"Im Angesicht Gottes suche der Mensch sich selbst": Hildegard von Bingen (1098-1179) 9783050056364, 9783050035680

Vom Hildegardis-Fest am 17. September 1997 bis zum September des darauffolgenden Jahres erstreckten sich im Gebiet zwisc

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"Im Angesicht Gottes suche der Mensch sich selbst": Hildegard von Bingen (1098-1179)
 9783050056364, 9783050035680

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Rainer Berndt (Hg.) „ I M ANGESICHT GOTTES SUCHE DER M E N S C H SICH SELBST"

ERUDIRI SAPIENTIA

Studien zum Mittelalter und zu seiner Rezeptionsgeschichte Im Auftrag des Hugo von Sankt Viktor-Instituts Frankfurt am Main herausgegeben von Rainer Berndt SJ Band II

„IM ANGESICHT GOTTES SUCHE DER M E N S C H SICH SELBST" Hildegard von Bingen (1098-1179) Herausgegeben von Rainer Berndt

Akademie Verlag

Einbandvignette: Paris, Bibliotheque nationale de France, lat. 11508, f.54 (12. Jh.): Illustration zu Jesus Sirach 1,1 („Omnis sapientia a Deo Domino est et cum illo fuit semper et est ante aevum") Bildarchiv Foto Marburg, Archivnummer: 163.829

Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-5-003568-4 ISSN 1615-441X

© Akademie Verlag G m b H , Berlin 2001

Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form — durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren — reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin Satz: Christiane Storeck mit T U S T E P (Hugo von Sankt Viktor-Institut Frankfurt am Main) Druck und Bindung: H u b e r t & Co, Göttingen Printed in the Federal Republic of Germany

VORWORT

Vom Hildegardis-Fest am 17. September 1997 bis zum September des darauffolgenden Jahres erstreckten sich im Gebiet zwischen Bermersheim und Eibingen und von Bingen bis Mainz die Feierlichkeiten zum 900-jährigen Geburtsjubiläum Hildegards von Bingen. Die Verehrung der Volksheiligen aus dem Raum zwischen Nahe und Rhein hat auch in unserer Zeit zu vielfältigen Veranstaltungen angeregt. Ausgehend von gemeinsamen Überlegungen mit der Abtei St. Hildegard in Eibingen hat Herr Prälat Dr.h.c. Walter Seidel, Direktor des Erbacher Hofs in Mainz, die Initiative ergriffen, um das Hugo von Sankt Viktor-Institut der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main mit der Konzeption, der Organisation und der Durchführung eines wissenschaftlichen Symposiums zu beauftragen. Herr Prälat Seidel konnte die Verantwortlichen der vier Bistümer, die heute den Lebensraum Hildegards kirchlich repräsentieren (Limburg, Mainz, Speyer, Trier) für dieses Vorhaben gewinnen, so daß dessen Finanzierung im wesentlichen gesichert war. Darüber hinaus haben auch der Erbacher Hof und, dank der Vermittlung durch Schwester Gisela Happ OSB von der Abtei St. Hildegard, die Stiftung „Initiative und Leistung" der Nassauischen Sparkasse nennenswerte finanzielle Mittel für das Symposium bereitgestellt. Allen Förderern, allen voran Herrn Prälat Seidel, möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. Der Kongreß stand unter dem Thema, das jetzt auch den Titel dieses Bandes hergibt, und fand vom 16. bis 21. März 1998 im Erbacher Hof statt. Beim Festakt im Hohen Dom zu Mainz am 16. März hielt Frau Ministerin Dr. Annette Schavan den Festvortrag. An den folgenden drei Tagen diskutierten Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern und Kontinenten ihre Forschungsfragen in bezug auf die Persönlichkeit und das Werk Hildegards. Die Tagung endete am 21. März, unter der kundigen Führung durch Herrn Dr. Eberhard J. Nikitsch, mit einer Exkursion zum Disibodenberg und zur Abtei St. Hildegard. Der nun vorliegende Ergebnisband umfaßt die meisten der auf der Tagung gehaltenen Vorträge, hinzukommen einige Beiträge aus dem Kreis der teilnehmenden Wissenschaftler. Die Veröffentlichung dieses Bandes wurde gefördert durch das Bistum Mainz, die Dr. Bodo Sponholz-Stiftung Frankfurt am Main, die AdolfMesser-Stiftung Königstein sowie den Treuhandfonds der Deutschen Bischofskonferenz. Schließlich komme ich meiner Dankespflicht gegenüber der Bibliothek Sankt Georgen auch an dieser Stelle gerne nach. In den zurückliegenden Jahren hat der Bibliotheksdirektor, Herr Dr. Georg Miczka, immer wieder verständnisvoll unsere Wünsche aufgegriffen. Mit besonderem Akzent erwähne ich in diesem Zusammenhang die wachsende mediävistische Dokumentation des Hugo von Sankt Viktor-Instituts, die wir dank der mehrjährigen Förderung durch die Stiftung Hochschule Sankt Georgen und die Adolf-Messer-Stiftung Königstein zügig haben aufbauen können.

Ohne die bewährte Unterstützung seitens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hugo von Sankt Viktor-Instituts hätten weder das Symposium noch dieser Band realisiert werden können. Die Vorbereitung der Tagung im März 1998 lag wesentlich in den Händen von Frau Diplom-Theol. Christine Feld. Die Zusammenarbeit mit dem Erbacher Hof verlief reibungslos. Den Band konzipiert und vorbereitet haben Frau Angelica Horn M.A. und Frau Simone Krämer; Frau Judith Hahn, Herr Rainer Klotz und Herr Dipl.-Theol. Ralf W. M. Stammberger M.A. lasen Korrektur; Frau Inge Haberer-Sperlich erstellte die Register, und Frau Diplom-Chem. Christiane Storeck besorgte den Satz. Seitens des Verlages wurden wir wiederum verständnisvoll begleitet durch unseren Lektor, Herrn Manfred Karras. Ihnen allen danke ich herzlich für das gemeinsame Werk und hoffe, daß unser Band mit beiträgt zu einer quellennahen Rezeption der Werke Hildegards von Bingen.

Der Herausgeber

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort

5

PROF. D R . D R . KARL LEHMANN

Zum Geleit

11

P R O F . D R . M I C H A E L SIEVERNICH S J

Grußwort

15

D R . ANNETTE S C H A V A N

„In euch schaut sich selbst der König." Das Menschenbild der Hildegard von Bingen

17

ERSTER TEIL L E B E N S F O R M ALS D E N K F O R M P E R S O N UND W E R K IM KONTEXT F R A N Z J . FELTEN

„Noui esse uolunt ... deserentes bene contritam uiam . . . " Hildegard von Bingen und Reformbewegungen im religiösen Leben ihrer Zeit

27

G U N I L L A IVERSEN

"O vos angeli." Hildegard's lyrical and visionary texts on the celestial hierarchies in the context of her time

87

LAURENCE MOULINIER

Hildegarde ou Pseudo-Hildegarde ? Reflexions sur l'authenticite du traite «Cause et cure»

115

EBERHARD J . NIKITSCH

Wo lebte die heilige Hildegard wirklich ? Neue Überlegungen zum ehemaligen Standort der Frauenklause auf dem Disibodenberg

147

FRANZ STAAB

Hildegard von Bingen in der zisterziensischen Diskussion des 12. Jahrhunderts

157

PAUL TOMBEUR u n d C L A I R E PLUYGERS

Der „Thesaurus Hildegardis Bingensis" U R S U L A VONES-LIEBENSTEIN

Hildegard von Bingen und der „ordo canonicus"

181 213

Inhalt ZWEITER

TEIL

O H N E H Ö R E N UND SEHEN KEIN S P R E C H E N I M SPANNUNGSFELD ZWISCHEN A U S S A G E UND A U S D R U C K J O O P VAN B A N N I N G S J

Hildegard von Bingen als Theologin in ihren Predigten

243

RAINER BERNDT S J

„Im Angesicht Gottes". Zur Theologie der Vision bei Hildegard von Bingen

269

H U G H Β . FEISS O S B

Christ in the "Scivias" of Hildegard of Bingen

291

BEVERLY M A Y N E KIENZLE

Hildegard of Bingen's Gospel Homilies and H e r Exegesis of The Parable of the Prodigal Son Appendix: Expositiones 12. 1 and 1 2 . 2

299 319

Hildegard, visions and religious reform

325

CONSTANT J . MEWS

JOCHEN SCHRÖDER

Die Formen der Ezechielrezeption in den Visionsschriften Hildegards von Bingen

DRITTER

343

TEIL

D E N K E N IN DER G E S C H I C H T E Z W I S C H E N Z E I T UND EWIGKEIT Ä R N I EINARSSON

The symbolic imagery of Hildegard of Bingen as a key to the allegorical "Raudulfs Thattr" in Iceland

377

MICHAEL EMBACH

Beobachtungen zur Überlieferungsgeschichte Hildegards von Bingen im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. « Mit einem Blick auf die Editio princeps des „Scivias"

401

M A R K U S ENDERS

Das Naturverständnis Hildegards von Bingen

461

WERNER LAUTER

Hildegard von Bingen - Reliquien und Reliquiare Versuch eines Uberblicks

503

Inhalt LAURENCE MOULINIER

Magie, medecine et maux de l'äme dans Poeuvre scientifique de Hildegarde

545

JOSE C A R L O S SANTOS PAZ

La «santificacion» de Hildegarde en la Edad Media

561

ELISABETH STEIN

Das „pentachronon" Gebenos von Eberbach. Das Fortleben der Visionstexte Hildegards von Bingen bis ins 15. Jahrhundert

577

Bibliographie 1. Quellen 2. Abhandlungen

593 611

Register 1. Heilige Schrift 2. Werke Hildegards von Bingen 3. Handschriften 4. Personennamen 5. Ortsnamen

671 674 681 684 692

Grußwort des Bischofs von Mainz beim Festakt im Dom zu Mainz am 16. März 1998 v o n PROF. D R . D R . KARL

LEHMANN

Wenn der D o m vielen Betrachtern als ein riesiges Gebirge aus vielen T ü r m e n und Dächern v o r k o m m t , so ist dies ähnlich mit dem riesigen Werk einer der großen Frauen aus unserer Heimat, der hl. Hildegard von Bingen. Sie ist gerade in unseren Tagen weltweit bekannt geworden. U m ihren R u h m zu verbreiten, bedarf es gewiß keines wissenschaftlichen Kongresses. Aber die weite Verbreitung ihres Rufes muß nicht identisch sein mit der Erkenntnis ihrer wahren Bedeutung. Wir wissen, wie m ü h s a m vieles in ihrem Leben historisch ausgegraben werden muß. D i e beiden Eibinger Benediktinerinnen Marianna Schader und Adelgundis Führkötter haben in minutiösen Untersuchungen z.B. den Herrenhof Bermersheim bei A l z e y als wahren Geburtsort herausgearbeitet. Im übrigen ist unter neun Geschwistern auch H u g o , Bruder Hildegards, D o m k a n t o r hier in der Mainzer Kathedrale gewesen. D e n n o c h ist vieles noch zu entdecken. D e r Präsident der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte, Herr Prof. D r . Pirmin Spieß, schreibt in einem N a c h d r u c k der Festschrift z u m 800. Todestag der Heiligen (1979) in einem neuen V o r w o r t : „Letztlich gibt es auch 900 Jahre nach Hildegards G e b u r t immer noch vergleichsweise wenig gesicherte Erkenntnisse über Hildegard. D e r Forschungsstand muß durchaus als ,vertiefbar' bezeichnet werden. Z u umfangreich und breit gefächert siedeln sich Hildegards G e d a n k e n an." 1 E s gibt jedoch immer wieder neue A s p e k t e und eine Z u s a m m e n f a s s u n g schwer zugänglicher Literatur. Was neu entdeckt wird, muß m ü h s a m den wenigen Spuren und Resten der Überlieferung abgerungen werden. D i e neuen baugeschichtlichen und archäologischen Untersuchungen von Günther Stanzl 2 sind ein eindrucksvolles Beispiel, wieviel durch die Forschung in der Denkmalpflege einer interessierten Öffentlichkeit erschlossen werden kann. Ich freue mich, daß das S y m p o s i o n den M u t hat, angesichts der intensiven Beschäftigung mit Hildegard von Bingen einen neuen Einblick in ihre Persönlichkeit und in ihr Wirken zu wagen. Dabei stellen Sie den Kongreß unter das Leitwort „ I m Angesicht G o t t e s suche der Mensch sich selbst". Dieses Leitwort trifft die Mitte von Hildegards Frömmigkeit und religiöser Erkenntnis. D e r Mensch kann sich nicht aus sich selbst heraus bestimmen. Er versteht sich selbst nur im Spiegel Gottes. D e r Mensch lebt aus einer ständigen 1

BRÜCK N D

2

STANZL 1 9 9 2 .

1 9 9 8 , S. V I .

12

Karl

Lehmann

Beziehung zu Gott. Damit nimmt Hildegard eine in der Tradition geprägte, biblisch verwurzelte Kategorie auf, nämlich das „coram D e o " , das weit über ihre Zeit und über die Reformation bis in unsere Gegenwart wirkt und in unserem Jahrhundert vor allem mit Strukturen des personalen Denkens erläutert wurde (vgl. die Interpretation durch den Festvortrag von Frau Ministerin Dr. Schavan). Es liegt in der Konsequenz dieser Grundaussagen, daß viele Damen und Herren in ihren Vorträgen nach der Herkunft, der Struktur und den Gehalten der Visionen bei Hildegard von Bingen fragen, wie sie gerade in den drei wichtigen Schriften berichtet werden, nämlich in den Büchern „Wisse die Wege", im „Buch der Lebensverdienste" oder im Buch „Welt und Mensch". Wir treffen hier auch in das Zentrum, weil diese Visionstrilogie den Ruf Hildegards als bedeutende Prophetin begründet hat. Dies ist wohl auch das Fundament, von dem aus der hl. Hildegard etwas gelang, was wir immer wieder bestaunen, nämlich die universale Tiefenschau des christlichen Heilsgeheimnisses, das alles im Himmel und auf Erden durchdringt. Es geht also nicht nur um eine schmale anthropologische Bestimmung, sondern um eine universale Integration der ganzen Schöpfung und damit auch aller Natur, auch der leblosen, in das Geheimnis der Erlösung. Durch diese Heimholung aller Dinge zu Gott wird auch alles, was ist, transparent auf Gott als Urheber hin und symbolträchtig für das Leben der Menschen. Dies ist wohl der Grund, warum Musik und Edelsteine, Naturkunde und Medizin so sehr aus der einen Mitte der religiösen Schau der Hildegard von Bingen kommen. Auch wenn wir in einer anderen Zeit leben, die durch Spezialisierung und Arbeitsteilung gekennzeichnet ist, wo sich die einzelnen Segmente keine Durchlässigkeit gönnen, so kann eine solche Wirklichkeit für uns erst recht neu anziehend werden. Wir spüren heute ja auch die Interdependenz aller Wirklichkeit, den Austausch der Kräfte und ein ungeahntes Ausmaß von Wechselwirkung. In diesem Sinne bedarf es immer wieder der Zusammenschau, der Integration und der Kommunikation. Für die hl. Hildegard ist dies alles in der „Symphonia" der Schöpfung begründet, die vielfach zusammenklingt und zusammengehört, auch wo wir Menschen zuerst nur Mißtöne heraushören. Ich freue mich, daß es gelungen ist, diesen Kongreß in Mainz, in der Nähe des Domes unter so großer internationaler Beteiligung abzuhalten und ihn hier im über tausendjährigen Mainzer D o m zu eröffnen. Der Kongreß wird helfen, das Gottes-, Welt- und Menschenverständnis der hl. Hildegard in ihren innersten Zusammenhängen besser zu verstehen. Vielleicht sind wir dann auch noch besser in der Lage zu begründen, warum diese große Frau in der Sprache der Kirche von heute auch für uns so etwas ist wie eine „Kirchenlehrerin". Der Kongreß wird auch in dieser Hinsicht dadurch helfen, daß er vieles, was uns zuerst fremd und bizarr erscheint, in ein Licht bringt, das nicht nur der Verstand der Menschen ist, sondern das Licht göttlichen Lebens widerspiegelt.

7.um Geleit

13

Ich danke allen, die diesen Kongreß vorbereitet haben, ganz besonders Herrn Prof. Pater Dr. Rainer Berndt SJ und Frau Diplom-Theologin Christine Feld vom Hugo von Sankt Viktor-Institut in Frankfurt/Sankt Georgen. Ich danke allen, die hierhergekommen sind, nicht zuletzt auch den Benediktinerinnen aus Eibingen, die mit so hohem Einsatz dieses Gedenkjahr begleiten.

„Im Angesicht Gottes suche der Mensch sich selbst" Festakt im Mainzer Dom am 16. März 1998 Eröffnungsansprache des Rektors der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen Frankfurt am Main v o n P R O F . D R . M I C H A E L SIEVERNICH S J

Es ist mir eine große Freude und Ehre, so viele und so illustre Gäste im Mainzer Dom begrüßen zu können. Sie alle sind der Einladung der PhilosophischTheologischen Hochschule Sankt Georgen zu diesem Festakt im Hohen Dom gefolgt. Dafür danke ich allen Anwesenden, insbesondere Ihnen, verehrter Herr Bischof Lehmann, und Ihnen, verehrte Frau Ministerin Schavan, die Sie uns den Festvortrag über das Menschenbild Hildegards halten werden. Der Anlaß, der uns hier zusammenführt, ist der 900. Geburtstag der großen Hildegard von Bingen. Sie hat als führende Frauengestalt des hohen Mittelalters ihre Epoche intellektuell und spirituell mitgeprägt. Ihr Erbe wirkt bis heute nach, und es mag dem geistigen Hunger unserer Zeit entsprechen, daß sie und ihr Werk am fin de siecle wiederentdeckt werden. Der Festakt steht am Beginn eines internationalen, wissenschaftlichen Symposions, das Hildegard von Bingen als Benediktinerin und Denkerin, als Visionärin und Reformerin im Kontext ihrer Zeit interdisziplinär würdigt. Daß die Referenten und Diskutanten dieses Kongresses nicht nur aus Deutschland kommen, sondern auch aus Australien, Belgien und Frankreich, aus Italien, Japan, Osterreich und Schweden, aus Spanien, Tschechien und den USA, zeigt die Internationalität der Hildegardforschung und das weltweite Interesse. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Kongreß heiße ich herzlich willkommen. Die Frankfurter Hochschule Sankt Georgen veranstaltet ihr Hildegard-Symposion hier in Mainz, aus gutem Grund. Denn das Hugo von Sankt ViktorInstitut unserer Hochschule, unter Leitung von P. Rainer Berndt SJ, richtet den Kongreß in enger Zusammenarbeit mit dem Erbacher Hof aus. Dafür sei vor allem Herrn Prälaten Walter Seidel herzlich Dank gesagt. Für die gute Zusammenarbeit haben wir auch der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen zu danken, die das große Erbe diskret pflegt und für die Rhein-Main-Region zum dichten geistlichen Ort geworden ist. Unser Dank gilt schließlich den ,Hildegard-Diözesen' Limburg, Mainz, Speyer und Trier für ihre großzügige Förderung, sowie allen, die zur musikalischen Gestaltung des heutigen Abends beitragen. Was verbindet diese prämoderne Frau, die „rheinische Sibylle" vom Beginn unseres Jahrtausends, mit den postmodernen Zeiten am Ende unseres Jahrtausends? Gewiß würde sie, die „Posaune Gottes", auch heute tönen und uns

16

Michael Sievernich

Visionsarme als „verschreckte Hühner" schelten, „die nachts gackern, um sich selbst Schrecken einzujagen." An Hildegard von Bingen fasziniert das schöpferische Mitwirken, die Synergie. Leidenschaftlich auf der Suche, erforscht und durchdringt sie mit den zeitgenössischen Mitteln der Wissenschaften und Künste Natur und Geschichte. Im Prozeß theoretischer Neugierde entwickelt sie eine ,fröhliche Wissenschaft' vom Menschen und seiner Welt, nicht gegen Gott, sondern in kreativer Ermächtigung durch den Schöpfer, um an der Gestaltung einer schönen Welt mitzuwirken, in der Natur und Kultur in Einklang stehen. An Hildegard von Bingen fasziniert das Mitleiden mit der Schöpfung, die Sympathie. Leidenschaftlich nimmt sie Anteil an den Ängsten, Leiden und Mißverhältnissen ihrer Zeit. Sie kennt die Heilkraft des Glaubens und weiß, daß Heil (salus) und Heilung (sanitas) zusammengehören wie Leib und Seele. Diese therapeutische Dimension der Sympathie ist neben der rituellen, doktrinalen und ethischen Ausformung des Christentums gewiß wiederzuentdecken, im Blick auf Christus, den magnus medicus. An Hildegard von Bingen fasziniert das harmonische Zusammenklingen mit der Schöpfung, die Symphonie. Wenn denn „alles einander Antwort gibt", dann verweist ihre Symphonie der Lebensfreude und Gotteslust auf jenen Geist, durch den alle Lebenskraft („viriditas") grünt und alle Schönheit vollendet wird. Die Bild-Welt der ,prophetissa teutonica' kann unser Welt-Bild inspirieren. Denn das Glaubensgedächtnis der Kirche vermag den garstig breiten Graben zu überbrücken und uns die Wege Gottes in der Gegenwart zu erschließen. Es bleibt also dabei: Sei vias, wisse die Wege!

„In euch schaut sich selbst der König" Das Menschenbild der Hildegard von Bingen Festvortrag von

ANNETTE

SCHAVAN

I. Hildegard von Bingen stammte aus dieser rheinhessischen Landschaft. Hier wuchs sie auf, und Rheinhessen blieb ein ganzes bewegtes Leben lang ihre Heimat. „Diese Gegend zeigt in ihrer starken, besonnten Fruchtbarkeit ein äußerst einfaches, nüchternes Gepräge", so Carl Zuckmayer der demselben Boden entstammte; aber er schreibt dann weiter: „Die Rebstöcke stehen ordentlich und brav, die Obstbäume in Reihen gegliedert, alles Land ist Nutzland, und nur der rötliche Hautglanz der Erde verrät etwas von ihrem heimlichen Heißblut, von ihrem gezügelten Temperament." 1 „Heimliches Heißblut, gezügeltes Temperament", das sind Worte, die auch auf Hildegard zu passen scheinen. In ihrer leidenschaftlichen Erdverbundenheit scheint Hildegard von Bingen mit ihrer Lebensgeschichte zu der untergründigen Wärme Rheinhessens zu gehören. Nach neun Jahrhunderten strahlt immer noch etwas von ihrer Lebenswärme zu uns herüber. Am Ende des 20. Jahrhunderts scheint ihre Strahlkraft sogar besonders stark zu sein. Aber ist es wirklich jene historische, gewiß ungewöhnliche und herausragende Frau, jene hochmittelalterliche Hildegard von Bingen, die heute ausstrahlt ? Hildegard hat allenthalben Konjunktur. Es brauchte kaum mehr eines wissenschaftlichen Symposions, um ihre Aktualität herauszuarbeiten. Die Aufgabe einer Hildegard-Wissenschaft muß heute wohl eher darin bestehen, die zeitgebundene Individualität Hildegards hervorzuheben, die Widerständigkeit ihrer Lebensweise und die Sperrigkeit ihres Denkens für uns Heutige. Das Erbe Hildegards läßt sich nicht verrechnen in aktuelle geistige Konjunkturen und esoterische Moden. So wie sie in ihrer Zeit herausragte und zum Widerspruch reizte, so bleibt sie heute unserer Zeit immer noch auf ihre Weise voraus. „Hände weg von Hildegard!", so lautete der Titel einer vor kurzem in Stuttgart produzierten Radiosendung. Ich will also auch nicht Hand anlegen und auf Hildegard zurückgreifen, um ein aktuelles kirchliches oder politisches Anliegen zu transportieren. Ich werde versuchen, einige Texte Hildegards zum Thema ,Menschenbild' zu deuten und zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei kommen Aktualität und unzeitgemäße Widerständigkeit gleichermaßen zu ihrem Recht.

1

ZUCKMAYER 1 9 9 6 , S. 1 5 2 .

Annette Schavan

18

Politikerinnen und Politiker sprechen sehr gerne und vielleicht manchmal etwas gedankenlos vom ,christlichen Menschenbild'. Hildegards Werk könnte diesen etwas abgenutzten Begriff mit neuer ,Grünkraft' erfüllen, um eines ihrer Schlüsselwörter zu benutzen. ,Grünkraft - viriditas', - Sie wissen das besser als ich - ist vielleicht sogar das Hildegardsche Schlüsselwort. Erlauben Sie mir zunächst einen kleinen gedanklichen Umweg, auf dem ich mich dem Thema ,Menschenbild' annähern möchte. Dazu will ich nicht bei einem neunhundertsten, sondern ,nur' bei einem hundertsten Geburtstag ansetzen, nämlich bei Bertolt Brecht. - Brecht hat sich intensiv mit Bildern vom Menschen beschäftigt, mit den Bildnissen, die sich Menschen von Menschen anfertigen, mit dem Menschenbild als philosophischer Kategorie, mehr aber noch mit dem alltäglichen Bild vom konkreten Menschen, das in Kommunikation und Zusammenleben eine Schlüsselfunktion hat. In den Geschichten vom Herrn Keuner schreibt Brecht: „Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?" „Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K., „und sorge, daß er ihm ähnlich wird." „Wer? D e r E n t w u r f ? " „Nein", sagte Herr K., „der Mensch." 2

In dieser Dialoggeschichte, die nach Vorbildern aus der chinesischen Weisheitsliteratur gestaltet ist, leuchtet in einem prägnanten Satz auf, was das ganze Problem mit den Menschenbildern ist; auch das Problem mit religiösen Menschenbildern, mit politischen Menschenbildern, nicht nur mit den Menschenbildern, die wir alltäglich untereinander, miteinander oder gegeneinander anfertigen. Soll der Mensch dem Bild angepaßt werden? - Oder das Bild dem Menschen ? Wer hätte überhaupt das Recht, einen verbindlichen Entwurf anzufertigen mit dem Anspruch, daß der einzelne Mensch in seiner Unverwechselbarkeit und Würde sich diesem Entwurf unterwerfen muß ? Trotz solcher spontan sich erhebenden Fragen und Einwände meint Bertolt Brecht es ernst mit seinen den Menschen erst entwerfenden Bildern. An anderer Stelle schreibt er: „Nicht nur das Bildnis eines Menschen muß geändert werden, wenn der Mensch sich ändert, sondern auch der Mensch kann geändert werden, wenn man ihm ein gutes Bildnis vorhält. Wenn man den Menschen liebt, kann man aus seinen beobachteten Verhaltensarten und der Kenntnis seiner Lage solche Verhaltensarten für ihn ableiten, die für ihn gut sind. ... D e r Beobachter muß also dem Beobachteten ein gutes Bildnis schenken, das er von ihm gemacht hat. ... Solch ein Bildnis machen heißt lieben." 3

2

B R E C H T 1 9 9 5 , S. 2 4 u n d 4 4 0 .

3

B R E C H T 1 9 9 3 , S. 1 1 .

Das Menschenbild

der Hildegard

von

Bingen

19

Ein solches liebendes Bild des einzelnen Menschen muß wohl sehr aufmerksam und genau gezeichnet sein und möglichst sorgfältig ausgemalt, damit es wirklich ein liebendes Bild ist - präzise und doch äußerst beweglich, um den lebendigen Menschen liebend zu begleiten. Ein solches Bild vom Menschen kann kein Holzschnitt sein; es müßte vielleicht etwas von jenen handgemalten Miniaturen haben, wie wir sie zum Beispiel in den Hildegard-Handschriften finden. Aber noch das genaueste Bild vom einzelnen Menschen, den wir kennen, geht von allgemeinen Bildnissen aus. Die Kunstgeschichte könnte belegen, wie sich selbst bei genauester Beobachtung und präzisester Darstellung die Sichtweisen des Menschen von Jahrhundert zu Jahrhundert fundamental geändert haben. - Die Zeit Hildegards etwa stellt auch die historische Einzelgestalt noch eher typenhaft verallgemeinert dar und formuliert damit schon einen Grundzug ihres Menschenbildes. Aber spätestens im 13. Jahrhundert kennt auch die religiöse Kunst unglaublich genaue und eindrucksvolle Studien der Physiognomien und menschlichen Einzelcharaktere. - Und dennoch entscheidet das allgemeine, das entwerfende Menschenbild im Sinne einer überindividuellen, philosophischen und religiösen Kategorie auch hier über die konkreten Ausformungen der vielen Bilder von den vielen Menschen. Wenn also die konkreten Einzelbildnisse der Mitmenschen Voraussetzungen und Vehikel der Liebe zu diesen Menschen sind, dann sind auch die allgemeinen Entwürfe vom Menschen sehr entscheidend. Denn sie geben uns erst die Bildsprache in die Hand, mit der wir konkrete Situationen der menschlichen Begegnung ausgestalten können. Einen solchen allgemeinen Entwurf des Menschen finden wir im Werk Hildegards. - Hat aber Hildegards Menschenbild heute noch in solchem Sinne Gültigkeit, daß es Menschen unserer Zeit tatsächlich erlaubt, sich selbst und anderen, wie Brecht fordert, „ein gutes Bildnis zu schenken" ?

II. Hildegard hat eine Vision vom Menschen. In der mystischen Vision teilt sich ihr das Menschenbild ihres Glaubens mit. Ihre Vision als göttliche Weisheit, mit menschlichen Augen geschaut, trägt als Form der Erkenntnis schon wichtige Merkmale ihres Erkenntnisinhaltes, des Menschen in der Weltordnung: himmlisch und irdisch zugleich, Fleisch und Geist in mystischer Verschränkung, das ist auch der Mensch als Ebenbild Gottes. - Erlauben sie mir, einen zentralen Text Hildegards etwas ausführlicher zu zitieren (vielleicht rufen Sie sich, während Sie diese Zeilen hören, jene wunderbare mittelalterliche Buchillustration vom Menschen im Kosmos in Erinnerung, die auch in vielen aktuellen Publikationen über Hildegard abgedruckt ist): „Mitten im Weltenbau steht der Mensch. Denn er ist bedeutender als alle übrigen Geschöpfe ... A n Statur ist er z w a r klein, an Kraft seiner Seele jedoch gewaltig.

20

Annette

Schavan

Sein Haupt nach aufwärts gerichtet, die Füße auf festem Grund, vermag er sowohl die oberen als auch die unteren Dinge in Bewegung zu versetzen. Was er mit seinem Werk in rechter oder linker Hand bewirkt, das durchdringt das All, weil er in der Kraft seines inneren Menschen die Möglichkeit hat, solches ins Werk zu setzen. Wie nämlich der Leib des Menschen das Herz an Größe übertrifft, so sind auch die Kräfte der Seele gewaltiger als die des Körpers, und wie das Herz des Menschen im Körper verborgen ruht, so ist auch der Körper von den Kräften der Seele umgeben, da diese sich über den gesamten Erdkreis hin erstrecken." 4 D e r Mensch steht im Mittelpunkt, das ist der erste und wichtigste Satz der Hildegardschen Kosmologie. U n d dann: D e r Mensch ist dialektische Einheit von Körper und Seele; mit seinem K ö r p e r eingewoben ins Gewebe der Welt, mit seiner Seele zugleich ins Göttliche ausgreifend, den ganzen Erdkreis umgreifend und das All durchdringend. D e r Mensch „wird von der Kraft der Geschöpfe so stark umfangen, daß er von ihnen gar nicht getrennt werden kann", 5 so Hildegard an anderer Stelle, und doch kann sie zugleich sagen: „So leuchtet der erlöste Mensch in G o t t , und G o t t im M e n s c h e n . " 6 Weil dieser im Menschen aufleuchtende G o t t ein dreifaltiger G o t t ist, steht für Hildegard auch ihre Anthropologie unter dem Vorzeichen der Dreizahl. Zu der Zweierstruktur von Leib und Seele aus der eben zitierten Vision k o m m t ein Drittes hinzu. W i r sind gewöhnt, von der anthropologischen Triade aus Leib, Seele und Geist zu sprechen; bei Hildegard k o m m t aber nicht der Geist als Drittes hinzu, sondern - sehr charakteristisch für sie - die Sinne. „Drei Wege trägt der Mensch in sich. Welche? Seele, Leib und Sinne. Auf ihnen läuft das menschliche Leben ab. Auf welche Weise ? Die Seele belebt den Leib und haucht ihm die Sinne ein. Der Leib zieht die Seele an sich und öffnet die Sinne; die Sinne aber berühren die Seele und ziehen den Leib an sich. Die Seele verleiht nämlich dem Leib das Leben, wie das Feuer der Finsternis Licht spendet."7 Diese Dreiecksbeziehungen klingen zunächst verwirrend. U m richtig zu verstehen, muß man sich auf einen der „Wege" konzentrieren. Was tun also die Sinne? - Sie berühren die Seele. Schon dadurch sind Sinnlichkeit und Körperlichkeit bei Hildegard, und natürlich nicht erst bei Hildegard, geadelt. A b e r sie sagt darüber hinaus: Die Seele haucht dem Leib die Sinne ein. Sinnenhaftigkeit, bis hin zur Sinnlichkeit, ist deshalb für sie eine seelische Tatsache und hereingenommen in die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die erste Vision mit dem Menschen im Mittelpunkt, wie eben zitiert, spielt sich zunächst in zwei Dimensionen ab. D e r Mensch steht bei Hildegard im Weltenrad, dessen Speichen H ö h e und Breite ausmessen. Mit den Sinnen k o m m t eine dritte Dimension hinzu, die durch das Rad sticht wie eine Achse.

4

5 6 7

Welt und Mensch, S. 44f. HILDEGARD Scivias (1992), S. 46. HILDEGARD Scivias (1992), S. 34. HILDEGARD Scivias (1992), S. 72.

HILDEGARD

Das Menschenbild

der Hildegard

von

Bingen

21

Wenn die visionäre Mystikerin von den Sinnen spricht, dann meint sie vor allem den Gesichtssinn, die Schau, den Blick, das Blicken und schließlich das Angeblicktwerden. So fährt sie in der Vision vom Menschen fort: „... wie der Mensch mit den leiblichen Augen allenthalben die Geschöpfe sieht, so schaut er im Glauben überall den Herrn. Gott ist es, den der Mensch in jedem Geschöpf erkennt." 8

Dieses Schauen Gottes in der Natur und im Mitmenschen wird vom Blick Gottes erwidert, von dem Hildegard schreibt: „Gott der Vater blickt ... in gütiger Absicht auf sein Werk aus Lehm, wie ein Vater seine Kinder anschaut, wenn er sie auf seinen Schoß hebt.'"'

Aus dieser Gegenseitigkeit des liebevollen Blickkontaktes ergibt sich für Hildegard aber keine vorschnelle Vergöttlichung des Menschen. D a ß G o t t sich anschauen läßt, bleibt seine frei gewährte Gnade, die dem Menschen geschenkt, unverdient geschenkt wird. Hier taucht einmal mehr ein Vergleich aus der Natur auf, wenn Hildegard die göttliche Stimme aus ihrer Vision in ihrer Schrift vernehmlich macht. D i e göttliche Stimme sagte ihr: „Wie ... eine Mücke nicht am Leben bleiben kann, wenn sie sich in eine Feuerflamme stürzt, so könnte auch kein sterblicher Mensch bestehen, wenn er das Aufleuchten meiner Gottheit sähe. Ich aber zeige mich den sterblichen Menschen ... so in einem Schattenbild, wie ein Maler den Menschen das Unsichtbare durch seine gemalten Bilder verdeutlicht. Doch wenn du, ο Mensch, mich liebst, umarme ich dich und erwärme dich mit der Glut des Heiligen Geistes. Wenn du mich nämlich mit deiner guten Absicht anblickst und mich durch deinen Glauben erkennst, dann bin ich mit dir." 10

III. „Der Mensch schaut nicht aus eigener Kraft." Auch die visionäre Hildegard schaute nicht aus eigener Kraft. Deshalb bewundern die Christinnen und Christen neunhundert Jahre nach ihrer Geburt auch nicht sie, sondern jenen väterlichen G o t t , der sie schon angeschaut hatte, ehe sie geboren war, noch ehe die Seele ihrem Leib das Sehen beigebracht hatte. „Der Mensch schaut nicht aus eigener Kraft." Weil er selbst Gottes Geschöpf ist, kann er nicht einmal sich selbst erkennen, schauen und finden, wenn er es nicht im Angesicht Gottes versucht. „Der Mensch schaut nicht aus eigener Kraft." A u f sich gestellt, sähe er nur Armseligkeit. Erst im Angesicht Gottes gibt es unter Menschen Großes zu sehen. In euch, den Menschen, so singt Hildegard, in euch schaut sich selbst der 8

HILDEGARD

9

HILDEGARD

10

HILDEGARD

Welt und Mensch, Scivias ( 1 9 9 2 ) , S . Scivias ( 1 9 9 2 ) , S .

S. 316. 568.

44f.

22

Annette

Schavan

K ö n i g ! 1 1 Aber es ist eben erst Gottes Blick, der das Göttliche im Menschen aufstrahlen läßt. Ruhte nicht der väterliche Blick Gottes auf ihnen, es gäbe da nicht viel zu sehen. D a s ist jene dritte Dimension im Menschenbild Hildegards, auf die ich hier hinaus will. So wie wir auf die wunderbare, aber eben nur zweidimensionale Buchillustration v o m Menschen im Kosmosmittelpunkt schauen, auf den Menschen im Rad der Schöpfung, so schaut G o t t auf uns und gibt unserer Begrenztheit eine befreiende und belebende dritte Dimension. In seinem Blick gibt er dem Rad unserer kleinen Welt eine Achse, um die es sich drehen kann. Diese Achse des väterlichen Blickes auf die Menschen ist auch die Hauptachse im Werk Hildegards, und deshalb ist sie eben nicht zuerst die Therapeutin, die Forscherin, das Kräuterweiblein oder die Vorläuferin ökologischen D e n kens. D i e Hauptachse ihres Lebens, ihres Werkes und ihres Menschenbildes ist das Visionäre, die Schau Gottes und das Angeschautwerden von Gott. Aber genau darin liegt auch das Befreiende ihres Menschenbildes. Ihr Entwurf v o m Menschen ist eben nicht der gutgemeinte Entwurf eines anderen Menschen, der, wie Brecht sagt, dem anderen ein möglichst passendes und gutes Bildnis von sich selbst schenkt, um ihn damit so gut zu lieben, wie er es eben kann. Was Hildegard uns in ihrem visionären Menschenbild hinterläßt, ist die Zusage einer alle Mauern des Verstandes überspringenden Freiheit des Menschen. Etwas von solcher befreienden Theologie hat sich auch herüber gerettet in die Literatur unseres Jahrhunderts. Ich erinnere an die berühmte Stelle aus den Tagebüchern von Max Frisch, die zugleich ein Schlüssel für eine Reihe seiner Werke ist. D a schreibt Frisch: „Du sollst Dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfaßbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlaß wieder begehen - ausgenommen wenn wir lieben."12 N o c h eine andere Stelle bei Frisch erinnert an Hildegard und ihr frei machendes Menschenbild inmitten eines lebendigen K o s m o s , w o Frisch nämlich schreibt: „Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, daß wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben; solang wir sie lieben. Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum ? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfaßbar ist der Mensch, den man liebt."13 Es war Dorothee Solle, die das Bildermachen v o m Menschen nach Max Frisch und das nach Bertolt Brecht in Zusammenhang gebracht und eine theologische 11 Vgl. HILDEGARD Scivias (1992), S. 597; auch in Symphonia/O 12

FRISCH 1 9 5 0 , S . 3 9 .

