzip der geteilten Verantwortung Das Wir-Prinzip führt von der Idee der jeweiligen Eigenverantwortung hin zu einer bezogenen, geteilten Verantwortung. In der Beratungsbeziehung übernimmt der Berater die Verantwortung für die Herstellung eines geschützten Beziehungsraumes. Die geteilte Verantwortung bezieht sich auf den Prozess des gemeinsamen Erforschens und Erkennens in einem Beratungssetting. Wenn ein Prozess schwierig wird, liegt das weder schwerpunktmäßig in der Eigenverantwortung des Klienten noch in der des Beraters. Die heilenden Aspekte von Beziehungen – beispielsweise Kraft, Ermutigung, Schutz, Herausforderung, Unterstützung – werden gemeinsam vom Berater und Klienten erschaffen und von beiden aktiv reflektiert. Der besondere Beitrag des Beraters ist seine Fähigkeit, die geteilte Verantwortung zur Förderung der Entwicklung zu ermöglichen und zu nutzen. Geteilte Verantwortung ist nicht gleichbedeutend mit gleicher Verantwortung. Die Aufteilung der Verantwortung in ein 50:50- oder ein 60:40-Verhältnis ist beispielsweise ein reduktionistischer Versuch, das Phänomen der Beziehung aus einem indi-
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Eine kurze Geschichte der Ressourcenperspektive
vidualistischen Bezugsrahmen (Ich-Kultur) heraus zu definieren. Aus der Perspektive des Wir-Prinzips ergibt sich der Anteil der Verantwortung eher dynamisch aus der jeweiligen Phase des Beratungsprozesses, die auch in den von Richard Erskine (2008) formulierten Beziehungsbedürfnissen konkretisiert werden, die wir im Kapitel 3.1. beschreiben. 3. Das Prinzip der gegenwartsbezogenen Entwicklung Die Kokreative Transaktionsanalyse betont den Fokus auf die gegenwartsbezogene Entwicklung, die Stärkung des integrierenden Erwachsenen-Ichs im Unterschied zur vergangenheitsbezogenen Analyse von Defiziten. Beratung ist ein Lernprozess zwischen zwei Erwachsenen. Obwohl der Prozess notwendigerweise ein Sich-Einlassen und Lernen durch positive und negative Übertragungen beinhaltet, die in einer Beratungsbeziehung entstehen, ist der beraterische Fokus auf die Unterstützung der Entwicklung im Hier und Jetzt gerichtet. Das reduziert die Möglichkeit von unangemessener Infantilisierung von Klienten, die leicht stattfindet, wenn die Möglichkeiten zur Entwicklung überwiegend in einem transaktionalen Eltern-Kind-Bezugsrahmen wie beispielsweise mittels Erlaubnistransaktionen gesehen wird. In diesem Sinne verstehen wir unseren ressourcenorientierten transaktionsanalytischen Beratungsansatz, den wir in den folgenden Kapiteln ausführlich beschreiben werden. Vertiefende Literatur Mohr, G. (2017). Resilienzcoaching für Menschen und Systeme. Gevelsberg: EHP. Newton, T. (2014). Der Resilienz-Zyklus: eine Metapher und ihre Bedeutung. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 31, 2, 79–99. Schmid, B. (2003). Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse. Bergisch-Gladbach: EHP. Schneider, J. (2001). Von der Kunst, erwachsen zu handeln. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 18, 4. Summers, G., Tudor, K. (2000). Co-creative Transactional Analysis. Transactional Analysis Journal, 30, 1, 23–40. Tudor, K. (2005). Die Neo-Psyche: Der integrierende Erwachsenen-Ichzustand. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 22, 3, 168–186.
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Grundlagen der Transaktionsanalyse: Menschenbild und Entwicklungsziel »Frei zu sein, bedeutet nicht nur seine eigenen Fesseln zu lösen, sondern ein Leben zu führen, das auch die Freiheit anderer respektiert und fördert.« Nelson Mandela
2.1 Von der Überanpassung zur Eröffnung neuer Spielräume: bezogene Autonomie Wir beschreiben im ersten Abschnitt dieses Kapitels als Grundlage des transaktionsanalytischen Menschenbildes die individuelle Autonomie als zentrales Leitbild, gefolgt von dem Entwicklungsprozess hin zu einer bezogenen Autonomie, die verantwortliches Handeln in Beziehungen und Gemeinschaften ermöglicht – Freiheit in Verbundenheit. Autonomie als Ausgangspunkt und Ziel transaktionsanalytischer Arbeit Die Entwicklung der individuellen und zugleich bezogenen Autonomie stellt ein zentrales Ziel transaktionsanalytischer Arbeit dar. Der Transaktionsanalytiker Heinrich Hagehülsmann beschreibt im Themenheft »Autonomie« der Zeitschrift für Transaktionsanalyse (2016, S. 29) das Menschenbild der Transaktionsanalyse folgendermaßen: »Auf der Basis ihrer Grundannahme, dass der Mensch von Natur aus, das heißt ohne schädigenden Einfluss seiner Umwelt, in Ordnung ist, begreift die Transaktionsanalyse den Menschen als Ganzheit und von Natur aus mit einem Potenzial an konstruktiven Kräften in Richtung auf Autonomie, Harmonie und soziale Verantwortlichkeit ausgestattet. Sie betont seine Gleichberechtigung, sein Recht auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit sowie seine Fähigkeit, Vergangenes zu revidieren und neue Entscheidungen zu treffen. Diese Grundannahmen verdichten sich im Konzept der ›autonomen‹ Person […] bei gleichzeitigem existentiellen Eingebunden-Sein der Menschen, was von
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Theologen sehr treffend als ›bezogene Autonomie‹ gekennzeichnet wird.« Was uns heute selbstverständlich erscheint, war in der Mitte des letzten Jahrhunderts für die Psychologie ein Paradigmenwechsel: In der Annahme, dass die Kraft, das Potenzial und die Verantwortung für die Heilung im Patienten liegen, wurden die Autonomieentwicklung und die Individualität von Patientinnen zum Ziel der Behandlung. Gleiches gilt für die hieraus später abgeleiteten Beratungs- und Bildungsformate, die die Eigenverantwortung der beteiligten Personen fokussieren. Die psychologische Theoriebildung, Fundament der heutigen Therapie-, Beratungs- und Bildungskonzepte, diente historisch unterschiedlichen Zielen. Während das Ziel in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts beginnend mit der Psychoanalyse sowie der Verhaltenstherapie hauptsächlich der Ergründung und Einsicht in psychische Erkrankungen und der verhaltensorientierten Anpassung an gesellschaftliche Normen entsprach, rückte seit der Mitte des letzten Jahrhunderts deutlich die Individuation und Autonomie des Menschen als Ziel in den Vordergrund – unabhängig von gesellschaftlichen Normen. Diese Veränderung begann schon früh mit Sigmund Freuds Mitstreiter Carl Gustav Jung und dessen Erkenntnissen zur Typologie von Menschen, die später einer der Gründe für sein Zerwürfnis mit Freud waren: Er betrachtete Abweichungen zwischen Menschen mehr und mehr auch als Ausdruck gesunder typologischer Unterschiede wie beispielsweise Extraversion und Introversion. Symptome verstand er als mögliche Reaktionsbildungen auf unterdrückende gesellschaftliche Verhältnisse, die die individuelle Entwicklung behindern, statt lediglich als Ausdruck von psychischer Erkrankung. Symptome enthalten aus dieser Perspektive betrachtet Ressourcen. Hierzu ein Beispiel aus dem Coaching: Ein Mann mit dem als psychosomatisch diagnostizierten Symptom einschlafender Hände wird sich klar darüber, dass sein Talent, innovativ zu gestalten, in seiner aktuellen beruflichen Rolle keinerlei Stellenwert hat. Als Konsequenz dieser Erkenntnis beschäftigt er sich mit beruflichen Alternativen, in denen er dieses Talent einbringen kann, um wieder »zupacken« zu können.
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Nach der Psychoanalyse und der von Jung entwickelten Analytischen Psychologie entstand ab den 1950er Jahren die Humanistische Psychologie mit ihren Schulen wie Klientenzentrierte Gesprächstherapie, Logotherapie, Systemische Familientherapie, Gestalttherapie – und Transaktionsanalyse. Die systemischen Beratungsansätze weiteten den Blick auf den Gesamtkontext und seinen Einfluss auf Individuen. Gestalttherapie und Transaktionsanalyse fokussierten den näheren Blick auf die Wechselwirkung von individueller Dynamik in Beziehungen in der direkten Begegnung (Fritz und Laura Perls) und auf die Art der Kommunikation, die einzelnen Transaktionen (Eric Berne). Die Vertreter der Humanistischen Psychologie entwickelten Konzepte und Methoden, die den Zielen der Individuation und der Autonomieentwicklung dienten und damit auch gesellschaftliche Normen in Frage stellten. In der Transaktionsanalyse war einer von Eric Bernes ersten Mitstreitern Claude Steiner, Mitbegründer der radikalen Psychiatriebewegung in den USA. In seinem Buch »Macht ohne Ausbeutung. Zur Ökologie zwischenmenschlicher Beziehungen« (1986) berichtet er von einem Experiment mit seiner Partnerin, in dem er für einige Tage mit ihr das damalige Geschlechterverhalten tauschte – sie also im Restaurant die Rechnung für ihn bezahlte, er im Auto mitfuhr, statt selbst zu fahren, sie ihm die Türen aufhielt, er die tägliche Hausarbeit wie putzen und kochen verrichtete etc. Er gab sehr beeindruckend die Schwächung seines Selbstwirksamkeitsempfindens nach diesen Tagen wieder. Steiner engagierte sich zeitlebens dafür, neben der Unterstützung von Veränderung für Individuen auch gesellschaftliche Strukturen und diejenigen Aspekte von Kultur in den Blick zu nehmen, die der Entwicklung der individuellen Autonomie entgegenstehen. Er bekämpfte Rassismus, Geschlechterdiskriminierung und soziale Ungerechtigkeit. Auch hier wird die Nähe zum systemischen Denken deutlich, wenn bei der Analyse individuellen Verhaltens Wirkungen des Systems auf Menschen einbezogen werden. Das Autonomieverständnis der frühen Transaktionsanalytiker kommt treffend in der Autonomiedefinition des Philosophen Theodor W. Adorno (1971, S. 93) zum Ausdruck: »[…]die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen.«
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Eric Berne revolutionierte die Psychotherapie, indem er der Autonomie seiner Patienten durch einen symbolhaften Settingwechsel Ausdruck verlieh: Statt wie bis dahin in der Psychoanalyse üblich auf der Couch zu liegen, sitzt der Patient in der Transaktionsanalyse auf Augenhöhe dem Therapeuten gegenüber und vereinbart einen Behandlungsvertrag. Dieser wird nicht vom Therapeuten definiert, sondern als wechselseitige Vereinbarung wie in einem geschäftlichen Vertrag, an den sich auch der Therapeut halten muss und der seine Macht klar begrenzt (dazu mehr in Kapitel 6.1). Die südafrikanische Transaktionsanalytikerin Patricia Clarkson (1996) beschreibt den Aspekt der Augenhöhe in der Beziehungsgestaltung durch die Vertragsarbeit als die Förderung der Autonomie, indem individuelle Verantwortlichkeit maximiert wird. Dies korrespondiert für sie mit dem existenzialistischen Prinzip der individuellen Freiheit. Damit einher geht eine Beziehungsgestaltung, die sich von der »Abstinenzregel« der Psychoanalytiker mit einer weitgehenden Beziehungsdistanz abgrenzt. Stattdessen werden Klientinnen im Vertrauen auf ihr eigenes Lösungspotenzial im gesamten Prozess auf Augenhöhe einbezogen, ohne die Kompetenzunterschiede in den Rollen zu verleugnen (weitere Hinweise in Kapitel 3.1 zu den Beziehungsbedürfnissen in einer Beratungsbeziehung). Autonomie setzt nach Berne Bewusstheit im Sinne von Selbstreflexivität voraus, um Gefühle, Denken und Verhalten, die aus der Vergangenheit gespeist sind, von der Gegenwart unterscheiden und die Realität so sehen zu können, wie sie hier und heute tatsächlich ist. Dazu gehört auch, die Realität unmittelbar mit all ihren sinnlichen Aspekten wahrzunehmen – jenseits von Kognitionen und Bewertungen, staunend und neugierig, mit einer Art Anfängergeist. Er benutzte dafür auch den Begriff marsisch wahrnehmen– als kämen wir vom Mars und würden alles wie neu erleben. Bewusstheit ermöglicht Spontaneität. Gemeint ist damit die Fähigkeit, idealerweise frei von alten Prägungen und Glaubenssätzen zu fühlen, zu denken und verantwortlich zu handeln, wie es für die Gegenwart stimmig ist. So kann die eigene Kraft im Sinne von Selbstwirksamkeit erlebt und ausgedrückt, können Beziehungen offen und vertrauend gestaltet werden. Unterschiedliche Bedürfnisse erhalten
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in wechselseitigem Respekt und ohne Abwertungen ihren Raum und können miteinander ausgehandelt werden. Berne bezeichnete dies als die Fähigkeit zur Intimität, gemeint als Beziehungsfähigkeit und Beziehungsqualität: Intimität als ein Zustand von tiefem Vertrauen und Kooperation. Er meinte damit ebenfalls unsere grundsätzliche menschliche Liebesfähigkeit, die Kinder schon mit auf die Welt bringen. Wenn sie erhalten wird, kann sie auch in professionellen Rollen eine hohe Wirkung entfalten. Der Philosoph Max Scheler (1926), ein Zeitgenosse von Freud und Jung, beschreibt ihre Wirkung treffend: »Die Liebe lässt den Wert des […] Menschen, seinen Personenkern, aufblitzen. Die Liebe ist der sehend machende Akt.« Diese Qualität tiefen Vertrauens kann selbst in beruflichen Kontexten entstehen bei gleichzeitiger Rollenbewusstheit und Klarheit über Machtdynamiken: High-Performance-Teams zeichnen sich durch diese Beziehungsqualität in der Zusammenarbeit aus. Leistungsfähigkeit wird besonders durch Beziehungen gemindert, die durch Misstrauen gekennzeichnet sind. Unser Eingangszitat von Goethe verdeutlicht diese Grundhaltung des Vertrauens, die wohlwollend auf die Potenziale anderer blickt und ermutigendes Verhalten praktiziert, ohne die Grenzen des Möglichen zu leugnen und bei Bedarf zu thematisieren. Der Schweizer Transaktionsanalytiker und Theoriepionier Leonhard Schlegel verbreitete die Transaktionsanalyse im deutschsprachigen Raum. Er beschreibt Autonomie als »Mut, Entscheidung und Fähigkeit zur Selbstverantwortlichkeit« (1988, S. 326). Dieser Mut beinhaltet den Abschied von symbiotischer Geborgenheit in Unselbstständigkeit und einer unhinterfragten Übernahme eines in der Kindheit ausgebildeten Selbst- und Fremdbildes. Er schließt eine Offenheit für neue Erfahrungen ein, auch wenn diese dem bisherigen, vertrauten inneren Bezugsrahmen widersprechen und zu Neuentscheidungen herausfordern. Der amerikanische Transaktionsanalytiker Graham Barnes (1979, S. 26) aus der Pioniergeneration der Transaktionsanalyse fasst das Ergebnis von Autonomieentwicklung entsprechend zusammen: »Die Autonomie ist wiedererlangt, wenn man sich mit seinem inneren Eltern-Ich versöhnt, den Eltern (und anderen Autoritätspersonen,
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Anm. der Verf.) ihre Fehler vergeben und sich gleichzeitig auf freundliche Weise von ihnen emanzipiert hat.« Entwicklungsstufen bezogener Autonomie Die Entwicklung von Autonomie geschieht in einem Prozess, der verschiedene Stadien beinhaltet. Vincent Lenhardt (1992), ein französischer Transaktionsanalytiker und Pionier der Coaching-Literatur, benennt diese Stadien klassisch entwicklungspsychologisch. Wir fügen kursiv gekennzeichnet die ressourcenorientierte sprachliche Weiterentwicklung von unserem Kollegen Johann Schneider (2000) hinzu: Ȥ Abhängigkeit/Geborgenheit Ȥ Gegenabhängigkeit/Abgrenzung Ȥ Unabhängigkeit/Selbstständigkeit Ȥ Wechselseitige Abhängigkeit/Wechselseitige Bereicherung Ȥ Freiheit zu verschiedenen Beziehungsarten Kinder durchlaufen diese Stadien im Aufwachsen. Die Entwicklungsstufe, die umgangssprachlich als Trotzalter bezeichnet wird, nennen wir bewusst die erste Stufe der Autonomieentwicklung. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für das Ausbilden einer eigenen Identität – zunächst über den Weg der Abgrenzung »Ich will nicht das, was du willst«. Der Prozess kann für das Kind neben der Freude an der eigenen Kraft durchaus psychisch schmerzvoll sein in der ersten Ablösung aus einer positiv erlebten Symbiose. Kleine Kinder, die eine schmerzhafte Halsentzündung haben, können verzweifelt sein über die Erkenntnis, dass Mutter und Vater hier nur wenig auszurichten vermögen. Ihrem Gefühl nach müssen sie Abschied nehmen von der paradiesischen Geborgenheit und dem Wohlgefühl des Einsseins mit den Eltern. Die zweite Stufe der Autonomieentwicklung findet in der Pubertät statt mit der Entwicklungsaufgabe der Ablösung von den Eltern und der Bildung einer eigenen Identität. Diese Phase bringt neben der Kraft für Neues ebenfalls häufig Gefühle der Verzweiflung für die Jugendlichen (Weltschmerz) wie auch für die erwachsenen Bezugspersonen (Hilflosigkeit) mit sich. Für Eltern und Professionelle empfehlen wir zur Vertiefung dieses
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Themas das Buch des systemischen Familienberaters Jesper Juul (2010) »Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht: gelassen durch stürmische Zeiten«. Auch Erwachsene durchlaufen diese Stufen (bestenfalls) immer wieder einmal, wenn sie sich beispielsweise nach einer ersten Verliebtheit auf eine dauerhafte Partnerschaft einlassen. Auch über private Beziehungskonstellationen hinaus, beispielsweise in der Rolle einer Mitarbeiterin einer Organisation, besteht die Entwicklungsaufgabe darin, nach vielleicht anfänglichem, der Zugehörigkeit dienendem Enthusiasmus eine gesunde, rollengemäße Abgrenzung im Sinne eines nachhaltigen Arbeitsmodus zu finden. Das bedeutet, die Rolle eigenverantwortlich auszufüllen sowie zu prüfen und dann zu entscheiden, ob die Zusammenarbeit eine wechselseitige Bereicherung ergibt. Grundsätzlich haben Menschen die Freiheit, Rollen zu beeinflussen, aufzugeben oder sich stimmigere Rollen und Aufgaben zu suchen. Im Folgenden geben wir ein Beratungsbeispiel für die Autonomieentwicklung im Kontext einer Rollenthematik, in dem zugleich unsere Vernetzung mit dem Ansatz des Zürcher Ressourcen-Modells bei der Auftragsklärung deutlich wird (dazu weitere Informationen in Kapitel 6.1). In diesem Ansatz werden vor der Beschreibung einer Handlungsintention auf rationaler Ebene die meist unbewussten Bedürfnisse auf der Ebene des limbischen Gehirns durch die Verwendung einer Bildkartei aufgespürt. Über die Auswahl der Bilder werden Bedürfnisse bewusst, besprechbar und für eine nachhaltige Auftragsklärung nutzbar gemacht. Damit wird die für die Veränderung nötige Energie mobilisiert. Eine Führungskraft berichtet in einem Vorgespräch im Rahmen eines unternehmensfinanzierten Coachings von seinem Anliegen, kraftvoll auftreten und seine Kompetenz zeigen zu können. Hintergrund ist der Wunsch seines Chefs, ihn auf eine nächste Führungsebene hin zu entwickeln. Er freut sich über dessen Vertrauen und ihm gefällt die Vorstellung, sich beruflich weiterentwickeln zu können. Beim zweiten Treffen sucht er sich auf Anregung des Coaches zur Vertiefung und Überprüfung des Coaching-Anliegens zwei Bildkarten aus einer Bildkartei mit Fotografien aus: Zu sehen ist ein Mann mit einer lust- und
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kraftvollen Aufrichtungsbewegung und auf der zweiten Bildkarte ein Ruhe ausstrahlender Berggipfel im Abendlicht. Der Mann ist selbst erstaunt, dass ihn das ruhige Bild so anspricht. Beim gemeinsamen Forschen beginnt er, über seine Familiensituation zu sprechen. Er lebt mit seinen beiden kleinen Söhnen alleinerziehend, und es ist ihm sehr wichtig, ihnen ein guter Vater zu sein. Seine neue Führungsrolle würde die Anwesenheit und Verantwortung für zwei Standorte mit zusätzlichen Fahrtzeiten und in der Folge weniger Zeit für seine Kinder bedeuten. Ihm wird bewusst, was er aufgrund seiner kulturellen Herkunft verinnerlicht hatte: »Einer Autorität, in diesem Fall dem Chef, darf man nicht widersprechen.« Sein Anliegen wandelt sich dahin, kraftvoll (inspiriert durch das Bild des Mannes) auch für die eigenen Interessen einzutreten. Er klärt mit seinem Chef, dass er gern die neue Führungsrolle für nur einen Standort übernehmen würde, um nicht zu lange Fahrtzeiten zu haben. Er ist damit erfolgreich; ein anderer Kollege übernimmt den zweiten Standort.
Die Wahlmöglichkeiten, beispielsweise eine berufliche Rolle zu kündigen, können in bestimmten Lebensphasen eingeschränkt sein, wenn es finanzielle Restriktionen durch Verantwortung für kleine Kinder, eine schwierige allgemeine Wirtschaftslage oder Ähnliches gibt. Hier wird die systemische Bedingtheit im Sinne der wechselseitigen Abhängigkeit und der Einfluss der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf die individuelle Autonomieentwicklung deutlich. Auch Vincent Lenhardt (1992, S. 88 f.) betont diesen Zusammenhang: »Autonomie definiert sich immer im Kontext einer Beziehung und muss also systemisch betrachtet werden, nicht isoliert als ein intrapsychisches Phänomen.« Zugleich sind aber autonome Entscheidungen im Umgang mit restriktiven Situationen möglich, beispielsweise eine innere Haltung zu wandeln von »Ich muss diesen Job weitermachen« hin zu »Ich entscheide mich bewusst, mir und meinen Kindern in den nächsten drei Jahren das jetzige finanzielle Fundament zu sichern, und halte dabei Ausschau nach Alternativen für die Zukunft« oder »Ich entscheide mich dafür, in den nächsten drei Jahren mit weniger Geld auszukommen und dafür viel Zeit für meine Kinder zu haben«. Aus Sicht des Psychiaters und Psychosomatikers Joachim Bauer (2010) ringen Menschen als soziale, resonante Wesen grund-
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sätzlich um die Balance zwischen Autonomie und Kooperation – um eine bezogene Autonomie. Beratungs- und Coaching-Themen aller Art resultieren unserer Erfahrung nach aus diesem Ringen. In der beraterischen Beziehungsgestaltung entsteht im besten Fall die Autonomiestufe der wechselseitigen Bereicherung. Der aus dem Ansatz der Kokreativen Transaktionsanalyse entstandene Begriff »We’ness« (Summers u. Tudor, 2000) drückt dies passend aus. Er ist angelehnt an die systemische Metapher der Emergenz, der auftauchenden Qualität, die in einem gemeinsamen schöpferischen Prozess der Problemlösung entsteht. Dieser Prozess beinhaltet durch die wechselseitige Bereicherung mehr als individuell entwickelte Lösungen. »We’ness« hat auch im Fall dieses Buchprojekts zu einer großen, wechselseitigen Bereicherung geführt – zwischen uns Autorinnen und in der Vernetzung der Erkenntnisse anderer Autoren. Alle weiteren im Buch beschriebenen Konzepte dienen letztlich der Autonomieentwicklung von Menschen – der Bewusstheit, Spontaneität und Beziehungsfähigkeit als Ausdrucksqualitäten einer autonomen Persönlichkeit. Wir beleuchten sie aus den Perspektiven der Nähe mit Konzepten der Transaktionsanalyse, der Weite durch den systemischen Blick, der Tiefe durch die Analytische Psychologie und der Energie aus dem neurobiologisch basierten Konzept des ZRM .
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Interventionsleitende Fragen und Impulse zur Autonomieentwicklung: – Was ist das tieferliegende Bedürfnis in Bezug auf den Beratungsanlass? – Welche grundlegenden Werte spielen im Zusammenhang mit dem Beratungsanlass eine Rolle? Was bedeutet das für das Beratungsziel? – Wie und wo könnten diese Bedürfnisse versorgt werden? – Wie beeinflussen die Rahmenbedingungen die tatsächlichen Möglichkeiten? – Mit welchen Menschen müssten die daraus resultierenden Themen besprochen und verhandelt werden? – Welche Kraftquellen können aktiviert werden, um den Mut zu inneren oder äußeren Entscheidungen oder zum Gestalten von Umständen und Beziehungen zu finden?
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Grundlagen der Transaktionsanalyse
– Welcher Preis ist für die Veränderung zu zahlen – was müsste losgelassen werden? – Enthält die Lösung die Qualitäten sowohl von Geborgenheit als auch Abgrenzung, Selbstständigkeit wie auch wechselseitiger Bereicherung? Werkzeugkiste »Checkliste zur Autonomieentwicklung« (S. 244 f.) Vertiefende Literatur Hagehülsmann, H. (2016). Trägt das Menschenbild der Transaktionsanalyse? Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 33, 1, 28–36. Juul, J. (2010). Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht. Gelassen durch stürmische Zeiten. München: Kösel. Lenhardt, V. (1992). Stadien der Autonomieentwicklung. In G. Kottwitz, V. Lenhardt (Hrsg.), Integrative Transaktionsanalyse. Berlin: Institut für Kommunikationstherapie. Schlegel, L. (1988). Die transaktionale Analyse. Ein kritisches Lehrbuch und Nachschlagewerk (3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl.). Tübingen: Francke.
2.2 Auf dem Weg zu einer O. k.-o. k.-o. k.-Haltung: Lebensgrundhaltungen »Den Übernächsten zu lieben ist oft wirklich leichter.« Bernd Schmid
Ein weiterer Aspekt des Menschenbildes der Transaktionsanalyse ist das Konzept der Grundpositionen oder Grundhaltungen. So wie das Autonomiekonzept beschreibt es einen Idealzustand, der die Funktion eines Leit- oder Entwicklungsziels hat. Beide Konzepte dienen der Orientierung. Vergleichbar mit einer Kompassnadel geben sie eine Entwicklungsrichtung vor, ohne zu einem konkreten Endpunkt zu führen. Die Grundpositionen oder Lebensgrundhaltungen nannte Berne O. k.-Positionen. Okay sein heißt für ihn, kooperativ, lernfähig, einmalig und ausgestattet mit einem liebenswerten Kern zu sein. Die Grundpositionen beziehen sich auf das Sein eines Menschen. In
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diesem Sinne hielt Berne jeden Menschen grundsätzlich für okay. Diese Überzeugung zu entwickeln und freundlich und liebevoll auf sich und andere zu schauen, das bedeutet die Grundhaltung Ich bin okay-du bist okay – ein Ideal mit Orientierungsfunktion. Berne hat die O. k.-Positionen jedoch ganz im systemischen Sinne nicht nur auf Transaktionen bezogen, sondern bereits die Beziehung zur Welt mitgedacht – also eine O. k.-o. k.-o. k.-Beziehung als Zielbild konzipiert. Mit den Grundpositionen setzen Menschen sich in Beziehung zu anderen und im Weiteren auch zu anderen Systemen, beispielsweise zu der Organisation, für die sie arbeiten, oder zur Welt, in der sie leben. In der Sprache des Modells würde das heißen: Ich bin okay – du bist okay – die anderen sind okay (+/+/+). Damit wird das »We’ness«-Prinzip bestärkt, das wir in Kapitel 1 beschrieben: Es geht nicht nur um das Individuum, es geht um den anderen und um alle anderen, nicht um Exklusion, sondern um Inklusion. Das Modell unterscheidet die Seins- und die Verhaltensebene: So kann bei grundlegender O. k.-o. k.-Haltung, die sich auf das Sein eines Menschen bezieht, dessen Verhalten trotzdem als nicht okay thematisiert werden. Die in Kapitel 2.1 beschriebene Autonomie kann nur auf der Grundlage vorheriger Bindung entwickelt werden und basiert auf einer positiven frühkindlichen Beziehungserfahrung. Eltern und andere Bindungspersonen, die im Sinne der Autonomieentwicklung innerlich weitgehend unabhängig sind, können einem Kind in einer förderlichen Grundhaltung begegnen und sich selbst und das Kind meistens als o. k. erleben. Gelingende Kommunikation in der frühen Bindungserfahrung wie auch im späteren Leben setzt also eine O. k.-o. k.-Haltung (abgekürzt +/+) als Grundposition voraus. Grundpositionen sind Teil des Lebensskripts (mehr dazu in Kapitel 4.1). Sie sind erlernt und nicht genetisch oder typologisch bedingt, das heißt, sie können auch verlernt oder neu erlernt werden. Von den Eltern oder anderen Bindungspersonen übernommen oder im Kindesalter selbst entwickelt, orientiert sich ihre Ausgestaltung an der Passung ins Familiensystem und dem Maß an Zuwendung, die es dafür gibt.
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Grundlagen der Transaktionsanalyse
Auf das Sein bezogen beschreiben die Grundpositionen innere Haltungen und beziehen sich auf die Würde und den Wert des Menschen. Sie finden Ausdruck in der Wortwahl und im Tonfall, durch Blicke, Gestik, Mimik und durch die Körperhaltung eines Menschen, ohne dass ihm dies bewusst sein muss. So kann es einen Widerspruch geben zwischen Worten und der begleitenden »Musik«, beispielsweise zwischen freundlichen Worten (+/+) und einem begleitenden Augenrollen, das die Worte mit einer abfälligen Haltung (+/−) Ich bin okay-du bist nicht okay übermalt. Es gibt vier Grundpositionen, zwischen denen Menschen oft wechseln, von denen jedoch je nach Lebensskript meist eine Abbildung 1 OK-Corral besonders eingeübt wurde. Der amerikanische Transaktionsanalytiker Franklin Ernst (1971) hat sie in der Abbildung 1 in Form eines O. k.-Corrals visualisiert.
+/Machtkampf und Rechtfertigung
Resignation und Verdrängung
+/+ Verhandlung und Kooperation
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Überanpassung und Selbstzweifel
-/+
Abbildung 1: O. k.-Positionen modifiziert nach Ernst (1971) 3
Die ideale Haltung Ich bin okay / du bist okay (+/+) bedeutet: Ich respektiere und akzeptiere mich so, wie ich bin, mit meinen Fähigkeiten und meiner Fehlerhaftigkeit, und dich ebenfalls. Diese Haltung steht für einen guten Kontakt zu sich selbst und zu anderen und ist eine zentrale Voraussetzung für gelingende Kooperation und erfolg-
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reiche Verhandlungen. Sie manifestiert sich im Körper durch ein Gefühl von Ruhe und Wachheit, von Ausgewogenheit zwischen Entspannung und Spannung. Die Schultern können sinken, die Atmung fließt, die Stimme nutzt alle Resonanzräume und ist wohltönend, der Gang ist aufrecht und federnd. Diese ideale Haltung kann von keinem Menschen dauerhaft eingenommen werden, es sei denn, er ist erleuchtet. Darum hat die amerikanische Transaktionsanalytikerin Fanita English (1994), eine der ersten Schülerinnen von Eric Berne, für eine fünfte Position plädiert, die sie +/+ realistisch nennt. So wird die ideale O. k.Haltung zu einem Entwicklungsziel. Sie kennzeichnet eine Einstellung, die man realistischerweise nicht dauerhaft einnehmen, aber möglichst häufig anstreben und deren Verfehlen sich und anderen nachgesehen werden kann. Sie kann im Sinne lebenslangen Lernens trainiert werden und möglicherweise ein altes abwertendes Haltungsmuster ablösen. Dieses Konzept ist sowohl eine diagnostische Landkarte als auch ein hilfreiches Reflexionsinstrument. Hier ein Beispiel: Überdenken wir eine missglückte Interaktion, in der wir mit unserem Verhalten und unserer Haltung nicht zufrieden waren, so kann die Frage »Welches Verhalten hätte einer +/+ Haltung entsprochen?« dazu führen, kreativ zu werden und sich in einer nächsten Situation anders zu verhalten; vielleicht auch dazu, das Bedauern über das eigene Verhalten zum Ausdruck zu bringen. In beiden Fällen wäre es ein Schritt, um den eigenen Seelenfrieden wiederherzustellen und den Missklang in einer Beziehung zu harmonisieren. In jedem Fall kann diese Reflexion die eigene Weiterentwicklung fördern.
Die +/+ Haltung ermöglicht Kritik am Verhalten, jedoch ohne Abwertung der Person: »Mir gefällt es nicht, dass du mich vor deiner Entscheidung nicht informiert hast!« Wenn diese Worte kongruent sind mit allen übrigen Signalen – Ton, Blick, Mimik, Körperhaltung, Gestik –, bezieht sich diese kritische Bemerkung auf das Verhalten, nicht auf die ganze Person. Mit der folgenden Bemerkung hingegen wird nicht nur das Verhalten, sondern der ganze Mensch in seinem Sein kritisiert: »Du hast
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mich nicht informiert! Was hast du dir denn dabei gedacht?« Auch die Begleitmusik ist dann wahrscheinlich abwertend, denn mehr noch als Worte bringen Körpersprache und Tonfall die Abwertung zum Ausdruck. Selbst wenn sie der Absenderin nicht bewusst sein sollte, sucht sich die abwertende Haltung einen Weg über die Körpersprache. Oft entsteht dadurch ein unangenehmes Gefühl beim Gegenüber: Vielleicht kann man den Worten noch zustimmen, reagiert aber abwehrend auf die Körpersprache und fühlt sich irritiert. Kommen beleidigende Worte hinzu wie zum Beispiel »Du Trottel!«, ist die darunterliegende Grundposition eindeutig +/−: »Ich bin okay, du bist nicht okay«. Ist diese Haltung die eingeübte Skripthaltung, wirkt sich das innerlich als große Anstrengung für Körper und Seele aus: Der Träger dieser Haltung geht in der Regel kampfbereit, angespannt und mit sichtbar oder unsichtbar geschwellter Brust durch die Welt. Er fühlt sich aufgefordert, andere vom hohen Ross herab entweder zu kritisieren oder zu retten – ob sie wollen oder nicht. Das Kreuz ist durchgedrückt, die Nacken- und Schultermuskulatur angespannt, Brustatmung statt Bauchatmung, gepresste, eher laute Stimme. Die −/+ Haltung dagegen signalisiert: »Ich bin nicht okay, du bist okay!« oder »Ich bin nicht wichtig, du bist wichtiger«. Da diese überangepasste Haltung für den Träger schwer zu ertragen ist, wechselt er im Verlauf einer Entwicklung manchmal ins Gegenteil, verbirgt die −/+ unter einer +/− Haltung und kippt vielleicht im stillen Kämmerlein auch wieder zurück. »Es macht mir nichts aus, dass du das allein entschieden hast.« Nur an der Körpersprache wäre hier erkennbar, ob diesem Satz eine selbstabwertende −/+ Haltung oder eine +/+ Haltung zugrunde liegt. Hängende Schultern, gesenkter Blick und eine leise, leidende Stimme durch flache Atmung wären Anzeichen für eine −/+ Haltung, aus der heraus die Worte das Gegenüber nicht überzeugen könnten, wohingegen eine entspannte, aufgerichtete Haltung, Blickkontakt und eine klare Stimme der Bemerkung Glaubwürdigkeit verliehen. Die vierte Grundposition, »Ich bin nicht okay, du bist nicht okay!« (−/−) kennzeichnet eine verzweifelte, hoffnungslose Haltung. Sie ist in Krisensituationen manchmal ein Durchgangsstadium. Ist sie
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jedoch eine eingeübte, dauerhafte Haltung, benötigt jemand professionelle Unterstützung, um sich daraus zu befreien. Im Folgenden geben wir ein Beispiel dafür, wie das Konzept in der Beratung genutzt werden kann: Die erfolgreiche Chefredakteurin eines Zeitungsverlages kommt ins Coaching. Sie erzählt von der anspruchsvollen Arbeit und ihrer Fähigkeit, auch unter Zeitdruck nicht den Überblick zu verlieren. Sie berichtet, dass sie auch ihre »lahmen« Mitarbeiter ganz gut im Griff habe, beklagt aber ihr oft angespanntes Verhältnis zu ihnen. Immer wieder entstünde nach Dienstbesprechungen schlechte Stimmung, die sie sich nicht erklären könne. Daran möchte sie etwas ändern. Würde nun der Coach aus einer +/− Grundposition heraus die Abwertung der Mitarbeiter durch ihre Chefin (»lahme« Mitarbeiter) direkt konfrontieren, stieße er bei der Coachee vermutlich auf Widerstand. Seine +/+ Grundhaltung könnte beispielsweise dadurch zum Ausdruck kommen, dass er sich fragend für das Motiv und den Hintergrund der Position der Coachee interessiert. Er könnte sie auch fragen, ob sie dazu Feedback aus einer anderen Perspektive hören möchte oder ob sie Interesse an einer Information über die O. k.Haltungen hat.
Für die Wirksamkeit von Prozessen in der Führung, sei es als Eltern oder Abteilungsleiterin, als Lehrer oder Teamleitung, als Beraterin oder Coach, spielt die Grundhaltung »O. k.-o. k.-realistisch«, aus der heraus die führende Person handelt, eine entscheidende Rolle. Die jeweils geführten Menschen können im Sinne eines kokreativen Prozesses und einer beidseitigen Verantwortung mit ihrer eigenen jeweiligen Grundhaltung das Ihre zum Gelingen der Kommunikation beitragen. Eine sehr bereichernde Weiterentwicklung dieses Konzeptes nahmen die Pioniere der Organisationsentwicklung in Deutschland, Doppler und Lauterburg (2014), vor. Sie ergänzten es mit zwei Pfeilen, die für den Energieeinsatz zur Durchsetzung eigener Bedürfnisse und für den Energieeinsatz zur Unterstützung der Bedürfnisse anderer Personen stehen, wie in der Abbildung 2 zu sehen ist:
Abbildung 2 OK-Corral und Konfliktmanagement
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Grundlagen der Transaktionsanalyse
Machtkampf und Rechtfertigung
niedrig
Energie zur Durchsetzung eigener Bedürfnisse
hoch
+/-
Resignation und Verdrängung
+/+ Verhandlung und Kooperation
-/-
Überanpassung und Selbstzweifel
-/+
niedrig
hoch
Energie zur Unterstützung der Bedürfnisbefriedigung des/der Anderen
Abbildung 2: O. k.-Positionen und Konfliktverhalten modifiziert nach 4 Doppler und Lauterburg (2014)
Im Quadranten rechts oben ist der Energieeinsatz am höchsten: Es ist mir wichtig, dass ich zufrieden bin, und es ist mir auch wichtig, dass du zufrieden bist. Für beides setze ich meine Energie ein. Das entspricht der Umsetzung der +/+-Haltung in vollem Umfang und führt auf direktem Weg zu ihrer Umsetzung in kooperative und kokreative Verhaltensweisen. Kulturell bedingt ist das Konfliktverständnis vieler Menschen noch stark durch das »Ich oder Du«- Prinzip geprägt, dieses Modell aber zeichnet sich aus durch ein »Sowohl-als-auch«, also: +/+, eine für uns oft ungewohnte und ungeübte Haltung. Interventionsleitende Fragen und Impulse ausgehend vom Fallbeispiel der Chefredakteurin: – Informationen geben über Grundhaltungen und den Okay-Corral – Welche innere Grundhaltung ist Ihnen selbst am besten vertraut? – Arbeiten Sie gern in Ihrem Beruf? Was ist es, was Sie fasziniert? – Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Arbeit oft unter hohem Zeitdruck steht. Wie kommen Sie damit zurecht? Was brauchen Sie, wenn Sie unter Zeitdruck stehen?
Auf dem Weg zu einer O. k.-o. k.-o. k.-Haltung41
– Was denken Sie, was Ihre Mitarbeiter über Sie erzählen, wenn sie nach Hause kommen? – Wie denken Sie über das Thema »respektvolle Kommunikation« (O. k.-o. k.-Haltung)? – Welcher Art der Kommunikation würde einer O. k.-o. k. -realistisch-Haltung entsprechen? Werkzeugkiste »Schritt für Schritt« (S. 248 f.) Vertiefende Literatur English, F. (1994). Transaktionsanalyse. Gefühle und Ersatzgefühle. Salzhausen: iskopress. Steiner, C. (1986). Macht ohne Ausbeutung. Zur Ökologie zwischenmenschlicher Beziehungen. Paderborn: Junfermann. Stewart, I., Joines, V. (1990). Die Transaktionsanalyse. Eine neue Einführung in die TA. Freiburg: Herder.
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Die Potenziale im Blick
Während der Fokus im vorherigen Kapitel auf Entwicklungszielen lag, richtet er sich jetzt mit den Themen Grundbedürfnisse und Gefühle auf die Entdeckung von Potenzialen. Die Wahrnehmung und Anerkennung der Grundbedürfnisse Zuwendung, Anregung und Struktur (strokes, stimulation, structure) versetzt uns in die Lage zu wissen, was wir brauchen. Die Erfüllung von Grundbedürfnissen bewirkt zugleich eine Potenzialität – die Fähigkeit, als soziale Wesen uns selbst und andere wertzuschätzen (strokes), uns wechselseitig anzuregen (stimulation) und uns und unser Leben sinnvoll zu strukturieren (structure). Aus den Grundbedürfnissen ergeben sich Grundgefühle, über die wir Bedürfnisse ausdrücken können. Die genaue Wahrnehmung und Kontextualisierung der Entstehung unserer Gefühle versetzt uns in die Lage, diese als Lösungsenergien zu sehen, die uns helfen können, schwierige Situationen zu meistern. Damit entfalten wir eine Kraft, die wir für uns selbst, für das Verständnis von anderen und von Situationen nutzen können und die unsere Autonomieentwicklung unterstützt.
3.1 Guter Boden für Wachstum: Grundbedürfnisse erfüllen »Dein Ort ist, wo Augen dich ansehen, wo sich die Augen treffen, entstehst du.« Hilde Domin
Mit diesem Gedicht drückt Hilde Domin auf unvergleichliche poetische Weise etwas aus, in dem sich viele Philosophen und Psychologinnen einig sind: Menschen sind in ihrer Entwicklung auf-
Guter Boden für Wachstum43
einander angewiesen. Sie brauchen einander in jedem Lebensalter, um zu wachsen und zu werden, wer sie sind. Das Wahrnehmen und Erfüllen von Grundbedürfnissen steht in enger Wechselwirkung mit dem Einnehmen der Okay-Position und ist eine Voraussetzung für menschliche Entwicklung und Lernen. Der Begriff »Grundbedürfnisse« ist die deutsche Übersetzung von Bernes Begriff »hunger«. Die Formulierung macht deutlich, dass auch diese Bedürfnisse eine existenzielle Funktion haben. Sie sichern neben den Lebensgrundbedürfnissen nach Nahrung, Luft und einer angenehmen Temperatur das Überleben. Lebensgrundbedürfnisse nennt der Sozialpsychologe Maslow »Defizitbedürfnisse«. In Abgrenzung davon bezeichnet er die drei von Eric Berne genannten Grundbedürfnisse nach Zuwendung oder Beziehung, nach Struktur und nach Stimulation als »Wachstumsbedürfnisse«. Auch sie sind von elementarer Bedeutung. Nur wenn das Bedürfnis nach Zuwendung gestillt ist, können Säuglinge überleben. Wenn zusätzlich sowohl bei kleinen Kindern als auch bei Menschen bis ins hohe Alter die Bedürfnisse nach Struktur und nach Stimulation erfüllt werden, bilden sie die Grundlage für eine gesunde seelische, körperliche und geistige Entwicklung. Grundbedürfnisse sind Bedürfnisse, die zunächst ausschließlich von außen, von Bindungspersonen und einem stärkenden Umfeld gestillt werden müssen und deren Erfüllung später in die eigene Verantwortung eines Menschen übergeht, um im Alter schließlich möglicherweise wieder stärker nach außen verlagert zu werden. Die Ausprägung des jeweiligen Bedürfnisses ist von der Lebensgeschichte eines Menschen ebenso wie von seiner typologischen Neigung abhängig (nähere Ausführungen dazu in Kapitel 4.2). Die von Berne beschriebenen Grundbedürfnisse sind bekannt als die »3 S«: strokes, stimulation, structure. Sie werden übersetzt mit Zuwendung oder Beziehung, Struktur und Stimulation oder Anregung und stehen in Verbindung zueinander. Mit der ausgewogenen Beantwortung und Erfüllung in der Kindheit halten die »3 S« das Dreieck in einem dynamischen Gleichgewicht (siehe Abbildung 3). Sie bilden die Grundlage für den späteren Umgang mit sich selbst: Menschen lernen als Kinder, wie ihre Bindungspersonen auf ihre Bedürfnisse reagieren, und imitieren später, was sie kennengelernt haben.
Abbildung 3 Grundbedürfnisse
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Die Potenziale im Blick
Struktur Zuwendung
Stimulation Abbildung 3: Grundbedürfnisse nach Berne (1974)
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Wird eines der Bedürfnisse nicht erfüllt, entwickeln Menschen oft ein Ersatzbedürfnis, das befriedigt werden kann. Da das ursprüngliche Bedürfnis aber keine Erfüllung findet, bleibt es latent bestehen als ein »Hunger«, der durch die gewohnheitsmäßig verabreichte »falsche« Nahrung ungestillt bleibt. Solch ein Muster wird oft bis ins Erwachsenenalter hinein beibehalten. Wenn beispielsweise ein Kind mit seinem Roller stürzt, sich das Knie aufschlägt und weint, braucht es Zuwendung und Trost. Wenn dieses Bedürfnis in dieser und ähnlichen Situationen vielleicht mit dem Verabreichen eines Bonbons beantwortet wird, lernt es möglicherweise, sein ursprüngliches Bedürfnis nach Zuwendung zu überdecken, und entwickelt ein Ersatzbedürfnis nach Essen/Süßigkeiten – also nach Stimulation. Möglicherweise wird es auch später auf verletzende Situationen mit Essen reagieren. Weil das ursprüngliche Bedürfnis nach Zuwendung so nicht erfüllt wird, bleibt das Ersatzbedürfnis bestehen. Vergeblich wird versucht, es mit Nahrungsaufnahme zu stillen – bis vielleicht jemand mit der angemessenen Form von Zuwendung reagiert und das unausgesprochene Bedürfnis nach Anerkennung und Zuwendung erfüllt. Später können Menschen durch eine Beratung oder Therapie die Zusammenhänge erkennen und ihren echten Bedürfnissen auf die Spur kommen. Sie können umlernen und ihr Verhalten langfristig verändern. Die Selbstfürsorge stellt das Potenzial für die Erfüllung von Grundbedürfnissen und für ein erfüllendes Leben und gelingende Beziehungen dar.
Guter Boden für Wachstum45
Auch für die Arbeit mit Systemen, zum Beispiel für die Begleitung eines Teams als Teamentwicklerin oder für das Durchführen von Lehrerkonferenzen als Schulleiter, ist das Wissen um die Grundbedürfnisse von Menschen ausschlaggebend für eine erfolgreiche und zufriedenstellende Arbeit. Gibt es eine hilfreiche Struktur? Werden die Menschen angemessen angeregt in ihrem Denken und Fühlen (Stimulation)? Erhalten sie Anerkennung für ihre Arbeit und ehrliches, respektvoll-kritisches Feedback (Zuwendung)? Mit der Beantwortung dieser Fragen stehen die Grundpfeiler für eine verantwortungsbewusste Führung. Hierzu ein Beispiel: Die beiden Leiterinnen eines multiprofessionellen Teams in einer Betreuungsstelle für junge Familien sind mit ihrem Latein am Ende. Sie bemühen sich sehr, den Wünschen der Frauen bei der Aufstellung der Dienstpläne entgegenzukommen. Sowohl Inhalte als auch Referenten für Fortbildungen wählen sie mit großer Umsicht, sie gestalten den Raum, in dem die wöchentlichen Dienstbesprechungen stattfinden, liebevoll mit Blumen – trotzdem ist die Stimmung gereizt, Krankmeldungen häufen sich. Beim jährlichen Teamtag mit der Supervisorin gibt es eine Übung, in der jede Frau zu den Aussagen »Dir fühle ich mich nah!«, »Von dir wüsste ich gern mehr!« und »Mit dir möchte ich etwas klären!« drei Karten an jeweils eine andere verteilen und in einen Austausch kommen soll. Am Schluss platzt es aus einem Teammitglied heraus: »Das war genau richtig! Ich wollte gar nichts Neues lernen! Ich wollte, dass wir uns Zeit nehmen für uns. Ich kenne einige von euch gar nicht richtig. Ich weiß gar nicht, was ihr könnt, was ihr braucht und wie es euch geht!« Diese Übung erfüllte gleich mehrere Bedürfnisse, die den Teilnehmenden nicht bewusst waren: das Bedürfnis nach Zuwendung und Beziehung, das durch persönlichen Austausch erfüllt wurde, und das Bedürfnis nach Struktur, dem zweifach begegnet wurde: durch den definierten Zeitraum des Teamtages und durch die vorgegebenen Fragen, die den Austausch strukturierten. Die Gruppe beschloss, mehrmals im Jahr einen Teil ihrer Supervisionszeit für diese Übung zu nutzen.
Struktur Das Bedürfnis nach Struktur entspricht dem Bedürfnis nach Halt und Sicherheit, nach zeitlicher Taktung und nach Grenzen. Wie hilf-
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Die Potenziale im Blick
reich ein festgelegter zeitlicher Arbeitsrhythmus und klare Abläufe sind, bemerken viele Menschen, wenn sie sich zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit oder im Ruhestand erst einmal einen eigenen, neuen Rhythmus erschaffen müssen. Klare Hierarchien und festgelegte Rollen mit den entsprechenden Aufgaben erleichtern die Orientierung in jeder Gruppe sowohl im Arbeits- als auch im Privatleben. Wenn zum Beispiel Kinder in einem Familiensystem mit hilfreichen Strukturen aufwachsen, die ihre Autonomieentwicklung berücksichtigen, können sie sich schon früh selbst gut regulieren. Sie können beim Eintritt in die Kita oder in die Schule bestehende Strukturen übernehmen, weil sie eine innere Entsprechung haben, und es fällt ihnen leicht, sich einzupassen und mit anderen in der Gruppe zurechtzukommen. Das Bedürfnis nach mehr oder weniger Struktur und auch die Fähigkeit, selbst zu strukturieren, sind individuell sehr unterschiedlich. Sowohl das Bedürfnis als auch die Kompetenz sind bei Erwachsenen und Kindern abhängig von der Lebenssituation und -geschichte und von den typologischen Präferenzen (hierzu weitere Hinweise in Kapitel 4.2). Stimulation Das Bedürfnis nach Stimulation und Anregung bezieht sich auf den Körper, den Geist und die Seele. Immer wieder körperlich, seelisch und geistig berührt und herausgefordert zu werden, erhöht die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln. Fehlt eine solche angemessene Stimulierung, fühlen sich Menschen gelangweilt, ermüden schnell oder sind demotiviert (Boreout); bei einer Überstimulierung mit schnell wechselnden und/oder sehr hohen Anforderungen besteht die Gefahr von Überforderung (Burnout). Dies gilt für einzelne Menschen ebenso wie für Gruppen. Hierzu zwei Beispiele: Wird ein Säugling überfordert, weil er häufig von wechselnden Personen betreut wird und so immer neuen Reizen (Geruch, Stimmklang, Anblicken) ausgesetzt ist, gerät er in Stress und drückt dies vielleicht durch häufiges Schreien aus. Die Überstimulierung aller Sinne wirkt sich ungünstig auf seine Entwicklung aus.
Guter Boden für Wachstum47
Ist ein Mensch an seinem Arbeitsplatz dauerhaft unterfordert und wird nicht seinen Begabungen und Fertigkeiten entsprechend angeregt und herausgefordert, droht ein Boreout, der ebenso wie ein Burnout die Gesundheit beeinträchtigt. Die betroffenen Menschen können sich ihre Müdigkeit und gleichzeitige Angespanntheit oft nicht erklären: »Bei mir im Job ist es eigentlich ziemlich easy, ich muss mich nicht weit aus dem Fenster lehnen, um alles zu schaffen.« Körper, Geist und Seele reagieren missmutig auf so eine Situation.
Das Bedürfnis nach Stimulation kann ebenfalls typologisch bedingt sehr unterschiedlich sein. Extravertiert präferierte Menschen haben mehr Bedürfnis nach äußerer Stimulation, während introvertiert präferierte Menschen eine hohe innerliche Stimulation erleben und deshalb weniger äußere suchen beziehungsweise mehr Bedürfnis nach Auszeiten bei hoher äußerer Stimulation haben. Dieser Unterschied hat bedeutsame Konsequenzen für das persönliche Zeitmanagement. Zuwendung Menschen aller Altersstufen, vom Säugling bis ins hohe Alter hinein, haben ein Grundbedürfnis nach Zuwendung. Zuwendung kann positiv oder negativ sein. Eine konstruktive Entwicklung wird durch positive Zuwendung am nachhaltigsten gefördert. Wenn Menschen keine oder zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, verhalten sie sich oft sehr auffällig und provozieren negative Zuwendung in ihrer Umgebung. Durch sie bekommen diese Menschen zumindest eine Reaktion und damit die Bestätigung ihrer Existenz. Das Negative hilft immerhin zu überleben, das Nichts ist lebensbedrohlich. Berne unterscheidet auch zwischen bedingter Zuwendung, die sich auf eine bestimmte Leistung oder ein bestimmtes Verhalten bezieht (»Das ist Ihnen/dir sehr gut gelungen!«) und unbedingter Zuwendung, die ein Mensch für sein Dasein bekommt (»Schön, dass Sie da sind!«). Unbedingte Zuwendung kann nicht durch bedingte Zuwendung ersetzt werden. Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft definieren ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe über Leistung und ein bestimmtes Verhalten, das schon in Kita und Schule eingeübt wird. Sie bestücken
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Die Potenziale im Blick
ihren Zuwendungshaushalt durch die Kontakte in diesem Rahmen, durch die Anerkennung für das Einhalten der sozialen Regeln und vor allem für Leistung mit bedingter Zuwendung. Wenn sie durch liebevolle Beziehungen in der Vergangenheit und ihrem aktuellen Privatleben ein gutes Polster an unbedingter Zuwendung haben, können sie eine kritische Bemerkung oder einen Misserfolg angemessen abfedern und gut balanciert durchs Leben gehen. Erhalten Kinder fast ausschließlich bedingte Zuwendung auf der Verhaltensebene, werden sie möglicherweise noch als Erwachsene einen unstillbaren Wunsch nach äußerer Anerkennung haben: Das eigentliche Bedürfnis nach unbedingter Zuwendung wird nicht gesättigt. Ohne dieses Polster reicht dann eine kritische Bemerkung manchmal aus, um sich grundsätzlich in Frage zu stellen: So machen zum Beispiel Führungskräfte in Feedback- oder Leistungs beurteilungsgesprächen manchmal die Erfahrung, dass Mitarbeiter, ausgelöst durch ein konstruktiv-kritisches Feedback auf der Verhaltens ebene, in Tränen ausbrechen oder sich tief gekränkt fühlen.
Gesellschaftlich muss das Augenmerk besonders auf die Menschen gerichtet werden, die noch nicht oder nicht mehr zum Kreis der in Arbeit und Familie eingebundenen Erwachsenen zählen, also die ganz jungen und die ganz alten Menschen und diejenigen, die aus anderen Gründen »nicht dazugehören«. Hierzu zwei Beispiele: In einem Interview in einer Obdachlosenzeitung war zu lesen, dass die Ignoranz vieler Menschen die Zeitungsverkäufer ganz besonders trifft. Viele Menschen tun, als wären diese gar nicht existent. »Sie brauchen keine Zeitung zu kaufen und gar nichts zu spenden, aber sie könnten mich doch einfach mal angucken!« Wie sehr der Wert eines Menschen in unserer Gesellschaft von seiner Leistungsfähigkeit und seinem Erfolg definiert wird, wird unter anderem daran deutlich, dass es seit Jahren nicht gelingt, Kinder, Kranke und vor allem alte Menschen gut zu versorgen. Die Arbeitssituationen von Erziehern, Krankenschwestern und Altenpflegern sind bezüglich ihrer hohen Belastung, ihres geringen Lohnes und ihres geringen gesell-
Guter Boden für Wachstum49
schaftlichen Ansehens für viele junge Menschen nicht attraktiv. Es fehlen angemessen entlohnte Stellen für Menschen, die sich um die Schwachen der Gesellschaft kümmern können.
Träger von unbedingter Zuwendung sind neben den Worten auch der Klang der Stimme, der Blick, Mimik, Gestik und Köperhaltung. Unbedingte Zuwendung scheint uns auf tieferer Ebene zu erreichen. Sie befördert auch Einstellungen, die dem Absender unbewusst sind, und entscheidet letztendlich über die Qualität einer Beziehung. Die empfindsamen Antennen von Kindern registrieren feinste Schwingungen, und es ist gut, wenn Bindungspersonen sich auch ihrer unterbewussten Einstellungen bewusst werden, die durch Sorgen oder anderweitigen Stress vielleicht zeitweise ablehnend sein können. Wächst ein Kind in einer Atmosphäre unbedingter positiver Zuwendung auf, kann es ein grundlegendes bejahendes Selbstgefühl und ein seelisch wie körperlich kraftvolles Immunsystem entwickeln. Kinder lernen sich in ihr Leben, in ihre spezifische Situation und ihre Kultur sozial, emotional und kognitiv hinein. Diese positive Anpassung ist ein riesiger Lernprozess, der von außen gesteuert wird durch bedingt positive und bedingt negative Zuwendung; zunächst durch die Bindungspersonen, später auch durch Erzieher und Lehrerinnen. Mit zunehmendem Alter stößt ein Kind dabei auch einmal auf ein Nein für bestimmtes, nicht geduldetes Verhalten, also auf eine bedingte negative Zuwendung. Unbedingte Zuwendung, also eine +/+-Haltung beizubehalten und das »Nein« trotzdem zu platzieren – das ist die Kunst. Zu einem späteren Entwicklungszeitpunkt fordert ein Kind auch bedingte Zuwendung ein (»Guck mal, wie gefällt dir, was ich gemalt habe?«) und verlangt eine ehrliche Antwort und nichts Dahingesagtes wie ein stereotypes: »Ja, sehr schön!« Solche automatischen Reaktionen werden als Plastik-Strokes (Steiner, 2009) bezeichnet: Sie bezeugen Desinteresse und haben keinen Nährwert. Jedes Gegenüber spürt dies. Auch in der Schule werden Lernen und Leistungsmotivation reguliert durch bedingte Zuwendung in Form von positiver oder negativer Rückmeldung zu bestimmten Verhaltensweisen. Die übliche Form der Rückmeldung zu Leistungen sind Zensuren, die in unserer Gesellschaft eine sehr hohe Bedeutung haben. Da eine Vier
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Die Potenziale im Blick
nicht unterscheidet zwischen Sein und Verhalten, nehmen Schüler die Rückmeldung auch auf beiden Ebenen auf. Je jünger ein Mensch ist und je weniger Polster aus unbedingter Zuwendung er hat, desto mehr ist er auf der Ebene des Seins identifiziert mit seiner Leistung. Der Rückschluss kann also sein: »Ich bin eine Vier wert.« Verbindet man die Zuwendungsarten miteinander, lassen sich in Abbildung 4 vier Formen unterscheiden:
Abbildung 4 Zuwendungsarten bedingt
„Das hast du nicht gut gemacht!“
„Das hast du prima gemacht!“
negativ
positiv „Ich hasse dich!“ Schläge
„Ich liebe dich!“ Umarmen
unbedingt
Abbildung 4: Zuwendungsarten modifiziert nach Hennig und Pelz (1997) 1
Wenn ein Mensch als Erwachsener keine Zuwendung bekommt, kann er eine Weile von »Vorräten«, also guten Erinnerungen, leben und sich selbst Zuwendung geben. Je stabiler sein Selbstgefühl ist, desto leichter wird dies gelingen. Erfahrungen von Annahme und Bestätigung und von unbedingter Zuwendung auch in schwierigen Situationen prägen den Umgang mit sich selbst und den inneren Dialog eines Menschen. Das Erlernen des Umgangs mit Zuwendung wird zu einem Teil des Lebensskripts. Weiteres ist dazu in Kapitel 4.1 zu finden. Claude Steiner, ein Weggefährte von Eric Berne, beschäftigte sich ausführlich mit diesem Thema und erkannte in seinen Psychotherapien bestimmte Gesetzmäßigkeiten im Verhalten seiner Patienten in Bezug auf den Umgang mit Zuwendung. Daraus leitete er kulturell bedingte Zuwendungsregeln ab, die den westlichen Kulturkreisen ent-
Guter Boden für Wachstum51
sprechen und sich von den Regeln anderer Kulturkreise unterscheiden. Er hatte den Eindruck, dass Menschen in der westlichen Kultur lernen, nach folgenden Regeln der Zuwendungsverknappung zu leben: Gib anderen keine Zuwendung. Vielleicht erinnern sich einige Frauen an den elterlichen Hinweis »Mach dich rar!« anlässlich der ersten Verliebtheitserfahrungen? Bitte nicht um Zuwendung, auch wenn du es möchtest. Diese Regel geht davon aus, dass der oder die andere erahnen muss, was ich möchte, und dass erbetene Zuwendung keinen Wert hat. »Wenn ich dich erst darum bitten muss, mich zu umarmen, dann kannst du es gleich lassen!« Nimm keine Zuwendung an, auch wenn du es möchtest. Hinter dieser Regel verbirgt sich das Gebot, sich nicht wichtig zu nehmen und nicht etwa zu denken, man sei es wert, Aufmerksamkeit zu bekommen. »Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und fein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.« Lehne keine Zuwendung ab, auch wenn du es möchtest. Diese Aufforderung wird oft als Erziehung zur Höflichkeit betrachtet. Sie fordert zum Beispiel Kinder zur Überanpassung an andere entgegen dem eigenen Bedürfnis auf, zum Beispiel die unangenehmen nassen Küsse der Großmutter oder andere Berührungen durch Erwachsene nicht zurückzuweisen. Besonders in der Missbrauchsprophylaxe spielt es eine zentrale Rolle, diese Regel aufzuheben und Kinder zu ermutigen, ihren Bedürfnissen zu folgen. Gib dir selbst keine Zuwendung, auch wenn du es möchtest. Dazu passen Aussprüche wie: »Eigenlob stinkt!« – »Sei bescheiden!« und der Satz »Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser geht es ohne ihr!« ist eine humorvolle Antithese. Steiners Idee zur Nutzung der Zuwendung als Potenzial war es, die Verneinungen in diesen Regeln zu streichen und so die ins Lebensskript aufgenommenen einschränkenden Regeln ins Positive zu wenden: Wenn du möchtest, dann … … gib anderen Menschen Zuwendung. … bitte jemanden um Zuwendung.
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Die Potenziale im Blick
… nimm Zuwendung an. … weise dir unangenehme Zuwendung zurück. … gib dir selbst Zuwendung. Weitere Bedürfnisse Diesen von Berne genannten Grundbedürfnissen fügten unter anderen auch Fanita English und Heinrich Hagehülsmann weitere Bedürfnisse hinzu. Fanita English (1994) stellt die Neugier (curiosity) in eine Reihe mit den Grundbedürfnissen nach Berne. Die Neugier weist eine Nähe zum Bedürfnis nach Stimulation auf, rückt mit dem Aspekt der Eigenaktivität aber die Autonomieentwicklung in den Vordergrund und steht in enger Verbindung zum Physis-Konzept von Berne (Clarkson, 1996). Die Physis entspricht dem Drang, die Welt von Anfang an zu erkunden und zu verstehen, und ist schon bei kleinen Kindern deutlich zu beobachten. Wird dieses Bedürfnis gedämpft, streng kanalisiert oder nur häppchenweise befriedigt, sind Entwicklungsverzögerung, Lernverweigerung und Demotivation die Folge. Heinrich Hagehülsmann (2007) betont unter anderem die Bedeutung des Bedürfnisses nach Zugehörigkeit. Es erscheint als eine besondere Form von unbedingter Zuwendung. Hierauf adäquat zu reagieren, ist gerade in Zeiten wichtig, in denen viele Menschen vor Kriegen und anderen unerträglichen Lebensbedingungen fliehen. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit nimmt einen zentralen Platz ein bei Überlegungen und Planungen zur Integration von geflüchteten Menschen. Zugehörigkeit bedeutet Geborgenheit, Schutz und Rückhalt. Sie erscheint wie das Gegenstück zur Neugier. In dieser Polarität »Hinaus in die Welt« und »Hinein in die Gruppe« könnte Eric Bernes »bezogene Autonomie« einen Ausdruck finden. Aus diesem Grund entschieden wir uns, diese beiden auszuwählen aus anderen genannten Bedürfnissen (Hagehülsmann, 2007). Im Wissen um unsere Bedürfnisse und in ihrem Erspüren haben wir die Möglichkeit, unser Leben zunehmend selbst zu gestalten und für uns zu sorgen. Unsere Bedürfnisse und ihr Erkennen sind eine Ressource. Auch der amerikanische Transaktionsanalytiker Richard Erskine erweiterte und differenzierte die von Berne genannten Grundbedürf nisse und formulierte Beziehungsbedürfnisse. In seinem gleichnamigen
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Artikel (Erskine, 2008) widerspricht er der generellen Pathologisierung von Übertragungsphänomenen als symbiotischen Beziehungsbedürfnissen in Therapie- und Beratungsprozessen und differenziert das von Berne genannte Grundbedürfnis nach Zuwendung in acht verschiedene Beziehungsbedürfnisse, die auch für eine Beratungsbeziehung gelten: 1. das Bedürfnis nach Sicherheit in einer Beziehung, 2. das Bedürfnis, wertgeschätzt zu werden und bedeutsam für die andere Person zu sein, 3. das Bedürfnis nach Schutz, 4. das Bedürfnis, verstanden und erkannt zu werden, 5. das Bedürfnis nach Respekt der eigenen Identität auch bei Meinungsverschiedenheiten, 6. das Bedürfnis, wirksam, einflussreich in der Beziehung zu sein, 7. das Bedürfnis, dass die andere Person initiativ wird und den ersten Schritt macht, 8. das Bedürfnis danach, Liebe und Dankbarkeit auszudrücken. Erskines Verständnis von therapeutischen und beraterischen Prozessen entspricht dem Verständnis der geteilten Verantwortung für die Qualität von Beziehungen, das auch in der kokreativen Transaktionsanalyse zum Ausdruck kommt. Kleine Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre ersten Bindungspersonen ihre Bedürfnisse erkennen und erfüllen. Später bringen Menschen ihre Bedürfnisse in jeder bedeutsamen Beziehung direkt oder indirekt zum Ausdruck, nicht nur im beraterischen oder therapeutischen Kontext. Sie haben so die Möglichkeit, einen vielleicht früher entstandenen Mangel auszugleichen, wenn durch neue Beziehungserfahrungen diese Bedürfnisse möglichst spezifisch erfüllt werden. Darin liegt die Chance, eine neue Lebensgeschichte von erfolgreicher Suche und Erfüllung zu erzählen. Interventionsleitende Fragen und Impulse: Besteht in einer Beratung oder einem Coaching der Eindruck, dass der Klient wenig Kontakt zu seinen Bedürfnissen hat, können die folgenden, manchmal sehr einfachen Impulse hilfreich sein, um eine gemeinsame Forschungsreise zu initiieren:
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Die Potenziale im Blick
– Was möchten Sie? Was brauchen Sie? – Wie können Sie dafür sorgen, dass dieses Bedürfnis erfüllt wird? – Klientin über das Modell der Grundbedürfnisse informieren und fragen: Wie ist es bei Ihnen? Werdend diese Bedürfnisse für Sie womöglich zu wenig oder zu viel erfüllt? Oder vielleicht genau richtig? – Information geben über die Zuwendungsregeln (siehe Werkzeugkiste) von Steiner und daran anknüpfende Fragen wie: – Kommen Ihnen einige Regeln bekannt vor? Wie war das in Ihrer Familie? Werkzeugkiste »Standortbestimmung Zuwendungshaushalt« (S. 250 f.) und »Persönliche Zuwendungsgeschichte« (S. 252 ff.) Vertiefende Literatur Clarke, J. (1998). Growing up again. Parenting ourselves, parenting our children (2nd. Ed.). Minnesota: Hazelden Publishing City Center. Roth, G., Ryba, A. (2018). Coaching, Beratung und Gehirn. Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte (3. Aufl.). Stuttgart: KlettCotta. Schmidt, N. (2015). Artgerecht. Das andere Babybuch (8. Aufl.). München: Kösel. Schmidt, N. (2018). Artgerecht. Das andere Kleinkinderbuch (3. Aufl.). München: Kösel.
