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German Pages 303 [304] Year 1996
Friedhelm Kraft Religionsdidaktik zwischen Kreuz und Hakenkreuz
W DE G
Arbeiten zur Praktischen Theologie Herausgegeben von Karl-Heinrich Bieritz, Wilfried Engemann und Christian Grethlein
Band 8
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1996
Friedhelm Kraft
Religionsdidaktik zwischen Kreuz und Hakenkreuz Versuche zur Bestimmung von Aufgaben, Zielen und Inhalten des evangelischen Religionsunterrichts, dargestellt an den Richtlinienentwürfen zwischen 1933 und 1939
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1996
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Die Deutsche Bibliothek — ClP-Einheitsaufnahme Kraft, Friedhelm: Religionsdidaktik zwischen Kreuz und Hakenkreuz : Versuche zur Bestimmung von A u f g a b e n , Zielen und Inhalten des evangelischen Religionsunterrichts, dargestellt an den Richdinienentwürfen zwischen 1933 und 1939 / Friedhelm Kraft. - Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1996. (Arbeiten zur Praktischen Theologie ; Bd. 8) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1995 ISBN 3-11-014981-8 NF.: G T
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Für Bettina und Steffen
Inhaltsverzeichnis Einführung (Peter C Bloth) Vorwort
1.
2.
2.1
2.1.1 2.1.2 2.2
2.2.1 2.2.2 2.3
3.
3.1 3.2 3.2.1
XI XIX
Einleitung
1
Evangelischer Religionsunterricht als O r d e n t liches Lehrfach< in der Schule im Nationalsozialismus: vom Plan eines staatlich reglementierten Pflichtfaches bis zur Ausgliederung aus dem weiterführenden Schulwesen
5
Liberale Religionsdidaktik und die deutschchristliche >NeubesinnungWeltanschauung< und >deutscher Religionsunterrichte: die Grundvorstellungen der NS-Partei zur Neugestaltung des Religionsunterrichts
53
Die religiöse Erziehung in der Schule unter dem Zeichen nazistischer Willkürherrschaft Entstehung und Kontext der Richtlinienentwürfe Entwurf Gärtner
53 57 57
25
25 25 28
39 39 43
VIII
3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4
4.
Inhaltsverzeichnis
Entwurf Cölln Entwurf NSLB Gau Westfalen-Süd Darstellung und Analyse der Richtlinienentwürfe Entwurf Gärtner Entwurf Cölln Entwurf NSLB Gau Westfalen-Süd Zusammenfassung: Die >neue Religionspädagogik< auf dem Wege zur >Religion< der nationalsozialistischen >Weltanschauung
Kirchlicher R e l i g i o n s u n t e r r i c h t in der Schule im Nationalsozialismus: Theodor Ellwein und die Richtlinienarbeit der Deutschen Evangelischen Kirche Teil 1
4.1
58 60 62 62 64 68
77
Die Debatte um die Richtlinien für den Religionsunterricht an den Volksschulen im Jahre 1936 Die Schulpolitik der DEK im Zeichen der Formierung einer kirchlichen >Mitte< unter der Leitung von Theodor Ellwein Entstehung und Kontext der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" Diskussionsverlauf und Analyse der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" Die Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an den Volksschulen vom 21. Dezember 1936: Diskussionsverlauf und Analyse Zusammenfassung: Das Konzept der E v a n g e l i schen Glaubensunterweisung< als Antwort der DEK auf die Krise der religiösen Erziehung in der Schule im Nationalsozialismus
114
Teil 2
119
Die Richtlinienarbeit der volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft der DEK in den Jahren 1937 bis 1939 Die Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an den höheren Schulen vom 22. Juni 1938 Entstehung und Kontext der Richtlinien Darstellung und Analyse der Richtlinien
77
77 78 84
95
119
119 119 121
Inhaltsverzeichnis
4.2.2
4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.3
5.
5.1 5.2
5.3
5.4
5.5
IX
Die Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht in den Volksschulen vom 21. April 1939 Entstehung und Kontext der Richtlinien Darstellung und Analyse der Richtlinien Zusammenfassung: Das Scheitern der kirchenamtlichen Richtlinienarbeit der DEK
141
>Bekenntnis< und evangelischer Religionsunterricht: der Beitrag der Bekennenden Kirche zur religiösen Erziehung und zur Frage der Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht in der Schule im Nationalsozialismus
143
Die Schulerklärung der Vierten Bekenntnissynode der DEK zu Bad Oeynhausen Der schulpolitische Widerstand der Bekennenden Kirche gegen die >Entchristlichung< der Schule im Nationalsozialismus Bekennende Kirche und Religionsunterricht auf der Grundlage der Barmer Theologischen Erklärung Die >Arbeitspläne< der Schulkammer der Vorläufigen Kirchenleitung für den evangelischen Religionsunterricht in der Volksschule und in den höheren Schulen Zusammenfassung: Religionsunterricht als >Sonderfall kirchlicher Verkündigung< unter den Ausnahmebedingungen eines >Weltanschauungskampfes
von oben< betrachten. Für diesen Aspekt
XII
Einführung
erwies sich nämlich die - in Deutschland erstmalige! - G r ü n d u n g eines Reichserziehungsministeriums (Mai 1934) als von schlechthin ausschlaggebender Bedeutung; sie hat nicht einfach das hier zu bearbeitende Quellenmaterial sozusagen verdoppelt, sondern dessen Charakter entscheidend verändert. Alle Gesetze und Erlasse ergingen jetzt aus dem "Reichs- und Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung" und mit entsprechender, die Regelungen der einzelnen Länder auch inhaltlich dominierender R e c h t s k r a f t . Bereits die ministeriellen E n t w ü r f e und Vorarbeiten für die ReligionsRichtlinien tendierten von nun an, wie die Arbeit klar zeigt, auf nicht weniger als den Versuch einer schul-, kultur- und religionspolitisch entscheidenden Beeinflussung ihrer ideologischen und didaktischen Prämissen sowie ihrer schulpolitischen Reichweite. Allerdings löste die hinter solcher Politik stehende >Weltanschauung< schon auf der preußischen Landes-, aber zumal auf der nicht-preußischen Länderebene, also noch im staatlichen Bereich von Regierung und Verwalt u n g nicht geringe, in diesem Buche öfters vermerkte Spannungen aus. D a s "öffentliche Schulwesen" war durch Art. 146 der V e r f a s s u n g des Deutschen Reiches von 1919 der "Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes" unterstellt worden; Art. 149 hatte bekanntlich als einziges Schulfach - den Religionsunterricht bis auf Einzelfragen seiner Erteilung, die "im Rahmen der Schulgesetzgebung" geregelt w e r d e n sollten, bereits von Verfassungs wegen grundsätzlich geordnet. Während der >Weimarer Republik< waren indes alle V e r s u c h e und E n t w ü r f e gescheitert, das durch die Verfassung g e f o r derte umfassende "Reichsschulgesetz" zustande zu bringen und damit eine L ö s u n g der viel und heiß diskutierten "Schulfrage" in der K o n t r o verse zwischen "Bekenntnisschule" und "Gemeinschaftsschule" herbeizuführen. Selbst in der gemeinhin als >zentralistisch< erscheinenden Zeit des sog. Dritten Reiches brauchte das Ministerium mehr als vier Jahre f ü r den Erlaß eines vereinheitlichenden "Reichsschulpflichtgesetzes" (Juli 1938); aber unbeschadet dessen galt die Reichsverfassung auch in ihren Religions- und Schul-Artikeln förmlich fort. Wenn man die im vorliegenden Buche geschilderten Kontroversen zwischen Staat und Kirche in Sachen Religions-Richtlinien nicht kennt, möchte man fast versucht sein, es als einen - von Seiten der Machthaber sicherlich unfreiwilligen - Tribut an diese Rechtslage zu betrachten, daß die ebenfalls erst relativ späten Erlasse zur Einführung von "Richtlinien f ü r die unteren Jahrgänge der Volksschule" (April 1937), "Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule" (Januar 1938) und "Richtlinien f ü r Volksschulen" (Dezember 1939) den Religionsunterricht sogar immer wieder ausdrücklich ausklammerten. Die Untersuchung zeigt indes, daß dieser Tatbestand andere Ursachen hat, daß aber jedenfalls von einem > V e r b o t < des Faches, von dem auch heute noch zuweilen zu hören ist,
Einführung
XIII
im Blick auf seine Rechtsgrundlagen keine Rede sein kann. D e n n o c h hat es eine Unzahl der nach Schulform und regionaler oder sogar örtlicher L a g e unterschiedlichsten, soweit hierher gehörig auch in diesem B u c h e sichtbar werdenden Erschwerungen des Unterrichtes, zumal durch Pressionen gegen Lehrerinnen und Lehrer gegeben. G e r a d e in einer solchen Situation - und das scheint mir angesichts der f ü r weite Gebiete faktisch herrschenden Instanzenkonkurrenz zwischen Partei und Staat samt der daraus resultierenden Unsicherheit von besonderer B e d e u t u n g zu sein - mußte das bereits in der frühen >Weimarer< Zeit entwickelte und speziell in Preußen erfolgreiche, aber eben in ministerieller Hand befindliche Instrument der sog. Richtlinien auch für den Religionsunterricht alles Gewicht eventuell gewünschter N o r mierungen oder notwendiger Veränderungen an Struktur oder Inhalt des Religionsunterrichtes tragen. Teils aufgrund des Wortlautes von Art. 149 W R V ("Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechtes des Staates erteilt."), teils wegen des vor 1933 religionsdidaktisch, doch wohl nicht minder schulpolitisch bewährten H e r k o m m e n s der Richtlinien-Erarbeitung besaß hierbei j e d o c h die jeweils konfessionell >betroffene< Kirche ein Mitspracherecht. Das nun f ü h r t e unausweichlich sie selbst und den - diesen! - Staat nach 1934 in teilweise dramatische, aber gerade religionsdidaktisch höchst lehrreiche Auseinandersetzungen. Ihnen geht die Abhandlung mit besonderer Intensität auf den Grund. D a s Mitspracherecht der Kirche, seine Praktizierung und seine K o n sequenzen bildet demgemäß den zweiten, den kirchengeschichtlichen Schwerpunkt der Arbeit. Um die schul-, kultur- und religionspolitische Handlungsweise der evangelischen Kirche oder - richtiger - der einzelnen evangelischen Landeskirchen und ihres Kirchenbundes bzw. der seit 1933 bestehenden Deutschen Evangelischen Kirche ( D E K ) zu verstehen, sollte man sich freilich deren schon in dieser Benennungsverschiedenheit anklingende kirchengeschichtliche und -rechtliche Situation, und zwar samt ihren Folgen für die Lösung der Richtlinien-Problematik mit einigen groben Strichen vor Augen führen. D e r deutsche Protestantismus hatte im ersten Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkriege auf seinen "Deutschen evangelischen Kirchentagen" ( 1 9 1 9 - 1 9 2 1 ; 19241930) in der dort regelmäßig verhandelten >Schulfrage< noch nahezu mit einer Stimme zugunsten der aus Vorkriegszeiten überwiegend gebräuchlichen >Bekenntnisschule< gesprochen. Darunter verstand man eine solche Schule, in der - etwa dem Preußischen Schul-Unterhalt u n g s g e s e t z von 1906 (§ 33) entsprechend - Kinder einer Konfession durch Lehrer derselben Konfession unterrichtet werden. Die P r o b l e m e des Religionsunterrichtes - diesen Eindruck konnte man jetzt gewinnen - schienen während der zwanziger Jahre jedenfalls aus der Sicht der
XIV
Einführung
auf >Kirchentagen< sprechenden Kirche nichts weiter zu sein als Derivate der von ihr im eigenen Sinne unzweideutig b e a n t w o r t e t e n >SchulfrageEntschließungen< waren allerdings f ü r die einzelne Landeskirche kirchenrechtlich nicht bindend; insofern entsprach die Rechtslage bei den evangelischen Kirchen ziemlich genau dem >Kultur-Föderalismus< der deutschen Länder auf der Basis der WeimarerReichsverfassung (WRV). D a s änderte sich auch nicht seit 1924, als der >Kirchentag< zusammen mit dem > D e u t s c h e n Evangelischen Kirchenausschuß< zu Verfassungsorganen des "Deutschen Evangelischen Kirchenbundes" geworden waren. N a c h d e m aber die nationalsozialistische Reichsregierung im Juli 1933 - in gewisser Weise analog dem gleichzeitigen K o n k o r d a t mit dem Vatikan, also der Römisch-Katholischen Kirche - der V e r f a s s u n g einer "Deutschen Evangelischen Kirche" (DEK) als Reichs-Kirche zugestimmt und sie erlassen hatte, mußte in der neuen "Kirchenkanzlei der D E K " alsbald ein >reichsReichsstellen< an >die Kirche< herangetragen wurden bzw. von >der Kirche< beim >Staat< zur Sprache zu bringen waren, eine entscheidende Funktion zu. D a ß sie hinsichtlich der P r o b l e m e um >neue< Richtlinien für den Religionsunterricht die F e d e r f ü h r u n g und während einer besonders wichtigen Phase durch ihr Instrument der "Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft" die E n t w u r f s e r a r b e i t u n g zu übernehmen hatte, liegt also wegen der kirchenrechtlichen K o n struktion auf der Hand. Seit E n d e 1933 w u r d e durch die eklatanten, staatlich gestützten Ü b e r g r i f f e der >deutsch-christlichen< Reichskirchen-Leitung auf solche Gebiete, die nach Recht und Gesetz den >bekenntnisKirchenkampf< ausgelöst. Die von nun an so genannte "Bekennende Kirche" (BK), die sich seit den ersten beiden - wie sie selbst sich korrekt bezeichneten - "Bekenntnissynoden der D E K " (1934) von der Leitung der >Reichskirche< eben wegen deren >deutsch-christlicher< Orientierung losgesagt und eine eigene "Vorläufige Leitung" sowie "Bruderräte" geschaffen hatte, w a n d t e sich, wie ein durch dies Buch erstmals präsentiertes D o k u m e n t zeigt, schon bald, nämlich noch 1934, den Fragen des Religionsunterrichtes zu. Das geschah allerdings noch nicht sehr nachhaltig und w i e d e r u m in erster Linie der von den Nationalsozialisten fanatisch b e k ä m p f t e n >Konfessions-< oder >Bekenntnis-Schule< wegen. Bereits seit dieser Zeit und vollends zur "4. Bekenntnis-Synode" in Bad Oeynhausen (Februar 1936) stellte sich die BK in den Fragen nach >BekenntnisEntscheidungsbekenntniskirchlicher< P e r spektive betriebene, jedoch der D E K mindestens konkurrierende Richtlinien- bzw. Lehrplan-Arbeit wesentlich bestimmt. In der Darstellung dieser doppelten Entwicklung und ihrer E r g e b nisse samt der daraus erhobenen erstmaligen Würdigung der wichtigsten D o k u m e n t e und beteiligten Personen aufgrund vom A u t o r entdeckter zentraler Quellen bietet die vorliegende U n t e r s u c h u n g eines ihrer spannendsten Teilstücke. Zwar blieb die Richtlinienarbeit selbst ohne ein von > S t a a t < und >Kirche< gemeinsam akzeptiertes und durch das Ministerium in Geltung gesetztes Resultat. D a ß aber die D E K und die BK in jener Zeit zu abgeschlossenen, nicht einmal untereinander ausgetauschten, jeweils eigenen Ausarbeitungen gelangt sind, wird hier zum ersten Male auch inhaltlich dargestellt. Auch deshalb verdient die Tatsache, daß nur die D E K - E n t w ü r f e als förmliche Vorlagen an die staatlichen Stellen gelangen konnten, die ihr durch diese Arbeit erstmals zuteil werdende analytisch gründliche Beachtung. Das geschilderte N e b e n - und auf weite Strecken Gegeneinander der Schul- und Religionsunterrichtspolitik von D E K und BK eröffnet j e d o c h auch kirchen- und zeitgeschichtlich neue Erkenntnisse, wobei u.a. die Jahre der G r ü n d u n g (Juli 1935) und des politischen Scheiterns des "Reichsministeriums f ü r die kirchlichen Angelegenheiten" sowie des sog. "Reichskirchenausschusses" (Februar 1937) besonders hervortreten. Das Gesamt dieser Blickrichtungen dürfte den erheblichen Wert der Abhandlung f ü r die Kirchengeschichtsschreibung ausmachen. Aus den mannigfachen weiteren Erträgen der Untersuchung seien noch die gleichsam >nebenbei< neu gewonnenen, noch nicht g e s o n d e r t systematisierten Kenntnisse über das Verhältnis von Lehrern oder Lehrerschaft zur >Kirche< bzw. über die E r w a r t u n g und Haltung der beiden oben genannten Richtungsgruppierungen des damaligen P r o t e s t a n tismus zu Lehrern und Lehrerschaft unterstrichen. D a ß nach der Z w a n g s a u f l ö s u n g aller berufsständischen Vereinigungen auch die Lehrerverbände nun weder ideell noch in ihrem Standesbewußtsein einfach durch den "Nationalsozialistischen Lehrerbund" ( N S L B ) f o r t gesetzt oder repräsentiert wurden, bedarf kaum der E r w ä h n u n g ; es zeigt sich aber nochmals an den Auswirkungen der berüchtigten Aktion des N S L B zur Niederlegung des Religionsunterrichtes im Z u s a m m e n hang der >Reichspogromnacht< (November 1938). Man lernt hier nun auch einige der Gründe dafür kennen, daß es speziell im >Dritten Reich< der evangelischen Kirche beider Seiten kaum gelang, Lehrer und Lehrerschaft in größerem Umfange für ihre divergierenden Haltungen im >Kirchenkampf< zu interessieren geschweige denn zu mobilisieren. U m s o deutlicher ist zu betonen, daß es offenbar in erster Linie den vielen Lehrerinnen und Lehrern - nach heutiger Einsicht d ü r f t e wohl
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Einführung
die Mehrzahl kirchenpolitisch eher der sog. >Mitte< zuzurechnen sein - t r o t z weitgehender religionsdidaktischer Abstinenz oder gar Insuffizienz der >kirchlichen leitenden Stellen< gelungen und zu danken ist, evangelischen Religionsunterricht in weiten Gebieten Deutschlands bis in die Jahre der generellen, kriegsbedingten Einschränkungen der öffentlichen Schule aufrechtzuerhalten. Speziell ein solcher Sachverhalt bedeutet, wie ich vermute, f ü r die E r f o r s c h u n g des Religionsunterrichtes der ersten Jahre nach dem Kriegsende, also etwa von 1945 bis zu den ersten Schulgesetzen der Länder der Bundesrepublik Deutschland sowie bis zur sich allmählich negativ konsolidierenden Haltung in der "Sowjetisch besetzten Z o n e " und späteren D D R , einen Fingerzeig. Ihn möchte ich in diesem R a h m e n wenigstens vorläufig und in einer, wie mir scheint vordringlichen Richtung knapp aufnehmen. Da der weitaus g r ö ß t e Teil der Lehrer und Lehrerinnen, sei dies nun vom Staat verlangt bzw. wie auch immer bei ihnen selbst motiviert gewesen, der N S D A P angehört hatte, mußten sehr viele Überlebende des Krieges aus dem staatlich getragenen Dienstverhältnis im öffentlichen Schulwesen ausscheiden. Für den sehr frühen Wiederbeginn des Religionsunterrichtes im Jahre 1945 bedeutete das einen Aderlaß, der ohne die >Kirche< und ihre mannigfachen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen (vorwiegend im >Westen< Deutschlands), der ohne die >Kirche< und ihren, in Anfängen bereits im >Kirchenkampf< selbstgeschaffenen "kirchlichen Katechetenstand" (vor allem im > O s t e n < D e u t s c h lands) keinesfalls auszugleichen gewesen wäre. Bezüglich der von der F o r s c h u n g im Ganzen noch immer unzureichend b e a n t w o r t e t e n F r a g e danach, welche religionsdidaktischen Konzepte diese >Kirche< selbst f ü r die genannte nicht leichte, dazu noch schulpolitisch doppelgesichtige A u f g a b e innnerhalb und/oder außerhalb der N e u k o n s t i t u i e rung der "öffentlichen Schule" in den vier Besatzungszonen und in Berlin bis 1948/49 zur Verfügung hatte, vermag das mit dieser Abhandlung bereitgestellte Material beträchtlich zur Klärung zu verhelfen. E s ist heute klar nachweisbar, daß bestimmte >kirchliche< und einzelne schulbezogene religionsdidaktische K o n z e p t e in nunmehr deutlich unterscheidbarer Konkretisierung oder Weiterentwicklung die seit den dreißiger Jahren hervorgetretenen Grundlinien des D e n k e n s über einen vor allem biblischen Religionsunterricht der "Schule unter dem Evangelium" bzw. über einen sog. >Kirchlichen Unterricht< f o r t gesetzt haben. Sie waren in der religionsdidaktisch, d.h. theologisch wie pädagogisch streitigen Debatte um die auch >kirchlich< inkongruenten E n t w ü r f e von "Richtlinien für den Religionsunterricht" während des >Dritten ReichesKirche< freien Erprobung. Daß das Buch von Friedhelm Kraft der Forschung auch in dieser Hinsicht neue und dankenswerte Anstöße gibt, ist nicht sein geringster Gewinn.
Berlin, im Oktober 1995 Peter C. Bloth
Vorwort Mit der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, die in den Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Religionspädagogik im wesentlichen ausgesparte Zeit zwischen 1933 und 1939 als Gegenstand religionsdidaktischer Geschichtsforschung in den Mittelpunkt zu stellen. 1 Dabei eröffneten die seit 1990 zugänglichen Aktenbestände des Reichserziehungs- und des Reichskirchenministeriums dem Verfasser die Möglichkeit, die Entwicklung der Religionsdidaktik im Nationalsozialismus anhand der vorliegenden Entwürfe und Materialien zur Richtlinienfrage für den evangelischen Religionsunterricht darzustellen. Mit diesem Ansatz, religionsdidaktische Grundströmungen und Konzepte im Zusammenhang der Auswertung von Richtlinien zu analysieren, nimmt der Verfasser eine Fragestellung und Methode wissenschaftlicher Forschung auf, die zuerst Peter C. Bloth in seiner Darstellung der "Religion in den Schulen Preußens" 2 aufgenommen und angewendet hat. Der Zugang zum religionsdidaktischen Gegenstandsfeld über die Analyse von Richtlinienausarbeitungen eröffnet die Möglichkeit, Religionsdidaktik nicht nur auf der Ebene von Konzepten und literarisch faßbaren Konzeptionen, sondern zugleich im zeitgeschichtlichen Kontext, genauer: im Kontext kirchlicher Zeitgeschichte, zu erfassen. 3 In1
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3
Diese Aussage gilt beispielhaft zuletzt für: Heinz Schmidt, Leitfaden Religionspädagogik, Stuttgart/Berlin/Köln 1991 (vgl. das Kapitel "Geschichte der Religionspädagogik im Überblick", S.92ff) und Godwin Lämmermann, Grundriß der Religionsdidaktik, Stuttgart/Berlin/Köln 1991 (vgl. das Kapitel "Religionsdidaktische Konzeptionen des 20. Jahrhunderts", S.126ff). Vgl. neuerdings die Textsammlung: Religionspädagogik. Texte zur evangelischen Erziehungs- und Bildungsverantwortung seit der Reformation. Band 2/2 20. Jahrhundert. Herausgegeben und eingeführt von Karl Ernst Nipkow und Friedrich Schweitzer, Gütersloh 1994, S. 105-143. Peter C. Bloth, Religion in den Schulen Preußens. Der Gegenstand des evangelischen Religionsunterrichts von der Reaktionszeit bis zum Nationalsozialismus, Heidelberg 1968. Vgl. zu Aufgabenstellung, Forschungsdefiziten und Literatur einer Geschichte der Religionsdidaktik "im Zusammenhang der kirchlichen Zeitgeschichte": Jörg Ohlemacher, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Religionspädagogik im Kontext kirchlicher Zeitgeschichte, Göttingen 1993, S.7ff. Für den genannten Zeitabschnitt liegt als erste Studie vor: Peter C. Bloth, Kreuz oder Hakenkreuz? Zum Ertrag evangelischer Religionsdidaktik zwischen 1933 und 1945, in: Reinhard Dithmar (Hrsg.), Schule und Unterricht im Dritten Reich, Neuwied 1989, S.87ff. Vgl. ebenso die Studie zum "Vorfeld der Diktatur": ders., Religionsdidaktische Grundströmungen und ihre schulpolitischen Auswirkungen in der Weimarer Republik, in: Reinhard Dithmar (Hrsg.), Schule und Unterricht in der Endphase der Weimarer Republik, Neuwied/Kriftel/Berlin 1993, S.176ff. Mit der Frage der Reichsrichtlinien für den evangelischen
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Vorwort
sofern kann auch für die Analyse von Richtlinien auf eine Einbeziehung der zeitgeschichtlichen Bedingungen - insbesondere der schulpolitischen und kirchenpolitischen Rahmenbedingungen - nicht verzichtet werden. Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, wie unter den Bedingungen nationalsozialistischer Herrschaft die Bestimmung des Aufgaben- und Gegenstandsfeldes des evangelischen Religionsunterrichts von den an der Auseinandersetzung beteiligten Gruppen in Schule, NS-Partei, Ministerien und Kirche vorgenommen wurde. Dabei werden die jeweiligen Beiträge unter systematischen und inhaltlichen Gesichtspunkten zusammmengefaßt. Während im ersten Kapitel der äußere Rahmen für den Religionsunterricht vor dem Hintergrund staatlich-ministerieller Vorgaben und Erlasse von 1933 bis 1941 dargestellt wird, erfolgt im zweiten Kapitel eine Darstellung und Analyse ministerieller Ansätze einer Neubegründung des evangelischen Religionsunterrichts nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. Die Grundvorstellungen der NS-Partei einschließlich der Gliederungen des NSLB zur Neugestaltung des Religionsunterrichts stehen im Zentrum des dritten Kapitels. Eine Mittelpunktstellung hat im Aufbau der Arbeit das vierte Kapitel, da hier der Beitrag der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) und ihrer Kirchenkanzlei dargestellt werden muß. Dieser ist für die Fragestellung der Arbeit von besonderer Bedeutung, da nach den förmlich niemals aufgehobenen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (Artikel 149, Satz 3) die Kirche in der Pflicht war, ihre "Grundsätze" für den Bereich des schulischen Lehrens und Lernens in dem sogenannten ordentlichen Lehrfach Religion zu formulieren. Im fünften Kapitel wird nach dem Beitrag der Bekennenden Kirche zur religiösen Erziehung und zur Frage der Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht in der vom Nationalsozialismus bestimmten Schule gefragt. Der überraschende Aktenfund, demzufolge in der Bekennenden Kirche bereits im November 1934 eine grundsätzliche Stellungnahme zur Schule unter der Überschrift "Kirche und Schule im nationalsozialistischen Staat. Leitsätze" vorlag, akzentuiert dieses Kapitel in besonderer Weise. Der Anspruch wäre verfehlt, mit der Analyse von Richtlinienentwürfen sei auch die konkrete Unterrichtswirklichkeit in den Schulen hinreichend geklärt. Dennoch kann gesagt werden, daß die für ein schulisches Lehrfach singuläre Breite, Vielschichtigkeit sowie Gegensätz-
Religionsunterricht hat sich in Auswertung des Aktenmaterials des Stuttgarter Oberkirchenrates erstmalig Jörg Thierfelder beschäftigt: Jörg Thierfelder, Die Geschichte der Reichsrichtlinien für den evangelischen Religionsunterrichts, in: Ohlemacher (Hrsg.), Religionspädagogik im Kontext kirchlicher Zeitgeschichte, S.152ff.
Vorwort
XXI
lichkeit der Richtliniendebatte für den evangelischen Religionsunterricht im Nationalsozialismus bereits ein Spiegelbild dessen darstellt, w a s in den Schulen, natürlich in Abhängigkeit von der jeweiligen L e h r k r a f t , die Unterrichtswirklichkeit des Religionsunterrichts bestimmt hat. In diesem Sinne möchte die Arbeit auch einen, wenngleich begrenzten Beitrag zur Wirklichkeit der Schule "unterm H a k e n k r e u z " leisten. Insgesamt verfolgt sie das Ziel - wie es Ohlemacher als vorrangige A u f g a b e der zeitgeschichtlichen Arbeit in der Religionspädagogik f o r muliert hat - , "Voraussetzungen zu erheben, unter denen eine theologische Urteilsbildung ihren angemessenen Platz finden kann" 4 . Diese Aussage betrifft insonderheit die gängigen Urteile zur sogenannten Phase der "Evangelischen Unterweisung" f ü r die Zeit nach 1945, deren pauschale Herleitung aus den Erfahrungen des Kirchenkampfes der Bekennenden Kirche 5 nach dem vorgelegten Befund grundlegend revidiert w e r d e n muß. Der Verfasser hatte die Möglichkeit, die vorliegende Arbeit in enger Zusammenarbeit mit Prof. Bloth zu erstellen. Für diese Z u s a m m e n a r beit, die über das M a ß einer bloßen Dissertationsbetreuung weit hinausging, weiß sich der Verfasser zu tiefem Dank verpflichtet. Die vorangestellte Einführung von Prof. Bloth dokumentiert wissenschaftliche Begleitung und Anteilnahme; eine Erfahrung, die der Verfasser nicht missen möchte.
4
5
Jörg Ohlemacher, Kontinuität? Schulpolitik und evangelischer Religionsunterricht unter den Bedingungen der Nachkriegszeit, in: ders. (Hrsg.), Religionspädagogik im Kontext kirchlicher Zeitgeschichte, S.188. So Wegenast in der Einleitung zu seiner Quellensammlung zur Geschichte der Religionspädagogik: Klaus Wegenast (Hrsg.), Religionspädagogik. Erster Band. Der evangelische Weg, Darmstadt 1981, S.10.
Einleitung Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme war in besonderer Weise die Schule dem Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten ausgesetzt. Nach dem Muster der Machtergreifung in Staat und Gesellschaft hatten die ersten Maßnahmen der neuen Machthaber im Schulwesen die Funktion, den machtpolitischen und ideologischen Zugriff der totalitären Bewegung auf die Schule zu sichern. 1 Daß die "nationalsozialistische Revolution" sich als eine "Revolution der Erziehung" zu vollziehen hätte, die in der Formung des "nationalsozialistischen Menschen" ihren letztgültigen Niederschlag finden sollte, war von allen fuhrenden Nationalsozialisten, einschließlich des späteren Reichsministers Bernhard Rust, wiederholt verkündet worden. 2 Bereits in "Mein Kampf' hatte Hitler die erziehungspolitischen und pädagogischen Maximen der nationalsozialistischen Bewegung für die Umgestaltung des Erziehungswesens formuliert, die in der Betonung der "körperlichen Ertüchtigung" sowie einer auf soldatische Merkmale ausgerichteten "Charaktererziehung" gegenüber einer Abwertung "geistiger Bildung" eine Umkehrung der bisherigen Erziehungswerte darstellten. 3 Auch wenn Hitlers Vorgaben von den "Erziehungsfunktionären" des NS-Staates zum "pädagogischen Dogma" 4 erhoben worden sind und ihnen durch die Einführung der Rassenkunde im Biologieunterricht, durch eine Erhöhung der Sportstunden und die ideologische Umorientierung der "deutschkundlichen" Fächer - insbesondere des zum "Gesinnungsfach" stilisierten Geschichtsunterrichts - Rechnung getragen wurde , ist in der neueren Literatur zur Erziehungs- und Schulwirklichkeit "unterm Hakenkreuz" vielfaltig belegt worden, daß weder von
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Vgl. Hermann Giesecke, Hitlers Pädagogen: Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, München 1993, S.151ff. Vgl. Karl Christoph Lingelbach, Erziehung und Erziehungstheorien im nationalsozialistischen Deutschland, Frankfurt a.M. 1987 (1.Aufl. 1970), S.25. Hitlers "Weltanschauung" und sein davon abgeleitetes Erziehungsverständnis sind bereits umfassend in der Literatur dargestellt worden, so daß auf eine Wiederholung verzichtet werden kann. Vgl. dazu grundsätzlich: Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, Stuttgart 1981 ( 1 . A u f l . 1 9 6 9 ) ; Hubert Steinhaus, Hitlers pädagogische Maximen. "Mein K a m p f und die Destruktion der Erziehung im Nationalsozialismus, Frankfurt 1981; ebenso Lingelbach, Erziehung und Erziehungstheorien, S.28ff; zuletzt Giesecke, Hitlers Pädagogen, S.17ff. Lingelbach, Erziehung und Erziehungstheorien, S.28. Vgl. zu den Veränderungen in den einzelnen Schulfächern den Sammelband: Schule und Unterricht im Dritten Reich, hrsg. von Reinhard Dithmar, Neuwied 1989.
2
Einleitung
einer "partei- oder staatsoffiziellen pädagogischen Doktrin" 6 noch von einer "planmäßigen Gestaltung des Schulwesens" 7 im Nationalsozialismus die Rede sein kann. 8 Insbesondere Harald Scholtz hat in seinen Arbeiten daraufhingewiesen, daß im Nationalsozialismus "niemand für eine Systematisierung der NS-Weltanschauung in Form einer schulischen Lehre die Verantwortung übernehmen wollte" 9 und ebensowenig von einer "aus der politischen Ideologie abgeleitete(n) nationalsozialistische(n) Didaktik" 10 gesprochen werden kann. "Weder >Leitbilder< für die Erziehung, die rasch verschlissen waren, noch ein >Weltbild< charakterisieren zureichend die Inhalte der Einflußnahme auf die Jugenderziehung unter den Bedingungen des NS-Systems. Diese Inhalte waren vielmehr bestimmt durch die Reaktionen, welche das System in den Menschen provozierte, die von ihm profitieren wollten." 11 Dementsprechend ging es den Nationalsozialisten weniger um die Vermittlung von Inhalten, die als prinzipiell auswechselbar erschienen, sondern um die "Formung" einer "Haltung". Diese sollte nicht zum sachlich-kritischen Denken anleiten, sondern war auf die Prägung einer Mentalität "dienstbereiter Gefolgsleute des Führers" ausgerichtet. 12 Daß der nationalsozialistische Erziehungsanspruch sich effektiver außerhalb der Schule durch die Erfassung der Jugend in nichtschulischen Einrichtungen und Zwangsverbänden - wie der Hitlerjugend umsetzen ließ, hat das Verhältnis der nationalsozialistischen Machthaber zur Schule entscheidend bestimmt. Die Übertragung der politischen 6 7 8
Giesecke, Hitlers Pädagogen, S.7. Harald Scholtz, Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, Göttingen 1985, S.80. Vgl. zum Forschungsstand der "nationalsozialistischen Pädagogik": Gisela Miller-Kipp, D i e ausgebeutete Tradition, die ideologische Revolution und der pädagogische Mythos. Versuche und Schwierigkeiten, "nationalsozialistische Pädagogik" zu begreifen und historisch einzuordnen, in: Pädagogik und Nationalsozialismus, hrsg. von Ulrich Hermann/Jürgen Oelker, Weinheim/Basel 1989, S.21ff. Daß die Schulwirklichkeit aufgrund der Widersprüche im nationalsozialistischen Erziehungsdenken wesentlich komplexer und vielfältiger waren als oftmals angenommmen wurde, zeigen für den Geschichts- und Englischunterricht beispielhaft: Horst Gies, Geschichtsunterricht unter der Diktatur, Köln/Weimar/Wien 1992; Reiner Lehberger, Englischunterricht im Nationalsozialismus, Tübingen 1986.
9 Scholtz, Erziehung und Unterricht, S.136. 10 Harald Scholtz, Schule unterm Hakenkreuz, in: Dithmar (Hrsg.), Schule und Unterricht, S.4. 11 Scholtz, Erziehung und Unterricht, S.135f. 12 Vgl. Scholtz, Schule unterm Hakenkreuz, S.4.
Einleitung
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Schulung auf die Führerschaft der Hitlerjugend ging mit der "politischen A b w e r t u n g der Schule" einher. Somit war die Beziehung der t o talitären B e w e g u n g zum schulischen Unterricht "primär negativ, nicht auf seine Veränderung angelegt, sondern auf seine Beeinträchtigung" 1 3 . Nicht nur die Versuche, die nationalsozialistische >Weltanschauung< in einem eigenen Schulfach zu lehren 1 4 , haben dieses "Ideenkonglomerat" als für unterrichtliche Lehre untauglich erwiesen; auch die v o m Reichserziehungsministerium veröffentlichten Richtlinien v e r d e u t lichen, daß zwar eine weltanschauliche Beeinflussung, aber keine theoretische Orientierung über das weltanschauliche "Fundament" der Schule erwünscht war. In der Grundsatzerklärung des Ministeriums zu den ab 1938 erscheinenden Richtlinien für die einzelnen Schularten wird daher ausdrücklich betont: "Die nationalsozialistische Weltanschauung ist nicht Gegenstand oder Anwendungsgebiet des Unterrichts, sondern sein Fundament. Sie ermöglicht, daß die Schlagbäume zwischen den einzelnen Fachgebieten fallen und auf eine ungezwungene Weise ein Unterricht in Querverbindung und Konzentration betrieben werden kann. Mit ihr lösen sich alle Lehrplan- und Stundenplanschwierigkeiten, die im Zeitalter des Bildungspluralismus unüberwindlich schienen. Denn die Weltanschauung gibt dem Unterricht nicht so sehr neue Bildungsstoffe, als vielmehr eine neue Sicht, ein neues Erziehungsverfahren und ein neues Ausleseprinzip f ü r das Bildungsgut." 1 5 Als ein weiteres Strukturmerkmal der Schule "unterm H a k e n k r e u z " ist in der Literatur die nicht nur auf die Schulpolitik, sondern auch auf den 13 Scholtz, Erziehung und Unterricht, S.134. Mit dieser Bewertung widerspricht Scholtz der Einschätzung von Nyssen, die in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, daß nur in der ersten Phase der nationalsozialistischen Schulpolitik die Ideologievermittlungsfunktion von Schule im Vordergrund stand, während ab 1937 neben der Bedeutung der Ideologievermittlung auch die Notwendigkeit der Vermittlung von Qualifikationen betont wurde. Vgl. Elke Nyssen, Schule im Nationalsozialismus, Heidelberg 1979, S.84ff. 14 Nur in Württemberg wurde das Schulfach "weltlicher Unterricht" als Ersatz für den Religionsunterricht eingeführt (vgl. Jörg Thierfelder, D i e Auseinandersetzung um Schulform und Religionsunterricht im Dritten Reich z w i s c h e n Staat und evangelischer Kirche in Württemberg, in: Manfred Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, B d . l , Stuttgart 1980, S . 2 4 1 f f ) . Selbst an den Adolf-Hitler-Schulen fand lediglich ein konfessionell neutraler Unterricht in "Religionskunde" statt (vgl. Scholtz, Erziehung und Unterricht, S.85). 15 Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule, Berlin 1938, zit. n. Nationalsozialismus und Schule: amtliche Erlasse und Richtlinien 1933-1945, hrsg. u. eingeleitet von Renate Fricke-Finkelnburg, Opladen 1989, S. 112.
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Einleitung
Schulalltag wirkende "autoritäre Anarchie" (Scholtz) als Kennzeichen der nationalsozialistischen Machtausübung in der Schule beschrieben worden. 1 6 Der Machtkampf und die Rivalität innerhalb der nationalsozialistischen Führungsspitze sowie das Konkurrenzverhältnis zwischen Partei und Staat eröffneten der Schule ungewollte Handlungsspielräume, so daß "der Alltag des Schulehaltens wesentlich normaler, nämlich sachbezogener ablief, als die Willenserklärungen der verantwortlichen Beteiligten vermuten lassen" 17 . Aus der "Rivalität des Totalitären" (Giesecke) verschaffte sich immer mehr Martin Bormann zuerst als Stabsleiter des Stellvertreters des Führers und später als Leiter der Parteikanzlei eine Schlüsselrolle in der Führung und Beeinflussung der Schulpolitik. 18 Vor allem Bormann war - wie im folgenden gezeigt werden soll - Initiator und Motor einer über die Gliederungen der NS-Partei gesteuerten Bewegung, die im Rahmen der religions- und kirchenfeindlichen Kehrtwendung in der Schulpolitik mit der "Entkonfessionalisierung" des Schulwesens zugleich auf eine Verdrängung des Religionsunterrichts aus der Schule im Nationalsozialismus hinarbeitete.
16 Vgl. bis heute grundlegend: Rolf Eilers, D i e nationalsozialistische Schulpolitik. Eine Studie zur Funktion der Erziehung im totalitären Staat, Köln/Opladen 1963; ebenso Ottwilm Ottweiler, D i e Volksschule im Nationalsozialismus, Weinheim/Basel 1979. Vgl. zur inneren Struktur des NS-Staates ebenfalls: Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1979. 17 Giesecke, Hitlers Pädagogen, S.155. 18 Vgl. Eilers, D i e nationalsozialistische Schulpolitik, S.108ff.
1.
Evangelischer Religionsunterricht als >ordentliches Lehrfach< in der Schule im Nationalsozialismus: vom Plan eines staatlich reglementierten Pflichtfaches bis zur Ausgliederung aus dem weiterführenden Schulwesen
Mit der Frage nach der Stellung des Religionsunterrichts in der Schule stand nicht nur ein "ordentliches" Schulfach, dessen besonderer Charakter im Artikel 149 der Weimarer Reichsverfassung' festgelegt worden war, zur Diskussion. Aufgrund der unmittelbaren Verknüpfung des Faches mit der äußeren und inneren Grundstruktur der deutschen Volksschule war mit dem Religionsunterricht zugleich die Volksschule als Ganzes angefragt. Die Ursachen für diesen Tatbestand liegen in der Entwicklung des deutschen Volksschulwesens begründet, insofern vorrangig konfessionelle Gesichtspunkte die Gliederung der Volksschulen bestimmt haben. 2 Trotz des in der Weimarer Reichsverfassung vorgegebenen "Wahlschulmodells" blieb die Bekenntnisschule in den meisten deutschen Ländern die dominierende Schulform. 3 Die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den Weimarer Parteien verhinderten die Verabschiedung eines Reichsschulgesetzes mit dem Ergebnis, daß die Schulgesetze der einzelnen Länder weiterhin Gültigkeit hatten." Damit blieb als Grundprinzip der deutschen Volksschule festgeschrieben, daß
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"Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt." Artikel 149, Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung, zitiert nach Gerhard Giese, Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800, Göttingen/Berlin/Frankfurt 1961, S.241. Vgl. zum geschichtlichen Problemzusammenhang: Achim Leschinsky, Das Prinzip der Individualisierung. Zur Dialektik der Auseinandersetzungen um die Konfessionsschule nach 1945, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, 38. Jahrg., Heft 1/1990, S.5ff. Der Artikel 146 der Weimarer Reichsverfassung hatte die Simultanschule zur Norm erklärt und lediglich auf "Antrag" der Erziehungsberechtigten die Möglichkeit der Einrichtung von "Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung" eingeräumt. Die Frage, in welchem Verhältnis die in Artikel 146 vorgesehene simultane öffentliche Schule zu den ebenso genannten beiden Schulformen der Bekenntnis- und Weltanschauungsschule stehen sollte, blieb zwischen den Parteien in der Weimarer Zeit heftig umstritten. Vgl. zur Interpretation des Artikels 146: Walter Landé, Schulrecht (Max von Brauchitsch: Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. VI), Berlin 1933, S.48ff. Vgl. zum Streit um das Reichsschulgesetz und insbesondere zur Haltung der Volksschullehrerschaft, die mehrheitlich für eine einheitliche, f ü r alle Bekenntnisse gemeinsame Volksschule eintrat: Rainer Bölling, Volksschullehrer und Politik. Der Deutsche Lehrerverein 1918-1933, Göttingen 1978, S.137ff.
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1. Religionsunterricht als >ordentliches Lehrfach
ordentliches Lehrfach
Lehrstück< bezeichnet werden, an dem sich sowohl die Widersprüche, aber ebenso Aktionsformen sowie Reichweite und Grenzen des Zugriffs der nationalsozialistischen M a c h t h a b e r auf die Schule zeigen lassen. Kennzeichnend für die erste Phase der nationalsozialistischen Schulpolitik ist, daß schulpolitische Maßnahmen vorrangig von machtpolitischen und innenpolitisch-taktischen Erwägungen motiviert waren. So ließen die kurzfristig erlassenen Verlautbarungen und M a ß n a h m e n den Eindruck entstehen, als ob das am >Tag von PotsdamEinverständnis< zwischen Kirche und N S - S t a a t im Schulwesen seine direkte Bestätigung finden würde. Bereits im Februar 1933 wurden in Preußen und Sachsen im Z u g e der Auflösung der als >marxistisch< geltenden weltlichen Schulen und Sammelschulen der >nichtchristliche< Lebenskundeunterricht verboten und entgegen den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung auch f ü r diese Schulen konfessioneller Religionsunterricht eingeführt. Zudem sind zeitgleich in Sachsen und Thüringen Verordnungen erlassen worden, die wiederum gegen die Verfassungsbestimmungen, aber auch gegen das "Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung" von 1921 die Eltern verpflichteten, ihre Kinder zum Religionsunterricht anzumelden. 8 In Bayern hatte bereits am 28. M ä r z 1933 Kultusminister Schemm mit der Parole "Kein Kind in Bayern ohne nationale und christliche Erziehung" für die Teilnahmepflicht am Religionsunterricht g e w o r b e n und das Schulgebet zu Beginn und am Ende des Unterrichts in allen Schulen Bayerns verfügt. 9 Die Initiative f ü r eine reichseinheitliche Teilnahmeverpflichtung am Religionsunterricht ging von Reichsinnenminister Frick aus, der auf einer K o n f e r e n z der Unterrichtsminister der Länder am 9. Mai 1933
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Religionsunterricht der preußischen Volks- und mittleren Schulen, Berlin 1932. In: EZA Berlin 7/4462, O.P. Erlaß des Sächsischen Volksbildungsministers vom 18.4.33 und v o m 2 4 . 5 . 3 3 (vgl. Eilers, D i e nationalsozialistische Schulpolitik, S.23, A n m . 1 3 4 ) ; in der Verordnung des Thüringischen Volksbildungsministers vom 19.4.33 wird die Teilnahme am Religionsunterricht als "Erwartung" ausgesprochen, der Erlaß v o m 1.7.33 "ordnet" die Teilnahmeverpflichtung an (in: B A Potsdam 4 9 . 0 1 3 2 5 9 / 1 , B1.419;428). Vgl. die Abschrift der Bekanntgabe des Kultusministeriums vom 2 8 . 3 . 3 3 "über die religiöse und nationale Haltung der Lehrkräfte an den bayerischen Schulen", in: BA Potsdam 49.01 3259/1, B1.516.
