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German Pages 146 Year 2016
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 5
Rechtsfragen der Windkraft zu Lande und zur See
Herausgegeben von Ralf Brinktrine, Jan Dirk Harke, Markus Ludwigs und Oliver Remien
Duncker & Humblot · Berlin
BRINKTRINE/HARKE/LUDWIGS/REMIEN (Hrsg.)
Rechtsfragen der Windkraft zu Lande und zur See
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs
Band 5
Rechtsfragen der Windkraft zu Lande und zur See
Herausgegeben von Ralf Brinktrine, Jan Dirk Harke, Markus Ludwigs und Oliver Remien
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-14881-3 (Print) ISBN 978-3-428-54881-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84881-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Windkraft entwickelt sich mehr und mehr zu dem Hoffnungsträger für das Gelingen der im Jahr 2011 von der Bundesregierung ausgerufenen Energiewende. Sowohl zu Lande als auch in der „Hochsee“ wächst die Zahl der einsatzbereiten Windenergieanlagen. Die Erfolge der Windkraftnutzung werfen freilich zugleich vielfältige tatsächliche und rechtliche Probleme auf. Schlaglichter bilden die mit der Windkraftnutzung verbundenen erheblichen Eingriffe in Natur und Landschaft sowie die Schwierigkeiten des Netzausbaus für erneuerbare Energien im Allgemeinen und der Netzanbindung der Off-Shore-Windkraft im Besonderen. Diesen und weiteren Problemkomplexen gehen die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes nach. Der Band dokumentiert die von den Lehrstühlen der Professoren Ralf Brinktrine, Jan Dirk Harke, Markus Ludwigs und Oliver Remien veranstaltete Tagung „Rechtsfragen der Windkraft zu Lande und zur See“, die am 26./ 27. April 2013 an der Julius-Maximilians Universität Würzburg stattfand. Die Beiträge befinden sich weitgehend auf dem Stand von Mitte 2013. Unser besonderer Dank gilt den engagierten Referenten und Diskussionsteilnehmern sowie den Förderern der Tagung. Danken möchten wir zudem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Lehrstühle für die wertvolle Unterstützung bei der Planung und Durchführung der Veranstaltung. Besonders zu erwähnen sind hier Frau Mirjana Gudeljevic und Frau Franziska Hauer. Wichtige Hilfe bei der redaktionellen Betreuung des Bandes haben Frau Anne-Sofie Geßner, Frau Anke Jäger, Frau Marita Sommer und Herr Daniel Kuhn geleistet. Dem Verlag Duncker & Humblot, namentlich Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M., sowie Frau Birgit Müller sei für die vorzügliche Zusammenarbeit auch bei der Entstehung dieses Bandes herzlich gedankt. Würzburg, im Januar 2016 Ralf Brinktrine
Jan Dirk Harke
Markus Ludwigs
Oliver Remien
Inhaltsverzeichnis Wolfgang Wurmnest Das auf Offshore-Windkraftanlagen anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gero von Daniels Aktuelle Rechtsfragen bei der Genehmigung von Offshore-Windparks . . . . . . .
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Daniel Reichert-Facilides Die Planfeststellung nach der Seeanlagenverordnung als Gegenstand vermögensrechtlicher Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Peter Salje Anschluss- und Netzausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber am Beispiel von Offshore-Windenergieanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
Christoph Thole Zivilrechtliche Haftungsfragen bei Offshore-Windenergieanlagen . . . . . . . . . . .
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Thorsten Pries Rechtsfragen des Offshore Netzentwicklungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
Wolfgang Baumann Rechtsprobleme der Genehmigung von Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ralf Brinktrine Rechtsschutz gegen On-Shore-Windkraftanlagen aus Sicht der Kommunen, privater Dritter und der Umweltverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Johannes Grell Tagungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Das auf Offshore-Windkraftanlagen anwendbare Recht* Von Wolfgang Wurmnest, Augsburg
I. Einführung Der Volksmund weiß: „Deutschland schaut auf die Alpen und dreht dem Meer den Rücken zu“. Diese geographische Ausrichtung hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass seerechtlichen Fragestellungen in der Bundesrepublik bisweilen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In Bezug auf die Nutzung der See als Basis für Offshore-Windkraftanlagen kann man diesen Vorwurf allerdings nur sehr eingeschränkt erheben. Der allgemeine Rechtsrahmen für solche Investitionsprojekte ist nämlich schon seit einigen Jahren Gegenstand einer lebhaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung.1 Im Zuge dieses Diskurses hat sich die Notwendigkeit offenbart, juristische Fragestellungen aus einer übergreifenden Perspektive zu debattieren, da die Probleme häufig im Grenzgebiet einzelner Fachsäulen des Rechts angesiedelt sind. Ich freue mich daher sehr, dass die Würzburger Fakultät eine Konferenz organisiert hat, die genau diesem übergreifenden Ansatz folgt. Mein Beitrag soll sich mit Fragen des auf Offshore-Windkraftanlagen anzuwendenden Rechts auseinandersetzen. Diese Thematik ist von großer praktischer Relevanz, da sich die politischen Entscheidungsträger in Deutschland aus umweltrechtlichen und tourismuspolitischen Gründen gegen den Betrieb größerer Windkraftanlagen in Küstennähe ausgesprochen haben. Vor diesem Hintergrund liefen die Planungen schon früh darauf hinaus, Windkraftanlagen in erster Linie weit draußen im Meer, außerhalb der deutschen Staatsgrenze zu errichten; ein Ansatz, der jüngst durch die verstärkte Ausweisung von Vorrangzonen für Windkraftanlagen in den
* Dieser Beitrag beruht in Teilen auf Wurmnest, Windige Geschäfte? Zur Bestellung von Sicherungsrechten an Offshore-Windkraftanlagen, RabelsZ 72 (2008), 236 ff. Den Hinweis auf die Volksweisheit, mit der dieser Beitrag eingeleitet wird, verdanke ich Jürgen Basedow. Dank schulde ich auch Peter Salje und Ulrich Magnus. Sie haben sich die Zeit genommen, einzelne Ideen mit mir zu diskutieren. Dabei haben sie mir weiterführende Hinweise gegeben. 1 Siehe aus der Anfangszeit nur Diekamp, Sicherungsübereignung von Offshore-Windenergieanlagen, ZBB 2004, 10 ff.; Risch, Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Zulassung von Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), 2006, 162 ff.; Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236 ff.
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Raumordnungsplänen von 2009 bestätigt wurde.2 Dass die Errichtung und der Betrieb von Offshore-Windkraftanlagen weit ab der Küste im Vergleich zu küstennahen Anlagen ein deutlich komplexeres Unterfangen mit sehr viel höheren Kosten ist, wurde dabei weitgehend ausgeblendet. Offenbar vertraute die Politik darauf, dass die „Ingenieursnation Deutschland“ zügig Lösungen entwickeln werde, die den wirtschaftlichen Betrieb von Offshore-Windkraftanlagen auch in tiefen Gewässern ermöglicht. In rechtlicher Hinsicht hat die Entscheidung für die Errichtung von Windkraftanlagen außerhalb des Staatsgebiets eine Diskussion bezüglich der Frage angestoßen, welche Rechtsnormen in diesem Teil des Meeres eigentlich gelten. Diese Debatte erschließt sich nur, wenn man sich die völkerrechtliche Ordnung der maritimen Welt vor Augen führt. Deshalb beleuchtet der Beitrag zunächst die völkerrechtlichen Grundlagen der See (II.). Anschließend wird kurz die Anwendung des deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrechts auf maritime Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug erläutert (III.) und auf die Anwendung privatrechtlicher Regeln eingegangen (IV.). Da es aus Raumgründen nicht möglich ist, alle zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse3 durchzumustern, konzentriert sich der Beitrag exemplarisch auf zwei Themenfelder, nämlich auf das anwendbare Sachenrecht sowie auf das Schuldverhältnis von Anlagebetreibern und Netzbetreibern nach dem Erneuerbare-EnergienGesetz (EEG) in seiner ab dem 1. 1. 2012 geltenden Fassung. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt somit auf dem Zivilrecht. Diese Schwerpunktsetzung liegt nicht nur darin begründet, dass ich als Zivilrechtler keine Kompetenz zur Auslegung und Anwendung des öffentlichen Rechts in Anspruch nehmen möchte. Vielmehr sind die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des deutschen Verfassungs- bzw. Verwaltungsrechts in der sog. Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) mittlerweile weitgehend geklärt. Dagegen ist die Anwendbarkeit zivilrechtlicher Vorschriften in diesem Meeresgebiet von einer so großen Unsicherheit geprägt, dass manche Anwälte dazu raten, Übereignungen von Windkraftanlagen ausschließlich an Land und nicht in der AWZ vorzunehmen, um Sicherheit über das an-
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Verordnung über die Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Ostsee (AWZ Ostsee-ROV) vom 10. 12. 2009, BGBl. 2009 I, 3861; Verordnung über die Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee (AWZ Nordsee-ROV) vom 21. 9. 2009, BGBl. 2009 I, 3107. Die für Windkraftanlagen vorgesehenen Gebiete sind in den jeweiligen Anlagen zu den Verordnungen ausgewiesen. 3 Zur Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Regeln in der deutschen AWZ siehe Wurmnest, The Law Applicable on the Continental Shelf and in the Exclusive Economic Zone, in: Basedow/Kischel/Sieber (Hrsg.), German National Reports to the 18th International Congress of Comparative Law, 2010, 371, 397 ff. = Ocean Yearbook 25 (2011), 311, 335 ff.; Bayreuther, Arbeitsrechtliches IPR und Arbeitszeit auf Offshore-Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone nach Art. 55 ff. UN-Seerechtsübereinkommen, RIW 2011, 446 ff. Zum anwendbaren Deliktsrecht siehe Hille/Schröder/Dettmer/Visser, Offshore-Windkraftanlagen – Haftung und Haftpflichtversicherung, VersR 2010, 585, 586 ff. sowie den Beitrag von Thole in diesem Sammelband.
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wendbare Sachenrecht zu gewinnen.4 Auch wird der Ruf nach dem Gesetzgeber laut. Dieser solle im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) klarstellen, dass dessen Regeln auf Windkraftanlagen in der deutschen AWZ anwendbar seien.5 Wie zu zeigen sein wird, sind aber weder Übereignungen in Deutschland oder auf Schiffen mit deutscher Flagge erforderlich, um die Anwendung des deutschen Sachenrechts in der deutschen AWZ sicherzustellen, noch bedarf die Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften in dieser Meereszone einer Erstreckungsklausel. Vielmehr führen die geltenden Regeln des Internationalen Privatrechts (IPR) zu sachgerechten Ergebnissen. Reformbedarf ist allerdings im Sachrecht angezeigt.
II. Völkerrechtliche Grundlagen Die völkerrechtliche Ordnung des Meeres ergibt sich heute maßgeblich aus dem UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) aus dem Jahre 1982.6 Dieses Übereinkommen teilt das Meer in unterschiedliche Gebiete ein. Für die hier behandelte Problematik sind derzeit zwei Gebiete von Bedeutung, da bislang allein dort Windkraftanlagen errichtet werden: das sog. Küstenmeer sowie die AWZ. 1. Küstenmeer Das Völkerrecht erlaubt es Küstenstaaten, einen an das Landgebiet angrenzenden Streifen des Meeres als Hoheitsgebiet zu beanspruchen. Dieser Streifen wird in der völkerrechtlichen Diktion „Küstenmeer“ genannt.7 Die Breite des Küstenmeeres, dessen genauer Verlauf sich auf Grundlage bestimmter Basislinien berechnet, wurde im Laufe der Geschichte kontinuierlich erhöht.8 Derzeit kann ein Küstenstaat in völkerrechtlich zulässiger Weise sein Seegebiet auf 12 Seemeilen ausweiten.9 Deutschland hat die 12-Seemeilen-Grenze für die Nordsee vollständig und in der Ostsee für weite Teile ausgeschöpft.10 4
So etwa Dinger/Goldner, Sicherungsübereignung von Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, ZBB 2009, 204, 212. 5 So die Forderung von Müller-Helle/Theilmann, Eigentum und Eigentumsvorbehalt an Offshore-Windkraftanlagen, RdE 2010, 369, 375. 6 Gesetz zu dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1982, BGBl. 1994 II, 1798. 7 Vgl. Art. 2 Abs. 1 SRÜ. 8 Zur Entwicklung siehe Graf Vitzthum, Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 5. Abschnitt Rn. 44. 9 Vgl. Art. 3 ff. SRÜ. 10 Vgl. Bekanntmachung der Proklamation der Bundesregierung über die Ausweitung des deutschen Küstenmeeres vom 11. 11. 1994, BGBl. 1994 I, 3428; Zweite Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik, GBl. DDR 1984 I, 441. Zu den Hintergründen der räumlich begrenzten Erweiterung des Küstenmeeres in der Ostsee siehe R. Lagoni, Case Study of Germany, in Franckx (Hrsg.), Vessel-
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Da das Küstenmeer (genauso wie die landseitigen Wassergebiete jenseits der Basislinien) einen Teil des Staatsgebiets darstellt,11 stellen sich für Windkraftanlagen in diesem Teil des Meeres nicht in besonderer Weise Fragen des anwendbaren Rechts. Vielmehr wenden die Behörden und Gerichte diejenigen Regeln des Landes-, Bundes-, Europa- oder Völkerrechts an, die nach den allgemeinen Grundsätzen der räumlichen Geltung von Normen diesen maritimen Teil des deutschen Staatsgebiets ordnen sollen. 2. Ausschließliche Wirtschaftszone Wie einleitend bereits erwähnt, werden Windkraftanlagen in Deutschland – anders als in den Nachbarstaaten – aber kaum im Küstenmeer errichtet, sondern in einem Meeresgebiet, das als Ausschließliche Wirtschaftszone bezeichnet wird. Die Herausbildung dieser Meereszone war dem Bestreben der Küstenstaaten geschuldet, die Ressourcen außerhalb der 12-Seemeilen-Grenze ausschließlich ausbeuten zu können. 1958 wurde daher zunächst ein Abkommen über den Festlandsockel verabschiedet, das den Küstenstaaten für einen Bereich von bis zu 200 Seemeilen ab der Basislinie gerechnet souveräne Rechte zur Ausbeutung der im Meeresuntergrund vorhandenen Bodenschätze einräumt.12 Mit Blick auf dieses Übereinkommen haben beide deutschen Staaten jeweils einen Teil des an ihr Hoheitsgebiet angrenzenden Festlandsockels für sich beansprucht. Da die Meeresräume in Nord- und Ostsee allerdings nicht so groß waren, dass sämtliche Anrainerstaaten jeweils 200 Seemeilen beanspruchen konnten, wurde der genaue Grenzverlauf zwischen den beiden deutschen Staaten und ihren Küstennachbarstaaten in verschiedenen völkerrechtlichen Abkommen festgelegt.13
source Pollution and Coastal State Jurisdiction – The Work of the ILA Committee on Coastal State Jurisdiction Relating to Marine Pollution (1991 – 2000), 2001, 255, 257. 11 Petersen, Deutsches Küstenrecht, 1989, 39 f.; Graf Vitzthum, Maritimes Aquitorium und Anschlusszone, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, 2006, Kap. 2 Rn. 42. 12 Geneva Convention on the Continental Shelf, 499 UNTS 311. 13 Für die Nordsee wurden folgende Verträge geschlossen: Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die Abgrenzung des Festlandsockels unter der Nordsee, BGBl. 1972 II, 882; Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Abgrenzung des Festlandsockels unter der Nordsee, BGBl. 1972 II, 889; Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die Abgrenzung des Festlandsockels unter der Nordsee zwischen den beiden Ländern, BGBl. 1972 II, 897. Für die Ostsee wurden folgende Verträge geschlossen: Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen über die Abgrenzung des Festlandsockels in der Ostsee, GBl. DDR 1970 I, 106; Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und dem Königreich Schweden über die Abgrenzung des Festlandsockels, GBl. DDR 1979 II, 38; Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und dem Königreich Dänemark über die Abgrenzung des Festlandsockels und der Fischereizonen, GBl. DDR 1989 II, 147. Zur Fortgeltung der völkerrechtlichen Verträge, die die DDR abgeschlossen hat, siehe allg. Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000, 487.
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Die Rechte des Küstenstaates über diese an das Küstenmeer angrenzende Meereszone wurden durch das SRÜ erweitert. Das SRÜ, mit dem die AWZ geschaffen wurde (Art. 55 ff. SRÜ), trat am 16. 11. 1994 in Kraft und geht dem Festlandsockelübereinkommen vor (Art. 311 Abs. 1 SRÜ). Die AWZ stellt Regeln über die Ausbeutung der Ressourcen des Festlandsockels sowie der Wassersäule auf und konsumiert das Festlandsockelregime somit weitgehend, sofern ein Staat eine AWZ proklamiert hat. Das hat Deutschland 1994 für die Nord- und Ostsee getan.14 Der Grenzverlauf der deutschen AWZ entspricht den völkervertraglich vereinbarten Grenzen des Festlandsockelregimes. AWZ und Festlandsockel sind in Deutschland somit deckungsgleich.15 In völkerrechtlicher Hinsicht ist die AWZ nicht ein Teil des Staatsgebiets des Küstenstaates, sondern ein sog. „Funktionshoheitsraum“.16 Der Küstenstaat verfügt in diesem Teil des Meeres nämlich nicht über die volle Souveränität, sondern nur über „souveräne Rechte“, die es ihm ermöglichen, die dort lebenden und nichtlebenden natürlichen Ressourcen auszubeuten.17 In diesem Zusammenhang darf der Küstenstaat auch die Einrichtung und Nutzung von Anlagen wie Windkraftparks hoheitlich regeln, wie sich aus Art. 56 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 60 SRÜ ergibt.
III. Das anwendbare Verfassungs- und Verwaltungsrecht 1. Vorbemerkung Um die Regeln zur Ermittlung des auf AWZ-Sachverhalte anwendbaren Rechts besser darstellen zu können, soll nachfolgend im Sinne der Sonderrechtstheorie zwischen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Fragen auf der einen und privatrechtlichen Sachverhalten auf der anderen Seite differenziert werden.18 Diesbezüglich ist aber gleich eine Einschränkung angebracht: Eine solche Differenzierung ist in vielerlei Hinsicht künstlich und mit Blick auf das europäische Recht nur sehr bedingt 14
Proklamation der Bundesrepublik Deutschland über die Errichtung einer ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland in der Nordsee und in der Ostsee vom 25. 11. 1994, BGBl. 1994 II, 3770. 15 Ehlers, Nutzungsregime in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, in: Ehlers/Erbguth (Hrsg.), Nutzungs- und Schutzkonflikte in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) – rechtliche Steuerungsmöglichkeiten – Dokumentation des Rostocker Gesprächs zum Seerecht 2003, 2005, 13; D. Reichert-Facilides, Eigentumsschutz und Verwertung von Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone, WM 2011, 1544, 1545. 16 Graf Vitzthum (Fn. 8), 5. Abschnitt Rn. 49. 17 Vgl. nur Art. 56 Abs. 1 lit. a, Art. 77 Abs. 1 SRÜ. Eingehend zu den Rechten des Küstenstaates Proelß, Festlandsockel und ausschließliche Wirtschaftszone, in: Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, Kap. 3 Rn. 223 ff.; R. Lagoni, Die Errichtung von Schutzgebieten in der ausschließlichen Wirtschaftszone aus völkerrechtlicher Sicht, NuR 2002, 121, 122 ff. 18 Allg. zu dieser Abgrenzungslehre Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2009, Rn. 72.
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anwendbar.19 Gleichwohl soll sie den nachfolgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden, um die unterschiedlichen Denkmodelle für die „extraterritoriale“ Geltung von Rechtsnormen in der AWZ besser darlegen zu können. 2. Verfassungsrecht Ausweislich seiner Präambel gilt das deutsche Grundgesetz (GG) im deutschen Staatsgebiet, das sich aus den Gebieten der einzelnen Bundesländer zusammensetzt. Darüber hinaus zählt auch das Küstenmeer zum Bundesgebiet der Bundesrepublik.20 Nach einhelliger Meinung endet die Anwendbarkeit des Grundgesetzes jedoch nicht an der deutschen Seegrenze.21 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist staatliches Handeln nämlich auch dann an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, wenn es sich im Ausland auswirkt.22 Der geographische Anwendungsbereich des Grundgesetzes wird somit durch die Erwägung bestimmt, dass die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch deutsche Staatsorgane stets den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung unterworfen werden muss, unabhängig davon, wo gehandelt wird oder wo sich die Folgen der staatlichen Aktivität zeigen. Daraus folgt, dass staatliche Aktivitäten, die sich in der AWZ auswirken, ebenfalls an den Vorgaben des Grundgesetzes zu messen sind.23 3. Verwaltungsrecht Ganz so einfach liegen die Dinge beim unterverfassungsrechtlichen Verwaltungsrecht nicht. Zu Beginn der Debatte über die Frage, welche verwaltungsrechtlichen Normen und Verfahren in der deutschen AWZ Anwendung finden sollten, wurde 19 Bei der Auslegung des Begriffspaares „Zivil- und Handelssachen“, das den Anwendungsbereich der EU-Verordnungen zum internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht determiniert, verwendet der EuGH allerdings ähnliche Erwägungen, um zivilrechtliche von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten abzugrenzen. Näher dazu Dutta, Stichwort „Zivil- und Handelssache“, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. II, 2009, 1087, 1808 f. 20 Statt vieler R. Lagoni (Fn. 10), 256 f.; Petersen, Deutsches Küstenrecht, 1989, 48 ff. 21 Statt vieler Risch (Fn. 1), 61 ff. 22 BVerfG, Beschluss v. 21. 3. 1957 – 1 BvR 65/54, BVerfGE 6, 290, 295; BVerfG, Beschluss v. 25. 3. 1981 – 2 BvR 1258/79, BVerfGE 57, 9, 23; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, 17. Edition 2013, Art. 1 GG Rn. 75 f. 23 BVerfG, Beschluss v. 26. 4. 2010 – 2 BvR 2179/04, NVwZ-RR 2010, 555, 556 (für Grundrechtsbindung): „Die Grundrechte des Grundgesetzes sind für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Windparks maßgeblich. Dem steht nicht entgegen, dass hier die Genehmigung eines Offshore-Windparks in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland in Rede steht. Die ausschließliche Wirtschaftszone gehört zwar […] nicht zum deutschen Hoheitsgebiet […]. Indes binden die Grundrechte die von dem Grundgesetz verfasste deutsche öffentliche Gewalt auch, soweit Wirkungen ihrer Betätigung außerhalb des Hoheitsbereichs der Bundesrepublik Deutschland eintreten […].“
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im Schrifttum – vornehmlich mit Blick auf das Umweltrecht – vorgeschlagen, sämtliche innerstaatlichen Gesetze in der AWZ ipso iure anzuwenden, die von ihrem Regelungsgegenstand her für eine Anwendung in diesem Meeresgebiet in Betracht kämen.24 Dieser Ipso-iure-Geltung wurden allerdings schnell verfassungs- und völkerrechtliche Bedenken entgegengehalten. Da die AWZ nicht zum Hoheitsgebiet eines Staates gehöre, so die Gegner dieser Ansicht, dürfe man die innerstaatliche Rechtsordnung nicht ipso iure dort anwenden, käme dies doch einer völkerrechtswidrigen Erweiterung des Hoheitsgebiets gleich.25 Vielmehr habe der Gesetzgeber für jedes Gesetz zu entscheiden, ob es auf Windparks in der AWZ Anwendung finden solle oder nicht. Deshalb könnten nur solche Normen in der deutschen AWZ Anwendung finden, die der Gesetzgeber ausdrücklich auf AWZ-Sachverhalte erstreckt habe, wie es etwa im Bundesberggesetz26 oder im neuen BNatSchG27 der Fall sei (sog. „Erstreckungslehre“).28 Die Notwendigkeit einer solchen gesetzlichen „Erstreckungsklausel“ wird vor allem aus dem völkerrechtlichen Publizitätsgrundsatz sowie dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsklarheit abgeleitet. Ohne eine solche Anordnung des Gesetzgebers könnten Rechtsunterworfene nämlich nicht – oder zumindest nur sehr eingeschränkt – erkennen, welche Vorschriften des deutschen Rechts in der AWZ Anwendung fänden und welche nicht.29 24 Czybulka, Zur Geltung des nationalen Rechts in der AWZ, in: Ehlers/Erbguth (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Seerecht II – Dokumentation der Rostocker Gespräche zum Seerecht 2000 – 2002, 2003, 43, 49 ff.; ähnlich, aber etwas einschränkend, Kahle, Nationale (Umwelt-)Gesetzgebung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone am Beispiel der Offshore-Windparks, ZUR 2004, 80, 83 f. Für eine weitgehende Geltung des innerstaatlichen Rechts in der AWZ des Küstenstaates zudem Gündling, Die 200 Seemeilen-Wirtschaftszone – Entstehung eines neuen Regimes des Meeresvölkerrechts, 1983, 220; Jenisch, OffshoreWindenergieanlagen im Seerecht – Verfahren und Inhalte der Genehmigung, NuR 1997, 373, 375 (jeweils unter Berufung auf die Hoheitsbefugnisse des Küstenstaates gem. Art. 60 Abs. 2 SRÜ). 25 R. Lagoni, NuR 2002, 121, 125; Keller, Das Planungs- und Zulassungsregime für Offshore-Windenergieanlagen in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) – anhand völkerrechtlicher, gemeinschaftsrechtlicher und innerstaatlicher Vorgaben, 2006, 177; Risch (Fn. 1), 122 f. 26 Vgl. § 2 Abs. 3 BBergG (bezogen auf den Festlandsockel). 27 Vgl. § 56 BNatSchG. 28 Eine solche Erstreckungsklausel wird (neben den in Fn. 25 genannten Autoren) auch für notwendig erachtet von Erbguth/Mahlburg, Steuerung von Offshore-Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone – Raumordnerische Handlungsmöglichkeiten des Bundes und der Länder, DÖV 2003, 665, 668; Bönker, Windenergieanlagen auf hoher See – Rechtssicherheit für Umwelt und Investoren?, NVwZ 2004, 537, 539; Rosenbaum, Errichtung und Betrieb von Windkraftanlagen im Offshore-Bereich – Vorgaben des internationalen und nationalen Rechts, 2006, 177 f.; Bayreuther, RIW 2011, 446, 448 f.; inzident auch Hübner, Offshore-Windenergieanlagen, Planungs- und genehmigungsrechtliche Grundlagen für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen in Küstengewässern und in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, ZUR 2000, 137, 139. 29 Zum Ganzen R. Lagoni, NuR 2002, 121, 125; Risch (Fn. 1), 123.
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Man wird die Lehre von der „Erstreckungsklausel“ im Verwaltungsrecht mittlerweile als herrschend bezeichnen können, da das OVG Hamburg mit dieser Begründung die Überprüfung einer Baugenehmigung für eine Offshore-Windkraftanlage am Maßstab des (alten) Raumordnungsgesetzes (ROG) abgelehnt hat.30 In der Folge wurde das Gesetz geändert und mit einer Erstreckungsklausel für die deutsche AWZ versehen.31 4. Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass Normen des deutschen Verwaltungsrechts nur auf Vorgänge in der AWZ Anwendung finden können, soweit der Gesetzgeber ihre Erstreckung auf dieses Meeresgebiet angeordnet hat. Für die Anwendbarkeit des Grundgesetzes wird diese Einschränkung nicht gemacht.
IV. Das anwendbare Privatrecht 1. Grundlagen Die Debatte über die Geltung zivilrechtlicher Normen in der AWZ wurde von den Staatsrechtlern eröffnet. Diese haben die Maßstäbe zur Geltung des Verwaltungsrechts in der AWZ auf zivilrechtliche Sachverhalte übertragen.32 Dabei wurde im Kern folgende Argumentationskette aufgebaut: Da die AWZ nicht zum deutschen Staatsgebiet gehöre, könnten dort zivilrechtliche Gesetze nur dann gelten, wenn sie der Gesetzgeber mit einer Erstreckungsanordnung versehen habe. Eine solche Erstreckung sei etwa im EEG vorgesehen, nicht aber im BGB. Somit würden die Vorschriften des EEG in der AWZ gelten, aber eben nicht die des BGB.33 Die Annahme, dass es in der AWZ etwa keine bürgerlich-rechtliche Eigentumsordnung gebe, ist im staatsrechtlichen Schrifttum weit verbreitet und klingt selbst in einem obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts an.34 Vor diesem Hintergrund wurde der Ruf laut, der 30
Das OVG Hamburg führte in diesem Zusammenhang aus, dass die Norm des ROG, auf die sich die Kläger beriefen, ausweislich ihres Wortlauts nur „für den Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume [gilt, wozu die] ausschließliche Wirtschaftszone offensichtlich nicht [zählt].“, OVG Hamburg, Beschluss vom 15. 9. 2004 – 1 Bf 128/04, NVwZ 2005, 347, 349. 31 Seither ordnet § 1 Abs. 4 ROG n.F. an, dass das Raumordnungsrecht auch für die deutsche AWZ in Nord- und Ostsee gilt. 32 Grundlegend Risch (Fn. 1), 162 ff. 33 Die Geltung des BGB in der deutschen AWZ wird explizit verworfen von Risch (Fn. 1), 167. 34 Im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Beschwerde von Fischern, die sich durch die Genehmigung einer Offshore-Windkraftanlage in der AWZ in ihren Grundrechten beeinträchtigt sahen, führte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss v. 26. 4. 2010 – 2 BvR 2179/04, NVwZ-RR 2010, 555, 556) zu Art. 14 GG aus: „Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass es die Verwaltungsgerichte ablehnen, aus der Eigentums-
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Bundesgesetzgeber möge doch das BGB mit einer Erstreckungsklausel ausstatten, um Klarheit bezüglich zivilrechtlicher Rechtsverhältnisse in Bezug auf Windkraftanlagen in der AWZ zu schaffen.35 Neuere Stellungnahmen in der Debatte versuchen dagegen Mittel und Wege zu finden, die Geltung zumindest von Teilen des BGB in der AWZ sicherzustellen. So wird vorgeschlagen, dass das BGB auch ohne Erstreckungsklausel in der AWZ gelten solle, sofern dies zur Anwendung bzw. Auffüllung eines anderen Gesetzes notwendig sei, welches – wie z. B. das EEG – auf AWZ-Sachverhalte erstreckt wurde.36 Überspitzt formuliert könnte man diesen Ansatz als „Huckepacklösung“ bezeichnen, da das BGB an erstreckte Gesetze „angedockt“ wird und seine Normen nur insoweit gelten, als dies zur Anwendung der erstreckten Gesetze notwendig ist. Meines Erachtens erkennen aber weder die „Erstreckungslehre“ noch die „Huckepacklösung“ den Kern der Problematik. Zunächst ist ihr Ausgangspunkt falsch. Meereszonen außerhalb der Staatsgrenzen sind nämlich nicht per se zivilrechtsfreie Räume. Vielmehr ist seit Jahrhunderten anerkannt, dass zivilrechtliche Institute auch außerhalb der Staatsgrenzen im Meer gelten können. So ist etwa akzeptiert, dass es auch in diesen Meereszonen Aneignungsrechte für über Bord gegangene Schiffsladung geben muss.37 Aber nicht nur das zivilrechtliche Institut des Eigentums ist in Meeresgebieten außerhalb der Staatsgrenzen anerkannt. Selbstverständlich ist ein Schiffseigner auch nicht rechtlos, wenn sein Schiff in rechtswidriger Weise auf hoher See von einem anderen Schiff gerammt wird. Vielmehr kann der Eigner in einem solchen Fall Schadensersatz verlangen.38 Und wenn zwei Juristen – die Angewährleistung des Art. 14 GG eine Klagebefugnis herzuleiten. Beide Fachgerichte haben in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass die Fanggründe und der dortige Fischreichtum nicht zu dem von Art. 14 GG geschützten Eigentum gehören. Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist […]. Insoweit weisen die Beschwerdeführerinnen selbst zutreffend darauf hin, dass die Rechtsordnung ein Institut wie das Eigentum in der ausschließlichen Wirtschaftszone nicht kenne.“ (Hervorhebung hinzugefügt) 35 Nachweis supra Fn. 5. 36 Hierfür Büllesfeld/Multmeier, „Auf hoher See?“ – Zur Anwendbarkeit nationalen Zivilrechts auf Offshore-Windenergieanlagen in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone, ZNER 2009, 7, 10 f. 37 D. Reichert-Facilides, WM 2011, 1544, 1547; allg. zur Anwendung nationalen Sachrechts auf Gegenstände, die außerhalb der Staatsgrenzen im Meer belegen sind, Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2010, Art. 43 EGBGB Rn. 106. 38 Nach welchem Recht sich sein Schadensersatzanspruch richtet, ist allerdings umstritten, näher dazu Basedow, Rome II at Sea – General Aspects of Maritime Torts, RabelsZ 74 (2010), 118, 120 ff.; Hoffmann, in: Julius von Staudingers Kommentar zum BGB, EGBGB/IPR, Neubearbeitung 2001, Art. 40 EGBGB Rn. 222 ff.; Schaub, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB Kommentar, 7. Aufl. 2012, Art. 4 Rom II-VO Rn. 16; Spickhoff, in: Bamberger/ Roth (Hrsg.), Beck’scher Onlinekommentar BGB, 6. Edition 2013, Art. 4 Rom II-VO Rn. 22 f.; siehe allg. zur Rechtslage in der AWZ auch Wurmnest (Fn. 3), 397 sowie Thole in diesem Sammelband.
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hänger der „Erstreckungslehre“ sind – nach einem Schiffbruch außerhalb der Staatsgrenzen in einem Ruderboot sitzend einen Vertrag abschließen, dann ist dieser auch nicht unwirksam, nur weil die Absprache außerhalb des Hoheitsgebiets eines Staates getroffen wurde. Im Übrigen gibt das Völkerrecht bisweilen sogar vor, dass eine Eigentumsordnung in Funktionshoheitsräumen gelten muss. So hat sich die Bundesrepublik etwa völkervertragsrechtlich verpflichtet, die rechtswidrige Inbesitznahme und Gewaltanwendung gegen Anlagen, die zu wirtschaftlichen Zwecken auf ihrem Festlandsockel installiert sind, strafrechtlich zu verfolgen.39 Widerrechtlich kann eine Inbesitznahme bzw. Beschädigung allerdings nur dann sein, wenn diese Handlungen von der Zivilrechtsordnung nicht legitimiert sind, weil der Störer kein Recht zum Besitz bzw. zur Schädigung der Anlage hatte. Diese Rechte kann nur die bürgerlichrechtliche Eigentumsordnung vermitteln.40 Ist das Meer außerhalb der Staatsgrenzen kein zivilrechtsfreier Raum, so stellt sich die Frage, nach welchen Grundsätzen das dort anwendbare Recht bestimmt werden muss. Meines Erachtens sind diesbezüglich die allgemeinen Regeln des (deutschen bzw. europäischen) Internationalen Privatrechts einschlägig, die vor allem im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) bzw. in europäischen Verordnungen niedergelegt sind.41 Die „Erstreckungslehre“ und die mit ihr verwandte „Huckepacklösung“ können die Anwendung zivilrechtlicher Normen auf AWZ-Sachverhalte hingegen nicht überzeugend begründen. Diese beiden Ansätze haben ihre Berechtigung im öffentlichen Recht, das auf einen bestimmten Staat bezogen ist, der durch diese Regeln seine Hoheitsmacht gegenüber den Rechtsunterworfenen in seinem Hoheitsbereich definiert. Verwaltungsbehörden prüfen daher stets, ob sie berechtigt bzw. verpflichtet sind, eine bestimmte innerstaatliche Norm auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden. Sie prüfen aber niemals, ob sie ausländisches Recht anwenden müssen. Rechtstechnisch wird die Anwendung verwaltungsrechtlicher Normen auf Auslandssachverhalte daher durch eine einseitige Erstreckung des heimischen Rechts erreicht.42
39 Vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 des Protokolls zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, BGBl. 1990 II, 508. 40 Zum Ganzen D. Reichert-Facilides, Eigentumsschutz und Verwertung von Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone, WM 2011, 1544, 1548. 41 Für eine Lösung auf Grundlage der Regeln des IPR auch Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236, 245 ff.; Böttcher, Das Meer als Rechtsraum – Anwendbarkeit deutschen Sachenrechts auf Offshore-Windkraftanlagen und Möglichkeiten der Kreditsicherung, RNotZ 2011, 589, 592 f.; D. Reichert-Facilides, WM 2011, 1544, 1548 ff.; Cloppenburg, Die Lieferung und Errichtung sowie Wartung von On- und Offshore-Windenergieanlagen, ZfBR-Beil. 2012, 3, 8. 42 Zum Ganzen v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, 2. Aufl. 2003, § 4 Rn. 53; Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236, 245 f.; Böttcher, RNotZ 2011, 589, 592.
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Bei privatrechtlichen Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug steht dagegen eine ganz andere Frage im Vordergrund. Da das IPR alle Privatrechtsordnungen als gleichwertig ansieht, muss eine Auswahlentscheidung getroffen werden, welches Recht auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist.43 Rechtstechnisch geschieht dies im IPR durch die Festlegung von Anknüpfungspunkten, die im Regelfall das mit dem Sachverhalt am engsten verbundene Recht zur Anwendung berufen sollen.44 Das auf diese Weise gefundene Recht kann das heimische Recht sein oder aber auch ein ausländisches Recht. Aus dieser Perspektive ist eine Erstreckungsklausel in materiell-rechtlichen Gesetzen wie dem BGB überflüssig. Ob eine Vorschrift des BGB Anwendung findet, hängt nämlich nicht von einer solchen Klausel ab, sondern davon, ob die Normen des IPR das deutsche Recht für anwendbar erklären und der Sachverhalt nach dem BGB zu lösen ist. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts in der AWZ auf Grundlage der Regeln des IPR kann auch nicht pauschal unter Verweis auf den fehlenden Auslandsbezug von Sachverhalten, die sich in der deutschen AWZ zutragen, abgelehnt werden.45 Ob ein Sachverhalt einen Auslandsbezug aufweist, oder, wie es in den EU-Rechtsakten zum IPR heißt, eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“46 besitzt, kann nämlich nicht abstrakt bestimmt werden, sondern hängt davon ab, ob die einschlägigen Kollisionsnormen durch ihre Anknüpfungspunkte einem grenzüberschreitenden Bezug im Einzelfall Bedeutung zumessen.47 Allerdings stellt sich die Frage, ob die hier vertretene IPR-Lösung mit den Vorgaben des Grundgesetzes in Einklang steht. Im staatsrechtlichen Schrifttum wird die Notwendigkeit einer Erstreckungsklausel im BGB ja maßgeblich mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsklarheit begründet48 und natürlich muss auch das deutsche IPR verfassungsrechtliche Vorgaben einhalten.49 Meines Erachtens ver43
Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 3 I; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 1 Rn. 12. 44 v. Bar/Mankowski (Fn. 42), § 7 Rn. 92; Kropholler (Fn. 43), § 4 II; v. Hoffmann/Thorn (Fn. 43), § 1 Rn. 12 ff. 45 Mit dieser Begründung werden die Regeln des internationalen Privatrechts für unanwendbar erklärt von Risch (Fn. 1), 164. 46 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO. 47 Siehr, Internationales Privatrecht, 2001, 359; v. Hoffmann/Thorn (Fn. 43), § 1 Rn. 21 f.; Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236, 245 f. (jeweils bezogen auf das EGBGB); Junker, in: MünchKommBGB (Fn. 37), Art. 1 Rom II-VO Rn. 9; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Fn. 38), Art. 1 Rom II-VO Rn. 11 (bezogen auf das Tatbestandsmerkmal „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ der Rom II-VO); ähnlich Ringe, in: juris PraxisKommentar, BGB, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2013, Art. 1 Rom I-VO Rn. 17 ff.; Magnus, in: Julius von Staudingers Kommentar zum BGB, EGBGB/IPR, Neubearbeitung 2011, Art. 1 Rom I-VO Rn. 10 ff.; Martiny, in: MünchKommBGB (Fn. 37), Art. 1 Rom I-VO Rn. 15 (jeweils bezogen auf die Anwendbarkeit der Rom I-VO). 48 Siehe supra Text vor Fn. 29. 49 Siehe nur BVerfG, Beschluss v. 4. 5. 1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58, 72 ff. (sog. Spanier-Beschluss). Das europäische IPR muss dagegen den Vorgaben der europäischen Grundrechte genügen. Soweit ersichtlich wird in Bezug auf EU-Richtlinien und Verordnungen
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langt das Grundgesetz bzw. das völkerrechtliche Publizitätsprinzip für privatrechtliche Sachverhalte aber keineswegs eine ausdrückliche Erstreckungsklausel in Bezug auf einzelne Gesetze. Da im IPR gewissermaßen verschiedene Normen zu Statuten gebündelt werden, genügt es dem Gebot der Rechtsklarheit, wenn die Anwendung eines Gesetzes sich aus den Kollisionsnormen des IPR ergibt. Als Zwischenfazit möchte ich daher festhalten, dass es keiner Erstreckungsklausel bedarf, damit einzelne Gesetze zur Regelung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse in der deutschen AWZ oder der AWZ eines anderen Küstenstaates gelten. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich vielmehr nach den Kollisionsnormen des IPR. Dieser Mechanismus zur Ermittlung des anwendbaren Rechts soll exemplarisch an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Zum einen soll das auf AWZ-Windkraftanlagen anwendbare Sachenrecht dargestellt werden, zum anderen wird das auf das Einspeiseverhältnis von Anlagebetreiber und Netzbetreiber zur Anwendung gelangende Recht erläutert. 2. Das anwendbare Sachenrecht a) Grundlagen Das Internationale Sachenrecht ist in Deutschland in Art. 43 – 46 EGBGB kodifiziert. Die Ermittlung des anwendbaren Rechts folgt einer einfachen Grundstruktur. Als Grundregel bestimmt Art. 43 Abs. 1 EGBGB, dass sich Rechte an Sachen nach der sog. Situsregel richten, also nach dem Recht des Lageortes der Sache (lex rei sitae). Die Einfachheit und Klarheit dieser Regel überzeugt in vielen Fällen, aber nicht in allen. Sie überzeugt dann nicht, wenn eine Sache häufig über Staatsgrenzen hinweg verschoben wird oder ihr Lageort zum Zeitpunkt einer Verfügung nur schwer oder sogar überhaupt nicht bestimmt werden kann. Deswegen sieht Art. 45 EGBGB eine Sonderregel für bestimmte Transportmittel vor, darunter auch Wasserfahrzeuge. Rechte an Wasserfahrzeugen bestimmen sich nicht nach der Situsregel, sondern nach dem Recht der Registereintragung (Art. 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EGBGB).50 Für besonders gelagerte Fälle hat der Gesetzgeber ferner eine Ausweichklausel in Art. 46 EGBGB geschaffen, nach der abweichend von den vorerwähnten Regeln ein anderes Recht zur Anwendung kommen kann, wenn dieses eine wesentlich engere Beziehung zum Sachverhalt aufweist.
aber nicht gefordert, dass sie ausdrücklich mit einer Erstreckungsklausel versehen werden müssen, damit sie in der AWZ gelten, siehe Risch (Fn. 1), 53 f. 50 Zu den Hintergründen dieser Kollisionsnorm Junker, Die IPR-Reform von 1999: Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, 241, 245; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21. 5. 1999, RabelsZ 65 (2001), 383, 451; Wendehorst, in: MünchKommBGB (Fn. 37), Art. 45 EGBGB Rn. 1; Kieninger, in: jurisPK-BGB (Fn. 47), Art. 43 EGBGB Rn. 1.
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b) Anwendung auf AWZ-Sachverhalte aa) Überträgt man die skizzierten Regeln auf Windkraftanlagen in der AWZ, so liegt auf der Hand, dass Art. 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EGBGB nicht zur Anwendung gelangen kann.51 Offshore-Windkraftanlagen werden derzeit an einem bestimmten Ort im Meer aufgestellt und nicht bewegt. Im Regelfall sind sie fest mit dem Meeresboden verbunden oder ruhen mit schweren Fundamenten auf dem Meeresgrund.52 Es handelt sich also gerade nicht um Wasserfahrzeuge, da diese als schwimmende Körper definiert werden, die bewegt werden können.53 bb) Somit bleibt zu klären, ob das anwendbare Recht durch die Anwendung von Art. 43 EGBGB ermittelt werden kann. Diese Norm bestimmt in Absatz 1: „Rechte an einer Sache unterliegen dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet.“54 Umstritten ist nun, wie der in dieser Kollisionsnorm verwendete Staatsbegriff auszulegen ist. Viele Stimmen sind der Ansicht, dass der Staatsbegriff streng völkerrechtlich zu verstehen sei. Da die AWZ völkerrechtlich nicht zum Staatsgebiet gehöre, könne Art. 43 EGBGB nicht direkt angewendet werden. Allerdings befürworten diese Stimmen eine analoge Anwendung dieser Norm auf Anlagen in der AWZ, mit dem Ergebnis, dass sich sachenrechtliche Fragestellungen in der deutschen AWZ nach deutschem Sachenrecht beurteilen.55 Ich teile dieses Ergebnis vollkommen, bin aber der Ansicht, dass eine Analogie nicht zwingend notwendig ist. Es ist nämlich anerkannt, dass im IPR die Anknüpfung an den „Staat“ nicht unbedingt den Staat im Sinne des Völkerrechts meint.56 Vielmehr besteht eine Autonomie der kollisionsrechtlichen Begriffe, die die Gerichte häufig für sich in Anspruch genommen haben, wenn etwa über die Anwendung von zivilrechtlichen Regeln der Besatzungsmacht in völkerrechtswidrig besetzten Gebieten zu entscheiden war oder über die Anwendbarkeit von Regeln, die völkerrechtlich nicht anerkannte Staaten erlassen
51 So auch Diekamp, ZBB 2004, 10, 21; Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236, 243; Büllesfeld/Multmeier, ZNER 2009, 7, 9; Böttcher, RNotZ 2011, 589, 594; D. Reichert-Facilides, WM 2011, 1544, 1548 ff.; Gottschall, Die Besicherung von Offshore-Windkraftanlagen nach deutschem und US-amerikanischem Recht – unter besonderer Berücksichtigung des anwendbaren Rechts auf Offshore-Installationen in hoheitsfreien Räumen, 2011, 49. 52 Zu den verschiedenen Verankerungstechniken von Offshore-Windkraftanlagen siehe Preliminary study on the extension of the Cape Town Convention system to ships and maritime transport equipment and to off-shore wind power generation and similar equipment, Rn. 111 ff., abrufbar unter: http://www.unidroit.org/english/governments/councildocuments/ 2013session/cd92 - 05cd-e.pdf (zuletzt abgerufen am 1. 7. 2013). 53 Wendehorst, in: MünchKommBGB (Fn. 37), Art. 45 EGBGB Rn. 22; Kieninger, in: jurisPK-BGB (Fn. 47), Art. 43 EGBGB Rn. 11; zur Schiffsdefinition im deutschen Sachrecht siehe auch BGH, Urteil v. 14. 12. 1951 – I ZR 84/51, NJW 1952, 1135 (Schwimmkran als Schiff). 54 Hervorhebung hinzugefügt. 55 Hierfür Diekamp, ZBB 2004, 10, 21; D. Reichert-Facilides, WM 2011, 1544, 1549; Gottschall (Fn. 51), 52; wohl auch Cloppenburg, ZfBR-Beil. 2012, 3, 8. 56 Siehe statt vieler Kropholler (Fn. 43), § 8 II.