3.2 Eine Quelle von Lösungsenergien: Gefühle »Der Ärger ist als Gewitter, nicht als Dauerregen gedacht. Er soll die Luft reinigen und nicht die Ernte verderben.« Ernst R. Hauschka
In diesem Abschnitt beschreiben wir eine weitere Ressource, die jedem Menschen angeboren ist: die Fähigkeit zu fühlen. Neben den Grundbedürfnissen gehört sie zur menschlichen Grundausstattung. Menschen können nicht »nicht fühlen«. Das macht Sinn, denn Gefühle sind kein Sand im Getriebe, sondern stellen Energien zur Lösung von Problemen zur Verfügung und erleichtern den Umgang mit schwierigen Situationen. Das ist ihre immanente Aufgabe.
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Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind alle Gefühle positiv, auch wenn sie vielleicht als unangenehm empfunden werden. Richtig genutzt können sie Menschen helfen, ihr Leben konstruktiv zu gestalten. Gefühle gehen einher mit unterschiedlichen Körperempfindungen, die signalisieren, ob es Handlungsbedarf gibt. Das ist schon und besonders gut bei der Mimik von Säuglingen zu beobachten (Dornes, 1995). Auch wenn Gefühle dauerhaft verdrängt und unterdrückt werden, verschwinden sie nicht. Sie finden dann körperlich und seelisch einen Ausdruck durch Magengeschwüre, Bluthochdruck, Depressionen und andere Formen von Krankheit oder Missbehagen. Es scheint auch innere »Sammelstellen« für unterdrückte Gefühle zu geben. Berne verwendete für sie die Metapher von Rabattmarken und Rabattmarkenheften, die es früher gab. Die heutige Entsprechung wären Treuepunkte bei einem großen Geschäft. In dem Bild der Rabattmarken entspricht jedes nicht ausgedrückte Gefühl einer Rabattmarke, die sich eben nicht auflöst, sondern in ein Sammelheft eingeklebt wird. Ist dieses Heft voll und eine weitere Marke findet keinen Platz mehr, wird es eingelöst. Die Auszahlung übertrifft deutlich den Wert jeder einzelnen Marke, so wie die Heftigkeit des ausgedrückten Gefühls dann in keiner Weise der einzelnen, aktuellen Situation entspricht. Sie schießt zum Erstaunen aller Beteiligten weit über das Ziel hinaus. Durch das Erforschen und Einüben neuer Möglichkeiten von jeweils stimmigen Gefühlsäußerungen würde sich das Anlegen von Rabattmarkenheften erübrigen. Hierzu ein Beispiel: Ein Vater ärgert sich häufig über seine beiden Kinder, drei und vier Jahre alt, die beim Hineinstürmen in die Wohnung meistens vergessen, ihre schmutzigen Schuhe auszuziehen. Ehe er sie abfangen kann, verteilt sich der Schmutz in der kleinen Wohnung. Selbst in einem strengen Elternhaus aufgewachsen, nahm er sich bei ihrer Geburt vor, sich anders zu verhalten als der eigene Vater. Scheinbar geduldig holt er also Mal für Mal den Staubsauger. Sein Vorsatz kippt immer wieder nach einiger Zeit. Dann brüllt er die Kinder an und sie fangen an zu weinen. Voll des schlechten Gewissens tröstet er sie – und die nächste Runde beginnt!
Kinder erlernen den Umgang mit Gefühlen von Beginn an durch die Resonanz ihrer Bindungspersonen auf ihre Gefühle ebenso wie
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durch das vorgelebte Modell der Bindungspersonen im Umgang mit Gefühlen. Werden sie mit ihren Gefühlen erkannt und ernst genommen? Und wie gehen die Erwachsenen mit ihren eigenen Gefühlen um? Das eigene Erleben und die Beobachtung der Bindungspersonen prägen den Umgang mit Gefühlen. Wird ihre grundsätzliche Fähigkeit unterstützt und anerkannt, Gefühle wahrzunehmen, auszudrücken und sie im Alter von zwei bis vier Jahren auch zu benennen, ist eine gute Voraussetzung dafür geschaffen, dass schon Kinder und Heranwachsende mit ihren Gefühlen zunehmend differenziert und situationsangemessen umgehen und selbst unterstützend auf die Gefühlsäußerungen anderer reagieren können. Anknüpfend an das vorherige Beispiel könnte der Vater innerlich eine Unterscheidung zwischen »Strenge« und »Klarheit« treffen und seine Kinder zukünftig an der Wohnungstür humorvoll abfangen mit einem entschiedenen und freundlichen »Nein – Zutritt mit Schuhen verboten!«. So würde er eine Funktion des Gefühls Ärgers, Grenzen zu ziehen, nutzen und seinen Kindern zugleich ein gutes Modell dafür sein. Emotionen werden häufig aus Unsicherheit und aus Furcht vor Kontrollverlust nicht geäußert. Wie gelingt ein konstruktiver Umgang mit diesen archaischen menschlichen Äußerungen, den eigenen und denen anderer Menschen? Einen besonderen Beitrag zum Thema »Gefühle« hat die amerikanische Transaktionsanalytikerin Fanita English geleistet, in dem sie funktionale Gefühle von dysfunktionalen, sogenannten Ersatzgefühlen, unterschied (English, 1994). Hier weicht die Transaktionsanalyse beispielsweise vom Verständnis der Gestalttherapie ab, die den Ausdruck aller Gefühle ermutigt und bestärkt. Der amerikanische Transaktionsanalytiker George Thomson beschrieb weiterführend die lösungsorientierte Funktion von grundlegenden Emotionen und unterstützte so das Erkennen und Unterscheiden von dysfunktionalen und funktionalen Gefühlen (Thomson, 1989). Die Grundgefühle Ärger, Schmerz, Traurigkeit, Angst und Freude sind schon Kindern zu eigen und gehören kulturunabhängig zur Grundausstattung jedes Menschen. Jedes dieser Gefühle ist spezifisch hinsichtlich seines Auslösers, seiner Funktion, seines Zeitbezugs und der sozialen Resonanz, die es bestenfalls hervorruft. In Tabelle 1 ist eine Übersicht dazu dargestellt, die wir im Folgenden erklären werden.
Eine Quelle von Lösungsenergien57
Tabelle 1: Grundgefühle und Auslöser, Funktionen, soziale Resonanz sowie Zeitbezug Grundgefühl
Auslöser
Funktion
Soziale Resonanz
Zeitbezug
Ärger
Frustration
Veränderung Abgrenzung
ernst nehmen
Gegenwart
Schmerz
Verletzung
Heilung
ernst nehmen, versorgen
Gegenwart
Traurigkeit
Verlust
Verlust verarbeiten, loslassen
Anteilnahme, Trost anbieten
Vergangenheit
Angst
Bedrohung
Schutz suchen, sich selber schützem
Schutz bieten
Zukunft
Freude
Erfüllung
Stärkung von Lebensenergie Verbundenheit
Sharing
Vergangenheit Gegenwart Zukunft
Ärger Alles, was anders ist als erwartet oder gewünscht, alles Frustrierende löst Ärger aus. Ein Autofahrer missachtet die Vorfahrt; eine Vorgesetzte brüllt ihren Mitarbeiter an; ein Jugendlicher kommt immer wieder später als vereinbart nach Hause; ein Lebenspartner verletzt die Würde eines anderen durch abwertende Bemerkungen; jemand drängt sich beim Einkaufen vor; man verplappert sich und erzählt Dinge, die man für sich behalten wollte; eine Bahnschranke schließt sich, wenn man eilig von einem Ort zum anderen will – auf all diese frustrierenden Ereignisse reagieren Menschen mit kleinem oder großem Ärger.
Durch die erhöhte Körperenergie, die deutlich spürbar ist, wenn sich jemand ärgert, hat er die Kraft, Situationen, das eigene Verhalten oder die eigene Haltung zu verändern. Da es Umstände gibt, die nicht beeinflussbar sind, und da es auch nicht möglich ist, andere Menschen zu verändern, dient die Energie des Ärgers auch einer möglichen Abgrenzung. Die Funktion von Ärger ist also Veränderung und/oder Abgrenzung. Menschen können Dinge aus der Vergangenheit nicht verändern. Es ist daher müßig und dysfunktional, sich über Vergangenes zu ärgern; um sich von der Vergangenheit zu
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lösen, braucht es ein anderes Gefühl, beispielsweise Schmerz oder Trauer. Wenn Ärger sich hingegen auf etwas Gegenwärtiges bezieht, ist dies ein Anzeichen für ein echtes Gefühl. Die soziale Resonanz, die Menschen auf konstruktive Weise im Umgang mit ihrem Ärger unterstützt, ist das Ernstnehmen des Ärgers, das Zuhören und der Versuch zu verstehen. Ist eine Veränderung eingetreten, trägt die konstruktive Kritik Früchte, gelingt das Vorhaben, das eigene Verhalten zu verändern, oder gelingt die Abgrenzung von restriktiven Umständen oder von Menschen, mit denen man im Moment nicht zurechtkommt, dann erübrigt sich der Ärger, wird schwächer und verfliegt. Dies ist ein weiteres Kennzeichen für ein echtes Gefühl: Es vergeht, wenn seiner Funktion entsprochen wird. Das gilt für Ärger ebenso wie für die Grundgefühle Schmerz, Traurigkeit und Angst. Schmerz Jede Verletzung, ob körperlich oder seelisch, ob klein oder groß, löst Schmerz aus, der entsprechend leicht oder heftig spürbar ist. Er signalisiert, dass etwas nicht in Ordnung ist und dass der betroffene Mensch sich um die entstandene Wunde kümmern muss. Das ist die Funktion von dem Gefühl Schmerz. Bei körperlichen Verletzungen genügt vielleicht ein Pflaster, manchmal ist auch ein Arzt oder sogar ein Krankenhausbesuch notwendig. Ein Mensch, dem seelischer Schmerz widerfahren ist, braucht Beistand von vertrauten Personen und tröstende Worte, die »Balsam für die Seele« sind. Verbirgt sich die Ursache für den Schmerz, meldet er sich immer wieder. Vielleicht ist auch professionelle Hilfe durch Beratung oder Therapie nötig, um die Wunde zu versorgen und Linderung zu bringen. Oft folgt dem Schmerz direkt das Gefühl von Traurigkeit. Traurigkeit Traurigkeit wird ausgelöst durch Verluste, materielle und ideelle, kleine und große. Neben dem großen Verlust eines geliebten Menschen gibt es den Verlust von Heimat, von Haus und Hof, wie beispielsweise bei geflüchteten Menschen, den Verlust von Gesundheit, von Träumen und Hoffnungen, und auch den Verlust von scheinbar kleinen Dingen wie einem Radiergummi, das ein kleines Mädchen vielleicht an seine Großmutter erinnert und das deshalb eine große emotionale
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Bedeutung für das Kind hat. Die soziale Resonanz, die hilft, einen Verlust zu betrauern, ist die Anteilnahme. Jorgos Canacakis (1991), Verena Kast (2015) und Elisabeth Kübler-Ross (2012) beschreiben in ihren Büchern sehr einfühlsam die verschiedenen Stufen des Trauerprozesses, deren Durchleben mit der Akzeptanz des Verlusts oder mit einem Loslassen enden kann. Je nachdem, wie groß und bedeutsam ein Verlust ist, variieren die Dauer und die Tiefe des Prozesses. Bei dem Verlust intensiver Bindungen bedeutet Akzeptanz oft nicht, die Person loszulassen, sondern ihr dauerhaft einen guten Platz im eigenen Herzen zu geben. Die Stufen des Prozesses werden von Mensch zu Mensch verschieden und nicht immer in einer festen Reihenfolge durchlebt. So mag für den einen der Übergang in die nächste Stufe schwierig sein; ein anderer erlebt möglicherweise die Wiederholung einer Stufe oder bleibt längere Zeit auf ihr stehen. Für die Begleitung bei der Bewältigung des Verlustes bieten sie eine wertvolle Orientierung. Wenn Menschen trauern, ist körperlich das Absinken von Energie und ein Ruhebedürfnis zu bemerken, das zu Rückzug, Stille und zum Zeitlassen einlädt, so dass sie aus diesem Prozess gestärkt und dem Leben zugewandt hervorgehen können. Traurigkeit hat die Funktion, etwas oder jemanden loszulassen oder seinen Frieden mit einem Verlust zu machen. Sie bezieht sich auf Vergangenes. Der gut gemeinte Satz »Du brauchst doch nicht traurig zu sein« geht ins Leere, und auch das Bemühen, schnell Ersatz für den Verlust zu beschaffen, ersetzt nicht die notwendige Anteilnahme. Sowohl die vom Verlust Betroffenen als auch die Menschen, die ihnen nah sind, brauchen Geduld und sollten sich und anderen Zeit für den inneren Prozess geben. Hierzu ein Beispiel: Die achtjährige Jelena kommt morgens in die Schule und berichtet in der Anfangsrunde, dass ihr Goldhamster gestorben sei. Ihre Stimme zittert, ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie unterbricht diesen für alle nachvollziehbaren Ausdruck ihrer Traurigkeit, lächelt durch ihre Tränen hindurch und sagt mit lauter Stimme: »Aber Mama kauft mir heute Nachmittag schon einen neuen.«
Weder bei ihr noch bei den anderen Kindern oder bei dem Lehrer schien die Freude über den erwarteten Hamster schon einen Platz
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zu haben, denn der Trauerprozess um den vorigen war noch nicht abgeschlossen. Vielleicht war die Traurigkeit ihres Kindes für die Mutter nicht auszuhalten? Vielleicht wollte sie nicht so viel Zeit investieren, unterbrach deshalb den Prozess und »verpflichtete« ihr Kind zur Freude? Der Transaktionsanalytiker Rolf Balling (www.balling-coaching.de) beschreibt für das Praxisfeld Organisation den Trauerprozess, der beim Überbringen schlechter Nachrichten, beispielsweise bei einem kritischen Feedback, einer Restrukturierung oder anderen Veränderungsprozessen bei der empfangenden Person abläuft. Für jede Führungskraft ist diese Information wichtig, damit sie – wie unten in der Abbildung 5 beschrieben – den Prozess angemessen begleiten kann.
ung 6 Überbringen schlechter Nachrichten, Trauerprozess
Überbringer
Empfänger spricht die schlechte Nachricht aus leugnet, versteht nicht wiederholt die schlechte Nachricht her äußert Wut auf Überbringer/Verursac hält aus, wiederholt will verhandeln, feilscht um Abwenden bleibt zugewandt und klar Zeigt Schmerz, Trauer oder Resignatio
n
begleitet respektvoll (eher still) beschäftigt sich mit dem Neuen gibt Informationen, reflektiert definiert sich neu in der Situation 8
Abbildung 5: Prozess beim Überbringen schlechter Nachrichten nach Balling (www.balling-coaching.de)
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Angst Angst wird ausgelöst durch Bedrohungen, durch das Androhen und Ausüben körperlicher und psychischer Gewalt, auch wenn sie gedanklich vorweggenommen oder fantasiert wird. Dauerhafter Stress durch Überforderung ist bedrohlich für die Gesundheit und kann ebenso Angst auslösen wie Krankheiten, Epidemien, Kriege und Klimakatastrophen. Jede reale und auch fantasierte Bedrohung und Gefahr für Körper und Seele lösen Angst aus. Die Präposition »vor« in dem Ausdruck »Angst vor etwas haben« macht deutlich, dass sich Angst zeitlich auf die Zukunft bezieht. Die entstehende körperliche Energie hilft einem Menschen, für seinen Schutz zu sorgen, indem er je nach Situation flüchtet (flight), erstarrt und sich ganz still verhält (fright) oder voranprescht und angreift (fight). Schutz ist die Funktion von Angst. »Angst ist gut, sonst springt man von der Mauer und bricht sich ein Bein!« Dieser Satz eines Fünfjährigen illustriert die Einsicht, dass Angst nützlich ist. Sie bewirkt, dass Menschen sich auf die eine oder andere Weise schützen: Sie suchen Zuflucht bei anderen, sie entfernen sich von der Gefahrenquelle, sie überprüfen die Realität und treten zurück von einem Vorhaben, oder sie setzen sich zur Wehr. Ängstliche Kinder benötigen liebevolle Zuwendung, auch wenn entgegen ihrer Befürchtung gar kein Löwe unter ihrem Bett sein kann. Die Bemerkung »Du brauchst doch keine Angst zu haben!« ersetzt nicht den notwendigen Schutz vor dem fantasierten Tier. Die passende soziale Resonanz ist das Angebot von Schutz. Durch ihn wird Angst überflüssig und verebbt. Beim Löwen unter dem Bett kann es die Schale mit Gummibärchen vor der Haustür sein, die der Löwe gern frisst und die ihn vom Kinderzimmer abhält. Sicherlich ist auch eine Einladung ins elterliche Bett wirksam im Vertrauen darauf, dass ein Kind durch die liebevolle Erfahrung gestärkt lernt, die Angst später selbst zu bewältigen. Es gibt allerdings auch bedrohliche Situationen, in denen es keinen Schutz gibt, beispielsweise im Krieg oder anderen überwältigenden, von Gewalt geprägten Szenarien. Solche Situationen führen zu traumatischen Erfahrungen, die sogar genetische Dispositionen verändern können. In der Traumatherapie kann ein Umgang mit ihnen erlernt werden (Levine, 2015).
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Freude Freude wird ausgelöst, wenn die Grundbedürfnisse eines Menschen erfüllt sind, wenn er sich in Übereinstimmung mit sich und seiner Umwelt befindet, wenn er Augenblicke der Vollkommenheit erlebt in der Begegnung mit anderen, in der Kunst, im sinnlichen Erleben, in der Natur, wenn ihm etwas Bedeutungsvolles gelingt und er sich als selbstwirksam erlebt. Die Funktion von Freude ist die Aktivierung der eigenen Lebensenergie und das Spüren der Verbundenheit mit anderen Menschen, mit der Natur, mit dem Kosmos – das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie wird verstärkt durch die soziale Resonanz des Teilens der eigenen Freude mit anderen Menschen. Als sozialer Kitt in Gruppen hilft sie, Grenzen zu überwinden. Anders als bei den ersten drei Grundgefühlen vergeht das Gefühl der Freude nicht, wenn jemand sich so verhält, wie es der Funktion entspricht. Es kann sogar verstärkt werden und sich nach einiger Zeit wandeln zu einem Gefühl von Sicherheit und Gelassenheit. Freude kann sich auf alle Zeiten beziehen. Sie kann als Vorfreude erlebt werden, sie kann ganz direkt und gegenwärtig einen Ausdruck finden und sie kann sich einstellen bei der Erinnerung an etwas Freudvolles aus der Vergangenheit. Falsch gelernt: Ersatzgefühle Der Begriff »Ersatzgefühle« im Unterschied zu originären Gefühlen stammt von Fanita English (1994). In ihrer Arbeit als Psychotherapeutin machte sie die Erfahrung, dass Menschen Gefühle zeigten, die nicht zur Situation zu passen schienen. Ein Beispiel: Eine Frau zeigt während einer Coaching-Sitzung Traurigkeit. Mit matter Stimme erzählt sie, dass ein Kollege sie in der Mittagspause mit spitzen Bemerkungen über ihren gut gefüllten Teller vor versammelter Mannschaft attackierte, das habe sie gekränkt. Ihr Coach merkt, dass sie seine Anteilnahme erwartet. Gleichzeitig spürt er eine innere Abwehr, sich erwartungsgemäß zu verhalten, und registriert bei sich ein leichtes Stirnrunzeln. Diese eigene Resonanz kann ein Hinweis dafür sein, dass die Traurigkeit der Frau ein erlerntes Ersatzgefühl ist, unter dem sich ein anderes, nämlich das echte Gefühl verbirgt. Der
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Coach registriert seinen eigenen Unmut. Er nutzt dieses Empfinden für die Vermutung, dass die Frau sich unter der traurigen Oberfläche ärgert. Auf seine Frage, ob sie sich nicht über das unangemessene Verhalten des Kollegen geärgert habe, stutzt die Frau: »Das ist ja eine interessante Idee! Darüber muss ich mal nachdenken.«
Wenn also der Gefühlsausdruck keine Entlastung bringt, das Gegenüber mit Befremden und Distanz reagiert und keine angemessene soziale Resonanz entsteht, kann dies der Hinweis auf ein Ersatzgefühl sein. Ein anderes Beispiel: Ein Mann kommt in die Beratung. Seine Frau hat ihn vor zwei Jahren verlassen. Er berichtet von seinem anhaltenden Ärger darüber, der nun beginne, seine Gesundheit zu beeinträchtigen. Sein Ärger raube ihm den Schlaf. Auf die Frage nach dem Schmerz und der Trauer über dieses Ereignis entgegnet er: »Damit fange ich gar nicht erst an!« Während der Beratung nähert er sich langsam diesen ihm fremden Gefühlen, beginnt sich dem Schmerz zu stellen und sich dessen Funktion entsprechend zu verhalten: Er wird im Laufe der Zeit freundlich und sanft mit sich selbst und sorgt gut für sich. Die jetzt eingestandene Traurigkeit bewirkt anfangs ein wiederkehrendes heftiges Weinen und Klagen, das im Laufe der Zeit weniger wird. Er beginnt mit der jetzigen Situation Frieden zu schließen und das Vergangene loszulassen. Er kann sich trösten lassen und allmählich wieder die Zukunft in den Blick zu nehmen. Seine gesundheitlichen Beschwerden lassen nach, und er kann wieder besser schlafen.
Das Klischee des immer starken Mannes und der zarten, verletzlichen Frau hat offenbar noch nicht ausgedient: Oft werden eher Jungen abgelehnt, wenn sie ängstlich oder traurig reagieren. Folglich zeigen Männer als Ersatzgefühl oft Ärger. Die Redewendungen »Ein Indianer kennt keinen Schmerz« oder »Was mich nicht umbringt, macht mich stark!« stehen für die Fühlverbote. Frauen hingegen präsentieren als Ersatzgefühl eher Traurigkeit oder Angst, denn wenn sie wütend oder ärgerlich werden, ernten sie öfter einmal Kopfschütteln. »In dir steckt ja der Teufel!«, »Du bist ja ein Mannweib!« und »Pass mal auf, dass du noch einen abkriegst!« sind
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die Kommentare, die wütenden Mädchen und Frauen begegnen können. Wenn Kinder die Erfahrung machen, dass das Zeigen eines bestimmten Gefühls von den Bindungspersonen mit Missfallen begleitet wird – sei es verbal oder auch nur durch ein Stirnrunzeln – und die Zuwendungszufuhr eine Einschränkung erfährt, greifen sie unbewusst auf ein anderes Gefühl zurück, das in ihrer Wahrnehmung positiv begleitet wird. Sie lernen also, das Gefühl zu zeigen, für das sie Zuwendung bekommen und das evtl. ihr ursprüngliches Gefühl ersetzt, und sie verlernen, ihrem direkten Gefühlsimpuls zu folgen. Mit dem nötigen Wissen können Erzieher und Lehrerinnen in ihrer Funktion als Bindungspersonen Kindern und Jugendlichen alternative Erfahrungen zu den familiären und möglicherweise dysfunktionalen ermöglichen (Raeck, 2014). Kinder verhalten sich so, dass sie das größtmögliche Maß an Zuwendung bekommen, denn diese ist für sie überlebensnotwendig, wie wir in Kapitel 3.1 beschrieben haben. Dieses Streben nach Zuwendung überlagert das Bedürfnis, authentische, echte Gefühle zu zeigen. Die im Moment kluge Entscheidung des Kindes, ein Ersatzgefühl zu präsentieren und sich so die notwendige Zuwendung zu sichern, wird im Jugend- und Erwachsenenalter zum Fallstrick: Wir können dann nicht auf die Ressourcen zurückgreifen, die echte Gefühle uns bereitstellen, und scheitern vermutlich an der Bewältigung schwieriger Situationen. Auch die erhoffte Portion Zuwendung bleibt aus, die gibt es nur im Familiensystem – es sei denn, wir haben unsere engen Bindungen als Erwachsene »familienähnlich ausgesucht«. Wenn wir als Erwachsene in einem neutralen, beispielsweise beruflichen Umfeld die uns vertrauten Ersatzgefühle zeigen, ernten wir eher irritierte Blicke und befremdete Reaktionen. Ein Beispiel: Die Mutter eines Kindes betritt während des Unterrichts den Klassenraum. Ohne abzuwarten fordert sie die Lehrerin in harschem Ton auf, mit ihr auf den Flur zu kommen – sie habe etwas mit ihr zu besprechen. Statt die Mutter aufzufordern, mit ihrem Anliegen bis zum Schulschluss zu warten oder sie am Nachmittag anzurufen, beklagt sich die Lehrerin über das »schlechte Benehmen« der Mutter. Die beiden beginnen zu
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streiten, und schließlich bricht die Lehrerin in Tränen aus. Die Schülerinnen und Schüler sind irritiert, die Mutter beginnt sich zu verteidigen, die Lehrerin läuft in die Nachbarklasse, um eine Kollegin um Hilfe zu bitten – das Chaos ist perfekt.
Komplexe Gefühle Neben den Grundgefühlen Ärger, Schmerz, Traurigkeit, Angst und Freude werden in der Literatur auch komplexe Gefühle wie Scham und Schuld benannt. Sie entstehen erst im weiteren Verlauf der Sozialisation und entwickeln sich in verschiedenen Kulturen unterschiedlich. Ein konstruktiver Umgang mit ihnen setzt Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft voraus. Da die Gefühle Scham und Schuld häufig im Kontext von Bildung, Beratung, Supervision, Organisationsberatung und Coaching eine Rolle spielen, greifen wir sie aus der Vielzahl der komplexen Gefühle heraus und wenden uns ihnen hier zu. Scham Im Gegensatz zu den Grundgefühlen scheint Scham nicht angeboren zu sein, sondern sich zu entwickeln (Lietzmann, 2003). Auf jeden Fall haben Kinder schon mit wenigen Monaten ein deutliches Gefühl für Grenzen: Guckt man ein kleines Kind an, kann es sein, dass es den Blick abwendet, den Körper wegdreht oder, wenn es schon krabbeln oder laufen kann, sich wegbewegt. Es drückt mit seinen Möglichkeiten ein »Nein« aus und signalisiert damit seine persönliche Grenze. Werden diese Grenzsignale verstanden und die Würde des Kindes respektiert, »kann es ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln sowie eine gesunde Intimitäts-Scham« (Marks, 2013, S. 40). Neben dem Umgang mit den persönlichen Grenzen erlernen Kinder im Laufe der Zeit auch den Umgang mit Grenzen, die durch kulturelle Regeln und Tabus innerhalb und außerhalb der eigenen Familie gesetzt sind, sie atmen diese sozusagen von frühester Kindheit an ein. Die Tabus und Regeln sind in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich, Menschen entwickeln also ganz verschiedene kulturelle Identitäten und schämen sich folglich für ganz unterschiedliche Dinge, beispielsweise für ihr Geschlecht, für ihre Kleidung, für
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die Ausübung ihrer Religion – für alles, womit sie den Regeln der Gesellschaft, in der sie leben, nicht entsprechen. In multikulturellen Gesellschaften braucht es deshalb viel gegenseitiges Interesse und viele Informationen über die verschiedenen Kulturen, damit die Menschen sich wechselseitig verstehen. Im Unterschied zur individuellen Intimitätsscham sprechen wir im gesellschaftlichen Zusammenhang von sozialer Scham. Ein Mensch empfindet Scham, wenn seine eigene körperliche oder seelische Grenze verletzt wird, er empfindet Scham, wenn er selbst diese Grenze eines anderen verletzt, und er empfindet Scham, wenn er die Grenzen und Regeln einer Gruppe, beispielsweise einer Familie oder einer Organisation, übertritt. In jedem Fall signalisiert Scham eine Grenzverletzung. »Scham als Signalgefühl steuert das menschliche Miteinander« (Greve u. Köhn, 2013, S. 270). Das Übertreten von Grenzen bedeutet die Verletzung von Tabus, von Regeln und von Konventionen. Sowohl Intimitätsscham als auch soziale Scham hat die Funktion von Schutz: Sie schützt das Individuum und die jeweilige Gruppe mit ihren Werten, ihren Regeln und ihrer Ethik. Außerdem hat sie die Funktion von Anpassung: Will ein Mensch sich mit dem anderen versöhnen, dessen Grenze er übertreten hat, muss er dessen Grenzen respektieren und anerkennen, und möchte er zu der Gruppe gehören, deren Regeln er übertreten hat, muss er sich wie die anderen diesen Regeln unterordnen. Ursprünglich entstanden Tabus aus Überlebensnotwendigkeiten, wie das Beispiel der Inuit zeigt: Bei Betreten des Eises droht Lebensgefahr, es ist also ein Tabu, auf das Eis zu gehen. Dieses Tabu wendet Gefahr ab und dient dem Fortbestand der Gruppe. Wenn Inuit- Kinder das Eis betraten und einbrachen, wurden sie von der gesamten Gruppe ausgelacht und dadurch beschämt, so dass sie dem Eis künftig fernblieben. Mit Greve und Köhn (2013) bezweifeln wir, dass eine solche traumatische Lernerfahrung in unserer heutigen Zeit nötig ist, um ein sinnvolles Tabu zu verinnerlichen. Nicht immer ist der Sinn von Tabus und Regeln so sinnvoll und gut nachzuvollziehen wie in diesem Beispiel. Bevor Menschen Gruppenregeln übernehmen, sollten sie ihre Entstehung und Funktion hinterfragen, wie im folgenden Beispiel:
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Eine Jugendliche mit ausgeprägter Akne wird von den Mädchen ihrer Klasse deswegen gehänselt und von den Jungen gemieden. Sie wird mit abfälligen Bemerkungen bedacht hinsichtlich ihrer Beliebtheit bei Jungen. Das ungeschriebene Gesetz der Gruppe lautet: »Nur bei perfektem Aussehen gehörst du dazu und bist attraktiv für die Jungen!«
Eine »sinnlose« Regel, die die Macht einiger weniger in der Peergroup zementiert. Wahrscheinlich wird sich nur im Ausnahmefall eins der anderen Gruppenmitglieder mit dem beschämten Mädchen solidarisieren, sie werden sich eher überanpassen an diese Regel, weil sie zur Gruppe dazugehören möchten. So kann es sein, dass sich das Mädchen zurückzieht und von sich selbst denkt, sie sei unattraktiv und wertlos. Scham ist die »vielleicht schmerzhafteste unserer Emotionen, ist wenig in unserem Bewusstsein« (Marks, 2013, Klappentext). Sie wird auf der Seins-Ebene verkörpert durch Erröten, Schwitzen, Herzklopfen. Mit diesen Körpersensationen verschlägt sie einem Menschen, der sich schämt, die Sprache. Lieber möchte er im Erdboden versinken, als sich mit seiner Scham zu zeigen. Scham lässt Menschen klein werden. Ein Mensch, der sich schämt, würde am liebsten aus der Situation verschwinden. Vielleicht gehört das Mädchen aus unserem Beispiel aber auch noch zu einer anderen Gruppe, die sie stärkt und schützt, zum Beispiel zu ihrer Familie. Sie erhält Rückhalt und Anerkennung durch ihre Eltern und älteren Geschwister. Dadurch wird ihr Selbstvertrauen durch die Abwertungen der Peergroup zwar erschüttert, aber nicht untergraben. Die Existenz von Regeln, Vereinbarungen und Tabus – seien sie sinnvoll oder nicht – markiert die Grenze einer Gruppe. Um dazuzugehören und um sich des Schutzes der Gruppe sicher sein zu können, müssen die Mitglieder sich an die Regeln halten, wie beispielsweise die Mädchen im oberen Beispiel. Damit stärken sie das Wir-Gefühl. Halten einzelne Mitglieder oder Gruppierungen sich nicht an diese Regeln, muss die Gemeinschaft, beispielsweise eine Schule oder eine andere Organisation, auf deren Einhaltung bestehen und abweichendes Verhalten konfrontieren oder auch sanktionieren. Tut sie das nicht, schmälert sie ihre Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit
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und bewirkt eine Desorientierung ihrer Mitglieder. Das Einhalten der Regeln hingegen sichert die Zugehörigkeit. Scham bewirkt eine Stabilisierung und den Fortbestand einer Gruppe, die Sicherheit für den Einzelnen verspricht. Als Antipode zur Scham beschreibt der Entwicklungspsychologe Erik Erikson (1971) die Autonomie. Veränderung und Unabhängigkeit, Entwicklung und Lernen – diesen verlockenden Möglichkeiten steht die Scham gegenüber, die doch die ebenso ersehnte Sicherheit und Verlässlichkeit verspricht. Was für ein Dilemma! Ein möglicher Brückenschlag gelingt Eric Berne, wenn er von bezogener Autonomie spricht – sowohl Beziehung und Kontakt als auch Entwicklung und Freiheit. Wie kann die Balance gelingen? Soziale Scham und Intimitätsscham entstehen durch Beschämung von außen. Sie kann absichtsvoll oder auch unabsichtlich hervorgerufen werden. Je enger die emotionale Bindung zwischen Menschen ist, desto schmerzlicher wird die Scham empfunden. Mit der Möglichkeit zur Beschämung haben Eltern und andere Bindungspersonen ein machtvolles Instrument in der Hand, ihre Kinder zur Anpassung zu zwingen. Die unmittelbare Wirksamkeit verführt oft zu unachtsamem Gebrauch, weil nicht immer ein Bewusstsein über die eigene Haltung und Wirkung besteht. Aus Mangel an Informationen und Zeit sowie vor dem Hintergrund eigener negativer Erfahrungen versuchen Eltern manchmal, die Anpassungsprozesse zu forcieren und abzukürzen. Sie ängstigen und beschämen Kinder und fordern Gehorsam. Der daraus resultierende Erfolg – das brave Kind – hat einen hohen Preis: Die zur Überanpassung angehaltenen Kinder und Jugendlichen sind später bis ins Erwachsenenalter hinein durch jede Kritik schnell und tiefgehend zu beschämen. Sie werden, um die Scham abzuwehren, oft selbst zu Beschämenden oder entwickeln vielleicht sogar eine sozial auffällige Schamlosigkeit. Im Zuge ihrer Entwicklung durchleben Menschen viele Neuanfänge und Lernprozesse, in denen sie der Grenzthematik des Gefühls der Scham immer wieder begegnen. Sie verlassen ihre vertraute Zone, ihren sicheren Hafen, und begeben sich – freiwillig oder unfreiwillig – in einen Lernprozess. Angefangen als Kind bei Eintritt in Kita oder Schule, als Jugendliche zu Beginn von Lehre
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oder Studium, als Mitglied einer Organisation in einer Personalentwicklungsmaßnahme, in Change-Prozessen ganzer Organisationen oder auch auf der privaten Bühne als frischgebackene Eltern – immer wieder in ihrem Leben betreten Menschen Neuland. Wie in der Zeit der Häutung einer Schlange sind sie in dieser Zeit des Lernens ungeschützt und anfällig für Beschämungen, denn in jedem Veränderungsprozess wird Menschen ihre partielle Inkompetenz bewusst. Die Anforderungen an die Bewusstheit und das Feingefühl von Bindungspersonen und Vorgesetzten, die einem Kind oder Erwachsenen die Auseinandersetzung mit diesen Schamgrenzen ohne Beschämung möglich machen, sind hoch. Nach der Philosophin Onora O’Neill (2013) besteht eine Facette von Vertrauenswürdigkeit darin, die eigene Verletzlichkeit zu zeigen. Neben anderen Merkmalen ist dies ein Kriterium, das Lernprozesse und eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Menschen gelingen lässt. Das Zeigen von Verletzlichkeit wird allerdings häufig sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen abgewertet. Ein Lern- oder Veränderungsprozess kann nur dann zu einer guten Lernerfahrung führen und erfolgreich abgeschlossen werden, wenn die Würde der Lernenden gewahrt und niemand beschämt wird. Der notwendige Balanceakt besteht zwischen einem korrigierenden Nein bezüglich eines Verhaltens und einem Ja bezüglich der Identität einer Person, wie wir in Kapitel 2.2 bei den Lebensgrundpositionen beschrieben haben. Wenn es im Eifer des Gefechts geschieht, dass dieser Balanceakt einmal nicht gelingt, kann ein Vorgesetzter oder eine Bindungsperson aus einer grundlegenden O. k.-Haltung heraus sein oder ihr Fehlverhalten eingestehen und Bedauern darüber äußern. Auch bei der Weiterentwicklung von Gesellschaften geht es um Lern- und Veränderungsprozesse. Dazu braucht es fortschrittliche, mutige Menschen, die sich trauen, überlieferte Sichtweisen und Tabus zu hinterfragen und neue Lebensentwürfe zu wagen, wie es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten weltweit bei Themen wie beispielsweise Frauenbild, Geschlechteridentität und Umgang mit Diversität geschah. Genauso braucht es konservative Menschen, die bewusst oder unbewusst dazu beitragen, dass die Ver-
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änderungen nicht zu schnell geschehen und die Gesellschaft überfordern, und wieder andere, die einen differenzierten Blick auf das gesamte Geschehen werfen. Auch bei diesen Prozessen werden Menschen oft beschämt, wenn sie entweder als »verrückt« oder als »rückständig« abgewertet werden. Durch Bindungspersonen mit einer O. k.-O. k.-Haltung und durch stabilisierende Lernerfahrungen sind Kinder auch später als Jugendliche und Erwachsene leichter in der Lage, Beschämungserfahrungen abzuwehren und einzuordnen. Wenn ein Kind allerdings mit Menschen aufwächst, die willentlich seine Würde missachten, die es dauerhaft oder immer wieder auslachen, anschreien, beschimpfen und seine psychischen und physischen Grenzen durch den Missbrauch ihrer Macht beschädigen, sprechen wir von traumatisierender Beschämung. Jede Beschämung bedeutet »Du bist nicht okay« und bezieht sich auf die gesamte Existenz. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, von der Kinder existenziell abhängig sind, ist bedroht. Darum versuchen sie, die Erwachsenen durch Überanpassung milde zu stimmen. Traumatische Scham entspricht einer tiefen Angst, ähnlich der »Angst vor Gott« (English, 1975, S. 25): Es geht gefühlt um das Überleben. Selbst wenn wir beschämende Situationen später nicht mehr erinnern, sind sie Teil unseres Körpergedächtnisses (Levine, 2015). Ein Kind nimmt die demütigenden Erfahrungen in sein Lebensskript auf und etabliert die schädigenden Bindungspersonen als eigene, elterliche Instanzen. Durch die Grundhaltung »Ich bin nicht okay« schämt es sich später auch ohne äußeren Einfluss. Werden Menschen als Erwachsene in anderen Zusammenhängen erneut beschämt, erwachen die alten Geister wieder. Hier braucht es zum Gelingen der Balance entweder einen ermutigenden inneren Dialog, wie wir ihn im Kapitel 4.3 beschreiben, oder auch die Unterstützung von anderen Menschen. Im geschützten Rahmen einer Beratung oder Psychotherapie können Beschämungserfahrungen reflektiert werden. Die Heilung der Scham ist ihre Veröffentlichung. In Anlehnung an die Schamforscher Brené Brown und Stefan Marks haben die Transaktionsanalytiker Klaus Sejkora und Henning Schulze (2017) acht Schritte zur Auflösung von Schamdynamiken erarbeitet, die wir leicht modifiziert für sehr
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hilfreiche interventionsleitende Impulse halten: 1. Die Scham wahrnehmen. 2. Die Scham zulassen und aushalten. 3. Erkennen, welche inneren Botschaften und Erwartungen die Scham auslöst. 4. Die Scham differenzieren: Fühle ich mich von anderen Menschen beschämt? Beschäme ich mich selbst? Oder empfinde ich Scham, weil ich gegen meine eigenen Werte verstoßen habe? 5. Lernen, die Scham als Signal zu nutzen, um sich zu schützen. 6. Die Geschichte der eigenen Scham mit anderen Menschen teilen. 7. Die Scham durcharbeiten: die abgewehrten Gefühle zulassen und sich mit der eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzen. 8. Sich von der Scham hin zur Selbstliebe entwickeln.
Schuld Das Gefühl von Schuld bezieht sich auf das Verhalten von Menschen. Es entsteht entwicklungspsychologisch später als Scham. Erst wenn ein Kind beginnt, eine moralische Einstellung und später eine eigene Ethik zu entwickeln, kann es Schuld empfinden. Oft treten Scham und Schuld gleichzeitig auf; manchmal werden sie verwechselt. Es liegt im Wesen der Menschen, dass sie anderen manchmal etwas schuldig bleiben, weil sie nicht perfekt sind. In Bezug auf die eigenen Kinder, auf Partner, auf Freundinnen, auf die Arbeit und auch in Bezug auf sich selbst wird ein Mensch immer wieder auch Fehler machen – und damit anderen oder sich selbst etwas schuldig bleiben. Hier ein Beispiel: Eine selbstständige Beraterin weigert sich in Selbstüberschätzung ihrer Kräfte, verbunden mit einem übersteigerten Pflichtgefühl, beim Auftreten gesundheitlicher Probleme einen Arzt aufzusuchen, und nimmt damit in Kauf, dass sie an einem Burnout erkrankt. Sie selbst und ihre Familie tragen die Folgen.
Jeder füllt in seinem beruflichen und privaten Leben verschiedene Rollen aus. Durch die teilweise widersprüchlichen Erwartungen, die mit ihnen verbunden sind, müssen Menschen sich manchmal ent-
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scheiden, welcher Rolle sie den Vorzug geben, und bleiben dadurch einer anderen etwas schuldig. Dazu ein Beispiel: Ein Mann thematisiert immer wieder Situationen, in denen er das Gefühl hat, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Es besteht ein Konflikt zwischen seiner Rolle als Vater zweier Kinder und seiner Rolle als Lehrer. So will er als Vater unbedingt den vierten Geburtstag seines Sohnes miterleben. An diesem Tag ist jedoch eine wichtige Konferenz in seiner Schule angesetzt, an der er teilnehmen will. Egal, wie er sich entscheidet: Er kann nicht beide Rollen gleichzeitig ausfüllen und wird entweder seinem Kind und seiner Familie oder aber seinen Kolleginnen und seiner Schule etwas schuldig bleiben.
Menschen fühlen sich schuldig, wenn sie ihrer eigenen Ethik zuwiderhandeln: wenn sie beispielsweise in einem Rollenkonflikt sind, wenn sie unachtsam sind, wenn sie andere beschämen oder wenn ihnen bestimmte Konstellationen oder Erfordernisse nicht bewusst sind und ihr Handeln Verletzungen oder Kränkungen auslöst. Entwickelt oder überprüft die Schuldige ihre eigenen ethischen Grundsätze, kann sie sich und anderen ihr Fehlverhalten eingestehen, durch eine Wiedergutmachung ausbalancieren und um Entschuldigung bitten. Nimmt der andere die Entschuldigung an, ist damit seine Würde wiederhergestellt. Dies wird das eigene Schuldgefühl wahrscheinlich verringern. Wenn wir uns gemäß unserer Ethik falsch verhalten und jemandem Schaden zugefügt haben, trifft die Formulierung »Ich entschuldige mich bei ihm« nicht den Kern: Wir können uns nicht selbst ent-schuldigen und die Schuld damit tilgen, wir können nur den anderen um Entschuldigung oder Verzeihung bitten. Wir können dies auch nur gegenüber einer gleichrangigen oder hierarchisch über uns stehenden Person tun, denn nur eine solche Person kann aufgrund ihrer Rollenmacht »eine Schuld von uns nehmen«. Allerdings können wir Kindern oder Mitarbeiterinnen gegenüber ausdrücken, dass uns unser Verhalten »Leid tut« (bewusst groß geschrieben!) und damit die Situation entspannen. Die soziale Resonanz beim Gefühl Schuld ist das Anerkennen und die Fähigkeit zu verzeihen. Ein »Das ist doch nicht so schlimm!«
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erleichtert die Person oft nicht, die um Verzeihung gebeten hat. Da entstandener Schaden oder Leid nicht immer gänzlich wiedergutgemacht werden kann, bleibt manchmal ein Schuldrest. Menschliche Reife heißt in diesem Fall, zu diesem Rest zu stehen, ihn aushalten und tragen zu können. Schuld hat die Funktion des Eingestehens und der Wiedergutmachung nach außen gegenüber dem Betroffenen. Der innere Prozess ist der des Anerkennens der eigenen Unvollkommenheit und des Überprüfens und Weiterentwickelns der eigenen Ethik. Der Transaktionsanalytiker Claude Steiner, der auch schon in Kapitel 3.1 zu den Grundbedürfnissen zur Sprache kam, war begeistert von dem Buch »Emotionale Intelligenz« von Daniel Goleman (1996) und dessen Bezugnahme auf neurobiologische Forschungsergebnisse. In Resonanz darauf entwickelte er ein Trainingsprogramm zur emotionalen Kompetenz im Wissen darum, dass die Grundlagen eines konstruktiven Umgangs mit Gefühlen nicht nur eingesehen, sondern auch trainiert und geübt werden müssen. 1997 veröffentlichte Steiner das Buch »Emotionale Kompetenz«, in dem er eine Brücke zum Thema »Zuwendung« schlägt und ein grundlegendes und informatives Training zum Umgang mit Gefühlen vorstellt. Interventionsleitende Fragen und Impulse: Erlebt ein Klient häufig Ersatzgefühle und kann bestimmte Gefühle und ihre entsprechenden Funktionen nicht nutzen, kann sich das zielgerichtete Befragen durch die Beraterin an den verschiedenen Aspekten orientieren, die in der Tabelle 1 in diesem Kapitel aufgeführt wurden. Das Bereitstellen von Informationen über Gefühle und Ersatzgefühle können dem Klienten helfen, seine echten Gefühle zu entdecken, und vielleicht in einen kokreativen Akt des gemeinsamen Entwerfens eines stimmigen Gefühlsausdrucks münden. Ein gemeinsames Erforschen der Gefühlslandschaft des Klienten kann mit den folgenden Fragen begleitet werden: – Ist das Zeigen des Gefühls problem-/ situationslösend? – Handelt es sich um ein immer wiederkehrendes Gefühl? – Hat das Zeigen des Gefühls einen appellativen Charakter?
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– Ist die Art und Weise, wie das Gefühl gezeigt wird, altersentsprechend? – Wirkt der Gefühlsausdruck kongruent, echt? Werkzeugkiste »Meine Gefühle und Ersatzgefühle« (S. 255 ff.) Vertiefende Literatur English, F. (1994). Transaktionsanalyse. Gefühle und Ersatzgefühle. Salzhausen: iskopress. Goleman, D. (1996). Emotionale Intelligenz. München: Hanser. Greve, E., Köhn, W. (2013). Beziehung ohne Beschämung. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 30, 4, 267–276. Kessel, B. (2014). Scham – die »unerhörte« Triebkraft in konflikthaften Veränderungsprozessen in Organisationen. In Weigel, S. (Hrsg.) Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse in der Mediation. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. Marks, S. (2013). Scham – die tabuisierte Emotion. Ostfildern: Patmos. Raeck, H. (2014). Mediation lernen im Klassenrat. Emotionales und soziales Lernen in der Schule. In:Weigel, S. (Hrsg.), Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse in der Mediation. Baden-Baden: Nomos. Steiner, C. (1997). Emotionale Kompetenz. München: Hanser.
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Impulse für die Selbstorganisation: Intrapsychische Dynamiken verstehen
4.1 Das Erbe sortieren und sich neu einrichten: das Lebensskript »Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt wurden, kannst du etwas Schönes bauen.« Johann Wolfgang von Goethe
Ein zentrales und übergreifendes Modell der Transaktionsanalyse ist dem Namen nach einer Theatermetapher entliehen: das Lebensskript oder Lebensdrehbuch, dessen Grundzüge Menschen in ihrer Kindheit verfassen. Das Schreiben, Umschreiben und Überschreiben des Lebensskripts ist ein fortlaufender, lebenslanger kokreativer Prozess, an dem zu Beginn des Lebens die Bindungspersonen und das Kind beteiligt sind. Kinder kreieren unbewusst ihre ganz eigene Wahrheit, intuitiv intelligent, zwangsläufig und notwendig, denn sie brauchen eine Orientierung in der Welt. Man könnte sagen: »Zum Glück gibt es ein Skript!«, denn es wäre vernichtend, ganz ohne Orientierung zu sein. Es braucht diesen Rahmen, diese abgesteckte Linie, an der entlang ein Mensch leben und eine schlüssige Geschichte über sich erzählen kann. Auf diesen Vorgang ist unser Gehirn eingerichtet. Es differenziert nicht inhaltlich, es kennt nur die Kategorien »gut für mich« und »schlecht für mich« und entwickelt so seine Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster. Aus der Neurobiologie ist auch bekannt, dass das menschliche Gehirn gern Energie spart, indem es Abläufe automatisiert. So müssen Menschen nicht ständig neu entscheiden, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten sollen. Das wäre viel zu energieaufwändig und im Alltag gar nicht zu leisten. Das Skript,
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die ganz persönliche Geschichte und eigene Wahrheit, ist im Gehirn als Erlerntes verankert. Damit bringt jeder Mensch ein komplexes Geschehen in ein Narrativ, in dem seine Entwicklung nachgezeichnet ist – so, wie er es subjektiv erlebt hat. Beim Verfassen seines Lebensdrehbuches greift ein Mensch zurück auf die Erfahrungen, die er mit anderen macht, und auf Ereignisse, die in seinem Leben geschehen sind. All das interpretiert und bewertet er, er macht sich seinen eigenen Reim darauf und verschafft sich dadurch Orientierung. Im Skript enthalten sind Annahmen über sich selbst, die anderen Menschen und über die Welt im Allgemeinen, zum Beispiel: »Ich bin kraftvoll und liebenswert. Andere Menschen sind vertrauenswürdig. Die Welt ist weit und wohlmeinend.« Oder aber: »Ich bin lieber vorsichtig. Die anderen sind manchmal zuverlässig, manchmal nicht. Die Welt ist ein bedrohlicher Ort.« An diesen selbst ausgewählten Annahmen und Skriptentscheidungen, an diesem eigenen Narrativ orientiert sich ein Mensch erst einmal unbewusst in seiner Lebensgestaltung. Bei Herausforderungen im späteren Leben, die mit diesem früh erlernten Repertoire nicht erfolgreich bewältigt werden können, kann er sich auf Spurensuche begeben. Damit erklärt sich oft das So-geworden-Sein eines Menschen: Selbst entwickelte Strategien, die als Kind hilfreich waren, um sich das Leben erklären und um es zu bewältigen, sowie elterliche Botschaften treten hervor. Es ist möglich, das Narrativ, das Skript umzuschreiben, den Rahmen neu abzustecken und den Weg in Richtung Autonomie zu beschreiten – und es ist ein lebenslanger Entwicklungsprozess. Immer wieder werden hierbei auch Stolpersteine auftauchen, deren Entstehungsgeschichte mit Verständnis und Würdigung integriert werden kann. Die Rückschlüsse oder Grundannahmen, die ein Kind sich zu eigen macht, hängen unter anderem davon ab, ob und wie seine Grundbedürfnisse beantwortet werden. Über die körperlichen Bedürfnisse hinaus formuliert Eric Berne die psychologischen Grundbedürfnisse als Hunger nach Zuwendung, Stimulation und Struktur, wie wir im Kapitel 3.1 beschrieben haben. Das Grundbedürfnis nach Zuwendung und seine Erfüllung beeinflussen am Anfang des Lebens ganz entscheidend die zentralen Skriptentscheidungen, die ungefähr bis zum Alter von
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sechs Jahren getroffen werden. In dieser Zeit ist ein Kind auf die Zuwendung der Bindungspersonen existenziell angewiesen. Mit seinen Skriptentscheidungen passt es sich klug an seine Umwelt an, damit es so gut wie möglich zurechtkommt und möglichst viel Zuwendung erhält. Diese frühen sozialen Prägungen entstehen im Verhältnis zu den Bindungspersonen und durch äußere Gegebenheiten, zum Beispiel durch die Stellung in der Geschwisterreihe, die Schichtzugehörigkeit, die Wohnsituation und vieles andere mehr. Sie können zu ganz unterschiedlichen Rückschlüssen in Bezug auf die eigenen Lebensentscheidungen führen. Streiten sich die Eltern häufig, entwickelt ein Kind vielleicht die folgenden Glaubenssätze, ohne dass die Bindungspersonen dies zwangsläufig bemerken: »Ich bin anderen nicht so wichtig.« Oder: »Ich bin anderen immer im Weg, sie ärgern sich über mich.« Oder: »Wenn ich anders wäre, würden sie nicht so schrecklich streiten.« Oder: »Nur wenn die anderen streiten, ist mir die Welt vertraut und so, wie ich sie kenne.« Genauso kann ein Kind die nächste freundliche Situation, in der es der Vater freudig auf den Arm nimmt, als Grundlage nehmen für den Rückschluss: »Ich bin liebenswert.« Oder: »Die Welt ist ein schöner Ort.« Ein Kind automatisiert und generalisiert aus Energiespargründen: »Aha, so läuft der Hase! Das ist die Wirklichkeit!« Das Ergebnis sind die Ausbildung subjektiver Muster im Gehirn als individuelle Wirklichkeitskonstruktionen – einzigartig und besonders. Auch wenn die äußeren Bedingungen sich ändern und der Erwachsene beispielsweise nicht mehr auf die Zuwendung aller ihn umgebenden Menschen angewiesen ist, lebt er entsprechend dieser einmal entschiedenen subjektiven Wahrheit. Besonders in Stresssituationen greifen Menschen auf Verhaltens-, Denk- und Fühlweisen zurück, die ihnen vertraut sind, da sie Sicherheit vermitteln und Angst reduzieren. Menschen übertragen ihre früheren Erfahrungen auf das Hier und Jetzt. Unbewusst setzen sie den Personen, mit denen sie womöglich gerade in einen Konflikt verwickelt sind, den »Hut auf«, der früher ihrer Mutter, ihrem Vater oder anderen wichtigen Bindungspersonen gehörte. So kann es sein, dass das augenblickliche Verhalten, Fühlen und Denken für andere und manchmal sogar für uns selbst unverständlich erscheinen und oft sogar destruktiv sind.
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Diesen Rückgriff in unsere Geschichte und ihren Transport in die Gegenwart nennt man Übertragung. Wenn Außenstehende skeptisch oder besorgt reagieren, wenn sie erleben, dass zum Beispiel ein Mann laufend Überstunden macht und seine Gesundheit mit einem Zuviel an Arbeit gefährdet, oder dass eine Frau sich massive Ablehnung einhandelt, weil sie in ihrem Team sehr autoritär und dominant auftritt, ändern diejenigen häufig trotzdem erst einmal nichts an ihrem Verhalten und ihren Überzeugungen, da sich diese nach innen richtig anfühlen und Sicherheit geben. Der entsprechenden Glaubenssatz des Mannes könnte sein: »Nur wenn ich mich bis zum Letzten verausgabe und immer mein Bestes gebe, komme ich zu guten Ergebnissen!«, die Überzeugung der Frau: »Menschen müssen eine starke Hand spüren, sonst kommen sie nur auf dumme Gedanken! Das war schon immer so.« Will oder muss ein erwachsener Mensch im Zuge seiner Entwicklung eine Skriptentscheidung revidieren oder umschreiben, weil sich die äußeren oder inneren Bedingungen verändert haben und das alte Verhalten, Denken und Fühlen nicht mehr passen, dann ist der vertraute Rahmen, der das Kind ursprünglich sicherte, bedroht. Die inneren Alarmglocken schrillen, das Gehirn signalisiert: »Schlecht für mich!« Obwohl vielleicht der Verstand von der Notwendigkeit einer Veränderung überzeugt ist, signalisiert der Körper: »Gefahr!« Dann kann ein Forschen in der Entstehungsgeschichte der Skriptentscheidungen Aufschluss geben, Verständnis wecken und eine Veränderung erleichtern. In ihrem Buch »Das bin ich!?« (2018) gibt die Transaktionsanalytikerin Andrea Landschof detaillierte Hinweise für diese Forschungsreise und verweist auf »latente Talente«, die dabei zu entdecken sind. Nur durch einen langsamen Prozess des Umlernens, Verlernens und Neulernens und durch das Erkennen, Verstehen, Würdigen, Transformieren und Loslassen von ursprünglich intuitiv getroffenen, damals klugen Entscheidungen können sich das ursprüngliche Denken, Fühlen und Verhalten und die entsprechenden Strukturen im Gehirn verändern. Methodisch hilfreich und unterstützend ist für einen solchen Prozess das ZRM (Zürcher Ressourcen-Modell) von Maja Storch und Frank Krause (2007), das auf kreative und ressourcenorientierte Weise Veränderung anregt und die dafür notwendige
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Energie mobilisiert. Es fokussiert dabei dem systemischen Ansatz entsprechend nicht auf die Ursprünge von inzwischen destruktiven Mustern, sondern auf Visionen und Zukunftsentwürfe, deren Quelle in den Ressourcen des Unterbewussten liegt. Berne (1990) hat diese Quelle als Physis bezeichnet, als eine dem Menschen innewohnende Kraft zum Wachstum. Sie ist der Grund dafür, dass Menschen manchmal auch aus widrigen Umständen erstaunlich unbeschadet hervortreten. Die ZRM-Methodik beschreiben wir ausführlich in Kapitel 6.1. Für Menschen in Veränderungsprozessen und für diejenigen, die sie begleiten, ist es bedeutsam, welchen Ursprungs ihre Verhaltens-, Denk- und Fühlweisen sind. Sind sie als Grundausstattung mitgebracht auf die Welt wie typologische Präferenzen, oder sind sie skriptgebunden, also früh mit den ursprünglichen Bindungspersonen und in speziellen Situationen im Lauf der Sozialisation erlernt? Sind sie Teil des Bezugsrahmens, der – umfassender als das Skript – durch das Leben in einer bestimmten Zeit und Kultur erlernte Denk-, Fühlund Verhaltensweisen mit einschließt? Außer diesen frühen sozialen Prägungen bringt jeder Mensch auch etwas ihm ganz Eigenes mit auf die Welt, das seine Persönlichkeit ausmacht. Diese grundlegenden Komponenten sind beispielsweise die persönliche Resilienz, die eigene körperliche Gestalt, Intro- und Extraversion sowie eigene Muster und Präferenzen in der Sinneswahrnehmung wie Sehen, Hören und Fühlen (Kinästhetik), mit denen sich die Hypnotherapeutin Dawna Markova (2015) beschäftigte. Ihr Konzept der individuellen Wahrnehmungsmuster halten wir für eine bedeutsame Landkarte in der Beratung, deren Darstellung hier jedoch den Rahmen sprengen würde, deshalb an dieser Stelle nur ein kurzer Einblick in die Bedeutung für einen Beratungsprozess. Sie ordnete die Hauptsinne drei verschiedenen Modalitäten zu und beschreibt entsprechend sechs verschiedene Wahrnehmungsmuster, bei denen beispielsweise der auditive Sinneskanal je drei verschiedenen Modalitäten zugeordnet sein kann. Da Beratung primär sprachliche Interventionen nutzt, ist es wichtig zu wissen, dass zum Beispiel Menschen mit dem auditiven Sinn in der von ihr als empfindsam und kreativ beschriebenen Modalität mehr Raum und Zeit für das Finden der Sprache brauchen und
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sie dann über das Sprechen kreativ eigene Lösungen entwickeln, ohne viel Impulse vom Berater zu benötigen. Zu häufiges Intervenieren irritiert dabei eher den kreativen inneren Prozess des Klienten. Die Hauptintervention liegt eher im Zuhören und Nachfragen. Dies kann von Beratern als Kontrollieren des Prozesses durch den Klienten missverstanden werden. Im Unterschied dazu entspricht ein Klient mit der auditiven Präferenz in der von Markova als sortierend beschriebenen Modalität eher dem klassischen Beratungsbild des »Hin und Her« der Transaktionen im Gespräch. Am Kapitelende ist ein Literaturhinweis und ein Youtube-Link zu dem Konzept zu finden. Beim Erkunden der eigenen Geschichte bedarf es darum unterschiedlicher Forschungsansätze und Fragestellungen auch auf Seiten des Beraters, will er gemeinsam mit seiner Klientin ihrer Geschichte auf die Spur kommen. Vielleicht sind es nicht die Bindungspersonen, die sie als Kind zum Leisesein aufforderten, oder eine nachbarschaftlich Enge der Wohnsituation, die dies erforderte, sondern eine innewohnende introvertierte Grundausrichtung. Vielleicht sagt sie irgendwann im Bratungsprozess: »Ich glaube, ich bin einfach ein leiser Mensch.« Daran wird deutlich, dass schnelle Rückschlüsse auf den Ursprung auffallender Verhaltensweisen wie beispielsweise »Du unterbrichst uns andauernd. Bestimmt hast du viele Geschwister und bist zu Hause nicht zu Wort gekommen!« ins Leere laufen und Menschen nicht gerecht werden. Eine Erklärung für dieses Verhalten könnte ebenso eine Präferenz für Extraversion oder aber eine auditive Präferenz in der inneren Verarbeitung aus Sicht der Wahrnehmungsmuster sein. Nur durch ein gründliches Erforschen und sehr genaues Nachfragen wird es möglich, sich dem einzigartigen Lebensentwurf, dem Skript eines Menschen zu nähern, und es ist genau zu prüfen, welche Erklärungen hilfreich sind. Mit mehr Wissen und Bewusstheit über ihre eigene Art können Menschen dann vielleicht eine wirksamere Art der Kommunikation entwickeln im Sinne von bezogener Autonomie. Grundbotschaften und Antreiber Wir beziehen uns für die grafische Darstellung der Skriptentstehung auf die kokreative Skriptmatrix nach Sumers und Tudor (2016). In
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der klassischen Skriptmatrix (Hennig und Pelz, 1997) stehen der »Vater« und die »Mutter« grafisch oberhalb des Kindes, und die Pfeile mit den verschiedenen Botschaften gehen von Vater und Mutter nur in eine Richtung, zum Kind. Aus dem systemischen Blickwinkel betrachtet zeichnen Sumers und Tudor sie mit Pfeilen, die in beide Richtungen zeigen und so die gegenseitige Beeinflussung aller Beteiligten ausdrücken – Eltern sind mit unterschiedlichen Kindern auch unterschiedliche Eltern. Wir ergänzen den Begriff Bindungspersonen, um der Diversität heutiger Elternschaft Ausdruck zu verAbbildung 7 Kokreative Skriptmatrix leihen. In der Abbildung 6 stellen wir dar, wie die Skriptbildung aus unserer Sicht geschehen könnte.