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A u f w e r t u n g < des Religionsunterrichts nicht nur als eine taktische M a ß n a h m e begriffen hat, dokumentiert der im Reichsinnenministerium im Juni 1933 erstellte E n t w u r f eines "Gesetzes über den christlichen Religionsunterricht". In diesem Entwurf eines Reichsgesetzes wird f e s t g e schrieben, daß "in allen Klassen der allgemeinbildenden Schulen... Religionsunterricht in den christlichen Bekenntnissen erteilt (wird)" (§1), wobei "die Bestimmungen über Lehrplan, Lehr- und L e r n b ü cher...im Benehmen mit den Kirchen erlassen (werden)" 1 1 (§2). Weiterhin wird im §4 festgelegt: "Alle reichsdeutschen arischen Schüler haben am Religionsunterricht teilzunehmen." 1 2 Z u r B e g r ü n d u n g für die Revision des Artikels 149 der Weimarer Reichsverfassung und für die Festschreibung des Religionsunterrichts als ein vom Staat angeordnetes >Pflichtfach< wird in dem G e s e t z e n t w u r f ausgeführt: "Aus der Anerkennung des Christentums als einer wesentlichen Kulturgrundlage unseres Volkes ergibt sich zwingend, daß alle jungen Deutschen in denjenigen Schulen, die die allgemeinen Bildungsgüter der Nation übermitteln, mit den Angelegenheiten der christlichen Religion vertraut gemacht werden. E s kann nicht wie bisher dem freien Belieben der Eltern oder gar der Schüler selbst überlassen werden, ob sie am christlichen Religionsunterricht teilnehmen oder nicht." 1 3
10 In einem von Ministerialdirigent Frank gezeichneten Vermerk v o m 2 . 1 0 . 3 5 heißt es, daß der Thüringische Minister Wächtler den Teilnahmeerlaß vom 1.7.33 "auf Grund der Richtlinien erlassen (hat), die der damals für das Erziehungswesen im Reich zuständige Reichsminister des Innern, Dr.Frick, auf der Konferenz der Unterrichtsminister der Länder am 9 . 5 . 1 9 3 3 gegeben hatte". Frank hält es daher für "politisch sehr bedenklich", Wächtler von "Reichs wegen" dazu anzuweisen, diese Verordnung aufzuheben. In: BA Potsdam 4 9 . 0 1 3 2 5 9 / 1 , B1.513. 11 Gesetz über den christlichen Religionsunterricht in den Schulen, S . l , in: EZA Berlin 7 / 4 4 7 9 , O.P. Der Gesetzentwurf ist dem Kirchenbundesamt im Juli 1933 zur Stellungnahme zugeleitet worden. Das Kirchenbundesamt hat am 13. Juli eine Besprechung der Schulreferenten der obersten Kirchenbehörden einberufen. In den Akten findet sich weder ein Protokoll der Besprechung noch eine Stellungnahme des Kirchenbundesamtes zum Gesetzentwurf. 12 Ebd. Mit dieser Formulierung war die Teilnahme "getaufter nicht arischer Schüler" ausdrücklich als "freiwillig" deklariert. Vgl. die Ausführungen zur "Begründung" des §4 des Gesetzes: ebd., S.5. 13 Ebd., S.4.
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politischen< Gründen offiziell nicht aufgehoben; stattdessen verzichteten die Schulbehörden in Thüringen und Sachsen auf Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Teilnahmeerlasse. 14 Das bedeutsamste Ergebnis der kirchenfreundlichen Politik in den ersten Monaten der Phase der nationalsozialistischen Machtübernahme und Machtsicherung stellt der Abschluß des Konkordats am 20. Juli 1933 dar, dessen Artikel 21 bis 25 die Sicherung der katholischen Bekenntnisschulen, der Privatschulen und des Religionsunterrichts garantierten und damit nach dem Grundsatz konfessioneller Gleichbehandlung auch für evangelische Einrichtungen einen gewissen Schutz darstellten. 15 Insgesamt war die nationalsozialistische Schulpolitik von 1933 bis 1935 dadurch charakterisiert, daß in diesem Zeitraum diejenigen Gruppen und Personen innerhalb der NS-Partei weiten Handlungsspielraum hatten, die an eine Vereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus glaubten und daher auch bereit waren, einer dem >nationalen Anliegen< verpflichteten Kirche als >Erziehungsmacht< ihren Platz in der Schule zu garantieren. 16 Dies dokumentieren nicht nur die zwischen einzelnen Kultusministerien der Länder und den entsprechenden Landeskirchen vereinbarten Richtlinienerlasse für den Religionsunterricht 17 , sondern in besonderer Weise die unter der Leitung des bayeri-
14 Vgl. die Anordnung des sächsischen Ministeriums vom 17.7.34, in: BA Potsdam 49.01 3228/39, B1.349. 15 Vgl. Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S.23. Vgl. den Wortlaut der Konkordatsartikel, in: Georg Denzler/Volker Fabricius (Hrsg.), Die Kirchen im Dritten Reich. Christen und Nazis Hand in Hand?, Band 2: Dokumente, Frankfurt a.M. 1984, S.67f. In diesen Zusammenhang gehören auch Erarbeitung und Erlaß der in der Geschichte des deutschen Protestantismus ersten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933. Vgl. ihre Hauptbestimmungen, in: Denzler/Fabricius (Hrsg.), Die Kirchen im Dritten Reich, Bd.2, S.57ff. Vgl. auch unten Anm.21. 16 Vgl. dazu Kap.3, S.54. 17 Thüringen: "Richtlinien für die Religions-Lehrpläne der Thüringer Schulen", erlassen von Minister Wächtler am 27.11.33 im Einvernehmen mit dem Landesbischof von Thüringen, Sasse, und dem Obmann des Gaues Thüringen im NSLB, in: BA Potsdam 49.01 3228/42, B1.373f; Hessen: Lehrplanerlaß des Hessischen Staatsministeriums vom 31.5.34 und 15.4.35 im Einverständnis mit der Ev. Landeskirche Nassau-Hessen, in: BA Potsdam 49.01 4612, Bl. 224f, 233; Anhalt: "Richtlinien für den christlichen Religionsunterricht", erlassen am 20.1.37 von Minister Freyberg unter Zustimmung des Anhaltischen Ev. Landeskirchenrates, in : BA Potsdam 49.01 3228/45, B1.62. Diese im Einvernehmen mit den deutschchristlichen Landeskirchenleitungen veröffentlichten Richtlinienerlasse haben als gemeinsames Merkmal, daß die Einpassung des Religionsunterrichts in die >völkische< Aufgabe der Schule im
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Bayreuther-Protokolls< 19 besteht darin, daß in enger institutioneller Verflechtung mit der DEK - Punkt 5 der Vereinbarung sah in Absprache mit der Kirchenkanzlei der DEK die Bildung eines "selbständigen Dezernats für Religionsunterricht" im Reichsjugenapfarramt vor, das mit einem "Schulmann und Mitglied des NSLB" hauptamtlich besetzt werden sollte - der NSLB sich verpflichtete, auch "das Sachgebiet Religionsunterricht" in die Hand zu nehmen und bis zur "Stabilisierung dieser Arbeit" die Tätigkeit des "Verbandes evangelischer Religionslehrer an höheren Schulen" anzuerkennen. 20 Durch das Scheitern der deutschchristlichen Reichskirchenpolitik unter Reichsbischof Müller ist es nicht zu der vereinbarten Zusammenarbeit zwischen NSLB und DEK gekommen. Gleichzeitig waren damit alle Versuche gescheitert, die in Fragen von "Bekenntnis und Kultus" - die lehrplanmäßige Gestaltung des Religionsunterrichts eingeschlossen - selbständig handelnden evangelischen Landeskirchen zugunsten zentraler Instanzen >gleichzuschalten< 21 In der Folgezeit konnte lediglich der "Verband evangelischer Religionslehrer an höheren Schulen" aufgrund des Abkommens seine Tätigkeit fortführen 2 2 , bis der Nachfolger von Schemm, der Thüringische Kultusminister Wächtler, den religionspolitischen Kurswechsel der NSPartei 23 in den Gliederungen des NSLB konsequent durchzusetzen begann. Nachdem der NSLB sich bereits im Herbst 1935 aus der
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wesentlichen durch eine Reduzierung und Abwertung alttestamentlicher Stoffe erfolgt, die nur noch "in vorsichtiger Auswahl" herangezogen werden dürfen. Vgl. zu Schemm: Kap.3, Anm.7. Das >Bayreuther-Protokoll< ist das Ergebnis einer Besprechung, an der neben Schemm der Leiter des Amtes für Erziehung und Unterricht, Roder, Reichsjugendpfarrer Zahn, Reichssachbearbeiter Zwörner und Oberstudienrat Franke t e i l g e n o m m e n haben. In: EZA Berlin C3/140, O.P.; B A Potsdam 4 9 . 0 1 4 6 1 2 , B1.238. Vgl. Punkt 1 und 2 des >Bayreuther-ProtokollsBayreuther-Protokolls< gliederte sich der Religionslehrerverband am 6.6.35 "korporativ" in den NSLB ein und bildete dort innerhalb der Fachschaft 2 eine eigenständige Arbeitsgemeinschaft. Vgl. die Abschrift des Eingliederungsprotokolls, in: EZA Berlin C3/140, O.P. Vgl. Kap.3, S.53ff.
1. Religionsunterricht als >ordentliches Lehrfach
selbständigen< Lehrervereine. 26 Bemerkenswert ist, daß der kirchenpolitische Kurswechsel der NSPartei zu einem Zeitpunkt erfolgte, wo die "Befriedungspolitik" des neugebildeten Reichskirchenministeriums unter Reichsminister Kerrl im Herbst 1935 mit der Bildung eines Reichskirchenausschusses und verschiedener Landeskirchenausschüsse scheinbare Erfolge erzielen konnte. 27 Der unter Einbeziehung von Teilen der Bekennenden Kirche 28 gebildete Reichskirchenausschuß nahm bis zum Rücktritt seines Vorsitzenden, Generalsuperintendent Zoellner, im Februar 1937 die Funktionen einer Kirchenleitung wahr. Somit stellte der Reichskirchenausschuß ein vom NS-Staat anerkanntes kirchliches Leitungsgremium dar, von dem aus unter Leitung des Schulreferenten der Kirchenkanzlei der DEK, Theodor Ellwein, der Versuch unternommen werden konnte, die kirchlichen Interessen im Bereich des Schulwesens, insbesondere hin24 Vgl. Kap.3, S.60. 25 D i e Kirchenkanzlei der DEK ist durch Hermann Schuster* (zu den mit * g e kennzeichneten Personennamen vgl. den biographischen Anhang), den Vorsitzenden des Religionslehrerverbandes (vgl. zu Schuster Kap.2, A n m . l l ) , über die Wächtler-Rede informiert worden. Vgl. das Schreiben v o m 3.9.36 an E l l w e i n (vgl. zu Ellwein Kap.4, S.77) mit Anlagen, in: EZA Berlin C 3 / 1 4 0 , O.P. Ebenfalls hat Albertz in seinem Schreiben vom 14.9.36 an die der Vorläufigen Kirchenleitung angeschlossenen Kirchenregierungen und Landesbruderräte Teile der Rede wiedergegeben (vgl. dazu Kap.4, S . 9 I f ) . 26 Vgl. die Anordnung des NSLB Gauwaltung München vom 8 . 1 0 . 3 6 , in: EZA Berlin C3/140, O.P. Am 14.2.37 löste sich in Berlin der "Verband evangelischer Religionslehrer an höheren Schulen" auf, nachdem Wächtler in einem Schreiben vom 11.1.37 dem Reichskirchenausschuß die Kündigung des >Bayreuther-Protokolls< mitgeteilt hatte. Vgl. das Antwortschreiben der Kirchenkanzlei v o m 7.7.37. Beide Schreiben in: EZA Berlin C3/140, o.P. 27 Vgl. Kurt Meier, Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich, München 1992, S.125ff. 28 D i e Frage der Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen führte auf der 4. Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen zu einer Spaltung der Bekennenden Kirche. Fortan standen zwei bekenntniskirchliche Leitungsorgane - Lutherrat und 2. Vorläufige Kirchenleitung - nebeneinander. Vgl. Kap.5, S.168f; S. 17 lf.
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1. Religionsunterricht als >ordentliches Lehrfach
ordentliches Lehrfach
ordentliches Lehrfach
religionspädagogischen 42 43 44 45 46 47 48
Vgl. Anm.13. Denkschrift, s. Anm.13, B1.97. Ebd., B1.99. Ebd., Bl.lOOff. Ebd., Bl. 100. Ebd. Ebd., Bl. 109.
2. Ministerielle Ansätze einer Neubegründung
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Neubesinnung< der didaktische Begründungsansatz verschoben hat. Sichtbar wird der Einfluß einer neuen Generation von Religionspädagogen - als 1933 wichtigste Namen sind Gerhard Bohne und Magdalene von Tiling zu nennen - , die, versehen mit dialektisch-theologischem Rüstzeug, das Ende der kulturprotestantischen Epoche und Tradition von Richard Kabisch 49 bis Hans Richert herbeizuführen begannen. Religionsunterricht darf in dieser neuen Begründungstradition, wie allerdings schon Richert 1926 wußte, nur noch vom "Evangelium" abgeleitet werden; seine Aufgabe jedoch besteht nun darin, wie Bohne in seiner epochalen Schrift von 1929 "Das Wort Gottes und der Unterricht" formuliert hat, daß er "durch den Hinweis auf die Offenbarung und die Verkündigung des Wortes Gottes den Menschen in die Entscheidung stellt vor Gott". 50 "Begegnung" und "Entscheidung" 51 werden zu Schlüsselbegriffen des neuen Verständnisses von religiöser Erziehung und Unterweisung, gleichzeitig soll die "Verkündigung" des Evangeliums in der vom Staat getragenen öffentlichen Schule eine grundlegende Erneuerung des Verhältnisses von Schule und Kirche bewirken. Da bei Schuster in der Tradition der historisch-kritischen Theologie52 die Vermittlung von religiösen Inhalten, insonderheit "gründliche(r) Bibelkenntnis" 53 im Vordergrund steht, kann der Begriff "Entscheidung" bei ihm kaum eine Rolle spielen. Dennoch ist auch für Schuster "Evangelizität" 54 die entscheidende Begründungskategorie, allerdings ausgelegt in der jetzt heraufkommenden und wenig später religionsdidaktisch verhängnisvollen Exklusivität des >völkischen< Gegenwartsbezuges. Damit bekommt der religionsdidaktische Ansatz bei Schuster eine signifikante Ausprägung, die hier mit den Begriffen Verkirchlichung und Verdeutschung charakterisiert werden soll: Einerseits muß die aus49 Vgl. zu Kabisch: Gerd Bockwoldt, Richard Kabisch, Religionspädagogik zwischen Revolution und Restauration, Berlin 1976. 50 Gerhard Bohne, Das Wort Gottes und der Unterricht, Berlin 1932 (l.Aufl. 1929), S.147. Vgl. ders., Religionsunterricht und religiöse Entscheidung, in: ZEvRU 1930, H.l, S . l f f u n d H . 2 , S.49ff. Vgl. zu Bohne Kap.4.1, S.95ff. 51 Bloth hat die epochaltypische Bedeutung des Begriffs "Entscheidung" in seinem Aufsatz "Die theologische Kategorie 'Entscheidung' in ihrer Bedeutung für die Religionspädagogik" (in: Kerygma und Dogma, 9.Jg. 1963, S.18ff) herausgearbeitet. 52 Vgl. Hermann Schuster, Wider die Theologie des Alles oder Nichts, in: DEE 1934, H. 12, S.509ff. 53 Entwurf Schuster, s.Anm.12, B1.85. 54 Mit dem Begriff "Evangelizität" markiert Bloth eine zweite religionsdidaktische Grundströmung der späteren 20er und 30er Jahre. Vgl. Bloth, Religionsdidaktische Grundströmungen, S. 181 f.
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2. Ministerielle Ansätze einer Neubegründung
schließliche Begründung des Religionsunterrichts vom "biblischen Evangelium" in der Orientierung auf "lebendige Teilnahme" und "Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde" 55 zur Verkirchlichung führen, zumal Anspruch und Geltung des Evangeliums für die Erziehung und Bildung in der vom Nationalsozialismus bestimmten Schule gänzlich unbestimmt bleiben. Auf der anderen Seite werden die konkreten Inhalte des Religionsunterrichts von dem Grundsatz der >Verdeutschung des Glaubens< normiert, da das Christentum lediglich in seinen "germanischen und deutschen Empfindungs- und Denkformen" 56 Gegenstand des Unterrichts ist. Das didaktische Prinzip >Verdeutschung< bzw. >völkische Durchdringung< hat in der Schusterschen Diktion die Funktion, die "Gegenwartskraft und Gegenwartsbedeutung" des Religionsunterrichts im Rahmen des >völkischen Aufbruchs< gleichsam automatisch zu garantieren. Zugleich scheint damit die Einbettung des Religionsunterrichts in die Bildungsaufgabe der Schule nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gesichert zu sein, der Religionsunterricht kann als "grundlegend in der Erziehungsarbeit der deutschen christlichen Schule" 57 bestimmt werden. Zwar sieht Schuster die Gefahr, daß der "völkische Gedanke" den Rang einer "selbständige(n) religiösen Größe" erhalten könnte und die "überragende Bedeutung" des Evangeliums in Frage gestellt wird. 58 Aber indem er die "Gegenwartskraft und Gegenwartsbedeutung" des Evangeliums nicht inhaltlich bestimmt, sondern lediglich postuliert, gibt er den Religionsunterricht unter dem Gesichtspunkt der >Verdeutschung< schutzlos den Ansprüchen völkischer Totalität im Sinne der neuen Machthaber preis. Der religionsdidaktische Ansatz von Schuster wie Richert im Jahre 1933 fußt auf der deutschchristlichen Grundthese, daß es Christentum sowie christlichen Glauben nur in >völkischer Ausprägung< geben kann. Daraus leiten beide das "Recht eines deutschen Christentums" (Schuster) bzw. die "Verkündigung eines deutschen Christentums" (Richert) ab. Dennoch geht Richert m.E. einen Schritt über Schuster hinaus: Während Schuster diesen Gedanken primär geschichtsperspektivisch versteht - Religionsunterricht soll die "Verdeutschung des Glaubens" in der Geschichte aufzeigen - , begründet Richert die Notwendigkeit und Aufgabe des Religionsunterrichts, "deutsches Christentum" zu verkünden, vordringlich als schulischen Beitrag zur >neuen Volkswerdung der deutschen Nationvölkische Gedanke< bestimmt sowohl Zielsetzung - "Dienst" am Volk - als auch Gegenstandsfeld - "deutsches Christentum" - des Religionsunterrichts. Mit dieser gegenüber Schuster anderen Akzentuierung gerät Richert zwangsläufig in das Fahrwasser deutschchristlichen Denkens, da hier wie sich am Beispiel von Wieneke zeigen läßt - der Religionsunterricht im Zeichen "völkischer und kirchlicher Erneuerung" Stellenwert und B e s t i m m u n g in ausschließlicher Orientierung auf das "Volksgeschehen der G e g e n w a r t " erhält. 60 Im deutschchristlichen Ansatz von Wieneke bildet die "völkische und kirchliche Erneuerung" eine untrennbare Einheit, das "Christliche" wird gleichsam mit dem "Völkischen" identifiziert, so daß als A u f g a b e f ü r den Religionsunterricht bestimmt werden kann: "Der RU (soll) ganz christlich und ganz völkisch sein, christliche und nationalsozialistische Totalität schließen sich niemals aus, sondern fordern sich geradezu." 6 1 Diesen letzten Schritt, den Religionsunterricht an eine - wie auch immer bestimmte - "nationalsozialistische Totalität" auszuliefern, ist Richert nicht mitgegangen. Der "völkische" Gedanke bleibt in der Tradition seines didaktischen Denkens mit "nationalsozialistischer Totalität" unvermittelbar, da er den Religionsunterricht - wenngleich nur als "Abschluß" in der Oberstufe - für eine "Auseinandersetzung mit den anderen geistigen Kräften unseres Kulturlebens" 6 2 grundsätzlich offenhalten will. D e n n o c h muß als Ergebnis unterstrichen werden, daß Richert mit den Begriffen "Volk" und "Deutschtum" nicht mehr an seinen Gedanken der "Deutschheit" im Sinne seines ursprünglichen K o n z e p t s der "deutschen Bildungseinheit" festhält, sondern daß sich auch bei ihm unter Adaption deutschchristlicher Positionen "Deutschheit" als "didak-
59 Lehrplanentwurf, s.Anm.8, B1.65. In den Akten befindet sich eine von Heienbrok handschriftlich überarbeitete zweite Abschrift des Entwurfs der "Religionslehrer" (BA Potsdam 49.01 4612, B l . l l l f f ) . 60 Vgl. Wieneke, D i e kirchliche Erneuerung, S.1057, s.Anm. 14. 61 Entwurf Wieneke, s.Anm. 14, Bl. 119. 62 Lehrplanentwurf, s.Anm.8, B1.74.
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tische Intention" zum "Deutschtum" als "ideologisch abgrenzendem Selbstzweck (verformt)" 63 hat. Richert hat - im Gegensatz zu Wieneke - den Volksbegriff nicht rassisch begründet. Stattdessen hat er die >völkische Idee< in seinem neuen religionsdidaktischen Ansatz doppelt verankert: einmal theologisch im Programm eines "deutschen Christentums", zum zweiten didaktisch-funktional im Sinne einer grundsätzlichen Rückbeziehung des Religionsunterrichts in den als "neue Volkwerdung" verkannten Vorgang der nationalsozialistischen Machtübernahme. Damit bekommt der religionsdidaktische Ansatz von Richert eindeutig ein deutschchristliches Gefalle, ohne jedoch gänzlich in völkische Verstiegenheiten abzugleiten. Inwieweit an dieser Stelle das von Schuster adaptierte Prinzip der "Evangelizität" oder vorrangig Richerts liberale Prägung in korrigierender Weise wirksam wurde, kann m.E. in der Rückschau nicht entschieden werden. Zusammenfassend muß festgehalten werden, daß der Vergleich der Richertschen Richtlinienentwürfe der Jahre 192664 und 1933 beispielhaft den tiefgreifenden Bruch in der Tradition schulpädagogischen und religionsdidaktischen Denkens in Deutschland widerspiegelt. Die Dominanz und Kultivierung der >völkischen Erfahrung< hat eine Schultradition im Zeichen des >deutschen Idealismus< 65 scheinbar spurlos hinwegfegen können. Der Wandel der Begrifflichkeit demonstriert diesen Vorgang hinreichend: Begriffe wie >KulturReligion< und >PersönlichkeitVolkEvangelium< und >Kirche< ersetzt. Richert hat am Ende seines Lebenswerkes doch noch vor dem Ansturm der völkischen Idee sowie vor der von der dialektisch-theologisch geprägten >Verkündigungskonzeption< kapituliert. Liberale Religionsdidaktik als eigenständige Tradition - so scheint mir - hat sich damit selber >zu Grabe< getragen; als Faktor in der Debatte um Ziele
63 Bloth, Religionsdidaktische Grundströmungen, S.182. Bloth grenzt den didaktischen Ansatz von Richert von anderen Ansätzen in den Jahren bis 1933 ab, indem er für Richert betont: "Wie er seit 1920 seinen Zentral-Begriff 'Bildungseinheit 1 gleichsam didaktisch-operational nur als 'Bildung zur Einheit' für erreichbar hielt, so hat er auch den anderen Begriff 'Deutschheit' lediglich als die Fächer verbindendes Element und als Zielangabe auf Einheit hin verstanden" (ebd.). 64 Vgl. Anm.6. 65 "Die Richertsche Schulreform (hatte) nur insofern ihr wahres Intentum in der deutschen Gegenwart..., als sie überall den philosophischen Idealismus für die Fragen der Gegenwart auswerten und ihn so als 'höchste Ausprägung deutschen Wesens' der 'vertieften Deutschheit' zugrunde legen wollte" (Bloth, Religion in den Schulen, S.230, Anm.31).
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und Inhalte des Religionsunterrichts ist sie jedenfalls nach 1933 nicht mehr in Erscheinung getreten.
2.2 Darstellung und Analyse der "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an Höheren Schulen" vom Oktober 1935: Walter Franke
2.2.1 Entstehung und Kontext der Richtlinien Der Richtlinienentwurf von Franke stellt in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur in der Diskussion um Inhalte und Ziele des evangelischen Religionsunterrichts in der Schule nach der nationalsozialistischen Machtübernahme dar. Da der Entwurf von wesentlichen Entscheidungsträgern hinsichtlich der Bestimmung des Aufgabenfeldes des Religionsunterrichts im Spannungsfeld von Kirche und Schule - Ministerialbürokratie des Reichserziehungsministeriums, Reichskirchenministerium, Religionslehrerverband und Reichskirchenausschuß - mitgetragen worden ist, spiegelt er den Abschluß der ersten Phase des Versuchs einer Neudefinition des Religionsunterrichts unter den Bedingungen nationalsozialistischer Herrschaft wider. Zugleich deutet der Ausgang der Auseinandersetzungen um den Richtlinienentwurf im Reichserziehungsministerium auf den grundsätzlichen Kurswechsel in der nationalsozialistischen Schulpolitik gegenüber den Kirchen hin, aufgrund dessen seitens des Reichserziehungsministers Rust keine offiziell-amtliche Initiative zur Klärung der Richtlinienfrage für das >ordentliche< Lehrfach Religion mehr unternommen werden konnte. 66 Franke ist als Leiter des staatlichen Bezirksseminars in Frankfurt a.M. vom preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Rust, offiziell mit Schreiben vom 9. November 1934 mit der Abfassung eines "Lehrplanes für den evangelischen Religionsunterricht an höheren Schulen" beauftragt worden. Mit Schreiben vom 3. Dezember bestätigt Franke seine Beauftragung und teilt zugleich dem Ministerium unter Beilage des Protokolls die Ergebnisse der Bayreuther Übereinkunft vom 29. August 1934 zwischen NSLB, Religionslehrerverband und DEK mit.67 66 Vgl. K a p . l , S . l l f f . 67 Vgl. das Antwortschreiben von Franke, in: BA Potsdam 4 9 . 0 1 4612, B1.228230. Franke vertrat als Vorstandsmitglied des "Verbandes evangelischer Religionslehrer an höheren Schulen" (vgl. ZEvRU 1933, H.5, S.231) die Interessen des Religionslehrerverbandes. Vgl. schon zum >Bayreuther-ProtokollBayreuther-Protokolls< umgesetzt: "Reichssachbearbeiter und Reichsjugendpfarrer stellen Richtlinien für den RU auf. Sie werden in Kürze eine Lehrplankommission zusammenstellen, der Vertreter der Volks-, Mittel-, Höheren und Berufsschulen angehören" (s.Kap. 1, Anm.19). 70 Schreiben von Franke, s.Anm.67, B1.228. Dieser Anregung von Franke ist das Reichserziehungsministerium scheinbar nicht gefolgt. In einem Schreiben vom 27.3.1935 hat Franke erneut auf die Notwendigkeit einer Neufassung der Richtlinien f ü r den Religionsunterricht der Volksschule hingewiesen und gleichzeitig den ehemaligen Schulrat Schmidt aus Bethel f ü r die Beauftragung einer Entwurfsfassung vorgeschlagen (vgl. BA Potsdam 49.01 3269/1, B1.260). Aus der Akte geht hervor, daß Schmidt tatsächlich einen Lehrplanentwurf am 8.8.35 an das Ministerium gesandt hat (Bl.456-463; s.Dokument 2). Es finden sich aber keine Hinweise, daß dieser Entwurf kirchlichen Stellen zugänglich gemacht wurde. Für die weitere Richtliniendiskussion kommt dem Entwurf keine erkennbare Bedeutung zu. (Den Hinweis auf diesen Richtlinienentwurf verdankt der Verfasser freundlicherweise Prof. Leschinsky, HumboldtUniversität zu Berlin.) 71 Vgl. dazu Einleitung, S.4.
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Den Entstehungsprozeß der Frankeschen Richtlinien und die anschließende Diskussion im Reichserziehungsministerium dokumentiert ein von Reichsjugendpfarrer Zahn handschriftlich verfaßter Aktenvermerk vom 5. Dezember 1935.72 Die vorliegende Fassung ist demzufolge das Ergebnis von mehrtägigen Beratungen zwischen Franke, Zahn und dem Referenten für Religionsunterricht an höheren Schulen im Reichserziehungsministerium, Oberschulrat Huhnhäuser, wobei ein Erstentwurf von Franke und ein Zweitentwurf von Zahn als Grundlage der Beratungen dienten. Zahn wurde von Huhnhäuser am 5. Dezember über den Verlauf der Richtliniendiskussion im Reichserziehungsministerium informiert. Bereits im Oktober 1935 wurde der Entwurf im Ministerium besprochen, stieß aber "auf starken Widerspruch". Die anschließende Auseinandersetzung im Ministerium hält Zahn nach dem Bericht von Huhnhäuser wie folgt fest: "Er, Huhnhäuser, habe darauf erklärt, daß der Entwurf das äußerste dessen darstelle, was den Anspruch auf die Bezeichnung 'Ev.RU' erheben könne. Man möge sich klar darüber werden, ob man überhaupt ev. RU an der höheren Schule wolle oder nicht. Wolle man ihn, so könnten dafür nicht die Privatmeinungen der Herren, die das Alte Testament oder den Erlösungsgedanken etc. beseitigen möchten, maßgebend sein, sondern nur Lehre und Glauben der Ev. Kirche. Er habe den Auftrag gehabt, einen Plan für ev. RU vorzulegen und nicht einen Plan für Moralunterricht und sei nicht in der Lage, eine andere Vorlage zu machen." 73 Die Besprechung wurde daraufhin ergebnislos abgebrochen und auf den 13. Dezember vertagt. Im weiteren Verlauf der Unterredung macht Huhnhäuser Zahn den Vorschlag, daß bei nochmaliger Ablehnung des Richtlinienentwurfs die DEK den vorliegenden Entwurf "kurzerhand als Vorschlag der Kirche" einreichen sollte und dieser "lediglich das Plazet des Ministeriums" erhält.
72 In: EZA Berlin 1/A4/434, o.P. Reichsjugendpfarrer Zahn gehörte zu den Mitunterzeichnern des >Bayreuther-Protokolls< (vgl. K a p . l , Anm. 19) und ist dadurch in die Richtlinienarbeit eingebunden gewesen. Reichsbischof Müller hat den deutschchristlichen Pfarrer Karl Friedrich Zahn aus Aachen am 4 . 1 . 3 4 zum Jugendpfarrer der DEK berufen (vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd.I, S.153). Zahn, Parteimitglied, ist als Referent für Fragen des Religionsunterrichts, später als Referent des Reichskirchenausschusses für Erziehungsfragen in der Kirchenkanzlei der DEK tätig gewesen. 73 Aktenvermerk Zahn, s.Anm.72.
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Aus den Akten des Reichskirchenministeriums läßt sich ersehen, daß die D E K den von Huhnhäuser vorgeschlagenen W e g unter Einbeziehung des Reichskirchenministeriums eingeschlagen hat. Die B e s p r e chung im Reichserziehungsministerium am 13. Dezember m u ß demzufolge ohne Ergebnis geblieben sein. Mit Anschreiben vom 17. D e z e m ber 1935, gezeichnet vom stellvertretenden Vorsitzenden des Reichskirchenausschusses, Mahrenholz, hat der Reichskirchenausschuß den Frankeschen Richtlinienentwurf mit geringfügigen sprachlichen K o r r e k turen auf dem A m t s w e g e über den Reichsminister f ü r die kirchlichen Angelegenheiten an das Reichserziehungsministerium mit der Bitte versandt, "diese Richtlinien sobald wie möglich in K r a f t setzen zu wollen" 7 4 . D a s Reichskirchenministerium leitete mit Schreiben v o m 14. Februar 1936 den Richtlinienentwurf an das Reichserziehungsministerium weiter. Dem Entwurf ist ein von Ministerialrat Stahn verf a ß t e r zustimmender Kommentar beigelegt, in dem Stahn die Richtlinien "als geeignete Grundlage für die Regelung des evangelischen Religionsunterrichts an höheren Schulen" 75 empfiehlt. Die Frankeschen Richtlinien für den Religionsunterricht an höheren Schulen haben somit eine in dieser Form überraschende R ü c k e n d e c k u n g und breite Unterstützung erhalten, die über das Reichskirchenministerium, die "evangelischen Beamten" 7 6 im Reichserziehungsministerium bis zum Reichskirchenausschuß unter Einbeziehung der Bekennenden Kirche reichte. Als Vertreter der > B e k e n n t n i s f r o n t < w a r nämlich Landesbischof Marahrens hinzugezogen worden, der laut A k t e n b e f u n d den Entwurf ebenfalls gebilligt haben soll. 77 D a ß die Richtlinien dennoch nicht als Erlaß des Reichserziehungsministeriums herausgegeben worden sind, ist Ergebnis des wachsenden 74 V o r l a g e des A n s c h r e i b e n s in: EZA Berlin 1 / A 4 / 4 2 3 , O.P.; e n d g ü l t i g e r Wortlaut des A n s c h r e i b e n s in: B A Potsdam 5 1 . 0 1 2 3 0 6 5 , B1.65. Im A n s c h r e i b e n wird die baldige Inkraftsetzung nicht nur mit der "herrschenden U n s i c h e r h e i t unter den Religionslehrern" begründet, sondern auch "als e i n e w e s e n t l i c h e Hilfe" im R a h m e n der "kirchenpolitischen Befriedungsarbeit" gewertet. 75 B A Potsdam 5 1 . 0 1 2 3 0 6 5 , B1.80. 76 In e i n e m Vermerk v o m 2 7 . 1 . 3 6 an Mahrenholz sieht Zahn die d r i n g e n d e N o t w e n d i g k e i t , daß die "evangelischen Beamten" im R e i c h s e r z i e h u n g s m i n i s t e rium - g e m e i n t sind die Referenten für Religionsunterricht K o h l b a c h und Huhnhäuser - "einer kräftigen Rückendeckung durch die Kirche bedürfen" (EZA B e r l i n 1/C3/146, O.P.). 77 In e i n e m Schreiben der Kirchenkanzlei an die Landeskirchen v o m 2 5 . 2 . 3 7 w e r d e n die v o n Franke verfaßten Richtlinien mit der B e m e r k u n g erwähnt, daß sie "seinerzeit sowohl Herrn Landesbischof D. Mahrarens als auch Herrn R e i c h s b i s c h o f Müller vorgelegen und deren Z u s t i m m u n g erfahren haben" ( E Z A B e r l i n 7 / 4 4 9 7 , O.P.). Ebenso schreibt Fliedner in e i n e m B r i e f an Wieneke v o m 2 6 . 6 . 3 5 : "Franke...soll zwar Deutscher Christ sein, n i m m t aber auch e n g e F ü h l u n g mit der anderen Seite" (EZA Berlin 1/4/413, O.P.). V g l . zu Fliedner: K a p . 4 . 1 , A n m . 2 .
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schulpolitischen Einflusses des Stellvertreters des Führers, Heß, und seines Stabsleiters Bormann, denen die Richtlinien seit Dezember 1936 zur Begutachtung vorlagen. Von Heß aber wurden die Richtlinien als "völlig indiskutabel" zurückgewiesen, so daß nicht - wie ursprünglich geplant - neue Richtlinien für den Religionsunterricht der höheren Schulen ab Ostern 1936 in Kraft treten konnten. 78
2.2.2 Darstellung und Analyse der Richtlinien Da sich in den Akten die von Zahn genannten Vorentwürfe nicht auffinden lassen, kann die konkrete Entwurfsdiskussion bis zur Endredaktion mit Angabe der jeweiligen Verfasserschaft nicht rekonstruiert werden. Aufzeigen läßt sich aber, daß in den Frankeschen Richtlinien wesentliche Aussagen des "Entwurfs der Religionslehrer" von 1933 79 zum Teil wortgetreu eingearbeitet worden sind. Der Richtlinienentwurf ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die Aufgabe des Religionsunterrichts formuliert; dem schließt sich eine ausführliche Beschreibung der Stoffgebiete an. Diesen beiden Abschnitten ist eine Vorbemerkung vorangestellt, in der das Verhältnis des Religionsunterrichts zur "nationalsozialistischen deutschen Schule" grundsätzlich bestimmt wird: "Der evangelische Religionsunterricht in der nationalsozialistischen deutschen Schule sieht Lehrer und Schüler in den geschichtlichen Wirklichkeiten von Blut und Boden, Volk und Staat, Familie und Geschlecht und erkennt darin gottgegebene Ordnungen und Bindungen, in denen der einzelne wie die Gesamtheit ihren Dienst auszurichten haben." 80 Diese Formulierungen gehen weit über das hinaus, was Richert in Anlehnung an den Entwurf von Schuster für den Religionsunterricht bestimmt hatte. 81 Die Verfasser beschreiben den Religionsunterricht nicht nur als Teil des Unterrichts der "nationalsozialistischen deutschen Schule", sondern zugleich werden Lehrer und Schüler auch im Religi78 V g l . den Aktenvermerk v o n Landeskirchenrat Bartheis v o m 3 0 . 9 . 3 7 , in: E Z A Berlin, 1 / A 4 / 4 1 5 , O.P. 79 V g l . K a p . 2 , S . 2 7 f f . Franke gehörte als M i t g l i e d der L e h r p l a n k o m m i s s i o n des Religionslehrerverbandes mit zu den Verfassern des Entwurfs (vgl. A n m . 1 2 ) . 80 R i c h t l i n i e n für den e v a n g e l i s c h e n Religionsunterricht an Höheren Schulen, in: B A Potsdam 4 9 . 0 1 4 6 1 2 , B1.8. Der Entwurf findet sich nicht nur in den A k t e n des R e i c h s e r z i e h u n g s m i n i s t e r i u m s ( 4 6 1 2 , B1.7ff), sondern ebenso in den A k ten des Reichskirchenministeriums ( 5 1 . 0 1 2 3 0 6 5 , B1.83ff) und der D E K ( E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 2 3 , O.P.). Er wird im f o l g e n d e n nach der Akte 4 9 . 0 1 4 6 1 2 , B1.7ff zitiert ( s . D o k u m e n t 3). 81 Vgl. K a p . 2 , S.29.
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onsunterricht in die "Wirklichkeit" der nationalsozialistischen >Weltanschauung< gerückt, insofern die "gottgegebene Ordnung" von "Blut und Boden" als konstitutiver Rahmen für Religionsunterricht und Schule postuliert wird. 82 Die Aufgabe des Religionsunterrichts beschreiben die Verfasser in wenigen Abschnitten. Anknüpfend an Formulierungen aus dem Entwurf von Schuster wird zum "Mittelpunkt" des Religionsunterrichts die "Offenbarung Gottes in Jesus Christus. . .als der allein tragende Grund einer lebendigen evangelischen Kirche" 83 bestimmt. Anschließend wird im Sinne der deutschchristlichen Geschichtstheologie auf den zwar "überzeitlichen" Charakter, aber auch auf "zeitlich und völkisch bedingten Formen" des "biblischen Evangeliums" hingewiesen und dem Religionsunterricht aufgegeben, "die deutschen Prägungen evangelischen Glaubens...in den Dienst gegenwartsnaher Verkündigung" 84 zu stellen. Im Vergleich zu Richerts Entwurf von 1933 ist besonders auffällig, daß der Religionsunterricht zwar in offenbarungstheologischer Diktion begründet, aber weder an das Evangelium gebunden noch mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche verbunden wird. Das Fach rückt zwar aufgrund seiner inhaltlichen Aufgabenstellung in die Nähe der Kirche, doch gibt es keine explizite Anbindung. Die Beziehung zwischen schulischem Religionsunterricht und Kirche wird lediglich indirekt thematisiert; ein ausdrücklicher Hinweis auf ihre Bedeutung ist im Gegensatz zu den Entwürfen von Richert und Schuster in dem Begründungsansatz der Frankeschen Richtlinien von 1935 nicht verankert worden. Weiterhin ist bemerkenswert, daß in dem Richtlinienentwurf die deutschchristliche Konzeption eines "deutschen Christentums" scheinbar revidiert wird. Stattdessen ist unverfänglich von den "deutschen Prägungen evangelischen Glaubens" die Rede. Reizworte wie "völkische Eigenart" oder "Verdeutschung des Glaubens" werden völlig ausgeklammert, um dem Richtlinienentwurf in Orientierung auf die innerkirchliche >Mitte< eine breite Zustimmung zu sichern. Im zweiten Teil des Frankeschen Richtlinienentwurfs werden nicht nur die Stoffgebiete für den Religionsunterricht genannt, sondern zugleich didaktisch-methodische Hinweise zur unterrichtlichen Umsetzung in den jeweilen Schulstufen - Unter-, Mittel- und Oberstufe formuliert.
82 Stahn hat in seinem Schreiben an das Reichserziehungsministerium diesen Absatz lobend kommentiert: "In den 'Vorbemerkungen' wird der allein mögliche Ansatz für den evangelischen Religionsunterricht im 3. Reich vorangestellt. Dieser ist eine vorbehaltlose Anerkenung der Grundlagen der nationalsozialistischen Weltanschauung" (in: BA Potsdam 51.01 2 3 0 6 5 , B1.80). 83 Richtlinien Franke, s.Anm.80, B1.8. 84 Ebd., B1.8 und Rückseite.
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Im Zentrum des Religionsunterrichts soll die Vermittlung des Neuen Testaments mit der Zielsetzung stehen, daß "Lehrer und Schüler gemeinsam die Person und das Werk des Heilandes Jesu Christi glaubend und erkennend erfassen" 85 . Damit bekommt der Religionsunterricht eine auf persönlichen Glauben hin orientierte Zuspitzung, die in dieser Form in dem religionsdidaktischen Ansatz von Richert und Schuster 86 nicht enthalten ist. Die Formulierungen zum Alten Testament vermeiden unübersehbar theologische Grundsatzaussagen, wollen aber die unterrichtliche Behandlung alttestamentlicher Stoffe sicherstellen. Das Alte Testament soll nur in einer "sorgfaltig erwogene(n) Auswahl" als Stoff des Religionsunterrichts in Erscheinung treten. Es ist "nur als Vorbereitung der im Neuen Testament gegebenen Offenbarung zu behandeln" 87 , wobei die Frage, ob damit das Alte Testament auch als Offenbarung Gottes zu gelten hat oder lediglich die Gottesoffenbarung im Neuen Testament "vorbereitet", offengelassen wird. Auch bei den Aussagen zum kirchengeschichtlichen Unterricht fallt die Zurückhaltung der Richtlinien in der Verhältnisbeschreibung von christlichem Glauben und "Deutschtum" auf. So wurde beispielsweise Luther in dem Entwurf von Schuster als "Prophet der Deutschen" 88 in den Mittelpunkt des Unterrichts gestellt, während Luther gemäß den Frankeschen Richtlinien "als Prophet der deutschen Reformation" 89 gewürdigt werden soll. Es zeigt sich eine Akzentverschiebung, die den bei Richert und Schuster zentralen didaktischen Gesichtspunkt der "Verdeutschung des Glaubens" zurücktreten läßt. 90 Der kirchengeschichtliche Unterricht steht in dem didaktischen Konzept der Frankeschen Richtlinien ganz im Dienst der Gegenwartsorientierung; als Stoff darf nur herangezogen werden, "was den Blick für die gegenwärtige
85 Ebd., B1.8 (Rückseite). 86 So bestimmt Schuster in kirchlich-liberaler Tradition als "letzten Sinn" des Religionsunterrichts, "die Schüler mit dem Christentum als der tiefsten Wirklichkeit unseres Lebens in Berührung zu bringen und sie in die Verantwortung vor Gott zu stellen" (s.Anm.12, B1.84). 87 Richtlinien Franke, s.Anm.80, B1.9 (Rückseite). 88 Entwurf Schuster, s.Anm.12, B1.86. 89 Richtlinien Franke, s.Anm.80, B l . l l . Ebenso steht die Würdigung der Reformation bei Schuster unter dem Vorzeichen der "Verdeutschung des Christentums" (s.Anm.12, B1.86), während bei Franke die Reformation verdeutlicht, "wie Volk und Kirche unter Wahrung der beiderseitigen Aufgaben in ein fruchtbares Verhältnis treten" soll und kann (s.Anm.80, B l . l l ) . 90 Der Gedanke des "Deutschtums" tritt bei Franke nur bei dem kirchengeschichtlichen Thema der Christianisierung der Germanen hervor, insofern hier in wortgetreuer Übernahme der Formulierungen von Schuster gezeigt werden soll, "wie bei der Bekehrung der Germanen Christentum und Deutschtum sich gegenseitig gefunden haben" (ebd.; vgl. Entwurf Schuster, s . A n m . 1 2 , B1.86).