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haben.57 Gesteht man Begriffen des IPR eine gewisse Autonomie von völker- bzw. staatsrechtlichen Vorgaben zu, ist es möglich, den Staatsbegriff weit auszulegen. Die Folge ist, dass Art. 43 EGBGB nicht nur die „klassische Konstellation“ der Belegenheit eines Gegenstandes auf dem Territorium eines Staates erfasst, sondern auch Fälle, in denen Sachen in einer Meereszone mit abgestuften Hoheitsbefugnissen belegen sind, wie der AWZ oder dem Festlandsockelgebiet.58 Es ist hier aber nicht der Ort, um über solche Finessen dieses akademischen Glasperlenspiels zu referieren. Entscheidend ist allein, dass die Belegenheit einer Sache in einer AWZ aus Sicht des IPR die notwendige Zuordnung zu einer bestimmten Eigentumsordnung ermöglicht. Die Verknüpfung der in der AWZ belegenen Windkraftanlage mit der Sachenrechtsordnung des Küstenstaates folgt nämlich aus der völkerrechtlichen Ordnung des Meeres. Das Völkerrecht gewährt dem Küstenstaat nämlich ausschließliche souveräne Rechte über Offshore-Anlagen, die in seiner AWZ aufgestellt werden (Art. 56 Abs. 1 lit. a i.V.m. 60 Abs. 1 SRÜ). Aufgrund der Exklusivität der souveränen Rechte für AWZ-Anlagen kann durch die Anknüpfung an den physischen Lageort der Sache eine Beziehung zu einer bestimmten Eigentumsordnung hergestellt werden, nämlich zu der Eigentumsordnung des Küstenstaates.59 Die direkte oder analoge Anwendung von Art. 43 EGBGB führt daher auch zu einem sachgerechten Ergebnis. cc) Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die vereinzelt geäußerte Ansicht nicht, Art. 43 EGBGB sei auf AWZ-Sachverhalte schon deshalb nicht anwendbar, weil diese Kollisionsnorm lediglich Konflikte zwischen Sachenrechtsordnungen verschiedener Staaten regeln wolle, nicht aber Fälle, in denen Sachen in „staatenlosen Gebieten“ belegen seien.60 Zwar ist richtig, dass das Anknüpfungsmerkmal des physischen Lageortes der Sache leerläuft, wenn diese in einem Nichtstaatsgebiet wie der Antarktis oder der hohen See belegen ist, so dass eine Anwendung der Situsregel ausscheiden muss. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Situsregel niemals auf Gebiete außerhalb der klassischen Hoheitsgrenzen der Staaten Anwendung finden kann. Vielmehr bleibt die Anwendung möglich, wenn sich eine eindeutige Verknüpfung 57
Eingehend dazu v. Bar/Mankowski (Fn. 42), § 3 Rn. 28 ff. Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236, 247; Böttcher, RNotZ 2011, 589, 594 f.; im Ergebnis auch Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Online-Kommentar BGB (Fn. 38), Art. 43 EGBGB Rn. 6; Thorn, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl. 2013, Art. 43 EGBGB Rn. 1; Wendehorst, in: MünchKommBGB (Fn. 37), Art. 43 EGBGB Rn. 22 m. Fn. 27. Auch der EuGH hat – wenngleich im Kontext des Zuständigkeitsrechts – anerkannt, dass Arbeit auf dem Festlandsockel zuständigkeitsrechtlich als Arbeit im Küstenstaat anzusehen ist. Daher sind die Gerichte des Küstenstaates international zuständig, um über arbeitsrechtliche Streitigkeiten zu entscheiden, die Arbeitsverträge betreffen, die ein Arbeitnehmer auf festen oder schwimmenden Einrichtungen auf oder über dem Festlandsockel erfüllt, siehe EuGH, Urteil v. 27. 2. 2002 – Rs. C-37/00, Herbert Weber/Universal Ogden Services Ltd., Slg. 2002, I-2013 Rn. 31 ff. 59 Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236, 247; Böttcher, RNotZ 2011, 589, 593 f. 60 So Dinger/Goldner, ZBB 2009, 204, 211, die das anwendbare Recht daher unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des Art. 46 EGBGB ermitteln wollen. 58
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zwischen Lageort in einem Gebiet mit abgestuften Hoheitsrechten und dem Sachenrecht eines einzigen Staates ermitteln lässt. Wie gezeigt, ist dies bei Anlagen in der AWZ der Fall.61 c) Ergebnis Offshore-Windkraftanlagen werden fest im Meeresboden verankert. Das auf solche Anlagen anzuwendende Sachenrecht richtet sich daher nach der in Art. 43 Abs. 1 EGBGB normierten Situsregel, die entweder direkt oder analog auf Anlagen in der AWZ Anwendung findet. Veröffentlichte Rechtsprechung dazu gibt es – soweit ersichtlich – noch nicht. Ich bin aber überzeugt, dass der BGH ganz sicher auf Art. 43 EGBGB (direkt oder analog) rekurrieren wird, um das auf in der AWZ belegene Gegenstände anwendbare Sachenrecht zu ermitteln. Übereignungen an Sachen in der deutschen AWZ richten sich daher nach deutschem Sachenrecht. Die von einigen Anwälten empfohlene Übereignung von Offshore-Windkraftanlagen an Land oder auf Schiffen mit deutscher Flagge ist daher nicht erforderlich. Ausgeschlossen ist eine solche Übereignung einzelner Bauteile an Land bzw. auf einem deutschen Schiff nach meiner Lösung aber nicht. Den Wirtschaftsteilnehmern steht es also frei, eine ihnen genehme Übereignungsvariante zu wählen. 3. Das auf das Schuldverhältnis von Anlage- und Netzbetreiber anwendbare Recht Als zweites Beispiel soll das auf das Einspeiseverhältnis zwischen dem Betreiber der Offshore-Windkraftanlage und den Netzbetreibern anwendbare Recht erläutert werden. Die Anlagenbetreiber erzeugen in der AWZ aus Windkraft Strom, den sie den Netzbetreibern gegen Entgelt überlassen. Dieses Verhältnis wird im deutschen Recht maßgeblich durch die Vorschriften des EEG geregelt. a) Grundlagen Um die Anwendbarkeit des EEG auf Vorgänge in der AWZ zu bestimmen, muss man sich vergegenwärtigen, dass dieses Gesetz ganz unterschiedliche Bestimmungen enthält, die zum Teil dem Verwaltungsrecht,62 zum Teil dem Prozessrecht63 61
Gegen die Anwendung des Rechtsgedankens aus Art. 46 EGBGB auf AWZ-Sachverhalte auch Böttcher, RNotZ 2011, 589, 594. Spickhoff, auf den sich Dinger/Goldner – wohl zu Unrecht – bezogen haben, vertritt ebenfalls die Ansicht (mittlerweile ausdrücklich), dass Windkraftanlagen in der AWZ kollisionsrechtlich über Art. 43 EGBGB dem Recht des Küstenstaates zuzuordnen sind, siehe ders., in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher OnlineKommentar BGB (Fn. 38), Art. 43 EGBGB Rn. 6. 62 Dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist § 60 EEG (Verzicht der öffentlichen Hand auf Sondernutzungsgebühr, soweit der Anlagenbetreiber Strom liefert). 63 Verfahrensrechtlich zu qualifizieren ist § 58 EEG, soweit diese Norm auf die zivilprozessualen Regeln des UWG verweist (§§ 12 – 14 UWG).
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und zum Teil dem Privatrecht zugeordnet werden können. Aufgrund dieser Gemengelage muss die Anwendbarkeit des EEG stets auf einzelne Sachfragen bezogen werden. Blickt man auf die Ausgestaltung des Einspeiseverhältnisses von Anlagebetreiber und Netzbetreiber, so ist dieses zivilrechtlicher Natur.64 Das EEG gestaltet die Beziehung der beiden Betreiber als „gesetzliches Schuldverhältnis“ (§ 4 EEG), das den Netzbetreiber verpflichtet, den von den Anlagebetreibern erzeugten Strom vorrangig abzunehmen (§ 8 EEG) und mit bestimmten Sätzen zu vergüten (§ 16 EEG). Da die Kernelemente der Vertragsbeziehung gesetzlich vorgegeben werden, ist der Abschluss eines Stromeinspeisevertrags nicht notwendig, um ein Schuldverhältnis zu begründen. Das EEG-Pflichtenprogramm wird zum Teil durch das allgemeine Schuldrecht konkretisiert.65 In eng umgrenzten Fällen können die Parteien bestimmte (Neben-)Pflichten ihrer Lieferbeziehung durch Vereinbarung regeln, sofern sie dabei nicht vom zwingenden EEG-Recht abweichen.66 b) Anwendung auf AWZ-Sachverhalte aa) Um die Frage zu beantworten, welches Recht auf das Einspeiseverhältnis von Anlagebetreibern und Netzbetreibern Anwendung findet, muss man zunächst klären, welche Kollisionsnorm einschlägig ist. Eine Kollisionsnorm für „gesetzliche Schuldverhältnisse“ gibt es nicht. Vielmehr differenziert das geltende IPR – in diesem Falle europäischer Provenienz – zwischen vertraglichen Schuldverhältnissen (für die die Rom I-VO einschlägig ist)67 und außervertraglichen Schuldverhältnissen (für die die Rom II-VO gilt, sofern nicht ausnahmsweise autonomes Recht einschlägig ist).68 Meines Erachtens kann die Lieferbeziehung zwischen Anlagebetreiber und Netzbetreiber – obgleich materiell-rechtlich als gesetzliches Schuldverhältnis ausgestaltet – aus kollisionsrechtlicher Sicht als vertragliches Verhältnis eingestuft werden. Diese Einordnung erscheint mir naheliegend, da die Ausgestaltung der Einspeisebe64 Ebenso Büllesfeld/Multmeier, ZNER 2009, 7, 11, die entgegen der hier vertretenen Ansicht allerdings das gesamte EEG als zivilrechtliches Gesetz qualifizieren wollen. Siehe allgemein zum Hintergrund der Entscheidung des Gesetzgebers, das Einspeiseverhältnis als „gesetzliches Schuldverhältnis“ auszugestalten, Salje, EEG 2012, 6. Aufl. 2012, § 4 Rn. 1 ff. 65 Büllesfeld/Multmeier, ZNER 2009, 7, 11. Deutlich auch Salje (Fn. 64), § 16 Rn. 24 ff., der etwa auf die Anwendbarkeit bestimmter Grundsätze des Leistungsstörungsrechts verweist. 66 Ausnahmsweise können die Parteien die an sich zwingenden Regelungen des EEG modifizieren. Solche Abweichungen sind allerdings nur nach bestimmten Verfahren statthaft, siehe § 4 Abs. 2 S. 2 EEG. Zum Ganzen Salje (Fn. 64), § 4 Rn. 38 ff., 55 ff. 67 In zeitlicher Hinsicht gilt die Rom I-VO für Verträge, die nach dem 17. 12. 2009 geschlossen werden (Art. 28 Rom I-VO). Für Altverträge, die nach dem 1. 9. 1986 geschlossen wurden, gilt das Römer Schuldvertragsübereinkommen von 1980, das der deutsche Gesetzgeber in den (mittlerweile aufgehobenen) Art. 27 – 37 EGBGB niedergelegt hatte. 68 In zeitlicher Hinsicht gilt die Rom II-VO für schadensbegründende Ereignisse, die ab dem 11. 1. 2009 eintreten, siehe EuGH, Urteil v. 17. 11. 2011 – C-412/10, NJW 2012, 441 Rn. 37 – Homawoo/GMF Assurances.
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ziehung von Netz- und Anlagebetreiber einem klassischen Kaufvertrag, also einem vertraglichen Schuldverhältnis, sehr ähnelt.69 bb) Die Regeln zur Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts sind in der Rom I-VO niedergelegt. Nach dieser Verordnung können die Parteien das auf ihren Vertrag anwendbare Recht frei wählen (Art. 3 Rom I-VO). Würden etwa der Netz- und der Anlagebetreiber ihr Verhältnis dem niederländischen Recht unterstellen, so würde das niederländische Zivilgesetzbuch Einzelfragen des Vertragsverhältnisses bestimmen. Ohne Rechtswahl würde eigentlich das Recht des Staates Anwendung finden, in dem der Anlagebetreiber seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, da der Anlagebetreiber bei einer Stromlieferung ähnlich wie bei einem Kaufvertrag über bewegliche Sachen die charakteristische Leistung erbringt.70 Würde etwa eine niederländische Gesellschaft ohne Hauptverwaltung bzw. Zweigniederlassung in Deutschland (Art. 19 Abs. 1, 2 Rom I-VO) eine Windkraftanlage in der deutschen AWZ betreiben, so würde nach dieser Regel niederländisches Zivilrecht auf den Vertrag Anwendung finden. Es ist nun aber nicht so, dass die zwingenden Vorschriften des EEG durch eine Rechtswahl zugunsten eines ausländischen Rechts bzw. durch den Abschluss des Vertrags mit Anlagebetreibern, die ihren Sitz im Ausland haben, ausgehebelt werden könnten. Die Rom I-VO sieht nämlich Schutzmechanismen vor, um ordnungspolitische Vorschriften eines Staates durchzusetzen. So können die Abnahme- und Vergütungsregeln des EEG für Einspeisungen in das deutsche Netz als Eingriffsnormen im Sinne von Art. 9 Rom I-VO qualifiziert werden, so dass ein deutsches Gericht gehalten ist, diese Bestimmungen anzuwenden, unabhängig davon, welches Recht ansonsten auf das Einspeiseverhältnis zur Anwendung berufen ist.71 cc) Darüber hinaus ist fraglich, ob die Einspeisebeziehung zwischen einem ausländischen Betreiber von Windkraftanlagen in der deutschen AWZ, deren Strom über den Netzbetreiber in das deutsche Stromnetz eingespeist wird, sich mangels Rechtswahl gem. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO nach dem Sitzrecht des Anlagebetreibers richtet. Nach der sog. Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO kann nämlich von dem Recht der Partei, die die charakteristische Leistung erbringt, abgewichen werden, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass das Schuldverhältnis eine engere Beziehung zu einem anderen Staat aufweist. Die Ausweichklausel ist re-
69 Der Kontrahierungszwang, dem die Netzbetreiber unterworfen sind, steht der Einordnung einer Rechtsbeziehung als vertragliches Schuldverhältnis nach verbreiteter Auffassung nicht prinzipiell entgegen, siehe Magnus, in: Staudinger, EGBGB/IPR (Fn. 47), Art. 1 Rom I-VO Rn. 34 (m. w. N., auch zur Gegenauffassung). 70 Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO. Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO ist auf das Schuldverhältnis von Anlage- und Netzbetreiber nicht anwendbar. Diese Norm erfasst nur Kaufverträge über bewegliche Sachen, wozu elektrische Energie nicht zählt, siehe Magnus, in: Staudinger, EGBGB/IPR (Fn. 47), Art. 1 Rom I-VO Rn. 38. 71 D. Reichert-Facilides, WM 2011, 1544, 1547 m. Fn. 27.
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striktiv auszulegen.72 Nur bei einer „offensichtlich engeren Verbindung“, wie es im Gesetz heißt, darf daher von der Regelanknüpfung abgewichen werden. In Bezug auf die Lieferung von AWZ-Windkraftstrom durch Anlagebetreiber mit Sitz im Ausland kann eine solche engere Beziehung zum deutschen Recht angenommen werden. Ein Netzbetreiber ist kraft (international) zwingenden deutschen Rechts gesetzlich verpflichtet, den in der deutschen AWZ generierten und ihm angebotenen Strom abzunehmen und zu vergüten. Er kann sich also seine Geschäftspartner nicht aussuchen. Da der Netzbetreiber bei der Abnahme von Windkraftstrom nicht die charakteristische Leistung erbringt, kann er nicht vorhersehen, welches Recht zur Anwendung gelangt, weil dies allein davon abhängt, in welchem Land die verschiedenen Betreiber der Anlagen ihren Sitz haben. Darüber hinaus wird der Strom in der deutschen AWZ produziert und die Lieferbeziehung dort auch erfüllt. In der Gesamtschau kann daher eine engere Beziehung zum deutschen Recht angenommen werden, so dass sich das „gesetzliche Schuldverhältnis“ zwischen Anlagebetreiber und Netzbetreiber bzw. zusätzliche Absprachen über die Ausgestaltung der Lieferung von in der deutschen AWZ produziertem Ökostrom gem. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO nach deutschem Recht richten, sofern die Parteien das anwendbare Recht nicht vertraglich festgelegt haben. c) Ergebnis Das auf die Einspeisebeziehung zwischen Anlagebetreiber und Netzbetreiber anwendbare Recht bestimmt sich nach den Regeln der Rom I-VO. Haben die Parteien deutsches Recht gewählt oder hat der Anlagebetreiber seinen Sitz in Deutschland, so kommt deutsches Recht zur Anwendung. Hat der Anlagebetreiber seinen Sitz im Ausland, so kann über die Ausweichklausel deutsches Recht zur Anwendung gelangen. Kommt – etwa im Wege der Rechtswahl – ausländisches Recht zur Anwendung, so ist zu berücksichtigen, dass dieses durch die (international) zwingenden Vorschriften des EEG überlagert wird. Daher können durch Vertragsgestaltung weder der Kontrahierungszwang noch die Vergütungsregelungen des EEG abbedungen werden. 4. Reformbedarf im (Internationalen) Privatrecht? Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, dass die Frage, welches Recht auf AWZ-Sachverhalte anzuwenden ist, mit dem geltenden IPR sachgerecht gelöst werden kann. Einer grundlegenden Reform des IPR bedarf es daher aus meiner Sicht nicht. Allenfalls könnte man überlegen, in einzelnen Kollisionsnormen klarzu72 Die restriktive Auslegung ergibt sich u. a. aus der Gesetzgebungsgeschichte. Der EUGesetzgeber hat den Anwendungsbereich der Ausweichklausel im Vergleich zum EVÜ enger gefasst, da unter Geltung der Rom I-VO nur eine „offensichtlich“ engere Verbindung ein Abgehen von der Regelanknüpfung gestattet, siehe zum Ganzen Magnus, in: Staudinger, EGBGB/IPR (Fn. 47), Art. 4 Rom I-VO Rn. 127 ff.; Ringe, in: jurisPK-BGB (Fn. 47), Art. 1 Rom I-VO Rn. 58.
Das auf Offshore-Windkraftanlagen anwendbare Recht
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stellen, dass der Begriff „Staat“ auch die AWZ bzw. das Festlandsockelgebiet umfassen kann.73 Ein solcher Eingriff wäre allerdings recht umfangreich, da doch einige Kollisionsnormen geändert werden müssten. Ob Aufwand und Ertrag in einem gesunden Verhältnis stünden, ist somit sehr fraglich, da man das gewünschte Ergebnis auch durch Auslegung bzw. Rechtsfortbildung des geltenden Rechts erzielen kann. Um den Rechtsrahmen für die Offshore-Industrie zu verbessern, sind meines Erachtens Reformen im Privatrecht sehr viel dringlicher. Der Gesetzgeber sollte allerdings – entgegen Forderungen aus der Praxis – nicht damit beginnen, einzelne Gesetze auf die AWZ zu erstrecken, da das IPR auch ohne solche Erstreckungsklauseln für sinnvolle Ergebnisse sorgt. Vielmehr sollte der Gesetzgeber die Instrumente der Kreditsicherung für Offshore-Projekte ausdifferenzieren und dabei berücksichtigen, dass Offshore-Anlagen immer häufiger durch internationale Konsortien errichtet bzw. betrieben werden. Es bietet sich daher an, ein internationales Sicherungsinstrument auszuarbeiten. Sehr zu begrüßen ist daher der im März 2013 offiziell lancierte Vorschlag des Unidroit-Generalsekretariats,74 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben, um ein Zusatzprotokoll auszuarbeiten, mit dem das System des Übereinkommens vom 16. 11. 2001 über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung (sog. Kapstadt-Übereinkommen)75 auf Offshore-Windkraftanlagen erstreckt würde. Das Kapstadt-Übereinkommen wurde bislang von über 50 Staaten ratifiziert76 und wird von der Praxis sehr gut angenommen. Durch diese Erstreckung könnte ein eigenständiges Sicherungsrecht geschaffen werden, das in ein zentrales Register eingetragen würde und das in allen Vertragsstaaten mit Vorrangwirkung und Insolvenzfestigkeit ausgestattet wäre. Für den Fall, dass es in naher Zukunft gelingt, ein solches Protokoll auszuarbeiten, sollte die Bundesrepublik dieses Zusatzprotokoll schnellstmöglich ratifizieren. Scheitert die Etablierung eines internationalen Sicherungsrechts oder wird die Erarbeitung eines solchen Rechts auf die lange
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So ein Vorschlag von Gottschall (Fn. 51), 168 f. Preliminary study on the extension of the Cape Town Convention system to ships and maritime transport equipment and to off-shore wind power generation and similar equipment (Fn. 52). 75 Das Abkommen ist in einer deutschen Übersetzung abgedruckt in: IPRax 2003, 276. Die englische und französische Fassung ist veröffentlicht in: Rev. dr. uniforme 7 (2002), 132. Art. 51 des Kapstadt-Übereinkommens sieht die Möglichkeit vor, für weitere wertvolle bewegliche Gegenstände, die bislang nicht in das Übereinkommen und seine Protokolle einbezogen sind, weitere Protokolle zu erarbeiten. Obwohl Windkraftanlagen nach dem derzeitigen Stand der Technik fest mit dem Meeresboden verbunden werden, können sie nach Auffassung des Generalsekretariats von Unidroit als bewegliche Sachen im Sinne des Kapstadt-Übereinkommens angesehen werden, da das Übereinkommen auf Gegenstände erstreckbar ist, die bewegt werden können. Ausreichend ist also, dass die Anlagen etwa zum Aufbau in die AWZ verbracht oder nach einer bestimmten Laufzeit abgebaut und zurück an Land transportiert werden, siehe Preliminary study on the extension of the Cape Town Convention system (Fn. 52), Rn. 167. 76 Siehe die Übersicht unter: http://www.unidroit.org/english/implement/i-2001-convention. pdf (zuletzt abgerufen am 1. 7. 2013). 74
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Bank geschoben, wonach es derzeit aussieht,77 sollte der deutsche Gesetzgeber – gewissermaßen als zweitbeste Lösung – das nationale Kreditsicherungsrecht ergänzen. Zu denken wäre an eine Erweiterung des Schiffsregisters, so dass Offshore-Anlagen mit einer Hypothek belastet werden könnten.78
V. Zusammenfassung Verwaltungsrechtliche Normen und Verfahren finden nach herrschender Ansicht nur dann in der AWZ Anwendung, wenn der Gesetzgeber die entsprechenden Regeln ausdrücklich auf diesen Meeresraum erstreckt hat. Dagegen bestimmt sich das auf zivilrechtliche Rechtsverhältnisse in der AWZ anwendbare Recht meines Erachtens nach den Regeln des deutschen bzw. europäischen IPR. Daher hängt die Anwendung zivilrechtlicher Normen in der AWZ nicht von Erstreckungsklauseln ab. Nach der hier vorgestellten Lösung richten sich etwa Verfügungen über Anlagen bzw. Anlagenteile, die in deutschen Hoheitsgewässern oder der deutschen AWZ belegen sind, gem. Art. 43 EGBGB (ggf. analog) nach deutschem Sachenrecht. Das Schuldverhältnis von Netz- und Anlagebetreiber kann sich dagegen in Ausnahmefällen auch nach einer ausländischen Zivilrechtsordnung richten, allerdings können dadurch nicht die international zwingenden Vorschriften des EEG ausgehebelt werden. Im IPR besteht somit kein dringender Änderungsbedarf. Auf jeden Fall sollten aber Reformen im materiellen Recht angeschoben werden. Deutschland sollte die Ausarbeitung eines Zusatzprotokolls zum Kapstadt-Übereinkommen aktiv unterstützen, um ein internationales Sicherungsinstrument für Offshore-Anlagen zu schaffen. Kann ein solches Abkommen nicht in den nächsten Jahren ausgearbeitet werden, sollte das nationale Recht reformiert und das deutsche Schiffsregister für Offshore-Windkraftanlagen geöffnet werden.
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Dem Vernehmen nach (ein Sitzungsprotokoll wurde bislang – Stand: 1. 7. 2013 – nicht im Internet veröffentlicht) hat der Governing Council von Unidroit in seiner 92. Sitzung im Mai 2013 entschieden, dass die Ausarbeitung eines Zusatzprotokolls für Offshore-Windkraftanlagen zurückgestellt werden soll, um zunächst Protokolle für „agricultural, mining and construction equipment“ sowie für „ships and maritime transport equipment“ auszuarbeiten. 78 Näher dazu Wurmnest, RabelsZ 72 (2008), 236, 360 ff.; Gottschall (Fn. 51), 170 ff.
Aktuelle Rechtsfragen bei der Genehmigung von Offshore-Windparks1 Von Gero von Daniels, Berlin
I. Der Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland Die Erschließung der maritimen Windenenergieressourcen ist von zentraler Bedeutung für das Gelingen der Energiewende in Deutschland. Gleichzeitig stellt sie die beteiligten Vorhabenträger und Planungsbehörden vor spürbare praktische und rechtliche Probleme. Nach den Zielvorgaben der Bundesregierung soll die Energieerzeugung aus Offshore-Windparks bis zum Jahr 2030 einen Output von 30 GW erreichen.2 Bis zum Jahr 2050 soll die Gesamtleistung sogar auf über 70 GW gesteigert werden. Die besondere Bedeutung von Offshore-Anlagen rührt dabei aus den bestehenden Kapazitätsengpässen der Onshore-Windenergieerzeugung her, für die kaum noch konfliktfrei beplanbare Projektflächen zur Verfügung stehen. Die Zukunft der regenerativen Energieerzeugung aus Wind liegt also nach Maßgabe der politischen Prioritätensetzung jenseits der Küsten. Der tatsächliche Ausbauzustand fällt im Vergleich zur ambitionierten Planung indes bescheiden aus: Die bisher installierten Anlagen erreichen eine Leistung von ca. 630 MW (Stand: März 2014).3 Aus der Vielfalt der hierfür verantwortlichen Faktoren kann die Komplexität der für den Ausbau erforderlichen Genehmigungsverfahren herausgegriffen werden. Mit der Novellierung der Seeanlagenverordnung (SeeAnlV) von 20124 hat sich der Gesetzgeber deshalb einiger als besonders dringend empfundener Defizite der bisherigen prozeduralen Rechtslage angenommen und wesentliche Verfahrensbestandteile modifiziert. Der folgende Beitrag beleuchtet zunächst die Rechtsgrundlagen (II.) des erneuerten Verfahrens. Als Kernbestandteile 1 Der Beitrag befindet sich, soweit nicht gesondert angegeben, auf dem Stand des Tagungszeitpunkts. 2 Energiekonzept der Bundesregierung für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, 28. September 2010, S. 9. 3 Nähere Informationen unter http://www.offshore-windenergie.net/windparks/windparksin-betrieb. 4 Verordnung über Anlagen seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres (Seeanlagenverordnung) v. 23. Januar 1997, BGBl. I S. 57; maßgeblich novelliert durch die Verordnung zur Neuregelung des Rechts der Zulassung von Seeanlagen seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres, BGBl. I S. 112.
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der Novelle neben der zentralen Umstellung auf eine Planfeststellung (III.) erweisen sich insbesondere die Regelungen zur frühzeitigen Auflösung von Planungskonkurrenzen (IV.) und zu den erweiterten Steuerungs- und Beschleunigungsinstrumenten der Planungsbehörde (V.). Von der Novelle unberührt, aber weiterhin hoch relevant für den Ausbau der Offshore-Windenergie bleiben schließlich die Vorgaben des materiellen Naturschutzrechts (VI.).
II. Genehmigungsregime in der AWZ: Die novellierte SeeAnlV5 Da in unmittelbarer Küstennähe Konflikte sowohl mit dem Naturschutz (Nationalpark Wattenmeer) als auch mit den Interessen der Fischerei- und Tourismuswirtschaft unvermeidlich sind, konzentrieren sich die Bestrebungen zum Ausbau der Offshore-Windenergie auf die sich jenseits der 12-Seemeilen-Zone erstreckende Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ). Die AWZ bildet keinen Teil des Hoheitsgebiets, sondern unterliegt lediglich beschränkten Hoheitsrechten, weshalb Bundesgesetze nur aufgrund ausdrücklicher Anweisung für dieses Gebiet Geltung erlangen.6 Es bedarf daher einer eigenständigen Regelung des Rechts für Offshore-Windenergieanlagen in der AWZ. Die maßgeblichen Bestandteile des Rechtsregimes für die Genehmigung von Offshore-Windparks hat der Gesetzgeber für diesen Bereich in der SeeAnlV zusammengefasst. Sie enthält u. a. Regelungen über die institutionelle Zuständigkeit, die Natur des Genehmigungsverfahrens und den Vorrang bei konkurrierenden Vorhabenplanungen. Im Hinblick auf jede dieser Materien hat die Novelle von 2012 erhebliche Änderungen bewirkt. Das übergeordnete Ziel der Neufassung bildete der Wunsch, zu einer merklichen Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens und der anschließenden Anlagenerrichtung zu gelangen, um so der energiepolitischen Bedeutung der Offshore-Windenergie möglichst rasch Rechnung tragen zu können.7 Hierzu wurden zwei konkrete Reformziele übernommen, die die Bundesregierung bereits in ihrem Energiekonzept von 2010 identifiziert hatte: Die Konzentration aller notwendigen Genehmigungen in einer einzigen, umfassenden Verwaltungsentscheidung und die Vermeidung von Vorratshaltungen durch Vorhabenträger, die zwar an einer baldigen Realisierung nicht interessiert sind, gleichwohl aber ähnliche Projekte von Wettbewerbern zu verhindern suchen.8
5 Vgl. hierzu auch Spieth/Uibeleisen, NVwZ 2012, 321 ff.; Büllesfeld/Koch/Stackelberg, ZUR 2012, 274 ff.; Zabel, IR 2012, 74 ff.; ders., NordÖR 2012, 263 ff. 6 So die Einschätzung der Bundesregierung (siehe BT-Drs. 17/6077, S. 8) und der h.M. in der Lehre, siehe Proeßl, ZUR 2010, 359, 359. 7 Nichtamtliche Begründung, S. 1. 8 Energiekonzept der Bundesregierung für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, 28. September 2010, S. 9.
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Als Konsequenz bewirkte die Novelle vor allem drei wesentliche Änderungen des Genehmigungsverfahrens. Zum ersten ersetzt eine Genehmigung durch Planfeststellung in weiten Teilen die bisher erforderlichen Einzelgenehmigungen. Der Vorhabenträger kann sich daher auf ein behördliches Verfahren beschränken, muss allerdings die (modifiziert übernommenen) Elemente des Planfeststellungsverfahrens nach VwVfG beachten. Als Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde nimmt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) nunmehr eine überragende Stellung im Verfahren ein. Es besitzt darüber hinaus neue fristengekoppelte Beschleunigungsinstrumente, mittels derer die Vorhabenträger zur zügigen Durchführung des Genehmigungsverfahrens und der Anlagenerrichtung und -inbetriebnahme angehalten werden sollen. Hierzu dient insbesondere die Erstellung sogenannter Zeit- und Maßnahmenpläne durch den Vorhabenträger, deren Erfüllung ihm im weiteren Ablauf zur Obliegenheit wird. Schließlich zeichnet sich die Novelle auch durch eine neue Konkurrenzregelung aus, die den Vorhabenträgern eine frühzeitige Flächensicherung ermöglicht und die Behörde von ineffizienten Parallelverfahren befreien soll. Neben diesen verfahrensbezogenen Änderungen erfolgte mit der Novelle der SeeAnlV eine Klarstellung des Anlagenbegriffs. Nunmehr deutlich getrennt wird zwischen den Windrädern einschließlich der windparkinternen Verkabelung sowie des Umspannspannwerks einerseits (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SeeAnlV) sowie den Übertragungseinrichtungen, also der Konverterstation und dem daran anschließenden Netzanbindungskabel im Bereich der AWZ, andererseits. Damit sind vor allem letztere als eigenständige Anlage anzusehen und einer gesonderten Planfeststellung zugänglich.9 Bedeutung erlangt diese Trennung, da Anlagen nach Nr. 1 in der Regel UVP-pflichtig sind, während für die Planfeststellung der Übertragungsanlagen auf eine UVP verzichtet werden kann.10
III. Das Genehmigungsverfahren nach der SeeAnlV 1. Bisherige Rechtslage Nach alter Rechtslage11 war zunächst ein vergleichsweise rudimentärer Genehmigungsantrag ohne Umweltverträglichkeitsstudie einzureichen, dem im Wesentlichen lediglich eine Darstellung der Anlage und ihres Betriebs sowie die Sicherheits- und Vorsorgemaßnahmen beizufügen waren, vgl. § 5 Abs. 1 SeeAnlV a.F. Die Verwaltungspraxis des BSH sah dabei vor, dass der Antragstellung ein bis zwei Beteiligungsrunden folgten und erst anschließend eine Antragskonferenz abgehalten wurde, bei der insbesondere der Untersuchungsrahmen der Umweltverträglichkeits9
Vgl. Zabel, NordÖR 2012, 263, 263 f. Schmälter, in: Danner/Theobald, Energierecht (Stand: 79. EL 2013), § 1 SeeAnlV Rn. 6. 11 Vgl. hierzu Spieth/Uibeleisen, NVwZ 2012, 312, 323; Dannecker/Kerth, DVBl. 2011, 1460, 1462; Dahlke, NuR 2002, 472, 475 ff. 10
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studie und der Risikoanalyse festgelegt wurden. Nach Fertigstellung dieser Unterlagen folgte der Erörterungstermin. Lagen danach die Voraussetzungen für die Genehmigung nach § 3 SeeAnlV a.F. vor, so erteilte das BSH die Genehmigung. 2. Verfahren nach der SeeAnlV n.F. Der Ablauf nach neuer Rechtslage unterscheidet sich davon vor allem in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist das Verfahren für Anlagen, die der Energieerzeugung oder -übertragung dienen, nunmehr als Planfeststellung konzipiert (§ 2 Abs. 1 SeeAnlV) und folgt damit im Wesentlichen den Regeln der §§ 72 bis 78 VwVfG (§ 2 Abs. 3 SeeAnlV). Zum anderen hat der Vorhabenträger nach der novellierten Fassung die Möglichkeit, den Umfang der notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung in einem vorgeschalteten Scoping-Verfahren klären zu lassen (optionale Zweistufigkeit). Die Bedeutung dieser Neuerung liegt nicht allein darin, dass überhaupt die Möglichkeit eines Scopings vorgesehen wird, da diese sich schon aus dem über § 9 SeeAnlVanwendbaren12 UVPG ergibt. Sie entsteht vielmehr aus der Verzahnung mit dem vorrangsichernden Schutz, den der Vorhabenträger schon mit der Einreichung eines verfahrenseinleitenden Ersuchens zugebilligt erhält (dazu IV.). Dieser Vorteil wird allerdings mit gesteigerten Anforderungen an den Umfang und die Qualität der mit dem Ersuchen um ein Scoping einzureichenden Unterlagen erkauft (dazu IV. 3.). Da aufgrund der Komplexität der Anlagen zur Offshore-Windenergieerzeugung in der Regel ein Bedürfnis für eine frühzeitige Klärung des notwendigen Umfangs der Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen wird, ist die optionale Zweistufigkeit des Verfahrens insofern gleichwohl eher als Regelfall anzusehen. Dazu trägt auch das erhöhte Risiko bei, bei einem Verzicht auf das Scoping von Konkurrenten während der aufwändigen Erstellung der Planunterlagen „überholt“ zu werden. Im Ergebnis wird damit der eigentliche Antrag auf Planfeststellung im Verfahrensablauf nach hinten verlagert.13 Er unterliegt nach § 4 Abs. 1 SeeAnlVebenfalls strengen Anforderungen an den Umfang der einzureichenden Unterlagen und verlangt über den Mindeststandard des § 73 Abs. 1 Satz 2 VwVfG (Erkennbarkeit von Vorhaben, Anlass und betroffenen Grundstücken und Anlagen) hinaus die Darstellung von Sicherheits- und Vorsorgemaßnahmen, evtl. zusätzlich von der Behörde angefragte Sachverständigengutachten und einen Zeit- und Maßnahmenplan. Letzterer dient als Grundlage des erweiterten Steuerungsinstrumentariums des BSH und soll daher gesondert beleuchtet werden (dazu V.). Außerdem sind bei UVP-pflichtigen Anlagen die nach § 6 UVPG erforderlichen Unterlagen beizufügen. Sobald das BSH die Vollständigkeit der Unterlagen zum Antrag auf Planfeststellung überprüft hat, folgt ihre öffentliche Auslegung nach entsprechender Bekannt12
S. 8. 13
Zur anderenfalls fehlenden Geltung in der AWZ siehe oben II. sowie BT-Drs. 17/6077, Spieth/Uibeleisen, NVwZ 2012, 312, 323.
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machung.14 In diesem Rahmen kann jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, Einwendungen gegen den Plan erheben.15 Diese werden in einem anschließenden Erörterungstermin mit den Beteiligten diskutiert.16 Das BSH schließt das Verfahren mit dem Planfeststellungsbeschluss ab, in dem auch über die erhobenen Einwendungen entschieden wird.17 3. Verfahrensablauf aus Sicht des BSH Angesichts der gravierenden Veränderungen der SeeAnlV wäre zu erwarten gewesen, dass auch das BSH seine Verfahrensabläufe der neuen Rechtslage anpasst. Ausweislich der Selbstauskunft des Bundesamts in den Hinweisen für Planfeststellungsverfahren für Offshore-Windparks18 überlagern allerdings weiter Struktur und Terminologie des alten Verfahrensablaufs die neue Planfeststellungskonzeption. Demnach beginnt das Verfahren mit der Einreichung des Antrags, der zunächst auf Detailliertheit und Bestimmtheit geprüft wird. Sodann zieht das Bundesamt in einer „1. Beteiligungsrunde“ die Träger öffentlicher Belange hinzu und bittet diese um Stellungnahmen. Dem Vorhabenträger wird Gelegenheit gegeben, auf dieser Grundlage seinen Antrag zu ergänzen. Unklar bleibt hingegen, wie die Möglichkeit, um einen Scoping-Termin zu ersuchen, in dieses Prozedere eingebunden wird (das BSH erkennt sie als „[d]es Weiteren“ gegeben an). Derweil sieht das Bundesamt eine „2. Beteiligungsrunde“ vor, in der auch Interessenverbände hinzugezogen werden. Parallel dazu erfolgt die Beteiligung der Öffentlichkeit durch Auslegung der Antragsunterlagen sowie die Beteiligung der zuständigen Bundesländer und Netzbetreiber. In einem nächsten Schritt führt das BSH eine „Antragskonferenz“ durch, in der nun auch die Erforderlichkeit möglicher Umweltverträglichkeitsstudien erörtert wird. Materiell und auch explizit terminologisch verortet das Bundesamt die Phase des Scopings also erst auf dieser späten Verfahrensstufe. Nach der Festlegung des Untersuchungsrahmens hat der Antragsteller sodann die gesetzlich notwendigen Planunterlagen einzureichen, bevor im Rahmen einer erneuten Gelegenheit zur Stellungnahme („3. Beteiligungsrunde“) und Öffentlichkeitsbeteiligung die Modalitäten der Planfeststellung nach dem VwVfG durchlaufen werden. Nach einem abschließenden Erörterungstermin (§ 73 Abs. 6 VwVfG) ergeht der Beschluss des BSH.
14
§ 4 Abs. 2 SeeAnlV iVm § 73 Abs. 3 und § 5 VwVfG. § 4 Abs. 2 SeeAnlV iVm § 73 Abs. 4 VwVfG. 16 § 2 Abs. 3 SeeAnlV iVm § 73 Abs. 6 VwVfG. 17 § 2 Abs. 3 SeeAnlV iVm § 74 Abs. 1, 2 VwVfG. 18 Vgl. die Übersicht auf der Homepage des BSH, abrufbar unter http://www.bsh.de/de/Mee resnutzung/Wirtschaft/Windparks/Gverfahren.jsp; vgl. auch die Informationen auf http:// www.offshore-windenergie.net/politik/genehmigung. 15
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4. Stellungnahme zur Vorgehensweise des BSH Das BSH knüpft mit seiner Darstellung zum Planfeststellungsverfahren erkennbar an die bisherige Genehmigungspraxis an. Allerdings verbirgt die terminologische Kontinuität nicht nur die erheblichen Konsequenzen der SeeAnlV-Novelle, sie scheint auch die (optionale) Zweistufigkeit des Verfahrens zu überdecken und riskiert so Rechtsunsicherheit für die Beteiligten. Natürlich erscheint es verständlich, dass an einer eingespielten Verwaltungspraxis im Rahmen des Möglichen festgehalten werden soll. Es bleibt aber unklar, welchen „Antrag“ das Bundesamt als verfahrenseinleitend betrachtet und wie sich die Regeln über das Scoping (§ 5 UVPG) zu den Instituten der „1. und 2. Beteiligungsrunde“ und der „Antragskonferenz“ verhalten. Zwar sieht auch § 5 Abs. 1 Satz 2 – 4 UVPG (weitgehend optional) eine Beteiligung Dritter vor, das formalisierte Verfahren nach Darstellung des BSH geht darüber aber weit hinaus. Sofern gemeint sein sollte, dass der Antrag auf Planfeststellung zunächst nur in rudimentärer Form einzureichen und anschließend um weitere Unterlagen (insbesondere die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsstudie) zu ergänzen ist, dürfte dies mit der Anordnung des § 4 Abs. 1 Satz 2 SeeAnlV schwerlich in Einklang zu bringen sein. Der Erklärungsansatz, es handele sich um eine zunächst unvollständige Antragstellung, die auf Basis der von der Behörde zur Verfügung gestellten Angaben ergänzt wird, würde nicht nur das auf angemessene Fristsetzungen rekurrierende Grundkonzept des § 4 Abs. 1 Satz 3 – 4 SeeAnlV konterkarieren. Er würde wohl auch den Konkurrenzschutz nach § 3 Abs. 3 SeeAnlV aushebeln und damit zugleich erhebliche Angriffsfläche für Rechtsmittel konkurrierender Projektentwickler bieten. Die Unterscheidung zwischen der optionalen, den Regeln des UVPG unterliegenden ScopingPhase und der eigentlichen Planfeststellungsphase, wie sie der Gesetzgeber klar vor Augen hatte, spiegelt sich in den Hinweisen des BSH damit noch nicht angemessen wider. Zusätzliche Probleme schafft dies dort, wo eine UVP offensichtlich nicht notwendig ist, also insbesondere bei Anlagen der Energieübertragung, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SeeAnlV. Hier bleibt unklar, ob es ebenfalls aller Beteiligungsrunden sowie der „Antragskonferenz“ bedarf und ob damit die eigentlich in der Entbehrlichkeit der UVP liegende Verfahrenserleichterung durch die Ablaufgestaltung des BSH wieder „aufgefressen“ wird. Für Vorhabenträger besteht durch die vom BSH veröffentlichten und im Widerspruch zu den Vorgaben der SeeAnlV stehenden Informationen zum gegenwärtigen Zeitpunkt somit erhebliche Rechtsunsicherheit. Es bleibt daher abzuwarten, wie das BSH die zukünftig durchzuführenden Planfeststellungsverfahren tatsächlich strukturieren wird.
5. Reihenfolge der Antragsbearbeitung Wie eingangs erwähnt, steht der Ausbau der Offshore-Windenergie unter dem Zeitdruck der energiewendebedingten Notwendigkeiten und der politisch definierten Vorgaben. Das vorrangige Ziel der Novelle, die Erweiterung der Erzeugungskapazi-
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täten zu beschleunigen, war auch Anlass für den Gesetzgeber, in § 9 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 SeeAufgG vorzusehen, dass durch Rechtsverordnung „die Reihenfolge der Bearbeitung von Zulassungsanträgen“ festgelegt werden kann. In Umsetzung dessen sieht § 4 Abs. 4 SeeAnlV nunmehr vor, dass für Windfarmen „insbesondere die Nähe zur Küste und zu Stromnetzen“ Kriterien einer entsprechenden Festlegung der zuständigen Bundesministerien sein sollen. So einsichtig das Beschleunigungsziel zunächst erscheint,19 so offen bleiben die sich an diese Lösung anschließenden Fragen. Unklar ist schon, warum die bloß geographische Nähe per Luftlinie eine vorrangige Aussagekraft für die baldmögliche Verwirklichungschance eines Vorhabens bieten soll.20 Viel gravierender allerdings scheint die dem BSH offenstehende Möglichkeit, Vorrangprinzipien nicht zur Beschleunigung vordringlicher Vorhaben, sondern zur Zurückstellung als nachrangig eingeschätzter Projekte zu nutzen und so die Belastungen durch eine unzureichende Personaldecke der Verwaltung auszugleichen.21 Hinzu tritt die Gefahr, dass die Festsetzung der Bearbeitungsreihenfolge lediglich generell-abstrakt statt rechtsförmlich und unter Nennung der konkret betroffenen Vorhaben erfolgen wird, was eine gerichtliche Überprüfung durch die betroffenen Projektträger wesentlich erschweren würde.22 Eine zügige Errichtung nicht nur ausgesuchter, sondern sämtlicher Offshore-Windparks dürfte sicherlich ebenso dann gewährleistet sein, wenn alle Anträge mit der gleichen Intensität und Schnelligkeit bearbeitet werden. So jedoch besteht das Risiko, dass die Vorrangregelung zu Lasten jener Vorhabenträger gehen wird, deren Projekte die nur sehr vagen Nähekriterien nicht erfüllen.
IV. Konkurrenzregelung 1. Allgemeines Zu den wichtigsten Neuerungen im Zuge der Novellierung der SeeAnlV gehört die Einführung einer früh greifenden Konkurrenzregelung für miteinander konfligierende Projektanträge. Die entsprechenden Regeln finden sich nunmehr in § 3 SeeAnlV und sehen grundsätzlich vor, dass einem Projektträger bereits ab Einreichung des (vollständigen) Ersuchens um eine Unterrichtung nach § 5 UVPG (Unterrichtungsersuchen) bzw. im einstufigen Verfahren ab Einreichung des Antrags auf Planfeststellung Vorrang gegenüber später eingereichten Anträgen gebührt, soweit sich diese mit seinem eigenen Vorhaben nicht vereinbaren lassen. Hintergrund dieser frühzeitigen Auflösung von Konfliktlagen ist die als unbefriedigend empfundene Vorgängerregelung, die ausweislich § 5 Abs. 1 Satz 4 UVPG a.F. jenem Antrag Vorrang gewährte, der zuerst genehmigungsfähig war. Dieses „Prioritätsprinzip“ hatte zur Folge, dass auch bei absehbaren Konflikten Genehmigungsprozesse lange und 19
Vgl. auch die nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 15. Vgl. beispielsweise die Stellungnahme des BDEW vom 15. September 2011, S. 6 f. 21 So auch Büllesfeld/Koch/v. Stackelberg, ZUR 2012, 274, 277. 22 Vgl. Zabel, NordÖR 2012, 263, 266.
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kostenintensiv parallel geführt werden mussten, bis sich klärte, welcher Antragsteller „das Rennen macht“. In der Vermeidung solcher Parallelverfahren sieht die nichtamtliche Verordnungsbegründung folgerichtig die größte Entlastungswirkung für die Energiewirtschaft.23 Demgegenüber schaffe § 3 SeeAnlV n.F. „frühe Klarheit.“24 Dem mit der alten Regelung verfolgten Ziel, zu verhindern, dass Projektträger Anträge lediglich auf Vorrat einreichen und sich anschließend auf der einmal erreichten Verfahrensstufe nach Antragstellung „ausruhen“, muss nach der Novellierung anders begegnet werden. Der Verordnungsgeber hat daher vorgesehen, dass der Vorrang des zuerst eingereichten Antrags nur bei angemessen rascher Verfahrensdurchführung erhalten bleibt. Maßgebliches Sicherungsinstrument für das Engagement des Vorhabenträgers ist dabei der Zeit- und Maßnahmenplan im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 4 SeeAnlV, der mit dem Unterrichtungsersuchen einzureichen ist (dazu 4.). Der Verhinderung von Vorratsanträgen dienen außerdem die weiteren Anforderungen an den inhaltlichen Umfang des Ersuchens gem. § 3 Abs. 2 SeeAnlV (dazu 3.). Bevor die blockierende Wirkung eines vollständigen Ersuchens bzw. Antrags eintreten kann, ist aber zunächst zu klären, ob der davon betroffene Antrag eines Dritten überhaupt mit dem prioritären Vorhaben im Konflikt steht (dazu 2.).
2. Voraussetzungen einer Konkurrenzsituation Nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SeeAnlV besteht eine Konkurrenzsituation dann, wenn die später bei der Behörde eingereichten Vorhaben „wegen des Standortes nicht mit dem Vorhaben, das Gegenstand des früheren [Ersuchens bzw. Antrags] ist, vereinbar sind.“ Geregelt sind also allein solche Konkurrenzsituationen, die sich aus der Lage der Vorhaben ergeben. Eine bloß anderweitige Unvereinbarkeit, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, kann hingegen nicht genügen. Weitere Angaben enthält indes weder die SeeAnlV, noch die nichtamtliche Verordnungsbegründung. Nach der alten Textfassung hatte eine Konkurrenzsituation noch bei Anträgen „für den gleichen Standort oder benachbarte Standorte“ vorgelegen. Nach Auffassung des OVG Hamburg waren Standorte als benachbart anzusehen, wenn entweder eine räumliche Nähe besteht oder eine hinreichend enge und eindeutig erkennbare Funktionsbeziehung zwischen den Standorten erkennbar ist.25 Da die Neufassung der SeeAnlV jedoch an diesem Wortlaut nicht mehr festgehalten hat, scheidet eine direkte Übernahme dieser Argumentation des OVG Hamburg aus. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber die bewirkte Textänderung lediglich unbewusst oder versehentlich vorgenommen hat. Vielmehr ist die Neufassung des Wortlauts gerade vor dem Hintergrund der umfassenden No23
Jahr. 24
Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 5, schätzt die Entlastung auf 2 Mio. Euro pro
Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 12. OVG Hamburg, Beschl. v. 01. 02. 2010,Az. 5 Bs 225/09, zit. nach BeckRS 2010, 50903, unter I.1. 25
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velle im Zweifel als Distanzierung von der alten Rechtslage zu werten. Zwar könnte in dem Begriff der Unvereinbarkeit noch ein Widerhall des Kriteriums der Funktionsbeziehung erkannt werden. Ein Blick auf den Konkurrenzschutz auslösenden Verfahrensablauf steht einer solch weiten Auslegung aber entgegen und lässt eher erkennen, dass nunmehr nur eine echte Unvereinbarkeit aufgrund geographischer Überlagerung konkurrenzbegründend wirkt. Ausgangspunkt einer engen Auslegung ist die Tatsache, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 SeeAnlV eine Zurückstellung bereits für den Fall eines Unterrichtungsersuchens vorsieht. Dem Ersuchen sind lediglich jene Unterlagen beizufügen, die sich aus § 3 Abs. 2 SeeAnlV ergeben. Diese aber beschreiben primär das in Frage stehende Vorhaben und seine Auswirkungen auf öffentliche Belange, nicht jedoch die Auswirkungen, die sich aus einem Zusammenspiel mit anderen konkurrierenden Vorhaben ergeben könnten. Das BSH kann mithin aus den eingereichten Unterlagen nur eine Beurteilung in Bezug auf den konkreten Standort des in Frage stehenden Vorhabens durchführen. Angrenzende Standorte und somit auch benachbarte Vorhaben können bei der Beurteilung nicht berücksichtigt werden, wenn nicht das Bundesamt gezwungen sein soll, umfangreiche Nachforschungen anzustellen. Solche können jedoch auch in dem in der nichtamtlichen Verordnungsbegründung vorgesehenen Erörterungstermin mit den beteiligten Vorhabenträgern, der einer Rückstellung des später eingereichten Projekts vorangehen soll,26 nicht vorgenommen werden. Vielmehr spricht auch die Verordnungsbegründung selbst beispielhaft lediglich von zwei möglichen Lösungsszenarien: Dem Verzicht eines Vorhabenträgers auf sein Projekt oder der Verständigung über die Raumaufteilung.27 Damit liegt nahe, dass der Vorrang gegenüber später eingehenden Ersuchen oder Anträgen auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens nur für standortidentische oder zumindest -teilidentische Vorhaben eingreift. 3. Qualität der einzureichenden Unterlagen Damit das bloße Unterrichtungsersuchen die weitreichende Vorrangwirkung auslösen kann, bedarf es einer gewichtigen Begründung. Dies bedeutet insbesondere, dass aus Qualität und Umfang der einzureichenden Unterlagen die Ernsthaftigkeit des prioritären Vorhabens deutlich wird. Die nach § 5 UVPG üblicherweise ausreichenden, eher skizzierenden Unterlagen konnten dieser Anforderung aus Sicht des Verordnungsgebers keinesfalls genügen. Erforderlich sei vielmehr, dass die Angaben des Projektträgers „eine gewisse Tiefe haben und erkennen lassen, dass sich der Träger des Vorhabens mit den Anforderungen des Projektes auseinandergesetzt hat und wie er mit diesen Anforderungen umzugehen gedenkt.“28 Daher fordert § 3 Abs. 2 SeeAnlV nicht nur eine ausführliche Beschreibung des Vorhabens, sondern auch eine umfassende Darstellung möglicher Auswirkungen auf die durch das Vorhaben 26
Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 12. Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 12. 28 Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 12. 27
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berührten öffentlichen Belange, ein Konzept zur Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen und einen Zeit- und Maßnahmenplan (zu diesem 4.). Liegen diese zusätzlichen Unterlagen nicht vor, so tritt gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 SeeAnlV auch keine Vorrangwirkung ein. Ausweislich der Verordnungsbegründung soll die Priorität sogar schon dann entfallen, wenn das BSH eine Nachbesserung der mit dem Ersuchen eingereichten Unterlagen verlangt.29 Da behördliche Anregungen oder Nachforderungen im Genehmigungsverfahren alltägliche Praxis sind, wird allerdings nicht schon jedes behördliche Nachverlangen diese destruktive Wirkung haben können. Gemeint sein können vielmehr nur solche Rückfragen, die aufgrund einer evidenten Unvollständigkeit der nach § 3 Abs. 2 SeeAnlV geforderten Mindestangaben erfolgen.30 Für die Vorrangwirkung des eigentlichen Antrags auf Planfeststellung ergeben sich demgegenüber die zu erfüllenden Mindestvoraussetzungen aus § 3 Abs. 3 SeeAnlV, der auf die erforderlichen Unterlagen gem. § 4 Abs. 1 SeeAnlV rekurriert (dazu schon III. 2.). Insofern gilt das für die Vorrangwirkung des Unterrichtungsersuchens Gesagte entsprechend. 4. Zeit- und Maßnahmenplan nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 SeeAnlV Während der Zeit- und Maßnahmenplan nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 SeeAnlV als Bestandteil der notwendigen Unterlagen schon für die Begründung der Vorrangwirkung eines Unterrichtungsersuchens notwendig ist, besitzt seine Erfüllung entscheidende Bedeutung für die Erhaltung der Vorhabenpriorität. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 SeeAnlV wird die Zurückstellung konkurrierender Vorhaben nämlich u. a. dann unzulässig, wenn das prioritäre Verfahren nach § 3 Abs. 4 SeeAnlV ruhend gestellt wird. Dies wiederum tritt nach Ermessen des BSH dann ein, wenn der ursprüngliche Zeit- und Maßnahmenplan nicht eingehalten wird. Die bereits erwähnten Ziele, das Verfahren zu beschleunigen und ein „Ausruhen“ des Projektträgers auf der einmal erreichten Stufe zu verhindern, kommen hier deutlich zum Ausdruck.31 Die Sanktion einer Nichteinhaltung ist damit vergleichsweise tiefgreifend: Das prioritäre und das nachrangige Vorhaben „tauschen die Plätze“ und der zunächst begünstigte Projektträger muss nun seinerseits den Ausgang des konfligierenden Planfeststellungsverfahrens abwarten.