Bindungsperson 1
Kind
EL
EL
Antreiber
EL
Programm
ER
Antreiber
ER
Programm
ER
K
Grundbotschaften
K
Bindungsperson 2
Grundbotschaften
K
Abbildung 6: Kokreative Skriptmatrix modifiziert nach Sumers und Tudor (2000) 9
Die früheste Ebene in der Skriptentwicklung beinhaltet Überzeu gungen, die ein Mensch schon pränatal oder gleich nach der Geburt als Reaktion auf Atmosphäre und Stimmungen unbewusst über sich entwickelt, darüber, wie er ist oder glaubt, sein zu sollen. Diese Überzeugungen sind Ausdruck der emotionalen Beziehung der ersten Bindungspersonen zum Kind. In dem gemeinsamen Prozess entwickeln oder übernehmen Kinder unbewusst bestimmte Annahmen, die als eine das Leben begleitende Grundstimmung auf der Seinsebene wirken. Oft stammen sie aus dem Unbewussten der Eltern, aus
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deren eigener Geschichte, und beeinflussen ein Kind nonverbal und eher atmosphärisch. Sie können die Entwicklung fördern oder hemmen. Abhängig von der Konstellation und Situation, in der das Kind und die Bindungspersonen jeweils leben, kommen Kinder individuell zu ganz unterschiedlichen Überzeugungen. Sogar die Lebenspläne von Geschwisterkindern können erheblich divergieren. Ihrem magischen Denken entsprechend, erzählen Kinder zu verschiedenen Zeiten in ihrem Leben unterschiedliche Skriptgeschichten, die unlogisch und manchmal widersprüchlich sind, nur für eine bestimmte Situation und Konstellation stimmen und für andere nicht. In ihrer Vorstellung haben diese unterschiedlichen Narrative nebeneinander Platz. Beim Erforschen des Lebensskripts als Erwachsene reagieren Menschen irritiert auf diese Tatsache und brauchen Informationen beispielsweise über das »magische Denken« von Kindern, in dem noch nicht trennscharf Fantasie und Realität unterschieden werden kann. Viele Beispiele für den Prozess der Bildung von Skriptmustern beschreibt auch die Transaktionsanalytikerin Almut Schmale-Riedel in ihrem Buch »Der unbewusste Lebensplan« (2016). Die hemmenden Botschaften im Skript eines Menschen werden als Einschärfungen oder Grundbotschaften bezeichnet. Bob und Mary Goulding (1976) benannten zwölf dieser destruktiven Gebote, die ihnen immer wieder in ihrer therapeutischen Arbeit begegneten: Sei nicht, Sei nicht wichtig, Fühle nicht, Denke nicht, Werde nicht erwachsen, Sei kein Kind, Sei nicht du selbst, Sei nicht gesund, Sei nicht normal, Gehöre nicht dazu, Sei nicht nah, Schaff es nicht. Ihre Formulierung könnte den Eindruck erwecken, Eltern hätten die entsprechenden Worte genauso gesagt, beispielsweise »Sei nicht!« oder »Denke nicht!«. Es geht jedoch eher darum, dass ein junger Mensch mit einer entsprechenden Situation emotional in Resonanz geht, sich entsprechend verhält, diese Erfahrung in sein Lebensdrehbuch integriert und in die Gegenwart mitnimmt. So könnte ein Erwachsener vielleicht sagen: »Bei uns war oft so eine gedrückte Stimmung. Es war, als würde immer jemand sagen: ›Lass das!‹ Ich habe mich jedenfalls am liebsten in meine Ecke verzogen und war froh, wenn mich niemand ansah.« Oder bei einer die Entwicklung förderlichen Umgebung: »Irgendwie war die Stimmung bei uns meistens freundlich. Ich kam abends immer gern vom
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Spielen nach Hause, meine Großmutter hatte immer schon ein Ei für mich gekocht!« In welchen späteren Worten die ganz früh empfundene Atmosphäre ihren Ausdruck findet und welches seine Geschichte, seine Wahrheit ist, entscheidet jeder Mensch für sich. Ungefähr ab dem dritten Lebensjahr treffen Menschen ebenfalls unbewusst Schlussfolgerungen in Folge von elterlichen Anweisungen. Diese beziehen sich eher auf ihr Verhalten, auf das Tun, weniger auf ihre Gestimmtheit. Diese Grundannahmen sind im Konzept der Antreiber des amerikanischen Transaktionsanalytikers Taibi Kahler (1978) beschrieben. Bei späterer Spurensuche sind sie eher zugänglich und zu entdecken als die erwähnten sehr früh getroffenen Entscheidungen. Die Schlussfolgerungen, die ein Mensch aus den Antreiberbotschaften zieht, überdecken oft die sehr früh getroffenen Grundannahmen, die oben beschrieben wurden. »Nur, wenn ich mich immer anstrenge, bin ich liebenswert und bekomme die Zuwendung, die ich brauche!« – das wäre eine mögliche kindliche Entscheidung über die Art, sich zu verhalten. In der Transaktionsanalyse gehört dieser Prozess in das Konzept der Antreiberdynamik. Es beschreibt fünf Antreiber, in denen elterliche Anweisungen gebündelt sind: »Mach’s anderen recht!« – »Streng dich an!« – »Beeil dich!« – »Sei stark!« – »Sei perfekt!«. Jede dieser Antreiberbotschaften ist gefühlt verbunden mit einem »immer«: »Nur, wenn ich mich immer beeile, bin ich liebenswert.« Das darin enthaltene Getriebensein und das vorhersehbare Scheitern am Anspruch üben eine Macht aus, die eine Entwicklung zur Autonomie erschwert. Wenn ein Mensch sich seines Skripts nicht bewusst ist, wird er auf die Frage, warum er sich so sehr beeile oder anstrenge, warum er sich so übermäßig um andere bemühe, so pedantisch genau arbeite oder sich selbst so wenig wichtig nehme, wahrscheinlich häufig erwidern, er »müsse« sich so verhalten – er könne gar nicht anders. Eine solche Antwort deutet darauf hin, dass er den Regiestuhl für das eigene Leben einer oder mehreren Antreiberbotschaften überlassen hat. Nach dem Erforschen der eigenen Geschichte in der Therapie, im Coaching oder in der Beratung kann ein Mensch Kenntnis und Bewusstheit über sich und sein Lebensskript gewinnen. Das kann eine gute Grundlage dafür sein, die Regie selbstverantwortlich und
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autonom zu übernehmen, immer wieder abzuwägen und sich entscheiden zu können. Der Blick aus der ressourcenorientierten Perspektive des »Guten im Schlechten« zeigt, dass Menschen in ihrer Antreiberdynamik auch nützliche Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln, die sie auszeichnen. Schmid und Hipp (2000) beschreiben die Ressourcen der Antreiber als »erlöste Tugenden«: 1. Mach’s den anderen recht! Diese Menschen sind oft kooperative, beliebte Gruppenmitglieder, »angenehme Zeitgenossen«, rücksichtsvoll, harmonisierend und liebenswürdig. 2. Sei stark! Diese Menschen sind in der Arbeit verlässlich, stetig und ausgeglichen, bleiben in Krisensituationen ruhig, wie ein Fels in der Brandung. 3. Sei perfekt! Diese Menschen sind sehr sorgfältig, arbeiten genau und fehlerfrei, sind vorausschauend, organisieren sich gut und haben einen Sinn für die Vollkommenheit der Dinge. 4. Streng dich an! Diese Menschen sind begeisterungsfähig, packen neue Dinge mit viel Energie und Schwung an, übernehmen freiwillig Aufgaben, halten auch Durststrecken durch und sind gründlich bei der Suche nach Möglichkeiten. 5. Beeil dich! Diese Menschen arbeiten schnell, viel, effektiv und gut, auch unter Druck. Sie können viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten.
Johann Schneider beschreibt in seinem Artikel »Das dynamische Handlungspentagon« (2006) die inneren Dynamiken der verschiedenen Antreiberbotschaften und ordnet ihnen Ressourcen in Form von Handlungsfähigkeiten zu, wie in der folgenden Abbildung 7 zu sehen ist.
ildung 8 Antreiber: Dynamisches Handlungspentagon
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Beziehung zum Selbst
Beziehung zur Umgebung
Einfühlungsvermögen
Distanzierungsvermögen
Gefühl für Vollkommenheit
Durchhaltevermögen
Kraft
Technik Raum-ZeitGefühl
„beeil dich“ Geschwindigkeit 10
Abbildung 7: Das dynamische Handlungspentagon nach Schneider (2016)
Die Entdeckung dieser konstruktiven Seite der Antreiberbotschaft bewirkt in vielen Coaching- und Beratungsprozessen eine Erleichterung und setzt Energie für Veränderung frei. Der Blick weg vom Defizit hin zur Ressource ist auch in diesem Fall eine Aufforderung zum genauen Hinschauen und -spüren. Welche Verhaltensweisen möchte ich verlernen? Welche neu erlernen? Welche möchte ich differenzieren? Welche möchte ich beibehalten? Diese Fragen ermöglichen das Einnehmen einer selbstverantwortlichen, autonomen Position auf dem »inneren Regiestuhl« für das Lebensdrehbuch. In ihrem Buch »Transactional Analysis for Trainers« nimmt die Transaktionsanalytikerin Julie Hay (1996) die Gefahren unter die Lupe, die eine bestimmte Antreiberdynamik für das Verhalten von Menschen birgt. Sie stellt daraus komprimierte Selbstinterventionen zusammen, mit deren Hilfe Menschen um die Gefahrenquellen
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herumnavigieren können. Diese praktischen und hilfreichen Hinweise übersetzte Johann Schneider. Sie sind in der Werkzeugkiste zu finden (»Ermutigungen«, S. 258 ff.). »Affirming Messages« – Ermutigungen Die Transaktionsanalytikerin Pamela Levin entwickelte in den 1970er Jahren ein entwicklungspsychologisches Modell, bei dem sie auf Ressourcen fokussiert. Sie richtet ihren Blick nicht auf mögliche Ursachen von aktuellen Schwierigkeiten, sondern auf das Gelingen eines Entwicklungsprozesses. Der Begriff »affirming message« wurde im Laufe der Jahre immer wieder mit dem Begriff »Erlaubnis« übersetzt. Durch einen Hinweis von J. Schneider wurden wir darauf aufmerksam, dass Pamela Levin in ihrem Buch »Cycles of Power« (Levin-Landheer, 1988) nie den Begriff »permission« oder »allowance« verwendete, auch ihre »messages« enthalten kein »may«, was dem deutschen »dürfen« entspräche. Mit dem Begriff »Erlaubnis« verbinden wir eine elterliche Haltung, aus der heraus Menschen etwas »erlauben« und auch »verbieten« können. Wir favorisieren deshalb den Begriff »Ermutigung« als Äquivalent zu »affirming messages«. Eine Ermutigung unterstützt das Vertrauen in die eigenen Kräfte und die Entwicklung von Autonomie, sowohl im Verhältnis von Bindungspersonen und Kindern als auch von Beraterinnen und Klienten und Coaches und Coachees. Pamela Levin ordnet den einzelnen Entwicklungsstufen eines Menschen spezifische Ermutigungen zu und kennzeichnet damit förderliche und bestärkende Grundhaltungen von Bindungspersonen. Die zeitliche Einteilung der Stufen übernimmt sie von anderen Entwicklungspsychologen und benennt die verschiedenen Stufen bis zum ungefähren Alter von sechs Jahren den zu entwickelnden Fähigkeiten entsprechend: Kraft zum Sein, Kraft zum Tun, Kraft zum Denken, Kraft der Identität. Ab sechs Jahren geht es weiter mit Fähigkeiten und Fertigkeiten (6 bis 12 Jahre) und Integration (12 bis 18 Jahre). Eine Kritik an dem Modell, die wir bei allem Zuspruch für den Ansatz von Levin teilen, betrifft die starr erscheinende Zeiteinteilung und Abfolge der Stufen. Die Übergänge sind unserer Erfahrung nach fließender. Interessanterweise geht Levin von einem spiralförmigen und unendlichen Verlauf der Entwicklung aus (siehe Abbildung 8) und nennt folgerichtig die
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letzte Phase »Recycling« im Sinne von Erneuerung (ab 18 Jahren). Bei einem solchen Entwicklungsverlauf begegnen Menschen immer wieder den Themen des ersten Durchlaufs ihrer Entwicklung. So wohnt beispielsweise jedem beruflichen oder privaten Neuanfang erst einmal das Thema »Sein« inne: Wie fühlt es sich an, hier zu leben? Wie ist die Stimmung in und außerhalb der neuen Wohnung? Nach einiger Zeit taucht wahrscheinlich das Thema Identität auf: Wie ist mein Selbstverständnis als Schulleiterin? Oder: Wer bin ich als Vater eines Sohnes? Die entsprechenden Ermutigungssätze richten sich auf bestimmte Aspekte der Entwicklungsphase, beispielsweise: »Du kannst stark sein und gleichzeitig Bedürfnisse haben.« Abbildung 9 Entwicklungsspirale Zyklen der Entwicklung Oder: »Du kannst herausfinden, welche Folgen dein Verhalten hat.«
7
1
Erneuerung
Sein 2
6
Integration
5
Tun/Handeln
3
Denken/Fühlen
4
Identität
Fähigkeiten
11
Abbildung 8: Zyklen der Entwicklung nach Levin (1982)
Im Folgenden führen wir in Anlehnung an Levin einzelne Ermutigungen für jede Entwicklungsstufe auf. Es sind Entwicklungsimpulse, die in der ursprünglichen Entwicklung eine bestimmte bejahende Haltung der jeweiligen Bindungspersonen kennzeichnen. Im Beratungsprozess können sie als Impuls dafür dienen, gemeinsam passgenaue individuelle Ermutigungen für einen guten inneren Dialog zu entwickeln.
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SEIN Ich freue mich, dass du da bist. Du hast ein Recht, hier zu sein. Ich finde deine Bedürfnisse in Ordnung. Ich mag dich gern anfassen und halten. Du kannst dir deine Zeit nehmen (zu wachsen). TUN Du kannst neugierig sein und intuitiv. Du kannst erkunden und experimentieren. Du kannst dir sicher sein. Ich gebe dir gern meine Aufmerksamkeit. Du kannst auf Menschen und Dinge zugehen. Du kannst auch für dich sein. Es ist in Ordnung, die Welt zu erkunden und gleichzeitig umsorgt zu werden. DENKEN UND FÜHLEN Ich freue mich, dich wachsen zu sehen. Es ist in Ordnung, mir und anderen deinen Ärger zu zeigen. Es ist gut, wenn du für dich denkst. Du kannst deine Bedürfnisse wahrnehmen. Du kannst für dich selbst denken. Du brauchst nicht für andere zu denken und Verantwortung zu tragen, eher mit ihnen gemeinsam. IDENTITÄT Du kannst deine Gefühle offen zeigen. Es ist in Ordnung, dass du deine eigene Vorstellung von der Welt hast. Es ist in Ordnung, mich oder andere um Hilfe zu bitten. Es ist gut herauszufinden, wer du bist. Du kannst die Folgen deines Verhaltens herausfinden. Es ist in Ordnung, wenn du stark bist und zugleich Bedürfnisse hast. Es ist in Ordnung, dir Dinge vorzustellen ohne zu befürchten, dass sie wahr werden. FERTIGKEITEN Du kannst eine andere Meinung haben als ich oder die anderen. Du kannst Dinge auf deine eigene Art tun.
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Vertraue deinen Gefühlen und lasse dich von ihnen leiten. Du musst nicht leiden, um zu bekommen, was du brauchst. Du kannst nachdenken, bevor du Dinge auf deine Art machst. AUTONOMIE UND SEXUALITÄT Du bist willkommen, wenn du wieder nach Hause kommst. Es ist in Ordnung, du selbst zu sein. Du hast ein Recht auf deine eigene Sexualität und kannst zugleich andere Bedürfnisse haben. Es ist in Ordnung, erwachsen zu sein und Erfolg zu haben. Für deine eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Verhaltensweisen bist du selbst verantwortlich.
Nachdem eine oder mehrere Ermutigungen im ersten Durchlauf von außen verbal und/oder als Haltung vermittelt wurden, zum Beispiel »Du kannst experimentieren und etwas Neues ausprobieren«, können Abbildung 10 Internalisierungsprozess sie später von der eigenen inneren, nährenden erwachsenen Instanz übernommen werden. Dies ist wie jede Entwicklung ein Lernprozess und könnte beispielsweise so verlaufen: Coach: „Ich finde, du kannst Pausen machen, wenn du erschöpft bist.“
Coachee: „Ja, ich bin erschöpft und könnte vielleicht eine Pause machen.“
Coachee: „Ich mache jetzt eine Pause.“
Abbildung 9: Internalisierungsprozess nach Schneider ( unveröffentlichte Flipchart-Notiz in einem Seminar)
12
Hier ein Beispiel: Eine Lehrerin kommt einige Monate nach ihrer Pensionierung in die Beratung. Sie ist ratlos und beschreibt, dass sie mit ihren eigenen Ansprüchen nicht zurechtkommt. »Ich möchte doch gerne am Leben teilhaben und aktiv sein, aber ich kriege nichts auf die Reihe!« Schon im Verlauf des ersten Gesprächs gesteht sie sich
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ihre Erschöpfung ein. Sie beschreibt, wie sie sich durch das Ausbleiben einer äußeren Struktur orientierungslos fühlt. Im Verlauf der Beratung entwickelt sie ein Bewusstsein für ihren Neuanfang als Pensionärin. Sie kauft sich einen kleinen Kompass, der sie daran erinnern soll, dass sie sich auf »unbekanntem Gelände« befindet. Durch die Ermutigung zum Ausprobieren gelingt ihr nach einiger Zeit eine Balance zwischen ihren Bedürfnissen nach Ruhe und nach Aktivität.
Zum Verständnis der Entstehung des Lebensskripts und auch seiner Veränderung und Umschreibung sind verschiedene Erklärungsansätze hilfreich: die Neurobiologie, verschiedene Lerntheorien, die Jung’sche Typenlehre, verschiedene Ansätze der Entwicklungspsychologie und andere mehr. Wir konnten sie in diesem Kapitel nur streifen und vielleicht an der einen oder anderen Stelle dazu anregen, einzelne Aspekte zu vertiefen. Sie alle bilden eine gute Grundlage dafür, Verständnis für sich selbst und andere zu entwickeln und zu erkennen, was für besondere Geschöpfe wir Menschen sind. Interventionsleitende Fragen und Impulse: Die Ermutigungen können individuell entwickelt oder als Impulse für Interventionen eingesetzt werden. Im Bereich Schule und Kita eignen sich die Ermutigungskarten für Fallbesprechungen, weil sie einen Perspektivwechsel fördern, weg von »Was hat das Kind?« hin zu »Was braucht das Kind?«.
Folgende Fragen können dem Coachee gestellt werden: – Wofür war ein bestimmter Glaubenssatz einmal nützlich? – Welche Glaubenssätze oder Verhaltensweisen möchten Sie verändern? – Welche Haltungen und Verhaltensweisen möchten Sie neu erlernen? – Welche möchten Sie differenzieren? – Was müssten Sie dafür loslassen? – Welche möchten Sie beibehalten? – Welche Ermutigungen gab es für Sie von Menschen außerhalb der eigenen Familie?
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Werkzeugkiste »Ermutigungen« (S. 258 ff.) und »Selbstcoaching-Impulse zum Antreiberverhalten« (S. 267 f.) Vertiefende Literatur Cornell, W., de Graaf, A., Newton, T., Thunnissen, M. (2016). Into TA. A comprehensive textbook on Transactional Analysis. London: Karnac Books Ltd. Landschof, A. (2018). Das bin ich? Paderborn: Junfermann. Markova, D. (2015) Bridging Our Differences: Mind Patterns in Action – YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=Nx2rmjDSpwE. Markova, D., McArthur, A. (2015). Collaborative Intelligence. New York: Spiegel&Grau. Schmale-Riedel, A. (2016). Der unbewusste Lebensplan. Das Skript in der Transaktionsanalyse. Typische Muster und therapeutische Strategien. München: Kösel. Sejkora, K., Schulze, H. (2017). Vom Lebensplan zum Beziehungsraum. Wie Sie mit Hilfe der Transaktionsanalyse einschränkende Muster überwinden. Munderfing: Fischer & Gann.
4.2 Ich bin einfach anders und das ist gut so: Typologie »Der ist beglückt, der sein darf, wer er ist.« Friedrich von Hagedorn
Im vorangegangenen Kapitel haben wir den Reichtum der Optionen für die Erweiterungen oder Neuentscheidungen für das eigene Lebensskript beschrieben. Warum reicht uns zur Erklärung und Steuerung der Selbstorganisation nicht das Konzept des Lebensskripts? Als Kind seiner Zeit legte Eric Berne den Fokus bei der Entwicklung der Skripttheorie auf die einschränkenden Aspekte in der Entwicklung des Lebensskripts durch die Sozialisation. In der psychologischen Theoriebildung grenzte er sich so von Charakterlehren im Sinne angeborener, das heißt nicht veränderbarer, Verhaltensweisen von Menschen ab. Heute ist eine integrierte Sichtweise möglich, die sowohl angeborene als auch sozialisierte Prägungen berücksichtigt und eine salutogenetische, ressourcenorientierte Perspektive einnimmt. In diesem Sinne vertiefen wir die Sicht auf die
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Biografie eines Menschen um die Perspektive der Typologie, wie schon in Kapitel 4.1 zum Lebensskript angedeutet. Voranstellen wollen wir unsere Haltung zu Persönlichkeitstypolo gien: Mit einer seriösen Persönlichkeitstypologie werden Menschen nicht in Schubladen gesteckt. Im Sinne einer Landkarte unterstützt sie Menschen dabei, sich selbst und andere besser zu verstehen. Sie ersetzt nicht die persönliche Erkundung des »Geländes« durch Coach und Coachee. Wir wollen mit dem Konzept der Typologien keine Begrenzungen schaffen, sondern Unterschiedlichkeit jenseits vom Lebensskript erklären. Introvertierte Menschen beispielsweise werden in unserer exravertiert geprägten Gesellschaft tendenziell abgewertet. Das Konzept bietet ihnen Trost und Kraft durch die Erfahrung, dass es viele andere Personen gibt, die der gleichen Kategorie angehören und sich ähnlich fühlen, ähnlich denken und sich ähnlich verhalten wie sie. Eine mögliche Landkarte für die Reisebegleitung in persönlichen Veränderungsprozessen ist die beschriebene Skripttheorie mit der Idee der Grundbotschaften, von Glaubenssätzen und von Antreibern. Sie hilft, sozialisationsbedingte Einschränkungen im Verhaltensrepertoire aufzuspüren, zu verstehen und mit den antithetisch zum Skript passenden Ermutigungen Optionen im Denken, Fühlen und Verhalten zu entwickeln. Sie hilft jedoch nicht weiter oder führt auf Abwege, wenn es um den Teil von Persönlichkeit geht, der unab hängig von Sozialisation und Skript existiert – dem angeborenen Temperament. Hier kann das Konzept der Typologie das Repertoire der vertrauten Landkarten für Berater erweitern. Die systemische Sichtweise ist an dieser Stelle interessant: Die Landkarten, die wir nutzen, beeinflussen das, was wir auf der Reise wahrnehmen. Mit der Landkarte »Lebensskript« kann eine Beraterin beispielsweise den Rückzug eines Menschen als eine Einschränkung im Sinne einer Skriptbotschaft wie »Traue niemandem« oder »Gehöre nicht dazu« wahrnehmen. Sie kann den Rückzug aber auch mit einer typolo gischen Landkarte betrachten und ihn als gesunde Maßnahme eines Introvertierten zum Wiedergewinnen von Energie verstehen. Eine typologische Landkarte ermöglicht es, mit einem Coachee wesensgemäße innere Ermutigungen zu finden. Bei einem introvertierten Menschen hieße das möglicherweise, sich mit gutem Gewissen
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zurückziehen zu dürfen. Wenn solche Personen sich den Rückzug nicht erlauben, wirken sie häufig übermäßig zurückgezogen, weil bei ihnen ein aufgestautes und damit überzogenes Bedürfnis nach Alleinsein entsteht, sie sind dann auch in Kontaktsituationen nicht ganz »da«. Wenn die Beraterin nicht weiß, dass Kontakt und eine Vielfalt äußerer Impulse einen Introvertierten mehr erschöpfen als einen Extravertierten, fehlt eine sehr entscheidende Information für die erfolgreiche gemeinsame Reise. Jungs Verdienst war es unter anderem, diesen sehr relevanten typologischen Unterschied zwischen Introversion und Extraversion zu beschreiben. Da er eine besondere Bedeutung für die Resilienzentwicklung hat, stellen wir die beiden Präferenzen ausführlicher dar. Extraversion und Introversion beschreiben das Umwelterleben: Ist es positiv stimulierend oder negativ reizüberflutend? Woher bezieht jemand seine persönliche Kraft und Energie? Wenn sie eher aus dem stimulierenden Kontakt im Außen bezogen wird, spricht dies für eine Präferenz der Extraversion. Wenn sie eher aus dem reizarmen Rückzug kommt, ist die Präferenz Introversion. Die Präferenz für einen der beiden Pole kann jeweils stark, mittel oder schwach sein. Ganz unabhängig von Skriptbotschaften wie »Gehöre nicht dazu« und »Sei nicht nah« nehmen Kinder schon früh sehr unterschiedlich Bezug auf ihre Umwelt – eher kontaktfreudig oder aber zurückhaltend. Heute wissen wir durch die neurobiologische Forschung (Löhken, 2011), dass die Gehirne introvertierter Menschen einen höheren Grad elektrischer Aktivität aufweisen, dass sie also intern stimulierter sind und somit weniger Bedürfnis nach äußerer Stimulation besteht. Diese Tatsache bedeutet für beide Präferenzen sehr unterschiedliche Stärken und Bedürfnislagen, denen wir nicht allein mit der Skripttheorie gerecht werden. Jerome Kagan, einer der renommiertesten Entwicklungspsychologen des 20. Jahrhunderts, hat in einer bahnbrechenden 20-jährigen Langzeitstudie hochreaktive von gering reaktiven Säuglingen unterschieden und die Kinder bis ins Jugendalter untersucht. Er stellt fest: »C. G. Jungs Beschreibungen von Introvertierten und Extravertierten, die vor über 75 Jahren entstanden, treffen mit unheimlicher Genauigkeit auf einen Teil unserer
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hoch und gering reaktiven Jugendlichen zu« (Kagan in Cain, 2012, S. 155). Dies ist besonders bemerkenswert, weil Kagan ursprünglich als Verfechter der Sozialisationstheorie galt. Die Ergebnisse der Studie kommentierte er folgendermaßen: »Ich wurde wider Willen von meinen Daten dazu gezwungen anzuerkennen, dass das angeborene Temperament stärker ist, als ich glaubte und gerne glauben würde« (S. 166). In einer sich eher in Richtung Extraversion entwickelnden Gesellschaft ist es von großer Bedeutung, die Introversion nicht irrtümlich zu pathologisieren. Verschiedene Autoren gehen davon aus, dass der prozentuale Anteil introvertierter Menschen bei 25 bis 50 Prozent der Gesamtbevölkerung liegt. Die Stärke von Extravertierten besteht unter anderem darin, dass sie sich besser Gehör verschaffen können. Darum werden sie von Introvertierten primär als normative Modelle erlebt. Introvertierte sind weniger wahrnehmbar und bieten sich nicht so leicht als Modelle an. So entsteht bei ihnen häufig durch den normativen Anpassungsdruck und den eigenen Anpassungswunsch eine Selbstabwertungsdynamik, verstärkt durch ausdrücklich extravertierte Erfolgsnormen in Bewertungskontexten wie Schule, Ausbildung und Assessments. Die Erlebnisse in diesen Kontexten – Blackouts unter dem Druck mündlicher Prüfungen, schlechte Noten für mündliche Beteiligung – bewirken dann zusätzlich Beschämungserfahrungen mit Rückwirkungen auf das Selbstwertgefühl mit der Schlussfolgerung »Mit mir stimmt etwas nicht«. Im Modell der Grundpositionen ist dies passend beschrieben mit der »Ich bin nicht o. k.-du bist o. k.«-Position. Als Auswirkung dieser Überanpassung auf der Ebene der Skriptentwicklung finden sich häufig das von Berne beschriebene Sisyphus-Skript und die Antreiberdynamik »Streng dich an!« und »Sei perfekt!«: Introvertierte schneiden vor sich selbst durch das verinnerlichte extravertierte ideale Selbst im Vergleich mit dem eigenen realen introvertierten Selbst häufig schlecht ab. So entsteht eine fortwährende Anstrengung, dem idealen extravertierten Selbst zu entsprechen. Sie ist verbunden mit dem Gefühl der Vergeblichkeit, wie sie in der Metapher des Sisyphus-Mythos zum Ausdruck kommt: Als Strafe der Götter schleppt Sisyphus einen Felsbrocken den Berg hinauf, der jedes Mal kurz vor Erreichen des Gipfels wieder zurückrollt. Die
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Kombination der Introversion mit dem Perfekt-Antreiber entsteht durch den Introvertierten häufig wesensgemäß eigenen »Sinn für die Vollkommenheit« (Schmid u. Hipp, 2000). Durch die Antreiberdynamik wird die eigentliche Qualität überzogen und damit dysAbbildung 11 Introversion - Extroversion funktional. Introvertierte denken, bevor sie sprechen. reflektierend
Extrovertierte denken, indem sie sprechen. verbal
Introvertierte gehen in die Tiefe. fokussiert
Extrovertierte gehen in die Breite. expansiv
Introvertierte schöpfen Energie aus dem Alleinsein. „Allein-Macher“
Extrovertierte schöpfen Energie aus dem Kontakt mit anderen. „Gruppen-Macher“
Abbildung 10: Unterscheidungsmerkmale zwischen Introvertierten und Extrovertierten nach Zack (2012) 13
Introvertierte fühlen, denken und handeln anders als Extrovertierte (siehe Abbildung 10). Extravertierte lenken ihre Aufmerksamkeit in beruflichen Rollen eher nach außen – beispielsweise darauf, Dinge voranzutreiben. Introvertierte lenken sie eher nach innen und sorgen so in Entscheidungsprozessen für die Qualität und Tiefgründigkeit der zu bewertenden Entscheidungskriterien. Einige klassische Methoden in Arbeitskontexten wie das Brainstorming sind beispielsweise typisch extravertiert: Gefragt ist lautes Denken. Introvertierte bereiten sich lieber vorher auf ein Thema vor und bringen ihre Ideen dann mit. Bei Seminaren hätten sie die Unterlagen am liebsten vorher, damit sie sich mit dem Thema vertraut machen können und die Diskussion tiefer gehen kann. »Murmelgruppen« finden sie weniger attraktiv als »Schreibdenken«, um dann mit ihren Gedanken ins Gespräch zu gehen. In Gruppendiskussionen sind Introvertierte nicht passiv, die Extravertierten als »Lautdenker« sind lediglich immer schneller, brauchen keine Denkpausen und besetzen daher in hohem Tempo das Sprechfeld. Leiter von Gruppen oder Führungs-
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kräfte erzielen mehr Qualität in Gruppendiskussionen, wenn sie durch Fragen den »Leisedenkern« die Möglichkeit zur Beteiligung verschaffen. Hierzu ein Beispiel aus einem Coaching-Prozess: Eine hochkompetente Frau wurde vom Vorstand ihres Unternehmens gebeten, die Bereichsleitung für ein zentrales Thema zu übernehmen, das sie bereits auf ihrer derzeitigen Hierarchieebene verantwortete. Ihre Bedenken, diesen Ruf anzunehmen, waren immens. Ihre größte Furcht war, keine Zeit mehr für sich zu haben und aus einer harmonischen Teamsituation in eine Rolle gehen zu müssen, die aufgrund ihres hohen Qualitätsanspruchs eine Konfrontation mit Mitarbeitern mit sich bringen würde. Sie beschrieb sich als Introvertierte wie »ein Fisch am Riff – kurz herauskommen, Aufgabe schnappen und dann schnell wieder weg in die Höhle«. Als Lieblingstätigkeiten nannte sie Denken, Lesen und Konzepte schreiben. Kommunikation kostete sie viel Energie. Sie fürchtete, ihre innere Freiheit, den Tiefgang und die Ruhe zur Versenkung zu verlieren – die Quellen ihrer Lebensenergie. Es begann ein langes Ringen. Nach und nach entstanden innere Bilder, wie die Rolle »artgerecht« gestaltbar sein könnte: – Die Sekretärin führen, statt sich von ihr führen zu lassen und Puffer zwischen Terminen planen, »artgerechte« Anreisezeiten und Anreisearten bei Auswärtsterminen beachten, SMS oder E-Mails schreiben statt viel zu telefonieren, – kleine und größere Auszeiten gut planen und verhandeln (beispielsweise Pausen, Home-Office-Zeiten, Kurzurlaube, »Ich-Zeit«), – die »Bühne« in Form von Vorstandspräsentationen, Veranstaltungen und Kongressen genießen lernen (»Allein-Denkerinnen« sind gute Vortragende; es gibt weniger Energieverlust als in TeamworkLeistungen), – die eigenen Kompetenzen schätzen lernen und introvertierte Qualitäten wie tiefe Reflexionsfähigkeit und Fokussierung als kraftvolle Führungsqualitäten identifizieren, – die für das berufliche Thema wichtige Netzwerkarbeit auf die eigene Art gestalten (Tiefe statt Breite), – im Fall von Konflikten mit Mitarbeitern auf die Kraft des AlleinseinKönnens und auf die eigene achtsame Art vertrauen, das bringt eine innere Unabhängigkeit und Distanzfähigkeit mit sich,
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– in den Verhandlungen über die neue Rolle entschieden und transparent kommunizieren, wie sie sich deren Ausgestaltung vorstellt, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Unterstützt von äußeren Bildern aus der ZRM-Bildkartei – eines mit Zeitung, Brille und Kaffeetasse und ein anderes mit Pippi Langstrumpf – entstand das Coaching-Mottoziel: »Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt«. Der Begriff »Mottoziel« ist die Bezeichnung aus dem ZRM für ein Beratungsziel, das folgende Kriterien erfüllt: Es enthält eine »Hin-zu«-Formulierung, ist überprüft durch einen eindeutigen positiven somatischen Marker, und die Zielerreichung kann selbst beeinflusst werden. Die Zielformulierung beschreibt ein Haltungsziel, kein Verhaltensziel. Verhaltensziele werden dann im Prozess in den nächsten Schritten aus der Haltung abgeleitet. Das Pippi-Langstrumpf-Lied erinnerte sie positiv an ihre Kindheit, in der diese ein Vorbild für sie war. Dieses Mottoziel hatte den besonderen Vorteil, dass durch die auditive Erinnerung die im ZRM-Konzept beschriebene neurobiologische Multicodierung durch Erinnerungshilfen, einem späteren Schritt in dem Konzept, auf diese Weise schon integriert war. Das Mottoziel als Beratungsvertragsziel stimulierte ihre innere Erlaubnis, die eigene introvertierte Art ernst zu nehmen, wertzuschätzen und damit eigeninitiativ die äußeren Bedingungen im Bereich des Möglichen zu gestalten. Die neue innere Haltung gab ihr die Energie, die entwickelten Ideen umzusetzen. Nach diesem Anlauf entwickelte sich eine erneute Phase des Zweifelns. Die Frau entschied sich gegen den Ruf. Mit der Achtsamkeit der Introvertierten machte sie sich viele Gedanken, welche Schwierigkeiten für ihren Arbeitgeber entstehen würden oder sogar für ihren Coach, der sie ja in der Entscheidung für die neue Rolle unterstützen sollte. Nach dem klaren und mutigen Nein zu der angebotenen Rolle sowie dem darin enthaltenen Ja zu sich selbst kam die innere Wende. Die Frau schrieb ihrem Coach sinngemäß: »Mein Arbeitgeber erweist sich in der alten Entscheidungsfrage als außerordentlich entgegenkommend in Anbetracht meines langen Entscheidungsschlingerkurses. Er kann sich keine andere Person in der Rolle vorstellen und bietet mir nochmals diverse Unterstützungsmodelle in sehr unterschiedlicher Form an. Das
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beeindruckt und berührt mich sehr! Ich freue mich darüber und das Beste ist: Ich will es jetzt!« Mittels der »geheimen Schätze« der leisen Menschen – der Vorsicht, der Tiefe, der Konzentration und der Entschleunigung – konnte sie am Ende der gemeinsamen Reise eine weichenstellende Entscheidung für eine erfüllende berufliche Aufgabe und Rolle treffen und beginnen, sie wesensgemäß zu gestalten.
Wir stellen im folgenden Abschnitt weitere Aspekte der Typenlehre nur in Grundzügen vor. Zur Vertiefung empfehlen wir die Literaturhinweise zu diesem Kapitel. Carl Gustav Jung, Freuds Zeitgenosse und langjähriger Kollege, kristallisierte mit seinen empirischen Beobachtungen aus der Vielzahl typologischer Merkmale sechs heraus, denen in der Selbst- und Beziehungsorganisation von Menschen offensichtlich eine zentrale Bedeutung zukommt (Jung, 2001). Später wurden noch zwei weitere Merkmale ergänzt von der Amerikanerin Katharine CookBriggs und ihrer Tochter Isabel Briggs-Myers, die basierend auf Jungs Typologie einen Persönlichkeitstest entwickelten (Briggs u. Myers, 1995). Diese von Menschen unterschiedlich präferierten Merkmale beschreiben die Art und Weise, wie sie bevorzugt Energie tanken, Informationen aus der Umwelt wahrnehmen und verarbeiten, Entscheidungen dazu treffen sowie den Verhaltensstil in der Umsetzung ihrer Entscheidungen (siehe Abbildung 11). Die aus Jungs Konzept abgeleiteten Präferenzen ermöglichen es, Hypothesen zu den eigenen Präferenzen zu entwickeln hinsichtlich der in der Abbildung 11 beschriebenen Dimensionen Energie tanken, Informationen aus der Umwelt wahrnehmen und verarbeiten, Entscheidungen dazu treffen sowie dem Verhaltensstil in der Umsetzung von Entscheidungen. Daraus ergeben sich 16 verschiedene Typo logien. Da der hieraus entwickelte Test GPOP – Golden Profiler of Personality (Golden, Bents, Blank u. Diergarten, 2013) aus dem amerikanischen Sprachraum kommt, wurden in der deutschen Adaption die englischen Begriffe der Präferenzen übernommen und die 16 möglichen Konstellationen mit den jeweiligen Anfangsbuchstaben bezeichnet.
Ich bin einfach anders und das ist gut so99 12 Persönlichkeitspräferenzen
Abbildung 11: Persönliche Präferenzen nach Briggs und Myers (1995)
Energie kann entweder eher von außen bezogen werden (Extraversion – Buchstabe E) oder von innen (Introversion – Buchstabe I). Die Wahrnehmung findet schwerpunktmäßig mehr über alle fünf Sinne sehr konkret (Sensing – Buchstabe S) oder über eine ganzheitliche, eher ahnende und Details vernachlässigende Art statt (Intuition – Buchstabe N, da I schon vergeben). Entscheidungen werden eher sachorientiert analytisch getroffen (Thinking – Buchstabe T) oder mehr erfühlt und beziehungsorientiert (Feeling – Buchstabe F). Der Verhaltensstil ist eher strukturiert und beurteilend (Judging – Buchstabe J) oder eher mitgehend und improvisierend (Perceiving – Buchstabe P).
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In der Werkzeugkiste finden sich noch Illustrationen zu den Präferenzen im Detail zur Unterstützung einer intuitiven Hypothesenbildung (S. 269 ff.). Jung setzt der Haltung des »Du kannst alles aus dir machen« das Paradigma des »Werde, wer du bist« entgegen. Er hält die Dimension der Energiegewinnung, Extra- und Introversion, nur für begrenzt veränderbar, was durch Kagans zitierte Langzeitstudie bestätigt wird. Persönlichkeitsentwicklung findet dennoch statt in Bezug auf die beiden mittleren Dimensionen, Informationen aus der Umwelt wahrnehmen und verarbeiten sowie Entscheidungen dazu treffen, die Jung auch als unsere Ich-Funktionen bezeichnet. Die präferenzbedingten vier möglichen Arten und Weisen, dies zu tun (Sensing, Intuition, Thinking, Feeling), können aus transaktionsanalytischer Perspektive auch als Qualitäten des integrierenden Erwachsenen-Ichs betrachtet werden: Wahrnehmen mit allen Sinnen, Ahnen, Denken und Fühlen. Jung selbst beschreibt sie auch als vier Formen der Intelligenz – die praktische, visionäre, kognitive und emotionale Intelligenz. In der Auseinandersetzung mit der Realität: Sinneswahrnehmung (S) – das Potenzial, die Realität mit allen fünf Sinnen wahrzunehmen (praktische Intelligenz) Intuitive Wahrnehmung (N) – das Potenzial, zu erahnen, was sich aus dieser Realität entwickeln könnte (visionäre Intelligenz) In der Art, Entscheidungen zu treffen: Denken (T) – das Potenzial, logisch denkend Entscheidungen zu treffen (kognitive Intelligenz) Fühlen (F) – das Potenzial, empathisch und nach persönlichen Werten Entscheidungen zu treffen (emotionale Intelligenz)
Jede Präferenz ist wertvoll – es gibt keine guten und keine schlechten Ausprägungen. Mit zunehmender Reifung ist unsere Lebensaufgabe
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nach Jung die Ganzwerdung, das heißt die ergänzende Entwicklung der noch fehlenden Ausprägungen. Der jeweilige Persönlichkeitstyp gibt Auskunft darüber, was ihn befriedigt und stimuliert, was ihn irritiert und frustriert. Unterschiedliche Menschentypen ergänzen und bereichern sich gegenseitig – in Partnerschaften, Teams und Unternehmen, wenn sie diese Unterschiedlichkeit wertschätzen lernen, statt sie abzuwerten. Die Ich-Funktionen beschreiben kontrastierende Qualitäten, die uns grundsätzlich alle zur Verfügung stehen. Ähnlich wie bei der Präferenzbildung in der Verwendung unserer linken und rechten Hand bilden wir aber auch bei den Ich-Funktionen Präferenzen. Die Persönlichkeitsentwicklung findet in der ersten Lebenshälfte entlang der persönlichen Präferenzen und Stärken statt, in der zweiten Lebenshälfte, im besten Fall, durch die Integration und Wertschätzung der nicht präferierten Merkmale. Von den vier Präferenzen der Ich-Funktionen können drei gut entwickelt werden; mit einer vierten bleiben wir in der Regel schwach, Jung nennt sie entsprechend unsere inferiore Funktion. Je nach Kombination der Präferenzen ist die inferiore Funktion jeweils eine andere – den einen kann es besonders stressen, wenn eine Aufgabe Detailgenauigkeit erfordert; einen anderen, Ideen zu einer ungewissen Zukunftsperspektive zu entwickeln; einer anderen fällt der distanziert-kritische Blick zum Treffen einer Entscheidung schwer oder einem vierten, wenn Einfühlungsvermögen gebraucht wird. Als Abwehrmechanismus wird die eigene schwache Präferenz oft bei Menschen, die gerade darin stark sind, abgewertet: »so ein Erbsenzähler«, »die ist doch gefühlsduselig«, »unverbesserlicher Fantast«, »unser Herr Professor«. Die schwache Präferenz hat Jung auch als unseren Schatten bezeichnet, mit dem es sich auszusöhnen gilt, statt ihn auf andere zu projizieren und zu bekämpfen. Für ein tieferes Verständnis von Konflikten halten wir diesen Gedanken für sehr wertvoll, da die im Schatten liegende Präferenz wie eine persönliche »Achillesferse« zu verstehen ist. Wird gerade diese Qualität in der Beziehung oder in der Zusammenarbeit gefordert, geraten Menschen in eine innere Überforderung und agieren äußerlich zur Abwehr häufig aggressiv. Skriptbedingt trainieren manche Menschen im Lebensverlauf zuerst die »schwächere statt der starken Hand«. In Coachings
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bedeutet das für den Prozess manchmal, erst einmal die eigentlichen Stärken herauszufinden. Im Folgenden einige Beispiele: Menschen mit der Ich-Funktions-Kombination NT (intuitive, ganzheitliche Wahrnehmung und analytisches Entscheiden) sind beispielsweise schnell im Denken und Erfassen und erleben als Kinder je nach Art des elterlichen und schulischen Umfeldes manchmal Abwertungen ihrer Klugheit: »Du Neunmalkluger, du Streber, du bist altklug, benimm dich mal wie ein normales Kind«. Möglich ist auch, dass sie mit dieser Qualität gar nicht erkannt werden. Ein Coachee wurde trotz bester Noten nicht von seinen Eltern für eine weiterführende Schule angemeldet, sondern von seinen Nachbarn. Eine Coachee mit NF-Kombination (intuitives, ganzheitliches Wahrnehmen und gefühlsmäßiges Entscheiden) erhielt in ihrer eher T(Thinking)lastigen Familie nur Anerkennung für intellektuelle Leistungen, nicht aber für ihre emotionale Intelligenz. Ein Klient mit ST-Kombination (Sinneswahrnehmung und analytisches Entscheiden) nahm als Kind in einer Feeling-präferierten Elternkonstellation (NF, SF) wahr, dass Mutter und Vater sich von seiner eher pragmatischen und nüchternen Art abgelehnt fühlten, und empfand sich selbst dadurch auch als nicht o. k. mit seinen Talenten. In einer sehr intellektuell präferierten NT-Familie (intuitive, ganzheitliche Wahrnehmung und analytisches Entscheiden), in der es viel Zuwendung für mentale Leistung gibt und in der es atmosphärisch eher distanziert zugeht, kann ein SF-präferiertes Kind (Sinneswahrnehmung und gefühlsmäßiges Entscheiden) möglicherweise schlussfolgern, dass es in seiner praktisch veranlagten und beziehungsorientierten Art nicht o. k. ist.
Nach Jung ist unsere Entwicklungsaufgabe ab der Lebensmitte die Ganzwerdung. Wenn jemand sich der Wandlung, diesem Entwicklungsbedürfnis der Seele, nicht stellt, erleben andere Menschen ihn in der Midlife-Krise, in der er dann auf die Stärken früherer Lebensphasen zurückgreift anstatt die Schwäche, die persönliche Schattenseite, zu integrieren.
mstärken der Präferenzen Ich bin einfach anders und das ist gut so103
Erhält die Komplexität und Qualität einer Aufgabe
Sorgt für Kommunikation
Offen für neue Faktoren, improvisiert, sichert Flexibilität
E P
I J
Plant und terminiert, sichert Stabilität
Sichtet detailliert Fakten
S F
N T
Denkt in Möglichkeiten
Analysiert kritisch
Vermittelt Akzeptanz der Lösungen im Unternehmen
Abbildung 12: Teamstärken der Präferenzen nach Jürgen Kugele (2009)
Stress kann entstehen, wenn einer Person durch die berufliche Rolle die nicht präferierten Qualitäten stark abverlangt werden. Die dritte Funktion kann gut trainiert werden; die Integration der vierten Funktion jedoch nicht in vollem Maße. In Coaching- und Beratungsprozessen kann neben der Entwicklung der dritten und vierten Funktion deshalb auch die grundlegende Stimmigkeit von Persönlichkeit und beruflicher Rolle das Thema sein. In Coaching-Prozessen mit Führungskräften sind diese Informationen hilfreich, damit ein Coachee zunächst den eigenen Typ und Führungsstil reflektieren kann, um sich seiner Stärken wie auch seiner Entwicklungsthemen bewusst zu werden. Sie helfen im Weiteren, das Denken, Fühlen und Verhalten von Teammitgliedern oder der eigenen übergeordneten Führungskraft nicht vorschnell
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als störend oder gegen sich gerichtet zu bewerten, sondern erst einmal als einfach anders und im zweiten Schritt bestenfalls als bereichernd anzusehen. Ausgenommen von dieser Sichtweise sind skriptbedingte Dynamiken sowie real existierende Machtkämpfe in einer Organisation. Die typologische Beschreibung fokussiert auf die Ressourcen und Entwicklungsthemen einer Person. Sie ermöglicht es, im Kontakt mit relevanten Rollenpartnern bewusster anzukoppeln. Sie liefert Erklärungen, warum Menschen in ihren Rollen sehr unterschiedlich agieren und wie sie sich im besten Fall wechselseitig bereichern können, um erfolgreich die Ziele ihrer Organisation zu unterstützen. Nach Meredith Belbin (2003) werden in Teams keine ausgeglichenen Individuen gebraucht, sondern Individuen, die sich untereinander ausgleichen. Das Erkennen der Qualitäten der Unterschiedlichkeiten ist für Teams sehr erhellend und in der Wirkung durchaus friedensstiftend (siehe auch Abbildung 12). Interventionsleitende Fragen und Impulse zu typologischen Präferenzen: – Woher bezieht jemand seine Energie – von außen oder von innen? – Wie setzt sich jemand mit den Informationen der Umwelt auseinander – eher konkret und detailliert oder intuitiv und »ahnend«? – Wie werden Entscheidungen getroffen – eher aus der Distanz und analytisch oder basierend auf Empathie und persönlichen Idealen? – Wie werden Entscheidungen umgesetzt – eher mit genauem Plan und strukturiert oder situativ angepasst und offen für Veränderungen? – Was hat jemandem schon immer Freude gemacht? Wurde es in der Lebensgeschichte unterstützt oder behindert? – Was oder wer hat jemanden schon immer gestresst? – Wird die eigene Art als o. k. erlebt und die Erfüllung der entsprechenden Bedürfnisse aktiv gestaltet?
Werkzeugkiste »Persönlichkeitspräferenzen-Check« und »Frieden mit den Dorfbewohnern schließen« (S. 272 ff.)
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Vertiefende Literatur Bents, R., Blank, R. (2004). Typisch Mensch. Einführung in die Typentheorie. Göttin gen: Hogrefe. Cain, S. (2012). Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt. München: Riemann. Kessel, B. (2014). Introversion – Coaching mit leisen Menschen in einer lauten Welt. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 31, 3, 195–204. Löhken, S. (2012). Leise Menschen – starke Wirkung. Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden. Offenbach: Gabal. Stahl, S., Alt, M. (2011). So bin ich eben! Erkenne dich selbst und andere. Hamburg: Ellert & Richter.
4.3 Das innere Team neu aufstellen: Ich-Zustände Nachdem wir im vorherigen Kapitel den Skriptbegriff um die typologischen Persönlichkeitsanteile erweitert haben, beschreiben wir jetzt, wo, wann und wie das Lebensskript abgespeichert wird und wie es sich von außen beobachtbar in der Kommunikation zeigt. Berne beobachtete bei seinen Patienten unterschiedliche, manchmal schnell wechselnde mentale und emotionale Zustände mit entsprechend unterschiedlichen Ausdrucksformen und bezeichnete diese als IchZustände. In Gesprächen erlebte er Menschen eine Zeit lang wie erwachsenene Gesprächspartner, in anderen Gesprächsabschnitten unvermittelt elterlich oder kindlich im Denken, Fühlen und Verhalten. Das aus diesen Beobachtungen heraus entwickelte Ich-Zustands- Konzept mit seinen Bezeichnungen »Eltern-Ich-Zustand«, »Erwachsenen-Ich-Zustand« und »Kind-Ich-Zustand« stellt das theoretische Herzstück der Transaktionsanalyse dar – Berne selbst schrieb dazu provokant: »Wenn Sie etwas nicht auf Ich-Zustände zurückführen können, ist es nicht Transaktionsanalyse« (Berne, 1973, S. 71). Er betrachtete alle Ich-Zustände grundsätzlich als zur Verfügung stehende Ressourcen, die Patienten durch die Bewusstwerdung alter Muster, das Treffen neuer Entscheidungen und durch das Einüben neuer Verhaltensweisen für ihre Heilung nutzen können. Berne hatte die Hoffnung, dass die neurobiologische Forschung eines Tages die Frage nach dem Wo, dem Speicherort der Ich-Zustände im Gehirn, beantworten könne. Nach heutigem Forschungsstand können
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die Ich-Zustände neurobiologisch in der Tat verortet werden. Der Neurowissenschaftler Gerhard Roth und der Psychoanalytiker Manfred Cierpka (s. Roth u. Ryba, 2018) beschreiben ein Vier-EbenenModell des Gehirns, in dem sie vier anatomische und funktionale Gehirnebenen unterscheiden, denen sich alle Aspekte des Strukturmodells der Ich-Zustände von Berne zuordnen lassen: drei limbische und eine kognitive Ebene. Eltern- und Kind-Ich-Zustände finden sich auf der mittleren und oberen limbischen Ebene des Gehirns wieder, die Erwachsenen-Ich-Zustände auf der kognitiven Ebene. Der unteren der drei limbischen Ebenen kann das Temperament eines Menschen zugeordnet werden, was wir im vorherigen Kapitel 4.2 mit den typologischen Präferenzen beschrieben haben. In den Kind-Ich- und Eltern-Ich-Zuständen werden über den Prozess der Lebensskriptentwicklung Muster und Glaubenssätze aus der Vergangenheit gespeichert – in Form von jeweils zusammengehörenden Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen. Für die in der Beobachtung so unterschiedlich wirkenden Muster von Fühlen, Denken und Verhalten wählte Berne die eingängigen Metaphern von Kind, Eltern und Erwachsenem, mit denen ein unmittelbares intuitives Verständnis über die Qualität eines Ich-Zustands möglich wird. Auf die Frage eines Menschen »Wer bin ich?« antwortete Berne, dass er eben nicht eine Person sei, sondern mindestens drei (Berne, 1973). Dieses Ich-Zustands-Modell nannte er das Struktur-Modell im Sinne der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen mit dem KindIch-Zustand, dem Eltern-Ich-Zustand und dem Erwachsenen-IchZustand. Während Kind- und Eltern-Ich-Zustände Speicher von Mustern aus der Vergangenheit darstellen, besitzt der ErwachsenenIch-Zustand das grundsätzliche Potenzial, im Hier und Jetzt autonom und situationsbezogen zu fühlen, zu denken und zu handeln. Für die Beschreibung des von außen beobachtbaren Verhaltens entwickelte Berne später ein zweites Ich-Zustands-Modell, das Funktionsmodell, das wir an späterer Stelle in diesem Kapitel vorstellen. Im Alltagsleben werden die in den Kind- und Eltern-Ich-Zuständen gespeicherten Muster häufig durch bestimmte Trigger aktiviert, wie wir auch in Kapitel 4.1 über das Lebensskript beschreiben. Sie schränken den Erwachsenen-Ich-Zustand in seiner Wahrnehmung vom Hier und Jetzt ein und führen zu einer Art Zeitreise in die Ver-
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gangenheit. Hier ein Beispiel, wie Gefühle, Gedanken und Verhalten aus Kind- und Eltern-Ich-Zuständen wirken können: Eine Führungskraft wurde von ihrem Chef motiviert, ein Coaching zu beginnen, um einer aus seiner Sicht drohenden Burnout-Gefahr vorzubeugen. Die Klientin berichtete, dass es ihr schwerfalle, Arbeit liegen zu lassen, die getan werden muss, auch wenn sie in der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit realistischerweise nicht mehr zu schaffen sei. Ihre Eltern hatten einen Bauernhof mit einer Sieben-Tage-Woche und harter Arbeit. Auch die älteren Kinder waren mit festen Aufgaben neben der Schule eingebunden. Auf der Ebene der Gefühle in Bezug auf ihre Führungsrolle spielte sich im Hier und Jetzt dasselbe ab wie damals in ihrer Kindheit: Sie schaltete ihr Gefühl aus – »Wat mut, dat mut – Augen zu und durch«. Ihre Gedanken passend zu dieser Zeitreise waren: »Das muss jetzt gemacht werden und duldet keinen Aufschub« – so wie früher Heu vor dem Regen in die Scheune musste und die Kühe ihre festen Melkzeiten hatten. Ihre entsprechende Verhaltensweise war es, die Dinge sofort zu erledigen – unabhängig von der Komplexität oder Menge der Aufgaben. Im Coaching-Prozess aktivierte sie ihre heutigen Fähigkeiten zu fühlen, zu denken und sich zu verhalten. Auf humorvolle Art und Weise entwickelte sie ein Ritual, sich morgens beim Eintritt in ihr Büro zu sagen: »Dies ist nicht unser Stall, es ist mein schönes, helles, großes Büro!« Zu dem morgendlichen Ritual kam dazu, sich einen Überblick über ihre Aufgaben zu verschaffen und sich Zeit zu nehmen, zu spüren, wie leicht oder schwer sie wogen. Ihr Gefühl für die jeweilige Aufgabe half ihr, sich Gedanken über eine sinnvolle Zeitplanung zu machen und, ebenfalls anders als in ihrer Kindheit möglich, als Führungskraft auch Aufgaben an ihre Mitarbeiter zu delegieren. Ihr entsprechend verändertes Verhalten bewirkte eine entspanntere Haltung während ihres Arbeitstages, die sie weniger erschöpfte.In der entspannteren Haltung war sie zu ihrer Überraschung sogar produktiver. Zusätzlich sorgte sie für ausreichende Regenerationsphasen durch kürzere Arbeitstage, wenn sie beispielsweise bedingt durch Abgabefristen an manchen Tagen länger hatte arbeiten müssen. Damit hatte sie mit Hilfe ihre Erwachsenen-Ich-Zustands ein Update ihrer Verhaltens-, Denk- und Fühlweisen vorgenommen.
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Im Folgenden werden wir die beiden von Berne konzipierten IchZustands-Modelle, das Strukturmodell sowie das Verhaltens- oder Funktionsmodell, und ihre Weiterentwicklungen ausführlich vorstellen. Das Strukturmodell der Ich-Zustände Das Strukturmodell visualisiert und beschreibt die Gewordenheit eines Menschen durch den Prozess der Lebensskriptbildung in der Kindheit und der Persönlichkeitsentwicklung auf dem weiteren Lebensweg. Es erklärt das Woher, Wann und Wie der Speicherung der Inhalte im Kind- und im Eltern-Ich-Zustand. Berne entwickelte auch noch ein Strukturmodell 1. Ordnung, das entwicklungspsychologische Aspekte vertieft. Dieses Modell vernachlässigen wir hier, da es eher für die psychotherapeutische Arbeit von Bedeutung ist. Das Kind-Ich, das Erwachsenen-Ich und das Eltern-Ich werden in dem Modell abgekürzt als K, ER und EL (siehe Abbildung 13). Im Kind-Ich werden kindliche Erfahrungen aus der Vergangenheit über Körpererinnerungen und eigene Schlussfolgerungen in Form von Glaubenssätzen gespeichert, aus denen sich die entsprechenden Muster von Fühlen, Denken und Verhalten ergeben. Kinder denken noch bis zum Alter von etwa sechs bis acht Jahren magisch und egozentrisch: Sie unterscheiden oft noch nicht zwischen Realität und Fantasie (»Unter meinem Bett sitzt ein Löwe!«), und sie beziehen häufig egozentrisch Erfahrungen auf sich persönlich (»Meine Eltern haben sich meinetwegen getrennt«). Deshalb sind ihre Schlussfolgerungen oft drastisch – sie verallgemeinern einmalige Ereignisse, nehmen sie wörtlich und persönlich, weil sie beispielsweise auch Ironie noch nicht verstehen, und sie überschätzen die Bedeutung von Geschehnissen. Ein Beispiel: Ein introvertiertes kleines Kind spielt sehr gern allein zu Hause, wenn es die Mutter in der Nähe weiß. Wenn der Mutter aus Überforderung unter Stress herausrutscht »Ich ziehe aus, das ist ja nicht zum Aushalten hier! Kannst du nicht mal mit anderen Kindern spielen, statt mir ständig am Rockzipfel zu hängen!« schließt es daraus eventuell, dass sein eigenes, zu seinem Wesen passendes Bedürfnis als introvertiertes Kind, gern allein zu Hause zu spielen, falsch ist und dazu führt, dass
bildung 14 Struktur-Modell der Ich-Zustände
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EL
Übernommene Werte und Normen von bedeutsamen Bezugspersonen aus der Vergangenheit (im Fühlen, Denken und Verhalten)
ER
Aktualisiertes Fühlen, Denken und Verhalten im Hier und Jetzt
K
Selbst entwickelte Schlussfolgerungen des Kindes (im Fühlen, Denken und Verhalten)
Abbildung 13: Strukturmodell der Ich-Zustände nach Berne (1983) 16
die Mutter es nicht liebt oder gar verlässt. Wenn es wieder einmal einen Impuls entsprechend seiner eigenen Art empfindet, wird es ihn vielleicht negativ bewerten: »Ich sollte nicht so still und zurückgezogen sein – die anderen Kinder sind besser und liebenswerter als ich – ich werde mich anstrengen, um besser zu werden.«
Glaubenssätze abzuleiten wie in diesem Beispiel helfen dem Kind, mit seinen Ängsten zurechtzukommen und den eigenen Erfahrungen Sinn zu verleihen. Hier gibt es eine Verbindung zum systemischen, aus der Biologie entliehenen Begriff der Autopoiese. Der Grundgedanke der Autopoiese ist es, das lebende Systeme, somit auch Menschen, die Fähigkeit der Selbsterhaltung und Selbstorganisation durch Anpassung an ihre Lebensbedingungen besitzen. Neurobiologisch entspricht dies der biologischen Ausstattung und Fähigkeit unseres Gehirns, durch seine Plastizität neuronales Wachstum zu ermöglichen. So können auf die gleiche Weise durch weitere Erfahrungen im Leben oder durch bewusste Entscheidungen beispielsweise in einem Coaching-Prozess zusätzliche neue Muster im Sinne neuronaler Ersatzschaltungen (Roth u. Ryba, 2018) zur Veränderung des Lebensskripts angelegt werden.
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Muster aus der Vergangenheit können, wie im Beispiel des introvertierten Kindes, einschränkend sein. Situativ könnte es später als Erwachsener durch äußere Auslöser – wie beispielsweise bei einer Leistungsanforderung – Gefühle, Gedanken und Verhalten aus einem Kind-Ich-Zustand wiedererleben: »Ich bin zu still und zurückhaltend – ich schäme mich dafür«, »Es ist nie gut genug«, »Am besten versuche ich es gar nicht erst, dann kann nichts schiefgehen«. Genauso können in einem Kind-Ich-Zustand aber auch positive Erfahrungen gespeichert sein. Wenn jemand zum Beispiel als Kind gern in der Natur war, dann kann das damals empfundene, gespeicherte Glücksgefühl auch in der Gegenwart wach werden und eine persönliche Kraftquelle darstellen. Möglicherweise kann ein Duft wie der von Sonnencreme glückliche Gefühle in Erinnerung an sonnige, schöne Urlaubstage mit der Familie auslösen. Die Aufregung vor etwas Neuem kann bei einem Erwachsenen mit guten Gefühlen verbunden sein, wenn er beispielsweise als Kind von den Eltern ermutigt wurde, Neues auszuprobieren, dabei getröstet und unterstützt wurde, wenn es nicht gleich gelang. Wenn seine Erfolge zu geteilter Freude geführt haben statt zu einer Belohnung, die eine Anpassungsleistung bewirkt und keine Selbstwirksamkeitserfahrung ermöglicht, dann wird ein Mensch wahrscheinlich auch als Erwachsener mutig und zuversichtlich Herausforderungen annehmen können. Im Unterschied zu entmutigenden Erfahrungen, die häufig zu einschränkenden Glaubenssätzen führen, stärken ermutigende Erfahrungen in der Kindheit die persönliche Selbstwirksamkeit und damit die Resilienz eines Menschen. Sie führen zu stärkenden Glaubenssätzen wie »Ich kriege das auf meine Art hin und kann mir auch Unterstützung holen, wenn ich nicht weiterkomme«. Im Eltern-Ich-Zustand wird das Denken, Fühlen und Verhalten gespeichert, das von Elternfiguren und anderen persönlich bedeutsamen Autoritätspersonen übernommenen wurde. Es geht dabei um die Werte und Normen dieser Menschen, um ihre Art, Dinge zu tun, und um ihren Ausdruck von Gefühlen bezogen auf verschiedenste Lebensbereiche. So kann jemand in sein Eltern-Ich beispielsweise unterschiedliche Werte zum Thema »Essen« von den eigenen Eltern übernommen haben, und zwar aus allen drei Ich-Zuständen der Eltern: »Essen wird nicht weggeworfen« (Eltern-Ich) sowie die Art, wie gekocht
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wird (Erwachsenen-Ich), oder die Angst der Mutter, vom Essen zu dick zu werden (Kind-Ich). Die Speicherinhalte des Eltern-Ichs können eine hilfreiche Orientierung im Leben sein oder auch einschränkend wirken. Hat ein Mensch in seinem Eltern-Ich zum Beispiel die Angst der Mutter »Essen macht dick« übernommen, so könnte dies erklären, warum eine eigentlich schlanke Person sich ständig Sorgen um ihr Gewicht macht. In den Eltern-Ich-Zustand können auch positive Haltungen anderer Autoritätspersonen übernommen worden sein. Bei begrenzten oder einschränkenden Lebensbedingungen greifen Kinder mit Hilfe ihrer emotionalen Intelligenz häufig sehr kreativ auf Ressourcen in ihrem Umfeld zu, beispielsweise durch die Wahl ihrer Heldinnen und Helden, die Wahl ihrer Freundschaften oder durch die Nutzung sozialer und gesellschaftlicher Angebote. Die Qualitäten dieser Ressourcen sind dann entsprechend antithetisch oder ergänzend zu denen der Ursprungsfamilie und ermöglichen es, andere Werte und Normen zu übernehmen. Ein Beispiel für diese Möglichkeit beschreibt die kurdisch-jesidische Journalistin und Kriegsberichtserstatterin Düzen Tekkal in ihrem Buch »German Dream« im Zusammenhang mit ihrer Kindheit und Jugend (Tekkal, 2020, S. 162): »Bildung war mein Ticket in die Freiheit. Ich habe es geliebt, in die Schule zu gehen. Ich fand es toll, zu lernen und daran zu wachsen. Was für ein Gefühl, als die Lehrerin in der Grundschule zu mir sagte: Stell dir mal vor, wie schön das wäre – ein kurdisches Mädchen auf dem Gymnasium!« Viel nach draußen durfte ich nicht, aber es gab das Fernsehen, das mir Fenster in eine zwar ferne, aber doch mögliche Zukunft öffnete. Alfred Bioleks Talkshow war für mich wie ein Volkshochschulkurs in Sachen Emanzipation. Die Frauen, die dort über ihr Leben redeten, hatten es mir angetan. Wie stark sie waren! Was sie alles schon geschafft hatten! Ich wollte es ihnen nachmachen. […] Manchmal haderte ich mit dem Schicksal. Warum waren meine Eltern nicht Journalisten oder Intendanten? Dann wäre alles viel leichter. Meine Freunde suchte ich mir deshalb immer auch ein wenig nach ihrem Elternhaus aus. Wenn ich bei ihnen übernachtete und sie sich schlafen legten, blieb ich noch auf und unterhielt mich mit ihren Eltern. Vielleicht konnte ich von ihnen ja etwas erfahren, was ich noch nicht wusste. Was mir zu Hause fehlte, holte ich mir woanders.«
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In Beratungsprozessen kann es sehr lohnend sein, sich auf die Suche nach Ressourcen aus der eigenen Geschichte zu begeben – oft finden sich dabei liebevolle und ermutigende Großeltern, Nachbarn, Eltern von Freunden, Lehrer, Pastorinnen. Sie zu finden kann entscheidend dazu beitragen, »das Glas als halb voll statt halb leer« zu betrachten in der Erzählung der eigenen Lebensgeschichte. Sind sie schwierig zu entdecken, lohnt es sich, nach Vorbildern aus Geschichten, Märchen, Filmen zu fahnden, die eine Kraftquelle waren. Es gibt Kinder, die so kreativ sind, dass sie sich Wunscheltern imaginieren, indem sie glauben, sie seien im Krankenhaus vertauscht worden. Ich-Zustände sind wie das von dem Hamburger Psychologieprofessor Schulz von Thun beschriebene Innere Team (1998) zu verstehen – mit unterschiedlichsten Mitgliedern: ängstlichen, fürsorglichen, kritischen, mutigen und anderen mehr. Je nach auslösender Situation sind die Teammitglieder einflussreicher oder zurückhaltender. Möglicherweise wurde Schulz von Thun von Bernes IchZustands-Theorie zu der Metapher des Inneren Teams inspiriert. Wie in einem realen Team geht es um eine gute Führung der Mitglieder, so dass das Team im Zusammenspiel erfolgreich wird. Diese Führung übernimmt nach Berne idealerweise der Erwachsenen-IchZustand, dessen Funktion es ist, im Dialog mit den anderen IchZuständen abzuwägen, was im Hier und Heute für eine Situation hilfreich und angemessen wäre. Das wird im Beispiel der Coachee deutlich, die auf einem Bauernhof groß wurde und die jetzt einen Unterschied zwischen dem Arbeitsplatz »Stall« aus der Kindheit und dem Arbeitsplatz »Büro« im Hier und Heute machen kann. In diesem Sinne hat das Erwachsenen-Ich eine die heutige Realität integrierende Funktion, in der Wirkung vergleichbar mit einem »Update«. Berne beschrieb das integrierte Erwachsenen-Ich als Zielbild, als einen gereiften Zustand im Sinne der Autonomieentwicklung, in dem Menschen möglichst frei von einschränkenden Glaubenssätzen fühlen, denken und handeln können, nachdem sie ihr Familienerbe (Eltern-Ich-Zustände) bewusst sortiert und ihre kindlichen Schlussfolgerungen (Kind-Ich-Zustände) überprüft haben. Mit wachsender Bewusstheit können Menschen dann neue Entscheidungen treffen, die das persönliche Handlungsrepertoire erweitern und auf diese Weise Probleme im Hier und Jetzt angemessen lösen.