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L a g e der evangelischen Kirche und ihre Aufgabe im deutschen Volke schärft" 9 1 . D e r Frankesche Richtlinienentwurf bringt seinen didaktischen Ansatz und seine Zielsetzung zusammenfassend zum Ausdruck, indem er als "höchste Aufgabe" des Religionsunterrichts bestimmt, "die christliche B o t s c h a f t in reformatorischer Ausprägung den Schülern nahezubringen" 9 2 und sie zu befähigen, "fest auf dem Boden gottgegebenen deutschen Volkstums stehend, die Offenbarungen Gottes in Jesus Christus in allen Lebensgebieten (z.B. Volkstum, Rasse, Gesundheit, Ehre, K a m e r a d s c h a f t ) ernst zu nehmen". 9 3 Diese Aussagen verdeutlichen, daß dieser Richtlinienentwurf im Vergleich zu den E n t w ü r f e n von Richert und Schuster in einer Weise akzentuiert ist, die mit den Begriffen politische Einpassung, Theologisierung und innerkirchliche Befriedung markiert werden kann. Einerseits wird der Religionsunterricht in die politische Wirklichkeit der "nationalsozialistischen deutschen Schule" uneingeschränkt eingepaßt. Dabei ist weniger der strukturelle Rahmen des Religionsunterrichts - Religionsunterricht als Teil des Unterrichts von Schule im N S - S t a a t - Gegenstand didaktischer Reflektion, es werden vielmehr die ideologischen H a u p t p o s i t i o n e n der als "nationalsozialistisch" apostrophierten Schule mit den "Offenbarungen Gottes in Jesus Christus" in direkte theologische Verbindung gebracht. Die nationalsozialistische >Weltanschauung< bildet im Rahmen des Frankeschen B e g r ü n d u n g s a n s a t z e s ebenso das >Fundament< 9 4 des Religionsunterrichts, der damit als Fach der "nationalsozialistischen deutschen Schule" legitimiert wird. In scheinbarer Gegensätzlichkeit dazu steht andererseits die Orientierung der Inhalte des Religionsunterrichts auf Kirche und persönlichen Glauben. Die Folge ist eine Tendenz zur Theologisierung, insofern die Inhaltsfrage ausschließlich als unterrichtliche Vermittlung der "christlichen B o t s c h a f t in reformatorischer Ausprägung" beschrieben wird. W e d e r werden die Inhalte des Religionsunterrichts didaktischfunktional als Beitrag für Erziehung und Bildung in der Schule im N a tionalsozialismus bedacht, noch wird das Verhältnis von ideologischer Grundlegung und christlichem Glauben thematisiert. Der E n t w u r f ver91 Richtlinien Franke, s.Anm.80, Bl. 10. 92 Ebd., S.13 (Rückseite). Diese Aussage wird fast wortgetreu aus dem Entwurf von Schuster übernommen. Lediglich die Formulierung "christliche Wahrheit" wird durch "christliche Botschaft" ersetzt (vgl. Entwurf Schuster, s . A n m . 1 2 ,
B1.88). 93 Richtlinien Franke, s.Anm.80, Bl. 14. 94 Vgl. die Grundsatzerklärung des Reichserziehungsministeriums von Einleitung, S.3.
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sucht, die Spannung zwischen Begründungsansatz und inhaltlicher Grundlegung ordnungstheologisch zu überbrücken, indem er auch die politisch-weltanschauliche Einbettung des Religionsunterrichts als Fach der "nationalsozialistischen deutschen Schule" als "Ordnung Gottes" 9 5 legitimiert und als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt der "Verkündigung des Evangeliums" voraussetzt. Schließlich ist der Richtlinienentwurf durch die Vermeidung einer offensichtlichen deutschchristlichen Ausgestaltung gekennzeichnet. Diese Tendenz wird insbesondere in der Negierung des Konzepts eines "deutschen Christentums" deutlich. Dadurch zielt der Entwurf auf die Zustimmung und Unterstützung einer breiten innerkirchlichen >Mitte< und spiegelt auf der Ebene der religionsdidaktischen Diskussion das Bestreben der DEK auf innerkirchliche Befriedung wider, wie es in der von NS-Reichsminister Kerrl eingeleiteten Kirchenausschußpolitik seit September 1935 konzipiert worden war. 96
2.3 Zusammenfassung: Religionsdidaktische Grundströmungen im Spiegel der ministeriellen Auftragsarbeiten Richerts Richtlinienentwurf von 1933 dokumentiert, wie in der Analyse gezeigt worden ist, den tiefgreifenden Wandel in der vom theologischen Liberalismus geprägten religionsdidaktischen Konzeptbildung, wie er bereits sich im ersten Jahr nach der nationalsozialistischen Machtübernahme durchzusetzen begann. Kennzeichnend für den Ansatz der Richertschen Richtlinien ist die Integration der beiden religionsdidaktischen Grundströmungen, die sich im Entwurf einerseits an der Aufnahme des Prinzips der "Evangelizität" und zwar im Sinne einer Begründung und Herleitung des Religionsunterrichts als Auftrag der Kirche zur "Verkündigung des Evangeliums" sowie andererseits aus der deutschchristlichen Adaption des völkischen Gedankens im Konzept eines "deutschen Christentums" zeigen lassen. Richert hat damit seinen liberalen Denkansatz in grundlegender Weise modifiziert und
95 Vgl. beispielhaft zur Ordnungstheologie der Erlanger Systematiker Werner Eiert und Paul Althaus: Berndt Hamm, Schuld und Verstrickung der Kirche. Vorüberlegungen zu einer Darstellung der Erlanger Theologie in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Wolfgang Stegemann (Hrsg.), Kirche und Nationalsozialismus, Stuttgart/Berlin/Köln 1990, S.13ff; ferner das Althaus-Kapitel in Robert P.Erickson, Theologen unter Hitler. Das Bündnis zwischen evangelischer Dogmatik und Nationalsozialismus, München/Wien 1986, S.130ff; Hermann Fischer, Systematische Theologie. Konzeptionen und Probleme im 20. Jahrhundert, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, S.54ff. 96 Vgl. zur Kirchenausschußpolitik: Meier, Kirchenkampf, Bd.2, S.66ff; ders., Kreuz und Hakenkreuz, S.125ff.
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den Religionsunterricht auf der Richtlinienebene für Konzepte eines "deutschchristlichen Religionsunterrichts" 97 geöffnet. Mit seinem Entwurf, aber auch gleichsam als Person verkörpert er den Weg der liberalen Religionsdidaktik in die Sackgasse deutschchristlicher >Neubesinnung< im Zeichen des >völkischen AufbruchsWeltanschauung< geöffnet hat, daß sich nun jedoch Grenzen, Reichweite und Konsequenzen des deutschchristlichen Zugriffs auf Bibel und Geschichte des christlichen Glaubens offensichtlich nicht mehr in Abgrenzung zur völkisch-religiösen Bewegung begründen ließen. 104 Die Forderung nach einer "Verschmelzung von christlichen und völkischen Werten" erwies sich aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit und Beliebigkeit als didaktisch und theologisch nicht umsetzbar; letztlich also war sie es, die den Religionsunterricht zum Experimentierfeld ideologischer und didaktischer Willkür machte. In der Analyse der Frankeschen Richtlinien wurde erkennbar, daß sich Ansatz und Begründung evangelischen Religionsunterrichts in der Schule im Jahre 1935 und im Vergleich zu Richert nochmals grundlegend verändert hatten. Was als >völkische Idee< im Überschwang und Taumel der >nationalen Revolution< manche Religionspädagogen und ihren Unterricht mitgerissen hatte 105 , war inzwischen deutlicher Ernüchterung und sogar ersten Ansätzen kirchlicher Selbstbesinnung gewichen. Aufstieg und Zerfall der Bewegung der "Deutschen Christen" sowie zeitgleich die Sammlung der "germanisch-deutschen" Gruppen in der "Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung" unter der Leitung von Wilhelm Hauer 106 und deren Unterstützung durch führende Nationalsozialisten schufen neue Bedingungen, die nicht ohne Einfluß auf die Richtliniendiskussion bleiben konnten. Insofern ist die Preisgabe extremer deutschchristlicher Ansätze in dem Richtlinienentwurf nicht nur Ausdruck eines taktischen Interesses der Verfasser an breiter innerkirchlicher Zustimmung, sondern sie entsprach auch den veränderten kirchenpolitischen Rahmenbedingungen.
104 Vgl. zur Diskussion um das Alte Testament und den Stellenwert des Germanenglaubens: Paul Mischner, Das Alte Testament im deutsch-evangelischen Religionsunterricht, in: ZEvRU 1933, H.5, S . 2 0 1 f f und Walter Baetke, D i e Behandlung der germanischen Religion im Unterricht, in: ZEvRU 1935, H.2, S.63ff. Vgl. zur Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie: Gustav Würtenberg, D i e dialektische Theologie und das Alte Testament, in: ZEvRU 1933, H.5, S.209ff. 105 Vgl. zur Haltung einiger führender Religionspädagogen gegenüber der nationalsozialistischen Machtübernahme: Folkert Rickers, Religionspädagogen z w i s c h e n Kreuz und Hakenkreuz, in: JRP, Bd.3, 1986, S.44ff. Vgl. zu der Arbeit von Rickers die kritischen Bemerkungen von Ohlemacher, in: ders., Einleitung, ders. (Hrsg.), Religionspädagogik im Kontext kirchlicher Zeitgeschichte, Anm.4. 106 Vgl. Meier, Kirchenkampf, B d . l , S.124ff. Vgl. zu Wilhelm Hauer: Manfred Dierks, Jakob Wilhelm Hauer 1881-1962. Leben, Werk, Wirkung. Mit einer Personalbibliographie, Heidelberg 1986.
2. Ministerielle Ansätze einer Neubegründung
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Durch den Verzicht auf eine deutschchristliche Radikalität wird in den Richtlinien eine theologische Grundlegung sichtbar, die damals vor allem auf dem Boden des Luthertums als Ordnungstheologie entfaltet wurde. Nun kann sogar der nationalsozialistische Machtstaat samt seinen ideologischen Grundlagen im Bereich der Schule zur "gottgegebenen Ordnung" 107 religiös überhöht und damit zum "Bekenntnis"-Inhalt werden. Als weiteres Merkmal der Frankeschen Richtlinien ist festzuhalten, daß die Inhalte des Religionsunterrichts auf der Grundlage der vorbehaltlosen Bejahung der nationalsozialistisch ausgerichteten Schule dennoch in "reformatorischer Ausprägung" auf Kirche und persönlichen Glauben ausgerichtet werden sollen. Damit entsteht das widersprüchliche Bild eines Konzepts von Religionsunterricht, in dem einerseits die Orientierung an "Rasse" und "Volkstum" als ideologische Grundlage fungiert, andererseits aber der Religionsunterricht als Vermittlungsort "evangelischer Lehre" eine kirchliche Orientierung erhält, die mit der ideologischen Grundlegung nicht mehr religionsdidaktisch - wie es noch der deutschchristliche Ansatz, wenn auch vergeblich versucht hat - vermittelt werden konnte.
107 Vgl. A n m . 9 5 .
3.
Nationalsozialistische >WeItanschauung< und >deutscher Religionsunterrichte: die Grundvorstellungen der NS-Partei zur Neugestaltung des Religionsunterrichts
3.1 Die religiöse Erziehung in der Schule unter dem Zeichen nazistischer Willkürherrschaft Das Problem und die Schwierigkeit einer Darstellung des Verhältnisses von NS-Partei und religiöser Erziehung besteht darin, daß das kirchenund religionspolitische Handeln des Nationalsozialismus gekennzeichnet war durch das Fehlen einer programmatischen Leitlinie und eines klaren kirchenpolitischen Konzepts. 1 Diese weitgehende Konzeptlosigkeit - insbesondere im Verhältnis zur evangelischen Kirche - entsprach auf der anderen Seite dem diffusen Bild einer Partei, deren weltanschaulicher Charakter als Folge des Ausschlusses des religiösen Flügels der völkischen Bewegung und der von Hitler durchgesetzten Trennung von politischem Handeln und religiöser Überzeugung nicht mehr eindeutig bestimmbar erschien. 2 Somit lag die Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und NSPartei weitgehend in den Händen von einzelnen Parteiführern, deren Äußerungen trotz aller Gegensätzlichkeit den Eindruck einer positiven Haltung gegenüber den Kirchen erwecken sollten. 3 Daß die nationalsozialistische Religionspolitik weniger von konzeptionell-grundsätzlichen als von machtpolitischen Erwägungen gekennzeichnet war, spiegelt die Geschichte des Aufstiegs und Niedergangs der "Glaubensbewegung Deutsche Christen" wider. 4 Gegründet mit der massiven Unterstützung der NS-Partei als kirchenpolitisches Instrument zur >Gleichschaltung< der evangelischen Landeskirchen, wurde ihr nach dem Scheitern der >Gleichschaltungskräfte< und im Zusammenhang des von Hitler verkündeten "Abschlusses der Revolution" im Juli 1933 die bisherige Unterstützung immer mehr entzogen. 5 Der überraschende religionspolitische Kurswechsel der NS-Partei führte dazu, daß der Totalitätsanspruch der deutschchristlichen Bewe1 2 3 4
5
Vgl. Klaus Scholder, D i e Kirchen und das Dritte Reich, B d . l , Frank furt/M./Berlin 1986 (1.Aufl. 1977), S.239ff. Vgl. ebd., S . l l O f f . Vgl. zum Spektrum deutschkirchlich, deutschgläubig und deutschchristlich orientierter Überzeugungen bzw. Äußerungen: ebd., S.239ff. Vgl. Kurt Meier, D i e Deutschen Christen. Das Bild einer B e w e g u n g im Kirchenkampf des Dritten Reiches, Göttingen 1964; ders., Kirchenkampf, B d . l , S.85ff; Scholder, D i e Kirchen, B d . l , S.239ff. Vgl. zum religionspolitischen Kurswechsel der NS-Partei im Herbst 1933: Leonore Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus und Kirchen. Religionspolitik von Partei und Staat bis 1935, Düsseldorf 1974, S.127ff.
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3. Grundvorstellungen der NS-Partei
gung, wonach jeder nichtkatholische Nationalsozialist im Sinne des "positiven Christentums" nach Artikel 24 des Parteiprogramms "Deutscher Christ" sein müsse, ad absurdum gefuhrt wurde und damit die Notwendigkeit einer christlichen Legitimation des Nationalsozialismus innerhalb der Partei mehr und mehr auf Widerstand stieß. Als Folge dieser Entwicklung gewannen die Kräfte in der NS-Partei zunehmend an Boden, die die deutschchristliche >Synthesenkonzeption< nur aus taktischen Gründen mitgetragen hatten und nunmehr auf eine Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses in Partei und Gesellschaft hinarbeiteten. Die Übertragung der weltanschaulichen Schulung der NSDAP an Alfred Rosenberg im Januar 1934 spiegelt in sinnfälliger Weise diesen Veränderungsprozeß wider, der "Mythos des 20. Jahrhunderts" bestimmte nunmehr die weltanschauliche Grundlegung der Schulungsarbeit der NS-Partei. 6 Der Kurswechsel im Verhältnis von NS-Partei und Kirche im Laufe des Herbst 1933 schien die Kirchenpolitik und das konkrete religionspolitische Handeln des NS-Staates nicht zu berühren. Weiterhin bestimmten die Exponenten des deutschchristlichen >Synthesenansatzes< in Partei und Kirche in den folgenden zwei Jahren die öffentliche Diskussion, gerade auch auf dem Felde der religiösen Erziehung. 7 Dennoch zeichneten sich hinter den Kulissen immer mehr die Konturen von zwei einander ausschließenden Einstellungsmustern gegenüber Kirche und Christentum ab, die als innerparteiliche Grundströmungen in besonderer Weise in der Debatte um die Richtlinienfrage für den Religionsunterricht hervortreten mußten: Auf der einen Seite standen die Gruppen und Personen, die den Artikel 24 des Parteiprogramms im Sinne des deutschchristlichen Vermittlungsansatzes interpretierten und
6
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Meier, Kirchenkampf, B d . l , S.31f. Vgl. zur innerkirchlichen Auseinandersetzung mit Rosenberg: Rainer Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich. D i e Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg, Mainz 1977; Harald Iber, Christlicher Glaube und rassischer Mythos. D i e Auseinandersetzung der Bekennenden Kirche mit A. Rosenbergs: "Der Mythos des 20. Jahrhunderts", Frankfurt a.M. 1987. D e n Prototyp des "religiös-gläubigen Nationalsozialisten" verkörperte Hans Schemm. Er war zutiefst von der inneren Zusammengehörigkeit von Christentum und Nationalsozialismus überzeugt und hat als Bayerischer Kultusminister und Leiter des NSLB bis zu seinem Tode im März 1935 die Schulpolitik gemäß der Parole "Unser Vaterland heißt Deutschland, unsere Religion heißt Christus" gestaltet. Vgl. den Nachruf von Richard Zwörner, Reichssachbearbeiter für Religion im NSLB, der Schemm vom Rosenberg-Flügel abhebt, indem er ihn würdigt als jemand, der "eine Verabsolutierung der Rasse ab(lehnte)" und "sich den klaren Blick für die unersetzlichen Werte des christlichen Glaubens (wahrte)". In: D E E 1935, H.4/5, S.145. Vgl. zu Schemm: Scholder, D i e Kirchen, B d . l , S.243f; Eilers, D i e nationalsozialistische Schulpolitik, S.128f; Ottweiler, Die Volksschule, S.32f.
3. Grundvorstellungen der NS-Partei
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die >völkische Nähe< des christlichen Glaubens zum Nationalsozialismus behaupteten, wenn auch in unterschiedlicher Weise - bis hin zur radikalsten Variante einer Synthese von Christentum und Deutschglaube als Ausdruck eines >artgemäßen Christentums< 8 - zu begründen suchten. Ihnen standen diejenigen NS-Führer und Parteimitglieder gegenüber, die von ihrem >völkischen Grundverständnis< mit der völkisch-deutschgläubigen Bewegung sympathisierten und in dem Festhalten der Kirche am christlichen Offenbarungsglauben und Bekenntnis einen Beleg für das prinzipielle Scheitern des Versuchs einer >Germanisierung des Christentums< sahen. 9 Kennzeichnend für die Diskussion um Stellenwert und Aufgabe religiöser Erziehung in der Schule im Nationalsozialismus ist, daß die Übergänge zwischen den beiden skizzierten Grundpositionen fließend sind und sich nicht - wie das Beispiel "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Religionsunterricht" zeigt 10 - eindeutig voneinander abgrenzen lassen. Weiterhin muß bedacht werden, daß sich die Exponenten der zweiten Grundposition vornehmlich indirekt im Sinne einer Negativstrategie zur Verhinderung einer deutschchristlich orientierten Richtlinienkonzeption zu Wort melden mußten, da sich von einer völkisch-religiösen Grundposition schwerlich ein Konzept für christlichen Religionsunterricht entwerfen ließ, solange dafür auf der Basis der Weimarer Reichsverfassung die Mitwirkung der Kirchen unumgänglich war. Bedeutung und Einfluß der Vertreter der antikirchlichen und antichristlichen Grundströmung innerhalb der NS-Partei spiegelt die Auseinandersetzung um den Frankeschen Richtlinienentwurf für den Religionsunterricht an den höheren Schulen wider. Obwohl dieser Entwurf von den Entscheidungsträgern in Kirche und Staat hinsichtlich der Bestimmung von Aufgabe und Stellung des Religionsunterrichts in der Schule mehrheitlich unterstützt w u r d e " , konnte er aufgrund des Widerstandes maßgeblicher NS-Führer nicht als Erlaß seitens des Reichserziehungsministeriums herausgegeben werden. 12 Dieser Vorgang ver8
Vgl. zum "Bund für deutsche Kirche" und zum deutschkirchlichen Denkansatz: Meier, Kreuz und Hakenkreuz, S.22ff; Scholder, Die Kirchen, Bd.l, S. 148f; Sonne, Die politische Theologie, S.30ff. 9 Vgl. zur kirchlichen Auseinandersetzung mit dem Deutschglauben: Meier, Kreuz und Hakenkreuz. S.79ff. 10 Vgl. Anm.41. 11 Vgl. Kap.2.2. 12 Als Exponent und Gegenspieler der "evangelischen Beamten" im Reichserziehungsministerium wird der für die Richtlinienarbeit bis 1938 zuständige Ministerialrat Rudolf Benze (vgl. Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S.5, Anm.17) fungiert haben. Benze stand dem "Bund für deutsche Kirche" nahe und war Bezieher der Zeitschrift "Die Deutsche Kirche", wie aus einem Anschreiben der Geschäftsstelle des Bundes vom 11.1.33 anläßlich der Übersendung des "Vorläufigen Rahmenplans für Religion" an die Privatadresse von
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3. Grundvorstellungen der NS-Partei
d e u t l i c h t , d a ß sich b e r e i t s E n d e 1 9 3 5 e i n e K o n s t e l l a t i o n innerhalb der N S - P a r t e i h e r a u s g e b i l d e t hatte, in der e i n e a u f K o o p e r a t i o n mit d e n K i r c h e n a n g e l e g t e A u f f a s s u n g nicht m e h r g e g e n d e n a n t i k i r c h l i c h e n F l ü g e l der N S - P a r t e i d u r c h g e s e t z t w e r d e n k o n n t e . Im scheinbaren Widerspruch zu dieser Entwicklung stehen die ö f f e n t l i c h e n V e r l a u t b a r u n g e n und S t e l l u n g n a h m e n der N S - P a r t e i , i n s b e s o n d e r e a u s d e n G l i e d e r u n g e n d e s N S L B , zur F r a g e der r e l i g i ö s e n E r z i e h u n g und des Religionsunterrichts. Zwar wird die B e d e u t u n g des C h r i s t e n t u m s f ü r d i e E r z i e h u n g w e i t e r h i n anerkannt - im E r z i e h u n g s u n d U n t e r r i c h t s p l a n für die V o l k s s c h u l e , h e r a u s g e g e b e n v o m N S L B S a c h s e n , w i r d d i e K i r c h e e b e n s f a l l s als " E r z i e h u n g s m a c h t " a u f g e f ü h r t 1 3 - , u n d in u n t e r s c h i e d l i c h e r A k z e n t u i e r u n g der c h r i s t l i c h e G l a u b e für d i e r e l i g i ö s e F u n d i e r u n g der n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n M e n s c h w e r d u n g für unentbehrlich erklärt.' 4 Jedoch läßt der Blick auf die R i c h t l i n i e n d e b a t t e innerhalb der N S - P a r t e i e r k e n n e n , daß m a ß g e b l i c h e N S - V e r t r e t e r u n d G r u p p e n d e s N S L B ein K o n z e p t für d e n R e l i g i o n s u n t e r r i c h t g e m ä ß der v o n ihnen s o b e s t i m m t e n r e l i g i ö s - w e l t a n -
Benze hervorgeht. In: BA Potsdam 49.01 4612, B1.163. Vgl. zur Grundposition von Benze den Auszug aus seinem Buch "Rasse und Schule" (in: Der National-Sozialistische Erzieher, 1934, Nr.22, S.306ff). Die Bedeutung des Christentums wird hier als "Nährstoff' des nur im Germanentum wurzelnden "deutschen Wesens" bestimmt, dessen "Stoffe" demzufolge auf "Artgemäßheit" bzw. "Artfremdheit" zu überprüfen sind. 13 Vgl. Erziehungs- und Unterrichtsplan für die achtklassige Volksschule. Herausgegeben vom NSLB Sachsen, Dresden 1934, S.17. Da die Verfasser hinsichtlich eines Religionsplanes eine "Vereinbarung des Reiches mit den Kirchenbehörden" erwarten, wird zum Religionsunterricht nur ausgeführt: "Das eigentliche Thema des Religionsunterrichts aber, das Evangelium und der christliche Glaube, weisen dem Religionsunterricht eine selbständige Stelle im Ganzen der Volksschularbeit an" (S.19). Diese Aussagen zum Religionsunterricht verdeutlichen, daß sich auch im NSLB - wie die Richtlinienarbeit in Danzig ebenfalls zeigt (vgl. dazu die Hinweise zu Helmuth Kittel Kap.4.1, S.103f) - die unterschiedlichen Strömungen im Verhältnis zu den Kirchen widerspiegeln. Erst nach dem Tod vom Schemm und der Übernahme der Leitung des NSLB durch den thüringischen Volksbildungsminister und Innenminister Fritz Wächtler verfolgte der NSLB eine Schulpolitik, die unter der Parole der "Entkonfessionalisierung" des Schulwesens auf die strikte Ausschaltung kirchlicher Einflüsse zielte. Vgl. K a p . l , S.lOff. 14 Vgl. den sogleich nach der Machtübernahme verkündeten Schulerlaß des Bayrischen Kultusministers Schemm (in: Ottweiler, Die Volksschule, S.32f); die "im Einvernehmen mit dem Herrn Landesbischof von Thüringen und dem Herrn Obmann des Gaues Thüringen des NSLB" am 27.11.33 von Wächtler veröffentlichten "Richtlinien für die Religions-Lehrpläne der Thüringer Schulen" (s.Kap. 1, Anm.17) und die im Jahre 1934 von einem "Landesausschuß f ü r religiöse Erziehung im NSLB Sachsen" veröffentlichten "Grundlinien zur Gestaltung der religiösen Erziehung im nationalsozialistischen Staate" (in: ZEvRU 1934, H.8, S.332ff).
3. Grundvorstellungen der NS-Partei
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des Nationalsozialismus propagierten, dessen Unvereinbarkeit mit kirchlicherseits bestehenden oder entwickelten Ansätzen religiöser Erziehung und Unterweisung offenlag und das letztlich nur unter Ausschaltung des kirchlichen Einflusses auf die schulische Erziehung durchsetzbar war. Die schulpolitisch wichtigste Funktion der im Rahmen dieser Debatte vorgelegten Entwürfe dürfte jedoch darin bestanden haben, den vom Reichserziehungsministerium in Zusammenarbeit mit der DEK entwickelten deutschchristlichen Richtlinienansatz durch ein Gegenkonzept zu blockieren. Zu diesem Zwecke bediente sich die NS-Partei, wie anhand der Analyse der folgenden Richtlinienentwürfe gezeigt werden soll, der Denkansätze und Argumentationsmuster der Deutschkirche. Aus der Sicht des antikirchlichen Flügels der NS-Partei hatte das deutschkirchliche Konzept einer >artgemäßen< völkisch-christlichen Erziehung einen doppelten Vorteil: es ließ sich nicht nur als innerkirchlich ausgewiesener Diskussionsansatz vortrefflich im Rahmen einer Gegenstrategie zum deutschchristlichen Dominanzmodell verwenden, sondern zudem ermöglichte dieser Ansatz einer Synthese von Christentum und Deutschglaube die Öffnung und Weiterentwicklung des Religionsunterrichts für eine völkisch-religiöse Abstützung des nationalsozialistischen Erziehungsgedankens. Der offene und letztlich unabgeschlossene Stand der Richtliniendiskussion für den Religionsunterricht innerhalb der NS-Partei soll im folgenden anhand von drei Beispielen dokumentiert werden.
3.2 Entstehung und Kontext der Richtlinienentwürfe 3.2.1 Entwurf Gärtner Parallel zu den Vorarbeiten im preußischen Kultusministerium unter der Leitung von Hans Richert fanden im Reichsinnenministerium, in dessen Händen die Schulpolitik im ersten Jahr der Machtübernahme bis zur Gründung des Reichserziehungsministeriums im Mai 1934 lag 15 , Überlegungen zur Neugestaltung des Religionsunterrichts statt. Die Bedeutung, die das Reichsinnenministerium der Richtlinienfrage für den Religionsunterricht beigemessen hat, dokumentiert die Bildung eines "Sonderausschusses für Religionsunterricht an den Höheren Schulen". Als Ergebnis dieser Arbeit liegen zwei Richtlinienentwürfe vor - Entwurf für evangelischen Religionsunterricht an Grund- und Hauptschule und ein Entwurf für die höhere Schule - , die mit Schrei-
15 Vgl. Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S . l l l .
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3. Grundvorstellungen der NS-Partei
ben vom 18. Mai 1934 vom Reichsinnenministerium an die Kirchenkanzlei der DEK mit dem Hinweis auf die Verlagerung der Zuständigkeit an das Reichserziehungsministerium versandt wurden. 16 Der Lehrplan für die Grund- und Hauptschule geht auf eine geringfügig überarbeitete Fassung eines von Ministerialrat Gärtner vorgelegten "Entwurf(s) für das protestantische Bekenntnis" zurück, das in seiner theologischen Diktion und den angefügten Literaturhinweisen auf Denkansätze der Deutschkirche verweist. 17 Da Gärtner als Leiter der Volksschulabteilung im Kultusministerium Baden zugleich Gauwalter des NSLB Baden war 18 , steht dieser Entwurf für die signifikante Grundposition innerhalb der NS-Partei, von der aus die Richtlinienfrage in Abgrenzung zu deutschchristlichen Ansätzen auf eine gänzlich neue Grundlage gestellt werden sollte.
3.2.2 Entwurf Cölln Der am 1. Mai 1935 von dem Mittelschullehrer Detlef Cölln herausgegebene "Lehrplan für deutschen Religionsunterricht" ist das Ergebnis einer Arbeitsgemeinschaft, die sich aus Mitgliedern der "Lehrergruppe der Deutschkirchlichen Vereinigung Schleswig-Holstein" gebildet hatte 19 und auf einer am 7. April von der Lehrergruppe veranstalteten Tagung der Öffentlichkeit vorgestellt worden war. 20 Die Bedeutung, die der NSLB dieser Lehrplanarbeit beigemessen hat, wird dadurch ersichtlich, daß ein ausführlicher Tagungsbericht in
16 In: EZA Berlin 1/A4/423, O.P. 17 Vgl. das Anschreiben des "Sonderausschusses" im Reichsinnenministerium mit Datum vom 8. Januar 1934 an den Preuß. Minister f.W.,K.u.V. Dem Schreiben ist der "Lehrplanentwurf für den evangelischen Religionsunterricht in den Volks- und höheren Schulen" von Ministerialrat Gärtner beigefügt. In: BA Potsdam 49.01 4612, Bl. 198-210 (s. Dokument 4). 18 Vgl. Ottweiler, Die Volksschule, S.48. 19 Lehrplan f ü r deutschen Religionsunterricht, herausgegeben von Detlef Cölln, im Selbstverlag des Herausgebers 1935. (Der Lehrplan erschien 1936 und 1937 in 2. bzw. 3. unveränderter Auflage.) Die Arbeitsgemeinschaft unter der Leitung von Cölln, Mittelschulrektor in Wesselburen, hatte folgende Mitglieder: Hauptlehrer Börm, Schulrat Cehak, Studienrat Hannesen, Prof. Mandel, Mittelschullehrer Neelsen, Rektor Rühmann, Fabrikant Schneider. 20 Vgl. den Tagungsbericht, in: Die Deutsche Kirche 1935, H.9, S.139ff. Auf der Tagung verkündete Prof. Mandel im Rahmen seines Vortrages die "Richtlinien deutschen Glaubens", die dem Lehrplan als programmatische Grundlegung vorangestellt wurden (vgl. Lehrplan Cölln, S.3). Neben Vorträgen über die "Eckehartsche Mystik" und "das deutsche Märchen" referierte Regierungs- und Schulrat Elbertzhägen über das "Ziel der neuen religiösen Erziehung". Vgl. Alex Elbertzhägen, Das Ziel der religiösen Erziehung in der nationalsozialistischen Schule, Breslau 1935. Vgl. zu Elbertzhägen: Kap.3, Anm.81.
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der NSLB-Lehrerzeitung "Die Mittelschule" 21 erschien und bereits im Februar ein Vorentwurf unter dem Titel "Entwurf eines Stoffplanes für den evangelischen Religionsunterricht in der deutschen Mittelschule" in dieser Zeitschrift veröffentlicht worden ist.22 Außerdem veröffentlichte die Reichsleitung des NSLB, gezeichnet vom Reichsgeschäftsfuhrer Kolb, mit Datum vom 10. September 1935 eine gutachterliche Stellungnahme zum "Lehrplan für deutschen Religionsunterricht". 23 In dem Gutachten wird der Lehrplan als "ein ganz vorzüglicher Anfang für eine Erneuerung des Religionsunterrichts aus deutschem Wesen heraus" begrüßt und anerkannt. In der inhaltlichen Charakterisierung des Lehrplans wird hervorgehoben, daß in den benannten Stoffen einerseits "das deutsche Gottesleben und der heldische Kampf Jesu (im Vordergrund steht)" und andererseits Paulus "als Rabbiner und als Gegensatz zu Jesus gesehen (wird)" 24 . Daß der Lehrplan in seiner Gesamtkonzeption die Handschrift der "Deutschkirchlichen Vereinigung" trägt, wird von der Reichsleitung des NSLB wie folgt kommentiert: "Vorangestellt sind Richtlinien deutschen Glaubens, die aber keinesfalls Dogma sein wollen und in ihrer Haltung der Deutschkirche, nicht den deutschen Christen, entsprechen." 25 Diese Formulierungen zeigen, daß die Reichsleitung des NSLB in dem von deutschkirchlich orientierten Lehrern entwickelten Ansatz eines "deutschen Religionsunterrichts" ein Alternativkonzept zu den bisherigen Reformansätzen sieht und daß die Reichsleitung sich eine "Erneuerung" des Religionsunterrichts nur als Fortführung dieses Ansatzes vorstellen kann. Allerdings wird in der Stellungnahme ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß die gutachterliche Hervorhebung des Lehrplans nicht zugleich bedeutet, daß sich die Reichsleitung mit dem Anliegen der "Deutschkirchlichen Vereinigung" identifizieren würde. Die Deutschkirche wird neben den Deutschen Christen als eine kirchliche Gruppierung erwähnt - wobei im Zusammenhang des Gutachtens die Nennung der Deutschen Christen als eindeutige Distanzierung auf-
21 Der Tagungsbericht aus der "Deutschen Kirche" wurde von der Zeitschrift der Reichsfachschaft Mittelschule im NSLB "Die Mittelschule" (Nr. 16 1935, S.190) übernommen. 22 Vgl. Die Mittelschule, Nr.7 1935, S.74ff und DEE 1935, H.6, S.237ff. 23 In: Die Mittelschule, Nr.40 1935, S.516. 24 Ebd. 25 Ebd.
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3. Grundvorstellungen der NS-Partei
gefaßt werden muß - , deren Aussagen keine Verbindlichkeit beanspruchen dürfen. 26 Mit dem Gutachten der Reichsleitung des NSLB bekommt der "Lehrplan für deutschen Religionsunterricht" zugleich den Stellenwert eines von der NS-Partei unterstützten Gegenentwurfs zu den bisherigen vom Reichserziehungsministerium in Auftrag gegebenen deutschchristlich orientierten Richtlinienentwürfen. Das Konzept eines "deutschen Religionsunterrichts" erscheint somit als der vom NSLB favorisierte Beitrag zur Diskussion um Aufgaben und Inhalte des Religionsunterrichts in der vom Nationalsozialismus bestimmten Schule. Zudem wird die Bedeutung der Stellungnahme dadurch verstärkt, daß mit diesem Gutachten die Reichsleitung des NSLB ihre letzte Äußerung zu inhaltlichen Fragen des Religionsunterrichts vorgelegt hat. In der Folgezeit beteiligte sich der NSLB im Rahmen des generellen Rückzuges der NSPartei aus innerkirchlichen und religiösen Streitfragen nicht mehr an der Debatte um die zukünftige Gestaltung des Religionsunterrichts. 27
3.2.3 Entwurf NSLB Gau Westfalen-Süd Den umfassendsten Beitrag zur Schul- und Richtlinienreform im NSLB leisteten die Fachschaftsgruppen für die Volks- und höhere Schule des NSLB Gau Westfalen-Süd unter der Leitung von Rudolf Knoop. 28 Kennzeichen der "Erziehungs- und Unterrichtspläne" 29 ist, daß die "im nationalsozialistischen Geiste" konzipierte Neugestaltung der
26 So lehnt die NS-Partei das deutschkirchliche Ziel eines geeinten >deutschen Glaubens< f ü r das ganze deutsche Volk als Perspektive der religiösen Erziehung ab. Diese Zielvorstellung wurde sowohl im Lehrplan als auch im Tagungsbericht, den die NSLB-Zeitschrift "Die Mittelschule" aus der Zeitschrift "Die Deutsche Kirche" abgedruckt hatte, nicht übernommen. Vgl. Anm.20 U.21 sowie Cölln, Grundsätzliches zum deutschen Religionsunterricht, in: Die Deutsche Kirche 1936, H.18, S.290. 27 Im März 1936 mußten die Arbeitskreise in den Gaufachgebieten Religion der Gaufachschaften II und IV (Volks- und höhere Schulen) auf Anweisung von Wächtler ihre Tätigkeit mit der Begründung einstellen, daß in Übereinstimmung mit den Anordnungen des Stellvertreters des Führers auch im NSLB "eine Diskussion kirchlicher Angelegenheiten grundsätzlich zu unterlassen" und "die Klärung der religiösen Fragen den hierfür zuständigen Stellen zu überlassen" sei. In: Junge Kirche 1936, H.8, S.396f (Abdruck der Bekanntgabe aus der "Hamburger Lehrerzeitung, Wochenzeitschrift des Nationalsozialistischen Lehrerbundes Gau Hamburg" vom 28.3.36.) 28 Knoop war Gauobmann des NSLB Gau Westfalen-Süd und Leiter der Schulabteilung der Bezirksregierung Arnsberg. Vgl. Ottweiler, Die Volksschule, S.40. 29 Als erste Veröffentlichung erschien für die Volksschule: Nationalsozialistischer Erziehungs- und Unterrichtsplan. Entwurf des NSLB Gau WestfalenSüd, Dortmund 1934. Der Entwurf für die höhere Schule erschien unter dem
3. Grundvorstellungen der NS-Partei
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s c h u l i s c h e n E r z i e h u n g s - und U n t e r r i c h t s a r b e i t e i n g e b e t t e t ist in d e n V o r s c h l a g einer S t r u k t u r r e f o r m der V o l k s - und h ö h e r e n S c h u l e , d i e s o w o h l d e n ä u ß e r e n S c h u l a u f b a u als auch d i e innere S c h u l o r g a n i s a t i o n umfassen sollte.30 D e r " E r z i e h u n g s - u n d Unterrichtsplan" für d i e V o l k s s c h u l e enthält für d e n R e l i g i o n s u n t e r r i c h t k e i n e n g e s o n d e r t e n L e h r p l a n e n t w u r f . D e n n o c h w i r d d i e " r e l i g i ö s e E r z i e h u n g " als s o b e d e u t s a m a n g e s e h e n , d a ß s i e in z w e i f a c h e r W e i s e v e r a n k e r t wird. A u s g e h e n d v o n e i n e m v ö l kisch-religiösen Religionsverständnis unterscheiden die Verfasser z w i s c h e n "der R e l i g i o n und T i e f g l ä u b i g k e i t d e s d e u t s c h e n M e n s c h e n " u n d "dem G l a u b e n s g u t der christlichen B e k e n n t n i s s e " 3 ' . D i e e r s t e B e s t i m m u n g v o n "Religion", d i e "in der v ö l k i s c h e n I d e e der n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n W e l t a n s c h a u u n g ihren A u s d r u c k findet", w i r d d e m K e r n u n t e r richt als e r s t e m Ort r e l i g i ö s e r E r z i e h u n g z u g e w i e s e n , w ä h r e n d "die H e i l s g e s c h i c h t e u n d d i e b e s o n d e r e G l a u b e n s l e h r e der c h r i s t l i c h e n
Titel: Die deutsche Jugendschule. Sechsjährige höhere Schule. Ein Erziehungs- und Unterrichtsplan des Nationalsozialistischen Lehrerbundes Gau Westfalen-Süd, Bielefeld 1934. Eine Neufassung des Entwurfs f ü r die Volksschule wurde unter dem Titel herausgegeben: Die deutsche Jungvolkschule. Nationalsozialistische deutsche Volksschule. Versuch ihrer Gestaltung unter Zugrundelegung des Erziehungs- und Unterrichtsplans des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, Gau Westfalen-Süd, Dortmund 1935. Der NSLB hat das Konzept der "deutschen Jugendschule" auf einer Tagung der Fachschaft II des NSLB Gau Westfalen-Süd am 17. und 18. November 1934 in Dortmund der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Die Tagungsvorträge wurden unter dem Titel veröffentlicht: Auf dem Wege zur Nationalsozialistischen Deutschen Jugendschule, hrsg. vom Nationalsozialistischen Lehrerbund Westfalen-Süd, Dortmund 1935. 30 Die Lehrplanverfasser schlagen eine siebenjährige bzw. achtjährige (der Wechsel zur höheren Schule soll nach dem siebten Schuljahr erfolgen) Volksschule - die sog. "Jungvolkschule" - vor, auf der sich die sechsjährige höhere Schule (zwei Jahre Mittel- und vier Jahre Oberstufe) - die "deutsche Jugendschule" - aufbauen soll. Die innere Schulorganisation sowohl der "Jungvolkschule" als auch der "deutschen Jugendschule" ist durch die Gliederung des Unterrichts in "Kern- und Kursunterricht" gekennzeichnet, wobei der Kernunterricht als der "wichtigste Teil" des Unterrichts betrachtet wird. Im "Kernunterricht" - die "Glaubenslehre" in der "deutschen Jugendschule" wird diesem Bereich zugeordnet - soll die nationalsozialistische Erziehungsidee als "zielbewußte Gesinnungsformung" ihre unterrichtliche Verwirklichung hin zum "Typus" des nationalsozialistischen Menschen erfahren. Die nationalsozialistische Schule ist wesentlich als Erziehungsschule konzipiert, in der die "Gesinnungsformung" im Vordergrund steht: "Der Nationalsozialismus stellt das Erziehungsziel über das Lernziel und krempelt schon dadurch das liberalistische Schulwesen um, das gerade entgegengesetzt eingestellt ist" (Die deutsche Jugendschule, S.6, s.Anm.29). 31 Die deutsche Jungvolkschule, S.10, s.Anm.29.
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Konfessionen...als religiöse Erziehung einen besonderen Platz im Ganzen der Volksschularbeit zugewiesen (erhalten)" 32 . Im Gegensatz zum Volksschulplan enthält der "Erziehungs- und Unterrichtsplan" für die höhere Schule einen ausgewiesenen "LehrplanAufriß für die Glaubenskunde", der vermutlich von Hans Rödding verfaßt worden ist. 33
3.3 Darstellung und Analyse der Richtlinienentwürfe 3.3.1 Entwurf Gärtner Der von Ministerialrat Gärtner verfaßte "Entwurf eines Lehrplans für den evangelischen Religionsunterricht an der Grund- Hauptschule" für das 1. bis 8. Schuljahr bestimmt in den "Vorbemerkungen" Aufgaben und Ziele des Religionsunterrichts in der Schule im Nationalsozialismus. In sechs Abschnitten werden Grundsätze für das Fach formuliert, deren Credo in dem Satz "Unser Glaube heißt: Deutschland" 34 gipfelt. Aufgabe und Zielsetzung des Religionsunterrichts haben sich diesem völkischen Glaubensbekenntnis unterzuordnen. Die Daseinsberechtigung des Religionsunterrichts leitet sich völlig von der völkischen Grundausrichtung ab, insofern nach dem "dienenden Zweck" des Religionsunterrichts für den "deutschen Gedanken" gefragt wird. So heißt es im Abschnitt 3: "Das Wohl des deutschen Volkes und der deutschen Seele steht über allem. Auch die Religion hat dem deutschen Gedanken zu dienen und der Religionsunterricht hat denselben dienenden Zweck. Sein Wert bemißt sich danach, was er dafür leistet." 35 Mit dieser Aussage wird der Religionsunterricht der "deutschen Religion" als "letztem Ziel" einer "religiösen Volkserziehung" untergeordnet. Dennoch soll er weiterhin "evangelischer" Religionsunterricht sein. Zu diesem Zweck wird kurzerhand zur "evangelischen Anschauung" 32 Ebd. Die erste Form religiöser Erziehung wird von den Verfassern als "Hinführung zur lebendigen christlichen Religiosität" (vgl. Die deutsche Jugendschule, S.17, s.Anm.29) begründet, in deren Rahmen sich die "besondere" Glaubenslehre der Kirchen einfügen muß. 33 Vgl. ebd., S.25ff. Hans Rödding hat auf der Tagung des NSLB Westfalen-Süd das Referat über die "Evangelische Glaubenslehre" gehalten. Vgl. Hans Rödding, Evangelische Glaubenskunde, in: Auf dem Wege zur Nationalsozialistischen Deutschen Jugendschule, S.20ff, s.Anm.29. 34 Entwurf Gärtner, s.Anm. 16. 35 Ebd.