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Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 13. Spieth/Uibeleisen, NVwZ 2012, 312, 324. 31 Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 13. 30
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V. Steuerungsmöglichkeiten des BSH Der zuletzt erwähnte Zeit- und Maßnahmenplan nach § 3 Abs. Nr. 4 SeeAnlV dient dem BSH zugleich als eines von mehreren neu eingeführten Steuerungsinstrumenten, mit denen das Bundesamt die zügige Projektdurchführung durch die Vorhabenträger einfordern können soll. Weitere Einflussmöglichkeiten hat der Verordnungsgeber daneben sowohl in § 4 SeeAnlV für die Verfahrensphase nach Antragstellung (dazu 1.) als auch durch die Ermöglichung der Aufnahme von Nebenbestimmungen und insbesondere Fristen in den Planfeststellungsbeschluss (dazu 2.) geschaffen. 1. Steuerungsmöglichkeiten im Rahmen von § 4 SeeAnlV Nach Antragstellung stehen dem BSH vorrangig drei Instrumente zur Verfügung, um auf eine Beschleunigung des Planfeststellungsverfahrens hinzuwirken. Erstens hat es die Möglichkeit, nach § 4 Abs. 1 Satz 3 SeeAnlV die Nachforderung notwendiger Unterlagen für die weitere Prüfung mit einer Fristsetzung zu ergänzen. Sofern der Vorhabenträger der Nachforderung nicht innerhalb der Frist nachkommt, kann das BSH den Antrag nach § 4 Abs. 1 Satz 4 SeeAnlV ablehnen, ohne eine weitere materielle Prüfung durchzuführen. Daneben bleibt zu beachten, dass in jenen Fällen, in denen auf ein Unterrichtungsersuchen verzichtet wird und die Vorrangwirkung des begonnenen Verfahrens daher erst mit vollständiger Einreichung des Antrags eintritt (dazu IV.), der Projektträger schon deshalb ein Interesse an einer möglichst raschen Beibringung aller erforderlichen Unterlagen haben wird. Als zweites Instrument kann das BSH auf Fristsetzungen im weiteren Verfahrensverlauf gem. § 4 Abs. 3 SeeAnlV zurückgreifen. Dass es sich nicht um eine bloß theoretische Möglichkeit handelt, wird aus der expliziten Verweisung auf das übergeordnete Ziel der Verfahrensbeschleunigung deutlich. Eine Fristverletzung kann auch hier wiederum zur vollständigen Ablehnung des Antrags führen, § 4 Abs. 3 Satz 2 SeeAnlV. Allerdings wird man trotz des offenkundigen Interesses des Gesetzgebers an einem raschen Ausbau der Offshore-Windenergieerzeugung berücksichtigen müssen, dass diese Sanktion im Ermessen des BSH steht. Bei dessen pflichtgemäßer Betätigung ist daher in Rechnung zu stellen, dass der Vorhabenträger in dieser Verfahrensphase bereits erhebliche Aufwendungen getätigt haben wird und des erreichten Verfahrensstands nicht schon aufgrund jeder Fristverletzung gleichsam automatisch beraubt werden kann.32 Dem stünden auch grundrechtlich verfestigte Interessen des Projektträgers entgegen. In aller Regel wird eine Fristsetzung durch das BSH nach § 4 Abs. 3 SeeAnlV allerdings nur dort überhaupt notwendig sein, wo drohende Verfahrensverschleppungen sich erst aus dem konkreten Planfeststellungsablauf ergeben. Soweit sie dagegen schon den ursprünglich vorgesehenen Zeitablauf verletzen, wie er im Zeit- und Maßnahmenplan gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 SeeAnlV (also bei Einreichung des Unterrich32
Vgl. auch Büllesfeld/Koch/v. Stackelberg, ZUR 2012, 274, 277 f.
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tungsersuchens) vorgesehen ist, bleiben dem Bundesamt die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Sanktionsmöglichkeiten erhalten. Die Bedeutung dieses Zeitund Maßnahmenplans wirkt damit auch in der zweiten Phase des Verfahrens fort. Dies ergibt sich ausdrücklich schon aus der nichtamtlichen Verordnungsbegründung, die ebenfalls behördenautonome Fristsetzungen nach § 4 Abs. 3 SeeAnlV neben den Zeit- und Maßnahmenplan stellt. 33 Nur aus dem Kontext allerdings wird ersichtlich, dass damit derjenige Plan nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 SeeAnlV gemeint ist, nicht aber derjenige nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SeeAnlV. Dieser ist zwar zum besagten Zeitpunkt ebenfalls schon eingereicht, da er in den Antragsunterlagen enthalten sein muss, erhält aber eine verbindliche Wirkung erst später durch Fristsetzungen im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses.34 Wegen der unterschiedlichen Rechtswirkungen ist zwischen beiden Zeit- und Maßnahmenplänen daher auch dann zu trennen, wenn diese wie im Regelfall aufeinander aufbauen werden.35 Die Fortwirkung des Zeit- und Maßnahmenplans nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 SeeAnlV ließe sich darüber hinaus dem ersten Anschein nach auch aus der Verweisungskette des § 3 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 SeeAnlV ableiten. Allerdings ist diese vom Verordnungsgeber offenbar zu weit gefasst worden: Da eine Ruhendstellung des Verfahrens zwingend voraussetzt, dass ein Zeit- und Maßnahmenplan nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 SeeAnlV, also im Rahmen eines Unterrichtungsersuchens erstellt wurde, § 3 Abs. 3 Satz 1 SeeAnlV aber für jene Fälle anwendbar ist, in denen genau dies nicht stattgefunden hat, muss sich die Verweisung in § 3 Abs. 3 Satz 2 SeeAnlV auf die erste Alternative von § 3 Abs. 3 Satz 2 SeeAnlV beschränken. Das jedoch tut der Fortwirkung des ursprünglichen Zeit- und Maßnahmenplans keinen Abbruch. Eine Verletzung der dort selbstgesetzten Fristen hat anders als die Verletzung behördenautonom gesetzter Fristen nach § 4 Abs. 3 SeeAnlV gleichwohl nicht zur Folge, dass das BSH den Antrag nach eigenem Ermessen gänzlich ablehnen kann. Es bleibt bei der Sanktionswirkung des § 3 Abs. 4 SeeAnlV, also dem drohenden Verlust der Vorrangstellung gegenüber konkurrierenden Mitbewerbern. Aufgrund der Formulierung des § 3 Abs. 4 SeeAnlV steht auch diese Folge wiederum im Ermessen des BSH. 2. Fristsetzungen im Planfeststellungsbeschluss Wie angedeutet gewinnt der im Rahmen der Antragstellung erarbeitete (zweite) Zeit- und Maßnahmenplan Rechtswirkung erst mit Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses. Nach § 5 Abs. 3 SeeAnlV kann das BSH dort zur Sicherstellung einer zügigen Errichtung und Inbetriebnahme des Vorhabens unter Berücksichtigung des vom Träger eingereichten Zeit- und Maßnahmenplans Maßnahmen bestimmen und für deren Erfüllung Fristen vorsehen, bis zu deren Ablauf die Maßnahmen erfüllt 33
Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 15. Vgl. Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 14. 35 Siehe dazu Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 14. 34
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sein müssen. Das bedeutet, dass das BSH den Plan des Vorhabenträgers nicht notwendigerweise übernimmt, sondern auf diesen lediglich aufbaut und ihn in seine Entscheidung miteinbezieht. Auch aufgrund dieses mittelbaren Konnexes können nachträgliche Aktualisierungen des Plans durch den Vorhabenträger ohne weitere Formerfordernisse berücksichtigt werden.36 Werden die so gesetzten Fristen nicht eingehalten, sieht § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SeeAnlV die im Ermessen des BSH stehende Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses als Sanktion vor. Allerdings ist eine Fristverlängerung seitens des BSH z. B. für den Fall denkbar, dass der Vorhabenträger die Nichteinhaltung der Frist nicht zu vertreten hat.37
VI. Materielle Vorgaben für den Naturschutz Bereits vor der Reform der Verfahrensabläufe hatte der Gesetzgeber eine Präzisierung der materiellen Rechtsvorgaben für die Offshore-Windenergie im Bereich des Naturschutzrechts38 angestrebt. Zu diesem Zweck wurde der geographische Anwendungsbereich des BNatSchG mit Ausnahme von Kapitel 2 zum 1. März 2010 auf die AWZ erweitert39 (§ 56 BNatSchG), nachdem dort bis dato lediglich der europäische Habitatschutz Geltung besessen hatte. Da die Eingriffsregelung des § 15 BNatSchG für Offshore-Windenergieanlagen gem. § 56 Abs. 3 BNatSchG bis zum 1. Januar 2017 (Genehmigungszeitpunkt) keine Geltung besitzt, ergeben sich die Konsequenzen der Erstreckung in diesem Bereich vor allem aus dem gesetzlichen Biotopschutz (§ 30 BNatSchG, dazu 1.) und aus dem besonderen Artenschutzrecht (§§ 44, 45 BNatSchG, dazu 2.). Aufgrund der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsverfahrens liegt auch die Umsetzung dieses Rechtsrahmens ausschließlich in der Hand des BSH. Mit dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) ist hingegen wie auch sonst im Bereich von Planfeststellungsverfahren in der AWZ40 lediglich ein Benehmen herzustellen (§ 58 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG). Damit bedarf es ausdrücklich keines Einvernehmens des BfN.41 1. Biotopschutz Mit § 30 BNatSchG stellt der Gesetzgeber bestimmte Biotoptypen unmittelbar unter Schutz, d. h. ohne dass es einer gesonderten Verwaltungsentscheidung bedürfte, 36
Vgl. Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 17. Nichtamtliche Verordnungsbegründung, S. 17. 38 Vgl. hierzu ausführlich m.w.N. von Daniels/Uibeleisen, ZNER 2011, 602 ff. 39 Siehe zum Ganzen auch Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (Stand: 70. EL 2013), § 56 BNatSchG Rn. 1 ff. 40 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (Stand: 70. EL 2013), § 58 BNatSchG Rn. 5. 41 Legler, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2012, § 58 Rn. 30. 37
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§ 30 Abs. 1 BNatSchG. Unmittelbar verboten sind damit alle Handlungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung (bis hin zur Zerstörung) dieser Biotope führen können, § 30 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG. Dabei sind allerdings überzeugenderweise räumliche Bagatellschwellen anzusetzen, unterhalb derer in der Regel davon ausgegangen werden kann, dass kein schützenswerter Lebensraum im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BNatSchG besteht.42 Darüber hinaus wird noch im Rahmen der Praxis zu klären sein, wann im Offshore-Kontext eine „erhebliche Beeinträchtigung“ zu konstatieren ist. Von Bedeutung für Offshore-Windenergieanlagen ist allein § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BNatSchG, der verschiedene Gebiete maritimen Artenreichtums in den gesetzlichen Biotopschutz aufnimmt. Eine besondere Brisanz erhält die Norm, weil die eigentlich anwendbare Ausnahmeregelung, die auf Antrag die Möglichkeit einer Legalisierung durch ausgleichende Maßnahmen vorsieht (§ 30 Abs. 3 BNatSchG), aus praktischen Gründen im Kontext der maritimen Biotope nahezu unmöglich ist. Das auf den terrestrischen Naturschutz ausgerichtete Regulierungskonzept des BNatSchG lässt den Erlaubnisvorbehalt im Offshore-Bereich somit faktisch entfallen und implementiert im Ergebnis ein striktes Eingriffsverbot. Das kann auch durch die Befreiungsregelung des § 67 BNatSchG nicht überspielt werden. Zwar sieht diese vor, dass auf Antrag von den Verboten des Gesetzes aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses oder bei einer drohenden unzumutbaren Belastung im Einzelfall abgewichen werden kann. Letztere Alternative kommt aber nicht als allgemeiner Ausweg in Betracht, da die explizite Beschränkung auf den „Einzelfall“ eine Anwendung nur bei Vorliegen besonderer Umstände erlaubt43, nicht jedoch generalisiert für einen gesamten Sachbereich wie die Offshore-Energieerzeugung. Die Beschränkung auf den atypischen Sonderfall gilt auch für den Befreiungstatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG, wenngleich dieser das Einzelfallkriterium nicht explizit erwähnt.44 Da lediglich solche Gemeininteressen berücksichtigungsfähig sind, die ursprünglich nicht absehbar waren, ist das energiepolitische Interesse an der Errichtung von Windkraftanlagen als Rechtsfertigungsgrund von vornherein ausgeschlossen.45 Trotz des restriktiven Wortlauts des Gesetzes kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber stillschweigend die selbstgesetzten Ausbauziele mittels des Naturschutzrechts zu torpedieren sucht. Dass sich der Biotopschutz zum ausnahmslos unüberwindbaren Hindernis für die Offshore-Windenergie entwickelt, kann daher nicht beabsichtigt gewesen sein. Als Ausweg bietet sich insofern der Rechtsgedanke des erwähnten § 56 Abs. 3 BNatSchG an, wonach die Eingriffsregelung des § 15 BNatSchG für bis zum 1. Januar 2017 genehmigte Windkraftanlagen in der AWZ keine Geltung besitzt. Da §§ 15, 30 BNatSchG eine besondere 42
Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2011, § 30 Rn. 4. BVerwG, NVwZ 1993, 583, 584. 44 Sauthoff, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2012, § 67 Rn. 13. 45 Vgl. explizit VGH München, NVwZ 1997, 1010, 1011 f. 43
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Nähe hinsichtlich des gewählten Regulierungsinstruments aufweisen (Ausgleichsmöglichkeit)46, liegt es nahe, die Suspendierungswirkung des § 56 Abs. 3 BNatSchG auf jene Beschränkungen zu erstrecken, die ebenfalls der bis auf Weiteres vom Gesetzgeber per Bereichsausnahme für unpassend empfundenen Regelungslogik folgen. Vom gesetzlichen Biotopschutz wäre dann jedenfalls bis zum genannten Zeitpunkt eine Ausnahme für Offshore-Windenergieanlagen vorzusehen. So wäre auch dem gesetzgeberischen Bemühen entsprochen, „dem Umstand Rechnung [zu] tragen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Auswirkungen der Offshore-Windenergie auf die Meeresnatur nicht abschließend prognostiziert und bewertet werden können.“47 Allerdings handelt es sich hierbei offensichtlich nicht um eine langfristige Auflösung der Kollisionslage zwischen Natur- und Klimaschutz. 2. Artenschutz Ebenfalls bedeutsam sind im vorliegenden Zusammenhang die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG. Der bei der Errichtung von Offshore-Windkraftanlagen entstehende Lärm kann unter Umständen das Gehör von Schweinswalen schädigen. Dies würde dem Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG widersprechen. Aus diesem Grund legt das Umweltbundesamt nahe, in einem Radius von 750 Metern um die Rammstelle die Anwesenheit von Schweinswalen während der Durchführung der Rammarbeiten auszuschließen.48 Im darüber hinausgehenden Bereich sei die Einhaltung eines Einzelereignis-Schallexpositionspegels von 160 dB anzuraten.49 Über einen bloßen Empfehlungscharakter hinaus kommt diesen Leitlinien faktische Verbindlichkeit zu, da und soweit ihnen das BSH Rechtskraft durch Aufnahme in seine erteilten Genehmigungen verliehen hat.50 Für die Praxis können so erhebliche Probleme entstehen, da bisher unklar ist, wie der beschriebene Grenzwert eingehalten zu werden vermag. Wenngleich bislang kein Fall bekannt ist, in dem Rammarbeiten deswegen endgültig hätten eingestellt werden müssen, ist von einer Anhebung des Lärmgrenzwertes seitens des Umweltbundesamtes nicht auszugehen. Ein Ausweg läge daher vorrangig in der Erarbeitung technischer Lösungsmöglichkeiten, die momentan auch angestrebt wird.
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Dazu, dass der Ausgleich im Sinne des § 30 Abs. 3 BNatSchG mit demjenigen nach § 15 Abs. 2 S. 2 BNatSchG identisch ist, s. BT-Drs. 16/12274, S. 63; Gellermann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht (Stand: 70. EL 2013), § 30 BNatSchG Rn. 20. 47 Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 56 Abs. 2 BNatSchG, BT-Drs. 16/12274, S. 73. 48 UBA, Empfehlung von Lärmschutzwerten bei der Errichtung von Offshore-Windenergieanlagen (OWEA), Mai 2011, S. 3. 49 UBA, Empfehlung von Lärmschutzwerten bei der Errichtung von Offshore-Windenergieanlagen (OWEA), Mai 2011, S. 3. 50 Vgl. beispielsweise den Genehmigungsbescheid „Deutsche Bucht“, Nebenbestimmung 14.
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Des Weiteren ist im Artenschutzrecht das Verbot statuiert, wild lebende Tiere der europäischen Vogelarten während bestimmter Zeiten erheblich zu stören.51 Eine solche Störung ergibt sich potentiell für Rastvögel aus der Scheuchwirkung bei Errichtung und Betrieb der Windparks. Das daneben bestehende Kollisionsrisiko für Zugvögel vermag wiederum das Verletzungs- und Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG auszulösen. Dies ist ausweislich der Rechtsprechung allerdings nur dann eröffnet, wenn sich die Windräder als signifikante Steigerung des allgemeinen Tötungsrisikos, das Zugvögel immer trifft, erweisen.52 Soweit trotz dieser Einschränkung durch eine Offshore-Windenergieanlage artenschutzrechtliche Verbotstatbestände berührt werden, ist die Möglichkeit einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG gegeben, die auf andere zwingende Gründe des öffentlichen Interesses Bezug nimmt. Dazu ist, vorbehaltlich der Erfüllung der weiteren statuierten Voraussetzungen, grundsätzlich auch der durch die Energiewende beabsichtigte Klimaschutz zu rechnen.53
VII. Resümee Mit der Einführung des Planfeststellungsverfahrens sowie der neuen Steuerungsinstrumente und Konkurrenzregeln hat der Verordnungsgeber einen vielversprechenden Schritt hin zu einer schnelleren und effektiveren Verfahrensgestaltung des Ausbaus der Offshore-Windenergie getan. Es wird nun darauf ankommen, dass der Verordnungstext auch in der behördlichen Praxis mit Leben erfüllt und im Sinne des gesetzlichen Beschleunigungsziels ausgelegt wird. Als Prüfsteine dürfte sich dabei die vollständige Umsetzung der optionalen Verfahrenszweistufigkeit erweisen sowie eine interessenausgleichende Implementierung der vielfältigen Zeit- und Fristeninstrumente, die die Belange konkurrierender Vorhabenträger ebenso berücksichtigt wie die angesichts der Komplexität der Materie notwendige Flexibilität des prioritären Projektträgers. Bei all dem kommt dem BSH nunmehr eine überragende Stellung zu, die es nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ambitionierten Zielvorgaben der Energiewendepolitik auszufüllen haben wird.
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Siehe § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG. BVerwG, NVwZ 2008, 1238. 53 Siehe zum weiten Kreis berücksichtigungsfähiger öffentlicher Zwecke Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (Stand: 70. EL 2013), § 44 BNatSchG Rn. 24, § 34 BNatSchG Rn. 31 f. 52
Die Planfeststellung nach der Seeanlagenverordnung als Gegenstand vermögensrechtlicher Verfügungen Von Daniel Reichert-Facilides, Frankfurt a.M.1 Die Planfeststellung nach der Seeanlagenverordnung ist die wesentliche öffentlichrechtliche Voraussetzung für Errichtung und Betrieb einer Windenergieanlage (WEA) in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Aus Gründen, die im Folgenden kurz skizziert werden, ist die Berechtigung des erfolgreichen Antragstellers, die etwas verkürzt meist als BSH-Genehmigung2 bezeichnet wird, häufig Gegenstand vermögensrechtlicher Verfügungen, mit denen die öffentlich-rechtliche Erlaubnis auf einen am Ausgangsverfahren unbeteiligten Dritten übertragen oder diesem ein dingliches Sicherungsrecht bestellt werden soll. Gegenstand des Beitrags ist die rechtliche Analyse dieser Praxis vor dem Hintergrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der verfügbaren Rechtsprechung zu ähnlichen Sachverhalten.
I. Praktische Bedeutung Die praktische Bedeutung der Fragestellung erschließt sich ohne weiteres aus den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Errichtung und den Bau von Windanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone: Ausgangspunkt sind die enormen Investitionskosten für Offshore-Windparks von derzeit zwischen vier und fünf Millionen Euro pro Megawatt. Bei einer typischen Leistung von fünf Megawatt pro WEA und einer exemplarischen Parkgröße von 40 WEA pro Park entspricht dies einem Investitionsvolumen von etwa einer Milliarde Euro für einen typischen Offshore-Windpark in der deutschen AWZ. Zwischen fünf und zehn Prozent dieser Kosten, im Beispielsfall also zwischen 40 und 100 Millionen Euro, fallen bereits in der Projektierungsphase, also bereits vor Baubeginn an. Hieran schließt sich eine mehrjährige Bauphase mit hohem Kapitalbedarf und an diese eine langjährige Betriebsphase mit vergleichsweise geringem Erhaltungsaufwand an, über deren Laufzeit die Finanzierung zurückgeführt wird. 1
Der Verfasser bedankt sich bei Herrn Rechtsanwalt Dr. Felix Fischer herzlich für die Anregung zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema. 2 Die Abkürzung BSH steht für die planfeststellende Behörde, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie.
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Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen Gegebenheiten hat sich ein typisches Finanzierungsmodell herausgebildet, bei dem Projektierung, Errichtung und Betrieb des Offshore-Windparks in einer Projektgesellschaft verselbstständigt werden, deren Unternehmen auf diesen Zweck beschränkt ist. Die Projektgesellschaft finanziert die Projektierungsphase bis zum Baubeginn typischerweise ausschließlich über Eigenkapital. Für die anschließende Errichtung, während derer die restlichen Gesamtinvestitionskosten anfallen, werden im Hinblick auf die Höhe des Kapitalbedarfs in fast allen Fällen neue Finanzierungsquellen erschlossen. Neben der Aufnahme weiterer Eigenkapitalinvestoren geschieht dies meist durch Bankdarlehen in Höhe von etwa zwei Dritteln der Gesamtinvestitionskosten. Im Gegenzug erhalten die Banken dingliche Sicherheiten an allen wesentlichen Vermögensgegenständen der Projektgesellschaft. Zu Beginn der Errichtungsphase umfasst dieses Vermögen neben der BSH-Genehmigung im Wesentlichen die Rechte an verschiedenen Realisierungsstudien und vertragliche Ansprüche gegen Werkunternehmer, die allerdings noch unter dem Vorbehalt der Einrede des nicht erfüllten Vertrages stehen und deswegen erst im Laufe der Zeit werthaltig werden. Gleiches gilt für das Eigentum an den WEA selbst, das in der Betriebsphase die wichtigste dingliche Sicherheit darstellt, von der Projektgesellschaft aber frühestens mit Auslieferung der jeweiligen Anlagenkomponenten erworben werden kann. Die rechtliche Verselbständigung des Projektes in der Projektgesellschaft hat grundsätzlich zur Folge, dass die BSH-Genehmigung verkehrsfähig wird, ohne dass es einer unmittelbaren Übertragung der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis bedürfte, indem stattdessen die Geschäftsanteile an der Projektgesellschaft übertragen oder verpfändet werden. Ungeachtet dessen besteht unter zwei Aspekten weiterhin ein erhebliches praktisches Bedürfnis für unmittelbare Verfügungen über die Erlaubnis: Aus der Sicht hinzutretender Eigenkapitalinvestoren, um die Erlaubnis durch Übertragung von Risiken aus unbekannten Altverbindlichkeiten der ursprünglichen Projektgesellschaft zu isolieren; und aus Sicht der finanzierenden Banken, weil ein Pfandrecht an den Geschäftsanteilen im Verwertungsfall (naturgemäß) keinen unmittelbaren Zugriff auf die Erlaubnis ermöglicht, sondern strukturell gegenüber allen Drittgläubigern der Projektgesellschaft nachrangig ist.
II. Gesetzliche Rahmenbedingungen Wie eingangs erwähnt, vermittelt die BSH-Genehmigung das ausschließliche Recht zur Errichtung und zum Betrieb von WEA in der AWZ. Rechtgrundlagen sind im Einzelnen: § 1 Abs. 1 SeeAnlV „Diese Verordnung gilt für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen 1. im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland und 2. auf der Hohen See, sofern der Eigentümer Deutschland […] ist.“
Die Planfeststellung nach der Seeanlagenverordnung
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§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 SeeAnlV „Anlagen im Sinne dieser Verordnung sind alle festen […] baulichen oder technischen Einrichtungen […], die […] der Erzeugung […], der Übertragung von Energie aus […] Wind […] dienen.“ § 2 Abs. 1 SeeAnlV „Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 […] bedürfen der Planfeststellung.“
Aus § 5 Abs. 6 SeeAnlV folgt ferner, dass die Planfeststellung auf einem anlagenbezogenen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt beruht: „Der Plan darf nur festgestellt werden, wenn 1. die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und die Sicherheit der Landes- und Bündnisverteidigung nicht beeinträchtigt werden, 2. die Meeresumwelt nicht gefährdet wird […] und 3. andere Anforderungen nach dieser Verordnung oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfüllt werden.“3
Der Vorrang des Vorhabenträgers, d. h. des Antragsstellers und Inhabers der BSHGenehmigung, gegenüber konkurrierenden Projektentwicklern folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SeeAnlV: „Wenn der Träger des Vorhabens die Planfeststellungsbehörde […] ersucht, kann die Planfeststellungsbehörde später eingehende Ersuche oder Anträge […] zurückstellen, soweit diese Vorhaben wegen des Standortes nicht mit dem Vorhaben, das Gegenstand des früheren Ersuchens ist, vereinbar sind […]. Wenn der ursprüngliche Träger des Vorhabens den Zeit- und Maßnahmenplan […] nicht einhält, kann die Planfeststellungsbehörde später eingehende Ersuche oder Anträge auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens anderer Träger eines Vorhabens […] vorziehen; […].“
Neben der Seeanlagenverordnung regelt das Gesetz über den Vorrang Erneuerbarer Energien wesentliche weitere Voraussetzungen für den wirtschaftlichen und rechtssicheren Betrieb und die Errichtung von WEA in der AWZ. Dies betrifft zum einen den Vergütungsanspruch des vom Offshore-Windpark finanzierten Stroms gegen den Netzbetreiber und zum anderen die zivilrechtliche Befugnis zur Nutzung der Seewasserstraßen für Zwecke der WEA:
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Eine ähnliche Regelung findet sich bereits im römischen Recht, vgl. D.43.8.3 „Der Gebrauch des Meeres ist allem Menschen gemeinsam, wie (der Gebrauch) der Luft; und in das Meer gebaute Pfeiler gehören dem, der sie gebaut hat. Das ist aber nicht zu gestatten, wenn dadurch der Gebrauch des Ufers oder des Meeres beeinträchtigt wird.“ Zitiert nach Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. I, S. 234.
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Daniel Reichert-Facilides § 16 Abs. 1 Satz 1 EEG „Netzbetreiber müssen Anlagenbetreiberinnen und Anlagenbetreibern Strom aus Anlagen, die ausschließlich erneuerbare Energien einsetzen, mindestens nach Maßgabe der §§ 18 bis 33 vergüten.“ § 21 Abs. 2 Satz 1 EEG „Die Vergütungen sind jeweils für die Dauer von 20 Kalenderjahren zuzüglich des Inbetriebnahmejahres zu zahlen.“ § 31 Abs. 1 EEG „Für Strom aus Offshore-Anlagen beträgt die Vergütung 3,5 Cent pro Kilowattstunde (Grundvergütung).“ § 60 EEG „Solange Anlagenbetreiberinnen und -betreiber den Vergütungsanspruch nach § 16 geltend machen […], können sie die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone und das Küstenmeer unentgeltlich für den Betrieb der Anlagen nutzen.“
Im vorliegenden Zusammenhang ist dabei zu bemerken, dass das EEG für den Vergütungsanspruch und das Recht zur Nutzung der Seewasserstraßen nicht an die Eigenschaft als Adressat des Planfeststellungsbeschlusses oder als Inhaber der darin gewährten Erlaubnis anknüpft, sondern an diejenige als Anlagenbetreiber.
III. Übertragbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses Nach allgemeinem Verwaltungsrecht bedarf die Einzelrechtsnachfolge in einen Verwaltungsakt der gesetzlichen Grundlage; hierfür reicht es allerdings aus, wenn der Nachfolgetatbestand konkludent zum Ausdruck gebracht ist.4 Diesen Anforderungen hat der Verordnungsgeber insoweit Rechnung getragen, als er die Übertragung des Planfeststellungsbeschlusses in der Seeanlagenverordnung zwar nicht unmittelbar geregelt, in den Vorschriften über die für die Anlage verantwortlichen Personen aber ausdrücklich erwähnt hat: § 15 Abs. 5 Satz 1 SeeAnlV „Der Adressat eines Planfeststellungsbeschlusses […] hat dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie unverzüglich anzuzeigen, wenn der Planfeststellungsbeschluss […] auf einen anderen übertragen wird.“
Auch wenn die Übertragbarkeit damit außer Frage steht, ist zu beachten, dass es sich beim Planfeststellungsbeschluss nach der Seeanlagenverordnung um eine anlagenbezogene Erlaubnis handelt. Eine solche kann nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nur bis zu ihrer Ausnutzung durch Rechtsgeschäft übertragen werden. Ab Ausnutzung, d. h. ab Errichtung der Anlage, folgen anlagenbezogene öffent4
Vgl. etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 43 Rn. 13e.
Die Planfeststellung nach der Seeanlagenverordnung
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lich-rechtliche Genehmigungen kraft Gesetzes der Betreibereigenschaft, also der tatsächlichen Sachherrschaft des rechtmäßigen Besitzers. Folgerichtig ist der Fall des Betreiberwechsels in § 15 Abs. 5 SeeAnlV gesondert geregelt: § 15 Abs. 5 Satz 2 SeeAnlV „Das Gleiche [d. h. Anzeigepflicht gegenüber dem BSH] gilt, wenn der Betrieb der Anlage auf eine andere Person übertragen wird.“
Wegen der Anknüpfung an den rechtmäßigen Besitz für die Betreibereigenschaft kommt als Inhaber der Genehmigung ab deren tatsächlicher Ausnutzung nur noch der Eigentümer oder der Inhaber eines zivilrechtlichen Nutzungsrechts an der Anlage in Betracht.5 Eine isolierte rechtsgeschäftliche Verfügung über die öffentlich-rechtliche Rechtsposition ist dann nicht mehr möglich. Durch den Vorrang der zivilrechtlichen Berechtigung am Genehmigungsgegenstand trägt die Rechtsordnung dem Umstand Rechnung, dass ein Auseinanderfallen von zivilrechtlicher Verfügungsmacht und öffentlich-rechtlicher Erlaubnis den Rechtsverkehr ohne sachlichen Grund erschweren würde. Folgerichtig hat der Bundesgerichtshof die Pfändung einer Arzneimittelzulassung im Hinblick auf den Vorrang des patentrechtlichen Vertriebsrechtes abgelehnt.6 Die Möglichkeit, einen Planfeststellungsbeschluss nach der Seeanlagenverordnung durch Rechtsgeschäft isoliert zu übertragen, endet deswegen, wenn der Adressat unter Ausnutzung der Erlaubnis und des Nutzungsrechts nach § 60 EEG erstmals eine Anlagenkomponente mit dem Meeresgrund verbindet und dadurch zum Eigentümer einer genehmigten Anlage wird.7 Praktisch geschieht dies für jede WEA gesondert mit der Verankerung des Fundaments. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Übertragung nur noch durch Übereignung der im Bau befindlichen WEA oder durch Neubegründung oder Übertragung eines zivilrechtlichen Nutzungsrechts an der WEA möglich.
IV. Modalitäten der Übertragung und Verpfändung vor Ausnutzung Mangels spezialgesetzlicher Regelung für die Übertragung des Planfeststellungsbeschlusses gelten die allgemeinen Vorschriften des BGB für die Abtretung von Forderungen, die anerkanntermaßen auch auf öffentlich-rechtliche Befugnisse Anwendung finden. Ausreichend ist damit gemäß §§ 413, 398 BGB ein formfreier Abtretungsvertrag zwischen bisherigem und neuem Erlaubnisinhaber.
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Vgl. VGH München, NVwZ 2006, 1201 für die rechtsgeschäftliche Übertragung einer Baugenehmigung. 6 BGH, NJW 1990, 2931. 7 Zur Eigentumsfähigkeit von WEA in der AWZ vgl. den Beitrag von Wurmnest in diesem Band.
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Daniel Reichert-Facilides
Da § 15 Abs. 5 SeeAnlV dem Wortlaut nach nur die Verpflichtung zur „unverzüglichen“ Anzeige begründet, handelt es sich hierbei, soweit erkennbar, nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Rechtsübergang. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Wirkungen der Übertragung im Verhältnis zum BSH erst mit Zugang der Anzeige eintreten.
V. Verpfändung vor Ausnutzung Neben der Übertragung des Planfeststellungsbeschlusses an einen neuen Projektträger ist wegen des hohen Kapitalbedarfs die Möglichkeit der Bestellung eines dinglichen Sicherungsrechts zugunsten etwaiger Fremdkapitalgeber von erheblichem praktischen Interesse. Im Hinblick auf die Verpflichtung jedes neuen Inhabers der Erlaubnis, dem BSH gemäß § 15 Abs. 5 SeeAnlV eine verantwortliche Person anzuzeigen, werden die finanzierenden Banken dabei regelmäßig eine sicherungsweise Vollrechtsübertragung nach §§ 398, 413 BGB vermeiden wollen. Die Übertragbarkeit eines Rechts nach §§ 398, 413 BGB impliziert gemäß § 1274 BGB aber grundsätzlich dessen Verpfändbarkeit: § 1274 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB „Die Bestellung des Pfandrechts an einem Recht erfolgt nach den für die Übertragung des Rechts geltenden Vorschriften […]. Soweit ein Recht nicht übertragbar ist, kann ein Pfandrecht an dem Recht nicht bestellt werden.“
Dass auch öffentlich-rechtliche Befugnisse Gegenstand eines zivilrechtlichen Pfandrechts werden können, hat der Bundesgerichtshof bisher zwar nur im Zusammenhang mit der Pfändung der Anlieferungs-Referenzmenge eines Milcherzeugers nach § 857 Abs. 1 ZPO ausdrücklich bestätigt. Es ist aber nicht ersichtlich, wieso die der Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen, dass nämlich auch öffentlichrechtliche Befugnisse Gegenstand eines Pfandrechts sein können, soweit ihnen im Wirtschaftsleben ein Vermögenswert beigemessen wird, auf die Bestellung eines Pfandrechts durch Rechtsgeschäft keine Anwendung finden sollten. Wie bereits erwähnt, gelten für die Bestellung des Pfandrechts die Vorschriften für die Übertragung des Planfeststellungsbeschlusses entsprechend. Ausreichend ist demnach eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Erlaubnisinhaber und dem Pfandgläubiger nach §§ 398, 413 BGB. Eine Anzeige an das BSH ist nicht erforderlich. Da die Befugnis nach der Seeanlagenverordnung nicht als Forderung zu qualifizieren ist, folgt ein Anzeigeerfordernis auch nicht aus entsprechender Anwendung von § 1280 BGB. Für die Verwertung des Pfandrechts gelten die gesetzlichen Vorschriften der §§ 1273 Abs. 2, 1228 ff. BGB, soweit diese nicht gemäß § 1245 BGB in zulässiger Weise vertraglich abbedungen worden sind. Insbesondere ist der Verkauf des Pfandes gemäß § 1235 BGB im Wege der öffentlichen Versteigerung zu bewirken. Praktisch bedeutet dies bei komplexen Vermögensrechten wie dem Planfeststellungsbeschluss
Die Planfeststellung nach der Seeanlagenverordnung
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eine erhebliche Herausforderung an die Vorbereitungen, um in der Versteigerung einen liquiden Markt herzustellen. Vor diesem Hintergrund wird sich der Pfandgläubiger typischerweise um eine einvernehmliche Verwertung gemeinsam mit dem bisherigen Erlaubnisinhaber bemühen oder den Planfeststellungsbeschluss über eine Zweckgesellschaft selbst ersteigern, deren Anteile dann in einem freien Verkaufsprozess effektiver vermarktet werden können.
Anschluss- und Netzausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber am Beispiel von Offshore-Windenergieanlagen Von Peter Salje, Hannover Ursprünglich unterfielen Anlagen, die Strom aus Windenergie auf See (OffshoreWindenergie) generierten, der allgemeinen Pflicht der Netzbetreiber, solche Anlagen vorrangig und unverzüglich an ihr Netz anzuschließen (vgl. § 4 Abs. 1 EEG 2004) und den Strom vorrangig abzunehmen. Weil es jedoch in der Ausschließlichen Wirtschaftszone kein Netz der allgemeinen Versorgung gab, wäre diese Verpflichtung nur nach Verlegen teurer Seekabel einlösbar gewesen, zu deren Herstellung die Übertragungsnetzbetreiber nicht verpflichtet gewesen wären, weil es sich nicht um qualitativen Netzausbau, sondern um die Neuherstellung eines Netzes der allgemeinen Versorgung (jener Windenergieanlagen?) gehandelt hätte.1 Dies hätte nach den heute noch maßgeblichen allgemeinen Grundsätzen der EEG-Kostentragung bedeutet, dass die Anlagenbetreiber selbst Anschlussleitungen hin zum Netz an Land hätten verlegen und dafür die Kosten tragen müssen (heute: § 16 EEG 2014). Dies hätte den Bau der Windenergieanlagen auf See sicher verhindert. Mit dem bis Mitte 2012 geltenden § 17 Abs. 2a EnWG änderte der Gesetzgeber dieses Rechtsregime zu Gunsten der Anlagenbetreiber, indem er die Netzausbau- und Anschlusspflicht auf See denjenigen Übertragungsnetzbetreibern auferlegte, die an Land für das Übertragungsnetz zuständig waren und sind.2 Immer dann, wenn eine 1 Zur Differenzierung zwischen quantitativem und qualitativem Netzausbau vgl. BGH RdE 2007, 267 Rn. 17 – Windkabel 8. 2 Zum früheren Recht vgl. Säcker/Boesche, BerlKomm EnergR, Bd. 1, 2. Aufl., Frankfurt/ Main 2010, § 17 Rn. 137 ff. Allgemein zum Recht der Offshore-Windenergieanlagen: Brenz, Rechtsfragen bei der Errichtung von Offshore-Windenergieanlagen, StudRZ 2013, S. 3 ff.; Broemel, Netzanbindung von Offshore-Windkraftanlagen, ZUR 2013, S. 408 ff.; Büllesfeld/ Koch/v. Stackelberg, Das neue Zulassungsregime für Offshore-Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), ZUR 2012, S. 274 ff.; Compes/Herbold, Verzögerte Offshore-Netzanbindung: Verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der rückwirkenden Haftungsbeschränkung für Übertragungsnetzbetreiber nach § 17e Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 und Abs. 5 EnWG, RdE 2014, S. 228 ff.; Legler, Die Novelle des EnWG zum OffshoreAusbau: Alle Hoffnung liegt auf dem Systemwechsel, EWeRK 2013, Heft 1, S. 5 ff.; Risse/ Haller/Schilling, Die Haftung des Netzbetreibers für die Anbindung von Offshore-Windenergieanlagen, NVwZ 2012, S. 592 ff.; Säcker, Der regulierungsrechtliche Rahmen für ein Offshore-Stromnetz in der Nordsee. Rechtliche Hemmnisse und Vorschläge für deren Überwindung, Frankfurt/Main 2014; Schulz/Rohrer, Die Auswirkungen der „Energiewende“-Gesetzgebung auf Offshore-Windparks, ZNER 2011, S. 494 ff.; Schütt/Sobotta, Blockaden in der
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Peter Salje
solche Anlage oder ein Windpark fertig gestellt war, musste diese Anlage unverzüglich angeschlossen und der erzeugte Strom abgenommen werden. Die naheliegende Lösung, jene Regelung zur Ausbau- und Kostentragung als spezielle Anordnung im EEG selbst zu regeln, hat der Gesetzgeber nicht gewählt. Jene Verpflichtungen aus § 17 Abs. 2a EnWG a.F. konnten die Übertragungsnetzbetreiber nicht immer fristgerecht umsetzen, so dass es zu Anschlussverzögerungen bereits fertig gestellter Windenergieanlagen auf See kam, die auch zu Schadensersatzforderungen wegen Anschlussverzuges geführt haben.3 Insofern kam es zu quasi wechselseitigen Behinderungen der Investitionen durch Anlagenbetreiber und Netzbetreiber: Anlagenbauaufträge und Installationsverträge wurden gekündigt, weil auf absehbare Zeit kein Anschluss ermöglicht wurde. Auch technische Probleme – Entwicklung neuer Konverterplattformen zur Umwandlung des erzeugten Wechselstroms in Gleichstrom4 sowie Ausführung der Seekabel unter Nutzung der HGÜ-Technik – haben den Ausbau der Offshore-Stromerzeugung stark beeinträchtigt. Zudem gab es Probleme mit der Kapitalbeschaffung bei dem für die Nordsee zuständigen Übertragungsnetzbetreiber. Starke Verzögerungen bei den Zeitplänen haben hohe Schadensersatzforderungen auflaufen lassen und die Seekabelhersteller beklagten die Belastung mit großen Vorräten, weil die bestellenden Übertragungsnetzbetreiber diese Kabel nicht fristgerecht abnahmen. Dazu kamen Arbeitsplatz- und Kapitalverluste bei vielen anderen zuliefernden Unternehmen. Um den Missstand zu beenden, entschloss sich der Gesetzgeber in den Jahren 2011/12 zur Umstellung auf ein plangestütztes System des Offshore-Netzausbaus sowie –anschlusses5, das von der BNetzA und den Übertragungsnetzbetreibern getragen wird.
Offshore-Windenergie: Lösungsansätze durch Vergütungsregelungen und Potentiale der Netzanbindung nach § 17 Abs. 2a EnWG, in: Müller (Hrsg.), 20 Jahre Recht der Erneuerbaren Energien, Baden-Baden 2012, S. 622 ff.; Spieth/Uibeleisen, Netzanbindung von OffshoreWindparks. Offshore-Netzplan und Veränderungssperre, NordÖR 2012, S. 519 ff.; Thole, Die Reichweite der Übergangsvorschrift des § 118 Abs. 12 EnWG bei der Haftung des ÜNB für die verzögerte Netzanbindung von Offshore-Anlagen, RdE 2013, S. 397 ff.; Thole, Die zivilrechtliche Haftung des Netzbetreibers gegenüber dem Betreiber der Offshore-Windenergieanlage für die verzögerte Netzanbindung, RdE 2013, S. 53 ff.; Wittmann, Der „Standard Konstruktion“ des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) – ausgewählte Probleme der Genehmigung und Zertifizierung von Offshore-Windparks, DVBl. 2013, S. 830 ff.; Zabel, Die Novelle der Seeanlagenverordnung – Auswirkungen auf die Zulassung von Offshore-Windparks und Netzanschlussvorhaben, NordÖR 2012, S. 263 ff. 3 Vgl. LG Berlin Urt. v. 12. 8. 2013, RdE 2014, 35, 37 ff. – Offshore-Windpark B. 4 Derartige Konverterplattformen können 800 Mio. E kosten (Stand 2015). 5 Vgl. dazu Säcker, Der regulierungsrechtliche Rahmen für ein Offshore-Stromnetz in der Nordsee. Rechtliche Hemmnisse und Vorschläge für deren Überwindung, Frankfurt/Main 2014, insbes. S. 15 ff.; Brenz, Rechtsfragen bei der Errichtung von Offshore-Windenergieanlagen, StudRZ 2013, S. 3 ff.; Broemel, Netzanbindung von Offshore-Windkraftanlagen, ZUR 2013, S. 408 ff.; Britz/Broemel, EnWG, 3. Aufl., München 2015, § 17d Rn. 6 ff.; Kment/ Schink, EnWG, Baden-Baden 2015, § 17d Rn. 7 ff.
Anschluss- und Netzausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber
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I. Netzausbaupflichten zu Gunsten der Offshore-Windenergie Zum Jahresende 2012 (28.12.) ist mittels einer grundlegenden Änderung des EnWG die gestufte Planung des Offshore-Netzausbaus in den §§ 12a ff. EnWG verankert worden.6 Seitdem gelten die folgenden Grundsätze für den Netzausbau auf See, die wegen § 118 Abs. 12 EnWG rückwirkend zum 1. 9. 2012 anzuwenden waren: Durch die Übertragungsnetzbetreiber wird ein sog. Szenariorahmen (§ 12a EnWG) erstellt, der drei Entwicklungspfade für einen Zeitraum von 10 Jahren umfasst. Daraus entwickeln die Übertragungsnetzbetreiber den sog. Offshore-Netzentwicklungsplan (ONEP) jährlich zum 3. März unter Berücksichtigung des vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) aufgestellten Bundesfachplans (§ 17a EnWG), der einer Bestätigung durch die BNetzA unter Abstimmung mit dem BSH bedarf (§ 17c EnWG). Diese jährliche Planung wird zukünftig auf einen Dreijahresturnus umgestellt. Die für den Netzausbau an Land vorgesehene Öffentlichkeitsbeteilung (§§ 12b, 12c, 12d EnWG) ist auf jene Netzausbauplanung zu Gunsten von Offshore-Anlagen analog anzuwenden, vgl. § 17b Abs. 3 und § 17c Satz 2 EnWG. Aus den Netzentwicklungsplänen (Netzentwicklungsplan und ONEP) wird durch die BNetzA der sog. Bundesbedarfsplan abgeleitet, der als Bundesgesetz beschlossen wird (§ 12e EnWG). Nunmehr besteht eine auf jene manifestierte Planung gestützte gesetzliche Ausbauverpflichtung der Übertragungsnetzbetreiber, § 17d Abs. 2 EnWG.