13

FRISCH 1 9 5 0 , S. 3 3 f .

pulcre fades.

Das Menschenbild

der Hildegard

von Bingen

23

A n t w o r t gesucht hat. Sie legt dabei das ideologiekritische Potential der Theologie frei. U n d wenn heute eine ganz bestimmte Hildegard von Bingen, vielleicht nicht die Hildegard der Theologinnen und Theologen und noch weniger die der Historikerinnen und Historiker, wenn eine ganz bestimmte zurechtgemachte Hildegard ungeheuer gut ankommt und einen reißenden Absatz hat, dann ist solche Ideologiekritik vielleicht nicht abwegig. Brecht genauso wie Frisch beschwören die Liebe. Daneben setzt Dorothee Solle Glaube und Hoffnung, die jene Menschenbilder der Liebe offenhalten und frei halten für eine unerwartete Zukunft. Deshalb kann die Theologin Solle schreiben : „Glaube und Hoffnung ,hüten' die Liebe. Bild und Entwurf implizieren Ideologien, und die theologische Aufgabe an solchen existential zu interpretierenden Texten [wie denen von Brecht und Frisch] ist ebenso Ideologiekritik wie Annahme der hier gesagten Wahrheit. ... Dann bleibt Lieben beides - mit der Hilfe Gottes, der hier auf Erden keine ,Synthesen' bietet, wohl aber dialektische Praxis Machen und Lassen, Aktivität und Passivität, geplante und geschenkte, manipulierte und gleichwohl erwartete Zukunft." 14

In einer weniger wissenschaftlich klingenden, aber ganz unverwechselbaren Diktion sagt Hildegard etwas sehr Ähnliches. Sie war nicht nur die Visionärin eines befreiten Menschenbildes, Seherin einer menschlichen Zukunft. Sie war auch Hörende, sie w a r begnadete Musikerin, w i r hören ja heute hier im D o m ferne Nachklänge ihrer Kunst. Ich schließe also mit einem musikalischen Bildwort Hildegards, das ihre Schau vom Menschen, von sich selbst und von ihrem visionären Schreiben zusammenfaßt: „Der Mensch, der dies schaut und im Schreiben weitergibt, sieht und sieht doch nicht; er spürt das Irdische und doch wieder auch nicht. Er trägt Gottes Wunderdinge nicht aus sich selbst vor, ist vielmehr davon so ergriffen, wie eine Saite durch den Spieler ergriffen wird, um ihren Ton nicht aus sich, sondern aus dem Griff eines anderen wiederzugeben." 15

14

SOLLE 1 9 9 6 , S. 1 9 3 .

15

HILDEGARD

Mensch,

S. 293.

ERSTER TEIL Lebensform als Denkform Person und Werk im Kontext

,Noui esse uolunt ... deserentes bene contritam uiam Hildegard von Bingen und Reformbewegungen im religiösen Leben ihrer Zeit v o n FRANZ J.

FELTEN

I. Z U R RELIGIÖSEN B E W E G U N G DES 12. J A H R H U N D E R T S

„Und wie unzählig ist die Menge der Mönche durch die Gnade Gottes in unserer Zeit vermehrt worden" schrieb Petrus Venerabiiis, der berühmte Abt von Cluny, zu Beginn der 1130er Jahre an seinen Freund, den inzwischen zum Kardinalbischof von Albano aufgestiegenen Benediktiner Matthäus. 2 Ungefähr um dieselbe Zeit stellte sein etwas älterer Ordensbruder, Ordericus Vitalis der als Kind seine englische Heimat verlassen und in eine altehrwürdige Benediktinerabtei auf dem Kontinent, Saint-Evroul in der Normandie, eingetreten und dort sein ganzes Leben geblieben war, in seiner sehr umfangreichen, höchst informativen ,Kirchengeschichte' anscheinend fast verwundert fest: „Obwohl überall in der Welt Übel überhand nehmen, wächst die Frömmigkeit der Gläubigen in den Klöstern und trägt hundertfältige Frucht im Felde des Herrn." Ja, nicht nur in den bestehenden Klöstern: „Überall in Bergen, Tälern und Ebenen werden Klöster gegründet, die neuen Riten folgen und verschiedene Kleidung tragen. Die Schar der Mönche in ihren Kukullen verbreitet sich über die ganze Welt." 3 Sie beließen es nicht beim Staunen. Petrus Venerabiiis forderte seine Cluniazenser auf, sie sollten nicht weniger religiös sein als diejenigen, durch die das religiöse Leben, das viele Jahre gekränkelt habe, wieder aufgeblüht sei, in Gallien, Germanien, England, Spanien, Italien und ganz Europa, so daß, dank der vorausgehenden und begleitenden Gnade Gottes, die lang währende Kälte wieder warm geworden sei. 4 Für O t t o von Freising, Student in Paris und Zisterzienser in Morimond, bevor er in jungen Jahren Bischof wurde, waren die „herrlichen Taten der hervorragenden Männer" aus den Reihen der Mönche,

1

2

HILDEGARDIS Scivias, II 5, 8 8 9 - 8 9 1 . Übersetzung: HILDEGARD Scivias (1997), S. 188. - Dieser Beitrag sei den außerordentlich engagierten Teilnehmern meines ersten Hauptseminars in Mainz im SS 1997 gewidmet, als ich mich erstmals mit Hildegard von Bingen beschäftigte, sowie meinen Mitarbeiterinnen D r . Stephanie Haarländer, D r . Regina Schäfer und Christine Kleinjung, denen ich für Rat und Tat herzlich danke. PETRUS VENERABILIS Epistole, ep. 47, I, S. 145; vgl. auch ep. 38 an Erzbischof Peter von L y o n , ebd., S. 130.

3

O R D E R I C U S V I T A L I S Historia,

4

Statuta Petri Venerabilis,

V I I I . 2 6 , I V , S. 3 1 0 .

S. 60, Z. 5 - 8 .

28

Franz J.

Feiten

Eremiten und Kanoniker, deren asketisches Leben in all seiner Vielfalt er in einem umfangreichen Kapitel seiner Weltchronik ebenso liebevoll wie begeistert schildert, der einzige Lichtblick in einer ansonsten trüben Zeit: „So im Inneren und Äußeren ausgestattet haben sie sich in fruchtbarer, reicher Vermehrung über die ganze Erde ausgebreitet, und ihr Verdienst wie ihre Zahl ist in kurzer Zeit ungeheuer gewachsen."5 D i e in den letzten Jahren intensivierte Forschung bestätigt diese Einschätzung, die stürmisches quantitatives Wachstum mit qualitativer Diversifizierung verband. Auch wenn sich die von Ordericus Vitalis und anderen konstatierte „Entstehung von Klöstern allüberall", die „Ausbreitung der M ö n c h e über die ganze Welt" nicht exakt beziffern läßt, so geht man doch davon aus, daß sich allein zwischen 1050 und 1150 die Zahl der Klöster verzehnfacht hat, 6 noch bevor im 13. Jahrhundert in ganz Europa und darüber hinaus die Bettelorden einen neuen, besonders starken Schub brachten. D i e Frauen, die bis dahin sehr viel weniger Konvente bevölkert hatten als die Männer, 7 hatten an dieser religiösen Bewegung, die alles bisher gekannte übertraf, einen erheblichen Anteil. Bei genauerem Hinsehen freilich zeigen sich bedeutsame Unterschiede zwischen den verschiedenen Reformrichtungen und neuen Orden. 8 Hatten sie z.B. bei der Hirsauer R e f o r m , 9 die zur großen Familie der Benediktiner gehörte, bei den seit dem späten 11. Jahrhundert aufblühenden Regularkanonikern, insbesondere bei den Prämonstratensern, von Anfang an ihren Platz 1 0 (auch wenn er ihnen dann 5

6

7 8

Chronik, V I I . 3 5 , S . 5 6 5 . Grundlage für die Schätzungen sind Untersuchungen einzelner Länder und Regionen, wie z.B. England, wo zwischen 1066 und 1154 die Zahl der Klöster und Stifte von 61 auf 400 stieg. Vgl. C O N S T A B L E 1996, S. 46f. und S. 65 mit weiteren Beispielen. England ist erheblich besser aufgearbeitet als Frankreich, was sich auch in einem Uberblickswerk wie V E N A R D E 1996 zeigt. Exzellenter Überblick mit zahlreichen Karten (wo im Unterschied zum Text auch die Kanonissen berücksichtigt sind): BURT O N 1994. Weiträumiger Überblick: T I B B E T S S C H U L E N B U R G 1 9 8 9 ; für Oberitalien: V E R O N E S E 1 9 8 7 ; für den hier besonders interessierenden Raum: F E L T E N 1 9 9 2 . Grundlegend immer noch G R U N D M A N N 1 9 7 0 ; kritisch dazu W E H R L I - J O H N S 1 9 9 2 . Des weiteren sei insbesondere verwiesen auf K O C H 1 9 6 2 ; E L M 1 9 8 1 ; D E G L E R - S P E N G L E R 1 9 8 4 ; W I L M S 1 9 8 7 ; D I N Z E L B A C H E R / B A U E R 1 9 8 8 ; problematisch: W E I N M A N N OTTO

1990.

9

10

Den ,locus classicus' bieten die Casus Petrishusensis, praef., c. 9; Chronik Petershausen, S. 24: „De sanctimonialibus. Ubi hoc quoque notandum, quod devote mulieres pariter cum sanctis discipulis Deo militabant, et ideo hoc exemplo non est vituperabile, sed magis laudabile (sic!), si sanctimoniales femine in servorum Dei monasteriis reeipiantur, ut uterque sexus, ab invicem tarnen sequestratus, uno in loco salvetur." Vgl. FELTEN 1 9 9 2 , S. 2 3 9 f f .

Programmatisch ist das Lob, das der Zeitgenosse Hermann von Tournai in einer kritischen Situation um 1145/46 den Frauen in den prämonstratensischen Doppel-

Noui esse uolunt

... deserentes

bene contritam

uiam

29

i m L a u f e d e s 12. J a h r h u n d e r t s z u n e h m e n d streitig g e m a c h t w u r d e " ) , s o n a h m e n die F r a u e n k l ö s t e r bei d e n Z i s t e r z i e n s e r n erst a m E n d e des J a h r h u n d e r t s u n d b e s o n d e r s im 13. J a h r h u n d e r t ihren g r o ß e n A u f s c h w u n g , bis sie schließlich, insg e s a m t gesehen, mit d e n M ä n n e r k l ö s t e r n n a h e z u g l e i c h z o g e n , in D e u t s c h l a n d diese s o g a r an Zahl weit ü b e r t r a f e n . 1 2 W i e sehr sich d a s N e t z d e r religiösen K o n v e n t e g e r a d e f ü r F r a u e n in d e r Zeit v o n 1050 bis 1250 in einer K e r n r e g i o n E u r o p a s , v o n B u r g u n d bis in die M a a s g e g e n d , v o n d e r o b e r e n S e i n e / M a r n e bis an d e n R h e i n , verdichtet hat, zeigen die detaillierten K a r t e n , die G e r o l d B o n n e n , A l f r e d H a v e r k a m p u n d F r a n k H i r s c h mann ihrem umfangreichen Uberblick über „Religiöse Frauengemeinschaften i m r ä u m l i c h e n G e f ü g e d e r Trierer K i r c h e n p r o v i n z w ä h r e n d des h o h e n M i t t e l alters" beigegeben haben.13 E s w a r g e r a d e die Z e i t H i l d e g a r d s , die hier d e n e n t s c h e i d e n d e n A u f s c h w u n g brachte. N o c h E r z b i s c h o f F r i e d r i c h v o n K ö l n a r g u m e n t i e r t e 1126, daß es in seiner K i r c h e n p r o v i n z an ( g u t e n ) F r a u e n k l ö s t e r n m a n g e l e . 1 4 A l f r e d H a v e r k a m p hat auf d e m H i l d e g a r d - K o n g r e ß in B i n g e n n o c h einmal d a r a n erinnert, d a ß

11

klöstern und dem Ordensgründer wegen seiner Bemühungen um die Frauen spendet (HERMANNUS TORNACENSIS Miracula, S. 658f.). - Skeptisch gegenüber der Annahme (auch meiner), daß die meisten Prämonstratenserniederlassungen ursprünglich als Doppelstifte gegründet worden waren, aber jetzt: EHLERS-KISSELER 1997, bes. S. 249ff. Zum Schicksal der Frauengemeinschaften (und ihrer Behandlung in der Forschung) GII.OMEN-SCHENKEL 1990, S. 207; weitgehend identisch unter etwas anderem Titel: GILOMEN-SCHENKEL 1992, S. 128f. Grundlage der Untersuchung bildeten die Artikel in Helvetia Sacra III, 1 über Benediktiner und Benediktinerinnen in der Schweiz (Bern 1986). KÜSTERS 1985, bes. Teil III: „Sozialgeschichtliches Funktionsfeld: Zur Konstitution und Institution religiöser Frauengemeinschaften im Umkreis der Klosterreform", S. 130-178; KÜSTERS 1991. - Für die prämonstratensischen Doppelklöster neben älteren Aufsätzen SCHIJNDEL 1971; FELTEN 1992, S. 246ff.; FEUCHTER 1995, S. 4 4 f f . ; HIRSCHMANN 1994.

12

Die traditionelle, vor allem auch von Ordenshistorikern vertretene Interpretation nimmt eine lange Jahrzehnte währenden und auch im 13. Jahrhundert nur widerstrebend aufgegebenen generellen Zurückhaltung des Ordens gegenüber der Aufnahme von Frauen an, zuletzt etwa LEKAI 2 1989, S. 347-352. Diese Auffassung wurde schon relativiert von ROISIN 1943, vor allem aber von DEGI.ER-SPENGLER 1982a; DEGLER-SPENGLER 1982b, S. 213-221; DEGLER-SPENGLER 1985. Die traditionelle Interpretation erklärt m.E. die deutliche Phasenverschiebung bei der Gründung von Männer- und Frauenklöstern der Zisterzienser besser; vgl. jetzt FELTEN 2000a mit Klosterlisten; FELTEN 2000b mit umfassenden Belegen für die angedeutete Entwicklung.

13

BÖNNEN/HAVERKAMP/HIRSCHMANN

14

„ Q u o d hac maxime necessitate in animum dimisimus, quia peccatis et neglegentiis nostris exigentibus in tota provincia nostra fere nulla huius sexus reperta est congregatio, ad quam femina posset confugere, que votum proposuisset continentie"; Urkunden Siegburg, N r . 38, S. 82; FELTEN 1992, S. 189ff. mit weiterer Literatur.

1993.

30

Franz J. Feiten

1120 in einem Kreis von 50 km Radius um Bingen nur zwei Frauenkonvente existierten, in Mainz und Worms, daß aber binnen drei Jahrzehnten rund ein Dutzend neue Frauenklöster und mindestens zwei Doppelkonvente in diesem R a u m entstanden, darunter Hildegards eigene Gründung auf dem Rupertsberg, mit der sie eine ,Lücke' Schloß, denn „Bingen war bis 1148 die einzige größere urbane Siedlung am Mittelrhein zwischen Worms und Andernach, die in ihren Mauern oder unmittelbar davor noch keinen Frauenkonvent besaß." 1 5 D a s quantitative Wachstum des in Klöstern und Stiften organisierten wie des weniger oder kaum institutionalisierten religiösen Lebens wurde begleitet von einer starken Diversifizierung auf der normativen Ebene, wie in der Realität, auch wenn wir von den nicht oder weniger institutionalisierten Formen religiösen Lebens (Eremiten, vagierende Gruppen), die O t t o von Freising ebenfalls rühmt, leider allzu wenig wissen. D a s gilt, für unsere Thematik besonders bedauerlich, auch für das Leben der Frauen bei Männerklöstern (d.h. Inklusen, Reklusen, kleinere Gruppen, die einen dem Abt unterstellten Schwesternkonvent bildeten 1 6 ). Dominierten bis Ende des 11. Jahrhunderts zwei Grundformen religiösen Lebens, monastisches nach der Regel Benedikts kanonisches nach den Institutiones des Konzils von Aachen 816, so spaltete sich nun, um ein Bild des großen englischen Ordensforschers David Knowles aufzugreifen, schon die monastische Lebensform in zwanzig verschiedene Lebensweisen auf, wie die Farben eines Spektrums, von der jede eine Möglichkeit monastischen Lebens realisierte, die darin im Prinzip angelegt war, und bediente so den Bedarf einer komplexeren Gesellschaft des H o h e n Mittelalters. 1 7 Schon zuvor war die Praxis gewiß viel bunter, als es sich die karolingischen Reformer um Benedikt von Aniane in ihrem Wunsch nach einheitlicher Normierung gewünscht hatten. 18 Diese scheinbar ungehemmte Vitalität schlug sich nicht nur in Neugründungen von Zellen und Prioraten, von Klöstern und Klosterverbänden herkömmlicher und neuer Art nieder. 1 9 E s entstanden die ersten Orden im modernen 15

HAVERKAMP 2000, S. 57-59 mit Anm. 156-162; für die Möglichkeit, diesen Beitrag zum dem wichtigen Sammelband schon vor Abschluß der Drucklegung benutzen zu dürfen, sei auch hier herzlich gedankt. 16 Die Abgrenzung ist in der Theorie leichter möglich als in der Praxis, wie ein Blick in den entsprechenden Artikel im Lexikon des Mittelalters (III, Sp. 1257-1259) und auf die Wirklichkeit auf dem Disibodenberg, die uns noch beschäftigt, zeigt; vgl. die S t u d i e n in: ELM/PARISSE 1992. 17

KNOWLES 1966, S. 16.

18

Zwei Tabellen, erstellt von Frau Dr. Stephanie Haarländer, können nur einen winzigen Ausschnitt aus dieser Entwicklung übersichtlich präsentieren, die ungeheure Dynamik und Vielfalt kann dadurch nicht einmal angedeutet werden. 19 Neben vielen Einzeluntersuchungen zu Männern wie Stefan von Obazine, Stefan von Muret, Bernhard von Tiron - auch Robert von Arbrissel und Norbert von Xanten, aber auch Abaelard und Heloise - sind in diesem Kontext zu nennen, die klassischen D a r s t e l l u n g e n v o n VON WALTER 1 9 0 3 / 1 9 0 6 ; GRUNDMANN 1970, bes. S. 13ff. A u s den

zahlreichen Arbeiten von Charles Dereine, die sich mit der Entwicklung von ere-

Noui esse uolunt ... deserentes bene contritam

uiam

31

Sinn, d.h. neuartig strukturierte Verbände mit ausgefeilten Institutionen, die genossenschaftliche und herrschaftliche Elemente verknüpften. Vorreiter und bald weithin nachgeahmtes Vorbild waren auch hier die Zisterzienser. 2 0 Blüte wohlgeordneter Bruderschaften und heroischer Einzelkämpfer in der ganzen Welt, ihre segensreiche Vermehrung an Zahl und Verdienst - man könnte annehmen, die religiösen Zeitgenossen hätten die Entwicklung alle so hoffnungsvoll betrachten können wie O t t o von Freising vielen aber wurde gerade die stürmische Entwicklung und die neuartige Vielfalt der Formen zunächst als Bedrohung empfunden. Papst U r b a n II. ( 1 0 8 8 - 1 0 9 9 ) , der selbst zur Ausgestaltung der Vielfalt durch Förderung der Kanonikerreform beigetragen hatte, 2 1 befürchtete bei der Gründung des , N o v u m Monasterium', des späteren Citeaux, ein „Schisma im Hause G o t t e s " . 2 2 Vornehmsten Ausdruck fanden diese Bedenken nach mehr als 100 Jahren stürmischer Entwicklung der ,vita religiosa' 1215 im c. 13 des IV. Laterankonzils, das die Gründung neuer Orden verbot, weil die exzessive Vielfalt religiöser Lebensformen zu großer Konfusion in der Kirche Gottes führe. 2 3 N o c h größer waren die Sorgen bei den vom dynamischen Wachstum der neuen F o r m e n unmittelbar, direkt oder indirekt, Betroffenen. Schon Petrus Venerabiiis der die Vitalität begrüßte, wie wir sahen, fragte sich, welche verborgene und verhängnisvolle Vielfalt des Denkens die Menschen trenne, die Eintracht der Herzen zerstöre, die doch im christlichen Glauben und sogar durch die gleiche monastische Profeß unter derselben Regel geeint sein sollten. 2 4 D i e Klage des Abtes von Cluny in seinem bekannten Brief 28 an Bernhard von

20

mitischen Anfängen zu Klöstern und Stiften, ja Orden, wie den Prämonstratensern, befassen, sei hervorgehoben: DEREINE 1983; vgl. auch den Uberblick von LEYSER 1984. Zur bis dato nahezu unbekannten ,Verbandsbildung von Frauenklöstern' knapp, mit weiterer Literatur FELTEN 1997 zu Le Paraclet, Premy, Fontevraud mit einem Ausblick auf Cluny, Sempringham und Tart. Neben den bekannten Standardwerken dazu jetzt der magistrale Uberblick über die Forschung von ELM 2000; für die Prämonstratenser: ELM 1984, darin bes. FELTEN 1984; WEINFURTER 1984; WEINFURTER 1989; zuletzt, nach früheren Arbeiten von ihm selbst und aus seiner Schule, MELVILLE 1999, bes. S. 11 ff.

21

FUHRMANN 1 9 8 4 ; LAUDAGE

22

Dieses und weitere ganz ähnliche Zitate (auch von Petrus Venerabiiis) bei CONSTABLE 1996, S. 2 mit Anm. 5, 6. Concilium Lateranense IV (1215), c. 13, in: Decreta Conciliorum, S. 218. PETRUS VENERABILIS Epistole, ep. I l l , I, S. 277: „Cerno aliquos tarn de nostris ouilibus quam de uestris aduersum se inuicem iurata bella suscepisse, et eos qui in domo domini habitare unanimes debuerant, a caritate mutua desciuisse. Video eos de eiusdem domini esse familia, de eiusdem regis esse militia, eodem nomine Christianos, eodem et monachos nuncupari. Intueor non solum communis fidei uinculo, sed insuper eiusdem monasticae regulae iugo submissos, dominicum agrum multis sed diuersis sudoribus excolere. Et cum eos ut dixi Christianum nomen coniungat, cum monastica professio uniat, sola eos mentium nescio quae occulta et nefanda uarietas separat, et ab illa sincera cordium unitate in quam uidentur congregati disgregat."

23 24

1992.

32

Franz J.

Feiten

Clairvaux ist verständlich, waren er und seine Cluniazenser doch von Bernhard hart angegriffen worden, auch wenn der streitbare Zisterzienser mit der Polemik vor allem auch Tendenzen in seinem eigenen O r d e n aufs K o r n nahm. 2 5 D e r konservative Benediktiner Rupert von D e u t z beklagte den Streit zwischen M e n schen, die sagten: „Ego quidem sum Augustini, ego autem Benedicti, ego vero Regulae hujus, vel illius", und verteidigte selbst energisch und wortreich den (Vor)Rang des (traditionellen) Mönchtums und seinen Anspruch auf Priestertum und Seelsorge gegen die Prätentionen der ,neuen' Kanoniker. 2 6 Petrus, Rupert und ihre Ordensbrüder wehrten sich nicht zuletzt deshalb besonders eloquent, weil sie das Gefühl hatten, gewissermaßen auf der ,Verliererseite' zu stehen angesichts der neuen, vorwärts drängenden Lebensformen, die trotz - oder gerade wegen - der Neuartigkeit und Härte ihres Lebens besonderen Zulauf auch in vornehmen Kreisen fanden. Man kann die Verwunderung noch sehen, mit der ein ,alter' Benediktiner wie Ordericus Vitalis diese E n t wicklung konstatierte: „Viele edle Krieger und tiefschürfende Philosophen strömten zu ihnen (den Zisterziensern) wegen ihrer neuartigen Besonderheit und nahmen freudig die ungewohnte Strenge ihres Lebens auf sich, brachten Christus Freudenhymnen dar, weil sie auf dem rechten Weg waren."27 Die Anhänger der neuen, strengeren Richtungen freuten sich nicht nur, nunmehr für sich persönlich den nichtigen' Weg zum Heil gefunden zu haben. Sie stellten damit zugleich den entsprechenden Anspruch des alten Mönchtums in Frage. Darüber hinaus attackierten sie nicht selten, im mehr oder minder naiven Eifer des Neubekehrten (und um ihren eigenen Schritt vor sich und der Welt zu rechtfertigen) die verlassene Lebensform. 2 8 - Kein Wunder, daß man auch in der Wissenschaft in diesem Zusammenhang lange von einer ,Krise des M ö n c h t u m s '

25

Einmal in einem Brief, mit dem Bernhard seinen Vetter Robert aus Cluny zurückholen wollte (Bernardi ep. 1) und in der bekannten Streitschrift Apologia, die wohl beide in die frühen zwanziger Jahre gehören; 1121/1122 nach H O L D S W O R T H 1994, S. 21-61, hier 45ff.; vgl. C O N S T A B L E 1996, bes. c. 4: the rhetoric of reform; D I N Z E L B A C H E R 1998, S. 66ff., 81ff. (datiert das „Eingreifen Bernhards" auf 1124). Kein Zweifel besteht, daß die Zisterzienser die Angreifer waren, wenn auch mehr Streitschriften aus der Feder von ,alten' Benediktinern und Regularkanonikern kamen. 26 R U P E R T U S In Regulam, IV, Zit. Sp. 526; Altercatio Monachi et clerici quod liceat monacho praedicare, ebd. Sp. 537-542. Vgl. C O N S T A B L E 1996, bes. S. 133f.; zuletzt E N G E L B E R T 1999, hier S. 34. 27 O R D E R I C U S V I T A L I S Historia, V I I I . 2 6 , S . 3 2 6 : „Multi nobiles athletae et profundi sophistae ad illos pro nouitate singularitatis concurrerunt, et inusitatam districtionem ultro complexantes in uia recta laeti Christo ymnos laeticiae modulati sunt." 28 Ein bekanntes Beispiel dafür ist Idung von Prüfening, der noch um 1145 in seinem Argumentum super quatuor quaestiones Positionen der traditionellen Benediktiner verteidigt hatte, die er zehn Jahre später in seinem Dialogus duorum monachorum angriff; H U Y G E N S 1 9 8 0 .

Noui esse uolunt ... deserentes bene contritam

uiam

33

sprach. 2 9 H e u t e sieht man die stürmische Entwicklung eher als Zeichen einer großen, durch vielfältige U m s t ä n d e , religiöser wie sozialer Art, gekräftigten Vitalität der ,vita religiosa' - einer wieder zu Kräften gekommenen und durch R e f o r m e n weiter zu stärkenden ,vita religiosa', würde Petrus Venerabiiis vielleicht gesagt haben. D e n n o c h bleibt ein objektiver Rest berechtigter Kritik an der Vielfalt, oder besser gesagt: an ihren eher unerfreulichen Folgen, auch wenn wir den psychologischen Faktor auf der Seite der ,Unterlegenen' in Rechnung stellen. Diese verloren ja nicht nur die G u n s t der Schenker und potentiellen N a c h w u c h s , sondern auch Mitbrüder aus ihren Gemeinschaften an die neuen Konvente und mußten akzeptieren, daß das Papsttum dies sogar noch billigte. 3 0 A u c h im menschlichen Bereich hatte die konkurrierende Vielfalt nicht nur positive A u s wirkungen. Sie beflügelte nicht nur frommen Wettbewerb, sondern brachte auch wenig erfreuliche Verhaltensweisen z u m Vorschein selbst bei großen Heiligen. Als z u m Beispiel ein Mönch der Benediktiner-Abtei Saint-Nicaise in Reims zu den Zisterziensern in Pontigny geflüchtet war, schrieb Bernhard von Clairvaux dem verlassenen Abt, der darüber klagte, er, Bernhard hätte zu diesem Schritt nicht geraten, wenn er gefragt worden wäre (ep. 32. 1). Als der A b t von Pontigny von dieser Distanzierung beunruhigt war, schrieb er diesem, er solle dem geflüchteten M ö n c h zu seinem Schritt gratulieren; dessen A b t habe er nur aus diplomatischer Höflichkeit so geschrieben - „dispensatorie, ut non dicam simulatorie" (ep. 33. 1). D e m Geflüchteten selbst bescheinigte er schließlich, seine Flucht sei ein Hinweis auf seine Vollkommenheit (ep. 34. I). 31 Schlimmer als diese kleinen D r a m e n mit den sie begleitenden unerfreulichen Begleiterscheinungen, obwohl sie immerhin so bedeutend waren, daß sie eine G r u n d s a t z d i s k u s s i o n u m den „transitus", den Ü b e r g a n g von einer L e b e n s f o r m zur anderen und rechtliche Regelungen auslösten, 3 2 waren weitere sehr konkrete, finanzielle und rechtliche Folgen für die ,alten' Klöster. 29 30

31

S. insbesondere VAN ENGEN 1986 mit der älteren , K r i s e n ' - L i t e r a t u r ; CONSTABLE 1996, bes. S. lf. Prinzipiell verboten die den Prämonstratensern und anderen O r d e n erteilten päpstlichen großen Privilegien den Austritt - außer, u m zu einer strengeren L e b e n s f o r m („arctior religio") ü b e r z u g e h e n ; s. TANGI, 1894, S. 233. Ahnlich ,diplomatisch' verhielt er sich in analogen Fällen gegenüber dem P r ä m o n stratenserabt Philipp von H a r v e n g t (dem er auf seine Vorwürfe, er habe den Pakt zwischen den O r d e n verletzt - dazu unten - erst gar nicht antwortete) und den Benediktinern von Saint-Germer de Fly, deren Kloster er nicht zu kennen v o r g a b ( e p . 6 7 f . ) ; v g l . n u r C O N S T A B L E 1 9 9 6 , S. 103f.; DINZELBACHER 1 9 9 8 , S. 6 8 , 2 5 6 .

32

A u c h H i l d e g a r d , die in diesem K o n t e x t nie genannt wird, sprach sich gegen den Ubertritt zu einer strengeren L e b e n s f o r m aus; s. nur ep. 137 an einen Regularkanoniker. Z u m P r o b l e m k n a p p mit ausgewählten Belegen von B e f ü r w o r t e r n und G e g nern CONSTABLE 1996, S. 101 ff.; vgl., insbesondere auch zu d e m damit a u f g e w o r f e nen rechtlichen P r o b l e m , immer n o c h : HOEMEISTER 1928; dazu insbesondere DIMIER 1953; FINA 1957; MF.LVIIXE 1978; LANDAU 1991, bes. S. 88ff.

34

Franz J. Feiten

Ordericus Vitalis klagte bereits: Nach dem Konzil von Reims (Oktober 1119), über das er sehr ausführlich berichtet (XII, 21), wurden der Primas von Lyon, der Bischof von Mäcon und viele andere Bischöfe sehr beschwerlich für die Cluniazenser („molestissimi facti sunt"). Denn sie nahmen ihnen viel Besitz weg, den andere ihnen geschenkt hatten, und gaben den Klerikern, die immer den Mönchen das Ihre neiden, Futter zur Rebellion. Sie verstrickten sie in Streitigkeiten und bedrückten sie selbst und durch ihre Offizialen. 3 3 Dramatisch waren die Folgen für Molesme, nachdem die ,besseren' Mönche das Kloster verlassen hatten, um das ,richtige monastische Leben' im ,Neuen Kloster', dem späteren Citeaux, zu realisieren: Der Graf von Nevers steckte sogar die Kirche in Brand. 3 4 Mögen die Angriffe von außen und die finanziellen Einbussen durch zurückgehende Bereitschaft zu Schenkungen (,die Liebe erkaltete' 35 ) auch schmerzlich gewesen sein; gefährlicher noch waren im Grunde die grundsätzlichen Auseinandersetzungen um die rechte Lebensweise zwischen den großen Richtungen organisierten religiösen Lebens, der Mönche und (Regular)Kanoniker, 3 6 die Rupert von Deutz beklagte. N o c h intensiver, ja erbittert wurde um die richtige Interpretation ein und derselben Regel gerungen, der des heiligen Benedikt, der Cluny und Hirsau, Hildegard von Bingen wie die Zisterzienser folgten. Bei diesen Diskussionen, die gerade in der Lebenszeit Hildegards, vor allem in den Jahren von ungefähr 1120/25 bis 1155/1160 mit besonderer Intensität geführt wurden, offen und verdeckt, in denen mit elegantem Florett wie mit schwerem Säbel gefochten wurde, 3 7 ging es ja nicht um ,Mönchsgezänk', um Äußerlichkeiten', auch nicht um akademisch-theologische Diskussionen des rechten Weges zum Himmelreich - sondern jeder einzelne, jede Gemeinschaft war davon unmittelbar betroffen. 38 Persönliche und institutionelle Interessen stan33

ORDERICUS VITALIS Historia, XII. 30, VI, S. 310: Das steht gewiß in direktem Zusammenhang mit der spezifischen Krise in Cluny, die mit dem Namen des Abtes Pontius verbunden ist, aber ist auch Ausdruck einer allgemeineren Zeitstimmung.

34

RICHARD

35

In den im 12. Jahrhundert zunehmenden Klostergründungsgeschichten kann man ebenso wie in manchen Privilegienfälschungen nicht zuletzt eine Reaktion auf die „nachlassende Stiftungsfreudigkeit der adligen Laiengesellschaft" sehen; vgl. KAST-

1993.

NER 1974; SCHREINER 1987, Zitat S. 475.

36

Selbst ein so abgeklärter Geist wie der weitgereiste Anselm von Havelberg, selbst Prämonstratenser, der die Vielfalt der vita religiosa im Grunde begrüßte, schrieb um 1150 eine Epistola apologetica pro ordine canonicorum regularium, in der er zeigen wollte, daß der ordo der Kanoniker vornehmer („sublimior") sei als derjenige der Mönche, weil sie wie Christus aktives und betrachtendes Leben in einer wahren vita apostolica kombinierten (PL 188, Sp. 1125C und 1136A). D a z u auch BERGES 1956.

37

Vgl. d a z u n u r BREDERO 1985 u n d v o r allem CONSTABLE 1985.

38

Sprechende Selbstzeugnisse eines Kanonikers, eines Priors sogar, der zu den Prämonstratensern überging, eines Benediktiners aus York, der zu den Zisterziensern von Fountains übergetreten war („seeing that his former life did not suffice for h i m " ) , zit. CONSTABLE 1996, S. 105.

Νoui esse uolunt

... deserentes

bene contritam

uiam

35

den auf der Probe, das eigene Seelenheil und das irdische Wohlergehen der Gemeinschaft. Mit besonderer Intensität rang man um die eigene Integrität und Identität, wenn diese, wie bei den Zisterziensern, aus bewußter Distanzierung von den ,nächsten Verwandten', von der eigenen Herkunft gewonnen war - ganz abgesehen von der rechtlichen Problematik der Verletzung der zentralen benediktinischen Forderung nach „stabilitas" durch den „transitus". In ihren in vielerlei Hinsicht grundlegenden Texten kritisierten die frühen Zisterzienser, mehr noch die späteren Versionen der ,Gründungsgeschichte' des „Novum Monasterium", zunächst eher verhalten, im Verlauf der Jahrzehnte immer prononcierter ihren eigenen U r s p r u n g : das ebenfalls burgundische Kloster Molesme. Es war selbst erst 1075, keine Generation vor der Sezession, als Reformkonvent begründet worden, um die Regel Benedikts strenger zu befolgen als es im cluniazensischen Umfeld üblich war - mit großem Erfolg, der sich nicht zuletzt in einem beträchtlichen Reichtum, auch großen Zehnt- und Kirchenschenkungen dokumentierte. 3 9 Daran aber nahmen die ,neuen Reformer' gerade Anstoß. Die Lebensweise der Mönche von Molesme w u r d e in den zisterziensischen Texten in immer schwärzeren Farben gemalt, um die eigene Entscheidung, den Auszug aus Molesme, eine neue Interpretation der gemeinsamen Regel des heiligen Benedikt zu legitimieren. 4 0 Die Tendenz gipfelt gewissermaßen in der Vita Roberti aus dem 13. Jahrhundert, in der den Mönchen von Molesme schlicht bescheinigt wird, mit zunehmendem Reichtums seien sie moralisch abgesunken und spirituell verarmt. 4 1 Inneres und Außeres, geistliches Leben und materieller Erfolg waren aber nicht nur negativ miteinander verklammert. Orden, Kongregationen und einzelne Häuser rangen nicht nur im monastischen Wettstreit um die beste Form religiösen Strebens, sondern auch um die Anerkennung in der Welt, die sich ganz profan in Zuwendungen, Patronage und Nachwuchs 4 2 zeigte. Wie hart auf diesen Feldern gekämpft wurde, zeigen nicht nur Briefe oder Traktate, sondern auch ganz prosaische Texte, wie z.B. der formelle Vertrag, der 1142 zwischen je vier führenden Äbten der Zisterzienser und der Prämonstratenser zugleich im Namen der jeweiligen Generalkapitel, den entscheidenden Ordensgremien also, geschlossen und 1153 noch einmal eindringlich von denselben eingeschärft Sehr gut zu verfolgen in den Chartularen (ed. L A U R E N T ) . Hier genüge der Hinweis auf A U B E R G E R 1986 und die Bemerkung von Giles Constable: „Scholars now look at the history of the Cistercian order, including its liturgy, art and architecture, in terms of successive generations, each of which adjusted the past to meet its own requirements" ( C O N S T A B L E 1996, S. 38f. mit langer Anm. 171 zu den Basistexten). 41 Vita Roberti Molismensis, c. 9, S. 13. Zu einer von Reformern aller Zeiten gerne angeführten Gesetzmäßigkeit' verallgemeinert auch schon bei R O B E R T VON T O R I G N Y De immutatione, c. 7 (Sp. 1313). 39

40

42

CONSTABLE 1985, S. 36f.