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erklärt, daß "in Luther die deutsche Religion wieder durchgebrochen war", wenn auch im gleichen Atemzuge beklagt werden muß, daß von Luther und von der evangelischen Kirche die "deutsche Religion" als "letzte(s) Ziel nicht festgehalten worden ist" 36 . Der Religionsunterricht bekommt mit diesem Begründungsansatz eine doppelte Funktion: Er soll einerseits das völkisch-christliche Bekenntnis zum absoluten Wertbegriff "deutsches Volk" auf eine eigenständige religiöse Grundlage stellen. Andererseits zielt er auf eine Veränderung kirchlicher Strukturen und des kirchlichen Bekenntnisses, insofern die >Fehlentwicklung< in der evangelischen Kirche mit dem Ansatz eines "deutschen Religionsunterrichts" korrigiert werden soll. Die inhaltliche Ausgestaltung dieses völkisch-christlichen Konzepts eines als "evangelisch" behaupteten Religionsunterrichts wird mit den Leitbegriffen "Jesusreligion", "deutsches Wesen" und unter dem Kriterium des "arteigenen" bzw. "artfremden" vorgenommen: "Die Jesusreligion ist immer über das "Christentum" zu stellen und in ihr das dem deutschen Wesen Verwandte hervorzuheben." 37 Inhalte, die diesem Postulat nicht entsprechen, müssen als "artfremd" aus dem Religionsunterricht eliminiert werden. So haben beispielsweise die neutestamentlichen Wundererzählungen als "artfremd" zu gelten, da der "Wundermann Jesus" eine "jüdische Verzeichnung" ist. Diese Aussage gilt besonders für das Alte Testament, das als "jüdische heilige Schrift...nur zum kleinen Teil Ansätze im Sinne Jesus (enthält)" 38 . Die Negierung des Bekenntnisses der Kirche und der christlichen Glaubenslehre werden durch die faktische Streichung des Katechismusunterrichts verstärkt; er bleibt in dem Lehrplanentwurf mit der Begründung seiner Wertlosigkeit für die "religiöse Volkserziehung" unberücksichtigt. Im zweiten Teil des Lehrplanentwurfs werden in wenigen Stichworten die Stoffe für die Schulstufen 1 - 8 aufgeführt. Auffällig ist insbesondere in den Klassen 1 - 4 der hohe Anteil an Märchen, die an die Stelle alttestamentlicher Stoffe 39 getreten sind. Unterrichtsschwerpunkte der Klassenstufen 5 - 8 bilden neben den unterrichtlichen Stoffen aus den Evangelien über das Leben Jesu 40 die germanische Mythenwelt und
36 37 38 39 40
Ebd. Ebd. Ebd. Stoffe aus dem Alten Testament sind in keiner Schulstufe vorgesehen. Der Tod Jesu wird als "des Königs Selbstopfer" (8. Schuljahr) bzw. als der Tod eines "Helden", der "seinen Weg bis zum Ende (geht)" gedeutet und damit ausdrücklich von der paulinischen Deutung "im Sinne des jüdischen Opfers
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Götterlehre s o w i e kirchengeschichtliche Stoffe, schichtliche Einzelbilder deutscher Frömmigkeit".
vorrangig
als
"ge-
3.3.2 E n t w u r f Cölln D e r "Lehrplan für d e u t s c h e n R e l i g i o n s u n t e r r i c h t " v o n D e t l e f C ö l l n b e s c h r e i b t n i c h t nur Z i e l e u n d A u f g a b e n d e s R e l i g i o n s u n t e r r i c h t s in d e r " d e u t s c h e n S c h u l e " , s o n d e r n b e n e n n t a u c h detailliert d i e S t o f f e , d i e in G r u n d s t u f e u n d O b e r s t u f e der V o l k s s c h u l e n , in d e n M i t t e l - u n d h ö h e ren S c h u l e n b e h a n d e l t w e r d e n s o l l e n . V o r a n g e s t e l l t sind d e m L e h r p l a n "Richtlinien d e u t s c h e n Glaubens", d i e den C h a r a k t e r e i n e s d e u t s c h k i r c h l i c h e n " G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e s " t r a g e n und z u g l e i c h d i e N ä h e d e r A u t o r e n z u d e n v ö l k i s c h - r e l i g i ö s e n G r u p p e n der n i c h t c h r i s t l i c h e n D e u t s c h g l ä u b i g k e i t demonstrieren.41 D a ß d i e " d e u t s c h e S c h u l e " in ihrer r e l i g i ö s e n G r u n d l e g u n g a u f d a s K o n z e p t e i n e s " d e u t s c h e n Glaubens" u n a u s w e i c h l i c h a n g e w i e s e n ist, b e s t i m m t A u s g a n g s p u n k t und I n t e n t i o n d e s d e u t s c h k i r c h l i c h e n D e n k a n satzes: "Seit l ä n g e r als t a u s e n d Jahren ringt das d e u t s c h e V o l k u m e i n e a r t g e m ä ß e G l a u b e n s h a l t u n g . In d i e s e m K a m p f u m d i e B e f r e i u n g der d e u t s c h e n S e e l e steht d i e d e u t s c h e S c h u l e in
am Versöhnungstag" abgegrenzt. Vgl. ebd., Lehrplanentwurf, s.Anm.17, BI.201ÍF. 41 Der Theologe und Religionswissenschaftler Hermann Mandel (1892-1946), Professor an der Universität Kiel, markiert als Person Nähe und schrittweisen Übergang deutschkirchlicher Orientierungen zur nichtchristlichen Deutschgläubigkeit. Vorübergehend war er Leiter eines "Freundeskreises der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung", der auch denjenigen die Mitarbeit in der Deutschen Glaubensbewegung ermöglichen sollte, die weiterhin an ihrer Kirchenmitgliedschaft festhalten wollten. Vgl. Meier, Kreuz und Hakenkreuz, S.84. Zu Mandel grundsätzlich: Manfred Boge, Volk ringt um Gott. Deutsch-völkisches Glaubensringen. Von der Deutschkirche bis zum Tannenbergbund, Breslau 1935, S.29ff. Im Grenzbereich deutschkirchlicher und deutschgläubiger Orientierungen arbeitete ebenfalls die von Cölln geleitete "Lehrergruppe der Deutschkirchlichen Vereinigung Schleswig-Holstein". Nachdem der Landeskirchenausschuß für die Ev.Luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins im Einvernehmen mit dem Reichskirchenausschuß am 11.3.36 die Bekenntniswidrigkeit der Deutschkirche festgestellt hatte (vgl. die Erklärung des Landeskirchenausschusses und die Protesterklärung der Deutschkirche, in: Die Deutsche Kirche 1936, H. 10, S.145ff), gab sich die Lehrergruppe den Namen "Arbeitsgemeinschaft: Deutscher Religionsunterricht". In einem Tagungsaufruf zum 11.10.36 betonte die Arbeitsgemeinschaft nunmehr, daß sie "nicht im Dienst eines kirchlichen Verbandes (steht) und...sich an keine kirchliche Richtung und an keine Glaubensbewegung gebunden (hat)" (in: Die Deutsche Kirche 1936, H.9, S.292).
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vorderster Front. Will sie ihre völkische Aufgabe erfüllen, dann kann sie nur einen Glauben vertreten, wie er, jenseits von Dogma und Bekenntnis, unserer Art entspricht." 42 Diese Sätze bringen zugleich Anspruch und Selbstverständnis der Deutschkirche zum Ausdruck, als >Avantgarde der völkischen Bewegung< der natürliche und sachgemäße Partner des Nationalsozialismus in Schule und Kirche zu sein, insbesondere nach dem Bedeutungsverlust der deutschchristlichen Bewegung. Die "Deutschkirchliche Vereinigung" bietet sich mit dem Bewußtsein der Unentbehrlichkeit als schulpolitische Reformbewegung an, die über die Durchsetzung des Konzepts eines "deutschen Glaubens" der Schule zur Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe verhelfen will.43 In dem Abschnitt über die Ziele wird der Religionsunterricht zunächst in die allgemeinen Erziehungsziele der Schule eingeordnet. Der Wertekanon der nationalsozialistischen Erziehung bis hin zum "völkisch-politischen Menschen" wird zur verbindlichen Grundlage des Religionsunterrichts erhoben. 44 Als "besonderes" Ziel des Religionsunterrichts wird im Sinne des völkisch-religiösen Ansatzes sodann "die Bereitung der jugendlichen Seele für deutsches Gotterleben und deutsche Sittlichkeit" 45 bestimmt. Im Zentrum der religiösen Erziehung steht die Realisierung der völkischen Grundgewißheit von der unauflösbaren Verbindung zwischen Religion und Deutschtum. Von diesem völkischen Dogma, das den deutschkirchlichen Glauben absolut normiert und das im ideologischen "Kampf'-Begriff der "Artgemäßheit der Religion" seinen begrifflichen Ausdruck gefunden hat, müssen sich Ziele und Aufgaben des Religionsunterrichts ableiten lassen. Deshalb definiert der Lehrplan den Beitrag der religiösen Erziehung zur Erziehungsaufgabe der Schule im Nationalsozialismus wie folgt: "Der Religionsunterricht soll dem jungen deutschen Menschen die letzte Begründung seiner deutschen Haltung geben, die nur nationalsozialistisch sein kann." 46
42 Lehrplan für deutschen Religionsunterricht, S.3, s.Anm.19. 43 Vgl. das Flugblatt "Nationalsozialismus und Deutsche Kirche", in: Die Deutsche Kirche 1935, H.15, S.239f; Sonnen, Die politische Theologie, S.53ff. 44 "Das Ziel des Religionsunterrichts in der deutschen Schule fügt sich dem allg e m e i n e n Ziel der Erziehung in deutschen Schulen ein, also der Erziehung zu gesunden, zucht- und charaktervollen, opferbereiten, deutschbewußten Gliedern und Gestaltern der deutschen Volksgemeinschaft" (Lehrplan für deutschen Religionsunterricht, S.4, s.Anm.19). 45 Ebd. 46 Ebd.
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Kennzeichnend für die Deutschkirche ist, daß die propagierte völkischchristliche Haltung zugleich als "nationalsozialistisch" bestimmt und identifiziert wird, ohne daß dies näher begründet oder ausgeführt, geschweige daß der weltanschauliche Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Bewegung thematisiert wird. 47 In den Ausführungen über die Aufgabe des Religionsunterrichts werden die inhaltlichen Hauptmerkmale des Lehrplans sichtbar. Gottesglaube und Jesusbild im deutschkirchlichen Sinne sollen im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen: "Im Mittelpunkt des Religionsunterrichts steht der Glaube an Gott den Vater und unsere Gotteskindschaft. Der Religionsunterricht der Schule zeigt Jesus als den heldischen Rufer zu Gott, als den Rufer zu einer ernsten und hohen Sittlichkeit der Gesinnung und Tat, als das vollendete Bild eines menschlichen Lebens und Wesens, das sich ganz Gott und dem Guten hingab und aufopferte." 48 Der aus seiner historischen Zeit und seiner jüdischen Herkunft herausgelöste Jesus steht als Glaubensvorbild im Mittelpunkt des Religionsunterrichts. Damit er aber als Vorbild fungieren kann, muß das Jesusbild den völkischen Anforderungen entsprechend geformt werden. Die >Methode< zur >Formung< des deutschkirchlichen Jesusbildes hat der Lehrplanmitverfasser Karl Cehak wie folgt beschrieben: "Und was in der Überlieferung sich dem Kernbilde nicht fügt, lassen wir beiseite, in der Überzeugung, daß es sich um zeitgeschichtlich bedingte Form oder um spätere Zutat handelt." 49 Das Ergebnis ist dann ein "Charakterbild des Menschen und Helden Jesus": "Früher zeigte man uns den himmlischen Gottessohn, der auf die Welt gekommen sei, um durch seinen Tod die Sünden der Menschheit zu sühnen; mit dem Charakterbild des Menschen und Helden Jesus wußten wir nichts anzufangen. Jetzt ist uns dieses Charakterbild zur Hauptsache geworden, und wir schauen es in neuem Licht: Jesus ist uns der Mensch, der ganz mit Gott geeint war, der
47 Nach Sonne unterscheiden sich deutschkirchliche Äußerungen "von der religiösen Deutung des Nationalsozialismus bei den Thüringer DC und der Christlich-deutschen Bewegung wesentlich darin, daß sie nicht in eine politische Theologie eingebettet sind" (Sonne, Die politische Theologie, S.54). 48 Lehrplan für deutschen Religionsunterricht, S.4, s.Anm.19. 49 Karl Cehak, Ein Charakterbild Jesu, Leipzig 1935, S.44.
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im Leben und Sterben als ein wahrhafter Gottesmensch oder Sohn Gottes sich erwies. Diesen Jesus erkennen wir als gottgesandten Glaubensführer. "50 Die Formulierungen der Lernzielbestimmung des Schwerpunktthemas "Die Gottschau anderer Völker und Rassen" dokumentieren die anthropozentrische und rassenideologische Verengung der dem Konzept "deutscher Glaube" zugrundeliegenden Religionsidee. Die Verfasser bestimmen als Aufgabe des Religionsunterrichts in der Oberstufe: "Auf der Oberstufe sind die Schüler zu der Erkenntnis zu führen, daß verschiedene Rassen verschiedene Gottschau haben müssen. Gott ist Einer. Verschiedene Seelen fassen das Ewige aber verschieden." 51 Für die konkrete Stoffauswahl folgt aus der völkischen Grundauffassung vom Gegensatz zwischen semitisch-jüdisch und arisch-deutsch die Gegenüberstellung "semitische Religion" und "arische Erlösungs- und Kampfreligionen", wobei der "semitischen" Religion das Judentum einschließlich Paulus, die Babylonier und der Islam zugeordnet wird, während als "arisch" die Religionen der Griechen, Buddhisten, Perser und Germanen klassifiziert werden. 52 Da das "deutsche Glaubensideal" in der radikalen Verwerfung alttestamentlich-jüdischer Frömmigkeit gewonnen wird, muß sich die völkisch-religiöse Selbstvergewisserung einerseits auf die "Seelenverwandtschaft" germanischer Frömmigkeit über die Zeiten hinweg unter der Überschrift "Germanenglaube, Mythen, Märchen, Edda, Sagas" - beziehen; sie muß aber andererseits die Geschichte der christlichen Kirche als völkisches Ringen um die Herausbildung einer "deutschen Religion" umdeuten. Deshalb erhalten beide Themenkreise in dem Stoffplan breiten Raum und sollen mit dem "Jesusglauben" in einer solchen Weise verbunden werden, daß jeder Schüler "vor dem Abschluß der Schulzeit...eine zusammenfassende Darstellung eines deutschen Glaubens" 53 erhalten kann. Daß die Lehrplanverfasser ihr Konzept eines "deutschen Religionsunterrichts" als totalen Bruch mit den bisherigen Begründungstraditionen evangelischen Religionsunterrichts begreifen, zeigt unverhüllt die im Lehrplan formulierte Verhältnisbestimmung des Religionsunter50 Ebd., S.45. Vgl. zum Jesusbild der Deutschkirche: Sonne, Die politische Theologie, S.39ff. 51 Lehrplan für deutschen Religionsunterricht, S.4, s.Anm.19. 52 Vgl. ebd., S. 12. 53 Ebd., S.12. Im Rahmen der Kirchengeschichte soll im Mittelpunkt der "Durchbruch der deutschen Frömmigkeit in der deutschen Mystik, der deutschen Reformation, dem deutschen Idealismus und der deutschen Gegenwart" (S.8) stehen.
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richts zu den Kirchen. Die Abkoppelung des Religionsunterrichts von dem Bekenntnis der Kirchen wird zur unabdingbaren Voraussetzung für die >völkische< Ausrichtung der religiösen Erziehung in der Schule: "Der Religionsunterricht der Schule ist frei von dogmatischer Bindung.. .Die Einführung in Dogmen und Bekenntnisse bleibt der Kirche und den einzelnen Bekenntnisgemeinden vorbehalten." 54
3.3.3 Entwurf NSLB Gau Westfalen-Süd Der Erziehungs- und Unterrichtsplan des NSLB Gau Westfalen-Süd für die sechsjährige höhere Schule, die "deutsche Jugendschule", stellt den evangelischen Religionsunterricht in den Zusammenhang der drei >Gesinnungsfácher< Glaubenskunde, Geschichte und Deutsch. Ihre gemeinsame Aufgabe wird im Sinne des nationalsozialistischen Erziehungsprogrammms in der "charakterbildenden Beeinflussung" der Schüler bestimmt. Mit der Integration des Religionsunterrichts als "Glaubenskunde" in den Bereich der Gesinnungsfácher gelten für das Fach in besonderer Weise die Vorgaben der nationalsozialistischen >GesinnungsschuleWeltanschauung< konforme "Glaubenskunde" anstreben, die sich wie die übrigen Fächer mit der zum Kern der nationalsozialistischen Erziehung erhobenen "rassischen Erziehung" in Übereinstimmung bringen lassen muß. 57 Für den Religionsunterricht hat die Grundlegung in der Rassenideologie die konsequente Anwendung eines gegenstandsfremden Zugriffs auf kirchliche Lehre und Tradition zur Folge. Die "rassische Eigenart"
54 55 56 57
Lehrplan für deutschen Religionsunterricht, S.4, s.Anm. 19. Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.20, s.Anm.33. Jugendschule, S.18, s.Anm.29. Der Erziehungs- und Unterrichtsplan für die Volksschule beschreibt das Wesen der nationalsozialistischen Erziehung mit den Stichworten "rassische Erziehung", "Deutsches Volkstum", "heldische Lebensauffassung und Lebensgestaltung" und "Hinführung zur lebendigen Religiosität". Vgl. Jungvolkschule, S. 15ff, s.Anm.29.
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wird zum vorrangigen Auswahlprinzip und zum Aneignungsinstrument von christlicher und allgemeinreligiöser Tradition: "Zwar würdigen wir alles, was religiöse und ethische Werte enthält, auch wo es von fremder Rasse hervorgebracht wird, können aber nichts zu unserem Eigentum machen, was seinem Wesen nach unserer rassischen Eigenart widerspricht." 58 Damit wird die Lehrplanaufgabe für die "Glaubenskunde" unterstrichen, nämlich zu begründen und vorzuführen, wie "die aus dem Orient stammende Geisteswelt des Christentums mit arteigenem deutschen Geiste zu verbinden" 59 ist. Die Lehrplanverfasser wissen bereits, daß sie mit dieser Absicht bei den Kirchen nur bedingt auf Verständnis stoßen werden, da man von kirchlicher Seite "niemals aus rassenmäßiger Schau die Bibel betrachten wird". Allerdings erwarten die Verfasser, daß sich "kaum Widerspruch" erheben wird, wenn "wir in Zukunft nicht mehr die zusammenhängende Geschichte des israelitischen Volkes in viermaliger Wiederkehr... pauken, als ob wir alle Rabbiner werden wollten" 60 . Aber sie legen damit zugleich unmißverständlich offen, daß sich nach ihrem Verständnis christlicher Glaube und nationalsozialistische >Weltanschauung< letztlich in unüberbrückbarem Gegensatz gegenüberstehen und daß eben aus diesem Grunde die Propagierung eines neuen Glaubens, eines "echten deutschen Lebensglaubens" das zukünftige religiöse Fundament des Nationalsozialismus bilden muß.61 Bis zur Verwirklichung und Durchsetzung dieser Zielvorstellung freilich sehen sich die Lehrplanverfasser gezwungen, mit den Kirchen zu kooperieren: "Da wir aber praktisch mit den bestehenden Mächten der konkreten Kirchen zu rechnen haben, kann es sich nur um ein gewissenhaftes Sichten der von den Kirchen überlieferten Stoffe daraufhin handeln, wie weit wir es mit einem dem deutschen Empfinden entsprechenden oder fremdartigen Geiste zu tun haben." 62
58 59 60 61
Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.21, s.Anm.33. Jugendschule, S. 17, s.Anm.29. Ebd., S. 17. Noch deutlicher formuliert Rödding den Gegensatz: "Die Tatsache läßt sich nicht wegleugnen, daß die christliche Weltanschauung den Rassegrundsatz der nationalsozialistischen Weltanschauung ablehnt." Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.28, s.Anm.33. 62 Jugendschule, S. 17, s.Anm.29.
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Insofern muß die vorgelegte "Glaubenskunde" den Charakter des Überganges und der Vorläufigkeit tragen. Immerhin zeigt bereits das vorgelegte Ergebnis, daß einzelne Elemente christlicher und allgemein-religiöser Überlieferung in "rassenmäßiger Schau" zu einer neuen N a t i o nalsozialistischen Religion< kombiniert werden, allerdings ohne daß diese ihr eigentliches und letztverbindliches Gesicht bereits offenbaren darf. Ausgangspunkt der nationalsozialistisch-religiösen Selbstvergewisserung ist die Ablehnung des biblisch-christlichen Offenbarungsverständnisses zugunsten einer Öffnung der neuen "Glaubenskunde" für "jede religiöse Erscheinung", wenn sie nur als "artgemäß" erkannt werden kann. Daß unter dieser Voraussetzung insbesondere die heilsgeschichtliche Betrachtung des Alten Testamentes und das Verständnis der Geschichte Israels als Offenbarungsgeschichte Gottes als "Selbstanmaßung der jüdischen Religionsurkunden" bekämpft werden müssen, liegt auf der Hand. Dementsprechend lautet die Grundforderung des neuen völkisch-religiösen Glaubensbekenntnisses: "Als Deutsche können wir fordern, daß wir auf die Offenbarung Gottes in unserem eigenen Volke lauschen...Wir sträuben uns dagegen, daß das anders geartete religiöse Leben nicht nur unserer Vorfahren, sondern auch gegenwärtiger deutscher Frömmigkeit mit beispiellosem Pharisäismus als 'Heidentum' hingestellt und gebrandmarkt wird." 63 Für die inhaltliche Ausgestaltung des Religionsunterrichts im "Lehrplanaufriß für die Glaubenskunde" 64 folgt daraus eine radikale Streichung der als >minderwertig< klassifizierten alttestamentlichen Stoffe. An deren Stelle soll die Beschäftigung mit dem "religiösen Leben der indogermanischen Gruppe" 65 treten. Denn in den "arischen" im Gegensatz zu den "semitischen" Religionen findet sich eine Gottesanschauung, in welcher der Gedanke der "Verkündigung von Einssein der Menschenseele und Allseele" als Ausdruck einer "weltfreudigfrommen Wirklichkeitsbejahung" 66 herausgearbeitet werden kann. Offenbarungsbegriff und Gottesvorstellung der Lehrplanverfasser verdeutlichen ein Verständnis von Religion, in dem Gott als der "Urgrund der Dinge"
63 Ebd., S. 18. 64 Vgl. ebd., S.25-27. 65 Im ersten Jahr der Oberstufe soll das "indogermanische religiöse D e n k e n und Fühlen" - angefangen vom Brahmanismus, der Zarathustrareligion, Plato sow i e altnordischer und germanischer Religion - behandelt werden. In diesem Zusammenhang sieht der Lehrplan die Behandlung der alttestamentlichen "Prophetenreligion" und "Psalmendichtung" als einzigen Bezug zum Alten Testament vor. Vgl. ebd., S.26. 66 Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.22, s.Anm.33.
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letztlich im Begriff der "Seele" mit dem Menschen identifiziert wird und insofern das "Selbst" zum "Gottesträger" werden kann. 67 In diesem Verständnis von Religion, abgeleitet und bestimmt von einem Menschenbild in den Kategorien der rassistischen Ideologie vom >arischen HerrenmenschentumWeltanschauung< zu erzeugen:
67 68 69 70
Vgl. ebd., S.23. Ebd. Ebd. Ebd., S.24.
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"Was wir letztlich zu erzielen suchen müssen, ist auf jeden Fall die Grundgesinnung, die sich nicht mit Jesu zeitgeschichtlich bedingtem Weltbilde und nicht einmal mit seinen einzelnen "Ansichten" zu decken braucht und dennoch im Kerne die ebenso jesusartige wie nationalsozialistische Bereitschaft zu selbstloser Hingabe des eigenen Wohles für andere, vor allem für das Volksganze einschließt." 71 Um diese "Grundgesinnung" unterrichtlich zu vermitteln, tritt neben der "indogermanischen" und der "Religion Jesu" sowohl in der Mittelais auch der Oberstufe das "Gottsuchertum deutscher Männer" in den Vordergrund. "Religiöses Erleben" soll so in der Begegnung mit "vorbildlichen religiösen Persönlichkeiten" vorbereitet werden. 72 Charakteristisch für den Ansatz der "Glaubenskunde" ist dabei die unterrichtliche Behandlung von Martin Luther. Im Gegensatz zum deutschchristlichen Ansatz, wo Luther als "deutscher Revolutionär" glorifiziert wird, erscheint hier Luthers Wirken in einem "neuen Licht", da "offen zuge(ge)ben" werden muß, daß "ein großer Teil von Luthers religiöser Vorstellungswelt uns nichts zu sagen hat" 73 . Soll aber Luthers "Frömmigkeit" noch gewürdigt werden, so muß seine "theologische Lehre" für die Gegenwart abgelehnt werden. Stattdessen sieht der Lehrplan im dritten Jahr der Oberstufe die Behandlung von Goethe als "entscheidenden Neugestalter" unter der bezeichnenden Überschrift vor: "Die Weiterbildung der Reformation durch Goethe". 74 Zwar erwartet Rödding, daß die Hervorhebung von Goethe "den meisten Widerspruch" hervorrufen wird. Aber unter Verweis auf die zustimmende Würdigung durch Rosenberg sieht er insbesondere in Goethes Gottesanschauung die Verkörperung "echten deutschen Lebensglaubens", auf den die "Glaubenslehre" als "nationalreligiöses Erbgut" zurückgreifen muß. 75 Im letzten Jahr der Oberstufe soll dann die "Glaubenskunde" gemeinsam mit den anderen Gesinnungsfächern ihr eigentliches Gebiet überschreiten und die Schüler zu einer "eigenen Weltanschauung (führen), die den Nationalsozialismus freudig bejaht" 76 . Aufschlußreich 71 Jugendschule, S. 19, s.Anm.29. 72 Vgl. ebd., S.18. "Am Anfang der deutschen Gottsucherreihe steht Meister Eckehart" (Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.25, s.Anm.33), der als Vertreter der deutschen Mystik dem nationalsozialistischen Glaubensempfinden in besonderer Weise zu entsprechen schien. Vgl. dazu Sonnen, Die politische Theologie, S.32. 73 Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.25, s.Anm.33. 74 Vgl. Jugendschule, S.26f, s.Anm.29. 75 Vgl. Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.26f, s.Anm.33. 76 Überschrift des Lehrplans für das 6. Schuljahr. Vgl. Jugendschule, S.27, s.Anm.29.
3. Grundvorstellungen der NS-Partei
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ist die Begründung, mit der die angestrebte Verschmelzung von Religion bzw. religiöser Haltung und nationalsozialistischer "Gesinnung" gerechtfertigt wird: "Dazu verpflichtet uns nicht nur unsere nationalsozialistische Gesinnung und Überzeugung, dazu zwingt uns vor allem die Tatsache, daß die bestehenden Religionsgesellschaften sich nicht auf fromme Verkündigung beschränken, sondern den Anspruch erheben, von der Grundlage ihres biblischen und bekenntnismäßigen Gotteswortes aus auch eine alle Gebiete umfassende Weltanschauung zu vertreten." 77 Damit wird nun nicht mehr nur die Frage der inhaltlichen Gestaltung des Religionsunterrichts als Schauplatz weltanschaulicher Auseinandersetzung begriffen. Vielmehr wird hier eine generelle Kampfansage an die "Religionsgesellschaften" formuliert, deren Glaube und Bekenntnis in prinzipieller Differenz zur nationalsozialistischen >Weltanschauung< wahrgenommen wird. Als Konsequenz bleibt nun die an dieser Stelle noch unausgesprochene Forderung einer radikalen Beschneidung kirchlicher Einflußmöglichkeiten nicht nur für den Religionsunterricht, sondern auf allen Gebieten öffentlicher Erziehung.
3.4 Zusammenfassung: Die >neue Religionspädagogik< auf dem Wege zur >ReIigion< der nationalsozialistischen >WeItanschauung< Der von den Verfassern der untersuchten Richtlinien- und Lehrplanentwürfe im Zeichen einer "neuen Religionspädagogik" 78 formulierte Ansatz eines "deutschen Religionsunterrichts" begreift den Religionsunterricht als Teil der >völkischen< Erziehung der Schule. Man erhebt den Anspruch, die nationalsozialistische Erziehungsdoktrin hin zum >völkisch-politischen Menschen< auf die religiöse Grundlage einer >deutschen Religion< bzw. eines >deutschen Glaubens< zu stellen. Die postulierte Entsprechung von religiöser und >völkischer< Erziehung setzt voraus, daß auch für den Religionsunterricht Aufgabenstel77 Rödding, Evangelische Glaubenslehre, S.27, s.Anm.33. 78 Vgl. das Kapitel "Die neue Religionspädagogik" von Kurt Freitag, Kirche, Schule und Religionsunterricht im völkischen Staat, Leipzig 1934, S.27ff. Der Berliner Volksschulrektor Kurt Freitag betreute in der Reichsleitung der Deutschen Christen das Referat "Religionsunterricht und Schule" und gehörte zum deutschkirchlichen Flügel der Deutschen Christen. Vgl. seine Bewertung der Sportpalastkundgebung am 13.11.33: ebd., S . l l f ; ebenso die bei Freitag abgedruckten deutschkirchlich orientierten Lehrplanentwürfe von Becker, Viernow und Krause (S.62ff).
74
3. Grundvorstellungen der NS-Partei
lung und Inhalte in Übereinstimmung mit den Grundlagen der nationalsozialistischen >Weltanschauung< bestimmt werden. Deshalb unternehmen die Entwürfe den Versuch, den Religionsunterricht in Anlehnung an die nationalsozialistische Rassenideologie zu begründen, so daß die religiöse Erziehung als Teil der >rassischen Erziehung< fungieren kann. Die Übernahme der NS-Rassenideologie mußte aber, wie die Dokumente zeigen, zu einer grundlegenden Neubestimmung des Gegenstandsfeldes des Religionsunterrichts führen. So formuliert der völkisch-religiös orientierte Regierungs- und Schulrat Elbertzhägen die Leitfrage der "neuen Religionspädagogik" für die "Neugestaltung" des Religionsunterrichts: "Soll seine Neugestaltung richtig, also in der Richtung der nordischen Rasse geschehen, so müssen wir wissen, was ihr im bisherigen Lehrstoff des Religionsunterrichts entspricht und was ihr widerspricht, weil es aus anderen Rassenseelen stammt." 79 "Deutscher Religionsunterricht" heißt dementsprechend, daß das rassenideologische Theorem der "rassischen Eigenart" als absolute Wertkategorie die Auswahl und Aneignung christlicher und allgemein-religiöser Stoffe zu normieren hat. Das Ergebnis ist ein Religionsunterricht, in dem die "artgerecht" geformte >Jesusreligion< als Ausweis seiner >Christlichkeit< im Mittelpunkt stehen soll. Im Unterschied zu Ansätzen eines deutschchristlichen Religionsunterrichts hat das Jesusbild des "deutschen Religionsunterrichts" jeden Bezug zum christlichen Glauben und Bekenntnis verloren. Stattdessen ist das "deutsch gesehene" Jesusbild in der "Religion" der "germanischen Väter" verwurzelt. Germanische Glaubens- und Traditionsstoffe werden, und zwar in deutlichem Gegensatz zum deutschchristlichen >Verschmelzungsansatz< von Christentum und Germanentum, als "Offenbarungsgut deutschen Gotterlebens" gleichrangig mit der >Jesusreligion< als Lehrstoff in den Entwürfen verankert. Zugleich sollen sie die als >minderwertig< deklarierten Stoffe der "semitisch-jüdischen" Religion ersetzen. Die Verfasser konnten sich bei der Ausformulierung dessen, was als "artgerecht" bzw. "artfremd" auch für den Religionsunterricht zu gelten hat, auf Veröffentlichungen stützen, die im wesentlichen aus deutschkirchlichen Kreisen stammen und das >theologische< Fundament des radikalen Flügels der Deutschen Christen bildeten. 80 Daß deutschkirchliche Ansätze in der Debatte um die Richtlinien für den Religionsunter-
79 A l e x Elbertzhägen, Kampf um Gott in der religiösen Erziehung, Leipzig 1934, S.4. Vgl. zu Elbertzhägen: Anm.81. 80 Vgl. das ausführliche Literaturverzeichnis als Anhang des "Lehrplans für deutschen Religionsunterrichts" (S.14ff), s.Anm.19.
3. Grundvorstellungen der NS-Partei
75
rieht ein Gewicht erhalten haben, das in keinem Verhältnis zur innerkirchlichen Bedeutung dieser Gruppen steht, kann nur im Zusammenhang des religionspolitischen Kurswechsels der NS-Partei verstanden werden. Der antichristliche Flügel der NS-Partei hat sich zielstrebig der Ansätze einer "artgerechten" Umformung des christlichen Glaubens und Bekenntnisses bedient, um vorrangig die in Zusammenarbeit mit der DEK erstellten reichsministeriellen Neuordnungsversuche durch die Propagierung eines Gegenkonzepts zu verhindern. Aber am Beispiel des Richtlinienentwurfs des NLSB Gau Westfalen-Süd läßt sich bereits erkennen, daß ein von Bekenntnis und Glauben der Kirche abgekoppelter Religionsunterricht sich, falls schulpolitisch gewünscht, hervorragend als >Übergangsmodell< zu einem Konzept "religiöser Erziehung" benutzen ließ, an dessen Ende nicht mehr nur die "deutsche Religion", sondern die >Religion< der nationalsozialistischen >WeItanschauung< das Ziel der religiösen Erziehung hätte bestimmen können. Der deutschkirchliche Ansatz eines "artgemäßen" "deutschen Religionsunterrichts" öffnete auf diese Weise den Religionsunterricht für das Anliegen der NS-Partei, die nationalsozialistische Erziehungsidee im Sinne der von Rosenberg konzipierten "Religion des Blutes" auf ein eigenständiges völkisch-religiöses Fundament zu stellen, ohne alsbald die antichristliche und antikirchliche Stoßrichtung in offener Frontstellung gegenüber den Kirchen austragen zu müssen. So bot der deutschkirchliche Ansatz eines "deutschen Religionsunterrichts" die für die NS-Partei wünschbare Chance, ja er hatte für die hinter ihm stehenden Kreise des NSLB die unentbehrliche Funktion, die >Entchristlichung< der Schule auf dem Wege einer >Entkirchlichung< der religiösen Erziehung vorzubereiten. 81
81 A l s eifrigster publizistischer Wegbereiter fungierte der auf den Tagungen der Arbeitsgemeinschaft "Deutscher Religionsunterricht" als Referent tätige Regierungs- und Schulrat Elbertzhägen aus Schleswig. Elbertzhägen definierte die religiöse Erziehung in Ableitung vom § 24 des NS-Parteiproramms als überkonfessionelle "religiöse Pflege des arteigenen Gewissens" und verwies den konfessionellen Religionsunterricht als Aufgabe der Kirche außerhalb der Schule. Vgl. Kap.3, Anm.20; ders., Freiheit und Bindung der religiösen Unterweisung in der Schule, Breslau 1937; ders., Konfessioneller oder deutscher Religionsunterricht?, in: Der Schleswig-Holsteinische Erzieher. Hrsg. von der Gauwaltung des NSLB Schleswig 1938, Nr.5, S.97ff.
4.
»Kirchlicher Religionsunterricht in der Schule im Nationalsozialismus: Theodor Ellwein und die Richtlinienarbeit der Deutschen Evangelischen Kirche
Teil 1 4.1 Die Debatte um die Richtlinien für den Religionsunterricht an den Volksschulen im Jahre 1936 4.1.1 Die Schulpolitik der DEK im Zeichen der Formierung einer kirchlichen >Mitte< unter der Leitung von Theodor Ellwein Die Beauftragung von Theodor Ellwein*, Professor für Religionspädagogik an der Hochschule für Lehrerbildung Weilburg, mit der Leitung des Schulreferats der Kirchenkanzlei der DEK durch den Vorsitzenden des Reichskirchenausschusses, Generalsuperintendent Zoellner, im März 1936 markiert den Beginn einer Reorganisation der kirchlichen Schulpolitik und zugleich einer neuen Phase in der Richtliniendebatte. 1 Ging nämlich der Anstoß in der Richtlinienarbeit während der vorangegangenen Jahre mit Ausnahme der Vorlagen von Wieneke und Fliedner 2 von staatlich-ministeriellen Stellen sowie von religionsdidaktisch interessierten Arbeitskreisen in Kirche, Schule und NS-Partei aus, so übernahm mit der Berufung von Ellwein die Kirchenkanzlei der DEK die Initiative zur Erstellung neuer Richtlinien. Im Laufe des Jahres 1936 entfaltete Ellwein mit erstaunlicher Zielstrebigkeit und konzeptionellem Geschick eine Reihe von Aktivitäten, die 1
2
In einem Schreiben des Reichskirchenausschuß vom 21.3.36 an den Landeskirchenausschuß der Ev.Kirche der altpreußischen Union wird der Wunsch formuliert, daß Ellwein im Interesse einer einheitlichen Bearbeitung der Schulfragen "vorübergehend" auch das Schulreferat im EOK übernehmen soll; der Landeskirchenausschuß stimmt in einem Schreiben vom 10.6.36 zu. Vgl. den Briefwechsel, in: EZA Berlin 1/C3/143, O.P. Vgl. zum beruflichen Werdegang von Ellwein: Meier, Kirchenkampf, Bd.2, S.127. In Zusammenarbeit mit dem Gymnasialdirektor Friedrich Fliedner aus Gütersloh ist von Wieneke (vgl. Kap.2 Anm. 14 u. 20) im Juni 1935 ein Entwurf von "Richtlinien f ü r den Religionsunterricht" ausgearbeitet worden, der mit Ausarbeitungen von Grundsätzen und Lehrplänen f ü r die höhere Schule und die Volksschule unter dem 12.8.35 an das Reichserziehungsministerium versandt wurde. Diese vom deutschchristlichen Ansatz eines "positiven Christentums" gekennzeichneten Entwürfe haben in der Folgezeit weder im Reichserziehungsministerium noch in der Kirchenkanzlei der DEK eine erkennbare Rolle gespielt. Vgl. die Entwürfe, in: EZA Berlin 1/A4/413, O.P. und BA Potsdam 49.01 4612, B1.245ff. Wieneke hielt dazu in einem Vermerk fest, der Reichskirchenausschuß "habe offenbar den von Reichsbischof Müller gezeichneten Plan nicht weiter betrieben". In: EZA Berlin 1/A4/434, O.P.
78
4.1 Richtliniendebatte 1936
ihren sichtbarsten Niederschlag in drei zentralen Dokumenten fanden: der vom Reichskirchenausschuß gebilligten und am 24. November 1936 an das Reichserziehungsministerium übersandten Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" , den "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an der Volksschule" vom Dezember 1936 4 und den mit Datum des 1. Juni 1937 an das Reichserziehungsministerium übersandten "Stoffverteilungsplan für den evangelischen Religionsunterricht an der deutschen Volksschule" 5 . Da der Richtlinienentwurf für die Volksschule und die "programmatische Erklärung zur Schulfrage" eine innere Einheit bilden und nur im Zusammenhang interpretiert werden können, soll in einem ersten Schritt Entstehung und Diskussionsverlauf der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" dargestellt werden, in deren Kontext die Analyse der Richtlinien einzubetten ist.
4.1.1.1 Entstehung und Kontext der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" Absicht und Ziel der von der Kirchenkanzlei der DEK im Auftrag des Reichskirchenausschusses initiierten Reorganisation der kirchlichen Schulpolitik dokumentiert eine unveröffentlichte, vermutlich als Handreichung für Zoellner ausformulierte "Denkschrift zur Schulfrage" von Theodor Ellwein 6 , in der dieser seine Aufgabe als Schulreferent der DEK vor dem Hintergrund der schulpolitischen Bestrebungen des "neuen deutschen Staates" dargestellt hat. Die Denkschrift ist von Ellwein nach der von ihm einberufenen Tagung der "Kammer für evangelische
3 4
Sofort v e r ö f f e n t l i c h t in: Mitteilungsblatt der D e u t s c h e n E v a n g e l i s c h e n Kirche, Jg. 1 Nr. 5, D e z e m b e r 1936. D e r R i c h t l i n i e n v o r s c h l a g für die V o l k s s c h u l e wurde mit A n s c h r e i b e n v o m 2 1 . 1 2 . 3 6 d e m R e i c h s e r z i e h u n g s m i n i s t e r i u m übergeben, aber e b e n f a l l s sofort v e r ö f f e n t l i c h t in: Mitteilungsblatt der D e u t s c h e n E v a n g e l i s c h e n K i r c h e , Jg.2, Nr.2, 28. Januar 1937, S. 1 Iff. Ein weiterer Druck erschien in der S c h r i f t e n reihe: D e r E v a n g e l i s c h e Religionsunterricht, im Auftrag der V o l k s k i r c h l i c h e n A r b e i t s g e m e i n s c h a f t hrsg. v o n Theodor E l l w e i n , H.2: D e r e v a n g e l i s c h e R e l i g i o n s u n t e r r i c h t an der deutschen Schule, Frankfurt a.M. 1937.
5
D e r "Stoffverteilungsplan" ist entsprechend den R i c h t l i n i e n für die V o l k s s c h u l e in Z u s a m m e n a r b e i t mit den Landeskirchen erstellt w o r d e n und hat die "ausdrückliche Z u s t i m m u n g " aller Landeskirchen mit A u s n a h m e der E v . - L u t h e r i s c h e n K i r c h e M e c k l e n b u r g s , der Thüringer ev. Kirche, der Ev. L a n d e s kirche A n h a l t s und der E v . - L u t h e r i s c h e n Kirche v o n Lübeck erhalten. V g l . das A n s c h r e i b e n der K i r c h e n k a n z l e i der D E K v o m 1 . 7 . 3 7 und d e n S t o f f v e r t e i l u n g s p l a n , in: B A Potsdam 5 1 . 0 1 , 2 3 7 2 1 B1.212ff; E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 3 1 , O.P.
6
In: E Z A B e r l i n 1 / C 3 / 1 4 3 , O.P. (ohne D a t u m s a n g a b e ) .
4.1 Richtliniendebatte 1936
79
Erziehungsarbeit" 7 und der "Konferenz der kirchenbehördlichen Schulreferenten" verfaßt worden; sie setzt somit zugleich die Ergebnisse und Schlußfolgerungen der genannten Zusammenkünfte in ein handlungsorientiertes Konzept kirchlicher Bildungs- und Schulpolitik um. Angesichts der kritischen kirchen- und schulpolitischen Lage formuliert Ellwein seine Aufgabenstellung wie folgt: "Die Aufgabe des Schulreferenten, für eine einheitliche kirchliche Willensbildung im Blick auf evangelische Erziehung und Unterweisung in den verschiedenen Formen der öffentlichen Schule zu sorgen, führt in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem besonderen Anliegen zu der weiteren Aufgabe, alle Zweige volkskirchlicher Erziehungsarbeit zu gemeinsamer Willensbildung und einheitlichem Einsatz zusammenzuschließen. " 9 Ellwein begreift also die Vereinheitlichung und Zentralisierung der kirchlichen Erziehungsarbeit als wichtigste Aufgabe seines kirchenpolitischen Handelns. Seine weitverzweigte Tätigkeit, aufgrund derer Ellwein in den folgenden Jahren in eine Schlüsselstellung für die Vertretung des kirchlichen Erziehungsanliegens gegenüber staatlichen Stellen gelangte, leiten sich von diesem Verständnis seiner Aufgabe ab. Mit der Bildung der "Kammer für evangelische Erziehungsarbeit", den regelmäßigen Tagungen der Schulreferenten der Kirchenbehörden der Landeskirchen und der Zusammenführung der evangelischen Religionsdozenten an den Hochschulen für Lehrerbildung gelang es ihm innerhalb eines Jahres, alle wesentlichen im Bereich von Kirche und Schule
7
8
9
A u f der S i t z u n g des R e i c h s k i r c h e n a u s s c h u s s e s am 2 . 4 . 3 6 hat der R e i c h s k i r c h e n a u s s c h u ß über die Einrichtung einer K a m m e r für e v a n g e l i s c h e E r z i e hungsarbeit beraten. D i e M i t g l i e d e r wurden auf V o r s c h l a g v o n E l l w e i n berufen. D i e K a m m e r sollte z u g l e i c h e i n G e g e n g e w i c h t zu der im A u g u s t 1935 g e gründeten S c h u l k a m m e r der V o r l ä u f i g e n K i r c h e n l e i t u n g der B e k e n n e n d e n K i r c h e b i l d e n (vgl. zur Schulkammerarbeit der V o r l ä u f i g e n K i r c h e n l e i t u n g K a p . 5 ) . V g l . Sitzungsprotokoll und B e r u f u n g s l i s t e , in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 1 0 , O.P. D i e erste S i t z u n g der E r z i e h u n g s k a m m m e r fand am 9. und 10. Juni 1 9 3 6 statt. V g l . das Protokoll der T a g u n g , in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 1 2 , O.P. E l l w e i n hat f o l g e n d e P e r s o n e n v o r g e s c h l a g e n : Prof. D o e r n e , Prof. Schreiner, Prof. B o h n e , Prof. Güldenberg, Oberkirchenrat Breit ( B e r u f u n g nicht a n g e n o m m e n ) , Oberstudienrat Franke, Direktor Hafa, Studienrat Dr. F i c k e n s c h e r , Dr. B a e t h k e , Dr. Popp, Lehrer Zahn, Rektor Rattey, Rektor Marx, Lehrerin O d a H o f f m a n n , Lehrer K l i n g e n b e r g . D i e S i t z u n g der Referenten für S c h u l f r a g e n der L a n d e s k i r c h e n und K o n s i s t o rien f a n d a m 17. Juni 1936 statt. Vgl. das Protokoll, in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 1 4 , O.P. D e n k s c h r i f t zur Schulfrage, S . l , s . A n m . 6 .