II. Netzanschlusspflichten Offshore-Windenergie Weil nach der eigentlich bis zum 27. 12. 2012 geltenden Rechtslage unter Abstützung auf § 17 Abs. 2a EnWG a.F. die Netzanbindung durch ÜNB unverzüglich dann herzustellen war, wenn die Offshore-Windenergieanlage technisch betriebsbereit installiert worden war, musste der Gesetzgeber eine Übergangslösung zum neuen plangestützten Anschluss- und Ausbaurecht schaffen. Insofern ordnet § 118 Abs. 12 EnWG als Stichtag zur Anwendung des neuen Rechts (rückwirkend) bereits den 1. 9. 2012 an. Die ursprüngliche und mit dem EEG konforme Anschlussverpflichtungslösung (Kontrahierungszwang) wurde konsequent zum 31. 8. 2012 beendet.7
6 Die Umstellungsmodalitäten finden sich in § 118 Abs. 12, 13 und 14 EnWG; vgl. dazu Kment/Posser, EnWG, § 118 Rn. 16 ff. 7 Kein schützenswertes Vertrauen der Normadressaten in Bezug auf die Rückwirkung, vgl. Bundesregierung, Entwurf zum Dritten Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften, BT-DrS 17/10754, S. 28. Bestätigt durch OLG Düsseldorf Beschl. v. 26. 11. 2014, EWeRK 2015, 26 ff. (Bericht von Riewe). Vgl. auch Uwer/Meinzenbach, OffshoreWindparks und Bestandsschutz – erste Klärungen, RdE 2015, S. 273 ff.
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Peter Salje
Mit Wirkung der Rechtsumstellung zum 28. 12. 2012 hat der Gesetzgeber mit § 17d EnWG für eine strikte Bindung der Übertragungsnetzbetreiber an den Offshore-Netzentwicklungsplan gesorgt.8 Seitdem gilt für Netzausbau und Netzanschluss der Grundsatz „Planwirtschaft statt Privatrecht“. Die neue Planung umfasst Standorte auf See (Anlagen und Konverterplattformen), Trassen für die Seekabel, technische Vorgaben sowie verbindliche Termine unter zeitlicher Staffelung, wobei die vom BSH bereits genehmigten Anlagen die Basis der Planung bildeten.9 Einstweilen noch jährlich zum 3. März wird der Offshore-Netzentwicklungsplan (ONEP) vorgelegt, wobei der Planungshorizont jeweils 10 Jahre beträgt. Zusätzliche Vorkehrungen hat der Gesetzgeber mit § 17d Abs. 2 ff. EnWG n.F. geschaffen, um weitere Verzögerungen zu vermeiden: Der Übertragungsnetzbetreiber hat den (voraussichtlichen) Fertigstellungstermin der benötigten Anbindungsleitung bekannt zu geben. Insofern erfolgt eine Abstimmung des Realisierungsfahrplans mit den Anlagenbetreibern, und die Änderung des bekannt gegebenen Termins ist nur mit Zustimmung der BNetzA möglich. 30 Monate vor Fertigstellung wird jener Termin verbindlich. Daraus folgt seitdem ein Anspruch des Anlagenbetreibers auf Netzanbindung und zugewiesene Kapazität zum Termin (unter Ausschluss von § 12 EEG 2014). Wird die Kapazitätszusage nicht erfüllt, erfolgt eine Anwendung der Regeln des Einspeisemanagements (§§ 14, 15 EEG 2014) sowie eine Kompensation bei Nichterfüllung der Kapazitätszusage/Anschlussstörung (§ 50 Abs. 4 EEG 2014 oder § 17e Abs. 1 und 2 EnWG). Eine nicht in Anspruch genommene Kapazität wird durch BNetzA/BSH auf andere Anlagenbetreiber übertragen (Zeitfenster: 10 Monate vor und 18 Monate nach Fertigstellung der Leitung, § 17d Abs. 5 EnWG). Weiterhin nicht sehr überzeugend ausgeprägt sind die Sanktionsmöglichkeiten gegen ÜNB, die ihre Offshore-NEP-Anbindungspflichten nicht einhalten. Bei Nichtdurchführung einer nach dem ONEP erforderlichen Investition (§ 65a Abs. 2a – 4 EnWG) wird der Übertragungsnetzbetreiber auf der ersten Stufe von der BNetzA unter Fristsetzung aufgefordert, den Plan einzuhalten und die Investition zu verwirklichen. Ist die gesetzte Frist erfolglos verstrichen, erfolgt auf der zweiten Stufe eine Ausschreibung der gebotenen Ausbaumaßnahme, wobei begleitend eine Feststellung der Zuwiderhandlung durch die BNetzA erfolgen oder gemäß § 30 II EnWG ein Missbrauch (Gesetzesverstoß) festgestellt werden
8 Ausführlich zum neuen Recht Broemel, Netzanbindung von Offshore-Windkraftanlagen, ZUR 2013, S. 408 ff. 9 Zu den planerischen Vorgaben vgl. Brenz, Rechtsfragen bei der Errichtung von OffshoreWindenergieanlagen, StudRZ 2013, S. 3 ff.; Büllesfeld/Koch/v. Stackelberg, Das neue Zulassungsregime für Offshore-Windenergieanlagen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), ZUR 2012, S. 274 ff.; Spieth/Uibeleisen, Netzanbindung von Offshore-Windparks. Offshore-Netzplan und Veränderungssperre, NordÖR 2012, S. 519 ff.
Anschluss- und Netzausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber
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kann.10 Bußgelder sind bei Verstößen gegen die §§ 17a ff. EnWG nicht vorgesehen, vgl. § 95 Abs. 1 EnWG. Bei lediglich veränderter Durchführung der Netzausbaumaßnahme ist im Sinne § 17d Abs. 9 EnWG das Sanktionsrecht des § 65 Abs. 2a EnWG analog anzuwenden. Jede Verzögerung oder sonstige Störung der Einspeisung ermöglich es dem Anlagenbetreiber, eine Entschädigung gemäß § 17e EnWG vom Übertragungsnetzbetreiber zu beanspruchen. Diese umfasst 100 % (bei Vorsatz) bzw. 90 % der finanziellen Förderung durch Marktprämie oder Einspeisevergütung (§ 17e Abs. 1 und 2 EnWG), wobei die Anlagenbetreiber für die Dauer von im Regelfall 18 Tagen einen Selbstbehalt hinnehmen müssen. Alternativ verlängert sich die Förderdauer gemäß § 50 Abs. 4 EEG 2014 um den Zeitraum der Störung/Verzögerung abzüglich eines Selbstbehalts von sieben Tagen (Anlagenbetreiber-Option). Ein Ersatz von Vermögensschäden, die der Anlagenbetreiber im Zusammenhang mit der Nichterfüllung von Anschlusserfordernissen erleidet, ist jetzt ausgeschlossen (§ 17e Abs. 2 Satz 3 EnWG). Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung beider Optionen – Förderverlängerung vs. Entschädigungsanspruch – sind noch zahlreiche Begrifflichkeiten ungeklärt.11 Bei der Entscheidung zwischen beiden Varianten wird der Anlagenbetreiber grundsätzlich die folgenden Unterschiede zu berücksichtigen haben (siehe Tabelle auf der nächsten Seite). Um diejenigen Mehraufwendungen zu kompensieren, die der zuständige Übertragungsnetzbetreiber im Zusammenhang mit Nichtanschluss/Anschlussstörung erleidet, erfolgt ein (weiterer) Belastungsausgleich, indem die gemäß § 17e EnWG erforderlichen Entschädigungszahlungen gemäß § 17 f EnWG unter allen Übertragungsnetzbetreibern ausgeglichen und dann auf die Letztverbraucher von Strom überwälzt werden (Ausnahme Vorsatz). Die Zahlungen aus jenem speziellen Belastungsausgleich gehen zwar nicht in die Netzentgelte ein (§ 17 f Abs. 1 Satz 2 EnWG), bilden aber einen Aufschlag, der im Zusammenhang mit den Netzentgelten erhoben wird (Offshore-Haftungsumlage); der Transparenzgewinn wird allerdings durch den Nachteil erkauft, dass die BNetzA nicht berechtigt ist, Struktur und Höhe dieser Haftungsumlage zu kontrollieren.12 In der Gesetzesbegründung findet sich eine ausführ10 Die in der Richtlinie 2009/72/EG weiter vorgesehene Sanktionsmaßnahme – Verpflichtung des Netzbetreibers zur Kapitalerhöhung (vgl. Art. 22 Abs. 7 UAbs. 1 lit. c) – hat der nationale Gesetzgeber nicht transformiert. 11 Überblick bei König, Die Haftung der Übertragungsnetzbetreiber für den verzögerten Netzanschluss von Offshore-Windenergieanlagen, ZNER 2013, S. 113, 115 f.; Herbold/Kirch, Der EEG-Förderzeitraum von Offshore-Windenergieanlagen im Lichte der Haftungsregelung des § 17e Abs. 2 EnWG, RdE 2015, S. 229 ff. Ausführlich zum Entschädigungsrecht Broemel, Netzanbindung, ZUR 2013, S. 408, 413 ff.; zum Eigenanteil der Übertragungsnetzbetreiber bei Entschädigungszahlungen vgl. Broemel, Haftungsbegrenzung pro Schadensereignis bei der Netzanbindung von Windenergieanlagen auf See, EnWZ 2015, S. 213 ff. 12 So zu Recht König, Haftung der Übertragungsnetzbetreiber, ZNER 2013, S. 113, 119: fehlende Effizienzkontrolle. Zu den Versicherungserfordernissen vgl. Coors, Haftung und
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Peter Salje
liche Abwägung der betroffenen Grundrechte von Übertragungsnetzbetreibern und Letztverbrauchern.13 Optionen des Anlagenbetreibers bei verzögertem/gestörtem/zu wartendem Netzanschluss von Offshore-Windenergieanlagen (§ 17e Abs. 6 EnWG, § 50 Abs. 4 EEG 2014): Regelfall (nicht-vorsätzliches Verhalten des Übertragungsnetzbetreibers) Entschädigungsanspruch gemäß § 17e EnWG
Anspruch auf verlängerte Förderung gemäß § 50 Abs. 4 EEG 2014
Zeitlicher Selbstbehalt des Anlagenbetreibers
10 Tage/a
7 Tage/a
Konstellation
Verzögerung, Störung oder Wartung des Netzanschlusses
Verzögerung oder Störung
Umfang des Anspruchs
Grds. 90 % des normalen Förderanspruchs (Marktprämie)
Verlängerung der Anfangsförderung um die Zeit der Nichtnutzbarkeit der Anbindungsleitung abzgl. Selbstbehalt (100 %)
Zeitrelevanz
Entschädigung sofort
zukünftig (nach Ablauf der regulären erhöhten Anfangsförderung)
Sonstige Ansprüche
Ausgeschlossen in Bezug auf Vermögensschäden, vgl. § 17e Abs. 1 Satz 5 und Abs. 2 Satz 3 EnWG
Kein Ausschluss vorgesehen
III. Auswirkungen des neuen Netzanschlussrechts Das Netzanschlussrecht für Offshore-Windenergieanlagen im reformierten EnWG hat zu bedeutsamen Abweichungen vom Recht des EEG (2014) geführt. Mit dieser Zurückverlagerung ins EnWG wurden die früheren privaten Abstimmungslösungen durch Planungsrecht ersetzt.14 Weil Termine im Offshore-NEP auf dem jeweils gültigen Szenariorahmen der ÜNB beruhen, wurden Termine in die Zukunft verschoben. Der frühere Primat des Ausbaus der Stromerzeugungsanlagen Versicherung für reine Vermögensschäden aufgrund der Nichtverfügbarkeit der Netzanbindung von Offshore-Windenergieanlagen nach deutschem Recht, PHi 2015, S. 116 ff. 13 Entwurf zum Dritten Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften, BT-DrS 17/10754, S. 29 ff. Zu den Änderungen im zuständigen Wirtschaftsausschuss des Bundestages und ihren Begründungen vgl. Beschlussempfehlung und Bericht, BT-DrS 17/ 11705, S. 27 ff. 14 Kritisch Säcker/König/Scholz, Der regulierungsrechtliche Rahmen für ein OffshoreStromnetz in der Nordsee. Rechtliche Hemmnisse und Vorschläge für deren Überwindung, Frankfurt/Main 2014, insbes. S. 18 ff.
Anschluss- und Netzausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber
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wurde zu Gunsten eines Primats der „Machbarkeit“ des Anschlusses solcher Anlagen aufgegeben. Nicht die eigentlichen Investoren steuern den Markt für Strom aus Windenergieanlagen auf See, sondern die Übertragungsnetzbetreiber. Zugleich wird der Förderbedarf auf Zeit zurückgenommen, so dass eine Belastung der EEG-Umlage wegen solcher Anlagen erst Jahre später erfolgt. Frühere ehrgeizige Ausbau- und Klimaschutzziele müssen entsprechend zurückgenommen werden. Zu den Vorteilen des neuen Anbindungssystems für Offshore-Windenergieanlagen gehört die jeweilige Bestätigung des Offshore-NEP durch die BNetzA, vgl. § 17c mit §§ 12c, 12d EnWG. Dies schafft eine rechtsverbindliche Grundlage für alle am Investitionsprozess beteiligten Parteien. Zu den Nachteilen gehört, dass der voraussichtliche Fertigstellungstermin erst nach Auftragsvergabe notifiziert wird (§ 17d Abs. 2 EnWG). Ein Anspruch auf unverzüglichen und vorrangigen Netzanschluss (vgl. § 8 Abs. 1 EEG 2014) besteht unter dem neuen Rechtsregime nicht mehr. Verglichen mit dem Recht der anderen Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien besteht auch kein (privatrechtlicher) Anspruch auf Netzausbau mehr (anders § 12 EEG 2014). Die frühere Kopplung der Netzausbau- und der Netzanschlusspflicht an den Investitionswunsch des zukünftigen Anlagenbetreibers ist entfallen. Zudem hat eine durch die BSH veranlasste Veränderungssperre (§ 10 SeeAnlagenV) zahlreiche Vorhaben zeitweise vollständig blockiert. Als besonders nachteilig für den Ausbau der Offshore-Windparks wird sich das „Planungsloch“ in der Übergangszeit zwischen altem und neuem Recht herausstellen. Denn gemäß § 118 Abs. 12 EnWG war das neue Netzausbau- und Netzanschlussrecht bereits ab 29.8.12 (rückwirkend) anzuwenden, wenn die Voraussetzungen für eine sog. unbedingte Netzanbindungszusage nicht spätestens am 1. 9. 2012 vorgelegen haben.15 Alle Investoren ohne Zusage mussten im Übergangszeitraum abwarten, bis der erste NEP-Offshore bestätigt und die Übertragungsnetzbetreiber Aufträge zur Herstellung der Sammelanbindung erteilt hatten. Möglicherweise haben durch diesen „standstill“ bestimmte Übertragungsnetzbetreiber stärker profitiert als andere. Das jetzt geltende System des EnWG, dem onshore zuständigen Übertragungsnetzbetreiber den ersten Zugriff auf alle in Nordsee- bzw. Ostsee in der Ausschließlichen Wirtschaftszone herzustellenden EEG-Anlagen zu ermöglichen, ist nicht zwingend. Eine vorzugswürdige Lösung hätte möglicherweise darin bestanden, einzelne Sammelanbindungen europaweit auszuschreiben, zumal insofern mangels einschlägiger Kabelverlegung kein ausbaufähiges Gebiet existierte. Bei einem solchen Ausschreibungsmodell wären dann nur die Zusammenfassungen der einzelnen und von den Konverterplattformen ausgehenden Seekabel zur „Sammelschiene“ abstimmungsbedürftig gewesen. Denn eine Regelzonen-Steuerung einerseits und die Errichtungs- sowie Betriebspflicht für Offshore-Anbindungsleitungen andererseits müssen nicht notwendig übereinstimmen.
15 Zu näheren Einzelheiten vgl. das Positionspapier der BNetzA aus dem Jahre 2009 mit Annex 2011.
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IV. Enforcement? Unter „law enforcement“ werden sowohl eine exaktere (verschärfende) Fassung materieller Rechtsvorschriften eines konkreten Regelungsbereichs als auch Verbesserungen des Normvollzugs verstanden16. Das Rechtsinstrument ist EU-weit bereits im Jahre 2004 eingeführt worden, als die sog. Enforcement-Richtlinie der EG zur Rechtsverwirklichung der Rechte an geistigem Eigentum in Kraft trat. Auch im Rahmen einer erneuten EnWG-Novelle zur Offshore-Netzanbindung wäre ein solcher „Systemwechsel“ zur Beschleunigung eines koordinierten Netzanschlusses denkbar. Deshalb ist zu prüfen, welche Instrumentarien einen besseren Vollzug ermöglichen könnten. Die Aufgabe des Rechts betreffend Netzanschluss und Netzausbau besteht darin, auch den Anlagenbetreibern von Windenergieanlagen auf See im Einklang mit Art. 16 der RL 2009/28/EG einen Anspruch auf vorrangigen (oder garantierten) unverzüglichen Netzanschluss zuzugestehen, so wie er ursprünglich mit § 17 Abs. 2a EnWG a.F. und §§ 5, 9 EEG 2009 im Einklang mit Art. 16 der RL 2009/28/EG ausgestaltet war. Ein solcher Anspruch auf Netzanbindung setzt nunmehr allerdings eine Kapazitätszuweisung durch die BNetzA voraus (§ 17d Abs. 3 EnWG). Damit ist ein Anspruch auf ein vor der Regulierungsbehörde durchzuführendes diskriminierungsfreies Verfahren (= Regulierungs-Rechtsschutz) an die Stelle einer sonst möglichen Leistungsklage vor den Zivilgerichten getreten (Herstellungsanspruch und Schadensersatz). Die Kompensation bei Verzögerungen erfolgt jetzt mittels Entschädigung der Anlagenbetreiber (§ 17e EnWG) oder (optional) durch eine verlängerte finanzielle Förderung (§ 50 Abs. 4 EEG 2014). Zu den gegenüber der Gesetzesreform vorgebrachten Kritikpunkten gehört zunächst, dass entgegen Art. 16 RL 2009/28/EG kein Anspruch auf vorrangigen/privilegierten Netzzugang für Offshore-WEA mehr vorgesehen ist. Dieser Anspruch ist sogar rückwirkend zum 1. 9. 2012 erloschen; im Lichte des Art. 14 GG ist eine solche Rechtsänderung entgegen den Interessen der Anlagenbetreiber nicht unzweifelhaft.17 Der nahe liegende Einwand, einen Anspruch auf Netzanschluss könne es nur geben, wenn bereits ein anschlussfähiges Netz existiere, vermag im Lichte der Vorgängerregelung (§ 17 Abs. 2a EnWG a.F.) nur bedingt zu überzeugen. Weil nunmehr die Netzbetreiber für die Planung primär zuständig sind, entscheiden diese vorab über das Tempo der Offshore-Netzanbindungskapazität. In der Übergangszeit zwischen altem und neuem Recht ist der Anschlussanspruch den Anlagen16 Vgl. auch https://en.wikipedia.org/wiki/Law_enforcement (letzter Abruf: 03. 08. 2015): alle Akte eines verbesserten Gesetzesvollzugs, unabhängig von den handelnden Rechtsträgern/Institutionen. 17 Vgl. oben Fn. 7; zu verfassungsrechtlichen Problemen im Zusammenhang mit dem veränderten Netzanschlussrecht vgl. Compes/Herbold, Verzögerte Offshore-Netzanbindung: Verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der rückwirkenden Haftungsbeschränkung für Übertragungsnetzbetreiber nach § 17e Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 und Abs. 5 EnWG, RdE 2014, S. 228 ff.
Anschluss- und Netzausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber
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betreibern genommen worden, obwohl dem Gesetzgeber bewusst gewesen ist, dass neue Netzanbindungskapazität erst 15 – 18 Monate später (ersatzweise) zugewiesen werden würde. Denn dieser Zeitraum war zumindest erforderlich, um eine Bestätigung des Offshore-Netzentwicklungsplans durch die BNetzA zu erhalten. Vermutlich werden angesichts weit unterlegener Sachkenntnisse weder das BSH noch die BNetzA in der Lage sein, in ausreichendem Maße Druck auf die planenden ÜNB auszuüben. Der frühere Beschleunigungsdruck durch den sog. Sprinterzuschlag, der die zukünftigen Anlagenbetreiber zu einer schnellen Investition ermutigte (vgl. § 31 Abs. 3 EEG 2012: Fertigstellung bis 2017), ist nur leicht erhöht worden (vgl. jetzt § 50 Abs. 3 Satz 1 EEG 2014: Inbetriebnahme spätestens 2019). Um dies im Business-Kauderwelsch auszudrücken: Die „Energiewende Offshore“ erfolgt nunmehr „driven by Netzbetreiber“ statt „by Anlagenbetreiber“. Erst spätere Generationen werden den daraus resultierenden time lag einigermaßen sicher beurteilen können. Zu Recht wird in der Literatur die Frage aufgeworfen, ob die Offshore-Haftungsumlage mit europäischem Beihilferecht zu vereinbaren ist.18 Im Lichte der sehr formal argumentierenden PreussenElektra-Entscheidung19 mag die (teilweise) Risikoüberwälzung bei Offshore-Investitionen – Seekabel, Konverterstationen und Stromerzeugungsanlagen – mangels staatlichen Mitteleinsatzes keine Beihilfe darstellen. Es geht zudem um die Entwicklung neuer Technologien (Einsatz von HGÜ-Leitungen und Konstruktion seegeschützter Konverterstationen)20, so dass eine Risikoanlastung von Verzögerungen und Pannen beim Einsatz solcher Technologien beim Stromverbraucher als wirtschaftlich vertretbar anzusehen sein mag.21 Jedoch hat das EuG (1. Instanz) im Hinblick auf eine früher in Österreich geplante Entlastung stromintensiver Unternehmen von der dortigen EEG-Umlage nunmehr entschieden, dass auch materielle Kriterien wie die staatliche Kontrolle von der Subventionierung dienenden Finanzströmen beihilferelevant sein können.22 Weil mit der Offshore-Haftungsumlage zugleich Übertragungsnetzbetreiber als auch Anlagenbetreiber von Offshore-Windenergieanlagen finanziell gestützt werden, dürfte eine Notifizierung der Umlagenregelung bei der Kommission erforderlich, jedenfalls zweckmäßig gewesen sein. Zu Recht wird kritisiert, dass es sich bereits um das siebte Umlagesystem im Bereich der Versorgung mit Elektrizität handelt.23 Die vermutete Belastung soll (auch wegen der Deckelung, vgl. § 17 f Abs. 5 EnWG) jährlich bis zu 1 Mrd. E be-
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König, Haftung der Übertragungsnetzbetreiber, ZNER 2013, S. 113, 119. EuGH v. 13. 3. 2001, Slg. 2001, I-2099. 20 Zur technischen Seite vgl. Lang/Rademacher, Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung – technischer Hintergrund und rechtliche Grundlagen für den Netzausbau nach EnWG, EnLAG und NABEG, RdE 2013, S. 145 f. 21 Vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-DrS 17/10754, S. 2 ff. 22 EuG v. 11. 12. 2014, IR 2015, 34 – OEMAG: Mittel unter staatlicher Kontrolle. 23 König, Haftung der Übertragungsnetzbetreiber, ZNER 2013, S. 113, 119. 19
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tragen und einen Vier-Personen-Haushalt lediglich mit weniger als 10 E jährlich treffen.24 Weitere Kritikpunkte betreffen eine Verletzung des Verursacherprinzips durch Einführung der EEG-Umlage25 sowie die Gefahr, dass die Umlageregelungen – etwa im Zusammenwirken von Übertragungsnetzbetreibern und Anlagenbetreibern – zum Nachteil des Letztverbrauchers ausgenutzt werden.26 Zu Recht wird das eigentliche Ziel der Neuregelung hervorgehoben, durch eine verbesserte „bankability“ der finanziellen Grundlagen von Offshore-Investitionen insgesamt eine Gefährdung der „Energiewende“ im Hinblick auf einen ganz wichtiger Baustein (Offshore-Windenergie) zu vermeiden.27 Dieser Gesichtspunkt, die „geballte Finanzkraft“ aller Letztverbraucher von Elektrizität zu mobilisieren, um den durch verzögerte Netzanbindung eingetretenen Investitionsstau wieder aufzuholen, vermag jedenfalls rechtspolitisch die Neuregelung sehr wohl zu tragen. Im ersten Halbjahr 2015 sind 422 neue Offshore-Windenergieanlagen28 mit einer Gesamtleistung von 1.700 MW neu in Betrieb genommen worden und speisen in das Netz der allgemeinen Versorgung ein.29 Betrieben werden nach dieser Mitteilung derzeit 668 Anlagen (Nord- und Ostsee); bis zum Ende des Jahres 2015 wird mit einer Gesamtkapazität von 3.300 MW gerechnet. Anstelle von ursprünglich eingeplanten 10.000 MW bis zum Jahre 2020 wird nunmehr mit 6.500 MW gerechnet (Ausbaupfad gemäß § 3 Nr. 2 EEG 2014). Rechnet man die für 2015 erwartete neue Kapazität von 2.250 MW auf die verbliebenen fünf Investitionsjahre 2016 – 2020 hoch, so dürfte es unproblematisch sein, dieses (bescheidene) Ausbauziel zu erreichen (restliches Ausbauvolumen von 3.200 MW: 5 Jahre = 640 MW/a). Weil sich ab dem Jahre 2018 die erhöhten anfänglichen Förderwerte um zunächst 0,5 Cent/kWh und ab 2020 sogar um 1 Cent/kWh verringern werden, ist für die Jahre 2016 und 2017 mit dem Hauptanteil des Zuwachses an Offshore-Kapazität zu rechnen. Vergleichsweise hochbedeutsam ist weiterhin der Zubau von Windenergieanlagen an Land, der allein im Jahre 2014 rund 4.750 MW betragen hat.30
24 Entwurf zum Dritten Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften, BT-DrS 17/10754, S. 5; König, ebd., S. 118 und 119. 25 Wiederholt/Bode/Reuter, Rückenwind für den Ausbau der Offshore-Windenergie?, NVwZ 2012, 1207, 1210. 26 Ebd., S. 121. 27 Wiederholt/Bode/Reuter, Rückenwind für den Ausbau der Offshore-Windenergie?, NVwZ 2012, 1207, 1211. 28 Überblick zum Betriebsstatus (Stand Anfang 2015) bei Balks/Behrend, Aktuelle Finanzierungsstrukturen deutscher Offshore-Projekte, ET 2015, Heft 5, S. 53. 29 Pressemitteilung VDMA, Reuters v. 20. 7. 2015, Abdruck Südd. Ztg. v. 21. 7. 2015, S. 17. 30 Bericht UPR 2015, S. 145.
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V. Zusammenfassung in Thesen (1) Die EnWG-Novelle von 2012 hat bei der Offshore-Netzanbindung einen Systemwechsel verwirklicht, wobei an die Stelle der Marktkoordination eine plangestützte Lösung getreten ist. (2) Das Anschlussrecht für Offshore-Windenergieanlagen ist in das EnWG abgewandert; insofern besteht ein Wertungswiderspruch zu § 2 Abs. 2 EnWG. (3) Weil jeder Anlagenbetreiber nur noch einen Anspruch auf Kapazitätszuweisung hat, existiert entgegen den Vorgaben von Art. 16 der RL 2009/28/EG kein Anspruch auf vorrangigen Netzzugang mehr. (4) Indem alle Enforcement-Sanktionen an die von den Netzbetreibern initiierten Planungen anknüpfen, ist unter der Herrschaft des neuen Systems kein Beschleunigungseffekt im Hinblick auf den Offshore-Netzausbau zu erwarten. (5) Der Systemwechsel hat ein (weiteres) „Planungsloch“ bei der Offshore-Anbindung von mehr als 15 Monaten verursacht. Das mit der EEG-Novelle von 2014 zurück genommene Ausbauziel – 6.500 MW bis zum Jahre 2020 – dürfte sich gleichwohl unproblematisch erreichen lassen.
Zivilrechtliche Haftungsfragen bei Offshore-Windenergieanlagen Von Christoph Thole, Tübingen*
I. Einleitung Das Thema dieses Beitrags ist, da das Haftungsrecht potentiell kaum erschöpfend ist, sehr weit angelegt. Es muss daher zu Beginn stärker zugeschnitten werden. Im Vordergrund soll die zivilrechtliche Haftung des Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) für die verzögerte oder fehlerhafte Netzanbindung gegenüber dem Betreiber einer Offshore-Windenergieanlage stehen. Daran anschließend sind noch zwei weitere Haftungsthemen in den Blick zu nehmen, nämlich die Haftung des Betreibers einer Offshore-Anlage für Schäden Dritter und die Frage, ob die Offshore-Anlage selbst als zivilrechtliches Haftungsobjekt, etwa bei der Besicherung einer Projektfinanzierung, herhalten kann.
II. Die Haftung des ÜNB gegenüber dem Betreiber einer Offshore-Windenergieanlage für die gestörte oder verzögerte Netzanbindung 1. Das Anreizproblem Bekanntlich hatte der Gesetzgeber sich dafür entschieden, den Netzbetreiber, der später über die Durchleitungsentgelte am Ausbau wieder mitverdient, in die Pflicht zu nehmen1. Gemäß § 17 Abs. 2a S. 1 EnWG a.F. war der (Übertragungs-)Netzbetreiber verpflichtet, die Netzanbindung herzustellen. Der neue § 17d Abs. 1 EnWG aufgrund des 3. Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 20. 12. 2012 hat daran nichts geändert. Die Kostenverteilung ist weiterhin abweichend vom gesetzlichen Leitbild des § 13 Abs. 1 EEG so geregelt, dass der Netzbetreiber den Anschluss auf seine Kosten bewerkstelligen muss. Wie sich bisher gezeigt hat, liegt in der zeitgerechten Errichtung der Steckdose auf See durch die ÜNB der Flaschenhals der Investitionsprojekte. Die Anlagenbetreiber * 1
Die Vortragsform wurde beibehalten. Dazu der Beitrag von Salje in diesem Band.
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hielten bisher Investitionen zurück, weil eine rechtzeitige Netzanbindung nicht gewährleistet werden konnte. Denn in der Tat können durch eine Verzögerung der Netzanbindung Schäden in existenzgefährdendem Ausmaße eintreten, wenn und weil der Offshore-Anlagenbetreiber beispielsweise eine Eigenstromversorgung seiner Anlagen sicherstellen muss, weil Vertragsbeziehungen zu den eigenen Subunternehmern oder Lieferanten gestört werden und insbesondere deshalb, weil ihm mit jedem Tag der Verzögerung der Gewinn entgeht, der ihm aufgrund der Einspeisung des generierten Stroms nach § 31 EEG als Einspeisevergütung zuflösse2. Die Haftungsverwirklichung gegen die ÜNB war unsicher. Auf der anderen Seite konnten die ÜNB gerade auch angesichts einer drohenden Haftung keine hinreichende Finanzierung der Anschlusskosten sicherstellen. 2. Haftung nach bisherigem Recht Die Haftung des ÜNB war vor dem Gesetz vom 20. 12. 2012 nicht explizit geregelt. In der Literatur wurden mehrere Anknüpfungspunkte für eine Haftung genannt, etwa eine Haftung aus dem Schuldverhältnis mit dem Anlagenbetreiber nach § 280 BGB, insbesondere wegen Verzugs, oder auch eine Haftung nach § 32 Abs. 1 iVm § 32 Abs. 3 EnWG3. In der Tat erschien eine solche Haftung nicht nur denkbar, sondern an ihr war kaum vorbeizugehen. Nimmt man die bisher in § 17 Abs. 2a S. 1 EnWG a.F. begründete Pflicht, scheint jedenfalls unter § 32 Abs. 3 EnWG an einer Schadensersatzhaftung des Netzbetreibers für eine verspätete Herstellung der Netzanbindung kein Zweifel zu bestehen4. § 32 Abs. 3 EnWG bezieht sich auf Verstöße nach § 32 Abs. 1 EnWG, der wiederum ausdrücklich sämtliche Pflichten auf der Grundlage der Abschnitte 2 und 3 des EnWG umfasst. Jeder vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß verpflichtet nach dem Wortlaut der Norm zum Schadensersatz. Auch eine Haftung aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis war und ist denkbar, denn man konnte jedenfalls bisher kaum ernsthaft in Frage stellen, dass zumindest eine rechtsgeschäftsähnliche besondere Beziehung zwischen ÜNB und Anlagenbetreiber entsteht5. Soweit in der Literatur angenommen wurde, eine gesetzliche Haftung des Netzbetreibers auf der Grundlage von § 32 Abs. 3 EnWG sei nicht statthaft oder sie erweise sich sogar als verfassungswidrig, soweit die zivilrechtliche Haftung neben eine Zwangs- oder Bußgeldhaftung (vgl. a. § 65 EnWG) gegenüber den Behörden trete, so war dies nicht überzeugend. 2
Compes/Schneider, KSzW 2012, 277, 282 f. Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Aufl. 2010, § 17 Rn. 47a; Wustlich, ZUR 2007, 122, 128; Compes/Schneider, IR 2011, 146, 148; dies., KSzW 2012, 277, 282 ff.; M. Kersting, BKR 2011, 146, 148. Zum Ganzen Thole, RdE 2013, 53. 4 So schon Thole, RdE 2013, 53, 54 ff. (auch zum Folgenden). 5 Thole, RdE 2013, 53, 57; vgl. auch zum EEG Stecher, Die Vertragsbeziehungen zwischen Anlagen- und Netzbetreiber unter besonderer Berücksichtigung des EEG 2009, 2009, S. 19 ff. 3
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Eine Kumulation von privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Inanspruchnahme ist keineswegs unüblich. Mit gleicher Berechtigung könnte man unter der behaupteten Prämisse darauf hinweisen, dass öffentlich-rechtliche Bußgeldvorschriften, die über die zivilrechtliche Haftung hinausgingen, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar seien. Die Argumentation knüpft insoweit unausgesprochen an einem Vorrang des öffentlichen Rechtes vor dem privaten Recht an. Davon kann indessen keine Rede sein. Es erscheint auch allemal fragwürdig, ob das öffentliche Recht die notwendigen verhaltenssteuernden Wirkungen in Richtung eines zeitgerechten Netzanschlusses besser erzielen kann als die privatrechtliche Schadenshaftung. Eine zivilrechtliche Haftung für eine öffentlich-rechtliche Pflicht ist auch sonst im Übrigen nichts Ungewöhnliches. Wir kennen dies auch bei anderen „Marktnormen“, wie z. B. §§ 31 ff. WpHG. Noch deutlicher sind die Parallelen des EnWG zum Schadensersatzregime des GWB und des UWG – Stichwort private enforcement. Auch eine Übermaßhaftung des Übertragungsnetzbetreibers ist grundsätzlich nicht zu befürchten, weil die Haftung bisher verschuldensabhängig war und der ÜNB den Schaden vermeiden kann und er sich ggf. durch die Netzentgelte wieder refinanzieren kann. 3. Das neue Gesetz vom 20. 12. 2012 Das Gesetz vom 20. 12. 2012 hat allerdings das Rufen der Übertragungsnetzbetreiber bzw. des Übertragungsnetzbetreibers nach einer Beschränkung und Konsolidierung der Haftung erhört; zugleich ist damit auch der Versuch verbunden, den Anlagenbetreibern verlässliche Rahmenbedingungen anzubieten und Klarheit über die Haftung zu schaffen. Damit soll der gordische Knoten bei den sich blockierenden Handlungs- und Investitionsanreizen durchschlagen werden. a) Die Haftungsregeln im Überblick Wie sieht die Neuregelung aus? Das Gesetz unterscheidet zunächst zwischen Vermögensschäden und Sachschäden an der Offshore-Anlage, und innerhalb der Vermögensschäden zwischen Ansprüchen wegen einer gestörten Netzanbindung und einer nicht rechtzeitig hergestellten Netzanbindung. aa) Unterscheidung zwischen gestörter und nicht rechtzeitig hergestellter Netzanbindung Nach § 17e Abs. 1 EnWG n.F. haftet der Übertragungsnetzbetreiber dem Anlagenbetreiber verschuldensunabhängig auf Entschädigung, wenn die Einspeisung aus einer betriebsbereiten Anlage länger als zehn aufeinanderfolgende Tage nicht möglich ist, ferner ab dem 19. Tag, wenn mehr als 18 Tage im Kalenderjahr eine solche Störung bestand, und ab dem ersten Tag, wenn eine Störung vorsätzlich vom ÜNB herbeigeführt wurde.
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Für die verzögerte Netzanbindung gilt Folgendes: Nach § 17e Abs. 2 EnWG n.F. hat der Betreiber der Offshore-Anlage ab dem Zeitpunkt der Herstellung der Betriebsbereitschaft der Anlage, frühestens jedoch ab dem elften Tag nach Ablauf des zuvor nach § 17d Abs. 2 S. 3 EnWG verbindlich gewordenen Fertigstellungstermins einen Anspruch auf „Entschädigung“, wenn aufgrund dieser Verzögerung die Einspeisung nicht möglich ist. Die hier vorgesehene Entschädigung als Anspruchsziel beträgt sowohl für die gestörte als auch die nicht rechtzeitig hergestellte Anbindung nach § 17e Abs. 1 EnWG 90 % der Einspeisevergütung, die der Anlagenbetreiber nach § 16 i.V.m. § 31 EEG zugestanden hätte und die ihm infolge der Verzögerung oder Störung entgeht; nur bei Vorsatz des Netzbetreibers sind es 100 %. bb) Sperrwirkung für den Ersatz von Vermögensschäden Eine darüberhinausgehende Inanspruchnahme des anbindungsverpflichteten Übertragungsnetzbetreibers für „Vermögenssschäden“ aufgrund einer gestörten oder nicht rechtzeitig fertig gestellten Netzanbindung ist nach § 17e Abs. 2 S. 3 EnWG ausgeschlossen. Die Konkurrenzklausel des § 17e Abs. 5 EnWG sieht zudem vor, dass § 32 Abs. 3 EnWG auf Vermögensschäden aufgrund einer nicht rechtzeitig fertig gestellten Netzanbindung nicht anzuwenden ist. Bei allem entspricht es also dem offenkundigen Willen der Gesetzesverfasser, dass andere Vermögenseinbußen des Anlagenbetreibers aufgrund der Verzögerung kompensationslos bleiben bzw. dass eben grundsätzlich nur die Entschädigung verlangt werden kann. Das gilt etwa für anfallende Bauzeitzinsen, Mehrkosten für die Eigenversorgung der Anlagen, Mehrkosten aufgrund von Preisgleitklauseln unter den Lieferverträgen, fällig werdende Pönalen, Lagerkosten u. a. m.6 Fraglich ist die Sperrwirkung mit Blick auf Vertragsverletzungen i. S. d. § 280 BGB bzw. solche Fälle, in denen Haftungsfragen ausnahmsweise in einem Vertrag geregelt sind, denn eigentlich gibt es keinen Grund, die Vertragsfreiheit hier zu beschneiden. Ein Abweichungsverbot ist auch im EnWG (anders als bei § 4 Abs. 2 EEG) nicht zu sehen. Es ließe sich dann sogar zweifeln, ob die Sperrwirkung auch generell in Bezug auf Ansprüche aus § 280 BGB greift, erst recht dann, wenn man annehmen wollte, es handele sich im Verhältnis zwischen Anlagenbetreiber und ÜNB um einen echten, lediglich durch Kontrahierungszwang veranlassten Vertrag7. Immerhin schließt § 17e Abs. 5 EnWG nur § 32 Abs. 3 EnWG aus; die Hürde, die es zu nehmen gälte, wäre also „nur“ der in § 17e Abs. 2 S. 2 EnWG vorgesehene Ausschluss weiteren Schadensersatzes bei Vermögensschäden.
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Compes/Schneider, KSzW 2012, 277, 282 f. Vgl. aber auch die Beeinträchtigung von Anlagen durch Netzstörungen und die dadurch bedingten Schäden; dazu Thole, EnWZ (i.E.). 7 Vgl. hierzu Stecher, Vertragsbeziehungen, S. 19 ff.; Salje, EEG 2012, 6. Aufl. 2012, § 8 Rn. 2.
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In diesem Zusammenhang könnten sich auch Probleme intertemporalen Rechts ergeben. Wie wären Ansprüche zu beurteilen, die schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 28. 12. 2012 verwirklicht waren? Die Übergangsvorschrift in § 118 Abs. 12 EnWG hilft nur bedingt weiter, weil sie lediglich auf die Anbindungspflicht selbst abstellt und hinsichtlich des sog. „Startnetzes“ bei Netzanbindungszusagen bis 1. 9. 2012 eigentlich das alte Recht prävalieren lässt. Freilich wird dies über § 17e Abs. 2 S. 6 EnWG dann doch dem neuen Recht zugeschlagen. Möglicherweise hat die drohende Verschiebung aber bereits vor dem Stichtag zu Schäden geführt; soweit das der Fall ist, ließe sich möglicherweise über eine Nebenpflicht aus dem Schuldverhältnis bereits ein Anspruch begründen. In diesem Fall dürfte es – zumal andernfalls wohl eine echte Rückwirkung anzunehmen wäre – keinen Grund geben, den Schadensersatzanspruch zu versagen und abzuschneiden. cc) Wahlrecht Flankiert wird der Entschädigungsanspruch von einem Wahlrecht des Anlagenbetreibers. Nach § 17e Abs. 6 EnWG soll der Anlagenbetreiber entscheiden dürfen, ob er die Entschädigung in Anspruch nimmt oder ob die gestörte Einspeisung über § 31 Abs. 4 EEG berücksichtigt werden soll (um den Zeitraum der Störung verlängerte Einspeisevergütung). Letzteres bedeutet, dass § 31 Abs. 4 EEG nicht gesperrt ist. Dort ist vorgesehen, dass sich der Zeitraum verlängert, innerhalb dessen der nicht für die Störung verantwortliche Netzbetreiber zur Zahlung der Anfangsvergütung verpflichtet ist; für den Anlagenbetreiber dürfte allerdings die Entschädigung vom Übertragungsnetzbetreiber sinnvoller sein, wenn und weil er damit zeitlich früher kompensiert wird. dd) Belastungsausgleich und Umlage auf die Letztverbraucher Um die Belastungen für die ÜNB abzumildern, will das Gesetz über § 17 f EnWG eine finanzielle Verrechnung der entstandenen Kosten für Entschädigungszahlungen im Innenverhältnis auch zu nicht anbindungsverpflichteten Netzbetreibern etablieren (Belastungsausgleich). Die Kosten für geleistete und nicht erstattete Entschädigungszahlungen und für Ausgleichszahlungen im Rahmen dieses Belastungsausgleichs können dann weiter als Aufschlag auf die Netzentgelte gegenüber Letztverbrauchern geltend gemacht werden (§ 17 f Abs. 5 EnWG) mit einer Erhöhung der Umlage für den Letztverbraucher bis 0,25 Cent pro Kilowattstunde. Die Letztverbraucher werden zum Versicherer des ÜNB. Hier liegt der Kern des Gesetzes. Es ist eine Staffelung vorgesehen. Bei fahrlässigem Handeln des ÜNB soll ein Eigenanteil des ÜNB dazukommen, der nicht in den Belastungsausgleich einfließt, nämlich u. a. in Höhe von 20 % der für Kosten bis zu einer Höhe von 200 Mill. Euro pro Kalenderjahr. Solange die Störung oder Verzögerung nicht grob fahrlässig erfolgte, ist der Eigenanteil aber auf 17,5 Mill. Euro pro Schadensereignis begrenzt (§ 17 f Abs. 2 S. 3 EnWG), wobei grobe Fahrlässigkeit
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bei Schäden eines Anlagenbetreibers aber vermutet wird. Wie man den Begriff des Schadensereignisses zu verstehen hat, ist unklar für Fälle, in denen mehrere Projekte durch eine Störung oder nicht rechtzeitige Anbindung gleichzeitig betroffen werden. § 17 g EnWG, der Sachschäden regelt und denselben Begriff verwendet, geht offenbar davon aus, dass das Schadensereignis eine Summe von Einzelschäden beinhalten kann (arg. § 17 g S. 2 EnWG). Trotzdem sollte man für § 17 f Abs. 2 S. 3 EnWG davon ausgehen, dass es um die jeweilige Störung geht und damit um das jeweilige Projekt, dessen Netzanschluss nicht hergestellt werden kann. Die Gesamtdeckelung ergibt sich schon aus den für das Kalenderjahr in § 17 f Abs. 2 S. 2 EnWG genannten Höchstgrenzen für den Eigenanteil. ee) Sachschäden Ein anderes Haftungsregime soll demgegenüber für „Sachschäden an OffshoreAnlagen“ gelten8. Nach § 17 g EnWG wird die Haftung des ÜNB gegenüber dem Windparkbetreiber für nicht vorsätzlich verursachte Sachschäden je Schadensereignis insgesamt auf 100 Millionen Euro begrenzt sein; übersteigt die Summe der Einzelschäden die Höchstgrenze, so ist der Schadensersatz anteilig zu kürzen. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Haftung für solche Sachschäden nicht durch die Vorgaben des § 17e EnWG gesperrt oder verdrängt wird. Fraglich ist hier allerdings die Anspruchsgrundlage. Auch wenn die Entwurfsbegründung offenbar davon ausgeht, es seien nur deliktische Ansprüche denkbar9, so sollte dies doch nicht hindern, auch weiterhin eine Haftung aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis und darüber hinaus auch § 32 Abs. 3 EnWG heranzuziehen, soweit der Sachschaden auf einer Verletzung der dem ÜNB aus dem EnWG obliegenden Pflichten herrührt. Insoweit sind auch Folgeschäden ersatzfähig, soweit sie auf einer Beeinträchtigung der Offshore-Anlage und damit auf einem Sachschaden beruhen. Was ein „Sach“schaden ist, sollte sich sinnvollerweise daran orientieren, ob körperlich auf die Anlage eingewirkt wird, wobei eine echte Substanzbeeinträchtigung nicht erforderlich ist. Auch bloße Funktionseinbußen, die sich aus dem Abschalten des Stroms ergeben, können wie auch sonst für eine Sachbeschädigung genügen. Unter dieser Prämisse wäre es allerdings theoretisch nicht ausgeschlossen, sogar Vermögensschäden, die sich aus der fehlenden Netzanbindung ergeben, als Sachfolgeschäden einzuordnen und dann voll zu kompensieren. Das ist von den Gesetzesverfassern offenbar nicht gewollt. Wer dies verhindern will, muss dann den Begriff des Sachschadens dahingehend präzisieren, dass eine Einbuße der Funktionsfähigkeit der Anlage selbst (unter Ausklammerung der fehlenden „Exportfähigkeit“ des generierten Stroms) verlangt wird, etwa wenn Maschinenteile o. ä. Defekte erleiden. Man müsste also voraussetzen, dass die Anlage an sich (teilweise) funktionsunfähig 8 9
Zum Folgenden Thole, RdE 2013, 53, 58. Gesetzentwurf der BReg vom 29. 8. 2012, S. 46.
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wird, und sich die Einbuße nicht darauf beschränkt, dass der Strom nicht ins Netz eingespeist werden kann. b) Einzelfragen der Neuregelung aa) Dogmatisch-systematische Einordnung Ich will kurz auf einige Punkte aufmerksam machen. Dogmatisch könnte man, obwohl von Entschädigung die Rede ist, den Haftungsanspruch auf diese Entschädigung weiterhin als Schadensersatzanspruch verstehen10, der jedoch der Höhe nach gedeckelt ist. Dafür spräche die Gesetzesgenese, nach der die bisherige Schadenshaftung (lediglich) inhaltlich begrenzt sein soll. Freilich ließe sich auch die Parallele zur Nachbarhaftung ziehen und wie bei § 906 Abs. 2 S. 2 BGB von einer echten Entschädigung ausgehen11 Im Ergebnis handelt es sich bei den Haftungsnormen jedenfalls letztlich um Fälle einer Art Gefährdungshaftung nach dem Vorbild etwa der Umweltschadenshaftung oder der Produkthaftung, die allerdings insofern anders liegt, als hier keine besondere Gefährlichkeit eines Inverkehrbringens durch den ÜNB in Rede steht. Letzteres zeigt sich auch daran, dass bei den Sachschäden an Offshore-Anlagen ja nicht verschuldensunabhängig gehaftet wird, obwohl das unter dem Blickwinkel „gefährlichen Verhaltens“ sozusagen noch nahe liegender wäre. Die Haftung rechtfertigt sich letztlich allein dadurch, dass der ÜNB angereizt werden soll und muss, die Netzanbindung sicherzustellen. Folgerichtig kann sich der ÜNB auch nicht unter Hinweis auf Fremdverschulden entlasten. Man könnte erwägen, die Haftung mittels eines einschränkenden Merkmals zu begrenzen, wie es für die Gefährdungshaftung in Gestalt des risikotypischen Gefährdungszusammenhangs anerkannt ist, wenn etwa § 7 StVG nur Schäden erfasst, die „bei dem Betrieb“ des Kraftfahrzeugs erfolgen12. Mit gleicher Münze ließe sich möglicherweise argumentieren, die Haftung nach § 17e Abs. 2 EnWG sei auf gewissermaßen idealtypische Verzögerungen begrenzt und erfasse beispielsweise nicht Verzögerungen, deren Entstehung vom ÜNB nicht unmittelbar beeinflussbar sei, wie objektiv bestehende Kapazitätsengpässe oder Verzögerungen im behördlichen Genehmigungsverfahren13. Tatsächlich sollte man insoweit eher zurückhaltend sein, weil sonst ein Verschuldenserfordernis in das Gesetz implantiert würde, das dort gerade nicht mehr als Haftungsvoraussetzung normiert sein soll14.