Franz J. Feiten

36

wurde: Hinfort wollte man keine Mönche/Kanoniker, Konversen und Novizen des jeweils anderen Ordens aufnehmen (was nicht immer beachtet wurde, wie wir sahen). Keiner sollte eine Abtei dort errichten, wo schon eine des anderen Ordens war, sondern mindestens vier Meilen Abstand halten, bei den Grangien mindestens eine Meile. Gegenseitig wollte man keine Zehnten beanspruchen. Streitfälle sollten freundschaftlich durch Vermittler beigelegt werden. Schließlich, es handelte sich ja nicht um multinationale Konzerne, die ihre Märkte abstecken, sondern um religiöse Orden, sicherte man sich gegenseitig Totengedenken und Gebet zu. 43 Selbst in ein und demselben Reformorden sah man sich genötigt, die K o n kurrenz zu zügeln, wie einer der frühesten Beschlüsse des zisterziensischen Generalkapitels zeigt. 44 Wo stand, so ist nun zu fragen, Hildegard von Bingen in dieser Vielfalt von Beharrung und stürmischer Reform bzw. Neuschöpfung auf dem Gebiet der ,vita religiosa', der „Reformation des 12. Jahrhunderts", 4 5 die ein wesentlicher Teil der alle Lebensbereiche umfassenden Aufbruchsbewegung in dieser „schöpferischen, gestaltenden Epoche ... wie keine andere" 4 6 war? Die Antwort soll in drei Schritten gesucht werden: Wie sah das monastische Umfeld auf dem Disibodenberg aus, in dem sie bis zu ihrem fünfzigsten Lebensjahr lebte und, so sollte man vermuten, ihre entscheidende Prägung erfuhr (2)? Was können wir über ihre eigene Konzeption der ,vita religiosa' sagen, die sie nach dem Tod ihrer Meisterin und der Lösung aus der unmittelbaren Abhängigkeit des Abtes in ihrer eigenen Gründung Rupertsberg realisierte und theoretisch formulierte (3)? Und schließlich: Welche Position bezog sie gegenüber den im ersten Teil angesprochenen Formen der Erneuerung der ,vita religiosa' ihrer Zeit (4)?

43

44

Statuta Capitulorum,

S. 35-37; L E PAIGF. 1633, I, S. 322f.; dazu: G E R I T S 1964, mit Belegen der Anwendung in der F o r m von Einzelverträgen über Ausnahmeregelungen, S. 195; SPAHR 1964. Das entsprechende A b k o m m e n mit den Cluniazensern erstreckt sich nur auf die Gebetsverbrüderung (LE PAIGE 1633, I, S. 321 f.; PETRUS V E N E R A B I I . I S Epistole, ep. 152. „Si quis monachus, clericus aut laicus, ad aliquam ecclesiarum nostrarum causa manendi uenire uoluerit, non ei dissuadeat aliqua alia ecclesia, nec eum retineat etiamsi manere uoluerit, quia scriptum est: Q u o d tibi non uis fieri, alii ne feceris";

Instituta Generalis 45 46

Capituli apud Cistercium

11, mit näheren Bestimmungen, um

,Zwietracht zwischen den Klöstern' zu vermeiden ( E i n m ü t i g in der Liebe, S. 124). Schon vor CONSTABLE 1996 BOLTON 1983, bezogen auf die religiösen Entwicklungen im späten 11. und im 12. Jahrhundert HUIZINGA 1954, Zitat S. 162. Peter von Moos charakterisierte sie als ein „überaus buntes, chaotisches und explosives Zeitalter"; VON M o o s 1988, Zitat S. 6.

Noui

esse uolunt

...

deserentes

bene

contritam

37

uiam

2 . D I E M O N A S T I S C H E H E I M A T H I L D E G A R D S VON B I N G E N U b e r die m o n a s t i s c h e

Heimat Hildegards

auf d e m D i s i b o d e n b e r g

wissen

seit e i n i g e n J a h r e n s e h r viel m e h r als die b i s h e r i g e n m e h r o d e r w e n i g e r

wir

vagen

A n d e u t u n g e n , h i r s a u i s c h e n E i n f l u s s e s ' , v e r m i t t e l t ü b e r das M u t t e r k l o s t e r St. J a k o b in M a i n z b z w . die K o n t a k t e z u St. E u c h a r i u s / S t . M a t t h i a s

in T r i e r , 4 7

ver-

m u t e n ließen.48 E i n e m glücklichen Q u e l l e n f u n d F r a n z Staabs, der 1992 die

Vita

Juttas v o n S p o n h e i m edierte und 1998 auch eine U b e r s e t z u n g dazu v e r d a n k e n wir eine Fülle anschaulicher, bis dahin u n b e k a n n t e r die das B i l d H i l d e g a r d s g a n z e r h e b l i c h

publizierte,

Informationen,

verändern.49

J u t t a , m i t der H i l d e g a r d i m A l t e r v o n 14 J a h r e n das m o n a s t i s c h e L e b e n

auf

d e m D i s i b o d e n b e r g b e g a n n , d o r t i n e n g s t e r G e m e i n s c h a f t m i t i h r m e h r als z w e i Jahrzehnte

lang

verbrachte

und

die

Entwicklung

der

,Klause'50

zu

einem

47

BECKER 1 9 8 2 ; BECKER 1 9 9 6 , bes. S. 2 5 0 f f .

48

Z u m D i s i b o d e n b e r g , dessen G e s c h i c h t e n o c h manche Rätsel aufgibt, jetzt neben dem g r u n d l e g e n d e n A u f s a t z v o n BÜTTNER 1 9 3 4 : STAAB 1 9 9 2 , S. 157ff.; SEIBRICH 1 9 7 9 u n d die v o r z ü g l i c h e n

Uberblicke

mit umfangreichen

Literaturangaben

von

NIKITSCH

1 9 9 8 , hier bes. S. 1 7 - 2 1 , u n d FEI.L 1 9 9 9 , bes. S. 1 2 8 - 1 3 1 . D e n n o c h b l e i b t f ü r die f r ü h e Z e i t n o c h vieles i m D u n k e l n . F ü r die z i s t e r z i e n s i s c h e Z e i t hat C h r i s t i n a B a r t z eine vorzügliche Magisterarbeit zur Wirtschafts- und Besitzgeschichte 1 2 5 9 - 1 4 0 0 vorgelegt ( M s . M a i n z 1 9 9 9 ) . -

F ü r d e n , h i r s a u i s c h e n E i n f l u ß ' hat J o a c h i m H e i n z e r im

m u s i k w i s s e n s c h a f t l i c h e n Teil des B i n g e r K o n g r e s s e s im Sept. 1 9 9 8 ein neues Z e u g n i s v o r g e s t e l l t , ein h e u t e im K l o s t e r E n g e l b e r g in der S c h w e i z (ms. 1 0 3 ) a u f b e w a h r t e s „ A n t i p h o n a r , des a u s g e h e n d e n 12. J a h r h u n d e r t s . . . , das o f f e n s i c h t l i c h v o m D i s i b o d e n b e r g s t a m m t " ( H i l d e g a r d u n d i h r liturgisches U m f e l d , i m M s . , f ü r dessen Ü b e r lassung a u c h hier h e r z l i c h g e d a n k t sei, v o r A n m . 4). 49

STAAB

1 9 9 2 , E d i t i o n der

Vita

Juttae:

S. 1 7 2 - 1 8 7 ;

Ü b e r s e t z u n g j e t z t STAAB

1997,

U b e r s e t z u n g S. 6 9 - 8 6 . 50

FLANAGAN 1 9 8 9 , S. 3 9 s p r i c h t , m i t H i n w e i s auf E l i s a b e t h v o n S c h ö n a u v o n „a m o r e relaxed f o r m o f a s s o c i a t i o n ( t h a t ) w a s c o m m o n in G e r m a n d o u b l e m o n a s t e r i e s " . Sie setzt den Ü b e r g a n g v o n der , K l a u s u r ' z u m , D o p p e l k l o s t e r ' s c h o n sehr früh, m i t der Ü b e r r e i c h u n g des S c h l e i e r s an die j u n g e n F r a u e n 1 1 1 2 an. D i e ihr v e r f ü g b a r e n s p ä r lichen I n f o r m a t i o n e n z u m L e b e n auf d e m D i s i b o d e n b e r g - sie k e n n t n o c h n i c h t die Vita Juttae

-

r e i c h e r t sie d u r c h a l l g e m e i n e r e E r w ä g u n g e n u n d w e i t r e i c h e n d e V e r -

gleiche m i t E i n r i c h t u n g e n G i l b e r t s v o n S e m p r i n g h a m u. a. an. V o n einer Zelle, die J u t t a s Vater i h r auf d e m D i s i b o d e n b e r g h a b e e r r i c h t e n lassen (S. 2 8 ) w e i ß die Juttae

nichts. Vgl. F L A N A G A N 1 9 9 6 , ebenfalls n o c h o h n e K e n n t n i s der Vita

Vita Juttae.

D i e s e ist s c h o n a u s g e w e r t e t v o n HOTCHIN 1 9 9 6 ; vgl. a u c h MEWS 1 9 9 6 b ; MEWS 1 9 9 8 a ; MEWS 1 9 9 8 b . Sie halten am , R e k l u s e n ' d a s e i n fest, b e t o n e n a b e r die W e i t e des geistig e n - g e i s t l i c h e n L e b e n s . M e w s m e i n t : „ E v e n if J u t t a had m a d e h e r s e l f i n t o a p u b l i c figure at t h e a b b e y , h e r b i o g r a p h e r p r e s e n t e d her as a recluse w h o s u b l i m a t e d sexual desire and an a m b i t i o n t o go o n p i l g r i m a g e w i t h a life ο d e l i b e r a t e m o r t i f i c a t i o n , in s i l e n t ( ! ) a n t i c i p a t i o n o f h e r o w n d e a t h . . . " ( 1 9 9 8 b n a c h A n m . 14). D a z u n u r z w e i A n m e r k u n g e n : D e r Vita

z u f o l g e h a t t e J u t t a d e z i d i e r t u n d gegen den W i l l e n i h r e r

F a m i l i e die E h e v e r w e i g e r t , u m ein religiöses L e b e n zu f ü h r e n ( m a n k ö n n t e e i n w e n den, das s c h l i e ß e s u b l i m a t i o n s b e d ü r f t i g e sexuelle W ü n s c h e n i c h t aus); z u m a n d e r n

38

Franz J.

Feiten

,Frauenkonvent' 51 erlebte, erscheint in der bald nach ihrem Tod verfaßten Vita erwähnt MEWS, im selben Kontext mit der schweigenden Vorwegnahme des Todes, die zahlreichen Besucher, denen Jutta antwortete. Für seine Vermutung eines Lebens „on the edge of the abbey in what have been increasingly cramped conditions" (1996 vor Anm. 27) gibt es keinen Anhaltspunkt in der Vita Juttae, allenfalls die oben zitierte und relativierte Stelle der Vita Hildegards (I 6). - N o c h ohne Kenntnis der genannten Aufsätze hatte ich 1998 versucht, den bis in die jüngste Literatur hinein wirkenden Eindruck eines ,eingemauerten Daseins in einer engen Zelle' zugunsten der Vorstellung eines konventualen Lebens in enger Verbindung mit dem Männerkonvent zu relativieren (FELTEN 1998; Exkurs: Das Leben der Reformbenediktinerinnen auf dem Disibodenberg). Die traditionelle Vorstellung beruht auf der sehr detaillierten - freilich Jahrzehnte später und vermutlich aufgrund eines entsprechenden Rituals tatsächlicher Klausner verfaßten - Beschreibung Guiberts von Gembloux (ep. 38, S. 370f., Z. 1 3 7 - 1 7 0 ) und der einseitigen, durch Guiberts Beschreibung und den Gebrauch von Begriffen wie ,ergastulum' und ,carcer' geförderten Interpretation von ,includere', (virgo) ,inclusa', was auch für ganze Konvente, d.h. mit Bezug auf die monastische Klausur, gebraucht wird. Verschiedentlich, u.a. von FLANAGAN 1989, S. 2f., wurde darauf hingewiesen, daß Hildegard selbst nicht von ,Einschließung in einer Klause' sondern von dem O r t spricht, an dem sie dargebracht wurde (Vita II 10, III 25; zur ,Oblation' s. unten). 51

Die Vita Juttae wie die Viten Hildegards geben letztlich keine Klarheit über die Örtlichkeiten; dazu jetzt aufgrund bester Kenntnis des Terrains und allgemeiner Überlegungen: Eberhard NIKITSCH in diesem Band. Die mit den Aussageabsichten der Viten (bzw. ihrer verschiedenen Schichten) und ihrer Ausdrucksweise verbundenen Probleme werden nicht zuletzt deutlich in der Ubersetzung von Vita I 6: „cunctosque reclusionis angulos et habitacula perambulans"; Adelgundis Führkötter übersetzte in ihrer noch oft (allein) benutzten Ausgabe: „durch alle Winkel und Räume der Klause"; Monika Klaes übersetzt in ihrer zweisprachigen Ausgabe von 1998: „alle Winkel der Klause und die Wohnungen". In Vita I 5 wird hingegen der Eindruck erweckt, bis zur Verlegung des Frauenkonvents hätten die „zahlreich" Hildegard zugeströmten Adelstöchter alle in einer Wohnung („unum reclusionis habitaculum") gelebt, die sie „kaum noch alle faßte"; es sei „schon über eine Verlegung und Vergrößerung ihrer Unterkunft beratschlagt" worden. D a wurde Hildegard „durch den Heiligen Geist eine Stätte gezeigt . . . " , der O r t ihrer Umsiedlung („locum transmigrationis"). - Diese Variante, die auch von den Kanonisationsakten (c. 3) wörtlich aufgegriffen wurde, hat den Vorteil, eine ,ganz sachlich-pragmatische Notwendigkeit' für den Wegzug zu bieten. Dabei ist zu bedenken, daß der Autor dieser Passagen Gottfried selbst Disibodenberger Mönch war und den Interessen seines Klosters u.a. dadurch Rechnung trug, daß er die „Auseinandersetzungen mit Hildegard bzw. dem Rupertsberg eher verharmlost" (KI.AES, Einleitung zu Hildegardis Vita, S. 108*). D e r Plural im unmittelbar folgenden c. 6 klingt nicht nur plausibler, sondern paßt auch besser zu dem, was wir aus der Vita Juttae erfahren und was wir über die Frauengemeinschaften bei Männerklöstern der Zeit, insbesondere der Hirsauer, zu wissen glauben - trotz des weitgehenden Schweigens der Quellen und der Forschung, wie GILOMEN-SCHENKEL 1990 betonte. Das Phänomen der Frauengemeinschaften bei Männerklöstern, von der ,kleinen Klause' bis zum ,Doppelkonvent', die ja gerade ein Charakteristikum der Hirsauer und anderer Reformer waren - s. schon DOERR 1934,

Noui esse uolunt

... deserentes

bene contritam

uiam

39

Juttae52 als eine n a c h g e r a d e t y p i s c h e Vertreterin der m o n a s t i s c h e n R e f o r m dieser J a h r z e h n t e : Sie setzte gegen den W i l l e n ihrer F a m i l i e d u r c h , d a ß sie u n v e r heiratet b l e i b e n und ein religiöses L e b e n f ü h r e n k o n n t e . U n t e r der L e i t u n g U d a s v o n G ö l l h e i m , die als W i t w e im religiösen H a b i t a u ß e r h a l b eines K l o s t e r s lebte, 5 3 eine altehrwürdige F o r m religiösen L e b e n s , die aber im 12. J a h r h u n d e r t

S. 3 2 , u n d j e t z t GILOMEN-SCHENKEL 1 9 9 0 , 1 9 9 2 u n d KÜSTERS 1 9 8 5 , 1991 -

52

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bedarf

dringend einer umfassenden Untersuchung, die in naher Zukunft erwartet werden kann. Nach dem Prolog wurde sie von Abt Kuno vom Disibodenberg veranlaßt, der von 1136 bis 1155 das Kloster regierte. STAAB 1992, S. 172 bzw. S. 187, Anm. 173 engt den Entstehungszeitraum auf die kurze Zeit vor dem 4. Dez. 1137 ein, weil Kaiser Lothar, noch gelebt habe. Diese Annahme stützt sich freilich nur darauf, daß die Vita bei der Nennung seines Namens nicht hinzufügt ,piae memoriae' oder eine ähnliche Formulierung. Aber auch andere Personen, die eine Rolle in Juttas Leben gespielt hatten, wie Erzbischof Ruthard oder Abt Burchard werden ohne einen entsprechenden Zusatz erwähnt, obgleich sie zweifellos zur Abfassungszeit der Vita verstorben waren, und Bischof Otto, der am 30. Juni 1139 starb und in der Vita mit „sanctae memoriae" apostrophiert wird (III. 8, ed. STAAB 1992, S. 176); vgl. schon MEWS 1996b, S. 15 mit Anm. 17, danach HAVERKAMP 2000, S. 15f., Anm. 3. Da Hildegard in der Vita Juttae nicht namentlich genannt wird, schließt Mews, daß die Vita geschrieben wurde, als Hildegard noch nicht aus eigenem Recht berühmt war; ähnlich wieder in: MEWS 1998b, vor Anm. 10. HAVERKAMP schlägt „um 1140" vor. „Eine Abfassung der Vita nach der Verlegung des Nonnenkonvents zum Rupertsberg, also nach 11481150, ist auszuschließen, da dafür seitdem die vorrangigen Adressaten der Vita, der Frauenkonvent, fehlten". - Die Annahme liegt nahe, daß die Vita primär für Hildegard und ihre Schwestern geschrieben wurde, möglicherweise, um sie auf das darin geschilderte monastische Ideal festzulegen. Das wäre dann sogar ein Hinweis auf abweichende Vorstellungen Hildegards schon auf dem Disibodenberg, vielleicht sogar auf zunehmende Spannungen grundsätzlicher Natur zwischen den Mönchen und den Nonnen unter Hildegards Leitung. Es ist aber nicht sicher, ob die vita nicht auch weiteren ,Zwecken dienen' konnte, der Förderung des Kultes, der Wallfahrt usw. Schließlich ist zu überlegen, ob mit dem Weggang Hildegards klar war, daß keine Frauen mehr auf dem Disibodenberg lebten bzw. leben sollten. Wir wissen, daß die Mönche die Nonnen ungern ziehen ließen; für ihre Anwesenheit sprachen, wie anderenorts offen formuliert wird, durchaus praktische Gründe: die Arbeitskraft der Frauen; vgl. nur das Regularkanonikerstift Klosterrath, wo nach der endgültigen' Ubersiedlung von nicht weniger als 37 Frauen nach Marienthal an der Ahr 1140, schon ein Jahr später acht Frauen wieder zurück geholt wurden, um den Kanonikern die Kleider zu nähen und andere weibliche Arbeiten zu verrichten - Kern für einen wiederum schnell wachsenden neuen Konvent; Annales Rodenses, S. 7 1 4 ; vgl. F E L T E N 1992, S. 245 mit weiteren Belegen. Wo dies war, wird nicht gesagt; Franz Staab vermutete, Jutta (und mit ihr Hildegard) habe zunächst auf der väterlichen Burg Sponheim gelebt (1997, S. 64f.); dagegen HEINZELMANN 1997, S. 12ff. Alfred HAVERKAMP weist auf „Wirkungen des Reformklosters Allerheiligen zu Schaffhausen am Mittelrhein", Lipporn-Schönau, Rommersdorf, eher noch Pfaffenschwabenheim an der Nahe, hin. Wir wissen, aus spo-

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zunehmend in organisierte F o r m e n überführt und schließlich verboten wurde, 5 4 schritt J u t t a mit N a c h t w a c h e n , G e b e t und Arbeit - Tag und N a c h t , wie es in der Vita heißt - v o m G u t e n z u m Besseren, von einer Tugend zur anderen fort. 5 5 Juttas ,Einschließung', besser, weil neutraler w o h l : ihr Eintritt ins monastische L e b e n auf dem kurz zuvor mit M ö n c h e n aus St. J a k o b in M a i n z wieder besiedelten D i s i b o d e n b e r g 5 6 war nicht freiwillig, sondern erfolgte, wie die Vita deutlich betont, unter dem D r u c k ihres Bruders. 5 7 E r verhinderte nicht nur die von der inzwischen immerhin zwanzigjährigen Frau geplante „peregrinatio", 5 8 sondern verlangte eine ,sichere Verwahrung': A u f sein Verlangen hin und mit dem R a t des B a m b e r g e r Bischofs O t t o ( 1 1 0 2 / 0 6 - 1 1 3 9 ) wählte sie sich den D i sibodenberg als Wohnstätte („habitandum elegit"). Von A b t B u r c h a r d wurde sie mit zwei Schwestern ( „ s o r o r i b u s " ) am 1. N o v . eingeschlossen und legte am selben Tag vor dem A b t die P r o f e ß ab ( I I I , 9 - 1 0 ) . Von der von G u i b e r t J a h r zehnte später so detailliert beschriebenen ,Einmauerung in eine kleine Zelle' ist

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radischen Nennungen in Urkunden, sowie aus der freilich späten Zusammenstellung des Trithemius in seinem Cbronicon Sponbeimense von etlichen Frauen,Klausen' bei/an Männerklöstern im Mittelrheingebiet. Leider wurde diesem Aspekt in den einschlägigen Artikeln der Germania Benedictina 9 nicht genügende Aufmerksamkeit geschenkt und der (für die Frauen wichtige) Johannisberg, wiewohl im engsten Bezug zu Mainzer Klöstern, liegt heute in Hessen und damit außerhalb des Bearbeitungsraumes. Vgl. GREGORIUS Dialogi, II, 23, über „sanctimoniales feminae ... quae in loco proprio conuersabantur". Zum ,monachesimo domestico' und den Bestrebungen, die Frauen, die im religiösen Gewand in ihren Häusern leben, zu regulieren' vgl. FEUSI 1 9 1 7 ; MEERSSEMAN 1 9 7 7 , I , S . 2 7 0 - 2 8 2 ; M A C C A R R O N E 1 9 7 2 , S . 2 7 2 - 2 7 8 .

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Vita Juttae, c. II, 5f., ed. STAAB 1992, S. 175. Im Jahre 1112, wie Franz STAAB mit guten Argumenten betont (1992, S. 176f. Anm. 156; 1997, S. 64); vgl. auch HAVERKAMP 2000, S. 16f., mit Anm. 5. Dennoch hält sich bis in die jüngste Literatur die auf die Vita Hildegards (I 1 mit acht Jahren) gestützte Frühdatierung auf 1106. Vita Juttae, c. III, 8f., ed. STAAB 1992, S. 176: „Nam frater eius Meginhardus hoc cognito absentiam eius reputans sibi non tolerandam, peregrinationi sororis studuit obstaculo fore, mediante domno Ottone sanctae memoriae Babinbergensi praesule. Ipsius namque consultu germanique rogatu(!) hunc locum qui vocatur mons sancti Dysibodi habitandum elegit . . . " Mit den meisten Autoren hatte ich, nicht zuletzt im Hinblick auf die verbreiteten Fernwallfahrten in dieser Zeit, man denke nur an die Gründerin von Allerheiligen, Ita von Nellenburg, die wie Paulina von Paulinzella (s. unten) nach Rom und Santiago de Compostella reiste, an eine Pilgerfahrt gedacht. Alfred Haverkamp möchte eher an peregrinatio in der Tradition des irischen Mönchtums denken (HAVERKAMP 2000, S. 34f., Anm. 74). Dafür könnte sprechen, daß die Vita, vom Verlassen der Heimat und des Vaterhauses („patriam scilicet domumque paternam pro domino relictura") spricht (III, 7). Es wäre auch an die gerade in dieser Zeit hochaktuellen ,Wanderprediger', wie Robert von Arbrissel oder Norbert von Xanten zu denken, die zahlreiche Frauen anzogen.

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hier, wie in den Annalen des Klosters, nicht die R e d e ; „est inclusa" ist wohl, gerade in Verbindung mit der Formulierung „monachicam uitam professa", schlicht als ,Klausurierung', Aufnahme in einen geschützten klösterlichen Raum zu verstehen. 5 9 Jutta wurde damit, wie die Hinweise auf ihre bisherige Lebensweise, auf die peregrinatio und die Sorgen des Bruders unterstreichen, Reguliert', wie so viele religiös bewegte Menschen ihrer Zeit, selbst Männer, wie einige Jahre zuvor R o b e r t von Arbrissel in Fontevraud, wenig später N o r b e r t von Xanten in Premontre, um nur die Prominentesten zu nennen. Wie eine alternative religiöse Karriere auch im Hirsauer Umfeld verlaufen konnte, zeigt das Leben der Paulina von Paulinzella (in Thüringen). Ihre Vita aus der Feder eines Hirsauer Mönchs, der nach Paulinzella gekommen war, entstand etwa zur selben Zeit wie die Juttas auf dem Disibodenberg. 6 0 Im Unterschied zu Jutta konnte Paulina ihre ,vita religiosa' zu Beginn des 12. Jahrhunderts erst nach zwei Ehen realisieren, verfügte dafür aber über einen größeren Freiraum als die unverheiratete Jutta. Schon als Ehefrau pilgerte sie nach Santiago de Compostella und R o m ; nach dem Tod ihres Gatten widmete sie sich der ,vita religiosa' in Enthaltsamkeit (c. 13), verteilte ihre H a b e an Arme und Kirchen, reiste wieder nach R o m (c. 14), ließ sich in Thüringen ,ein kleines, der gewünschten Armut angemessenes Haus bauen, um sich dort ganz dem Dienste Gottes zu weihen'; zu der „mansiuncula" gehörte eine Kapelle, die, vielleicht bezeichnend für die spirituelle Ausrichtung, zunächst der heiligen Maria Magdalena geweiht wurde (c. 18). Die Beschreibung der asketischen Übungen Paulinas (c. 20) erinnert an die der Vita Juttas. Ihren Lebensunterhalt erwarb sich die Witwe unter anderem durch kunstfertige Handarbeiten, die sie offenbar mit großem finanziellen Erfolg selbst auf Reisen mit einem Eselchen vertrieb (c. 21 f.). Ü b e r die entstehende religiöse Gemeinschaft um Paulina erfahren wir fast nichts, außer daß Paulinas Sohn Werner ebenfalls konvertierte' und sich den Laienbrüdern („fratres barbati") anschloß, von denen wir bei dieser Gelegenheit erstmals und unvermittelt erfahren (c. 23f.). F ü r Sigeboto, den Hirsauer Autor, beginnt die Sache richtig interessant zu werden, als auf Bitten Paulinas zwei M ö n c h e von Hirsau, darunter vermutlich der Autor selbst, nach Paulinzella wechseln und dort für ,Stabilität' sorgen, nachdem vorher mehrere andere aus diversen Orden wegen der Einsamkeit des Ortes bzw. eher wegen ihrer eigenen

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Vgl. auch das Lob der Abschließung „Quis sit fructus reclusionis" in der Chronik von Petershausen, wo eindeutig die klösterliche Klausur gemeint ist, wo Männer und Frauen, „ab invicem tarnen sequestratus", gemeinsam Gott dienen nach dem Vorbild der Apostel, die sich um Maria geschart hatten (Apg 114); Casus Petrishusensis, Praefatio cc. 8-9, Chronik Petershausen, S. 24. S I G E B O T O Paulina, verfaßt wahrscheinlich 1133-1163; vgl. K Ü S T E R S 1985, S . 121 ff.; KÜSTERS 1991, S. 2 0 0 f . mit älterer Lit. A u ß e r d e m j e t z t BADSTÜBNER-KIZIK BADSTÜBNER-KIZIK

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mangelnden Eignung wieder weg gegangen waren. 61 Zu dieser Stabilisierung' durch erfahrene Reformmönche gehört auch die vom Autor gerühmte räumliche Trennung der Geschlechter. 62 Die doppelte Begründung zeigt, wie weit sich die Hirsauer schon von ihren ursprünglichen Idealen einer apostolischen Gemeinschaft von Männern und Frauen entfernt, alten, ja uralten Bedenken wieder Rechnung getragen hatten: um Verleumdungen vorzubeugen, aber auch, weil es den Menschen, die Gott richtig suchen, nicht viel nützt, eher schadet, wenn sie mit Frauen zusammen wohnen. 6 3 Werden Jutta und Hildegard von Anfang an in die Obhut eines funktionierenden Klosters gegeben, brauchen sie sich um institutionelle Dinge nicht zu kümmern, so fungierte Paulina auch darin als Gründerin, daß sie selbst für die institutionelle Absicherung ihres Werkes sorgte. 1105/1106 unternahm sie ihre dritte Romreise, bei er sie, nach Sigeboto jedenfalls, 64 einen päpstlichen Schutzbrief nach Hirsauer Muster erhielt (c. 27). Außerdem gewann sie weitere Mönche aus Hirsau, bevor sie am 14. März 1107, auf der Heimreise im hirsauischen Kloster Münsterschwarzach am Main starb (cc. 28-31). Selbst nach ihrem Tode festigte sie ihre Gründung, als die Mönche Thüringen wieder verlassen wollten: In einer Erscheinung veranlaßte Paulina sie zum Bleiben. Letztlich wurde Paulinzella endgültig durch Übernahme weiterer Hirsauer Mönche und vor allem der hirsauischen consuetudines stabilisiert (cc. 38-44). Wieweit hier der Wunsch, den Ruhm des Schwarzwaldklosters zu mehren, Sigebotos Darstellung bestimmt hat, läßt sich nicht mehr klären. 1123 wurde Paulinas Leichnam in die neue Klosterkirche transferiert (c. 52), ihre Gründung, die noch Ende des 13. Jahrhunderts als regelrechtes Doppelkloster in den Urkunden erscheint, 65 wurde zum Wallfahrtsziel, bis sie in der Reformation unterging. Paulina und ihr Werk, wie es sich in ihrer Biographie wie in den Urkunden ihres Klosters widerspiegelt, zeigen, welche Handlungsspielräume sich einer 61

„Sic et alii plures diversi ordinis, cum eodem locum Christi ancilla primum incolari venisset, ad eam venerunt et sive horrore solitudinis offensi, seu, quod credibilius est, instabilitate sua seducti ea levitate, qua venere, discesserunt" (c. 25, S. 921). Das ist weniger Analyse der tatsächlichen Gründe als Polemik gegen andere Orden, gegenüber deren Unvermögen die Hirsauer um so besser dastehen. 62 „Nam ubi promiseuum sexum, virorum scilicet et mulierum, sanetitati licet assignatum, diversus ordo distinete concludit, quamvis sanetitas utriusque miraculorum fulmine montes feriat, fide et precum maiestate montes moveat, tarnen nisi timor et amor Dei intercesserint et pastorum diligentia verbi pariete sexum utrumque distincerit, adversiorum calumpniae commanentia patebit" (c. 26, S. 922). - Die Frauen ziehen sich zurück:„beata femina ... remotiorem angulum mansionemque elegit" (c. 25, S. 922). 63 „ingens exemplum posteritati reliquens", rühmt er Paulina, „ut timor maiorum cautela sit minorum, quia rite Deum querentibus non multum prodest, immo plurimum obest cohabitatio feminarum" (c. 25, S. 922). 64 Vgl. dazu F E N S K E 1977, S. 276 mit Anm. 331. 65 Urkundenbuch Paulinzella, Nr. 243.

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Frau zu Beginn des 12. Jahrhunderts - auch bei gleicher monastischer Heimat eröffnen konnten. 66 Weitere Biographien könnten das Spektrum erweitern. Auf dem Disibodenberg waren die Grundvoraussetzungen andere, Jutta schuf nicht die Grundlagen für das Kloster, sondern trat in ein vom Bischof (wieder)gegründetes Haus ein; anders wäre es vielleicht gewesen, hätte sie schon das Kloster Sponheim gründen können, das ihr Bruder einrichtete, ein Dutzend Jahre später, nachdem eine Heirat es ihm ermöglicht hatte.67 Der Disibodenberg entwickelte sich nicht zu einem Doppelkloster, sondern Hildegard betrieb zwölf Jahre nach dem Tod ihrer Meisterin, energisch die Trennung der Konvente - an weit entfernten Standorten. Disibodenberg entwickelte sich offenbar nicht zu einem Wallfahrtsort, obwohl Jutta, nach allem, was wir aus ihrer Vita über sie erfahren, alle Voraussetzungen für die Entwicklung zu einem Wallfahrtsziel geschaffen hatte. Selbst ihr letzter Wunsch, nicht an einem heiligen Ort beerdigt zu werden, sondern dort, wo sie täglich von allen Durchgehenden mit den Füßen getreten würde (VIII, 19), hätte diesem Ziel dienen können. Er war nicht nur Ausdruck eines Demutsideals, dem sie ihr Leben lang gefolgt war,68 sondern hätte sichergestellt, daß sie auch nach ihrem Tod für die Menschen e r reichbar' gewesen wäre, die ihre Hilfe suchten - nicht zuletzt auch für ihre Schwestern.

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„In der Vita Paulinae ist die Religiose", so faßt Urban Küsters zusammen, „Leitfigur und Bindeglied in dem systematisch aufgespannten Zusammenhang von Laienkonversion, adliger Stiftung und reformerischer Klostergründung ... Im Unterschied zur religiösen Karriere der Herluka ist die vita solitaria Paulinas mit ihren Zügen einer klosterungebundenen laikalen Armutsreligiosität nur Vorstufe und vorbereitende Zwischenstation. Indem das erzählerische Konzept der legendarischen Lebensgeschichte in das einer mcthodisch-planvollen Klostcrgründungsgcschichte überführt wird, gewinnt auch das beschriebene asketische Charisma der Protagonistin eine deutliche integrative Funktion: Es wird zum Ausgangs- und Kristallisationspunkt eines regulierten, nach zönobitisch-reformerischen Maßstäben eingerichteten, attraktiven Wallfahrtsklosters, dem die auch im Namen Paulinzella' erinnerten eremitischen Anfänge eine zusätzliche Weihe verleihen"; KÜSTERS 1991, S. 202f. Eher enttäuschend die Ausführungen von BADSTÜBNER-KIZIK ZU „Struktur und Funktion" der Vita. Erzbischof Adalbert I. beurkundet am 7. Juni 1124, daß ihm die Kirche zu Sponheim zur Gründung eines Klosters tradiert wurde; Urkundenbuch Mainz I, Nr. 522; vgl. MÖTSCH 1 9 9 9 , S. 8 0 2 f .

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Vgl. auch den Wunsch des Wanderpredigers und Klostergründers Robert von Arbrissel, bei seinen Brüdern und Schwestern auf dem Friedhof beerdigt zu werden; Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Mönche, Adelige und vornehme Laien hätten aber darauf bestanden, ihn in der großen Kirche zu beerdigen, da er ihr Gründer und stets ihr Schirmherr gewesen sei; so die französische Fassung der Vita aus dem 17. Jahrhundert, ed. DALARUN 1985, S. 281-283, 295; die lateinische Version verzichtet auf die Begründung für die Mißachtung des wiederholt dezidiert geäußerten Willens (ebd. S. 328). Vgl. die Interpretation DALARUNS S. 196ff.

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In gewissem Widerspruch zur Tendenz der Vita Juttae, die auf Verehrung einer nicht auf den Klosterbezirk beschränkten Heiligen angelegt ist, behauptet Guibert von Gembloux, daß die Mönche daran kein Interesse hatten. Ihm zufolge beerdigten sie Jutta in ihrem eigenen Kapitelsaal, 69 entzogen sie damit allen Außenstehenden, insbesondere den Kranken, denen sie den Zutritt um der Ruhe des Ortes willen untersagten, und, ohne daß Guibert das sagt, auch ihren Schwestern. Damit entzogen sie Jutta gleichsam die Möglichkeit, weitere Wunder zu wirken, so daß sie, immer noch nach Guibert, auf andere Weise auf sich aufmerksam machen mußte - durch Wohlgeruch, der von ihrem Grabe ausströmte, wenn die Mönche sich wuschen. Daraufhin hätten sie Jutta an einen würdigeren Platz, in die Marienkapelle vor den Hauptaltar, transferiert. Guibert beruft sich auf Augenzeugen, macht aber keine genaueren zeitlichen Angaben; insbesondere erfahren wir nicht, ob die Translation unmittelbar nach der anderweitig für 1146 bezeugten Weihe einer Marienkapelle, 70 d.h. unmittelbar vor dem Auszug Hildegards und ihrer Schwestern, oder erst später erfolgte. Eigenartiger Weise berichtet die Vita Juttas nicht, w o sie begraben wurde, ein um so erstaunlicheres Versäumnis, als der Autor ihr Begräbnis ausführlich schildert und ausdrücklich den Wunsch nach einer öffentlich zugänglichen Bestattungsstätte als Ausdruck ihrer Demut rühmt (VIII, 18-19).71 Die Annalen des Klosters erwähnen zwar den Tod, nicht aber Begräbnis und Translatio, obwohl sie in den vierziger Jahren mehrfach über Altarweihen, Patrozinien und Reliquien berichten, zu 1143 z.B. ausführlich zur neuen Grablege Disibods, mit Erwähnung von Reliquien der 11000 Jungfrauen. Auch bei der Weihe der Marienkapelle 1146 ist von Juttas Grab nicht die Rede. Sollte man aus dem Schweigen folgern können, daß die Translatio erst später Ep. 38, Z. 277. Dazu STAAB 1997, S . 85 Anm. 80, w o er seine frühere Vermutung, Jutta sei ursprünglich in der Vorhalle der Kirche beigesetzt gewesen, unter dem Eindruck von Guiberts Bericht zurücknimmt. Das Argument, Juttas zweites Grab sei im südlichen Nebenchor der Klosterkirche, nicht in der (vermutlich hinter der Klosterkirche errichteten) Marienkapelle gewesen, beruht auf einem Versehen. Guibert berichtet von einer Behinderung des Zugangs zum ersten Bestattungsort, im Kapitelsaal (Z. 279f.), nicht zum zweiten, in der Kapelle (Z. 295f.). 70 Annales Disibodi, S. 26. Wenn diese Marienkapelle an der Stelle lag, wo die gotische Marienkapelle auf romanischen Fundamenten errichtet wurde, wären die Voraussetzungen für einen Besucherverkehr gegeben bzw. leicht zu schaffen gewesen, da sie von außen zugänglich war; vgl. den gotischen Bau, der im 14. Jahrhundert als (adelige) Grablege diente, Plan und Ausgrabungsbefund in: S T A N Z L 1992, mit einem Beitrag von Eberhard NIKITSCH, S. 97-113, zur vermutlichen Ortskontinuität, S. 112. S. 103 wird ein „Altargrab" erwähnt, der N a m e Juttas wird nicht erwähnt, auch nicht in dem Abschnitt über den Kapitelsaal, w o später zahlreiche Gräber angelegt wurden (S. 68-77). 71 Uber die Gründe, wie über die Darstellung Guiberts, wäre noch einmal nachzudenken, ebenso über die Frage, warum sich auf dem Disibodenberg (anscheinend) keine Verehrung Juttas entwickelte.