Abbildung 15 Integrierendes Erwachsenen-Ich
Das innere Team neu aufstellen113
Ethos
Mut, Aufrichtigkeit, Loyalität Verlässlichkeit
Logos
Fähigkeit zur Reflexion, Metaperspektive und Bezugsrahmenerweiterung
Pathos
Persönliche Anziehungskraft, Charme und natürliche Offenheit verbunden mit Gefühlen der Verantwortung gegenüber dem Rest der Menschheit
Abbildung 14: Integrierendes Erwachsenen-Ich nach Schneider (2001) und Tudor (2005)
17
Berne (2006, S. 189) beschreibt das integrierte Erwachsenen-Ich als eine Ressource zur persönlichen Ethikentwicklung, zum offenen Denken und zu persönlicher Anziehungskraft: Ein Erwachsener »sollte idealerweise drei Wesenszüge aufweisen: Charme, persönliche Anziehungskraft und Aufgeschlossenheit, die Fähigkeit zu objektiver Datenverarbeitung und ethisches Verantwortungsbewusstsein – Mut, Aufrichtigkeit, Loyalität und Verlässlichkeit«. Wir verstehen dies als einen lebenslangen, durch unterschiedlichste Anlässe immer wieder neu angeregten Prozess zur weiteren Entwicklung der Persönlichkeit und nutzen deshalb den Begriff integrierendes Erwachsenen-Ich wie der englische Transaktionsanalytiker Keith Tudor (2005, S. 179): »Es ist diese Fähigkeit, über uns und andere nachzudenken, relevante Erfahrungen oder Introjekte von solchen zu trennen, die nicht mehr relevant sind, und die Vergangenheit in den Dienst der Gegenwart zu stellen, die den ›Integrierenden Erwachsenen-Ich-Zustand‹ definiert«. Johann Schneider (2001) fügte den Bern’schen Begriffen Ethos und Pathos noch den Begriff Logos hinzu (siehe Abbildung 14). »Trübungen« des Erwachsenen-Ich-Zustands Ist eine Person nicht im Erwachsenen-Ich-Zustand, dann fühlt, denkt oder handelt sie wie in der Vergangenheit als Kind oder so, wie sie Bindungspersonen erlebte. In der Regel ist das Erwachsenen-Ich dann nicht völlig außer Kraft, aber wie »eingetrübt« vom situativen Skript-
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Impulse für die Selbstorganisation
erleben entweder aus dem Kind-Ich, dem Eltern-Ich oder auch aus beiden Ich-Zuständen zugleich. Das Hier und Jetzt wird nicht mehr in bbildung 16 Trübungen des Erwachsenen-Ich-Zustands Gänze wahrgenommen. Das Modell in der Abbildung 15 stellt auf treffliche Weise das Wesen einer (normal-)neurotischen Einschränkung dar.
EL
EL
EL
ER
ER
K
K
K
aus dem Kind-Ich-Zustand
aus dem Eltern-Ich-Zustand
ER
Doppeltrübung
Abbildung 15: Trübungen der Ich-Zustände 18
Die Trübungen des Erwachsenen-Ich-Zustands entsprechen einer Zeitreise in die Vergangenheit – wie in dem Beispiel der Klientin vom Bauernhof beschrieben. Johann Schneider (2001) hat diese Zeitreise in der folgenden Abbildung 16 visualisiert:
Abbildung 17 Ich-Zustände auf der Zeitachse
Vergangenheit
Gegenwart
K Abbildung 16: Ich-Zustände auf der Zeitachse nach Schneider (2001)
19
Zukunft
Das innere Team neu aufstellen115
Abbildung 17: Auflösung von skriptbedingten Trübungen des ErwachsenenIch-Zustands nach Schneider (2001)
»Stellen wir die Ichzustände auf einer Zeitachse dar, so entsprechen Eltern-Ichzustände und Kind-Ichzustände der Vergangenheit – Erwachsenen-Ichzustände der Gegenwart, verbunden mit der Bewusstheit von Vergangenheit und Zukunft. Eine […] auf den heutigen Stand gebrachte bewusste Verhaltensweise entspricht also einem Erwachsenen-Ichzustand. Ist einer Person nicht bewusst, dass sie ein Verhaltensmuster aus der Vergangenheit wiederholt, unterscheidet sie in diesem Moment keine Zeiträume. Sie befindet sich in diesem Moment in einer Zeittrübung, ichzustandsanalytisch ausgedrückt in einer Ichzustandstrübung« (Schneider, 2001, S. 151). Die Arbeit am Lebensskript in Coaching und Beratung bedeutet in diesem Sinne in der Regel eine Ent-Trübungsarbeit bezogen auf die Speicherinhalte der Ich-Zustände (siehe Abbildung 17). Die Muster, die zu Trübungen des Erwachsenen-Ich-Zustandes führen, können im Beratungsprozess bewusst werden (Enttrübung) und durch neu entschiedene Muster aus dem Erwachsenen-Ich ergänzt oder verändert werden. Dadurch treten die Muster der Kind-Ich- und Eltern-Ich-Zustände mit zunehmender Übung
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Impulse für die Selbstorganisation
in den Hintergrund und werden nur noch unter hohem Stress reaktiviert. Um die Energie zu mobilisieren, neu entwickelte Muster auch unter Stress aufrechterhalten zu können, eignen sich Wenndann-Pläne, wie sie im Zürcher Ressourcen-Modell (Storch u. Krause, 2007) im Kapitel 6.2 bei den Interventionen beschrieben werden. Der innere Dialog der Ich-Zustände Trübungen aus dem Eltern-Ich enstehen durch einen inneren Dialog der Ich-Zustände, wie sie mit den Betitelungen der Antreiber beschrieben werden. Bei einem verinnerlichten »Sei-stark-Antreiber« ensteht möglicherweise in einer Überlastungssituation folgender innerer Dialog zwischen Eltern-Ich und Kind-Ich: »Nun reiß dich mal zusammen, so schlimm ist es nun auch nicht!« »Okay, dann mache ich es eben, was bleibt mir anderes übrig …« Diese Art inneren Selbstgesprächs führen Menschen ständig – meistens ohne sich darüber bewusst zu sein. Im Coaching-Prozess kann es eine spannende Beobachtungsaufgabe für einen Coachee sein, zur nächsten Sitzung eine Dokumentation seiner Selbstgespräche mitzubringen. Für eine nachhaltige Wirkung der kognitiven Erkenntnisse in einem Beratungsprozess ist es sinnvoll, die Enttrübung der Ich-Zustände durch das Etablieren eines stärkenden inneren Dialogs emotional zu verankern. Dafür gibt es zwei verschiedene Ausgangspositionen im inneren Dialog: das Eltern-Ich oder aber das Kind-Ich. Ausgehend von den konstruktiven Qualitäten des eigenen ElternIch-Zustands kann geübt werden, sich selbst mit dem heutigem Wissen eine »gute Mutter« oder ein »guter Vater« zu werden, um mit einem dadurch gestärkten »inneren Kind« wieder Zugang zur erwachsenen Kraft zu finden. Der Dialog in der Abbildung 18 findet zwischen dem eigenen ermutigenden Eltern-Ich-Zustand und dem inneren Kind-Ich-Zustand statt. Im Beispiel der Überlastungssituation der Burnout-gefährdeten Führungskraft am Kapitelanfang kann die Coachee dann ihr Gefühl der Erschöpfung und das Bedürfnis nach Regeneration ernst nehmen und ihrer eigenen Art entsprechend (introvertiert oder extravertiert) Pausen einplanen. Diese Übung, sich selbst im inneren
Abbildung 19 Ermutigender innerer Dialog
Das innere Team neu aufstellen117
EL
- Vertraue deinen Gefühlen - Nimm deine Bedürfnisse ernst und bringe sie zum Ausdruck - Erlaube dir deine eigene Art
ER K Abbildung 18: Beispiel für einen inneren ermutigenden Dialog 21
Dialog zu ermutigen, entspricht dem Konzept der Selbstbeelterung der amerikanischen Transaktionsanalytikerin Muriel James (1974). Durch den freundlichen inneren Dialog wird die Enttrübung der Ich-Zustände unterstützt und das Erwachsenen-Ich wird frei von einschränkenden Vorurteilen aus dem Eltern-Ich oder unüberpüften Schlussfolgerungen aus dem Kind-Ich. Transaktionsanalytiker sprechen hier von korrigierenden Kind-Ich-Erfahrungen und dem Aufbau eines konstruktiven Eltern-Ichs (Clarkson, 1996); die Neurowissenschaften von Restrukturierungsprozessen im Gehirn (Roth u. Ryba, 2018). Aus neurobiologischer Perspektive werden neue Bahnungen im emotionalen Erfahrungsgedächtnis, also im limbischen System, angelegt, die mit der Übung stärker werden. Alte, einschränkende Bahnungen hingegen schwächen sich durch seltenere Nutzung ab. Da wirksame Veränderung nur unter Beteiligung von positiven Emotionen gelingen, kann das innere Kind noch unterstützt werden durch analoge Methoden wie der Arbeit mit symbolhaften Bildern (siehe auch Kapitel 6.1), die positive Emotionen auslösen. Die psychische Energie steht dadurch wieder dem Erwachsenen-IchZustand zur Verfügung.
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Auch die unterstützende Beziehungserfahrung in der Coachingoder Beratungssituation trägt zum Auslösen positiver Emotionen bei. Die zweite Ausgangsposition ist die Nutzung der konstruktiven Qualitäten des Kind-Ich-Zustands. Die amerikanische Transaktionsanalytikerin Mary Goulding (2011) hat für den Umgang mit hartnäckigen destruktiven Mitgliedern des Inneren Teams im ElternIch-Zustand ein kreatives Konzept entwickelt: die Verwandlung der »Kopfbewohner« im inneren Dialog. Sie setzt dabei auf die Widerstandskraft und Energie des inneren Kindes und weckt die Neugier, humorvolle Fantasien zur Entmachtung von inneren Kritikern und anderen schwächenden Kopfbewohnern zu entwickeln. Sie schlägt vor, beispielsweise dem »Oberkritiker« zuzuhören und zu prüfen, ob es irgendein Körnchen Wahrheit in seiner Botschaft gibt, deren Berücksichtigung sinnvoll sein könnte. Weiter könnte man ihm dafür danken und ihn dann beispielsweise in den Ruhestand versetzen, um selbst die Regie zu übernehmen. Bei der Verwandlung des »Oberkritikers« und seiner Visualisierung ist der Fantasie und dem Humor keine Grenze gesetzt. Das Märchen vom nackten Kaiser ist für hartnäckige Fälle ein gutes Entmachtungsbeispiel – Lachen stärkt das innere Kind! Der Kind-Ich-Zustand spielt im Veränderungsprozess eine besondere Rolle, da in ihm die meiste psychische Energie gebunden ist. Was schon frühe Transaktionsanalytiker wie Stan Woollams and Michael Brown (1974) aus ihrer empirischen Erfahrung so postulierten, wird durch die neurobiologischen Erkenntnisse inzwischen bestätigt: Veränderung gelingt nur unter Beteiligung positiver Emotionen (Roth u. Ryba, 2018). Dies erklärt, warum der Ermutigung des inneren Kindes eine zentrale Bedeutung in Beratungs- und Coaching-Prozessen zukommt. Sie stellt bei biografisch bedingten Blockaden die Voraussetzung für den Zugriff auf die Ressourcen erwachsener Handlungsoptionen dar. Interventionsleitende Fragen und Impulse, die sich aus dem Strukturmodell ergeben: – Ist das Denken, Fühlen und Handeln in Bezug auf die aktuelle Situation stimmig?
Das innere Team neu aufstellen119
– Stammt es möglicherweise aus der Vergangenheit, einem Elternoder Kind-Ich-Zustand, und verhindert es, in der Gegenwart mit einer Situation gut zurechtzukommen? – Wenn ja, ist es übernommen aus einem Eltern-Ich-Zustand? (Hier wirkt oft bereits die kognitive Erkenntnis erleichternd und enttrübend). – Wurde es früher selbst entwickelt vom Kind? (Bei selbst getroffenen Entscheidungen des Kindes im Kind-IchZustand braucht es häufig kraftvollere Interventionsformen auf der limbischen Ebene,wie beispielsweise die Arbeit mit Bildern oder Embodiment-Übungen wie im ZRM-Konzept, siehe dazu Kapitel 6.2. Bei manchen Themen braucht es auch psychotherapeutische Begleitung.) – Wie hat das Muster früher einmal Sinn gemacht? – Gab es in der Kindheit Personen, die ermutigend erlebt wurden oder Vorbilder waren? – Was braucht es hier und heute an verändertem Denken, Fühlen und Handeln? – Welcher Wenn-dann-Plan wäre geeignet, um einen Rückfall in einen getrübten Ich-Zustand zu verhindern? (Siehe dazu Kapitel 6.2.)
Das Funktionsmodell der Ich-Zustände Dieses zweite Ich-Zustands-Modell beschreibt, wie die innere Struktur der Ich-Zustände im Außen, auf der Verhaltensebene, sichtbar wird. Manche der im Strukturmodell beschriebenen gespeicherten Muster und Glaubenssätze sind hilfreich, andere wirken wie in den Beispielen beschrieben einschränkend und brauchen eine Überprüfung und Erneuerung. Sie können als unterschiedliche mentale und emotionale Zustände verstanden werden, die bewirken, dass innere Aspekte des Lebensskripts äußerlich aufscheinen. So kann ein Erwachsener auf andere Menschen durch seine Mimik und Stimmlage manchmal unvermittelt eher wie ein kleiner Junge oder ein kleines Mädchen wirken. Ebenso kann sich jemand situativ sehr mütterlich oder väterlich verhalten – auf fürsorgliche oder auch auf strenge Art. Nach der Visualisierung des Woher der Ich-Zustände im Strukturmodell zeigt das Funktionsmodell das Wie ihres äußerlichen Aus-
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Impulse für die Selbstorganisation
kEL fEL
ER fK
aK rK
Abbildung 19: Funktionsmodell der Ich-Zustände nach Berne (1983)
drucks: wie sie von außen beobachtbar in der Kommunikation funktionieren und sich im Hier und Jetzt auf der Verhaltensebene im Kontakt zwischen Menschen zeigen. Berne differenzierte mit dem Funktionsmo dell in der Abbildung 19 seine Beobachtungen auf der Verhaltensebene und verdichtete sie sprachlich mit Bezeichnungen, die vom Strukturmodell abgeleitet sind: als kritisch-orientierendes und fürsorgliches Eltern-Ich-Verhalten und in den Kind-Ich-Zuständen als freies, angepasstes und rebellischesVerhalten. Die Ich-Zustände werden entsprechend abgekürzt als kEL, fEL,ER, fK, aK, rK. Die Bezeichnungen der funktionalen IchZustände beschreiben, wie wir andere Menschen von außen erleben – mit einer bestimmten Wortwahl und entsprechender Mimik und Körpersprache in der Tabelle 2 zusammengefasst:
Tabelle 2: Ausdrucksmerkmale im Funktionsmodell Kritisches Eltern-Ich-Verhalten
Sie sollten …, Sie müssten …, nein! Kritischer Blick, erhobene Stimme, zeigender Finger.
Fürsorgliches Eltern-Ich-Verhalten
Probieren Sie doch mal …, nicht so schlimm …, gut so! Freundlicher Blick, ermutigende Stimme, zugewandte Haltung.
Erwachsenen-IchVerhalten
Wie denken Sie darüber? Wie fänden Sie folgende Idee …? Klare Stimme, aufrechte Haltung. Situations-stimmiger Ausdruck aller Gefühle und aller Ich-Zustandsfunktionen.
Freies Kind-Ich-Verhalten
Hey, toll, mega! Unbefangen, kraftvolle Stimme, lebendige Mimik und Körpersprache bei Freude. Erstickte Stimme, Schluchzen, Tränen, Zusammenziehen bei Trauer. Nein! Laute Stimme, energische Haltung bei Wut.
Angepasstes Kind-Ich-Verhalten
Ja gerne, mache ich sofort. Ist es recht so? Leisere Stimme, sanfter Blick, geneigte Haltung.
Rebellisches Kind-Ich-Verhalten
Da mache ich nicht mit! Da bin ich schon aus Prinzip dagegen! Fordernder Blick, angespannte Haltung.
Das innere Team neu aufstellen121
Über das Funktionsmodell gibt es in der internationalen transaktionsanalytischen Gemeinschaft lebhafte Debatten, die zu verschiedenen konzeptionellen Weiterentwicklungen geführt haben. Bei der Beschreibung der Verhaltensweisen im Funktionsmodell von Berne wird beispielsweise noch nicht beantwortet, ob das Verhalten – abhängig vom Kontext – funktional oder dysfunktional ist. Ein weiterer Hintergrund der Debatte ist eine Frage aus systemisch-wirklichkeitskonstruktiver Perspektive: Wie trägt die Sprache des Funktionsmodells dazu bei, eine bestimmte Realität im Beratungskontext zu erzeugen? Wir erläutern dies an folgendem Beispiel: Im Coaching reflektiert eine Bereichsleiterin eine persönliche Führungsherausforderung: Sie ist ärgerlich über einen Mitarbeiter und traut sich nicht, diesem Ärger Ausdruck zu verleihen. Sollte sie von ihrem Coach in der Sprache des Funktionsmodells ermutigt werden, ihr »freies Kind« zu aktivieren, um ihrem Ärger freien Lauf zu lassen? Da es im Funktionsmodell um die Verhaltensebene geht, kann die Metapher des »freien Kindes« hier zum Problem werden. Aus unserer Sicht braucht sie ein inneres Bild davon, wie sie als Erwachsene Ärger ausdrücken könnte und nicht als freies Kind. Der Ärger einer erwachsenen Frau unterscheidet sich im Ausdruck und in der Wirkung vom Ärger eines Mädchens. Zugleich kann es im ersten Schritt hilfreich sein, über die Metapher des freien Kindes erst einmal ganz unzensiert zu dem vielleicht skriptbedingt unerlaubten Gefühl von Ärger Kontakt aufzunehmen, um dann jedoch im nächsten Schritt herauszuarbeiten, wie der Ärger angemessen erwachsen ausgedrückt werden kann.
Schneider schreibt in seinem Artikel »Von der Kunst, erwachsen zu handeln« (Schneider, 2001, S. 148): »[…] der heutige Gebrauch der Verhaltensdiagnose als sogenanntes Verhaltens- oder Funktionsmodell weicht sehr weit und sehr missverständlich von der ursprünglichen Idee Bernes ab und führt in ihrem unreflektierten Gebrauch zu einer elterlichen und kindlichen Umgangskultur zwischen Professionellen und ihren Klienten und Transaktionsanalytikern untereinander. Erwachsene, hier und heute passende Verhaltensweisen
Abbildung 22 Funktionsmodell Kahler
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werden missverständlich als Eltern- und Kindich-Zustände bezeichnet und Erwachsenenich-kEL+ Zustände werden fälschlicherweise auf Logik und Datenverarbeitung ›wie ein Computer‹ re-fEL+ duziert.« Ein weiterer Punkt in der Diskussion des Funktionsmodell ist die mögliche Gefahr der unterschiedlichen Bewertung der Funktionen – als könnten einige Funktionen besser oder schlechter sein – zum Beispiel »frei« besser als »kritisch« oder »angepasst«. Hierzu hat der ame-aK+ rikanische Transaktionsanalytiker Taibi Kahler -fK+ eine Differenzierung in positive und negative -rK+ Anteile aller Funktionen im Funktionsmodell vorgeschlagen, wie in der Abbildung 20 zu seAbbildung 20: hen ist: Jeder dieser Verhaltensaspekte kann pro- Funktionsmodell nach Kahler (1978) 24 duktiv sein – abhängig vom Kontext. Beispielsweise kann das kritische Eltern-Ich wichtig sein, um schützende Grenzen zu setzen, es kann jedoch genauso missbraucht werden in Form von überkritischem, verletzendem Verhalten. Daraus kann abgeleitet werden, dass die konstruktiven, im Hier und Jetzt stimmigen Qualitäten der Funktionen ein Verhalten aus dem integrierenden Erwachsenen-Ich darstellen, was die Visualisierung jedoch noch nicht präzisiert. Aus einem integrierenden Erwachsenen-Ich-Zustand heraus kann jemand sein jeweiliges konstruktives, der Situation angemessenes Verhalten aktivieren: fürsorglich sein Kind trösten, konstruktiv kritisch seine Position zum Verhalten eines Kollegen einnehmen, sich an zeitliche Absprachen im Team anpassen, rebellieren gegen den Umgang der Politik mit dem Klimawandel oder frei seine Gefühle von Freude, Ärger, Angst oder Trauer ausdrücken – als erwachsener Mensch. Die negativen Anteile wie Überfürsorglichkeit, überkritisches Verhalten, Rücksichtslosigkeit, Überanpassung und dauerhafte Rebellion zeigen in der Regel skriptgebundenes Verhalten und können auf ihren Ursprung hin (Strukturmodell) mit Klientinnen erforscht und
ER
Das innere Team neu aufstellen123
verändert werden. Überfürsorgliche Eltern könnten sich beispielsweise fragen, ob sie dieses Verhalten von den eigenen Eltern übernommen haben oder ob sie eine eigene erlebte Vernachlässigung damit kompensieren. Sie könnten prüfen, was sie ihren Kindern in der aktuellen Situation durchaus zutrauen können. Eine überfürsorgliche Führungskraft könnte darüber reflektieren, ob sie möglicherweise in ihrer Lebensgeschichte nur Zuwendung dafür erhalten hat, wenn sie für andere hilfreich war, und ob ihre eigenen Bedürfnisse wenig Bedeutung hatten. Ähnliche biografische Fragen zum Lebensskript lassen sich in Beratungsprozessen für die Erforschung von überkritischem Verhalten, Rücksichtslosigkeit, Überanpassung oder ständiger Rebellion mit Klienten gemeinsam stellen. Die konsequenteste Weiterentwicklung des Funktionsmodells beschreibt die englische Transaktionsanalytikerin Susannah Temple (1999, 2002) in ihrem Konzept »Functional Fluency«, für das sie 2014 den Eric-Berne-Memorial-Award der Internationalen Gesellschaft für Transaktionsanalyse (ITAA) erhielt. Der Begriff »Functional Fluency« ist schwierig zu übersetzen – er meint die Flexibilität und innere Beweglichkeit eines Menschen, das gesamte ihm zur Verfügung stehende Verhaltensrepertoire situationsangemessen und frei von Fixierungen der Vergangenheit einzusetzen. Wir verstehen den Begriff sinngemäß als transaktionale Wirksamkeit. Für das Konzept behalten wir im weiteren Text den englischen Begriff bei, wie es auch die Übersetzerinnen des englischen Artikels taten. Temple nennt die Verhaltensfunktionen »Modi« und beschreibt ähnlich wie Kahler positive und negative Modi wie in den Abbildungen 21 und 22 dargestellt. Die Abbildungen zeigen die verschiedenen Modi des Konzepts Functional Fluency. Die fünf zentralen konstruktiven Modi (also der strukturierende, nährende, klärende, kooperative und spontane Modus) entsprechen den »Fünf Verhaltensoptionen«, die der amerikanische Transaktionsanalytiker Stephen Karpman (1971) als Ausstiegsmöglichkeiten aus der skriptbedingten destruktiven Drama-Dreieck-Kommunikation beschrieben hat (siehe dazu auch das Kapitel 5.4 zum Thema »Spieldynamiken«). Susannah Temple nennt sie die »Fabulous Five« (»Fabelhaften Fünf«), da sie für eine möglichst skriptfreie Kommunikation stehen.
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Impulse für die Selbstorganisation
Abbildung 23 Modi im Modell Functional Fluency
Negative Kontrolle
Negative Fürsorge
Dominanter Modus
Überfürsorglicher Modus
Positive Kontrolle
Positive Fürsorge
Strukturierender Modus
Nährender Modus
Klärender Modus
Die innere und äußere gegenwärtige Realität einschätzend
Positives soziales Selbst
Positives natürliches Selbst
Kooperativer Modus
Spontaner Modus
Negatives soziales Selbst
Negatives natürliches Selbst
Überangepasster/ widerspenstiger Modus
Unreifer Modus
Abbildung 21: Verhaltensmodi im Modell Functional Fluency von Temple (1999, 2002) 25
Abbildung 24 Functional Fluency Beschreibung der Modi
tyrannisch fehlersuchend strafend
Dominanter Modus
anregend organisierend stabilisierend
Strukturierender Modus
–
ängstlich rebellisch unterwürfig
Überfürsorglicher Modus
+
+
Nährender Modus +
wachsam bewusst erdend
selbstbewusst rücksichtsvoll freundlich
–
+
–
Überangepasster/ widerspenstiger Modus
wertschätzend verständnisvoll mitfühlend
fragend einordnend rational
Klärender Modus
Kooperativer/ widerstandsfähiger Modus
verwöhnend inkonsequent erstickend
+
kreativ ausdrucksstark begeistert
–
egozentrisch leichtsinnig selbstsüchtig
Spontaner Modus
Rücksichtsloser Modus
Abbildung 22: Beschreibung der Verhaltensmodi modifiziert nach Temple, (1999, 2002) 26
Das innere Team neu aufstellen125
Die vier destruktiven Modi – der dominierende, überverwöhnende, überangepasste beziehungsweise widerspenstige und der rücksichtslose Modus – entsprechen wiederum den ER-Trübungen, die ihre strukturellen Quellen in Trübungen aus den Eltern- oder Kind-Ich-Zuständen (Strukturmodell) haben und sich in Skriptverhalten zeigen. Zwei der negativen Modi modifizieren wir geringfügig: im Original wird der überverwöhnende Modus zusätzlich als unecht beschrieben, was wir nicht übernehmen. Der negative spontane Modus wird als unreif bezeichnet, hier haben wir uns für den Begriff rücksichtslos entschieden, den Temple an anderer Stelle auch verwendet. Die Begriffe »unecht« und »unreif« sprengen aus unserer Sicht die Kategorie der reinen Beschreibung von Verhalten und sind in der sprachlichen Wirkung nicht ressourcen orientiert, da sie dazu einladen, sich eher auf der Identitätsebene als auf der Verhaltensebene angesprochen zu fühlen. Der Begriff »unecht« suggeriert aus unserer Sicht eine Absicht, sich zu verstellen. Das Wort »unreif« ist ein übergreifender Begriff, der nicht eine spezifische Verhaltensweise beschreibt wie vergleichsweise ein rücksichtsloses Verhalten. Wie auch Schneider (2001) beschreibt Temple die konstruktiven Verhaltensqualitäten als Verhalten, das strukturell dem Erwachsenen- Ich-Zustand entspringt. In der Abbildung 23 wird der ZusammenAbbildung 25 Functional Fluency Zusammenschau Struktur und Funktion hang zwischen Strukturund Funktionsmodell gut deutlich: Struktur (der Persönlichkeit)
Funktion (Verhalten)
EL Trübungen aus dem Eltern-Ich-Zustand
- + +
ER Trübungen aus dem Kind-Ich-Zustand
ER + + - -
K
Dominierender Modus Überfürsorglicher Modus Strukturierender Modus Nährender Modus Klärender Modus Kooperativer/ Widerstandsfähiger Modus Spontaner Modus
Rücksichtsloser Modus Angepasster/widerspenstiger Modus
Abbildung 23: Zusammenschau des Struktur- und Funktionsdiagramms nach Temple (1999, 2002) 27
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Impulse für die Selbstorganisation
Temple wählte für ihr Modell bewusst eine alternative Visualisierung: Die Quadrate des Functional-Fluency-Modells unterscheiden sich deutlich von den Kreisen, mit denen das klassische Funktionsmodell der Ich-Zustände dargestellt wird. So macht sie auch grafisch klar, dass es in ihrem Modell um Kategorien und Beschreibungen von Verhaltensweisen und nicht um (strukturelle) Ich-Zustände geht. Die Verhaltensweisen haben lediglich ihren Ursprung in den IchZuständen. Welchem der Ich-Zustände sie tatsächlich entspringen, gilt es möglicherweise in einem Beratungsprozess herauszufinden. Eine Führungskraft, die sich beispielsweise äußerlich sehr dominant verhält und dabei elterlich streng wirkt, kann innerlich, ausgehend von einem ängstlichen Kind-Ich-Zustand, zur Abwehr der Angst in einen Eltern-Ich-Zustand und entsprechend äußerlich in einen dominanten Modus gewechselt sein. Es kann sehr bedeutsam sein, diese innere Dynamik zu verstehen, die häufig zu einer destruktiven äußeren Wirkung in der Kommunikation führt. Dieses Verständnis ermöglicht es, in Coaching- und Beratungsprozessen antithetisch zu alten Skriptmustern ein Bild von konstruktiven Kommunikationsmöglichkeiten zu entwickeln, hierzu ein Beispiel: Zu Beginn ihrer Tätigkeit oder auch bei der Übernahme einer neuen Führungsrolle mit mehr Verantwortung überspielen Führungskräfte manchmal unbewusst eigene Versagensängste aus einem Kind-Ich-Zustand heraus mit einem streng wirkenden Verhalten. Der dominante Modus dient (wie beschrieben) der Angstabwehr und ist aus struktureller Perspektive eine Trübung des Erwachsenen-Ich-Zustands aus dem Kind-Ich-Zustand. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie die Angst versorgt statt abgewehrt werden kann. Da die Funktion des Gefühls Angst ist, Schutz zu ermöglichen (siehe auch Kapitel 3.2 zum Thema »Gefühle«), könnte eine konstruktive Resonanz auf die Angst ein guter innerer Dialog sein, dessen Ergebnis eine Ermutigung ist: sich zum Beispiel Zeit zu geben, um in die neue Rolle hineinzuwachsen. Eine andere mögliche Triebkraft für ein Verhalten im dominanten Modus könnte sein, dass eine Führungskraft noch kein eigenes Bild von der Führungsrolle entwickelt hat und unbewusst auf eine elterliche Autorität zurückgreift – zum Beispiel auf einen ungeduldigen oder sogar jähzornigen Vater. Hier käme die Trübung
Das innere Team neu aufstellen127
des Erwachsenen-Ich-Zustands aus dem Eltern-Ich-Zustand zum Ausdruck: Wenn etwas nicht gleich klappt, muss dominant auf einem sehr hohen Energielevel reagiert werden. Über die gemeinsame Reflektion im Coaching könnte dann ein eigenes, konstruktives Bild von Führung entwickelt werden, das die fünf positiven Modi, die »Fabelhaften Fünf«, nutzt. Wir teilen Susannah Temples Sichtweisen zum Funktionsmodell und übernehmen im weiteren Verlauf ihre Begrifflichkeit der Modi. Sie ermöglicht mit ihrem Modell eine gute Klärung der theoretischen Ungereimtheiten der zwei Ich-Zustands-Modelle und der entsprechenden Auswirkung in der Beratungspraxis, die dem Ziel der Autonomieentwicklung nicht zuträglich ist. Schneider, der zeitgleich zu ganz ähnlichen Schlüssen gekommen ist, beschreibt seine Motivation, das Funktionsmodell anders zu verwenden, sehr treffend und in unserem Sinne: »Meine wesentliche Motivation, das Modell anders zu verwenden, war für mich die frappierende Erkenntnis, wie Worte Wirklichkeit schaffen: der Begriff Eltern löst Assoziationen zu den eigenen Eltern und anderen Menschen in ihrer Elternrolle aus, der Begriff Kind Assoziationen zum eigenen Kindsein und Erfahrungen mit Kindern. Der Begriff erwachsen oder Erwachsene/r löst einen Suchprozess aus, einen kreativen Prozess, in dem […] Neues entwickelt werden kann. Reifes, erwachsenes Verhalten als Kind- oder Eltern-Ichzustand zu bezeichnen wirkt widersinnig und irritierend« (Schneider, 2016, S. 63). Er ordnet die konstruktiven Verhaltensqualitäten dem integrierenden Erwachsenen-Ich-Zustand zu – mit gleicher Wirkung wie in dem Konzept von Temple. Er behält dabei jedoch die gewohnte Sprache des klassischen Funktionsmodells bei: sich erwachsen konstruktiv kritisch, angemessen fürsorglich, nachdenklich, kooperativ oder begründet rebellierend zu verhalten. Diese Variante ermöglicht es Transaktionsanalytikerinnen, sowohl einen Teil der vertrauten Sprache des klassischen Funktionsmodells zu nutzen als auch die negativen Auswirkungen der sprachlichen Verküpfung mit der Elternund Kindmetapher – aus der wirklichkeitskonstruktiven Perspektive betrachtet – zu vermeiden. Aus Gründen der theoretischen Klarheit übernehmen wir dennoch die Begrifflichkeit der Modi von Temple.
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Interventionsleitende Fragen und Impulse zum Verhaltensmodell: – Welche Modi werden von Personen oder Organisationen aktiviert? – Was wird im Verhalten (Sprache, Gestik, Mimik, Regeln) sichtbar und welche positive oder negative Wirkung hat es? – Ist die jeweilige Wirkung beabsichtigt? – Welche Wirkung ist gewünscht? – Welche Modi könnten in einer bestimmten Rolle und dem entsprechenden Kontext zusätzlich notwendig sein? – Wenn bestimmte Modi schwer aktivierbar sind: Welche Hinweise gibt das gezeigte Verhalten für Hypothesen zum Ursprung und wie hat es in der Vergangenheit Sinn gemacht – personal oder organisational? (Strukturmodell: Lebensskript der Person, oder Organisationsskript wie beispielsweise Art der Hierarchiekultur oder der organisationalen Regelsysteme) – Was könnte helfen, noch nicht genutzte Modi zu aktivieren?
Überblick über die verschiedenen Ich-Zustands-Modelle Zum abschließenden Verständnis geben wir hier noch einen Überblick über die verschiedenen Ich-Zustands-Modelle, die im Laufe der Jahre zu jeweils unterschiedlichen Fragestellungen hinsichtlich der Unterscheidung von Struktur und Funktion entwickelt wurden. Bernes Strukturmodell beinhaltet die Fragestellung nach dem Ursprung, der Historie: WOHER kommen die Inhalte in den IchZuständen? Wurden sie vom Kind durch eigene Schlussfolgerungen selbst entwickelt beziehungsweise in Form von Körpererinnerungen gespeichert oder wurden sie von Eltern und anderen Autoritätspersonen übernommen? Das Funktionsmodell dient der Fragestellung nach der Ausdrucksqualität, also der Verhaltensebene: WIE wird ein Ich-Zustand äußerlich sichtbar ausgedrückt? Die Beobachtung des Verhaltens liefert Anhaltspunkte zur Hypothesenbildung zu der Frage, aus welchem strukturellen Ich-Zustand das Verhalten gespeist sein könnte. Die Hypothesen bedürfen der Überprüfung, da, wie im Beispiel der dominant wirkenden Führungskraft schon beschrieben, auf der Strukturebene der Ich-Zustände ein Ich-Zustands-Wechsel durch
Das innere Team neu Abbildung 26 Übersicht Ich-Zustandsmodelle
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Abbildung 26 Übersicht Ich-Zustandsmodelle Abbildung Abbildung Abbildung 26 26 Übersicht 26 Übersicht Übersicht Ich-Zustandsmodelle Ich-Zustandsmodelle Ich-Zustandsmodelle
28 28 28 28
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Abbildung 24: Übersicht der strukturellen und funktionalen Ich-ZustandsModelle
einen inneren Dialog stattgefunden haben kann, im Beispiel vom ängstlichen Kind-Ich-Zustand hin zu einem Eltern-Ich-Zustand. Das Funktionsmodell nach Kahler fragt danach, ob das Verhalten in der Wirkung stimmig ist, und unterscheidet entsprechend zwischen im Kontext angemessenem produktivem und unproduktivem Verhalten. Er bleibt dabei aber – wie Berne – bei der Metapher von Kind und Eltern, mit der Folge, dass beispielsweise konstruktives fürsorgliches Verhalten sprachlich nicht als erwachsenes Verhalten, sondern als Verhalten aus einem Eltern-Ich-Zustand bezeichnet wird. Temple konzipiert im Unterschied dazu das Verhaltensmodell so, dass mit den produktiven Funktionen (Verhaltensmodi) erwachsenes Verhalten beschrieben wird. Mit den unproduktiven Modi wird skriptgebundenes Verhalten aus den Kind-Ich- und Eltern-Ich- Zuständen dargestellt. Sie verbindet in der Visualisierung das Struk-
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tur- mit dem Funktionsmodell und erklärt damit sehr nachvollziehbar den Zusammenhang von Struktur und Funktion. Diagnoseformen zur Identifizierung von Ich-Zuständen im Struktur- und Funktionsmodell Berne beschreibt vier mögliche Diagnoseformen, von denen zwei sich auf die direkte Beobachtung auf der Verhaltensebene (Funktion) beziehen – die Verhaltensdiagnose und die soziale Diagnose. Die phänomenologische Diagnose und die historische Diagnose richten ihre Aufmerksamkeit auf den Ursprung des gezeigten Verhaltens (Struktur). Verhaltensdiagnose Körperhaltung, Mimik, Klang der Stimme oder auch die Wahl von Wörtern und Sätzen geben mögliche Hinweise darauf, aus welchen funktionalen Ich-Zuständen heraus jemand sich verhält. Die verhaltensbezogenen Ich-Zustände werden im klassischen Funktionsmodell differenziert in kritische, fürsorgliche, angepasste, rebellische und freie Funktionen, die sowohl produktiv wie auch unproduktiv in der Kommunikaktion wirken können. Wir verwenden die von uns modifizierten Beschreibungen der fünf positiven und vier negativen Verhaltensmodi von Temple: strukturierend, nährend, klärend, spontan, kooperativ und widerstandsfähig sowie dominant, überfürsorglich, rücksichtslos, überangepasst und widerspenstig. Soziale Diagnose – Resonanzerleben Die eigene Resonanz auf die Ansprache durch jemanden lässt Rückschlüsse auf die Ich-Zustandsbesetzung des Gegenübers zu. Wenn sich eine Person je nach Temperament in einer Kommunikation möglicherweise im ersten Moment eingeschüchtert fühlt (Einladung in den angepassten Modus) oder aber verärgert (Einladung in den widerspenstigen Modus), kann dies ein Hinweis auf die Verfasstheit der Gesprächspartnerin sein. Die eigene Resonanz legt die Hypothese nahe, dass die Gesprächspartnerin aus dem dominierenden Modus agiert. Hierzu auch mehr in Kapitel 5.2 zum Thema »Transaktionen«.
Das innere Team neu aufstellen131
Phänomenologische Diagnose – Der »Gummiband-Effekt« Manchmal erleben Menschen sich selbst innerlich plötzlich ängstlich oder wütend wie ein kleines Mädchen, wie ein kleiner Junge – als wären sie wieder ein Kind (Regression in die Vergangenheit). Das erlebte Gefühl kann sehr plötzlich durch einen äußeren Auslöser – eine bestimmte Situation, einen kritischen Blick, ein scharfes Wort – hervorgerufen werden, was in der Transaktionsanalyse zu dem Begriff »Gummiband-Effekt« als Metapher geführt hat. Im therapeutischen Kontext wird die Regression bewusst zur Erforschung ihres Ursprungs und zur Ermöglichung einer neuen konstruktiven Erfahrung genutzt; dafür braucht es psychotherapeutische Kompetenz. Im Beratungskontext wird beim Gummiband-Effekt die historische Diagnose angewendet, die eine kognitive Reflexion der eigenen Biografie ermöglicht: Historische Diagnose Wenn Menschen zum Gummiband-Effekt befragt werden, können sie sich oft an Situationen aus ihrer Kindheit erinnern, in denen sie sich so erlebt haben. Dem dazugehörigen Fühlen, Denken und Verhalten kann dann kognitiv in der Gegenwart Sinn verliehen werden. So kann ein erwachsener Mensch im Rückblick häufig verstehen, dass er als Kind in einer bestimmten Situation gar keine anderen Schlussfolgerungen ziehen konnte, da ein Kind seine Eltern liebt und deren Aussagen und Verhaltensweisen für richtig hält. Frühe und traumatische Erfahrungen aus der vorsprachlichen Zeit können kognitiv nicht erinnert werden und bedürfen eines geschützten Rahmens mit anderen, auch nichtsprachlichen psychotherapeutischen Methoden. Werkzeugkiste »Mein guter innerer Dialog« (S. 275 ff.) und »Inneres Team« (S. 278 f.) Vertiefende Literatur Goulding, M. (2011). Kopfbewohner oder: wer bestimmt dein Denken? Wie du Feindschaft gegen dich selbst mit Spaß und Leichtigkeit in Freundschaft verwandelst (8. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Mohr, G. (2003). Persönlichkeit: Das innere Team der Ich-Zustände. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 20, 3, 234–238.
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Impulse für die Selbstorganisation
Mohr, G. (2009). »Ichzustände« – die Einheits- und die Unterschiedstheorie: Thesen zur Theorieentwicklung. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 26, 2, 199–218. Schneider, J. (2001). Von der Kunst, erwachsen zu handeln. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 18, 4, 148–164. Temple, S. (2002). Functional Fluency. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 19, 4, 76–87. Tudor, K. (2005). Die Neo-Psyche: der integrierende Erwachsenen-Ichzustand. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 22, 3, 168–186.
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Impulse für die Beziehungsgestaltung: Soziale Dynamiken auf privaten und professionellen Bühnen verstehen
Im vorangegangenen Kapitel haben wir Impulse für die Selbstorganisation gegeben. Die Bewusstheit über Bedürfnisse und Gefühle als Ressourcen, die Reflexion der eigenen Typologie und des individuellen Lebensskripts können helfen, intrapsychische Dynamiken zu verstehen und die eigenen Spielräume zu erweitern. Sobald wir uns auf privaten und professionellen Bühnen bewegen, erhöht sich die Komplexität sowohl durch die zwischenmenschlichen Dynamiken als auch durch die sozialen Rollen, die wir in verschiedenen Kontexten einnehmen. Wir beginnen bei den Impulsen für die Beziehungsgestaltung mit dem Blick aus der Weite auf das Thema »Rollen als Rahmung von Beziehungen«, um dann wieder in die Nähe zu schauen – auf spezifische Transaktionen.
5.1 Nicht persönlich nehmen – den Blick schärfen für Rollenverantwortung »Es war, als stünde ich auf der Bühne und wüßte plötzlich nicht mehr, welche Rolle ich eigentlich in dem Stück spiele.« Janine Weger
Manche Konflikte entstehen nicht aus einer persönlich bedingten Dynamik, sondern rollenbedingt. Es gibt Rollen, deren Verantwortung zum Beispiel beinhaltet, Menschen mit Veränderungen zu konfrontieren oder mit Anforderungen und Leistungsbeurteilungen. Das beeinhaltet in der Folge auch, die entsprechenden Reaktionen wie beispielsweise Ärger der Betroffenen sowohl einordnen als auch emotional aushalten zu können. Häufig werden solche Reaktionen per-
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
sönlich genommen. Um Konflikte nicht vorschnell zu personalisieren, lohnt sich der Blick auf Rollenkonzepte. Der Begriff »Rolle« spannt einen weiten Bedeutungsbogen von der Soziologie bis hin zu den Bühnenbrettern des Theaters. Wir nehmen im Laufe unseres Lebens verschiedene soziale Rollen ein, die mit unterschiedlichen, manchmal auch widersprüchlichen Erwartungen verknüpft sind: Sohn/Tochter, Bruder/Schwester, Schüler, Freund, Vater/Mutter, Ehepartner, Berufsrollen und viele andere mehr. Die jeweilige berufliche Rolle entsteht an der Schnittfläche, an der sich eine Person mit ihren verschiedenen sozialen Rollen und eine Organisation begegnen, wie in der Abbildung 25 visualisiert. Je passender das »Matching« von Person und Organisation ausfällt, desto größer ist der wechselseitige Nutzen. Wird die Schnittfläche zu klein oder zu groß, können Probleme für beide Seiten entstehen: mangelndes SinnempAbbildung 27 Rolle als Schnittfläche von Person und Organisation finden, fehlende Identifikation oder Überidentifizierung auf Seiten der Person; Leistungsabfall oder Burnout-Dynamiken für die Organisation.
Person
ROLLE
Organisation
Abbildung 25: Rolle als Schnittfläche von Person und Organisation nach Kugele (2009) 29
Ausgehend von der kritischen Rollentheorie der Frankfurter Schule um Theodor Adorno und dem »Organizational Role Analysis Approach – ORA« (Newton, Long u. Sievers, 2006) der psychodynamischen Organisationsberatung, hat der Berater Jürgen Kugele mit diesem Modell psychodynamische Aspekte des Spannungsfeldes zwischen Person und Rolle zum Ausdruck gebracht. Rollen werden oft ambivalent erlebt. Es gibt das Bedürfnis nach einer Rolle im
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Sinne von persönlicher Bedeutsamkeit und zugleich die Abneigung gegen eine Rolle im Sinne der Gefährdung der eigenen Authentizität. Menschen wünschen sich, »echt« sein zu können und nicht nur »eine Rolle spielen zu müssen«. Ein bewusster Umgang mit dieser unvermeidbaren Ambivalenz verhilft Menschen zu einer erhöhten Selbstwirksamkeit, die ihnen persönlich und auch der Organisation zugutekommt. Die Abbildung 25 visualisiert sehr treffend den Begriff »selektive Authentizität« in einer Rolle. Er stammt von Ruth Cohn, der Begründerin des Ansatzes der Themenzentrierten Interaktion. Sie meinte mit dem Begriff sinngemäß, dass alles, was aus einer Rolle heraus gesagt wird, wahrhaftig sein sollte – aber nicht alles, was wahr ist, auch gesagt werden muss. Die Trennung von Person und Rolle im Sinne von professioneller Distanz ermöglicht es, die eigene Person in kritischen Situationen zu schützen. Entsteht für eine Führungskraft zum Beispiel viel Unmut in Veränderungsprozessen, hilft die Trennung von Person und Rolle, die Verärgerung nicht persönlich zu nehmen, sondern sie als unvermeidbare Reaktion zu verstehen, die Menschen im Prozess einer nicht selbst initiierten und oft unerwünschten Veränderung zeigen. Der Ärger bezieht sich vorrangig auf die Rolle, nicht auf die Person. Die Rolle des Managements in diesem Sinne beinhaltet, Menschen »schlechte Nachrichten« zu überbringen, dass sie beispielsweise etwas verändern und in der Folge persönliche Inkompetenzgefühle aushalten müssen, bis neue Rollen, Prozesse oder Kompetenzen eingeübt sind. Ein bewusster, konstruktiver Umgang mit dieser Ambivalenz von Rollen kann hilfreich für Menschen sein, um sich in einer stetig komplexer und agiler werdenden (Arbeits-)Umwelt zurechtzufinden. Das Drei-Welten-Modell Der Transaktionsanalytiker und Systemiker Bernd Schmid hat zum Verständnis und zum konstruktiven Umgang mit Rollen die Theatermetapher und damit das Bild der Bühne zur Orientierung in einer komplexen Rollenwelt genutzt: Die Person steht nach diesem Modell auf drei verschiedenen und gleichsam relevanten Bühnen der eigenen Welt. Das Konzept des Drei-Welten-Modells umfasst nun nicht mehr nur das Spannungsverhältnis zwischen individueller Ebene (Person) und Organisation wie im vorherigen Modell, sondern zwi-
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
schen der Person und insgesamt drei Bühnen, auf denen diese Rollen gespielt werden: Privatwelt, Professionswelt und Organisationswelt. Mit diesem Modell gelingt es, theoretische Grundlagen mit beobachtbaren und handlungsleitenden Dimensionen zu integrieren. Abbildung 28 Drei-Welten-Modell
Professionswelt Fachlogik
Organisationswelt
Organisationslogik PERSON
Privatw welt Privatlogik
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Abbildung 26: Drei-Welten-Modell nach Bernd Schmid (1994)
Der Transaktionsanalytiker Günter Mohr erweitert die Bühnen noch um die Gemeinwesenwelt und die Konsumentenwelt hin zu einem Fünf-Welten-Modell. Da ehrenamtliche Aktivitäten – zum Beispiel in Kirchen, der Politik oder in Vereinen – sowie das Konsumentenverhalten individuelle Entscheidungen sind, verstehen wir diese Rollen als Teil der Privatwelt und bleiben beim Drei-Welten-Modell. In Anlehnung an den Transaktionsanalytiker Rolf Balling beschreiben wir die drei Rollenwelten, von denen jede uns ihre Treue abverlangt. Jede dieser Welten hat auch ihre eigene Logik, die wir mit dem jeweils Höchsten Wert benennen, dem Primat der jeweiligen Weltenlogik. Privatwelt Hier denken, fühlen und handeln wir als Privatmensch in sozialen Rollen wie Eltern, Ehefrau, Sohn, Freundin oder Nachbar. Rich-
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tungsgebend sind dabei sozial und kulturell übernommene Modelle von Beziehungen, Familie, Sexualität usw. In der Privatwelt liegt entsprechend unsere private Identität. Sie erfordert unsere Treue uns selbst und unseren persönlichen Beziehungen gegenüber. Werden wir uns selbst gegenüber untreu, indem wir uns zum Beispiel dauerhaft in berufliche Rollen begeben, die weit entfernt von unserem persönlichen Talentbereich oder Wertekanon sind, erleben wir beruflich wie privat Energieverlust. Werden wir persönlichen Beziehungen gegenüber untreu, wenden sich Menschen emotional von uns ab. Höchster Wert auf dieser Bühne ist die Qualität und der Erhalt der BEZIEHUNG. Professionswelt Unter den Begriff »Profession« fallen diverse berufliche Rollen. Hier denken, fühlen und handeln wir nicht länger als Privatmensch, sondern als Fachperson. Wir lassen uns leiten von Werten, Standards, Logiken und Erfahrungen, die durch die fachliche Ausbildung geprägt sind und im Sinne des lebenslangen Lernens laufend erneuert und ergänzt werden. So bilden wir unsere professionelle Identität aus. Auch sie fordert unsere Treue. Bei restriktiven Budgets in einer Organisation ist zum Beispiel die Transparenz darüber, was qualitativ machbar ist und was nicht, für alle Beteiligten hilfreich. Es geht dann um die reflektierte Entscheidung, nicht das Beste, sondern das Bestmögliche zu tun und sich bewusst vom Besten zu verabschieden. Höchster Wert ist hier die FACHLICHE QUALITÄT. Organisationswelt In diesen Bereich fallen die Organisationsfunktionen, die wir in der beruflichen Tätigkeit einnehmen können: Bereichsleiterin, Mitarbeiter, Projektleiterin, Betriebsrat, Aufsichtsrätin, Vorsitzender usw. Hier lassen wir uns von Werten, Standards, Logiken und Erfahrungen leiten, die uns von der Kultur der Organisation implizit und explizit nahegelegt werden – deren geschriebene und ungeschriebene Gesetze. Dieses bildet unsere Organisationsidentität, die in Zeiten der permanenten Veränderung immer wieder neu definiert werden muss. Die Organisationsidentität fordert unsere Treue, um zum Beispiel Rollenverantwortungen sauber auseinanderzuhalten. Das heißt
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
zum Beispiel, als Bereichsleiterin nicht Mikromanagement zu betreiben oder als Mitarbeiter einer schwachen Führungskraft kompensatorisch Führungsverantwortung auf die eigenen Schultern zu laden. Höchster Wert ist hier aus der jeweiligen Rolle heraus die LEISTUNG und PRODUKTIVITÄT. In der Mitte zwischen den Welten-Bühnen in der Abbildung 26 steht die Person im möglichen Spannungsverhältnis zu den Rollen, die ausgefüllt werden müssen. Sie drückt sich in ihrer eigenen, unverwechselbaren Weise aus und »tönt« (lat. personare) dabei durch alle überlagernden Lebenswelten und eingenommenen Rollen hindurch. Im Optimalfall haben wir viel Spielraum, um auf die Erfordernisse und internen Logiken der jeweiligen Lebenswelten einzugehen, ohne dabei unserem Wesenskern oder einer Rolle gegenüber untreu zu werden. In der Realität erleben wir jedoch immer wieder Rollenkonkurrenzen. Alle drei Bühnen, die dort geforderten Identitäten und entsprechend auszufüllenden Rollen – private, professionelle oder organisationale – verlangen unsere Treue. Entsprechend spannungsreich kann sich das Verhältnis von einer Rolle zur anderen gestalten. Die Organisations- oder Professionsrolle kann eine Auslandsreise erfordern, während sich ein Kind die Anwesenheit von Mutter oder Vater bei einer bedeutsamen Schulveranstaltung wünscht. Aus einer Fachrolle in der Professionswelt sieht eine Führungskraft die Notwendigkeit einer bestimmten Qualität von einer Maßnahme; aus der Organisationsrolle muss sie wegen eines restriktiven Budgets qualitative Abstriche machen. Aus der Privatrolle heraus verliebt jemand sich in eine Person, die ihr gleichzeitig im Berufsleben hierarchisch vorgesetzt ist, und die Organisation schließt private Paarbeziehungen innerhalb eines Teams aus. Hier ein ausführlicheres Beispiel dafür, wie Rollenwelten in Konflikt miteinander geraten können: Eine Lehrerin will ein aufwändig vorbereitetes Projekt mit ihrer Klasse beginnen. Alles ist bereit für den Start: Eltern sind zum Helfen bestellt, die Möbel wurden schon am Vortag verschoben. Doch als sie in die Schule kommt, fehlen mehrere Kolleginnen, und sie muss in einer anderen Klasse vertreten. Sie schäumt vor Wut und wirft dem Schulleiter unpädagogisches, nicht wertschätzendes Verhalten vor. Im Bewusst-
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sein der Situation entgegnet er: »Ich verstehe Ihren Ärger, das ist wirklich sehr schade um das gut geplante Projekt – und ich kann ihm nicht nachgeben. Ich muss die Schule am Laufen halten und dafür sorgen, dass alle Kinder versorgt sind. Das hat Vorrang!«
Die Theatermetapher der Rolle auf der Bühne beinhaltet, dass zur persönlichen Identität der Schauspieler eine Rollenidentität hinzukommt – ein Hamlet, eine Krimhild, ein Harry Potter, eine Hermine. Ein weiterer Aspekt des Themas »Rolle« ist der Wechsel der Rollenwelten: Beim Verlassen der Bühne sind sich die Schauspieler darüber im Klaren, dass sie jenseits der Rolle eine Person mit eigener Identität sind, die zugleich ihre Art prägt, die Rolle auszufüllen. Sie sind gut beraten, zwischen diesen Identitäten zu unterscheiden und den Hamlet oder die Krimhild beim Verlassen der Bühne hinter sich zu lassen. Das private Umfeld wird es ihnen danken. Vice versa wird das Publikum dankbar sein, Krimhild statt Lieschen Müller, die einen schlechten Tag hat, und Hamlet statt Max Mustermann, den Liebeskummer quält, zu erleben. Übertragen auf die Organisationswelt bedeutet das, dass eine Führungskraft kraftvoll ihre Rolle ausfüllen kann, obwohl sie vielleicht privat gerade Herzschmerz hat oder ihr fachliches Herz wegen restriktiver Budgets im Change-Prozess schmerzt. Eine Organisation braucht Verantwortliche, die ihre Rollen in diesem Sinne selektiv authentisch gestalten und zwischen den Welten navigieren können. Dieser Begriff beschreibt treffend die notwendige Distanz eines Rollenträgers zwischen sich als Person und seiner Rolle. »Mit der […] Rollendistanz gelingt es Managern, Dinge zu tun, um den an sie gerichteten Erwartungen gerecht zu werden – auch wenn sie unter Umständen nicht ihrem eigenen Naturell entsprechen. So fordert jede Rolle immer nur bestimmte Charakteranteile von uns, diese aber voll und mit ganzem Einsatz. Sonst gäbe es auch keine authentische Wirkung« (Kugele, 2015, S. 6). Der Coach und Regisseur Martin Blau beschreibt den Zustand, bewusst eine Rolle auszufüllen, mit dem Begriff, in den »PerformanceKörper« zu gehen, um die »Genussverpflichtung« der jeweiligen Rolle dem Publikum gegenüber zu erfüllen. Selbst wenn jemand in der Identität der privaten Person in emotional schlechter Verfassung ist, kann diese Person in der beruflichen Rolle ihre Kompetenz auf-
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
rufen und einen guten Job machen, statt »aus der Rolle zu fallen« und zum Beispiel als Kellner schlecht gelaunt die Gäste im Restaurant zu bedienen. Tabelle 3 gibt eine Übersicht zu den drei Rollenwelten. Tabelle 3: Beschreibung der drei Lebenswelten nach Balling (www.ballingcoaching.de) Privatwelt
Professionswelt
Organisationswelt
Hier denken, fühlen und handeln wir als Privatmensch in Rollen wie: Eltern, Ehefrau, Sohn, Freundin, Nachbar usw.
Hier denken, fühlen und handeln wir als Fachmensch und sind von professionellen Werten, Standards, Logiken und Erfahrungen geprägt. Auch unsere professionelle Identität fordert unsere Treue: z. B. bei restriktiven Budgets Transparenz darüber herzustellen, nicht das Beste, sondern das Bestmögliche zu tun.
Hier denken, fühlen und handeln wir in unseren Organisationsfunktionen: Mitarbeiterin, Betriebsrat, Projektleiterin, Bereichsleiter, Vorsitzende etc. Hier leiten uns Werte, Standards, Logiken und Erfahrungen, die uns von der Kultur der Organisation nahegelegt werden. Sie bilden unsere Organisations- Identität, die ebenfalls unsere Treue fordert.
Sie bildet unsere private Identität – und erfordert unsere Treue uns selbst und unseren persönlichen Beziehungen gegenüber. Höchster Wert sind hier die Qualität und der Erhalt der Beziehung.
Höchster Wert ist hier die fachliche Qualität.
Höchster Wert sind hier aus der jeweiligen Rolle heraus die Leistung und Produktivität.
Das Drei-Welten-Modell als Diagnose- und Handlungsmodell Das Modell ist zugleich ein Selbstreflexions-Tool zur Rollenklärung, das helfen kann, sich in komplexen Rollenwelten zurechtzufinden, indem es klärende Fragen zur Orientierung stellt und den Blick für die jeweilige Verantwortung schärft. In Anlehnung an Rolf Balling beschreiben wir im ersten Schritt jeweils diagnostisch relevante Rollenaspekte, von denen wir im zweiten Schritt Impulse für entsprechende handlungsleitende Fragestellungen ableiten. Rollenpriorität Oft können wir die Komplexität einer Situation dadurch sinnvoll reduzieren, dass wir intern klären, durch welchen Lebensbereich diese vorrangig geprägt ist: durch die Privat-, Professions- oder Organisationswelt? Gelingt dies, dann können wir bewusst vorrangig an unserer Identität bezüglich dieses Bereiches ankoppeln. Aus einer
Nicht persönlich nehmen141
irritierenden Uneindeutigkeit (»Spricht er jetzt als Fachmann oder als Privatperson oder als Organisationsvertreter?«) oder einem Satz wie »Ich muss ja leider …« kann dann ein bewusstes »Ich entscheide mich für …« werden. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Ambivalenz offenzulegen: »Persönlich fällt es mir schwer, dass wir uns von der Produktlinie trennen – aus organisationaler Sicht halte ich aber die Entscheidung für notwendig, um die Zukunft zu sichern.« Auf diese Weise können wir konsistenter, klarer, sicherer und effektiver in der jeweiligen Rolle werden. Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Wie sieht mein Rollenpanorama aus? – Welche Rollenwelt, Rollenlogik ist in dieser Situation vorrangig? – Welche spezifische Rolle zum Beispiel in der Organisationswelt (bei Rollenpanorama mit mehreren Rollen) ist gerade vorrangig? – Wie kann ich dieser Rolle treu bleiben?
Rollenkonkurrenz Manchmal ist eine Situation von einem nicht auflösbaren Konflikt zwischen zwei Lebensbereichen geprägt, zum Beispiel bei einer Führungskraft im Widerstreit zwischen der Notwendigkeit, an einer wichtigen Verhandlung teilzunehmen, und der Bedeutung ihrer Anwesenheit bei einer einmaligen Theateraufführung ihres Kindes; oder bei einer Personalentwicklerin, die bei der Planung einer Maßnahme im Widerstreit zwischen fachlichem Anspruch einerseits und begrenztem Budget andererseits ist. Hier werden die Personen zumindest einer Identität untreu – und bleiben damit etwas schuldig. Die Fiktion, »immer unschuldig bleiben zu können«, macht handlungsunfähig. Die Anerkennung der Tatsache, in der Realität einer der Welten auch etwas schuldig zu bleiben, kann uns Energie für eine Wiedergutmachung, ein »Tut mir leid« und für die eigene innere Akzeptanz der Restriktionen geben. Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Gibt es in dieser Situation konkurrierende Rollenerwartungen? Welche? – Was erwarte ich von mir selbst in der Rolle?
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
– Wie komme ich von einer passiven Haltung »Ich muss ja …« zu einer aktiven Haltung der Positionierung »Ich entscheide mich für …«? – Bleibe ich anderen Rollen dabei etwas schuldig? Wenn ja, wie könnte ein Ausgleich hergestellt werden?
Rollentrübung, Rollenfixierung Der Begriff Rollentrübung bedeutet, dass Rollenlogiken ineinander verschwimmen, zum Beispiel wenn Führungskräfte Probleme der einen Lebenswelt mit Strategien der anderen Welt zu lösen versuchen: ein Abteilungsleiter, der einen Organisationskonflikt durch »Brüderlichkeit« auflösen möchte (Privatweltlogik versus Organisationsweltlogik); eine Ingenieurin, die ihre Teamorganisation nach den Regeln eines Schaltplans für Leiterplattendesigns verbessern will (Professionslogik versus Organisationslogik); ein Teamleiter, der seinen Kindern nur Anerkennung für Leistung gibt (Organisationslogik versus Privatlogik). Dadurch kann eine Rollenfixierung entstehen: Manchmal werden gewohnheitsmäßig die Regeln einer einzigen Welt in allen Lebensbereichen angewendet. Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Nehme ich wahr, wenn meine »Lieblingsrolle« anfängt, andere Lebensbereiche zu vereinnahmen? – Erkenne ich die Rollenpriorität? – Kann ich (noch) situativ und in einer angemessenen Weise von einer zur anderen Rolle wechseln?
Rollenausschluss Viele Probleme entstehen innerhalb einer Lebenswelt dadurch, dass jemand versucht, neue Rollen gewohnheitsmäßig nach den Vorgaben alter Rollenlogiken zu leben; etwa bei einem Führungswechsel, bei dem ein Teamkollege Führungskraft wird und sich seinen Mitarbeitern gegenüber weiterhin als Kollege verhält und eventuell vermeidet, seine Kontrollfunktion auszuüben. Führungskräften, die aus dem mittleren Management in Topmanagementrollen wechseln, fällt es häufig schwer, sich aus der operativ fokussierten Rolle zu lösen und sich den strategisch relevanten Themen zuzuwenden, oft werden dann Teilaspekte der Rolle unbewusst ausgeschlossen.
Nicht persönlich nehmen143
Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Habe ich die Prioritäten der neuen Rolle umfassend verstanden? – Habe ich die Rolle innerlich angenommen; mit all ihren Vor- und Nachteilen? (Will ich die Einsamkeit der Führungsrolle? Will ich strategisch arbeiten?) – Habe ich mich von meiner früheren Rolle bewusst verabschiedet?
Rollenkompetenz Bei Rollenwechseln innerhalb der Organisationsfunktion können dadurch Probleme entstehen, dass zum Beispiel jemand wegen seiner hervorragenden Fachkompetenz Führungskraft wird, jedoch keinerlei Know-how in Bezug auf Mitarbeiterführung mitbringt und darin nicht fortgebildet wird. Ähnlich wie der erwähnte Wechsel von stark operativ geprägten Rollen hin zu strategisch fokussierten Managementrollen, die im Topmanagement häufig zusätzliche Kenntnisse der ungeschriebenen Kommunikationscodes auf dieser Ebene erfordern. Ein weiteres Beispiel könnte eine Beraterin sein, die nicht mehr intern in einem Unternehmen arbeitet, sondern freiberuflich tätig wird und die es versäumt, sich betriebswirtschaftliche Kompetenzen anzueignen. Systemisch betrachtet entsteht beim Einnehmen neuer Rollen eine Wechselwirkung zwischen Person und Rolle in der Form, dass jemand angeregt durch die Rolle an dieser wächst oder gar über sich hinauswächst. Interventionsleitende Fragen: – Kenne ich die typischen Werte, Strategien und Methoden der Rolle? – Kenne ich das Set von möglichen Unterrollen, die in der Rolle eingeschlossen sind? – Habe ich mir die erforderlichen persönlichen und fachlichen Kompetenzen zu eigen gemacht? – Sind mir die anderen Rollen und Rollenerwartungen bewusst und bekannt, mit denen ich typischerweise zu tun habe?
Rollenstimmigkeit Manchmal entstehen Probleme im professionellen Bereich, wenn sich eine Person in einer Rolle befindet, die ihrem Wesen nicht ent-
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
spricht. Zum Beispiel bei einem Menschen, der eine Abteilung leitet, obwohl ihm Führen oder Organisieren nicht liegt, der aber vielleicht ein sehr guter Experte wäre. Oder bei einer Mitarbeiterin, die aufgrund ihres unternehmerischen Potenzials mit der Führung rivalisiert statt sich auf eine andere Führungsstelle zu bewerben oder sich selbstständig zu machen. Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Will ich die mir angebotene Rolle einnehmen? Passt sie zu mir? Reizt sie mich? – Erlaube ich mir innerlich, unabhängig von äußeren Bewertungen (Karriereklischees oder familiäres Lebensskript), eine Rolle einzunehmen, die meinen Stärken entspricht? – Fülle ich meine Rolle in der mir gemäßen Form aus? Gehe ich eventuell in die Überanpassung der Rolle gegenüber?
Rollenintegration Um die verschiedenen Rollen der drei Lebenswelten befriedigend leben zu können, ist auch das Verhältnis der Welten zueinander von Bedeutung. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wie wir mit unserer Zeit haushalten, ob wir mit unserem Beruf oder unserem Partner »verheiratet« sind oder ob unser Beruf unter zu viel privatem Engagement leidet. Ein weiterer Aspekt von Rollenintegration wird deutlich in der Frage, ob wir unser Wesen in allen drei Welten ausdrücken oder unser Verhalten aufspalten, zum Beispiel im Beruf hart und im Privaten weich von anderen erlebt werden; oder sehr freundlich mit Klienten sind, während wir zu Hause gereizt mit unseren Partnern und Kindern umgehen. Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Kann ich situativ und in einer angemessenen Weise von einer zur anderen Rolle wechseln? – Kann ich meine Rollen situativ stimmig kommunizieren? – Kann ich auch unter Stress oder in unüblichem Kontext angemessen in der Rolle bleiben? – Bemerke ich, wenn meine »Lieblingsrolle« anfängt, andere Lebensbereiche zu vereinnahmen?