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So offenbar auch Wiederholt/Bode/Reuter, NVwZ 2012, 1207, 1210. Freundlicher Hinweis von Salje auf der Tagung am 26. 4. 2013. 12 Dazu Thole, RdE 2013, 53, 59. 13 Dies erwägend für die Zurechnung beim Verschulden unter dem früheren Recht Compes/ Schneider, KsZW 2012, 277, 282 f. 14 Thole, RdE 2013, 53, 59. 11
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bb) Mitverschulden Die dogmatische Zuordnung zur Gefährdungshaftung schließt nicht aus, dass ein Mitverschulden des Anlagenbetreibers eine Rolle spielen mag. Es geht ja um Schäden und nicht um eine nach anderen Kriterien zu bemessende Entschädigung. § 17e Abs. 1 S. 6 EnWG besagt, dass der Entschädigungsanspruch entfällt, soweit der Betreiber der Offshore-Anlage die Störung zu vertreten hat. Hier ist besonders auf das „soweit“ zu achten. Ein vollständiger Ausschluss ist bei einem Mitverschulden nicht gegeben. Was die Haftung wegen der nicht rechtzeitig hergestellten Netzanbindung angeht, so kann auch insoweit ggf. ein Mitverschulden des Anlagenbetreibers eine Rolle gespielt haben. Es fehlt bei § 17e Abs. 2 EnWG-RegE aber eine ausdrückliche Regelung, auch die Verweisung in § 17e Abs. 2 EnWG-RegE auf die Entschädigung nach Absatz 1 erfasst expressis verbis nur „Absatz 1 Satz 1 und 2“. Ein Mitverschulden des Offshore-Betreibers müsste nach § 254 BGB analog berücksichtigt werden, wie es auch bei anderen Gefährdungshaftungstatbeständen anerkannt ist. cc) Privatrechtliche Pflichtenbindung des ÜNB Das neue Recht der Ausbau- und Anschlusspflichten hat zwar zu einem Systemwechsel in Richtung eines staatlich gelenkten Netzausbaus unter dem Regime des Offshore-Netzentwicklungsplans geführt15. Gleichwohl dürfte dies nicht der Annahme entgegenstehen, dass weiterhin eine echte privatrechtliche Pflicht des ÜNB zur Netzanbindung gegenüber dem Anlagenbetreiber besteht. Das Gesetz erkennt die Interessenlage; gerade wegen dieser „Angewiesenheit“ des Anlagenbetreibers auf den ÜNB sind ja auch Abstimmungspflichten und Unterrichtungspflichten im Gesetz vorgesehen (§ 17d Abs. 2 S. 3 EnWG), und § 17d Abs. 3 S. 1 EnWG spricht auch weiterhin von einem Anspruch auf Netzanbindung, wenn auch dessen Fälligkeit nach hinten geschoben ist. Theoretisch wäre es denkbar, dass diese Pflicht nach Eintritt des Fälligkeitszeitpunkts auch privatrechtlich durchgesetzt wird, und dann auch vollstreckt wird, und zwar wohl als unvertretbare Handlung (§ 888 ZPO), bei der der ÜNB durch Zwangsgeld zur Herstellung der Netzanbindung verpflichtet wird. Dieses Zwangsgeld flösse dem Staat zu; es wäre keine Entschädigung i. S. d. § 17e, die in den Belastungsausgleich eingestellt werden dürfte. dd) Fälligkeit und Zahlungsmodus; Zinspflicht Schließlich ergeben sich noch gewisse Unsicherheiten, was die Berücksichtigung der Schadensersatzzahlungen bei der Projektfinanzierung, also die bankability angeht16. Denn funktional gesehen haben aus Sicht des Anlagenbetreibers die Ersatz15 16
Kritisch mit Recht Salje in seinem Beitrag in diesem Band. Wiederholt/Bode/Reuter, NVwZ 2012, 1207, 1211.
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zahlungen ja letztlich Vergütungscharakter und sind damit in den Zahlungsplan einzubeziehen. In der Literatur ist bereits gefragt worden, wie die Abwicklung dieses Schadensersatzanspruchs genau erfolgt – Einmal- oder Teilzahlungen, Fälligkeit, Durchsetzung?17 Hier kann sich die Lösung nur aus allgemeinen Schadensersatzregeln ergeben. Das bedeutet: Fällig ist die Schadensersatzpflicht als Einmalzahlung mit Verwirklichung des jeweiligen Tatbestands, d. h. pro Schadensereignis; eine Teilzahlung ist dem ÜNB nicht gestattet. Fälligkeit tritt ein, sobald der haftungsbegründende Tatbestand verwirklicht ist; weitere Voraussetzungen sind nicht zu erfüllen. Das wirft die Frage auf, ob der ÜNB die Schadensersatzpflicht „ungestraft“ beliebig lange herauszögern kann, solange er nicht durch Vollstreckung zur Zahlung gezwungen wird. Ein Problem in diesem Zusammenhang könnte die Zinspflicht sein. Nach dem Wortlaut des § 17e EnWG könnte man meinen, dass der ÜNB selbst im Verzugsfall, also nach Mahnung durch den Anlagenbetreiber, keine Zinsen auf den Entschädigungsbetrag schuldet, und selbst Rechtshängigkeitszinsen scheinen ausgeschlossen, wenn man die Sperrwirkung ernst nimmt und den Betrag streng auf die 90 % reduziert. Dafür spräche auch der Umkehrschluss aus § 17e Abs. 2 S. 5 EnWG, denn dort ist für die Rückgewährpflicht des Offshore-Anlagenbetreibers bei Nichtfertigstellung der Anlage ausdrücklich eine Verzinsungspflicht angeordnet. Trotzdem darf man m. E. die Zinspflicht nicht ausschalten. Die Verzugszinsen nach § 288 BGB und erst recht die Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB sind gerade keine wirklichen Vermögensschäden, denn ob der Anlagenbetreiber sie erwirtschaftet hätte, ist unerheblich. Die Zinspflicht soll zur Pflichterfüllung anhalten. Daher ist m. E. von dem Bestehen einer solchen Zinspflicht auszugehen. Bei allem zeigt sich, dass es natürlich schon wegen der tatbestandlichen Begebenheiten unsicherer ist, Schadensersatzzahlungen zielgenau zu planen, als bloße Einspeisevergütungen; bei der Finanzierung müssen ggf. Bewertungsabschläge vorgenommen werden. c) Abschließende Bewertung der Neuregelung Insgesamt scheint es, als sei das Gesetz vom Blickwinkel der Planbarkeit ein gutes Stück ein Fortschritt. Ob es tatsächlich zur schnelleren Realisierung der Netzanbindung beiträgt ist eine andere Frage. Zwar ist die Investitionssicherheit gestiegen, doch sind die haftungsrechtlichen Anreize für die ÜNB, das Netz anzubinden, letztlich gesunken, wenn die Haftung im Ergebnis zu einem Großteil abgewälzt werden kann und der drohende Schaden der Anlagenbetreiber nicht im Handlungskalkül vollständig internalisiert wird. Damit gehen, wie andernorts ausgeführt18, Steuerungswirkungen des Rechts verloren.
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Wiederholt/Bode/Reuter, NVwZ 2012, 1207, 1211. Thole, RdE 2013, 53 ff.; zuletzt aufgerufen am 30. 11. 2015.
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III. Haftung des Betreibers einer Offshore-Anlage für Schäden Dritter In der Zeitung Die Welt am Sonntag war Ende März 2013 zu lesen, dass der Bau von Offshore-Anlagen zunehmend den Schiffsverkehr gefährde, weil durchaus die Gefahr bestehe, dass Schiffe in engmaschigen Baugebieten mit Offshore-Anlagen oder untereinander kollidieren19. Die Rede ist davon, dass Offshore-Baustellen schlecht gesichert seien. Auch sind gelegentlich Segler in den Offshore-Baustellen unterwegs, was die Schifffahrtsdirektion tagsüber und bei guter Sicht erlaubt. Wir erinnern uns auch, dass bei dem kürzlich im Atlantik herumtreibenden russischen Rattenschiff die Befürchtung geäußert wurde, es könne mit Offshore-Anlagen kollidieren; und tatsächlich ist etwa im Februar 2013 ein Versorgungsschiff in der Deutschen Bucht mit dem Fundament einer Windkraftanlage kollidiert. Dabei wurde nach Angaben der Wasserschutzpolizei in Emden die Bugspitze des Doppelrumpfschiffes schwer beschädigt. Es ist also nicht nur ein theoretisches Problem, wie sich die Haftung in solchen Unglücksfällen darstellt. Man denke auch an Feuerunfälle20 sowie Arbeitsunfälle, wenn beispielsweise ein Arbeiter ins Meer stürzt.
1. Anwendbares Recht Stellt sich dann die Haftungsfrage, ist gerade bei Offshore-Anlagen, die sich in der Ausschließlichen Wirtschaftszone befinden, zunächst einmal die Frage des anwendbaren Rechts zu klären. Hier steht nicht so sehr die Frage im Raum, ob es eine Erstreckungsklausel gibt21, sondern es geht um Fragen des IPR und die Entwicklung einer Kollisionsregel. Mit einer wie auch immer bestimmten Situs-Regel hat das allerdings nichts zu tun, da es nicht um die dinglichen Rechte an der Offshore-Anlage geht. Letztlich dürfte sowohl bei Fällen, die sich auf Hoher See abspielen, als auch bei solchen, die in der AWZ erfolgen, in der Regel eine entsprechende Anwendung von Art. 4 Rom II-VO in Betracht kommen, soweit nicht ein (Arbeits-)Vertrag zwischen den Beteiligten besteht22. Nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO wird deutsches Recht jedenfalls dann gemeinsames Heimatrecht sein, wenn sowohl Betreiber der Anlage als auch Geschädigter ihren gemeinsamen Aufenthalt in Deutschland haben; das dürfte in der Regel nur zu bejahen sein, wenn die Reederei in Deutschland ansässig ist. Regelmäßig wird es nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auf den Erfolgsort ankommen, also auf den Ort, an dem der Primärschaden eintritt. Dieser liegt zwar in der AWZ, 19 Welt am Sonntag, 24. 3. 2013, „Auf der Nordsee wird es eng“, abrufbar unter www.welt.de im Archiv; zuletzt abgerufen am 30. 11. 2015. 20 Zum Brandbekämpfungswesen in der AWZ Plöger, NordÖR 2012, 320. 21 Richtig Wurmnest, RabelsZ 72(2008), 236, 241 ff. 22 Vgl. auch Hille/Dettmer/Visser, VersR 2010, 585, 586.
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doch wird man diesen Funktionshoheitsraum in diesem Zusammenhang wie deutsches Hoheitsgebiet behandeln können, sodass auf deutsches Deliktsrecht verwiesen wird, das auch in seiner internationalen Reichweite – ohne dass eine Erstreckungsklausel erforderlich wäre – hier durchaus einen Regelungsanspruch erheben dürfte. In jedem Fall sind nach Art. 17 Rom II-VO die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort des haftungsbegründenden Ereignisses zu berücksichtigen; m. E. sind also die für den Schiffsverkehr anerkannten Regeln zu berücksichtigen, und aus Betreibersicht etwa Pflichten zur Nachtbefeuerung oder allgemeine Verkehrssicherungspflichten beim Aufbau einer solchen Anlage. 2. Denkbare Haftungsregeln Welche Haftungstatbestände des deutschen Rechts könnten hier einschlägig sein? a) Gebäudehaftung Für den Fall, dass die Offshore-Baustelle oder auch die fertige Anlage nicht hinreichend abgesichert war, beispielsweise weil die Anlage nicht so errichtet war, dass sie bei einer Kollision einknickt, sondern sich bei einer Kollision mit einem Schiff wie ein Dosenöffner in das Schiff bohrt23, könnte man an die durch eine Beweislastumkehr verschärfte Haftung des Gebäudebesitzers nach §§ 836, 837 BGB denken. Eine öffentlich-rechtliche Genehmigung wirkt – wie auch sonst – nicht generell haftungsentlastend. Doch ist fraglich, ob man diese gegenüber §§ 823 ff. beweisrechtlich verschärfte Regel – vom Verschuldensvorwurf muss sich der Schädiger entlasten – anwenden kann, weil sie an den Eigenbesitz an dem Gebäude oder eines anderem mit einem Grundstück verbundenen Werks anknüpft. Ein Grundstück im sachenrechtlichen Sinne gibt es aber im Meer und in der AWZ nicht. Trotzdem dürfte die Vorschrift ihrem Zweck nach anwendbar sein, weil der Gebäudecharakter bzw. Werkcharakter der Anlage unbestreitbar ist. Bejaht wurde §§ 836, 837 BGB etwa bei Telegraphenmasten, Baugerüsten, Starkstrommasten24. Wer §§ 836, 837 BGB ablehnt, kommt zu allgemeinen Regeln und damit zu § 823 ff. BGB. Hier ist jeweils entscheidend, ob nachgewiesen werden kann, dass der Betreiber der Anlage schuldhaft Verkehrssicherungspflichten verletzt hat; umgekehrt kommt eine Haftung des Reeders oder Seglers in Betracht, wenn er beispielsweise trotz schlechter Sicht im Windpark fehlerhaft navigiert hat und es dadurch zu Beschädigungen des Windrads kommt.
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Vgl. ein Zitat im eben Fn. 19 zitierten Beitrag. Vgl. Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl. 2015, § 836 Rn. 3 m. Nachw. zur Rspr.
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b) Umwelthaftung Was die Umweltauswirkungen von Windparks angeht, beispielsweise Auswirkungen auf den Meeresboden oder Fische, Seevögel oder sonstige Schäden, auch an individuellen Rechtsgütern, so ist fraglich, ob eine Umwelthaftung verwirkt sein kann25. An eine Haftung nach dem Umwelthaftungsgesetz wäre neben § 823 BGB bei individuellen Schäden zwar zu denken, etwa wenn eine Person durch eine Einwirkung der Anlage verletzt wird. Doch scheidet eine Haftung aus, weil nur selten eine durch den Umweltpfad, d. h. durch das Wasser, Luft oder Boden verwirklichte Umwelteinwirkung i. S. d. UmweltHG vorliegen wird und insbesondere, weil die Offshore-Anlagen in Anlage 1 zum UmweltHG nicht erfasst sind. Auch das Haftpflichtgesetz ist tatbestandlich nicht einschlägig. Die kollektive Haftung nach § 9 Umweltschadensgesetz ist öffentlich-rechtlicher Natur. Es handelt sich um eine Haftung gegenüber der Behörde und sie ist daher hier nur zu erwähnen. Sie erscheint vorbehaltlich seerechtlicher Besonderheiten möglich, weil auch ein Umweltschaden i. S. d. § 19 BNatSchG denkbar ist und das BNatSchG in der AWZ weitgehend anwendbar ist, § 56 BNatSchG. Denkbar wären auch Fälle, in denen eine fehlende Sicherung der Anlage zu einem Schiffsunfall führt und dann beispielsweise Öl in das Meer ausläuft, doch ist fraglich, ob dann der Betreiber Verantwortlicher i. S. d. Umweltschadensgesetzes ist, weil hier an die „unmittelbare“ Verursachung des Umweltschadens angeknüpft wird. Vorrangig könnte zudem auch das WHG anwendbar sein, das in § 89 WHG auch eine Gefährdungshaftung für das nachteilige Einwirken auf Gewässer oder auch das Einleiten von Stoffen und die Veränderung der Wasserbeschaffenheit enthält. Es gilt zunächst für Küstengewässer nach näherer Bestimmung in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WHG. Für Meeresgewässer gilt allein § 23 WHG und Kapitel 2 Abschnitt 3a. Für Offshore-Anlagen dürfte die Verwirkung einer solchen Haftung daher nur im Ausnahmefall überhaupt denkbar sein, wenn etwa beim Bau der Anlage in einem Küstengewässer, also onshore, Schadstoffe in das Küstengewässer eingeleitet werden.
IV. Die Offshore-Anlage als Haftungsobjekt Eine weitere zivilrechtliche Haftungsfrage betrifft das Problem, ob die OffshoreAnlage selbst zum Gegenstand einer Sicherung, d. h. zum Haftungsobjekt gemacht werden kann. In diesem Bereich ist, wie Wurmnest ausgeführt hat26, von der Anwendbarkeit deutschen Sachenrechts trotz Fehlens einer Erstreckungsklausel im BGB auszugehen. Sodann ist weiter zu differenzieren: 25 Allgemein zu den naturschutzrechtlichen Anforderungen von Daniels/Uibeleisen, ZNER 2011, 602; Wolf, ZUR 2004, 65. 26 Wurmnest, RabelsZ 72(2008), 233, 241 ff.; und sein Beitrag in diesem Band.
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Der Meeresboden, auf dem die Anlage fundiert ist, scheidet als Kreditsicherungsobjekt aus. Im Bereich des Küstenmeeres ist zwar denkbar, dass die Bundesrepublik Deutschland Eigentum bucht und dann beispielsweise die Bestellung eines Erbbaurechts gewährt, das dann zur Finanzierung eingesetzt werden kann, doch dürfte das kaum vorkommen27. Im Bereich der AWZ gibt es niemandes Eigentum und damit auch keine Sicherungsrechte am Meeresboden. Entscheidend ist, ob die Anlage selbst sonderrechtsfähig ist und daran eine Sicherheit bestellt werden kann. Das ist regelmäßig zu bejahen, für Anlagen in der AWZ ohne weiteres, für solche im Bereich des Küstenmeeres jedenfalls – die Einzelheiten sind hier etwas problematischer – dann, wenn man – was naheliegt – sie nur als Scheinbestandteil ansieht, der nach der Nutzungsdauer wieder abzubauen wäre und damit nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Meeresgrund verbunden ist28. Die in der Literatur beschriebenen Probleme, nach denen ein Eigentumsübergang an Bauteilen der Offshore-Windkraftanlage nicht rechtssicher vollzogen werden kann, wenn die Übergabe und Übereignung erst in der AWZ erfolgt29, sollten danach beherrschbar sein. Wer ganz sicher gehen will, müsste eine Übereignung der zusammengefügten Teile schon im Basishafen in der Bundesrepublik vornehmen. Es ist übrigens selbstverständlich, dass die Offshore-Anlage auch Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein kann und unter dem Gesichtspunkt, dass es kein haftungsfreies Vermögen geben darf, auch sein muss, und zwar dann richtigerweise der Mobiliarvollstreckung. Freilich sind die verfahrenstechnischen Rahmenbedingungen bisher wohl noch nicht hinreichend untersucht. Bei der Sachpfändung müsste gefragt werden, welches das zuständige Vollstreckungsgericht und der zuständige Gerichtsvollzieher ist, wenn ein solcher Fall praktisch werden sollte. Die ZPO enthält dafür keine ausdrücklichen Regelungen; ggf. wäre eine Hilfsanknüpfung an die Forderungspfändung und die Regelung in § 828 Abs. 2 ZPO zu suchen, wenn man dies verfassungsrechtlich überhaupt für zulässig erachtet30. Für Forderungs- und Rechtspfändung ist das Vollstreckungsgericht am Sitz des Schuldners zuständig. Tatsächlich dürfte die Forderungspfändung ohnehin der häufigere Fall sein, weil die Anlage selbst zur Sicherheit an die Bank übereignet sein dürfte und bei einer tatsächlich durchgeführten Sachpfändung damit die Drittwiderspruchsklage eröffnet wäre.
V. Fazit Im vorstehenden Beitrag sind einige Aspekte der zivilrechtlichen Haftung im Zusammenhang mit Offshore-Windenergieanlagen skizziert. Das Schwergewicht und die größte praktische Relevanz hat sicher die Haftung des Übertragungsnetzbetrei27
Böttcher, RNotZ 2011, 589, 595 f. Böttcher, RNotZ 2011, 589, 595 ff.; Reichert-Facilides, WM 2011, 1544, 1549. 29 So Müller-Helle/Theilmann, RdE 2010, 369 ff. 30 Zweifelnd Reichert-Facilides, WM 2011, 1544, 1550.
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bers, weil davon die Investitionsbereitschaft aller Beteiligten abhängt. Hier hat das Gesetz vom 20. 12. 2012 sicher die Weichen insoweit richtig gestellt, als es überhaupt eine Haftungsregelung enthält. Ob sich das Gesetz allerdings auch im Ernstfall bewährt, ist zumindest in Einzelfragen zweifelhaft. Darüber hinaus ist die Haftungsregel im EnWG in Wahrheit gar keine wirkliche privatrechtliche Haftung, sondern eine verkappte Versicherungslösung. Ob dies den Netzausbau durch die ÜNB fördert, ist fraglich.
Rechtsfragen des Offshore Netzentwicklungsplans Von Thorsten Pries, Bonn*
I. Einleitung Der Ausbau des Offshore-Netzes ist ein zentraler Bestandteil des Ausbaus des Stromnetzes in Deutschland. Die zuverlässige Versorgung mit Energie, insbesondere mit Strom, ist die Grundlage für eine moderne Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland. Vor diesem Hintergrund sind die Optimierung und der weitere Ausbau der Stromnetze unter Einschluss des Offshore-Netzes für eine weiterhin hohe Versorgungssicherheit besonders wichtig. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (50Hertz, Amprion, TenneT und Transnet BW) sind gemäß § 11 Abs. 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verpflichtet, „ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen, soweit es wirtschaftlich zumutbar ist“. Die Netze müssen den Ansprüchen einer zunehmend auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung gerecht werden. Durch die zunehmende Einspeisung von erneuerbaren Energien wird der Leistungstransport über größere Entfernungen zu den Verbrauchszentren erforderlich. Der geplante schnelle und umfängliche Zubau von Erzeugungskapazitäten von Wind Offshore in der Nord- und Ostsee und die damit verbundene aufwendige und technisch anspruchsvolle Übertragung von Strom an die Netzanknüpfungspunkte auf der Landseite impliziert große technische und planerische Herausforderungen. Mit der Einführung der neuen §§ 17 a ff. EnWG wird der bisherige individuelle Anbindungsanspruch der Betreiber von Offshore-Anlagen durch einen Offshore Netzentwicklungsplan abgelöst. Nunmehr ist ein geordneter Ausbau der Energieinfrastruktur auf See möglich. Der im Jahr 2013 erstmalig vorliegende Offshore Netzentwicklungsplan weist alle notwendigen Maßnahmen aus, die in den nächsten zehn bzw. zwanzig Jahren zur bedarfsgerechten Optimierung, Verstärkung und zum Ausbau von Anbindungsleitungen von Offshore-Windparks notwendig sind. Übertragungsnetzbetreiber, in deren Regelzone eine Netzanbindung von Offshore-Windparks gebaut werden soll (konkret TenneT für die Nordsee und 50Hertz für die Ost* Der Verfasser ist Mitarbeiter der Bundesnetzagentur, die an dem hier besprochenen Verfahren beteiligt ist. Die Ausführungen geben ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.
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see), werden verpflichtet, den Anschluss vom Netzanschlusspunkt auf der Umspannplattform eines Offshore-Windparks bis hin zum Übertragungsnetz zu errichten und zu betreiben. Frühere Tatbestände wie etwa verspätete Netzanschlüsse und daraus folgende Entschädigungszahlungen sowie nicht ausgelastete Netzanschlüsse sollen damit der Vergangenheit angehören. Die grundsätzlichen Ziele des Offshore Netzentwicklungsplans bestehen demnach darin, mehr Verlässlichkeit und weniger „stranded investments“ für Investoren und Übertragungsnetzbetreiber sicherzustellen sowie die Kosten für die Verbraucher soweit wie möglich zu minimieren. Die Grundlage sowohl für den landseitigen als auch für den seeseitigen Netzentwicklungsplan bildet der sog. Szenariorahmen. Da die konkreten zukünftigen Anforderungen an die deutsche und die europäische Stromnetzinfrastruktur heute noch nicht feststehen, wird mit dem Szenariorahmen, der im Vorfeld der beiden Netzentwicklungspläne ebenfalls von den Übertragungsnetzbetreibern erstellt und von der Bundesnetzagentur genehmigt wird, eine Prognose der wahrscheinlichen Entwicklung der Stromerzeugungskapazitäten und des Stromverbrauchs in zehn bzw. zwanzig Jahren mit Hilfe verschiedener möglicher Entwicklungspfade (Szenarien) erstellt.1 Der Offshore Netzentwicklungsplan ergänzt die bundesweite landseitige Netzausbauplanung des Netzentwicklungsplans. Bei beiden Plänen handelt es sich um eigenständige Netzausbaupläne, die sich gegenseitig bedingen. So sind die im landseitigen Netzentwicklungsplan ausgewiesenen Netzverknüpfungspunkte und die darin ausgewiesene Netzanschlusskapazität eine wesentliche Eingangsgröße des Offshore Netzentwicklungsplans. Beide Pläne müssen der Bundesnetzagentur gemäß § 12 b Abs. 1 und 17 b Abs. 1 EnWG jährlich zum 3. März vorgelegt werden. Diese werden jeweils von den Übertragungsnetzbetreibern erstmalig konsultiert und nach der Überarbeitung durch die Übertragungsnetzbetreiber der Bundesnetzagentur übergeben. Daraufhin werden sie ein zweites Mal konsultiert und anschließend von der Bundesnetzagentur bestätigt. Die genehmigten Netzentwicklungspläne müssen von der Bundesnetzagentur mindestens alle drei Jahre an die Bundesregierung als Grundlage für ein sog. Bundesbedarfsplangesetz übermittelt werden, § 12 e Abs. 1 EnWG. Im Bundesbedarfsplangesetz werden für die im Netzentwicklungsplan und im Offshore Netzentwicklungsplan enthaltenen Maßnahmen die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf verbindlich festgestellt.2
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Allgemein zum Szenariorahmen siehe die in allen Fragen des Netzausbaus sehr empfehlenswerte Internetseite der Bundesnetzagentur, http://www.netzausbau.de/cln_1912/DE/ Verfahren/ Szenariorahmen/Szenariorahmen-node.html. 2 Im Sommer 2013 wurde zum ersten Mal das BBPlG – noch ohne den im O-NEP abgebildeten Netzausbau in Nord- und Ostsee – erlassen, vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12638.
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Grundsätzlich sind bei der Planung von Offshore-Windparks und deren Anbindung viele verschiedene Akteure beteiligt. Die Offshore-Windparks werden von kommunalen oder internationalen privaten Unternehmen geplant, gebaut und betrieben. Zum Teil schließen sich für Windpark-Projekte auch mehrere Unternehmen zusammen. Für das Küstenmeer der Nord- und Ostsee bis zur Zwölfmeilenzone sowie den sich landseitig anschließenden Küstenbereich sind die jeweils angrenzenden Bundesländer (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern) zuständig. Seewärts schließt sich an die Zwölfmeilenzone die „Ausschließliche Wirtschaftszone“ (AWZ) an, für die das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie zuständig ist. Es koordiniert die Planung und Verteilung, für welche Zwecke (z. B. Schiffsverkehr, Fischerei, Militär) die Nord- und Ostsee in der AWZ genutzt werden. Die Übertragungsnetzbetreiber sind für die Erstellung eines Gesamtplans der Anbindungsleitungen in der Form eines Offshore Netzentwicklungsplans zuständig. Dieser erstreckt sich auf die AWZ, das Küstenmeer sowie landseitig bis zu den Netzverknüpfungspunkten. Die Übertragungsnetzbetreiber sind neben der Planung auch für den Bau und die Realisierung der Anbindungsleitungen zuständig. Die Bundesnetzagentur ist Prüf- und Genehmigungsbehörde für den Offshore Netzentwicklungsplan mit der zeitlichen Staffelung der Anbindungsleitungen und für den Szenariorahmen, der den Ausbaubedarf für Energieträger Wind Offshore ermittelt. Parallel dazu betrachtet die Bundesnetzagentur in einer strategischen Umweltprüfung die potenziellen Auswirkungen von Anbindungsleitungen.
II. Systemwechsel im Rechtsregime der Windkraft Offshore 1. Alte Rechtslage (vor 28. 12. 2012) Nach dem alten Rechtssystem waren die Übertragungsnetzbetreiber dazu verpflichtet, das Netzanbindungssystem bis zum Zeitpunkt der technischen Betriebsbereitschaft des jeweiligen Offshore Windparks fertigzustellen. Zugleich musste jedoch sichergestellt werden, dass zur Erreichung dieses Zieltermins für die Fertigstellung des Netzanbindungssystems nicht voreilig und verfrüht Investitionen ausgelöst werden (z. B. die Bestellung der Kabelsysteme oder der Konverterplattform und -station). Ansonsten wären im Fall der ausbleibenden Realisierung der fraglichen Offshore Windparks die beauftragten und hergestellten Netzanbindungssysteme gar nicht erforderlich gewesen. Um diesem Risiko Rechnung zu tragen, veröffentlichte die Bundesnetzagentur 2009 ein Positionspapier, in dem sie ihre Sichtweise der Verpflichtung der zuständigen Übertragungsnetzbetreiber zur Netzanbindung von Offshore Windparks erläuterte.3
3 Siehe http://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/ElektrizitaetundGas/Unterneh men_ Institutionen/NetzzugangundMesswesen/Netzanschluss/Offshore/offshore-node.html.
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Die nach altem Rechtssystem nachzuweisenden Kriterien des Positionspapiers ermöglichten eine grundsätzliche Bewertung des Realisierungsfortschritts einzelner Offshore Windpark Projekte. Die vier Kriterien waren im Einzelnen: (1) Genehmigung der Offshore-Anlagen. (2) Plausibler Bauzeitenplan. (3) Durchführung der Baugrunduntersuchung. (4) Liefervertrag für Windparks und (a) Finanzierung der Windparks oder (b) Vorverträge für die wesentlichen Großkomponenten. Die von der Bundesnetzagentur im Positionspapier festgelegten Kriterien wurden in der Öffentlichkeit grundsätzlich positiv aufgenommen, da sich dadurch das Risiko von „stranded investments“ verringerte. Allerdings erfolgte die Investition in das Netzanbindungssystem in der Praxis häufig erst zu einem Zeitpunkt (Bestellung der Windenergieanlagen), ab dem es de facto oft nicht mehr möglich war, den Zieltermin (Betriebsbereitschaft des Offshore Windparks) zu erreichen Durch solche sich faktisch ergebende Verspätungen einiger Netzanbindungssysteme entstanden hohe Haftungsrisiken für den anbindungsverpflichteten Übertragungsnetzbetreiber. Zugleich bestand wegen des individuellen Netzanbindungsanspruchs bei der Vielzahl der Offshore Windpark Projekte ein hoher Investitions- und Finanzierungsbedarf. Dies führte nach allgemeiner Auffassung zu einer unbefriedigenden Situation, die den Ausbau der Offshore Windenergie maßgeblich verzögerte.4 2. Neue Rechtslage (nach 28. 12. 2012) Vor dem soeben dargestellten Hintergrund sah der Bundesgesetzgeber Handlungsbedarf und begründete in einer neuen Novelle des EnWG einen Systemwechsel bei der Netzanbindung von Offshore Windparks.5 Danach ist ein Bundesfachplan Offshore durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie ein Offshore Netzentwicklungsplan durch die Übertragungsnetzbetreiber gemäß § 17 a–d EnWG zu erstellen. Diese Pläne stellen die verbindliche Grundlage für einen geordneten Ausbau der Infrastruktur auf See dar. Folglich wurde das bisherige, ausschließlich am Realisierungsfortschritt einzelner Offshore-Windparks orientierte und auf dem Positionspapier der Bundesnetzagentur basierende System abgelöst. Es wurde ein System etabliert, in dem die neu zu errichtenden Anbindungsleitungen sog. „Cluster“ erschließen. Bei Clustern handelt es sich um mehrere Offshore-Windparks, die räumlich benachbart liegen und für Sammelanbindungen zur Erschließung mehrerer Offshore-Windparks grundsätzlich geeignet sind.6 In dem neuen System müssen darüber hinaus weitere Off4 5 6
Siehe ÜNB, zweiter Entwurf O-NEP 2013, S. 12 ff. Dazu Broemel, ZUR 2013, 408; Wiederholt/Bode/Reuter, NVwZ 2012, 1207. BNetzA, Entwurf der Bestätigung des O-NEP 2013, S. 13.
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shore-Windpark-unspezifische Kriterien erfüllt sein, um eine Anbindungsleitung zu errichten. Die bereits in Betrieb befindlichen Netzanbindungssysteme und die noch zu errichtenden Netzanbindungen nach der alten Regelung, für die bereits eine verbindliche Netzanbindungszusage eines Übertragungsnetzbetreibers vorlag, bilden als Startnetz den Ausgangspunkt der Offshore-Planungen und werden als Eingangsparameter im Offshore Netzentwicklungsplan berücksichtigt. Der erste Entwurf des Offshore Netzentwicklungsplans 2013 wurde von den Übertragungsnetzbetreibern am 3. März 2013 veröffentlicht und zur Konsultation gestellt.7 Die Bundesnetzagentur hat den aufgrund der Konsultation von den Übertragungsnetzbetreibern überarbeiteten zweiten Entwurf des Offshore Netzentwicklungsplans8 erhalten und ihn geprüft. Im Rahmen der zweiten Konsultation des Offshore Netzentwicklungsplans stellte die Bundesnetzagentur am 13. September 2013 der Öffentlichkeit den nun vorliegenden „Entwurf der Bestätigung des Offshore Netzentwicklungsplans“ vor.9 Er enthält die Ergebnisse der bisherigen Prüfung und soll der Öffentlichkeit eine Hilfestellung bieten, den komplexen Prozess der Erstellung und Genehmigung des Plans besser nachvollziehen zu können. Dabei stellt die Bundesnetzagentur ausdrücklich klar, dass mit Einleitung der Konsultation die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei, sondern erst mit der finalen Bestätigung des Offshore Netzentwicklungsplans Ende 2013.10
III. Zeitliche Staffelung der Anbindungsleitungen Maßgeblich für den „Systemwechsel“ und den weiteren koordinierten Netzausbau von Wind Offshore ist die zeitliche Staffelung der Offshore-Netzausbaumaßnahmen. Für eine solche zeitliche Staffelung der Anbindungsleitungen enthält § 17 b Abs. 2 S. 3 EnWG Kriterien, die grundsätzlich gleichrangig und nicht abschließend aufgeführt sind. Die Übertragungsnetzbetreiber haben aus diesen gesetzlichen Vorgaben die folgenden fünf Kriterien für eine zeitliche Staffelung der Offshore-Netzausbaumaßnahmen vorgeschlagen, und zwar in der Rangfolge der nachfolgenden Nummerierung: (1) Küstenentfernung. (2) Lage von Offshore Windparks in raumordnungsrechtlich ausgewiesenen Vorrang- oder Eignungsgebieten für Offshore-Windenergie. 7 http://www.netzentwicklungsplan.de/content/offshore-netzentwicklungsplan-2013-ersterentwurf. 8 http://www.netzentwicklungsplan.de/content/offshore-netzentwicklungsplan-2013-zwei ter-entwurf. 9 http://www.netzausbau.de/SharedDocs/Termine/DE/Konsultationen/2013/130913_Konsul tationNEP-UB.html. 10 BNetzA, Entwurf der Bestätigung des O-NEP 2013, S. 3 f.
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(3) Jeweiliges Erzeugungspotential eines Offshore-Windenergie-Clusters. (4) Geplante Inbetriebnahme der Netzverknüpfungspunkte. (5) Realisierungsfortschritt der anzubindenden Offshore Windparks. Nachfolgend werden das Kriterium „(2) Vorrang- und Eignungsgebiete“ und das Kriterium „(5) Realisierungsfortschritt“ dargestellt werden, da diese Kriterien nach gegenwärtiger Einschätzung den meisten Diskussionsbedarf ergeben. 1. Vorranggebiete der Offshore Windenergie Die Lage von Offshore-Windparks in raumordnungsrechtlich ausgewiesenen Vorrang- oder Eignungsgebieten für Offshore-Windenergie ist im Entwurf des Offshore Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber als zweites Kriterium für die zeitliche Staffelung der Offshore-Netzausbaumaßnahmen vorgesehen.11 Dies erscheint der Bundesnetzagentur allerdings als Kriterium ungeeignet, da es zukünftige Offshore Windparks in unangemessener Weise benachteiligen könnte.12 Problematisch sind nach Ansicht der Bundesnetzagentur auch diejenigen Cluster, die nur teilweise als Vorrangebiete ausgewiesen sind. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie die Küstenbundesländer haben für die AWZ und das Küstenmeer in den jeweiligen Raumordnungsplänen bzw. -programmen Vorrang- oder Eignungsgebiete für die Nutzung von OffshoreWindenergie ausgewiesen. Eignungsgebiete bestehen lediglich im Küstenmeer13, während in der AWZ Vorranggebiete geplant sind. Vorranggebiete sind gemäß § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 ROG Gebiete, die für bestimmte raumbedeutsame Funktionen oder Nutzungen vorgesehen sind und andere raumbedeutsame Nutzungen in diesem Gebiet ausschließen, soweit diese mit den vorrangigen Funktionen oder Nutzungen nicht vereinbar sind. Eignungsgebiete sind gem. § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 ROG Gebiete, in denen bestimmten raumbedeutsamen Maßnahmen oder Nutzungen, die städtebaulich nach § 35 BauGB zu beurteilen sind, andere raumbedeutsame Belange nicht entgegenstehen, wobei diese Maßnahmen oder Nutzungen an anderer Stelle im Planungsraum ausgeschlossen sind. Maßgebend ist das Kriterium daher grundsätzlich nur in der AWZ, da in den Küstenmeeren Eignungsgebiete bestehen, die eine Errichtung von Offshore Windparks außerhalb der Eignungsgebiete von vornherein ausschließen. Die Vorranggebiete der AWZ für Windenergie sind in den beiden Raumordnungsplänen für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone in der Nordsee und in der Ostsee (RP-AWZ-Nordsee, RP-AWZ-Ostsee) ausgewiesen. Die Ausweisung als 11
ÜNB, zweiter Entwurf O-NEP 2013, S. 72 f. BNetzA, Entwurf der Bestätigung des O-NEP 2013, S. 32 ff. 13 Im schleswig-holsteinischen Küstenmeer der Nordsee und der Ostsee ist die Nutzung für Offshore-Windenergie ganz ausgeschlossen. Im schleswig-holsteinischen Küstenmeer der Ostsee besteht jedoch eine Ausnahme für zwei OWPs (Beta Baltic; GEOFReE). 12
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Windvorranggebiet verfolgt den Zweck, Nutzungen, die mit der Windenergiegewinnung nicht vereinbar sind, in den Vorranggebieten auszuschließen. „Das Vorranggebiet hat also im Hinblick auf andere entgegenstehende Nutzungen eine Freihaltefunktion zugunsten der vorrangigen Nutzung Windenergie. Somit kann mit den Vorranggebieten ein wichtiger Beitrag zum Erreichen der kurz- bis mittelfristigen Ausbauziele der Bundesregierung geleistet werden.“14
Allerdings hat die Festlegung von Vorranggebieten keinen Einfluss auf die Genehmigungen von Offshore Windparks außerhalb dieser Gebiete. Insbesondere ändern die Vorranggebiete nichts an der Verpflichtung der Netzbetreiber gemäß § 17 Abs. 2 a EnWG a.F., Offshore Windparks unabhängig davon an das Netz anzuschließen. Eine zeitliche Reihenfolge der Netzanbindung von Offshore Windparks ist mit der Festlegung der Vorranggebiete ausdrücklich nicht vorgegeben.15 „Damit das Ausbauziel der Bundesregierung von ca. 25 000 MW (Küstenmeere und AWZ in der Nordsee und Ostsee insgesamt) bis 2030 erreicht werden kann, schließt der Raumordnungsplan Windparkprojekte außerhalb der festgelegten Vorranggebiete – mit Ausnahme der Natura-2000-Gebiete – nicht aus; dies gilt insbesondere für die Weißflächen des Plans. Vielmehr richtet sich die Zulässigkeit nach der SeeAnlV; in dem dort vorgesehenen Genehmigungsverfahren sind Einzelfragen zur Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, zur Meeresumwelt oder zu sonstigen überwiegenden öffentlichen Belangen zu klären.“16
Zwar ist es theoretisch denkbar, dass aufgrund des Vorrangs vor anderen Nutzungsformen (insb. Schifffahrt, Umwelt, Militär) innerhalb von Vorranggebieten ein Genehmigungsverfahren zügiger durchgeführt werden könnte. Dies kann man jedoch nicht so pauschal für die Praxis vorhersagen. Die Dauer des Genehmigungsverfahrens hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Folglich können Genehmigungen für Offshore Windparks außerhalb von Vorranggebieten im Einzelfall durchaus schneller vorliegen. Damit korrespondieren auch die Festlegungen des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie im Bundesfachplan Offshore für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone in der Nordsee, wonach sich anhand der Lage der Windvorranggebiete ableiten lässt, dass die überwiegend im küstennäheren Bereich der AWZ liegenden Gebiete (sowohl innerhalb als auch außerhalb von raumordnungsrechtlichen Vorranggebieten) vorrangig mit Windenergie geplant werden sollen. Dies heißt jedoch nicht, dass in den übrigen Gebieten der AWZ keine Offshore Windparks genehmigt werden können.17 Soweit Cluster über die bislang festgelegten Vorranggebiete hinausgehen, schaffen sie die Voraussetzung für die geordnete Weiterentwicklung der im Raumordnungsplan lediglich andeutungsweise vorgezeichneten Netzanschlusssysteme.18 So ist es auch durchaus möglich, dass bislang außerhalb eines Vorranggebietes liegende Cluster im Wege der 14
RP-AWZ-Nordsee, S. 18; RP AWZ-Ostsee, S. 16 f. Vgl. RP-AWZ-Nordsee, S. 18; RP AWZ-Ostsee, S. 17. 16 RP-AWZ-Nordsee, S. 19 f.; RP-AWZ-Ostsee, S. 18. 17 Vgl. BFO-AWZ-Nordsee, S. 20. 18 Vgl. BFO-AWZ-Nordsee, S. 8.
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Fortschreibung der Raumordnungspläne zukünftig als Windvorranggebiete ausgewiesen werden. Die Übertragungsnetzbetreiber begründen die Aufnahme des Kriteriums „Windvorranggebiet“ damit, dass es aus raumplanerischer Sicht geboten sei, die entsprechenden Gebiete mit höherer Priorität zu erschließen als Flächen außerhalb der Vorranggebiete.19 Zudem müsse der Offshore Netzentwicklungsplan nach § 17 b Abs. 1 S. 2 EnWG die Festlegungen des Bundesfachplans Offshore Ostsee berücksichtigen, der wiederum auf dem Raumordnungsplan basiert. Die Ausführungen in den bestehenden Raumordnungsplänen könnten ferner unter der neuen Rechtslage nicht weiter gelten, mit der Folge, dass insbesondere die Reihenfolge der Netzanbindung mit der Festlegung der Vorranggebiete vorgegeben wäre. Des Weiteren werde die Ausweisung von Vorrang- und Eignungsgebieten bereits von der Bundesregierung in ihrem Strategiepapier zur Windenergienutzung auf See als wesentliches Steuerungsund Koordinierungsinstrument identifiziert. Andererseits sei es aus Sicht der Übertragungsnetzbetreiber irrelevant, ob ein Cluster vollständig oder nur teilweise in einem Vorranggebiet liege. Insoweit müssten auch Cluster, die nur teilweise in einem Vorranggebiet liegen, bei der zeitlichen Abfolge prioritär behandelt werden. Die von den Übertragungsnetzbetreibern vorgetragenen Gründe können nicht überzeugen. Eine Berücksichtigung des Kriteriums „Windvorranggebiete“ sollte bei der zeitlichen Staffelung der Anbindungsleitungen nicht vorgeschrieben werden. Zunächst einmal ist das Kriterium diskriminierend für Offshore Windparks außerhalb von Vorranggebieten. Es besteht kein zwingender Sachzusammenhang zwischen der Ausweisung eines Gebietes als Windvorranggebiet und der zeitlichen Staffelung von Zubaumaßnahmen. Es kann lediglich davon ausgegangen werden, dass Offshore Windpark-Vorhaben innerhalb von Windvorranggebieten grundsätzlich mit anderen raumbedeutsamen Nutzungen in Einklang stehen. Dies gilt jedoch für genehmigte Offshore Windparks außerhalb der Vorranggebiete auch, da im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Einklang mit anderen raumbedeutsamen Nutzungen ebenfalls geprüft werden muss. Folglich sollten bei der Betrachtung der Ausbaupotenziale nicht die Windvorranggebiete, sondern eher die erfolgten Genehmigungen maßgeblich sein. Eine pauschale Aussage über die Genehmigungs- bzw. Realisierungsdauer von Offshore Windparks kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob diese innerhalb oder außerhalb von Vorranggebieten liegen. Ebenso wenig sind nach gegenwärtiger Erkenntnis ein vorteilhafter Bündelungseffekt, eine höhere Windausbeute oder geringere Umweltauswirkungen von Offshore Windparks in Vorranggebiets-Clustern gegenüber anderen Clustern erkennbar Dies wurde – soweit ersichtlich – bisher auch nicht von den Übertragungsnetzbetreibern bzw. sonstigen Konsultationsteilnehmern im gegenwärtigen Verfahrensstadium des Offshore Netzentwicklungsplans 2013 vorgetragen.
19 Siehe zur Begründung ÜNB, zweiter Entwurf O-NEP 2013, S 72 f.; zuletzt abgerufen am 30. 11. 2015.
Rechtsfragen des Offshore Netzentwicklungsplans
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2. Realisierungsfortschritt der Offshore Windparks Das Kriterium „Realisierungsfortschritt des anzubindenden Offshore Windparks“ wird nach Ansicht der Übertragungsnetzbetreiber bei der zeitlichen Staffelung der Offshore-Netzausbaumaßnahmen lediglich durch eine Plausibilitätskontrolle geprüft. Demnach werden die anderen Kriterien der zeitlichen Staffelung daraufhin geprüft, ob sie im Hinblick auf den aktuellen Planungs- und Realisierungsfortschritt bzw. die Realisierungswahrscheinlichkeit der anzubindenden Offshore Windparks zu grob unangemessenen Ergebnissen führen würden. Dieser „Plausibilitätscheck“ beinhaltet also eine entsprechende Korrektur, wenn den aktuellen Planungs- und Realisierungsständen oder der bereits feststehenden Realisierung oder auch Nichtrealisierung eines einzelnen Offshore Windkraft Projektes in offensichtlicher Weise widersprochen wird. TenneT kommt in der Nordsee durch Anwendung der Kriterien – ohne Berücksichtigung des Kriteriums Realisierungsfortschritt – zu der in Tabelle 1 dargestellten zeitlichen Staffelung von Offshore-Netzausbaumaßnahmen: Tabelle 1 Staffelung Übertragungsnetzbetreiber, O-NEP 2013, Nordsee 1. Maßnahme NOR-3 – 2:
Zweite 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 3
2. Maßnahme NOR-1 – 1:
Erste 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 1
3. Maßnahme NOR-3 – 3:
Dritte 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 3
4. Maßnahme NOR-7 – 1:
Erste 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 7
5. Maßnahme NOR-5 – 2:
Zweite 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 5
6. Maßnahme NOR-7 – 2:
Zweite 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 7
Demgegenüber wurde in der Öffentlichkeit von einigen Projektträgern und Verbänden gefordert, dem Kriterium des Realisierungsfortschritts des anzubindenden Offshore Windparks eine deutlich höhere Bedeutung bei der Methodik zur zeitlichen Staffelung der Offshore-Netzausbaumaßnahmen beizumessen. Zur Begründung wurde insbesondere darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber dieses Kriterium in der Aufzählung in § 17 b Abs. 2 S. 3 EnWG als erstes aufgeführt habe. Diese Argumentation ist allerdings insofern nicht überzeugend, als der Gesetzgeber in § 17 b Abs. 2 S. 3 EnWG weder in Bezug auf die überhaupt zu berücksichtigenden Kriterien zur zeitlichen Staffelung der Offshore-Netzausbaumaßnahmen, noch auf die Reihenfolge der Anwendung bzw. Gewichtung derselben eine Festlegung getroffen hat. Dies lässt sich direkt dem Wortlaut des Gesetzes entnehmen („Kriterien für die zeitliche Abfolge … können … sein“). Insoweit besteht also für die Bundenetzagentur als Genehmigungsbehörde ein Ermessensspielraum bei der Berücksichtigung des Kriteriums Realisierungsfortschritt.
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Demnach hat die Bundesnetzagentur zu Recht eine Berücksichtigung des Kriteriums „Realisierungsfortschritt der anzubindenden Offshore Windparks“ als korrektives Kriterium zur Vermeidung eines grob unangemessenen Ergebnisses als sachgerecht erachtet.20 Allerdings hat die Bundesnetzagentur in der Nordsee – anders als TenneT – dieses Kriterium angewendet, um unbillige Härten durch den Wechsel vom windparkspezifischen Anbindungsregime zum neuen Regime des O-NEP zu verhindern. Eine solche „Härtefallklausel“ unter Berücksichtigung aller übrigen Kriterien führt zu der in Tabelle 2 dargestellten zeitlichen Staffelung von Offshore-Netzausbaumaßnahmen in der Nordsee: Tabelle 2 Staffelung Bundenetzagentur, O-NEP 2013, Nordsee 1. Maßnahme NOR-3 – 2:
Zweite 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 3
2. Maßnahme NOR-1 – 1:
Erste 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 1
3. Maßnahme NOR-7 – 1:
Erste 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 7
4. Maßnahme NOR-5 – 2:
Zweite 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 5
5. Maßnahme NOR-3 – 3:
Dritte 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 3
6. Maßnahme NOR-7 – 2:
Zweite 900 MW HGÜ-Verbindung nach Cluster 7
Nach Ansicht der Bundesnetzagentur gilt zu beachten, dass man sich zum jetzigen Zeitpunkt mit der Erstellung des ersten Offshore Netzentwicklungsplans in einem Übergang zwischen der alten Rechtslage, welche auf der Bewertung des Realisierungsfortschritt der anzubindenden Offshore Windparks basierte, und der neuen Rechtslage in Form einer windparkunspezifischen Netzanschlussplanung im Rahmen des Offshore Netzentwicklungsplans befindet. Aufgrund der zeitlichen Nähe zur alten Rechtslage existierten noch Offshore Windpark Projekte, die auf Basis der alten Rechtslage schon einen sehr hohen Realisierungsfortschritt erzielt hätten. Demnach sei eine Berücksichtigung dieser aufgrund der alten Rechtslage erzielten Realisierungsfortschritte geboten, um einen kontinuierlichen Übergang zwischen alter und neuer Rechtslage zu schaffen und unbillige Härtefälle zu vermeiden. Nicht nur der Vermeidung unbilliger Härten werde dadurch Rechnung getragen, sondern der Ausbau der Offshore-Windenergie werde auf diese Weise beschleunigt und damit ein zentrales Ziel der Energiewende verfolgt. Demnach seien Anbindungsleitungen, die zu einem Cluster mit einem Offshore Windpark führen, der nach alter Rechtslage die Voraussetzungen für eine bedingte oder unbedingte Netzanbindung erfüllt hätte, vorrangig gegenüber Clustern anzubinden, die über keine oder erst seit kurzem über eine Baugenehmigung verfügen. Diese Vorrangregelung ist also nach Ansicht der Bundesnetzagentur sachgerecht, da davon ausgegangen werden könne, dass bei Offshore Windparks, welche die Voraussetzungen für eine unbeding20
BNetzA, Entwurf der Bestätigung des O-NEP 2013, S. 35 f.