80
4.1 Richtliniendebatte 1936
tätigen Kräfte zu bündeln, die grundsätzlich zu einer Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuß bereit waren. 10 Die Notwendigkeit einer Zusammenfassung aller Arbeitszweige volkskirchlicher Erziehungsarbeit in einer "Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft" 1 1 wird von Ellwein mit dem "Bestreben des neuen deutschen Staates, die eigenständigen Gebilde in allen Bereichen des Volkslebens in einheitlicher weltanschaulicher und politischer Haltung zu einem geschlossenen staatlichen und völkischen Wollen zusammenzufassen" 1 2 , begründet. Mit anderen Worten, der Auflösungs- und Gleichschaltungsdruck, der auf die >freien< kirchlichen Verbände und Werke seitens des NS-Staates in einem immer stärkeren Maße ausgeübt wurde - im Laufe des Jahres 1936 geriet als einer der letzten >freien< Verbände im Bereich der Schule der "Deutsche Religionslehrerverband" in wachsende Bedrängnis 1 3 - , sollte nach Ellwein durch die eigene "Zusammenfassung und einheitliche Ausrichtung der volkskirchlichen Erziehungsarbeiten" 1 neutralisiert werden. Um nicht schon von vornherein Mißtrauen bei den staatlichen Stellen zu erwecken, definiert Ellwein den Auftrag der "Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft" im Sinne einer funktionalen Einordnung in den NS-Staat: "Die Bildung dieser Arbeitsgemeinschaft und mit ihr eines einheitlichen volkskirchlichen Erziehungswillens entspricht zunächst einfach der Verantwortung der Kirche gegenüber ihrem Auftrag. Sie ermöglicht zugleich dem Staat die Erkenntnis der Richtung dieses kirchlichen Wollens und seiner fruchtbaren Zuordnung und richtigen Abgrenzung in bezug auf
10 So l e h n t e Oberkirchenrat Breit v o n der V o r l ä u f i g e n K i r c h e n l e i t u n g d i e Mitarbeit in der K a m m e r ab, während M. v. T i l i n g die B e r u f u n g a n n a h m . V g l . d i e B e r u f u n g s l i s t e , in: E Z A Berlin 1 / A 4 / 4 1 0 , O.P. D i e A r b e i t s t a g u n g der ev. R e l i g i o n s d o z e n t e n an den H o c h s c h u l e n für Lehrerbildung f a n d v o m 5 . - 8 . April 1937 auf d e m H a i n s t e i n bei E i s e n a c h statt. Vgl. T e i l n e h m e r l i s t e und T a g u n g s p r o t o k o l l , in: E Z A Berlin 7 / 4 4 9 8 , o.P. A l s A n l a g e l i e g t d e m Protokoll ein v o n E r w i n W i ß m a n n auf der Grundlage der Beratungen verfaßter E n t w u r f für "Richtlinien für die Lehrtätigkeit im Fach ' E v a n g e l i s c h e R e l i g i o n 1 an d e n H o c h s c h u l e n für Lehrerbildung" bei. 11 D i e V o l k s k i r c h l i c h e A r b e i t s g e m e i n s c h a f t der D E K wurde am 30. Juli 1 9 3 6 als e i n Z u s a m m e n s c h l u ß der dem R e i c h s k i r c h e n a u s s c h u ß a n g e g l i e d e r t e n k i r c h l i c h e n Verbände gegründet. A l s Geschäftsführer der V o l k s k i r c h l i c h e n Arbeitsg e m e i n s c h a f t f u n g i e r t e E l l w e i n , der d i e s e s Amt in e n g e r Z u s a m m e n a r b e i t mit d e m K a s s e l e r R e l i g i o n s p ä d a g o g e n Professor H e l m u t S c h a f f t ausübte. V g l . M e i e r , K i r c h e n k a m p f , B d . 2 , S . 1 2 7 f . In dem Protokoll der B e s p r e c h u n g der S c h u l r e f e r e n t e n der L a n d e s k i r c h e n v o m 26. Januar 1937 wird S c h a f f t als V e r treter der V o l k s k i r c h l i c h e n A r b e i t s g e m e i n s c h a f t aufgeführt (in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P.). 12 D e n k s c h r i f t zur Schulfrage, S.2, s . A n m . 6 . 13 V g l . K a p . 1 , S . l l . 14 D e n k s c h r i f t zur Schulfrage, S.2, s . A n m . 6 .
4.1 Richtliniendebatte 1936
die weltanschauliche Staates." 15
und
politische
Erziehungsarbeit
SI
des
In diesen Formulierungen spiegelt sich ein Verhältnismodell von Kirche und NS-Staat, das als innerkirchliche "Richtung" die Frage, in welcher Weise sich "Auftrag der Kirche" und "weltanschauliche und politische Erziehungsarbeit des Staates" nach "Zuordnung" oder "Abgrenzung" gestalten lassen, zu beantworten sucht. Dieses Modell war schon im Juni 1936 richtungweisend von Martin Doerne* auf der ersten Tagung der Kammer für ev. Erziehungsarbeit im Rahmen seines Vortrages "Christliche Erziehung im nationalsozialistischen Staat" 16 formuliert worden. Doernes Gedanken über das Verhältnis von nationalsozialistischer >Weltanschauung< und christlichem Glauben bildeten, wie im folgenden gezeigt werden soll, die theologisch-politische Grundlage für die unter der Regie von Ellwein erfolgten Ausarbeitungen zur Schulfrage und zur inhaltlichen Gestaltung des Religionsunterrichts; sie charakterisieren geradezu paradigmatisch das Selbstverständnis der kirchlichen >Mitte< in ihrer Unterscheidung sowohl von den Deutschen Christen als auch der Bekennenden Kirche. 1 7 Die am 9. und 10. Juni 1936 tagende Erziehungskammer der DEK hat nach einer "grundsätzlichen Erörterung der Lage" die folgenden Fragestellungen als zukünftige Arbeitsschwerpunkte festgelegt: "1. Die Frage nach dem Verhältnis der nationalsozialistischen Weltanschauung zur christlichen Verkündigung. 2. Die Frage nach klaren Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht. 3. Die Frage nach dem Elternrecht in der Gegenwart. 4. Die Frage nach der Schulform." 18 15 Ebd. 16 Der Vortrag Schloß mit Leitsätzen, die unter der Überschrift "Auf der ersten Arbeitstagung für evangelische Erziehungsarbeit. Schlußfolgerungen" dem Protokoll beigefügt wurden. Die Leitsätze von Doerne finden sich in der Akte EZA Berlin 1/C3/143, O.P. (s.Dokument 5). Doerne hat sein Referat auf einer Freizeit, die von Ellwein zur Vorbereitung der Zusammenfassung der verschiedenen kirchlichen Werke zur Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft veranstaltet wurde, ein zweites Mal vorgetragen (vgl. Denkschrift zur Schulfrage, S.7f, s.Anm.6). Weiterhin ist das Referat in der Zeitschrift DEE 1936, H.6, S.193ff und in der Schriftenreihe: Der Evangelische Religionsunterricht, hrsg. von Theodor Ellwein im Auftrag der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft der DEK, H.l: Volkserziehung und Verkündigung. Beiträge zum deutschen Erziehungsproblem, Frankfurt a.M. 1937, S.29ff veröffentlicht worden. 17 Auch wenn die verschiedenen Gruppen der kirchlichen >Mitte< erst nach dem Scheitern der Kirchenausschußpolitik in die Öffentlichkeit traten (vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd.2, S.371ff), sind doch die tragenden theologischen und kirchenpolitischen Grundkonzeptionen bereits in der Phase der Kirchenausschüsse, also zwischen Oktober 1935 und Februar 1937, erarbeitet worden. 18 Sitzungsprotokoll, S . l , s.Anm.7.
82
4.1 R i c h t l i n i e n d e b a t t e 1936
Ausgehend von einer ersten Diskussion der genannten Problembereiche stand am Beginn der Zusammenkunft die Frage nach dem Verhältnis von nationalsozialistischer und christlicher Erziehung, angewandt auf die Schule, im Mittelpunkt, während die Richtlinienfrage die Beratungen des zweiten Tages bestimmte. Doernes Vortrag behandelte die theologischpolitische Grundfrage nach Rolle und Stellung der christlichen Erziehung im nationalsozialistischen Staat; daran schlossen sich Ausführungen von Otto Güldenberg, Professor für Religionspädagogik an der Hochschule für Lehrerbildung in Hirschberg, über "die nationalpolitische Bedeutung des evangelischen Religionsunterrichts in der Schule" 19 und von Rudolf Schaal über "Konfessionsschule oder konfessionelle Gemeinschaftsschule" 20 an. In seinen schriftlich vorgelegten "Schlußfolgerungen" hat Doerne das in der Folgezeit auch für Ellwein bestimmende Zuordnungsmodell hinsichtlich des Verhältnisses von "christlicher" und "völkischer" Erziehung entwickelt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Forderung nach einer "christlichen Erziehung im nationalsozialistischen Staat": "Wir wünschen aber, daß sie (die "christliche Erziehung", F.K.) auch in Zukunft ihren Platz nicht neben, sondern mitten in der völkischen Erziehung, insbesondere in der völkischen Schule erhalte. Das wünschen wir deshalb, weil wir glauben, daß solche 'christliche Erziehung' imstande und berufen ist, dem deutschen Volke, der inneren Begründung des nationalsozialistischen Volksstaates einen Dienst zu leisten, der ihr von keiner anderen Erziehungsmacht abgenommen werden könnte." 21 Der "Einbau" der christlichen Erziehung in das "gesamtvölkische Erziehungswerk" kann aber nach Doerne nur auf der Grundlage einer "rechten" theologisch-politischen Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat erfolgen: "Das rechte Verhältnis zwischen dem Politischen und Christlichen kann nur auf der Grundlage einer sauberen Scheidung des 'Weltlichen' und des 'Geistlichen' gefunden werden, so wie sie in klassischer Gestalt von Luther gezeigt worden ist. Diese Scheidung hat nichts zu schaffen mit der einst vom Liberalismus geforderten 'Trennung' von Kirche und Staat, Kirche und Schule. Staat und Kirche sind und bleiben verbunden in Gemeinsamkeit des Dienstes am Leben des Volkes. Die 19 Veröffentlicht in: DEE 1937, H.7, S.257ff und Der Evangelische Religionsunterricht, H . l , S.79ff. 20 Vgl. das Sitzungsprotokoll, S.3f, s.Anm.7. 21 Auf der ersten Tagung für evangelische Erziehungsarbeit. Schlußfolgerungen, s.Anm.16. Die Schlußfolgerungen sind als 4. Abschnitt abgedruckt, in: DEE 1936, H.6, S.206ff (s.Dokument 5).
4.1 Richtliniendebatte 1936
83
lutherische Lehre von den 'beiden Reichen' bedeutet aber die Absage an jede naive Gleichsetzung von Deutschtum (bzw. Nationalsozialismus) und Christentum. Abgelehnt wird also a) der klerikale Gedanke einer 'christlichen' Reglementierung des gesamten völkischen Erziehungswesens. (...) b) die schwärmerische These, daß das Deutschsein bzw. die nationalsozialistische Weltanschauung selbst schon die Realisierung des Christentums sei, so daß ein von dieser Weltanschauung geschöpftes 'praktisches Christentum' in der Erziehung an die Stelle der christlichen Lehre treten könnte." 22 Mit diesen Aussagen zur Klärung und Bestimmung des Verhältnisses von christlichem Glauben und nationalsozialistischer >Weltanschauung< formulierte Doerne die theologisch-politische Grundhaltung der im Rahmen des Reichskirchenausschusses von Ellwein zusammengeführten Kräfte der kirchlichen >MitteScheidungsgeistlichen< Auftrag der Kirche gegenüber >weltlichSynthesenansätzen< von Deutschtum bzw. Nationalsozialismus und Christentum eine eindeutige Absage zu erteilen. Wenngleich es Doerne um eine "saubere Scheidung" zweier Bereiche geht, impliziert doch die These von der Unentbehrlichkeit der "christlichen Erziehung" für die "völkische Erziehung" des "deutschen Menschen" eine intentionale Gemeinsamkeit. Letztlich deshalb stellt Doerne das kirchliche Anliegen einer "positiven Einfügung" der christlichen Erziehung in das "völkische Erziehungswerk" heraus, ohne aber dabei die Gefahr der Instrumentalisierung der Evangeliumsbotschaft für die Zwecke der nationalsozialistischen Erziehungsdoktrin zu erkennen oder anzusprechen. In der Erziehungskammer - dies zeigen die Diskussionsbeiträge und Referate - bestand darüber völliges Einvernehmen, daß die Frage nach der Bedeutung christlicher Erziehung im Gesamtzusammenhang der
22 Auf der ersten Tagung für evangelische Erziehungsarbeit. Schlußfolgerungen, s.Anm.16. 23 Vgl. Kap. 4.1, S.84ff.
84
4.1 Richtliniendebatte 1936
nationalsozialistischen Schulerziehung und nach der inhaltlichen Gestaltung des Religionsunterrichts eine positive Haltung zum nationalsozialistischen Staat sowie zur "völkischen Erziehung" in der Schule unabdingbar voraussetzte. Das führte "von verschiedenen Seiten" zu dem "Wunsch", "die Kammer möge zu der Schulfrage eine Kundgebung beschließen, in der die Anliegen der evangelischen Kirche in bezug auf Schule und Religionsunterricht in der Gegenwart klar zum Ausdruck kommen." 4 Ellwein konnte den Verlauf der Tagung eindeutig als persönlichen Erfolg verbuchen. Geschickt und überzeugend hat er die Bedeutung "volkskirchlicher Arbeit" im Zusammenhang der Lehrerbildung, die von den Tagungsteilnehmern als eine der Schlüsselfragen für die Sicherung des kirchlichen Einflusses auf die schulische Erziehung angesehen wurde, in die Diskussion eingebracht. 25 So gelang es ihm, die Erziehungskammer für ein zustimmendes Votum hinsichtlich seines Planes zu gewinnen, die kirchliche Erziehungsarbeit zu einer einheitlichen Willensbildung im Rahmen einer Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft zusammenzufassen.
4.1.1.2 Diskussionsverlauf und Analyse der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen in Bayern und BadenWürttemberg um die Umwandlung der Konfessionsschulen in "Deutsche Volksschulen" 26 und dem Beschluß der 4. Bekenntnissynode der Bekennenden Kirche in Bad Oeynhausen vom Februar 1936 zur Schulfrage 2 7 stand auch die Erziehungskammer des Reichskirchenausschusses vor der Frage, in welcher Weise die DEK auf die schulpolitischen Bestrebungen des NS-Staates reagieren sollte. Daß die Bestimmung des Verhältnisses von christlicher Erziehung und nationalsozialistischer Schulerziehung zwangsläufig die Frage der Schulform einschließen mußte, war den Mitgliedern der Kammer bewußt. Aus dem Protokoll der ersten Zusammenkunft geht hervor, daß die Teilnehmer neben der theologisch-politisch begründeten Zustimmung zum politischen Erziehungsanspruch des NSStaates auch dessen Recht zur Schulreform bejahten. Insofern hatte die 24 Sitzungsprotokoll, S.2, s.Anm.7. 25 "Die Frage nach der rechten Lehrerbildung in bezug auf evangelischen R e l i g i onsunterricht muß als eine kirchliche Frage angesehen werden und muß im Rahmen volkskirchlicher Arbeit von uns geleistet werden" (ebd., S.4). Zu diesem Zwecke sollte ein Schulungs- und Forschungsinstitut für alle Fragen der religiösen Erziehung eingerichtet werden. 26 Vgl. für Baden-Württemberg: Jörg Thierfelder, D i e Auseinandersetzung um Schulform und Religionsunterricht, S.230ff. 27 Vgl. Kap.5, S.143ff.
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von Ellwein formulierte Frage, ob "die Forderung einer Bekenntnisschule in der Gegenwart eine Forderung des Glaubensgehorsams (ist)" 2 8 , lediglich eine absichernde oder gar rhetorische Funktion; sie wurde in der Debatte erst gar nicht aufgegriffen. Das von Ellwein verfaßte Protokoll hält das Ergebnis der Diskussion um die Frage der Schulform wie folgt fest: "Man wehrt sich gegen eine doktrinäre Durchführung der Gemeinschaftsschule, sonderlich in konfessionell einheitlichen Gebieten. Genau so aber ist man sich eigentlich ganz allgemein darüber klar, daß es sinnlos wäre, mit dem Wort 'Bekenntnisschule' als Programmwort zu arbeiten. Man ist sich darüber klar, daß der Staat das Recht hat, seine Glieder einheitlich zu erziehen. Notwendig ist nur, daß innerhalb dieser staatlichen Erziehung für das Anliegen der evangelische Kirche Raum gefunden wird." 29 Diese Positionsbestimmung markiert eine historische Zäsur in der Schulpolitik der evangelischen Kirche. Erstmalig wird hier von einem maßgeblichen Kreis evangelischer Schulmänner und -frauen die bis dato als unverzichtbare >Bürgschaft< für die Repräsentanz des evangelischen Erziehungsanliegens reklamierte evangelische Bekenntnisschule zur Disposition gestellt. Mit anderen Worten: Die Kammer für evangelische Erziehungsarbeit des Reichskirchenausschusses überantwortet im Juli 1936 die die gesamte Kulturpolitik der Weimarer Republik überschattende Frage nach >Einheit< und >KonfessionEinheit< und > K o n fessionalitätWeltanschauung< auftretenden >Konfessionalität< offengelegt hatte. Der von der NS-Partei propagierten "Entkonfessionalisierung" des öffentlichen Schulwesens konnte jetzt nur noch entweder die Propagierung einer >GegenRaumFreiraum< als Handlungsalternative entgegengesetzt werden. Kennzeichnend für die Schulpolitik der kirchlichen >Mitte< um Ellwein ist, daß sie sich im Unterschied zur Vorläufigen Kirchenleitung für die letztere Option entschieden hat. Auf der Sitzung der Referenten für Schulfragen der Landeskirchen und Konsistorien am 17. Juni 1936 wurde ebenso wie auf der Tagung der Erziehungskammer die Dringlichkeit einer öffentlichen Äußerung des Reichskirchenausschusses zur Schulfrage angemahnt. Ellwein warb auch in diesem Kreis für seine Auffassung, daß "nicht die Frage der Schulform als entscheidende Frage", sondern "vielmehr die sachlichen Anliegen der evangelischen Kirche in der neuen Schule" 31 betont werden sollten. Gegen diese Position wurden vor allem von dem Vertreter der Hannoverschen, Bartels, und dem Vertreter der Bayerischen Lutherischen Kirche, Greifenstein, Bedenken geäußert. Beide Schulreferenten plädierten dafür, daß die Kirche die Bekenntnisschule verteidigen sollte, da "in der Gemeinschaftsschule der christliche Charakter nicht gesichert sei" 3 2 . Daß für Ellwein die Forderung nach Beibehaltung der Bekenntnisschule angesichts der neuen "Volkswerdung" von der Kirche weder zu begründen noch schulpolitisch durchzusetzen war, dokumentiert ein vermutlich von Ellwein oder Schafft verfaßtes Positionspapier "Kirche und Volksschule". Die Bedeutsamkeit dieser kurzen Ausarbeitung besteht darin, daß dort die entscheidenden Sätze zur Frage der Bekenntnisschule formuliert wurden, die in der ersten Fassung der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" mit geringfügigen Änderungen übernommen wurden und heftige Kritik auslösen sollten. 33 In dem Abschnitt "Die gegenwärtige Lage und die sich aus ihr ergebenden Forderungen" heißt es im Punkt 4: "Gibt die Kirche die Forderung der Bekenntnisschule auf, dann bekundet sie damit, daß ihr irdisches Schicksal mit dem Schicksal des Volkes zusammenfällt, in das sie mit ihrer Botschaft eingegangen ist. Sie gibt damit ein weiteres Stück der äußeren Sicherungen preis, die ihr im Laufe ihrer Geschichte 31 Sitzungsprotokoll S.16, in: EZA Berlin 1/4/414, O.P. 32 Sitzungsprotokoll, S.15, s.Anm.31. 33 Die erste Fassung der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" ist von Ellwein im September 1936 an einen ausgewählten Personenkreis zur Begutachtung versandt worden. In den Akten befindet sich als einziges Exemplar eine mit Randbemerkungen zurückgeschickte Abschrift von M. v. Tiling. In: EZA Berlin 1/A4/422, o.P. Vgl. zum Wortlaut des Entwurfs der Denkschrift das Zitat Anm.46.
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im deutschen Volk zugewachsen sind, öffnet sich aber zugleich dem Volk in seiner Gesamtheit. Von daher muß sie sich dann um so nachdrücklicher dafür einsetzen, daß auch die Staatsführung der geschichtlichen Bindung von Volk und Kirche Rechnung trägt." 34 Diese Formulierungen dokumentieren in bezeichnender Weise den theologisch-politischen Begründüngsrahmen der Schulerklärung. Die Preisgabe der Bekenntnisschule wird nicht in Auseinandersetzung mit dem schulpolitischen Programm der NS-Partei ausgesprochen; es erfolgt vielmehr von vornherein eine >Theologisierung< des Nationalsozialismus, wenn er nicht als politisch-weltanschauliche Bewegung diskutiert, sondern von einem theologisch abgeleiteten Begriff des "Volkes" her verstanden wird. Die Forderung nach der Gemeinschaftsschule wird im Rahmen dieser Begründung als Ausdruck des "in seinem Drang nach Einheit" ringenden "deutschen Volkes" begriffen und daher an die Adresse der Kirche die Warnung formuliert: "Wenn die Kirche in diesem Augenblick an der Bekenntnisschule festhält (auch wenn diese dabei in ihrem schlichten, berechtigten Sinn verstanden wird), dann scheint sie sich gegen dieses Selbstverständnis des Volkes aufzulehnen. Es scheint dann, als wolle sie das Volk in seiner unseligen Zersplitterung festhalten. Die Folge muß dann sein, daß sich das Volk überhaupt gegen ihre Botschaft verschließt und so dazu gedrängt wird, sein irdisches Schicksal absolut zu setzen." 35 Diese Argumentation zeigt eine, speziell für die Schulfragen gravierende Widersprüchlichkeit des theologisch-politischen Denkens der kirchlichen >Mitte< um Ellwein: Einerseits werden unter Zugrundelegung der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre die Aufgaben von Kirche und NS-Staat im Sinne einer "sauberen Scheidung" der beiden Bereiche bestimmt, so daß 34 K i r c h e und V o l k s s c h u l e , S.3, in: E Z A Berlin, 1 / A 4 / 4 1 2 , O.P. ( s . D o k u m e n t 6). D a s P o s i t i o n s p a p i e r ist dem Protokoll der K a m m e r für e v a n g e l i s c h e E r z i e hungsarbeit b e i g e f ü g t . D a s Sitzungsprotokoll belegt, daß E l l w e i n s e i n e B e i träge im S i n n e der dort formulierten Grundsätze zur Frage der S c h u l f o r m abgefaßt hat, a l l e r d i n g s in einer taktierend zurückhaltenden Rhetorik der Form u l i e r u n g v o n F r a g e s t e l l u n g e n , w e n i g e r v o n ausformulierten T h e s e n , o h n e aber das v o l l s t ä n d i g e Papier auf der T a g u n g selbst f r e i z u g e b e n . E l l w e i n muß g e w u ß t haben, daß seine T h e s e n zur Aufgabe der B e k e n n t n i s s c h u l e in dieser F o r m in der E r z i e h u n g s k a m m e r auf Widerstand stoßen würden. D a ß er das Papier d e n T a g u n g s t e i l n e h m e r n nicht zur V e r f ü g u n g gestellt hat, läßt sich aus der T a t s a c h e e r s c h l i e ß e n , daß auch Martin D o e r n e den aus d e m P o s i t i o n s p a pier ü b e r n o m m e n e n Passus zur Frage der B e k e n n t n i s s c h u l e in s e i n e m G u t a c h ten zur ersten F a s s u n g der D e n k s c h r i f t heftig kritisiert hat. V g l . die A u s w e r tung der Gutachten zur ersten F a s s u n g der D e n k s c h r i f t , in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 2 2 , O.P. 35 K i r c h e und V o l k s s c h u l e , S.3, s . A n m . 3 4 .
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das staatliche Handeln als theologisch >wertfrei< erscheinen kann. Andererseits wird jedoch das "Volk" als ethische Bezugsgröße >theologisiertWeltanschauung< begründet hatte. s Zum anderen verwirft Albertz das theologisch-politische Fundament der Denkschrift, indem er gegen einen theologisch abgeleiteten Be-griff des "Volkes" kontradiktorisch das Zeugnis der "Kirche" setzt: "Die Kirche bezeugt, daß keine menschliche und geschichtliche Solidarität sie dazu führen darf, freiwillig und kampflos auf die 43 Lediglich in der Stellungnahme des Stuttgarter Oberkirchenrates zum ersten Absatz des Entwurfs wird betont, daß als Ausgangspunkt der Denkschrift der "Auftrag der Kirche" ohne Vermischung mit "kulturellen oder nationalen Gesichtspunkten" zu gelten hat. In diesem Sinne ist ein Formulierungsvorschlag beigefügt worden, der in die überarbeitete Fassung vom Dezember 1936 übernommen wurde. Der Vorwurf einer falschen Lagebeurteilung im Zusammenhang der Zielsetzungen der Gemeinschaftsschule wird aus dem Kreis der Erziehungskammer insbesondere von Doerne und Helmut Schreiner (Prof. an der Universität Rostock) erhoben, aber auch Schuster kritisiert die zu optimistische "Grundhaltung" der Denkschrift, während Bohne ihr ohne Einwände zugestimmt hat. Vgl. Aktenvermerk "Gutachten zur Denkschrift zur Schulfrage", s.Anm.41. 44 In: EZA Berlin 1/A4/422, O.P. und 50/415, B1.42f (s.Dokument 7). Vgl. zu Oeynhausen Kap.5, S.144ff. 45 Vgl. Kap. 1, S . l l .
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bekenntnisgebundene christliche Glieder z u verzichten." 4 6
Schule
für
ihre
getauften
B e s o n d e r s der letzte Teil der Kritik am Entwurf der Schulerklärung z e i g t die p o l e m i s c h e Unerbittlichkeit einer Abgrenzung, der um der Sache, d.h. der Bekenntnisbindung der Schule für getaufte Kinder notfalls an der Konfrontation als an vordergründiger Verständigung g e l e g e n z u sein scheint. Aber daran gerade wird paradigmatisch der unüberbrückbare G e g e n s a t z z w i s c h e n der kirchlichen >Mitte< und dem >radikalen< Flügel der Bekennenden Kirche sichtbar. Albertz ist denn auch klar bemüht, den theologisch-pädagogischen Vermittlungsansatz von Ellwein als "deutsch-christliche Irrlehre" z u entlarven. Ellwein und Schafft begründen die Berechtigung des kirchlichen Erziehungsanliegens nicht nur vom Auftrag der Kirche her, sondern auch v o m Selbstverständnis der "nationalsozialistischen Pädagogik". 4 7 Albertz reduziert diesen Ansatz, den Auftrag der Kirche auch aus der Perspektive der Schule z u begründen, auf den Vorwurf, Ellwein sehe "das A n l i e g e n des evangelischen Bekenntnisses an der Gemeinschaftsschule... im wesentlichen begründet und gesichert durch den H i n w e i s auf die Verbindung der Schule mit der heimatlichen Landschaft und ihrer durch Blut und B o d e n , Geschichte und Sitte bestimmten Eigenart" 4 8 . A u s d i e s e m V o r w u r f gewinnt Albertz dann sein theologisches Verwerfungsurteil: "Hier wird die Heilsbotschaft der Kirche Christi, deren Annahm e oder V e r w e i g e r u n g über Tod und Leben entscheidet,
46 Schreiben Albertz, s.Anm.44. In dem umstrittenen, in Anlehnung an das Thesenpapier "Kirche und Volksschule" (vgl. Zitat Kap.4.1, S.87) formulierten Absatz des Entwurfs heißt es: "Wenn der Staat dieses Ziel (die Gemeinschaftsschule, F.K.) verfolgt, so wird eine ihrem Volk verbundene deutsche evangelische Kirche dem zwar nicht grundsätzlich widersprechen. (...) Sie bekundet damit, daß sie sich mit dem Schicksal des Volkes, in das sie mit ihrer Botschaft eingegangen ist, in unverbrüchlicher Solidarität verbunden weiß. Weil sie den geschichtlichen Weg der deutschen Nation bejaht, gibt sie ein weiteres Stück der äußeren Sicherungen preis, die ihr im Laufe der Geschichte in Deutschland zugewachsen sind, öffnet sich aber zugleich dem Volk in seiner Gesamtheit" (Kirche und öffentliche Schule, S.4, s.Anm.33). 47 Der Entwurf stützt die Bedeutung der christlichen Erziehung für das "ganze Schulleben" mit dem "Ganzheitsdenken der nationalsozialistischen Pädagogik und ihrem organischen Erziehungswillen" (ebd., S.5) unter Berufung auf Ernst Krieck. Er zitiert eine längere Passage aus dessen "Nationalpolitischer Erziehung" von 1932, in der die Einrichtung der "völkischen Einheitsschule" als "organische" Anpassung auch hinsichtlich der konfessionellen Gegebenheiten beschrieben wird. Für die Jahre nach 1933 ist von einem vielfältigen und teilweise tiefreichenden Einfluß der Pädagogik Ernst Kriecks auch auf einzelne religionspädagogische Autoren auszugehen. Diesen Tatbestand zu erforschen bleibt die dringende Aufgabe religionsdidaktischer Forschung. 48 Schreiben Albertz, s.Anm.44.
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zurückgeführt auf geschichtliche und rassische Gegebenheiten und damit dem Wort von Jesus Christus, unserm Erlöser, der Ernst genommen. Die innere Verbindung zur deutschchristlichen Irrlehre ist offenbar." 4 9 Trotz der schulpolitischen Hellsichtigkeit der Bekennenden Kirche dürfte dieser christologisch abgeleitete >DezisionismusRosenberg< und >Christus< begreift, die Ausgangsstellung der DEK im Kampf um die Sicherung des kirchlichen Erziehungsanliegens eher erschwert als gefördert haben. 5 0 Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, daß die auch in der Schulpolitik nicht zu überbrückenden Gegensätze innerhalb der evangelischen Kirche diejenigen Kräfte der NS-Partei begünstigt haben, die auf eine entschlossene Entkonfessionalisierung der Schule im Sinne einer Ausschaltung des gesamten kirchlichen Erziehungseinflusses hinarbeiteten. Ellwein wies in einem an Albertz gerichteten ausführlichen Schreiben vom 12. Oktober 1936 die Vorwürfe zurück und beklagte insbesondere die Art und Weise des Rückschlusses auf die "deutschchristliche Irrlehre", die "das Grundanliegen der Denkschrift in geradezu unwahrer Weise entstellt" 5 1 . Nochmals stellt Ellwein dagegen die Funktion der Denkschrift heraus; sie solle "als Entwurf einer Unterlage für Verhandlungen mit staatlichen Stellen" dienen, so daß "bei Anerkennung der Denkschrift durch den Staat solche Reden wie die von Ihnen aufgeführten in Zukunft nicht mehr möglich sein würden" 5 2 . An die Adresse von Albertz richtet Ellwein die schulpolitisch wie religionsdidaktisch wichtige Kritik, daß von ihm der Zusammenhang zwischen der Denkschrift und dem Richtlinienproblem für den Religionsunterricht nicht gesehen, daß aber die Frage der Schulform unter Vernachlässigung der "Verantwortung dem Geschehen in Volk und Staat gegenüber" in den theologischen Spitzenrang der >Heilsnotwendigkeit< erhoben wird. 53 49 Ebd. D i e von Ellwein geforderten >Sicherungen< für den Religionsunterricht werden nach dieser theologischen >Aburteilung< von Albertz nicht mehr zur Kenntnis genommen: "Die nun noch angeschlossenen Einzelforderungen Ellw e i n s über den Religionsunterricht können nach der dargelegten Grundhaltung sinngemäß keinen kirchlich begründeten Beitrag zur Lösung der Schulfrage mehr enthalten." (Ebd.) 50 Vgl. Kap.5, S.144ff. 51 Mit auch persönlicher Betroffenheit weist Ellwein den "deutschchristlichen" Anwurf zurück: "Es bedeutet schon 'bösen Leumund machen' und ist eine Verleugnung des Geistes der Wahrheit, wenn man eine innere Verbindung der Denkschrift zur 'deutschchristlichen Irrlehre' herstellen will. Jeder wahrhaftige Leser muß merken, daß die Denkschrift sich auf Seite 1 (I) und 2 (II) scharf und klar von jeder Zurückführung der Heilsbotschaft auf geschichtliche und rassische Gegebenheiten abgrenzt." In: EZA Berlin 1/A4/422, O.P. 52 Ebd. 53 "Die Denkschrift, vor allem die zu ihr gehörenden Richtlinien, zeigen deutlich, daß für uns eine Preisgabe des Erziehungsanliegens der Evangelischen
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Nach der Veröffentlichung des Entwurfs der Denkschrift durch Albertz sah sich ebenso der Lutherrat zu einer Stellungnahme veranlaßt. Ein von Vizepräsident Paul Fleisch gezeichnetes Schreiben vom 24. September 1936 fordert den Reichskirchenausschuß auf, weiterhin für die Bekenntnisschule einzutreten und "eine Frage von so weittragenden Folgen nicht nebenbei in einer Denkschrift über 'Kirche und öffentliche Schule' (zu) erledig(en)" 5 4 . Die negativen Reaktionen auf die erste Fassung der Denkschrift haben den Reichskirchenausschuß veranlaßt, den Referentenentwurf von Ellwein und Schafft grundlegend überarbeiten zu lassen. Auf der zweiten Sitzung der vom 5.-7. November 1936 tagenden Erziehungskammer berichtete Ellwein über die Antworten, die von den Kirchenregierungen sowohl zu den Richtlinien als auch zur Denkschrift gegeben worden sind. Das Protokoll hält, ganz im Sinne seines vermutlichen Verfassers, als Ergebnis der Diskussion zur Schulfrage fest: "Die Denkschrift 'Kirche und öffentliche Schule' muß auf Grund der Berichte die Entscheidung gegen die Bekenntnisschule stark dem Staat zuschieben, sonst wird der kirchliche Vorschlag vom Raum der Kirche hier unnötige Gegnerschaft haben." 55 Mit dieser Maßgabe überarbeitete eine Kommission der Erziehungskammer die Denkschrift. Am letzten Tag der Zusammenkunft wurde den Teilnehmern die Neufassung der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" vorgelegt. Neben einer im Vergleich zum ersten Entwurf verstärkten Hervorhebung des kirchlichen Erziehungsauftrages im Abschnitt I wird im Abschnitt II die Frage der Schulform in gänzlich neuer Weise beantwortet. Die Verfasser heben nunmehr die Bedeutung der "konfessionellen Schule" K i r c h e in keiner W e i s e in Frage kommt. D i e D e n k s c h r i f t ist a l l e r d i n g s aus e i ner H a l t u n g g e s c h a f f e n , die echte und positive Verantwortung d e m G e s c h e h e n in V o l k u n d Staat gegenüber kennt. E s sieht nach d e m S c h r e i b e n f a s t so aus, als ob das F e s t h a l t e n an der Form der B e k e n n t n i s s c h u l e h e i l s n o t w e n d i g wäre" (ebd.). 54 In: E Z A Berlin 1 / A 4 / 4 2 2 , o.P. D a s Schreiben des Lutherrates unterscheidet s i c h in gravierender W e i s e v o n dem Albertz-Rundbrief. Unter V e r z i c h t auf e i n e t h e o l o g i s c h begründete A b g r e n z u n g s p o l e m i k werden zwar die A u s s a g e n zur S c h u l f o r m als "sachlich" nicht gerechtfertigt a b g e w i e s e n , aber die Forder u n g e n z u m Religionsunterricht durchaus begrüßt, auch w e n n s i e "die Preisgabe der B e k e n n t n i s s c h u l e nicht a u f w i e g e n (können)". In der Akte 1 / A 4 / 4 2 2 b e f i n d e t s i c h l e d i g l i c h der Entwurf e i n e s A n t w o r t s c h r e i b e n s an den Lutherrat, in d e m der R e i c h s k i r c h e n a u s s c h u ß auf den Entwurfscharakter der A u s a r b e i t u n g v o n E l l w e i n und Schafft h i n w e i s t und insbesondere bedauert, daß der "vertrauliche R e f e r e n t e n e n t w u r f ' durch die V e r ö f f e n t l i c h u n g der V o r l ä u f i g e n K i r c h e n l e i t u n g "zu einer den Kirchenfrieden aufs N e u e g e f ä h r d e n d e n k i r c h e n p o l i t i s c h e n A k t i o n verwendet" wurde. 55
S i t z u n g s p r o t o k o l l , S.4, in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 1 2 , O.P.
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als "Bollwerk gegen die Zersetzung der tragenden Bindungen und Ordnungen des völkischen Lebens" hervor und formulieren ein scheinbar eindeutiges Votum gegen ihre Abschaffung: "Es ist daher nicht ein unberechtigter Machtanspruch der Kirche, wenn sie das ernste Anliegen hat, diese Schule dort, wo sie gewachsen ist, zu erhalten. Ihre Forderung ist vielmehr wohl begründet. Die Deutsche Evangelische Kirche ist der Überzeugung, daß die lebendige Verbindung nationalpolitischer und christlicher Erziehung in einer einheitlichen evangelischen Schule am sichersten gewährleistet ist." 56 Der III. Abschnitt steht allerdings in Spannung zu dieser Aussage. Hier wird zuerst auf das berechtigte Anliegen des NS-Staates nach einer "einheitliche(n) weltanschaulich-politischen Erziehung" hingewiesen und Verständnis dafür geäußert, daß "der Staat eine Schule anstrebt, in der die nationalpolitische Aufgabe maßgebend ist". Daran anschließend formuliert die Denkschrift unvermittelt "unaufgebbare Anliegen", "falls die überlieferte durch eine neue Schulform abgelöst werden sollte". 57 Mit anderen Worten: Die vorherige Bekräftigung der Bekenntnisschule wird in Erwartung der "neuen deutschen Schule" zugunsten einer einvernehmlichen Beziehung zwischen Kirche und NS-Staat in der Frage der Schulform wieder relativiert. Nach der offiziellen Veröffentlichung der neuen Denkschrift-Fassung hat sich der Lutherrat unter dem 30. Dezember 1936 noch einmal an den Reichskirchenausschuß gewandt und beklagt, daß sie "ohne vorherige Fühlungnahme mit den lutherischen Kirchen" verabschiedet worden sei. In dem Schreiben wird die widersprüchliche Haltung der Denkschrift in der Frage der Bekenntnisschule erkannt, aber zugestanden, daß die überarbeitete Fassung "bedeutend glücklicher gefaßt ist" und der Lutherrat nach der erfolgten Übergabe an das Reichserziehungsministerium "von jeder öffentlichen Kritik absehen" wolle. 58
56 K i r c h e und ö f f e n t l i c h e Schule, in: Mitteilungsblatt der D e u t s c h e n E v a n g e l i s c h e n Kirche, Nr.5, J g . l , D e z e m b e r 1936, S . 2 6 f ( s . D o k u m e n t 8). 57 K i r c h e und ö f f e n t l i c h e Schule, S . 2 7 , s . A n m . 5 6 . A n dieser S t e l l e w e r d e n i m w e s e n t l i c h e n die in dem ersten Entwurf formulierten > S i c h e r u n g e n < in F o r m e i n e s 10 P u n k t e - K a t a l o g e s aufgeführt. 58 In: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 2 2 , O.P. A u f der B e s p r e c h u n g der S c h u l r e f e r e n t e n der obersten K i r c h e n b e h ö r d e n der Landeskirchen am 26. Januar 1 9 3 7 äußerte s i c h nur der Vertreter des Ev.-Luth. Landeskirchenrates in Bayern, G r e i f e n s t e i n , kritisch zur D e n k s c h r i f t , räumte aber ein, daß aufgrund der g r o ß e n U n t e r s c h i e d e der l a n d e s r e c h t l i c h e n R e g e l u n g e n in Süd- und N o r d d e u t s c h l a n d die D e n k s c h r i f t für den N o r d e n ein "Fortschritt" ist. V g l . das S i t z u n g s p r o t o k o l l , in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P.
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4.1.2 Die Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an den Volksschulen vom Dezember 1936: Diskussionsverlauf und Analyse Das Protokoll der ersten, der Juni-Tagung 1936 der Kammer für evangelische Erziehungsarbeit enthält den entscheidenden Hinweis auf die Entstehung und den Diskussionsverlauf der Richtlinien für den Religionsunterricht an den Volksschulen, die der Reichskirchenausschuß am 21. Dezember 1936 an das Reichserziehungsministerium übergeben hat. Die Richtlinienfrage hatte im Mittelpunkt des zweiten Tages der Zusammenkunft gestanden. Das Protokoll hält den Verlauf der Diskussion wie folgt fest: "Am 2. Tag der Konferenz wird der Kammer der bisher vorliegende Entwurf neuer Richtlinien vorgelegt. Die Richtlinien sind zunächst von Professor Bohne entworfen, von einer Kommission erneut beraten und verändert, dann an einen größeren Kreis, auch nicht-theologischer Sachverständiger zur Begutachtung weitergegeben worden. Die Antworten dieses Kreises, die zum Teil aus völlig neuen Entwürfen bestehen, sind dann neuerdings mit dem alten Text verglichen und soweit es möglich schien, in ihn hineingearbeitet worden. Dieser neue Entwurf wird vorgelesen und soll am Nachmittag im kleineren Kreis eingehender und neu durchgesprochen werden. Das Ergebnis dieser Besprechung, das nach der Tagung im kleineren Kreis erarbeitet wurde, liegt als gegenwärtige Form den Richtlinien bei." 59 Aus dieser Protokollnotiz geht hervor, daß die erste Fassung der Richtlinien für die Volksschule von Gerhard Bohne* formuliert wurde. Dieser Entwurf ist mit Datum vom 21. April 1936 an einen Kreis von Mitarbeitern versandt worden und hat als erste Grundlegung die Richtlinienarbeit der folgenden Monate in entscheidender Weise bestimmt. 60 Mit dem Hinweis auf die "gegenwärtige Form" der Richtlinien benennt das Protokoll bereits eine im Bereich der Landeskirchen veröffentlichte Fassung der Richtlinien für die Volksschule. Dieser Entwurf unterscheidet sich - wie bereits der Titel "Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht" verdeutlicht - in grundlegender Weise von der Erstfassung und ist den Landeskirchen mit Datum vom 7. August 1936 zur Begutachtung übersandt worden. 61
59 S i t z u n g s p r o t o k o l l S.4, s . A n m . 7 . 6 0 V g l . A n s c h r e i b e n und Adressatenkreis, in: E Z A Berlin 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P. D e r E n t w u r f v o n B o h n e ist in den Akten E Z A Berlin 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P. und 1 / A 4 / 4 1 2 , O.P. e n t h a l t e n ( s . D o k u m e n t 9). 61 In: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 1 2 , o.P. und 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P.