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Kenntnis und Bewusstheit über diese verschiedenen Rollenthematiken können Beraterinnen und Coaches als Scheinwerfer dienen, um die Lebenswelten ihrer Klienten und Coachees auszuleuchten und bei Schwierigkeiten und Problemen Licht ins Dunkel zu bringen. Die beschriebenen Aspekte des Drei-Welten-Modells als Diagnose- und Handlungsmodell können mit dem Rollenradar der Abbildung 27 in drei Schritten in den Blick genommen werden:
Abbildung 27: Rollenradar zur Klärung und Präzisierung von Rollen nach Kessel und Kessel (2019)
In der Regel kann mit Fragen zum Kontext begonnen werden um dann weiter zu sondieren und die Erkenntnisse im letzten Schritt in die eigene Rollenidentität zu integrieren. Die Kreissymbolik bedeutet zugleich, dass je nach Anliegen iterativ, in einer schrittweisen Annäherung an das Problem, auch an anderer Stelle gestartet
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werden kann. Diese Schritte sind in der Werkzeugkiste als Übung »Rollenradar« (S. 280 ff.) zu finden. Werkzeugkiste »Rollenradar« (S. 280 ff.) Vertiefende Literatur Kessel, B. u. Kessel, B. (2019) Der Rollenradar. Ein Reflexionstool für ChangeVerantwortliche. Zeitschrift für Organisationsentwicklung, 38, 4. Mohr, G. (2017). Resilienzcoaching für Menschen und Systeme. Gevelsberg: EHP. Richthofen, C. von, Kugele, J., Vitzthum, N. (2013). Handbuch Karriereberatung. Basel und Weinheim: Beltz. Schmid, B. (2003). Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse. Bergisch-Gladbach: EHP.
5.2 Frech gekreuzt ist halb gewonnen – konstruktiv kommunizieren: Transaktionen »Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.« Viktor Frankl
In der Kommunikation sind die Haltungen und Fähigkeiten von Senderin und Empfänger gleichermaßen bedeutungs- und machtvoll: Die beste Absicht der Senderin kann ins Leere laufen oder umgedeutet werden, wenn der Empfänger sie nicht versteht, weil er einen anderen Bezugsrahmen hat. Umgekehrt kann ein bewusster Empfänger mit seiner Antwort die vielleicht provozierende Nachricht der Senderin auch auf ein konstruktives Gleis bringen. Wie wirkungsvoll schon kleinste Schritte in der Kommunikation sein können, werden wir in diesem Kapitel aufzeigen. Die Transaktion – verstanden als Zusammenspiel von einem noch so kleinen kommunikativen Impuls und der darauf folgenden Reaktion – ist ein wesentlicher Bezugspunkt transaktionsanalytischen Denkens. »Transactions form the bridge between the interpersonal (outside) and intrapsychic (inside)« (Cornell et al., 2016, S. 60): »Transaktionen bilden die Brücke zwischen dem Zwischen-
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menschlichen (außen) und dem Innerpsychischen (innen).« Um diese Brücke zu betreten, brauchen Menschen den Wunsch und die Bereitschaft, in Beziehung zu treten und Zuwendung auszutauschen. Wenn die Kommunikation schwierig ist, benötigen sie auch den Mut, Unstimmigkeiten zu benennen oder eine Transaktion »frech zu kreuzen«, um damit wieder in konstruktives Fahrwasser zu kommen. Die Annahme, dass sich in kleinen Ausschnitten von Kommunikation schon so manche Beziehungsdynamik spiegelt, lässt achtsames Hinschauen, Hinhören und Hinfühlen nach innen und außen zu einer wichtigen Ressource für gelingende Beziehungsgestaltung werden. Transaktionen sind sichtbar werdende Ich-Zustände: Das Eltern-Ich, das Kind-Ich und das Erwachsenen-Ich speisen das Verhalten, das über Worte und Körpersprache in Transaktionen nach außen sichtbar wird. Berne beschreibt das im Funktionsmodell der Ich-Zustände als fürsorgliches, kritisches, sachliches, freies, angepasstes oder rebellisches Verhalten (siehe auch Kapitel 4.3 »Das innere Team neu aufstellen: Ich-Zustände«). Weitere Verhaltensbeschreibungen sind im »Functional Fluency«-Modell von Susannah Temple zu finden: dominierend, strukturgebend, überverwöhnend, nährend, klärend, kooperativ, überangepasst/ widerspenstig, spontan und unreif. Transaktionen sind die Puzzlesteine von Kommunikation zwischen zwei oder mehr Menschen. Von gelingender Kommunikation sprechen wir, wenn sich die Beteiligten Impulse zur Entwicklung ihrer Autonomie oder einfach zu ihrem Wohlbefinden geben, gegenseitig oder nur zu einer Seite hin. Aber dies gelingt nicht immer, dazu sind Menschen zu unterschiedlich hinsichtlich ihrer Geschichten, ihres Gewordenseins und ihrer Bezugsrahmen. Mit zunehmender Entwicklung der eigenen Bewusstheit können Menschen sich selbst immer besser kennenlernen und verstehen, in kleinen und großen Schritten alte, unliebsame Muster transformieren, verlernen oder überlernen und so auch Einfluss auf ihre Kommunikation und Beziehungsgestaltung nehmen. Dazu schlägt die Transaktionsanalyse vor, Transaktionen zu analysieren und diese kleinsten Kommunikationseinheiten und das eigene Denken, Fühlen und Verhalten in einer Transaktion genau zu beobachten.
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Darstellung von Transaktionen Berne wählte zur Beschreibung der Transaktion das vereinfachte Verhaltens- oder Funktionsmodell mit der Grafik der drei Kreise und den Bezeichnungen »Eltern-Ich«, »Erwachsenen-Ich« und »KindIch« ohne die inneren Unterteilungen, wie im Kapitel 4.3 dargestellt. Die Pfeile zwischen den verschiedenen Ich-Zuständen kennzeichnen den jeweiligen Ausgangs- und den Zielort der Transaktion. Dies ist die klassische grafische Darstellung. Berne unterschied komplementäre, gekreuzte und verdeckte Transaktionen. Wir führen an dieser Stelle in der Abbildung 28 nur je ein Beispiel für die verschiedenen Arten von Transaktionen auf, denn inzwischen arbeiten wir mit einem zusätzlichen Erklärungsmodell der Transaktionen, das wir in diesem Kapitel vorstellen werden. Weitere Informationen31zu dem klassischen Modell der Transaktionen finden sich beiAbbildung Parallele, gekreuzte und verdeckte Transaktionen spielsweise in den Büchern von Hennig und Pelz (1997) sowie Stewart und Joines (1990).
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Abbildung 28: Beispiele für komplementäre (parallele), gekreuzte und verdeckte Transaktionen nach Berne (1983)
Bernes Darstellung der Transaktionen mit dem vereinfachten Funk tionsmodell führten in der Vergangenheit immer wieder zu Verwechslungen und Irritationen zwischen dem Struktur- und dem Funktionsmodell. Wir selbst nutzen deshalb statt der klassischen Modelle zur Erklärung von Transaktionen das Verhaltensmodell Functional Fluency von Susannah Temple, S. (1999, 2002). Sie beachtet die wirklichkeitskonstruktive Wirkung von Sprache, wie wir in einem vorangegangenen Coaching-Beispiel (S. 121) zur Unterscheidung von kindlichem und erwachsenem Ausdruck von Ärger 33
Frech gekreuzt ist halb gewonnen149
beschrieben haben, und verzichtet in ihrem Modell auf die Begriffe »Eltern-Ich« und »Kind-Ich«. Temple verwendet als Kategorie von Verhalten den Begriff »Modus«. Die verschiedenen Modi in diesem Modell entsprechen zwar inhaltlich den Einteilungen im klassischen Funktionsmodell, Temple benutzt aber ausschließlich verhaltensbeschreibende Begriffe. Der Preis des Wechsels zum Modell Functional Fluency ist der Verzicht auf die einfachen grafischen Darstellungen mit dem klassischen Funktionsmodell. Die Begriffe »komplementäre« oder »parallele Transaktion«, »gekreuzte Transaktion« und »verdeckte Transaktion« konnten damit zwar sehr anschaulich gemacht werden, sie fallen mit den Bezeichnungen »Eltern-Ich« und »Kind-Ich« aber aus unserer systemisch inspirierten Logik heraus, und wir verabschieden sie – ein bisschen wehmütig –, zumindest, um die theoretische Darstellung und Unterscheidung vom Struktur- und Verhaltensmodell konsequent zu Ende zu denken. Damit bewegen wir uns auf fortgeschrittenem Theorielevel, das für die Arbeit mit Klientinnen als Hintergrunddenken der Berater klärend ist. Für die praktische Arbeit mit Klientinnen ist diese komplexe Darstellung aus unserer Sicht weniger hilfreich. Hier greifen wir für die Erklärung der unproduktiven Transaktionen auf das klassische Modell zurück und erklären alle produktiven Transaktionen aus dem »Erwachsenen-Ich«. Wir ergänzen das Verhalten aus dem Erwachsenen-Ich-Zustand dann um die produktiven Verhaltensbezeichnungen von Susannah Temple und erklären damit erwachsen nährende, strukturierende, klärende, kooperative und spontane Transaktionen. Transaktionen – ganz konkret Im Folgenden richten wir die Aufmerksamkeit auf ganz konkrete, kleine Situationen und veranschaulichen damit differenzierte Möglichkeiten der fokussierten Beobachtung. In der Transaktionsanalyse werden parallele (komplementäre), gekreuzte und verdeckte (doppelbödige) Transaktionen unterschieden. Nur beispielhaft werden wir die jeweils erste parallele (komplementäre), gekreuzte und verdeckte (doppelbödige) Transaktion mit dem Modell Functional Fluency grafisch darstellen.
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Parallele oder komplementäre Transaktionen Bei parallelen oder komplementären Transaktionen reagiert der Empfänger der Botschaft aus dem adressierten Modus (siehe Abbildung 29). Diese Transaktionen sind erwartbar, frei von Irritationen und können sich lange auf vertrauter Ebene fortsetzen, sowohl bei wohltuenden Mustern als auch bei vertrauten Verstimmungen und in symbiotischen Beziehungen. Die erste Kommunikationsregel lautet: Bei parallelen (komplementären) Transaktionen kann die Kommunikation unendlich lange weitergeführt werden, unabhängig von ihrer Qualität.
Hier einige Beispiele: 1. Zwei Kollegen begegnen sich im Büro. A: »Wie spät ist es?« (klärender Modus zum klärenden Modus) B: »Es ist 8:15 Uhr« (klärender Modus zum klärenden Modus)
Wenn die Körpersprache in einer solchen sachbezogenen FrageAntwort-Kommunikation kongruent mit dem Inhalt ist, sind keine Abbildung 32 Parallele Transaktion Missverständnisse zu erwarten. Person A
Person B
dominant
überfürsorglich
dominant
überfürsorglich
strukturierend
nährend
strukturierend
nährend klärend
klärend kooperativ/ widerstandsfähig
spontan
kooperativ/ widerstandsfähig
spontan
überangepasst/ widerspenstig
rücksichtslos
überangepasst/ widerspenstig
rücksichtslos
Abbildung 29: Parallele Transaktion 34
Frech gekreuzt ist halb gewonnen151
2. Vorgesetzte (A) und Mitarbeiterin (B) im Gespräch. A: »Denken Sie daran, die Sachen wegzustellen – wie besprochen?« (strukturgebender Modus zum kooperativen Modus) B: »Oh, das habe ich völlig vergessen. Ich erledige es gleich.« (kooperativer Modus zum strukturgebenden Modus)
Dass diese Transaktion störungsfrei abläuft, zeigt, dass sich Ärger und Schuldgefühl in Grenzen halten und die Körpersprache kongruent mit den Worten ist. 3. Zwei Kollegen (A und B) geraten in Streit. A: »Verdammt nochmal! Ich komme hier schon wieder nicht ins Internet. Welcher Idiot …« (dominierender Modus zum überangepassten/rebellischen Modus) B: »Jetzt halten Sie aber mal die Luft an und pöbeln nicht herum! Ich will mich auf meine Arbeit konzentrieren.« (rebellischer Modus zum dominierenden Modus)
Auch ein handfester Streit kann lange weiterlaufen und sogar am nächsten Tag noch fortgeführt werden, wenn keiner von beiden sich besinnt und in einen anderen Modus wechselt. 4. Zwei Kolleginnen (A und B) begegnen einander am Morgen. A: »Oh Gott, Frau …, Sie sehen schon wieder so blass aus! Ich frage mal den Chef, ob Sie nach Hause gehen können!« (verwöhnender Modus zum überangepassten Modus) B: »Oh, wie nett, dass Sie das für mich tun! Ich bin wieder viel zu früh zum Dienst gekommen!« (überangepasster Modus zum überfürsorglichen Modus)
In dieser Situation ist das Verhalten beider Protagonistinnen symbiotisch aufeinander bezogen. Sie bestärken sich gegenseitig in ihren Positionen, die den Rollen »Retter« und »Opfer« im Drama-Dreieck entsprechen, wie sie in Kapitel 5.4 erläutert werden. Man darf gespannt sein, wie lange das gut geht!
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Gekreuzte Transaktionen Die zweite Kommunikationsregel lautet: Die gekreuzte Transaktion bedeutet eine Irritation in der Kommunikation, die in der Regel einen Ich-Zustands-Wechsel bei einem der Gesprächspartner auslöst.
Der Begriff gekreuzte Transaktion bedeutet, dass der Empfänger einer Botschaft aus einem anderen als dem adressierten Ich-Zustand antwortet (siehe Abbildung 30). Dies kann unbewusst aufgrund einer inneren Gestimmtheit, eines Skriptmusters oder einer Vorgeschichte zwischen zwei Partnern geschehen und wird dann als unproduktive Kreuzung bezeichnet, wie im folgenden Beispiel: 5. Kollegin (A) – Kollege (B) sprechen nach einem anstrengenden Meeting miteinander. A: »Können Sie mir bitte eine Kopie von Ihren Unterlagen schicken?« (klärender Modus zum klärenden Modus) B: »Machen sich doch selbst Notizen, ich bin doch nicht Ihr Sekretär!« Abbildung 33 GekreuzteSie Transaktion (rebellischer Modus zum dominierenden Modus) Person A
Person B
dominant
überfürsorglich
dominant
überfürsorglich
strukturierend
nährend
strukturierend
nährend klärend
klärend kooperativ/ widerstandsfähig
spontan
kooperativ/ widerstandsfähig
spontan
überangepasst/ widerspenstig
rücksichtslos
überangepasst/ widerspenstig
rücksichtslos
Abbildung 30: Gekreuzte Transaktion 35
Diese Antwort lässt vermuten, dass dem Kollegen B eine Laus über die Leber gelaufen ist. Woher sie kommt, wissen wir nicht und müssten es erfragen. Die Kollegin A ist vermutlich verdutzt. Sie hat jetzt
Frech gekreuzt ist halb gewonnen153
zwei Möglichkeiten: Entweder nimmt sie die Einladung in den dominierenden Modus an – dann gibt es dicke Luft – oder sie besetzt klug einen konstruktiven Modus mit Energie, in der Hoffnung, dass B der Einladung folgt. Die Entscheidung, einer Einladung in einen bestimmten Modus nicht zu folgen und einen anderen zu aktivieren und damit eine Transaktion zu »kreuzen«, kann auch bewusst und konstruktiv eingesetzt werden. Sie ist dann für Beratungskontexte ein exzellentes Werkzeug, denn sie kann die Kommunikation in ein gutes Fahrwasser bringen. 6. Coachee (A) und Coach (B) im Gespräch. A: »Ich hab es genauso gemacht, wie Sie gesagt haben – aber es hat gar nichts genützt: Meine Chefin hat mich weiterhin ignoriert!« (überangepasster Modus zum überfürsorglichen) B: »Erzählen Sie mir doch mal genau, wie die Situation war!« (klärender Modus zum klärenden Modus)
Zwei wichtige Grundsätze sind hilfreich für jede Beratungssituation, nämlich auf die Eingangstransaktion zu achten und keine destruktiven Einladungen anzunehmen. Indem wir die ersten Signale (wie Worte, Stimmklang, Gestus) des Gegenübers bewusst wahrnehmen, erkennen, welchen Modus er in uns anspricht, und unsere eigene innere Resonanz darauf erspüren, können wir mit einiger Übung blitzschnell die Entscheidung treffen, unserem ersten Impuls, ausgelöst durch die Einladung unseres Gegenübers, nicht zu folgen,. Stattdessen können wir bewusst eine andere Saite zum Klingen bringen, wie im folgenden Beispiel: 7. Ein Vorgesetzter (A) ärgert sich über einen Mitarbeiter (B). A: »Meine Güte, was haben Sie sich denn dabei gedacht? Das wirft ja alle meine Zeitpläne durcheinander!« (dominierender Modus zum überangepassten Modus) B: »Ach, wie ärgerlich! Lassen Sie mich mal sehen, ob wir das noch retten können.« (nährender Modus zum kooperativen Modus; vielleicht auch klärender Modus zum klärenden Modus)
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Nach dieser ersten gekreuzten Transaktion braucht es vielleicht noch einen zweiten Anlauf von B, bevor A den Modus wechselt: A: »So ein Quatsch! Was soll’s denn da zu retten geben! Sie haben es vermasselt« (dominierender Modus zum überangepassten Modus) B: »Sehen Sie mal, könnten Sie dieses Treffen nicht auf Donnerstag legen? Dann würde es doch gehen!« (klärender Modus zum klärenden Modus)
Jetzt kann A die bewusste Einladung annehmen und in einen anderen Modus wechseln: A: »Nein, das ist ungünstig. Aber dieses Gespräch hier könnte ich sowieso besser in der nächsten Woche führen, wenn Herr Meier wieder da ist. Dann könnte es klappen.« (klärender Modus zum klärenden Modus) B: »Na, jetzt bin ich aber froh, dass wir das hingekriegt haben!« (spontaner Modus zum spontanen Modus) A: »Ja, ich auch!« (spontaner Modus zum spontanen Modus)
»Ja, aber …« – Das ist der Name eines häufig praktizierten psychologischen Spiels (siehe Kapitel 5.4), aus dem durch bewusstes Kreuzen der Transaktion ein Ausstieg gelingen kann: 8. In einer sozialen Beratungsstelle reden Beraterin (A) und Klient (B) miteinander. A: »Ich schlage Ihnen vor, bei der Wohnungssuche erst einmal im Internet auf einer geeigneten Plattform nach Angeboten zu gucken.« (strukturierender Modus – kooperativer Modus) B: »Ja, aber damit hatten Freunde von mir so viele Scherereien. Ich glaube, das bringt nichts.« (widerspenstiger Modus zum dominierenden Modus) A: »Es gäbe auch die Möglichkeit, einen vertrauenswürdigen Makler zu Rate zu ziehen.« (strukturgebender Modus zum kooperativen Modus)
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B: »Ja, aber Sie wissen doch, was von Maklern zu halten ist. Die wirtschaften doch nur in die eigene Tasche!« (widerspenstiger Modus zum dominierenden Modus)
Die Beraterin A lässt sich nicht von dem Klienten B einladen, in einen dominierenden Modus zu wechseln. Sie kreuzt die Transaktion erneut, aber anders als vorher, verschiebt den Fokus und stellt eine Frage: A: »Was meinen Sie denn, was ein erfolgversprechender Weg wäre?« (klärender Modus zum klärenden Modus)
Wahrscheinlich reagiert der Klient B erstaunt – und es bleibt spannend! Ob er die Einladung in den klärenden Modus annimmt? Eine Kreuzung von Transaktionen wird oft auch durch systemische Fragen ausgelöst, weil sie vertraute Muster irritieren (s. Kap. 6.2): 9. Ein Lehrer (A) berichtet seinem Supervisor (B) ein Problem mit einem Schüler. A: »Der Schüler, um den es geht, ist so aufsässig und frech, auch zu anderen Kollegen. Das macht mich fertig!« (Satz 1: dominierender Modus zum dominierenden Modus; Satz 2: überangepasster Modus zum überfürsorglichen) B: »Was tut er, was Sie als aufsässig und frech bezeichnen?« (klärender Modus zum klärenden Modus)
Hier verschiebt der Supervisor den Fokus von einer zugeschriebenen Eigenschaft eines Schülers zu dessen Verhalten und umgeht die Einladung in die Retterrolle, beispielsweise gemeinsam über den Schüler zu klagen. Damit eine gewünschte Verhaltensänderung tragfähig, stabil und belastbar ist, braucht es im Inneren eine Musterveränderung und einen Ich-Zustands-Wechsel. Dieser kann zum Beispiel durch eine Transaktion angestoßen werden, in der die Antwort auf einen Stimulus ein altes Muster nicht bedient und damit eine Irritation auslöst. Es ist das Ziel transaktionsanalytischen Arbeitens, auf diese Weise das Einüben eines Ich-Zustands-Wechsels mit einem Ver-
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
halten anzuregen, das antithetisch zum Lebensskript ist. Der IchZustands-Wechsel wird im Außen durch einen Moduswechsel deutlich – in Worten und in der Körpersprache. In seinem Artikel »Ichzustandswechsel gewünscht!« schreibt Günther Mohr: »Der Ichzustandswechsel wird auf Transaktionsebene merkbar. Da ein kompletter Ichzustand aus Denken, Fühlen und Verhalten besteht, hat er auch eine ›innere‹ Seite. Zielrichtung der transaktionsanalytischen Arbeit ist nicht nur ein kurzfristiges spotartiges Antesten eines anderen Ichzustands, sondern ein langfristiger Ichzustandswechsel in Richtung geeigneterer Optionen« (2015, S. 167 f.). Damit aus einem Ichzustandswechsel ein neues Muster wird, braucht es Übung und eine einladende Intervention, die den Startpunkt für diese Veränderung bildet, wie Mohr weiter schreibt. Verdeckte Transaktionen Die dritte Kommunikationsregel von Berne lautet: Bei der verdeckten Transaktion fällt die Entscheidung über den Fortgang der Kommunikation auf der verdeckten, psychologischen Ebene und nicht auf der sozialen.
Bei doppelbödigen oder verdeckten Transaktionen werden auf der psychologischen Ebene Botschaften vermittelt, die über die gesagten Worte hinausgehen. Sie sind nicht mit ihnen kongruent, können ihnen vielleicht sogar völlig widersprechen und dadurch das Gegenüber irritieren. Die Botschaften auf der psychologischen Ebene werden durch nonverbale Signale wie Mimik, Gestus, Blicke, Stimmklang, Körperhaltung transportiert. Sie bringen oft innere Haltungen zum Ausdruck und sind manchmal der Absenderin gar nicht bewusst. Doch sie zeigen etwas, das entscheidend ist für die Beziehung und nicht zur Sprache kommt. Hier gibt es eine Verbindung zu den Grundpositionen, die in Kapitel 2.2 erläutert werden. Auch hier erwähnten wir, dass die innere Gestimmtheit eines Menschen sich oft unbewusst über kurz oder lang einen eigenen Ausdruck sucht. Das Gegenüber reagiert verstört auf die
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Inkongruenz zwischen Worten und nonverbalen Signalen und bezieht sich in Worten, Körpersprache und seinem Verhalten in der Regel auf die Ebene der verdeckten Botschaft. Das hätte in Beispiel 2 zwischen der Vorgesetzten und ihrer Mitarbeiterin der Fall sein können, wenn die Nachfrage in einem genervten Ton gestellt worden wäre. Auch bei einem Flirt wird die verdeckte Ebene bewusst oder unbewusst bespielt (»Darf ich Ihnen bei mir zu Hause noch ein paar neue Stücke unserer Blues-Band vorspielen?«), das Gegenüber reagiert dann, wenn die Anziehung auf Gegenseitigkeit beruht, wahrscheinlich nicht verstört, sondern eher amüsiert oder erfreut und spielt bewusst mit! (»Oh, wie interessant! Woher wissen Sie, dass ich mich gerade für Blues interessiere?«) In den folgenden Beispielen kennzeichnen wir die verbalen Äußerungen mit dem Begriff soziale Ebene, die nonverbalen Äußerungen mit psychologische Ebene: 10. Die Vorgesetzte (A) ist mit ihrer Mitarbeiterin (B) im Gespräch (siehe Abbildung 31). A: Soziale Ebene: »Denken Sie daran, die Sachen wegzustellen – wie besprochen?« (strukturierender Modus zum kooperativen Modus) Psychologische Ebene: hochgezogene Augenbrauen, scharfer Stimmklang. (dominierender Modus zum überangepassten/widerspenstigen Modus) B: Soziale Ebene: »Oh, Entschuldigung, das hab ich völlig vergessen. Wie dumm von mir! Ich erledige es sofort!« (überangepasster Modus zum dominierenden Modus) Psychologische Ebene: sackt ein wenig in sich zusammen, hohe Stimme, hohes Sprechtempo, geweitete Augen. (überangepasster Modus zum dominierenden Modus)
Fast brauchte die Vorgesetzte gar nichts zu sagen: Ihre nonverbalen Signale sind eindeutig, und es ist spürbar, welche Wirkung sie haben. Dies zeigt, dass der Unterschied zu dem Beispiel 2 nur scheinbar klein, tatsächlich aber von großer Bedeutung für die Beziehung ist.
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Abbildung 34 Verdeckte Transaktion
Person A
Person B
dominant
überfürsorglich
dominant
überfürsorglich
strukturierend
nährend
strukturierend
nährend
klärend
klärend
kooperativ/ widerstandsfähig
spontan
kooperativ/ widerstandsfähig
spontan
überangepasst/ widerspenstig
rücksichtslos
überangepasst/ widerspenstig
rücksichtslos
Abbildung 31: Verdeckte Transaktion 36
Auch im folgenden Beispiel wird deutlich, dass sich eine unbewusste innere Haltung eine Ausdruckmöglichkeit sucht. 11. Ein Abteilungsleiter (A) kündigt am Ende einer Besprechung mit seinem Team (B, C, D) eine Veränderung der vertrauten zeitlichen Struktur an. A: Soziale Ebene: »Mir ist aufgefallen, dass wir bei unseren Teambesprechungen oft in Zeitdruck geraten. Darum werden wir ab nächster Woche immer eine halbe Stunde früher beginnen.« (strukturierender Modus zum kooperativen Modus) Psychologische Ebene: Schultern nach vorn, lächelt, nickt mit seitlich geneigtem Kopf, leise Stimme. (überangepasster Modus zum dominierenden Modus) B: Soziale Ebene: »Also, das passt mir überhaupt nicht!« (dominierender Modus zum überangepassten Modus) Psychologische Ebene: laute Stimme, gerunzelte Stirn. (dominierender Modus zum überangepassten Modus) C und D: Soziale Ebene: beredtes Schweigen. Psychologische Ebene: wenden sich einander zu, Kopfschütteln, hochgezogene Augenbrauen, geräuschvolles Einatmen. (dominierender Modus zum überangepassten Modus) Der Abteilungsleiter verlässt mit den Worten »Bis nächste Woche!« den Raum. In der Woche darauf kommen B und C 20 Minuten zu spät.
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Die Unsicherheit des Abteilungsleiters gibt den Ausschlag dafür, dass der vorverlegte Zeitpunkt nicht eingehalten wird. Im Coaching erzählt er von dieser Situation, die anderen ähnelt, in denen das Team sich nicht an seine Ansagen gehalten hat. In einer nachgestellten Situation wird ihm klar, dass seine Körpersprache seine verbalen Ausführungen torpediert – und ausschlaggebend für den Verlauf ist. In einem stärkenden Coaching-Prozess verändert der Abteilungsleiter seine innere Haltung und arbeitet nun erfolgreich und humorvoll mit seinem Team. Zu guter Letzt berichten wir von einem Beispiel, in dem eine Ärztin in ihrer Professionsrolle gefragt ist. Es wird deutlich, dass jede Profession neben ihrer Fachlichkeit auch einen kommunikativen Aspekt hat – sei es in Bezug auf Patienten, Schülerinnen, Klienten, Kundinnen oder in Bezug auf ein kollegiales Umfeld mit unterschiedlichen hierarchischen Rollen. Die Beachtung dieses Aspektes unterstützt Menschen in ihrer Fachlichkeit und in ihrem Erfolg und veranschaulicht, wie konstruktiv sich eine hohe Bewusstheit über Transaktionen auswirken kann. Eine Ärztin teilt einem Patienten nach einer Untersuchung mit, dass er an einer lebensverkürzenden Krankheit leidet.
Es macht einen Unterschied, ob die Ärztin dem Patienten die schwierige Diagnose sachlich-nüchtern oder zugewandt und fürsorglich mitteilt, auch wenn die Worte die gleichen sein mögen. Ein sachlicher Ton – so angemessen er in anderen Situationen sein mag – kann hier vom Patienten als Ausdruck mangelnder Resonanz auf der emotionalen Ebene erlebt werden. Würde sich die Ärztin entscheiden, bei der Mitteilung der schwierigen Botschaft neben dem klärenden auch ihren nährenden Modus zu aktivieren, könnte das Gegenüber auf der emotionalen Ebene im spontanen Modus reagieren. Schwingungsfähig zu sein für Gefühle und gleichzeitig klar auf der sachlichen Ebene, gehört zur großen Kunst professioneller Beziehungsgestaltung. Auf der psychologischen Ebene werden jenseits von Worten 93 Prozent der beziehungsrelevanten Informationen durch Gestik, Mimik, Stimmklang und Blicke gesendet. Mit dem Wissen um diese
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zweite oder psychologische Ebene können wir die eigene Resonanz auf das Gegenüber bewusst spüren, ohne die dadurch in Schwingung versetzten Saiten des eigenen Instruments, unserer Persönlichkeit, unmittelbar antworten zu lassen. Vielmehr können wir mit wachsender Bewusstheit und Übung zum Beispiel Ängstlichkeit versuchen zu beruhigen oder zu benennen, ohne im Gespräch sachliche Informationen zu unterschlagen. Für das Beispiel der Ärztin sind verschiedene mögliche Verläufe denkbar: Wenn die Ärztin die Botschaft einspurig auf eine nüchtern-sachliche Art überbringt, lässt sie die Beziehungsebene außer Acht: Der Patient wird durch die Ansprache reduziert auf einen Informationsempfänger und eingeladen, sich auch so zu verhalten. Er wird sich wahrscheinlich bemühen, keine Gefühle zu zeigen, sachliche Fragen zu stellen, und falls ihm dies nicht gelingt und er beginnen sollte zu weinen, wird es ihm peinlich sein – und der Ärztin auch. Zerfließt die Ärztin selbst vor Mitleid und kann ihre eigenen Gefühle nicht kontrollieren, so wie es Kindern entsprechen würde, kann sie sich nicht mehr dem Patienten zuwenden. Sie lädt ihn in einen überfürsorglichen oder dominierenden Modus ein. Vielleicht beginnt er, sie zu trösten, oder er wird ärgerlich und weist den Gefühlsausbruch zurück. Womöglich fühlt er sich auch eingeladen, ebenfalls eine kindliche Position einzunehmen und beide weinen. In jedem Fall geht es dann nicht mehr nur um den Patienten, um seine Krankheit und um das, was er jetzt braucht. Gelingt es der Ärztin, zwischen sich und dem Patienten zu unterscheiden, bewusst alle konstruktiven Modi mit Energie zu besetzen und sich in ihn antizipierend hineinzuversetzen, würde dies im besten Sinne einer professionellen Haltung entsprechen. Es braucht ihre Bereitschaft, ihr Vermögen und ihr Wissen, um sich auf alle möglichen Verhaltensweisen einzustellen, die der Patient zeigt. Die Ärztin kann ihn auch fragen, was er jetzt braucht. Will er sich vor aufkommenden Gefühlen schützen, bleibt sie sachlich in ihren Worten und hat ein Auge auf seine Körpersignale. Beginnt er zu weinen, kann sie dies zulassen und respektvoll still oder mit wenigen Worten abwarten. Wenn die Ärztin also den Ausdruck des Patienten wahrnehmen kann, wird sie die
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Verhaltensmöglichkeiten wählen können, die ihrer Rolle entsprechen und die für den Patienten hilfreich sind.
Das Gleiche gilt für einen Vorgesetzten, der einen Mitarbeiter über dessen betriebsbedingte Kündigung in Kenntnis setzen muss. Nicht selten hört man von Betroffenen: »Dass ich den Betrieb verlassen musste, war schlimm – aber die Art und Weise, wie mir meine Führungskraft das mitgeteilt hat, war noch schlimmer.« Den eigenen Spielraum in der professionellen Kommunikation zu vergrößern heißt also, bewusst das integrierende ErwachsenenIch mit Energie besetzen zu können und dadurch »Einladungen« in andere Ich-Zustände nicht anzunehmen. Die bewusste Wahrnehmung, welche Reaktion beziehungsweise welchen Modus jemand schon mit wenigen Worten oder gar einem bestimmten Blick oder Tonfall bei einem Menschen auslöst, befähigt die Ärztin oder den Personalchef, auf eine Metaebene zu wechseln, schafft damit Gestaltungsspielraum und unterbricht ungute Dynamiken. Gleichzeitig trägt diese Achtsamkeit in der eigenen Selbststeuerung ganz wesentlich zu gelingender Kommunikation bei. Die Chance, dass die Inhalte eines ärztlichen Aufklärungsgesprä ches von Patienten wirklich als Informationen verstanden und gespeichert werden, ist wesentlich größer, wenn der Arzt den Patienten zuvor aus einem nährenden Modus angesprochen und gefragt hat, was er in dieser Situation brauche. Vielleicht wäre ein Erfragen seiner Gefühle das Richtige; es könnte aber auch ein Abwarten oder noch etwas anderes sein – je nach Antwort des Patienten. Dieser Effekt ist auch in Prüfungssituationen deutlich zu beobachten: Die Schwierigkeit einer ängstlichen Prüfungskandidatin, auf ihr Wissen zuzugreifen, kann vielleicht aufgelöst werden, wenn die Prüferin sich mit einer fokussierten Transaktion aus dem nährenden Modus erst einmal an den ängstlichen, überangepassten Teil der Kandidatin wendet, beispielsweise mit folgender Frage: »Ich merke, dass Sie sehr aufgeregt sind. Kann ich etwas für Sie tun, damit Sie sich wohler fühlen?« Erfahrungsgemäß kann die Kandidatin dann oft ihren klärenden Modus mit Energie besetzen und auf ihren Wissensschatz zugreifen, nachfragen oder anderweitig konstruktiv rea gieren.
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Rollenhierarchie und Transaktionen Neben den drei beschriebenen Arten von Transaktionen, mit denen wir persönlich zu anderen in Kontakt treten, brauchen wir auch ein Bewusstsein über unsere jeweilige Rolle innerhalb eines Systems. Dieser Blickwechsel ist oft bereichernd, weil er den Fokus weg von der Person auf das System lenkt und dadurch verhindert, dass Probleme einseitig psychologisiert und individualisiert werden. Hierarchische Beziehungen innerhalb von Systemen geben einerseits Sicherheit und stellen andererseits eine Herausforderung an alle Beteiligten dar. Das erste System, das Menschen kennenlernen, ist meistens die Familie. Deshalb übertragen sie oft die dort gemachten Erfahrungen auf Systeme, in denen sie später leben und arbeiten. Erlebten sie die Eltern als konstruktive Rollenträger, die ihre Macht zum Schutz, zur sinnvollen Begrenzung und zur Strukturierung nutzten und ihre Kinder in ihrer Autonomieentwicklung unterstützten, werden sie es später in ihrem Privat- und Arbeitsleben leicht haben, ihre jeweils unter- und übergeordneten Rollen konstruktiv auszufüllen. Waren ihre Erfahrungen hingegen schmerzlich oder gaben ihnen diese nicht genügend Halt, so kann man beobachten, dass sich Menschen in übergeordneten Rollen manchmal elterlich und von oben herab verhalten, also dominierend oder auch überfürsorglich sind, ebenso wie Menschen in untergeordneten Rollen sich manchmal überangepasst oder widerspenstig verhalten können. Damit übertragen sie Aspekte ihrer persönlichen Geschichte aus der Vergangenheit in ihr gegenwärtiges Erwachsenenleben und verwechseln beispielsweise ihre Organisationsrolle mit der Rolle, die sie in ihrer Ursprungsfamilie innehatten. Gelingt es Rollenträgerinnen in übergeordneten Rollen, die Grenze und den Unterschied zwischen elternhaft überkritischem oder überfürsorglichem Verhalten einerseits und rollenadäquater Orientierung und Fürsorge andererseits zu erkennen und zu beachten, stimulieren sie bei ihren Mitarbeitern eher eine rollenangemessene Anpassung oder auch konstruktiven Widerspruch und schaffen damit die Grundlage für eine konstruktive Kommunikation. Umgekehrt gilt das Gleiche: Wenn sich Menschen wegen ihrer untergeordneten Rolle klein fühlen und sich entsprechend überanpassen oder dauerhaft eine rebellische Haltung einnehmen, laden
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sie ihr Gegenüber in ein überfürsorgliches oder dominierendesVerhalten ein. Dadurch entstehen womöglich Missverständnisse. In beiden Rollen, über- und untergeordnet, ist es hilfreich und erfolgversprechend, das eigene Bewusstsein zu schärfen und so seine jeweilige Rolle aus einem integrierenden Erwachsenen-Ich-Zustand auszufüllen. Schneider (2016) stellte mit der Abbildung 32 das Strukturmodell der Ich-Zustände und eine Rollengrafik zusammen. Durch die Unterscheidung von Person und Rolle wird einerseits die naheliegende Gefahr einer Verwechslung deutlich und andererseits die Möglichkeit sichtbar, diese Gefahr durch Bewusstheit aufzulösen. Aus allen Rollen heraus kann dann erwachsen gehandelt werden im Sinne des integrierenden Erwachsenen-Ichs, das erwachsenes Denken, Fühlen und Verhalten beinhaltet, wie in der Abbildung 32 Abbildung 35 Rollenintegrierte Transaktionsanalyse visualisiert.
Rolle
Person
Person
Rolle
übergeordnet
EL
EL
übergeordnet
gleichgeordnet
ER
ER
gleichgeordnet
untergeordnet
K
K
untergeordnet
Abbildung 32: Rollenintegrierte Transaktionsanalyse nach Schneider (2016) 37
Rollenleiter Bernd Schmid entwickelte das Drei-Welten-Modell (siehe auch Kapitel 5.1), in dem er die Organisationswelt, die Professionswelt und die Privatwelt und entsprechend die Organisationsrolle, die Professionsrolle und die Privatrolle unterscheidet. Damit kennzeichnet er drei Ebenen, auf denen die Transaktionen innerhalb eines Systems stattfinden.
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Jeder Mensch, der in einer Organisation arbeitet, lebt in diesen drei Welten und ist Träger dieser drei Rollen, die durchaus miteinander kollidieren können. Besteht darüber bei den Beteiligten keine Bewusstheit, geraten diese Ebenen durcheinander und es entsteht eine Irritation – derselbe Effekt wie bei den gekreuzten TransRollenleiter-Modell aktionen. Bernd Schmid machte dies mit der Grafik einer Leiter deutlich (Abbildung 33).
Organisationsrolle
Organisationsrolle
Professionsrolle
Professionsrolle
Privatrolle
Privatrolle
Abbildung 33: Rollenleiter nach Schmid (1994)
Kommunizieren Menschen in diesem Leitermodell auf der gleichen Ebene, gibt es keine Missverständnisse. Befinden sie sich auf verschiedenen Ebenen, könnte ein Gespräch zwischen einer Abteilungsleiterin (A) und ihrem Firmenchef (B) so ablaufen: A: Ein Mitarbeiter kommt in letzter Zeit oft erheblich zu spät. Darunter leidet seine Arbeit. Er sagt, seine Frau sei krank und er müsse die Kinder in die Kita bringen, dafür müssten wir Verständnis haben. B: Da muss er aber eine andere Lösung finden. Das kann ja nicht auf Kosten der Firma gehen.
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A: Es wäre gut, wenn Sie mal mit ihm reden. Bei mir appelliert er an meine Rolle als Mutter und unterstellt mir Hartherzigkeit!
Abschließend können wir sagen, dass eine feine Selbst- und Fremdwahrnehmung, eine hohe Bewusstheit und umfassendes Wissen über die Wirkungsweise von Transaktionen die Möglichkeit erhöhen, konstruktiv auf die Kommunikation und auf die Wirklichkeit Einfluss zu nehmen und sie in allen Kontexten unseres Lebens zunehmend aktiver zu gestalten. Werkzeugkiste »Ein Wunsch frei« (S. 287 f.) Vertiefende Literatur Mohr, G. (2015). Ichzustandswechsel gewünscht! Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 32, 2, 165–169. Schulz von Thun, F. (1998). Miteinander reden 3 – Das »innere Team« und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: Rowohlt. Sejkora, K., Schulze, H. (2016). Die Kunst der starken Führung. Persönliche Potentiale kraftvoll nutzen – die Ressourcen der Mitarbeiter stärken. Bielefeld: Fischer & Gann.
5.3 Von symbiotischer Verstrickung zur Verantwortungsübernahme: Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen »Man muss verantworten, was man tut – aber auch, was man unterlässt.« Bernd Schmid Wir beginnen mit einem Beispiel: Eine Mutter zeigt sich im Beratungsgespräch verzweifelt und äußerst frustriert, dass all ihre Bemühungen, ihren 14-jährigen Sohn in seiner Schulkarriere zu unterstützen, letztendlich nichts bewirkt haben. Nachdem er letzte Woche – nach monatelanger Unterstützung durch einen Nachhilfelehrer – in der zentralen Klassenarbeit in Mathematik eine Sechs geschrieben habe, sei sie nun am Ende mit ihrem Latein. Dabei habe sie nun wirklich alles getan, was ihr als Mutter möglich war.
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Sie habe immer Interesse gezeigt für seine schulischen Themen, ihn rechtzeitig an bevorstehende Klassenarbeiten erinnert, einen guten Nachhilfelehrer gesucht und ihm sogar einige Entspannungstechniken beigebracht, um den Stress während der Klassenarbeiten zu reduzieren. Und nun dies! Ihre Frage an die Beratung sei, was sie denn noch tun könne. Schließlich sei ein guter Schulabschluss doch die Eintrittskarte für eine gute berufliche Zukunft, oder?
Gut gemeint – und doch daneben? In diesem Beispiel zeigt die Klientin ein hohes Engagement in ihrer Rolle als Mutter und erlebt dennoch mit zunehmender Frustration, dass die von ihr zur Verfügung gestellte Energie keine wirkliche Veränderung bewirkt. Genau hier will der Ansatz der »Schiff-Schule« in der Transaktionsanalyse (siehe unten) Abhilfe schaffen. Er ermöglicht es, durch seine klaren Konzepte den Blick zu schärfen für Verhaltensmuster, die bei allem Energieeinsatz einer Lösungsorientierung doch eher im Wege stehen – wie das Verhalten der Mutter zeigt. Er bietet eine klare Orientierung für die Selbststeuerung und erleichtert die Beantwortung folgender Fragen: Wann kann eingesetzte Energie im Hinblick auf ein gewünschtes Ziel Wirksamkeit entfalten? Wie können sich Beziehungen zwischen Personen oder auch Systemen so weiterentwickeln, dass langfristig Energieverlusten vorgebeugt wird? So können mehr Wirksamkeit und Reife in der Gestaltung von privaten oder professionellen Beziehungen entstehen. Die »Schiff-Schule« Jacqui Lee Schiff, eine amerikanische Sozialarbeiterin, bereicherte die Transaktionsanalyse mit einem eigenen Ansatz, der inzwischen unter der Überschrift »Passivitätskonzept« nicht mehr aus der Theorienlandschaft der Transaktionsanalyse wegzudenken ist. Erstaunlicherweise entwickelte sie ihre Konzepte aus der Arbeit mit Menschen, bei denen psychotische Störungen diagnostiziert worden waren. Anstatt psychopathologische Diagnosen zu stellen und Psychopharmaka zu verabreichen, versuchte sie die Wirklichkeitskonstruktionen und das Verhalten dieser Menschen zu verstehen und feinsinnig zu beschreiben. Was genau denkt und tut ein Patient mit jugendlicher Schizophrenie, während er ganz
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offensichtlich seine Energie nicht nutzt, um Verantwortung für seine Lebensgestaltung zu übernehmen? Geleitet von dieser Frage kam sie zu wesentlichen Erkenntnissen. Sie war obendrein unerschrocken genug, daraus einen sozialtherapeutischen Ansatz zu entwickeln und ihn im häuslichen Kontext zu erproben. Ihre Grundidee: Wenn Menschen wie ihr Pflegesohn unter dem Einfluss eines verrücktmachenden Eltern-Ichs und eines ängstlich verrückten Kind-Ichs keine gesunde Autonomie entwickeln konnten, so könnte vielleicht die therapeutische Erfahrung einer fürsorglichen und Orientierung gebenden Beelterung in seiner neuen Familie heilsam sein und ver-rückte Wirklichkeitskonstruktionen auflösen und zurecht-rücken. Dieser gewagte und mutige Ansatz, den Jacqui Lee Schiff in dem Buch »Alle meine Kinder« (Schiff u. Day, 1980) beschrieb, bewirkte in ihrer Nachbarschaft im Amerika der 1970er Jahre viel Irritation und führte schließlich zu ihrem Entschluss, Amerika zu verlassen. Gleichzeitig wurde ihr sogenanntes »Cathexis-Konzept« (EnergieBesetzungs-Konzept) in einigen Kliniken in Holland und Deutschland eine inspirierende Grundlage einer neuen stationären Therapie von Patienten mit sogenannten »frühen Störungen«, zum Beispiel in der Psychosomatischen Klinik Grönenbach. Statt der Pflegefamilie von Jacqui Lee Schiff wurde nun die Klinikstation zum Beelterungskontext, in dem Patienten heilsame Erfahrungen machen konnten. Birger Goos, Psychiater und Transaktionsanalytiker der ersten Generation in Deutschland, adaptierte den Ansatz für seine ambulante Therapie von Psychotikern. Bis zu seinem frühen Tod widmete er sich mit Hingabe diesem Thema. Die Konzepte der »Schiff-Schule«, wie Dysfunktionale Symbiosen, Passives Verhalten, Ebenen der Abwertung usw., erwiesen sich längst als äußerst brauchbare Scheinwerfer, mit deren Hilfe Phänomene jenseits des klinisch-psychiatrischen Anwendungsbereiches erhellt und so auch dysfunktionale Dynamiken einer Organisation genau erfasst werden können. Vielleicht ist es gar nicht so verwunderlich, wenn doch immer wieder von verschiedenen Autoren auf die verrückten Seiten von Organisationen hingewiesen wird, zum Beispiel von Martin Wehrle (2011): »Ich arbeite in einem Irrenhaus – vom ganz normalen Büroalltag«.
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Die »Schiff-Schule« ermöglicht es, das gleiche Konzept sowohl zum Erfassen einer Beziehungsdynamik bei einem Paar und zwischen Abteilungen einer Organisation sowie zur Analyse einer kurzen Gesprächssequenz zu nutzen. Darin liegt ihr Charme. Mit diesem Ansatz ist es möglich, detailliert wahrzunehmen, wie wiederholte Mustererzeugung im Kleinen zur Etablierung von Beziehungsstrukturen im Größeren führen kann. Das bietet weitreichende Chancen für Interventionen. Im Folgenden stellen wir die einzelnen Konzepte vor. Symbiotische Strukturen Der Begriff Symbiose kommt aus der Biologie und bezeichnet das Zusammenspiel zweier für das Überleben aufeinander angewiesener Lebewesen. In der Psychologie wird zwischen gesunder und ungesunder Symbiose unterschieden. So wird die frühe Mutter-Kind- Bindung im Kern als gesunde Symbiose bezeichnet, ist doch der kleine Säugling elementar auf die elterliche Versorgung angewiesen, um sich gut zu entwickeln. Auch am Lebensende können Menschen wieder auf eine gesunde Symbiose angewiesen sein: Pflegende Angehörige oder Professionelle stellen Funktionen zur Verfügung, die der alte Mensch nicht mehr aktivieren kann. Mit dem zunehmenden Auftreten von Demenz und Alzheimer wird es notwendig werden, neben Bilder vom kompetenten und autonomen Alten auch liebevolle Bilder von einer Rückkehr in eine gesunde Symbiose zu stellen. In Abgrenzung zur gesunden Symbiose spricht Bernd Schmid von ungesunden oder dysfunktionalen Symbiosen, wenn durch sie die Entwicklung gehemmt und Verantwortung verschoben wird. Bisweilen wird sogar das aus nicht übernommener Verantwortung entstehende Unbehagen verschoben. Im Beispiel zu Beginn des Kapitels ist die Mutter ganz offensichtlich in eine ungesunde Symbiose mit ihrem 14-jährigen Sohn geraten. Sie organisiert Hilfe, sie weiß, wann die Klassenarbeiten geschrieben werden, sie erinnert ihn daran zu üben etc. So ermöglicht sie es ihm, seine Aufmerksamkeit auf anderes zu richten. Offensichtlich ist auch das Unbehagen bei ihr gelandet, denn sie berichtet davon, dass ihre Stimmung nach einer schlechten Note im Keller sei, wäh-
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rend sich ihr Sohn – offensichtlich recht unbeeindruckt – mit seinen Freunden verabrede. Auch in einem Beratungsgespräch können wir dysfunktionalsymbiotisches Verhalten entdecken, wenn der Berater geduldig erträgt, dass die Klientin auf fokussierte Fragen weitschweifig ausholt und er sich zunehmend anstrengt, alles zu behalten. Auf diese Weise muss die Klientin sich nicht verantwortlich dafür zeigen, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und ihren Redefluss auf das Thema zu fokussieren. Wenn auf diese Weise dem Berater am Ende der Sitzung der Kopf raucht und er sich angestrengt fühlt, dürfte das Unbehagen dann endgültig bei ihm gelandet sein. Auch wenn eine Beraterin sich angestrengt bemüht, mit dem zu leisen, zu lauten oder zu schnellen Sprechen des Klienten klarzukommen und zum Beispiel ihren Sitzabstand verändert, ist das zwar eine freundliche Geste, aber eben auch dysfunktional symbiotisch. Sie erlaubt auf diese Weise dem Gegenüber, seine alten Muster beizubehalten, und sammelt Rabattmarken, wie in Kapitel 3.2 beschrieben. Das Gleiche gilt, wenn ein Berater Gesprächspausen nicht aushält, sondern immer wieder durch neue Fragen ausfüllt und damit den Gesprächsfluss einseitig versucht aufrechtzuerhalten. Die Veränderung von symbiotischer Beziehungsgestaltung zu autonomer Bezogenheit ist ein zentraler Fokus der Entwicklung in der Transaktionsanalyse. Die nachfolgenden Konzepte laden dazu ein, die feinen Mechanismen im Denken und Verhalten zu identifizieren, die eine Symbiose verstärken. Indem sie diese ins Bewusstsein bringen, stimulieren sie heilsame Musterunterbrechungen. Das Konzept der Passivität Schiff und Day (1980) haben in ihrer Arbeit zum Phänomen der Passivität zwei Ebenen unterschieden: internes passives Denken und passives Verhalten, das von außen beobachtbar ist. 1. Passives Denken Der Mechanismus des passiven Denkens kann mit der Abbildung 34 erläutert werden. Um eigene Lösungsfähigkeiten einzusetzen, braucht eine Person die mit den verschiedenen Stufen skizzierten notwendi-
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gen inneren Schritte: Sie muss ein Problem erst einmal überhaupt wahrnehmen, ihm eine Bedeutung geben, es prinzipiell für lösbar und sich selbst zu einer Lösung für fähig halten. Die Nichtwahrnehmung des Problems, das Ignorieren seiner Bedeutung, der fehlende Glaube an die allgemeine Veränderbarkeit und das Abwerten der persönlichen Lösungsfähigkeiten werden dagegen als Stufen passiAbbildung 37 Problemlösungsstufen ven Denkens bezeichnet. Persönliche Lösungsfähigkeiten Veränderbarkeit des Problems Bedeutung des Problems Anerkennung der…
Existenz des Problems
Abbildung 34: Abwertungs- und Problemlösungsstufen nach Schiff und Schiff (1971) 39
Im Ursprungsmodell der »Schiff-Schule« wird das Modell »Discountmatrix« genannt und ist deutlich komplexer. In der Praxis hat sich für uns dieses leichter anwendbare, einfachere Modell bewährt. Bernd Schmid spricht von Ebenen der Wirklichkeitsbegegnung und weist damit schon auf die systemische Bedeutung hin, dass Menschen sich im Hinblick auf die Bewältigung einer Situation auf verschiedenen Ebenen befinden können. Existenz, Bedeutung, Veränderbarkeit und persönliche Lösungsfähigkeiten können demnach entweder geleugnet und nicht wahrgenommen oder anerkannt werden. Man könnte dieses Modell auch gut Energiesparmodell nennen, denn es hilft dabei, wahrzunehmen, auf welcher Stufe sich mein Gegenüber im Hinblick auf die anstehende Veränderung befindet, um dann genau dort gezielt anzusetzen. So können Energieverluste bei der Lösung von Proble-
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men vermieden werden, die beim Ansetzen auf einer falschen Stufe unweigerlich entstehen würden. Menschen mit hoher Bereitschaft zur Veränderung gehen in der Regel davon aus, dass beim Gegenüber die gleiche persönliche Änderungsbereitschaft besteht. Darum setzen sie schnell auf der obersten Ebene der vereinfachten Discountmatrix an, wie das Beispiel der engagierten Mutter mit ihrem 14-jährigen Sohn zeigt: Sie organisiert Nachhilfe mit dem Ziel einer Leistungssteigerung ihres Sohnes und muss erleben, dass ihr hoher Einsatz an Zeit und Geld überhaupt keinen Erfolg bringt. Sie hat bei diesem Einsatz die ersten drei Stufen übersprungen, denn sie ging davon aus, dass ihr Sohn die schlechten Schulleistungen als Problem sieht (Stufe 1), diesem Problem Bedeutung gibt (Stufe 2) und die Situation grundsätzlich für veränderbar (Stufe 3) hält – so wie sie auch. Im Kontext der Beratung wird deutlich, dass der Sohn in einem Punkt zwar durchaus ihre Ansicht teilt und seine Noten schlecht findet (Stufe1); er misst dem aber – ganz im Gegensatz zu seiner Mutter – keine große Bedeutung bei, da die Schule ihm gerade ziemlich egal ist (Stufe 2). Bewegung kam erst in den Prozess, als die Mutter das Gespräch mit ihrem Sohn suchte und etwas über seine Sicht auf Schule, seine Skepsis gegenüber dem Leistungssystem usw. erfuhr. So konnte eine für beide neue Qualität in ihren Begegnungen im Kontext des Schulthemas entstehen. Das Interesse der Mutter an der Sichtweise ihres Sohnes in Bezug auf Schule war der Schlüssel für neue gemeinsame Suchbewegungen nach Lösungen. Statt den überfürsorglichen oder dominierenden Modus zu besetzen, konnte die Mutter sich bewusst aus ihrem klärenden und sachlichen Modus auf den entsprechenden klärenden Modus ihres Sohnes beziehen und so vieles über dessen Bezugsrahmen zum Thema »Leistung und Schule« erfahren. In dieser Atmosphäre, die der Sohn als »wohltuend erziehungsfreie Zone« bezeichnete, konnte er sich wiederum für ihre Sicht der Dinge öffnen und seine aktuelle Haltung zur Schule im Kontext seiner Zukunftswünsche nach einem möglichst selbstbestimmten Leben neu überdenken. Nachdem die Mutter ihren Bezugsrahmen dahin gehend erweitert hatte, dass ihr Sohn auch ohne Abitur ein gutes Leben haben könnte, fühlte dieser sich frei, nun seine Entscheidung zu treffen, nämlich die Schulkar-
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riere fortzusetzen und seine kritische Haltung gegenüber dem Leistungssystem eher in neuen Rap-Texten auszudrücken. Er konnte nun Autonomie zeigen – frei nach dem schönen Satz, dessen Schöpfer wir leider nicht mehr erinnern: »Wahre Autonomie ist es, etwas zu tun, obwohl andere es von uns erwarten.« Da auf der Ebene der Bedeutung sehr häufig unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen der Beteiligten Energie zehren und Konflikte schaffen, erscheint die Frage relevant, welche Interventionen hier Erfolg versprechen. Vielleicht ist der Ansatz von Haim Omer der interessanteste und dazu noch irritierend, stellt er doch vieles auf den Kopf, was üblicherweise in unseren Köpfen ist. Im Zusammenspiel des Transaktionsanalyse-Modells der Discountmatrix und dem systemischen Ansatz von Haim Omer über Kraftvolle Präsenz zeigt sich unseres Erachtens die Stärke der Verbindung beider Ansätze. Exkurs: Der Ansatz von Haim Omer Der israelische Psychologe Haim Omer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie Eltern und Pädagogen neue Wege in der Konfliktlösung mit Kindern und Jugendlichen gehen können, um Machtkämpfe und Ohnmachtsgefühle zu vermeiden. Wie andere Psychologinnen und Pädagogen auch sieht Haim Omer, dass sich Eltern bei Schwierigkeiten oft in Machtkämpfen mit ihren jugendlichen Kindern verlieren, sich in Spieldynamiken verwickeln lassen und am Ende in »vertrauten Verstimmungen« landen. Häufig beginne das Problem schon damit, dass Eltern Lösungsansätze für Probleme anbieten oder predigen, während ihr jugendlicher Sprössling das Problem entweder gar nicht sieht (»Ich verstehe gar nicht, warum du dich so aufregst«) oder diesem nicht annähernd dieselbe Bedeutung beimisst. Die Lösungsenergie ist also auf der Ebene der Bedeutung gebunden, und deshalb bringen auch noch so viele gute Lösungsvorschläge keine nachhaltige Veränderung. Haim Omer setzt darauf, dass Eltern ihre Energie sinnvoller in den Aufbau eines Kraftfeldes verwenden könnten, in dem sie ihren Themen Bedeutung verleihen könnten. Dazu bräuchten sie allerdings Präsenz im Sinne von persönlicher und seelischer Anwesenheit und nicht unter Zeitdruck formulierte Ansagen oder Predigten, die häufig auch noch aus der Verfolger- oder Opferrolle gesendet werden. Auch
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das Ankündigen oder Androhen von Konsequenzen hält er für wenig erfolgreich, denn das Achten auf die Einhaltung der angedrohten Konsequenzen sei anstrengend, häufig nicht erfolgreich und fast immer belastend für die sensible Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen. Überzeugt von der entlastenden Idee, man könne Menschen gar nicht kontrollieren, rät er dazu, auf Androhungen von Konsequenzen zu verzichten. Er schlägt vor, die Energie stattdessen für den Aufbau einer Haltung zu nutzen, die er kraftvolle Präsenz nennt. Dies ist für ihn ein Ausweg aus dem Dilemma von Macht und Ohnmacht. Die erfrischenden Gedanken, die Haim Omer im pädagogischen Kontext entwickelt hat, sind auf viele andere Kontexte übertragbar. Daher erzählen wir hier ein Beispiel aus dem Gemeinwesen einer kleinen Stadt: Ein großes Heim zur Unterbringung von mehreren Hundert Flüchtlingen soll gegenüber einer gerade neu entstandenen Siedlung mit Reihenhäusern für Familien gebaut werden. Eine Elterninitiative gründet sich mit dem Ziel, die Unterbringung von Geflüchteten in kleineren Wohneinheiten über die Stadt verteilt zu erreichen, da ihnen dies wesentlich sinnvoller erscheint. Ihre ersten Kontakte mit der Stadtverwaltung sind nicht gerade ermutigend. Die Vertreterinnen der Initiative berichten davon, sofort als ausländerfeindlich abgestempelt zu werden und wenig Resonanz für ihr Anliegen zu erhalten. Die aus dem dominierenden Modus erlebte Reaktion hätte eine schöne Einladung in eine destruk tive Dynamik sein können – mit heftiger Rebellion dagegen, der Androhung von Konsequenzen etc. Das Amt hatte Pech oder Glück, dass die Gruppe engagierter Frauen sich nicht in so ein Spiel einladen ließ. Vielmehr verstärkten sie ihr Kraftfeld, in dem sie weitere Unterstützung suchten, um regelmäßig beim Amt vorzusprechen – nicht um zu drohen, sondern um ihrer Sorge mit aller Deutlichkeit Ausdruck zu verleihen. Die Dauer ihres Besuches auf dem Amt richteten sie nicht nach der Reaktion der zuständigen Mitarbeiter, sondern nach ihren eigenen Energieressourcen. Mit den Worten »Wir verabschieden uns für heute und wir kommen wieder« hinterließen sie regelmäßig Irritation. Der Verzicht auf Eskalation und Drohungen, die den Mitarbeitern gegenüber bewahrte Haltung von freundlichem Respekt bei aller Klarheit des Anliegens durchkreuzten die erwartete Dynamik und hatten letztend-
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lich Erfolg. Die Bürgerinitiative kam zu ihrem Ziel, und in der Kleinstadt wurden mehrere kleinere Unterkünfte für Geflüchtete gebaut – ein Projekt, an dem sich andere Städte später orientierten.
Viele Beispiele aus dem pädagogischen Kontext ermutigen ebenso zu der Annahme, dass Eltern weniger Verschleiß an Energien haben und sich weniger in Machtkämpfen verlieren, wenn sie ihre Energie erst einmal auf den Ebenen einsetzen, auf denen sich ihr jugendliches Gegenüber im Hinblick auf das Konfliktthema befindet. Ist die Lösungsenergie auf den Stufen 1 (Existenz) oder 3 (Allgemeine Veränderbarkeit) gebunden – dann sollte auch auf dieser Ebene angesetzt werden. Hierzu geben wir einige Beispiele: Stufe 1 der Abwertungs- beziehungsweise Problemlösungsebene: Existenz Ein 16-jähriger Patient in einer Rehaklinik hat des Öfteren starken Körpergeruch, den er offensichtlich nicht wahrnimmt. Er leidet darunter, dass ihn gleichaltrige Patienten eher meiden. Allgemeine Hinweise auf Hygiene im Stationsrahmen brachten keine Änderung. Erst als ein Pfleger, der mit ihm eine gute Beziehung hat, den Geruch mit den wunderbaren Worten »Theo, du bist echt ein starker Typ – auch im Geruch!« anspricht, kann Theo die Existenz des Problems wahrnehmen und Schritte zur Veränderung angehen. Stufe 3 der Abwertungs- beziehungsweise Problemlösungsebene: Allgemeine Veränderbarkeit Eine Mutter berichtet in einer Beratung aus einer Opferhaltung heraus, dass sie die Stimmung zu Hause mit ihrer pubertierenden Tochter langsam nicht mehr aushalte. Aber da könne man einfach nichts tun – diese Jahre müsse sie einfach irgendwie durchstehen. Sie habe sich jetzt vom Hausarzt Psychopharmaka verschreiben lassen. Die Beraterin klärt mit ihr in der Sitzung, woher ihre Abwertung der allgemeinen Änderbarkeit der Situation kommt, und konfrontiert den Bezugsrahmen der Klientin offensichtlich erfolgreich, so dass die Mutter sich für die prinzipielle Möglichkeit einer Veränderung auch dieser Situation öffnen kann. Nun kann sie mit der Beraterin nach anderen Optionen als dem Griff zu den Psychopharmaka suchen.
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Besonders häufig bewegen sich die Beteiligten schon im Hinblick auf die Bedeutung in sehr verschiedenen Wirklichkeiten. Klassiker in dieser Hinsicht sind sicher Ordnung im Zimmer, Schulleistungen, Kleidung usw. Der Versuch, mit sanfter Beharrlichkeit und kraftvoller Präsenz für das eigene Anliegen einzustehen statt »Rabattmarken« zu sammeln und das volle Heft mit der Androhung von Konsequenzen einzulösen, ist lohnend – diese gekreuzte Transaktion (siehe Kapitel 5.2) kann sogar ein gewisses Vergnügen bereiten! 2. Passives Verhalten Dies ist ein wunderbar irritierendes Konzept – fallen doch unter die Formen passiven Verhaltens auch sehr energetisch aufgeladene Aktionen wie Eskalation. Passivität ist also keineswegs nur Nichtstun. Es ist damit vielmehr eine – unbewusste – Verweigerung gemeint, anstehende Herausforderungen anzugehen, obwohl dies angesichts des verfügbaren Informationsstandes und des gegebenen Handlungsspielraumes möglich wäre. Außer dem Nichtstun kann sie sich als Überanpassung, als Agitation oder in Form von Eskalation ausdrücken. Alle passiven Verhaltensweisen laden andere Menschen dazu ein, Probleme für den sich passiv Verhaltenden zu lösen. Dadurch sind sie nicht zielführend und als Rückzug aus einer verantwortlichen, erwachsenen Haltung zu begreifen und etablieren ungesunde symbiotische Beziehungsmuster. Wenn ein Berater bei einem Klienten passives Verhalten diagnostiziert, erlaubt er sich damit ein professionelles Urteil. Er sagt, dass es ein Problem gibt, dass diese Person es hat, dass sie es lösen könnte, wenn sie ihr volles – im integrierenden Erwachsenen-Ich vorhandenes – Potenzial nutzen würde. Sind wir uns mit systemischer Achtsamkeit bewusst, dass wir mit diesem Scheinwerfer nicht Wahrheiten, sondern hilfreiche Hypothesen ans Licht bringen, kann dieses Modell oft erstaunlich effizient Lösungsenergie freisetzen. Es ermöglicht dem Berater, dysfunktionale Verhaltensmuster des Klienten nicht nur in dessen beruflichem oder privatem Kontext aufzuspüren, sondern Entsprechungen auch im Beratungsgespräch selbst zu entdecken und damit ins unmittelbare Bewusstwerden und Erleben zu bringen.
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Im Folgenden werden wir die vier Formen passiven Verhaltens mit Beispielen illustrieren: Nichts tun Das Nichtstun einer Führungskraft kann sich darin zeigen, dass sie die schlechte Stimmung im Team und das Ansteigen der Krankmeldungen nicht anspricht, dass sie diesbezüglich auch nichts unternimmt und das Thema aussitzt. In einem Beratungsgespräch antwortet eine Klientin nicht auf eine gestellte Frage, sondern schweigt. Überanpassung Von Überanpassung wird gesprochen, wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter nicht klärt, weshalb sein Vorgesetzter in seinem Erleben in der letzten Zeit kritischer als sonst ihm gegenüber ist, sondern sich an die vermuteten und nicht überprüften Erwartungen anpasst. Auch die kleine Transaktion im Gespräch – die Beraterin wirft einen Blick auf die Uhr und die Klientin sagt: »Ja, ich komme gleich zum Schluss!« – kann mit dem Mechanismus der Überanpassung beschrieben werden.
Agitation Passivität kann sich auch im Deckmantel von Agitation zeigen. Dann sind im System viele, oft auch parallele Handlungen zu beobachten, die Energie verbrauchen, aber nicht zielführend für das anstehende Thema sind. Man erschöpft sich im Tun, ohne die Energie angemessen zu richten. Wer kennt nicht den erstaunlichen Aktivismus angesichts des drängenden Abschlusses der Steuererklärung. Da wird der Kühlschrank geputzt, der Rasen gemäht und manches mehr. Im Kontext eines Coaching-Gespräches kann sich Agitation auf Seiten des Coachees in einem Redestil ausdrücken, der wenig Bezug nimmt auf das verabredete Thema, sondern weitschweifig und mit Nebenschauplätzen dem Coach viel Material liefert, ohne dass dies hilfreich für die Problemlösung wäre. Auf Seiten des Coaches könnte sich Agitation in einem Überangebot an Methoden und Tools ausdrücken.