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erfolgte, zu einem Zeitpunkt, als die Qualität der Annalen (nach dem deutlichen Einschnitt 1147) merklich nachgelassen hatte? Wie auch immer; es bleibt nur zu konstatieren, daß zwischen der Dürftigkeit der Nachrichten in den Annalen des Klosters (immerhin widmen sie Jutta mehr Raum als Hildegard) und der aufwendigen Vita, die Abt Kuno in Auftrag gegeben hatte, ein auffälliger Kontrast besteht und daß die Mönche des Disibodenberges offenbar nicht mit dem Schatz wucherten, den der Leib Juttas hätte darstellen können. Auch hier kann man die Frage stellen, ohne sie beantworten zu können, ob dies ursächlich mit dem Tod ihres Vertrauten Kuno, der sich für ihre Memoria eingesetzt hatte, zusammenhing - oder ob die Trennung vom Frauenkonvent, der ja mit heftigen Auseinandersetzungen verbunden war, auch das Ansehen Juttas im Nachhinein beschädigte. Die Vita Juttae jedenfalls ist unsere Hauptquelle für das Leben der Frauen auf dem Disibodenberg. Ihre normative Absicht wird im Prolog eigens betont: „et sua (= Juttas) instituta strenue obseruans custodienda suis filiabus tradidit." (Pr. 5). Eindringlich schildert die Vita uns Juttas asketisches Leben: Es war geprägt von Nachtwachen, Beten und Fasten - „in frigore et nuditate" (c. IV. 2) - bis zu ihrem Tod (c. VIII. 3). Ihre Gebetsleistung überstieg in Umfang und Form bei weitem das in benediktinischen Klöstern Übliche. Nachdem sie das reguläre Pensum absolviert hatte, worin es bestand, erfahren wir nicht, fügte sie umfangreiche Zusätze für die Lebenden und Toten hinzu. Täglich pflegte sie den gesamten Psalter zu beten, mindestens einmal, manchmal zwei oder drei Mal an einem Tag, gelegentlich ohne sich dabei von der Stelle zu rühren, stehend oder kniend, im Winter oft mit nackten Füßen, so daß sie häufiger schwer krank wurde. 7 2 Als besondere Form der Kasteiung trug sie ein Büßerhemd und eine ins Fleisch schneidende eiserne Kette auf dem bloßen Leib (c. IV. 3). Ähnliches erfahren wir aus der Vita Paulinae (c. 20). Auch in der Nahrung pflegte Jutta harte Askese über die Pflicht, die Vorschriften der Regula Benedicti, hinaus. Derartige Sonderleistungen, so verdienstvoll sie an sich waren, mußten nach der Benediktsregel (49.8) vom Abt genehmigt werden. Paulina war in diesem Punkt frei, unterstand sie doch (noch) keinem Abt. Hildegard stand, wir werden es sehen, derartigen Praktiken skeptisch gegenüber und betont in diesem Punkt die Vorschrift der Regel. Disibod freilich schrieb sie gleichwohl ähnliche asketische Leistungen zu - die er aber außerhalb der Gemeinschaft erbrachte. 73 Den möglichen Konflikt zwischen der 72

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Vita V, 6-8. Es sind Praktiken strenger Asketen, wie sie insbesondere, aber nicht nur, aus dem irischen Mönchtum bekannt sind - was für den Disibodenberg natürlich besonders interessant ist. „Habitum monastice religionis, que congregatio eius utebatur, non susceperat; quoniam leuiorem conuersationem secundum regulam beati Benedicti, quam ipse haberet, subditis suis indulserat, et hoc ideo fecit, ne, si illis in habitu similis foret, cum tarnen duritiam rigoris sui, in uigiliis, in ieuniis ac in aliis carnis sue contrarietatibus deponere nollet, religioni eorum detrahere et communem uitam eorum destruere (!)

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herausragenden Asketin und der klösterlichen Ordnung thematisiert die Vita Juttae ausdrücklich: Jutta verzichtete acht Jahre lang auf jeglichen Fleischgenuß, weigerte sich sogar bei einer schweren Erkrankung, dem entsprechenden Befehl des Abtes Adalhun (1113-1128) zu gehorchen. Damit verstieß sie, um ihres selbst gesetzten asketischen Ideals willen, gegen das zentrale Verbot der Regel, den Gehorsam. So bedurfte es eines Wunders, einen Ausweg zu finden: Ein Wasser(!)vogel, gewissermaßen eine doppelte Relativierung des ,Fleisches', ließ sich an ihrem Fenster nieder. Dieses Zeichen veranlaßte sie, dem Befehl des um ihr Leben besorgten Abtes nachzugeben - für das eine Mal, wie die Vita betont (c. VI. 1-5). Den grundsätzlichen Konflikt läßt sie unaufgelöst. Aus der Episode können wir vorsichtige Schlüsse über die Beziehungen der Frauen zum Männerkonvent ziehen, die in der Vita nicht eigens thematisiert werden. Ohne Zweifel unterstanden Jutta und ihre Schwestern der Benediktsregel und der Disziplinargewalt des Abtes, der ihre Profeß entgegengenommen hatte, aber offenbar nicht einfach Juttas Eigenwillen brechen konnte. Der Frauenkonvent hatte keine eigene Rechtspersönlichkeit, wie nach dem Auszug Hildegards beim Streit um den von den Frauen eingebrachten Besitz deutlich wird. Wie die alltäglichen Beziehungen zwischen Männer- und Frauenkonvent, ihre Beteiligung am klösterlichen Leben des Disibodenberges konkret aussah, erfahren wir leider nicht. In der Ubersetzung der Vita Juttae ist zwar vom ,regulären Offizium' die Rede, im lateinischen Text aber steht nur „cursu ... regulari" (V. 6), so daß wir nicht sicher sein können, daß damit das Offizium der Mönche in der Kirche gemeint ist, an dem die Frauen teilgenommen hätten. Auszuschließen ist es nicht, erfahren wir doch beiläufig, anläßlich einer visionären Ankündigung des Todes Juttas, von einer Witwe Trutwib, die dem Herrn Tag und Nacht mit Fasten und Beten am Tempel diente wie die biblische Anna (Lk 2 3 6 f), daß sie den nächtlichen Laudes in der Klosterkirche beiwohnte (VII. 3). Nach der Chronologie der Vita war dies freilich, bevor Jutta und Hildegard auf dem Disibodenberg ,eingeschlossen wurden'. Andererseits ist das Schweigen der Vita Juttas, erst recht der Viten Hildegards, über die Beziehungen zwischen den beiden Konventen auf dem Disibodenberg nicht überzubewerten. Auch die Vita Juttae wurde erst geschrieben, nachdem die Begeisterung für das apostelgleiche Zusammenleben von Männern und Frauen auch bei den Reformern erkaltet war, wir sahen es in der Vita Paulinae. 1139 hatte überdies das zweite Laterankonzil ausdrücklich verboten,

uideretur, sed miserrimo uictu, quo corpus suum uix sustentabat, et aspero ac duro uestitu, sicut de terra sua peregrinando exierat, quoad uixit, frequenter usus est, imitans beatum Paulum, primum heremitam, eique consimiles, qui magis in silvis, quam in uillis esse uolebant" ( H I L D E G A R D I S Vita Disibodi, 30, Sp. 1105f., hier zit. nach H A V E R K A M P 2000, S. 23, Anm. 31, der die Migne-Ausgabe nach den Handschriften korrigiert hat).

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daß Nonnen mit Kanonikern und Mönchen in derselben Kirche zusammenkommen, um im gemeinsamen C h o r die Psalmen zu singen, und dieses Verbot w u r d e sogleich in die maßgebliche Sammlung des Kirchenrechts übernommen. 7 4 Wenn w i r auch nicht wissen, wie schnell die Bestimmung in die Realität umgesetzt wurde, 7 5 so fällt doch auf, daß die Prämonstratenser genau zu dieser Zeit, in den vierziger Jahren, daran gingen, die weiblichen Konvente aus den gemeinsamen Häusern zu entfernen - mit zum Teil für die Frauen so unerfreulichen Begleitumständen, die an Hildegards Konflikte mit dem Disibodenberg erinnern, daß sogar Papst Innozenz II. zu ihren Gunsten eingriff. 7 6 U m dieselbe Zeit polemisierte der vermutlich im Rheinland entstandene Jungfrauenspiegel gegen Sanktimonialen, die ihre Häuser neben Mönchsklöstern errichteten, 7 7 betrieb Hildegard ihren Auszug, formulierte Sigeboto seine schon zitierte A u s sage zum Zusammenleben von Männern und Frauen im Kloster. Diese allgemeine Entwicklung im Recht, vor allem aber auch im Denken, die sich ungefähr zwischen dem Tode Juttas und dem Tode Hildegards vollzog, ohne daß damit die Doppelklöster überall verschwunden wären, ist bei der Auswertung der Viten, die das Leben auf dem Disibodenberg recht unterschiedlich schildern zu berücksichtigen. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Quellen auf die veränderte Rechtslage und, noch wichtiger, auf die Veränderung des Denkens Rücksicht nehmen. A n den Viten Hildegards läßt sich das sogar zeigen. Sie beugen von Anfang an, d.h. vom Beginn ihres monastischen Lebens, jedem ,Verdacht skandalöser Zustände', wie sie schon Sigeboto andeutet und der Jungfrauenspiegel ebenso

74 Concilium Lateranense II (1139), c. 27, Decreta Conciliorum, S. 179; Decretum Gratiani, c. 21f. C. XVIII q. 2, S. 834-836. 75 Vgl. G A Z E A U 1970/75, S. 298. 76 Er ermahnte die Brüder von Premontre, die Frauen zu unterhalten, denen sie einen Gutteil der Güter ihrer Kirche verdankten ( L E P A I G E 1633, S. 426); die Urkunde wurde von Coelestin II. 1143, Eugen III. 1147 und Hadrian IV., bestätigt; bei Hadrian IV. fehlt (bereits) der Hinweis auf die Bemühungen Norberts, Frauen zum Klosterleben zu bekehren (ebd. S. 429); vgl. oben Anm. 10. 77 Als Beispiel: „Sunt enim, proh dolor, que nomen quidem sanctitatis habent, candidato immo preciosissimo habitu fidem seculo seruant, in commune deo seruiunt, domos suas iuxta monasteria collocant, adeo placendi cupidine uel libidine exagitate, ut quos in amorem sui illexerint, capiant et occidant, per quas uere nomen dei blasphematur, quia cum ipsa professio legitimum conubium prohibeat, furtim prostituuntur, et ab his tota ecclesia scandalizatur"; Speculum virginum, S. 70, Z. 352-358; vgl. B E R N A R D S 1955, S. 157-160. Demnächst ist eine größere Arbeit von Julie Hotchin zu erwarten.

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deutlich beschreibt, wie Generationen später J a k o b von Vitry, 7 8 vor, indem sie die Klausur der Frauen betonen. N o c h ,sicherer gegenüber übler Nachrede' ist eine formvollendete Einmauerung, wie sie Guibert schildert. Freilich läßt sich damit kaum vereinbaren, was wir aus der um entscheidende Jahrzehnte älteren Vita Juttas über das Leben auf dem Disibodenberg erschließen können. Bei der Abwägung, welchem Autor wir folgen, geht es nicht nur um generelle Wertungen der Arbeitsweise und Zuverlässigkeit' der beiden Autoren - Guibert wird in diesem Punkt traditionell negativ beurteilt 7 9 - etwa im Sinne des aus dem Proseminar bekannten ,Lehrsatzes' von der größeren Nähe des Autors zu den Ereignissen. N i c h t nur sie sichert der Vita Juttae größere Glaubwürdigkeit. F ü r die Authentizität der Vita Juttae spricht auch der Platz, den sie in der E n t w i c k lung des Denkens über einen im monastischen Leben besonders sensiblen Punkt einnimmt, in der Zeit von den späten dreißiger/vierziger Jahren, als die Vita entstand, bis in die achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts, als Guibert (vermutlich) schrieb - wenn er nicht die vorliegenden Versionen seiner Darstellungen Hildegards noch nach der Jahrhundertwende, um 1209, überarbeitete. Das würde in unserem Zusammenhang bedeuten: die Aussagen über Hildegards Leben auf dem Disibodenberg gewannen ihre endgültige Gestalt, nachdem Papst Innozenz III. die Prämonstratenser zu ihrem Trennungsbeschluß beglückwünscht hatte, kurz bevor J a k o b von Vitry, nicht weit entfernt von Gent, seine vielzitierten Sätze über die skandalöse Entwicklung in (den) Prämonstratenser-Doppelklöstern niederschrieb, damit die Entscheidung der Männer gegen die Frauen legitimierte. Was also können wir - im Wissen um diese Problematik unserer Quellen der Vita Juttae zu diesem Punkt entnehmen ? Anscheinend bestand, um den Gesamteindruck vorweg zu nehmen, ein enger Kontakt zwischen Männer- und Frauenkonvent: A b t K u n o kannte alle Geheimnisse Juttas, gewiß nicht nur als Beichtvater oder Abt, was er erst kurz vor ihrem Tode wurde, sondern aufgrund langjähriger Vertrautheit, bevor er A b t geworden war. Als A b t war er ihr geliebter Vater und in Christus geliebtester Sohn ( X . 1). Auch Hildegard wählte sich, wie wir von ihr selbst erfahren, einen vertrauten M ö n c h als „ L e h r e r " , dem sie sich später, aber noch zu Lebzeiten ihrer »Mutter', mit ihren Visionen anvertraute, der ihr bei der Niederschrift ihrer Visionen 78

79

Vgl. insbesondere: J A C O B U S V I T R I A C E N S I S Historia, c . 22, S . 133ff. über die Prämonstratenser, wo er die Auflösung der Doppelklöster, ja sogar den Versuch der Prämonstratenser, die Schwestern ganz aus dem Orden zu verdrängen, damit rechtfertigt, daß die Abschließung zwischen Frauen und Männern - im Unterschied zur heroischen Anfangszeit - nicht mehr gewährleistet gewesen sei: „Postquam uero fenestras in hostia conuerterunt, et primo feruore tepescente, improuida securitas torporem et negligentiam inducere cepit, dormiente hostiaria in feruore diei . . . " (ebd., S. 135). Vgl. K L A E S , Einl. zu Hildegardis Vita, S. 25"', S. 39 : : '-59* mit dem schönen Schaubild S. 59*, 152""—156':". Franz Staab hat demgegenüber - in überzogener Kritik: „merkwürdige Fehlleistung" - betont, daß Guibert für sein Kapitel über Jutta gut recherchiert habe (STAAB 1997, S. 60f., 85 Anm. 79).

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„getreulich" half (Vita I. 3). N o c h deutlicher als das Zeugnis der Vita das „lebendige L i c h t " in der Protestificatio zu Scivias:

spricht

„Furchtsam und ängstlich tat er (der erwählte Mensch, Hildegard) sein Werk. .. Denkkraft und Bewußtsein waren beeinträchtigt, während der Leib unter schwerer Krankheit litt. So steckte in ihm keine fröhliche Unbekümmertheit, sondern er hatte ständig Schuldgefühle. ... Daher grübelte er mir zuliebe in seinem Herzen darüber nach, wo er jemanden finden könne, der auf dem Weg zum Heil schnell voran schreite. Und er fand jemanden und gewann ihn lieb, weil er erkannte, daß er ein zuverlässiger Mensch war und sich um die Erfüllung der gleichen auf mich bezogenen Aufgaben bemühte. Und er hielt ihn fest, um sich mit ihm zusammen für die Offenbarung meiner verborgenen Wundertaten einzusetzen." 80

Diese Aussage ist in doppelter Hinsicht interessant: Hildegard konnte sich offenbar selbst einen ,Vertrauten' suchen, mit dem sie über ihre Probleme, die sie überdeutlich anspricht, reden konnte. Guibert hingegen stellt diesen so warmherzig geschilderten Vertrauten als einen Zensor dar, der ihr ,insinuiert' wurde. 8 1 Das paßt besser zu einem ,ordentlichen Klosterleben'. Denn an sich wäre der gegebene Ansprechpartner in einer solchen Situation der Abt bzw. die Meisterin, denen die Regel auch für solche Situationen die entscheidende Rolle zuweist. Was bedeutet es also, daß Hildegard nach ihrer eigenen Darstellung ,suchen' muß, wem sie sich anvertrauen kann, daß sie ihn festhalten' m u ß ? Beschreibt diese Verlassenheit' die Situation nach Juttas Tod, oder schon zu deren Lebzeiten - was einen Rückschluß auf ihr Verhältnis zu ihrer ,Meisterin' zulassen würde, deren fürsorgliches H e r z für körperlich und seelisch Kranke' die Vita Juttae (IV. 4) rühmt. F ü r die Datierung in die Zeit vor Juttas Tod könnte die autobiographische Aussage in Vita II. 2 sprechen - wenn der dort zunächst im Zusammenhang mit Jutta genannte M ö n c h („cuidam sibi noto monacho aperuit") mit dem M ö n c h identisch ist, den Hildegard im selben Fragment als ihren Lehrer („cuidam monacho magistro m e o " ) bezeichnet; allerdings steht dazwischen die N o t i z über Juttas Tod. Juttas Einfluß auf den Männerkonvent wird in ihrer Vita als groß dargestellt: „Alle, die an diesem O r t wohnten, gehorchten ihren weisen Ratschlägen" (V. 2). Sie sorgte sich nach dem Tode des Abtes um das Schicksal des Klosters und die Nachfolge (VI. 8). Sie erwirkte durch ihr Gebet die wunderbare Bestrafung

80 81

Scivias (1997), S. 6. ep. 38, Z. 400-405. - Ist er noch nach dessen Tod auf seinen Vorgänger, dem Hildegard ein für Guibert wenig erfreuliches Zeugnis ausstellt, eifersüchtig? Besonders ,vorsichtige' Autoren der Neuzeit wollten gar nur von einer „vertrauten Nonne" sprechen. Zur Rolle Volmars und anderer Mitarbeiter Hildegards für ihr Werk, die in unserem Kontext nicht von Bedeutung ist, nach der älteren Arbeit von Herwegen: SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1956, bes. S. 144, 178; SCHRÄDER Übersetzung GUIBERTUS

HILDEGARD

Epistolae,

1 9 6 1 ; D E R O L E Z 1 9 7 2 ; VAN A C K E R 1 9 8 8 / 8 9 , I I , S. 1 2 8 ; KLAF.S, E i n l . z u

Vita, S. 4 3 1 2 8 ! : ' f f .

HILDEGARDIS

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Frani J. Feiten

eines Mönchs, der Abträgliches über sie gesagt hatte - und seine Heilung (VI. 14). Während ihrer zum Tode führenden Krankheit empfing Jutta täglich die Eucharistie; kurz vor ihrem Tode legte sie gegenüber dem Abt ihren Begräbnisort fest (VIII. 19). Nirgends wird gesagt, daß man sie zu diesem Zweck jeweils an ein ,Kontaktfenster', wie wir es aus späteren Schilderungen, Jakobs von Vitry etwa, kennen, getragen hätte. Noch deutlicher wird der offenbar nicht durch strikte Trennung komplizierte Kontakt von Männern und Frauen in ihrer Sterbestunde: Jutta ließ die Mönche an ihr Bett rufen, nachdem sie sich den heiligen Schleier, das Zeichen ihres monastischen Lebens, über ihr Haupt und eine mit Asche bedeckte Decke, Zeichen der demütigen Rückkehr zu ihrem geschöpflichen Ursprung, über ihren Leib hatte legen lassen (VIII. 9-10). Offenbar waren die Mönche, darunter der Verfasser der Vita, nicht durch eine „aufgespannte Bettdecke", wie man lesen kann, von der Sterbenden getrennt. Erst recht ist nirgends die Rede davon, daß man eine Tür hätte brechen müssen, um ihnen den Zugang zum Sterbezimmer zu verschaffen oder man die Sterbende eigens in einen anderen Raum gebracht hätte. Es wird auch nicht gesagt, daß Schwestern und Brüder bei der Sterbenden voneinander getrennt waren, während sehr wohl betont wird, daß Hildegard und zwei weitere, besonders vertraute Schülerinnen die übrigen Schwestern ausschlossen, als sie die Tote entkleideten und für das Begräbnis herrichteten (VIII. 13). Die Mönche hielten die Totenwache und erfuhren bei dieser Gelegenheit durch den Wohlgeruch, der von der Leiche ausging, daß die Verstorbene zu den Heiligen zu zählen war. Abt Kuno begrub sie im Beisein vieler Gläubigen unterschiedlichen Standes, Berufes, Geschlechtes und Alters, wobei er ihren Leib, wie viele andere mit Tränen übergoß. Von den Schwestern ist leider nicht explizit die Rede, aber wenn Frauen ohnehin zu diesem Zweck die Klausur der Mönche hatten betreten dürfen, sofern die Angabe Guiberts stimmt, daß Jutta tatsächlich zunächst im Kapitelsaal beigesetzt wurde, wären sie wohl kaum ausgeschlossen gewesen (VIII. 16-19). Nicht erst zu Juttas Begräbnis strömten die Menschen herbei: Nach der Beschreibung ihrer asketischen Leistungen schildert der Autor in einem ausführlichen Kapitel ihre weit ins Land wirkende Fürsorge, ein Aspekt, der in der Vita Paulinae längst nicht so in den Vordergrund tritt: Adelige und Nichtadelige, Reiche und Arme, Pilger und Gäste, so heißt es schon zu Beginn (V. 2), erschienen einzig deshalb, um Jutta zu befragen - wie ein himmlisches Orakel. Jutta widmete sich jedem, der mit einer Bitte an sie herantrat, mit geistlichen oder materiellen Problemen. Von weither schickte man ihr Briefe mit der Bitte um Unterstützung im Gebet, denn ihre Frömmigkeit war weithin bekannt, und sie enttäuschte die Erwartungen nicht, sorgte sie sich doch, wie die Vita interessanter Weise anmerkt, um den guten Ruf, den sie genoß, weil sie mit vielen Schätzen weithin helfen konnte - heute würden wir vielleicht von ,Öffentlichkeitsarbeit' reden. Klug, so betont die Vita, wußte Jutta auf die Besonderheiten der einzelnen Ratsuchenden, welcher Qualität und Dignität auch immer, ein-

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zugehen, durch Tadel oder Trost (V. 9-12). Sie alle verehrten und bewunderten sie wegen ihrer von Gott verliehenen Weisheit und ihrer großen Unterscheidungsgabe in allen Dingen. Das alles klingt wie eine Vorwegnahme dessen, was viele Jahrzehnte später Hildegards Vita an der Heiligen vom Rupertsberg rühmte (II. 4). Zur Außenwirkung Juttas gehörte auch, daß sie ,Schülerinnen' anzog, denen sie nicht nur strenge Askese vorlebte, sondern, wie die Vita explizit formuliert, ohne Neid weitergab, was sie durch die Eingebung des Heiligen Geistes, durch die Uberlieferung der Älteren oder durch den Bericht von Gläubigen gelernt hatte. Jutta schöpfte ihr Wissen also aus drei Quellen und gab es weiter, förderte, so könnte man auch sagen, die eigenständige Entwicklung ihrer Töchter, ermunterte sie, Wohltaten zu verbreiten (V. 13) und - so kann man aus der Bemerkung zu ihrem Ansehen schließen - auch selbst Ansehen zu erwerben. Dieses Bild der Lehrerin Jutta ist im Hinblick auf Hildegard nicht uninteressant, bedenkt man, welches Bild die ,Seherin vom Rupertsberg' später von sich und ihrer Erziehung in ihren Schriften und autobiographischen Notizen entwirft - mit nachhaltigem Erfolg. Juttas vielfältigen Quellen des Wissens, das sie weitergab, steht Hildegards Betonung ihrer ,Unbildung', mangelnder Ausbildung entgegen, notwendiges Korrelat ihrer exklusiven Berufung auf eine einzige Quelle, die göttliche Inspiration. Auch wenn ihr Selbstbild bis in die jüngste Zeit Widerhall findet, ist man sich in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend einig, daß der prophetische Gestus, der „visionäre modus" Hildegards vor allem legitimatorischen Charakter besitzt. 82 Hier hat eine ,Lehrerin' keinen Platz - und kommt in den Viten und Schriften Hildegards denn auch kaum vor. Erst durch die glückliche Entdeckung ihrer Vita tritt Jutta als außerordentlich interessante Frau des frühen 12. Jahrhunderts aus dem Schatten Hildegards. Noch im spätmittelalterlichen Erfurt wußte man: „Hec fuit magistra s. Hildegardis" - auch wenn man sich über die genaueren Umstände nicht im klaren war. 83

82

A u s der F ü l l e der L i t e r a t u r : NEWMAN 1 9 8 5 ; M E I E R 1 9 8 5 ; M E I E R 1 9 8 8 ; M E I E R

1998.

D e r Vortrag von M o n i k a Klaes „ P r o p h e t i e in B r i e f f o r m : B e o b a c h t u n g e n z u m visionären M o d u s in den B r i e f e n Hildegards von B i n g e n " auf dem M a i n z e r S y m p o s i o n im M ä r z 1998 ist leider ausgefallen; vgl. aber die B e m e r k u n g e n in der E i n l e i t u n g zu ihrer Edition HILDEGARDIS

Vita, bes. S. 1 3 3 * f . Sehr drastisch urteilte jüngst

GOUI.LET

2 0 0 0 ü b e r den „recours systematique ä la v i s i o n " (S. 79): „ O n a affaire ä une sorte de , t o u t - v i s i o n n a i r e ' d o n t le caractere systematique, et, par c o n s e q u e n t , factice et truque, herisse et jette le discredit sur ce qui pourrait aisemanet apparaitre sans cela c o m m e le fruit d ' u n e experience a u t h e n t i q u e " (S. 92). 83

„ G u t t a , virgo devota et s o r o r M e n g e n h a r d i c o m i t i s de Spanheim, sanctimonialis S. R u p e r t i in S c h o n a u g i a " (!); N i k o l a u s von Siegen, hier zitiert nach STAAB 1992, S. 184 A n m . 165.

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Franz ]. Feiten 3 . H I L D E G A R D S B I L D DES I D E A L E N M O N A S T I S C H E N

LEBENS

Uber Hildegards eigenes monastisches Leben erfahren wir, im Vergleich mit Jutta, bemerkenswert wenig. Fasten und körperliche Züchtigung kommen in Hildegards Vita offenbar nur im Zusammenhang mit der Heilung einer Besessenen vor (III. 21, 22); Fasten noch einmal zusammen mit Nachtwachen als eine monastische Leistung, die der Teufel einer fremden Nonne suggeriert (III. 26). Auch Almosen spielen fast nur in diesem Zusammenhang eine Rolle, wie wir noch genauer sehen werden. U m so deutlicher aber erfahren wir, wie Hildegard über diese monastischen Verhaltensweisen dachte bzw. schrieb, was ihr von Guibert und den Autoren ihrer Vita zugeschrieben wurde. Diese gedachte und beschriebene Wirklichkeit sei im folgenden analysiert. Als Quellen für Hildegards Selbstaussagen werden neben den Briefen vor allem zwei Werke herangezogen: Die fünfte Vision des zweiten Teils von Scivias, ihres ersten großen Visionswerkes, das sie zwischen 1141 und 1151 verfaßte, und ihr Kommentar zur Regel Benedikts, dessen Anlaß und Abfassungszeit leider nicht so genau zu bestimmen sind. 3.1 Briefe Hildegards (und Guiberts) Die schwierige Problematik der Authentizität von Hildegards Briefsammlung(en) ist hier nicht eingehender zu behandeln, muß aber angesprochen werden. Denn bei dem gegebenen Thema lag es nahe, die Beziehungen Hildegards zu den verschiedenen Orden und Reformrichtungen aufgrund der Briefe vergleichend zu analysieren, um zu sehen, ob es hier spezifische Inhalte und Nuancen der Aussagen gebe. Gerade für unsere Fragestellung aber zeigte sich sehr schnell, wie schwankend der Boden ist, auf dem sich der Historiker hier bewegt, auch wenn man immer noch gerne von der „Echtheit des Schrifttums der heiligen Hildegard" 8 4 spricht, und eine bekannte Historikerin noch 1994 unverdrossen schrieb: „Hildegards Briefe sind eine zuverlässige Quelle" 8 5 - und viele Autoren sie mehr oder minder stillschweigend als solche benutzen. Dabei hatten bereits Marianne Schräder und Adelgundis Führkötter die Problematik der Überlieferung vorgestellt, Alfred Haverkamp bereits in einer bahnbrechenden Studie an einem bedeutsamen Beispiel die Brisanz der späteren Überarbeitungen der Briefe deutlich gemacht. 86 Die kritische Edition und die Begleituntersuchungen der Herausgeber haben nunmehr endgültig die Dimension des

84 So bekanntlich der Titel der fundamentalen quellenkritische(n) Untersuchungen von SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1 9 5 6 , die in ihrer minutiösen Handschriftenanalyse für zahlreiche Briefe eher das Gegenteil gezeigt haben. 85 PERNOUD 1 9 9 5 , Zitat S. 1 8 1 . Da wundert es freilich nicht, daß in dem Beitrag elementare Regeln des historischen Handwerks mißachtet werden. 86 H A V E R K A M P 1984 mit immer noch sehr nützlicher, weil deutlicher, Paralleledition der verschiedenen Fassungen.

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P r o b l e m s a u f g e z e i g t . 8 7 D a h e r sei, auch angesichts ,optimistischerer T ö n e ' noch auf d e m B i n g e r K o n g r e ß 1998 hier a u s d r ü c k l i c h f e s t g e h a l t e n : D i e tiefgreifende Ü b e r a r b e i t u n g des B r i e f w e c h s e l s k u r z v o r / n a c h H i l d e g a r d s T o d läßt das B e m ü hen erkennen, ein b e s t i m m t e s Bild, das einer weltweit angesehenen, heiligmäßigen P r o p h e t i n zu zeichnen, 8 8 u n d f ü h r t d a z u , daß wir heute mit einem sehr heterogenen Material k o n f r o n t i e r t w e r d e n , das jeden Versuch, den Briefwechsel mit Blick auf den A d r e s s a t e n k r e i s zu analysieren, z u m Scheitern bringt. D e n n wir haben unterschiedliche T e x t f a s s u n g e n , Z u w e i s u n g e n ein- und derselben o d e r überarbeiteter Schreiben an neue A d r e s s a t e n , aus verschiedenen Briefen neu z u s a m m e n g e s t e l l t e Briefe an echte, ausgetauschte o d e r e r f u n d e n e A d r e s s a ten, k o m b i n i e r t mit vielleicht echten o d e r - wie a u f g r u n d einer gewissen M o n o tonie z u v e r m u t e n - eher in ihrer Echtheit a n z u z w e i f e l n d e n A n f r a g e n , 8 9 die zu echten o d e r vielleicht auch nicht echten . A n t w o r t e n ' H i l d e g a r d s gestellt w o r d e n sind. D a h e r ist die U n s i c h e r h e i t über die ,wirklichen' Briefpartner groß, sind A u s sagen über den A d r e s s a t e n k r e i s , etwa derart, daß rund ein F ü n f t e l der Briefe an K a n o n i k e r , 14 an S ä k u l a r k a n o n i k e r , zehn an P r ä m o n s t r a t e n s e r , 16 an Zisterzienser etc. g e g a n g e n seien, schlicht u n m ö g l i c h . Selbst S c h w e r p u n k t e der K o r r e s p o n d e n z , wie sie in früheren S a m m l u n g e n v o n Briefen H i l d e g a r d s erkennbar sind, St. E u c h a r i u s / S t . Matthias in Trier, H i r s a u o d e r E b r a c h , w e r d e n in der ,Schlußredaktion' eingeebnet, i n d e m diese S a m m l u n g e n als R e s e r v e behandelt w e r d e n , aus denen m a n in mehr o d e r minder starken redaktionellen Ü b e r a r beitungen, die v o n einfachem A d r e s s e n a u s t a u s c h bis z u r k o m p l i z i e r t e n K o m pilation reichen, Briefe f ü r andere E m p f ä n g e r ,herstellt', die im C o r p u s zu feh-

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VAN ACKER 1 9 8 8 / 8 9 ; seine E i n l e i t u n g zu HII.DEGARDIS Epistolarium

I u n d II u n d die

vorzügliche Übersicht von KLAES 1998. 88 Für SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1956 war es „selbstverständlich", daß der „Redaktor" nicht mit Wissen Hildegards agieren konnte, sondern erst nach ihrem Tod. Heute hingegen ist man weithin der Meinung, daß Hildegard selbst aktiven Anteil am „vorsorglichen Bemühen um die Konstruktion eines Heiligenbildes über Hildegard noch zu ihren Lebzeiten im Rupertsberger Kloster" hatte (HAVERKAMP 2000, S. 18); vgl. NEWMAN 1998b, S. 194f.: „participated in shaping her own saint cult". 89 Plädieren SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1956 gewissermaßen prinzipiell dafür Echtheit anzunehmen, wo die ,Fälschung' nicht nachgewiesen ist, bilanziert VAN ACKER 1988/89, II, S. 152: „Die Einwände gegen die Echtheit dieser Schreiben (= die fast ausschließlich in der unsicheren jüngeren Tradition überlieferten Anfragen) sind bekannt und auch nie schlagend widerlegt worden: Die anscheinend perfekte Anordnung nach Briefpaaren, sowie die auffällige Gleichartigkeit der Fragen (die schon Schmeidler aufgefallen war), können nur Argwohn erwecken. Zudem sind mit Sicherheit doch wenigstens einige kontrollierbare Anfrageschreiben als unecht oder verfälscht abzutun (selbst Papstbriefe!, s. VAN ACKER 1988/1989, II, S. 138f.). Wenn dann auch noch die alten Adressen so oft geändert werden konnten, wer hat dann eigentlich welchen Brief an Hildegard gerichtet?"

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len scheinen. 90 Auch eine spezifische, d.h. auf die verschiedenen Adressaten abzielende Analyse des Inhalts gleicht daher einem Hasardspiel. Das sei an einigen wenigen Beispielen dargestellt: Gab es ζ. B. nur einen Brief an den Abt von Himmerod (ep. 118), obwohl gerade im Eifelkloster eine frühe Sammlung der Briefe Hildegards existiert hat? Ist es glaubhaft, daß die Siegburger Mönche zahlreiche Boten zu Hildegard schickten und von ihr nicht einmal ein Mahnschreiben bekamen, wie sie sich nach ep. 200 klagten, obwohl sie Hildegard in ihre Gebetsgemeinschaft aufnahmen und nach ihrem Tod einen Mönch zur geistlichen Betreuung auf den Rupertsberg schickten? Hat Hildegard mit dem Abt Richard von Springiersbach - gewiß ein nicht unbedeutender Vertreter der Reformbewegung in den Landen an Mosel und mittlerem Rhein - korrespondiert oder nicht ? Zwar ist in der endgültigen Fassung des Briefwechsels ein Brief von ihm mit einem Antwortschreiben Hildegards überliefert. Diese angebliche Antwort aber ist aus zwei Schreiben komponiert, die in den früheren Handschriften an zwei Mönche in Trier und auf dem Disibodenberg gerichtet sind. 91 Sie fehlt daher in der kritischen Edition und der dieser folgenden neuen Ubersetzung. Richards ,Brief' hingegen ist stehengeblieben (ep. 207), weil hier der Vergleich mit früheren Fassungen nicht möglich ist. Hat Richard Hildegard je geschrieben ? Oder wurde sein Brief wie die Antwort nachträglich konzipiert, um auch diesen berühmten Mann in der großen Sammlung der Briefe zu haben ? 92 Interessiert man sich für die Prämonstratenser, die seit den zwanziger Jahren in Deutschland eine Reihe von Stiften, häufig als Doppelstifte gründeten, gerade in den vierziger Jahren auch in der Nähe Hildegards, so freut man sich zunächst, daß acht ihrer Stifte im Briefwechsel Hildegards genannt werden. Die kritische Edition freilich belehrt einen schnell, daß der Brief, der nach einer älteren Sammlung nach Averbode geschickt worden sein soll, in der jüngeren 90

91 92

Von sechs Schreiben an St. Eucharius bleibt nur eins unverändert übrig, zwei weitere werden überarbeitet bzw. ausgetauscht; von acht Briefwechseln mit den Zisterziensern von E b r a c h bleiben zwei, von den zehn Briefen nach Zwiefalten drei, von 17 an Hirsau, sogar nur zwei; vgl. KLAES 1998, S. 164f. VAN ACKER 1 9 8 8 / 1 9 8 9 , II, S. 144. W i e beim angeblichen Schreiben des Papstes Hadrian, zu dem schon SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1956 notierten: „Es fehlte offenbar dem K o m p i l a t o r ein geeigneter Brief Hadrians an Hildgard. Diese L ü c k e m u ß der B r i e f Eugens ausfüllen" (S. 118), o b w o h l sie insgesamt die Brisanz ihrer Befunde eher dämpften, wenn nicht verschleierten; s. etwa S. 171 z u m P r o b l e m der „Anfragebriefe oder Partnerschreiben"; auffällig zum Briefwechsel mit Tenxwind. („Dieses Briefpaar hat der R i e s e n k o d e x o h n e nennenswerte Varianten ü b e r n o m m e n . " Haverkamp hat das Gegenteil gezeigt.) Zu den Absichten des „ R e d a k t o r ( s ) " schon ebd. S. 175. Sie sehen in dem „häufig" (!) feststellbaren „inneren B e z u g von Frage und A n t w o r t " einen Beweis für die E c h t h e i t beider (S. 172). - Was hätte freilich für einen Fälscher, gleich welcher Intention, näher gelegen, als gerade diesen B e z u g herzustellen!