Rechtsfragen des Offshore Netzentwicklungsplans
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te oder bedingte Netzanbindungszusage nach altem Recht besäßen, im Vergleich mit Offshore Windparks, welche erst vor kurzem eine Baugenehmigung erhalten haben oder noch nicht einmal über eine Baugenehmigung verfügen, mit einer deutlich früheren möglichen Inbetriebnahme zu rechnen sei. Der Ansicht der Bundesnetzagentur ist zustimmen. Anbindungsleitungen zu Offshore Windparks, welche die Voraussetzungen einer bedingten oder unbedingten Netzanbindungszusage nach dem alten Rechtsrahmen erfüllt hätten, sollten bei der zeitlichen Staffelung vorrangig behandelt werden gegenüber Anbindungsleitungen, die zu Offshore Windparks führen, die noch nicht einmal über eine Baugenehmigung des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie verfügen. Es ist sinnvoll das gesetzlich vorgesehene Kriterium des Realisierungsfortschritts zur zeitlichen Staffelung (§ 17 b Abs. 2 S. 3 EnWG) für eine solche Härtefallregelung entsprechend auszulegen. Durch Anwendung dieses Kriteriums fällt die bisher an dritter Stelle stehende Anbindungsleitung NOR-3 – 3 zum Cluster 3 hinter die Anbindungsleitungen NOR7 – 1 und NOR-5 – 2 zurück. Die zu den Offshore Windparks „Nördlicher Grund“ und „He Dreiht“ mit den Voraussetzungen für bedingte bzw. unbedingte Netzanbindungszusagen nach altem Recht führenden Anbindungsleitungen NOR-5 – 2 und NOR-7 – 1 überholen demnach die Anbindungsleitung NOR-3 – 3. Für die Maßnahme NOR-3 – 3 für Cluster 3 existierten bis vor kurzem noch keine genehmigten Offshore Windpark-Projekte. Zu beachten ist jedoch, dass das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie Ende August 2013 Genehmigungen der in Cluster 3 gelegenen Offshore Windparks Innogy Nordsee 2 und Innogy Nordsee 3 von RWE erteilt hat. Für die Anbindung dieser beiden Offshore Windparks könnte die Maßnahme NOR-3 – 3 notwendig werden. Im Vergleich zu diesen jüngst genehmigten Projekten besitzen die Offshore Windparks „Nördlicher Grund“ in Cluster 5 und „He Dreith“ in Cluster 7 aber einen sehr deutlichen Realisierungsvorsprung.
IV. Fazit Die auf See erzeugte Windenergie stellt ein wesentliches Element bei der Umsetzung der Energiewende dar. Die absehbar ab 2016 nachlassende Planung von konventionellen Kraftwerken sowie der beschlossene Atomausstieg sollen durch den Anschluss von neuen Offshore Windparks ein Stück weit kompensiert werden. Allerdings sind solche „Steckdosen“ im Meer noch in der Anfangsphase, da im Moment gerade einmal 400 MW Gesamtleistung in der Nord- und Ostsee betriebsbereit installiert sind. Ziel des Offshore Netzentwicklungsplans ist es, den zukünftigen Ausbau der Anbindungsleitungen und des entsprechenden landseitigen Netzes mit den anzuschließenden Offshore Windparks zu synchronisieren. Hier gilt es, die Mängel der Vergangenheit zu beheben, nach denen die Netzanschlüsse später errichtet wurden als die dazugehörenden Offshore Windparks oder umgekehrt. Die Gründe hierfür sind vielfältig und lassen sich teilweise durch den Pioniercharakter der Projekte, die
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sehr ambitionierten Ziele aller am Wind Offshore Ausbau Beteiligten sowie den zeitlichen Druck durch das Stauchungsmodell21 erklären. Im Hinblick auf die entscheidende Frage der zeitlichen Staffelung der zukünftigen Anbindungsleitungen beschreiten die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur mit den strukturierten Ausbauplänen des Offshore Netzentwicklungsplans Neuland. Von daher kann es nicht verwundern, dass in den oben dargestellten Bereichen der Wind Offshore Vorranggebiete und des Realisierungsfortschritts von Offshore Windparks unterschiedliche Auffassungen zwischen TenneT/50 Hertz und der Bundesnetzagentur bestehen. Hier ist die Sichtweise der Bundesnetzagentur überzeugend. Das Kriterium des Vorranggebietes hat eine reine Cluster-Innenwirkung und sollte kein Diskriminierungspotenzial für Offshore Windparks außerhalb dieser Cluster entfalten. Zumal es beispielsweise auch Cluster in der Nordsee gibt, die nur zum Teil als Vorrangbiete ausgewiesen sind.22 Ferner wird durch die Berücksichtigung des Realisierungsfortschritts in der von der Bundesnetzagentur vorgeschlagenen Form ein kontinuierlicher Übergang durch Berücksichtigung entsprechender Härtefälle zwischen alter und neuer Rechtslage geschaffen, welcher auf lange Sicht eine Konzentration auf Offshore Windpark-unabhängige Kriterien ermöglicht, ohne dass das im Gesetz aufgeführte Kriterium des Realisierungsfortschritts de facto vollständig unberücksichtigt bleibt.
21 Im EEG wurde ein optionales Stauchungsmodell eingeführt (höherer Vergütungssatz über einen verkürzten Zeitraum), das eine schnellere Amortisation der Investitionen ermöglichen soll; vgl. dazu BMU, Hintergrundinformationen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland bis 2020, Mai 2011. 22 Bspw. Cluster 3 in der Nordsee, ÜNB, zweiter Entwurf O-NEP 2013, S. 79, Abb. 22.
Rechtsprobleme der Genehmigung von Windkraftanlagen Von Wolfgang Baumann, Würzburg*
I. Einführung – Ausgangslage Windkraftanlagen (WKA) sind nach der Einführung neuer Technologien und größerer Anlagen an vielen neuen On-Shore-Standorten effizient einsetzbar. Auch wenn die norddeutschen On-Shore-Standorte eine deutlich bessere Windhöffigkeit aufweisen, lohnt es sich heute mehr denn je, auch im süddeutschen Raum WKAs zu installieren. Die inzwischen durchweg über 150 Meter hohen Anlagen mit 3 bis 5 MW haben eine viel höhere Energieausbeute, so dass früher als weniger geeignet geltende Standorte jetzt genutzt werden können. Gleichzeitig scheint sich ein neues Marktsegment für Kleinwindkraftanlagen zu entwickeln. Verstärkt nutzen auch Gemeinden heute Windkraftanlagen zum Aufbau eigener Energieversorgungsunternehmen. Diese Entwicklung und die zunehmende Zahl der Bürgerwindräder signalisieren mehr und mehr eine positive Grundeinstellung der Kommunen zu Windkraftstandorten. Früher vielleicht relevante Vorbehalte sind in Anbetracht des gesetzlich mehrfach verankerten Klimaschutzes als staatliche Aufgabe und Handlungsverpflichtung nicht mehr beachtlich. Damit sind juristisch heute andere Herausforderungen zu bewältigen als noch vor wenigen Jahren. Die Fragen z. B. der Raumbedeutsamkeit, der Höhenbegrenzungen und der Windenergie im Wald sind neu zu betrachten und juristisch im Einzelfall zumeist anders zu bewerten als früher. Eng mit den neuen Anlagengrößen zusammenhängend ist auch das Repowering rechtlich neu einzuordnen. Zudem: Für eine effiziente Inanspruchnahme der Flächen soll beziehungsweise muss sich die Planung von Windenergieanlagen im Hinblick auf die Standortwahl und Anlagentechnik mehr denn je an einer energetisch optimalen Nutzung der natürlichen Potenziale orientieren. Das ist heute dringend erforderlich, denn ohne einen deutlichen und effizienten Ausbau der Windenergie wird die nach Fukushima noch dringlichere Energiewende hin zu erneuerbaren Energien und die ehrgeizigen Klimaschutzziele zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes weder im Bund noch in den Ländern erreicht. Der Gesetzgeber hat hierzu auf Bundesebene mit der Novelle des Baugesetzbuchs durch das Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städ*
Der Beitrag ist auf Stand 4/2003.
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ten und Gemeinden vom 22. Juli 2011 Sonderregelungen für die Windenergienutzung geschaffen, welche diesem Ziel dienen. Die Länder haben darüber hinaus durch Windenergieerlasse durchweg geeignete Instrumente zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung geschaffen, indem sie viele vor Ort relevante rechtliche Streitfragen einer abstrakten und generellen Lösung zugeführt haben. Einige Länder haben die Windenergieerlasse explizit als für Genehmigungsbehörden verbindliche Verwaltungsvorschriften definiert, was einige verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. In Bayern wurde im Windenergieerlass vom 20. 12. 2011 das Ziel vorgegeben, von 684 WKA1 auf mehr als 2000 Anlagen im Jahr 2021 zu kommen. Die Genehmigungsdauer soll von derzeit bis zu zehn Monaten auf drei Monate nach Eingang der vollständigen Unterlagen verkürzt werden. Ähnliche Ziele verfolgen die anderen Bundesländer. Vor diesem Hintergrund sind die Genehmigungsverfahren für WKAs und die damit im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen zu sehen, wie sie im Folgenden dargestellt werden sollen: Zunächst ist einzugehen auf die anzuwendenden Vorschriften für das Genehmigungsverfahren und die Genehmigungspflicht, sodann sind die in den jeweiligen Genehmigungsverfahren zu prüfenden Fragen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts zu stellen und zu beantworten. Dass dabei – über das Immissionsschutzrecht hinaus – raumordnungsrechtliche, forstrechtliche, naturschutzrechtliche, straßenrechtliche und luftverkehrsrechtliche Themen eine Rolle spielen, liegt daran, dass diese nicht nur als öffentliche Interessen bei der WKA-Genehmigung zu berücksichtigen sind, sondern wegen der Konzentrationsmaxime im immissionsschutzrechtlichen Verfahren sämtliche rechtlichen Voraussetzungen der ersetzten Gestattungen geprüft werden müssen. Das betrifft schädliche Umwelteinwirkungen, aber auch naturschutzrechtliche Voraussetzungen und zahlreiche andere Belange. Die hier gebotene Auswahl der zu bearbeitenden Rechtsfragen ist unbefriedigend, aber dem vorgegebenen Rahmen geschuldet.
II. Genehmigungspflicht für Windkraftanlagen 1. Genehmigungspflicht Auch wenn WKA zivilrechtlich nicht als fester Bestandteil eines Grundstücks gewertet werden, da sie nur zu einem vorübergehenden Zweck mit Grund und Boden verbunden sind,2 unterfallen sie öffentlich-rechtlich sowohl dem Anlagenbegriff des § 3 Abs. 5 BImSchG als auch dem bauordnungsrechtlichen Anlagenbegriff. Für den in der Regel bauordnungsrechtlichen Anlagenbegriff genügt eben eine feste Verbindung am Standort für die Dauer der Nutzungszeit.
1 2
Stand 30. 05. 2011. OVG Münster, BRS. 63, Nr. 150.
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a) Abgrenzung baurechtliche und immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht bzw. Baufreiheit Windkraftanlagen sind gemäß § 4 BImSchG i.V.m. Ziff. 1.6. Spalte 2 des Anhangs zur Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig, soweit die Windkraftanlagen eine Höhe von mehr als 50 m erreichen. Bei einer Höhe unter 50 m bedürfen WKAs nur einer Baugenehmigung. Kleinwindkraftanlagen, das heißt Anlagen mit einer Höhe bis zu 10 m, sind – je nach Bundesland – genehmigungsfrei, sie bedürfen also noch nicht einmal einer Baugenehmigung. Windkraftanlagen über 50 m Gesamthöhe werden in der Regel nicht im „großen“ immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 10 BImSchG überprüft, sondern in einem vereinfachten Verfahren nach § 19 Abs. 2 BImSchG genehmigt. Allerdings kann der Vorhabensträger gem. § 19 Abs. 3 BImSchG beantragen, dass die Behörde die Genehmigung nicht in einem einfachen Verfahren erteilt; will man also eine Genehmigung mit erhöhter Bestandskraft, kann man ein „großes“ immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren beantragen (fakultatives immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren). Andererseits kommt zwingend ein „großes“ Genehmigungsverfahren als förmliches Verfahren zur Anwendung, wenn für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c der 4. BImSchV). Nach dieser Vorschrift wird ein förmliches Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 10 BImSchG durchgeführt für „Anlagen, die in Spalte 2 des Anhangs genannt sind, und zu deren Genehmigung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung ein Verfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.“ Nach Nummer 1.6 der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der seit dem 01. 07. 2005 geltenden Fassung bedürfen die Errichtung und der Betrieb einer Windfarm mit 3 bis weniger als 6 Windkraftanlagen einer Standort bezogenen Vorprüfung (Spalte 2 Nr. 1.6.3) und zwischen 6 bis weniger als 20 Windkraftanlagen einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls, ob eine UVP durchgeführt werden muss (Spalte 2 Nr. 1.6.2), bei 20 oder mehr Windkraftanlagen mit einer Höhe von mehr als 50 m zwingend einer UVP. Somit kommt es für die UVP-Pflichtigkeit auf eine Anlagenhäufung im Sinne einer Windfarm an, so dass hier die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts3 weiter zum Tragen kommt. Der aus dem Europarecht entlehnte Begriff der Windfarm beinhaltet, dass drei oder mehr Windenergieanlagen einander räumlich so zugeord3
BVerwG, Windfarm-Urt. v. 30. 06. 2004, NVwZ 2004, 1235 ff.
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net werden, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren.4 Für die Berechnungen der Einwirkungsbereiche werden in der Verwaltungspraxis Faustformeln herangezogen, z. B. der zehnfache Rotordurchmesser oder die zehnfache Anlagenhöhe. Einen rechtsverbindlichen Abstandswert gibt es nicht. Nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg kommt es weder auf die Anlagenhöhe noch auf eine Verkehrsanschauung, sondern allein auf Lärmimmissionen an.5 Letztendlich handelt es sich um eine Einzelfallprüfung; das macht die Vorhersehbarkeit von Verwaltungs- und gerichtlichen Entscheidungen nicht sicherer. Der BayVGH sieht einen Anhaltspunkt für eine Zugehörigkeit von Anlagen zu einer Windfarm darin, ob die Anlagen aus allen Himmelsrichtungen zugleich sichtbar sind und „einem unbefangenen Betrachter daher als Einheit erscheinen“ werden.6 Zusätzliche Schwierigkeiten bereiten die Feststellung der UVP-Pflicht bei kumulierenden Vorhaben sowie die Änderungen bestehender Vorhaben. Bei gleichzeitigen Parallelvorhaben desselben oder mehrerer Träger greift die Regelung des § 3b Abs. 2 UVPG. Kumulierende Vorhaben liegen vor, wenn mehrere Vorhaben derselben Art, die gleichzeitig von demselben oder mehreren Trägern verwirklicht werden sollen und in einem engen Zusammenhang stehen; diese sind dann bei der Prüfung der UVP-Pflicht zu berücksichtigen. Auf die in diesem Zusammenhang problematischen Bestandsschutzfragen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. b) Repowering Wird im Rahmen des Repowerings eine alte kleinere Windenergieanlage durch eine neue große ersetzt, handelt es sich nicht um eine Erneuerung oder Nutzungsänderung alter Anlagen, sondern stets um die Errichtung neuer Anlagen. Ein Repowering setzt damit immer ein neues Genehmigungsverfahren voraus, ggf. mit UVPPflicht. Hinzuweisen bleibt darauf, dass die UVP-Pflicht auch anderweitig ausgelöst werden kann, z. B. durch notwendige großflächige Rodungen. 2. Verfahrensfolge Bei UVP-Pflichtigkeit – wenn auch nur aufgrund einer positiven Vorprüfung – ist immer ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß §§ 8 ff der 9. BImSchV durchzuführen.
4
BVerwG, EurUP 2007, 152. OVG Lüneburg, ZNER 2005, 1; Fest, Die Errichtung von Windenergieanlagen in Deutschland und seiner ausschließlichen Wirtschaftszone – Genehmigungsverfahren, planerische Steuerung und Rechtsschutz an Land und auf See, 2010, S. 77. 6 VGH München, NVwZ 2007, 1213,1215. 5
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Dies bedeutet, dass das Vorhaben im amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen öffentlich bekannt gemacht werden muss, der Genehmigungsantrag und die dazugehörigen Unterlagen einen Monat auszulegen sind (§ 9 Abs. 3 Satz 2 der 9. BImSchV) und zwei Wochen nach dem Auslegungszeitraum von dritter Seite Einwendungen erhoben werden können, die Themen in einem öffentlichen Erörterungstermin regelmäßig behandelt werden (§§ 14 ff der 9. BImSchV). Die Träger öffentlicher Belange, insbesondere zum Immissionsschutz, Naturschutz, Denkmalschutz und Gewässerschutz, müssen ihre Stellungnahme abgegeben haben, wenn die Behörde nach Prüfung aller Genehmigungsvoraussetzungen die gebundene immissionsschutzrechtliche Genehmigung ggf. unter Auflagen erteilt. 3. Immissionsschutzrechtliche Genehmigungsvoraussetzungen Die materiell-rechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen ergeben sich aus § 6 i.V.m. § 5 BImSchG: Nach § 6 Abs. 1 BImSchG müssen im Wesentlichen die Grundpflichten aus § 5 BImSchG erfüllt sein, der auf den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen aus § 3 BImSchG und deren Vermeidung abstellt. Ob derartige erhebliche Beeinträchtigungen vorliegen, ist in einer situationsbezogenen Abwägung festzustellen, in die sowohl die Wirkungen der Immissionen auf die Betroffenen einzustellen sind, als ggf. auch die emittentenseitigen Belange.7 § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG setzt weiterhin voraus, dass andere öffentlich-rechtliche Vorschriften erfüllt sind. Diese können sich aus dem Unionsrecht aber auch aus bundesund landesrechtlichen Vorschriften ergeben. Unter die öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG fallen die bauplanungsrechtlichen Vorschriften des Baugesetzbuch. Immissionsschutzrecht und Baurecht stehen dabei in einer Wechselwirkung: Einerseits konkretisiert das BImSchG das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, andererseits richtet sich die Schutzwürdigkeit eines Gebiets nach dessen bauplanungsrechtlichen Einstufungen. Auch das Gebot der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 Satz 2 Baunutzungsverordnung ist identisch mit dem Schutzniveau von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. Die genannten Fragen sind daher im Folgenden im Rahmen der baurechtlichen Zulässigkeit abzuhandeln. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung schließt wegen der Konzentrationswirkung gem. § 13 BImSchG andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen ein; dies gilt auch für die baurechtliche Genehmigung. Damit ist bei allen genehmigungspflichtigen WKA die bauordnungsrechtliche und die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit zu prüfen, ganz gleich ob sie nach Immissionsschutzrecht oder Baurecht genehmigt werden. 7
BVerwGE 81, 197, 200.
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III. Baurechtliche Zulässigkeit 1. Bauordnungsrechtliche Zulässigkeit Die Landesbauordnungen lassen eine Genehmigung nur dann zu, wenn sämtliche sicherheitsrechtlich relevanten Fragen geklärt sind. a) Bauwich Auch Windkraftanlagen müssen die gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO zu ermitteltenden Abstandsflächen einhalten. Der BayVGH geht bei der Berechnung der Tiefe der Abstandsfläche für eine WKA von deren Gesamthöhe (Nabenhöhe und Rotorradius) aus.8 Die Abstandsfläche einer WKA ist einzuhalten in einem Kreis um die Mittelachse der Anlage. Der Radius dieses Kreises wird durch den Abstand des senkrecht stehenden Rotors zum Mastmittelpunkt bestimmt, also nach der größten Ausbreitung der Anlage. Der Bayerische Windenergieerlass hält typischerweise Abweichungen von den Abstandsflächen für zulässig, „weil die WKA in verschiedener Hinsicht keine typische bauliche Anlage ist und die typische Grundstückssituation ebenfalls nicht vorliegt.“ b) Gefahren durch umkippende WKA und abfallende Rotorteile Das „worst-case-Szenario“ des Abwerfens von Windflügeln muss genehmigungsseitig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Hierzu dienen Standsicherheitsnachweise und statische Berechnungen einerseits, sowie technische Sicherheitsnachweise für die konkrete Anlage andererseits. Die Rechtsprechung misst diesen Gefahren daher keine grundsätzliche Bedeutung bei. Dennoch macht es Sinn, entsprechende Sicherheitsabstände einzuhalten. c) Gefahren durch Eisschlag In wenigen Einzelfällen hat es aufgrund besonderer klimatischer Gegebenheiten Eisschlag mit einer gewissen Umgebungsgefährdung gegeben. An 95 % aller Standorte in Deutschland finden wir dieses Phänomen praktisch nicht. Dort wo Eisschlag auftreten kann, wird er verhindert durch glatte Oberflächen und Sensoren, die Eis erkennen, sowie durch Blattheizungssysteme.
8
BayVGH, Urt. v. 28. 07. 2009, Az. 22 BV 08.3427.
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Faktisch kann eine Gefahrenlage allenfalls im unmittelbaren Rotorumfeld entstehen, so dass in 100 m – 150 m Entfernung von der Anlage eine Beeinträchtigung faktisch ausgeschlossen wird.9 2. Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit Im immissionsschutzrechtlichen bzw. baurechtlichen Genehmigungsverfahren wird die Frage, ob das Vorhaben am geplanten Standort zulässig ist, nach den §§ 29 ff. BauGB geprüft. Zumeist liegen WKAs weder im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans noch im unbeplanten Innenbereich, sondern im Außenbereich. Rechtlicher Ausgangspunkt ist dabei die Privilegierungsvorschrift des § 35 Abs. 1 BauGB10. a) Privilegierungstatbestände Es greifen theoretisch zwei Privilegierungstatbestände: Im Außenbereich sind Windenergieanlagen gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB als untergeordnete Anlagen (d. h. als unselbstständiger Teil eines Betriebes z. B. der Land- oder Forstwirtschaft) oder gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB als selbstständige Anlagen privilegiert. Die WKAs sind im Außenbereich zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen und ihre ausreichende Erschließung gesichert ist. WKAs sind als Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zu beurteilen, wenn sie Energie überwiegend in ein Verbundnetz der öffentlichen Stromversorgung einspeisen. Um diese Anlagen geht es hier im Wesentlichen. b) Standortentscheidung Mit der abstrakten gesetzlichen Zuweisung in den Außenbereich ist selbstredend noch keine Entscheidung über die Geeignetheit des konkreten WKA-Standorts getroffen. 9
OVG Münster. Beschl. v. 09. 09. 1998, Az. 7 B 1591/98. Durch die am 21. November 2014 in Kraft getretene Änderung der Bayerischen Bauordnung (BayBO) ergeben sich im Rahmen der Genehmigung zur Errichtung von Windkraftanlagen neue rechtliche Vorgaben: Gemäß Art. 82 I BayBO findet § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung, wenn diese Vorhaben einen Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplänen (§ 30 BauGB), innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile (§ 34 BauGB) – sofern in diesen Gebieten Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind – und im Geltungsbereich von Satzungen nach § 35 Abs. 6 BauGB einhalten. Die Standortgemeinde kann einen geringeren Mindestabstand festsetzen, muss aber im Rahmen der Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB auf eine einvernehmliche Festlegung mit betroffenen Nachbargemeinden hinwirken (Art. 82 Abs. 5 S. 1 BayBO). 10
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Das bedeutet, dass WKA nicht an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig sind. Der konkrete Standort wird grundsätzlich erst im Genehmigungsverfahren auf seine weiteren planungsrechtlichen Voraussetzungen geprüft, die Planungsbüros tun dies vorweg. Bei den geringen Anforderungen der Rechtsprechung an die Erschließung von WKA – es genügt eine Zuwegung über Feldwege -, die daher planungsrechtlich als relativ unproblematisch angesehen werden kann, ist der Blick im Wesentlichen auf die öffentlichen Belange zu richten, die einer WKA entgegenstehen können. Derartige öffentliche Belange sind in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB exemplarisch aufgelistet. Danach ist im Zusammenhang mit WKA als öffentlicher Belang relevant und zu untersuchen, ob das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB) oder Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) oder die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8) oder – ganz wesentlich – Darstellungen eines Flächennutzungsplans bzw. eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 BauGB). Da WKA der neuen Bauart ab ca. 100 m Gesamthöhe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel raumbedeutsam sind, gilt für sie § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB: Raumbedeutsame Vorhaben dürfen nach dieser Vorschrift den Zielen der Raumordnung nicht widersprechen; sie müssen – auch unabhängig von Konzentrationsflächen- mit den Zielen des LEP und des Regionalplans, die für die Genehmigungsbehörde grundsätzlich verbindlich sind, in Einklang zu bringen sein. Ziele der Raumordnung können sein: Konturengenaue Festlegungen von regionalen Grünzügen, entsprechende Festlegungen von schutzbedürftigen Bereichen für Naturschutz und Landschaftspflege oder die konkrete Festlegung von Bereichen zur Sicherung von Retentionsräumen. Standortfestlegungen für andere Vorhaben (z. B. Einkaufszentrum) oder Standortausweisungen für bestimmte Baugebiete (z. B. Wohngebiete) können zum Ausdruck bringen, dass der betreffende Standort für andere Zwecke anderweitig verplant ist (nicht durch die Ausweisung „landwirtschaftliche Nutzung“). Schließlich ist darüber hinaus das Darstellungsprivileg im § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu berücksichtigen. Die Privilegierung der Windenergie in Abs. 1 Nr. 5 war mit einer Erweiterung der öffentlichen Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB verbunden, die privilegierten Bauvorhaben entgegenstehen können: Gem. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen öffentliche Belange Windkraftanlagen „in der Regel auch
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dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.“ Gemeint sind damit Konzentrationsflächen, also z. B. Vorranggebiete gem. §§ 5 ff BauGB oder § 7 ROG, die ein Gebiet für ein privilegiertes Vorhaben WKA positiv ausweisen und andere raumbedeutsame Nutzungen in diesem Gebiet ausschließen. Fraglich ist, ob nur Vorranggebiete auszuweisen sind, nicht aber auch Vorbehaltsgebiete. Mit diesem sog. „Darstellungsprivileg“ hat der Gesetzgeber den Gemeinden und den für die Raumordnung zuständigen Landesbehörden ein Steuerungsinstrument für eine geordnete städtebauliche Entwicklung an die Hand gegeben. Dadurch kann der übrige Planungsraum von den durch den Gesetzgeber privilegierten Windkraftanlagen freigehalten werden. Die Privilegierung ist durch das Darstellungsprivileg unter einen „Planungsvorbehalt“ gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. 12. 2002 schon früh die Gelegenheit wahrgenommen, die Anforderungen an die Ausweisung und den Ausschluss von WKA-Standorten für Flächennutzungspläne festzustellen und eine reine Negativplanung für Windenergieanlagen als unzulässig ausgeschlossen.11 Da sich das Folgereferat mit dieser Frage intensiver beschäftigen wird, enthalte ich mich diesbezüglich weiterer Ausführungen. c) Prüfungsreihenfolge (für Planer) Damit ergibt sich im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von WKA folgende Prüfungsreihenfolge: I.
Soll das WKA-Projekt im Bereich eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB) bzw. im Innenbereich (§ 4 BauGB) gebaut werden? Wenn ja (was selten vorkommt): Zulässigkeit richtet sich nach den Regelungen des Bebauungsplans oder danach, ob sich WKAs in den im Zusammenhang bebauten Ortsteil einfügt. Wenn nein: Privilegiertes Außenbereichsvorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB (in Bayern: greift 10 H-Regelung gemäß Art. 82 BayBO? Abweichende Regelung der Standortgemeinde gemäß Art. 82 V BayBO?)
II. Stehen dem WKA-Projekt öffentliche Belange entgegen? 1. Handelt es sich um ein raumbedeutsames Vorhaben? Wenn ja (i. d. R.): Wurden die öffentlichen Belange bei einer positiven Darstellung des Standorts als Ziele der Raumordnung im LEP oder Regionalplan abgewogen (§ 35 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz BauGB)? Wenn ja: Entgegenstehende öffentliche Belange im Sinn des § 35 Abs. 3 BauGB irrelevant (wenn LEP oder Regionalplan nicht nichtig). 2. Wenn nein: Prüfung der einzelnen öffentlichen Belange (§ 35 Abs. 3 BauGB u. a.).
11
BVerwG, Urt. v. 17. 12. 2002, Az. 4 C 15.01.
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III. Widerspricht WKA-Projekt Zielen der Raumordnung im LEP oder Regionalplan (§ 35 Abs. 3 Satz 2, 1 Halbsatz BauGB)? Wenn ja: Prüfung, ob im Einzelfall Standort ausnahmsweise zulässig. Wenn nein: Standort grundsätzlich machbar, dann aber: IV. Liegt eine Positivdarstellung für WKA im Flächennutzungsplan oder als Ziel der Raumordnung im LEP oder Regionalplan als Ausweisung für WKA an anderer Stelle vor? (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB) Wenn ja: In der Regel Ausschluss des Standorts. V.
Aber: Immer noch Einzelfallprüfung, um festzustellen, ob nicht die besondere Situation eine Genehmigung des privilegierten Vorhabens zulässt.
d) Zwischenergebnis Aufgrund der genannten Vorschriften ergibt sich daher für Windkraftanlagen eine dem Grundsatz nach bevorzugte bauplanungsrechtliche Situation: @ (Selbstständige) Windenergieanlagen im Außenbereich haben als privilegierte Vorhaben eine gesteigerte Fähigkeit, sich gegen hinderliche öffentliche Belange durchzusetzen. @ Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Windenergieanlagen grundsätzlich in den Außenbereich gehören. @ Es besteht ein volljustiziabler Rechtsanspruch auf Zulassung des Vorhabens, sofern die sonstigen in § 35 Abs. 1 BauGB genannten Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die Erschließung gesichert ist. Daher ist die Frage, ob entgegenstehende Belange bestehen, ebenfalls justiziabel.12 @ Nur ausnahmsweise besteht ein Anspruch auf Zulassung im Außenbereich, wenn WKAs an anderer Stelle im Flächennutzungsplan oder als Ziel der Raumordnung im LEP oder Regionalplan ausgewiesen wurden, aber aufgrund einer Einzelfallabwägung für den konkreten Standort die Privilegierung trotzdem Vorrang erlangt. Im Folgenden ist zunächst auf möglicherweise entgegenstehende schutzwürdige Belange einzugehen.
12
BVerwG, Urt. v. 13. 12. 2001, Az. 4 C 3.01.
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IV. Schädliche Umwelteinwirkungen als entgegenstehender öffentlicher Belang und immissionsschutzrechtliches Genehmigungshindernis 1. Rechtsgrundsätze WKA sind ökologisch positiv zu bewerten, weil sie typischerweise weder Luft noch Boden und Wasser verschmutzen. Dennoch sind sie geeignet, auch erhebliche schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen. Dies ist unter bauplanungsrechtlichem und immissionsschutzrechtlichem Blickwinkel relevant (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB). Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen ist in § 3 BImSchG definiert, der hierfür herangezogen werden kann.13 Schädliche Umwelteinwirkungen sind danach alle Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorzurufen. Bei WKA kann es zu Lärmbelästigungen und Beeinträchtigungen durch Schattenwurf und Discoeffekten kommen. 2. Einzelne Schutzinteressen Die mit der Windenergienutzung zusammenhängenden Rechtsfragen der Umwelteinwirkungen sind von der Rechtsprechung weitgehend erkannt und vielfältig entschieden worden. a) Lärm aa) Bewertung nach TA-Lärm Die Frage nach unzumutbaren Lärmbelästigungen lässt sich nach der Rechtsprechung aufgrund der TA-Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift beantworten, die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auch auf die Schallausbreitung von höher liegenden Schallquellen anwenden will.14 Die Schallemission einer modernen WKA der 3 – 5 MW-Klasse (mit Emissionspegel von 100 – 103 dB(A)) ist in der Regel gleich oder nur geringfügig höher als bei einer älteren Anlage mit geringerer Nennleistung. Das ist das Ergebnis erheblicher Verbesserungen bei modernen WKAs. Obgleich die Schallabstrahlung einer WKA mit einem hohen Turm einen größeren Radius aufweist als bei niedrigeren Anlagen, wird dennoch der während der Nacht in Dorf- und Mischgebieten zulässige Beurteilungspegel von 45 dB(A) auch von einer hohen leistungsstarken WKA häufig bereits in einer Entfernung 13 14
BVerwGE 52, 122, 126. BayVGH, Beschl. v. 07. 02. 2011, Az. 22 CS 11.31.
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von rund 500 m zum Anlagenstandort eingehalten. Hierauf weist auch der Windenergieerlass Bayern hin. bb) Abstandsempfehlungen Der Windenergieerlass empfiehlt im Rahmen der Planung folgende Abstände zwischen dem Rand einer Windfarm (mit Schallleistungspegel 110 dB(A)) und Siedlungen bei nicht vorbelasteten Gebieten: 800 m zu einem allgemeinem Wohngebiet, 500 m zu einem Misch- oder Dorfgebiet oder Außenbereichsanwesen und 300 m zu einer Wohnnutzung im Gewerbegebiet. Zu beachten ist allerdings, dass rechtlich verbindliche Mindestabstände dem Immissionsschutzrecht fremd sind. Die Genehmigungsbehörden halten allerdings bei einem Mindestabstand von 1.000 m zur Wohnbebauung in allgemeinen Wohngebieten ein Lärmgutachten nicht für erforderlich. Bei einem Mindestabstand von 800 m zur entsprechenden Wohnbebauung werden in der Praxis Datenblätter der Hersteller, in denen das Geräuschverhalten der Anlage belegt ist oder eine nachvollziehbare Immissionsprognose, verlangt. Lärmgutachten mit Ausbreitungsrechnungen sind in der bayerischen Praxis nur dann vorzulegen, wenn diese Abstände unterschritten werden. Nicht erforderlich sind Abnahmemessungen oder wiederkehrende Messungen. Zuschläge für Ton- und Informationshaltigkeit können im Einzelfall erforderlich sein, damit die Schallimmissionsprognose auf der „sicheren Seite“ bleibt. cc) Infraschall Je tiefer die Frequenz, umso höher muss der Schalldruckpegel sein, um vom Menschen wahrgenommen zu werden. Bei den üblichen Abständen von WKAs zur Wohnbebauung (+ 500 m) wird diese Schwelle nicht erreicht. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat es im Urteil vom 07. 06. 2011 nicht für zwingend erachtet, dass der Gesetzgeber Grenzwerte zum Schutz gegen Infraschall regeln müsse, über deren gesundheitsschädliche Wirkungen keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen und verweist insoweit auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. 02. 200215 zum Mobilfunk, wonach die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen zu treffen gebietet, wenn es sich um komplexe Einwirkungen bei gleichzeitig fehlenden hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen handle.16 Nur zur Abgrenzung sei erwähnt, dass von den genannten Abstandsempfehlungen die gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO zu ermittelnden Abstandsflächen zu unterscheiden sind. 15 16
BVerfG, Urt. v. 28. 02. 2002, Az. 1 BvR 1676/01. VG Würzburg, Urt. v. 07. 06. 2011, Az. W 4 K 10.754.
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b) Schattenwurf und Disco-Effekt aa) Schattenwurf Als Schattenwurf von Windenergieanlagen bezeichnet man die Entstehung von Schatten, wenn die Sonne hinter dem Rotor in Relation zum Betrachter steht. Dieser Schatten kann heutzutage sicher errechnet werden und in die Standortwahl einbezogen werden. Der Schattenschlag wird wie eine „klassische“ Immission im Sinn des § 3 Abs. 2 BImSchG im Genehmigungsverfahren geprüft. Die Gerichte nehmen Schattenwurf von weniger als eine halben Stunde pro Tag und bis zu 30 Stunden im Jahr hin, eine Formel des Länderausschusses Immissionsschutz (LAI) als Ergebnis einer Studie über die Belästigung durch periodischen Schattenwurf von WKA der Universität Kiel 2000. Der technische Schattenabschaltmechanismus der WKAs bietet zudem immer einen Schutz vor Schattenwurf und führt im Übrigen auch nicht zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Anlagenbetreiber, weil sich Sonne und stärkerer Wind im Allgemeinen ausschließen. bb) Disco-Effekt Der „Disco-Effekt“, also das Aufblitzen der Rotorblätter als Spiegelungseffekt gilt ebenfalls als Immission im Sinne des § 3 Abs. 2 BImSchG, spielt aber in der Praxis so gut wie keine Rolle mehr, weil in der Baugenehmigung eine Mattlackierung der Rotorblätter i. d. R. vorgeschrieben wird und sodann keine relevanten Auswirkungen mehr zu erwarten sind. Der Windenergieerlass Bayern hält eine Prüfung dieses Gerichtspunktes durch die Genehmigungsbehörden für nicht erforderlich. cc) Zwischenergebnis Als Fazit kann festgestellt werden, dass bei einer ordnungsgemäßen Planung und einer dementsprechend schallschutzorientierten Positionierung des Standorts WKAProjekte im Genehmigungsverfahren wegen schädlicher Umwelteinwirkungen erfahrungsgemäß nicht scheitern, weder wegen der Schallemissionen, noch wegen des Schattenwurfs.
V. Naturschutz Wegen des Naturschutzes hat es generell und im Einzelfall immer wieder größere Zielkonflikte mit der Windenergienutzung gegeben. Bei der Standortbewertung hat sich auf Grund von unterschiedlichen gerichtlichen Vorgaben folgende Vorgehensweise als sinnvoll erwiesen: Die unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes relevan-
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ten Flächen sind in Ausschlussgebiete, Flächen nach europäischen Schutzbestimmungen (FFH-Gebiete) und sensibel zu behandelnde Gebiete aufzuteilen. 1. Naturschutzrelevante Flächen a) Ausschlussgebiete Als generelle Ausschlussgebiete, die in jedem Fall freizuhalten sind, gelten Nationalparks, Naturschutzgebiete, Kernzonen von Biosphärenreservaten, flächenhafte Naturdenkmäler und geschützte Landschaftsbestandteile, gesetzlich geschützte Biotope und der Alpenplan Zone C. Regelmäßige Ausschlussgebiete sind die europäischen Vogelschutzgebiete einschließlich gegebenenfalls erforderlicher Abstandsflächen, weil ansonsten die Erhaltungsziele erheblich beeinträchtigt würden; dies wird im Regelfall anzunehmen sein. b) FFH-Gebiete In FFH-Gebieten ist die Errichtung von WKA möglich, soweit die Erhaltungsziele nicht erheblich beeinträchtigt werden. Dies ist im Einzelfall zu prüfen. Eine Beeinträchtigung kommt z. B. nicht in Betracht, wenn der Schutzzweck des FFH-Gebiets bedingt ist durch eine Hirschkäferpopulation oder Schmetterlingspopulationen. Hier ist eine Kollision mit der Windenergienutzung ausgeschlossen. c) Sensibel zu behandelnde Gebiete In sensibel zu behandelnden Gebieten, wie Pflegezonen der Biosphärenreservate, Landschaftsschutzgebiete, sonstige Gebiete mit besonderer Bedeutung für den Vogelschutz (z. B. Wiesenbrütergebiete), bedeutende Rastgebiete für Zugvögel und bedeutende Zugkorridore, besonders attraktive Landschaften und Erholungsgebiete, Wälder mit altem Baumbestand (ab 140 Jahre) sowie besonders strukturreiches Totholz oder biotopbaumreiche Wälder mit neuer Baumartenzusammensetzung oder die Alpenplan Zone A und B ist die Errichtung von WKA grundsätzlich möglich. Im Einzelfall ist allerdings darzulegen, warum die Auswirkungen auf Natur und Landschaft verhältnismäßig und vertretbar sind. 2. Artenschutz: Tötungs-/Verletzungs- und Störungsverbot a) Tötungs-/Verletzungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG Relevant ist bei WKA zunächst die Prüfung möglicher Verstöße gegen das Tötungs-/Verletzungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG aufgrund der Kollision von geschützten Vögeln oder Fledermäusen.
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Nach der Rechtsprechung darf das Verletzungs-/Tötungsrisiko durch das Vorhaben im Vergleich zum allgemeinen Risiko nicht signifikant erhöht sein. Gegen das Tötungsverbot wird dann nicht verstoßen, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung unter Berücksichtigung von Vermeidungsmaßnahmen kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, mithin unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der im Naturraum immer gegeben ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden.17 Ob ein signifikant erhöhtes Risiko vorliegt, ist jeweils im Einzelfall in Bezug auf die Lage der WKA, die jeweiligen Artvorkommen und die Biologie der Arten (Schlagrisiko) zu klären. b) Störungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG Das Störungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG kann grundsätzlich durch die Scheuchwirkung einer WKA ausgelöst werden. Rechtlich relevant ist allerdings nur eine erhebliche Störung, durch die sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Im Ergebnis ist also bei geschützten Vogel- und Fledermausarten eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) durchzuführen und zwar in folgender Reihenfolge: I.
Welche Vogel- und Fledermausarten können grundsätzlich von der WKA betroffen sein (Relevanzprüfung)?
II. Kommen diese Arten am geplanten Standort vor (Bestandserfassung am Eingriffsort)? III. Prüfung der Verbotstatbestände, differenziert nach kollisionsgefährdeten Arten und besonders störungsempfindlichen Arten.
Der Windenergieerlass Bayern ist insoweit sehr informativ und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. c) Zwischenergebnis Mit Hilfe geeigneter Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen kann in manchen Fällen das Erreichen des artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes abgewendet werden. Im Einzelfall hilft auch eine Ausnahmeprüfung, da die Errichtung von WKAs im öffentlichen Interesse liegt (§ 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG).
17
Vgl. BVerwG, Urt. v. 09. 07. 2008, Az. 9 A 14.07, Rn. 91.
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3. Fazit Insgesamt ist festzustellen, dass dann wenn bestimmte kollisionsgefährdete oder besonderes störungsempfindliche Vogelarten bzw. kollisionsgefährdete Fledermausarten betroffen sind, durch naturschutzfachliche Gutachten möglichst frühzeitig festgestellt werden sollte, welche standortrelevanten Abstände einzuhalten sind, damit naturschutzrechtlich prohibitive Kollisionen und Scheuchwirkungen nicht auftreten. Der Naturschutz ist über § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB als entgegenstehender öffentlicher Belang zu berücksichtigen. Dabei ist der Begriff des Naturschutzgesetzes mit dem Begriff des Naturschutzes im BauGB nicht deckungsgleich. Die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes zielen darauf ab, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, die Nutzfähigkeit der Naturgüter, die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Lebensgrundlagen des Menschen nachhaltig zu sichern.18
VI. Sonstige Belange und Genehmigungsvoraussetzungen 1. Orts- und Landschaftsbild Ein großes Konfliktfeld ist die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes als öffentlicher Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Hier fließt auch über den Erholungswert der Landschaft die Bedeutung des Fremdenverkehrs ein. Trotz einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen bleibt dieser Prüfungspunkt wenig griffig. Die Rechtsprechung setzt hinsichtlich einer Verunstaltung voraus, dass das Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Fragen offene Betrachter als belastend empfunden wird. Diesbezüglich kann der anlagentypische Drehmoment der Rotorblätter als Blickfang nicht außer Betracht bleiben.19 Auf Grund der Privilegierung können Windenergieanlagen allerdings der natürlichen Eigenart des Freiraums nicht pauschal entgegengehalten werden. Letztendlich muss eine Einzelentscheidung getroffen werden. Jedenfalls dürfte eine verunstaltende Wirkung ausgeschlossen sein, wenn kein besonders schützenswertes Landschaftsbild vorliegt. 2. Landschaftsschutzgebiet Für Landschaftsschutzgebiete wird ein Zonierungskonzept empfohlen, das geeignete Standorte für die Windenergienutzung ausweist.
18 19
BVerwG, NVwZ 2002, 1112 ff. BVerwG, BauR 2002, 1052 ff.
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Die in Landschaftsschutzgebieten erforderliche besondere Erlaubnis zur Errichtung baulicher Anlagen kann erteilt werden, wenn das Schutzrecht der Verordnung nicht entgegensteht und der Charakter des Gebiets nicht verändert wird. Kann eine Erlaubnis nicht erteilt werden, sind die Voraussetzungen einer Befreiung gem. § 67 BNatSchG zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des BayVGH darf das Landschaftsschutzgebiet durch die Bebauung nicht funktionslos werden. Eine Befreiungslage ist demnach nur für Fälle geringer Bedeutung denkbar und setzt voraus, dass das Schutzgebiet in seiner Substanz unberührt bleibt und der Schutzzweck auch weiterhin erreicht werden kann. Aus unterschiedlichen Gründen kann daher die Befreiung nicht als regelmäßiges Instrument zur Zulassung von WKA in Betracht kommen. 3. Waldstandorte Die bisherigen Probleme der Genehmigungsbehörden mit Standorten im Wald scheinen sich mehr und mehr zu egalisieren, auch bedingt durch die größeren Abstände der WKA zum Gelände. Der Windenergieerlass Bayern führt dies so aus: „WKA im Wald können einen wertvollen Beitrag leisten für den Ausbau der Windenergienutzung im Binnenland.“20 Besonders günstig zu bewerten, seien Standorte mit weitgehend vorhandener Erschließung ohne besonderen Schutzstatus und ohne herausragende Waldfunktionen. Die mit einer WKA verbundenen Rodungen sind einerseits im Hinblick auf das waldgesetzliche Ziel der Walderhaltung und der Waldmehrung zu beurteilen; andererseits hat der Waldbesitzer aber auch einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Rodungserlaubnis (Art. 9 Abs. 3 BayWaldG). Das öffentliche Interesse an der Walderhaltung ist mit dem öffentlichen Interesse am Ausbau der Windenergie aus Gründen der Energiewende und des Klimaschutzes abzuwägen. Abgesehen von Naturwaldreservaten, Schutzwald, Erholungswald und Bannwald, bei denen eine Rodungserlaubnis bei WKA in aller Regel nicht gegeben wird, sind Waldstandorte nunmehr generell zulässig. Eine Minimierung des Flächenbedarfs für Kranaufbau und Kranstellfläche bzw. Stromleitungen, Vorkehrungen gegen Eisfall, Brandschutzkonzept mit Fernüberwachung und Alarmierungswegen sowie eine Folgenutzungsregelung für die Forstwirtschaft ermöglichen in der Regel die Aufstellung von WKA im Wald. 4. Denkmalschutz Der Denkmalschutz bietet auch im Außenbereich ein gewisses Konfliktpotenzial, denn auch der Schutz der Umgebung eines Denkmals ist Gegenstand des Denkmal20
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schutzes, soweit diese Umgebung für dessen Bestand oder Erscheinungsbild von erheblicher Bedeutung ist. Relevant ist dabei nicht nur der Blick auf das Denkmal, sondern auch aus einem Denkmal heraus. Im Genehmigungsverfahren wird für die Beurteilung der Frage, ob hinzutretende WKAs mit bestehenden Denkmälern vereinbar sind, auf das Fachwissen der staatlichen Denkmalfachbehörde zurückgegriffen. Besonders streng ist das niedersächsische Landesdenkmalrecht, das ein materielles Beeinträchtigungsverbot kennt und keinen Raum für eine Anlagenzulassung bei Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes z. B. einer denkmalgeschützten Gutsanlage im ländlichen Raum zulässt.21 Ein materielles Beeinträchtigungsverbot ist im Landesdenkmalrecht anderer Bundesländer regelmäßig weniger rigide ausgestaltet; dort ist zumindest eine Ermessens- bzw. Abwägungsentscheidung der Denkmalbehörde vorgesehen. Zu beachten sind nicht nur unter Denkmalschutz stehende Anlagen, sondern vielmehr auch aus städtebaurechtlichen Gründen die denkmalschutzrechtlich (noch) nicht erfassten Belange von Ensembles, Bauten, Straßen und Plätzen. 5. Radarsysteme und Richtfunkstrecken a) Radarsysteme WKAs können auch Radarsysteme stören und deren Messwerte negativ beeinflussen. Das gilt z. B. für Wetterradarsysteme. Da Wetterradarsysteme Niederschläge bis zu einer Entfernung von über 150 km erfassen sollen, werden sie ähnlich wie die WKAs an exponierten Standorten aufgestellt. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) als Träger öffentlicher Belange ist im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für den Bau und Betrieb von WKA zu beteiligen (§ 11 der 9. BImSchV). Prüfmaßstab bei Radarsystemen sind die Richtlinien und Beschlüsse der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), eine Organisation der UNO. b) Richtfunkstrecken Der Mast oder auch der Rotor einer WKA können die Punkt-zu-Punktverbindungen einer Richtfunkstrecke stören. Richtfunkstrecken der Bundeswehr und der Stationierungsstreitkräfte dürfen durch WKA nicht gestört werden. Eine solche Störung ist dann ausgeschlossen, wenn eine geplante WKA beiderseits der Richtfunktrasse einen Mindestabstand von jeweils 100 m einhält.
21
OVG Lüneburg, Urt. v. 28. 11. 2007, Az. 12 LC 70/07.