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Gewalt gegen sich und andere Bei der Eskalation von passivem Verhalten entlädt sich die meist mit Agitation aufgebaute Energie in Gewalt gegen andere oder sich selbst. Auch hierbei wird das Angehen des eigentlichen Problems vermieden: Der Chef reagiert auf wahrgenommenen Stress im Team mit einer explosiven Entladung und brüllt seine Mitarbeiter an (Gewalt gegen andere). Von Eskalation als Gewalt gegen sich selbst sprechen wir, wenn er nach Ende eines Meetings zur Flasche Whisky greift und sich betrinkt.
Auch das folgende Beispiel ist ein Ausdruck von Gewalt gegen sich selbst: In einem Beratungsgespräch bricht die Klientin die Sitzung an einer für sie sehr emotionalen Stelle ab und setzt sich in aufgewühltem Zustand ans Steuer, womit sie sich möglicherweise in Lebensgefahr begibt.
Vom Nutzen der Konzepte der »Schiff-Schule« Die Konzepte der »Schiff-Schule« lassen sich sehr gut nutzen, um den Stand der Kunst in Sachen Verantwortungskultur in Systemen zu beleuchten – sowohl auf privaten wie auf professionellen Bühnen. Entdecken wir zahlreiche passive Verhaltensmuster, können wir vermuten, dass es im System relevante Probleme mit der Übernahme von Verantwortung und damit dysfunktionale Symbiosen gibt. Richten wir den Scheinwerfer auf »Ebenen der Wirklichkeitsbegegnung«, können wir erkennen, welche Wirklichkeitskonstruktionen nicht zueinander passen. Im Folgenden können wir Hypothesen über die notwendigen Schritte zur Problemlösung bilden. Das Ziel auf der Ebene des Systems ist der Aufbau einer Verantwortungskultur, in der Beteiligte ein ungetrübtes Verständnis ihrer zur Rolle gehörenden Verantwortung haben und diese kontextangemessen ausfüllen. Systemisch gesehen ist es mittelfristig nicht sinnvoll, wenn Mitglieder eines Systems anderen Verantwortung abnehmen – sei es aus Freundlichkeit, skriptgeprägter Gewohnheit oder aus einem anderen Motiv heraus. Langfristig führt die Übernahme von Verantwortung, die eigentlich zu jemand anderem gehört, zu einem Verlust von Respekt und Würde. Notwendig und sinnvoll
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ist es aber, nicht übernommene Verantwortung ins System zurückzumelden und Menschen wirksam zu konfrontieren. Aus Sicht der Transaktionsanalyse haben Menschen skriptbedingt vermutlich einen guten Grund, Verantwortung abzulehnen oder aber sich Verantwortung zu nehmen, die gar nicht ihre ist. Diese Sicht erleichtert den Schritt, aus einer O. k.-o. k.-Haltung Verantwortungsthemen zu konfrontieren anstatt symbiotisch zu reagieren. Eine Konfrontation ist möglich auf der Ebene des Kontraktes oder des Themas, der Ebene der Beziehung und der Ebene der Muster. Während die beiden ersten Arten der Konfrontation in vielfältigen privaten wie professionellen Bezügen einsetzbar sind, ist die Konfrontation auf der Musterebene im Wesentlichen dem Kontext von Beratung, Therapie und Coaching vorbehalten. Auch ein Mitarbeitergespräch kann in diesen Kontext gehören, wenn es zum Selbstverständnis der Führungskraft gehört, zur Förderung der Mitarbeiter auch die Coaching-Perspektive einzunehmen. In einem anderen Kontext könnte zum Beispiel folgende Konfrontation auf der Musterebene als Anmaßung erlebt werden: »Mir fällt auf, dass du meine konkreten Fragen nicht wirklich beantwortest, sondern immer wieder neue Aspekte einbringst, die vom eigentlichen Thema abweichen. Ist dir das bewusst?«
Dagegen könnten die folgenden Konfrontationen auf der Themenebene beim ersten und auf der Beziehungsebene beim zweiten Beispiel vermutlich leichter aufgenommen werden: »Ich möchte dich kurz unterbrechen und dich bitten, einfach erst einmal nur meine Frage zu beantworten.« »Augenblick, ich kann dir nicht mehr richtig folgen, weil es so viel ist. Ich merke, dass ich in Gefahr bin abzuschweifen. Das will ich nicht, ich möchte gerne mit meiner Aufmerksamkeit ganz bei dir sein.«
Eine Konfrontation aus einer O. k.-o. k.-Haltung heraus ist in der Regel leichter möglich, wenn sie rechtzeitig erfolgt. Langes Abwarten – aus Höflichkeit oder Sorge, den anderen zu verletzen – birgt die Gefahr, dass sich irgendwann der aufgestaute Unmut mit einer schar-
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fen Bemerkung aus der psychologischen Verfolgerrolle Bahn bricht und damit eine Spieldynamik aktiviert wird. Je eher, desto besser! Die Konfrontation auf Musterebene im Coaching bietet eine wertvolle Möglichkeit für die persönliche Weiterentwicklung und das Verstehen und Verändern von skriptgebundenen Kommunikationsmustern. Besonders wenn das inhaltliche Thema des Coachee sich im Prozess der Beratung abbildet, sollten Coaches diese Chance zur Bewusstmachung und Veränderung von dysfunktionalen Mustern nutzen. Wenn ein Coachee mit dem Thema »Überlastung/Erschöpfung« zu uns kommt und wir in seinem Erzählstil erleben, wie er das Thema immer mehr ausweitet und dadurch mehr Durcheinander statt Klarheit erzeugt – tun wir dann wirklich gut daran, wenn wir zu Stift und Papier greifen und alles festhalten, was wir hören? Wir sorgen mit diesem Verhalten symbiotisch für den Coachee, weil wir zulassen, dass er eine Überfülle an Informationen erzeugt, und übernehmen statt seiner die Aufgabe, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Hier wäre eine frühe Konfrontation seines Musters hilfreich, denn dadurch könnte er vielleicht verstehen, auf welche Weise er sich immer wieder »mit gutem Grund« erschöpft (vermutlich durch eine Antreiberdynamik »Streng dich an«), und im Dialog mit dem Coach im kleinen, geschützten Rahmen neue Muster ausprobieren. Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Welche symbiotischen Strukturen erkennen Sie auf den verschiedenen Bühnen Ihres Lebens? – Welche von diesen Bühnen würden Sie eher als dysfunktional bezeichnen? Warum? – Haben Sie ein Bild von einer konstruktiven Symbiose? Welches? – Welche passiven Denk- und Verhaltensmuster können Sie in den jeweiligen Systemen entdecken? – Haben Sie ein Lieblingsmuster passiven Verhaltens? – Welche Systeme und Kontexte laden Sie eher zur Passivität ein? – Können Sie andere Menschen aus einer O. k.-o. k.-Haltung konfrontieren? – Wann gelingt es Ihnen leicht, wann ist es schwerer?
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– Was würde sich ändern, wenn es Ihnen Vergnügen bereiten würde, rechtzeitig nicht übernommene Verantwortung von anderen zu konfrontieren? – Wozu neigen Sie: unter Stress Verantwortung eher liegen zu lassen oder sie schnell an sich zu nehmen, auch wenn es nicht Ihre ist? – Welche Spuren finden Sie dazu in Ihrem Lebensskript? Werkzeugkiste »Entscheidungsfreiheit« (S. 289 ff.) Vertiefende Literatur Körner, B., Lemme, M. (2018). Neue Autorität in Haltung und Handlung. Ein Leitfaden für Pädagogik und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer. Kouwenhoven, M. (2008). Schwere Persönlichkeitsstörungen. Transaktionsanalytische Behandlung nach dem Cathexis-Ansatz. Wien: Springer. Omer, H., Schlippe, A. von (2011). Autorität ohne Gewalt. Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen. »Elterliche Präsenz« als systemisches Konzept (8. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schmid, B., Caspari, S. (2004). Symbiotische Beziehungen oder Wege zur Verantwortungskultur. Systemisches Coaching. Gevelsberg: EHP.
5.4 Dicke Luft? Frischer Wind in Beziehungen: Ausstieg aus psychologischen Spielen »Die Harmonie zwischen zwei Menschen ist niemals gegeben. Sie muss immer wieder neu erobert werden.« Simone de Beauvoir
Psychologische Spiele – ihre Dynamik und Auflösung Im letzten Kapitel ging es um die Schärfung der Wahrnehmung für Denk- und Verhaltensmuster, die dem Aufbau einer Kultur der angemessenen Übernahme von Verantwortung entgegenstehen können. Ein Kernelement solcher dysfunktionalen Prozesse ist die Abwertung wesentlicher Aspekte. Nun wird es darum gehen, wie aus anfänglicher Abwertung eine Dynamik entstehen kann, die mit »vertrauter Verstimmung« endet und damit alte Skriptmuster und -gefühle bestätigt und verfestigt – die Spieldynamiken.
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Mit der Veröffentlichung des Buches »Games people play« im Jahr 1964 hatte Berne ganz offensichtlich einen Nerv der damaligen Gesellschaft getroffen. Fünf Millionen verkaufte Bücher zeugen vermutlich von der Sehnsucht nach dem Glück in Beziehungen und dem Interesse, hinter die Kulissen manch vertrauter Inszenierungen auf privaten und beruflichen Bühnen zu schauen. Das Klima des beginnenden Ausbruchs aus stark ritualisierten Bezügen hin zu einer experimentellen Kultur offenerer Begegnung mit ihren neuen Lebensformen war sicherlich ein guter Nährboden in Kalifornien für die Ermutigung zu echtem Kontakt – von Berne als Intimität beschrieben. Bernes Verdienst war es, mit seinem Buch den Blick zu schärfen für unbewusste und gewohnte Muster in Beziehungen, die aber mit vertrauten Verstimmungen endeten und eben nicht mit einem Erleben von Intimität und Glück. Auch über 60 Jahre nach Bernes großem Wurf ist das Thema noch aktuell, und das Konzept bietet sich an, Dynamiken zu verstehen und Wege des lösungsorientierten Ausstiegs aus unguten Mustern zu bahnen. Hierzu ein Beispiel: Ein Berater berichtet in der Supervision von einer Erfahrung aus seiner selbstständigen Coaching-Praxis, die ein ungutes, wenn auch vertrautes Gefühl bei ihm hinterlassen habe. Er fühle sich ausgenutzt und nicht wertgeschätzt in seinem Engagement für einen Coachee, der sich am Freitag vergangener Woche mit einem dringenden Terminwunsch bei ihm gemeldet habe. Er, der Berater, sei ihm aufs Wärmste empfohlen worden und er selbst setze jetzt, nach einer enttäuschenden Erfahrung mit einem anderen Berater, seine ganze Hoffnung in ihn. Trotz seines vollen Terminkalenders habe er dem Coachee einen Termin für Montag angeboten, den dieser mit der Begründung ablehnte, dass er seine Entscheidung dann bereits getroffen haben müsse. Daraufhin sei er dem Coachee mit einem Termin am Samstag um zehn Uhr entgegengekommen, obwohl das sein geliebter Markttag sei, an dem er sich immer mit Freunden treffe. Im Coaching am Samstag habe er dann sein Bestes gegeben, aber gemerkt, dass der Coachee alle seine Lösungsideen mit unterschiedlichsten Argumenten als nicht umsetzbar verworfen habe. Als er nach zwei Stunden
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das Ende des Gesprächs ankündigte, habe der Coachee ihn mit einer harschen Reaktion völlig irritiert. Der sich zuvor als hilfesuchend zeigende Mann sei laut geworden und habe ihn heftig kritisiert: wie er es sich denn vorstelle, ihn jetzt ohne wirkliche Lösung gehen zu lassen? Er sei auch nicht besser als der vorherige Berater. Er habe seine Visitenkarte für die Rechnungsstellung auf dem Tisch liegen lassen und sei dann mit sichtlichem Unmut gegangen. Auch wenn der Coach seine Freunde im Anschluss an das Coaching noch kurz getroffen habe, sei seine Stimmung für den Rest des Tages gründlich getrübt gewesen. Alte Zweifel an seiner Kompetenz als Coach hätten ihn noch Tage begleitet.
Psychologische Spiele sind Transaktionen, die mit »vertrauter Verstimmung« enden Vermutlich kennt unser Coach das Gefühl, ausgenutzt und nicht wertgeschätzt zu werden, auch aus anderen Situationen. Und auch dem Coachee wird sein Abgang im Ärger über die Unfähigkeit und mangelnde Unterstützungsbereitschaft seines Gegenübers nicht neu sein. Und beide fühlen sich durch diese Erfahrung einmal mehr in ihrem Weltbild bestätigt. Einstieg und Gestaltung der Spieldynamik ist den Beteiligten nicht bewusst und kann durch eine Information zu verdeckten Transaktionen gut erklärt werden. Während anfangs die unauffällige soziale Ebene im Vordergrund steht, wird die psychologische Ebene im Verlauf immer deutlicher und steht am Ende in Gestalt der vertrauten Verstimmungen im Vordergrund des Geschehens. Psychologische Spiele binden Energie im System und hinterlassen je nach Schweregrad der Spieldynamik mehr oder weniger heftige und anhaltende emotionale Spuren. In psychologischen Spielen werden einengende Skriptmuster re-inszeniert und verfestigt. So gesehen kann das Skript als »Drehbuch« und Spiele können als »Aufführung« von Skriptthemen verstanden werden. Warum spielen Menschen psychologische Spiele? Die gute Nachricht: Es ist keine böse Absicht! Vielmehr sah Berne die unbewussten Spieldynamiken als Folge der unzureichend entwickelten Kompetenz, sich in Beziehungen mit authentischen
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Bedürfnissen und Gefühlen offen und ehrlich zu zeigen. Die reife, autonome Gestaltung von Kontakt sowohl im privaten wie im beruflichen Kontext birgt die Chance beglückender Beziehungserfahrungen, aber eben auch die Gefahr einer Zurückweisung oder Verletzung. Die von Berne als Intimität bezeichnete Form der echten Begegnung ist daher für ihn die mit der höchsten Intensität gekennzeichnete Stufe in seinem Konzept Formen der Zeitstrukturierung. Hierzu Abbildung 38 Zeitstrukturierung gehören die Stufen Rückzug, Ritual, Zeitvertreib, Aktivität, Spiele, Intimität (siehe Abbildung 35). Rückzug
Rituale
Zeitvertreib
Aktivität
Psychologische Spiele
Intimität
Emotionales Risiko
Abbildung 35: Zeitstrukturierung nach Berne in Hennig und Pelz (1997)
Jeder Mensch hat seine eigene Balance in der Strukturierung seiner Zeit. Es ist ganz unterschiedlich, wie viel Rückzug jemand braucht, welche Rituale, beispielsweise Begrüßungsrituale, er in seinen Begegnungen bevorzugt, wie viel Kontakt in angenehmem Zeitvertreib er mit anderen verbringt und wie hoch das Bedürfnis nach Aktivität in Form von Arbeit oder anderen Betätigungen ist. Nach Bernes Annahme wächst vom Rückzug bis zur echten Begegnung, zur Intimität, sowohl die Intensität der Beziehung als auch das mögliche Risiko von emotionaler Verletzung. Wenn Menschen aufgrund bestimmter Skripterfahrungen nur schwer echte Nähe zulassen können, kann es dazu kommen, dass sie als Notlösung unbewusst in Spieldynamiken geraten, die ebenfalls eine hohe Intensität bieten, aber das Risiko aufgrund der »Vertrautheit der Verstimmungen« kalkulierbar halten. 40
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Die Fähigkeit von Menschen, eine dem Kontext angemessene Intimität in Begegnungen zu leben, schützt vor der Verführung, sich in Spieldynamiken verwickeln zu lassen. So betrachtet ist die Förderung von Autonomie immer auch die Arbeit an der Auflösung von Spieldynamiken. Spiele und Grundbedürfnisse Werden die in Kapitel 3.1 beschriebenen Grundbedürfnisse nach Struktur, Stimulation und Strokes in einem System erfüllt, können Menschen diesen Ort als »secure base« erleben, wie es George Kohlrieser (2012) in seinem Buch »Care to Dare« beschreibt. Diese sichere emotionale Basis erleichtert den Zugriff auf eigene Ressourcen aus dem integrierenden Erwachsenen-Ich und beugt damit dem Blühen von Spieldynamiken vor. Fehlt diese Einsicht, können Berater als Gruppenleiter, Teamcoach oder in anderen Rollen leicht Spieldynamiken erzeugen, wenn sie wenig Struktur und Stimulation bieten und sparsam im Verteilen von Strokes sind. Damit ist die Förderung einer Gruppenkultur im Hinblick auf die Versorgung der Grundbedürfnisse immer auch eine Arbeit zur Prävention von Spieldynamiken. Konstruktiver Umgang mit Spieldynamiken Grundlegend gibt es zwei unterschiedliche Zugänge zum Thema: einen expliziten und einen impliziten. Der implizite Zugang: Eine Gruppenleiterin nutzt beispielsweise das Konzept zur Diagnose und kann so unguten Dynamiken einen Namen geben. Das hilft in der Regel schon dabei, Distanz zu wahren und sich nicht in die Spieldynamik hineinziehen zu lassen. In der eigenen Selbststeuerung fokussiert sie dann die Grundbedürfnisse mit der Hypothese, dass sie damit indirekt den Spieldynamiken den Nährboden entziehen könnte. Ein Beispiel: Eine Beraterin wird in ein Team von Erziehungsberater/-innen zum Team-Coaching eingeladen, da es dort seit Jahren einen Beziehungskonflikt zwischen zwei Frauen gebe, der die Arbeit im Team zunehmend beeinträchtige. Der Beraterin fällt im ersten Kontakt mit dem Team nicht nur die angespannte Beziehung zwischen den beiden
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Protagonistinnen auf, sondern eine Dynamik im gesamten Team, in der viele Transaktionen aus Retter- und Opferpositionen zu beobachten sind. Es herrscht dicke Luft und es gibt wenig konstruktives Miteinander. Gleichzeitig erlebt die Beraterin, dass diese heftige Dynamik durchaus eine Intensität ins Team bringt, bei sonst eher sparsamer Zuwendung zueinander und Unklarheit bezüglich mancher Rollen und Strukturen. Sie entscheidet sich gegen die explizite Arbeit an den Spieldynamiken, die dem stark beziehungsorientierten Team nahe gelegen hätte. Stattdessen bietet sie dem Team die Möglichkeit an, dass es im Interesse einer schnellen Veränderung der Teamkultur vielleicht sinnvoller wäre, die jahrelang gepflegte Feindschaft zwischen den beiden Frauen erst einmal nicht anzutasten, sondern den Fokus darauf zu legen, wie das Team auch mit den beiden Streithennen seine Arbeit gut erledigen könne. Für diesen Fokus stellt sie das Modell der Grundbedürfnisse vor und bittet das Team, erst einmal eine Einschätzung hinsichtlich schon vorhandener Ressourcen in dieser Hinsicht und notwendiger Ergänzungen vorzunehmen. Auf diese Weise konnte sich die Teamkultur in der nachfolgenden Zeit langsam verändern. Energie wurde stärker auf Rollen- und Verantwortungsthemen gelenkt und auf den allgemeinen Umgang miteinander statt auf die schwierige Beziehung der zwei Frauen. So wurde verhindert, dass die Dynamik zwischen den zwei Frauen das ganze System beschäftigte.
Beim expliziten Umgang mit Spieldynamiken fokussiert der Berater die Dynamik, bringt sie ins Bewusstsein und arbeitet mit den Beteiligten an den Möglichkeiten eines lösungsorientierten Ausstiegs. In der Praxis hat sich eine Darstellung der Spieldynamiken durchgesetzt, die durch Einfachheit und Prägnanz besticht – das Drama-Dreieck mit seiner kernigen Benennung der beteiligten Rollen auf psychologischer Ebene: Retter, Opfer und Verfolger (Abbil dung 36). Diese Rollenbezeichnungen sind zur Verdeutlichung gedacht und anerkennen zugleich, dass es neben den psychologischen Rollen wirkliche Opfer und glücklicherweise auch Retter und Verfolger gibt, die Opfern zur Seite stehen und Täter zur Rechenschaft ziehen.
reieck und OK-Positionen 186
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Ich+/DuRetter Überfürsorglicher Modus
Ich+/DuVerfolger Dominanter Modus
DRAMADREIECK
Opfer Ich-/Du+ Angepasster Modus Abbildung 36: Drama-Dreieck (modifiziert nach Karpman, 1968)
Alle drei psychologischen Rollen des Drama-Dreiecks sind Einstiegsrollen in ein Spiel und daher – wenn irgend möglich – zu 1 vermeiden. Sie beginnen immer mit einer Abwertung oder Überbewertung von Aspekten der eigenen Person oder des anderen, wie in der Abbildung 36 durch die O. k.-Positionen deutlich wird. Ist das Drama erst einmal in Aktion, zeigt sich im Verlauf irgendwann der Wechsel in eine andere psychologische Rolle und macht dadurch den Spielcharakter der Dynamik deutlich. Im obigen ersten Beispiel (S. 181 f.) lädt der Coachee aus der Opferrolle ein, auf die der Coach gewohnheitsmäßig aus der Retterrolle eingeht. Vermutlich ist schon der Vorschlag, den kostbaren Marktvormittag zu opfern, ein Angebot des Coaches, hilfreicher zu sein, als es ihm selbst guttut. Damit springt er aus der Retterrolle dem Opfer zur Seite – und mitten hinein ins Drama-Dreieck. Im Verlauf des Gesprächs kündigt sich langsam und unterschwellig der Wechsel
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an: auf Seiten des Coachees in die Verfolgerrolle und auf Seiten des Coaches in die Opferrolle. Ausstieg aus Spieldynamiken Die erfreuliche Nachricht ist, dass ein Ausstieg im Verlauf jederzeit möglich ist. Selbst wenn die Beraterin sich unbewusst in eine Spieldynamik hat verwickeln lassen, kann sie innerlich entscheiden, zumindest auf die Endauszahlung, den pay-off, am Ende des Spiels in Form einer vertrauten Verstimmung zu verzichten. Stattdessen könnte sie sich dazu gratulieren, mit Hilfe ihrer bewussten Wahrnehmung des gelaufenen Prozesses die Möglichkeit geschaffen zu haben, nach dem Ende der Begegnung die Spielebene wieder zu verlassen, sich daran zu freuen und den spontanen Modus mit Energie zu besetzen. Womöglich könnte es dann gelingen, das Bedürfnis aufzuspüren, das zu Beginn des Spiels keine Beachtung gefunden hat. Und natürlich sparen wir Energien ein, wenn wir schon am Anfang der Einladung in die Spieldynamik widerstehen. In der Sprache des Drama-Dreiecks lässt sich gut aufzeigen, was an die Stelle der psychologischen Opfer-, Retter- und Verfolgerrolle treten kann: Aus der Opferrolle braucht es den Wechsel aus dem überangepassten Modus in den spontanen Modus, der in Kontakt mit der eigenen Verletzlichkeit und den Bedürfnissen und Wünschen steht. Erstaunlicherweise sind die meisten Menschen lieber hilfsbereit, wenn das Gegenüber nicht sein Leiden in den Mittelpunkt stellt, sondern sich mit positiven Wünschen und Bedürfnissen aus einer O. k.-o. k.-Haltung offen zumutet. Wer verführbar ist, sich als Retter einladen zu lassen, braucht den Entwicklungsschritt aus dem überfürsorglichen in den nährenden Modus, aus dem heraus er sich einem Menschen hilfreich zuwendet und der dabei die Ressourcen des Gegenübers und die eigenen Bedürfnisse nicht übergeht. Um nicht als Verfolger ins Drama-Dreieck einzusteigen, bedarf es einer Ermutigung, relativ frühe erste Signale von Unmut und kritischer Positionierung ernst zu nehmen und diese aus einer O. k.-o. k.Haltung kontextangemessen mitzuteilen. So wird die Gefahr des »Rabattmarkensammelns« und der Einlösung des »vollen Heftes« durch eine unter die Gürtellinie zielende Transaktion vermieden.
eieck
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Statt des dominanten Modus gilt es also, den strukturierenden Modus zu aktivieren. Eine in diesem Sinne ressourcenorientierte Version des Drama-Dreiecks hat der australische Transaktionsanalytiker Acey Choy (1990) mit dem Gewinner-Dreieck entwickelt, Rolf Balling mit dem Okay-Dreieck (Abbildung 37). Stephen Karpman (2016) selbst hat die Auflösung der Drama-Dreieck-Dynamik als Mitgefühls-Dreieck bezeichnet. Ich+/Du+ Unterstützer*in Nährender Modus
Ich+/Du+ Konstruktive*r Kritiker*in Strukturierender Modus
OkayDreieck
Ich+/Du+ Ratsuchende*r Kooperierender Modus Abbildung 37: Okay-Dreieck, modifiziert nach Balling (www.balling- coaching.de)
Systemische Auswirkungen von Spieldynamiken Wer kennt das nicht? Man kommt in einen Raum und hat das Gefühl, ohne genau sagen zu können, warum: Hier ist dicke Luft. Die Kunst besteht dann darin, sich nicht in die Spieldynamik verwickeln zu lassen, die eigenen Möglichkeiten zu nutzen und so zu einer konstruktiven Weiterentwicklung der Situation beizutragen. Es kann sonst schnell passieren, dass die unbewusst wahrgenommene Dynamik auf
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der psychologischen Ebene verunsichert und eigenes Antreiberverhalten stimuliert, das dann den Einstieg in das laufende Spiel vorbereitet. Wenn zum Beispiel eine Trainerin spürt, dass sich in der Weiterbildungsgruppe gegen Abend parallel zur Themenebene eine »merkwürdige« Stimmung im Raum auszubreiten scheint, tut sie vermutlich gut daran, dem Bedeutung zu geben und im ErwachsenenIch ihre weitere Steuerung kurz zu reflektieren. Vielleicht bemerkt sie bei sich einen Retterinnen-Impuls, die Situation durch eine kleine Übung aufzuheitern, vielleicht aber auch eine kurze Anmutung aus der Opferrolle heraus (»Was habe ich übersehen, falsch gemacht?«, gespeist aus der Antreiberdynamik »Sei perfekt«). Vielleicht schiebt sich auch ein negativ kritisches Urteil in den Vordergrund, das seinen Ursprung in der Verfolgerrolle hat (»Wirklich eine undankbare Gruppe, nachdem ich heute so viel geboten habe!«). Würde die Trainerin diesen verständlichen ersten Impulsen nachgeben, bestünde die Gefahr, dass sie damit vielleicht auf der inhaltlichen Ebene einen sinnvollen Beitrag leistet, auf der psychologischen Ebene aber mit in die Spieldynamik hineingezogen wird. Sie könnte wahrscheinlich nicht mehr ungetrübten Blickes auf die Situation schauen und in gutem O. k.-o. k.-Gefühl nach Ideen zum Umgang mit der Situation suchen. So ist die achtsame Wahrnehmung und Selbststeuerung besonders im Gruppenkontext eine enorme Ressource. Die Trainerin muss keineswegs schon wissen, was die Lösung ist. Es reicht zunächst, wenn sie aus einer O. k.-o. k.-Haltung heraus ihr Erwachsenen-Ich aktiviert und mit ungetrübtem Blick und nicht ins Spiel verwickelt eigene Ressourcen zum Umgang mit der Situation aktiviert. Statt sich zu fragen »Was muss ich tun?«, kann die Frage lauten »Wie kann ich etwas tun?«. Eine mögliche Option für die Trainerin wäre, ihre Wahrnehmung zu thematisieren und gemeinsam mit der Gruppe zu reflektieren. Manche Spieldynamiken scheinen sich besonders dazu zu eignen, sich aus einer spielträchtigen Szene zwischen zwei Menschen auf ein größeres System – zum Beispiel eine Gruppe oder ein Team – auszuweiten, da auch die auf den ersten Blick unbeteiligten Zuschauer im Fortlauf der Transaktionen zu heimlichen Mitspielerinnen werden können. Eine weitverbreitete Dynamik hat Berne in diesem Sinne mit dem »Gerichtssaal-Spiel« beschrieben:
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Ein seit zehn Jahren verheiratetes Paar hat abends langjährige Freunde zum Essen eingeladen. Noch ehe das Essen auf dem Tisch steht, fällt den Gästen der gereizte Unterton auf, mit dem die Ehefrau ihren Mann fragt, ob er bitte den Wein holen könne. Während die folgenden Transaktionen auf der sozialen Ebene noch unauffällig wirken, bahnt sich auf der psychologischen Ebene langsam eine Dynamik an, die Eric Berne als »Gerichtssaalspiel« bezeichnet hat: Während das Paar sich aus Verfolger- und Opferrolle heraus aufeinander bezieht, steigt das Unbehagen auf Seiten der Gäste, die sich eingeladen fühlen, Partei zu ergreifen, Recht zu sprechen, zu verteidigen etc. Vielleicht versucht auch jemand, die Situation zu retten, indem er auf unverfängliche Themen ausweicht. Auch wenn Einzelne eher in Schockstarre verfallen und schweigen, heißt das keineswegs, dass sie auf der psychologischen Ebene des Spiels draußen sind. Eventuell sind sie innerlich in einer Opferhaltung, mit den dazugehörigen ungemütlichen Gefühlen, oder sie rollen innerlich aus der Verfolgerrolle die Augen und bereiten den Text des »inneren Gerichtsreporters« vor, den sie nachher vielleicht am Parkplatz noch mit den anderen Gästen teilen. »Mein Gott, ist es nicht schrecklich, wie die miteinander umgehen! Das kann ja gar nicht gut gehen.«
Die Kunst spielfreier Kommunikation könnte in diesem Beispiel darin bestehen, aus keiner der drei Positionen des Drama-Dreiecks zu reagieren, sondern das integrierende Ewachsenen-Ich mit Energie zu besetzen und beispielsweise spontan authentische Gefühle und Bedürfnisse zu äußern wie: »Ich fühle mich unwohl, einfach nur dabeizusitzen, während ihr euch mehr und mehr anblafft. Ich würde mir wünschen zu wissen, ob ich etwas tun kann für euch.« Eine andere Möglichkeit wäre es, im klärenden Modus Informationen aufzunehmen und zu geben: »Ich merke, ihr habt es gerade nicht leicht miteinander. Gibt es einen bestimmten Anlass für eure schlechte Stimmung?« Auch die Aktivierung des nährenden Modus könnte die Situation entspannen, etwa mit den Worten: »Es tut mir leid mitzuerleben, dass ihr es offensichtlich gerade schwer miteinander habt. Wenn ich etwas für euch tun kann, dann lasst es mich bitte wissen.« Ebenso wäre es möglich, den strukturierenden Modus zu besetzen: »Ich finde es schwierig für mich, unbeabsichtigt Zeuge von eurem
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Streit zu sein, und ich fühle mich eingeladen, Position zu beziehen. Aber das ist nicht meine Aufgabe, denke ich.« Auf diese Weise kann jeder Einzelne eines Systems dazu beitragen, dass sich die Spieldynamik nicht weiter ausbreitet. Notwendig dazu ist eine konsequente Fokussierung auf die eigene autonome Selbststeuerung, statt das Verhalten der anderen kritisch zu beurteilen und auf deren Veränderung zu hoffen. Der konstruktive Umgang mit Spieldynamiken dient also immer auch der eigenen Autonomieentwicklung, und auf den ersten Blick unangenehme Situationen können leichter erträglich sein, wenn wir sie als Chance zum Ausprobieren neuer Verhaltensoptionen begreifen. Interventionsleitende Fragen und Impulse: – Welche Spieldynamiken können Sie im beruflichen und privaten Kontext erkennen? Welche Grundbedürfnisse sind im jeweiligen System wenig versorgt? – Welche kontextangemessenen Optionen nutzen Sie, um in Ihrer Autonomie zu bleiben? – Was passiert Ihnen immer wieder – obwohl Sie sich vornehmen, es anders zu tun? – Welches schlechte Gefühl in Beziehungen ist Ihnen seltsam vertraut? – Wenn Sie sich in ein Spiel einladen lassen – haben Sie eine bevorzugte Position, aus der heraus Sie das tun (Opfer, Retter, Verfolger)? – Welche Modi müssten Sie mit mehr Energie besetzen, damit Sie nicht in das Spiel geraten? – Welches Ihrer Bedürfnisse braucht mehr Anerkennung und Ausdruck, damit Sie vor Spieldynamiken besser geschützt sind? – In welchen Kontexten fällt es Ihnen leicht, spielfrei zu agieren? – Was macht den Unterschied zu Kontexten, in denen es Ihnen schwerer fällt?
Werkzeugkiste »Stufenweg zur Problemlösung« (S. 292 ff.) und »Wege aus vertrauten Verstimmungen« (S. 295 ff.)
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Impulse für die Beziehungsgestaltung
Vertiefende Literatur Berne, E. (2002). Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen. Reinbek: Rowohlt. Dehner, U., Dehner, R. (2007). Schluss mit diesen Spielchen! Manipulation im Alltag erkennen und wirksam dagegen vorgehen. Frankfurt a. M.: Campus. Karpman, S. (2016). Ein Leben ohne Spiele. Das definitive Buch über das Drama- Dreieck und das Mitgefühls-Dreieck. Weilheim: Process Training and Consulting e.K.
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
6.1 Moment mal! Vom Drauflos zu guten Abmachungen: Beratungsverträge »Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande.« Johann Wolfgang von Goethe
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir Impulse für die Selbstorganisation sowie für die Beziehungsgestaltung auf privaten und professionellen Bühnen gegeben. In unserem letzten Kapitel wollen wir beschreiben, wie wir die verschiedenen Konzepte in unserer Beratungspraxis anwenden und welche Interventionen wir gezielt nutzen. Wir beginnen mit dem Fundament jedes guten Beratungsprozesses, dem gemeinsamen Vertrag darüber, was Thema und Ziel der Beratung sein soll. Grundlegende Funktion eines solchen Vertrags ist es, Energie zielführend zu zentrieren und Spieldynamiken vorzubeugen. So kann der Anfang der Beratung im Sinne der Goethe- Metapher entscheidend für ihren weiteren Verlauf wie auch für den Ausgang sein. Berne revolutionierte die Beziehungsgestaltung in der therapeutischen Arbeit zu seiner psychoanalytisch geprägten Zeit unter anderem durch das Vertragskonzept: Er sah seine Patienten als kompetente Gegenüber, die in der Lage sind, zu denken, Ziele zu formulieren und ihr Leben aktiv zu verändern. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, einen Vertrag über die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu schließen, dem beide – Therapeut und Klient – zustimmen konnten, ohne die Unterschiedlichkeit hinsichtlich ihrer Rolle und ihrer Fähigkeiten zu negieren. Er stellte seinen Patientinnen im Sinne von
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
»Hilfe zur Selbsthilfe« Wissen zur Verfügung durch Informationen und hilfreich visualisierte Konzepte und verwendete dabei eine für Laien verständliche Sprache. Auf diese Weise ergänzte er die klassische Intervention der Deutung durch den Therapeuten unter anderem um die der Information oder Erklärung als ausdrückliche Interventionstechnik, um die Autonomie seiner Patienten zu unterstützen. Patricia Clarkson (1996) sieht in der Vertragsarbeit den philosophischen, existenzialistischen Aspekt einer Beziehungsgestaltung auf Augenhöhe gespiegelt: Die Förderung der Autonomie von Klientinnen durch die Anregung der Selbstverantwortlichkeit korrespondiert für sie mit dem existenzialistischen Prinzip der individuellen Freiheit, ohne dass dabei eine klare Zielsetzung aus dem Auge zu verloren wird. Die Vertragsarbeit sichert also für den Klienten, dass im Beratungsprozess die Themen und Ziele bearbeitet werden, die ihm wichtig sind, und dass nicht der Berater oder Coach das Problem oder gar das Ziel definiert. Gleichzeitig trägt der Klient mehr Verantwortung im Prozess und kann sie nicht an einen Berater abgegeben, der schon weiß, was los ist und was zu tun ist. Eine solche gemeinsam entwickelte Vereinbarung legt für uns den Grundstein einer Beratung, eines Coachings oder einer anderen Art der Zusammenarbeit. Sie beschreibt das Ziel, die Schritte auf dem Weg zum Ziel sowie die Rollen der Beteiligten und ihre Verantwortung und ermöglicht dadurch eine hohe Transparenz. Vertragsziele beschreiben in der Regel sowohl eine Haltungsänderung wie in der Folge auch eine Verhaltensänderung seitens des Coachees. Um wirkungsvoll zu sein, sind die Ziele positiv formuliert, persönlich attraktiv, lösungsorientiert und vom Coachee selbst erreichbar. In Beratung und Coaching bedeutet die gemeinsame Vereinbarung eines Vertrags zwischen dem Erwachsenen-Ich-Zustand des Beraters und dem Erwachsenen-Ich-Zustand des Klienten bereits eine erste Ressourcenaktivierung des Klienten – eine Stärkung des Glaubens daran, ein Ziel erreichen zu können und dabei unterstützt zu werden. Vertragsarbeit beinhaltet als Ressourcen Vertrauen, Autonomie, Anerkennung und Würdigung der wechselseitigen Kompetenzen, fachliche auf Seiten des Beraters/Coaches, Engagement und Verantwortungsfähigkeit auf Seiten des Klienten/Coachees. Durch das Vertragsziel ist auch die wechselseitige Überprüfbarkeit gegeben,
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was wiederum die Autonomie und Selbstwirksamkeit der Klientinnen stärkt. Vertragsarbeit, so fasst es der Transaktionsanalytiker Rolf Balling (www.balling-coaching.de) zusammen, »begrenzt Machtdynamiken und definiert die Verantwortung beider Seiten – und verhindert so geheime Erwartungen und Missverständnisse. Sie bestimmt einen Anfang und ein Ende und begrenzt damit »endlose Bemühungen«. Vereinbarungen reduzieren die Komplexität der Situation. Sie schließen Themen und Ziele aus, die vielleicht auch sinnvoll wären – Optionen für später.« Der erste Vertragsentwurf: Von Wirklichkeitskonstruktionen, Redefinitionen und Kodefinitionen
Abbildung 38: Subjektive Wirklichkeit
Die Abbildung 38 zeigt eine Herausforderung in der V ertragsarbeit, die auch gleichzeitig ihre Notwendigkeit begründet. Sie besteht aus systemischer Perspektive in der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion der Vertragspartnerinnen, transaktionsanalytisch ausgedrückt in der Unterschiedlichkeit der individuellen Bezugsrahmen. Menschen verarbeiten Signale von außen zu ca. 80 Prozent innerlich subjektiv. Im
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
Beratungskontext sind das hauptsächlich Sprache und Körpersprache Darum kann man davon ausgehen, dass Klientin und Berater in einem Erstgespräch zu Beginn maximal ca. 20 Prozent gemeinsames Verständnis über die Ausgangssituation haben. Formuliert eine Klientin ihr Anliegen, braucht es demnach viele Fragen, gutes Zuhören und gemeinsames Forschen, bis eine übereinstimmende Version der Wirklichkeit entstanden ist, die einen Vertragsentwurf erst möglich macht. Beim Kennenlernen im Erstgespräch versuchen die beteiligten Personen zunächst, Impulse und Informationen in ihre eigenen individuellen Bezugsrahmen einzufügen und diesen Informationen dabei Sinn zu verleihen. Transaktionsanalytisch ausgedrückt finden also zunächst wechselseitige Redefinitionen (Umdeutungen) statt. Der Systemiker und Transaktionsanalytiker Bernd Schmid (1994) hält Redefinitionen für ein normales Phänomen, wenn zwei Menschen mit unterschiedlichen Lebensskripten, also subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen, aufeinandertreffen, und nennt den Prozess, die jeweiligen Wirklichkeiten wechselseitig verstehen zu lernen, Kodefinition. Seine Auffassung unterscheidet sich von der »Schiff-Schule«, die Redefinitionen von Beginn an für den Ausdruck von Passivität halten. Bevor diese Hypothese in Betracht gezogen wird, ist aus seiner Sicht zunächst eine gemeinsame Exploration hilfreich. Hier wird eine große Nähe zum systemischen Verständnis der Autopoiese deutlich – dem Selbstorganisationsprinzip lebender Systeme, die bei äußeren Impulsen nach Anschlussfähigkeit in der eigenen Wirklichkeitskonstruktion suchen und nur integrieren, was dem Selbsterhalt dient. Im Prozess der Kodefinition bei der Entwicklung des Beratungsvertrags können mögliche gemeinsame Deutungen von Coach und Coachee gefunden werden, die in der Zielformulierung schon erste Lösungsräume andeuten und damit attraktiv für den Selbsterhalt werden. Wir geben hier einige Beispiele für Redefinitionen, die es in der Vertragsarbeit zu kodefinieren gilt, inspiriert durch Beispiele von Redefinitionen der Berater Claus Nowak und Manfred Gührs (2014). Eine Coachee bekommt ein Feedback von ihrem Chef hinsichtlich ihres Rollenverhaltens in einer spezifischen Situation. Er möchte sie
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mit einem Coaching unterstützen und sie anregen, sich zu dem betreffenden Thema weiterzuentwickeln. Daraus zieht sie den Schluss: »Ja, ich weiß, ich mache immer alles falsch!«
Die Redefinition findet von spezifisch zu allgemein statt und lässt Skriptthemen rund um das Thema »Ich bin nicht o. k.« als Lebensgrundposition vermuten. Durch die kodefinierenden Transaktionen kann möglicherweise eine andere Deutung dazu entstehen, was ihren Chef motiviert, ein tragfähiges und für die Coachee interessantes Beratungsziel zu definieren. Im Auftragsklärungsgespräch wünscht sich eine Chefin von ihrer Führungskraft, sie möge einige Aufgaben an das Team delegieren, um mehr Freiraum für gemeinsame strategische Themen zu haben. Die Führungskraft befürchtet: »Dann machen die doch, was sie wollen.«
Die Redefinition findet von einige Themen zu alle machen, was sie wollen statt. Das ist ebenfalls eine Verallgemeinerung, die Skriptthemen vermuten lässt, die möglicherweise aus der Lebensgrundposition »Andere sind nicht o. k.« oder einer Skriptschlussfolgerung »Traue niemandem« gespeist sind. Durch Nachfragen könnte ein anderes inneres Bild enstehen, wenn gemeinsam Beispiele dafür gefunden werden, dass es im Team Mitarbeiter gibt, die in der Vergangenheit sehr verantwortlich gehandelt haben. Die Leiterin einer Beratungsstelle wünscht sich als Ergebnis für das Coaching eine bessere Zusammenarbeit mit ihrem Team. Sie erlebt die Mitarbeiter als sehr abweisend in der Reaktion auf ihre Vorschläge. Auf die Frage, ob sie in solchen Situationen eventuell in einem etwas kritischen Ton spricht, antwortet sie: »Man wird ja wohl noch mal irgendetwas sagen dürfen.«
Die Redefinition findet von kritischer Ton zu irgendetwas statt – eine Verallgemeinerung, die vermuten lässt, dass die Leiterin aus einer eigenen skriptbedingten Unsicherheit »Ich bin nicht o. k.« in die Abwehrposition »Die anderen sind nicht o. k.« wechselt.
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
Redefinitionen können zu Missverständnissen führen, geben aber ebenso erste Impulse zur Hypothesenbildung über mögliche Lebensgrundpositionen und spezifische Lebensskriptüberzeugungen. Im Rahmen der Vertragsarbeit gilt es also, sie als wertvolle Informationsquelle für die Beratung zu nutzen und sie gleichzeitig für Abbildung 42 Vertragsprozess die Vertragsgestaltung zu kodefinieren. Schneider (2002) hat diesen Prozess des Kodefinierens für die Vertragsgestaltung in der Abbildung 39 visualisiert: Vorstellungen A
Vertragsrevision
Vorstellungen B
Konstruktion einer gemeinsamen Wirklichkeit
Vertragsabschluss / Vereinbarung
Vertragscheckup Ausführungen der vereinbarten Ziele Abbildung 39: Vertragsprozess nach Schneider (2002) 44
Die Auftragsklärung als Startpunkt einer Beratung und als Mittel, den roten Faden in einem Prozess zu behalten, ist inzwischen in den meisten Beratungsansätzen selbstverständlich geworden. In der Transaktionsanalyse ist das Augenmerk aus der Vertragsperspektive auch auf den Beratungsprozess als Ganzes gerichtet. Vor vielen spezifischen Interventionsmethoden findet eine »Mini-Vertragsarbeit« statt: »Dazu hätte ich eine Hypothese – möchten Sie sie hören?« oder »Ich würde Ihnen zu dem Thema gern folgendes methodisches Vorgehen vorschlagen – wären Sie einverstanden, das auszuprobieren? Wollen Sie mit mir vereinbaren, dabei jederzeit ›stopp‹ sagen zu können?« Wenn Prozesse schwergängig oder konflikthaft werden, ist manchmal die Frage danach, ob es überhaupt einen gemeinsamen Vertrag
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gibt oder was eigentlich der miteinander vereinbarte Vertrag war, auch in privaten Kontexten, äußerst hilfreich. Das kann ermöglichen, die Klärung nachzuholen oder sich wieder miteinander auf die ursprüngliche Vereinbarung zu beziehen. Sollte die ursprüngliche Vereinbarung überholt sein, kann sie bewusst verändert werden. Verträge sind ein hervorragendes Mittel, um Spieldynamiken durch verdeckte Transaktionen zu verhindern (siehe auch Kapitel 5.4). Von Claude Steiner (2009) stammt die Haltung, niemandem zu helfen ohne Vertrag, es sei denn, die Person wäre bewusstlos. Er formulierte dies so radikal, um jede Form von Retter-Spielen zu konfrontieren, deren Merkmal Überverantwortung auf der einen und Unterverantwortung auf der anderen Seite in der Beziehungsgestaltung von Menschen ist. Vereinbarungen können aus Sicht von Transaktionsanalytikerinnen nicht abgeschlossen werden oder sind unwirksam, wenn das Angehen der Ziele unethisch ist, die Ziele selbst unrealistisch erscheinen oder wenn jemand die Vereinbarung überwiegend aus einer Opferhaltung beziehungsweise einer Retter- oder Verfolgerhaltung abschließen möchte (siehe hierzu auch die Kapitel 4.3 und 5.4). Vertragsarbeit kann somit bereits erste wichtige Impulse zur Erweiterung des subjektiven Bezugsrahmens der Klientin geben. Ein guter Vertrag ist »die halbe Miete« – und es lohnt sich entsprechend, im Vertragsprozess gründlich und genau zu sein und dabei unterschiedliche Methoden zur gemeinsamen Vertragsentwicklung einzusetzen. Hier ein Beispiel: Eine Führungskraft bekommt von ihrem Arbeitgeber ein Coaching zur Unterstützung beim Wiedereinstieg nach einer Burnout-bedingten Auszeit. Das Anliegen des Mannes für das Coaching ist, einen Arbeits modus zu finden, in dem er besser mit seiner Energie haushalten kann. Er möchte sich in seinem Engagement besser bremsen können. Beim Erforschen der Gesamtsituation wird deutlich, dass es ihm in seiner beruflichen Biografie immer gut ging, wenn er in Rollen tätig war, in denen er innovativ und gestaltend tätig sein konnte. Er wirkt energetisch und freudig beim Erinnern dieser Situationen. Seine jetzige Rolle beschreibt er als ständig »gegen die Wand zu rennen«. Es gibt für ihn kaum Gestaltungsspielräume oder Möglichkeiten, innovativ tätig zu sein. Eines sei-
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
ner Symptome ist, dass ihm häufig die Hände einschlafen. Er erlebt die aktuelle Situation durch die Reflexion eher als Boreout denn als Burnout. Er erkennt einen Zusammenhang zwischen seiner jetzigen beruflichen Situation und dem Wunsch seiner Eltern, er möge eine Verwaltungslaufbahn einschlagen. Der erste Entwurf des Coaching-Vertrags am Ende der Sitzung beschreibt einen Wunsch: ergebnisoffen darüber nachdenken wollen, ob die derzeitige Passung von Rolle und Person zukünftig noch stimmig sein wird, sowie andere Optionen in den Blick nehmen.
Für die Vertiefung der Vertragserarbeitung sind analoge Methoden geignet. Berne war in seiner Arbeit – vermutlich typologisch bedingt – stark kognitiv ausgerichtet und legte viel Wert auf Sprache, mit einer Affinität für Sprachbilder. Seine Hauptmethode für die Vertragsentwicklung war daher das Interview, inhaltlich geleitet durch seine grundlegenden therapeutischen Techniken (siehe Kapitel 6.2). Kollegen seiner Zeit wie Fritz Perls (Gestalttherapie) oder schon früher Jacob L. Moreno (Psychodrama) fokussierten sich in ihrer Arbeit im Unterschied dazu viel mehr auf die Körpersprache und die Nutzung von analogen, kreativen Methoden. Viele dieser Interventionstechniken fanden Eingang in die transaktionsanalytische Vertragsarbeit. Wir nutzen in der Vertragsarbeit ergänzend gern ein von der Jungianerin Maja Storch und dem Psychodramatiker Frank Krause in den 1990er Jahren entwickeltes motivationspsychologisch und neurobiologisch basiertes Verfahren, das »Zürcher Ressourcen-Modell« (ZRM ). Schon in der Vertragsphase wird hier für die Zielformulierung projektiv mit tatsächlichen Bildern aus einer Bildkartei gearbeitet. Durch den Stimulus der Bilder entsteht die Verknüpfung von unterbewussten Themen und Wünschen mit dem Bewusstsein, und es wird möglich, diese durch Assoziationen zu den Bildern zu versprachlichen. So kann schon in der Phase der Vertragsgestaltung ein über die Sprache hinausgehender direkter Zugang zur Ebene des Unterbewussten, zum Inneren Kind, hergestellt werden, der häufig die thematische Tiefe des Vertrags intensiviert oder einen neuen Aspekt ergänzt.
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Im Beispiel der Führungskraft mit den einschlafenden Händen waren für die Entwicklung des Vertrags zwei Fotos aus einer Bildkartei hilfreich: zuerst das Bild eines Wanderers mit zünftigen Stiefeln, der auf
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ein weites Bergpanorama blickt. Seine Assoziationen dazu waren Aufbruch, sich auf den Weg machen, Weitblick. Das zweite Bild war das eines Babys, das liebevoll geborgen in einem Männerarm liegt. Das Foto berührte ihn als Sinnbild für sein eigenes inneres Kind, das er gern auch so gut versorgen würde. Sein Vertragsziel formulierte er angeregt durch die Impulse der Fotos folgendermaßen: »Ich breche auf und finde meinen eigenen Weg.« Diese Formulierung zeigt eine deutliche Intensivierung des anfänglichen Wunsches sowie energetisch eine stärkere Entschlußkraft, sich für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen.
Dieses vom ZRM-Konzept inspirierte methodische Vorgehen in der Vertragsarbeit ist für uns inhaltlich geleitet vom Modell des integrierenden Erwachsenen-Ichs, das wir im Kapitel 4.3 zum Ich-ZustandsAbbildung 43 Vertragsfragen Konzept beschrieben haben. Ausgehend vom Modell des Integrierenden Erwachsenen-Ichs lassen sich für die Auftragsklärung die Fragen der Abbildung 40 ableiten, die Johann Schneider (2002) wie folgt beschreibt:
Abbildung 40: Vertragsfragen aus dem integrierenden Erwachsenen-Ich nach Schneider (2001) 45
Die beiden ersten Dimensionen, Ethos und Logos, sind in der Regel gut sprachlich zu fassen. Die letztere, die Pathos-Dimension, ist oft entweder noch durch einschränkende Verinnerlichungen aus dem Eltern-Ich unbewusst zensiert (Trübung aus dem Kind-Ich) oder noch nicht bewusst wahrnehmbar. Es gibt also für diese Ebene noch keine Sprache. Diese Dimension hat eher eine Qualität, die Jung (2001) im Rahmen der Ich-Funktionen mit der Funktion des
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
Intuierens, eines Ahnens dessen, was werden will, beschreibt. Im Ich-Zustands-Konzept (siehe auch Kapitel 4.3) wäre es die Qualität des ursprünglichen Kind-Ichs, das sich von Natur aus entwickeln will und trotz aller im Lebensverlauf erfolgten Zensur erreichbar ist. Die Kontaktaufnahme zur Pathos-Ebene gelingt deshalb sprachlich eher über Sprach-Bilder, Träume, Märchen, Poesie oder durch tatsächliche Bilder. Neurobiologisch betrachtet ergibt dies Sinn, denn die Pathos-Dimension hat eher eine Entsprechung zum limbischen Gehirn (unterbewusst) als zum Neokortex (bewusst – Ethos, Logos). Die Pathos-Dimension versteht und drückt sich aus über innere und äußere Bilder sowie über körperliche Reaktionen, die somatischen Marker. Die Logos- und Ethos-Dimension finden ihren Ausdruck über die Sprache. Die Gedanken verschiedener transaktionsanalytischer Autoren sowie Jungs Beschreibung der Ich-Funktionen legen nahe, dass bei der Vertragsentwicklung sinnvollerweise alle Dimensionen einfließen – unter anderem die bereits genannte Fähigkeit, auf die Zukunft hin ausgerichtet »intuieren« und spüren zu können, was werden will. Ein gelungener Vertrag gibt diesem Ahnen Raum und beantwortet die Fragen nach der Verträglichkeit des Ziels mit den eigenen Werten und der Realität (Folgenabschätzung). Aus neurobiologischer Sicht wird ein Ziel dann tragfähig, wenn das energetische Verhältnis zwischen limbischem System (Pathos) und Neokortex (Ethos, Logos) bei der Zielformulierung zwei Drittel zu einem Drittel beträgt. Hier ein Beispiel dafür, wie noch nicht beachtete Teile des Inneren Teams, die im ersten Vertragsentwurf noch nicht zur Sprache kamen, durch die Einbeziehung der Pathos-Dimension (des limbischen Systems) mittels der Arbeit mit Bildern versprachlicht werden konnten: Eine Frau kommt ins Coaching mit dem Anliegen, für den Wechsel in eine höhere Führungsebene unterstützende Begleitung zu suchen. Sie hat ihr altes Unternehmen verlassen und startet im neuen Unternehmen zwei Hierarchieebenen höher. Ein erster Vertragsentwurf beinhaltet, kraftvoll aufzutreten und ihrer Kompetenz zu vertrauen. In der nächsten Sitzung wählt sie zur Vertragsschärfung fünf Bilder aus einer Bildkartei aus: Pippi Langstrumpf, ein kleines Mädchen, das in Erwachsenenschuhen läuft, eine Asiatin, die eine meditative Geste
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macht, einen Delphin, der verspielt und genussvoll im seichten Wasser auf dem Rücken liegt, und eine alte Frau, die die Zunge herausstreckt. Über das Assoziieren zu den Bildern bekommt sie neben der Lust auf die neue Aufgabe (Pippi Langstrumpf) Kontakt zu ihrer Angst (große Schuhe) und zu ihrem Bedürfnis, achtsam mit sich umzugehen (Asiatin), um Zeit für das Genießen des Lebens zu behalten (Delphin). Die alte Frau brachte einen alten Ärger darüber zutage, dass ihr im alten Unternehmen ein Wechsel auf die nächste Führungsebene nicht zugetraut wurde, was zugleich ihre Angst vor der neuen Aufgabe nährte. Ihr Coaching-Vertragsziel wandelte sich hin zu der inneren Ermutigung, sich Zeit zu geben, um in die neue Rolle hineinzuwachsen, achtsam mit sich zu sein und der bisherigen Kompetenz als kraftvollem Fundament zu vertrauen.
Vertragsziele: Die Haltung macht’s Die neuere Motivationsforschung belegt, dass Haltungsziele als selbstkongruenter, der eigenen Identität zugehöriger empfunden werden als Verhaltensziele. Haltungsziele sind »Generalschlüssel« – Verhaltensziele »Spezialschlüssel«. Vertragsziele sollten deshalb vom Fokus her als Haltungsziele formuliert werden. Im gerade beschriebenen Coaching-Beispiel lautete das Haltungsziel »Ich wachse achtsam in meine neue Rolle hinein und vertraue meiner Kompetenz«. Hier arbeiten wir etwas anders als klassische Transaktionsanalytiker, die stärker auf spezifische Verhaltensziele im Vertrag fokussieren. Aus einer Haltung lassen sich dann situativ im zweiten Schritt spezifische Verhaltensweisen ableiten, die im Veränderungsprozess geübt werden, um gewünschte Ziele zu erreichen. Die Bereicherung durch die Arbeit mit den Bildern in der Vertragsarbeit ergibt sich aus der Tatsache, dass neben der kognitiven Reflexion in guter transaktionsanalytischer Tradition das Innere Kind oder die Pathos-Dimension sehr direkt angesprochen wird. Durch das Betrachten der Bilder als etwas Drittem außer der Beraterin und Klientin entstehen eine Atmosphäre gemeinsamen Forschens auf Augenhöhe und ein Raum für das (noch) unbewusste Lösungspotenzial der Klientin. Die Explorationsphase wird deutlich verkürzt, das Kernthema ist schneller im Fokus und die unbewussten Ressourcen der Klienten
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
scheinen von Beginn an in den Bildern auf. Klienten können schneller aufspüren und versprachlichen, was sie brauchen. Über diese Art der Vertragsarbeit sind die Ressourcen von Klientinnen und die Lösungsorientierung schon zu Beginn »limbisch« geankert und stimulieren das Empfinden von Autonomie und Selbstwirksamkeit. Dreiecksverträge: Gute Abmachungen mit allen Beteiligten Eine besondere Vertragssituation im Berateralltag ist die Auftragsklärung zwischen drei oder mehr beteiligten Personen. Hierfür hat Fanita English (1985), eine der frühen Transaktionsanalytikerinnen neben Berne, ein Konzept entwickelt, das Transparenz für alle Abbildung 44 Dreiecksvertrag Beteiligten ermöglicht – den Dreiecksvertrag. AUFTRAGGEBERIN
Coaching--Auftrag
Arbeitsvertrag
Auftraggeberin: Unterstützung für neue Führungsrolle Berater: Schweigepflicht
Gehaltsvereinbarung Personalentwicklungsmaßnahmen
BERATER
COACHEE Coaching--Vertrag Rollenwechsel emotional nachvollziehen, Umgang mit Einsamkeit der Rolle
Abbildung 41: Dreiecksvertrag nach Fanita English (1985) 46
Die Abbildung 41 zeigt, dass zwischen allen drei Vertragsparteien jeweils der spezifische inhaltliche Vertrag geklärt sein muss: Der Mitarbeiter hat einen Arbeitsvertrag, der ein bestimmtes Gehalt und bestimmte Maßnahmen zur Personalentwicklung definiert (Weiterbildung, Coaching), und er hat Erwartungen an den Coach. Die Auftraggeberin hat bestimmte Rollenerwartungen an ihren Mit-
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arbeiter und Mittel zur Personalentwicklung für ihn sowie ebenso Erwartungen an den Coach. Der Coach hat professionelle Standards für einen Coaching-Prozess und entsprechende Erwartungen sowohl an die Auftraggeberin wie auch an den Coachee. Diese Klärung hilft dabei, Situationen zu vermeiden, in denen die Auftraggeberin zum Beispiel automatisch davon ausgeht, dass ein Coach die Ergebnisse des Coachings an sie weitergibt, indem die Schweigepflicht zwischen allen drei Vertragsparteien vereinbart wird. Findet die Auftragsklärung nur mit dem Coachee statt, ist nicht eindeutig geklärt, welche Erwartungen der Auftraggeber hat, was den Raum für dysfunktionale Fantasien zur vermuteten Erwartung eröffnen könnte. Das Gleiche wäre der Fall, fände die Klärung nur mit der Auftraggeberin unter Ausschluss des Coachees statt. Die Visualisierung des Dreiecksvertrags kann ganz konkret in Auftragsklärungsgesprächen für die Erarbeitung genutzt werden. Interventionsleitende Fragen und Impulse zu guten Verträgen in der Beratung: – Was ist Ihr Anliegen? – Was ist Ihr Ziel? – Was wäre der Gewinn für Sie, wenn Sie Ihr Ziel erreicht hätten? – Was müssten Sie möglicherweise dafür loslassen? – Welche Hindernisse könnten Ihnen auf dem Weg begegnen? – Was werden Sie dazu beitragen, um das Ziel zu erreichen? – Wie kann ich Sie dabei unterstützen? (nach Schneider, 2000)
Für Teams ist die Klärung der Vertragssituation ein gutes Mittel, Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit aus dem Weg zu räumen, die häufig mit ungeklärten Verantwortungen und Prozessen zu tun haben. Interventionsleitende Fragen und Impulse zu guten Verträgen für Teams: – Was ist unsere Aufgabe beziehungsweise unser Ziel? (sorgfältige positive Zielbenennung) – Was wird von uns erwartet und von wem genau?
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Woran wäre zu erkennen, dass das Ziel erreicht ist? Worin liegt die jeweilige Verantwortung zur Zielerreichung? Was sind unsere gegenseitigen Erwartungen? Was ist der jeweilige Beitrag zur Zielerreichung? Was ist meine Motivation für die Aufgabe; was ist die Motivation der/des anderen? – Was macht die Zielerreichung »schmackhaft«, was könnte motivieren? – Zu welchen Bereichen unserer Zusammenarbeit müssen Vereinbarungen getroffen werden? – Wann wird das Ziel erreicht sein? Wie wird das überprüft? (Terminsetzung/eventuell Teilziele setzen) (nach Wetzer, 2002) Werkzeugkiste »Vertragsfragen« (S. 301 f.) Vertiefende Literatur Hennig, G., Pelz, G. (1997). Transaktionsanalyse. Lehrbuch für Therapie und Beratung. Freiburg: Herder. Kessel, B. (2012). Vertragsarbeit als Ausgangspunkt zur Beziehungsgestaltung und Ressourcenaktivierung. Ein erweiterter Ansatz mit dem ZRM im Coaching. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 29, 3, 180–186. Schneider, J. (2002). Auf dem Weg zum Ziel: Der Vertragsprozess – ein Schlüsselkonzept erfolgreicher professioneller Begleitung. Paderborn: Junfermann.