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4.1 Richtliniendebatte 1936
D e r Richtlinienentwurf von Bohne entspricht in seiner theologischen und p ä d a g o g i s c h e n Diktion der u m f a s s e n d e n A u s a r b e i t u n g , die der V e r f a s s e r in seinem Buch "Evangelische Religion. G e g e n s t a n d und G e staltung" 1934 veröffentlicht hat. U n ü b e r s e h b a r beeindruckt und fasziniert von der "deutschen Revolution" und dem "beispiellosen Sieg des neuen Geistes" versucht B o h n e in dieser Schrift, die in der verbreiteten R e i h e das "Völkische Lehrgut" erschien, einen Beitrag zur N e u b e s t i m m u n g der A u f g a b e n und Inhalte des Religionsunterrichts zu leisten. Sein A u s g a n g s p u n k t ist die F r a g e der "innersten Haltung" des "religiösen Erziehers": "Erst wenn wir aus einer wirklich begründeten Haltung h e r a u s an den Religionsunterricht herangehen, kann er innerhalb der E r z i e h u n g wieder die B e d e u t u n g gewinnen, die er dem W e s e n der S a c h e nach haben muß." 6 2 Für B ö h n e s theologischen Ansatz war ursprünglich die von der dialektischen T h e o l o g i e reflektierte >neue< Wirklichkeitserfahrung b e s t i m m e n d g e w o r d e n , die das Ereignis des Ersten Weltkrieges als das prinzipielle Scheitern des selbstmächtigen, vom Geist des Idealismus g e p r ä g t e n Ind i v i d u u m s w a h r n a h m und deutete. 6 3 Für Böhnes Haltung g e g e n ü b e r dem N a t i o n a l s o z i a l i s m u s ist nun kennzeichnend, daß er diese >Wirklichk e i t s e r f a h r u n g < auf das Dritte Reich übertragen hat: "Daß die Wirklichkeit nicht im s c h ö p f e r i s c h - d e n k e n d e n Ich liegt, sondern als der f o r d e r n d e Anspruch der S t u n d e uns beg e g n e t und damit eine völlig neue G r u n d h a l t u n g unseres L e bens von uns verlangt, ist das Erste, was erkannt sein will. A u f dieser Erkenntnis ruht letztlich auch der NationalsoziaI· „64 lismus. A u s g e h e n d von einer bei Gogarten und Heidegger entlehnten S e i n s - M e taphysik gelangt Bohne zu einer Definition menschlicher Wirklichkeit, in der auch der nationalsozialistische Totalitätsanspruch v e r h a r m l o s e n d als S e i n s b e s t i m m u n g im Sinne eines "Vom-andern-her-Seins" ontologisiert w e r d e n kann:
62 Gerhard B o h n e , E v a n g e l i s c h e Religion. Gegenstand und Gestaltung, L e i p z i g 1934, Einführung (O.S.). 63 Vgl. die radikale Idealismuskritik in B ö h n e s epochalem Werk "Das Wort Gottes und der Unterricht" von 1929. Vgl. zu Bohne die Dissertationen: Sigrid von den Steinen, Pädagogik und T h e o l o g i e im Werk des R e l i g i o n s p ä d a g o g e n Gerhard Bohne, Münster 1975; Rudi Heidemann, Pädagogik, R e l i g i o n s p ä d agogik und Entscheidung. Eine historisch-systematische U n t e r s u c h u n g zur Kategorie E n t s c h e i d u n g im Werk G.Böhnes, Tübingen 1975. Zur B e d e u t u n g der Weltkriegserfahrung für die dialektischen T h e o l o g i e vgl. Fischer, Systematische T h e o l o g i e , S . 2 0 f f . 64 B o h n e , E v a n g e l i s c h e Religion, S.9.
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"Der Sinn unseres Seins, der sich vor Gott uns erschließt, ist ganz schlicht gesagt der, daß der Anspruch vom anderen Menschen her auch tatsächlich gilt, so daß wir uns im Widerspruch zu Gott befinden, wenn wir uns in Widerstand gegen den anderen - die Bibel sagt den "Nächsten" - befinden." 5 Die Gehorsamsforderung gegenüber dem "fordernden Anspruch der Wirklichkeit" sieht Bohne verkörpert in der zu "Gefolgschaft, Dienst und Opfer" rufenden Person des Führers. Damit gelangt Bohne zu einer theologisch-politisch vermittelten Wirklichkeitsbestimmung, die weniger durch "Avancen hinsichtlich des Nationalsozialismus" 66 gekennzeichnet ist; vielmehr wird die nationalsozialistische Bewegung als Ausdruck des sich in der Wirklichkeit vermittelnden Anspruchs Gottes theologisch überhöht. Folglich kann Bohne die Wirklichkeit des "neuen Deutschlands" uneingeschränkt bejahen: "Wir haben die Welt (Blut und Boden) und das Du (Volk) wieder entdeckt als fordernde Wirklichkeit und begriffen, daß wir unser Sein finden im Gehorsam gegen ihren Anspruch, so daß hier etwas deutlich wird von dem Jesus-Wort, daß die das Leben finden, die es hingeben." 67 Böhnes in der "Evangelischen Religion" formulierte theologisch-politische Grundlegung bestimmt ebenso die Konzeption seiner für die Erziehungskammer ausgearbeiteten "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht in der Volksschule". Der Richtlinienentwurf gliedert sich in Aussagen zu Aufgabe, Inhalt und Methode des Religionsunterrichts. Die Aufgabe des Faches bestimmt Bohne in der Diktion seines dialektisch-theologischen Ansatzes: "Der evangelische Religionsunterricht will das deutsche Kind zu Gott führen und ihm zu einem Leben in wahrer Gottverbundenheit helfen. Er tut das, indem er ihm die Heilsbotschaft von Jesus Christus sagt, durch den Gott uns anspricht, seinen Willen offenbart und uns aus Unrecht und Gottentfremdung zum Heil führt. Die Ehrfurcht vor der Offenbarung Gottes erfordert es, daß wir sie ohne Vorbehalte hören und sie nicht in eigenmächtiger Weise abändern." 68 Bohne will einerseits die "evangelische Verkündigung" vor Veränderungen und Verdrehungen einer "deutschen Frömmigkeit" schützen und bewahren, bestimmt aber andererseits in deutlicher Hervorhebung als 65 Ebd., S.26. 66 Sigrid von den Steinen, Pädagogik und Theologie, S.19. Als ein Mangel der Arbeit von Sigrid von den Steinen muß angemerkt werden, daß die Zeit zwischen 1933 und 1945 von der Autorin im wesentlichen übersprungen wird. 67 Bohne, Evangelische Religion, S.19. 68 Bohne, Richtlinien, S . l , s.Anm.60.
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Adressaten das "deutsche Kind". Kennzeichnend für die theologischpolitische Grundlegung des Entwurfs ist, daß bei Bohne die Wirklichkeit des "Deutschseins" zur entscheidenden Vermittlungskategorie wird: "Der deutsche und gegenwärtige Charakter des evangelischen Religionsunterrichts kommt nicht dadurch zum Ausdruck, daß die evangelische Verkündigung mit eigenen Gedanken oder Ideen vermischt oder gar durch sie abgeändert wird, sondern dadurch, daß das deutsche Kind in seinem gegenwärtigen, persönlichen und volklichen Leben in die Verantwortung vor Gott gestellt wird." 69 Weiterhin sind die Aussagen zur Aufgabe des Religionsunterrichts dadurch charakterisiert, daß Bohne zwar als Ziel des Unterrichts den "lebendigen Glauben" bestimmt, aber die Kirche als den sozialen Bezugspunkt des Glaubens ignoriert. Dadurch tritt die Bedeutung der "volklichen" Verankerung des "deutschen Kindes" noch stärker hervor, so daß der unterrichtlich zu vermittelnde "Glaube" und "neue Lebensanfang" nahezu einlinig durch die Ausrichtung des Religionsunterrichts auf die "völkische" Zielsetzung Gestalt annehmen sollen. Das dialektisch-theologische Bibelverständnis von Bohne zeigt sich vor allem in der inhaltlichen Bestimmung des Religionsunterrichts. Das Neue Testament wird "als Zeugnis von Jesus Christus" zum "Mittelpunkt und Quelle des gesamten evangelischen Religionsunterrichts" erklärt, wobei im Unterricht die Person Jesu "in ihrem neutestamentlichen Sinn" dargestellt werden soll, ohne sie "aus jugendpsychologischen oder anderen Gründen" zu "entstellen". 70 Obwohl Bohne das Alte Testament zum unaufgebbaren Bestandteil des Religionsunterrichts erklärt, wird doch schon der Ansatz durch die anschließende Warnung vor einer "falschen" unterrichtlichen Behandlung relativiert: "Da aber das Neue Testament nicht nur eine Erfüllung des göttlichen Geschehens, sondern zugleich eine Überwindung der alttestamentlichen Frömmigkeit bedeutet, hat der Unterricht sorgfältig darauf zu achten, daß die Behandlung des Alten Testaments nicht zu falscher Frömmigkeit erzieht. Er wird deshalb überall, wo es nötig ist, zu neutestamentlicher Frömmigkeit weiterweisen und den Abstand des Alten Testaments herausstellen." 7 1
69 Ebd. 70 Vgl. ebd., S . l f . Vgl. Gerhard Bohne, D i e religiöse Entwicklung der Jugend in der Reifezeit. Auf Grund biographischer Zeugnisse, Leipzig 1922. 71 Ebd., S.2. In Anlehnung an den Lehrplan-Vorschlag in seiner Schrift "Evangelische Religion" (vgl. S.74) formuliert Bohne zum Alten Testament: "Das Alte Testament hat seinen Sinn und seine Bedeutung v o m Neuen her. Es ist nicht als die Geschichte eines vorderasiatischen Volkes oder als Beispiel einer
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Zur Behandlung der Geschichte der Kirche und des Katechismusunterrichts fordert Böhnes theologisch-pädagogischer Ansatz beim "lebendigen", auf Glaube und Entwicklungsstand des Kindes orientierten Religionsunterricht, daß der Unterricht "nur die Stücke heraus(greifen) (dürfe, F.K.), die dem Volksschulkind lebendig zu machen sind", daß es also mehr um die "Wirksamkeit des Evangeliums", weniger um die Bedeutsamkeit von "Einzelpersönlichkeiten" gehe. 72 Die Aufgabe des Lehrers wird von Bohne wesentlich als "Helfer und Erzieher" bestimmt, der den Schülern eine altersgemäße Anleitung "zum verantwortlichen Hinhören auf das Wort der Bibel" 73 eröffnen soll. In einer Schlußbemerkung faßt Bohne das Grundanliegen des Religionsunterrichts in der vom Nationalsozialismus bestimmten "deutschen Schule" zusammen: "In dieser Ausrichtung wird der evangelische Religionsunterricht notwendig zur Grundlage einer christlich-deutschen Erziehung, die darauf ausgerichtet ist, Menschen heranzubilden, die in verantwortlicher Bindung an Gott ein Leben des Dienstes am Volk leben." 74 Diese Formulierung kennzeichnet überaus prägnant das Grundkonzept des Richtlinienentwurfs von Bohne: Einerseits soll die biblische Botschaft in Abgrenzung zu Ansätzen einer "deutschen Frömmigkeit" "unverfälscht" in den Mittelpunkt des Religionsunterrichts gestellt werden. Andererseits ist der Ansatz von Bohne durch ein theologisch-politisches Wirklichkeitsverständnis geprägt, in welchem das "Deutschsein" zur zentralen Vermittlungskategorie erhoben wird. Die Folge ist eine Öffnung des Bohneschen Konzepts von Religionsunterricht für Postulate der nationalsozialistischen Erziehung; aber deren Anspruch auf das "deutsche Kind" soll nun dialektisch-theologisch mit dem "Anspruch" des Wortes Gottes vermittelt werden. Bohne hat damit in den ersten Jahren nach der Machtergreifung seinen ursprünglich ideologiekritischen Ansatz, der die Erkenntnis der grundsätzlichen Spannung zwischen Kultur und Religion zum Ausgangspunkt einer religionspädagogischen Neubesinnung gemacht hatte, der scheinbaren Übermacht und den Ansprüchen eines "neuen Geistes" geopfert. r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e n E n t w i c k l u n g aus fremder Volksart oder gar als S a m m l u n g r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e r Vorbilder zu b e h a n d e l n . E s ist v i e l m e h r das p r o p h e t i s c h e Z e u g n i s v o m Handeln Gottes an den M e n s c h e n , das in Jesus Christus s e i n e n Abschluß findet und Gott als den Schöpfer und Herrn der Ges c h i c h t e zeigt." ( R i c h t l i n i e n , S.2, s . A n m . 6 0 ) . 72 Ebd., S.3. Für die B e h a n d l u n g der Reformation f o l g t aus dieser A k z e n t v e r s c h i e b u n g : "Es muß deutlich werden, daß die R e f o r m a t i o n nicht e i n v o n i h m (Luther, F . K . ) g e w o l l t e s , sondern v o n Gott durch ihn g e w i r k t e s G e s c h e h e n ist, d e m die innere Haltung des g a n z e n V o l k e s e n t g e g e n k a m " (ebd.). 73 Ebd., S.4. 74 Ebd., S.5.
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Aus dem Protokoll der Erziehungskammer geht hervor, daß der von Bohne stammende Richtlinienentwurf zunächst durch eine Kommission überarbeitet und dann einem "größeren Kreis" von Mitarbeitern zur Begutachtung vorgelegt wurde. Die überarbeitete Fassung des Bohne-Entwurfs liegt als zweite Fassung der Richtlinien für die Volksschule vor; sie wurde Anfang Mai 1936 einem ausgewählten Adressatenkreis zur Begutachtung versandt. 7 5 Dieser zweite Entwurf orientiert sich zwar in Anlage und wesentlichen Formulierungen an der von Bohne verfaßten Vorlage. Jedoch werden an entscheidenden Stellen Umformulierungen und Ergänzungen vorgenommen, die den Entwurf als Ganzes neu akzentuieren und auch die Verhältnisbestimmung des Religionsunterrichts zur nationalsozialistischen Erziehung auf eine veränderte Grundlage stellen. Die gegenüber dem Entwurf Böhnes veränderte Grundbestimmung des Religionsunterrichts ist besonders an den Formulierungen zur Aufgabe des Faches ablesbar: So wird unter Streichung jeglichen >völkischen< Beiklanges die alleinige Orientierung des Religionsunterrichts am "Evangelium" hervorgehoben und die daraus abgeleitete Verkündigungsaufgabe in ihrer Verankerung und Hinführung zur Kirche als zusätzliche Begründung eingefügt. Als Aufgabe des Religionsunterrichts wird nunmehr formuliert: "Der evangelische Religionsunterricht hat die Aufgabe, dem Kinde das Evangelium von Jesus Christus zu sagen. (...) In solchem Unterricht weiß sich der Lehrer innerlich gebunden an die Verkündigung der Kirche, deren Glied er ist und in die die Kinder hineinwachsen sollen." 76 Die Folgerungen aus der veränderten Aufgabenbestimmung des Religionsunterrichts spiegeln insbesondere die Teile des Entwurfs wider, in denen die strittige Frage des Alten Testaments und die Frage des kirchengeschichtlichen Zuganges ausformuliert werden. Insbesondere die Aussagen zum Alten Testament der Bohneschen Erstfassung wurden erheblich überarbeitet. In der Neufassung werden nunmehr die heilsgeschichtliche Bedeutung des Alten Testaments als "Vorbereitung" des "Kommen Jesu Christi" stärker hervorgehoben und die Aussagen von Bohne hinsichtlich des "Abstandes" zwischen neu- und alttestamentlicher "Frömmigkeit" wesentlich >entschärftSynthesen-Ansatzes< heißt es: "Er (der RU, F.K.) wird dabei freilich herauszustellen haben, daß wir in ihr bei aller Ahnung von Gottes Walten nicht die Selbsterschließung Gottes haben, die uns Wegweisung für das Leben und das Heil ist" (Richtlinien (2.Fassung), S.5, s.Anm.75). Die Tendenz einer deutschchristlichen >Entschärfung< zeigen auch die Aussagen über die Bedeutung der Reformation für den kirchengeschichtlichen Unterricht. Während Bohne zwar die Bedeutung des Handelns Gottes in der Reformation betont, dem aber "die innere Haltung des ganzen Volkes" gegenüberstellt, die diesem Ereignis "entgegenkam", wird in der überarbeiteten Fassung die durch die Reformation herbeigeführte "neue Wendung" in der "Geschichte unseres Volkes" betont. Der Passus lautet nunmehr: "Es muß deutlich werden, daß die Reformation nicht ein von ihm (Luther, F.K.) gewolltes, sondern ein von Gott durch ihn gewirktes Geschehen ist, das der Geschichte unseres Volkes eine neue Wendung gegeben hat" (ebd.). 79 Ebd., S.9.
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genständigen Beitrag des Religionsunterrichts "wirksam" mitgetragen werden soll. Wenngleich aus den Akten nicht hervorgeht, wer in Zusammenarbeit mit Ellwein für die Überarbeitung der Bohneschen Erstfassung verantwortlich war, so darf doch aufgrund der theologisch-didaktischen Akzentsetzung mit einiger Sicherheit angenommen werden, daß die betreffende Person aus den sogenannten >intakten< Landeskirchen, vermutlich aus der Hannoverschen Landeskirche, stammte, zumal Ellwein schon aus kirchenpolitischen Erfordernissen das Gespräch mit diesen Kirchen nie hat abbrechen lassen. Die von Ellwein bestellten Gutachten zur zweiten Fassung der Richtlinien verdeutlichen die Unterschiedlichkeit der sich als kirchliche >Mitte< verstehenden theologischen und pädagogisch-didaktischen Grundhaltungen. Sichtbar wird aber auch das taktische Geschick von Ellwein, dem es augenscheinlich gelungen war, verschiedene Positionen moderierend in einen Arbeitszusammenhang einzubinden. Insbesondere die Gutachten von Helmuth Kittel*, Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung in Danzig, und Erwin Wißmann*, Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung in Darmstadt, verdeutlichen die bestehenden Differenzen. Wißmann hat mit Schreiben vom 10. Mai 1936 die überarbeitete Fassung der Richtlinien als eine "bedenkliche Verschlechterung der 1. Fassung" bezeichnet und eine Reihe von Abänderungsvorschlägen beigesteuert. Seine Kritik gipfelt in dem Vorwurf: "Hier wird j a viel mehr als in der 1. Fassung gerade nur theologisch-dialektisch gesprochen, und man hat den Eindruck, daß irgend ein extremer Theologe der BK. die erste Fassung überarbeitet hat. (...) Es ist mir unbegreiflich, daß nun in der 2. Fassung der Blick auf Volksschullehrer (!) offenbar ganz verloren wurde. Man spricht nun wie in einem rein dialektisch ausgerichteten Theologenkreis, nicht aber zu Laien, die mit vielem gar nichts anzufangen vermögen." 80 Im Gegensatz dazu steht die Stellungnahme von Helmuth Kittel, der dem Entwurf nur wenige Randbemerkungen beigefügt hat, in denen er, entgegen der Stellungnahme Wißmanns, die Eindeutigkeit der gewählten offenbarungstheologischen Sprache betont. Kittel kommentiert in seinem Schreiben an Ellwein den Verlauf der Richtliniendiskussion mit der Bemerkung: "Alle bisher vorliegenden Entwürfe sind irgendwie gläubig infiziert. Es wäre beinahe zu schön um wahr zu sein, wenn alle Dozenten der H f L (Hochschulen für Lehrerbildung, F.K.) hier geschlossenen Dienst leisteten." 81 80 In: EZA Berlin 1/A4/430, O.P. 81 Handschriftlicher Brief an Ellwein vom 8.5.36, in: EZA Berlin 1/A4/430, O.P.
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Auch wenn sich Kittel mit Blick auf seine damalige schwierige Position als >Auslandsdeutscher< in Danzig nicht formell an der von Ellwein initiierten Richtliniendiskussion beteiligen durfte, haben seine in Zusammenarbeit mit dem NSLB Gau Danzig und mit Billigung der Danziger Kirche unter dem Titel "Schule unter dem Evangelium" veröffentlichten "Richtlinien" aus dem Vorjahre 8 2 den Verlauf der reichskirchlichen Richtlinienarbeit maßgeblich beeinflußt. Dieser Tatbestand wird bereits in dem Referentenbericht der Kirchenkanzlei zu den eingegangenen Gutachten deutlich. Unter der Überschrift "Zu den Berichten über die Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht" werden hier die verschiedenen Stellungnahmen ausgewertet und die strittigen Diskussionspunkte benannt. Als die zentrale Anfrage an den vorliegenden Entwurf wird unter ausdrücklichem Hinweis auf den "von Helmuth Kittel beigelegten Vortrag über die neuen Richtlinien der evangelischen Volksschulen in Danzig" die Frage nach "eine(r) viel stärkere(n) Betonung einer evangelischen Gesamterziehung gegenüber dem blossen Religionsunterricht" gestellt und angefragt, ob die "Beschränkung" des Entwurfs auf den Religionsunterricht der Volksschule "möglich und richtig ist". 83 Die Brisanz dieser kritischen Anfrage besteht darin, daß mit der "Betonung einer evangelischen Gesamterziehung" unweigerlich die immer schwieriger zu gestaltende Frage der Verhältnisbestimmung von "religiöser" und "nationalpolitischer" Erziehung beantwortet werden mußte. Daß sich die religiöse Erziehung nicht nur auf den schulischen Religionsunterricht beschränken ließ, wird in der zweiten Fassung der Richtlinien zwar kaum ausformuliert, aber bereits im Ansatz durch die ausdrückliche Ausrichtung des Religionsunterrichts auf das "Leben der Kirche" angesprochen. Vor den Folgen einer Begrenzung der evangelischen Erziehung auf den Religionsunterricht wird in dem Referentenbericht wie folgt gewarnt: "Bei einer starken Betonung eines auch in der Schule vom Geist des Nationalsozialismus erfüllten und gestalteten Lebens würde die Beschränkung der evangelischen Erziehung auf den Unterricht (zumal wenn die Bedeutung dieses Unterrichts für die nationalpolitische Erziehung nicht entschieden betont oder klar abgegrenzt wird) leicht dazu führen, daß der Religionsun82 Veröffentlicht in: Deutsche Theologie, 2.Jg. 1935, H.4/5, S.140ff. Vgl. zu Kittels Verhältnis zum Nationalsozialismus: Folkert Rickers, "Zwischen den Stühlen". Helmuth Kittels Beziehungen zum Nationalsozialismus, in: Klaus Ebert (Hg.), Alltagswelt und Ethik. Beiträge zu einem sozialethischen Problemfeld, Wuppertal 1988, S.197ff. 83 In: EZA Berlin 1/A4/430, O.P. Aus dem Aktenvermerk gewinnt man den Eindruck, als ob Ellwein erst im Juni 1936 die Danziger Richtlinienarbeit von Kittel zur Kenntnis genommmen habe und nun eilfertig versuche, den Ertrag für seine Richtlinienarbeit zu nutzen.
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terricht w i e ein Fremdkörper neben einem von einheitlichem Geist gestalteten Schulleben steht." 84 Insofern wird in Anlehnung an das Kitteische Konzept einer "Schule unter dem Evangelium", d.h. eines Konzepts, das den Geltungsbereich des E v a n g e l i u m s nicht nur für den Religionsunterricht, sondern für die Schule und die Jugenderziehung als Ganze geltend macht, die Frage gestellt, ob die Beschränkung auf "Richtlinien" sich aufrecht erhalten läßt, "oder ob es nicht v o n vornherein heißen müßte: Evangelische Erziehung und Unterricht in der Volksschule." 8 5 D i e s e Ü b e r l e g u n g e n wurden in einem nunmehr bereits vierten Entwurf u m g e s e t z t , den man - w i e aus dem Protokoll hervorgeht - nach der JuniTagung der Erziehungskammer unter der Leitung von Ellwein "im kleineren Kreis" erarbeitete und in dessen Überschrift "Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht" der N e u a n s a t z programmatisch anklingt. 8 6 D i e s e r Entwurf lehnt sich in seinem Aufbau - Ellwein spricht von einem neuen "Rahmen" - und darin, was die Verfasser unter "evangelischer Erziehung" verstehen, in starkem M a ß e an die Kitteische Vorlage "Schule unter dem Evangelium" an. D e r Entwurf ist in Übernahme der von Kittel als "Grundelemente evangelischer Verkündigung" bestimmten Merkmale "Andacht", "Lehre" und "Tat" gegliedert, die nach einer Vorbemerkung unter den Überschriften "Feier", "Religionsunterricht" und "Tat" entfaltet und durch den Abschnitt "Das Amt des evangelischen Religionslehrers" ergänzt werden. 8 7 84 Zu den Berichten über die Richtlinien, S.2, s.Anm.83. 85 Ebd., S.3. 86 In: EZA Berlin 1/A4/430, O.P. (s.Dokument 10). Als Zwischenschritt zu dieser Neufassung findet sich in den Akten eine überarbeitete Fassung des zweiten Entwurfs, den Ellwein Ende Juni an Otto Güldenberg (1891-1975), Professor an der Hochschule für Lehrerbildung in Hirschberg, versandt hatte. Mit Anschreiben vom 1. Juli hat Güldenberg diesen Entwurf, versehen mit einer Reihe von im wesentlichen stilistischen Einzelvorschlägen, an Ellwein zurückgeschickt. Aus dem Anschreiben läßt sich entnehmen, daß Ellwein Güldenberg hinsichtlich der Übernahme des Kitteischen "Rahmens" befragt hat. Die Antwort von Güldenberg lautet: "Den 'Rahmen' Kittels zu übernehmen, scheint mir erwägenswert. Nur genügt in der Einleitung m.E. nicht der Hinweis auf Feiern. Hier müßte doch wohl ein klares Wort gesagt werden über die innere Bindung des RU und des Rei.-Lehrers an die Verkündigung der Kirche." In: EZA Berlin 1/A4/430, O.P. In der Anlage befinden sich die von Ellwein übersandten "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht in der Volksschule", markiert mit den Randbemerkungen von Güldenberg. 87 Bei Kittel heißt es: "Verkündigung geschieht also nur dort richtig, wo diese drei Sachen in einer Lebenseinheit da sind, d.h. Grundelemente evangelischer Verkündigung sind: Feier, Lehre, Tat." (Schule unter dem Evangelium, S. 141, s.Anm.82). In der Vorbemerkung des Richtlinienentwurfs lautet die Formulierung: "Christliche Erziehung geschieht nur dort richtig, wo diese drei Grundformen evangelischen Lebens miteinander verbunden werden: Andacht,
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In der Vorbemerkung wird einleitend die religiöse Erziehung im Verhältnis zum "Erziehungswillen" des NS-Staates bestimmt: "Der nationalsozialistische Staat hat sein Wesen darin, daß er Autorität und Macht in den Dienst der in und am deutschen Volkstum waltenden schöpferischen Lebenskräfte stellt. Die deutsche Schule will schon die Jugend unseres Volkes weltanschaulich und politisch zu einheitlicher Haltung und gemeinsamem Wollen zusammenfassen. Dieser Erziehungswille schließt die Verwirklichung religiöser Erziehung in der Schule mit ihrer entscheidenden Bedeutung für das Gesamtverhalten des Menschen auch in Volk und Staat als wesentliche Hilfe für das Gelingen dieser Aufgabe ein." 88 Der NS-Staat wird also in seiner >völkischen< Aufgabe begriffen und gedeutet; der daraus abgeleitete weltanschaulich-politische "Erziehungswille" im Raum der Schule steht nicht in Konkurrenz oder Gegnerschaft zur religiösen Erziehung. Diese kann sich daher in die vom Nationalsozialismus bestimmte Schule einfügen und ihren Beitrag zum "Gelingen" dieser Aufgabe leisten. Die Formulierungen zum Wesen der "evangelischen Erziehung" lehnen sich wiederum an die Kitteische Vorlage an: "Evangelische Erziehung ist eine Erziehung aus der Kraft des Evangeliums heraus, die die Erkenntnis über Gott, Welt, Mensch, wie sie sich in Jesus Christus erschließen, in ihrer Arbeit entschlossen zur Geltung bringt. Evangelische Erziehung in der Schule bedeutet also ein Doppeltes: Verkündigung dieses Evangeliums und seine Auswirkung in der Gestaltung des Schullebens." 89 Es mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, daß Ellwein seine Ausarbeitungen zum Aufgaben- und Inhaltsfeld des Religionsunterrichts in einer überraschenden Erweiterung der Vorlagen nunmehr unter Leitlinien setzt, von denen der Verfasser sagt, er habe "versucht, einen theologischen - also keinen theoretischen - Entwurf aus einem Guß zu geben." 90 Die Erklärung dafür kann m.E. nur auf der Ebene der theologischpolitischen Grundlegung gesucht werden. Auf der Grundlage einer theoLehre, Tat" (Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht, S . l , s.Anm.86). 88 Ebd. Der erste Satz ist wortgetreu aus Kittels "Schule unter dem Evangelium" ( S . 1 4 0 f , s . A n m . 8 2 ) übernommen. 89 E v a n g e l i s c h e Erziehung und evangelischer Religionsunterricht, S.l, s . A n m . 8 6 . Bei Kittel heißt es nicht "evangelische Erziehung ist eine Erziehung aus der Kraft des Evangeliums heraus", sondern theologisch noch zugespitzter "evangelische Erziehung ist Erziehung unter dem Evangelium" (S.141). 90 Kittel, Schule unter dem Evangelium, S.141 A n m . l , s.Anm.82.
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logisch-politischen Gesamtsicht, in der die Erziehungsbereiche von NSStaat und Kirche scheinbar eindeutig abgegrenzt werden können, vermag die religiöse Erziehung wieder ganz >von der Kirche her< begründet zu werden. Dabei entsteht der schulpolitisch gewiß damals nicht ungünstige Eindruck, daß von der kirchlichen >Mitte< die religiöse Erziehung um so >eindeutiger< und >richtiger< theologisch-kirchlich abgeleitet werden kann, je mehr die weltanschaulich-politische Erziehung des NS-Staates zwar als Rahmen bejaht, nicht so sehr jedoch deren womöglich theologisch >unrichtige< Vermittlung mit der religiösen Erziehung gesucht wird. Die Problematik, ja vielleicht die Aporie dieses Ansatzes besteht m.E. darin, daß einerseits die religiöse Erziehung immer noch als notwendige Grundlage für das "Gelingen" des "Erziehungswillens" des NS-Staates behauptet, daß sie aber andererseits faktisch aus dem nationalsozialistischen Begründungsrahmen der Schule durch den theologischdidaktischen Verweis auf die Kirche herausgenommen wird. Mit dieser theologisch-didaktischen >Zwei-Reiche-Pädagogik< konnte die kirchliche >Mitte< um Ellwein allerdings erst einmal ein wenngleich unausgesprochenes - Ziel erreichen, nämlich die Vermeidung einer ausdrücklichen theologisch-politischen Auseinandersetzung mit dem Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Erziehungsidee. Die überarbeitete Fassung des zweiten Entwurfs der "Richtlinien für die Volksschule" bildet unter der Überschrift "Religionsunterricht" den Hauptteil der Ausarbeitung "Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht". 9 1 Diese vierte Fassung der "Richtlinien" unterscheidet sich in ihrer dialektisch-theologischen Diktion wenig von dem zweiten Entwurf. Vielmehr wird in der Aufgabenbestimmung die Tendenz, in einer Sprache >zeitloser Verkirchlichung< zu reden, eher verstärkt. In der Aufgabenbestimmung heißt es nunmehr zur "innerlichen Bindung" des Religionslehrers: "Der evangelische Religionslehrer weiß, daß die Verantwortung vor Gott das Gewissen weckt und schärft und zur unbedingten Hingabe an die Brüder ruft, und daß die gemeinsame Erfahrung von Schuld und Vergebung zu nüchternem, unermüdlichem Lebenseinsatz fähig macht." 92 Bohne hat in seinem Gutachten zum Entwurf insbesondere die Sprache kritisiert. So kommentiert er die Wendung "Hingabe an die Brüder" als Beispiel für Formulierungen aus der "theologischen Mottenkiste", die bei Menschen mit einer "neuen deutschen Haltung" nur Anstoß erregen 91 Vgl. Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht, S.2ff, s . A n m . 8 6 . In diese Fassung sind zugleich die Vorschläge von Güldenberg (vgl. Anm. 86) eingearbeitet worden. 92 Ebd., S.2. D i e s e Formulierungen entstammen fast wörtlich aus der "Resolution Tiling", die von einer der beiden Kommissionen auf der Tagung der Erziehungskammmer ausgearbeitet wurde (vgl. Kap.4.1, Anm.29).
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können. Er schlägt daher vor, daß Schafft den Entwurf noch einmal "sprachlich einheitlich durchformen" soll. 93 Die Bedeutung des nunmehr vierten Richtlinienentwurfs besteht darin, daß mit diesem Entwurf ein erster Zwischenstand in der Debatte um die Erstellung der Reichsrichtlinien erreicht ist. Ellwein hat mit Datum vom 7. August den Landeskirchen das vorliegende Material, und zwar sowohl mit dem Kitteischen "Rahmen" unter dem Titel "Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht" als auch ohne "Rahmen" als "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht der Volksschule" zur "vertraulichen" Begutachtung zugesandt. 9 4 Für die vorgesehene Beschlußfassung durch den Reichskirchenausschuß waren dabei die Stellungnahmen der >intakten< Landeskirchen von besonderer Bedeutung. Unter dem 15. August hat der Evangelische Oberkirchenrat in Stuttgart seine Stellungnahme abgegeben. In dem von Bischof Wurm gezeichneten Schreiben werden die Richtlinien uneingeschränkt begrüßt: "Wir können diesem Entwurf gerne unsere Zustimmung erteilen, vertritt er doch das Anliegen kirchlicher, evangelischer Jugendunterweisung innerhalb der nationalsozialistischen deutschen Schule in klarer und bestimmter Weise." 93 Ebenfalls zustimmend erklärte sich das Landeskirchenamt der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers zu den Entwürfen. Allerdings wird vorsichtige Kritik an der Einbettung des Religionsunterrichts in die "nationalpolitische" Erziehung angemeldet, wenn es heißt: "Es kann manchmal scheinen, als ob der Religionsunterricht zu sehr unter dem Gesichtspunkt betrachtet würde, welche Bedeutung er für den Aufbau des Staats- und Volkslebens hat." 96 Im krassen Gegensatz zu diesen zustimmenden Erklärungen steht das von Bischof Meiser unterzeichnete Gutachten des Ev.-Luth. Landeskirchenrates in München. In dem Schreiben vom 31. August werden die
93 H a n d s c h r i f t l i c h e s Schreiben an E l l w e i n v o m 5 . 7 . 3 6 , in: E Z A Berlin 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P. 94 A u f der Sitzung der Referenten für Schulfragen der Landeskirchen und K o n s i storien am 17.6.36 hatte E l l w e i n zugesichert, daß der R i c h t l i n i e n e n t w u r f für die V o l k s s c h u l e , der "bisher o f f i z i e l l nicht an den R e i c h s k i r c h e n a u s s c h u ß g e langt (ist)", den Landeskirchen zur Stellungnahme vor einer Übergabe an das R e i c h s e r z i e h u n g s m i n i s t e r i u m zugeleitet wird (Sitzungsprotokoll, S . 1 0 , in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 1 4 , O.P.). 95 In: E Z A Berlin 1 / A 4 / 4 3 0 , o.P. Der grundsätzlichen Z u s t i m m u n g f o l g e n w e n i g e A n m e r k u n g e n zum Entwurf. U.a. wird zum Abschnitt über die A u f g a b e des Religionsunterrichts ein H i n w e i s "auf die zum g o t t e s d i e n s t l i c h e n Leben der G e m e i n d e erziehende Aufgabe des Religionsunterricht" v o r g e s c h l a g e n . 96 Schreiben v o m 19.8.36, in: EZA Berlin 1 / A 4 / 4 3 0 , o.P. D a s Schreiben ist in der Akte unvollständig aufgeführt, daher kann der Verfasser nicht benannt werden.
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4.1 Richtliniendebatte 1936
"Richtlinien des Reichskirchenausschusses" in einer Radikalität kritisiert, die innerkirchlich in dieser Zeit ohne Beispiel sein dürfte. Als Maßstab der Beurteilung wird eine Vorgabe formuliert: "Die Beurteilung des Entwurfs muß dann in diesem Augenblick unter dem besonderen Gesichtspunkt erfolgen, daß sein Zweck darin besteht, die Zerstörung und Verwüstung des Religionsunterrichts durch den Mythusglauben wirksam und mit Hilfe der Autorität des staatlich eingesetzten Reichskirchenausschusses abzuwehren." 9 7 Von hier aus kommt das Gutachten zu seiner nahezu vernichtenden Ablehnung: "Faßt man diesen Zweck ins Auge, so erkennt man, daß der vorliegende Entwurf diesen nur in sehr ungenügender Weise erfüllt. Der Entwurf ist ausgesprochen einseitig orientiert an den Forderungen, die der weltanschauliche Rassenglaube an den Religionsunterricht stellt und zeigt diesem gegenüber eine beschwichtigende und apologetische Haltung. (...) Die wirklichen Entscheidungen, die heute zu treffen sind, treten nicht völlig klar heraus. Es wird nicht deutlich, daß der Religionslehrer heute eine klare Entscheidung zu treffen hat zwischen dem biblischen Evangelium und dem weltanschaulichen Synkretismus aller Schattierungen." 98 Das zusammenfassende Urteil von Meiser, "hinter dem Lehrplan steht keine eindeutig reformatorische Theologie, sondern ein überholtes liberales Denken", erscheint angesichts der Herkunft der Verfasser mehr als verwunderlich, zeigt aber, in welcher Weise die Auseinandersetzungen um das >Bekenntnis< der Kirche die Debatte um den Religionsunterricht geprägt haben. Für die in dieser Form überraschende Eindeutigkeit des Gutachtens von Meiser war gewiß von ausschlaggebender Bedeutung, daß Meiser sich nur auf die "Richtlinien für den Religionsunterricht an der Volksschule" beziehen konnte; er hatte augenscheinlich von der erweiterten Fassung "Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht", anders als die Gutachter aus Hannover und Stuttgart, keine Kenntnis erhalten. 9 9 Insofern konnte Meiser die Aussagen zum Religionsunterricht nicht von dem in Anlehnung an Kittel ausgearbeiteten Ansatz einer auf das "Leben
97 In: EZA Berlin 1/A4/430, O.P. 98 Ebd. 99 Daß Meiser den Kitteischen "Rahmen" nicht kannte, zeigt seine detaillierte Kritik am Richtlinientext. So vermißt er beispielsweise eine Aussage, daß der Lehrer "im Auftrag und in Verantwortung vor der evangelische Kirche" (ebd.) handelt, die in der erweiterten Fassung in dem Abschnitt "Das Amt des evangelischen Religionslehrers" enthalten ist.
4.1 Richtliniendebatte 1936
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der Gemeinde" orientierten "evangelischen Erziehung" her bewerten. Jedoch kommt Meisers kompromißloser Kritik das Verdienst zu, diejenigen Aussagen im Richtlinienentwurf aufgedeckt zu haben, in denen deutschchristliche Denkansätze auch nur ansatzweise erkannt werden konnten. Für den Fortgang der Richtlinienarbeit hat sich, wie im folgenden gezeigt wird, das Gutachten von Meiser als überaus bedeutsam 100
erwiesen. Auf der November-Tagung 1936 der "Kammer für evangelische Erziehungsarbeit" wurden die Richtlinien für die Volksschule einer nochmaligen Überarbeitung durch eine von Bohne geleitete Kommission unterzogen und der Beschluß gefaßt, die in Anlehnung an Kittel vorgenommene Dreiteilung des Entwurfs in Feier, Religionsunterricht und Tat wieder aufzugeben. 1 1 Mit der nun erreichten Fassung liegt das Ergebnis einer intensiven kirchlichen Debatte um die Erarbeitung neuer Richtlinien für den Religionsunterricht in der Volksschule vor. Erst seit April des Jahres war sie von Ellwein initiiert worden und hat unter seiner Leitung die schulpolitische Handlungsfähigkeit des Reichskirchenausschusses eindrucksvoll demonstriert. Daß es die auf anderen Gebieten kaum noch als Einheit handlungsfähige Deutsche Evangelische Kirche, die sogenannte Reichskirche war, welche mit den Richtlinien ihren Beitrag zur Neubestimmung des Religionsunterrichts leisten wollte, unterstreicht auch die unter dem Titel "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an der Volksschule" gewählte Form der Veröffentlichung im "Mitteilungsblatt der Deutschen Evangelischen Kirche". Zudem wird der offizielle Charakter der Veröffentlichung durch die Vorbemerkung bekräftigt:
100 V g l . d i e z u s t i m m e n d e n Gutachten der Landeskirchen mit A u s n a h m e der abl e h n e n d e n S t e l l u n g n a h m e des Ev.-Ref. Landeskirchenrates A u r i c h v o m 19.8. 3 6 , in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P. Auf der g e s o n d e r t e n S i t z u n g der S c h u l referenten der Landeskirchen Thüringen, Mecklenburg, Lübeck, B r e m e n und A n h a l t am 1 5 . 3 . 3 7 stimmten die Vertreter der d e u t s c h c h r i s t l i c h e n K i r c h e n l e i t u n g e n den R i c h t l i n i e n "im großen und ganzen" zu. Vgl. das S i t z u n g s p r o tokoll, in: E Z A B e r l i n 1 / A 4 / 4 3 0 , o.P. 101 V g l . das T a g u n g s p r o t o k o l l , S.5, in: E Z A Berlin 1 / A 4 / 4 1 2 , O.P. D e m Protokoll ist der überarbeitete Entwurf unter der Überschrift "Richtlinien für d e n e v a n g e l i s c h e n Religionsunterricht" b e i g e l e g t . D i e s e nunmehr f ü n f t e F a s s u n g der R i c h t l i n i e n unterscheidet sich kaum noch v o n der E n d f a s s u n g . D i e i m w e s e n t l i c h e n s t i l i s t i s c h e n Korrekturen, die das k i r c h l i c h - t h e o l o g i s c h e A n l i e g e n der R i c h t l i n i e n n o c h eindeutiger herausstellen, wurden auf einer Z u s a m m e n k u n f t z w i s c h e n E l l w e i n und den Schulreferenten der Lutherratskirchen a m 1 8 . 1 2 . 3 6 vereinbart. Vgl. das Schreiben v o n F l e i s c h an die d e m Lutherrat a n g e s c h l o s s e n e n K i r c h e n r e g i e r u n g e n und Bruderräte v o m 3 0 . 1 2 . 3 6 , in: L K A H a n n o v e r D 1 5 I , N r . 3 6 , O.P. D i e Ä n d e r u n g s w ü n s c h e der S c h u l r e f e r e n t e n wurd e n d e m R e i c h s k i r c h e n a u s s c h u ß o f f i z i e l l mit Schreiben v o m 1 8 . 1 2 . 3 6 m i t g e teilt. In: L K A Hannover D 1 5 I , Nr.35, O.P.
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4.1 Richtliniendebatte 1936
"Die Richtlinien wurden im Einvernehmen mit den Landeskirchen erarbeitet, in der vorliegenden Form vom Reichskirchenausschuß am 17. Dezember 1936 angenommen und am 21. Dezember 1936 dem Herrn Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung überreicht." 102 Auf der Besprechung der Schulreferenten der Landeskirchen am 26. Januar 1937 ist jedoch im Gegensatz zur Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" an dem vorliegenden Entwurf keine Kritik geübt worden, so daß zu Recht von einem "Einvernehmen" innerhalb der DEK in der Richtlinienfrage im Dezember 1936 gespochen werden kann. 103 Die endgültige Fassung der Richtlinien ist nunmehr durch die vier Abschnitte "Aufgabe", "Lehrer", "Stoff', "Methode" und "Feier" gegliedert. Diesen Abschnitten wurde die geringfügig überarbeitete Fassung der Vorbemerkung aus dem Entwurf "Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht" vorangestellt; darin ist in Anlehnung an Kittel ein Verständnis von "religiöser" bzw. "evangelischer Erziehung" entwickelt, das als "religiöse" Erziehung sich am "Erziehungswillen" der nationalsozialistisch ausgerichteten Schule orientiert und als "evangelische" Erziehung ganz von der Verkündigungsaufgabe der Kirche abgeleitet wird. 104 Daß die Kirche sich weiterhin als Erziehungsmacht in der vom Erziehungsanspruch des Nationalsozialismus geprägten Schule versteht, deren Anspruch und Auswirkung sich auf das ganze Schulleben erstrecken soll, wird durch eine Formulierung hervorgehoben, die jetzt die Vorbemerkung abschließt: "Er (der Religionsunterricht, F.K.) darf nicht nur als ein Stoffgebiet neben anderen angesehen werden, vielmehr müssen 102 Mitteilungsblatt der Deutschen Evangelischen Kirche, Jg.2, Nr.2, Berlin, den 28. Januar 1937, S . l l . D i e Richtlinien sind ebenfalls abgedruckt in: Der evangelische Religionsunterricht, H.2 und DEE 1937, H.2, S . 8 2 f f (s.Dokument 11). 103 Vgl. das Sitzungsprotokoll, in: EZA Berlin 1/A4/430, O.P. 104 In dem Zitat zur Verhältnisbestimmung der "religiösen Erziehung" zum "Erziehungswillen" des Staates (vgl. Kap.4.1, S.105) wird nur der zweite Satz noch eindeutiger formuliert. Er lautet nunmehr ohne "völkischen" Beiklang: "Dieser Erziehungswille schließt auch für den Staat die religiöse Erziehung in der Schule mit ihrer entscheidenden Bedeutung für das Gesamtverhalten des Menschen ein" (Mitteilungsblatt, S . l l , s.Anm. 102). Das Zitat z u m Wesen der "evangelischen Erziehung" (vgl. Kap.4.1, S.105) ist in seiner christologischen Verankerung ebenfalls noch eindeutiger ausformuliert worden. Es heißt nunmehr: "Evangelische Erziehung ist eine Erziehung aus der Kraft des Evangeliums heraus, die die in Jesus Christus sich erschließende Erkenntnis über Gott, Welt und Mensch in ihrer Arbeit entschlossen zur Geltung bringt. Sie bedeutet also ein Doppeltes: Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus und seine Auswirkung im Schulleben." (Ebd.)