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Überlieferung an Veßra in Thüringen ging. D e r Propst des nahegelegenen Ilbenstadt, der sich bei Hildegard bitter beklagte, daß er ihr keinen Brief abnötigen konnte (ep. 139), scheint wieder keine Antwort erhalten zu haben; die ihm in zwei späteren Sammlungen zugeordnete Antwort jedenfalls ist in der früheren Uberlieferung an den A b t des fernen Saint-Romain d'Albon gerichtet und ,paßt' nicht zur Anfrage. 9 3 Das Gleiche gilt für die Antwort an die Vorsteherin der Ilbenstädter Schwestern (ep. 140), für den Briefwechsel mit dem Propst von Cappenberg, der nur in der jüngeren Uberlieferung vorliegt (ep. 146), so daß nicht mehr durch Vergleich eruiert werden kann, ob nur die Adresse ausgetauscht wurde oder ob es eine frühere, besser passende Fassung des Textes gab. O b der bescheidene Propst von Langenselbold Hildegard tatsächlich geschrieben und eine Antwort erhalten hat, wissen wir auch nicht, denn die ihm zugedachte Antwort ist ursprünglich an einen unbestimmbaren A b t O d o gerichtet (ep. 251), während die ihm zugeordnete Anfrage mal einem H . mal einem N . zugeschrieben wird. 9 4 Vom Propst von Veßra wird ein geradezu standardisiert anmutender Anfragebrief (ep. 229) mit dem Brief verbunden, der ursprünglich an Averbode gerichtet war. D e r sehr individuelle Brief seines Kollegen aus Wadgassen hingegen - er gesteht Hildegard seine Liebe und Zuneigung, die ihm sogar bei der Feier des Heiligen Opfers die Erinnerung an sie wachrufe, so daß er sich unter häufigem Seufzen um ihre Zuneigung bemüht, ja sie sogar einlädt, ihn einmal zu besuchen (ep. 230) - wird mit einem Mahnbrief kombiniert, der keineswegs zur Anfrage paßt - schon die Anrede tut es nicht: H ö r t ihr Söhne (ep. 277), so daß schon Schrader/Führkötter zu dem Schluß kamen, er müsse an eine Gemeinschaft gerichtet sein. 95 So bleibt, wenn ich recht sehe, für unsere Fragestellung von den ursprünglichen acht Briefpaaren ein einziger Briefwechsel, der nicht auf den ersten Blick erkennbar problematisch ist, der mit dem Propst von Rothenkirchen (ep. 191). U n d er gibt, wie die allermeisten Briefe, für unsere Fragestellung wenig her. Wie fast alle der nur in der jüngeren Überlieferung zu greifenden ,Prälatenbriefe' scheint er die Hauptaufgabe gehabt zu haben, Hildegards besondere Begnadung, die prophetische Gabe zu legitimieren - auch wenn es mit uns eher untauglich anmutenden Mitteln geschieht: durch eine Kurzbiographie Hildegards (in einem Brief an sie selbst!) und durch Hinweise auf weissagende Frauen in der Bibel. D i e Bitte um einen Trostbrief an den heftig unter Stürmen Schwankenden, den Hildegard angeblich schon öfter mündlich aufgerichtet hatte, umfaßt nicht einmal ein Fünftel des in den Riesencodex eingetragenen Textes. Die in die Bilder der Wolken als Symbol für seine geistige Verfassung gekleidete Antwort ,paßt' für jeden Menschen, ist nicht einmal auf einen Prälaten zugeschnitten. 93

„ . . . scheint uns j e d o c h in diesen letzten H s s . der A n f r a g e nicht zu e n t s p r e c h e n " , räumen selbst SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1956, S. 145 ein.

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E b d . S. 147.

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E b d . S. 165 A n m . 4 9 .

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Was aber bleibt, wenn eine spezifische, auf die einzelnen Gruppen, Personen und Institutionen zielende Analyse wegen der Zweifel an der Authentizität der Adressaten ausscheidet? 9 6 Eine globale, auf den monastischen Gehalt zielende Auswertung mit Blick auf die Schreiberin, im Sinne der dem Riesencodex zugeschriebenen Intention eines geistlichen Briefbuches'. 9 7 Gerade wenn man die Briefe nicht punktuell, sondern im Zusammenhang liest, wird deutlich, wie stereotyp nicht nur zahlreiche Anfragen, die ja nur zu einem winzigen Bruchteil außerhalb des Riesencodex überliefert sind, 98 inhaltlich und formal gestaltet sind, sondern auch, wie wenig es in den allermeisten Antworten auf den vorgeblichen oder tatsächlichen Empfänger ankommt, ähneln sich doch z.B. die Ratschläge für religiöse Vorgesetzte, die den Hauptteil der Monastica ausmachen, verblüffend. Ausdrücklich sei wiederum vorab betont, daß wir bei allen Aussagen, die sich auf Briefe gründen, die wir allein aus der späten Rupertsberger Uberlieferung kennen - und das sind die weitaus meisten - nicht sicher sein können, ob wir die Meinung respektive den (ursprünglichen) Wortlaut der echten oder vorgeblichen Schreiber, Hildegards oder die Auffassungen und Formulierungen der Uberarbeiter vor uns haben. U n t e r diesem Vorbehalt gewinnt man den Eindruck, Probleme der Amtsführung bzw. der Wunsch, dieser Last zu entfliehen, sei im 12. Jahrhundert das zentrale Anliegen der O b e r e n gewesen, gleich ob sie einem M ö n c h s - oder Kanonikerkonvent, Männern oder Frauen vorstanden. In aller Regel lehnt Hildegard diese ,Lösung' von Führungsproblemen durch Rücktritt v o m A m t oder gar den Rückzug in eine friedliche Einsiedelei (epp. 161, 267 9 9 ) rundweg ab, wenn ich recht gezählt habe, in rund 20 Fällen: Man darf seine Herde nicht verlassen (ep. 50), man muß seine Pflicht erfüllen (ep. 71), sich ihr nicht entziehen, sondern durchhalten (epp. 85, 146), auch wenn man daran leidet (ep. 112), wenigstens, solange die Untergebenen ,noch ein wenig' auf ihre Vorgesetzten hören (epp. 124, 150, 151), wie gelegentlich einschränkend hinzugefügt wird. Zwei Briefe raten dem A b t entsprechend zum Rücktritt, wenn die M ö n c h e nicht auf ihn hören oder er ,kein lebendiges Auge mehr sieht' (epp. 112, 145), ja

96

Was sagt z.B. ein Brief an die Äbtissin von St. Ursula in Köln (ep. 92) - ein im Prinzip hochinteressanter Kontakt - wenn wir erfahren, daß das Schreiben ursprünglich an den Abt von Ellwangen gerichtet, wenn der Brief an die Äbtissin von Altmünster in Mainz, über deren Kloster wir gerade in dieser Zeit gerne mehr wüßten, zuvor nach Regensburg adressiert war (ep. 184).

97

SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1 9 5 6 , S. 175.

98

Ebd., S. 171 mit optimistischer Grundhaltung' gegenüber der Echtheit der übrigen. V g l . a b e r VAN A C K E R 1 9 8 8 / 1 9 8 9 , I I , S . 1 5 2 .

99

Im folgenden sind stets - auch wenn R weggelassen wird - die Antworten Hildegards gemeint.

Noui esse uolunt ... deserentes bene contritam uiam

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einmal rät Hildegard z u m R ü c k t r i t t b z w . N a c h g e b e n auf Zeit, damit die M ö n che z u r Besinnung k o m m e n . Bemerkenswert k o n k r e t ist auch die Aussage, ein A b t , der seinen A u f g a b e n nicht m e h r gewachsen sei, k ö n n e nicht z u m Rücktritt g e z w u n g e n werden, d o c h solle er sich einen H e l f e r suchen (ep. 248) b z w . seine E i g n u n g selbstkritisch p r ü f e n (ep. 251). Einige Briefe geben m e h r oder m i n d e r k o n k r e t e Hinweise z u r A m t s f ü h r u n g , wobei vor allem, wie in der Regel Benedikts die rechte Mischung von H ä r t e u n d Milde e m p f o h l e n wird. M a n c h e Schreiben geraten fast zu kleinen Abtsspiegeln nach der Regel Benedikts. Mannhaftigkeit wird zuweilen gefordert, kraftvolles, hartes, eisernes Z u p a c k e n (epp. 57, 61, 91, 123, 133, 190), Festigkeit (epp. 253, 255), n o c h öfter aber Barmherzigkeit, Milde, G e d u l d , M a ß h a l t e n ; - der Begriff discretio scheint nicht so o f t gebraucht, wie man erwarten k ö n n t e (wenn man das sagen darf, ohne über einen Wortindex zu verfügen), k o m m t aber in zahlreichen Briefen an Klosterleiter vor (z.B. epp. 118, 155, 214, 240, 256) und wird in ep. 198 an eine Äbtissin (von St. T h o m a s an der Kyll ?) - wie schon im Scivias - ausdrücklich als M u t t e r aller Tugenden gepriesen. Vage sind d u r c h w e g Aussagen z u m Zustand des Konvents, o b w o h l gerade hier Hildegards ,Sehergabe' o f t gepriesen wird. , D u r c h w a c h s e n ' , lautet, salopp formuliert, ihre Standardantwort, die w o h l selten falsch war, aber in der Regel natürlich viel poetischer formuliert ist: Fast überall gibt es m e h r oder minder strahlende Lichter, neben düsteren Seelen solche, die wie M o r g e n r o t f u n k e l n (ep. 124), ein beliebtes Bild, grüne Zweige an d ü r r e n Bäumen usw. Selten wird ein Konvent einfach als gut charakterisiert, Eberbach, C a p p e n b e r g (wenn der Brief dahin ging!), Wechterswinkel - lauter Vertreter neuer L e b e n s f o r m e n . Das L o b bedeutet nicht, das Hildegard deren asketischen Ideale geteilt hätte. Ihre inhaltlichen Aussagen erwecken eher den gegenteiligen Eindruck. Einer Äbtissin in E r f u r t schreibt sie: „ O f t sehe ich, daß, w e n n ein Mensch d u r c h übermäßige E n t h a l t u n g - „per nimietatem abstinentie" - seinen K ö r p e r schädigt, dadurch U b e r d r u ß u n d damit m e h r Laster in ihm entstehen, als w e n n er ihn richtig ernähren w ü r d e " (ep. 94R). Eine Äbtissin im Kölner R a u m e r m a h n t sie, ihre T ö c h t e r nicht d u r c h Maßlosigkeit zu verscheuchen; ein U b e r m a ß an Askese sei genauso zu verwerfen wie ein U b e r m a ß im Essen (ep. 156): „Wenn nämlich der Mensch seinen Leib (wörtlich: sein Fleisch) maßvoll ernährt, hat er einen sanftmütigen u n d f r o h e n C h a r a k t e r " . Üppigkeit der Speisen, die schon H i e r o n y m u s getadelt hatte, u n d Gelage f ö r d e r n Laster aller A r t ; maßlose Abstinenz, i m m o d e r a t a abstinentia, reizt z u m Z o r n (ep. 156). G e f o r d e r t ist" rationabilis abstinentia" (ep. 234), die einem f r o h e n H e r z e n u n d der E r q u i c k u n g des Leibes dient, w ä h r e n d irrationale A b s t i n e n z Stolz u n d Bedrücktheit des Geistes z u r Folge hat (ep. 249).

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Franz J. Feiten

Die wohl ausführlichste Belehrung über rechte Askese (ep. 234), die, anders als die meisten Briefe Hildegards, außergewöhnlich breit überliefert ist, empfing vielleicht eine frühe Zisterzienserin, Jutta von Wechterswinkel. 1 0 0 Unpassende Abstinenz, „incongrua abstinentia", ohne rechtes M a ß und N o r m („iustum modum, rectum statum") vernichte das Fleisch des Menschen, weil ihm nicht die Lebenskraft („uiriditas") richtiger Ernährung gegeben werde. Durch übertriebene Abstinenz („nimia abstinentia") fehle den Tugenden die Kraft; an ihrer Stelle herrschten eitler R u h m und viele Schrecken („multi terrores"), Zorn z.B. statt Frieden. Vor köstlichen Speisen und starkem Wein, die zur Ausschweifung verführten, warnt Hildegard. Gutes Korn und guten Wein, der nicht in Hitze brenne und zur „luxuria" verleite, könnten auch keusche Menschen genießen. Das klingt sympathisch ,vernünftig' - nicht nur weil mehrfach „rationabilis" vorkommt, „rationabilis abstinentia" z.B., die einem frohen Herzen und der Erquickung des Leibes diene, im Unterschied zur irrationalen Enthaltsamkeit, die Stolz und Bedrücktheit des Geistes zur Folge habe. Bei diesen Wertungen stellt sich natürlich die Frage, w e r die Grenze zwischen Vernunft und Ubertreibung zieht? Wer bestimmt, was ,vernünftig', ,passend' usw. ist? Die A n t w o r t ist einfach: Die Benediktsregel gewährt dem Abt, der Äbtissin einen großen Interpretationsspielraum. Hildegards Lehrmeisterin Jutta hätte diesen, so darf man nach ihrer Vita vermuten, gewiß in einer ganz anderen Richtung ausgenutzt, eher w i e die Zisterzienser etwa, die auf Fleisch und auf tierische Fette verzichteten, weil Benedikt sie nicht explizit erlaubt hatte. 101 Hildegard hingegen entschied in ihrem Regelkommentar die jahrhundertelang diskutierte Frage, ob Geflügel als Fleisch zu betrachten sei, mit dem schlagenden Argument, der Genuß von Geflügel sei erlaubt, da Benedikt ihn nicht ausdrücklich verboten habe. Hier spiegeln sich grundlegende Unterschiede des Lebens und der Interpretation. Die Zisterzienser, die zu ihrer Zeit mit zunehmender Aggressivität den Anspruch vertraten, die besseren Söhne des heiligen Benedikt zu sein, weil sie die Regel im Unterschied zu den schwarzen Mönchen exakt beobachten wollten, 1 0 2 hielten alles für verboten, was seine Regel nicht ausdrücklich erlaubte. Hildegard hingegen demonstriert an diesem Beispiel, w i e sie ihre grundsätzliche Uberzeugung, der Abt, die Äbtissin sollten sich durch die „discretio", ,die Mutter aller Tugenden', die entscheidende Qualität der Klosterleiter, leiten lassen, in konkrete Handlungsanweisungen umsetzt. 100 ,Zisterzienserin' meint hier nicht die rechtliche Zugehörigkeit zum Orden, sondern die Ausrichtung des monastischen Lebens am Vorbild der Zisterzienser, an der kein Zweifel besteht, auch wenn das Kloster dem Bischof unterstellt blieb, worauf KRENIG 1954, S. 19f., sehr großen Wert legt; K R E N I G 1991. 101 Exordium Cistercii, c. XIII, S. 122. 102 Exordium Cistercii, c. VIII. 6, S. 121: „... nec in uno apice devietur". Zur asketischen und ,sozialen' Bedeutung der Fleischaskese in prononciertem Gegensatz zu Cluny vgl. nur S C H R E I N E R 1982, bes. S . 106-109.

Noui esse uolunt

... deserentes

bene contritam

uiam

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Hildegards Mahnungen zur Milde im asketischen Streben w i r d man kaum auf ihre eigene körperliche Schwäche zurückführen wollen, die es ihr persönlich unmöglich gemacht habe, entsprechend zu leben, weshalb sie dazu geneigt habe, „was sie vermag als das Ideal, den besten Weg, hinzustellen." 1 0 3 Ihre skeptische Haltung gegenüber harter Askese entspringt eher einer Grundsatzentscheidung, die ihre tiefste Fundierung in ihrer Konzeption des Menschen in der Einheit von Leib und Seele haben dürfte. Eine ähnliche Distanz zu ihrer Lehrmeisterin Jutta wie zu den Zisterziensern und anderen Reformern, auch aus dem Bereich der Regularkanoniker, zeigt Hildegards Haltung zur körperlichen Arbeit. Diese war, anders als man vielleicht vermuten könnte, kein Vorrecht reformgesinnter Männer. Die Nonnen von Montreuil in der Diözese Laon, die den Gewohnheiten von Clairvaux folgten, erregten die Bewunderung von Zeitgenossen mit ihrer harten Rodungsarbeit, 104 die Schwestern von Obazine im Limousin, die um 1150 in den Zisterzienserorden aufgenommen wurden, wegen ihrer Arbeit in der Küche. 1 0 ' Auch die Frauen bei den Regularkanonikern in Klosterrath bei Aachen, 1 0 6 bei Prämonstratensern und Reformbenediktinern arbeiteten hart. Jutta hatte nach dem Zeugnis ihrer Vita, wie der Apostel Paulus und die Anhänger der ,vita apostolica', die genau an diesem Punkt die Geister schieden, ihr Brot nicht müßig essen wollen und Tag und Nacht gearbeitet, 1 0 7 ebenso Paulina von Paulinzella, die selbst beim Gebet mit ihren Händen arbeitete. 108 Selbst die Nonnen von Lippoldsberg versprachen, als sie um die Wende zum 12. Jahrhundert ,hirsauisch' reformiert wurden, so viel zu arbeiten, wie es die (strenge) Klausur möglich mache, entsprechend der Anweisung des heiligen H i e r o n y m u s zur H a n d arbeit von Nonnen. 1 0 9 Von Hildegard hingegen erfahren w i r in diesem Punkt so gut wie nichts. Soweit ihre anscheinend eher spärlichen Aussagen zu diesem sie offenbar wenig interessierenden Thema erkennen lassen, hielt sie es auch in diesem Punkt eher mit den Cluniazensern, die sich zu ihrer Zeit auf eher symbolische Handarbeit beschränkten. Unter dem Druck der zisterziensischen Herausforderung restituiert Petrus Venerabiiis die Handarbeit in gewissem Umfang. Für ihn und die Cluniazenser hatte Handarbeit ganz klar hinter Meditation, Gebet und geistlicher Lektüre zurückzustehen. 1 1 0 Die Vita Hildegards enthält zwei eher 103 R I S S E L 1 9 9 0 , S . 2 6 .

Miracula ( P L 1 5 6 , S p . l O O l f . ) . Vie de Saint Etienne d'Obazine, S . 8 8 - 9 0 ; d a z u B A R R I E R E 1 9 7 7 , b e s . S. 9 1 f f . 106 Consuetudines Rodenses·, v g l . a u c h D E U T Z 1 9 9 0 u n d G Ä R T N E R 1 9 9 1 . 107 Vita Juttae, I V . 5 , e d . STAAB 1 9 9 2 , S . 1 7 8 . 108 Vita Paulinae, c. 21, S. 919. 109 Urkundenbuch Mainz /, N r . 4 0 5 , S . 3 1 Off., b e s . S. 3 1 0 ; H I E R O N Y M U S Epistulae, 104 H E R M A N N U S TORNACENSIS 105

1 3 0 , c. 1 5 , S. 1 9 5 , Z . 2 0 f f . , a u c h z i t i e r t i n d e r Institutio

sanctimonialium

der

ep.

Synode

v o n A a c h e n 8 1 6 , S. 4 3 0 , Z . 1 0 f . ; v g l . d a z u PARISSE 1 9 9 1 , S . 4 8 8 f . 110 P E T R U S VENERABILIS

Epistole,

ep. 2 0 ,

S. 38f. u n d

S. 73f.; d a z u a u c h CONSTABLE 1 9 9 6 , S. 2 1 3 .

Statuta

Petri

Venerabiiis,

c. 3 9 ,

Franz J. Feiten

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geschwätzige Kapitel über den Wechsel zwischen ,vita contemplativa' und ,activa', ohne eine einzige konkrete Aussage zu letzterer (I. 8-9). Die R u b r i k zu c. 8 ihrer Vita läßt sie mit Maria (mit der Beschauung) den besseren Teil gegenüber der sich sorgenden und arbeitenden Martha vorziehen. In ihren eigenen Schriften urteilt Hildegard über die Arbeit ganz ähnlich wie über die asketischen Höchstleistungen, am deutlichsten in einem Brief, vermutlich an die Äbtissin von St. Thomas an der Kyll, das als eines der ersten Frauenklöster in Deutschland auf dem Weg war, den Zisterziensergewohnheiten zu folgen. 111 Ein Mensch, der mehr arbeitet, 112 als sein Körper aushalten kann „plus quam corpus suum sustinere possit laborauerit" - schreibt sie einer dritten Äbtissin, w i r d keine gute Frucht bringen (ep. 198). Durch maßlose Arbeit bzw. Mühe, „indiscretum laborem", und immoderate Abstinenz werde die Seele unbrauchbar, ja der Teufel niste sich in das Fasten, das Gebet und die Abstinenz eines Menschen ein, 113 so daß oft die geistige und körperliche Gesundheit litten und der Mensch aufgebe, was er ohne „discretio" begonnen habe, so daß seine letzten Taten schlimmer seien als die ersten. Von Guibert wissen wir, daß die N o n n e n auf dem Rupertsberg an Werktagen auch gearbeitet haben. Er nennt Abschreiben von Büchern, das Anfertigen liturgischer Gewänder und ähnliche Handarbeiten. Diese ,Arbeit' aber w a r wohl eher Beschäftigung', wie in C l u n y , um Müßiggang und lose Reden zu vermeiden, wie Guibert ausdrücklich schreibt. 114 Der Unterschied w i r d deutlich, w e n n w i r an Paulina denken, die damit mehr Geld erwarb, als für ihren Lebensunterhalt nötig war, oder an die Nonnen von Montreuil, die Hermann von Tournai um 1146 mit den Worten rühmte, sie überschritten in Askese und Arbeit die Grenzen ihres Geschlechtes. Ähnliche Worte gebrauchte noch rund 70 Jahre später Guiberts Landsmann J a k o b von Vitry für die frühen Zisterzienserinnen in seiner Region. Guibert hingegen schreibt über die Nonnen des Rupertsberges an seinen Mitbruder Bovo, sie hätten durch Hingabe, Zucht, gegenseitige Ehrerbietung die Grenzen des schwachen Geschlechtes und den Teufel überwunden (Z. 50-55) - nicht durch Arbeit. Die eigentliche Arbeit wurde, so dürfen wir vermuten, von den Dienstboten („officiales d o m u s " ) verrichtet, von denen es, wie w i r aus demselben Brief Guiberts erfahren, eine große Zahl auf dem Rupertsberg gab. 115

IN Vgl. St. Thomas

an der Kyll

1980; RISSEL 1988; zum Brief: RISSEL 1990 (mit Hin-

weisen auf sachlich passende Aussagen im LDO); VAN ACKER, in der Einl. zur Edition, S. 26f. 112 Oder sollte nur ,Mühe, Qual' gemeint sein? 113 Vgl. Vita, III 26 zu der Schwester aus Aschaffenburg, die der Teufel zu heiligen Werken, Gebet, Nachtwachen und Fasten auffordert. 114 Genau das wirft ein Befürworter nichtiger' Arbeit, wie Idung, seinen ehemaligen Ordensbrüdern vor; Dialogus, S. 71; HUYGENS 1980. 115 GUIBERTUS Epistolae, ep. 38, S. 368f., Z. 55-74.

Noui esse uolunt

... deserentes

bene contritam

uiarn

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Diese Aufgabenteilung entspricht Hildegards grundsätzlichen Überzeugungen - für die Verhältnisse in der W e l t wie im K l o s t e r , das für sie kein „eschat o l o g i s c h e s Z e i c h e n " im Sinne eines auf b r ü d e r l i c h e b z w . s c h w e s t e r l i c h e G l e i c h h e i t g e g r ü n d e t e n G e g e n e n t w u r f s z u r gesellschaftlichen Realität war. 1 1 6 B e s o n d e r s deutlich sind ihre A u s f ü h r u n g e n in einem langen B r i e f , der in f r ü heren S a m m l u n g e n an den P r i o r v o n E b e r b a c h , in der endgültigen F a s s u n g an die G r a u e n M ö n c h e gerichtet w a r (ep. 8 4 R ) : N e b e n M ö n c h e n , N o n n e n und Priestern, den geistigen M e n s c h e n ( „ s p i r i t a l e s " , Z . 53), die Tag und N a c h t im D i e n s t e G o t t e s b r e n n e n , gebe es eine andere M e n s c h e n g a t t u n g („genus h o m i n u m " , Z . 174), die sie ( „ i p s i " , 3. P e r s o n ) K o n v e r s e n n e n n e n . V o n diesen entwirft H i l d e g a r d - b z w . die in der V i s i o n zu ihr redende S t i m m e v o m H i m m e l ( Z . 2 ) ein b e d e n k l i c h e s B i l d : Sie sind nicht w a h r h a f t zu G o t t u m g e k e h r t , weil sie lieber den W i d e r s p r u c h ( „ c o n t r a r i e t a t e m " ) als die R i c h t i g k e i t ( „ r e c t i t u d i n e m " ) lieben, ihre A r b e i t mit a u f r ü h r e r i s c h e n R e d e n gegen ihre Prälaten verrichten. Sie gleichen den P s e u d o p r o p h e t e n , da sie nicht richtig d a r ü b e r urteilen, wie G o t t sein V o l k z u s a m m e n gestellt h a b e ( „ q u o m o d o D e u s p o p u l u m s u u m c o n s t i t u e n t " , Ζ. 180). D e n n G o t t hat nach d e m Sündenfall den M e n s c h e n wie den E n g e l n ihre O r d n u n g v o r g e g e b e n . D a n a c h geziemt es sich nicht, daß der Priester die P f l i c h t e n des B a u e r n ( „ o f f i c i a a g r i c o l e " , Z . 198), der S c h ü l e r die des M e i s t e r s („officia m a g i s t r i " ) erfüllt. W i e A d a m f ü r die A r b e i t , so steht N o e für die L e i tung der G e m e i n s c h a f t . I n a b r u p t e m W e c h s e l f o r d e r t sie die „ m a g i s t r i " (nicht „ p r a e l a t i " ! ) in d i r e k t e r R e d e a u f : „Weist diese Menschen, die Konversen, in eurem Orden zurecht, züchtigt sie, weil die meisten von ihnen weder bei Tag noch bei Nacht arbeiten und weder Gott noch der Welt vollkommen dienen" (Z. 208-214). D i e s e Verteilung der R o l l e n auf E r d e n u n t e r B e r u f u n g auf G o t t e s S c h ö p f u n g s o r d n u n g , die w i r bei ihr ja auch sonst finden, wie s c h o n A l f r e d H a v e r k a m p gezeigt hat, ist im 12. J a h r h u n d e r t alles andere als u n g e w ö h n l i c h , legitimiert sie d o c h , wie K l a u s S c h r e i n e r vielfach gezeigt hat, das L e b e n v o n f r e m d e r A r b e i t , gestützt auf die H e r r s c h a f t ü b e r L a n d und L e u t e . 1 1 7 W i e P e t r u s Venerabiiis und viele andere B e n e d i k t i n e r p o l e m i s i e r t e beispielsweise R u p e r t v o n D e u t z gegen die H a n d a r b e i t b z w . diejenigen, die sie z u r P f l i c h t für die M ö n c h e m a c h e n w o l l t e n und den G o t t e s d i e n s t , die K r o n e des M ö n c h t u m s ( „ c o r o n a m vel d i a d e m a " ) z u g u n s t e n v o n E r n t e a r b e i t und R o d u n g vernachlässigten. 1 1 8 I n t e r e s s a n t e r in u n s e r e m Z u s a m m e n h a n g ist O r d e r i c u s Vitalis; er legt die v o n H i l d e g a r d in d e m B r i e f an (die) Z i s t e r z i e n s e r g e b r a u c h t e n A r g u m e n t e in n o c h

116 Vgl. PRETSCH 1 9 9 5 , S. 9 3 f . im Vergleich mit H i r s a u . 117 G r u n d l e g e n d : SCHREINER 1 9 8 2 ; j ü n g s t SCHREINER 1 9 9 8 . 118

„qui in opere manuum fere totam spem suam ponunt"; R U P E R T U S In Regulam, III. 10, Sp. 517. Vgl. SCHREINER 1964 mit einer Fülle von Belegen aus verschiedenen Epochen.

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viel ausführlicherer und ausgefeilterer Form den Mönchen in den Mund, die sich in Molesme der Absicht ihres Abtes Robert widersetzten, zu der Regel Benedikts zurückzukehren: Gott und altehrwürdige Könige waren sich einig, so halten sie seiner Forderung nach einem Leben in Armut und Arbeit entgegen, daß Mönche sich der heiligen Lektüre widmen sollten; für die „exteriora ministeria" gaben sie ihnen daher eine Fülle von Abhängigen. In Frankreich sei es Brauch, daß die Bauern auf den Feldern arbeiten, Sklaven/Knechte („servi") die entsprechenden Arbeiten verrichten. Mönche hingegen, die auf die Eitelkeiten der Welt verzichtet hätten, lebten wie die Töchter von Königen friedlich hinter ihren Klostermauern, studierten die Heiligen Schriften, sängen Psalmen und widmeten sich anderen reinen und passenden Tätigkeiten ... Gott möge verhüten, so ihr abschließender Wunsch, daß die Bauern faulenzten, ihre Zeit mit rohem Gelächter und nutzlosem Spiel verbrächten, vornehme Ritter, kluge Philosophen und Lehrer hingegen gezwungen wären, mit knechtischer und unpassender Arbeit ihr Brot wie gewöhnliche Unfreie („mancipii") zu verdienen. Für sich selbst beanspruchten die Opponenten Roberts ihre Zehnteinkünfte und ihre kirchlichen Benefizien als ihr gutes Recht und lehnten es strikt ab, durch einen Verzicht darauf weit und breit als unbedachte Erfinder von Neuerungen („ut temerarii nouitatum adinuentores") verurteilt zu werden. Daraufhin verließ Robert bekanntlich sein Kloster, um die „unbedachten Neuerungen" im ,neuen Kloster', dem späteren Citeaux zu realisieren - und, wie wir hörten, gerade wegen seiner einzigartigen Neuerung („pro nouitate singularitatis") gerade auch viele Adelige und Gebildete anzog. 119 Auch Armut und Armenfürsorge waren für Hildegard und ihre Biographen offenbar kein besonderes Thema, obwohl sie selbst sich ständig als „paupercula femina" bezeichnet und in ihrer Vita Ruperti die Wohltätigkeit Ruperts und seiner Mutter rühmt. 120 Heißt es in der Vita Juttas, diese habe durch die vielen Historia, V I I I . 2 6 , S . 3 2 0 - 3 2 6 . 120 IN der Schilderung des vorbildlichen Lebens, mit dem sie ihren Sohn tief prägte, werden Züge sichtbar, die an Jutta - nicht an Hildegard erinnern: „Multos quoque et perfectos et alios quosdam bonos homines ad se collegit, ac in praedicto loco permansit; ibique vigiliis et jejuniis se macerans, orationibus etiam et elemosynis Deo quotidie ministrans filium suum bono exemplo in sanetitati munivit" (HILDEGARDIS Vita Ruperti, I 5, Sp. 1085). N o c h stärker tritt die Barmherzigkeit bei Rupert hervor: Als seine Mutter ihm vorschlägt, mit ihren Reichtümern ein Gebetshaus („oraculum") zu errichten, widerspricht er mit Berufung auf das Evangelium und die Propheten: Zuerst müßten die Armen Nahrung und Kleidung erhalten; eine Vision gibt ihm die Gewißheit, daß seine Pläne für die Armen ihm das Himmelreich einbringen. Zusammen mit seiner überglücklichen Mutter errichtet er am Fluß Gebäude, in denen sie Armen und Nackten Obdach geben und sie durch zwei Männer pflegen lassen. Ungeachtet seines zarten Alters und seines Adels, wäscht Rupert um der Liebe Christi willen den Armen häufig die Füße, gibt ihnen Speise und Trank und macht ihnen das Bett (ibidem, I 5, Sp. 1086f.). - Hier kommt es weniger auf den topischen Charakter an, als auf die Tatsache, daß eine solche „imitatio Christi" von 119 O R D E R I C U S V I T A L I S

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Taten der F ü r s o r g e , v o n denen sie überfloß, ihren N a m e n weithin bekannt g e m a c h t ( V i t a V. 9), fehlt eine derartige A u s s a g e in H i l d e g a r d s Viten - auch in den Mirakeln, mit einer A u s n a h m e : E i n e besessene F r a u , die sie heilt, n i m m t sie in e l e m o s i n a m auf, weil sie arm u n d blind ist (III. 26) A n s o n s t e n k o m m e n A l m o s e n in den Viten o f f e n b a r nur noch vor, w e n n sie den N o n n e n helfen, die A n f a n g s s c h w i e r i g k e i t e n auf d e m R u p e r t s b e r g zu ü b e r w i n d e n (II. 5) u n d im K o n t e x t v o n G e b e t , F a s t e n u n d N a c h t w a c h e n bei der H e i l u n g der besessenen S i g e w i z e (III. 2 1 - 2 2 ) . In H i l d e g a r d s Briefen wird nicht einmal in d e m Schreiben an einen E l e m o s i n a r (ep. 88) die A r m e n f ü r s o r g e behandelt. D e r sich selbst p r o nonciert als ,arm' darstellende P r o p s t v o n Ilbenstadt, b e k o m m t keine A n t w o r t . U m g e k e h r t sind R e i c h t u m , Prachtentfaltung in K l ö s t e r n auf K o s t e n f r e m d e r A r b e i t , w i e die R e f o r m e r des 12. J a h r h u n d e r t s betonten, f ü r sie kein G e g e n stand der Kritik, nicht einmal in d e m gewiß u m f a n g r e i c h e n Sündenregister ihrer eigenen N o n n e n , bei denen sie E ß - u n d Trinkgelage, fleischliche Begierden, irdische V e r g n ü g u n g e n , kindische L ü g e n h a f t i g k e i t u n d U n a u f r i c h t i g k e i t scharf verurteilt - n a c h d e m sie jahrelang gütig d a r ü b e r hinweggesehen hat (ep. 194). D a s w i e d e r u m entspricht exakt d e m Bild der Ä b t i s s i n H i l d e g a r d , wie es G u i bert noch zu L e b z e i t e n H i l d e g a r d s in seinem s c h o n zitierten Brief an B o v o e n t w o r f e n hat, 1 2 1 u n d ihrer eigenen A p o l o g i e der Prachtentfaltung bei der L i t u r gie in ihrem nicht weniger b e r ü h m t e n Brief an T e n x w i n d v o n A n d e r n a c h . 1 2 2 W i e s c h o n betont, k ö n n e n w i r nicht ü b e r p r ü f e n , wieweit G u i b e r t , nach eigenen A n g a b e n enger Vertrauter H i l d e g a r d s in den letzten J a h r e n vor ihrem T o d , in seinen Briefen u n d späteren A u f z e i c h n u n g e n das Bild H i l d e g a r d s und des L e b e n s auf d e m R u p e r t s b e r g nach der Realität gezeichnet o d e r nach seinen m o n a s t i s c h e n Idealen b z w . Vorstellungen stilisiert hat. 1 2 3 Wir k ö n n e n aber verf o l g e n , wie er das in der Vita Juttae gezeichnete Bild des L e b e n s auf d e m D i s i b o d e n b e r g , das den Prinzipien der strengen ,vita a p o s t o l i c a ' entspricht, im Sinne der späteren Wertungen H i l d e g a r d s , die uns in ihren Briefen u n d in ihrem R e g e l k o m m e n t a r entgegentreten u n d die er persönlich teilte, u m g e f o r m t hat. K o n s e q u e n t macht er die A s k e t i n J u t t a zu einer k o n t e m p l a t i v e n N o n n e , v o n ihren H ö c h s t l e i s t u n g e n in G e b e t , A s k e s e u n d v o n A r b e i t ist keine R e d e m e h r ; vielmehr suggeriert er, daß s c h o n in der , K l a u s e ' v o n A n f a n g an wie später auf d e m R u p e r t s b e r g eine ständische G l i e d e r u n g mit A r b e i t s t e i l u n g gegeben w a r : Hildegard und ihren Nonnen nirgends berichtet wird; Guibert spricht nicht von Armen, die zum Rupertsberg strömen, sondern von Gästen („hospites"), die dort nie fehlen (ep. 38 Z. 74, wo nach dem Kontext mit Sicherheit nicht ,Arme' gemeint sind). In diesem Punkt jedenfalls spiegelt HILDEGARDIS Vita Ruperti nicht das Programm für Hildegards eigenes Leben wider, auch wenn der Unterschied zur Vita Disibodi, die gut zum Disibodenberg ,paßt', deutlich ist. 121 GUIBERTUS Epistolae,

ep. 38, Z . 7 5 - 8 7 .

122 H I L D E G A R D , e p . 5 2 R ; d a z u H A V E R K A M P

1984.

123 Vgl. nur SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1956, S. 14f. u n d S. 148f.; VAN ACKER 1 9 8 8 / 8 9 , II, S. 132f. mit Anm. 209.

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Hildegard war nach Guibert Juttas einzige „filia spiritualis", während ein Mädchen niederen Standes („inferioris generis") mit ihnen eingeschlossen wurde, um ihnen zu dienen („qui eis ministraret"; ep. 38, Z. 207). Juttas Ruhm - der nach ihrer Vita nicht zuletzt auf guten Taten, nicht nur auf ihrer Weisheit und prophetischen Kraft fußte - zieht bei Guibert nicht mehr Scharen von Hilfe und Rat Suchenden an; das würde sich mit der von Guibert detailliert beschriebenen Klause fern vom Treiben der Welt ja nicht vereinbaren lassen. Er beschreibt das Idyll auf dem Disibodenberg, wie es nach den gängigen Inklusenregeln seiner Zeit sein soll und vermeidet sorgfältig, auch nur den geringsten Anlaß zu bieten, es in einen Zusammenhang mit den ihm vertrauten Polemiken gegen schlechte' Inklusen in ständigem Kontakt mit der Welt zu bringen. Statt Scharen von Armen und Ratsuchenden erscheinen adelige Eltern, die ihre ebenso edlen Töchter mit Geschenken (in einem vornehmen Nonnenkloster) darbringen (Z. 263). Mit diesen gezielten Veränderungen minimiert Guibert die Differenz zwischen der Lebensweise einer strengen Asketin, die gleichwohl in das Männerkloster und in die Welt hinein wirkt, wie es die Vita Juttae zeichnet, und dem Leben und den Vorstellungen Hildegards, die er zu Juttas einzigen spirituellen Erbin und Tochter (Z. 224) und - von Anfang an - gewissermaßen zu einer ,normal-benediktinischen' Nonne und idealen Klosterleiterin stilisiert: Gegen ihren Willen, wie es das Demutsideal erfordert, wurde sie zur „magistra" gewählt, durch den einmütigen Willen ihrer Schwestern, weil diese sich, wir hörten es bei der Askese, ihrer „discretio" und „temperantia" sicher waren (Z. 300). Das Idealbild, das Guibert als Beschreibung der neuen Vorsteherin bietet, entspricht exakt den von Hildegard propagierten Idealen - und erinnert wiederum an die entsprechenden Argumente der Mönche von Molesme:124 Sie wußte, daß der mittlere Weg der sicherste ist, weil die Tugend die Mitte der Laster ist (Z. 304). Es folgen die einschlägigen Tugenden einer idealen benediktinischen Äbtissin: Milde, Mitgefühl, rechtes Mittelmaß, das nicht zu viel und nicht zu wenig verlangte. Mit „discretio", Demut und Gottes Gnade realisierte sie ein Klosterleben, das niemandem schwer und untragbar schien, leitete sie ihre Herde als überaus kluge Jungfrau, die auch bei Rebellion gegen die Klosterordnung nicht hart vorging, sondern zu ermahnen und in geduldiger Toleranz abzuwarten pflegte, bis Gott ihr enthüllte, was zu tun sei (Z. 304ff.). Das klingt fast wie ein Echo von Hildegards programmatischen Äußerungen. Wie sie selbst schon zu der Zeit, als sie ihr eigenes Kloster begründete, über das Mönchtum insgesamt, über das des heiligen Benedikt im besonderen und über 124 „Sic etiam de cibo et potu et omni conuersatione humana prouide temperat ac disponit, ut omnia mensurate fiant propter pusillanimes, ut absque murmurationibus sint. Abbatem quoque summopere admonet, ut omnium imbecillitatem consideret. Fratribus infirmis aut delicatis talem operam uel artem iubet iniungi ut nec ociosi sint nec uiolentia laboris opprimantur ut effungentur." ( O R D E R I C U S VITALIS Historia, V I I I . 2 6 , S. 3 1 8 ) .