6.2 Wie geht denn nun Transaktionsanalyse? Von der Analyse zur Intervention »Gute Verträge sind die halbe Miete«, aber eben nur die halbe. Im Folgenden lenken wir den Blick nun auf spezifische Möglichkeiten, wie Professionelle in verschiedenen Rollen und unter bestimmten Kontraktbedingungen handeln können, um Entwicklung zu fördern, Lernprozesse zu stimulieren und zu seelischer Gesundheit beizutragen. Eine Lehrerin, Teilnehmerin einer Weiterbildungsgruppe in Transaktions analyse, berichtet von einem schwierigen und letztendlich sehr gelun-
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genen Gespräch mit Eltern eines auffällig gewordenen Schülers. Sie bekommt von der Leitung und den Gruppenmitgliedern viele positive Rückmeldungen und fragt am Ende ihrer Supervision: »Was ist denn eigentlich die Transaktionsanalyse in diesem Elterngespräch?«
Diese Irritation ist uns aus unseren Weiterbildungsgruppen bekannt. Tatsächlich kann es sein, dass sich auch bei näherem Hinschauen wenig Transaktionsanalyse-spezifische Sprachfiguren finden lassen, anders als im systemischen Ansatz, dessen Interventionen mit ihrem großen Spektrum spezifischer Fragetechniken in der Regel leicht zu identifizieren sind. Hätte zum Beispiel die Lehrerin die Mutter gefragt: »Was würde Ihr Sohn sagen, wen in der Familie das Schulthema am wenigstens aufregt?«, könnte sie mit dieser alltagsunüblichen zirkulären Frage sofort ihren professionellen Zugewinn erkennen. Und in der Transaktionsanalyse? Hier wird die professionelle Beziehung in zweierlei Hinsicht als zentraler Wirkfaktor betrachtet. Sie ist eine unspezifisch heilsame Erfahrung, die schon durch die gelebte O. k.-o. k.-Haltung und die Berücksichtigung der Grundbedürfnisse Potenziale beim Klienten freizusetzen vermag und dadurch eine sichere emotionale Basis bildet, auf der dann spezifische Interventionen durch den Berater wirksam werden können. Der Wirkfaktor der heilsamen Beziehung wird von dem Neurobiologen Gerhard Roth in einer Metastudie zur Wirksamkeit von Coaching und Beratung bestätigt (Roth u. Ryba, 2018). Diese Beziehung hat die Funktion einer Bühne, auf der vertraute, früher erlernte Muster re-inszeniert werden. Mit der heutigen Möglichkeit zu bewusster Reflexion und liebevoller Konfrontation können im Beratungs- und Coaching-Prozess und im pädagogischen Kontext heilsame, ermutigende und zum Lebensskript antithetische Erfahrungen ermöglicht werden, die ein Überlernen der alten Muster anregen. Dem ursprünglichen Gebot der Abstinenz in der psychoanalytischen Beziehung – mit mehr Raum für Projektion als für echte, authentische Begegnung – stellte Berne ein anderes Bild gegenüber: die Chance einer Irritation alter Muster gerade durch eine real erlebte Beziehung auf Augenhöhe. Gefragt ist also professionelle Rollenbewusstheit statt menschlicher Abstinenz. Den
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Erfahrungsraum für all das bietet in der Regel das professionelle Gespräch – unter vier Augen oder auch im Kontext einer Gruppe. Diese Idee ist nicht neu. Schon Sokrates wird von Platon mit folgendem Gedanken zitiert: »Die Seele aber, mein Guter, sagt er, werde behandelt durch gewisse Besprechungen und diese Besprechungen wären die schönen Reden. Denn durch solche Reden entsteht in der Seele Besonnenheit, und wenn diese entstanden und da wäre, würde es leicht, Gesundheit auch dem Kopf und dem übrigen Körper zu verschaffen.« (Wolf, 1993, S. 157)
Was hier die griechischen Philosophen mit heilsamer Erfahrung und seelischer Berührung beschreiben, scheint uns mit der Achtsamkeit des transaktionsanalytisch geschulten Menschen verwandt zu sein, nämlich beim Gegenüber die Ebenen der inneren Bewegung – Denken und Fühlen – wahrzunehmen. Verallgemeinert besteht der Interventionscharakter der Transaktionsanalyse ganz wesentlich darin, den eigenen Erwachsenen-Ich-Zustand und in Folge die konstruktiven Verhaltensmodi flexibel im Dienste einer beraterischen oder pädagogischen Intention zu nutzen und so beim Gegenüber die Energie des Integrierenden Erwachsenen-Ich-Zustands zu wecken. Die Flexibilität, sich auf ein Gegenüber beziehen zu können, das in verschiedenen Modi agiert, ermöglicht es, das Wie der Kommunikation ressourcenorientiert zu gestalten. Damit können Transaktionsanalytikerinnen auf die letztendlich entscheidende psychologische Ebene Einfluss nehmen, die immer unter der inhaltlichen Ebene liegt und den Ton der Musik bestimmt. Neben dieser grundlegenden und eher unspezifischen Wirkung der Beziehung lassen sich zwei unterschiedliche und sich ergänzende Gestaltungselemente als wesentliche Wirkfaktoren finden: die professionelle Beziehung als »learning conversation« und als »schöpferischer Dialog«. Auch wenn diese Begriffe zur Beschreibung der Begegnung nicht randscharf sind, so können sie doch kernprägnant unterschiedliches Vorgehen im Coaching-Prozess fokussieren. Bei
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der »learning conversation« geht es um die Idee einer professionellen Begegnung auf Augenhöhe, um einen kokreativen Prozess mit hoher Achtsamkeit, bei dem im Idealfall alle Beteiligten am Ende dazugelernt haben. Bei dem schöpferischen Dialog geht es um die Anreicherung und Vertiefung des Beratungsprozesses durch den Zugang zu eher unbewussten seelischen Bildern und Geschichten. Auf welche Weise ein Coach den Klienten hierzu jeweils inspirieren kann, soll im Folgenden als Ergänzung zu den Anregungen am Ende der vorausgehenden Kapitel ausgeführt werden. Professionelle Begegnung als »learning conversation« Schon Eric Berne war es ein wesentliches Anliegen, den Therapieprozess so transparent wie möglich zu gestalten, um seine Vision einer Begegnung auf Augenhöhe zwischen Therapeut und Patient unmittelbar zu leben. Unter dieser Perspektive sind auch seine explizit benannten acht verbalen Interventionen zu betrachten. Sie schaffen Klarheit darüber, welcher verbaler Mittel sich der Therapeut bedient, und wirken einer Idee magischer therapeutischer Heilkraft entgegen. Berne nennt folgende sprachliche Interventionen, die für ihn wesentlich im therapeutischen Prozess sind: Befragung, Erklärung, Spezifizierung, Konfrontation, Illustration, Bestätigung, Interpretation und Kristallisierung. Im Folgenden werden wir auf die Interventionen Befragung und Erklärung genauer eingehen, da sie uns besonders beispielhaft für Bernes zu seiner Zeit eher ungewöhnliche Haltung in der therapeutischen Begegnung erscheinen. Als weitere Aspekte der »learning conversation« beleuchten wir spezifische Transaktionen sowie die Wirkung eines Gruppensettings als Lernraum. Befragung Die Befragung hat für Berne einen hohen Stellenwert, setzt sie doch auf der Ebene der professionellen Beziehung ein wichtiges Zeichen: Der Berater ist in erster Linie Fragender und Lernender – nicht Wissender. Hier geht es um die neugierige Erforschung des Bezugsrahmens zu einem Thema, das Verstehen des Kontextes, die beidseitige Erweiterung des Horizontes. An dieser Stelle wollen wir nicht versäumen, auf die erstaunlichen Möglichkeiten systemischer
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Fragetechniken hinzuweisen, die eine enorme Bewegkraft haben, den Bezugsrahmen von Klienten und Beratern zu erweitern. So werden Beraterinnen dafür sensibilisiert, welche unterschiedlichen Wirklichkeiten sie allein dadurch kreieren, je nachdem, ob sie den Einstieg durch die Frage »Was ist Ihr Problem?« oder durch die Frage »Was ist Ihr Thema?« wählen. Darüber hinaus stellt der systemische Ansatz eine wahre Fundgrube unterschiedlichster Arten von Fragen zur Verfügung – beispielhaft seien hier die Zirkulären Fragen genannt. Zirkulär bedeutet, dass die Beraterin die Klientin jeweils unter einer der folgenden Perspektiven befragt, also quasi ein gedankliches Dreieck zwischen Klientin, Beraterin und der Perspektive der Befragung in den Raum holt. Mit jeder Perspektive trägt der Berater zu einer anderen Wirklichkeitskonstruktion bei. Der systemische Berater Andreas Kannicht (2014, S. 40–43) stellt folgende Perspektiven zusammen: Die Perspektive der Historisierung – Fragen zur Geschichte,Vergangenheit: Wie lange kennen Sie den Antreiber »Mach es den anderen recht« schon? Welche Szenen aus der Vergangenheit erinnern Sie? Die Perspektive der Futurisierung – Fragen zur Zukunft: Stellen Sie sich Ihr Leben in mit dieser Dynamik in fünf Jahren vor. Was fällt Ihnen dazu ein? Die Perspektive der Operationalisierung – Fragen zur konkreten Beschreibung: Wie kann ich mir das vorstellen, wenn Sie das Antreiberverhalten zeigen? Was tun Sie genau? Die Perspektive der Kontextualisierung – Fragen zum Kontext: In welchen Kontexten zeigt sich der Antreiber »Mach es recht« eher weniger, in welchen eher mehr?“ Die Perspektive der Optionalisierung – Fragen zu Möglichkeiten: Angenommen, Sie würden diesen Antreiber als Freund sehen, würde das etwas ändern? Die Perspektive der Interaktionalisierung – Fragen zur Beziehung: Wem gegenüber zeigen Sie diesen Antreiber besonders häufig? Wem gegenüber wenig? Eine Sonderform von Fragen zur Interaktionalisierung sind die triadischen Fragen, die oft eine sehr stimulierende Wirkung im System haben, da sie Fragegewohnheiten unterbrechen und quasi ein Beziehungsnetz im Raum kreieren: Was glauben Sie, denkt Ihre
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Kollegin, wenn sie all dem zuhört? Gleichzeitig stellen sie Informationen für die ganze Gruppe zur Verfügung und erzeugen in der Regel Interesse und Wachheit. Erklärung Berne versteht es auch als Intervention, wenn ein Coach klärende Informationen zur Verfügung stellt. Das verdeutlicht vielleicht besonders, dass er sein Gegenüber ernst nimmt. Er hält Menschen grundsätzlich für fähig, ihr Erwachsenen-Ich zu besetzen, aus dem klärenden Modus heraus zu agieren und auch über den Erwerb von Wissen zu ihrer seelischen Gesundheit selbst beizutragen. Berne stellte in diesem Sinne seine Konzepte wie zum Beispiel IchZustände, Lebensskript und Spieldynamik seinen Klienten als Hilfe zur Selbsthilfe situativ im Prozess als Information zur Verfügung. Auf den ersten Blick mögen diese Interventionen schlicht und alltäglich erscheinen. Gerade dies ist womöglich ihre Stärke – können sie doch vom Klienten als Modell erlebt werden, wie ein Gespräch geführt werden kann, das Impulse zur Weiterentwicklung gibt. Diesen Grundgedanken hat Bernd Schmid (2017) weiterentwickelt und in diesem Sinne ein gelungenes Beratungsgespräch mit »learning conversation« beschrieben. Seine Idee der »Gebrauchsanweisung« zu Beginn eines Coachings ist ein gutes Beispiel hierfür. Der Berater oder Coach informiert den Coachee über seinen Bezugsrahmen zum Thema »Coaching«, zu seiner Rolle und seinem eigenen Stil und gibt so dem Coachee Sicherheit, Transparenz und das Gefühl von Augenhöhe. Ebenso interessiert er sich für eine Gebrauchsanweisung aus Sicht des Coachee: Was ist Ihre Resonanz auf meine kurze Vorstellung? Passt das so für Sie? Gibt es etwas, was Sie von mir besonders brauchen? Angenommen es läuft im Gespräch mal anders, als Sie es sich wünschen – sind Sie jemand, der sich dann schnell meldet, oder sind Sie eher jemand, der geduldig mitgeht und drauf vertraut, dass der andere schon weiß, warum er tut, was er tut? Woran würde ich merken, wenn es nicht passt für Sie? und andere Fragen mehr. Mit diesen Fragen lädt die Beraterin die Klientin ein, sie nun zu informieren. Besonders wenn die Klientin zur passiven Verhaltensweise der Überanpassung neigen würde, könnte das Wissen über die Art der Zusammenarbeit dem vermutlich vorbeugen. Sie müsste dann
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nicht fantasieren, was die Beraterin wohl von ihr erwarten könnte, was wohl in Ordnung sei im Prozess oder wie sie sich am besten verhalten sollte. Es ist gut vorstellbar, dass das beginnende Beratungsgespräch nach dieser Phase der Gebrauchsanweisung eine andere Grundlage haben könnte. Dies ist ganz im Sinne des Begründers der Transaktionsanalyse, der ja immer wieder auf die Bedeutung der Eingangstransaktion für den weiteren Verlauf eines Gespräches hingewiesen hat – so auch mit seinem Buchtitel: »Was sagen Sie, nachdem Sie ›Guten Tag‹ gesagt haben?« (Berne, 1983). Konstruktive Transaktionen Wenn es heißt, konstruktive Transaktionen bewusst zielführend einzusetzen, so mag das den Eindruck erwecken, dass Spontaneität und Natürlichkeit zugunsten einer Technik auf der Strecke bleiben. Dies ist weder die Intention noch unsere Erfahrung. Vielmehr kann man sich vorstellen, dass die Wahrnehmung der Ich-Zustände beim Gegenüber und die Selbststeuerung des Beraters zu Beginn bewusstes Einüben im Sinne einer Fingerübung auf dem Klavier braucht. Durch diese Fingerübungen wird die Wahrnehmung feinsinnig geschärft, bis sie zu einer bewussten Kompetenz wird. Mit zunehmender Erfahrung sinkt diese bewusste Kompetenz in den Bereich unbewusster Kompetenz, die der Beraterin dann intuitiv zur Verfügung steht. Sich auf den Ich-Zustand des Gegenübers einzuschwingen, erfolgt dann in der Regel mühelos und wie selbstverständlich. Nun kann sie auf der Tastatur der Transaktionen improvisieren. Gekreuzte Transaktionen Zur Unterbrechung gewohnter Muster sind besonders die gekreuzten Transaktionen von Bedeutung, da sie die Kraft haben, positive Irritation und Veränderung zu bewirken (siehe Kapitel 5.2). Voraussetzung hierfür ist eine feinsinnige Selbst- und Fremdwahrnehmung, die parallel zur Wahrnehmung der Inhaltsebene im Gespräch auch der psychologischen Ebene mit ihrem Ausdruck über die verschiedenen Modi Beachtung schenkt. Sind Spieldynamiken im Raum, kann eine rechtzeitige Kreuzung von Transaktionen viel Energie ersparen. Sie kann die Reihe von parallelen Transaktionen mit
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zunehmend emotionaler Ladung auf der psychologischen Ebene stoppen und so das »Kippen« der oberflächlich unauffälligen sozialen Ebene verhindern. Ein Beispiel: Ein Coachee berichtet in der Coaching-Sitzung in eher sachlich kontrolliertem Ton über eine ihn belastende Situation im Team. Je nachdem, ob sich der Coach nun auch eher sachlich aus dem klärenden Modus heraus darauf bezieht oder aber mit warmem Stimmklang und zugewandter Körperhaltung aus dem nährenden Modus auf den Coachee reagiert, wird dies die psychologische Ebene und damit den Fortgang des Gespräches maßgeblich beeinflussen. Während das Agieren aus dem klärenden Modus des Coaches erwartungsgemäß auch den klärenden Modus des Coachee anspricht, wird der nährende Modus eher die Kraft haben, den spontanen Modus im Coachee zu erreichen und so Gefühle zu aktivieren, die entlasten und Lösungsenergie freisetzen können.
»Loving confrontation« Eine besonders wirksame Transaktion ist die wertschätzende Konfrontation. Diese Intervention kann helfen, Bewusstheit über eigene Verhaltens- oder Denkmuster und deren Wirkung in Beziehungen zu entwickeln, und so zur Erweiterung des persönlichen Spielraums beitragen. Ohne wirksame Konfrontation können Muster oft erstaunlich lange aufrechterhalten werden, zumal wir in unserer Kultur eher eine Scheu vor direkten Rückmeldungen beobachten und stattdessen eine Neigung zu Bewertungen in Abwesenheit der Beziehungspartner erleben. Im Mut zur Konfrontation liegt eine große Chance für Entwicklungsprozesse. Dennoch tun sich viele Menschen sehr schwer damit – vermutlich, weil sie auf wenig gute Beispiele aus ihrer Geschichte zurückgreifen können und Angst haben, als unhöflich oder gar verletzend wahrgenommen zu werden. Mit dem Begriff »loving confrontation« (Steiner, 1987) wird betont, dass eine nachhaltige Wirksamkeit nur dann gegeben ist, wenn die Konfrontation eingebunden ist in eine liebevolle und respektvolle Wertschätzung des Gegenübers. Ansonsten könnte sie als Bewertung aus dem dominierenden Modus wahrgenommen und mit innerer Reaktion von Entmutigung oder Rebellion aus dem überangepassten
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oder widerspenstigen Modus erlebt werden. Dem Berater stehen verschiedene Ebenen der Konfrontation zur Verfügung, die jeweils einen anderen Bezugspunkt haben. Einmal ist es das Thema, dann die Beziehung und schließlich ein Muster, auf das sich der Berater beziehen kann. Bildet sich das inhaltliche Thema, mit dem der Coachee in die Beratung gekommen ist, auch auf der Prozessebene zwischen Coach und Coachee ab, liegt darin eine besonders große Chance für eine wirksame Konfrontation. Hier ein Beispiel: Ein Teilnehmer eines Einführungskurses in Transaktionsanalyse beteiligt sich von Anfang an sehr rege an den Gruppengesprächen. Es fällt bald auf, dass er zu einem sehr ausschweifenden Erzählstil neigt, auf kurze Fragen hin kleine Vorträge hält etc. Auf Zeichen der Ermüdung oder des sich Abwendens bei einzelnen Teilnehmern reagiert er nicht, berichtet jedoch gleichzeitig, sich nicht von seinen Kollegen verstanden zu fühlen. Im Laufe der Tage bildet sich bei der Trainerin die Hypothese, dass er mit seinem Redestil zu seinem Problem beiträgt, und sie beschließt, ihn mit den folgenden Worten zu konfrontieren: »Augenblick, ich möchte gerne hier mal unterbrechen, da ich spüre, dass Sie sehr engagiert erzählen, und ich aber Sorge habe, dass die anderen nicht mehr im Boot sind. Mögen Sie sich mal umschauen und prüfen, ob Sie gerade noch bei den anderen sind?« Daraufhin erwidert er, dass er ihren Eindruck teile, dass die anderen gerade nicht mehr im Boot sind. Zu ihrem Erstaunen fügt er hinzu, dass er wohl noch nicht genug erzählt habe. Die Rückmeldungen der Teilnehmer, die er auf den Vorschlag der Trainerin hin zur Überprüfung seiner Gedanken einholt, verblüffen ihn: dass nämlich nicht das Zuwenig, sondern das Zuviel zum Kommunikationsproblem beiträgt, ist für ihn tatsächlich ein neuer Gedanke.
In dieser Fallgeschichte wird eine Dynamik deutlich, die häufig bei fehlender Konfrontation entsteht. Das nicht konfrontierende Gegenüber erträgt den anstrengenden Vielredner nur durch inneren Rückzug, während es nach außen hin die Szene aushält. Der Redner spürt aber die fehlende Resonanz des Gegenübers. Er versucht vergeblich mit seinem trainierten Muster (in diesem Beispiel: immer detaillierter zu erzählen) die Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Statt-
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dessen eskaliert die Situation und endet womöglich in Spieldynamiken mit den vertrauten schlechten Gefühlen. Daher kann eine wertschätzende Konfrontation eine mächtige Intervention sein. »Bull’s-Eye«-Transaktion Die Übersetzung von Bull’s-Eye heißt Volltreffer. Diese Transaktion ist deshalb mächtig, weil sie alle Ich-Zustände und Modi adressiert und sich das Gegenüber so umfassend angesprochen fühlen kann. Eine klug maßgeschneiderte Bull’s-Eye-Transaktion kann unter Umständen mehr bewirken als viele Worte. Diese Erfahrung deckt sich mit den neurobiologischen Erkenntnissen zur Wirkung von Sprache und Körpersprache bezogen auf das neokortikale und limbische Verstehen, Kognition und Emotion werde zugleich angesprochen. Ein Beispiel: Eine Mutter sagt zu ihrem 15-jährigen Sohn, der am Abend trotz bevorstehender Klassenarbeit am nächsten Tag unbedingt ausgehen will: »Ich kann mir vorstellen, wie gerne du heute Abend auf das Fest von Jo gehen willst (K) und wahrscheinlich meinst du auch, dass ich mich da raushalten sollte, weil mich das nichts angeht (EL). Ich würde trotzdem gern mit dir darüber sprechen. Hättest du jetzt Zeit? (ER)«
Ermutigungen Mit den Ermutigungen/Erlaubnissen sind Transaktionen gemeint, die sich aus dem nährenden Modus an den kooperativen oder spontanen Modus richten und die die Auflösung einschränkender Muster zum Ziel haben. Bei dieser Suche nach der »antithetischen Botschaft«, welche die Kraft haben könnte, ein skriptgebundenes inneres Muster aufzulösen, kommt im Vorfeld der gründlichen Analyse von Transaktionen eine große Bedeutung zu. Diese inneren Erlaubnisse, die wir Ermutigungen nennen, sollten sich sehr spezifisch auf das zuvor wahrgenommene Skriptmuster beziehen und können auf verbale oder nonverbale Weise erfolgen, je nach Rolle und Kontext. Trifft die Ermutigung den Kern des Skriptmusters, werden wir beim Gegenüber eine Resonanz in Form von positiven somatischen Markern wahrnehmen, die Maja Storch im Zürcher Ressource-Modell (2007) beschreibt und die wir am Ende dieses Kapi-
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tels aufgreifen. Aus der Perspektive des Konzepts der Ich-Zustände würden wir eine freudige Resonanz des inneren Kindes wahrnehmen können. Da eine sanfte und beharrliche Wiederholung antithetischer Botschaften zum Verändern alter Muster notwendig ist, haben z. B. Professionelle im schulischen oder erzieherischen Kontext eine nicht zu unterschätzende Chance für verändernde Einflussmöglichkeiten auf das Lebensskript der ihnen Anvertrauten. Wir erleben häufig Klienten, die von solchen Spuren erzählen. Eine Grundschullehrerin nimmt die Kinder ihrer Klasse seit ihrer Weiterbildung in Transaktionsanalyse anders wahr. Sie liest ihre Aufsätze nicht nur auf Rechtschreibfehler und Schreibstil hin, und beobachtet ebenso das Verhalten ihrer Schützlinge in der Klasse und im Schulhof mit der Neugier auf möglicherweise wahrnehmbare Skriptmuster. Jede Woche nimmt sie einzelne Kinder gezielt in den Blick mit der Frage: Welche Verhaltens- und Denkmuster, welche Antreiber nehme ich wahr, und was wäre die antithetische Ermutigung in Worten und im Verhalten, die das Kind von mir als Lehrerin brauchen könnte? Beispielsweise gerät eine ihrer Schülerinnen beim Schreiben von Diktaten so sehr unter Stress, dass sie unnötig viele Fehler macht. Die Lehrerin entwickelte die Hypothese, dass sich bei dieser Schülerin ein Skriptmuster »Ich bin nur wertvoll, wenn ich etwas leiste« verfestigen könnte. Ihre Idee ist es, das Mädchen positiv damit zu irritieren, dass sie sie morgens noch vor jeder Leistungssituation auf dem Schulhof mit den Worten begrüßt: »Schön, dass du da bist! Ich freue mich, dass ich deine Lehrerin bin«. Zum Ende des Schuljahres wirkt das Mädchen entspannter und steht nicht mehr ganz so unter Druck in Leistungssituationen – die stressbedingten Fehler werden weniger.
In Kapitel 4.1 haben wir das Modell von Pamela Levin vorgestellt, das eine gute Orientierung ermöglicht, in welcher Entwicklungsphase welche Ermutigungssätze besonders wachstumsfördernd sind und, im Umkehrschluss, aus welcher Phase eine wahrgenommene Skriptidee stammen könnte. Um ein Gespür für möglicherweise fehlende Ermutigungen im Lebensskript zu entwickeln, eignen sich die von Levin zusammengestellten spezifischen entwicklungs-
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psychologischen Ermutigungen zur Inspiration (siehe Werkzeugkiste »Ermutigungen«, S. 258 ff.). Neben dieser wichtigen präventiven Funktion kann ihre Zuordnung auch ein Schlüssel dazu sein, bei erwachsenen Klienten mit Problemen in der Gegenwart eine Verbindung zu einer spezifischen Entwicklungsphase aus früherer Lebenszeit herzustellen, in der ein zentrales Thema nicht gut versorgt war. So kann deutlich werden, welche Ermutigungen fehlen. Diese können dann nachträglich integriert werden. Für Berater, Therapeuten und Coaches kann diese Zuordnung von Lebensthemen zu Altersstufen ein hypothetisches Bild vom Alter des inneren Kindes (im Strukturmodell) ermöglichen, und sie können sich in ihrer Ermutigungs-Intervention auf diese Altersstufe einstellen. Erlebt der Berater intuitiv im Klienten gerade den dreijährigen Jungen, so weiß er, dass dieser junge Anteil des Klienten keine komplizierten Erklärungen braucht, sondern eine emotional gut verstehbare, einfache Ansprache, womöglich unterstützt durch körperliche Nähe. Im folgenden Beispiel taucht für den Berater ein noch früheres Bild auf – das eines Säuglings, dessen Entwicklungsthema das pure Sein ist. Der Berater kann sich dann in seinem Handeln an der für diese Altersstufe so notwendigen unbedingten positiven Zuwendung orientieren und dem Klienten nahelegen, sich durch eine Psychotherapie unterstützen zu lassen. Ein Beispiel: Nachdem ein Klient erfolgreich seine »Mach’s immer allen recht«Antreiberdynamik bearbeitet hat, taucht in der nächsten Sitzung eine darunterliegende Einschärfung »Sei nicht!« auf, die vermutlich der Grund dafür war, ein so starkes Antreiberverhalten zu entwickeln. Er kämpft mit tiefer Traurigkeit und dem heftigen Gefühl, keine Daseinsberechtigung zu haben. Die Beraterin spürt intuitiv, dass sie den Klienten im Augenblick verbal und auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs nicht erreichen kann. Sie legt mit seiner Erlaubnis vorsichtig ihren Arm um seine Schulter und hält ihn so eine Weile, nachdem sie sich rückversichert hat, dass es in Ordnung für ihn ist. Die Aktivierung des nährenden Modus, die sich in der körperlichen Zugewandheit ausdrückt, vermag offensichtlich das innere Kind in einem sehr frühen Alter zu erreichen. Der Klient wird deutlich ruhiger, das Weinen lässt nach,
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und er berichtet im Anschluss, dass er sich leichter und geborgener fühle. Um seine Energie wieder ins Erwachsenen-Ich zu holen, bittet die Beraterin ihn nun, sich aufrecht in eine kraftvolle Position auf seinem Stuhl zu setzen, beide Beine fest auf dem Boden zu spüren, um die soeben gemachte Erfahrung zu besprechen. So kann das Erleben im Kind-Ich im Speicher des Erwachsenen-ich integriert werden. Die Beraterin rät dem Klienten anschließend sich zu dem Thema zusätzlich psychotherapeutische Unterstützung zu holen.
Die drei »P«: potency, permission, protection als Grundhaltung für Interventionen Bei diesen Interventionen nach Pat Crossman orientiert sich die Beraterin, der Coach, die Trainerin oder der Pädagoge bewusst an einer Abfolge von Transaktionen, die gezielt zur Erweiterung des Verhaltensspielraums eines Menschen eingesetzt werden. Diese Intervention nutzt die 3 P – Potency (Stärke), Permission (Erlaubnis), Protection (Schutz). Crossman fügte später mit Reinforcement (Bekräftigung) einen weiteren Schritt hinzu, da die reine Ermutigung oder Erlaubnis häufig nicht ausreicht, um das Risiko einzugehen, neue Wege zu beschreiten. Es braucht zunächst einen Menschen, der für den Klienten oder den Coachee oder die Schülerin Kraft und Autorität verkörpert, so dass er dieser Person glauben kann, dass sie ihm die Veränderung tatsächlich zutraut (Potency). Es folgt die Erlaubnis oder Ermutigung (Permission), neue Schritte zu gehen, und ein oft vergessener, aber bedeutsamer Schritt, nämlich den Klienten vor Enttäuschung zu schützen, wenn er bei den ersten Gehversuchen vielleicht nicht gleich seinen eigenen Erwartungen gerecht werden kann (Protection). Dies korrespondiert mit der Methode des ZRM, die vorsieht, bei der Umsetzung von Zielen den Schwierigkeitsgrad zu beziffern und mit »leichten Hürden« zu beginnen, um durch erste Erfolge die für die Motivation wichtige Dopamin-Ausschüttung zu gewährleisten. Im letzten Schritt ist es wichtig, das neue Verhalten achtsam wahrzunehmen und positiv zu spiegeln (Reinforcement). Ein Beispiel: Die Leiterin eines Institutsbereichs fühlt sich gehemmt, sich im Führungskreis zu Wort zu melden, und leidet zunehmend dar-
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unter. Eine wirksame Ermutigungstransaktion könnte in dieser Situation folgende sein: 1. Ich traue Ihnen zu, dass Sie in der Gruppe etwas Wichtiges beitragen können! (Potency) 2. Ich finde, Sie können sich genau wie alle anderen diesen Raum nehmen! (Permission) 3. Wenn Sie das ausprobieren, muss es ja nicht gleich perfekt klappen! (Protection) 4. Wie wunderbar, dass es Ihnen immer öfter gut gelingt! (Reinforcement)
Natürlich geht es hier nicht um das starre Abhandeln der Schritte, sondern um eine Orientierung für Beraterinnen, Führungskräfte oder Pädagogen: Wie können sie rollen- und kontextangemessen die Auflösung skriptgebundener Einschränkungen anstoßen und die Entwicklung von Menschen fördern? Die Begriffe »Potency«, »Permission« und »Protection« geben eine gute Orientierung für eine grundsätzliche Haltung als Coach, Beraterin, Trainer und Pädagoge: einer kraftvollen Präsenz, aus der heraus gleichermaßen Ermutigung und Schutz für die Entwicklung des Coachee, der Klientin, des Schülers oder der Gruppe bereitgestellt werden. Die Gruppe als Bühne und Spiegel Die Transaktionsanalyse betont die Ressourcen eines Gruppenkontextes für die persönliche und professionelle Weiterentwicklung von Menschen. Der Reichtum, der in einer Gruppe durch die vielfältigen Eigenheiten der Teilnehmenden entsteht, bietet enorme Chancen für die Persönlichkeitsentwicklung. Schließlich haben wir unser Lebensskript mit all seinen Mustern des Denkens, Fühlens und Verhaltens stets im Kontext von Kleingruppen – zum Beispiel in der Familie, im Kindergarten oder in der Schulklasse – entwickelt und unter Umständen über einen langen Zeitraum eingeübt. Im Umkehrschluss wird davon ausgegangen, dass die Gruppe daher auch ein wesentlicher Wirkfaktor für die Veränderung des Lebensskripts ist. Interessanterweise zeigen viele Menschen ihre Skriptmuster deutlicher im Gruppengeschehen als im Zweierkontakt. Eine Hypothese
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zur Erklärung ist, dass eine wohlwollende, vom Interesse und Respekt des Beraters getragene Zweierbeziehung leichter zu einem Grundgefühl der Sicherheit beim Klienten beitragen kann. In einer Gruppensituation muss der Einzelne die Aufmerksamkeit der Leitung mit vielen teilen, was zu Verunsicherung führen und alte Skriptmuster aktivieren kann (zum Beispiel »Andere sind wichtiger als ich« oder »Wenn ich etwas will, muss ich darum kämpfen«). Genau hierin liegt die Chance: Die Teilnehmenden inszenieren sich mit ihren alten Mustern und neuen Kreationen vor »Zuschauern«. Neben der Rolle der Leitung wird so eine weitere Kraft wirksam: die Gruppe. Sie ist involviert, spielt mit und kann Zeugnis ablegen von dem, was geschieht. Die Mitwirkenden im Gruppenkosmos reflektieren das Geschehen aus jeweils verschiedenen Blickwinkeln. Dabei inszeniert sich jede Teilnehmerin auch selbst und wird so Teil des Zusammenklangs, des Miteinanders, der Gruppenmelodie – einmal als Impulsgeber auf der Bühne, ein andermal als Spiegel im Zuschauerraum. Angeregt auf so vielfältige Weise ist das Lernen eine Erfahrung: Die Theorie der Transaktionsanalyse wird durch eine Gruppe erlebt, erfühlt, erspürt – und kognitiv durchdacht. Alle Teilnehmenden gestalten diesen Lernprozess auf ihre Weise. Kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten ergänzen einander und münden in eine wachsende Bewusstheit. In dieser Bewusstheit wird es möglich, genau zu schauen und damit die Perspektive der Nähe als Scheinwerfer zu nutzen. Die Gruppe bietet aber auch die Chance, den Blick über das eigene Erleben und Denken hinaus zu heben und so die Perspektive der Weite zu nutzen. Durch das Schaffen einer wertschätzenden Atmosphäre, in der die Grundbedürfnisse nach Struktur, Stimulation und Strokes erfüllt werden, kann gleichzeitig eine Tiefe der Begegnung entstehen – und die Sehnsucht, diese Qualität auch in die Welt außerhalb dieser professionellen Gruppen zu tragen. Ein Anliegen, das ganz sicher schon Eric Berne am Herzen lag. Die professionelle Begegnung als schöpferischer Dialog Der Zugang zu den unterbewussten Ressourcen in einem Beratungsprozess ermöglicht ergänzend zu den Elementen der »learning conversation« die schöpferische Qualität, aus der heraus manchmal auch
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überraschende Lösungsräume auftauchen. Wir beschreiben diese Zugänge über die Arbeit mit Träumen und Imaginationen sowie mit dem neurobiologisch basierten Konzept des Zürcher Ressourcen- Modells (ZRM). Träume und Imaginationen als Ressource So wie das genaue Hinschauen und Hinhören im aktuellen Gruppengeschehen aus der Nähe Entwicklungsimpulse anstoßen kann, können Träume wesentliche Themen und Muster aus der Tiefe der unbewussten Lebenswelt ans Licht holen. Das ist ein wunderbarer Zugang, der vor allem im Kontext einer Gruppe beinahe spielerische Annäherung mit hoher Effizienz zu verbinden vermag. Das schöpferische Arbeiten mit Träumen kann allen Beteiligten helfen, das Zusammenspiel zwischen bewusst-methodischem und unbewusst-intuitivem Umgang mit der Wirklichkeit beispielhaft zu erleben. Bernd Schmid (2012) spricht hier vom »schöpferischen Dialog«, wobei sich Dialog sowohl auf den sozialen Austausch als auch auf das innere Zwiegespräch bezieht. Auf diese Weise können Menschen dem Reichtum ihrer inneren Welt begegnen und lernen, seelische Bilder aus Nacht- oder Tagträumen als eine zusätzliche Quelle für die Bewältigung ihrer oft komplexen Lebensfragen zu nutzen. Ein Beispiel: Ein 59-jähriger Manager in einem großen Pharmakonzern befindet sich in einem großen Wandlungsprozess, der ihn entsprechend zeitlich und inhaltlich fordert. Er erzählt im Rahmen eines zweitägigen Seminars für Führungskräfte am ersten Tag begeistert von seinen erfolgreichen Schachzügen, sich für die Interessen seiner Kontorleiter einzusetzen. Es scheint ihm bei aller Anstrengung sichtlich Freude zu machen, sich bestimmten Entwicklungen entgegenzustellen und mutig eigene Positionen zu verteidigen. Eher nebenbei erwähnt er, dass seine Frau und drei jugendliche Töchter im Familienhaus in einem Dorf in Norddeutschland leben und er in den letzten stressigen Monaten nicht wie früher jedes Wochenende zu seiner Familie fliegen kann. Zurzeit ginge es einfach nicht anders, und er hoffe auf bessere Zeiten. Am nächsten Morgen ist von seiner kraftvollen Stimmung am Vorabend, an dessen Ende er noch an den Bar mit seiner Mannschaft auf die erfolgreiche
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Strategie das Glas gehoben hatte, nichts mehr zu spüren. Er wirkt in der Morgenrunde seltsam frustriert und wortkarg. Darauf angesprochen erzählt er, er habe schlecht geträumt und berichtet der Gruppe von folgendem Traumbild: ein Schlachtfeld in gleißendem Licht, Kämpfer mit Schwert und Schild, die sich begegnen, teilweise mit ästhetisch anmutenden Bewegungen. Er befindet sich auf der Seite der stärkeren Truppe in freudiger Ahnung, den Kampf zu gewinnen, als das Bild plötzlich jäh abbricht und eine zweite Szene auftaucht: ein alter knorriger Olivenbaum, an dessen Stamm er angelehnt in sich versunken sitzt, im Blick einige zarte Mohnblumen. Nach seinem Gefühl befragt, berichtet er von einer unendlichen Traurigkeit, die sich in seinem ganzen Körper ausbreite und mit der er morgens aufgewacht sei. Damit könne er nun gar nichts anfangen. Die Beraterin lädt die anderen Gruppenmitglieder ein, ihre Assoziationen zum Traum untereinander in Form eines »reflecting teams« zu teilen. Den Mann bittet sie, wahrzunehmen, welcher Beitrag ihn seelisch berührt. Jetzt ist es ihre Aufgabe, die Struktur dieses Prozesses zu halten und dann die für den betreffenden Teilnehmer stimmige Spur im Dialog mit ihm zu vertiefen. Am Ende sind alle Beteiligten berührt und erstaunt, welchen Gehalt er diesem kurzen Traum entnehmen kann: Das erste Traumbild spiegele seine Freude und seinen Erfolg in seinem kämpferischen Engagement auf der beruflichen Bühne. Die zweite Szene berühre ihn viel tiefer: Der Baumstamm symbolisiere seinen Stammbaum und seine Verwurzelung in einer seit vielen Generationen in einem norddeutschen Dorf ansässigen Familie – auch dies eine starke Seite seiner männlichen Identität, die er in letzter Zeit deutlich vernachlässigt habe. Besonders wühle ihn das Gefühl der Traurigkeit auf, als habe er etwas sehr Kostbares verloren. So sei ihm durch den Traum deutlich geworden, dass es dringend Zeit sei, seine Balance zwischen beruflicher und privater Lebensbühne zu überprüfen. Im anschließenden Einzel-Coaching über mehrere Sitzungen kommt er zu der Erkenntnis, dass er seinen bisherigen Bezugsrahmen, so lange zu arbeiten, bis die Arbeit ihm keinen Spaß mehr mache, nicht mehr aufrechterhalten könne, ohne dafür womöglich privat einen hohen Preis zu zahlen. Entsprechend sensibilisiert schafft er nach langer Zeit wieder Raum für ein tiefgehendes Gespräch mit
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seiner Frau und erfährt, dass sie innerlich auf dem Absprung ist. Er entscheidet sich nach einem schmerzlichen Klärungsprozess, den Abgang von der beruflichen Bühne für das Ende des nächsten Jahres sorgfältig vorzubereiten. Er berichtet, dass das Traumbild des alten knorrigen Olivenbaums ihm immer wieder in den Sinn gekommen war, wenn er sich mit guten Gründen für den Verbleib in der Firma beschäftigt habe. Noch viele Jahre später erinnert er sich mit großer Dankbarkeit an diesen Traum, ohne den er seinerzeit so vieles verpasst hätte, was jetzt zu seinem Lebensglück beitrage: besonders die ungeteilte Freude, gemeinsam mit seiner Frau die ersten Enkelkinder aufwachsen zu sehen. Als Dank dafür habe er in seinem Garten ein großes Baumhaus für die nachwachsende Generation gebaut. Auch sonst habe er sich Spielräume für seine Schaffenskraft erobert und sei in Sachen Umweltschutz in einer verantwortungsvollen Rolle aktiv. Seltene, aber regelmäßige Kontakte mit der alten Firma machten es ihm möglich, die Entwicklung weiter mit zu verfolgen. Er sei mit sich im Reinen.
Träume erzählen Geschichten, die jedoch in der Regel dem Träumer selbst so nah sind, dass ihm ohne einen Dialogpartner die Botschaft oft verborgen bleibt, auch wenn diese Fähigkeit zum Traumverstehen durchaus entwickelt werden kann. Leicht dagegen lassen sich in der Regel Traumgeschichten verstehen, wenn die Hörer sich erlauben, in einen Zustand intuitiver und nicht zensierender Wahrnehmung zu gehen, und einfach das in die Gruppe geben, was ihnen an Assoziationen und Hintergrundthemen zum Traum einfällt. Ebenfalls können sie bewusst nach Mustern suchen, die sich in der Traumgeschichte spiegeln, so zum Beispiel die Skriptmuster und Antreiber. Ganz wesentlich ist die Haltung, nicht nach der richtigen Deutung zu suchen, sondern nach hilfreichen Ideen im Sinne einer Hypothesenbildung. Hilfreich ist eine Idee dann, wenn der Träumer mit ihr etwas anfangen kann. So wird der Zugang zu Träumen auch für Laien erleichtert und befreit von der bisweilen vorhandenen Schwere durch den Anspruch von Deutungsmacht. Außerdem können so die möglichen Schätze eines Traumes geborgen werden, statt ihnen mit der Idee »Träume sind Schäume« ihre Bedeutung abzusprechen. In diesem Bezugsrahmen lässt sich das Arbeiten mit Traumnarrativen
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bei Klientinnen leicht in die Beratungsarbeit integrieren, sofern es vom Kontext her passt und der Klient eine Bereitschaft für diesen zusätzlichen Zugang mitbringt. In diesem Fall kann es den Beratungsprozess unterstützen, den Coachee während des Coaching-Prozesses ein Traumtagebuch führen zu lassen und gelegentlich gemeinsam darin zu stöbern. Über den rein intuitiven, narrativen Zugang hinaus erleben wir einige Grundgedanken Carl Gustav Jungs als hilfreich, um die Tiefe von Trauminhalten zu verstehen. Seine Sichtweise, dass Träume bisweilen Dinge ans Licht bringen, denen wir im Alltag oft keine Bedeutung schenken, kann helfen, Träume als Ergänzung und Erweiterung unseres Bewusstseins zu sehen. So können die bisweilen bizarren, mächtigen und manchmal auf den ersten Blick auch erschreckenden Traumbilder wie beispielsweise das eines Pfarrers einen wichtigen Hinweis zur Weiterentwicklung geben. Nach Träumen gefragt, erzählt der 55-jährige Mann in der Morgenrunde einer Weiterbildungsgruppe mit großer Irritation und Beschämung von folgendem Traumbild: »Ich stehe auf der Kanzel und erschieße meine Kirchenältesten allesamt – und dazu noch mit großem Vergnügen.«
Solche Traumbilder erzeugen weniger Angst und Verdächtigung, wenn wir sie unter folgenden Annahmen frei nach Jung sehen: Themen, die wir im Tagesbewusstsein nicht gerne sehen wollen, drängen bisweilen nachts in verwilderter Form durch die Hintertür der Seele in unsere Träume. Der Pfarrer ist im Tagesgeschehen stets bemüht um Harmonie und kennt, wie er sagt, eigentlich keinen Ärger. Dazu tragen vermutlich seine Antreiber »Mach es den anderen recht« und »Sei stark« bei – ebenso wie das Professionsskript des Pfarrers. Diese Sicht kann dem Klienten helfen, das für ihn offensichtlich peinliche Traumbild einzuordnen und mit einer aktuellen Situation in Verbindung zu bringen, in der er sich wohl doch geärgert hatte. Weiterhin bietet Jung die Unterscheidung in subjekt- und objektstufige Deutung an, die zur Trauminterpretation zur Verfügung steht: Beim subjektstufigen Zugang sind alle Personen oder Symbole im Traum Repräsentanten für verschiedene Anteile des Träumenden:
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Das Traumbild einer Person, die am Steuer eines Autos sitzt und Gas gibt, während eine zweite Person auf die Bremse tritt, würde eine innere Ambivalenz spiegeln, in Bezug auf ein Thema einerseits Gas geben und andererseits bremsen zu wollen.
Beim objektstufigen Zugang schauen wir auf den Träumenden in seiner sozialen Bezogenheit und können mit ihm darüber ins Gespräch gehen: Welcher Mensch im Außen ist es, der Sie in Ihrer Bewegung bremst? Eine weitere, nach unserer Erfahrung hilfreiche Idee Jungs ist die Unterscheidung von individuellem und kollektivem Unbewusstem. In der Regel gehen wir von der Annahme aus, dass sich in den Träumen persönliche Themen spiegeln, die von der träumenden Person noch nicht genug ins individuelle Bewusstsein integriert worden sind. Mit dem Begriff des kollektiven Unbewussten stellt sich eine andere Weite im Blick auf Trauminhalte ein. In den Träumen einzelner, dafür besonders empfänglicher Menschen können sich auch kollektiv verdrängte Themen spiegeln, die im Kontext unserer Außenwelt aus gutem Grund zurzeit nicht gesehen werden wollen. Diese Sicht zum Traumverstehen mit hinzuzuziehen kann äußerst entlastend sein und vor allem Menschen, die gewohnheitsmäßig stark auf die Suche nach persönlichen Entwicklungsthemen fixiert sind, eine neue Perspektive eröffnen. Eine Frau kommt völlig aufgelöst in eine Beratung Ihr gehe es total schlecht – ein fürchterlicher Traum würde sie regelrecht verfolgen. Sie wisse ja, dass sie gerade durch verschiedene Familienereignisse keine leichte Zeit habe, aber der Traum habe ihr erst richtig klar gemacht, wie es um sie stehe. Die Beraterin bittet sie zu erzählen und merkt an sich selbst, wie heftig sie die Bilder der Frau von unzähligen Leichen in trübem, eiskaltem Wasser erschüttern. Die Frage nach dem Kontext des Traumes führt zu einem aufschlussreichen Thema: Die Klientin hatte unmittelbar mit dem ersten Auftauchen des nun wiederkehrenden Traums begonnen, Deutschunterricht für Geflüchtete zu geben. Sie habe sich unbedingt engagieren wollen, aber da sie von sich wisse, wie dünnhäutig sie sei, habe sie auf keinen Fall Beratungsarbeit machen wollen, wo sie ja mit tragischen Lebensgeschichten konfrontiert wor-
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
den wäre. Es entlastet sie, als die Beraterin ihr sagt, dass wahrscheinlich schon die Nähe zu diesen Menschen ausgereicht habe, um in ihrer Seele die schrecklichsten Bilder von einer durchaus vorhandenen, aber in der Öffentlichkeit verdrängten Realität auftauchen zu lassen. Sie erzählt von weiteren Träumen ähnlicher Qualität und von einer als hellsichtig beschriebenen und von der Familie deswegen eher ungeliebten Großmutter. Am Ende dieses Gesprächs wirkt sie sichtlich weniger aufgewühlt. Als die Beraterin ihr sagt, dass es sicherlich etwas Großartiges wäre, wenn mehr Politiker in dieser Welt die Durchlässigkeit hätten, solche Träume zu empfangen, reagiert sie stark. Fast ein wenig stolz verlässt sie die Praxis. Die Klientin und die Beraterin verabreden, bei einer weiteren Sitzung an der Frage zu arbeiten, wie sie, die Klientin, in Zukunft gut mit ihrer offensichtlichen Fähigkeit umgehen könne, kollektiv Verdrängtes in ihren Träumen wahrzunehmen.
In der Arbeit mit Träumen lässt sich nach unserem Verständnis besonders gut zeigen, welche Kraft im Zusammenspiel von intuitivem Zugang und konzeptgeleitetem Vorgehen steckt. Gleichzeitig wird die enorme Ressource einer Gruppe sichtbar, in der auch Menschen ohne professionelles Vorwissen über Träume einander hilfreich sein können, um wesentliche Lebensthemen ans Licht zu bringen. Gewissermaßen wird es in solchen Situationen möglich, vielleicht als unantastbar erlebtes Expertenwissen wieder zu einem Kulturelement zu machen und es als solches zu nutzen. Schließlich gehören Träume seit Urzeiten zum Menschsein dazu und zahlreiche Erzählungen berichten davon, dass im Traum Lösungen für naturwissenschaftliche Aufgaben gefunden und Musikstücke komponiert wurden. Warum sollten wir also nicht auch Träume als Ressource in der Beratungspraxis nutzen? Arbeit mit seelischen Hintergrundbildern in Imaginationsübungen Wenn es vom Kontext her nicht passt oder Klienten schlichtweg keine Träume erinnern, können auch Tagträume oder im Zustand von Entspannung angeleitete Imaginationen aussagekräftige Bilder ans Licht bringen. Schmid spricht hier von seelischen Hintergrundbildern, um deutlich zu machen, dass Menschen voller innerer Bilder sind, die aber bisweilen erst vom Hintergrund in den Vordergrund
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geholt werden müssen. Auch wenn diese Bilder vielleicht aus anderen Quellen als die Bilder der Nachtträume stammen, so sind sie doch gehaltvoll und können Beratungsprozesse enorm anreichern, wenn es darum geht, den emotionalen Bedeutungsgehalt und den seelischen Hintergrund zu einem spezifischen Thema ins Bewusstsein zu bringen. Ein Beispiel: Eine Klientin berichtet von einem langen quälenden Entscheidungsprozess mit ihrem Mann bezogen auf die Frage nach ihrem Kinderwunsch. Sie kämen einfach nicht weiter, obwohl sie sich gründlich mit dem Für und Wider des Lebens mit und ohne Kinder beschäftigt hätten. Ihr Mann sei eigentlich klar in seinem Wunsch nach Kindern, während sie völlig ambivalent sei. Lange Listen mit Argumenten für die eine oder andere Position führten eher zu Verwirrung als zu Entscheidungsklarheit. Interessiert an Hintergründen zu diesem Patt und geleitet von der Idee, dass eine ungewohnte Annäherung an das Thema vermutlich mehr Chancen hätte, Bewegung in den stockenden Problemlösungsprozess zu bringen, entscheidet sich der Berater für den Zugang über die Generierung seelischer Hintergrundbilder zum Thema. Nach einer kurzen körperlichen Entspannungsübung bittet er die Klientin, innere Bilder zum Thema »Mutter« entstehen zu lassen. Berater und Klientin sind gleichermaßen erstaunt und berührt, dass in den Bildern der Klientin wenig freudvolle, sondern eher verhärmte Frauengestalten auftauchen. Im anschließenden Dialog zu den Bildern scheint die Frage, ob vielleicht unbewusste Hintergrundbilder aus der Herkunftsfamilie ihren Entscheidungsprozess blockieren könnten, eine neue Tür zu einem Lösungsraum zu eröffnen. Offensichtlich erfolgreich, denn nach einem Jahr lag der lebendige Beweis in der Wiege.
Die ZRM-Interventionen Ergänzend zu den bisherigen Interventionen nutzen wir einige spezifische aus dem ZRM -Konzept, wie bei einigen Fallbeispielen bereits beschrieben wurde: die Nutzung von Bildern und Embodiment-Arbeit. Hier beschreiben wir alle ressourcenorientierten Interventionen des ZRM-Gesamtkonzepts die helfen, die notwendige Energie für einen erfolgreichen Beratungsprozess zu mobilisieren, transaktionsanalytisch ausgedrückt: um das innere Kind für die
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
Veränderung zu gewinnen, um dann mit Hilfe des integrierenden Erwachsenen-Ichs die Veränderung umzusetzen. Die Interventionsarten basieren auf einem motivationspsychologischen Konzept, dem Rubikon-Modell von Heckhausen, G ollwitzer und Weinert (1987), weiterentwickelt von Krause und Storch (2010). Die Rubikon-Metapher bedeutet, die Handlungsenergie für einen persönlich wichtigen Schritt freizusetzen – so wie Julius Caesar sich einstmals entschied, für seinen politischen Einfluss in Rom zu kämpfen mit dem symbolischen Überschreiten des Grenzflusses Rubikon zwischen der Provinz Gallien und dem italienischen Kernland, das keinem römischen Feldherrn mit seinen Truppen erlaubt war. Asterix-Fans entsinnen sich an seinen Ausspruch: »Alea iacta est – Der Würfel ist gefallen.« Zusätzlich zu einem Ziel, das in der Beratung in der Regel in der Vertragsklärungsphase verbal als eine Intention definiert wird, nutzt das ZRM eine Interventionsform, die im Sinne der von Berne beschriebenen Bull’s-Eye-Transaktion wirkt. Durch die Verwendung von Bildern aus einer Foto-Bildkartei mit der Fragestellung, welches Bild in Bezug auf das Beratungsthema stärkend wirkt, werden die Ressourcen des Unterbewussten, des limbischen Systems genutzt. Die transaktionsanalytische Entsprechung wäre in den Ich-Zuständen das Kind-Ich oder die Pathos-Dimension im Integrierenden ER. So kann eine kognitiv entwickelte Zielformulierung handlungswirksam angereichert werden durch die Verknüpfung mit darunterliegenden Bedürfnissen und attraktiven Zielbildern, also Emotionen, die ihren Ausdruck dann nicht unbedingt in einer spezifischen Verhaltens-Zielformulierung, sondern in einem Ziel auf der Haltungsebene findet. Diese Art Zielformulierungen werden im ZRM Mottoziele genannt. Caesars Satz »Alea iacta est – Der Würfel ist gefallen« enthält entsprechend nicht das Ziel, den Rubikon zu überschreiten (Verhaltensebene), sondern eine tiefe innere Entschiedenheit, alles zu tun, um seine politischen Interessen in Rom zu vertreten im Wissen um seine Widersacher. Ein Mottoziel muss formuliert sein Ȥ als Annäherungsziel: »hin zu« statt »weg von« – mit entsprechend attraktiver Zielformulierung, Ȥ so, dass es ausschließlich unter eigener Kontrolle steht,
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Ȥ so, dass es erkennbar (!) eine motivierende Wirkung zeigt durch positive somatische Marker. Es beschreibt zunächst ein Haltungsziel, um dann in verschiedenen Situationen ein zum Ziel passendes Verhalten aktivieren zu können. Positive somatische Marker sind der körperliche Ausdruck – Mimik, Gestik, Körperhaltung – von Zustimmung und Freude wie ein Lächeln, erleichtertes Lachen, eine körperliche Aufrichtung oder auch Entspannung. Eine nächste Intervention ist der Aufbau eines Ressourcenpools, der aus verschiedenen Interventionsschritten besteht: Ȥ Mit dem Mottoziel als Ausgangspunkt gehen Klienten auf die Suche nach Erinnerungshilfen, um das Ziel neurobiologisch zu multicodieren. Hiermit ist gemeint, das Ziel über verschiedene Sinneskanäle als neues neuronales Netzwerk zu bahnen. Das kann, wie in dem in Kapitel 6.1 beschriebenen Beispiel der Führungskraft mit den einschlafenden Händen, Folgendes bedeuten: Für die Führungskraft lösten zwei Bilder einen eindeutigen positiven somatischen Marker aus: das Foto von zünftigen Bergstiefeln eines Wanderers, der auf ein weites Bergpanorama blickt. Die Assoziationen des Mannes dazu waren Aufbruch, Sich-auf-den-Weg-Machen, Weitblick. Das zweite Foto zeigt ein Baby, das liebevoll geborgen in einem Männerarm liegt. Es bedeutete für ihn, das eigene innere Kind zu versorgen. Im weiteren Gespräch rückte das erste Foto der Bergstiefel in den Vordergrund und der Mann entwickelte das Mottoziel »Ich breche auf und gehe meinen eigenen Weg«. Als Erinnerungshilfen platzierte er das Foto mit den Wanderstiefeln als Bildschirmhintergrund auf sein Mobiltelefon, lud sich ein Musikstück herunter, das vom »Mut zum eigenen Weg« handelte, und hängte in seinem Büro ein Bild von einem Bergpanorama auf. Von einem Urlaub in dieser Zeit brachte er einen Schlüsselanhänger mit kleinen Wanderstiefeln mit.
Die Erinnerungshilfen wirken unterbewusst nach dem Prinzip der Schleichwerbung. Sie triggern neuronal, ohne das bewusste Auf-
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merksamkeit dafür aufgewendet werden muss, das neue Muster und verstärken dadurch dessen Bahnung im Gehirn. Ȥ Das Embodiment, die Verkörperung des Mottoziels, ist eine weitere Ressource. Sie wird in zwei Varianten entwickelt, einer Makro- und einer Mikroversion. Im Fallbeispiel entschied der Coachee, wieder mit dem Laufen zu beginnen, um in Verbindung mit seiner Kraft zu kommen (morgendliche Makroversion). Als Mikroversion entwickelte er für bestimmte Management-Situationen, die er bisher als »sedierend« erlebte, eine bewusste Körperhaltung in Form einer guten Aufrichtung mit Öffnung im Brustbereich, entspannten Schultern und geerdeten Füßen, um so seinen Handlungsimpulsen treu zu bleiben und kraftvoll voranzugehen mit innovativen Ideen. Für den Fall, dass diese wie manchmal in der Vergangenheit keine Resonanz finden, nahm er sich alternativ vor, sich entspannt zurückzulehnen, statt sich wie bisher stark über die lahme Führungsebene zu ärgern und dann überenergetisch zu werden.
Ȥ Eine weitere Ressource stellt die Identifizierung von Vorläufersignalen dar, die einen Rückfall in das alte, unerwünschte Muster ankündigen. Meistens wird dies als plötzlich, von »von Null auf Hundert«, ohne Ankündigung erlebt. Bei genauerer Untersuchung zeigen sich Vorläufersignale häufig auf körperlicher Ebene, wie der Abfall oder Anstieg von Energie, Veränderung des Atems, Anstieg oder Abfall der Körperspannung, flauer Magen, Schwitzen und anderes mehr. Wenn diese Signale bewusst wahrgenommen werden, kann rechtzeitig mit dem Mottoziel und anderen Erinnerungshilfen Kontakt aufgenommen (Haltungsebene) und mit Wenn-dann-Plänen (Verhaltensebene) gegengesteuert werden: Ȥ In Wenn-dann-Plänen als Ressource wird eine konkrete Situation mit dem durch diese Situation ausgelösten Reiz und einem bestimmten, geplanten Verhalten verknüpft. Die ausgelösten Reize können innere Reize sein: »Wenn ich spüre, dass Ärger in mir hochsteigt, …« oder äußere Reize: »Wenn die Kollegen meine Ideen ablehnen …«.
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Im nächsten Schritt werden die »Wenn …-Satzteile« mit einem »… dann-Satzteil« verknüpft, im Falle des Coachees: »Wenn ich Ärger aufsteigen spüre und meine Körperspannung ansteigt, dann atme ich dreimal tief durch, lehne mich zurück und überlege in Ruhe, wie ich die Kollegen für meine Ideen gewinnen kann oder was ich auch unabhängig von ihnen umsetzen kann.«
Wenn-dann-Pläne funktionieren am besten, wenn der Wenn-Teil genau spezifiziert ist. Wichtig ist, gemeinsam mit den Klientinnen herauszufinden, über welchen Sinneskanal sie sich am schnellsten stabilisieren können mit den im Pool enthaltenen Ressourcen – über visuelle Anker wie das Bild (äußerlich oder innerlich), auditive wie das innere Aufrufen des Satzes oder kinästhetische über das Embodiment-Element. Manchmal bewirkt allein eine minimale physische Aufrichtung, ein innerer Slogan oder ein inneres Bild einen sofortigen psychischen Kraftzuwachs. Fühlen, Denken und Verhalten – unterschiedliche Zugänge zum Lösungsraum In diesem Kapitel haben wir eine Vielfalt von Interventionen vorgestellt, die Klientinnen dazu anregen können, festgefahrene Muster im Denken, Fühlen und Verhalten zu verändern. Abschließend wollen wir nun den amerikanischen Transaktionsanalytiker Waren (1992) zu Wort kommen lassen. Er geht davon aus, dass Menschen im Beratungsprozess sehr unterschiedliche Präferenzen haben, über welche »Tür« sie gut den Weg zum Problemlösungsraum finden können. Er unterscheidet für diesen Weg drei Türen: eine Eingangstür, die einen guten Start in die Reflexion des Themas ermöglicht, eine Falltür, die zur Blockierung im Beratungsprozess führt, und eine Zieltür, die sich nach der Eingangstür öffnen lässt und zum Lösungsraum führt. Die Lösung selbst liegt dann häufig im Bereich der jeweiligen Falltür. Eine sehr engagierte und empathische Klientin beispielsweise braucht zunächst die gefühlsmäßige Wertschätzung der Beraterin für ihr Engagement, dann kann sie über ihr Verhalten nachdenken,
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Der Transfer in professionelle Beratungsrollen
das vielleicht die Probleme verursacht hat, und erst dann steht ihr die Energie zur Verfügung, dieses Verhalten zu verändern. Die Eingangstür ist in diesem Fall das Fühlen. Die Beraterin kann durch Fragen zunächst Verständnis und Wertschätzung für die Gefühle rund um das Anliegen der Klientin entwickeln und dann im nächsten Schritt ihr Denken in Richtung Lösungsideen anregen. Aus diesem Prozess ergeben sich im letzten Schritt Optionen auf der Ebene des Verhaltens, die erst im dritten Schritt mit positiven Gefühlen verbunden werden können. Würde die Beraterin direkt das problematische Verhalten thematisieren, würde sie die Falltür öffnen und die Klientin würde sich möglicherweise unverstanden zurückziehen oder in den Widerstand gehen. Genau umgekehrt würden gefühlsbezogene Eingangstransaktionen bei eher kognitiv geprägten Klienten blockierend wirken – hier könnte die Eingangstür das Verhalten oder das Denken sein. Das Modell hilft, intuitiv eine Bewusstheit zur Ausrichtung von Interventionen zu entwickeln mit der Fragestellung, wo Kontakt in der Beratungsbeziehung gefördert und wo er irritiert wird. Verliert die Beraterin bei kognitiv ausgerichteten Interventionen (Falltür Denken) den Kontakt zum Klienten, braucht dieser vermutlich den Zugang über Interventionen, die Fühlen oder Verhalten als Kontakttür adressieren. Geschieht das Gleiche bei Interventionen, die das Fühlen anregen, bieten sich alternativ kognitive oder verhaltensorientierte Impulse an. Führen verhaltensorientierten Interventionen zur Störung des Kontakts, können wiederum gefühlsbezogene oder kognitiv ausgerichtete Interventionen den Kontakt erleichtern. Hier gilt das Prinzip von Versuch und Irrtum, um gemeinsam einen guten Arbeitsmodus herauszufinden. Vertiefende Informationen zu diesem Konzept sind in dem Buch »Transaktionsanalyse. Lehrbuch für Therapie und Beratung« (Hennig u. Pelz, 1997) zu finden. Am Ende dieses Kapitels angekommen, wünschen wir uns nun, dass dieser bunte Blumenstrauß von Interventionen dem beruflichen Alltag von Beraterinnen und Beratern als Inspiration dienen möge. Wie Blumen jedoch ihre Wirkung erst in einem passenden Gefäß entfalten, so brauchen die Interventionen vor allem einen wohltuenden Raum der professionellen Begegnung, der von Wachheit,
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Wertschätzung, Mut und Demut getragen wird. So erscheint uns abschließend die Frage nach der richtigen Intervention weniger sinnvoll als die Frage nach dem passenden Gefäß und der Frische des Blumenwassers. Vertiefende Literatur Gührs, M., Nowak, C. (2014). Das konstruktive Gespräch. Ein Leitfaden für Beratung, Unterricht und Mitarbeiterführung mit Konzepten der Transaktionsanalyse. Meezen: Limmer. Hennig, G., Pelz, G. (1997). Transaktionsanalyse. Lehrbuch für Therapie und Beratung, Kapitel 5. Freiburg: Herder. Kannicht, A., Klein, R. (2011). Einführung in die Praxis der Systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer. Schmid, B., Günter, A. (2012). Systemische Traumarbeit. Der schöpferische Dialog anhand von Träumen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schmid, B., Mikoleit, A. (2017). Und der Haifisch, der hat Zähne. Umgang mit Macht, Angst und persönlicher Stärke (Band 3). Hamburg: Tredition. Storch, M., Krause, F. (2007). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher RessourcenModell (ZRM). Göttingen: Hogrefe. Ware, P. (1992). Anpassungen der Persönlichkeit, Türen zur Therapie. Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 183–197.
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Fazit
Abschließen möchten wir mit dem Bild einer erweiterten Landkarte der transaktionsanalytischen Konzepte, auf der sich die in den Kapiteln dargestellten Denkansätze im Überblick wiederfinden. Sie bieten Orientierung für Interventionen in Beratungsprozessen und laden zum Nach- und Weiterdenken ein. In diesem Buchprojekt war uns bei der Auswahl von Modellen in Ergänzung zu den ursprünglichen transaktionsanalytischen Konzepten der Blick auf Ressourcen und Stärken wichtig, um die Entwicklung und Zielerreichung unserer Klientinnen und Klienten erfolgreich unterstützen zu können. Eine in diesem Sinne umfassende Zusammenstellung von klassischen und ressourcenorientierten Weiterentwicklungen transaktionsanalytischer Modelle entwickelte die Engländerin Trudi Newton in ihrem Konzept des »Resilienz-Zyklus« (2014) mit einer entsprechenden Visualisierung. Visualisierungen sind das Markenzeichen der Transaktionsanalyse – Stephen Karpman, einer der ersten Schüler von Eric Berne und Autor des »Drama-Dreiecks«, erinnert sich an eine von Bernes Regeln zur Präsentation neuer Theorien bei ihren Dienstags-Treffen in San Francisco: »Sag nichts, was nicht in einem Diagramm dargestellt werden kann« (Karpman, 2016). Sie helfen uns Beratenden, leichter auf komplexe Inhalte im impliziten Gedächtnis zugreifen zu können, und der Resilienz-Zyklus fügt die Einzelkonzepte auf sinnhafte Weise zu einer hilfreichen Landkarte zusammen. Trudi Newtons Motivation für diese Zusammenstellung deckt sich so vollständig mit der, die uns zu unserem Buchtitel »Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse« geführt hat, dass wir sie hier gern ausführlich zitieren: »Während wir die Normen der Verwendung
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von transaktionsanalytischer Sprache erlernen, übernehmen wir gleichzeitig die Kultur, deren Bestandteil diese sind. Wir erwerben ein machtvolles metaphorisches System, das uns einerseits eine kognitive Landkarte eröffnet und andererseits bestimmt, wie wir diese Karte nutzen können, um zu kommunizieren. Hierbei geschieht manchmal etwas, das in ein Gefühl der Unzufriedenheit mündet. Ich nehme an, dass dies die mangelnde Übereinstimmung zwischen der positiven Haltung und den manchmal pathologisierenden Effekten unserer Sprache und unseren Metaphern widerspiegelt. Wir richten unsere Aufmerksamkeit eher auf Defizite als auf Stärken und erhöhen dadurch das Risiko der Wiederholung, weil die Energie dahin fließt, wo sich die Aufmerksamkeit befindet. Dieses Gefühl der Unzufriedenheit kann aber auch dazu führen, neue Darstellungsformen, Metaphern oder Konzepte zu entwickeln« (Newton, 2014, S. 86). Die in diesem Sinne weiterentwickelten Konzepte verschiedener Autoren sind in unser Buch eingeflossen und finden sich in der Abbildung 42 des »Resilienz-Zyklus« als gute Zusammenfassung wieder. Zum Verständnis dieser komplexen Landkarte eine kurze Reiseanleitung: Der Resilienz-Zyklus zeigt im inneren Kreis von den Zahlen 1–8 die klassischen diagnostischen Konzepte zum Verständnis der Schwierigkeiten von Menschen, die wir in den zurückliegenden Kapitel vorgestellt haben. Am Anfang wird möglicherweise die grundlegende Bindungserfahrung durch eine ungesunde symbiotische Struktur belastet, die zu Mustern passiven Verhaltens führen kann. Eine unzulängliche Stroke-Kultur (Zuwendungskultur), elterliche Zuschreibungen sowie die Begrenzung des Bezugsrahmens können zur Entwicklung eines einschränkenden Lebensskripts mit entsprechenden Glaubenssätzen, Persönlichkeitsanpassungen und Antreibern führen. Der wirklichkeitskonstruierende Einfluss des Lebensskripts auf die Gestaltung von Beziehungen wird mit dem Drama-Dreieck veranschaulicht. Durch die Dynamik des Skriptsystems wird das Lebensskripts unbewusst immer wieder neu inszeniert – wenn nicht neu hinzukommende Erfahrungen die Kraft zur konstruktiven Irritation und Veränderung freisetzen. Diese Möglichkeit weist den Weg zum äußeren Kreis im ResilienzZyklus:
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Fazit
Im äußeren Kreis (von A–I) werden die zum inneren Kreis antithetischen, Resilienz fördernden Konzepte dargestellt. Sie beschreiben, welche Begleitung und Einbettung die menschliche Entwicklung braucht, damit sie gelingen kann: beginnend mit einer gesunden Symbiose, in der Bindungspersonen ihren Kindern mit allen IchZuständen zur Verfügung stehen, sie respektvoll und ermutigend begleiten im Vertrauen auf das Prinzip der Physis, dem den Menschen innewohnenden Wachstumstrieb. Die Skriptentwicklung in der Skriptmatrix ist in diesem Sinne nicht von oben nach unten, sondern umgekehrt oder alternativ horizontal dargestellt – das Kind unterstützend oder es gleichwürdig in seiner Persönlichkeitsentwicklung begleitend. Den konstruktiven Qualitäten der Antreiber entsprechend werden individuelle »Arbeitsstile« entwickelt sowie »Persönlichkeitstile«. Da beide Stile als sozialisationsbedingte Skriptbildung verstanden werden, erweitern wir an dieser Stelle unseren Beratungsansatz um das Konzept der Typologie (Kapitel 4.2), das Ressourcen beschreibt, die unabhängig vom Lebensskript mit auf die Welt gebracht werden, und vertiefen damit das Konzept des Lebensskripts. Das Okay-Dreieck prägt in diesem äußeren Kreis die Qualität der Kommunikation. Jedes einzelne dieser ressourcenorientierten Konzepte ist ein Baustein im kokreativen Prozess zwischen Bindungspersonen und Kindern. Sie fördern die Entwicklung der Autonomie aller am Prozess beteiligten Menschen in vielfältiger transaktionaler Verbundenheit. Übertragen auf die Beratungsbeziehung können diese Konzepte Beraterinnen und Klienten hilfreiche Impulse im Sinne der nachträglichen Selbstbeelterung liefern. Die Schnittfläche zwischen innerem und äußerem Kreis (J) des Resilienz-Zyklus deutet die Entwicklungsthemen mit der Symbolik der Spirale an, die mit Hilfe der Impulse aus den Konzepten des äußeren Kreises bearbeitet werden können. So ist es einer Klientin beispielsweise möglich, schmerzliche und einschränkende Erfahrungen zu integrieren, und es kann seelisches Wachstum entstehen. Präventiv können alle Konzepte des äußeren Kreises Impulse für eine »artgerechte« (Schmidt, 2015) Gestaltung menschlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens geben – für Paare, Lebensgemeinschaften, Freundeskreise, Familien, Institutionen des Gemeinwesens und Organisationen.