4.1 Richtliniendebatte 1936
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auch die sonstigen Inhalte und Funktionen völkischer Gesamterziehung in organischer Verbindung mit dem Anliegen des Religionsunterrichts stehen." 105 Diese Formulierungen sollen sicherstellen, daß der Religionsunterricht auch in der nationalsozialistisch ausgerichteten Schule nicht als "Fremdkörper" existieren darf, sondern "organisch" in das Schulganze eingebunden werden soll, so daß sein spezifisches "Anliegen" auch in den anderen Fächern aufgehoben ist. Offen bleibt allerdings, ob damit lediglich ein Verbot der antichristlichen und antikirchlichen Propaganda im Raum der Schule erreicht werden sollte oder ob sich der Religionsunterricht wirklich "organisch" in das Erziehungsanliegen des NS-Staates eingliedern ließ, ohne sein eigenes "Anliegen" aufgeben zu müssen. Das Ziel, den Religionsunterricht ganz im Sinne einer von der Kirche abgeleiteten "Glaubensunterweisung" zu begründen, kennzeichnet die überarbeitete Aufgabenbestimmung des Religionsunterrichts. Der Abschnitt lautet nunmehr: "Der evangelische Religionsunterricht hat die Aufgabe, die evangelische Jugend im evangelischen Glauben zu unterweisen. Er zeigt der Jugend, daß sie in diesem Glauben das Heil findet. Er stellt die Jugend zugleich als Glied der Familie, der Gemeinde, des Volkes und des Staates in die Verantwortung vor Gott. Er weckt das Gewissen, ruft zur unbedingten Hingabe auf, schließt durch die gemeinsame Erfahrung von Schuld und Vergebung zu wirklicher Gemeinschaft zusammen und macht zu nüchternem, unermüdlichem Lebenseinsatz fähig. Der evangelische Religionslehrer gibt deshalb seinen Unterricht in der Zuversicht, daß Menschen evangelischen Glaubens auch für die Erneuerung und den Aufbau in Volk und Staat entscheidend sind. Diese fruchtbare Beziehung hat aber zur Voraussetzung, daß der Inhalt der evangelischen Verkündigung nicht willkürlich verändert oder äußerlich angeglichen wird." 106 Die Endfassung der Aufgabenbestimmung des Religionsunterrichts legt in aller Deutlichkeit den Ertrag einer monatelangen und kontroversen religionsdidaktischen Debatte dar: Zum einen wird in Fortführung der Überarbeitung der Bohneschen Erstfassung grundsätzlich jeder Anklang an >völkische< Vermittlungsansätze vermieden; Adressat ist nun die "evangelische" und nicht die "deutsche" Jugend; der Religionsunterricht wird allein auf der Grundlage von theologisch-kirchlichen Begündungs-
105 Ebd., S . l l f . 106 Ebd., S.12. Diese Formulierungen entsprechen wortgetreu dem Formulierungsvorschlag der Schulreferenten der Lutherratskirchen. Vgl. das Schreiben an den Reichskirchenausschuß vom 18.12.36, s.Anm.101.
112
4.1 Richtliniendebatte 1936
und Zielkategorien wie "Verkündigung", "Glaube" und "Heil" inhaltlich b e s t i m m t und abgeleitet. Andererseits wird aber als "Ertrag" der "evangelischen G l a u b e n s u n t e r w e i s u n g " eine theologisch-politische O r i e n t i e r u n g mit den B e g r i f f e n "Verantwortung", "Hingabe" und " L e b e n s e i n s a t z " formuliert; sie soll den funktionalen Beitrag der religiösen E r z i e h u n g z u m "Erziehungswillen" des N S - S t a a t e s im Sinne einer "fruchtbaren B e z i e h u n g " deutlich machen, ohne daß aber eine theologisch-didaktische Vermittlung dieser divergierenden Begründungsebenen erfolgt, g e s c h w e i g e daß die V o r g a b e n der weltanschaulich-politischen E r z i e h u n g des N S - S t a a t e s diskutiert werden. Die A u f g a b e n b e s t i m m u n g der "Richtlinien f ü r den evangelischen R e ligionsunterricht an der Volksschule" vom D e z e m b e r 1936 d o k u m e n t i e r t damit unter den Bedingungen nationalsozialistischer H e r r s c h a f t ein n e u e s religionsdidaktisches B e g r ü n d u n g s m o d e l l , das K o n z e p t einer "evangelischen G l a u b e n s u n t e r w e i s u n g " , dessen theologisch-politische G r u n d l e g u n g in einer theologisch-didaktischen > Z w e i - R e i c h e - P ä d a g o g i k < z u m A u s d r u c k kommt. Dieses Konzept wird in besonderer W e i s e in d e m zweiten Abschnitt zur B e d e u t u n g und Stellung des Lehrers deutlich, der in seiner Person die verschiedenen >Reiche< p ä d a g o g i s c h e n H a n d e l n s > v e r e i n i g e n < soll: "Der Volksschullehrer, der zugleich evangelischen Religionsunterricht erteilt, vereinigt in seiner Person das Anliegen der nationalsozialistischen und der evangelischen Erziehung. Als Erzieher der J u g e n d zu Volk und Staat handelt er im A u f t r a g des Staates und dient mit seiner Arbeit den w e r d e n d e n nationalsozialistischen Ordnungen des deutschen Volkes. Als evangelischer Erzieher ist er Glied der evangelischen K i r c h e und handelt im A u f t r a g der Gemeinde." 1 0 7 D a ß die z w e i f a c h e B e a u f t r a g u n g des Lehrers - seitens des N S - S t a a t e s und der G e m e i n d e - mit dem propagierten Totalitätsanspruch der N S - P a r t e i kollidieren mußte, zeigten bereits die örtlichen Konflikte um den Religionsunterricht in den Schulen. 1 0 8 Insofern war die Realisierung des kirchlichen K o n z e p t s einer "evangelischen G l a u b e n s u n t e r w e i s u n g " davon abhängig, ob sich diejenigen K r ä f t e innerhalb der NS-Partei d u r c h s e t z e n konnten, die der Kirche auf der Grundlage einer theologisch-politisch b e g r ü n d e t e n A n e r k e n n u n g des N S - S t a a t e s einen eigenständigen B e i t r a g in der Schule zubilligen wollten. Die A u s s a g e n z u m " S t o f f 1 des Religionsunterrichts sind g e k e n n z e i c h net durch die Beibehaltung der dialektisch-theologischen E l e m e n t e aus der überarbeiteten Bohneschen Erstfassung. Darin zeigt sich das B e m ü h e n , 107 Ebd. Diese Formulierungen sind fast wörtlich aus der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" (Absatz III, Punkt 6, s.Kap.4.1, A n m . 5 6 ) übernommen worden. Vgl. ebenso die Formulierungen von Doerne s.Kap.4.1, S.88. 108 Vgl. zur Lage des Religionsunterrichts K a p . l , S.9f.
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die von M e i s e r als Grundlegung angemahnte eindeutige "reformatorische Theologie" im Sinne des Luthertums zur Geltung zu bringen. S o wird ausdrücklich der Vorwurf des "liberalen" Mißverständnisses der Evangelien und der Apostelgeschichte als lediglich "Glaubenszeugnisse" korrigiert, indem der Text nun im Sinne von M e i s e r ihre B e d e u t u n g "als lebendiges Wort Gottes an uns" hervorhebt. 1 0 9 Beibehalten wird ebenfalls die heilsgeschichtliche Deutung des Alten Testaments, d e s s e n unverzichtbare Bedeutung für den Religionsunterricht, wenngleich in entlarvender Abgrenzung zum Judentum, festgeschrieben wird: "Das N e u e Testament ist nur als Erfüllung des Alten Testaments zu verstehen. Daher bleibt das Alte Testament ein unentbehrliches Stück des evangelischen Religionsunterrichts. Dabei darf nicht vergessen werden, daß das ausgewählte Volk im Sinne des N e u e n Testaments die Christenheit ist (1. Petrus 2,3)." 1 1 0 D i e harte Intervention des Meiserschen Gutachtens hat sich in der Endf a s s u n g der Richtlinien nicht nur bei den A u s s a g e n zur B e d e u t u n g der "Religion unserer Vorfahren" ausgewirkt 1 1 1 , sondern insbesondere z u einer Neuformulierung der unterrichtlichen Behandlung des ersten Glaubensartikels geführt. Meiser hatte in dem Wortlaut des Entwurfs zur "lebendigen Erfassung" des 1. Artikels - "Gott begegnet uns als S c h ö p f e r und Herr in allen Gestalten und Ordnungen des Lebens: Blut und R a s s e , Volk und Staat, Beruf und Familie haben ihren verpflichtenden Ernst und
109 Der Text lautet nunmehr: "Für die Volksschule stehen die Evangelien und die Apostelgeschichte im Vordergrund. Sie enthalten das Zeugnis der Apostel und der Urgemeinde und sind als lebendiges Wort Gottes an uns zu behandeln, das auch uns zum Glauben und zur Entscheidung aufruft" (Mitteilungsblatt, S.12, s.Anm. 102). 110 Ebd. Christliche Aneignung des Alten Testaments bei gleichzeitiger Verwerfung des Judentums ist die charakteristische Grundhaltung des Hauptstromes der zeitgenössischen Theologie. In den Richtlinien spiegelt sich dieser Tatbestand wie folgt: "Das Alte Testament verkündet uns Gott als den Schöpfer der Welt und den Herrn der Geschichte und den Richter der Völker. Es offenbart uns aber auch den gnädigen Gott, der in der besonderen Geschichte des Volkes Israel das Kommen Jesu Christi prophetisch vorbereitet hat. Im Zeugnis und Kampf der Propheten wird zugleich deutlich, was der Glaube an Gott und der Abfall von ihm in der Geschichte eines Volkes bedeutet. Der Unterricht muß besonders auf der Oberstufe auf die Eigenart der Empörung Israels gegen Gott eingehen und zeigen, daß seine selbstüberhebliche, gesetzlich-äußerliche Frömmigkeit sich in der Verwerfung Jesu vollendet und damit zugleich das Schicksal dieses Volkes entscheidet."(Ebd.) 111 So wird die Formulierung, daß der Lehrer bei der Besprechung des Kirchenjahres und der christlichen Feste auch "auf die Bedeutung der Religion unserer Väter und des frommen germanischen Brauchtums für die Form christlicher Festfeier" (Evangelische Erziehung und evangelischer Religionsunterricht, S.6, s.Anm.86) hinweisen soll, in der Endfassung ersatzlos gestrichen.
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ihre Grenzen als seine Gaben, die wir dankbar nach seinem Willen brauchen sollen" 112 - die deutschchristliche "Grundirrlehre von der doppelten Offenbarungsquelle" aufgedeckt und in eindrucksvoller Eindeutigkeit formuliert: "Eine Anerkennung gerade dieses Abschnittes würde bedeuten, daß wir die in der Barmer Erklärung verfaßten Folgerungen aus dem lutherischen Bekenntnis preiszugeben bereit sind." 1 3 Die Neuformulierung verdeutlicht den Einfluß von Meiser bei der Endredaktion der Richtlinien. Der Wortlaut der Endfassung lautet nunmehr in der Diktion des ordnungstheologischen Ansatzes des Neuluthertums: "Im ersten Artikel ist Gott nicht nur als Schöpfer unseres persönlichen, sondern auch unseres gemeinschaftlichen Lebens zu bezeugen. Volk, Staat, Familie, Stand und Beruf sind als Gottesordnung darzustellen." 114 Im letzten Abschnitt zur Bedeutung der "Feier" im Religionsunterricht wird die Einbindung der "evangelischen Glaubensunterweisung" in die Gemeinde herausgestellt und der Anspruch auf eine christliche Gestaltung des Schullebens vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um den christlichen Charakter der Schule bekräftigt: "Der Religionsunterricht wird die Kinder zu reger Teilnahme am Leben und Gottesdienst der Gemeinde anhalten. Er wird aber auch im Leben der Schulgemeinde die evangelische Feier nach Möglichkeit pflegen." 115
4.1.3 Zusammenfassung: Das Konzept der >evangelischen Glaubensunterweisung< als Antwort der DEK auf die Krise der religiösen Erziehung in der Schule im Nationalsozialismus Mit den "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an der Volksschule" vom Dezember 1936 hat der Reichskirchenausschuß einen beachtlichen und durchaus mutigen Beitrag geleistet, um die Auseinandersetzungen hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Religionsunterrichts zu befrieden, ohne doch das Fach mit Anpassungen an den herrschenden Zeitgeist eines eindeutigen theologisch-kirchlichen Profils zu berauben. Damit kommt Theodor Ellwein das unbestreitbare Verdienst zu, in einer Situation, in der die Widersprüche der nationalsozialistischen Schulpolitik aufgrund der konkurrierenden weltanschaulichen Kräfte in-
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Ebd., S.5. Schreiben vom 31.8.36, s.Anm.97. Mitteilungsblatt, S.13, s.Anm. 102. Ebd.
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nerhalb der NS-Partei immmer offener zu Tage traten, die Handlungsfähigkeit der DEK durch die organisatorische Sammlung und ergebnisorientierte Zusammenfassung der im Bereich von Kirche und Schule agierenden Entscheidungsträger kirchlicher Schulpolitik unter Beweis gestellt zu haben. Daß die Richtlinien innerhalb der evangelischen Kirche bis hin zu den >intakten< Landeskirchen breite Zustimmung erhielten, spricht für den integrativen Ansatz der Richtlinienarbeit von Ellwein; es war ihm offenbar gelungen, verschiedene durchaus profilierte theologischdidaktische Strömungen in gemeinsame Arbeit einzubinden. Obgleich gesagt werden kann, daß die Richtlinien in ihren inhaltlichen Bestimmungen zum Religionsunterricht durch den Verzicht auf eine religiös-weltanschauliche Ausrichtung im Sinne deutschchristlicher oder deutschkirchlicher Maximen gekennzeichnet sind, so heißt dies doch nicht, daß das Ellweinsche Richtlinienwerk frei von Anpassungsleistungen wäre. Zur angemessenen historisch-theologischen Würdigung muß freilich grundsätzlich beachtet werden, daß der Richtlinienvorschlag des Reichskirchenausschusses als Beitrag für die vom Nationalsozialismus bestimmte Schule gedacht war, deren weltanschaulich-politische Grundlegung von der kirchlichen >Mitte< um Ellwein nicht nur vorbehaltlos bejaht, sondern theologisch-politisch gerechtfertigt worden ist. Ellwein konnte seine eigene weltanschaulich-religiöse Grundhaltung in Rahmen eines Vortrages zum Thema "Christ und Nationalsozialist" vor der theologischen Fachschaft der Universität Gießen am 23. Januar 1936 in aller Deutlichkeit offenlegen, seine Aussagen in der Form eines p e r s ö n l i c h e n Bekenntnisses< bekräftigen; in seiner Naivität und Peinlichkeit dürfte es als treffendes Dokument für das theologisch-politische Selbstverständnis eines erheblichen Teils des damaligen deutschen Protestantismus gelten: "Ich bekenne, daß ich den Führer lieb habe und entschlossen bin, zu dem Eid zu stehen, den ich als Beamter, als Offizier und als Mitglied der Bewegung geschworen habe. Ich bekenne, 'daß Jesus Christus...sei mein Herr' (Luther), und daß ich ihn nicht verraten werde, so wahr mir Gott dazu die Kraft schenken wird. Ich bekenne, daß sich beides für mich zu einer sauberen Einheit zusammenfügt und daß ich in mir keinen Riß und keine Gespaltenheit sehe. Allerdings lehnt es der Nationalsozialist in mir ab, aus der nationalsozialistischen Weltanschauung eine Religion zu machen. Ebenso lehnt es der Christ in mir ab, das Evangelium zu einer politischen Weltanschauung umzufälschen." 1 1 Sowohl an der Denkschrift "Kirche und öffentliche Schule" als auch an den Richtlinien für die Volksschule ist deutlich geworden, daß die Ellweinsche Trennung von Weltanschauung und Religion und, daraus her116 D e r Vortrag erschien gekürzt und überarbeitet in D E E 1 9 3 6 , H.4, S. 1 3 3 f f , das Zitat findet s i c h auf S . 1 4 6 .
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geleitet, die >rechte< Unterscheidung von weltanschaulich-politischer und religiöser Erziehung als theologisch-politische Grundlegung die Ausarbeitungen der kirchlichen >Mitte< bestimmt haben. Für die Fragen von Schule und Erziehung wurde dieses Grundkonzept von Martin Doerne ausformuliert; sein Ansatz einer "christlichen Erziehung im nationalsozialistischen Staat" sollte dazu dienen, daß die religiöse Erziehung sich in den Rahmen des >gesamtvölkischen Erziehungswerkes< einfügte, ohne doch ihr eigentliches Anliegen sachfremden Ansprüchen zu opfern. Tatsächlich hat dieser Ansatz allerdings eine theologisch-didaktisch begründete >Zwei-Reiche-Pädagogik< hervorgebracht, in der sich die >Reiche< des erzieherischen Handelns von NS-Staat und Kirche nur scheinbar eindeutig voneinander abgrenzen ließen. Der mit den theologischen und didaktischen Mitteln dieses Ansatzes selbst nicht auflösbare Widerspruch besteht jedoch darin, daß zwar die religiöse Erziehung einerseits ganz von der Kirche aus als "evangelische Glaubensunterweisung" begründet, daß aber andererseits weiterhin der Anspruch erhoben wird, daß diese "evangelische Glaubensunterweisung" eine notwendige Grundlage für das Gelingen der weltanschaulich-politischen Erziehung im Sinne des NS-Staates darstellt. Ein ernsthafter Versuch zur Vermittlung dieser Begründungsebenen hätte unvermeidlich zur theologisch-didaktischen Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der nationalsozialistischen Erziehung führen müssen; zu ihr aber sah sich die kirchliche >Mitte< um Ellwein aufgrund der >gläubigen< Bejahung des Nationalsozialismus und der faktischen Anerkennung des Totalitätsanspruches der nationalsozialistischen Erziehungsidee weder genötigt noch vermutlich in der Lage. Das Resultat ist das bleibend widersprüchliche Konzept eines Religionsunterrichts, der einerseits als "evangelische Glaubensunterweisung" allein von theologisch-kirchlichen Begründungskategorien getragen wird, dem aber andererseits - trotz der propagierten Trennung der Erziehungsbereiche von NS-Staat und Kirche - als theologisch-politische Rahmung eine >politische Theologie< zugrundeliegt, deren theologischdidaktische Funktion auf die Eingliederung der religiösen Erziehung in den >Erziehungswillen< des NS-Staates abzielt. Für die Konzeptionsentwicklung der evangelischen Religionsdidaktik haben Entstehung und Diskussion der Richtlinien dazu ein bedeutsames Ergebnis gebracht, daß seit den Vorentwürfen im April 1936 bis zur Endfassung der Richtlinien für die Volksschule im Dezember 1936 der Bohnesche Ansatz vom Religionsunterricht im Rahmen und als Teil einer "christlich-deutschen Erziehung" grundlegend überarbeitet und unter den Kitteischen Prämissen "Evangelium" und "Auftrag der Kirche" für die Schule abgeändert wurde. Ohne den Gesamtertrag der Arbeit vorwegnehmen zu wollen, ist doch bereits an dieser Stelle die These zu formulieren, daß die Auswertung der Richtliniendiskussion des Jahres 1936 die gängigen Entstehungs- und
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Bewertungsschemata der später sogenannten "Evangelischen Unterweisung" grundlegend korrigiert. Die für die Zeit nach 1945 kirchlicherseits bestimmend gewordene >Kittelsche Linie< eines >von der Kirche her< formulierten religionsdidaktischen Grundkonzepts - soviel ist hier bereits zu sagen - verdankt sich nicht, wie in der religionspädagogischen Literatur immer wieder behauptet, den Erfahrungen oder Einsichten der Bekennenden Kirche oder gar diesen ausschließlich. Die entscheidenden Vorarbeiten für diesen Ansatz liegen vielmehr in der religionsdidaktischen Arbeit der DEK begründet, die sich wesentlicher Elemente der Danziger Arbeiten von Helmuth Kittel zugunsten ihres Versuchs bediente, den Angriffen der NS-Partei auf den christlichen Charakter der Schule mit dem Konzept der "evangelischen Glaubensunterweisung" als Ausdruck kirchlicher Selbstbehauptung unter den Bedingungen nationalsozialistischer Herrschaft zu begegnen.
Teil 2 4.2 Die Richtlinienarbeit der Volkskirchlichen schaft der DEK in den Jahren 1937 bis 1939
Arbeitsgemein-
4.2.1 Die Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an den höheren Schulen vom 22. Juni 1938 4.2.1.1 Entstehung und Kontext der Richtlinien Mit Datum vom 22. Juni 1938 hat die Kirchenkanzlei der DEK, gezeichnet vom Präsidenten des Ev. Oberkirchenrates Friedrich Werner 1 "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an den höheren Schulen" an das Reichserziehungsministerium übersandt, die - wie im Anschreiben ausgeführt ist - von den Sachbearbeitern für Schulfragen aller obersten Behörden der Landeskirchen "einstimmig gutgeheißen" worden waren. 2 Mit diesen Richtlinien reagierte die Kirchenkanzlei auf eine Aufforderung seitens des Reichserziehungsministeriums. Ellwein war im Rahmen einer Referentenbesprechung am 30. März 1938 beauftragt worden, einen Entwurf möglichst bis zum 11. April vorzulegen. Augenscheinlich wurde der DEK in dieser Referentenbesprechung der Erlaß neuer Richtlinien für den Religionsunterricht an höheren Schulen zum Schuljahresbeginn in Aussicht gestellt. 3 Bereits am 29. Januar 1938 hatte das Reichserziehungsministerium ein verbindliches Richtlinienwerk für alle übrigen Fächer der höheren Schule erlassen, das aber für den Religionsunterricht nur die Aussage enthielt: "Von der Veröffentlichung neuer Religionslehrpläne sehe ich ab. Für den Unterricht ist zu beachten, daß alle Stoffe ausscheiden, die geeignet sind, die Einheitlichkeit der Erziehung zu gefährden." 4
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Das Reichskirchenministerium hatte am 10.12.37 dem juristischen Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates, Friedrich Werner ( 1 8 9 7 - 1 9 5 5 ) , als Leiter der Kirchenkanzlei die Leitung der DEK übertragen. Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd.2, S. 15 Iff. Vgl. Anschreiben und Richtlinien (i.f.zit.: Richtlinien v. 2 2 . 6 . 3 8 ) , in: B A Potsdam 51.01 2371, B1.284ff und 49.01 4612, B1.453ff. Vgl. den Aktenvermerk von Ellwein vom 6.5.38, in: EZA Berlin 1/A4/434, o.P. Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule, Berlin 1938, zit. nach Abschrift, in: EZA Berlin 1/A4/429, O.P. Vgl. zum gesamten Lehrplanwerk: Harald Scholtz, Erziehung und Unterricht, S.87f.
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Damit war seitens des Reichserziehungsministeriums hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Religionsunterrichts weiterhin ein Zustand der Unsicherheit festgeschrieben mit der Folge, daß die konkrete Entscheidung, welche Stoffe die "Einheitlichkeit" der nationalsozialistischen Erziehung in Frage stellen würden, den örtlichen Schulbehörden der Länder überlassen blieb. 5 Spätestens seit September 1937 war der Kirchenkanzlei der DEK bekannt, daß die von Walter Franke verfaßten und vom Reichskirchenausschuß gebilligten "Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht an Höheren Schulen" vom Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, als "völlig indiskutabel" zurückgewiesen worden waren. 6 Dennoch wurde die Richtlinienarbeit während dieses Jahres, also nach dem Scheitern der Kirchenausschußpolitik des Reichskirchenministeriums, nicht fortgeführt. Ein handschriftlicher Vermerk des Leiters des Amtes Erziehung im Reichserziehungsministerium, Ministerialdirektor Holfelder, gibt als Grund für den Stillstand an: "Da auf Seiten der evangelischen Kirche ein Verhandlungspartner für das Reichserziehungsministerium zur Zeit nicht vorhanden ist, kann in Lehrplanangelegenheiten nichts veranlaßt werden." 7 Erst nach und aufgrund der Referentenbesprechung vom 30. März 1938 im Reichserziehungsministerium versammelte Ellwein eine Runde von "7 Schulpraktikern", die am 6. und 7. April in der Geschäftsstelle der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft tagte und in "einmütiger Zusammenarbeit" einen Richtlinienentwurf für die höheren Schulen erstellten. 8 Dieser Richtlinien- und Lehrplanentwurf wurde mit Anschreiben 5 6
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Vgl. zu den Lehrplanentscheidungen der Länder: Kap.l, S.13f. In einem Vermerk von Landeskirchenrat Bartels, Hannover, über eine Besprechung im Reichserziehungsministerium am 30.9.37 aufgrund des in Hannover ausgegebenen Lehrplans von Studienrat Pralle heißt es: "Die bereits vor etwa 2 Jahren vom Ministerium verabschiedeten neuen Richtlinien für den Religionsunterricht an höheren Schulen haben inzwischen dem Stellvertreter des Führers vorgelegen und sind von ihm als 'völlig indiskutabel' zurückgegeben worden." Abschrift in: EZA Berlin 1/A4/415, O.P. Vgl. zum Vorgang Kap.l, Anm.36; zu den Franke-Richtlinien Kap.2, 2.2. Handschriftlicher Vermerk vom 30.9.37, in: BA Potsdam 49.01 4612, B1.320. Die Lehrplankommission bestand aus den folgenden Mitgliedern: Kirchenrat Bauer (Eisenach), Prof. Eckstein (München), Prof. Fischer (Wien), Prof. Kolder (Wien), Prof. Pauls (Hirschberg), Studienrat Schlisske (Potsdam) und Studienrat Hans Stock (Dünne/Westf.). Ellwein bemerkt zur Zusammensetzung der Kommission, daß die Anwesenheit der Wiener Fischer und Kolder sich "besonders günstig" ausgewirkt hat und daß in der Kommission "alle kirchlichen Richtungen" vertreten waren. Die letztere Aussage bezieht sich in besonderer Weise auf Kirchenrat Bauer, der als Vertreter der Landeskirche in Thüringen den deutschchristlichen Flügel repräsentierte. Vgl. Aktenvermerk
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vom 13. Mai, verbunden mit der Einladung der Schulreferenten zu einer Sitzung am 25. Mai in der Kirchenkanzlei, den Landeskirchen zur Begutachtung übersandt. 9 Am 18. Juni notierte Ellwein den weiteren Verlauf der Richtliniendiskussion: Nach der Sitzung der Schulreferenten der Landeskirchen wurde der überarbeitete Entwurf am 1. Juni in Frankfurt a.M. von Kirchenrat Bauer, Oberstudiendirektor Franke und Ellwein "noch einmal gründlich durchgearbeitet". Das Ergebnis leitete man den Schulreferenten der Landeskirchen "zur Kenntnisnahme" zu und habe es mit Regierungsrat Richter vom Reichskirchenministerium "besprochen"; dieser habe es "gutgeheißen". Als Fazit konnte Ellwein festhalten: "Damit sind die Bedingungen, die das Reichserziehungsministerium gestellt hat, erfüllt und ist die Übersendung unseres Richtlinienentwurfs an das Reichserziehungsministerium möglich geworden." 10 4.2.1.2 Darstellung und Analyse der Richtlinien Der von Ellwein berufenen Lehrplankommission der "7 Schulpraktiker" lagen zwei Richtlinienentwürfe aus dem Frühjahr 1938 vor, in denen bereits unüberbrückbare Gegensätze für die Aufgaben- und Inhaltsbestimmung des Religionsunterrichts innerhalb einer gegenüber 1935/36 neuen Konstellation der DEK zutage traten. Der erste Entwurf mit dem Titel "Der Religionsunterricht an den höheren Lehranstalten" ist das Ergebnis einer Richtlinienkommission, die am 25. und 26. Februar in der Geschäftsstelle der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft getagt hatte und der neben Ellwein die Professoren Martin Rang* und Hermann Schuster sowie Magdalene von Tiling angehörten. 1 1
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v o m 6 . 5 . 3 8 und anliegenden Richtlinienentwurf (i.f.zit: Entwurf-Schulpraktiker), in: EZA Berlin 1/A4/434, O.P. D a s Anschreiben an die Landeskirchen enthält den Hinweis: "Das Reichserziehungsministerium ist bereit, einen von der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei vorzulegenden Entwurf zu genehmigen, sofern eine Übereinstimmung z w i s c h e n den beteiligten Sachbearbeitern hergestellt werden kann". In: EZA Berlin 1/A4/434, O.P. Ellwein hat den Entwurf mit Anschreiben v o m 3 . 5 . 3 8 an Regierungsrat Richter vom Reichskirchenministerium mit der Bitte um Unterstützung bei der geplanten Inkraftsetzung von Richtlinien versandt. In: B A Potsdam 51.01 2 3 7 2 1 , B1.230ff.
10 Aktenvermerk v o m 18.6.38, in: EZA Berlin 1/A4/434, O.P. 11 Vgl. den Aktenvermerk von Ellwein vom 8.4.38 und anliegenden Richtlinienentwurf (i.f.zit.: Rang-Schuster-Tiling), in: EZA Berlin 1/A4/434, O.P. (s. Dokument 12). Aus einem Schreiben des Ev. Oberkirchenrates Stuttgart v o m 15.2.38 geht hervor, daß Ellwein ursprünglich für den 24. und 25. Februar einen Arbeitskreis eingeladen hat, der sich aus den Personen Grundmann, Ites,
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D e r z w e i t e E n t w u r f - " R i c h t l i n i e n für d e n R e l i g i o n s u n t e r r i c h t in d e n d e u t s c h e n S c h u l e n " - ist v o n K i r c h e n r a t W i l h e l m B a u e r a n l ä ß l i c h d e r g e s o n d e r t e n B e s p r e c h u n g des v o n Rang, Schuster und Tiling verfaßten R i c h t l i n i e n e n t w u r f s a m 11. M ä r z v o r g e l e g t w o r d e n , d i e e b e n f a l l s in d e r G e s c h ä f t s s t e l l e d e r V o l k s k i r c h l i c h e n A r b e i t s g e m e i n s c h a f t in A n w e s e n heit v o n P r o f e s s o r Walter Grundmannn, dem wissenschaftlichen Leiter d e s E i s e n a c h e r n a t i o n a l k i r c h l i c h e n "Instituts z u r E r f o r s c h u n g d e s j ü d i schen E i n f l u s s e s auf das deutsche kirchliche Leben", stattfand.12 Mit d e m E n t w u r f R a n g - S c h u s t e r - T i l i n g liegt erstmalig ein Richtlinie n e n t w u r f v o r , d e r b e s t i m m t e n P o s i t i o n e n der B e k e n n e n d e n K i r c h e n a h e s t e h t u n d z u d e m v o n d e n S c h u l d e z e r n e n t e n der L u t h e r r a t s k i r c h e n "einmütig" gebilligt w o r d e n war.13 A n d e r e r s e i t s liegt mit dem E n t w u r f B a u e r die P o s i t i o n s b e s t i m m u n g der nationalkirchlich orientierten Thüringer D e u t s c h e n Christen vor, d e r e n A n s a t z g ä n z l i c h v o n der Ü b e r n a h m e d e s > v ö l k i s c h e n E r z i e h u n g s i d e a l s < g e p r ä g t ist, s o d a ß der R e l i g i o n s u n t e r r i c h t " w e d e r in s e i n e m I n h a l t n o c h in s e i n e r G e s t a l t u n g in G e g e n s a t z . . . z u r I d e e d e r n a tionalsozialistischen Erziehung"14 geraten konnte und sollte.
Rang, Sautter, Schuster und Tiling zusammensetzen sollte. Obwohl der Ev. Oberkirchenrat "gewisse Bedenken" gegen die Z u s a m m e n s e t z u n g der K o m mission hatte, wollte man die Teilnahme des württembergischen Schulreferenten Sautter nicht ablehnen. In: LKA Hannover D15I, Nr.37, O.P. Erst auf Intervention des Lutherrates hat die Württembergische Landeskirche a u f g r u n d der "ungeklärte(n) Struktur der sogenannten volkskirchlichen Arbeitsgem e i n s c h a f t " eine T e i l n a h m e an der Tagung abgelehnt (Schreiben des Lutherrates an Sauter vom 22.2.38, in: LKA Hannover D15I, Nr.37, O.P.). Da auch Rang, Schuster und Tiling bewogen werden sollten, an der T a g u n g nicht teilz u n e h m e n (vgl. Schreiben von Vizepräsident Fleisch an das L a n d e s k i r c h e n a m t Hannover vom 22.2.38, In: LKA Hannover D15I, Nr.37, O.P.), hat Ellwein Vertreter deutschchristlicher Landeskirchen zu einer gesonderten Besprechung am 11.3.38 eingeladen. 12 Vgl. den Aktenvermerk von Ellwein vom 8.4.38 und anliegenden Richtlinienentwurf (i.f.zit.: Richtlinien Bauer), in: EZA Berlin 1/A4/434, O.P. (s.Dokument 13). 13 Vgl. das Protokoll der Schuldezernentensitzung vom 9.3.38 (in: LKA H a n n o ver D15I, Nr.38, o.P.) und das Schreiben von Fleisch an Ellwein vom 11.3.38, in dem er Ellwein bittet, diese Richtlinien an das Reichserziehungsministerium "ungeändert weiterzureichen". In: LKA Hannover D15I, Nr.38, O.P. 14 Richtlinien Bauer, S . l , s.Anm.12. Zur Bedeutung des Alten Testaments heißt es lapidar: "Das Alte Testament ist zunächst ein Quellenbuch der israelitischj ü d i s c h e n Religions- und Volksgeschichte. Als solche geht es uns soviel und so wenig an wie irgend eine andere Religion" (S.2). Vgl. die auf diesen Richtlinien basierende Lehrplanveröffentlichung: Wilhelm Bauer, Walter G r u n d m a n n , Der Religionsunterricht in der deutschen Schule (in V e r b i n d u n g mit Richard Barth), F r a n k f u r t a.M. 1938. Wilhelm Bauer war seit 1933 Leiter des Volksdienstes der Thüringer ev. Kirche und wurde 1937 Direktor des Eisenacher Predigerseminars.
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Zu Beginn dieser letzten Phase der reichskirchlichen Richtlinienarbeit werden nochmals Funktion und Intention Ellweins deutlich, der aufgrund seiner guten Kontakte zu ministeriellen Stellen weiterhin eine Schlüsselstellung in der Bestimmung und Vorbereitung schulpolitischer Entscheidungen innehat und nunmehr versucht, im Interesse einer Übereinkunft mit dem Reichserziehungsministerium eine Art religionsdidaktischen >Burgfrieden< innerhalb der DEK zu erreichen. Auf einer Tagung der evangelischen Religionsdozenten an den Hochschulen für Lehrerbildung vom 20. bis 24. März 1938 wurde der Entwurf Bauer trotz des Einspruches von Sautter besprochen, stieß aber nicht auf allgemeine Zustimmung; beschlossen wurde, den Entwurf Rang-Schuster-Tiling noch einmal zu überarbeiten und das Ergebnis den Kirchenleitungen zur Begutachtung zuzuleiten. 15 Im Sinne dieses Beschlusses erhob die Lehrplankommission der "7 Schulpraktiker" bei ihrer Ausarbeitung des Richtlinienentwurfs am 6. und 7. April die Entwurfsvorlage Rang-Schuster-Tiling zur Grundlage, überarbeitete diese allerdings in wesentlichen Punkten konzeptionell und stilistisch. Den Aufbau der Richtlinien konzipierten die Verfasser in Anlehnung an das nationalsozialistische Richtlinienwerk "Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule". So wie dort die einzelnen Fächer nach "Ziel", "Weg" und "Stoff' bestimmt sind, werden nun auch die Aussagen zum Religionsunterricht gegliedert. Deshalb konnte Ellwein im Anschreiben an das Reichserziehungsministerium betonen: "Die Richtlinien sind unter strenger Beachtung des Neubaues der höheren Schule ausgearbeitet. Die Sinngebung der Stoffpläne der einzelnen Klassen ist möglichst im Anschluß an die Deutschkunde erfolgt." 16 "Ziel" und "Weg" des Religionsunterrichts orientieren sich im wesentlichen am Entwurf Rang-Schuster-Tiling. Als Ziel des Unterrichts wird formuliert:
15 Sautter hat als Vertreter des Lutherrates an der Tagung teilgenommen und einen ausführlichen Tagungsbericht geschrieben. In: LKA Hannover D l 5 1 , Nr.38, O.P. Im offiziellen Tagungsprotokoll heißt es lediglich, daß beide Entwürfe ohne Beschlußfassung besprochen worden seien. In: BA Potsdam 51.01 23721, B1.238ff. 16 Anschreiben vom 22.7.38, in: BA Potsdam 51.01 23721, B1.284. Als Fächer der "Deutschkunde" wurden seit der Richertschen Gymnasialreform von 1924/26 Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Kunsterziehung und Musik angesehen. Das Reichserziehungsministerium hatte den Religionsunterricht keiner Fachgruppe zugeordnet. Vgl. Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule, Berlin 1938, zit.n. Nationalsozialismus und Schule: amtliche Erlasse und Richtlinien, S.122.
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"Der evangelische Religionsunterricht will der Jugend unseres Volkes den christlichen Glauben erschließen, wie ihn die Bibel bezeugt und die Reformation versteht. Der Religionsunterricht prägt dem jungen Deutschen ein, daß er mit seinem Handeln in Volk und Staat vor Gott verantwortlich ist. Er erzieht ihn zur lebendigen Teilnahme an dem Dienst, den die evangelische Kirche dem deutschen Volke schuldet." 17 Die Aufgabenbestimmung des Religionsunterrichts ist hier zwar auf wenige zentrale Aussagen mit großer Verbindlichkeit beschränkt. Die Vorlage hatte jedoch die >Lehre< des christlichen Glaubens und den Bezug des Religionsunterrichts zur Kirche noch deutlicher akzentuiert. 18 Der konzeptionelle Ansatz des Entwurfs Rang-Schuster-Tiling ist ganz von Martin Rang 19 und seinem Verständnis des "biblischen Unterrichts" geprägt. Die Bibel, und zwar nicht nur das Neue Testament, soll den "Hauptgegenstand" des Unterrichts bilden. "Den Hauptgegenstand des Unterrichts bildet die Bibel und in ihr Person und Werk Jesu Christi." 20 In diese Formulierung ist auch das Alte Testament als unaufgebbarer Unterrichtsgegenstand einbezogen, wobei allerdings die religionsdidaktische Begründung in Anpassung an den Zeitgeist mit deutlicher Distanzierung vom Judentum erfolgt. 21 Weiterhin wird als Aufgabe fur den "biblischen Unterricht" bestimmt, den Schülern die "Grundzüge des evangelischen Glaubens" als "Glaubenslehre" zu verdeutlichen, so daß die religionsdidaktisch strittige Sonderstellung des Katechismusunter-
17 Entwurf-Schulpraktiker, S . l , s.Anm.8. 18 In der Zielbestimmung der Vorlage ist neben der Betonung, daß der "christliche Glaube zu lehren (ist)", zusätzlich noch der Satz enthalten: "Der R e l i g i onsunterricht soll die Jugend lehren, was Jesus Christus für den E i n z e l n e n und für die Völker bedeutet". Weiterhin wird in der Aufgabenbestimmung die Mitverantwortung der Schüler für "das Leben der evangelischen Kirche" betont. Vgl. Entwurf Rang-Schuster-Tiling, S . l , s.Anm. 11. 19 Vgl. Martin Rang, Biblischer Unterricht. Theoretische Grundlegung und praktische Handreichung für den Unterricht in Schule, Kirche und Familie, Berlin 1936; vgl. zu Rang Kap.5, Anm.76. 20 Entwurf Rang-Schuster-Tiling, S . l , s.Anm. 11. 21 So heißt es: "a) Das Alte Testament wird in der Schule nicht besprochen als Zeugnis jüdischer Volksart und Geschichte, vielmehr soll der Schüler daraus lernen, daß Gott der Herr der Welt und der Völker ist und daß sein Wille hinter den sittlichen Forderungen aller Gemeinschaft steht; b) ferner, w i e Gott das K o m m e n Jesu Christi durch Jahrhunderte vorbereitet hat; c) endlich, w i e das Volk Israel die Gabe Gottes als seinen menschlichen Vorzug mißverstanden hat. Der Schüler soll dadurch erkennen, wie der Mensch immer in Gefahr steht, sich vor Gott auf eigene Leistungen und Vorzüge zu verlassen" (ebd.).
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richts in einer Funktion, ja als Ergebnis des "biblischen Unterrichts" neuverstanden wird. 22 Der unter Ellweins Leitung entstandene Entwurf der Schulpraktiker hat allerdings bezeichnenderweise das Konzept eines solchen "biblischen Unterrichts" nicht übernommen, sondern den "Weg" nur in Übernahme unstrittiger methodischer Bemerkungen vornehmlich als einen neutestamentlichen und kirchengeschichtlichen Unterricht beschrieben. So finden sich darin zur unterrichtlichen Behandlung der Bibel und insbesondere zum Alten Testament lediglich die Sätze: "Das Neue Testament bildet die Grundlage und das Kernstück des evangelischen Glaubens. Es ist nicht als Quelle einer neuen Moral und Religiosität zu lehren, sondern als Zeugnis von Gottes Tat in Christus. - Das Alte Testament ist vom Neuen Testament her zu werten und auszulegen." 23 Daß das Alte Testament als eigenständiger Traditionsstoff faktisch ausgespart bleibt, belegen die thematischen Überschriften des Stoffplans. Allein in der III. und VI. Klasse wird das Alte Testament überhaupt noch als Unterrichtsgegenstand aufgeführt, nun jedoch unter den theologisch höchst zeitgemäßen Überschriften "Das Alte Testament als Zeugnis vom Ringen Gottes um das Volk Israel", "Jesu Kampf mit dem Judentum" und "Gottes vergebliches Rufen: Altes Testament"; sie sollten offenbar im Blick auf die antichristliche Propaganda der NSPartei den Trennungsstrich des christlichen Glaubens von seiner jüdischen Wurzel demonstrieren. 24 Bereits vor der Sitzung der Schulreferenten der Landeskirchen am 25. Mai äußerten sich eine Reihe von Landeskirchen zu dem mit Anschreiben vom 13. Mai versandten Richtlinienentwurf. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das Schreiben des Evangelischen Oberkirchenrates aus Stuttgart vom 18. Mai, das - gerichtet an den Rat der Evangelisch Lutherischen Kirche Deutschlands - Ellwein als Durchschrift zur Kenntnisnahme zugeleitet wurde. In diesem Schreiben wird zu dem Entwurf der "7 Schulpraktiker" bemerkt: "Es ist in dem neuen Entwurf ohne jede ersichtliche Notwendigkeit von dem durch Rang, Schuster und Tiling ausgearbeiteten und durch die Schulreferenten des Luth. Rats gut22 Unter der Überschrift "Glaubenslehre" heißt es: "Aus dem biblischen Unterricht sollen dem Schüler von der Unterstufe an die Grundzüge des evangelischen Glaubens deutlich werden. In besonderen Stunden wird diese so erarbeitete Glaubenslehre zusammenhängend besprochen und auf der Unter- und Mittelstufe in Katechismussätzen zusammengefaßt und eingeprägt" (Entwurf Rang-Schuster-Tiling, S.2, s . A n m . l l ) . 23 Entwurf-Schulpraktiker, S.2, s.Anm.8. 24 Vgl. ebd., S.3f.
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geheißenen Plan abgewichen worden, zum Teil unter merkwürdiger Verwischung und Verschlechterung nicht bloß der Stoffverteilung, sondern auch der Fassung." 2 Daher plädiert der Stuttgarter Oberkirchenrat für die Beibehaltung des ursprünglichen Entwurfs und fordert, daß auf der Sitzung der Schulreferenten am 25. Mai die Verfasser Rang, Schuster und Tiling als Sachverständige zur Beratung hinzugezogen werden. 26 Aus gänzlich entgegengesetzter Perspektive hat sich der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche in seinem Schreiben vom 17. Mai zum Lehrplan geäußert. Neben kritischen Anmerkungen zu den Stoffplänen wird aus nationalkirchlicher Sicht die Verwendung des Begriffs "evangelische Kirche" in der Zielformulierung abgelehnt. 27 Der Bericht über die Sitzung der Schulreferenten der Landeskirchen am 25. Mai steht zu den gutachterlichen Äußerungen einzelner Landeskirchen nahezu im Widerspruch. Weder scheint der Entwurf RangSchuster-Tiling eine Rolle gespielt zu haben, noch konstatiert das Protokoll in der Diskussion einen tiefgreifenden Dissens in der Lehrplanfrage. Stattdessen soll die Tagung "unter größter Harmonie aller Beteiligten verlaufen" 28 sein. Zu vermuten ist, daß diese äußere Einigkeit nach dem Bericht Ellweins zum Stand der "Verhandlungen mit staatlichen Stellen" und zur "Lage des evangelischen Religionsunterrichts" geradezu demonstrativ herausgestellt werden mußte. Außerdem waren die Vertreter der Lutherratskirchen schon mit der Devise in die Verhandlungen eingetreten, daß angesichts dieser Lage "ein schlechter Plan immer noch besser (ist) als gar keiner" 29 . Diese scheinbare Einigkeit konnte indes nur hergestellt werden, weil - wie die Kirchenkanzlei im Anschreiben an das Reichserziehungsministerium vom 22. Juni ausdrückte - "bei den Stoffplänen...mit Absicht auf jede nä-
25 Schreiben des Ev. Oberkirchenrats in Stuttgart vom 18.5.38, in: EZA Berlin 1/A4/434, O.P. 26 Vgl. ebd. Dieser Forderung hat sich der Ev. Landeskirchenrat in Karlsruhe in seinem kritischen Schreiben zum Richtlinienentwurf an die Kirchenkanzlei vom 2 3 . 5 . 3 8 angeschlossen. In: EZA Berlin 1/A4/434, O.P. Ebenfalls ablehnend äußerte sich der Ev. Luth. Landeskirchenrat in München in seinem Schreiben v o m 19.5.38 an die Kirchenkanzlei. In dem Schreiben werden die "etwas dürftigen" Zielformulierungen und insbesondere die Fassung der Stoffpläne einer eingehenden Kritik unterzogen. In: EZA Berlin 1/A4/434, o.P. 27 In: EZA Berlin 1/A4/434, o.P. 28 Aus dem Schlußsatz des Tagungsberichts, in: EZA Berlin 1/A4/434, o.P. 29 D a s Protokoll der vorbereitenden Sitzung der Vertreter der Lutherratskirchen v o m 2 4 . 5 . 3 8 vermerkt trotz der Einwände gegenüber dem "Nachgeben nach der Seite der Thüringer D C hin" zum Ellweinschen Entwurf: "Auch wenn er starke Mängel hat, ist doch ein schlechter Plan immer noch besser als gar keiner." In: LKA Hannover D15I, Nr.38, o.P.