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konkurrierende Formen der ,vita religiosa' dachte, zeigen ihre Vision im Scivias über die Stände der Kirche (II 5) und ihr Kommentar zur Regel Benedikts, der vielleicht Ende der 50er Jahre entstanden ist. 3.2 Scivias Welchen Rang Hildegard ihrem eigenen Stand, den Nonnen und Mönchen, die in leidenschaftlicher Liebe Christi Leiden nachahmen, seinem Beispiel folgen, zumißt, klang soeben schon in dem zitierten Brief an (die) Zisterzienser an, wird aber in der großen Vision über die Stände der Kirche im Scivias (II 5 1 2 5 ) noch viel deutlicher. Bereits der schiere Raum, den Hildegard ihnen darin im Vergleich zu Priestern und Laien gewährt - vier Fünftel des Textes etwa spricht Bände. Kern des monastischen Lebens ist die Nachahmung Christi (13), und sie besteht vor allem darin, daß die Mönche den Willen ihres Fleisches aufgeben, weltliche Dinge fliehen, böse Begierden verwerfen und ihren Leib zügeln (15f.). Sie verachten sich selbst und unterwerfen ihren Leib durch Tugendübungen der Knechtschaft Christi. Durch Strenge der Sitten beugen sie ihre Zuchtlosigkeit

(16). Diese grundsätzlichen Aussagen zur Härte des rauhen und engen Weges, der zum Himmel führt, stehen in der alten monastischen Tradition - und sind für uns um so interessanter, als sie in der konkreten Ausgestaltung monastischen Lebens und in den Briefen Hildegards eher zurücktreten. Steht zu Beginn der Ständevision unter den monastischen Kerntugenden der Gehorsam, den Benedikt in seiner Regel sehr stark betont, zunächst noch im Gleichgewicht mit der Keuschheit, so dominiert im folgenden die edle, liebenswerte jungfräuliche Vollkommenheit (5). Unter den Märtyrern werden die hervorgehoben, die um ihrer Keuschheit willen ihr Blut vergossen (6); unter den Scharen der Seligen wird der erhabene Chor der Jungfrauen hervorgehoben, Christus als wahre Blüte der Jungfräulichkeit gefeiert (8). Mönche und Nonnen ziehen den neuen Menschen an, wie der Apostel es forderte, werden für andere Menschen ein strahlendes Vorbild, indem sie den Chor der Engel nachahmen. - Die ,vita angelica' ist seit alters ein vertrautes Bild für das Mönchtum. 1 2 6 Wer die Jungfräulichkeit befolgt, überschreitet die Ordnung der Menschen und nähert sich derjenigen der Engel, heißt es in der etwa um dieselbe Zeit, 1156, abgeschlossenen Chronik des Konstanzer Klosters Petershausen, ähnlich hatte Otto von Freising ein Jahrzehnt zuvor formuliert. Hildegard zufolge führen Mönche und Nonnen ein zweifaches Leben: sie dienen Gott ohne Unterlaß und beschützen den Menschen vor den Nachstellungen

125 D i e e i n g e k l a m m e r t e n Ziffern im Text verweisen auf die (meist recht k u r z e n ) Kapitel der fünften V i s i o n , was den Z u g r i f f auf E d i t i o n und U b e r s e t z u n g erleichtert. 126

Vgl. n u r FRANK

1964.

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des Teufels (21). Konsequent ist ihr weites Gewand, auch das wird gerne allegorisch gedeutet, 1 2 7 von Hildegard hier auf Menschwerdung und Grablege Christi hin interpretiert (19). Es ist ein „signum angelicum" (20), das man nicht mehr abwerfen darf, „in irriger Nachlässigkeit" (44), wenn man es einmal angezogen hat - freiwillig, ohne Zwang, nicht unbedacht (43), sondern nach ernster Prüfung (22), nach sehr mühevoller Einübung in der Zügelung der fleischlichen Begierden. D e n n nur Törichte glauben, es sei leicht, seinen fleischlichen Willen aufzugeben (40). An anderen Stellen wird Hildegard noch deutlicher: Echte Jungfräulichkeit setzt eine freie, bewußte und wohlüberlegte (22) Entscheidung für ein monastisches Leben voraus - um Christi willen, nicht mit Rücksicht auf natürliche oder soziale Umstände (9), was wenig später vertieft wird. Kein Gesetz zwingt die Menschen zu dieser Lebensform, sondern die leidenschaftliche Liebe zu Christus bringt sie dazu; auf seine sanfte Anregung hin, freiwillig, beschreiten sie den privilegierten Weg zum H i m m e l (13, 15 u.ö.). Hildegard besteht wiederholt, und das ist schon lange aufgefallen, auf der freien und bewußten - aber deshalb auch unwiderruflichen - Entscheidung für den monastischen B e r u f ; daher muß sie die Oblation unmündiger Kinder - ihr eigenes Schicksal - ablehnen. Hier ist sie sich mit zahlreichen Vertretern des Reformmönchtums, insbesondere auch den Hirsauern und den Zisterziensern, einig, die sogar Wert darauf legten, daß die jungen Männer alt und stark genug für eine eigene Entscheidung waren. 1 2 8 Entschieden betont Hildegard die Freiheit des Jugendlichen, sich einer Knechtschaft zu entziehen, die seine Eltern selbst nicht tragen wollten - verweist aber gleichsam relativierend auf das Wirken Gottes, das den Oblaten bestärken soll, im geistlichen Leben zu verharren. Genauso entschieden ist sie auch dagegen, einen jungen Menschen gegen seinen Willen vom Kloster fernzuhalten oder auch nur abspenstig zu machen, in ihren Worten: ihn G o t t zu rauben (47). E b e n s o hart verurteilt sie aber auch falsche, heuchlerische Entscheidungen für den klösterlichen Beruf wegen mangelnder Aussicht in der Welt aufgrund von Armut, Dummheit, geistiger oder körperlicher Gebrechen, ja Unterdrükkung durch die H e r r e n : „Sie alle kommen nicht aus übernatürlicher Liebe, sondern wegen dieser irdischen Beschwerden, die sie zu tragen haben, zum Ordensleben ... Sie machen sich schuldig, weil sie den Knecht fürchten und den Herrn verachten. Denn sie folgen irdischen Beweggründen" (41).

127

Beispielsweise von

RUPERTUS

Vita apostolica,

V. 21 (Sp. 662).

128 Vgl. nur CONSTABLE 1996, S. 53f., S. 77, bes. S. 100 mit Lit. in A n m . 71; allgemein, neben den einschlägigen Artikeln in den Lexika, LAHAYE-GEUSEN 1991; WEITZEL

1994, mit explizitem Lob der „Kühnheit, Menschlichkeit und Gestaltungskraft der Äbtissin vom Rupertsberg" (S. 73).

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Damit spricht sie reale Probleme des Mönchtums ihrer Zeit so deutlich an wie etwa auch Petrus Venerabiiis oder Ulrich von Zell. Sie finden deutliche Worte über Leute, die sich um nichts anderes sorgten als um das weltliche Leben und daher bei einem Haus voller Söhne und T ö c h t e r diejenigen G o t t opferten, d.h. ins Kloster schickten, die verkrüppelt oder lahm, mit einem Kröpf oder Buckel belastet, schwerhörig oder blind, gichtig oder leprakrank, kurzum, die wegen ihrer Gebrechen für ein Leben in der Welt wenig geeignet seien. Ins Kloster, „ad habitum sanctitatis", ziehe sie keine andere Heiligkeit als die Verachtung des Kropfes. 1 2 9 Mag es auch allzu oft so gewesen sein, so berührt es doch eigenartig, ähnliches aus dem Munde einer Frau zu hören, die selbst als zehntes Kind , G o t t dargebracht wurde' und, wie sie immer wieder betont, seit ihrer Kindheit unter schwerer und langer Krankheit gelitten habe. 130 Beträchtliche Härte, die mit ihren menschenfreundlichen Aussagen zur Gestaltung des klösterlichen Lebens in Regelkommentar und Briefen kontrastiert, zeigt auch ihre in immer erneuten Anläufen in der fünften Vision ( 1 0 - 1 2 , 19, 22) vorgetragene Auffassung zum Verlassen des Klosters: Wenn Flehen, Ermahnen und Besänftigen des Vorgesetzen den Abtrünnigen, der seinen Vertrag brechen will, nicht umstimmen können, dann sollen sie ihn mit Schlägen, strenger Kälte, Hunger und ähnlichen Züchtigungen strafen, damit er sich durch dieses Elend gemahnt - die höllischen Qualen ins Gedächtnis rufe und aus Furcht vor ihnen die Fäulnis seiner Seele beseitige (49). N u r die zuchtlos Lebenden, die weder durch Zureden noch durch körperliche Züchtigung zur U m k e h r gebracht werden können, sollen mit Rücksicht auf die übrigen wie W ö l f e vertrieben werden (51 mit Verweis auf Paulus in 52). D e m reuigen Sünder soll die R ü c k k e h r offen stehen; die gefallene N o n n e , hier spricht sie einmal ausdrücklich von Frauen, soll wieder aufgenommen werden, wenn sie bereut und B u ß e tut. Aber sie bleibt auf Dauer gezeichnet - bis ins ewige L e b e n : Hienieden wird sie wie eine Magd, nicht wie eine Herrin behandelt (10) - ein erneuter Hinweis auf ständespezifische Denkweise in einer schwesterlichen' Gemeinschaft; G o t t wird sie zwar in die himmlische Stadt aufnehmen, weil sie ja im Kloster lebt, sie aber nicht mit dem jungfräulichen Schmuck krönen, der denen vorbehalten bleibt, die keusch geblieben sind, wie auch die Mönche im analogen Fall zwar gerettet werden, aber nicht mit dem „Freudenreigen der königlichen Hochzeit beglück(t werden), bei dem sich die übrigen Gottesfreunde mit den heiligen Jungfrauen, die meinem Sohn in himmlischer Vermählung geweiht sind, freuen" (11). Auch hier gibt Hildegard, die G o t t selbst reden läßt, zeitgenössische Vorstellungen wieder. 131 Die Vision II 5 im Scivias informiert uns aber nicht nur über den hervorragenden Rang des Mönchtums hienieden wie im Himmel im allgemeinen, son129 Epistola nuncupatoria, PL 149, Sp. 635f. - Statuta Petri Venerabiiis, S. 70, Z. 5-10. 130 Vgl. nur H I L D E G A R D I S Vita, I I 2 , 55ff. 131 Vgl. etwa R U P E R T U S Liber de laesione (Sp. 557f.).

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d e m auch über den besonderen Vorzug seiner benediktinischen Variante. Das ist um so interessanter, als unlängst die Hypothese geäußert wurde, Hildegard habe in ihrer Neugründung auf dem Rupertsberg ein Leben angestrebt, das eher dem von frühchristlichen „virgines" oder von Kanonissen entsprochen hätte. Unter Druck habe sie die Benediktsregel angenommen, die erst im Privileg des Mainzer Erzbischofs vom Mai 1158132 bezeugt sei. In der Tat ist vor 1152133 nicht ausdrücklich (wie im Kopfregest und in Teilen der Literatur 134 ) von Benediktinernonnen die Rede, sondern nur von „virgines" und „sorores" unter der Leitung der „magistra" (nicht Äbtissin) Hildegard. 135 Der frühe Scivias-Text aber zeigt Hildegard bereits - wenn er nicht später tiefgreifend verändert wurde - als eine ebenso glühende Verehrerin des heiligen Benedikt und seiner Regel wie ihr etwas späterer, wohl nach 1158 zu datierender Regelkommentar: Nach dem Scivias waren die Apostel zwar die ersten Mönche, auch das eine verbreitete Vorstellung der Zeit, doch waren sie gleichsam nur die Morgenröte, die von der Sonne, sprich Benedikt abgelöst und überboten wurde. Nicht den Aposteln wird der Mönchsvater gleichgestellt, sondern Christus selbst: „Wie mein Sohn das Gesetz mit der Süße des Evangeliums durchtränkte, so gestaltete auch mein Diener Benedikt die Regel dieses ordo, der monastischen Lebensweise, die vor ihm zu einer strengen Lebensweise verpflichtete, auf die milde Eingebung des Heiligen Geistes zu einem maßvollen und ebenen Werk. Dadurch sammelte er eine große Schar von Menschen, die nach seiner Regel lebten, so wie Christus durch seinen süßen Duft das christliche Volk nach sich zog" (c. 20).

3.3 Regelkommentar Den gleichen hohen, ja einzigartigen Rang weist Hildegard der Benediktsregel in ihrem Kommentar zu, der (angeblich) durch die Anfrage einer congregatio Hunnensis „coenobii" ausgelöst wurde. Die Absender wurden, soweit ich sehe, bis heute nicht einwandfrei identifiziert. 136 Gedacht wird vor allem an das 1074 gegründete Chorherrenstift Ravengiersburg auf den Hunsrück und das 132 Urkundenbuch Mainz IUI, Nr. 231, S. 416ff. - Darin wird die rechtliche Stellung der Neugründung im Verhältnis zum Disibodenberg festgeschrieben, wie am selben Tag der Besitz bestätigt wird (Nr. 230, ebd., S. 413-416), als Abschluß des konfliktreichen Ablösungsprozesses, der sich über Jahre hinzog und spätere Streitigkeiten nicht ausschloß. 133 Urkundenbuch Mainz IUI, Nr. 175, S. 326-328. 2 134 Z.B. M A Y 1929, S. 518FF.; S C H R Ä D E R 1981, S. 19. 135 Urkundenbuch Mainz IUI, Nr. 175, S. 327. 136 Ich zitiere hier nach PL 197, Sp. 1053-1066 (Anfragebrief 1053f.), die gewiß problematisch ist, und beschränke mich im folgenden auf die Aspekte, die in meinem Kontext von Bedeutung sind. Vgl. dazu H Ö N M A N N 1981 mit Teilübersetzung; M E W S 1996b, bes. S. 31-35; C A R L E V A R I S 1998a, S. 108; die von ihr in Anm. 30 zit. Arbeiten von Μ. Τ. Ρ ο τ und H U G H F E I S S konnte ich nicht heranziehen; C O N S T A B L E : „Hildegards Commentary on the Rule of Benedict", in: H A V E R K A M P 2000, S. 163-187, war bei der Abfassung dieses Beitrages noch nicht erschienen.

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pfälzische Höningen, dem Giles Constable in Bingen den Vorzug gab. Sicher scheint nur zu sein, daß es sich nicht um Benediktiner handelt, sondern um Kanoniker, die einem von den Benediktinern verschiedenen „ordo" folgen, aber etwas über die Benediktinerregel erfahren möchten und auch Benedikt als ,ihren Vater' bezeichnen, 1 3 7 ja die Briefschreiber beklagen sich, sie würden beschuldigt, Lügner, Meineidige, Übertreter dieser Regel und Verächter der Synodalstatuten zu sein. Ihre Prälaten beschuldigen sie, sowohl die Regel Benedikts wie die „instituta c a n o n u m " zu mißachten, sich selber Gesetz zu sein und das, was sie wollen für gerecht und heilig zu erklären. Man fragt sich, wie Kanoniker die Regel Benedikts übertreten können, da sie dieser nicht unterliegen, sondern der Regel des hl. Augustinus, auf dessen freiheitlichere Auffassungen sie sich ausdrücklich gegenüber den Ansprüchen ihrer Prälaten berufen. Worin die „servilia onera" bestehen, die ihnen nach ihrer Klage auferlegt werden und ihnen unerträglicher erscheinen als das Gesetz der Juden, wird nicht gesagt; vielleicht ist es tatsächlich, wie man vermutet hat, die Handarbeit, doch könnte der Hinweis auf die enge Gesetzlichkeit der Juden grundsätzlicher, im Sinne von ,Regelungswut' verstanden werden, die aus menschlichem Machtanspruch - „humanis praesumptionibus" - erwachsen wäre. D e n k b a r wäre, daß die Prälaten der Kanoniker sich sozusagen hilfsweise auf die Benediktsregel bezogen, neben den eigentlich' verpflichtenden „instituta c a n o n u m " . Vor allem die starke Stellung, die diese Regel dem A b t einräumt, könnte ihren Reiz gehabt haben. Hildegard geht auf die damit angedeuteten Probleme in keiner Weise ein; sie wendet sich auch an keinen bestimmten Adressaten, sondern an „mansueti", „mites" et „timorati" (Schlußsatz) - an alle Menschen guten Willens, ist man versucht zu sagen. In unserem Kontext ist der Kommentar unter drei Fragestellungen interessant: 1. Was sagt Hildegard grundsätzlich über Benedikt und seine R e g e l ? 2. Wie geht sie mit dem Regeltext um, d.h. was bespricht sie und was nicht ? Wie eng hält sie sich an Buchstaben und Geist des Textes ? 3. Wie legitimiert sie ihr Verfahren? Von Beginn an läßt Hildegard keinen Zweifel daran daß Benedikts Text ein unmittelbares Werk des Heiligen Geistes ist, der in Benedikt gewirkt hat, und zwar so total, daß er in keinem seiner Werke und in keinem noch so geringen Augenblick seiner Kraft entbehrte (1055B). Das Problem, wie bei derart enger Beratung durch den Heiligen Geist, schwierige, ja obskure' Stellen in der Regel auftauchen können, die sie zu klären unternimmt, scheint sich ihr nicht gestellt zu haben. - O d e r ist es in der Präzisierung schwierig für den menschlichen Intellekt' aufgefangen? D e n Beweis für ihre Aussage führt sie in vier Schritten: Benedikt schöpfte seine Lehre „in timore Dei mitissime", er lehrte Gottes G e b o t e „in pietate", er stellte seine Regel „in charitate" auf und lebte stets in 137 Vgl. auch A R N O V O N R E I C H E R S B E R G

Scutum, Sp. 1518.

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Keuschheit, fern vom verführerischen Prunk der Welt (1055C). Das Grundprinzip der Regel faßt sie in ein sehr sprechendes Bild: Benedikt schlug den Nagel seiner Lehre, um den sich die potestas Dei wie ein Rad dreht, nicht zu hoch und nicht zu tief ein (1055B), im Scivias betont sie ebenfalls die milde Süße und gebraucht das Bild vom ebenen und maßvollen Weg, vom gut ausgetretenen Pfad, dem wohlgepflügten Feld (27). Ohne ihn zu zitieren, könnte sie sich dabei auf den Prolog der Regel beziehen, die nichts Hartes, nichts Schweres anordnen will (Prol. 46). Weil Benedikt seine Lebenslehre, „doctrina, in timore et pietate, in charitate et castitate", unter direkter Einwirkung des Heiligen Geistes schrieb, ist seiner Lehre nach Hildegard nichts hinzuzufügen und nichts wegzunehmen, denn es fehlt ihr nichts, weil sie eben im Heiligen Geist gemacht und fertiggestellt wurde (1055C). Ist daraus zu schließen, daß es keiner Statuten und Consuetudines bedarf, wie sie im späten 11., besonders aber in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts im monastischen wie im kanonikalen Bereich allenthalben aus dem Boden schössen, nicht zuletzt im hirsauischen Mönchtum ? Redet Hildegard damit einer zisterziensisch anmutenden Regeltreue „ad imum" das Wort? Wohl kaum, wie sich zeigen wird. Auf jeden Fall aber geht sie hier mit dem Geltungsanspruch, den sie dem vorliegenden Regeltext vorschreibt, weit über den Text selbst hinaus, räumt dieser doch im Prolog die Möglichkeit ein, ,zur Besserung von Fehlern und zur Bewahrung der Liebe da und dort etwas strengere Anforderungen zu stellen' (47), und betont im Schlußkapitel ausdrücklich, daß in der Regel nicht alles enthalten sei, was zur Beobachtung der vollen Gerechtigkeit gehöre (73 rubr.); sie sei eine Regel für Anfänger; wer rasch zur Vollkommenheit gelangen wolle, wird auf die Lehren der Heiligen Väter, die Heilige Schrift und grundlegende ältere monastische Texte verwiesen (73). Wollte man Hildegard folgen, wäre dies kaum denkbar, herrschte doch vor Benedikt völliges Chaos im monastischen Leben (1055D). Obwohl die Regel für Hildegard also ein perfektes Werk ist, geht sie selbst, wie ihr Kommentar zeigt, durchaus souverän mit dieser unantastbaren „doctrina" um. Sie wählt nicht nur sehr stark aus - nur ein Bruchteil des Regeltextes wird von ihr besprochen. Sie betont auch den grundsätzlichen Spielraum in der Interpretation: Da es unmenschlich sei, stets schweigen zu müssen, habe Benedikt dem Abt hier wie in vielen anderen Punkten freie Hand gegeben; „in potestate et discretione abbatis" stehe es, die Stunden dafür festzusetzen (1056A). Es liegt auf der Hand, wie sehr Hildegard sich mit ihrem pragmatischen Argument von einer altehrwürdigen monastischen Tradition der Hochschätzung des Schweigens (der „taciturnitatis gravitas", RB 6) entfernt. Ahnlich frei geht sie bei anderen zentralen Punkten monastischen Lebens vor: Beim Gottesdienst im Tagesverlauf spricht sie sogar vom Gutdünken von Abt und Mönchen („in arbitrio ipsorum dimittit", 1057C), ebenso bei der Frage, ob man nach der Matutin noch einmal ins Bett gehen dürfe („in arbitrium eorum ... silenter

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posuit", 1057D). Beim Psallieren meint sie sogar sagen zu können, wie Benedikt verstanden werden wollte („intelligi vult", 1058B), ebenso bei der jahrhundertelang diskutierten Frage, ob Geflügel zum Fleisch zähle und daher nur von Schwachen und Kranken gegessen werden dürfe. Sie argumentiert gut hildegardisch: Geflügel sei gesund und verursache keine brennende Lust, also könne man es essen: Auch Fisch, Käse und Eier als drittes Gericht habe Benedikt nicht bei den Dingen genannt, die er seinen M ö n c h e n verboten habe, also habe er den G e n u ß erlaubt (1060B). Zu der heiklen Frage der Aufnahme fremder M ö n c h e ohne Empfehlungsschreiben, meint sie sogar, im Rückgriff auf die Passage über die Novizen schließen zu können, wie Benedikt in dieser Frage - trotz eindeutiger Aussage - eigentlich verstanden werden wollte („intelligi vult ubi non vult", 1063f.). Wiederholt betont Hildegard das Recht, die Regel der Zeit anzupassen. Das tut sie einmal implizit, indem sie mehrfach die Besonderheiten der Zeit Benedikts („eo tempore, tempore suo") betont im Unterschied zur aktuellen, so bei der Tischlektüre ( 1 0 5 9 D ) , bei den zugelassenen Speisen (1060B), bei der Behandlung der Gäste, die damals („illo etenim t e m p o r e " ) für die Klöster noch keine Last gewesen seien. Denn die M ö n c h e seien noch nicht dem Ansturm der Fremden („tumultum supervenientium") ausgesetzt gewesen, da diejenigen, die zu ihnen kamen, nur Christus suchten und nichts anderes erbaten, als was sie dort an heiligen Werken fanden (1061D). Welche Erfahrungen auf dem Rupertsberg mögen hinter diesen Worten gestanden haben ? Explizit begründet sie die Veränderung bei der Kleidung, bei der schon in der Karolingerzeit heiß diskutierten und zu Hildegards Zeit durch die Zisterzienser wieder zum T h e m a gemachten Frage, ob M ö n c h e immer oder nur, wie es in der Regel heißt, auf Reisen Hosen tragen dürften. „ D i e Zisterzienser sahen es als g r o b e n V e r s t o ß gegen die Regula an, w e n n die M ö n c h e auch im K l o s t e r H o s e n trugen. . . . Petrus Venerabiiis , R u p e r t von D e u t z und andere hingegen hielten H o s e n für nötig, weil sie gebräuchlich seien im L a n d e , aber auch weil K l i m a , R e i n l i c h k e i t und A n s t a n d es verlangten." 1 3 8

Hildegard führt neben den veränderten Sitten in ihrer Zeit („nunc tempore isto" im Gegensatz zu „eo tempore", als H o s e n nicht gebräuchlich waren) ein sittliches Argument dafür an: Es könne G o t t nicht mißfallen, wenn M ö n c h e Hosen trügen um der gotteslästerlichen Erregung zu entgehen, die sie beim Gefühl nackten Fleisches empfinden könnten (1062C). Unwillkürlich ist man an die drastischen Unterstellungen eines Walter Map und anderer Spötter erinnert, warum die Zisterzienser auf Hosen verzichteten. 1 3 9 In ähnlicher Weise lassen sich mit dem Prinzip der Anpassung an die Bedürfnisse anderer Regionen die von der Regel nicht vorgesehenen Pelze rechtfertigen (1062A).

138

ZIMMERMANN

139

Ebd.

S. 3 5 9 , II,

1973, S. 93. 32.

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Wenn man in dieser Weise die Regel nicht nur an die Bedürfnisse unterschiedlicher Regionen anpassen konnte, was bereits Benedikt zugestanden hatte, sondern auch auf die im Laufe der Zeit sich ändernden Sitten Rücksicht nehmen konnte, dann w a r ein weiter Interpretationsspielraum gegeben - vor allem w e n n man mit Hildegard der Meinung war, Benedikt habe prinzipiell erlaubt, was er nicht ausdrücklich verboten habe, da er offen formuliert habe, was er wollte und nicht wollte. Die Zisterzienser hingegen, die in keinem Punkt von der Regel abweichen und sie von allen in gleicher Weise ausgelegt und eingehalten wissen wollten, 1 4 0 und sich wegen dieser ,Buchstabengläubigkeit' 1 4 1 von ,alten' Benediktinern den Vorwurf des Judaisierens' zuzogen, 1 4 2 argumentierten genau entgegengesetzt: Weil Benedikt den Genuß tierischer Fette nicht ausdrücklich erlaubt, verzichteten sie geradezu programmatisch darauf. Der unbedingte Verzicht auf Fett ist eine der wenigen spezialisierten Bemerkungen über das Essen in ihren frühesten schriftlichen Zeugnissen, w i r d mehrfach von den Generalkapiteln eingeschärft und vom hl. Bernhard polemisch gegen die Benediktiner ins Feld geführt. Dabei hatte schon Benedikt von Aniane der große Reformer des frühen 9. Jahrhunderts und ,zweite Benedikt', den Gebrauch tierischer Fette mit dem pragmatischen Argument legitimiert, im Norden gebe es kein Olivenöl bzw. es sei sehr teuer zu beschaffen. 1 4 3 - Auch in diesem Punkt standen die Zisterzienser freilich im Einklang mit anderen Reformrichtungen; Wanderprediger, Regularkanoniker lehnten den Verzehr tierischer Fette ab oder schränkten ihn stark ein, w i e etwa Springiersbach/Klosterrath. 1 4 4 Interessant ist auch, welche Gegenstände der Regel Hildegard behandelte und was sie dabei nicht sagte: Beim Schweigen und beim Schlaf geht es ihr vor 140 Vgl. z.B. Carta caritatis prior 2, Instituta Generalis Capituli c. 2, S. 100, 120f. 141 Selbstverständlich setzten sich auch die Zisterzienser, schon Bernhard, mit dem Problem der angemessenen Interpretation der Regel auseinander; aber gerade in seinem für die Auslegung der Regel und der Befugnisse des Abtes grundlegenden Werk de praecepto et dispensatione, das Bernhard - ähnlich wie Hildegard ihren Kommentar aufgrund einer Anfrage einer nicht seinem Orden angehörenden Gemeinschaft schrieb, unterscheidet er zwar zwischen den immer und unverändert gültigen geistlichen Grundsätzen und den veränderbaren Institutionen der Regel (2.5, Opera 3, S. 257), betont aber ausdrücklich den Unterschied zwischen benediktinischer Auslegung der Regel („secundum regulam") und zisterziensischer („ex integro pure ad litteram", 16.48f., S. 286). Zu diesem stets schwierigen Problem: KASPER/SCHREINER 1 9 9 4 , insbesondere die Beiträge von M . Pia SCHINDELE 1 9 9 4 und Klaus SCHREINER 1994. 142

Vgl. nur O R D E R I C U S V I T A L I S Historia, 8. 26 („decreuerant regulam Benedicti sicut Iudei legem Moisi ad litteram seruare penitus") und I D U N G Dialogus, III 15 („Vos Cistercienses quia iudaizatis, in Regula sequentes occidentem litteram, id circo autoritates ad puram litteram pertinentes diligenter notatis, ut per eas vestrum iudaismum defendatis", S. 444; H U Y G E N S 1980); vgl. dazu C O N S T A B L E 1996, S. 145f.

143 V g l . ZIMMERMANN 1 9 7 3 , S . 6 5 .

144 Consuetudines

Rodenses,

S. 73f.

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allem u m eine menschenfreundliche, auf die G e s u n d h e i t Rücksicht n e h m e n d e Freiheit in der Gestaltung, u n d sie liefert eine medizinische B e g r ü n d u n g f ü r ausreichenden Schlaf, ähnlich wie beim Geflügelfleisch, gleich mit (1056B). Menschenfreundlich ist auch die Tendenz, den in der Regel ausführlich behandelten Gottesdienst a b z u k ü r z e n , d e n n zu lange Gebete seien langweilig u n d e r m ü d e n d ; sie k ö n n t e n G o t t nicht erfreuen. In ihren verhältnismäßig langen A u s f ü h r u n g e n beruft sich Hildegard ausdrücklich auf Benedikt selbst, der auch den Gottesdienst v e r k ü r z t habe, damit er in F r e u d e u n d ohne Langeweile gern gefeiert w e r d e (1058B/C). Bei den Strafen u n d bei der Bußpraxis faßt sie eine ganze Reihe von Kapiteln der Regel (23-30) k n a p p z u s a m m e n , o h n e die Möglichkeit von Körperstrafen zu verschweigen (1058f., 1060C, w o sie anscheinend Benedikt eine B e g r ü n d u n g nachliefert). Bei ihren Aussagen z u m Verwalter des Klostergutes (Cellerar, RB cc. 31-34) legt sie den A k z e n t ganz auf die gerechte, gleichmäßige Berücksichtigung aller, o h n e Vorlieben (1059A/B); daß er auch die A r m e n zu bedenken habe, k o m m t nicht vor, ebensowenig der Aspekt des Privateigentums, den die Regel in diesem Z u s a m m e n h a n g ausschließt (c. 33). A u c h bei der Kleidung, w o sie sich mit der H o s e n f r a g e breit beschäftigt, geht sie auf diesen f ü r das m o n a stische Selbstverständnis wichtigen A s p e k t der zentralen Versorgung aller M ö n che aus dem gemeinsamen Besitz nicht ein (1062B/C). Beim Essen behandelt sie sehr ausführlich die A r t der Speisen u n d b e t o n t die Gemeinsamkeit des Mahles (1059f.). N i e m a n d darf sich v o m gemeinsamen Mahl ausschließen, ohne besondere Erlaubnis des Abtes, wie mehrfach b e t o n t wird (1060f.), auch nicht u m zu Fasten. Wer auf einen Teil des gemeinsamen Essens ohne G e f a h r f ü r seine G e s u n d h e i t verzichten kann, soll das o h n e Aufsehen tun - keine demonstrative Enthaltsamkeit also; ansonsten solle jeder der G e w o h n h e i t des Klosters regelgetreu und d e m ü t i g folgen (1060A). E n passant gleichsam, der Regeltext wird so verkürzt, daß der Kontext (Leistungen in der Bußzeit) nicht m e h r erkennbar ist (1059D), lehnt sie asketische Sonderleistungen ü b e r h a u p t ab. Sie bestätigt den aus ihren Briefen g e w o n n e n e n E i n d r u c k , daß sie individuelle u n d übertriebene A b s t i n e n z zurückweist. Stärker n o c h als Benedikt b e t o n t sie die G e m e i n s c h a f t in dem langen Abschnitt ü b e r den Priester, der M ö n c h werden wolle; Benedikt hatte n u r festgehalten, daß seine priesterliche W ü r d e ihm keine Vorrechte in seiner m o n a stischen Rolle gegenüber seinen laikalen M i t b r ü d e r n gebe. Hildegard f ü h r t das breiter aus u n d bezieht auch die Magister und D o k t o r e n in ihre A r g u m e n t a t i o n mit ein: Sie d ü r f t e n sich nicht klüger u n d gelehrter, im Reden geschwinder u n d geschickter als die im Kloster aufgezogen B r ü d e r („nutriti", 1063B/C) d ü n k e n . Massiv b e t o n t sie auch die D e m u t in dem K o m m e n t a r z u m c. 62 der Regel über die M ö n c h e , die z u m Priester geweiht w e r d e n (1064C). - K a n n man hier an E r f a h r u n g e n auf dem D i s i b o d e n b e r g oder auch auf dem R u p e r t s b e r g denken oder auch an ihren Vergleich zwischen dem ,demütigen' Volmar u n d dem g e lehrten' G u i b e r t ?

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Auffallend in einer Zeit harter Diskussionen über die ,stabilitas' der Mönche und den Übergang in ein anderes Kloster ist ihr menschenfreundlicher Umgang mit einem fremden Mönch. Komme er von weither, so rät sie, den Ankömmling lieber aufzunehmen, auch wenn er keinen Empfehlungsbrief vorweisen könne, den Benedikt an sich verlangte (RB c. 61); das sei besser, als zu riskieren, daß der Abgewiesene wegen seines Alters, seiner Krankheit, der Länge des Weges verzweifelt in die Welt gehe und so an Körper und Seele Schaden leide. Auch hier glaubt sie zu wissen, daß Benedikt so verstanden werden wolle („intelligi vult"). Besser sei es freilich, schiebt sie nach, wenn er in sein Kloster zurückgehe, vor allem wenn dort die monastische Disziplin herrsche; schließlich zitiert sie auch den Regeltext zu dieser Frage (1063f.). Fragen wir abschließend nach den auffälligsten Lücken in ihrem Kommentar, so vermißt man an erster Stelle sicher Aussagen zu den zentralen Kapiteln der Regel über den Abt, seine Befugnisse und seine Rolle. - Dabei hatten die Anfragenden gerade dieses Problem aufgeworfen. Auch vom Rat der Brüder, von der inneren Organisation des Konvents, von Aufnahme und Wiederaufnahme in den Konvent ist nicht die Rede. Das verwundert, wenn man an Hildegards Ausführungen über diese Fragen im Scivias denkt, die durchaus im Einklang mit den deutlichen Aussagen der Regel stehen. Nur einmal kommt der Begriff „novitius" und der Aufnahmeritus vor, aber nur in einer wilden Blütenlese von Zitaten und Interpretationen im Zusammenhang mit dem Eintritt eines Priesters oder fremden Mönchs (1063C/D). Auch grundsätzliche monastische Themen, wie die instrumenta bonorum operum (RB c. 4), Gehorsam (c. 5), die Demut (langes c. 7) erörtert Hildegard nicht eigens. Was sie zu dem in der Regel breit behandelten Gottesdienst, dem Rupert von Deutz einen großen Teil seines Kommentars gewidmet hatte, zu sagen hatte, haben wir schon gesehen. Ahnlich selektiv verfährt sie mit dem c. 49 über die Fastenzeit: Von der Aufforderung Benedikts, jeder solle zu seinem gewöhnlichen Pensum an monastischen Leistungen etwas von sich aus hinzufügen, Gebete, Verzichte beim Essen und Trinken, Schlafen, Reden, bleibt bei Hildegard nur das tendenziell aufs Gegenteil zielende Verbot, auf das gemeinsame Essen ohne Zustimmung des Abtes zu verzichten, der Kontext verschwindet. Ebensowenig erfahren wir Hildegards Meinung zu den Kapiteln über die Klausur und den Pförtner, überhaupt über den Kontakt mit der Außenwelt, insbesondere über das Verbot von Briefen und Geschenken an einzelne Konventuale (c. 54), sehen wir von der zitierten Aussage über die Gäste ab. Dort vermißt man die seit der Karolingerzeit sich einbürgernde Unterscheidung zwischen dem vornehmen und dem armen Gast - hatte Benedikt doch den Ärmeren sogar mehr Aufmerksamkeit zugedacht, weil in ihnen mehr als in anderen Christus aufgenommen werde; die Reichen hingegen sorgten schon durch ihr herrisches Auftreten dafür, daß sie geehrt würden (RB c. 58. 15).