Fazit237
Abbildung 42: Resilienz-Zyklus nach Newton (2014) als Modell für gesunde Entwicklung
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Fazit
Die im inneren Kreis abgebildeten Konzepte helfen in Beratungsprozessen, die Kernthemen von Schwierigkeiten zu identifizieren, in denen Menschen stecken können. Im nächsten Schritt können mit Hilfe der Konzepte im äußeren Kreis antithetische Interventionen abgeleitet werden und in einen kokreativen Prozess münden: gemeinsam mit den Klienten können hilfreiche neue Musterbildungen im Denken, Fühlen und Verhalten entworfen, erprobt und geübt werden. Die umlaufenden Pfeile auf den Kreislinien zeigen, dass die Interventionen abhängig vom Thema eines Klienten an jeder beliebigen Stelle starten können. Resilienz verstehen wir als psychische Widerstandskraft und Fähigkeit, an Herausforderungen zu wachsen. Im Beratungsprozess können Menschen Resilienz entwickeln, wenn die Aufmerksamkeit auf ihre inneren und äußeren Ressourcen und auf attraktive Zielbilder gelenkt wird. Zu diesen inneren Ressourcen gehört auch die Kraft, vergangene schmerzliche Erfahrungen betrauern und loslassen zu können, wozu die transaktionsanalytischen Konzepte vielfältige Interventionsimpulse zur Verfügung stellen. Mit dem Konzept des Zürcher Ressourcen-Modells ergänzen wir methodisch den Weg, die Aufmerksamkeit auf das Aufspüren von Ressourcen zu lenken und deren Energie zur neuronalen Bahnung von neuen Mustern zu nutzen. Wir schließen uns dem Resilienzverständnis von Trudi Newton (2014, S. 85) an: »Für mich ist Resilienz ein hervorragend geeignetes Wort für die Macht des Okay-Seins. Resilienz beinhaltet Flexibilität, eine belastbare Stärke, die gedehnt und verändert werden kann, während gleichzeitig Handlungsfähigkeit und Elan aufrechterhalten bleiben. Resilienz ist das, was wir in der Physis erkennen, […] das Überwinden der Schwere des Skripts«. Die Entwicklung von persönlicher wie auch von organisationaler Resilienz ist für uns das zentrale Ziel aller Coaching- und Beratungsprozesse. Mit der Kraft und Energie aus solchen persönlichen Wachstumsprozessen können Menschen dann auch Einfluss nehmen auf gesellschaftliche Bedingungen, die dem Okay-Sein entgegenstehen. Sie können dabei ihren Blick wie bei einer Kamera einstellen: auf die Nähe mit transaktionsanalytischen Konzepten, auf die Weite mit
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Hilfe des systemischen Denkens und in die Tiefe mit den Impulsen der Jung’schen Psychologie. So kann ein wechselseitiges Okay-Sein immer wieder gezielt anregt, gefördert und in den Mittelpunkt gestellt werden. Wir hoffen, mit diesem Buch zum Gelingen von mehr »Okayness« und »We’ness«, von mehr Okay-Sein und Wir-Kultur in unserem ich-bezogenen Kulturkreis beizutragen. Dieses Buch zu dritt zu schreiben war unser persönliches Wir-Projekt und mit allen Berg-und-Tal-Fahrten eine wahrlich bereichernde Erfahrung! Schließen möchten wir mit dem Gedicht »Was mich bewegt« von Rainer Maria Rilke, denn es bewegt auch uns.
»Was mich bewegt Man muss den Dingen die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann; alles ist austragen – und dann Gebären … Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt Und getrost in den Stürmen Des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch! Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos still und weit … Man muss Geduld haben, gegen das Ungelöste im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein.« Rainer Maria Rilke
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Werkzeugkiste
Hier finden Sie unsere Lieblingsübungen, die wir situativ zusätzlich zu den beschriebenen Interventionen einsetzen. Sie sind ebenfalls für die Selbstreflexion von Beraterinnen und Coaches gedacht. Da die Transaktionsanalyse von ihrer Geschichte her in Gruppen angewendet wurde, sind alle Übungen sowohl für Gruppen- wie auch für Einzelsettings einsetzbar. Die Übungen sind den Kapitelthemen des Buches zugeordnet. Download-Material ist mit gekennzeichnet und findet sich auf www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com im Download-Bereich zu diesem Buch. Unserer Erfahrung nach hat es sich als sehr produktiv erwiesen, zu Beginn eines Coachings oder einer Beratung das Anlegen eines Entwicklungs- oder Erfolgstagebuchs vorzuschlagen. In dieses Buch kann alles hineingeschrieben werden, was im Beratungsprozess wichtig ist. Es eignet sich als Begleitung für die Werkzeugkiste und findet in einigen Übungen Erwähnung. Viele weitere Übungen und Tests zu transaktionsanalytischen Konzepten (beispielsweise Egogramm- und Antreiber-Test) finden sich im »Trainingshandbuch zur konstruktiven Gesprächsführung – 101 Übungen mit Anleitung, Handouts und Theorie-Inputs« von Manfred Gührs und Claus Nowak (2003). Hier ein Überblick, zu welchen Themen Übungen in der Werkzeugkiste zu finden sind.
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Werkzeugkiste
Kapitel 2 Menschenbild und Entwicklungsziel 2.1 Autonomie 2.2 Lebensgrundhaltungen Kapitel 3 Die Potenziale im Blick 3.1 Grundbedürfnisse 3.2 Gefühle Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript 4.2 Typologie 4.3 Ich-Zustände Kapitel 5 Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.1 Rollenverantwortung 5.2 Transaktionen 5.3 Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen 5.4 Psychologische Spiele Kapitel 6 Der Transfer in professionelle Beratungsrollen 6.1 Beratungsverträge
Werkzeugkiste243
Kapitel 2
Menschenbild und Entwicklungsziel
2.1 Autonomie
Autonomieentwicklung Ziel Sich Klarheit verschaffen über die persönliche Autonomieentwicklung und ihre Auswirkungen in der Beziehungsgestaltung Voraussetzungen Verständnis über den Begriff der bezogenen Autonomie Setting Coaching oder Tandem-Arbeit in einer Gruppe Vorbereitung Ausdrucken der Checkliste »Autonomieentwicklungsstufen« Dauer Coaching: 30 Minuten, Tandem-Partnerarbeit in der Gruppe: 60 Minuten Ablauf 1. Ausfüllen der Checkliste, Einzelarbeit 2. Austausch über das Ergebnis und Identifizierung von Entwicklungsbereichen Material Checkliste zur Autonomieentwicklung www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 2
Menschenbild und Entwicklungsziel 2.1 Autonomie
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Checkliste zur Autonomieentwicklung
1. Ich bin zufrieden mit mir und den mir persönlich nahestehenden Menschen. 1
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2. Ich habe mich verändert: – Andere reagieren neu auf mich in Resonanz auf mein verändertes Denken und Handeln. – Ich habe meine Situation so verändert, dass ich mich gut fühle. 1
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3. Ich übernehme Verantwortung für meine körperlichen, emotionalen und geistigen Bedürfnisse. Ich erlebe meine Gefühle als sinnvoll.
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4. Ich kann für andere sorgen – ich verspüre keinen Druck, für andere sorgen zu müssen. Ich kann um Zuwendung bitten, Zuwendung geben und genießen. 1
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5. Ich achte auf Menschen, die mir wichtig sind. Ich weiß, dass der Sinn meines Lebens nicht von einem bestimmten Menschen oder bestimmten Ereignissen abhängt. 1
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Kapitel 2
Menschenbild und Entwicklungsziel 2.1 Autonomie
Werkzeugkiste245 7. Ich habe ein gleichbleibendes Gefühl für meinen eigenen Wert und meine Gleichwertigkeit mit anderen, ungeachtet der Unterschiede, die zwischen uns bestehen. Gleichzeitig wertschätze ich andere. 1
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8. Ich unterscheide zwischen realen und fantasierten Gefahren. Ich weiß, wie ich aktuellen Gefahren begegnen kann. Ich bin frei, nicht nachträglich über negative Ereignisse nachzugrübeln oder mich mit »Was wäre, wenn«-Fragen über die Zukunft zu ängstigen. 1
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9. Ich gestalte bei Wahrung meiner Identität Kontakt zu anderen. Ich trenne mich von Menschen, Dingen oder Situationen, wenn dies für meine Entwicklung angemessen ist. Ich verabschiede mich mit guten Gefühlen und auf eine Weise, die für die Beziehung sinnvoll ist. 1
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10. Vergangene Probleme sind nicht mehr wichtig. Ich würdige meine alten Glaubenssätze dafür, dass sie mir früher geholfen haben zurechtzukommen. Ich habe sie verändert und neue Ansichten entwickelt, die mir hier und heute helfen, gut zu leben.
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11. Ich stelle mir vor, dass sich das Geld und die Zeit, die ich in meine Persönlichkeitsentwicklung investiere, später auf lebensbejahende Weise auszahlen werden. 1
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Kapitel 2 Menschenbild und Entwicklungsziel 2.1 Autonomie
Entwicklungsstufen der Autonomie Ziel Bewusstwerden des eigenen Autonomieentwicklungsprozesses Voraussetzungen Verständnis der eigenen Verantwortung im Veränderungsprozess Setting Geschenk an Klienten zum Sitzungsende, gegen Mitte oder Ende des Coaching-Prozesses zur Ermutigung in Phasen der Stagnation Vorbereitung Kopieren des Gedichts »Autobiografie in fünf Kapiteln« Dauer Eine Minute Ablauf Rückfrage nach der Wirkung in der nächsten Sitzung Material Entwicklungsstufen der Autonomie – Gedicht www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 2
Menschenbild und Entwicklungsziel 2.1 Autonomie
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Entwicklungsstufen der Autonomie – Gedicht
Autobiografie in fünf Kapiteln I. Ich gehe die Straße hinab. Im Bürgersteig ein tiefes Loch. Ich falle hinein. Ich bin am Ende … Ich bin hilflos. Aber ich kann nichts dafür. Es dauert ewig, hier wieder herauszukommen. II. Ich gehe die gleiche Straße hinab. Im Bürgersteig ein tiefes Loch. Ich tue, als sähe ich es nicht. Ich falle wieder hinein. Ich kann nicht glauben, dass ich wieder drinstecke. Aber ich kann nichts dafür. Und wieder dauert es lange, bis ich herauskomme.
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III. Ich gehe die gleiche Straße hinab.
Im Bürgersteig ein tiefes Loch. Ich sehe, dass es da ist. Und ich falle wieder hinein … Es ist schon Gewohnheit. Meine Augen sind auf. Ich weiß, wo ich bin. Ich kann sehr wohl etwas dafür. Ich steige sofort aus. IV. Ich gehe die gleiche Straße hinab. Im Bürgersteig ein tiefes Loch. Ich gehe drum herum. V. Ich gehe eine andere Straße hinab.
Portia Nelson
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Kapitel 2 Menschenbild und Entwicklungsziel 2.2 Lebensgrundhaltungen
Schritt für Schritt Ziel Bewusstwerden der eigenen Grundhaltungen Voraussetzungen Verständnis des Modells der Grundhaltungen Setting Begleitete Einzelarbeit mit Coach oder zwei Tandem-Partnerinnen in einer Gruppe Vorbereitung Herstellen eines oder mehrerer Kartensets mit jeweils einer Grundhaltung (+/+), (+/−), (−/+), (−/−) (Sie könnten Ihrem Klienten am Schluss ein Set schenken!) Dauer Je nach Prozess 5–15 Minuten Ablauf Legen Sie vier Karten auf den Boden. Bitten Sie Ihre Klientin, sich beim Erzählen einer Situation oder ihres Anliegens auf die Position zu stellen, die sie innerlich gerade einnimmt – Satz für Satz. Das Vorgehen verlangsamt die Wahrnehmung und erhöht dadurch das Bewusstwerden über die eigenommene Grundhaltung. Auswertung mit Klientin: Fragen nach der Beschreibung ihres inneren Prozesses, nach Optionen, die auftauchen. Abschließende Frage: »Was nehmen Sie mit?« Übernommen von Christoph Laun, mündlich überliefert
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Material Kartenset Grundhaltungen Kapitel 2
Menschenbild und Entwicklungsziel
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com 2.2 Lebensgrundhaltungen
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Kartenset Grundhaltungen
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Kapitel 3 Die Potenziale im Blick 3.1 Grundbedürfnisse
Standortbestimmung Zuwendungshaushalt Ziel Reflexion des persönlichen Zuwendungshaushalts Voraussetzungen Kenntnis über Zuwendungsarten Setting Einzelarbeit mit Coachee oder in Tandems wechselseitig in der Gruppe Vorbereitung Flipchart oder Arbeitsblatt beschriftet mit einschränkenden und mit konstruktiven Zuwendungsregeln Arbeitsblatt »Zuwendungsregeln« kopieren Dauer Coaching: 30 Minuten, Tandem-Arbeit: 60 Minuten Ablauf 1. Gemeinsames Betrachten der einschränkenden Zuwendungsregeln: »Welche der einschränkenden Regeln kommen Ihnen vertraut vor?« 2. Wechsel zu den konstruktiven Zuwendungsregeln: »Suchen Sie sich aus den konstruktiven eine der Regeln heraus, die Ihnen neu oder fremd ist. Schreiben Sie sie als Erinnerungshilfe in Ihr Tagebuch. Schenken Sie ihr bis zum nächsten Treffen Beachtung. Schreiben Sie in ihr Tagebuch, wenn Ihnen die Umsetzung in die Praxis gelungen ist.«
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3. Gemeinsame Reflexion im Coaching-Setting oder mit dem Tandem-Partner, welche Erkenntnis mitgenommen wird. Material Zuwendungsregeln und Zuwendungswünsche Kapitel 3
Die Potenziale im Blick
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com 3.1 Grundbedürfnisse
Zuwendungsregeln und Zuwendungswünsche
In Familien werden manchmal ungeschriebene Zuwendungsregeln tradiert, die Ausdruck eines kulturellen wie auch elterlichen Bezugsrahmens sind und Menschen in ihren Möglichkeiten begrenzen. Der amerikanische Transaktionsanalytiker Claude Steiner (2009) fasste das Zuwendungsverhalten von vielen seiner kulturell westlich geprägten Klienten in den folgenden Regeln zusammen und leitete daraus antithetische Ermutigungen ab. Nehmen Sie sich Zeit herauszufinden, welche der Regeln Ihnen vertraut vorkommen und was Ihr tatsächliches Bedürfnis wäre. Planen Sie konkret, wie Sie Ihr Bedürfnis in die Tat umsetzen könnten. Halten Sie Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen in Ihrem Tagebuch fest.
Einschränkende Zuwendungsregeln Geben Sie anderen Menschen keine Zuwendung. (Sie könnten dadurch in Ihrer Achtung sinken.) Bitten Sie niemanden um Zuwendung. (Erbetene Zuwendung ist nichts wert.) Nehmen Sie keine Zuwendung an. (»Da nicht für!« oder »Ist doch selbstverständlich!«)
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Lehnen Sie keine Ihnen unangenehme Zuwendung ab. (Beispielsweise Ihnen unangenehme Komplimente oder Berührungen) Geben Sie sich selbst keine Zuwendung. (»Eigenlob stinkt!«)
Frei zu entscheidende Möglichkeiten im Umgang mit Zuwendung Wenn Sie das Bedürfnis danach haben, dann … … geben Sie anderen Menschen Zuwendung. … bitten Sie jemanden um Zuwendung. … nehmen Sie Zuwendung an. … lehnen Sie Ihnen unangenehme Zuwendung ab. … geben Sie sich selbst Zuwendung.
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Kapitel 3 Die Potenziale im Blick 3.1 Grundbedürfnisse
Persönliche Zuwendungsgeschichte Ziel Die eigene Geschichte hinsichtlich des Umgangs mit Zuwendung erforschen Voraussetzungen Kenntnis über Zuwendungsarten Setting Coaching oder Tandems in der Gruppe Vorbereitung Kopieren des Reflexionsbogens Dauer 30 Minuten Ablauf Coaching: Gespräch entlang der Fragen auf dem Reflexionsbogen. Gruppe: Beantwortung der Fragen auf dem Reflexionsbogen in Einzelarbeit oder als wechselseitiges Interview, bei Einzelarbeit im Anschluss Austausch mit Tandem-Partner zu persönlichen Erkenntnissen. Material Meine persönliche Zuwendungsgeschichte www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 3
Die Potenziale im Blick 3.1 Grundbedürfnisse
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Meine persönliche Zuwendungsgeschichte
Nehmen Sie sich Zeit und beantworten Sie die folgenden Fragen. Halten Sie Ihre Antworten hier oder in Ihrem Gelingens-Tagebuch schriftlich fest.
1. Wie war der Umgang mit Zuwendung in meiner Kindheitsfamilie?
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2. Wie haben die Erwachsenen einander Zuwendung gegeben?
3. Wie viel und welche Art von Zuwendung habe ich bekommen und von wem?
Kapitel 3
Die Potenziale im Blick 3.1 Grundbedürfnisse
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4. Wie viel oder wie wenig Zuwendung gebe ich heute? Welche Art von Zuwendung ist es und wem gebe ich sie? (Mir selbst, in der Familie: Partnern, Kindern, Enkeln, Eltern, im Beruf: Kolleginnen, Mitarbeiterinnen)
5. Von wem wünsche ich mir (mehr) positive Zuwendung?
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6. Wen bitte ich um Zuwendung, oder wen könnte ich bitten?
7. Was möchte ich an meinem Umgang mit Zuwendung verändern?
Übernommen von Gührs und Nowak (2003)
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Kapitel 3 Die Potenziale im Blick 3.2 Gefühle
Meine Gefühle und Ersatzgefühle Ziel Erforschen der eigenen Gefühlslandschaft Voraussetzungen Verständnis über die Funktion von Gefühlen und die Entstehung von Ersatzgefühlen Setting Einzelarbeit im Coaching oder Tandem in der Gruppe Vorbereitung Kopieren des Arbeitsblatts »Meine Gefühle und Ersatzgefühle« Dauer Coaching: 60 Minuten, Gruppe: 15 Minuten, Einzelarbeit: 30 Minuten, Austausch im Tandem: 15 Minuten pro Person Ablauf Coaching: Strukturiertes Interview entlang der Fragen des Arbeitsblatts, gemeinsame Reflexion. Gruppe: »Beantworten Sie die Fragen auf dem Arbeitsblatt jeder für sich, halten Sie die Antworten schriftlich fest. Nehmen Sie sich Zeit. Bei Unsicherheiten fragen Sie nach. Nach 15 Minuten suchen Sie sich einen Partner und tauschen sich aus.« Material Meine Gefühle und Ersatzgefühle www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 3
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Die Potentiale im Blick 3.2 Gefühle
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Meine Gefühle und Ersatzgefühle
Erinnern Sie sich an einen Konflikt oder eine andere schwierige Situation, in der etwas »schief« gelaufen ist, und machen Sie sich Notizen dazu.
1. Wie kam es zu der Situation? Was war Ihr Anteil daran?
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2. Was haben Sie am Ende gefühlt und getan?
3. Half Ihnen die Reaktion, Ihre Bedürfnisse erfüllt zu bekommen?
4. Erleben Sie dieses Gefühl in schwierigen Situationen öfter?
Kapitel 3
Die Potentiale im Blick 3.2 Gefühle
Werkzeugkiste257 5. Kennen Sie dieses Muster aus Ihrer Kindheit? Wenn ja: Welche Beachtung haben Sie dafür bekommen?
6. Gab es jemanden, der Ihnen dieses Muster vorlebte?
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7. Welches Gefühl war in Ihrer Kindheitsfamilie nicht erlaubt?
8. Wie können oder könnten Sie heute mit diesem Gefühl umgehen?
Planen Sie, in welcher Situation Sie sich trauen könnten, dem »ungeübten« Gefühl Ausdruck zu verleihen, und beschreiben Sie in Ihrem Gelingens-Buch Ihre Erfahrung.
Modifiziert übernommen von Gührs und Nowak (2003)
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Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
Ermutigungen Ziel Bewusstwerdung eigener Einschränkungen im Lebensskript und Entdecken neuer Möglichkeiten Voraussetzungen Informieren über die Entwicklungsstufen von Pamela Levin Setting Coaching oder Gruppe (Schutzaspekt abklären, da Skriptthemen thematisiert werden, die möglicherweise psychotherapeutische Begleitung brauchen) Vorbereitung Ermutigungskarten drucken und ausschneiden. Nutzen Sie beim Kopieren verschiedenfarbiges Papier, die Farben der Karten sind den jeweiligen Entwicklungsstufen zugeordnet. Die Ermutigungen sind in der Du-Form geschrieben, denn sie korrespondieren mit dem inneren Kind der Klienten. Bei Gruppen: Übungsanleitung kopieren Dauer Coaching: 60 Minuten, Gruppen: 45 Minuten Ablauf Coaching-Setting: 1. Die Ermutigungskarten werden auf dem Boden ausgelegt, die Farben gemischt.
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2. Anleitung zur Auswahl der Karten: »Lesen Sie sie und spüren Sie, von welcher Ermutigung Sie sich am meisten angesprochen fühlen. Nehmen Sie sich maximal drei Karten.« 3. Gemeinsame Reflexion anhand der Kartenthemen über das persönliche Lebensskript. 4. Angebot an den Coachee, dass der Coach die drei Ermutigungen ausspricht, der Coachee die Wirkung wahrnimmt. 5. Der Coachee formuliert die Ermutigung für sich in Ich-Form, um sie in das Erwachsenen-Ich zu integrieren. Gruppen-Setting: Mündliche Anleitung und zusätzlich schriftliche Übungsanleitung für Dreier- oder Vierer-Kleingruppen. 1. »Finden Sie sich zu dritt oder zu viert zusammen, nehmen Sie sich ein Ermutigungs-Kartenset. 2. Legen Sie die Karten farblich gemischt auf einem Tisch oder auf dem Boden aus. 3. Lesen Sie sie und spüren Sie, von welcher Erlaubnis Sie sich am meisten angesprochen fühlen. 4. Nehmen Sie sich maximal drei Karten. 5. Lesen Sie sich jeweils Ihre Karten vor und erzählen Sie, warum Sie sie gewählt haben. 6. Bitten Sie die anderen Personen der Gruppe, Ihnen der Reihe nach die Ermutigungen vorzulesen. 7. Lesen Sie die Ermutigungen nach dem Hören in Ich-Form den anderen vor. 8. Welche Wirkung hat das auf Sie?« Die Kleingruppen kommen zurück ins Plenum, sammeln Fragen und tauschen nach Wunsch Erfahrungen aus. Material Entwicklungsstufen und Ermutigungs-Karten www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
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Entwicklungsstufen Entwicklungsstufen SEIN Ich freue mich, dass du da bist. Du hast ein Recht, hier zu sein. Ich finde deine Bedürfnisse in Ordnung. Ich mag dich gern anfassen und halten. Du kannst dir deine Zeit nehmen (zu wachsen). TUN Du kannst neugierig sein und intuitiv. Du kannst erkunden und experimentieren. Du kannst dir sicher sein. Ich gebe dir gern meine Aufmerksamkeit. Du kannst auf Menschen und Dinge zugehen. Du kannst auch für dich sein. Es ist in Ordnung, die Welt zu erkunden und gleichzeitig umsorgt zu werden.
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
DENKEN UND ENTSCHEIDEN Ich freue mich, dich wachsen zu sehen. Es ist in Ordnung, mir und anderen deinen Ärger zu zeigen. Es ist gut, wenn du für dich denkst. Du kannst deine Bedürfnisse wahrnehmen. Du brauchst nicht für andere zu denken und Verantwortung zu tragen, eher mit ihnen. IDENTITÄT Du kannst deine Gefühle offen zeigen. Es ist in Ordnung, dass du deine eigene Vorstellung von der Welt hast. Es ist in Ordnung, mich oder andere um Hilfe zu bitten. Es ist wichtig, herauszufinden, wer du bist. Du kannst die Folgen deines Verhaltens herausfinden. Es ist in Ordnung, stark zu sein und zugleich Bedürfnisse zu haben. Es ist in Ordnung, dir Dinge vorzustellen, ohne zu befürchten, dass sie wahr werden. FERTIGKEITEN Du kannst eine andere Meinung haben als ich/als die anderen. Du kannst Dinge auf deine eigene Art tun. Vertraue deinen Gefühlen und lasse dich von ihnen leiten. Du musst nicht leiden, um zu bekommen, was du brauchst. Du kannst nachdenken, bevor du Dinge auf deine Art machst. AUTONOMIE UND SEXUALITÄT Du bist willkommen, wenn du wieder nach Hause kommst. Es ist in Ordnung, du selbst zu sein. Du hast ein Recht auf deine eigene Sexualität und kannst zugleich andere Bedürfnisse haben. Es ist in Ordnung für dich, erwachsen zu sein und Erfolg zu haben. Für deine eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Verhaltensweisen bist du selbst verantwortlich.
Modifiziert übernommen von Pamela Levin-Landheer (1982) und Johann Schneider (2000)
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
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Ermutigungs-Karten
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
SEIN (Druck: rotes Papier)
Ich freue mich, dass du da bist
Du hast ein Recht, hier zu sein
Ich finde deine Bedürfnisse in Ordnung
Ich mag dich gern anfassen und halten
Du kannst dir deine Zeit nehmen (zu wachsen)
Kapitel 4
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Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
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Ermutigungs-Karten
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
TUN (Druck: oranges Papier)
Du kannst neugierig sein und intuitiv
Du kannst erkunden und experimentieren
Du kannst dir sicher sein. Ich gebe dir gern meine Aufmerksamkeit
Du kannst auf Menschen und Dinge zugehen
Es ist in Ordnung, die Welt zu erkunden und gleichzeitig umsorgt zu werden
Du kannst auch für Dich sein
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
Werkzeugkiste263
Ermutigungs-Karten
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
DENKEN & ENTSCHEIDEN (Druck: gelbes Papier)
Ich freue mich, dich wachsen zu sehen
Es ist in Ordnung, mir und anderen deinen Ärger zu zeigen
Es ist gut, wenn du für dich denkst
Du kannst deine Bedürfnisse wahrnehmen
Du brauchst nicht für andere zu denken und Verantwortung zu tragen, eher mit ihnen
Kapitel 4
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Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
Werkzeugkiste
Ermutigungs-Karten
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
IDENTITÄT (Druck: grünes Papier)
Du kannst deine Gefühle offen zeigen
Es ist in Ordnung, dass du deine eigene Vorstellung von der Welt hast
Es ist in Ordnung, mich oder andere um Hilfe zu bitten
Es ist gut, herauszufinden, wer du bist
Du kannst die Folgen deines Verhaltens herausfinden
Es ist in Ordnung, stark zu sein und zugleich Bedürfnisse zu haben
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
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Ermutigungs-Karten
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
FERTIGKEITEN (Druck: hellblaues Papier)
Du kannst eine andere Meinung haben als ich/ als die anderen
Du kannst Dinge auf deine eigene Art tun
Vertraue deinen Gefühlen und lasse dich von ihnen leiten
Du musst nicht leiden, um zu bekommen, was du brauchst
Du kannst nachdenken, bevor du Dinge auf deine Art machst
Kapitel 4
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Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
Werkzeugkiste
Ermutigungs-Karten
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
AUTONOMIE & SEXUALITÄT (Druck: dunkelblaues Papier)
Du bist willkommen, wenn du wieder nach Hause kommst
Es ist in Ordnung, du selbst zu sein
Du hast ein Recht auf deine eigene Sexualität und kannst zugleich andere Bedürfnisse haben
Es ist in Ordnung, erwachsen zu sein und Erfolg zu haben
Für deine eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Verhaltensweisen bist du selbst verantwortlich
Modifiziert übernommen von Pamela Levin-Landheer (1982) und Johann Schneider (2000)
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Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
Selbstcoaching-Impulse zum Antreiberverhalten Ziel Bewusstheit darüber entwickeln, wo persönliche Stärken übertrieben werden, und Impulse zur Weiterentwicklung erhalten Voraussetzungen Kenntnis über den Zusammenhang von Antreiberbotschaften und Skriptgrundbotschaften. Achtung: Antreiberverhalten kann eine Abwehrstrategie sein, um gut mit einschränkenden Grundbotschaften zurechtzukommen. Wird das Antreiberverhalten verändert, kann möglicherweise die darunter liegende Grund botschaft Thema werden. Setting Im Coaching-Prozess situativ oder in einer Gruppe in Tandems Vorbereitung Ausdruck der Selbstinterventions-Impulse in DIN A3, an der Wand oder auf Metaplan-Wänden befestigen Dauer Coaching mit Reflexion möglicher Verbindung zu Skriptbotschaften: 60 Minuten Gruppe: 50 Minuten (10 Minuten Einzelarbeit, je 20 Minuten Austausch im Tandem) Ablauf 1. Einzelarbeit im Stehen mit Stift und Papier: die Ausdrucke mit den Impulsen lesen und Notizen machen, welche Impulse positive Resonanz auslösen.
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Werkzeugkiste
2. Austausch mit Coach oder Tandem-Partnerin, was jemand verfolgen will. Material Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript Selbstintervention bei Antreiberverhalten« Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.1 Lebensskript
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Selbstinterventionen bei Antreiberverhalten Selbstinterventionen bei Antreiberverhalten Selbstinterventionen bei »Mach’s recht«-Antreibervarhalten – Stellen Sie anderen Fragen – finden Sie heraus,Selbstinterventionen was diese wirklich wollen,bei anstatt es »Mach’s recht«-Antreibervarhalten nur zu vermuten – Seien Sie freundlich zu sich selbst und bitten – Stellen Sie anderen Fragen – finden Sie Sie andere bei Bedarf um Unterstützung heraus, was diese wirklich wollen, anstatt es – Üben Sie, anderen Leuten klar zu sagen, nur zu vermuten wenn diese etwas falsch gemacht haben – Seien Sie freundlich zu sich selbst und bitten Sie andere bei Bedarf um Unterstützung – Üben Sie, anderen Leuten klar zu sagen, wenn diese etwas falsch gemacht haben
– Setzen Sie realistische Standards für die Durchführung und Genauigkeit bei Selbstinterventionen »SeiSie, perfekt«-Antreibervarhalten – Üben sich zu fragen, was wirklich die Konsequenzen sind – üben Sie das, wann – Setzen Sie realistische Standards für die immer Sie einen Fehler finden Durchführung und Genauigkeit – Machen Sie anderen klar, dass ihre Fehler – Üben Sie, sich zu fragen, was wirklich die nicht schlimm sind Konsequenzen sind – üben Sie das, wann immer Sie einen Fehler finden – Machen Sie anderen klar, dass ihre Fehler nicht schlimm sind
– Arbeiten Sie mit einem Aufgaben- und Zeitbuch, so dass Sie Ihren Arbeitsaufwand Selbstinterventionen bei »Sei stark«-Antreibervarhalten abschätzen und im Auge behalten können – Bitten oder fragen Sie andere Leute um Hilfe – Arbeiten Sie mit einem Aufgaben- und – Richten Sie in Ihren freien Zeiten eine Zeitbuch, so dass Sie Ihren Arbeitsaufwand Aktivität ein, die Ihnen wirklich Freude bereitet abschätzen und im Auge behalten können – Bitten oder fragen Sie andere Leute um Hilfe – Richten Sie in Ihren freien Zeiten eine Aktivität ein, die Ihnen wirklich Freude bereitet
– Hören Sie auf, viele Dinge freiwillig zu tun – Machen Sie Pläne, die den (erfolgreichen) Selbstinterventionen bei »Streng Abschlussdich eineran«-Antreibervarhalten Aufgabe beinhalten – Finden Sie die wesentlichen Aspekte einer – Hören Sie auf, viele Dinge freiwillig zu tun Aufgabe heraus, so dass Sie wirklich nur das – Machen Sie Pläne, die den (erfolgreichen) tun, was eindeutig erwartet wird Abschluss einer Aufgabe beinhalten – Finden Sie die wesentlichen Aspekte einer Aufgabe heraus, so dass Sie wirklich nur das tun, was eindeutig erwartet wird
Selbstinterventionen bei »Sei stark«-Antreibervarhalten
© 2020, Vandenhoeck © 2020,&Vandenhoeck Ruprecht GmbH & Ruprecht & Co. KG,GmbH Theaterstraße & Co. KG,13, Theaterstraße 37073 Göttingen 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne BertineRaeck Kessel/ Dörthe / HanneVerres Raeck–/ Dörthe Ressourcenorientierte Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse Transaktionsanalyse
Selbstinterventionen bei »Sei perfekt«-Antreibervarhalten
Selbstinterventionen bei »Streng dich an«-Antreibervarhalten
Selbstinterventionen bei »Beeil dich«-Antreibervarhalten
– Planen Sie Ihre Arbeit in Etappen, legen Sie Zeitpunkte mit Zwischenzielen festbei Selbstinterventionen »Beeil dich«-Antreibervarhalten – Konzentrieren Sie sich darauf, anderen so lange sorgfältig zuzuhören, bis diese mit – Planen Sie Ihre Arbeit in Etappen, legen Sie dem, was sie sagen wollen, fertig sind Zeitpunkte mit Zwischenzielen fest – Lernen Sie Entspannungstechniken und üben – Konzentrieren Sie sich darauf, anderen Sie diese regelmäßig so lange sorgfältig zuzuhören, bis diese mit dem, was sie sagen wollen, fertig sind – Lernen Sie Entspannungstechniken und üben Sie diese regelmäßig
Modifiziert übernommen von Julie Hay (1996) in einer Übersetzung von Johann Schneider
Modifiziert übernommen von Julie Hay (1996) in einer Übersetzung von Johann Schneider
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Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisation 4.2 Typologie
Persönlichkeitspräferenzen-Check Ziel Sich Klarheit verschaffen über die eigenen persönlichen typologischen Präferenzen und ihre Auswirkungen in der Beziehungsgestaltung Voraussetzungen Erklärung der Präferenzen mit der Übersichtsbildkarte »Persönlichkeitspräferenzen« Setting Coaching oder Tandem-Arbeit in einer Gruppe Vorbereitung Wenn möglich, aber nicht zwingend nötig, internetbasierten Präferenzentest Golden Profiler of Personality (GPOP, Hogrefe Verlag) machen Bildkarten zu den acht Persönlichkeitspräferenzen ausdrucken Dauer Coaching: 30 Minuten, Tandem-Partnerarbeit: 60 Minuten Ablauf 1. Coach erklärt (oder Tandem-Partner erarbeiten) mit der Übersichtsbildkarte »Persönlichkeitspräferenzen« die acht Präferenzen. Coachee oder Tandem-Partner ordnen sich dabei intuitiv den jeweiligen polaren Präferenzen zu. 2. Coachee oder Tandem-Partner überprüfen ihre intuitiven Hypothesen zu den eigenen Präferenzen mit den Bildkarten zu den einzelnen Präferenzen.
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Werkzeugkiste
3. Coachee oder Tandem-Partner leiten daraus ab, welche Beziehungen in ihrem beruflichen oder privaten Umfeld aufgrund entgegengesetzter Präferenzen herausfordernd sind und was vom Gegenüber gelernt werden könnte Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation
Material 4.2 Typologie Persönlichkeitspräferenzen-Check (Übersichtskarte und vier Detailkarten) Persönlichkeitspräferenzen-Check Impulse für die Selbstorganisation
Kapitel 4
4.2 Typologie
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Persönlichkeitspräferenzen-Check Übersicht Präferenzen 12 Persönlichkeitspräferenzen
2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.Göttingen KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen ertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Transaktionsanalyse BertineVerres Kessel–/ Ressourcenorientierte Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
Übersicht Präferenzen 12 Persönlichkeitspräferenzen
Zeichnung Esther Rühe
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.2 Typologie
Werkzeugkiste271 Präferenzen im Detail
erkzeugkiste ersönlichkeitspräferenzeneck“ dkarte Präferenzenpole
WOHER BEZIEHE ICH MEINE ENERGIE? Werkzeugkiste
„PersönlichkeitspräferenzenIntroversion Check“ Bildkarte Präferenzenpole
Extraversion
Bezieht seine Energie von anderen..
Braucht Beziehungen und Gesellschaft.
Bezieht seine Kraft aus inneren Reserven.
WIE NEHME ICH DIE REALITÄT WAHR? Intuition
Sensing
Sieht die Bäume.
Sieht den Wald.
Braucht Privatsphäre.
Sieht Einzelteile und Details.
Redet gern und ist leicht kennenzulernen. Baut schnell viele Beziehungen auf.
Ist ruhig und zurückhaltend. Baut Beziehungen langsam und qualitativ auf. Beginnt am Anfang und geht dann schrittweise vor.
Erscheint den I-Typen in Gesprächen manchmal zu laut und dominant.
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Bertine Kessel / Hanne Raeck / Dörthe Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse
erkzeugkiste ersönlichkeitspräferenzeneck“ dkarte Präferenzenpole
Erscheint den E-Typen manchmal schüchtern und desinteressiert.
Erscheint den N-Typen manchmal zu kleinkariert und nicht visionär genug.
WIE TREFFE ICH ENTSCHEIDUNGEN? Werkzeugkiste Thinking
Vernünftig wäre ...
Bevorzugt Rationalität und Logig als Entscheidungsgrundlage.
Ich mag ...
„PersönlichkeitspräferenzenFeeling Check“ Bildkarte Präferenzenpole
Zeichnung Esther Rühe
Perceving
Kommt mit seiner Terminsache erst in letzter Minute zurande.
Legt Wert auf Harmonie und Beziehungen.
Fängt gerne neue Projekte an und genießt den Prozess als solchen.
Lebt vom direkten und persönlichen Eindruck. Mag klare und routinierte Abläufe.
F-Typen erleben T-Typen manchmal als kühl und überheblich.
Erscheint den S-Typen manchmal zu zu abgehoben und nicht praktisch genug.
Bevorzugt persönliche Überzeugungen.
Mag Abgeschlossenheit, fühlt sich gutnach Beendigung eine Aufgabe.
Nimmt etwas langfristig in den Blick.
Fängt irgendwo an und überspringt Schritte.
WIE ORGANISIERE ICH MICH? Judging
Hält sich an Termine, plant imvoraus.
Legt Wert auf Objektivität und Gerechtigkeit..
Sieht Muster und Zusammenhänge.
T-Typen erleben F-Typen manchmal als „kraus im Kopf“ und emotional.
J-Typen erscheinen den P-Typen manchmal als zu eng und strukturiert.
Ist gerne spontan, mag Abwechslung und Vielfalt.
P-Typen erscheinen den J-Typen manchmal als unorganisiert und unordentlich.
272
Werkzeugkiste
Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisation 4.2 Typologie
Schatten-Integration: Frieden mit den Dorfbewohnern schließen Ziel Bewusstwerden der eigenen Schattenseite und ihrer Projektion in der Beziehungsgestaltung, einen gelasseneren Umgang damit entwickeln Voraussetzungen Erklärung der Schattenfunktion Setting Coaching oder Tandem-Arbeit in einer Gruppe Vorbereitung Arbeitsblatt »Frieden mit den Dorfbewohnern schließen« ausdrucken Dauer Coaching: 30 Minuten, Tandem-Partnerarbeit: 60 Minuten Ablauf 1. Coach interviewt Coachee mit den Fragen des Arbeitsblatts bzw. Tandems interviewen sich wechselseitig. 2. Coach oder Tandem-Partner leiten gemeinsam daraus ab, wie die emotionale Reaktion mit der eigenen Schattenseite zusammenhängt und was von der abgelehnten Person gelernt werden könnte. Material Frieden mit den Dorfbewohnern schließen www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.2 Typologie
Werkzeugkiste273
Frieden mit den Dorfbewohnern schließen
1. Suchen Sie sich drei Personen aus, die Sie richtig nerven – aus Ihrem Alltag oder auch aus dem öffentlichen Leben.
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2. Beschreiben Sie die Haupteigenschaften dieser Personen, die Sie nerven.
3. Entscheiden Sie, welches die „nervigste“ Eigenschaft jeder dieser Personen ist.
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.2 Typologie
274
Werkzeugkiste
4. Versuchen Sie herauszufinden, wofür diese Eigenschaften möglicherweise für Sie nützlich sein könnten, wenn Sie den übertriebenen Anteil der Qualitäten der Eigenschaften abziehen. Welche möglichen Qualitäten verbergen sich darunter?
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5. Was würde sich in Ihrem Leben verändern, wenn Sie den positiven Teil dieser Eigenschaften für sich selbst integrieren würden?
Werkzeugkiste275
Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisatione 4.3 Ich-Zustände
Mein guter innerer Dialog Ziel Die konstruktiven Ressourcen aller Ich-Zustände im inneren Dialog nutzen. Dem inneren, verunsicherten Kind eine gute Mutter, ein guter Vater werden, um Kraft für stimmiges, erwachsenes Verhalten im Hier und Jetzt zu tanken. Diese Übung entspricht dem Selbstbeelterungskonzept von James und Jongeward (1986). Voraussetzungen Kenntnis der Ich-Zustands-Modelle Setting Erste Phase in einem Coaching- oder Beratungsprozess Vorbereitung Drucken des Arbeitsblatts »Mein guter innerer Dialog« Dauer 30 Minuten Ablauf Einzelarbeit – Lernaufgabe zur Weiterarbeit nach einer CoachingSitzung bis zum nächsten Termin. Material Mein guter innerer Dialog www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.3 Ich-Zustände
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Werkzeugkiste
Mein guter innerer Dialog
Machen Sie sich Notizen zu den verschiedenen Aspekten. Konstruktive Kritik Ich bemerke folgendes einengendes, stereotypes Muster an mir, das ich verändern will.
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Beispiel: Wenn ich mich überfordert fühle, reagiere ich ärgerlich auf andere, greife sie an, statt meine Angst vor Überforderung auszudrücken und um Hilfe zu bitten.
Verständnis und Ermutigung Ich finde heraus, wie dieses Muster früher für mich hilfreich und sinnvoll war. Ich führe ein ermutigendes inneres Selbstgespräch mit meinem inneren Kind, um es für die Veränderung zu gewinnen. Beispiel: In meiner Familie war Angst ein »unerwünschtes« Gefühl – statt Schwächen zeigte man lieber Stärke: »Stell dich nicht so an«, »Augen zu und durch«. Ich erkläre meinem inneren Kind, dass meine heutigen Gesprächspartner durchaus mit meinen Befürchtungen umgehen können und falls nicht, ich heute gefahrlos für meine Gefühle einstehen kann.
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.3 Ich-Zustände
Werkzeugkiste277 Ethik, Werte Ich mache mir klar, welches Verhalten zu meinen Werten passt. Beispiel: Ich möchte respektvoll mit mir und auch mit anderen umgehen. Ich möchte klärende Gespräche führen, statt anderen zu unterstellen, dass sie mich absichtlich nicht unterstützen oder überfordern.
Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und ausdrücken Ich fühle meine echten Gefühle und Bedürfnisse zu dieser Situation.
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Beispiel: Ich gestehe mir meine Befürchtungen und Ängste ein, wenn mir etwas gerade zu viel wird, und bitte um Unterstützung oder um eine Planänderung oder trete von einer Aufgabe zurück.
Denken und Realität einschätzen Ich unterscheide meine Vergangenheit von der Gegenwart und finde meine heutigen Möglichkeiten heraus. Beispiel: Ich kann mir heute »gefahrlos« erlauben, meine Überlastung zu spüren, kann sie anderen mitteilen, um Hilfe bitten und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ich kann heute auch gefahrlos aushalten, wenn andere enttäuscht sind, wenn ich nein sage. Andere haben ebenso das Recht, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen und Zeit zu brauchen, sich neu auf die Situation einzustellen. Ich kann auf Augenhöhe verschiedene Bedürfnisse aushandeln.
278
Werkzeugkiste
Kapitel 4 Impulse für die Selbstorganisation 4.3 Ich-Zustände
»Inneres Team« Ziel Standortbestimmung zum Kräfteverhältnis der inneren Teammitglieder im Selbstgespräch untereinander und Stärkung des Erwachsenen-Ich-Zustands für die »Teamführung«. Voraussetzungen Kenntnis der Ich-Zustands-Modelle und des Verhaltensmodells Functional Fluency Setting Anfangsphase in einem Coaching- oder Beratungsprozess Vorbereitung Karten mit den konstruktiven und destruktiven Bezeichnungen der Verhaltensmodi nach dem Modell Functional Fluency beschriften oder vergrößert ausdrucken und auf den Boden legen. Alternativ können unabhängig von dem Modell gemeinsam innere Teammitglieder mit ihren Eigenschaften identifiziert und ihre Bezeichnungen auf Karten geschrieben werden. Bei dieser Variante bleibt lediglich die Karte für den klärenden Modus gleich. Dauer 45 Minuten Ablauf 1. Die Beraterin bittet den Klienten, eine erste Karte auszuwählen, der er eine Stimme geben will in der Diskussion, und sich auf diese Karte zu stellen. 2. Die Beraterin befragt den Klienten nach seinen Impulsen aus dieser Perspektive heraus.
Werkzeugkiste279
3. Der Klient wechselt die Rollen, bis alle wichtigen »Teammitglieder« zu Wort gekommen sind. 4. Im letzten Schritt übernimmt der Klient selbst den Platz des Erwachsenen-Ich-Zustands, den klärenden Verhaltensmodus der »Teamleitung«, befragt bei Bedarf noch einzelne »Teammitglieder« und zieht seine eigenen Schlüsse aus der Diskussion. Material Mitglieder inneres Team Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation 4.3 Ich-Zustände
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Mitglieder inneres Team
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Werkzeugkiste
Kapitel 5 Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.1 Rollenverantwortung
Rollenradar Ziel Bewusstheit über die eigenen Rollen und die Erwartungen anderer Menschen an diese Rollen Voraussetzungen Kenntnis der drei Rollenwelten: Privatwelt, Professionswelt, Organisationswelt Setting Coaching oder Tandem-Arbeit in einer Gruppe Vorbereitung Arbeitsblätter Rollenradar-Fragen ausdrucken Dauer Coaching: 45 Minuten, Tandem-Partnerarbeit in der Gruppe: 60 Minuten Ablauf Coach interviewt oder Tandem-Partner interviewen einander im Wechsel, Interviewer protokollieren die Ergebnisse. 1. Schritt: Kontexte der Rollen erfragen, siehe Einzelfragen dazu im Arbeitsblatt 2. Schritt: Sondierungsfragen zu Rollenlogiken, siehe Einzelfragen dazu im Arbeitsblatt 3. Schritt: Erfragen der Integration von Rollenlogiken, siehe Einzelfragen dazu im Arbeitsblatt
Werkzeugkiste281
Kurzvarianten: 1. Interview nur zu Schritt 1, Rollen und Rollenerwartungen identifizieren 2. Gemeinsame Auswahl der Themenbereiche, die bei spontaner Bewertung wichtig erscheinen, dann Interview Material Rollenradar: Rollen präzisieren und klären www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Rollenradar: Rollen präzisieren und klären
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation, 4.3 Ich-Zustände
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Werkzeugkiste Abbildung 28 Drei-Welten-Modell
Rollenradar Schritt 1: Kontextualisieren Rollenidentifizierung
Professionswelt
Meine Rollen in den drei Welten
Fachlogik
Organisationswelt
Organisationslogik PERSON
Privatw welt Privatlogik
Professionswelt
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Organisationswelt
Privatwelt
Fragen: – Welche Rollen nehme ich in den drei Lebenswelten ein? – Was sind meine Erwartungen an diese Rollen? – Welche Erwartungen haben andere an meine Rollen?
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation, 4.3 Ich-Zustände
Werkzeugkiste283 Rollentrübung und Rollenfixierung
Der Begriff »Rollentrübung« beschreibt ineinander verschwimmende Rollenlogiken, beispielsweise wenn Men schen Probleme der einen Lebenswelt mit Strategien der anderen Welt zu lösen versuchen, beispielsweise Pro bleme in der Organisationswelt mit Strategien aus der Privatwelt (»Wir sind doch eine Familie!«) oder umgekehrt. Fragen: Welche Bühnen und Rollenbesetzungen sind für mich stimmig? Gibt es »Lieblingsrollen«, die andere Lebenswelten vereinnahmen? Nehme ich Rollenprioritäten wahr? Kann ich situativ angemessenen von einer zur anderen Rollenlogik wechseln?
Rollenausschluss
Viele Probleme entstehen innerhalb einer Lebenswelt dadurch, dass versucht wird, neue Rollen gewohn heitsmäßig nach den Vorgaben alter Rollenlogiken zu leben, beispielsweise wenn jemand vom Kollegen zur Führungskraft wird oder Paare Eltern werden. Fragen: – Habe ich die Prioritäten meiner Rolle(n) umfassend verstanden? – Kann ich zwischen organisationalen und personalen Problemen unterscheiden? – Habe ich meine Rollen innerlich angenommen – mit allen ihren Vor- und Nachteilen? – Gibt es das Verständnis, sich mit anderen Rollen komplementär zu ergänzen? – Habe ich frühere Rollen bewusst verabschiedet?
Rollenradar Schritt 2: Sondieren der relevanten Rollenlogiken
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Rollenkompetenz
Jede Rolle erfordert eine bestimmte Kompetenz, die bei einer neuen Rolle möglicherweise noch zusätzlich erlernt werden muss. Fragen: – Verstehe ich die zugehörigen Rollenerwartungen anderer, die Werte, Strategien, Methoden meiner Rolle? – Habe ich die Bereitschaft, mich auf diesen Reflexionsprozess einzulassen und mir Zeit dafür zu nehmen? – Wie sorge ich dafür, nicht in Fehlinterpretationen abzugleiten? – Wie eigne ich mir erforderliche persönliche und fachliche Kompetenzen an?
Rollenpriorität
Oft können wir die Komplexität einer Situation sinnvoll dadurch reduzieren, dass wir uns klar darüber wer den, durch welchen Lebensbereich diese vorrangig geprägt ist, durch die Privat, die Professions oder die Organisationswelt? Fragen: – Wie sieht mein Rollenpanorama aus? – Welche Rollenwelt, Rollenlogik ist situativ vorrangig? – Welche spezifische Rolle (Rollenpanorama mit mehreren Rollen innerhalb einer Welt) ist gerade vorrangig? – Wie kann ich diesen Rollen treu bleiben? Was bedeutet das in der Praxis? – Wo bleibe ich möglicherweise etwas schuldig? Wie kann ich für Ausgleich sorgen?
Kapitel 4
Impulse für die Selbstorganisation, 4.3 Ich-Zustände
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Werkzeugkiste
Rollenkonkurrenz
Manchmal ist eine Situation von einem nicht aufhebbaren Konflikt zwischen zwei Lebensbereichen geprägt, wie bei einem wichtigen beruflichen Termin zeitgleich mit einem wichtigen privaten Termin wie dem Ge burtstag des eigenen Kindes. Fragen: – Gibt es konkurrierende Rollenerwartungen? Welche? – Wie gehe ich mit dieser Ambivalenz um? – Wie kann ich von einer passiven Haltung »Ich muss ja …« zu einer aktiven Haltung der Positionierung »Ich entscheide mich für …« kommen? – Wo werde ich einer Rolle untreu, bleibe ich etwas schuldig? Wie kann ich für Ausgleich sorgen?
Rollenradar Schritt 3: Integration relevanter Rollenlogiken Rollenstimmigkeit
Manchmal entstehen Probleme im professionellen Bereich, wenn jemand sich in einer seinem Wesen nicht gemäßen Rolle befindet, wie zum Beispiel als Führungskraft oder als Projektleiterin, denen Führen oder Or ganisieren nicht liegt, die aber sehr gute Experten wären. Fragen: – Erlaube ich mir innerlich, unabhängig von äußeren Bewertungen (Karriereklischees oder familiäres Lebensskript), eine Rolle einzunehmen, die meinen eigenen Stärken entspricht? – Nehme ich mir den inneren Freiraum, Rollen meinem Selbst gemäß auszugestalten (im Rahmen der gegebenen Rollensets)? – Erlaube ich mir, bei hoher Selbstunstimmigkeit über einen möglichen Rollenwechsel nachzudenken?
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Rollenintegration
Um die verschiedenen Rollen der drei Lebenswelten resilient leben zu können, ist auch das Verhältnis der Welten zueinander von Bedeutung. Bei gelingender Rollenintegration scheint der Wesenskern einer Person in allen drei Welten durch und ist nicht aufgespalten auf verschiedene Lebenswelten wie beispielsweise »hart im Job« und »liebevoll in der Familie« oder umgekehrt. Fragen: – Kann ich gut von einer zur anderen Rolle zu wechseln? – Erleben andere mich stimmig in meinen Rollen? – Kann ich auch unter Stress Rollentreue bewahren? – Stellt sich eine Leichtigkeit ein im bewussten Umgang mit »Lieblingsrollen«, die immer wieder in den Vordergrund treten wollen?
Werkzeugkiste285
Kapitel 5 Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.2 Transaktionen
Drei Schritte, um Probleme anzusprechen: »3 W« Ziel Konstruktive Vorstellung für die Thematisierung eines Problems mit einer Person entwickeln Voraussetzungen Keine Setting Coaching und Beratung Vorbereitungen Kopieren des Fragebogens Dauer 30 Minuten Ablauf Situationsbezogen Konflikte in einem Coaching-Prozess thematisieren und den »Dreischritt« den Klienten zur Verfügung stellen, gemeinsame Reflexion der Schritte anhand eines konkreten Falls auf dem Flipchart dokumentieren. Material Drei-Schritt – Drei »W« www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.2 Transaktionen
286
Werkzeugkiste
Drei-Schritt – drei »W«
Um eine schwierige Situation oder das Verhalten einer Person zu thematisieren, das Sie problematisch empfinden, empfiehlt es sich, nach den folgenden drei Grundschritten vorzugehen:
1. Schritt: W-ahrnehmung Benennen Sie die schwierige Situation oder das problematische Verhalten, indem Sie Ihre Wahrnehmungen mitteilen. Beschreiben Sie Ihre Beobachtungen oder das Verhalten ihres Gegenübers mit Informationen wertfrei und so konkret wie möglich: »Ich nehme wahr, …« »Mir ist aufgefallen, …« »Ich habe festgestellt, …«
2. Schritt: W-irkung Machen Sie deutlich, welche Bedeutung das für Sie hat und welche Folgen Sie sehen. Erläutern Sie die Probleme, die sich daraus ergeben. Benennen Sie dabei sowohl ihre persönliche emotionale Reaktion …
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»Ich fühle mich dabei …« »Das löst bei mir aus …«
… als auch die Folgen, die Sie sehen, und zwar im Blick auf menschliche, fachliche und organisatorische Aspekte: »Ich stelle fest, dass …« »Ich befürchte, das wird …«
3. Schritt: W-unsch Benennen Sie Ihre Bedürfnisse: als Bitte, Wunsch, (u. U. im nächsten Schritt als Erwartung, Forderung oder Anweisung im Führungskontext) »Ich wünsche mir von Ihnen …« »Ich erwarte, dass Sie …« »Meine Forderung an Sie ist …«
Modifiziert übernommen von Gührs und Nowak (2003)
Werkzeugkiste287
Kapitel 5 Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.2 Transaktionen
Ein Wunsch frei Ziel Veränderung unproduktiver Reaktionsmuster Voraussetzungen Kenntnis der Verhaltensbeschreibungen im »Functional Fluency«Modell Setting Coaching oder Gruppe Vorbereitungen Kopieren des Fragebogens Dauer Coaching: 30 Minuten, Gruppen: 60 Minuten Ablauf 1. Suchen Sie sich einen ruhigen Platz. 2. Beantworten Sie die Fragen auf dem Fragebogen. Machen Sie sich Notizen in Ihrem Tagebuch oder auf dem Fragebogen. 3. Tauschen Sie sich mit Ihrem Coach oder mit Ihrem TandemPartner aus. 4. Überlegen Sie, in welcher Situation Sie Ihr Vorhaben in nächster Zeit umsetzen wollen. Material Ein Wunsch frei www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.2 Transaktionen
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Werkzeugkiste
Ein Wunsch frei
1. Denken Sie an eine Situation, in der Sie mit einem unproduktiven Reaktionsmuster reagiert haben oder üblicherweise reagieren. Machen Sie sich dazu ein paar Notizen.
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2. Wie würden Sie sich stattdessen lieber in dieser Situation verhalten? Formulieren Sie dieses Verhalten und achten Sie darauf, dass Sie es konkret und positiv beschreiben.
3. Welche Ermutigung würde es Ihnen erleichtern, das gewünschte Verhalten zu realisieren? Die Ermutigung sollte sich so genau wie möglich auf das unproduktive Reaktionsmuster beziehen. Sie darf nicht die Wörter »müssen« oder »sollen« enthalten.
Modifiziert übernommen von Gührs und Nowak (2003)
Werkzeugkiste289
Kapitel 5 Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.3 Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen
Entscheidungsfreiheit Ziel Überprüfen der Eigenverantwortung Voraussetzungen Kenntnis des Konzepts Passives Denken und Verhalten Setting Impuls vom Coach im Coaching-Prozess oder Einzelarbeit in der Gruppe mit Austausch in Kleingruppen Vorbereitung Bei Verwendung mit einer Gruppe: Arbeitsblatt ausdrucken Dauer 20 Minuten in einer Gruppe (10 Minuten Einzelarbeit, 10 Minuten Austausch) Ablauf Coaching: situativ die Fragen nutzen im Prozess. Gruppe: Arbeitsblatt mit Fragen in Einzelarbeit ausfüllen lassen, dann Austausch in Kleingruppen oder Tandems. Material Entscheidungsfreiheit www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.3 Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen
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Entscheidungsfreiheit
1. Schreiben Sie spontan fünf Sätze auf, die beginnen mit »Ich kann nicht …«
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2. Ersetzen Sie jetzt in allen Sätzen das Wort »kann« durch das Wort »will«.
Lesen Sie die Sätze. Wie ist Ihre innere Reaktion auf die Sätze mit »Ich will nicht«? Bei welchen stimmt es, bei welchen nicht? Was sind Ihre Rückschlüsse?
Werkzeugkiste
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.3 Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen
Werkzeugkiste291 3. Schreiben Sie spontan fünf Sätze auf, die beginnen mit »Ich muss …«
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4. Ersetzen Sie jetzt in allen Sätzen das Wort »muss« durch den Satz »Ich entscheide mich dafür …« oder »Ich entscheide mich dagegen …«
Lesen Sie die Sätze. Wie ist Ihre innere Reaktion auf die Sätze, die eine Entscheidung beinhalten? Bei welchen stimmt es, bei welchen nicht? Was sind Ihre Rückschlüsse?
Übernommen von Leonhard Schlegel, mündliche Überlieferung
292
Werkzeugkiste
Kapitel 5 Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.3 Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen
Stufenweg zur Problemlösung Ziel Problemlösungsstufen erkennen und Blockaden im Prozess auflösen, Selbstsupervision für Berater, ob sie an der richtigen Stufe mit Klienten im Prozess ankoppeln Voraussetzungen Keine Setting Im Coaching-Prozess situationsbezogen den Stufenweg als Thema aufgreifen, in einer Gruppe als Tandem-Arbeit Vorbereitung Gruppe: Ausdrucken des Arbeitsblatts »Stufenweg« Dauer Coaching: 30 Minuten, Tandem in der Gruppe: 40 Minuten (je 20 Minuten) Ablauf Im Coaching Problemlösungsstufen auf Flipchart zeichnen, dann Interview und Austausch zu den Stufen. Material Stufenweg www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.3 Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen
Abbildung 37 Problemlösungsstufen
Werkzeugkiste293
Stufenweg
Persönliche Lösungsfähigkeiten Veränderbarkeit des Problems Bedeutung des Problems
Anerkennung der…
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1. Fragen zur ersten Stufe, der Existenz des Problems: 39 – Halten Sie das Thema für wichtig? – Was genau ist das Problem?
2. Fragen zur zweiten Stufe, der Bedeutung des Problems: – Was könnte es für Folgen haben, das Problem nicht zu beachten?
Existenz des Problems
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.3 Passivitätsmuster und Problemlösungsstufen
294
Werkzeugkiste
3. Fragen zur dritten Stufe, der Veränderbarkeit des Problems: – Konnten Sie in der Vergangenheit schon einmal ein ähnliches Problem lösen? – Gibt es Personen, die Sie kennen, die mit einem ähnlichen Problem fertig geworden sind? – Gibt es Personen in Ihrem Umfeld, deren Rat Sie schätzen, die Sie um Ideen zur Problemlösung bitten könnten?
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4. Fragen zur vierten Stufe, der persönlichen Lösungsfähigkeit: – Wie könnten Sie selbst zur Lösung beitragen? – Was bräuchten Sie dafür? – Wenn das Problem sich als unlösbar herausstellen sollte, könnten Sie eine andere Haltung dem Thema gegenüber entwickeln? (Ein Problem lässt sich lösen – wenn es unlösbar ist, handelt es sich um eine Restriktion.)
Werkzeugkiste295
Kapitel 5 Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.4 Psychologische Spiele
Wege aus vertrauten Verstimmungen Ziel Spieldynamiken erkennen und auflösen Voraussetzungen Kenntnis vom Drama-Dreieck mit den Spielpositionen Retter, Opfer, Verfolger Setting Im Coaching-Prozess als Lernaufgabe mitgeben und beim nächsten Termin gemeinsam auswerten. In einer Gruppe Interview mit dem Fragebogen und Austausch in Tandems. Vorbereitung Ausdrucken des Fragebogens zur Selbstreflexion Dauer Coaching: 30 Minuten, Gruppe mit Partneraustausch: 60 Minuten Ablauf 1. Eigenarbeit oder Interview zum Fragebogen Teil A und B 2. Optional kurze innere Fantasiereise »Einstellung neues Teammitglied für das innere Team« aus Teil C des Fragebogens 3. Austausch und Resonanz Material Wege aus vertrauten Verstimmungen www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.4 Psychologische Spiele
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Werkzeugkiste
Wege aus vertrauten Verstimmungen
Teil A Welche »vertraute Verstimmung« erleben Sie immer wieder? Bitte erinnern Sie sich an eine Situation, die Sie in dieser Verstimmung beendet haben, und versuchen Sie den Ablauf anhand einiger Fragen näher zu beleuchten und Notizen dazu zu machen: 1. Was war aus Ihrer Sicht der Anfang, nämlich die Spieleinladung?
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2. Wie haben Sie darauf reagiert?
3. Was war wohl der Hintergrund für Ihre Mitspielbereitschaft?
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.4 Psychologische Spiele
Werkzeugkiste297 4. Wie ging es dann weiter?
5. Was haben Sie getan, gesagt, gefühlt? In welchem Ich-Zustand waren Sie?
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6. In welchem Ich-Zustand haben Sie Ihr Gegenüber erlebt?
7. Was hat Ihr Mitspieler gesagt oder getan?
8. Und dann?
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.4 Psychologische Spiele
298 9. Gab es einen Wechsel der Ich-Zustände und wie haben Sie ihn wahrgenommen?
10. Und was war am Ende dieser Transaktionen?
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11. In welche vertraute Verstimmung sind Sie eingetaucht?
12. Was haben Sie über sich, die anderen und das Leben gedacht?
13. Wie lange hielt diese Stimmung an?
Werkzeugkiste
Kapitel 5
Impulse für die Beziehungsgestaltung 5.4 Psychologische Spiele
Werkzeugkiste299 Teil B Wenn Sie an den Beginn des Spielverlaufs zurückdenken – was war die erste Stelle, an der Sie ein Gefühl, eine Wahrnehmung, ein Bedürfnis von Ihnen abgewertet, nicht wahrgenommen haben?
Wie hätten Sie an dieser Stelle besser für sich sorgen können? Welche Erlaubnis oder Ermutigung hätten Sie gebraucht, um das tun zu können?
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Teil C Angenommen, Sie könnten eine Person einstellen für Ihr inneres Team, die die Autorität und Kraft hätte, diese Ermutigung auszusprechen – was für ein Bild kommt Ihnen dazu? Bitte verabreden Sie mit dem neuen Teammitglied, wann und wo Sie es genau brauchen, und experimentieren Sie in der nächsten Zeit mit diesem Bild …
300
Werkzeugkiste
Kapitel 6 Der Transfer in professionelle Beratungsrollen 6.1 Beratungsverträge
Ziel Auftragsklärung – Bedürfnisse, Wünsche und Ziele für den Beratungsprozess klären Voraussetzungen Keine Setting Einzel- oder Gruppencoaching, Teamentwicklungs-Workshops Vorbereitung Bei Bedarf Ausdrucken des Fragebogens zur Selbstreflexion Dauer Offen, vom Anliegen abhängig Ablauf Fragen vom Arbeitsblatt »Vertragsfragen« für die Gesprächsstrukturierung nutzen oder für Tandem-Interviews in Gruppen. Material Vertragsfragen www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Kapitel 6
Der Transfer in professionelle Beratungsrollen 6.1 Beratungsverträge
Werkzeugkiste301
Vertragsfragen
1. Was ist Ihr Anliegen?
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2. Was ist Ihr Ziel?
3. Was wäre Ihr Gewinn, wenn Sie dieses Ziel erreichen würden?
Kapitel 6
Der Transfer in professionelle Beratungsrollen 6.1 Beratungsverträge
302 4. Was müssten Sie möglicherweise dafür loslassen?
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5. Was können Sie selbst dazu beitragen, das Ziel zu erreichen?
6. Wie kann ich Sie dabei unterstützen?
Werkzeugkiste
Literatur
Adorno, T. W. (1971). Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959–1969. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Attems, R., Heimel, F. (2003). Typologie des Managers. Potentiale erkennen und nutzen mit dem Myers-Briggs Type Indicator. München: Redline Wirtschaftsverlag. Baecker, D. (2004). Würdigt die Dummheit! Artikel vom 16.3.2004. https://taz. de/!775573 (Zugriff am 01.04.2020). Balling, R. Download Handouts »Konfrontation mit Verlusten«. https://www. balling-coaching.de (Zugriff am 01.04.2020). Balling, R. Download Handouts »Drei-Rollen-Welten«. https://www.ballingcoaching.de (Zugriff am 01.04.2020). Balling, R. Download Handouts O. k.-Dreieck. https://www.balling-coaching.de (Zugriff am 01.04.2020). Bauer, J. (2010). Das kooperative Gen. Evolution als kreativer Prozess. München: Heyne. Barnes, G. (1979). Schulen der Transaktionsanalyse, Bd. 1. Berlin: Institut für Kommunikationstherapie. Beauvoir, S. de. http://www.buboquate.com (Zugriff am 26.05.2020). Beekum, S. von (2016). Relationship between structural and functional model. In W. Cornell, A. de Graaf, T. Newton, M. Thunnissen, Into TA. A comprehensive textbook on Transactional Analysis. London: Karnac Books Ltd. Belbin, R. M. (2003). Management teams: Why they succeed or fail (2. Aufl.) Oxford: Butterworth Heinemann. Bents, R., Blank, R. (2004). Typisch Mensch. Einführung in die Typentheorie. Göttingen: Hogrefe. Bents, R., Blank, R. (2011). Sich und andere verstehen. Eine dynamische Persönlichkeitstypologie. München: Claudius. Berne, E. (1961). Transactional Analysis in psychotherapy. A systematic individual and social psychiatry. New York: Grove Press. Berne, E. (1964). Games people play. The psychology of human relationships. New York: Grove Press. Berne, E. (1966). Principles of group treatment. New York: Oxford University Press. Berne, E. (1970). Sprechstunden für die Seele. Psychiatrie und Psychoanalyse verständlich gemacht. Reinbek: Rowohlt.
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