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here Anleitung verzichtet (ist), um nicht weltanschauliche, theologische und kirchenpolitische Streitfragen in sie hineinzutragen" 30 . Die Formulierungen des "Rahmenlehrplans" mußten und sollten so offen und allgemein gehalten werden, daß sie für die jeweiligen "kirchlichen Richtungen" interpretierbar und akzeptabel blieben. Dennoch haben die Schulreferenten auf ihrer Sitzung Umformulierungen gegenüber der Ellweinschen Fassung durchgesetzt, die in einigen Teilbereichen den Richtlinienentwurf im Sinne der Vorstellungen der Lutherratskirchen geöffnet haben. Diese Änderungen beziehen sich vorrangig auf die Stoffpläne für die jeweiligen Klassenstufen, während der Richtlinienteil bis auf eine Ergänzung zur unterrichtlichen Behandlung des Alten Testaments kaum überarbeitet wurde. Der Abschnitt lautet nunmehr: "Das Alte Testament ist vom Neuen Testament her zu werten und auszulegen. Bei der unterrichtlichen Behandlung ist vor allem der profetische Kampf gegen jede selbstüberhebliche, gesetzlich-äußerliche Frömmigkeit hervorzuheben. Erst von daher wird der jüdische Pharisäismus und die Verwerfung Jesu durch das jüdische Volk verständlich." 31 Die thematischen Überschriften der Stoffpläne deuten zumindest die Möglichkeit eines differenzierteren Umganges mit dem Alten Testament an, auch wenn der theologisch-prinzipielle Antijudaismus als Grundorientierung bestehen bleibt. So heißt es nunmehr für die III. Klasse "Der Glaube des Alten Testaments (Religiöse Irrwege und bleibende Wahrheiten)" und "Jesu Kampf mit dem jüdischen Pharisäismus", während für die VI. Klasse die Überschrift "Gottes vergebliches Rufen: Altes Testament" zugunsten der offeneren Formulierung "Das Wort Gottes in der Bibel" geändert wurde. 32 Die Tendenz, den Religionsunterricht weitgehend theologisch zu >entpolitisierenbekenntniskirchlich< orientierten Religionsunterrichts im September 1938 48 , spätestens mit dem Richtlinienerlaß des Reichserziehungsministeriums für die Volksschule vom 15. Dezember 1939, wo für den Religionsunterricht lediglich bestimmt wurde: "Die Herausgabe von Richtlinien für den Religionsunterricht bleibt vorbehalten." 49 Das Reichskirchenministerium hat in der Folgezeit auf weitere Vorstöße in der Richtlinienfrage verzichtet. Wie in einem Vermerk vom Dezember 1939 notiert wurde, war eine Veränderung der Lage des Religionsunterrichts "während des gegenwärtigen Krieges" nicht mehr zu erwarten. 5 0
4.2.2.2 Darstellung und Analyse der Richtlinien Der am 19. Juli 1938 von der Richtlinienkommission der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft vorgelegte Entwurf für die Volksschule ist nicht nur im formalen Aufbau als Folgearbeit der zuvor erstellten Richtlinien für den Religionsunterricht an den höheren Schulen konzipiert worden. Vielmehr sind die Abschnitte "Ziel" und "Weg" des Religionsunterrichts bis auf wenige Ergänzungen wortgetreu aus der Richtlinienvorlage des Vormonats übernommen worden; der "Stoffverteilungsplan" orientiert sich an dem im Juli des Vorjahres an das Reichserziehungsministerium übersandten "Stoffverteilungsplan für den evangelischen Religionsunterricht an der deutschen Volksschule". Augenscheinlich verfolgte die von Ellwein eingesetzte Arbeitsgruppe 47 In einem handschriftlichen Vermerk vom Oktober 1939 kommentiert das Reichskirchenministerium, vermutlich Richter, die Ellweinsche Richtlinienarbeit: "Gegen diese (Ellweinschen) Richtlinien ist wohl kaum etwas einzuwenden. Sie sorgen auch für hinreichende Vertretung der nationalen Belange im Religionsunterricht, knüpfen in geschickter Weise an die Feste der Nation an und bringen aus dem Gebiet des Alten Testaments nur das wirklich Wertvolle (Amos, Jesaja, Jeremía), während die kritischen Bücher des AT, einschließlich der 'jüdischen Viehhändler- und Zuhältergeschichten' radikal ausgemerzt sind." In: BA Potsdam 51.01 2 3 7 2 1 , B1.358. 48 Vgl. K a p . l , S.17; S.19f. 49 Einführungserlaß vom 15.12.39 für die Richtlinien für die Volksschule, zit.n. Nationalsozialismus und Schule: amtliche Erlasse und Richtlinien, S.31. 50 "Während des gegenwärtigen Krieges kann die Reform der Lehrpläne für den evangelischen Religionsunterricht zurückgestellt werden. Seitens des Wissenschaftsministeriums, bei dem die von uns gebilligten Entwürfe liegen, ist eine Initiative vorläufig wohl nicht zu erwarten." In: B A Potsdam 51.01 2 3 7 2 1 , B1.347.
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Augenscheinlich verfolgte die von Ellwein eingesetzte Arbeitsgruppe ebenso wie bei den Richtlinien für die höheren Schulen das Ziel, einen aufgrund der offenen und wenig ausformulierten Ziel- und Aufgabenbestimmungen theologisch >neutralisierten< Lehrplan vorzulegen, der für Richtungskämpfe sowohl innerhalb der Kirche als auch innerhalb des NS-Staates wenig Angriffsfläche zu bieten versprach. Die Aporie dieses Ansatzes wird insbesondere bei der Beschreibung des "Weges" des Religionsunterrichts sichtbar, wenn einerseits die Bemühung um kirchliche Profilierung der inhaltlichen Aufgaben unverkennbar ist, andererseits aber auf eine unterrichtliche Verankerung des Alten Testaments, in konsequenter Weiterführung der Aussagen des Entwurfs für die höheren Schulen, zugunsten der geforderten >Einheitlichkeit< der nationalsozialistischen Erziehung verzichtet wird. In deutlicher Abkehr von den Aussagen des Entwurfs vom Dezember 1936 heißt es nunmehr zum unterrichtlichen Stellenwert des Alten Testaments: "Auf eine gesonderte, zusammenhängende Behandlung des A.T. muß die Volksschule verzichten. Zum Verständnis des N.T. nötige oder aus mancherlei Gründen in unserem Volke heimisch gewordene Abschnitte und Einzelworte sind in den übrigen Stoff einzuschalten." 51 Analog zum Richtlinienansatz für die höheren Schulen hat sich die Lehrplankommission bemüht, den Religionsunterricht an den Volksschulen ebenfalls als Fach der "Deutschkunde" in der Schule zu verankern. Sein fachübergreifender Charakter soll dadurch gesichert werden, daß die im vierten und fünften Schuljahr hervortretende "kalendarische Anordnung der Stoffe" nicht nur auf den Ablauf des Kirchenjahres beschränkt bleibt, sondern im Anschluß an die nationalsozialistische >Gedenktagspädagogik< 3 2 die "Folge der nationalen Fest- und Feiertage" einbeziehen soll. 53 51 Richtlinienentwurf v o m 19.7.38, S . l , s.Anm.38. Diese Sätze sind statt der Formulierung, daß das Alte Testament vom Neuen Testament her "zu werten" und "auszulegen" ist, zusätzlich eingefügt worden (vgl. Zitat Kap.4.2, S.137). Im Stoffverteilungsplan sind nur noch im 4. Schuljahr B e z ü g e zum Alten Testament vorgesehen. Unter den Überschriften "Gott in der Schöpfung" und "Gott im Gewissen" sollen die biblischen Schöpfungsberichte einschließlich ausgewählter Psalmen behandelt werden (vgl. Richtlinienentwurf v o m 19.7.38, S.5f, s . A n m . 3 8 ) . 52 Vgl. dazu Horst Gies, Geschichtsunterricht als deutschkundliche Weihestunde, in: Reinhard Dithmar (Hrsg.), Schule und Unterricht im Dritten Reich, S.41ff. 53 "Bei der Durchgestaltung des Rahmenlehrplans soll die Anordnung der Stoffe Rücksicht nehmen auf den Ablauf des Kirchenjahres und auf die F o l g e der nationalen Fest- und Feiertage" (Richtlinienentwurf vom 19.7.38, S.2, s.Anm. 38). In den Richtlinien v o m Dezember 1936 war von einer Stoffanordnung
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Eine innerkirchliche Diskussion des Richtlinienentwurfs der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft fand erst auf der Sitzung der Schulreferenten der Landeskirchen am 19. Januar 1939 statt. Erwartungsgemäß entzündete sich die Debatte an den Formulierungen zum Alten Testament sowie den inhaltlichen Festlegungen im Stoffverteilungsplan. Das Protokoll der Sitzung erwähnt zur Frage der unterrichtlichen Behandlung des Alten Testaments drei Anträge, die nach harter Diskussion zur Abstimmung vorgelegt wurden. Der erste Antrag verfolgte im Sinne der deutschchristlichen Landeskirchen die Linie einer weitestgehenden Entfernung alttestamentlicher Stoffe aus dem Religionsunterricht. In Anlehnung an die Vorlage hieß es dazu: "Auf eine gesonderte, zusammenhängende Behandlung des Alten Testaments muß die Volksschule verzichten. Dagegen sind Abschnitte und Einzelworte zu behandeln, die zum geschichtlichen Verständnis der prophetischen Frömmigkeit und des Neuen Testaments nötig sind und in der christlichen Frömmigkeit unseres Volkes heimisch sind. Bei ihrer unterrichtlichen Behandlung ist..." 54 Dem stellte Wieneke eine eher vermittelnde Formulierung entgegen : "Vom A.T. ist dem Kinde nur nahezubringen, was Christum treibt (Luther) und somit zum Verständnis des N.T. dient. Darum hat sich eine zusammenhängende Behandlung des A.T. auf das Äußerste zu beschränken. Abschnitte und Worte, die in unserem Volke heimisch wurden, verdienen besondere Berücksichtigung. Grundsätzlich ist bei der unterrichtlichen Behandlung der prophetische Kampf..." 55
tierung am Kirchenjahr und an der gottesdienstlichen Feier der Gemeinde wird als Aufgabe des Religionsunterrichts betont. D a g e g e n sieht der "Stoffverteilungsplan" vom Juli 1937 für das vierte Schuljahr unter der Überschrift "Das Jahr des Volkes" die Orientierung des Unterrichts nicht nur an den "Festzeiten der Kirche", sondern ebenso an den "Gedenktage(n) und Feiern des Volkes" (Stoffverteilungsplan, S.4, s.Kap.4.1, Anm.5) vor. D i e Richtlinienkommission der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft hat dann diesen A s pekt noch stärker hervorgehoben, indem die kirchlichen Feste und die "Gedenktage des Volkes" - angefangen beim "Geburtstag des Führers" bis zum "Heldengedenktag" - nunmehr in der vierten und in einem weiteren Durchgang in der fünften Klasse behandelt werden sollen (vgl. Richtlinienentwurf v o m 19.7.38, S.5ff, s.Anm.38). 54 Protokoll der Schulreferententagung, S.3, s.Anm.39. 55 Ebd.
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Als dritter Vorschlag wurde von den Schulreferenten der Lutherratskirchen die Formulierungen des Richtlinienentwurfs vom Dezember 1936 zum Alten Testament eingebracht. 56 Die Abstimmung ergab eine Mehrheit für den Formulierungsvorschlag von Wieneke, wobei aber das Protokoll ausdrücklich festhält, daß "die Vertreter der mecklenburgischen, thüringischen und sächsischen Kirche...ihre abweichende Stellungnahme dabei zum Ausdruck (brachten)" und seitens des Vertreters aus Mecklenburg bekräftigt wurde, daß "es innerhalb des Gebietes seiner Landeskirche eine zusammenhängende Behandlung des A.T. nicht gäbe" 57 . Damit bringt das Sitzungsprotokoll der Schulreferenten der Landeskirchen eindeutig zum Ausdruck, daß sie sich in einer Kernfrage der Inhaltsbestimmung des Religionsunterrichts nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten. Somit war auch das letzte Ziel der Ellweinschen Richtlinienarbeit gescheitert, wenigstens noch innerhalb der DEK einen Minimalkonsens hinsichtlich der Aufgaben und Ziele des Religionsunterrichts in der vom Nationalsozialismus bestimmten Schule zu erreichen. Die Überarbeitung des "Stoffverteilungsplans" spiegelt in aller Deutlichkeit das Dilemma der reichskirchlichen Richtlinienarbeit wider. Im Gegensatz zur Vorlage wurde nämlich auf jede inhaltliche Ausgestaltung und Nennung der jeweiligen Stoffe zugunsten einer knappen Beschreibung des Jahrgangsschwerpunktes verzichtet. 58 Insofern verdeckt die aus dem Anschreiben für die Richtlinien an den höheren Schulen vom Juni 1938 übernommene Formulierung die eigentliche Problematik der reichskirchlichen Richtliniendiskussion, wenn Ellwein dem Reichserziehungsministerium im Begleitschreiben zum Richtlinienentwurf verharmlosend mitteilt:
56 Vgl. Zitat Kap.4.1, S. 113. 57 Ebd., S.4. Bemerkenswert ist, daß das von Wieneke verfaßte Protokoll keine Proteste der Schulreferenten der Lutherratskirchen Bartels (Hannover), Sautter (Württemberg), Greifenstein (Bayern) und Voges (Baden) vermerkt. Im Widerspruch dazu steht das Schreiben des Lutherrates an die Kirchenkanzlei vom 2 4 . 1 . 3 9 , in dem zur neuen Entwurfsvorlage eindeutig formuliert wird: "Jetzt scheint uns der Punkt erreicht zu sein, wo ein Zustimmen zu der neuesten Verwässerung nicht mehr möglich ist." In: LKA Hannover D15I, Nr.39, o.P. 58 In dem überarbeiteten Stoffverteilungsplan wird das Alte Testament explizit nur in der sechsten Jahrgangsstufe genannt. Im Zusammenhang der Darstellung "der Sendung des Christus und seiner Botschaft von der Gottesherrschaft" ist der Schüler "mit dem Kampf und der Verkündigung der Profeten bekannt zu machen" (Richtlinienentwurf v o m 2 7 . 2 . 3 9 , S.5, s . A n m . 4 0 ) . Im Unterschied zur Richtlinienvorlage der Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft wird die Behandlung des "nationalen Festkalenders" auf das vierte Schuljahr beschränkt, während für das fünfte Schuljahr lediglich der Schwerpunkt die "Botschaft der Evangelien" als allgemeine Richtlinie angegeben wird (vgl. ebd., S.4).
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"Bei den Stoffplänen ist absichtlich auf jede nähere Anleitung verzichtet, um nicht weltanschauliche, theologische und kirchenpolitische Streitfragen in sie hineinzutragen." 59 Die Einwände der deutschchristlichen Landeskirchen, weniger die Eingaben der württembergischen Landeskirche 60 , haben dazu geführt, daß am 30. März im Reichskirchenministerium der endgültig letzte Richtlinienentwurf für den Religionsunterricht in der Zeit des Nationalsozialismus formuliert worden ist. 61 Dieser Entwurf, der zwar offiziell als Entwurf der DEK eingebracht werden sollte, läßt nicht nur in wesentlichen Teilen den deutschchristlichen Einfluß von Bauer aus Thüringen erkennen, sondern zeigt unübersehbar die Handschrift des Reichserziehungsministeriums. 62 Der Religionsunterricht wird hier vorrangig als Fach der weltanschaulich-politisch gleichgeschalteten Volksschule begründet und muß seinen funktionalen Beitrag zur Verwirklichung der nationalsozialistischen Erziehungsidee unter Beweis stellen. Deutlich wird dieser Begründungsansatz in der Neufassung der Aufgabenbestimmung des Religionsunterrichts. Sie lautet nunmehr: "Der evangelische Religionsunterricht in der Volksschule soll der Jugend unseres Volkes den christlichen Glauben bezeugen, wie ihn die Bibel bekundet und die Reformation versteht. Er soll in Unterweisung und Erziehung dazu helfen, daß die Kinder zu lebendigem Glauben kommen und bereit werden, ihr evangelisches Christentum als ihrem Volke verbundene deutsche Männer und Frauen zu bewäh59 Anschreiben zum Richtlinienentwurf vom 27.2.39, s.Anm.40. 60 Aus einem von Wieneke verfaßten Schreiben an den "Kollege(n) Pg. Sautter" vom 29.2.39 geht hervor, daß die Württembergische Landeskirche Eingaben an das Reichserziehungsministerium gerichtet hat. Wieneke vermerkt dazu: "Eine ausdrückliche Besserung der Württembergischen Gesamtlage ist entscheidend abhängig von der Lehrplangenehmigung, beziehungsweise von der Haltung, die Rudolf Heß dazu einnimmt. Hoffentlich gelingt es, den letzten Entwurf unter Dach und Fach zu bringen. Eine Abänderung durch das Ministerium dürfte jedoch nicht in Frage kommen, da alles von der Kirche ausgehen muß." In: EZA Berlin 1/A4/432, B1.54. 61 Wieneke hat in einem Aktenvermerk vom 3.4.39 die Lehrplanüberarbeitung damit begründet, daß der "dem REM zugeleitete Lehrplanentwurf gewisse Korrekturen schultechnischer Art wünschenswert machte und im Ministerium auch grundsätzliche Bedenken dagegen bekannt wurden, so von den beiden extrem gerichteten Kirchen Thüringen und Württemberg". In: EZA Berlin 1/A4/432, B1.38. 62 Vgl. den Hinweis im Schreiben des EOK Stuttgart vom 17.1.40, daß auf der Sitzung im Reichskirchenministerium am 30.3.39 über einen Entwurf beraten wurde, der "aus dem Reichserziehungsministerium selbst stammte" (vgl. Anm.45).
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ren. Der evangelische Religionsunterricht leistet damit seinen Beitrag zu der Aufgabe, die der Volksschule im ganzen gestellt ist, die Jugend zur deutschen Volksgemeinschaft, zur Einsatz- und Opferbereitschaft in dieser Volksgemeinschaft und zur Treue zu ihrem Führer zu erziehen." 63 Die >völkische< Grundorientierung des Religionsunterrichts hat in besonderer Weise Konsequenzen für die Auswahl der Unterrichtsinhalte. Unmißverständlich wird bestimmmt: "Bei der Auswahl der Lehrstoffe ist in der Volksschule nicht eine Vollständigkeit zu erstreben. Vielmehr sind nur Lehrstoffe auszuwählen, die geeignet sind, die Erreichung des oben genannten Ziels des Religionsunterrichts sicherzustellen." 64 Aufgrund solcher Vorgaben konnte der Wunsch nach einer im Bekenntnis der Kirche begründeten Verankerung des Alten Testaments im Religionsunterricht nur noch als Kampfansage an die Zielsetzungen der nationalsozialistisch ausgerichteten Schule verstanden werden. Für die Überarbeitung der Richtlinien kam also nicht einmal mehr der Beschluß der Schulreferentenkonferenz vom 19. Januar in Frage, der nun zugunsten des abweichenden Votums der deutschchristlichen Landeskirchen revidiert wurde. Der Abschnitt zum Alten Testament lautet jetzt in Übernahme von Formulierungen von Bauer. "Von zusammenhängender Behandlung des Alten Testamentes, insbesondere der jüdischen Geschichte, wie sie das Alte Testament bietet, ist in der Volksschule abzusehen. Stücke, die zum Verständnis des Neuen Testamentes dienen, die Jesu Kampf gegen das Judentum und gegen jede Form von Selbstgerechtigkeit und Werkgerechtigkeit verstehen helfen oder die für das christliche Leben unseres Volkes von besonderer Bedeutung sind (z.B. die 10 Gebote in Luthers Erklärung, einzelne Psalmen) werden herangezogen, soweit es der Unterricht erfordert." 5
63 Richtlinienentwurf vom 21.4.39, S . l , s.Anm.44. 64 Ebd. 65 Ebd. Vgl. das Schreiben von Bauer an Ministerialrat Richter vom 25.3.39, in dem Bauer eine Reihe von Abänderungsvorschlägen macht, u.a. zum Abschnitt Altes Testament. Das Schreiben verdeutlicht, daß Bauer als Sprecher der deutschchristlichen Landeskirchen auftrat. So heißt es zur Vorbereitung der Richtlinienkonferenz im Reichskirchenministerium am 30.3.39: "Ich werde am Mittwoch, den 29. März, eine Aussprache mit den uns befreundeten Kirchen herbeiführen... Ich hoffe, daß ich Ihnen dann die endgültige Fassung...mitteilen kann." In: BA Potsdam 51.01 23721 B1.309f.
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Die deutschchristliche Handschrift der Richtlinien zeigen besonders die Formulierungen zum kirchengeschichtlichen Unterricht, vor allem zur Geschichte der Reformation. Der kirchengeschichtliche Unterricht wird nunmehr als >Gesinnungsunterricht< im Sinne einer "Erziehung zu entschiedenem Deutschtum" 66 >völkisch< umfunktioniert und dementsprechend breit im Stoffplan verankert. Als generelle Maßgabe wird aufgestellt: "Auch der Unterricht in der Geschichte des Christentums hat sich in der Volksschule nach dem Ziel auszurichten, das dem Religionsunterricht in ihr gesteckt ist. Er verzichtet daher auf alle Stoffe, die eine unmittelbare erzieherische Wirkung auf die Kinder nicht auszuüben vermögen. Bei der Behandlung der kirchengeschichtlichen Stoffe liegt der Nachdruck auf der Geschichte des Evangeliums im deutschen Volke. Im Mittelpunkt steht die deutsche Gestalt Martin Luthers. Er ist in seinem heldenhaften Kampf um die Reinheit des Evangeliums als Urbild deutsch-evangelischer Frömmigkeit darzustellen." 67 Daß an den Vorbesprechungen und an der Richtlinienkonferenz am 30. März Oberkirchenrat Sautter als Vertreter der Lutherratskirchen teilgenommen hat, erscheint gemessen am vereinbarten Wortlaut als besonders verwunderlich. Sautter hat nämlich in einem Schreiben vom 13. April an Ministerialdirigent Stahn eine Reihe von grundsätzlichen Anmerkungen und Verbesserungen zum Entwurf formuliert. Insgesamt hinterläßt das Schreiben den Eindruck, als ob Sautter sich von der Mitverantwortung für die Richtlinienausarbeitung vorsichtig distanzieren wolle. So plädiert er für den Richtlinienentwurf vom Dezember 1936 und bringt die "Kernfrage" aller Richtlinienausarbeitungen treffend zum Ausdruck: "Soll der evangelische Religionsunterricht sich nun ausrichten nach den Anschauungen, die das Alte Testament mehr oder weniger als 'Judenbuch' ausschalten und auch das Neue Testament unter rassischen Gesichtspunkten betrachtet wissen wollen? Oder soll der Religionsunterricht gestaltet werden nach den Grundsätzen der Kirchen, die auf dem Boden 66 Zit. n. Horst Gies, Geschichtsunterricht, S.49. 67 Richtlinienentwurf vom 21.4.39, S.lf, s.Anm.44. Der Stoffverteilungsplan ist durch ein Übergewicht kirchengeschichtlicher Stoffe charakterisiert, die den Platz des alttestamentlichen Unterrichts einnehmen. Sowohl im sechsten als auch im achten Schuljahr ist der Religionsunterricht als kirchengeschichtlicher Unterricht geplant, wobei Martin Luther nicht nur in diesen Jahrgangsstufen, sondern bereits vorher im vierten Schuljahr behandelt werden soll. Vgl. ebd., S.3ff.
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4.2 Richtliniendebatte 1937-1939
d e s A r t i k e l s 1 der v o m Führer s e l b s t u n t e r s c h r i e b e n e n Kirc h e n v e r f a s s u n g v o n 1 9 3 3 s t e h e n und d e s h a l b nach d e m ref o r m a t o r i s c h e n V e r s t ä n d n i s in der g a n z e n B i b e l d a s W o r t G o t t e s s e h e n , bereit, sich a u c h A n f e c h t u n g e n g e g e n ü b e r für diesen Standpunkt einzusetzen?"68 A l l e r d i n g s b e a n t w o r t e t S a u t t e r d i e s e F r a g e w e n i g e i n d e u t i g , w e n n er trotz der z u v o r geäußerten grundsätzlichen E i n w ä n d e Formulierungsv o r s c h l ä g e a n s c h l i e ß t , d i e das A l t e T e s t a m e n t als S t o f f d e s R e l i g i o n s unterrichts bis auf w e n i g e Ausnahmen ausschließen.69 A u f d e r S i t z u n g der S c h u l r e f e r e n t e n am 4. April 1 9 4 0 , a l s o f a s t ein Jahr s p ä t e r , ist der R i c h t l i n i e n e n t w u r f v o m 2 1 . April 1 9 3 9 d e n L a n d e s k i r c h e n erst o f f i z i e l l ü b e r g e b e n w o r d e n 7 0 , o b w o h l er b e r e i t s in d e m S c h r e i b e n der K i r c h e n k a n z l e i an das R e i c h s e r z i e h u n g s m i n i s t e r i u m als "Einheitsplan" der D E K a p o s t r o p h i e r t w o r d e n w a r . 1 D a s P r o t o k o l l
68 Schreiben vom 13.4.39, in: BA Potsdam 51.01 23720, O.P. und EZA Berlin 1/A4/432, B1.57f (Abschrift). Die Formulierung von Sautter, daß die "von Hannover und München zugegangenen Verbesserungsvorschläge" eine Bestärkung seiner "grundsätzlichen Einstellung" bewirkt haben, deutet die Rücknahme einer möglicherweise zuvor gegebenen Einverständniserklärung an. 69 Sautter will lediglich den Absatz zum Alten Testament mit dem "positiven Satz" erweitern: "Vom Alten Testament sind diejenigen Stücke, die zum Verständnis des Neuen Testaments erforderlich sind, die den Zusammenhang von Gottesoffenbarung und jüdischer Volksreligiosität zeigen und Jesu Kampf ....heranzuziehen" (ebd.). In den Richtlinienentwurf vom 21.4.39 ist keiner der Vorschläge von Sautter aufgenommen worden, weder der Vorschlag zur Berücksichtigung alttestamentlicher Stoffe im fünften Schuljahr noch der Versuch, die Beschäftigung mit Paulus im sechsten bzw. achten Schuljahr zu verankern. Diese endgültige Fassung ist Sautter erst im Februar 1940 durch Marahrens zugänglich gemacht worden. Vgl. das Rückschreiben an Marahrens vom 20.2.40, in: LKA Hannover D15I, Nr.40, O.P. 70 In dem Protokoll heißt es: "Es wird sämtlichen Anwesenden der letzte Entwurf der Richtlinien für den RU verteilt, der als Rahmenentwurf dem Reichserziehungsministerium eingereicht worden ist. Die Landeskirchen, die heute nicht vertreten sind, sollen ihn zugeschickt bekommen". In: EZA Berlin 1/A4/432, B1.134. Auch aus dem Protokoll der vorbereitenden Besprechung der Schuldezernenten der Lutherratskirchen am Vortage geht hervor, daß der Richtlinienentwurf vom 21.4.39 "der Mehrzahl" nicht bekannt war. Die Formulierungen des Entwurfs zum Alten Testament werden so kommentiert: "Ihre Beibehaltung müßte mit Ablehnung der ganzen Richtlinien durch die hier versammelten Schuldezernenten beantwortet werden." In: LKA Hannover 151, Nr.40, O.P. 71 Vgl. das Schreiben der Kirchenkanzlei vom 14.8.39 an das Reichserziehungsministerium, in dem als Reaktion auf den Lehrplaneingriff von Bormann (vgl. K a p . l , S.19f) formuliert wird: "Da inzwischen auch die NSDAP (Stellvertreter des Führers) in die Lehrplanangelegenheit eingegriffen und die Lehrer auf die Vorschriften der Kirche hingewiesen hat, dürften u.E. keine Bedenken mehr bestehen, unsere Richtlinien zu veröffentlichen, die nach Anhörung der
4.2 Richtliniendebatte 1937-1939
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dieser Schulreferentensitzung berichtet vor dem Hintergrund weitgreifender Auflösungserscheinungen des Religionsunterrichts über die vermutlich letzte Debatte zur Richtlinienfrage; ihre Ergebnislosigkeit unterstreicht ein weiteres Mal das Dilemma der reichskirchlichen Richtliniendiskussion: "Es entsteht eine Aussprache, an der sich vor allem die drei süddeutschen Kirchen beteiligen über die Frage, ob hier ein Entwurf der Kirche vorliegt, der dann erheblich anders aussehen müsse, oder ein Entwurf des Staates, dem die Kirche äußersten Falles zustimmen könne. Die Aussprache wendet sich besonders den Formulierungen des Alten Testaments zu. Zu Abänderungsvorschlägen oder gar Beschlüssen kommt es in dieser Frage nicht." 72
4.2.3 Zusammenfassung: Das Scheitern Richtlinienarbeit der DEK
der
kirchenamtlichen
Dem Urteil von Thierfelder muß uneingeschränkt zugestimmt werden, daß "die Geschichte der Reichsrichtlinien für den Religionsunterricht...eine Geschichte des Scheiterns (ist)" 73 . Dennoch dokumentiert diese Geschichte nicht nur die strukturellen Widersprüche nationalsozialistischer Herrschaft an der Schnittstelle von NS-Partei und staatlicher Ministerialbürokratie, sondern ebenso das komplizierte und widersprüchliche Bild einer vom Kirchenkampf gekennzeichneten DEK. Der im Januar 1941 als Sonderdruck herausgegebene Richtlinienentwurf für die Volksschulen belegt, obwohl er nicht die Unterschrift von Reichsminister Rust erlangt hat, in mehrfacher Hinsicht Aporien nationalsozialistischer sowie reichskirchlicher Schulpolitik: Einerseits trägt dieser Entwurf aufgrund der vom Reichserziehungsministerium gebilligten Veröffentlichung den Charakter einer halb-offiziellen Vereinbarung zwischen DEK und NS-Staat und verdeutlicht damit den Rahmen dessen, was der NS-Staat während des Krieges dem Religionsunterricht als inhaltlich-kirchliches Profil zuzugestehen bereit war. Andererseits kann aber der Richtlinienentwurf weder als offizieller >Vorschlag< der DEK noch als >Vorschlag< des Reichserziehungsministeriums gelten, da die innere Unausgeglichenheit, ja Zwiespältigkeit zwischen DEK und NS-Staat eine abschließende Stellungnahme zum Religionsunterricht nicht erlaubte. verschiedenen Richtungen innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche als Einheitsplan aufgestellt sind." In: B A Potsdam 51.01 2 3 7 2 1 , B1.333. 72 In: EZA Berlin 1/A4/432, Bl. 134. 73 Thierfelder, D i e Geschichte der Reichsrichtlinien, S.168.
142
4.2 Richtliniendebatte 1937-1939
Für Ellwein hatten sich die Rahmenbedingungen der innerkirchlichen Debatte seit dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses entscheidend verändert. Die Übernahme der Leitung der DEK durch Friedrich Werner bedeutete, daß nunmehr auch die deutschchristlichen Landeskirchen in die Richtlinienarbeit einbezogen werden mußten. 74 Das zeigt sich schon an den Teilnehmerlisten der Sitzungen, an denen seit Mai 1938 im Unterschied zu den Vorjahren die Schulreferenten auch aus Thüringen, Mecklenburg, Lübeck, Bremen und Anhalt teilnahmen. Noch im März des Jahres 1937 hatte Ellwein auf einer gesonderten Besprechung der Schulreferenten der deutschchristlichen Landeskirchen unmißverständlich klargestellt, daß "die Deutsche Evangelische Kirche aus Gründen des Bekenntnisses am Alten Testament festhalten müsse" 7 5 . Die Darstellung der Richtliniendebatte der Jahre 1938 und 1939 hat gezeigt, daß dieser Grundsatz im Laufe der Verhandlungen um den Preis einer Einbindung der Thüringer Deutschen Christen verwässert, ja zurückgenommen wurde. Daß selbst die Lutherratskirchen diese Entwicklung bis zum endgültigen Scheitern der Richtlinienfrage zwar nicht gutgeheißen, aber letztlich doch toleriert und im Endeffekt mitgetragen haben - und sei es nach der Devise "ein schlechter Plan (ist) immer noch besser als gar keiner" 76 - , komplettiert das Bild einer evangelischen Kirche, die in der Hoffnung auf Anerkennung als Erziehungsmacht in der Schule im Nationalsozialismus ihre von den >Grundsätzen< des Bekenntnisses abgeleitete >Anschauung< dem NS-Staat zu opfern bereit war.
74 Aus einem Schreiben von Fleisch vom 5.4.38 an die Lutherratskirchen geht hervor, daß der von Rang-Schuster-Tiling verfaßte Richtlinienentwurf für die höhere Schule nicht an das Reichserziehungsministerium weitergereicht wurde, weil Werner ohne die Zustimmung der Thüringischen Landeskirche die Unterschrift verweigert hat. In: LKA Hannover D15I, Nr.38, o.P. 75 Bericht über die Besprechung der Schulreferenten der Landeskirchen Thüringen, Mecklenburg, Lübeck, Bremen und Anhalt vom 15.3.37, in: EZA Berlin 1 / A 4 / 4 3 0 , O.P. 76 Vgl. Zitat Kap.4.2, S.125. Die Schwierigkeiten und Widersprüche bei der Durchsetzung schulpolitischer Grundsätze der Lutherratskirchen verdeutlichen die f o l g e n d e n Aussagen: Einerseits hat Bischof Meiser in einem Schreiben vom 19.2.36 an das Reichserziehungsministerium unmißverständlich die Forderung aufgestellt: "In bekenntnisgebundenen Landeskirchen, w i e es Bayern, Hannover und Württemberg sind, ist die bekenntnismäßige Gestaltung des Religionsunterrichts und der Lehrplan Sache der Kirche." In: LKA Hannover D15I, Nr.35, Bd.2, O.P. Im Gegensatz dazu steht aber das Faktum, daß selbst die Schulreferenten der Lutherratskirchen bereit waren, den Richtlinienentwurf für die Volksschule vom 21.4.39 zu akzeptieren, w e n n g l e i c h er dann nicht als "Entwurf der Kirche", sondern als "Entwurf des Staates" gelten sollte (vgl. Zitat Kap.4.2, S.140).
5.
>Bekenntnis< und evangelischer Religionsunterricht: der Beitrag der Bekennenden Kirche zur religiösen Erziehung und zur Frage der Richtlinien für den evangelischen Religionsunterricht in der Schule im Nationalsozialismus
5.1 Die Schulerklärung der Vierten Bekenntnissynode der DEK zu Bad Oeynhausen Am 6. Februar 1936 versammelte sich in Berlin die Schulkammer der Bekennenden Kirche zu ihrer 2. Sitzung. Das Eingangsreferat zur "schulpolitischen Lage" hielt Oberkirchenrat Thomas Breit als Vorsitzender der Schulkammer, dem sich Ausführungen von Pfarrer Kurt Fror zur "Lage der Bekenntnisschule" anschlossen. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Bekenntnisschule in Württemberg und Bayern schlug Fror der Schulkammer neben Schreiben an den Reichskirchenausschuß und an das Reichserziehungsministerium die "Vorbereitung eines Wortes der Bekenntnissynode zur Schulfrage" sowie die Erarbeitung einer "Denkschrift über die Schulfrage ähnlich der über den Religionsunterricht" vor. 1 Die Schulkammer nahm die Anregungen von Fror auf und beauftragte Friedrich Delekat*, Professor für Religionswissenschaft an der Technischen Hochschule in Dresden, mit der Erarbeitung einer Synodenvorlage und eines erläuternden Referats. Schon im Rahmen dieser Sitzung verständigten sich die Schulkammermitglieder auf eine Reihe von Gesichtspunkten, die Delekat als Grundlage für die Abfassung eines "klaren Wortes an die Gemeinde" dienen sollten. Im Mittelpunkt der Schulerklärung sollte ein Aufruf zur Erhaltung und Sicherung der Bekenntnisschule stehen. Weiterhin sollten die "Bedeutung des §24 (des NS-Parteiprogramms, F.K.) für die Schulfrage", die "Gewissensfreiheit der Eltern und vor allem auch der Lehrer" sowie das Verhältnis zwischen "Gesamtunterricht" und Religionsunterricht thematisiert werden. Im Protokoll der Schulkammersitzung steht als Begründung für das "klare Eintreten" zugunsten der Bekenntnisschule: 1
Vgl. das Protokoll der zweiten Sitzung der Schulkammer der Bekennenden Kirche v o m 6.2.36, S . l f , in: EZA Berlin 50/434, Bl.51-54. Vgl. zur Denkschrift über den Religionsunterricht vom September 1935: Kap.5, S.166ff. D e m Protokoll der ersten Sitzung der Schulkammer am 13.11.35 (in: EZA Berlin 5 0 / 1 0 1 , B1.48ff) ist ein Verzeichnis der Mitglieder der Schulkammer beigefügt. Es werden folgende Namen aufgeführt: Prof. Delekat, Pfarrer Fror, Pfarrer Florin, Direktor Hafa, Regierungs- u. Stadtrat Dr. Möller, Konrektor Ebeling, Pfarrer Richter, Pfarrer Spanuth, Hauptlehrer Prelle, Landesbischof a.D. Schöffel, Pfarrer Lueken, Direktor Lokies, M.v.Tiling, Lehrer Ratthey, Reichsgeschäftsführer Windel.
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5. >Bekenntnis< und evangelischer Religionsunterricht
"Das Wort der Synode muß ein klares Eintreten der Bekennenden Kirche für die Bekenntnisschule erkennen lassen. Wenn die Synode von der Bekenntnisschule redet, muß allerdings erkennbar sein, daß es sich dabei nicht um schulpolitische Machtansprüche im alten Sinne handelt, sondern um die Erkenntnis, daß wir heute im Kampf zweier Bekenntnisse, des christlichen und des deutsch-völkischen, um die Schule stehen und daß die Entscheidung lautet: christliche oder heidnische Bekenntnisschule." 2 Damit gab die Schulkammer die Richtung vor, in der die Bekennende Kirche während der folgenden beiden Jahre unter Anwendung aller ihr zur Verfügung stehenden Mittel einen entschlossenen Schulkampf gegen das Zurückdrängen des Einflusses der Kirche durch völkisch-religiöse Ansprüche in der Schule führen sollte. Diese Reaktion auf den von den Gliederungen der NS-Partei seit Herbst 1935 forcierten Machtkampf um die weltanschauliche Grundlegung der Schule 3 machte aber zugleich und zwar nun auch kirchlicherseits die Schule selbst zum Entscheidungsfeld zweier "einander ausschließender Bekenntnisse". Der Sitzungsentwurf für das "Wort der 4. Bekenntnissynode zur Schulfrage" bringt den Widerstand gegen die nationalsozialistische Schulpolitik wie folgt zum Ausdruck: "Um die deutsche Schule ringen zwei einander ausschließende Bekenntnisse. Das eine ist die vom Geiste der neuen Deutschgläubigkeit beherrschte Religiosität, die nicht nur den Einfluß der Kirche auf die Schule ablehnt, sondern überhaupt die christliche Botschaft als volksschädlich bekämpft. Das andere ist das Bekenntnis zu Jesus Christus, das ein Jahrtausend deutscher Geschichte geprägt hat. Es erkennt im Gehorsam gegen den in Jesus Christus geoffenbarten Gotteswillen die unveräußerliche Grundlage aller echten Erziehung." 4 In der von der Oeynhauser Synode am 22. Februar 1936 verabschiedeten Erklärung "über die Schulfrage" wird davon abweichend die Frontstellung nicht mehr auf den "Geist der neuen Deutschgläubigkeit" zugespitzt, sondern allgemeiner und damit schulpolitisch wesentlich brisanter "vom Geiste der Selbstverherrlichung des Menschen" als neuer, das christliche Bekenntnis "ausschließender Glaubenshaltung" gesprochen.
2 3 4
Protokoll der zweiten Sitzung der Schulkammer, S.3, s.Anm.l. Vgl. Kap.l, S.lOf. Wort der 4. Bekenntnissynode zur Schulfrage, Anlage zum Protokoll der zweiten Sitzung der Schulkammer, s.Anm.l.
5. >Bekenntnis< und evangelischer Religionsunterricht
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Der Beschluß der Vierten Bekenntnissynode über die Schulfrage gliedert sich in zwei Teile: der unter der Überschrift "Allgemeines" verabschiedete erste ausführliche Teil sollte für "Schulungsaufgaben" Verwendung finden, während der zweite Teil als Kanzelabkündigung und "Wort an die Gemeinden" gedacht war. Der entscheidende Passus des ersten Teils der Erklärung lautet nunmehr: "Um die deutsche Schule ringen zwei einander ausschließende Glaubenshaltungen. Die eine ist vom Geiste der Selbstverherrlichung des Menschen bestimmt. Sie lehnt nicht nur den Einfluß der Kirche auf die Schule ab, sondern bekämpft die christliche Botschaft als volksschädlich. Die andere ist das Bekenntnis zu dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus. Sie erkennt im Gehorsam gegen ihn die unveräußerliche Grundlage aller echten Erziehung." 5 Delekat hat diese Formulierungen in seinem Referat auf der Synode wie folgt erläutert: "Sie (diese Glaubenshaltung, F.K.) ist aus einer Weltanschauung oder aus einem Glauben geboren, der überall da, wo die Kirche von dem Recht und Anspruch Gottes auf den Menschen und sein Dasein redet, den Anspruch weltlicher, und zwar politischer Instanzen an die Stelle setzt. In welcher Weise sich dieser neue Glaube ideologisch ausdrückt, das ist nicht so wesentlich wie die Tatsache, daß der Geist dieser neuen Erziehung den Menschen in seinem Gewissen nicht mehr an Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, binden will, sondern an das, was die höchsten politischen Instanzen als Ziel und Aufgabe ihres politischen Handelns hinstellen." 6 Erst in einem zweiten Schritt wird die Wirksamkeit und Erscheinungsform dieser neuen "Glaubenshaltung" beschrieben: "Die neue Religion eines widerchristlichen Deutschglaubens wird auf dem Gebiete der Schule mehr oder weniger sichtbar begünstigt. Der Kampf gegen die christliche Schule wird zumeist nicht offen, sondern im Geheimen gefuhrt. Das Wort vom 'positiven Christentum' wird so umgedeutet, daß der Anschein entsteht, als gäbe es einen christlichen Glauben ohne das Ärgernis des Kreuzes Christi. Man bedient sich 5 6
In: Wilhelm Niemöller, Die vierte Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Bad Oeynhausen, Göttingen 1960, S. 116. Ebd., S.243.
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vielfach der alten Parole der Gemeinschaftsschule, läßt aber nicht erkennen, daß die Einrichtung einer solchen Gemeinschaftsschule heute auf die Preisgabe der christlichen Schule hinausläuft." 7 Die Bedeutsamkeit der für Schul-Erklärung und Referat von Oeynhausen maßgeblichen Delekatschen Argumentation besteht darin, daß hier die zentrale Grundposition bekenntniskirchlicher Schulpolitik in einer Mischung aus theologisch-ideologiekritischen und theologisch-schulpädagogischen Begründungsmustern aufgebaut wird, die aber insgesamt den Eindruck erwecken, als wäre Schulpolitik letztlich eine Funktion des richtigen "Bekenntnisses". Deshalb ist die Diktion der Schulerklärung, wie schon in der Schulkammersitzung festgelegt, von der theologisch-schulpolitischen Kampfparole einer kompromißlosen Alternative bestimmt, die nicht nur Pfarrer und Gemeinden sowie Eltern und Lehrer, sondern in besonderem Maße die "Staatsregierung" in eine Situation der >Entscheidung< zwingt. Vom NS-Staat werden nicht nur die Einstellung der "widerchristlichen Propaganda" und "klare Richtlinien" verlangt, "in welcher Weise die politische Erziehung der Jugend für den nationalsozialistischen Staat vereinigt werden soll mit christlicher Erziehung und Unterweisung der Jugend". Vielmehr soll dieser Staat selber in dem >Entscheidungskampf< um die weltanschauliche Grundlegung der Schule sein "Bekenntnis" offenlegen: "Aus diesem Grunde ist es dringend notwendig, daß von Staats wegen Klarheit darüber herbeigeführt wird, ob das Bekenntnis zu Christus oder das Bekenntnis gegen Christus die deutsche Schule beherrschen soll." 8 >Bekenntnis zu Christus oder Bekenntnis gegen Christus