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6. Luftverkehrsrechtliche Voraussetzungen a) Zivile Luftfahrt Bei der Standortauswahl von WKA sind die Bauschutzbereiche von Flughäfen zu beachten (§ 12 Abs. 2 Satz 1, § 17 LuftVG). Bauschutzbereiche werden eingerichtet, um Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs und für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen und dienen einem geordneten Nebeneinander von Bauwerken und Flugplätzen. Bis zu 10 km zwischen dem Flughafenbezugspunkt und einer WKA von über 100 m bedarf eine WKA der Zustimmung der Luftfahrtbehörden. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Anforderung einer Stellungnahme der Luftfahrtbehörde durch die Genehmigungsbehörde. Vielmehr ist das Zustimmungsverfahren ein besonderes verwaltungsinternes Zwischenverfahren, das von der jeweiligen Genehmigungsbehörde durch Ersuchen an die Luftfahrtbehörde einzuleiten ist. Ob eine Störung zu erwarten ist, entscheidet das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) auf der Grundlage einer gutachterlichen Stellungnahme der Deutschen Flugsicherung. b) Militärische Flugplätze Für WKA innerhalb militärischer Schutzbereiche werden die genannten Aufgaben von militärischen Dienststellen wahrgenommen. Neben WKA, die innerhalb von Bauschutzbereichen militärischer Flugplätze sowie innerhalb von Schutzbereichen militärischer Flugsicherungseinrichtungen geplant werden, können WKAs auch mit nächtlichem militärischen Flugbetrieb in niedrigen Flughöhen in Konflikt geraten. Militärische Tiefflüge über Land sind zulässig im Nachttiefflugsystem und in besonders festgelegten Gebieten für Hubschrauber. WKAs können die dem Luftwaffenführungskommando unterstellten Radaranlagen zur Luftraumüberwachung beeinträchtigen, wenn sie mit ihren Gondeln und Rotoren in das Radarstrahlfeld hineinragen. Das Störpotenzial einer WKA hängt damit wesentlich von deren Gesamthöhe, Größe und Form der Gondel, Höhe des Standorts usw. ab. Das Störpotenzial von zwei oder mehr WKAs in einem Gebiet kann aufgrund von drohenden Wechselwirkungen zwischen den einzelnen WKAs noch anwachsen. c) Nachtflugsysteme Das Nachttiefflugsystem wurde von der Bundeswehr gemeinsam mit dem Bundesbauministerium, den Landesregierungen und der deutschen Flugsicherung entwickelt. Die Beschränkungen von Bauhöhen unterhalb des Nachttiefflugsystems begründen sich durch die gesetzlich vorgeschriebenen vertikal und lateral einzuhaltenden Mindestabstände von Luftfahrzeugen zu Hindernissen. Hubschraubertiefflugstrecken werden bei Tag und Nacht geflogen. Zu beiden Seiten der Routen dürfen im Abstand von 1,5 km keine Hindernisse vorhanden sein.
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VII. Ausblick: Generelles Gebot der Rücksichtnahme Anfänglich wurde darauf hingewiesen, dass die im Rahmen des § 35 BauGB zu berücksichtigenden Belange letztendlich Ausfluss des Gebots der Rücksichtnahme sind. In der Rechtsprechung zu Windkraftanlagen wurde unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme auch der Gesamteindruck einer Windkraftanlage für Nachbarn als möglicherweise optisch bedrängend und erdrückend dargestellt und ein notwendiger Mindestabstand gefordert.22 Zwischenzeitlich haben aber die Obergerichte Mindestabstandserlasse für irrelevant gehalten und Nachbarkläger auf die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften verwiesen.23 Das OVG Münster hat eine durch die Rotorbewegung belastende Wirkung einer Anlage auf die Nachbarschaft bis etwa zum zweifachen der Höhe der Windenergieanlage angenommen.24 Im Ergebnis wird man davon ausgehen müssen, dass bei einem Abstand von mindestens 500 m auch bei größeren WKAs ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme in der Regel nicht vorliegen wird. Die Rechtsprechung hält psychische Einwirkungen allerdings nicht für ausreichend. Den betroffenen Nachbarn wird sogar zugemutet sich in gewisser Weise vor den Auswirkungen von WKAs selbst zu schützen. Diesbezüglich zitiere ich abschließend das OVG Koblenz im Urteil vom 12. 06. 2003: „Nachbarn müssen sich im Außenbereich notfalls durch Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern sowie durch das Aufstellen von Sichtblenden, Sonnenschirmen, etc. vor der Wahrnehmung der Drehbewegung schützen.“25
22
VG Koblenz, Urt. v. 12. 03. 2002, Az. 7 K 1646/01.KO; VG Oldenburg, ZUR 1998, 260. OVG Koblenz, Urt. v. 12. 06. 2003, Az. 1 A 11127/02.OVG; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12. 08. 1998, Az. 6 M 3337/98. 24 OVG Münster, NVwZ 1999, 1360. 25 OVG Koblenz, Urt. FN 23. 23
Rechtsschutz gegen On-Shore-Windkraftanlagen aus Sicht der Kommunen, privater Dritter und der Umweltverbände Ralf Brinktrine*
I. Einführung in die Problemstellung 1. Tatsächliche Ausgangslage Windkraftanlagen sind aus Sicht der Bundesregierung und vieler anderer ein wichtiges Instrument für das Gelingen der sogenannten Energiewende. Doch bei mittlerweile gut 23.000 Windkraftanlagen im Jahre 2012 in ganz Deutschland1 und der zwischenzeitlich erkennbaren Auswirkungen auf Natur, Landschaft und wildlebende Arten mehren sich die Stimmen, die einen ungebremsten Ausbau der Windkraft zunehmend kritisch betrachten2. Die Begeisterung für Windkraftanlagen lässt nach, und dies nicht nur bei den so genannten „Nimbies – Not in my backyard“3. * Prof. Dr. Ralf Brinktrine ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Deutsches und Europäisches Umweltrecht und Rechtsvergleichung an der Juristischen Fakultät der JuliusMaximilians-Universität Würzburg. Es handelt sich um die aktualisierte und überarbeitete Fassung des Vortrags, den der Verfasser am 27. 04. 2013 auf der Tagung „Windkraft zu Lande und zur See“ gehalten hat. Die Vortragsform wurde beibehalten. Die ursprünglich im damaligen Vortrag kurz thematisierte vergaberechtliche Problematik mit Blick auf die Vergabe von Flächen für die Windkraftnutzung durch die Gemeinde bleibt einer späteren Veröffentlichung vorbehalten. Gesetzgebung sowie Rechtsprechung und Literatur stehen auf dem Stand vom 30. 09. 2015. 1 Zahlen für 2012 nach Deutsche WindGuard GmbH, Status des Windenergieausbaus in Deutschland (am 31. 12. 2012), pdf, S. 9, abrufbar unter https://www.wind-energie.de/presse/ pressemitteilungen/2013/jahresbilanz-windenergie-2012-stabiles-wachstum-deutschland-im-tur bulenten-Weltmarkt.html; Ende 2014 waren es sogar fast 25.000 Windkraftanlagen (WKA) mit einer installierten Leistung von über 38.000 Megawatt, siehe dazu Daniel Wetzel, Windkraftausbau übertrifft alle Erwartungen, Die Welt v. 29. 01. 2015, abrufbar unter http://www. welt.de/wirtschaft/article136927637/Windkraftausbau-uebertrifft-alle-Erwartungen.html. 2 Siehe hierzu beispielsweise die Berichterstattung über Aktivitäten von Windkraftgegnern in Die Welt v. 27. 04. 2015, „Windkraftgegner vernetzten sich in neuem Bündnis“, abrufbar unter http://www.welt.de/regionales/niedersachsen/article140123987/Windkraftgegner-vernetz ten-sich-in-neuem-Buendnis.html; Die Welt v. 17. 08. 2015, „Landtag muss sich mit Windkraftgegnern befassen“, abrufbar unter http://www.welt.de/regionales/mecklenburg-vorpom mern/article145323691/Landtag-muss-sich-mit-Windkraftgegnern-befassen.html.; B. Fackler, Windkraftgegner übergeben 6000 Unterschriften ans Rathaus, Badische Zeitung v. 04. 08.
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Eine subtile Form des Widerstands gegen einen zu extensiven Ausbau der Windkraft sind restriktive Planungen der Kommunen. Noch bemerkenswerter ist aber, dass sich seit einiger Zeit die Fälle häufen, in denen es nicht um Rechtsschutz auf Errichtung von Windkraftanlagen geht, sondern bei denen Klagen gegen den Ausbau der Windenergie erhoben werden. Zwar finden sich in der dokumentierten Judikatur weiterhin zahlreiche Beispiele, in denen Windkraftanlagenbetreiber oder Eigentümer Klagen oder Verfahren anstrengen, etwa um eine aus ihrer Sicht unzureichende Flächenausweisung für Windkraftanlagen anzugreifen4 oder immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für Windkraftanlagen zu erstreiten5, doch nehmen gleichzeitig auch die Klagen und Eilverfahren – auch von Kommunen und Landkreisen – zu, die genau das Gegenteil erreichen wollen6. 2. Typische Rechtsschutzkonstellationen Ich darf einige typische Fallkonstellationen herausgreifen, die zwar quantitativ noch nicht signifikant erscheinen mögen, mit denen die Rechtswissenschaft sich aber beschäftigen sollte, da eine Parallele zu anderen technischen Anlagen wie Mobilfunkanlagen7 oder Trassen für Stromnetze8 besteht:
2015, abrufbar unter http://www.badische-zeitung.de/waldkirch/windkraftgegner-uebergeben6000-unterschriften-ans-rathaus-108875835.html. 3 Windkraftgegner haben mittlerweile sogar eigene Websites als Portale eingerichtet, siehe etwa www.windkraftgegner.de oder www.windwahn.de. 4 So etwa beispielsweise die Fallkonstellationen in OVG Lüneburg, Urt. v. 12. 12. 2012 – 12 KN 311/10 –, NuR 2013, 496 ff.; BVerwG, Urt. v. 11. 04. 2013 – 4 CN 2.12 –, NuR 2013, 489 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 17. 06. 2013 – 12 KN 80/12 –, NuR 2013, 580 ff. 5 Siehe beispielsweise OVG Münster, Urt. v. 20. 11. 2012 – 8 A 252/10 –, ZUR 2012, 174 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 11. 2012 – 12 LB 64/11 –, NuR 2012, 196 ff.; VG Hannover, Urt. v. 22. 11. 2012 – 12 A 2305/11 –, NuR 2013, 217 ff. 6 Vgl. beispielsweise folgende Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu Klagen und Anträgen von Windkraftgegnern aus dem Jahre 2013 OVG Magdeburg, Beschl. v. 21. 03. 2013 – 2 M 154/12 –, NuR 2013, 507 ff.; VGH München, Urt. v. 25. 06. 2013 – 22 B 11.701 –, NuR 2014, 292 ff.; VG Düsseldorf, Urt. v. 11. 07. 2013 – 11 K 2057/11 –, NuR 2014, 584 (584); aus 2014 OVG Lüneburg, Beschl. v. 12. 02. 2014 – 12 ME 242/13 –, NuR 2014, 720 ff., sowie ganz aktuell OVG Münster, Beschl. v. 27. 07. 2015 – 8 B 390/15 –, BauR 2015, 1817 ff.; VGH München, Beschl. v. 10. 08. 2015 – 22 ZB 15.1113 –, BauR 2015, 1823 ff.; VG Neustadt, Beschl. v. 17. 08. 2015 – 4 L 622/15 –, becklink 2000873: „Bürgerverein hat keine Befugnis für Eilantrag gegen Windkraftanlagen“. 7 Zur umfangreichen Judikatur und Literatur mit Blick auf die vielfältigen Rechtsfragen bei Mobilfunkanlagen zusammenfassend Weiß, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z VI (Mobilfunk im Bau- und Immissionsschutzrecht), Rn. 1 ff.; ferner auch Wahlfels, NVwZ 2003, 653 ff.; zu möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Mobilfunkanlagen aus neuerer Zeit Budzinski/Hutter, NVwZ 2014, 418 ff.; Budzinski, NVwZ 2009, 160 ff. 8 Siehe hierzu beispielsweise Pielow, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2012, § 22 Rn. 54 ff.; de Witt/Durinke/Kause, in: Hoppenberg/de Witt,
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@ Die Gemeinde G wird durch den Regionalplan verpflichtet, weiträumig Flächen für Windkraftanlagen auszuweisen. Sie möchte dies aber nicht, weil dies bei der Gemeindebevölkerung wenig Akzeptanz findet. G überlegt, gegen den Regionalplan gerichtliche Schritte einzuleiten. @ Die Gemeinde N ist Nachbarin anderer Gemeinden, die in großem Stil Flächen für Windkraftanlagen in ihren Flächennutzungsplänen ausweisen. N fühlt sich inzwischen durch Windkraftanlagen eingekreist. Sie will gegen weitere Flächenausweisungen der Nachbargemeinden prozessual vorgehen. @ Der E ist Eigentümer von Grundstücken, die prinzipiell für den Betrieb von Windkraftanlagen geeignet sind. Er will aber keine Windkraftanlagen auf seinen Grundstücken haben. Er will um jeden Preis verhindern, dass seine Grundstücke in den Bereich einer Konzentrationszone aufgenommen werden. @ Einwohner E der Gemeinde G leidet unter der „optischen Verschmutzung“ durch Windkraftanlagen in seinem Ort. Auch stören ihn die Geräusche der Anlagen. Er macht geltend, dass der von den Anlagen ausgehende Infraschall ihn in seiner Gesundheit beeinträchtigt. @ Der Naturschutzverband N sorgt sich um die Population wildlebender Arten wie zum Beispiel des Rotmilans. Er sieht mit Sorge die großzügige Ausweisung von Konzentrationszonen in Flächennutzungsplänen.
3. Zentrale rechtliche Probleme der Rechtsschutzbegehren Rechtlich spielen bei diesen Fallkonstellationen und den mit ihnen verbunden Rechtsschutzfragen ganz verschiedene Aspekte eine Rolle: @ Wichtig ist zum einen die Frage, vor welcher Gerichtsbarkeit das Thema adressiert werden kann: Nur vor den Verwaltungsgerichten oder auch vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit? Hier geht es also um die Rechtswegzuordnung. @ Von Bedeutung ist des Weiteren, welche Rechtsschutzformen für die verschiedenen Begehren in Betracht kommen. Dies betrifft die Frage der Statthaftigkeit von Rechtsbehelfen. @ Ein anderes, nicht minder wichtiges Problem ist die Frage, welche Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung durch die Kläger oder Antragsteller zu stellen sind. Damit ist das Problem der sogenannten Klage- oder Antragsbefugnis angesprochen. @ Und schließlich ist von Gewicht, welche rechtlichen Maßstäbe für die Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen und Maßnahmen gelten. Wie intensiv soll zudem die gerichtliche Überprüfung ausHandbuch Baurecht, Z VIII (Das Planungsrecht der Übertragungsnetze), Rn. 1 ff.; Köck, ZUR 2014, 131 ff.
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fallen? Damit rücken Probleme der gerichtlichen Kontrollmaßstäbe und der Kontrolldichte in den Blick. 4. Gang der Problemerörterung Ich werde die – zum Teil eng miteinander verbundenen – Fragen durchgehend auf der Grundlage der bayerischen Rechtslage und in der Weise angehen, dass ich mich zunächst den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Ausweisung von Flächen für Windkraftanlagen in verwaltungsrechtlichen Plänen zuwende. Dabei werde ich mich besonders auf Fragen der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO konzentrieren. In einem zweiten Schritt untersuche ich die Rechtsschutzoptionen, die gegen die Erteilung von verwaltungsbehördlichen Genehmigungen zum Bau bzw. Betrieb von Windkraftanlagen bestehen. Schon an dieser Stelle sei betont, dass nicht nur Private, sondern auch die betroffenen kreisangehörigen Kommunen nicht immer über eine großzügige Genehmigungspraxis durch Landratsämter als Bauordnungs- bzw. Immissionsschutzbehörden erfreut sind. Abschließend gehe ich der Frage nach, ob und in welchem Umfang Rechtsschutz gegen den Betrieb einer genehmigten Windkraftanlage besteht. In diesem Kontext werde ich nicht nur der Frage verwaltungsgerichtlicher Abhilfemöglichkeiten gegen Lärm und andere Belästigungen nachgehen, sondern auch kurz zivilrechtliche Abwehrmöglichkeiten thematisieren. Abrunden werde ich meine Ausführungen mit einem kurzen Fazit, das die wesentlichen Ergebnisse der Betrachtung zusammenfasst.
II. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Ausweisung von Flächen für Windkraftanlagen in Plänen 1. Erscheinungsformen von windkraftrelevanten Plänen Windkraftrelevante konkrete Flächenausweisungen in Plänen werden in Bayern durch Regionalpläne, Flächennutzungspläne oder Bebauungspläne, nicht aber durch das Landesplanungsgesetz oder das Landesentwicklungsprogramm9 vorgenommen. 9
Die auf der Grundlage von Art. 20 Abs. 2 des Bayerischen Landesplanungsgesetzes (BayLplG) vom 25. Juni 2012 (GVBl S. 254, BayRS 230 – 1-W) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 6 Satz 2 und Art. 35 Abs. 2 Satz 3 BayLplG erlassene Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) vom 22. August 2013 enthält als Anhang das Landesentwicklungsprogramm v. 01. 09. 2013, das nach § 1 der Verordnung Bestandteil der Verordnung ist, aber keine Flächenausweisung für Windkraft vornimmt. Das Landesentwicklungsprogramm enthält unter 6.2.2 nur die textliche Vorgabe, dass solche Flächen für die Windkraft als Vorrang- oder Vorbehaltsgebiete in den Regionalplänen auszuweisen sind.
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a) Regionalpläne Sehr verkürzt dargestellt, handelt es sich bei den Regionalplänen um Raumordnungspläne für eine konkrete Planungsregion10, Art. 21 BayLplG. In Regionalplänen, die nach Art. 22 Abs. 1 Satz 1 BayLPlG durch den zuständigen Regionalen Planungsverband erlassen werden, werden dazu Vorrang- und Vorbehaltsgebiete für Windkraftanlagen bestimmt11. b) Flächennutzungspläne Der Flächennutzungsplan einer Gemeinde kann dagegen auf der Grundlage des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB so genannte „Konzentrationszonen“12 für Windkraftanlagen vorsehen. Die Bestimmung dieser Konzentrationszonen hat dabei bestimmte materielle Anforderungen zu beachten13 und einem vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebenen Verfahren der zwingenden Abfolge von Planungsschritten zu folgen14; auf diese Vorgaben werde ich im Rahmen meiner Ausführungen zur inhaltlichen Kontrolle von Flächennutzungsplänen15 noch näher eingehen. Die Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen im Flächennutzungsplan hat zur Folge, dass nur noch auf diesen Flächen Windkraftanlagen errich-
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Derzeit gibt es in Bayern 18 Planungsregionen. Planungsregion 2 ist die Region Würz-
Siehe z. B. den Regionalplan für die Region Würzburg, abrufbar unter http://www.regie rung.unterfranken.bayern.de/aufgaben/3/6/00725/. 12 Zu diesem Begriff siehe u. a. Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 6 und passim; OVG Münster, Urt. v. 20. 11. 2012 – 8 A 252/10 –, ZUR 2012, 174 (174 – Leitsatz –, 175 und passim). Ferner werden als Synonyme auch die Begriffe „Positivflächen“, vgl. z. B. Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 6, oder „Konzentrationsflächen“ verwendet, siehe dazu etwa Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 35 Rn. 114. 13 Siehe hierzu aus der reichhaltigen Rechtsprechung zum Beispiel BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 2.04 –, BVerwGE 122, 109 (111); BVerwG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 4 CN 2/07 –, NVwZ 2008, 559 (560); OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 11. 2012 – 12 LB 64/11 –, DVBl. 2013, 176 (177); stellvertretend aus der Literatur Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 6 ff.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB (Stand August 2015), § 35 Rn. 124a. 14 Siehe hierzu insbesondere BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66); Scheidler, VerwArch. 103 (2012), 587 (593). 15 Zu den sonstigen formellen und materiellen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Flächennutzungsplänen, die keinen spezifischen Bezug zur Windkraftansiedlung haben, vgl. beispielsweise Decker/Konrad, Bayerisches Baurecht, 3. Aufl. 2011, S. XIV f., 165 ff., S. 186 ff., S. 194 ff. und S. 219 ff., sowie Erbguth, Baurecht, in: Tettinger/Mann/Erbguth, Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 2012, Rn. 943 ff.
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tet werden dürfen, auf allen anderen Flächen hingegen nicht16, so genannte „Ausschlusswirkung“17. Enthält der Flächennutzungsplan keine Ausweisung von Konzentrationszonen, sind Windkraftanlagen bauplanungsrechtlich entweder – im Regelfall – nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB18 oder – eher selten – auf der Grundlage des § 35 Abs. 2 BauGB sowie § 34 Abs. 1 BauGB zulässig19. c) Bebauungspläne Schließlich kann auch ein Bebauungsplan erlassen werden, der windkraftbedeutsame Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO für Gebiete enthält, in denen Windkraftanlagen betrieben werden können20. Möglich sind des Weiteren Höhenbegrenzungen, § 16 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO21. d) Verhältnis der Pläne untereinander Bedeutsam ist, dass die verschiedenen Pläne in einer hierarchischen Ordnung zueinander stehen22. An oberster Stelle steht der Regionalplan. In ihm werden die Ziele der Raumordnung verbindlich formuliert. Aufgrund von § 1 Abs. 4 BauGB müssen Flächennutzungspläne und Bebauungspläne an die Ziele der Raumordnung angepasst werden23. Sie müssen also die in den Regionalplänen formulierten Ziele verfolgen und dürfen diesen nicht widersprechen24. Aus diesem Grund beginne ich mit etwaigen Rechtsschutzoptionen gegen die Ausweisung von Flächen für Windkraft in 16
Siehe BVerwG, Urt. v. 17. 12. 2002 – 4 C 15.01 –, BVerwGE 117, 287 (294); BVerwG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 4 CN 2/07 –, NVwZ 2008, 559 (560); BVerwG, Urt. v. 20. 05. 2010 – 4 C 7.09 –, BVerwGE 137, 74 (78, 83). 17 So der in der Rechtsprechung verwendete Begriff, siehe beispielsweise BVerwG, Urt. v. 20. 05. 2010 – 4 C 7.09 –, BVerwGE 137, 74 (78, 84); OVG Münster, Urt. v. 20. 11. 2012 – 8 A 252/10 –, ZUR 2012, 174 (175); aus der Literatur statt vieler Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 21. 18 Zur Zulässigkeit von Windkraftanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB ausführlich Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 68 ff. 19 Hierzu näher Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 164 sowie 165 ff. 20 Dazu ausführlich Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 64 ff. 21 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 65. 22 Vgl. Hendler, in: Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 1 Rn. 28 ff., § 5 Rn. 20 ff.; Kerkmann, in: Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 8 Rn. 4 ff. 23 Hierzu statt vieler BVerwG, Urt. v. 30. 01. 2003 – 4 CN 14.01 –, BVerwGE 117, 351 (355); BVerwG, Urt. v. 17. 09. 2003 – 4 C 14.01 –, BVerwGE 119, 25 (39). 24 Vgl. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 1 Rn. 39, 42.
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den Regionalplänen, da diese die entscheidenden Vorgaben für die Windkraftplanung in Bayern enthalten. 2. Rechtsschutzoptionen gegen Regionalpläne a) Normenkontrollverfahren aa) Statthaftigkeit Mit Blick auf Rechtsschutzoptionen gegen Regionalpläne lautet die erste naheliegende Frage: Können Ausweisungen von Flächen für Windkraftanlagen Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 VwGO sein? Klar ist, dass für Regionalpläne das Normenkontrollverfahren nicht aufgrund § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthaft ist, weil Regionalpläne keine Satzungen sind, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind. Erlassen werden Regionalpläne nämlich nach den Vorschriften des Bayerischen Landesplanungsgesetzes. Der Weg eines Normenkontrollverfahren ist daher allenfalls über § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eröffnet. Da das bayerische Recht in Art. 5 Satz 1 AGVwGO dem VGH die Zuständigkeit zur Entscheidung über Rechtsvorschriften, die unter dem Landesgesetz stehen, zuweist, stellt sich nur noch die Frage, ob es sich bei den Regionalplänen um Rechtsvorschriften handelt. Dies ist der Fall, da nach Art. 22 Abs. 1 Satz 2 BayLplG die in den Regionalplänen enthaltenen Festlegungen als Rechtsverordnungen beschlossen und auf Antrag des Regionalen Planungsverbands durch die zuständige höhere Landesplanungsbehörde für verbindlich erklärt werden. bb) Antragsbefugnis Ist damit eine prinzipale Normenkontrolle gegen Regionalpläne nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO jedenfalls nach bayerischem Landesrecht statthaft25, so stellt sich sogleich die nächste und nicht ganz einfach zu beantwortende Frage nach der Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. (1) Kommunen im Geltungsbereich des Regionalplans Für die von den verbindlichen Festsetzungen des Regionalplans betroffenen Mitgliedskommunen des Regionalen Planungsverbandes folgt die Antragsbefugnis entweder aus ihrer Behördeneigenschaft, § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO26, oder aus der möglichen Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 25 Allgemein zur Rechtsschutzeröffnung gegen Regionalpläne im Wege des Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auf. 2015, § 47 Rn. 33. 26 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 255.
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GG, da die Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 BauGB eine Anpassungspflicht für die kommunale Bauleitplanung auslösen, die Gemeinden also in ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit eingeschränkt sind27. (2) Kommunen außerhalb des Geltungsbereichs des Regionalplans Kommunen, die nicht Mitgliedskommunen des Regionalen Planungsverbandes sind, aber von dem Regionalplan möglicherweise betroffen sind, also die Nachbargemeinden, können sich dagegen nicht auf die Behördeneigenschaft28, sondern nur auf ihre kommunale Selbstverwaltungsgarantie berufen29. Diese wiederum ist aber nur dann beeinträchtigt und folglich eine Antragsbefugnis gegeben, wenn der Regionalplan ihre Planung tatsächlich und rechtlich beeinträchtigt30. Dies ist in der Regel aber nicht der Fall, weil die Gemeinden eines anderen Planungsverbandes den Regionalplan nicht beachten müssen und etwaige Beeinträchtigungen erst durch die 27
Vgl. BVerwG, Beschl. v. 15. 03. 1989 – 4 NB 10/88 –, BVerwGE 81, 307 (310 ff.); BVerwG, Urt. v. 07. 06. 2001 – 4 CN 1/01 –, BVerwGE 114, 301 (303 ff.); Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 79; Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 255. 28 Vgl. Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 260 m.w.N.: keine Antragsbefugnis aus der Behördeneigenschaft, weil die Pläne nicht für das Gemeindegebiet gelten; ebenso mittelbar auch BVerwG, Beschl. v. 15. 03. 1989 – 4 NB 10/88 –, BVerwGE 81, 307 (310). 29 Vgl. Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 260, 262 ff. Ferner ergibt sich auch keine Antragsbefugnis aus Vorschriften des Raumordnungsrechts, insbesondere auch nicht aus dem Gegenstromprinzip, weil die Gemeinden außerhalb des Planungsgebietes „nicht in das Interessengeflecht eingebunden sind, das nach Maßgabe des Gegenstromprinzips aufeinander abzustimmen ist“, so Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 261. 30 Die Rechtsprechung stellt in dieser Hinsicht hohe Hürden auf, verlangt wird eine nachhaltige Störung der hinreichend konkretisierten gemeindlichen Planung, siehe BVerwG, Urt. v. 11. 04. 1986 – 4 C 51/83 –, BVerwGE 74, 124 (132 f.). Der zitierte Fall betrifft allerdings nicht direkt eine Raumordnungsplanung, sondern eine Maßnahme nach dem Landbeschaffungsgesetz und damit einer überörtlichen Planungsmaßnahme, die auch gegenüber der nur mittelbar betroffenen Nachbargemeinde als Verwaltungsakt eingeordnet und die Nachbargemeinde als klagebefugt angesehen wurde, BVerwG, Urt. v. 11. 04. 1986 – 4 C 51/83 –, BVerwGE 74, 124 (125 ff.). Den zitierten Fall als Beleg der eingeschränkten Antragsbefugnis einer Nachbargemeinde gegen Raumordnungspläne verstehend Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 263. Zur (eingeschränkten) Antragsbefugnis von Gemeinden generell gegen Maßnahmen der überörtlichen Raum- und Fachplanung BVerwG, Beschl. vom 05. 12. 1996 – 11 VR 8/96 –, NVwZ-RR 1997, 339 (339 m.w.N.). Großzügiger sind hingegen andere Teile der Literatur, so etwa Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 79: Es genüge schon wenn die Gemeinde bei einer zukünftigen, ihr Gemeindegebiet betreffenden Planung durch solche Pläne unmittelbar beeinträchtigt werde. Die hier gezogene Abgrenzung zu BVerwG, Beschl. v. 15. 03. 1989 – 4 NB 10/88 –, BVerwGE 81, 307 ff. ist allerdings fragwürdig, da dieser Fall einen Raumordnungsplan betraf, der für die antragstellende Gemeinde unmittelbar galt.
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nachfolgende, konkretisierende Flächennutzungsplanung oder Bebauungsplanung der planungsverpflichteten Gemeinde eintritt31. (3) Vorhabenträger Für Vorhabenträger, also potentielle Windenergieanlagenbetreiber, sowie private Eigentümer, die mit einer (einschränkenden) Ausweisung nicht einverstanden sind, wird von der Rechtsprechung und der ihr folgenden Literatur eine Antragsbefugnis unter bestimmten Voraussetzungen bejaht32, nämlich dann, wenn abwägungsrelevante Belange des Eigentümers bzw. Vorhabenträgers nicht beachtet worden sind33. Die Berechtigung dieses Ansatzes will ich hier aber nicht weiter verfolgen, weil es hier zumeist um eine Erweiterung von Ausweisungen geht, nicht aber um eine Beschränkung der Flächenausweisungen. (4) Andere Private, vor allem Nachbarn Für andere Private, insbesondere für die Nachbarn eines Regionalplangebiets, ist hinsichtlich der Antragsbefugnis mit Blick auf Zielfestlegungen in einem Raumordnungsplan vieles umstritten. Die Einschätzungen reichen von völliger Ablehnung der Antragsbefugnis bis zu uneingeschränkter Bejahung34. Überzeugend erscheint eine Differenzierung nach dem Grad der Verbindlichkeit der Aussagen eines Regionalplans. Die bloße Festlegung eines Eignungsgebietes in der Regionalplanung eröffnet den Nachbarn noch keine Antragsbefugnis, da eine Rechtsverletzung erst in Verbindung mit einem weiteren Rechtsakt, typischerweise mit der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung eintreten kann35. Anders wird die Lage bei der Ausweisung von Vorranggebieten im Sinne von § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 ROG in einem Raumordnungsplan beurteilt, da ihnen im Ergebnis die Wirkung einer Konzentrationszone gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu-
31 Näher hierzu Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 235 ff. 32 Zu den Voraussetzungen der Antragsbefugnis siehe insb. BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 2006 – 4 BN 18/06 –, NVwZ 2007, 229 ff.; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2007, VGH München, Urt. v.0 8. 12. 2003 – 20 N 01.2612 –, ZUR 2004, 173 (174 f.); siehe auch VGH Mannheim, Urt. v. 09. 10. 2012 – 8 s 1370/11 –, ZfBR 2013, 167 (168) aus dem Schrifttum ausführlich Scheidler, WiVerw 2011, 113 (135 f.); auf gleicher Linie Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 71 u. 73; Kerkmann, in: Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 9 Rn. 7; Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 241 ff.; Kment, NVwZ 2003, 1047 (1052). 33 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 2006 – 4 BN 18/06 –, NVwZ 2007, 229 (229). 34 Siehe hierzu den Überblick bei Scheidler, WiVerw 2011, 113 (136 ff.), sowie Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 218 ff. 35 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 218.
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kommt36. Für die Antragsbefugnis der Nachbarn wird hier angeführt, dass die privaten Interessen der Nachbarn als abwägungserhebliche Belange auch auf der Ebene der Raumplanung in die Abwägung einfließen müssen37. Weitere Voraussetzung für das Vorliegen der Antragsbefugnis ist aber, dass der Nachbar substantiiert einen Sachverhalt darlegt, der es zumindest als möglich erscheinen lässt, „dass zu seinen Lasten das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist“38. Derartige Tatsachen können die Missachtung sicherer Mindestabstände der Windkraftanlagen zu Wohngebieten sein, nicht aber behauptete Wertminderungen39. (5) Umweltverbände Die Antrags- bzw. Klagebefugnis von Verbänden bemisst sich nunmehr vorrangig nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz, dem UmwRG. Sofern es sich um einen Verband nach § 3 dieses Gesetzes handelt, kann dieser nach § 1 UmwRG Rechtsbehelfe einlegen gegen „1. Entscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach a) dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, b) der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder c) landesrechtlichen Vorschriften eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann; 2. Genehmigungen für Anlagen, die nach der Spalte 1 des Anhangs der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen einer Genehmigung bedürfen, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. L 24 vom 29. 1. 2008, S. 8) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes; 3. Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz.“
Für Umweltverbände im Sinne des § 3 UmwRG bestehen danach Erleichterungen mit Blick auf die Antragsbefugnis, allerdings nur insoweit, wie das UmwRG zur Anwendung gelangt. Regionalpläne als solche unterfallen nicht dem Begriff der Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG, so dass die Regelungen des 36
So Scheidler, WiVerw 2011, 113 (124). Siehe ferner auch Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 219 zur Ausweisung von Konzentrationszonen in Regionalplänen. Zu Besonderheiten in Bayern Scheidler, WiVerw 2011, 113 (125 f.). 37 Scheidler, WiVerw 2011, 113 (136 f.), sowie Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 219. 38 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 219. Ähnlich Scheidler, WiVerw 2011, 113 (136 f.). 39 Scheidler, WiVerw 2011, 113 (137).
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UmwRG nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes hierfür nicht zur Anwendung kommen40. Eine Verletzung eigener subjektiver Rechte durch Festlegungen in einem Regionalplan wird der Verband aber kaum geltend machen können. Er ist daher nicht antragsbefugt. cc) Materielle Prüfkriterien Ich komme nun zu dem Problem, unter welchen Voraussetzungen Normenkontrollverfahren gegen Regionalpläne in der Sache Erfolg haben. Raumordnungspläne sind mit Blick auf die Ausweisung von Flächen für Windkraftanlagen insbesondere dann materiell rechtswidrig41, wenn die Abwägung fehlerhaft durchgeführt worden ist. Dabei geht es nach der bisherigen Rechtsprechung vor allem um die Frage der tatsächlichen und rechtlichen Geeignetheit der ausgewiesenen Flächen für die Windkraftnutzung42. Ohne zu sehr in die Details gehen zu wollen, ist die Frage der Windhöffigkeit von Gewicht43. Reichen die Windbedingungen für eine wirtschaftliche Nutzung der Fläche nicht aus, so tut sich der Planungsträger keinen Gefallen damit, extensiv Flächen auszuweisen, nur um politischen Wunschvorstellungen mit Blick auf die Energiewende zu genügen. b) Inzidente Kontrolle Regionalpläne sind nicht selten Gegenstand mittelbarer Kontrolle, wenn ein Verwaltungsgericht die Frage der Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplanes oder eines Flächennutzungsplanes untersucht. Hier spielt die Frage eine Rolle, ob die verbindlichen Zielvorgaben rechtmäßig festgelegt worden sind und eine Anpassungspflicht der Bauleitplanung auslösen. Ebenso sind sie Gegenstand einer inzidenten Überprüfung, wenn ein Vorhabenträger einen Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung von Windkraftanlagen begehrt44. In diesen Fällen ist von Bedeutung, ob mit der Festlegung von Zielen der Raumordnung die nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB vorge40 Siehe Bunge, UmwRG, § 1 Rn. 33, 59: Das UmwRG beziehe sich nur auf Bebauungspläne, und selbst diese seien nicht in ihrer Gesamtheit erfasst. Zum Teil wird das Raumordnungsverfahren nach § 15 ROG als vom UmwRG als erfasst angesehen, vgl. Fellenberg/ Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand August 2015, UmwRG § 1 Rn. 19; im Ergebnis aber komme das UmwRG wegen der Besonderheiten bei verwaltungsinternen Entscheidungen nicht zur Anwendung, so Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand August 2015, UmwRG § 1 Rn. 56 unter Hinweis auf § 16 Abs. 3 UVPG. 41 Zu den Anforderungen an die Festsetzung von Gebieten für die Nutzung von Windenergie in Regionalplänen vgl. beispielsweise VGH München, Urt. v. 08. 12. 2003 – 20 N 01.2612 –, ZUR 2004, 173 (175 ff.). 42 Vgl. ausführlich dazu Scheidler, WiVerw 2011, 113 (126 ff.). 43 Scheidler, WiVerw 2011, 113 (127 f.). 44 Vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 01. 07. 2010 – 4 C 6/09 –, NVwZ 2011, 240 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 09. 10. 2012 – 8 s 1370/11 –, ZfBR 2013, 167 ff.
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sehene Ausschlusswirkung grundsätzlich verbunden ist45, sowie die Frage, ob der Raumordnungsplan rechtswirksam ist46. 3. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Ausweisung von Flächen für Windkraftanlagen in Flächennutzungsplänen a) Prinzipale Normenkontrolle aa) Statthaftigkeit eines Normenkontrollverfahrens Flächennutzungspläne können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes mangels Rechtsnormqualität nicht tauglicher Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sein47. Allerdings soll nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts für Flächennutzungspläne, die Darstellungen mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB enthalten, eine Ausnahme bestehen48. Aufgrund der mit der Flächenausweisung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verbundenen Ausschlusswirkung können nur auf den im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Konzentrationsflächen Windenergieanlagen rechtmäßig errichtet werden. Dies hat zur Konsequenz, dass Eigentümer, deren Flächen nicht in den Konzentrationszonen liegen, in der Nutzung ihres Eigentums dahingehend eingeschränkt sind, dass ihnen eine Errichtung von Windkraftanlagen auf ihrem Grund und Boden nicht in legaler Weise möglich ist49. Bildlich gesprochen „entzieht“ die Gemeinde durch den Flächennutzungsplan Baurecht50. Die Ausweisung von Konzentrationszonen stellt damit einen Eingriff in das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG dar51. Diese Wirkung hat – wie oben bereits erwähnt – das Bundesverwaltungsgericht veranlasst, von einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen von solchen Flächennutzungsplänen auszugehen, die Konzentrationszonen enthalten52. Dies hat weiter dazu geführt, dass das Bundesverwaltungsgericht Flächennutzungspläne, die eine Steuerung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB vornehmen, wegen ihrer bebauungsplangleichen Wirkung53 als taugliche Gegenstän-
45
Siehe etwa BVerwG, Urt. v. 01. 07. 2010 – 4 C 6/09 –, NVwZ 2011, 240 (240 ff.). Dazu VGH Mannheim, Urt. v. 09. 10. 2012 – 8 s 1370/11 –, ZfBR 2013, 167 (168 ff.). 47 BVerwG, Beschl. v. 20. 07. 1990 – 4 N 3/88 –, NVwZ 1991, 262 (262). 48 BVerwG, Urt. v. 26. 04. 2007 – 4 CN 3/06 –, NVwZ 2007, 1081 (1082). 49 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 4 CN 2/07 –, NVwZ 2008, 559 (560). 50 Dirnberger, in: Dirnberger u. a., Windkraftanlagen in der Bayerischen Kommune, S. 1 (43). 51 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17. 12. 2002 – 4 C 15.01 –, BVerwGE 117, 287 (292 f.); BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 2.04 –, BVerwGE 122, 109 (115 f.); BVerwG, Urt. v. 26. 04. 2007 – 4 CN 3/06 –, BVerwGE 128, 382 (387) = NVwZ 2007, 1081 (1082). 52 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26. 04. 2007 – 4 CN 3/06 –, NVwZ 2007, 1081 (1082). 53 Siehe BVerwG, Urt. v. 20. 05. 2010 – 4 C 7.09 –, BVerwGE 137, 74 (84 f.). 46
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de einer Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO erachtet54 ; sie sind damit „normenkontrollfähig im Sinne des § 47 VwGO“55. Planbetroffene, insbesondere Eigentümer von Grundstücksflächen, die aufgrund der Flächennutzungsplanung Windkraftanlagen nicht mehr errichten dürfen, können deshalb nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog56 einen Normenkontrollantrag stellen57. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Januar 2013 klarstellend betont, dass möglicher Gegenstand einer statthaften Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog allein die in den Darstellungen des Flächennutzungsplans zum Ausdruck kommende planerische Entscheidung der Gemeinde, mit der Ausweisung von Flächen für privilegierte Nutzungen nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB an Standorten außerhalb der ausgewiesenen Flächen eintreten zu lassen, sein könne58. Im Übrigen seien die Darstellungen des Flächennutzungsplans einer prinzipalen Normenkontrolle nicht zugänglich59. bb) Antragsbefugnis (1) Behörden Behörden sind nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 VwGO antragsbefugt, wenn sie ein objektives Kontrollinteresse geltend machen können60. Dies ist in der Regel gegeben, wenn die Flächennutzungsplanung, insbesondere die Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen, den sachlichen Aufgabenbereich der örtlich zuständigen Behörde berührt61. Eine Antragsbefugnis besitzen daher vor allem Naturschutzbehörden, wenn dem Anliegen des Naturschutzes durch die Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen nicht ausreichend Rechnung getragen wurde.
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(43).
BVerwG, Urt. v. 26. 04. 2007 – 4 CN 3/06 –, NVwZ 2007, 1081 (1082). Dirnberger, in: Dirnberger u. a., Windkraftanlagen in der Bayerischen Kommune, S. 1
56 BVerwG, Urt. v. 26. 04. 2007 – 4 CN 3/06 –, BVerwGE 128, 382 (384, 389) = NVwZ 2007, 1081 (1081, 1082); Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 21. 57 Dirnberger, in: Dirnberger u. a., Windkraftanlagen in der Bayerischen Kommune, S. 1 (43). 58 BVerwG, Urt. v. 31. 01. 2013 – 4 CN 1/12 – NVwZ 2013, 1011 (1011, 1012); zustimmend Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 21. 59 BVerwG, Urt. v. 31. 01. 2013 – 4 CN 1/12 – NVwZ 2013, 1011 (1011, 1013). 60 Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 82. 61 Vgl. Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 47 Rn. 78.
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(2) Nachbarkommunen Die Antragsbefugnis von Nachbargemeinden nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 VwGO gegen Flächennutzungspläne speist sich aus zwei Quellen. Zum einen kann die Nachbargemeinde sich einfach-rechtlich auf das in § 2 Abs. 2 BauGB verankerte interkommunale Abstimmungsgebot sowie auf das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot berufen62. Darüber hinaus kann sie eine schutzwürdige Position aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG herleiten, wenn die Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen geeignet ist, ihre Planungshoheit und in Folge ihre kommunale Selbstverwaltungsgarantie zu berühren63. Dies ist nach dem oben Gesagten64 der Fall, wenn ihre Planung durch die Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen nachhaltig gestört wird65 oder wenn die Auswirkungen durch die Windkraftanlagen so gewichtig sind, dass sie abwägungserheblich sind66. (3) Private Dritte Für die Antragsbefugnis privater Dritter gilt das oben zum Regionalplan Gesagte entsprechend. Nachbarn und private Dritte sind daher nur antragsbefugt, „wenn sie einen Sachverhalt darlegen, der es möglich erscheinen lässt, dass zu ihren Lasten das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist, mithin, wenn die gebotenen Mindestabstände nicht eingehalten sind“67. (4) Umweltverbände Hinsichtlich der Rechtsschutzoptionen gegen Flächennutzungspläne nach UmwRG gilt grundsätzlich das zu den Regionalplänen bereits Ausgeführte entsprechend68. Allerdings kann die Frage aufgeworfen werden, ob wegen der vom BVerwG entwickelten Analogie von Flächennutzungsplänen mit Ausschlusswirkung zu Bebauungsplänen nicht auch § 2 Abs. 3 UVPG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG in entsprechender Anwendung heranzuziehen ist. Dies könnte Umweltverbänden unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Antragsbefugnis verhelfen. 62
Scheidler, WiVerw 2011, 113 (156). Scheidler, WiVerw 2011, 113 (156); Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 267. 64 Oben II. 2. a) bb) (2). 65 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 263. 66 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 267. 67 Scheidler, WiVerw 2011, 113 (156); auf gleicher Linie Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 248. 68 Eröffnet sind daneben aber möglicherweise Klagen nach § 64 BNatSchG gegen Entscheidungen nach § 63 BNatSchG, wenn die zuständigen Naturschutzbehörden Befreiungen nach Naturschutzrecht verfügt haben, die für die Flächennutzungsplanung von Bedeutung sind, hierzu Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 272. 63
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cc) Materielle Prüfkriterien Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Entscheidungen die Kriterien entwickelt, nach denen eine planerische Steuerung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in Flächennutzungsplänen mit dem Gebot gerechter Abwägung aus § 1 Abs. 7 BauGB übereinstimmt. Die instanzgerichtliche Judikatur hat diese Anforderungen als Prüfungsmaßstäbe übernommen und mehrfach bei der Überprüfung von Windkraftausweisungen zur Anwendung gebracht. Diese Kriterien, die sich zum Teil nicht trennscharf von dem Gebot der Erforderlichkeit der Planung nach § 1 Abs. 3 BauGB abgrenzen lassen69, seien hier nur kurz genannt: @ Bei den Ausweisungen auf der Grundlage von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB muss es sich um gebietsbezogene Festlegungen des Plangebers über die Konzentration von Windkraftanlagen an bestimmten Standorten handeln70. @ Diese Festlegungen haben zugleich eine Ausschlusswirkung, so dass Windkraftanlagen an anderen Standorten unzulässig sind. Der Ausschluss der Windkraftnutzung auf anderen Flächen lässt sich deshalb nur dann rechtfertigen, wenn Windkraftanlagen sich an den ausgewiesenen Standorten gegen andere Nutzungen durchsetzen71. @ Die Festlegungen müssen einem schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzept folgen72. @ Die Festlegungen dürfen aber keine Verhinderungs- oder Negativplanung darstellen. Der Plangeber muss die in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB enthaltene Entscheidung des Gesetzgebers, Windkraftanlagen im Außenbereich zu privilegieren, beachten und für die Windenergienutzung im Plangebiet in substantieller Weise Raum schaffen73. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist, auf welche Weise ein solch schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept entwickelt werden muss. Auf diese Frage ist im Folgenden einzugehen.
69 Hierzu Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 7. 70 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 2.04 –, BVerwGE 122, 109 (111); OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 11. 2012 – 12 B LB 64/11 –, DVBl. 2013, 176 (177). 71 BVerwG, Urt. v. 17. 12. 2002 – 4 C 15.01 –, BVerwGE 117, 287 (294); BVerwG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 4 CN 2/07 –, NVwZ 2008, 559 (560); BVerwG, Urt. v. 20. 05. 2010 – 4 C 7.09 –, BVerwGE 137, 74 (83). 72 So ständige Rechtsprechung seit BVerwG, Urt. v. 17. 12. 2002 – 4 C 15.01 –, BVerwGE 117, 287 (295); aus der späteren Judikatur etwa BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 2.04 –, BVerwGE 122, 109 (111); BVerwG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 4 CN 2/07 –, NVwZ 2008, 559 (560). 73 Siehe dazu schon oben II. 2. d) sowie BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 2.04 –, BVerwGE 122, 109 (111).
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Die Ausarbeitung des schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts ist auf der Ebene des Abwägungsvorgangs angesiedelt74 und muss nach der Judikatur und der ihr folgenden Literatur bestimmten rechtlichen Vorgaben zwingend genügen. Zum einen muss die Ausarbeitung des Konzepts hinreichend nachvollziehbar erfolgen und zugleich dokumentiert sein75. Zum zweiten ist bei der Erarbeitung des Planungskonzeptes ein mehrstufiges Verfahren einzuhalten, dass unter Anwendung abstrakter und einheitlicher Kriterien durchzuführen ist76. Es handelt sich um ein gestuftes, abschnittsweises und systematisches Vorgehen77, das aus im Wesentlichen zwei aufeinander aufbauenden Planungsschritten besteht78. @ Erster Schritt: Bei der Suche nach geeigneten Konzentrationsflächen wird der gesamte Planungsraum zunächst auf der Grundlage von Ausschlusskriterien untersucht, nach denen der Betrieb von Windenergieanlagen auf bestimmten Flächen entweder aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen schlechthin ausgeschlossen ist (so genannte harte Tabuzonen) oder aufgrund von städtebaulichen Vorstellungen der Gemeinde ausgeschlossen sein soll (so genannte weiche Tabuzonen)79. @ Zweiter Schritt: Bei nach diesem Ausschlussverfahren verbleibenden geeigneten Flächen (den so genannten Potenzialflächen) kann die Gemeinde im Rahmen der Abwägung weitere bestimmte Flächen für die Windkraftnutzung durch „Wegwägen“ ausschließen, weil sie andere Nutzungen für wichtiger hält80. Die nach diesem zweiten Schritt verbleibenden Flächen, auf denen die Windkraftnutzung durchgeführt werden soll, werden als Konzen-trationsflächen bezeichnet81. Diese Prüfungsreihenfolge ist von der planenden Gemeinde zwingend zu beachten82. Im Rahmen dieses Zwei-Schritt-Verfahrens muss die Entscheidung der planenden Gemeinde „nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch deutlich machen, welche Gründe es rechtfertigen, den übrigen Planungsraum von Windkraftanlagen freizuhal74 BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66); Scheidler, VerwArch. 103 (2012), 587 (593). 75 So ausdrücklich Scheidler, VerwArch. 103 (2012), 587 (593). 76 BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66); Scheidler, VerwArch. 103 (2012), 587 (593). 77 BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66). 78 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66). 79 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66); aus der Literatur Dirnberger, in: Dirnberger u. a., S. 44; Scheidler, VerwArch. 103 (2012), 587 (593). 80 BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66). 81 Zu diesem Begriff beispielsweise BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66). 82 OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24. 02. 2011 – 2 A 2.09 – LKV 2011, 422 (422); implizit auch schon BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66).