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Nicht zuletzt mit Blick auf den berühmten Briefwechsel mit Tenxwind von Andernach hätte es gewiß interessiert, wie Hildegard die Aussagen der Regel zur Aufnahme der Söhne von Armen (c. 58), über die Rangordnung im Konvent und den Umgang miteinander, ein Kernstück des letzten Teils der Regel (cc. 6 9 - 7 2 ) interpretiert hätte; der dürre Satz über den Gruß, den der Jüngere dem Älteren zu entbieten habe (1064D), macht die Lücke, die sie hier läßt, um so deutlicher sichtbar. Schmerzlich dürften die anfragenden Kanoniker, so es sie gegeben hat, auch die Aussagen zu einem ihrer zentralen Anliegen - den „opera servilia" - vermißt haben. Hildegard kommentiert nicht das Regelkapitel 68, wo es um den ,unmöglichen Auftrag' geht, auch nicht c. 69, wo verboten wird, im Kloster jemanden zu verteidigen. Von Arbeit, gar von dem Wort Benedikts, erst dann seien sie wirkliche Mönche, wenn sie von der Arbeit ihrer Hände lebten (c. 48. 8), was die Hirsauer und mit noch mehr Verve die Zisterzienser und die Regularkanoniker des ordo novus propagierten, ist in dem Kommentar so wenig die Rede wie von Armut; weder die persönliche Armut der Mönche noch die Fürsorge für die Armen wird angesprochen. Damit verweigert uns dieser Text, der sich ausschließlich mit der von ihr gefeierten Richtschnur ihres Lebens befaßt, den Einblick in Hildegards Denken über ganz zentrale Probleme klösterlichen Lebens, Armut, Askese und Handarbeit, die zu ihrer Zeit heftig diskutiert wurden und die Fronten zwischen traditionellem Mönchtum und den Reformbewegungen, gleich ob nach der Regel des hl. Benedikt oder der des hl. Augustinus, besonders klar markierten. Mit diesen Hinweisen auf Lücken und Defizite soll nicht suggeriert werden, Hildegard habe nur die Punkte behandelt, die ihr am Herzen lagen, das Schweigen etwa, weil sie nicht habe schweigen können, wie auf dem Binger Kongreß geäußert wurde, auch nicht, sie habe auf andere verzichtet, weil ihre eigene Praxis von der Regel in diesen Punkten abgewichen sei und sie das, was sie vermochte, als Ideal habe hinstellen wollen. 145 Andererseits wird man kaum glauben wollen, daß die Lücken in dem Text, der weitestgehend dem Aufbau der Regel folgt, zufällig sind, 146 zumal wenn man die nicht behandelten Gegenstände mit dem generellen Tenor ihres Textes - und mit ihren sonstigen Äußerungen, im Scivias und in den Briefen - zusammen sieht: Wie das Scivias Kapitel über Benedikt betont der Kommentar von Beginn an die Milde des monastischen Gesetzes, den Geist der „Caritas", in dem es geschrieben wurde, und den Spielraum in seiner Interpretation. Die vielzitierte benediktinische „discretio" liegt der Auslegung zu Grunde, kommt aber als Begriff weniger 145 S o die strenge Zisterzienserin RISSEL 1990, S. 26. 146 A u c h das A r g u m e n t der , K ü r z e ' des . R a u m e s ' verfängt k a u m , findet Hildegard d o c h G e l e g e n h e i t zu v e r m e r k e n , daß die auf dem F e u e r g e k o c h t e n Speisen mit einem H o l z l ö f f e l gerührt werden, damit sie nicht a n b r e n n e n ( 1 0 5 8 B ) oder daß zuviel Schlaf ungesund sei ( 1 0 5 6 C ) .

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häufig vor als „arbitrium" („arbitrium et discretio", 1058A). Auch wenn sich wenige direkte Parallelen zu den Briefen ziehen lassen - in einem Punkt ist die Ubereinstimmung klar: In der Ablehnung strenger Askese. Bei der Freiheit der Interpretation, die Hildegard - gestützt auf ihre übliche Legitimation 147 - beansprucht, und dem Gebrauch, den sie davon macht, kann man ihr gerne glauben, daß alles, was die Regel verlange, nicht zu streng sei, sondern auf Rechts und Links Rücksicht nehme und daß Benedikt selbst erklärt habe, wer ihr folge, dem stünden die himmlischen Reiche offen (1066) - was sie, auch hier im Einklang mit der monastischen Tradition, im Scivias noch viel breiter ausfaltet.

4. HILDEGARDS U R T E I L ÜBER REFORMER DER ,VITA RELIGIOSA' IHRER Z E I T

Auch wenn Hildegard zentrale Punkte der Regel, zur Verfassung des Klosters, zur Struktur der Gemeinschaft, zu Arbeit und Armut, zum Kontakt mit der Außenwelt in ihrem Regelkommentar nicht behandelt, dürfte ihr Standpunkt innerhalb der religiösen Bewegung des 12. Jahrhunderts deutlich geworden sein: Sie teilt nicht die Ideale der Armut, der harten Askese und der Handarbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts, der institutionellen Absicherung einer genauen Regelbeobachtung, durch die sich die ersten Mönche in Citeaux bewußt von den ,alten' Benediktinern unterscheiden wollten, wie die Regularkanoniker des ordo novus von den alten, den nunmehr so genannten Säkularkanonikern. Daher dürfte die Antwort auf unsere letzte Frage, wie sie die Reformer der ,vita religiosa' und deren Bemühungen einschätzte, in der Sache kaum überraschen, ihr Ton vielleicht schon. Wenn Benedikt nach der Vision im Scivias (c. 20) die Apostel übertrifft und nur mit Christus zu vergleichen ist, wenn er bei der Abfassung seiner Regel (ähnlich wie Hildegard selbst bei ihrer Interpretation und ihren sonstigen Werken) ,auch nicht den geringsten Augenblick lang' auf das Wirken des Heiligen Geistes verzichten mußte und daher ein vollkommenes Werk schuf, das, wie sie ausdrücklich betont, weder zu verkürzen noch zu ergänzen ist (Sp. 1055A), ergibt sich das Urteil über Ergänzungen und Alternativen gleichsam von selbst: Sie sind überflüssig, ja zutiefst schädlich. In jedem Stand, also auch bei den Mönchen, soll Einheitlichkeit herrschen; 148 abweichende Sitten, Absonderlichkeiten und Neuartiges in Kleidung und Lebensweise sind, so belehrt uns der Scivias, zu meiden. In geradezu erregender Steigerung wendet sich Hildegard 147 W i e bei allen großen und kleinen Problemen schaute sie auch hier, als „paupercula feminea forma et humano magisterio indocta", gleich im ersten Satz und wieder im Schlußabschnitt, auf zum wahren Licht - aber auch zur memoria des hl. Benedikt. 148 Scivias, II 5, 20, Rubrik. Aus dem Inhalt geht klar hervor, daß die M ö n c h e hier sogar primär gemeint sind. Es wäre zu überlegen, wieweit Hildegard mit der Forderung nach unveränderlicher Einheitlichkeit sich den Anliegen der zentral verfaßten O r d e n nähert und in Konflikt mit ihrer eigenen Regelinterpretation gerät.

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zunehmend heftig gegen Leute, die sich durch Auffälligkeiten an ihrem Gewand wichtig machen, gegen den Wahn, ungewöhnlich erscheinen zu wollen. Gott selbst weist die Gebete derjenigen zurück, die „den gut ausgetretenen Pfad und das wohlgepflügte Feld der Mönchsväter, die ihnen der Heilige Geist anwies", verlassen und „in großem Hochmut von den aufgestellten Regeln ab(weichen), welche die Kirche von den Vätern übernahm" (27). Die Neuerer 1 4 9 tragen nicht zum Fortschritt bei, sondern provozieren nach Hildegard Stolz, Heuchelei, Eifersucht, Verdruß, Widerspruch gegen die anderen von Gott gestifteten Einrichtungen. Ja, sie hemmen sich gegenseitig im Streben nach dem Guten und führen in den Untergang. Wer auf sich selbst vertrauend Neues macht, geht ins Verderben. Hildegard bzw. die himmlische Stimme, die sie auch für ihre Polemik in Anspruch nimmt, trägt sogar dem Augenschein Rechnung, daß diese Neuerer anscheinend besonderen Erfolg haben. Sie tröstet sich und ihre Leser: Gott verwirft (nur) manches von dieser Neuerungssucht, andere Dinge duldet er einstweilen schweigend vor den Menschen, die sie bewundern (cf. 32), und mäßigt seinen durchdringenden Blick; „doch strafe ich sie künftig und fälle mein gerechtes Urteil." (34). Auch hierzu findet sich eine ganz ähnliche Formulierung in der Schrift eines unbekannten Abtes, der sein benediktinisches Leben der Kontemplation gegen die zisterziensische Arbeitsethik verteidigt. Er spielt nicht nur die Sorge um die ,ewige Speise' gegen die um die irdische, den hohen Wert der Kontemplation und des Gebetes gegen die tägliche Notwendigkeit der Arbeit und die Beschäftigung mit weltlichen Werken aus, sondern tröstet sich und seine Mitbrüder fast in den Worten Hildegards: „Mögen auch jetzt viele die Neuerer bewundern, Gott wird anders urteilen." 1 5 0 Heuchelei, Hochmut, Stolz, Unbeständigkeit, Leben nach eigenen Vorstellungen, Widerspruch - man könnte meinen, es ginge im Scivias ganze Kapitel lang um schlechte Mönche, die sich in ihrem Eigenwillen der Regel, vielleicht sogar um Christen, die sich den Lehren der Kirche entziehen wollten, Schismata verursachten. Hildegard aber meint ausdrücklich (auch) Leute, die mehr wollen, als sie in Demut erstreben sollen (30), mehr als die Regel verlangt; Leute, die den rechten Weg überspringen wollen (28), etwas Besonderes für sich erfinden 149 Einige Belege seien hier zusammengestellt: „nouitas uitae et uestitum uitandum est" {Scivias, II 5, 870, Rubrik); „quidam in diuersis signis uestitus sui se uolunt extendere secundum mores suos, ut in insania sua excogitant, ueluti si ordo angelorum se erigere uellet super ordinem archangelorum" (Z. 882-884); „qui in proposito suo semper novi esse volunt" (ebd., 2 . 889); „semper noui et rüdes in magna instabilitate hac et iliac secundum uoluntatem suam uagantur" (28, Z. 9 5 4 - 9 5 7 ) ; ins Verderben gehen die, welche „semetipsos per uanam gloriam novos faciunt, et propter taedium quod in praeceptis meis patiuntur in semetipsis confidunt" (32, Z. 1077-1080). 150 Tractatus, Ζ. 19Iff.; Ζ. 185f. wendet er sich - wie Hildegard - auch gegen die „novitas separate institutionis". Vgl. D i n z k i . b a c h e r 1998, S. 89.

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und ein Gesetz nach ihrem Willen, nach eigenem Wunsch, nach ihrem Herzen, im Vertrauen auf ihre eigenen Fähigkeiten aufstellen (29, 30, 32). Dadurch verschulden sie nach Hildegard schismata, Herumschweifen (27) - und nicht zuletzt Hochmut, der die heilige Gemeinschaft derer verachtet, die Gott in sanfter Fügsamkeit lieben (28). Die alten Einrichtungen, die alten Kleider dürfen, so Hildegard, nicht verachtet werden, denn sie sind in ihrer Einfachheit immer neu, und je altehrwürdiger, desto kostbarer. Was von Gott selbst kommt, ist milde und süß (32), wie die Benediktsregel, die nicht explizit genannt, aber gemeint ist. Mag man manchmal Mühe haben, Hildegards Redeweise zu entschlüsseln und auf konkrete Erscheinungen ihrer Zeit zu beziehen,151 hier wird sie bemerkenswert deutlich. Bei den Herumziehenden (27) mag man an Wanderprediger denken, bei den Schismata an Ketzer, zumal Hildegard ja gegen sie geschrieben hat. Der Kontext aber verweist eindeutig auf den innermonastischen Raum, und wir erinnern uns an die Klagen eines Petrus Venerabiiis und anderer Autoren. In diesem Kontext finden wir auch den Schlüssel zu Hildegards Attacken, denn in der Polemik zwischen ,alten' Benediktinern und ,neuen Orden' sind die Begriffe „novi", gar „rüdes et novi" recht eindeutig besetzt, im positiven wie im negativen Sinn. Die Reformer, die aus Molesme auszogen, nannten ihr neues Kloster schlicht - und programmatisch ,Novum monasterium'; 152 zum Lob der neuen Ritterorden schrieb Bernhard von Clairvaux Werk de laude novae militiae. Schon Ende des 11. Jahrhunderts hatte Marbod, wenig später Bischof von Rennes in Westfrankreich, der die religiöse Szene sehr genau und kritisch beobachtete, Robert von La Chaise Dieu als neuen Heiligen, der die alte Ordnung der Heiligkeit überwunden habe, gelobt, bevor er ihn später aus demselben Grunde warnte.153 Die ,ungewohnte Neuheit' machte nach Ordericus Vitalis die Attraktion der Zisterzienser aus.154 Die Gegner von Robert Plänen in Molesme wandten sich wortreich gegen die ,Neuerungen'. Sie wollten an der alten, seit den Anfängen des Mönchtums geheiligten Lebensform mit ihren erprobten Pfaden festhalten, den Weg der Väter gehen - wir denken an Hildegards Bilder. Diese erprobten, geheiligten Formen stellten sie den „immoderatis nouitatibus" entgegen. Wie Hildegard führten sie die klimatischen Verhältnisse und den Wechsel der Zeiten gegen den Wortlaut der Regel ins Feld - und stärker noch als sie verpflichteten sie den Abt, auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen (316/18). Sie stellten sich an die Seite der Cluniazenser und der Mönche von St. Martin in Tours - der Keimzelle gallischen Mönchtums, älter noch als Benedikt - gegen die „temerarii nouitatum adinuentores" (324). Selbst Abaelard, 151 WIDMER 1955, S. 2 4 5 f f .

152 Wahrscheinlich hielten sie bis zur Schaffung des Klosterverbandes daran fest; vgl. L E F E V R E 1955, S. 110-113. 153 CONSTABLE 1996, S. 24. Vgl. e b d . u n d S. 165f. z u m f o l g e n d e n .

154 Alle Zitate in Hist, eccl., VIII. 26, hier S. 326; ich zitiere im folgenden die Seitenzahlen im Text.

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gewiß ein unruhiger Geist, spottete um dieselbe Zeit über ,neue Apostel', denen die Welt viel Vertrauen entgegen gebracht habe; einer von ihnen habe sich gerühmt, er habe das Leben der regulierten Kanoniker wieder erweckt, der andere das der Mönche. 155 Unschwer erkennt man Norbert von Xanten, den Protagonisten der neuen Orden. Rupert von Deutz verteidigte sein Benediktinertum gegen Neuerungen mit Worten, die unmittelbar an Hildegard gemahnen. Niemals sei es erlaubt im Namen einer ,neuen Tradition' die Grenzen der Alten zu überschreiten; das hieße dem Heiligen Geist zu widersprechen.' 3 6 In direkter Rede setzte er sich mit einem Ungenannten auseinander, der die Regel des heiligen Augustinus durch größere Strenge vermehrt habe. „Res enim nova est." Warum so fragt er ihn, beanspruche er wegen der Rauheit seines Lebens, die er neuerdings aufgenommen habe („noviter assumpsisti"), höhere Autorität und verachte die durch Tradition geheiligten Sitten. 157 Auch Rupert, so vermutet man, wandte sich damit gegen Norbert, der ja nicht zuletzt in Köln bei einer Reise im Jahr 1121 sehr erfolgreich Nachwuchs für seine neue Gründung Premontre geworben hatte. 158 Norberts Biograph, wer würde sich wundern, pries ihn hingegen wegen der ,neuen Art auf Erden zu leben', die ihm die Bewunderung und Liebe der Menschen einbrachte, so daß sie ihm in Scharen zuströmten. 159 Neue Männer in einem neuartigen Leben sah der Benediktiner Nikolaus von Montieramey in den Zisterziensern, 160 und Gilbert von Sempringham, der ihnen seine Klöster in England unterstellen wollte, hielt sie für religiöser als andere, weil sie neuer waren und einer strengeren Regel folgten. 161 Marbod von Rennes warnte Robert von Arbrissel, Wanderprediger und Gründer von Fontevraud, nicht zu sehr auf seine eigene Heiligkeit zu bauen und vor einer ,neuen religio'; der weise Mann störe nicht die öffentliche Moral und ziehe das Volk nicht durch Neuerungen an; im Kontext geht es um Roberts auffällige Kleidung, Bart und Haartracht. 162 P E T R U S A B A E L A R D U S Historia, S. 97. 156 „Ergo Regula hie defenditur jure terminorum antiquorum, quod cam nulla unquam nova traditione superducta transgredi liceat"; In Regulam s. Benedicti, IV. c. 8, PL 170, Sp. 531 A C . 157 Ebd. c. 13, Sp. 536C, 535D. 158 G R A U W E N 1986, S. 38 Anm. 247; dort auch weitere kritische Stimmen - wegen der Neuerungen. Zum Erfolg in Köln, von w o Norbert bei einer Reise so viele Novizen mitbrachte, daß in Premontre eine neue Kirche gebaut werden mußte,Vita A c. 12, M G H . SS 12, S. 682 („clericorum et laicorum fratres circiter triginta novicios"), Vita Β c. 48, PL 170, Sp. 1290A („multi ... tarn clerici quam laici concurrentes, imitatores paupertatis Christi effecti, ipsum secuti sunt"). 159 Vita Β c. 28, PL 170, Sp. 1276. 160 Ep. 35, PL 196, Sp. 1627A. 161 Vita Gilberti, c. 13, hier zit. nach C O N S T A B L E 1996, S. 166. 162 Ep. 6, PL 171, Sp. 1480-86: „novae religionis exemplo" (1481C); „nec populum in se novitate convertet" (1483 B). Zum Schluß warnt er ihn: „super hoc exitu tua culpatur religio, quia in introitu non est habita mater virtutum discretio" (1486A). 155

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Das ist kein zufälliges, noch weniger ein zu vernachlässigendes Detail. Von Anhängern wie Gegnern der ,Neuerer' wurde der Signalcharakter der Kleidung erkannt, nicht nur bei so extremen Erscheinungen wie Robert von Arbrissel und vielen Eremiten-Wanderpredigern. Rupert von Deutz kritisierte die Regularkanoniker, die sich der ,Schäbigkeit ihrer Kleider rühmten', sie hätten bewußt ,dunkelweiße, zweifelhafte Farbe gewählt', um sich von den schwarzen Gewändern der Mönche und Nonnen zu unterscheiden. Wenn wir weiße gehabt hätten, so schrieb er bitter, so trügen sie jetzt wahrscheinlich schwarz. 163 Ordericus Vitalis hebt auch hervor, die neuen Mönche, die nunmehr die Welt füllten, trügen vor allem weiße Kleider und erschienen dadurch besonders bemerkenswert. Die traditionelle schwarze Farbe (Zeichen der Demut) und den gewohnten Schnitt verschmähten sie, wie um ihre größere Rechtschaffenheit zu demonstrieren. 164 Polemischer formulierte Petrus Venerabiiis: „Ihr Heiligen, ihr einzigartigen Männer, ihr einzig wahren Mönche in der ganzen Welt, da alle anderen falsch oder korrupt sind, ihr setzt euch von allen anderen ab durch euren Namen, durch euer Gewand ungewohnter Farbe, und zum Unterschied von allen Mönchen auf fast der ganzen Welt, präsentiert Ihr Euch in Weiß," warf er in einem frühen Brief den Zisterziensern vor, und einige Jahre später beklagte er in einem Brief an Bernhard von Clairvaux, er wisse nicht, welche verborgene und fatale Vielfalt die Mönche spalte und sie von der Einheit des Herzens abhalte. 165 Die Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, dürften zur Genüge gezeigt haben, wo Hildegard hier zu verorten ist. Mit ihrem Regelkommentar, mehr noch mit der Vision im Scivias liefert sie ihren Beitrag zur „quereile des anciens et modernes" des 12. Jahrhunderts, die gegen Ende ihres Lebens abflaute. 166 Hildegard zeigt sich in monastischen Dingen so konservativ wie in politischsozialen - auch hier taucht der Satz auf, kein Stand solle sich über den anderen erheben: Neuerungen, nach eigenem Willen beschlossene Gesetze 167 - wer denkt nicht an Definitionen, Statuten und Generalkapitelsbeschlüsse der neuen Orden, Neuerungen in der Kleidung, die ja hohen symbolischen Wert hat168 lehnt sie im Interesse der alten, milden monastischen Tradition, die sie auch in ihrem Regelkommentar und ihren Briefen inhaltlich verkündet, kompromißlos 163 P L 170, Sp. 520D, 521C/D. 164 Hist, eccl., V I I I . 26, IV, S. 310-312. 165 Ep. 28 bzw. I l l , I, S. 57, S. 277. 166 Vgl. neben der älteren Literatur, insbesondere SCHREIBER 1942, bes. S. 23ff., jetzt mit zahlreichen weiteren Stimmen CONSTABLE 1985, S. 40ff., und MELVILLE 1999, bes. S. 19ff. 167 Vgl. die konservative' Argumentation, gegen die Anselm von Havelberg sich wendet: „Omnia sicut dictum est, pro libitu suo nova facientes, ipsi sibi sunt lex, ipsi sibi sunt auctoritas, et quos possunt, in suam societatem sub praetextu novae religionis colligunt" (PL 158, Sp. 1142f.). 168 Norbert gehörte zu den Ausnahmen, die diese Fragen für weniger wichtig erachteten, wenn nur die Gesinnung die rechte sei; Vita B, Sp. 1293A.

Noui esse uolunt ... deserentes

bene contritam

uiam

81

ab. Sie findet nicht zu der Bejahung der Vielfalt - auch im Ordensleben, die nicht zuletzt ihren ,alten' Benediktinern ein Lebensrecht sicherte. Petrus Venerabilis, selbst Rupert von Deutz und viele andere, die wie sie die neue Verwirrung und die Folgen beklagten, hatten diese Chance schon lange erkannt, konnten sie sich doch nicht zuletzt auf das Jesus-Wort berufen:„Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen". Selbst Bernhard, der gewiß von der Überlegenheit seiner Lebensform überzeugt war, bedauerte die Streitereien und konzedierte allen Cluniazensern und Zisterziensern, Regularklerikern, ja selbst frommen Laien, jedem Stand, jeder Sprache, jedem Geschlecht, jedem Alter die Chance, seinen spezifischen Weg in den Himmel zu finden. 169 Wie positiv man den Neuerungen gegenüber stehen konnte, zeigt Anselm von Havelberg, der von der Qualität seines ordo ebenso überzeugt war, wie Hildegard von ihrem. Ziemlich genau zur selben Zeit, als Hildegard in ihrem Scivias gegen ,Neuerer' und ,Neuerungen' polemisierte, freute er sich über die Vielfalt der Gaben des Heiligen Geistes, die sich in den vielen neuen Lebensformen zeigten. 170 Nach Durchmusterung all der neuen Lebensformen, von Camaldulensern, Vallombrosanern und Zisterziensern bis hin zu den Kanonikern von Saint-Ruf und Norbert von Xanten, ja den Ritterorden, ja selbst den „diversa genera religiosorum" in den Ostkirchen, schließt er, daß sie alle gut seien und Gottes Plan entsprächen. Ja, der Heilige Geist berücksichtige, daß im Neuen und Ungewohnten („insolita et inusitata") ein besonderer Anreiz gegenüber dem Gewohnten („solita, usitata") liege.171 So wirke er „durch die Steigerung der „vanetas", durch die unaufhaltsame Folge von „viri religiosi", die stets neues Leitbild sind und neue Anregung und ,Aufstachelung' vermitteln." 172 Anselm verteidigt, wie so oft, das Neue und den Fortschritt gegen Konservative, die das Alte schon deshalb für vorzüglich halten, weil es alt ist.173 Zu derselben Zeit auch, 1156/57, vollendet der Benediktiner von Petershausen am Bodensee seine Chronik, der er nicht weniger als 23 Kapitel vorausschickt, um zu zeigen, daß die verschiedenen Stände der Kirche von Gott selbst und seinen Aposteln ihren Ausgang genommen hätten; man unterlasse es daher, das als Torheit zu schmähen, was so erhabener Herkunft sei. Seien die Berufungen auch verschieden, so würden sie doch alle verherrlicht durch denselben katholischen Glauben. 174 Ebenfalls um diese Zeit sucht ein Lütticher Regularkanoniker in einem systematischen Vergleich der verschiedenen Formen der ,vita religiosa' - trotz grundsätzlicher Bevorzugung der Einheit in monastischen und kanonikalen Lebens169 Apologia c. 6 und 8, Opera III, S. 86-89. 170 Ep. apologetica, PL 188, Sp. 1136C. 171 Dialogi, I, 1 und 10, PL 188, Sp. 1142f., 1154-1157. 172

FUNKENSTEIN 1 9 6 5 , S. 6 6 .

1956, S . 4 7 mit Hinweis auf A N S E L M U S H A V E L B E R G E N S I S Dialogi, (Sp. 1142f.). Vgl. auch E B E R H A R D 1985, S . 371ff. 174 Casus monasterii Petrishusensis, c. 24, Chronik Petershausen, S. 36. 173 B E R G E S

I,

1

Franz J.

82

Feiten

formen - bei jeder das Beste zu sehen und legitimiert sie durch den Verweis auf die Bibel. 1 7 5 N o c h einen Schritt weiter geht ein Salzburger Kanoniker unter Hinweis auf die Abfolge von natürlichem Gesetz, Altem Testament, Evangelium, Lehren der Apostel, der Kirchenväter; alle diese N o r m e n hätten ihre Zeitgenossen belehrt, indem sie einiges von früher bestätigt, Modernes modernen Völkern nach ihren Fähigkeiten als Nahrung gegeben hätten. D a h e r dürfe man in modernen Zeiten nicht nur mit dem Alten zufrieden sein, müsse vielmehr, wie Apostel und Regeln verlangten, nicht nur das Alte erneuern, sondern auch Neues weitergeben und festsetzen. 1 7 6 Ein wenig erinnert der erst vor kurzem wieder entdeckte Text an Probleme der R e f o r m e r aller Zeiten, bis hin zum Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens des Zweiten Vaticanum ( P e r f e c t a e caritatis), das von der ständigen R ü c k k e h r zu den Quellen jeden christlichen Lebens, zum Geist, zum Geistesursprung der einzelnen Institute, aber auch von Anpassung an veränderte Zeitverhältnisse spricht. 1 7 7 F ü r die Interpretation der Benediktsregel ist Hildegard derselben Meinung aber nur in ihrem Rahmen. Was darüber hinaus geht, sich prononciert als , N e u erung' bekennt, damit wirbt, bekämpft sie ebenso leidenschaftlich, wie sie die ,alte' gesellschaftliche Ordnung verteidigt. Man täte Hildegard gewiß Unrecht, wollte man sie in ihrer Beharrung auf dem einmal erreichten Stand, monastisch und sozial, zu den Leuten zählen, die Wilhelm von St. Thierry im Auge hatte, als er den Gegnern der „novitas", hier bezogen auf das Leben der Kartäuser, vorwarf, sie seien selbst alt und nicht in der Lage neue Dinge in einem alten Geist zu denken. 1 7 8 Es greift auch zu kurz, wenn man ihr ein wenig herablassend bescheinigt, sie habe „eben doch noch in sehr zeitgebundenen Anschauungen" gestanden, sei „alles in allem eben doch noch stark in den Anschauungen des im Reich herrschenden M ö n c h t u m s stekk e n " geblieben; „die gefeierte Seherin" habe in ihrem Beharren auf ständischer Exklusivität „wie in manch anderen Punkten ... der Erde, der Begrenztheit, den Umwelteinflüssen und ihrer Erziehung den schuldigen Tribut entrichten" müssen. 179 U b e r die Erde und die Begrenztheit ist hier nicht zu richten, in den beiden anderen Punkten hingegen ist entschieden zu widersprechen. Hildegard war nicht vom traditionellen Reichsmönchtum so geprägt worden, daß sie sich „bei aller fortschrittlichen Aufgeschlossenheit in Verfassungsfragen" nicht davon hätte befreien können. Sie war vielmehr von Jugend auf in einer Gemeinschaft aufgewachsen, die monastisch vom ,neuen' Geist geprägt worden war, wie uns die Vita Juttae eindringlich schildert. Hildegard hatte sich, 175

Libellus,

dazu insbes. die Einleitung, S. XXff., und

CONSTABLE

1985, S. 35f., und

CONSTABLE 1 9 9 6 , S. 4 7 f .

Vgl. W E I N F U R T E R 1978b, S. 158ff., die oben wiedergegebene Passage S. 160. 177 LThK 2 Suppl. II (1967), S. 249-307, hier bes. c. 2, S. 268ff. 178 Ep. ad fratres de Monte Dei 9, hier zit. nach C O N S T A B L E 1996, S. 165. 179 H A L L I N G E R 1950-51, S. 263. 176

Noui esse uolunt ... deserentes bene contritam

uiam

83

wie ihre Schriften zeigen, intensiv und offensiv mit den ,Neuerungen' im Ordenswesen auseinandergesetzt und sich, so wird man annehmen dürfen, bewußt anders, gegen den Trend der Zeit und gegen ihre eigene Vergangenheit entschieden. Die Distanzierung Hildegards von ihrer Lehrerin ist schon bemerkt worden, 180 zu auffällig ist die knappe, unpersönliche Form, in der sie Jutta erwähnt. 181 Sie erkennt Juttas Leistungen zwar ,Verdienste' zu, sieht dahinter auch das Wirken der Gnade Gottes, feiert sie aber keineswegs, wenn sie schreibt, daß Jutta ihrem Körper mit Nachtwachen, Fasten und anderen guten Werken keine Ruhe gönnte, bis sie ihr Leben in einem guten Tod beendete. Mit keiner Silbe erkennt sie Jutta als ihre Lehrmeisterin an. In unserem Kontext freilich war intensiver zu fragen, wie sie über die asketischen Praktiken Juttas dachte, die sie in mehr als zwei Dutzend Jahren engster Gemeinschaft und Vertrautheit kennengelernt hatte, über die Auffassung von Armut und Arbeit. Jutta gehört, so wie ihre Vita sie schildert, zweifellos zu den Kreisen der strengen Erneuerer monastischen und kanonikalen Lebens ihrer Zeit: strenges Fasten, radikale Fleischabstinenz, Nachtwachen, Ertragen von Kälte, Schweigen und Beten über das normal-monastische Maß hinaus, die bewußte Zufügung körperlicher Qualen - all das sind Praktiken, wie sie nicht nur von Jutta und Paulina von Paulinzella, sondern auch von Herluka von Epfach, Hildburg von Pontoise, Regilind von Admont und vielen anderen Frauen dieser reformbewegten Zeit berichtet werden. 182 In diesen zentralen Punkten asketischen Lebens vertritt Hildegard eine entschieden andere Position als die Lehrmeisterin ihrer Jugend. Gegen die Neuerer in Lebensweise und Verfassungsformen greift sie auf die ältere, mildere benediktinische Tradition zurück. In Anbetracht ihrer Erziehung und ihres Umfeldes ist das kein Akt schwächlicher Anlehung an das Gegebene. Ihre bewußte Zuwendung zur älteren Tradition ist vielmehr, so paradox es klingen mag, ein Akt der Emanzipation - von der Lehrerin ihrer Jugend, die sie später als solche gleichsam verleugnet, und dem monastischen Umfeld. Nach dem Tode Juttas findet sie die Freiheit, ihre monastische Konzeption gedanklich zu entwickeln und mit der höchstmöglichen Legitimation zu formulieren. In bemerkenswerter Parallelität (Zeitpunkt wie Legitimation) vollzieht sie auch die institutionellen Emanzipation: Mit dem - visionär legitimierten - Wegzug auf den Rupertsberg

180 Vgl. nur FLANAGAN 1989, S. 42f., danach MEWS 1 9 9 6 b , S. 13. 181 S. z . B . Vita,

11 2, 6 9 - 7 0 : „quedam nobilis femina, cui in disciplina eram subdita, . . .

eidem f e m i n e D e u s per gratiam suam quasi riuulum ex multis aquis infudit, ita q u o d c o r p o r i sui." 182 S. nur WILMS 1987, bes. S. 106ff.; CONSTABLE 1996, S. 6 9 f . Z u m U m f e l d dieser Viten (im B e r e i c h der H i r s a u e r R e f o r m vor allem) s. KÜSTERS 1985, bes. S. lOOff., mit besonderer

Berücksichtigung

der H e r l u k a und Paulina. Z u m

K a m p f gegen

den

eigenen K ö r p e r , eine Spezialität w e i b l i c h e r Heiliger, genüge der H i n w e i s auf BYNUM 1987.

84

Franz J. Feiten

befreit sie sich und ihren Konvent aus der Abhängigkeit vom A b t des Männerklosters, erreicht die institutionelle Absicherung durch Privilegien - auch des für das Schisma verantwortlichen Kaisers - und verteidigt just im M o m e n t der Ablösung bzw. Findung der eigenen F o r m klösterlichen Lebens mit bemerkenswertem Offensivgeist ihre neuartige Praxis innerklösterlicher Prachtentfaltung und sozialer Segregation, wie sie in dieser Schärfe noch nicht formuliert worden war. Klänge es nicht allzu anachronistisch, könnte man in Hildegard eher eine ,konservative Revolutionärin' als eine ,Traditionalistin' sehen.

1039 ι Gründung durch vier Kleriker mit Unterstützung Bf. Benedikts von Avignon ι Konzil von Avignon Übernahme der RegAug und Consuetudines aus dem Raum von j Narbonne

Abt Lietbert Abfassung des Liber ordinis (Kodifizierung der Cons.)

σ" Π)

1080

1098 10981110

Gründung durch Heldemar (aus Tournai) und Kuno

Festlegung auf die RegAug - ordo novus

Gründung durch Benigna, Wwe. des i Pfalzgrfl. Ministerialen Ruker Traditio an Eb. von Trier Propst Richard (ab 1129 Abt)

11124

ο !I ψ- I 1126

Gründung einer Klause durch Ailbert von Antoing

Einführung des I Springiersbacher Ordo durch Abt Borno (1124-37) Aussiedlung der ί sorores

•1120

1083

Gründung durch Norbert von Xanten Gelübde auf die kan. Lebensform

Geburt Norberts

Trennung der Männer- 5 und Frauenkonvente

Abt Hugo von Fosses: | Constitutiones und Statuten

1121

Ϊ2 3 κ» ο ο ET

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Abt Ollegar (ab 1116 Bf. von Barcelona)

Verbandsbildung Erstmals Generalkapitel belegt

Ca. Reformversuche des 1190-96: Abtes Absalon

Ο

L Verbandsbildung gescheitert

9

> Abt Pontius II. Bekenntnis zum ordo antiquus

.

1121 ο. ! Reform durch Abt 1139 Gervasius (1121-47) 1135 "Konstitutionen" von | Citeaux beeinfl. ι

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85 uiam ... deserentes bene contritam Noui esse uolunt

1069-91

Gründung durch Herzog Wilhelm ΠΙ. von Aquitanien Abt Hugo 1075

1049-1109 Consuetudines (Bernhard)

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1120-56

1105-20

1091-1105

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1083-88

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(Neu)gründune durch Graf Adalbert II. von Calw (+1099) Abt Wilhelm Hirsauer Formular Hirsauer Konstitutionen

Abt Gebhard (ab 1105 Bf. von Speyer) Abt Bruno

Abt Volmar

Hirsauer Mönche treten zu den Zisterziensern über (Innozenz II., GP 3, 123, Nr. 11)

1070

1064

Berufung von Mönchen aus Fruttuaria

Gründung durch Erzbischof Anno II. von Köln j

1098

"Novum Monasterium" unter Robert von Molesme 1

Einführung der Siegbureer Reform in allen köln. bfl. Eigenklöstern

1134-50 1147

Exordium Cistercii Exordium parvum

Abt Kuno (ab 1126 Bf. von Regensburg)

Bis Anfang 12. Jh.

Ausereifen der Reform auf Bayern

Päpstl. Bestätigung der Charta caritatis und der Generalkapitelsbeschlüsse

Eintritt Bernhard Tochtergründungen La Ferte Pontigny Clairvaux u. Morimond i Capitula/Charta caritatis: 1 Päpstl. Bestätigung

1126

1152

Stärkste Ausdehnung 600 Stifte

Größte Anzahl von Klöstern Siegburger ι Observanz

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1105-26

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Consuetudines (Ulrich)

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Abt Petrus Venerabiiis

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; 1122-57

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Neue Statuten unter Petrus Venerabiiis

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Franz ]. Feiten 86

"Ο vos angeli" Hildegard's lyrical and visionary texts on the celestial hierarchies in the context of her time by

GUNILLA

IVERSEN

The devotion to heaven, the longing to sing together with the celestial choirs in the heavenly Jerusalem are, as w e know, among the most important themes to which authors in the medieval monastic culture applied literary art. 1 Biblical texts such as the words of the Prophets and Psalms and the Revelations describing the angelic hosts, the four creatures, the cherubim and seraphim, the twenty-four elders, surrounding the throne and singing praises without end, constitute constant sources of inspiration. 2 In the old liturgical texts as well as in the new liturgical poetry of the eleventh and twelfth century, in expositions, commentaries as well as in visual arts we constantly find expressions for the wish that the terrestrials might be allowed to sing together with the angels in the celestial paradise. 3 Hildegard, w h o lived in this context in the Benedictine monastic tradition, was naturally a part of this devotion to the angels and the celestial choirs. The treatise on the ninefold celestial hierarchy b y the Greek philosopher Pseudo-Dionysius Areopagita which had been k n o w n to the Latin world since the days of his contemporary Gregory the Great, got a renewed importance and came to be more influential from the ninth century when John Scotus Eriugena presented his Latin translation and commentary to Charles the Bald. 4 In Hildegard's time learned authors devoted much attention to commenting and explaining the significance of the particular orders of the celestial hierarchy. 5 It is obvious that the Dionysian ideas directly or indirectly influenced also the authors of sequences and tropes in the eleventh and twelfth century. 6 Was Hildegard influenced by the Dionysian thoughts in their Latin form in her texts on the angels ? H o w does Hildegard interpret the essence and function of the angels in this context of biblical texts, texts used in the liturgy and learned 1

S e e e . g . LECLERCQ 1 9 8 2 , p . 2 5 - 3 6 .

2

Cf. e.g. Gn. 22,,; Gn. 31,,; Ex. 14,,; Lc. 126_38; Ape. 44_,,; Act. 103_7; Act. 514—118; 10,,. See IVERSEN 1996, p. 95-133, and IVERSEN 1999. I O H A N N E S S C O T U S In hierarchiam coelestem; T H E R Y 1 9 3 3 ; R O Q U E S 1 9 5 4 . See I O H A N N E S S C O T U S In hierarchiam coelestem, p. I X - X X V I ; H U G O DE S A N C T O V I C T O R E In Hierarchiam Caelestem; cf. R O Q U E S 1 9 6 2 ; A L A N U S Opera, p. 2 1 9 - 2 3 5 ; Dondaine 1952.

3 4 5

6

S e e e . g . IVERSEN 1 9 9 6 ; IVERSEN 1 9 9 8 ; c f . K Ü R B I S

1983.