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ten“83. Umgekehrt ist der Gemeinde auch nicht erlaubt, die Ausschlusswirkung ohne eine ausreichende Darstellung von Positivflächen herbeizuführen84. Die positiven und negativen Komponenten der Konzentrationsplanung sind damit funktional verbunden85. Werden diese Maßstäbe missachtet oder die genannten Verfahrensschritte nicht eingehalten, so leidet die Ausweisung einer Konzentrationszone in einem Flächennutzungsplan an einem Rechtsfehler. b) Inzidente Kontrolle Ebenso wie Regionalpläne können Flächennutzungspläne Gegenstand inzidenter Kontrolle sein, namentlich in Genehmigungsverfahren nach Immissionsschutz- oder Baurecht86. Relevant ist dabei in der Regel, ob das oben beschriebene Verfahren zur Bestimmung von Konzentrationszonen in Flächennutzungsplänen eingehalten worden ist87. 4. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Ausweisung von Windkraftanlagen in Bebauungsplänen Die Statthaftigkeit eines Normenkontrollverfahrens gegen Bebauungspläne nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 BauGB steht wegen des Satzungscharakters von Bebauungsplänen, § 10 Abs. 1 BauGB, außer Frage88. Näher zu untersuchen ist wiederum die Antragsbefugnis verschiedener potentieller Antragsteller. Große Abweichungen zu der Antragsbefugnis bei normenkontrollfähigen Flächennutzungsplänen ergeben sich hier indes nicht89. Nachbarn eines Bebauungsplans können insbesondere nachteilige Auswirkungen auf ihre Grundstücke rügen90.
83 BVerwG, Urt. v. 17. 12. 2002 – 4 C 15.01 –, BVerwGE 117, 287 (298); ebenso mit wortgleicher Formulierung BVerwG, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 4 BN 25.09 –, ZfBR 2010, 65 (66). 84 So ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 2.04 –, BVerwGE 122, 109 (113). 85 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 2.04 –, BVerwGE 122, 109 (113). 86 Zu einem solchen Fall beispielsweise OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 11. 2012 – 12 LB 64/11 – ZfBR 2013, 162 (162 ff. ). 87 Siehe OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 11. 2012 – 12 LB 64/11 – ZfBR 2013, 162 (162 ff.). 88 Siehe nur Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 47 Rn. 21. 89 Siehe dazu hinsichtlich des Schutzes von Nachbarn und Nachbargemeinden gegen Bebauungspläne Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 250, 266. 90 Dazu näher Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 250.
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Die Bebauungspläne sind rechtswidrig, wenn sie den erwähnten materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen mit Blick auf die Windkraftausweisung nicht genügen. Für die mögliche Inzidentkontrolle von Bebauungsplänen mit Windkraftausweisung im Rahmen von Genehmigungsverfahren gelten keine Besonderheiten im Vergleich zu anderen Bebauungsplänen.
III. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Erteilung der Genehmigung zum Bau bzw. Betrieb von Windkraftanlagen 1. Ausgangspunkt: Das anwendbare Rechtsregime Ob eine Windkraftanlage nach Baurecht oder Immissionsschutzrecht zu genehmigen ist – die wenigen nicht genehmigungsbedürftigen Fälle lasse ich hier außer Betracht91 – richtet sich nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i.V.m. der 4. BImSchV. Nach Anlage 1 Nummer 1.6 BImSchV bedürfen Windenergieanlagen mit einer Höhe von mehr als 50 m einer Genehmigung nach Immissionsschutzrecht. Die Genehmigungsfähigkeit ist nach §§ 6, 4 BImSchG zu beurteilen. Ist die 4. BImSchV nicht einschlägig, so richtet sich die Genehmigungsbedürftigkeit von Windkraftanlagen nach den Vorschriften des landesrechtlichen Bauordnungsrechts. In Bayern ist die Genehmigungsfähigkeit von Windkraftanlagen zwischen 10 m und 30 m Höhe nach Art. 59 BayBO, über 30 m bis 50 m Höhe wegen Art. 2 Abs. 4 Nr. 2 BayBO nach Art. 60 BayBO zu prüfen. Ist keine Konzentrationszone nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ausgewiesen, richtet sich die Genehmigungsfähigkeit insbesondere entweder nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB oder – wenn ein Bebauungsplan besteht – nach § 30 Abs. 1 BauGB. Von großer Bedeutung für die Genehmigungsfähigkeit von Windkraftanlagen sind ferner die Abstandsflächenregelungen nach Art. 6 BayBO92. 2. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Baugenehmigung bzw. eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach §§ 4, 6 BImSchG a) Statthafte Rechtsschutzformen Gegen die Erteilung der Baugenehmigung bzw. die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthaft.
91 Nicht genehmigungsbedürftig sind nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) BayBO Kleinwindkraftanlagen mit einer Höhe bis zu 10 m. 92 Hierzu näher Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 32.
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b) Einzelfragen der Zulässigkeit Das zentrale prozessuale Problem für Klagen gegen die Anlagengenehmigung von Windenergieanlagen ist letztendlich, ob das Erfordernis der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO gewahrt wird. aa) Klagebefugnis von Kommunen und privaten Dritten Zunächst ein paar Bemerkungen zur Klagebefugnis von Kommunen und privaten Dritten, vor allem der Nachbarn von Windkraftanlagen. (1) Kommunen Die von der Genehmigung unmittelbar betroffene Gemeinde (Gebietsgemeinde) kann sich darauf berufen, dass ihre Planungshoheit verletzt ist, wenn die Windenergieanlage ohne das nach § 36 BauGB erforderliche Einvernehmen der Gebietsgemeinde genehmigt worden ist93. Allein schon die Missachtung des Beteiligungsrechts der Gebietsgemeinde führt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zwingend zur Aufhebung der Genehmigung94. Das gemeindliche Abwehrrecht besteht auch dann, wenn das gemeindliche Einvernehmen durch die Genehmigungsbehörde ersetzt worden ist95. Gegen eine Baugenehmigung steht der Gemeinde auch dann ein Abwehrrecht zu, wenn sie sich ausschließlich auf solche Belange beruft, die nicht speziell dem Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind, so etwa auf § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB96. Nach Ansicht von Gatz ergibt sich dies aus folgender Überlegung: Wenn die Gemeinde nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB ihr Einvernehmen aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagen darf, muss es ihr auch möglich sein, sich unter Berufung auf diese Gründe gegen eine Baugenehmigung zu wehren, die unter Ersetzung ihres Einvernehmens erteilt worden ist97. Nachbargemeinden können sich für Klagen gegen eine Anlagengenehmigung ebenfalls grundsätzlich auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG berufen. Allerdings ist hier stärker zu differenzieren. Eine Rechtsbeeinträchtigung durch Einzelanlagen wird in der Literatur verneint, da deren Auswirkungen die Geringfügigkeitsschwelle nicht über93 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 256. 94 BVerwG, Urt. v. 07. 02. 1986 – 4 C 43/83 –, NVwZ 1986, 556 (556 f.). 95 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 257, zu Ausnahmekonstellationen etwa bei kreisfreien Städten, bei denen Gebietsgemeinde und Baugenehmigungsbehörde identisch sind, Appel, in: Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 12 Rn. 19. 96 Siehe BVerwG, Urt. vom 14. 04. 2000 – 4 C 5/99 –, NVwZ 2000, 1048 (1049); BVerwG, Urteil vom 20. 05. 2010 – 4 C 7/09 –, NVwZ 2010, 1561 (1065 f.). 97 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 257.
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schreiten würden98. Bei einer Mehrzahl von Windenergieanlagen soll es darauf ankommen, ob es für die Ansiedlung der Anlagen einer förmlichen Bauleitplanung bedurft hätte, also ein Planungserfordernis bestand. Dies ist nach dem Schrifttum der Fall, wenn ein Vorhaben einen Koordinierungsbedarf auslöst99. Im Falle eines solchen qualifizierten Abstimmungsbedarfs sollen die einer Anlagegenehmigung zugrundeliegenden Zulassungskriterien und –schranken gemäß § 35 Abs. 3 BauGB nicht ausreichend sein; in diesem Fall soll eine Verletzung von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zumindest als möglich erscheinen100. Landkreise besitzen dagegen nach der aktuellen Rechtsprechung weder eine Antrags- noch eine Klagebefugnis im Hinblick auf Anlagegenehmigungen, da i. d. R. weder § 7 Abs. 3 ROG noch § 2 Abs. 2 BauGB analog einschlägig sein sollen101. (2) Private Dritte, vor allem Nachbarn Private Dritte, vor allem die Nachbarn einer oder mehrerer Windkraftanlagen, müssen bei der Anfechtung einer immissionsschutz- oder baurechtlichen Genehmigung gemäß § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen können, dass sie durch die Genehmigung in eigenen Rechten verletzt sind. Eine solche Klagebefugnis ist nach den von der bisherigen Judikatur und der ihr folgenden Literatur entwickelten Nachbarschutzdogmatik (nur) dann gegeben, wenn der Kläger die mögliche Verletzung einer drittschützenden öffentlich-rechtlichen Vorschrift anführen kann und er überdies zu dem von der drittschützenden Norm erfassten Personenkreis gehört102. Das Fallmaterial hierzu ist – gerade mit Blick auf Windkraftanlagen – vielgestaltig. Greift der Eigentümer eines Grundstücks die Genehmigung einer benachbarten Windkraftanlage an, weil er vom Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB in Form von Lärmimmissionen, Schattenwurf oder Lichtreflexionen ausgeht, so ist nach Auffassung der Rechtsprechung und des Schrifttums die Klagebefugnis gegeben, da § 3 Abs. 1 BImSchG wegen der ausdrücklichen Einbeziehung der Nachbarschaft im Normtext als drittschützend anzusehen sei103. Wenn die negativen Auswirkungen nicht den Begriff der Immissionen nach § 3 Abs. 1 BImSchG erfüllen, so ist dennoch 98 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 268. 99 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 269. 100 Vgl. Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 270. 101 Vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12. 02. 2014 – 12 ME 242/13 –, NuR 2014, 720 (721 f.). 102 Vgl. statt vieler Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 42 Rn. 78, 96 ff., 104 ff., sowie Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 251. 103 Siehe Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 251 unter Rückgriff auf VGH Kassel, Beschl. v. 11. 03. 1993 – 3 TH 768/92 –, NVwZ 1993, 1119 (1119) (dort zu Mobilfunkanlagen).
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die Nachbarklage nicht unzulässig, sondern in diesem Fall wird der Drittschutz „über das Gebot der Rücksichtnahme in § 35 III 1 BauGB als unbenannter öffentlicher Belang vermittelt“104. Als drittschützend – auch und gerade mit Blick auf Windkraftanlagen – wurden des Weiteren die bauordnungsrechtlichen Bestimmungen über freizuhaltende Abstandsflächen anerkannt105. Ebenfalls als drittschützend eingestuft wurden die Denkmalschutzgesetze der Länder, wenn der Kläger selbst Eigentümer eines Denkmals ist und die Denkmalwürdigkeit seines Anwesens möglicherweise durch eine Windkraftanlage erheblich beeinträchtigt wird106. Keinen Drittschutz eröffnen hingegen die Belange des Orts- und Landschaftsbildes nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB107 und die Vorschriften über die örtliche und sachliche Zuständigkeit der entscheidenden Behörden108 sowie die Normen über die formelle Genehmigungsbedürftigkeit von Vorhaben, die Verfahrensbeteiligung von Nachbarn und die Umweltverträglichkeitsprüfung109. bb) Klagebefugnis von Verbänden Die Klagebefugnis von Verbänden gegen Genehmigungsentscheidungen bemisst sich – wie schon mehrfach erwähnt – nunmehr vorrangig nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz, dem UmwRG. Sofern es sich um einen Verband nach § 3 dieses Gesetzes handelt, kann dieser – wie oben schon erwähnt – nach § 1 UmwRG ohne Nachweis einer Verletzung in eigenen Rechten Rechtsbehelfe einlegen gegen „1. Entscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach a) dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, b) der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder c) landesrechtlichen Vorschriften eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann; 2. Genehmigungen für Anlagen, die nach der Spalte 1 des Anhangs der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen einer Genehmigung bedürfen, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 104
Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 251. 105 Siehe Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 251. 106 VGH München, Urt. v. 25. 06. 2013 – 22 B 11.701 –, NuR 2014, 292 (292 f.). 107 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 251. 108 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 253. 109 Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch Baurecht (Stand: Juli 2015), Z V (Windenergieanlagen), Rn. 254.
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Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. L 24 vom 29. 1. 2008, S. 8) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes; 3. Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz.“
Was bedeutet dies mit Blick auf Anlagengenehmigungen konkret? Für Windkraftanlagen, deren Höhe 50 m nicht überschreiten, ist nach § 3 Abs. 1 i.V.m. Nummer 1.6 der Anlage 1 zum UVPG keine UVP-Pflicht vorgesehen, nicht einmal als allgemeine Vorprüfung des Standorts. Auch unterfallen die Anlagen nicht der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen, der 4. BImSchV. Damit ist das UmwRG für diese Windkraftanlagen nicht anwendbar, und es gelten die allgemeinen Regeln nach § 42 Abs. 2 VwGO. Verbände sind daher hinsichtlich solcher Windkraftanlagen nur dann klagebefugt, wenn sie eigene subjektive Rechte i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen können, was kaum der Fall sein dürfte. Anders liegt die Sache, wenn die Anlage nach Immissionsschutzrecht zu genehmigen ist. Hier kann ein Verband nach dem UmwRG Rechtsbehelfe einlegen110. Nach der Trianel-Entscheidung des EuGH ist auch der Rügeumfang nicht mehr beschränkt, jegliche Verletzung von Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Umwelt dienen, kann von Verbänden im Sinne des § 3 UmwRG gerügt werden111. Von Bedeutung in diesem Kontext ist insbesondere die mögliche Verletzung der Vorschriften zum Schutz wildlebender Arten nach dem BNatSchG112. 3. Materiell-rechtliche Fragen mit Blick auf die Anfechtungsklage Die Genehmigung ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nach den jeweiligen Genehmigungstatbeständen – also entweder §§ 6 und 4 BImSchG bzw. Art. 59 oder 60 BayBO – nicht vorlagen113. 110
Siehe z. B. VG Düsseldorf, Urt. v. 11. 07. 2013 – 11 K 2057/11 –, NuR 2014, 584 (584). Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 05. 2011 – EuGHC-115/09 –, NVwZ 2011, 801 (802 ff.) mit zustimmender Anmerkung von Schlacke, NVwZ 2011, 804 (804 ff.). Zu beachten ist daneben aber die Rügepflicht nach § 2 Abs. 3 UmwRG. Wird sie nicht beachtet, ist die Vereinigung mit ihren Einwendungen im Verwaltungsprozess präkludiert, siehe zu einem solchen Fall OVG Magdeburg, Beschl. v. 21. 03. 2013 – 2 M 154/12 –, NuR 2013, 507 (509). Diese Präklusionsregelung ist jetzt aber ihrerseits als unionsrechtswidrig eingestuft worden, vgl. EuGH, Urt. v. 15. 10. 2015 – C-137/14 – NVwZ 2015, 1665 (1669 ff.) mit Anmerkung von Keller/Rövekamp, NVwZ 2015, 1672 (1672 ff.). 112 Vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 21. 03. 2013 – 2 M 154/12 –, NuR 2013, 507 (511 ff.); VG Düsseldorf, Urt. v. 11. 07. 2013 – 11 K 2057/11 –, NuR 2014, 584 (584). 113 Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 6 Rn. 75 i.V.m. 74; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 15. Zur Bedeutung insb. naturschutzrechtlicher Vorschriften siehe z. B. VG Düsseldorf, Urt. v. 11. 07. 2013 – 11 K 2057/11 –, NuR 2014, 584 (584 ff.). 111
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IV. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Betrieb der Windkraftanlagen Gegen den Betrieb einer Anlage können privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Rechtsschutzoptionen greifen. 1. Die Bedeutung der Art der Genehmigung für privatrechtliche Klagen Für den Erfolg einer privatrechtlichen Klage gegen den Betrieb einer Windkraftanlage spielt die Art der Genehmigung eine wesentliche Rolle. Es macht rechtlich einen erheblichen Unterschied, ob eine baurechtliche oder immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorliegt114. Dies liegt an der gesetzlichen Regelung des § 14 Satz 1 BImSchG, der jedenfalls privatrechtliche Ansprüche auf Einstellung des genehmigungskonformen Betriebes beim Vorliegen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ausschließt115; so genannte privatrechtsgestaltende Wirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung116. Verlangt werden können nur Vorkehrungen, die benachteiligende Wirkungen ausschließen, und dies nach § 14 Satz 1 BImSchG auch nur dann, wenn dies wirtschaftlich vertretbar und technisch durchführbar ist117. Eine derartige Ausschlusswirkung ist der Baugenehmigung nicht eigen. Ihr wird – anders als der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung – keine privatrechtsgestaltende Wirkung zuerkannt118. Damit sind deliktische und sachenrechtliche Ansprüche nach BGB nicht prinzipiell ausgeschlossen. Sie sind letztendlich aber schwierig durchzusetzen. In aller Kürze lässt sich dazu folgendes sagen: Für sachenrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche ist § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB von Bedeutung, der jedenfalls bei grenzwertkonformem Betrieb Ansprüche ausschließt119. Gegenüber deliktischen Ansprüchen entfaltet die Baugenehmigung 114 Für Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern, für die bis zum 1. Juli 2005 Baugenehmigungen erteilt worden sind, gilt die Übergangsvorschrift des § 67 Abs. 9 BImSchG. Danach gelten die nach früherem Recht erteilten Baugenehmigungen als Genehmigungen nach dem BImSchG; auch ihnen kommt daher die privatrechtsgestaltende Wirkung nach § 14 Satz 1 BImSchG zu. 115 Siehe Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 14 Rn. 7, 8 ff. Die Ausschlusswirkung besteht nach dem Gesetzeswortlaut nur nicht gegenüber auf besonderen Titeln beruhenden Ansprüchen, dazu näher Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 14 Rn. 10. 116 Dazu statt vieler Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 14 Rn. 1, 8 ff. 117 Näher Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 14 Rn. 12 ff. 118 Vgl. allgemein Ewer, in: Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 27 Rn. 51; Finkelnburg/Ortloff/Otto, Öffentliches Baurecht II, 6. Aufl. 2010, S. 128 f.; speziell zu Bayern Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 68 Rn. 50. 119 Vgl. Ewer, in: Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 27 Rn. 51; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 68 Rn. 54; ferner Bassenge, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 906 Rn. 20.
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eine Rechtfertigungswirkung, solange und soweit die Vorgaben der Baugenehmigung eingehalten werden120. 2. Öffentlich-rechtliche Rechtsschutzoptionen von Nachbarn und Verbänden Gegen den Betrieb einer Anlage können Nachbarn im Falle von Störungen durch die Windkraftanlage Verpflichtungsklage auf Erlass von Schutzmaßnahmen oder sogar auf Aufhebung der Genehmigung erheben. a) Eingriffsermächtigungen gegen den Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen Immissionsschutzrechtlich sind Klagen von Nachbarn auf nachträgliche Anordnungen, § 17 BImSchG121, sowie auf Untersagung, Stilllegung oder Beseitigung, § 20 BImSchG122, bei genehmigungsbedürftigen Anlagen denkbar. Dies allerdings nur, wenn der Betreiber gegen Auflagen verstößt oder normativen Pflichten nicht nachkommt123. Der genehmigungskonforme Betrieb lässt sich hingegen nicht unterbinden124. Hier ergeben sich auch keine Möglichkeiten des Widerrufs nach § 21 BImSchG125. b) Eingriffsermächtigungen gegen den Betrieb immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen Bei immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, also Windkraftanlagen, die nach Baurecht genehmigt worden sind, stehen Maßnahmen nach § 24 BImSchG oder § 25 BImSchG neben bauordnungsrechtlichen Anordnungen zur Verfügung, da Eingriffsbefugnisse nach Immissionsschutz- und Baurecht konkurrieren126. Nachbarn können daher eine Verpflichtungsklage auf Erlass derartiger Maßnahmen erheben, wenn drittschützende Vorschriften verletzt worden sind. Allerdings ist auch in diesem Fall der genehmigungskonforme Betrieb geschützt.
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Vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 68 Rn. 51. Dazu näher Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 17 Rn. 83. 122 Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 20 Rn. 20 und 44. 123 Siehe Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 20 Rn. 10 ff. 124 Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 20 Rn. 9: Für Untersagung ist eine Pflichtverletzung erforderlich. 125 Zu den Widerrufsgründen nach § 21 BImSchG Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 21 Rn. 7 ff. 126 Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 24 Rn. 2 i.V.m. Rn. 23, sowie Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 25 Rn. 1 f. i.V.m. 28. 121
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Verpflichtungsklagen können auch auf den Erlass von bauordnungsrechtlichen Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO gerichtet sein127. Dies insbesondere dann, wenn die Anlagen nicht ordentlich gewartet werden. Allerdings ist hier die Einschränkung des Art. 54 Abs. 4 BayBO beachtlich, so dass Anforderungen bei genehmigten Anlagen nur zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit erlassen werden können. c) Klagebefugnis Dritter und von Verbänden Für die Klagebefugnis gilt in diesen Fällen, dass die anspruchsbegründenden Normen drittschützenden Charakter aufweisen müssen. Für die Eingriffsermächtigungen der BayBO ist eine drittschützende Funktion anerkannt128. Für die immissionsschutzrechtlichen Tatbestände ist dies im Grundsatz ebenfalls anerkannt, soweit mit ihnen Rechtsvorschriften durchgesetzt werden sollen, die auch zum Schutz Dritter erlassen wurden129. Dies ist für die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG allgemein akzeptiert130, nicht aber für die Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG131. Dritte können also zumindest eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über Maßnahmen nach §§ 17, 20 BImSchG sowie §§ 24, 25 BImSchG verlangen, wenn eine Schutzpflichtverletzung als möglich erscheint. Für Verbände nach § 3 UmwRG kommen die Erleichterungen des UmwRG mit Blick auf die Klagebefugnis i. d. R. nicht zum Tragen, weil es nicht mehr um die Zulässigkeit von Vorhaben oder die Genehmigung geht, sondern nur noch um die Überwachung des Betriebes. Diese Konstellation ist von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG nicht mehr erfasst132. Etwas anderes gilt aber gemäß § 17 Abs. 1a BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG für nachträgliche Anordnungen bei Anlagen nach der In-
127 Keine Verdrängung bauordnungsrechtlicher Ermächtigungen durch das Immissionsschutzrecht im Fall nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen, so BVerwG, Beschl. v. 09. 03. 1988 – 7 B 34/88 –, NJW 1988, 2552 (2552); Koch-König, in: Führ, GK-BImSchG, § 24 Rn. 42; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 24 Rn. 2; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 54 Rn. 13. 128 Vgl. zum drittschützenden Charakter der bauordnungsrechtlichen Eingriffsermächtigungen allgemein Finkelnburg/Ortloff/Otto, Öffentliches Baurecht II, 6. Aufl. 2010, S. 260 f., speziell zum drittschützenden Charakter der bauordnungsrechtlichen Eingriffsermächtigungen der Art. 74 – 76 BayBO und Art. 54 Abs. 2 BayBO näher Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 54 Rn. 20 ff. 129 Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 17 Rn. 83, § 20 Rn. 20 u. 44, § 24 Rn. 23 und § 25 Rn. 28. 130 BVerwG, Beschl. v. 07. 09. 1988 – 4 N 1/87 –, BVerwGE 80, 184 (189); Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 133, § 17 Rn. 83 131 Siehe BVerwG, Urt. v. 18. 05. 1982 – 7 C 42/80 –, BVerwGE 65, 313 (320); BVerwG, Urt. v. 11. 12. 2003 – 7 C 19/02 –, BVerwGE 119, 329 (332); Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 134, § 17 Rn. 83. 132 Vgl. Bunge, UmwRG, § 1 Rn. 51 f.
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dustrieemissionsrichtlinie, hier ist das UmwRG anwendbar133. Allerdings bleiben Windkraftanlagen in dieser Richtlinie außen vor. In der Sache haben Klagen, insbesondere auf Betriebsuntersagung, nur dann Erfolg, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Eingriffsermächtigungen gegeben sind und zugleich eine Ermessensreduktion auf Null gegeben ist134. Dies dürfte in der Regel nie der Fall sein, weil durch Auflagen oder nachträgliche Anordnungen fast immer ein rechtskonformer Betrieb herzustellen ist. Da hilft dann nur eins: sich mit der Anlage abfinden und den Betrieb ertragen.
V. Fazit Damit bin ich am Ende meiner tour d’horizon zu den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen On-Shore-Windkraftanlagen angelangt. Als Fazit lässt sich folgendes festhalten: Meine Betrachtungen haben gezeigt, dass Pläne durchaus mit Erfolg von Kommunen, Eigentümern oder Nachbarn sowie Verbänden angegriffen werden können. Auch Verwaltungsakte in Gestalt von bau- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen sind einer umfassenden verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich. Weniger erfolgversprechend sind hingegen Klagen gegen den Betrieb von Anlagen. Dies gilt besonders mit Blick auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen, aber auch für Anlagen, die nach § 30 BauGB oder § 35 BauGB planungsrechtlich zulässig sind. Ein persönliches Wort zum Schluss. Jenseits aller Klimaschutzromantik sollte nicht übersehen werden, dass mit der Ansiedlung von Windkraftanlagen handfeste wirtschaftliche Interessen verbunden sind. Mit Windkraft lässt sich Geld, ja sogar viel Geld verdienen. Nicht ohne Grund wird deshalb in Wirtschaftsmagazinen für Investitionen in Windkraft geworben. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, dass es auch andere, wichtige und zu schützende Güter gibt. Hierzu zählen ganz sicher die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen, aber auch die Unberührtheit von Natur und Landschaft und die Lebensräume wildlebender Arten. Vielen Dank!
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Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 17 Rn. 84; Bunge, UmwRG, § 1 Rn. 53 f. Zur Ermessensreduktion im Baurecht vgl. Finkelnburg/Ortloff/Otto, Öffentliches Baurecht II, 6. Aufl. 2010, S. 261 ff. 134
Tagungsbericht Von Johannes Grell, Würzburg1 Die Umsetzung der Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien wurde in der Regierungserklärung vom 9. 6. 2011 als „Herkulesaufgabe“ bezeichnet. Von der Gültigkeit dieser These in juristischer Hinsicht konnte man sich im Rahmen der Tagung „Rechtsfragen der Windkraft zu Lande und zur See“ am 26. und 27. 4. 2013 der Universität Würzburg überzeugen. Die Windkraft gilt als tragender Pfeiler der Energiewende und so konnten sich die veranstaltenden Professoren Brinktrine, Harke, Ludwigs und Remien sowohl eines namhaften Engagements im Rednerkollegium aus Wissenschaft und Praxis erfreuen als auch einer regen Beteiligung im Auditorium. Während der erste Tag dem Themenkomplex Off-Shore gewidmet war, wurde am zweiten Tag die Aufmerksamkeit vorwiegend auf die Windkraft zu Lande (On-Shore) gelenkt.
I. Einleitung Die Eröffnung der Tagung erfolgte durch den Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg Prof. Dr. Oliver Remien. Hierbei wies er auf geschichtliche Spuren der Windkraft im preußischen ALR oder im französischen Code Civil hin und hob dadurch die gewachsene Bedeutung der Windenergie hervor. Den methodischen Rahmen der Tagung umschrieb der Vizepräsident der Universität Würzburg Prof. Dr. Eckhard Pache in seinem Grußwort. Dabei thematisierte er den Nutzen intradisziplinärer Perspektiven, mithin die Problemlösung von verschiedenen juristischen Seiten, für die Erfassung der mit der Windkraft zusammenhängenden Rechtsfragen. Schließlich ging Prof. Dr. Ralf Brinktrine (Universität Würzburg) mit seiner Einführung in das Tagungsthema einen weiteren Schritt voran und bereitete das Auditorium auf Problematiken des internationalen Rechts im Off-Shore-Bereich sowie auf Schwierigkeiten und Aufgaben von Planung und Genehmigung bei der OnShore-Windkraft vor.
1 Nachfolgend handelt es sich um eine geringfügig veränderte Fassung des Tagungsberichts aus EWS 2013, 284.
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II. Off-Shore-Windkraft (Windkraft zur See) 1. Das auf Off-Shore-Windkraft anwendbare Recht Die Hinführung zu den Grundlagen der Off-Shore-Thematik bestritt Prof. Dr. Wolfgang Wurmnest (Universität Augsburg). Er sprach über „Das auf Off-ShoreWindkraft anwendbare Recht“, wobei er sich an der eingangs angesprochenen intradisziplinären Methodik orientierte und sein Thema aus völkerrechtlicher, verfassungs- und verwaltungsrechtlicher sowie aus privatrechtlicher Sicht beleuchtete. Zunächst wies er darauf hin, dass Off-Shore-Windanlagen vorwiegend in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) errichtet werden. Völkerrechtlich betrachtet ist die AWZ kein hoheitliches Gewässer, sondern lediglich ein sog. Funktionshoheitsraum. Im Mittelpunkt des Vortrags stand daher die Herbeiführung der Geltung deutschen Rechts in der AWZ. Während im Verwaltungsrecht von gesetzlichen Erstreckungsklauseln Gebrauch gemacht wird, gibt es im Zivilrecht derartige Klauseln nicht. Für eine Lösung wäre der Bundesgesetzgeber gefordert. Man könnte aber auch eine individuelle Erstreckung auf Einzelnormen erwägen. Der Referent hingegen rückte die Anwendung von Internationalem Privatrecht in den Vordergrund. Das IPR stelle ein umfassendes Kollisionsrecht für Fälle mit Auslandsbezug zur Verfügung. Insbesondere könne man nicht vorbringen, dass aufgrund der völkerrechtlich gewährleisteten Hoheitsbefugnisse in der AWZ kein Auslandsbezug vorliege. Speziell für das Sachenrecht ging der Referent auf Art. 43 Abs. 1 EGBGB ein. Danach ist das Recht des Staates ausschlaggebend, in der die Sache belegen ist. Da die AWZ kein Hoheitsgebiet ist, bleiben etwa eigentumsrechtliche Verhältnisse an Windkraftanlagen ungeklärt. Vor diesem Hintergrund besteht, so Wurmnest, einerseits die Möglichkeit einer weiten Auslegung von Art. 43 Abs. 1 EGBGB auch auf das Gebiet der AWZ, andererseits die Möglichkeit einer Analogie. 2. Aktuelle Rechtsfragen bei der Genehmigung von Off-Shore-Windparks Im Anschluss befasste sich RA Dr. Gero von Daniels (Kanzlei Freshfield Bruckhaus Deringer, Berlin) mit dem Thema „Aktuelle Rechtsfragen bei der Genehmigung von Off-Shore-Windparks“ und wies im Ausgangspunkt darauf hin, dass die Seeanlagenverordnung (SeeAnlV) die maßgeblichen Vorschriften für das Genehmigungsverfahren von Off-Shore-Windkraftanlagen beinhaltet. Danach wird die Genehmigung durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Form eines Planfeststellungsbeschlusses erteilt. Das Fachplanungsrecht war im Rahmen einer Novellierung im Jahr 2012 in die SeeAnlV mit dem Ziel der Beschleunigung der bisherigen Verfahrenspraxis eingeführt worden. Nach Auffassung des Referenten ist es bezüglich der neuen Gesetzeslage als problematisch anzusehen, dass das BSH bei der Prüfung der Planfeststellung Kriterien des alten Verfahrensrechts nach § 5 SeeAnlV a.F. berücksichtige. Die Zulässigkeit
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dieser Prüfungspraxis bildete den Kern der weiteren Erläuterungen. Zwar statuiere § 4 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SeeAnlV das Gebot möglichst zügiger Umsetzung der Anschließung. Auch gewähre die Norm in gewissem Umfang die Freiheit, selbständige Kriterien hinsichtlich der Reihenfolge der Antragsbearbeitung zu erstellen, wofür die Nähe der Windkraftanlage zur Küste und zu Stromnetzen maßgeblich sei (§ 4 Abs. 4 Satz 2 SeeAnlV). Jedoch könne, so von Daniels, das BSH nicht ohne weiteres eigene Kriterien erstellen. Denn zum einen würden durch § 4 Abs. 4 S. 1 SeeAnlV lediglich Ministerien ermächtigt, nicht das BSH. Zum anderen könne das Merkmal der Küstennähe aus Gründen der Praktikabilität nicht immer zwingend herangezogen werden. 3. Genehmigung nach der Seeanlagenverordnung als Gegenstand vermögensrechtlicher Verfügungen Im Mittelpunkt des Referats von RA Dr. Daniel Reichert-Facilides (Kanzlei Freshfield Bruckhaus Deringer, Frankfurt) zur „Genehmigung nach der Seeanlagenverordnung als Gegenstand vermögensrechtlicher Verfügungen“ stand die Frage, ob eine Übertragung des Planfeststellungsbeschlusses (PFB) für eine Windkraftanlage möglich ist. Wirtschaftliche Gründe für die Fragestellung sind die lange Dauer bis zur Inbetriebnahme der Windkraftanlage sowie die hohen, überwiegend fremdkapitalisierten Kosten. Die Einzelrechtsnachfolge in einen Verwaltungsakt, hier der PFB, bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Der Referent betonte, dass diese nicht ausdrücklich formuliert sein müsse. Es genüge eine konkludente Ermächtigung. Eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Übertragbarkeit eines PFB für Windkraftanlagen existiere nicht. Zu beachten sei jedoch § 15 SeeAnlV, der sich mit den verantwortlichen Personen einer Windkraftanlage beschäftigt und zwischen dem Adressaten des PFB und dem Betreiber der Anlage unterscheidet. Nach § 15 Abs. 5 Satz 1 SeeAnlV besteht eine Anzeigepflicht des Adressaten des PFB, wenn dieser auf einen anderen übertragen wird. Demnach werde die Übertragbarkeit hier vorausgesetzt. Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 SeeAnlV gilt das Gleiche für den Betreiber, wenn der Betrieb der Anlage auf eine andere Person übertragen wird. Fraglich sei, ob die Betreibereigenschaft aus der Rechtsstellung des Adressaten der Planfeststellung folgt oder aus zivilrechtlicher Berechtigung. Der Rechtsprechung lasse sich entnehmen, dass eine isolierte Übertragung der Planfeststellung nur bis zum Zeitpunkt ihrer Ausnutzung möglich ist. Für diesen Zeitraum schlägt der Referent eine Verpfändung der Planfeststellung vor. Zwar gebe es hierzu keine unmittelbare Rechtsprechung, immerhin lasse sich aber eine Entscheidung des BGH zur Verpfändung von Milchquoten entsprechend heranziehen.
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4. Anschluss- und Ausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber – nationales und europäisches Recht einschließlich Enforcement im Vergleich Anschließend widmete sich Prof. Dr. Dr. Peter Salje (Universität Hannover) den „Anschluss- und Ausbaupflichten der Übertragungsnetzbetreiber im Hinblick auf Off-Shore-Windenergieanlagen – nationales und europäisches Recht einschließlich Enforcement im Vergleich“. Durch die EnWG-Novelle 2012 vollzog sich bei der OffShore-Netzanbindung ein Systemwechsel. Nach § 17 Abs. 2a EnWG a.F. musste der Anschluss zur Verfügung stehen, sobald der Windpark errichtet war. Der für die Nordsee zuständige Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) war jedoch infolge finanzieller und technischer Schwierigkeiten nicht in der Lage, diese Anforderungen zu erfüllen. Als Reaktion hierauf statuiert § 17d Abs. 1 EnWG n.F. nunmehr eine strikte Bindung des ÜNB an den Off-Shore-Netzentwicklungsplan. Ein materieller Anspruch auf Netzanschluss besteht erst nach Fertigstellung der Leitung. Darin sieht der Referent kritisch einen Systemwechsel hin zu planwirtschaftlichen Zügen. Zudem stellt § 17d Abs. 1 EnWG n.F. den ÜNB in weitem Umfang vom unternehmerischen Risiko der rechtzeitigen Netzanbindung frei. Insofern setzt § 17d Abs. 2 ff. EnWG n.F. eine Reihe von Einzelregelungen fest, die den ÜNB zur Einhaltung von Netzanschlussterminen anhalten sollen. Daneben statuiert § 65 Abs. 2 bis 4 EnWG Sanktionsmöglichkeiten gegen den ÜNB. Alternativ zu diesem System unterbreitete der Referent den Vorschlag einer Ausschreibung einzelner Sammelanbindungen. 5. Zivilrechtliche Haftungsfragen Im Fokus des Vortrags „Zivilrechtliche Haftungsfragen bei Off-Shore-Windenergieanlagen von Prof. Dr. Christoph Thole (Universität Tübingen) stand die Haftung des ÜNB gegenüber dem Betreiber einer Windenergieanlage für die gestörte oder verzögerte Netzanbindung. Die entsprechende Regelung findet sich nach der EnWG-Novelle 2012 in § 17e Abs. 1 und 2 EnWG n.F. Im bisherigen Recht existierte keine ausdrückliche Regelung. Lösungswege wie die Anwendung der §§ 280 ff. BGB oder § 17 Abs. 2a EnWG a.F. i.V.m. § 32 Abs. 3 EnWG waren umstritten. Nunmehr, so der Referent, statuiere § 17e Abs. 1 EnWG einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch für die gestörte Netzanbindung. Ein solcher Fall liegt vor, wenn die Einspeisung aus einer betriebsbereiten Off-Shore-Anlage länger als zehn aufeinander folgende Tage nicht möglich ist (Sätze 1, 2). Soweit Störungen an mehr als 18 Tagen im Kalenderjahr auftreten, besteht der Anspruch ab dem 19. Tag im Kalenderjahr (S. 3). Bei Vorsatz des ÜNB besteht der Anspruch von Beginn an. Eine verzögerte Netzanbindung nach § 17e Abs. 2 EnWG liegt vor, wenn die Einspeisung aus einer betriebsbereiten Off-Shore-Anlage nicht möglich ist, weil die Netzanbindung zum verbindlichen Zeitpunkt nach § 17d Abs. 2 Satz 3 EnWG nicht besteht. Insofern besteht ein Anspruch auf Entschädigung nach § 17e Abs. 1 Satz 1, 2
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EnWG. Die Höhe der Entschädigung beträgt 90 % der Einspeisungsvergütung, 100 % bei Vorsatz des ÜNB. Schließlich wies Thole darauf hin, dass § 17 f Abs. 5 EnWG dem ÜNB nun die Möglichkeit einräumt, wesentliche Teile seiner Haftung auf den Verbraucher umzulegen, um so die Handlungsfähigkeit des ÜNB hinsichtlich der Umsetzung des Netzausbaus und angesichts hoher Haftungsrisiken zu stärken. Der Referent steht dem eher skeptisch gegenüber, da die haftungsrechtlichen Anreize des Netzbetreibers gesunken seien. Prof. Dr. Jan Dirk Harke (Universität Würzburg) schloss den ersten Tagungskomplex mit einem kurzen Fazit und lud anschließend zum Empfang in die alte Augenklinik der Universität Würzburg. 6. Rechtsfragen des Off-Shore-Netzentwicklungsplans Den zweiten Tagungsabschnitt leitete Dr. Thorsten Prieß (Bundesnetzagentur) zum Thema „Rechtsfragen des Off-Shore-Netzentwicklungsplans“ ein, womit er zugleich den Schlusspunkt zum Komplex der Hochsee-Windkraft setzte. Der Off-Shore-Netzentwicklungsplan (NEP) ist ein von der Bundesnetzagentur und den ÜNB erarbeiteter Plan zum Ausbau der Anschlussnetze in der AWZ und dem Küstenmeer, einschließlich der Netzanknüpfungspunkte an Land. Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 EnWG erarbeiten die ÜNB jährlich einen gemeinsamen Szenariorahmen, der Grundlage für die Erarbeitung des NEP im darauffolgenden Jahr ist. Der Szenariorahmen beinhaltet mittel- und langfristige Entwicklungsprognosen der Umsetzung energiepolitsicher Ziele. Die Genehmigung des Szenariorahmens erfolgt in der Praxis am Ende des Jahres. Nach § 17b Abs. 1 Satz 1 EnWG legen die Übertragungsnetzbetreiber jährlich am 3.3. einen gemeinsamen NEP zur Bestätigung vor. Diese erfolgt ebenfalls am Ende des Jahres. Für die Planungsprozesse ergibt sich ein besonderes Problem: Derzeit erfolge parallel zur Vorlage des NEP 2013 auch die Vorlage des Szenariorahmens zum NEP 2014. Um den ÜNB die Vorlage des NEP des nächsten Jahres zu ermöglichen, sei es in der Praxis erforderlich, dass die Genehmigung des Szenariorahmens zeitlich vom Ende des Jahres nach vorne verlegt werde. Dadurch kann es zu abweichenden Inhalten zwischen dem Szenariorahmen 2014 und dem NEP 2013 kommen, weil durch den vorverlegten Szenariorahmen 2014 neue Regelungen getroffen werden, noch bevor das Verfahren zum NEP 2013 abgeschlossen ist. Die Auflösung dieses Konflikts stellte Prieß zur Diskussion, hofft aber auch auf eine über die Tagung hinausgehende konstruktive Unterstützung der Bundesnetzagentur in Form rechtlicher Stellungnahmen.
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III. On-Shore-Windkraft (Windkraft zu Lande) 1. Die Steuerung der Windkraftnutzung – Möglichkeiten und Grenzen Den einleitenden Vortrag zum Themenkomplex der Windkraft zu Lande übernahm Dipl.-Ing. Brigitte Ziegra-Schwärzer (Regierung von Unterfranken, Würzburg). Schon am beachtlichen Umfang ihres Vortrags „Die Steuerung der Windkraftnutzung – Möglichkeiten und Grenzen“ zeigte sich, wie sehr Möglichkeiten und Grenzen der Planung miteinander in Konflikt stehen. Die Referentin sieht die Aufgabe der Regionalplanung darin, widerstreitende Interessen von vornherein so abzuwägen, dass möglichst wenig Konfliktpotential in der Praxis verbleibt. Im Einzelnen sei hinsichtlich der Realisierbarkeit von Vorhaben neben Gebietskulissen zur Einschätzung von Windvorkommen ebenso das Ziel einer möglichst breiten Akzeptanz beim Bürger zu berücksichtigen. Der Flächenbedarf stehe zudem unter der Einschränkung von Natur- und Artenschutz. Hier hob ZiegraSchwärzer die Bestrebung hervor, Naturschutzgebiete von der Windkraft unberührt zu lassen. Beziehe man schließlich den Schutz der Bürger sowie des Landschaftsbildes vor negativen Einwirkungen in die Regionalplanung ein, verbleibe bei weitgehender Beachtung aller Belange eine verhältnismäßig kleine Fläche für den Bau von Windkraftanlagen. Diese entspreche häufig nicht den Wünschen der Windkraftbetreiber. Zwar müsse der Regionalplan die überörtliche Sichtweise bewahren, man sei aber stets darauf bedacht, Einzelbelangen ein möglichst hohes Maß an Bedeutung zukommen zu lassen. 2. Rechtsprobleme der Genehmigung Einen anderen Akzent setzte RA Wolfgang Baumann (Kanzlei Baumann-Rechtsanwälte, Würzburg) mit seiner Untersuchung zu den „Rechtsprobleme[n] der Genehmigung von Windkraftanlagen“. Aus anwaltlicher Perspektive hob er die Möglichkeit hervor, Konflikte in Bezug auf Windkraftanlagen auf Genehmigungsebene zu lösen anstatt vorab durch aufwendige Planung. Im Rahmen seines Vortrags zeigte er Belange der Genehmigungsabwägung auf, welche ebenso gut zur Bewältigung der Anforderungen an Windkraftanlagen herangezogen werden könnten wie die Regionalplanung. Die Genehmigung der Windkraftanlagen unterteilt sich in die baurechtliche und die immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Neben den einzelnen Voraussetzungen stellte der Referent vor allem die Verzahnung der Genehmigungen heraus. Der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf es bei Windkraftanlagen über 50 m (§ 4 BImSchG i.V.m. Ziff. 1.6. Spalte 2 Anhang zur 4. BImSchV). Windkraftanlagen unter dieser Höhe bedürfen lediglich der Baugenehmigung. Nach § 13 BImSchG entfaltet die immissionsschutzrechtliche Genehmigung Konzentrationswirkung.
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3. Aktuelle Rechtsfragen der Onshore-Windkraft in der Rechtsprechung des BVerwG Im Anschluss informierte RiBVerwG Helmut Petz (Bundesverwaltungsgericht, Leipzig) über „Aktuelle Rechtsfragen der On-Shore-Windkraft in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts“. Einen Schwerpunkt des Vortrags bildete eine aktuelle Entscheidung des BVerwG vom 13. Dezember 2012 (Az. 4 CN 1.11). Sie befasst sich mit dem Aspekt des substantiellen Raumverschaffens für Windkraftanlagen durch Planung. § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 3 BauGB räumt die Möglichkeit ein, Standorte von Windkraftanlagen durch den Flächennutzungsplan zu steuern. Das darf jedoch nicht zu Verhinderungsplanungen führen. Vielmehr ist ein schlüssiges gesamträumliches Plankonzept erforderlich. Die Ausarbeitung des Plankonzepts erfolgt abschnittsweise. Zunächst sind diejenigen Flächen zu ermitteln, welche für die Nutzung der Windkraft nicht zur Verfügung stehen. Dabei wird zwischen „harten“ und „weichen“ Tabuzonen unterschieden. Harte Tabuzonen sind Flächen, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für die Windkraftnutzung schlechthin ungeeignet sind. Weiche Tabuzonen werden hingegen nach dem Willen des Planers von vornherein ausgeschlossen. Nach Abzug der harten und weichen Tabuzonen vom Plangebiet unterfallen die verbleibenden Potentialflächen der Abwägung öffentlicher, der Windkraft entgegenstehender Belange. Petz wies auf das Erfordernis einer Unterscheidung zwischen harten und weichen Tabuzonen wegen unterschiedlicher Stoßrichtungen hin. So seien harte Tabuzonen Inhalt der Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, weiche Tabuzonen hingegen Teil der Abwägung, jedoch nicht als eigenständige bauplanungsrechtliche Kategorie. Sie sind in der Abwägung erneut heranzuziehen, wenn sich aus den Potentialflächen kein Raum für Windkraftanlagen ergibt. Die Entscheidung des Planers für eine weiche Tabuzone bedürfe der Rechtfertigung. Die Beachtung dieses Erfordernisses mahnte der Referent deutlich an.
4. Rechtsschutz gegen On-Shore-Windkraftanlagen aus Sicht der Kommunen, privater Dritter, Umweltverbände und Konkurrenten Mit dem Thema „Rechtsschutz gegen On-Shore-Windkraftanlagen aus Sicht der Kommunen, privater Dritter, Umweltverbände und Konkurrenten“ läutete Prof. Dr. Ralf Brinktrine den Abschluss der Tagung ein. Dabei lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Antrags- bzw. Klagebefugnis der einzelnen Rechtsschutzsuchenden gegen Regionalplan, Flächennutzungsplan sowie Bebauungsplan. Schwerpunkte lagen auf dem umstrittenen Rechtsschutz Privater gegen den Regionalplan sowie auf der Möglichkeit von Umweltverbänden, aufgrund des UmwRG ohne eigene Antragsbefugnis gegen Flächennutzungspläne und Bebauungspläne vorzugehen. Anschließend widmete sich der Referent dem Rechtsschutz gegen Baugenehmigungen. Die Klagebefugnis einer Nachbargemeinde sei von den Wirkungen der Windkraftanlage ab-
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hängig. Dies hänge mit der Überschreitung einer Geringfügigkeitsgrenze – abhängig insbesondere von der Anzahl der Anlagen – zusammen. Private hingegen bedürfen einer drittschützenden Norm. Eine Berufung auf das Orts- oder Landschaftsbild sowie auf Naturschutzaspekte sei nicht möglich. Ein alternativer verfahrensrechtlicher Weg führe über eine Verpflichtungsklage gegen die Verwaltung. Diese habe aber nur Aussicht auf Erfolg bei einer Ermessensreduzierung auf Null. Davon abzugrenzen war ein zivilrechtliches Vorgehen über § 1004 BGB, was nach Ansicht des Referenten jedoch geringe Erfolgsaussichten habe.
IV. Resümee In seinem Schlusswort verband Prof. Dr. Markus Ludwigs (Universität Würzburg) den Dank an alle Beteiligten der Tagung mit dem Hinweis auf eine für den Oktober 2013 geplante weitere Veranstaltung zum „Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende“ (Tagungsband im Jahr 2014 erschienen als Band 2 der Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht im Verlag Duncker & Humblot). Rückblickend auf die thematisch vielfältigen Referate lässt sich feststellen, dass rechtliche Probleme der Windkraft nicht immer durch öffentlich-rechtliche oder zivilrechtliche Instrumente allein zu lösen sind. Vielmehr bedarf es unter dem Aspekt der intradisziplinären Methodik häufig einer konstruktiven Zusammenschau unterschiedlicher Rechtsgebiete. Dies in Verbindung mit der Tatsache, dass die Umsetzungsziele der Windkraft bislang nur zu einem Bruchteil erreicht sind, lässt darauf hoffen, dass die im Rahmen der Tagung gewonnenen Erkenntnisse in der weiteren Diskussion einen wichtigen Beitrag leisten können. Diesem Anliegen dient auch der vorliegende Tagungsband.
Verzeichnis der Autoren Wolfgang Baumann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Seniorpartner von Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB Würzburg/Leipzig Prof. Dr. Ralf Brinktrine, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Deutsches und Europäisches Umweltrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Würzburg Dr. Gero von Daniels, LL.M., Rechtsanwalt und Counsel bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Berlin RA Johannes Grell, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht (Prof. Dr. Markus Ludwigs) an der Universität Würzburg Dr. Thorsten Pries, Referent der Bundesnetzagentur, Bonn Dr. Daniel Reichert-Facilides, Rechtsanwalt und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Frankfurt am Main Prof. Dr. Dr. Peter Salje, Inhaber des Lehrstuhls für Zivilrecht und Recht der Wirtschaft an der Universität Hannover Prof. Dr. Christoph Thole, Dipl.-Kfm, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht, Europäisches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht an der Universität Tübingen Prof. Dr. Wolfgang Wurmnest, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Augsburg