Gunilla Iversen

88

commentaries ?7 Can she even have been influenced by texts of the sequences and the tropes sung in the liturgy of her time ? Leaving out for the moment all the other themes in her texts which might be studied in a similar comparative way, we will here concentrate on the angelic theme, especially as it is expressed in Hildegard's visionary texts and in her two songs to the angels, Ο gloriosissimi, lux vivens, angeli and Ο vos angeli. We must note that just as Hildegard is generally very vague concerning her literary sources, and especially the non-biblical ones, she never refers to the liturgical tropes as a genre. It is not likely that Hildegard would have composed any texts to be performed within the frame of the liturgical chants of the Mass. It seems that just like Bernard of Clairvaux Hildegard did not dare to add anything to the texts of the Solemn Mass, but rather composed her songs to be performed in the Divine Office. Of course, this does not mean that she did not know this kind of liturgical poetry. Even if we do not have any manuscripts with tropes and sequences from Disibodenberg or Rupertsberg - nor from Mainz from Hildegard's time, we must remember that one of the earliest and most important manuscripts containing tropes and sequences is in fact a tenth century troper-proser from Mainz.8 Both Disibodenberg and her own convents at Rupertsberg and Elbingen belonged to the archiepiscopal see of Mainz. In Mainz Hildegard's own brother was the cantor.9 There is also a rather large number of troper-prosers left from the eleventh and twelfth century from regions such as those of Metz, Prüm, Minden and Echternach.10 Hildegard writes about the celestial orders in many of her texts.11 She constantly refers to the sound of the heavenly music in her writings, and she describes the Holy Spirit as sounding light. In two songs, Ο gloriosissimi and Ο vos angeli, she directly addresses the Angels. Hildegard, who never uses the expression "hierarchia caelestis" in her texts, follows a distinctive hierarchic order in presenting the angelic orders and the orders of Saints. We recall, for instance, Hildegard's words in the opening of her last vision of Scivias in which she describes the Virtues defending the soul in its struggle against the temptations of the old serpent, the vision which she also made into the musical play Ordo Virtutum}1 In words recalling those of the prophet Hezekiel, Hildegard describes how she perceives a sky of bright shining light and how she hears a mighty sound like the voice of a multitude singing in 7

8 9

10

See S C H I P P E R G E S 1 9 7 5 , p. 1 1 8 . According to the index auctorum of H I L D E G A R D I S Scivias, the most frequent references are given to Gregory the Great, Benedict, Hugh of Saint-Victor, Paschasius Radbertus, and Rupert of Deutz. London, BL, lat. 19768, written in Mainz 936-962. M E W S 1998a, p. 95. See e.g. lists of manuscripts in I V E R S E N 1990, p. 53-60, and Analecta hymnica, vols. 7 and 53.

11

See SCHIPPERGES

12

HILDEGARDIS

1975.

Scivias,

I I I 13,

443-497.

Ο vos Angeli

89

wonderful harmony. 13 In the following lines she presents the entire content of the vision: the virtues singing with voices in praise, in lament and in exhortation ("in laudibus, in quaerelis, in exhortatione") fighting against the devil and restoring the fallen and leading the repenting and faithful soul to the heavenly paradise. 14 Again she hears the sound of the mighty choir resounding in an harmony of many voices and singing in praise from the highest grade of heavenly virtues, singing in celestial harmony. 15 Then she presents fourteen coupled songs to the holy ones placed in a hierarchical order: Table I Mary: Angels: Patriarchs: Prophets: Martyrs: Confessors: Virgins:

Ο Ο Ο Ο Ο Ο Ο

splendissima gemma + Ο tu suavissima virga gloriosissimi + Ο vos angeli spectabiles viri + Ο vos felices radices cohors militiae + Ο lucidissima victoriosissimi + Vos flores rosarum successores + Ο vos imitatores pnlchrae fades + Ο nobilissima viriditas

It is notable that Hildegard places the Holy Virgin Mary in the first and highest position in this hierarchy of Saints. 16 We can also note that when Hildegard collects all her songs in Symphonia she presents them in quite another order. 17 In placing the virgin Mary on the summit of the hierarchy in her vision she naturally follows the new ideas of her time, a period when the Marian devotion was dramatically increasing, when Salve Regina, the new song to the throning Mary, the queen of heaven, was being sung in the office liturgy everywhere, even in the new Cistercian monasteries, and when Mary is being placed 13

14

E z 124_2SI cf. HILDEGARDIS Scivias, passim. " D e i n d e vidi lucidissimum aerem, in quo audivi in omnibus predictis significationibus mirabili m o d o diversum genus musicorum in laudibus civium supernorum gaudiorum in via veritatis fortiter perseverantium, ac in querelis revocatorum ad laudes eorundem gaudiorum, et in exhortatione virtutum se exhortantium ad salutem populorum quibus diabolice insidie repugnant; sed ipse virtutes eas opprimunt, ita tarnen quod sic fideles homines tandem a peccatis ad superna per penitentiam transeunt." (HILDEGARDIS

Scivias,

I I I 13, 2 7 - 6 0 ) .

15

IVERSEN 1 9 9 2 , p . 7 9 - 1 1 0 .

16

Hildegard addresses as many as 16 of her 77 songs to the Virgin M a r y ; whereas 13 are addressed to Ursula and the 1000 Virgins, plus three to virgins, only three are addressed to Christ, four to the H o l y Spirit, and five to G o d . She composed five to Disibod, and four to Rupertus, the patron of her own abbey of Rupertsberg. She presented two to St. Eucharius, one to St. Matthias, one to Maximinus in Trier, and finally one to St. Bonifacius in Fulda. See FÜHRKÖTTER 1969, p. 2 1 0 - 2 1 1 . These dedications can illustrate her relations to the learned centers of Trier and Fulda. See HILDEGARDIS Symphonia.

17

90

Gunilla Iversen

above the prophets and holy ones in visual arts. 18 It is a hierarchy, which is not found in any Biblical text nor so clearly expressed in the liturgical poetry of earlier centuries. N e x t in the H o l y Hierarchy of the Scivias-text, Hildegard places the songs to the Angels and Archangels, followed by those directed to the Patriarchs and Prophets, to the Apostles, the Martyrs and Confessors and finally the two songs to the Virgins in concordance with the tradition generally followed in litanies and other liturgical texts.

A N G E L S AS L I G H T A N D S O U N D , AS A R D E N T IN T H E I R O F F I C E S

The first song to the celestial angels, Ο gloriosissimi, lux vivens, angeli, is directly addressed to the most glorious angels which are themselves the living light, "lux vivens"; they are placed near the divinity and they gaze into the eyes of G o d in the mystical obscurity of all creation. They are burning with a desire which can never be satiated. To the angels who are pure and free from all stains, she adds the theme of the fallen angel, who in his " s u p e r b i a " and his wish to raise himself above G o d ' s secret pinnacle instigated the fall of man: " O gloriosissimi, lux vivens, angeli, qui infra divinitatem divinos oculos cum mystica obscuritate aspicitis in ardentibus desideriis, unde numquam potestis satiari. Ο quam gloriosa gaudia ilia vestra habet forma, que in vobis est intacta ab omni pravo opere, quod primum ortum est in vestro socio, perdito angelo, qui volare voluit supra intus latens pinnaculum Dei. Unde ipse tortuosus demersus est in ruinam, sed ipsius intrumenta casus consiliando facture digiti Dei instituit."19

18

S e e , e.g. IVERSEN 1 9 9 2 , p . 8 7 - 8 9 ; C O L E T T E 1 9 9 2 , p . 5 2 1 - 5 4 7 ; cf. FASSLER 1 9 9 8 , p . 1 6 0 162.

19 HILDEGARDIS Scivias, III 13, p. 614-615. Cf. the antiphon to the angels Ο gloriosissimi, lux vivens, angeli = HILDEGARDIS Symphonia, 29.

Ο vos

Angeli

91

( " Ο most glorious angels, living light, who underneath the Divinity gaze into the divine eyes and the mystical obscurity of the whole creation in your ardent desires which can never be satisfied. Ο how glorious the joys contained in your appearance, untouched by all the evil work which first began in your companion, the fallen angel, who wished to fly above the hidden inner pinnacle of God, therefore that twisted one was plunged into ruin, but in his fall he gave by his suggestion instruments to those whom God's finger created.")

In describing the angels as being themselves "living light" Hildegard continues the thought expressed in the beginning of the vision, where she also describes the angelic choirs as joy and as sound. In a similar way she presents the angelic choirs in other songs. So for instance, in her antiphon for the Virgin Mary, Cum processit factum, where she describes heaven as brilliant of light and sounding in praises ("celo rutilante et in laudibus sonante"). 20 Likewise, in her antiphon to the Trinity, Laus Trinitati, she describes the Holy Spirit as the sound and life and creator of all ("sonus et vita ac creatrix"), as being the song of praise of the angelic hosts ("laus angelice turbe"), as the miraculous splendour of the arcane divine mysteries which are unknown to mankind and which is the life in all: "Laus Trinitati, que sonus et vita ac creatrix omnium in vita ipsorum est, et que laus angelice turbe et mirus splendor archanorum, que hominibus ignota sunt, est, et que in omnibus vita est." 21

Similarly, she writes in the Sequence Ο ignis Spiritus Paracliti, that the Holy Spirit is in itself the sound of praise ("qui es sonus laudis"), the joy of life ("gaudium vite"), hope and most powerful glory: "Unde laus tibi sit, qui es sonus laudis et gaudium vite, spes et honor fortissimus, dans premia lucis." 22

20

21 22

Antiphon Cum processit factura = HILDEGARDIS Sympbonia, 13. C f . "nunc omnis ecclesia in gaudio rutilet / ac in symphonia sonet / propter dulcissimam Virginem / et laudabilem Mariam, / Dei Genitricem. Amen." (Hymn Ave generosa = HILDEGARDIS Symphonia, 17). Antiphon Laus Trinitati = HILDEGARDIS Symphonia, 26. Sequence Ο ignis Spiritus Paracliti = HILDEGARDIS Symphonia, 28.

Gunilla

92

Iversen

In the sequence for Saint Ursula Ο Ecclesia, Hildegard writes that all heavens may sing praises to the Lamb of God in symphony ("hoc audiant omnes celi et in summa symphonia laudent Agnum Dei"). 2 3 In the same way she says in the H y m n to Saint Ursula Cum vox sanguinis that the voice of the blood of Ursula and her host of innocents resounds in front of God's throne ("vox sanguinis Ursule et innocentis turbe eius ante thronum Dei sonuit"). 2 4 In the sixth vision of Scivias, the vision in which Hildegard describes the celestial hierarchy and the heavenly music, she uses similar words as in the vision on the virtues. She explains that "the celestial armies, as you hear, are singing with marvellous voices in all kinds of musical sounds praising the wonders which G o d makes in the blessed souls": "Sed haec acies omnes, ut audis, in omne genere musicorum mirabilibus vocibus miracula ilia resonant que Deus in beatis animabus operatur, per que D e u m magnifice glorificant: quia beati spiritus in virtute Dei maxima gaudia in inenarrabilibus sonis per opera miraculorum illorum in caelestibus proferunt quae Deus in sanctis suis perficit, per quae ipsi D e u m glorisissime magnificant, ubi eum in profunditate sanctitatis exquirunt, laetantes in gaudio salutis ... " 2 5 ( " B u t all these armies sing praises, as you hear, with wonderful voices for the wonders that G o d makes in blessed souls, singing in all kinds of music by which they glorify G o d magnificently. F o r the spirits blessed through the powerful virtue of G o d express their greatest j o y in the works of wonder which G o d makes through his saints in indescribable celestial song by which they magnify G o d most gloriously, contemplating G o d in the depth of sanctity and rejoicing in the j o y of salvation . . . " )

In the final part of the vision on the Virtues in Scivias, Hildegard returns to the words on the voice of the multitude and describes the effects of the heavenly music. Hildegard explains that the message of the vision is given to her as much through the music as through the words and she says that the sound of the singing voices penetrated her heart in such a way that she could immediately perceive and understand their meaning. 26 She describes in similar words how she perceives "the most brilliant light signifying the brightness of the joy of the angels" ("lucidissimum aerem, candorem gaudii supernorum civium designantem"), in which she hears all kinds of music singing in praise in multiple ways ("mirabili modo diversum genus musicorum"). 2 7 At the same time she explains

23

24

Sequence for Saint Ursula Ο Ecclesia = H I L D E G A R D I S Symphonia, 6 4 . T h e song ends: "Laus sit in Jerusalem per ruborem huius sanguinis [ . . . ] N u n c gaudeant omnes celi, et omnes populi cum illis ornentur. A m e n . " ( C u m vox sanguinis = HILDEGARDIS

25 26

27

HILDEGARDIS

Symphonia, 6 5 ) . Scivias, 1 6 , 11, p. 107.

" E t voces iste erant ut vox multitudinis cum multitudo voces suas in altum extollit. Et sonus earum ita pertransivit me quod eas absque difficultate tarditatis intellexi." ( H I L D E G A R D I S Scivias, I I I 1 3 , 11, p. 6 2 9 ) . H I L D E G A R D I S Scivias, I I I 1 3 , 1 1 , p. 6 3 0 .

Ο vos Angeli

93

that the mighty voices sing in harmony, as their "symphony ruminates over the celestial glory in unanimity and concordance, so that the music exalts what the word says plainly": "Quapropter et sonus ille ut vox multitudinis in laudibus de supernis gradibus in harmonia symphonizat, quia symphonia in unanimitate et in concordia gloriam et honorem celestium ruminat, ita quod et ipsa hoc sursum tollit quod verbum palam profert." 2 8

Hildegard underlines the importance of music for the compunction of the heart. The "symphonia", she says, "softens hardened hearts and induces in them the humour of compunction" ("dura corda emollit et ipsis humorem compunctionis inducit"). 29 In her remarks on the indispensable function of music to effect the heart and the internal ear, and to express what can not be expressed in mere words, Hildegard naturally follows a tradition from the Augustinian thought that all our senses are more easily moved when the words are being sung in a sweet and artful voice. She is also close to Gregory the Great who repeatedly describes the compunction as the act of God in us by which the soul, hardened by egoism, becomes tender, as in his Μ oralia in Job, and she is close to Hrabanus Maurus who says that the compunction of the heart is born from humility. 30 To move hearts to compunction, the words had to be sung in the melody she had heard. And this is what she does in the musical play Ordo Virtutum and in collecting her songs in the Symphonia harmoniae celestium revelationum.2,1 Hildegard also echoes the first sentence of the Rule of Saint Benedict, when she finally exhorts her Benedictine sisters to perceive the words with sharp interior ears and inscribe them in their souls: 32 " Q u i autem acutas aures interiores habet, hie in ardente amore speculi mei, ad verba hac anhelet et in conscientia animi sui conscribat. Amen." 3 3

But at the same time, Hildegard alludes to the Rule of Saint Benedict which indicates that in singing the Psalms our soul should sing in concordance with 28

HILDEGARDIS Scivias, III 13, 11, p. 630-631.

29

H I L D E G A R D I S Scivias,

30

32

See e.g. GREGORIUS Moralia, passim. Cf. HRABANUS, the learned magister of Fulda, Disciplina, col. 1257: "Compunctio igitur cordis ex humilitatis virtute nascitur." Cf. G R E G O R I U S Homiliae, I V , p. 4 7 - 5 6 ; cf. E K E N B E R G 1 9 8 7 , p. 1 3 0 - 1 3 4 . O n Hildegard's concept of "symphonia", cf. DRONKE 1984; DRONKE 1996, p. 198: "The human soul is symphonic, and any symphony of voices and instruments on earth, which is directed heavenwards, is a means of reintegration, of bringing the lost human-heavenly condition alive again. I would suggest that Hildegard's concept symphonia can illuminate, and at least implicitely harmonize, the otherwise unconciled aspects of her picture of the cosmos." "Ausculta, Ο fili, ... et inclina aurem cordis tui" (Regula sancti Benedicti, I).

33

HILDEGARDIS Scivias,

31

I I I 1 3 , 1 4 , p . 6 3 2 ; HAMMERSTEIN 1 9 6 2 , P . 5 6 - 5 7 .

III 13, p. 6 2 9 - 6 3 1 .

94

Gunilla Iversen

our voice ("et sic stemus ad psallendum, ut mens nostra concordet voci nostrae"). 3 4 Her words on the singing in concordance between heart and mouth can be compared to those of her young colleague, Alan of Lille who later wrote about celestial music and angelic choirs in several works and also wrote a commentary of the famous sequence on the angels Has celebres rex. In this Expositio prosae de angelis, to which we will turn below, Alan says that "symphonia is the harmonious concordance of soul, mouth and w o r k " : "Symphonia enim dicitur armonia ex concordi diversorum sonoritate nascens concinitas. Unde symphonia dicitur quasi 'similium sonorum' 'phonos', id est sonoritas. Unde ergo mentis exultationi respondet oris vocalis applausio, bonisque operis executio; ex tali sonoritate quaedam nascitur symphonia." 3 5 ("Symphonia, we call the harmonic consonance which is born from a concordant sonority of different parts. Therefore we say 'symphonia' as if a sound of most similar sounds, phonos meaning sonority. Thus, the vocal praise of the mouth and the execution of good works correspond to the exaltation of the soul sounding together; from such a sonority a symphony is born.")

As we noted above, innumerable sequences, prosulae and tropes sung in the liturgy in Hildegard's time express the singing in concordance between celestial and earthly choirs. So, for instance, in the sequence Claris vocibus, the author exhorts the choir to sing holy melodies in clear voices, so that the soul resounds in concordance with the voice ("voci mens bene consona"), in concordance of the melismatic melody and the words ("verbis pneumatum concordia"). The author underlines the unity of heart and sound in referring 'con-sonans' to the soul and 'con-cordia' to the sound: "Claris vocibus, inclita, cane, turma, sacra melodemata. Voci mens bene consona sonet verbis pneumatum concordia." 3 6

This particular text, which is just one example out of many similar ones, was perhaps not known to Hildegard, but it reflects a general pattern in the liturgical poetry which was a part of Hildegard's larger literary context. When she addresses the Angels and the angelic choirs as powerful sound and light she naturally had important models close at hand in Biblical texts of the daily liturgy. She had, for instance the final Psalms of the Psalter, sung daily in the Divine Office at Lauds, as e.g. Psalm 148 2 : "Laudate D e u m omnes angeli eius, laudate eum omnes virtutes eius."

She also had the words of Psalm 150: " . . . laudate eum in psalterio et cithara, laudate eum in tympano et choro." etc., a text commented upon in innumerable commentaries interpreting the literal and symbolic meanings of the words and 34 Regula sancti Benedicti, XVIIII. 35 A L A N U S Expositio prosae de angelis, p. 196. 36 Analecta hymnica, vol. 53, p. 101.

Ο vos Angeli

95

explaining the mystical and allegorical function of the divine music. 3 7 T h e ideal instrument is that of a pure heart, the ideal song is sung from a pure heart, in perfect harmony between heart and voice ("corde et voce"). T h e instruments are the hearts of the singers themselves, as Amalar of Metz puts it when he explained: " O u r s i n g e r s d o n o t h o l d t h e c y m b a l , t h e l y r e , n o r t h e c i t h a r e in t h e i r h a n d s , n o r a n y k i n d o f m u s i c a l i n s t r u m e n t s , b u t in t h e i r h e a r t s . . . T h e singers are t h e m s e l v e s the instruments."38

In her lyrical and visionary texts we have seen above how Hildegard writes about the celestial music operating in the soul. She also writes in her hymn to the Trinity, Ο ignee Spiritus, that the H o l y Spirit is in itself the sound of praise, and operates "in tambourines and lyres": " O i g n e e S p i r i t u s , laus tibi sit, q u i in t i m p a n i s et c i t h a r i s o p e r a r i s . " 3 ' '

A similar thought was expressed in many tropes and sequences in Hildegard's time, as we said above. We find it for instance, in a prosula added to the Alleluia verse Sancti et iusti for the feast of All Saints. T h e prosula describes the heavenly singing of the holy ones in the heavenly Jerusalem: the apostles, the martyrs, confessors and virgins, the entire hosts of martyrs: "Sancta

Sancti

u r b s est p r e c e l s a , ubi sonant multa

et

organi celeumata

in Christo

iusti

voce melliflue

vos

gaudete;

elegit

et e u p h o n i e . H i e rithmi sunt armonie letabunde tinnule. Hie voces reboant modulamine. A p o s t o l o r u m hie s u n t c i t h a r e a t q u e m a r t i r u m lire at aes t i n n i e n s q u o d t a n g u n t c o n f e s s o r e s a t q u e v i r g i n e s g e s t a n t t i m p a n a subtilia.

37

Deus in

hereditatem

" L a u d a t e e u m in s o n o t u b a e ; l a u d a t e e u m in p s a l t e r i o et c i t h a r a ; laudate e u m in t y m p a n o et c h o r o ; l a u d a t e e u m in c h o r d i s et o r g a n o ; laudate e u m in c y m b a l i s b e n e s o n a n t i b u s ; laudate e u m in c y m b a l i s i u b i l a t i o n i s / o m n i s spiritus laudet D o m i n u m . " V o i r e.g. GEROLD 1 9 7 3 ; MCKINNON 1 9 8 7 ; EKENBERG 1 9 8 7 .

38

" N o s t r i cantores non tenent cymbala, neque lyram, neque cytharam manibus, neque g e n e r a m u s i c o r u m , sed c o r d e . Q u a n t o c o r m a i u s est c o r p o r e , t a n t o D e o

devotius

e x h i b e t u r q u o d p e r c o r fit, q u a m p e r c o r p u s . Ipsi c a n t o r e s s u n t t u b a , ipsi p s a l t e r i u m , ipsi t y m p a n u m , ipsi c h o r u s , ipsi c o r d a e , ipsi O r g a n u m , ipsi c y m b a l a . " (AMALARIUS Opera 39

Ο ignee

liturgica, Spiritus

I I , p. 2 6 7 - 2 6 8 ) . ( = HILDEGARDIS Sympbonia,

27).

Gunilla Iversen

96

Illic coetus martiralis nimis pulcher aureas coronas fabricatas de gema preciosissima iuge gestat, eo quod tormenta inmania fortiter calcabat Hiesu Christo fidem integram reservans." 4 0

suam.

( " H e r e are the symmetries of a joyfully resounding harmony. Here the voices resound in a melismatic melody. Here are the cithars of the Apostles, the lyres of the Martyrs, the sounding horn of the Martyrs, and the Virgins play the subtle tambourines. There the beautiful choir of Martyrs, all carry their golden crowns made of most precious stones, because they have overcome the horrible torments keeping intact their faith in Jesus Christ.")

The angelic theme is naturally essential in the liturgical texts for the feast of the Archangel Michael, the leader of the celestial host. His mass is introduced by the introit antiphon with words taken from Psalm 10220,where the angels are normally presented collectively as those who are mighty in their spiritual strength: "Benedicite Dominum, omnes angeli eius: potentes virtute qui facitis verbum eius ad audiendam vocem sermonem eius." However, the reading "virtute" has been changed into "virtutes" in a number of liturgical manuscripts, from "powerful in strength" into "powerful virtues" thus, referring instead to the virtues as the celestial order ("virtutes"). It is interesting to observe, that this reading underlining the importance of the virtues as "virtutes" is found in the troper-proser from Mainz. 41 Thus, it might well have been the interpretation expressed in liturgical chant in the milieu where Hildegard belonged, at least it might well have been known to Hildegard in this double sense. Many tropes added to the introit antiphon Benedicite Dominum are formed as direct addresses to the angels in phrases similar to those in Hildegard's songs to the angels. In the trope Ο vos quos in principio, for instance, the angels are presented as those who are created in the beginning to praise God, as ardent in their desire to see God ("desiderantes eum intueri"). They constantly look

40

ODELMAN 1 9 8 6 , n o 4 3 , 2.

41

T h e reading "Potentes virtutes" is found in the troped chants in the manuscripts London, B L , lat. 19768; Oxford, Bodl. Library, lat. 775; Paris, B N F , lat. 903; Paris, B N F , n.a.lat. 1871; Vercelli, Bibl. cap., cod. 161; Padua, Bibl. cap., 47; Modena, Bibl. cap., 7; Piacenza, cod. 65. Since the entire text of the antiphon is normally not given in the trope manuscripts, but just indicated in the form of cues, the reading "virtutes" might well have been more generally used, than reflected in the manuscripts. T h e same reading is found in the Graduals as well, e.g. in Paris, B N F , lat. 776, and Paris, B N F , lat. 903.

Ο vos Angeli

97

directly into G o d ' s face ("cuius vultum cernitis semper praesentem"), and through him achieve marvellous things ("per quem geritis mirabiles res"). T h e y perpetually fulfil G o d ' s demands ("adimplentes iussa iugiter ipsius"): " O vos, quos in principio creavit omnipotens ad laudem et gloriam nominis sui, Benedicite dominum, omnes angeli eius, Desiderantes eum intueri, cuius vultum cernitis semper presentem, Potentes virtutes Ipsum collaudantes, per quern geritis mirabiles res, Qui facitis verbum eius Adimplentes iussa iugiter ipsius Ad audiendam vocem sermonum eius. Ps. Benedic anima mea domino. "42 A m o n g the liturgical texts of the feast of the Archangel Michael, there was also the text of the offertory for the feast of St. Michael which describes the angel standing by the altar, Stetit angelus, in words taken from the Revelations (Rev. 83^,), whereas the communion antiphon addresses all the angels with the words from the b o o k of Daniel (Dn. 3 5 8 ): "Benedicite omnes angeli Domini Dominum: Hymnum dicite, et superexaltate eum in saecula." In the Office of the Archangel Michael there was also the enumeration of the celestial orders in the last antiphon of the Vespers: "Angeli, Archangeli, Throni et Dominationes, Principatus et Potestates, Virtutes caelorum de caelis,

alleluia."

Also in the Ordinary chants of the mass the angelic choirs were naturally present. Thus, there was the "angelic h y m n " Gloria in excelsis which begins with the words from the Gospel (Lc. 2 13 _ 14 ), describing the angel and the multitude of the celestial choirs singing praises to G o d : "et subito facta est cum angelo multitudo rmlitiae caelestis laudantium Deum et dicentium gloria in altissimis Deo et in terra pax in hominibus bonae voluntatis." T h e tropes added to the chant develop in varying ways the idea that the angels in heaven ("in excelsis") and mankind on earth ("in terra") are joined in singing this angelic hymn. In the Gloria trope Cui canit the author describes the angelic orders as the celestial hosts ("caelestia turba"), as the ninefold angelic hierarchy ("angelicus ordo novenus"), as the vast heavenly hall ("aula supera magna"), and as the twenty four elders of the Revelations ("coetus bis duodenus"). To these singers are added the Cherubim and the Seraphim. Finally the celestial singers are joined by the singers on earth, and all sing together. T h e author includes the fall

42

Here taken from Paris, B N F , n.a.lat. 1871. Cf.

PLANCHART

1977, I, no. 15.

98

Gunilla

Iversen

of m a n a n d s a l v a t i o n in t h e t r o p e v e r s e a d d e d t o t h e p h r a s e Domine fili unigenite, a d d r e s s i n g t h e L o r d w h o t a k e s a w a y t h e s t a i n of t h e o l d e n v y c a u s e d b y Adam: "Gloria in excelsis Deo, Cui canit h y m n i l o g u m caelestis turba melodum, Et in terra pax hominibus bonae voluntatis, Caelicolas m u n d o quae iungit foedere digno. Laudamus te, Laudibus angelicus q u e m succinit o r d o novenus; Benedicimus te, Aula cui super resonat benedictio magna; Adoramus te, Q u e m coetus laudat bis et duodenus adorat; Glorificamus te, Glorificat totis quem semper viribus Orbis. Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam. Sancte pater, releva clemens peccamina nostra; Domine Deus, rex caelestis, Deus pater omnipotens, Q u e m sanctum C h e r u b i m proclamant atque Seraphim, Domine, fili unigenite, Invidiae maculam veteris qui tergis ab A d a m , Iesu Christe ... "43 I n h e r n o r m a l l i t u r g i c a l c o n t e x t , H i l d e g a r d also h a d t h e S a n c t u s c h a n t , a n o t h e r " a n g e l i c h y m n " s u n g b y angels a n d m e n t o g e t h e r . 4 4 L i k e w i s e , s h e h a d t h e P r e f a c e of t h e S a n c t u s w h i c h r e g u l a r l y e n d s in a n e x h o r t a t i o n t o s i n g w i t h the heavenly hosts: " . . . laudant angeli, adorant dominationes, tremunt potestates, caeli caelorumque virtutes ac beata seraphim socia exultatione concelebrant." 4 5 I n h i s c o m m e n t a r y of t h e m a s s , H i l d e b e r t of L a v a r d i n H i l d e g a r d ' s c o n t e m p o r a r y , t h e f a m o u s p o e t a n d b i s h o p of T o u r s , a d d s m a n k i n d as a t e n t h o r d e r t o t h e n i n e a n g e l i c o r d e r s , t h u s j o i n i n g t h e a n g e l s i n s i n g i n g p r a i s e s in t h e S a n c t u s . 4 6 43 Analecta Hymnica, vol. 47, p. 206; Bamberg, Staatsbibl, lit. 12; München, Bayer. Staatsbibl., elm 14083, elm 14322; Venezia, Bibl. Marciana, lat. Ill 124; K r e m s m ü n ster, Stiftsbibl., 309. 44 Cf. W A L A F R I D STRABO De rebus ecclestiasticis, col. 945: "Sanctus, Sanctus, Sanctus D o m i n u s Deus, et reliqua ante sacrificium docuerit dicere, quod nihilominus ' h y m nus angelicus' dici potest, quia principium eius Isaias propheta seraphim pronuntiasse c o m m e m o r a t . " Cf. EKENBERG 1987, p. 89-93. 45 Corpus prefationum·, see IVERSEN 1990, p. 18-19. 46 " H o r u m igitur novem o r d i n u m angelorum in divinis laudibus assiduitas, acceptabile D e o sacrificium intelligitur, eisdemque ordinibus praelibatis o r d o decimus conditionis humanae annexus est, et ex eius voce dicit sacerdos: C u m quibus et nostras voces ut admitti iubeas deprecamur, supplici confessione dicentes: Sanctus, sanctus, sanctus." ( H I L D E B E R T U S De expositione missae, col. 1161).

Ο vos

Angeli

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H i l d e g a r d is also in a c c o r d a n c e w i t h the i n t e r p r e t a t i o n that in the Sanctus chant the C h u r c h o n earth imitates the part o f herself w h i c h is in heaven. 4 7 So, f o r instance, H o n o r i u s A u g u s t o d o n e n s i s underlines that this is a h y m n in w h i c h the virtuous souls and the angels c o m e t o g e t h e r in a c o m m o n o f f e r o f praise w h i c h is sung partly b y angels, partly b y m e n ( " p a r t i m ab angelis, p a r t i m ab h o m i nibus c o n c i n i t u r " ) . 4 8 I n the S e q u e n c e f o r Saint D i s i b o d Ο presul

vere

civitatis

H i l d e g a r d describes

h o w the earthly singers imitate the celestial c h o i r s : " E t superni cives gaudeant de his qui eos hoc modo imitantur."' 19 I n several songs H i l d e g a r d expresses the same t h e m e o f the celestial voices singing t o g e t h e r , as in the S e q u e n c e f o r the V i r g i n M a r y Ο virga

ac

diadema·.

"Inde concinunt celestia organa et miratur omnis terra, ο laudabilis Maria." 5 0 A n d in the s e q u e n c e f o r Saint R u p e r t , Ο Jerusalem, she explains that the H o l y Spirit sings in h i m since he has b e c o m e a part o f the angelic c h o i r s : " I n te symphonizat Spiritus sanctus, quia angelicis choris associaris." 51 H e r e H i l d e g a r d uses the unusual v e r b " s y m p h o n i z a r e " and n o t as m o s t o f t e n " c a n e r e " o r " c a n t a r e " . F o r , whereas her c o n t e m p o r a r y a u t h o r s excel in finding varying expressions f o r the act o f singing and specifically the singing t o g e t h e r

47 48

49 50

See IVERSEN 1990, p. 20-24. 41-42. "Sacrificio angelorum coniungitur sacrificium spirituum iustorum, qui Christi humanitatem adorant, et pro humani generis redemptione cantatur: Benedictus qui venit in nomine Domini. Hie hymnus partim ab angelis, partim ab hominibus concinitur, quia per Christum immolatum humanum genus angelis coniungitur, laus quippe angelorum est: Sanctus, sanctus, sanctus, Dominus Deus sabaoth. Pleni sunt caeli et terra gloria tua. Osanna in excelsis. Laus vero hominum est: Benedictus qui venit in nomine Domini. Osanna in excelsis. In hoc cantu se signant, quia signum Christi cui contradicitur se recipere designant." ( H O N O R I U S Gemma animae, col. 5 5 6 - 5 5 7 ) . Ο presul vere civitatis ( = H I L D E G A R D I S Symphonia, 45). Ο virga ac diadema ( = H I L D E G A R D I S Symphonia, 2 0 ) ; cf. "Laus sit" in H I L D E G A R D I S Symphonia songs 1, 2„ 19, 26, 27, 28, 30, 45, 65; "In alto stas, non erubescens ante Deum vivum, et protegis viridi rore laudantes Deum ista voce [ . . . ] Nunc sit laus Deo ... viriliter operante [ . . . ] Unde angeli concinunt et in laudibus sonant"; cf. Responsory for the Holy Innocents, Rex noster promptus est (= H I L D E G A R D I S Symphonia, 59).

51

Ο Jerusalem

( = HILDEGARDIS

Symphonia,

49).

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100

Iversen

with the angels, Hildegard is closer to Saint Ambrose and Notker Balbulus who both keep to verbs as "canere", "cantare", "concinere" and "decantare". 52 Hildegard's words in describing the angelic choirs as "superni cives" and "angelici chori" are the same as those generally used in tropes and sequences. The trope texts in general display a variety of collective names and general representations of their general functions as God's administering servants and man's kind associates. The angels are generally described as innumerable ("innumerabilia"), the angelic choir is called "celestial mental power" ("virtus uranica"), and the celestial orders are described as "three times three hosts of angels" ("ter trina angelorum agmina"). The essence of the angels lies in their superessence ("quorum est essentia in superessentia"), and they constantly rejoice in the presence of God ("semper congaudentia dei de praesentia"). 53 Hildegard's interpretation of the angels as living light ("lux vivens") is, however, not found in tropes and sequences nor in the other kinds of texts we have been observing above. Many years after the visions of Scivias, Hildegard returns to the angelic theme and the functions of the angels in her last visionary volume, Liber diuinorum operum. There, she divides the angelic choirs into three categories: those who are like fiery flames, the highest degree, those who are like a brilliant light, and thirdly, those who are like stars: "Supra quam velut plurima multitudo angelorum fulget, quorum quidam ignei, quidam clari, quidam ut stellae videntur, quoniam qui ignei apparent in fortissimis viribus sunt, ita ut nullo modo moveri possint, quia ad faciem suam Deus eos fieri voluit, ut ipsam semper conspiciant. Qui autem clari demonstrantur, in officiis operum hominum, qui opus Dei sunt, nunc moventur, quorum opera officiorum in conspectus Dei coram eisdem angelis sunt, quoniam ilia semper considerant, eorumque bonum odorem Dei offerunt, utilia eligentes inutiliaque abjicientes; qui vero ut stellae videntur, naturae hominum condolent, eamque ut scripturam Deo repraesentant, hominesque comitantur, verbisque rationalitatis quomodo Deus vult eis loquuntur, atque de bonis operibus illorum Deum laudant; a malis autem se avertunt. Qui et omnes a quodam vento, ut ardentes lampades, volante moventur, quia angelicos spiritus istos Spiritus Dei vivens et in veritate ardens, ad zelum suum contra inimicos suos movet. Qui etiam plenus vocum est, quae ut sonus maris sonant, quoniam plenitudinem et perfectionem omnium laudum habet, quibus et angelica et humana creatura ad laudem Dei infunditur."54

53

See a forthcoming study by the author: "Laudatio and collaudatio. 112 Verba canendi in tropes and sequences in the eleventh century", in: The Journal of Medieval Latin (2000). See e.g. I V E R S E N 1 9 9 0 , passim.

54

H I L D E G A R D I S LDO,

52

I I I 1, 4 .

Ο vos

Angeli

101

( " A multitude of angels some of which are like a flaming fire, some are like a brilliant light, some are like stars, since those which are fiery are the most powerful so that they cannot be moved in any way, because God has wanted them to be in front of His face, so that they constantly could look into His face. Those, however who are like a brilliant light are now moved in the fulfilment of the human works, which are the work of G o d ("opus D e i " ) , and these offices are fulfilled before the eyes of G o d and in front of these same angels, since they always guard them and bring their fragrance to G o d , chosing the good and rejecting the bad. Those, however who are like stars, pity the human nature and represent it to G o d as the script, they accompany mankind and they talk to them with words of reason according to God's will, and they praise G o d for the good works of man, but they turn away from the bad. And they are all like burning flames moved by a blowing wind, because God's Spirit which is living and ardent of truth moves the angels into zeal against his enemies. God's Spirit is full of voices loudly singing like the sound of the sea, because it contains the fullness and perfection of all praises in which the angelic as well as the human creation is infused together in singing God's praise.")

Ο vos

angeli

I n c o n t r a s t t o h e r c o n t e m p o r a r y c o l l e a g u e s , H i l d e g a r d n e v e r uses t h e e x p r e s s i o n " H i e r a r c h i a c a e l e s t i s " w h e n she d e s c r i b e s t h e n i n e celestial o r d e r s in t h e sixth v i s i o n , a l t h o u g h she talks a b o u t t h e m all. I n Ο vos

angeli,

t h e A n g e l s in t h e b e g i n n i n g o f t h e last v i s i o n o f Scivias Symphonia

the second song to a n d i n c l u d e d in t h e

as a r e s p o n s o r y t o t h e A n g e l s , s h e p r e s e n t s t h e n i n e o r d e r s o f t h e

celestial h i e r a r c h y : " O vos Angeli qui custoditis populos, quorum forma fulget in facie vestra, et ο vos Archangeli qui suscipiatis animas iustorum et ο vos Virtutes, Potestates, Principatus, Dominationes et Troni, qui estis computati in quintum secretum numerum, et ο vos Cherubim et Seraphim, sigillum secretorum D e i : Sit laus vobis, qui loculum antiqui cordis in fonte aspicitis. Videtis enim interiorem vim Patris,

Gunilla Iversen

102 que de corde illius spirat quasi facies. Sit laus v o b i s , qui l o c u l u m antiqui cordis in f o n t e aspicitis." 5 5

( " O y o u A n g e l s , w h o guard the peoples, w h o s e b e a u t y shines f o r t h in y o u r faces, and ο y o u A r c h a n g e l s w h o receive the souls of the just, and ο y o u Virtues, P o w e r s , Principalities, D o m i n i o n s and T h r o n e s , w h o are counted in the secret n u m b e r of five, and ο y o u C h e r u b i m and Seraphim, seal of the secrets of G o d : Praise be to y o u w h o see in the f o u n t a i n the place of the eternal heart. F o r y o u behold the Father's inner p o w e r w h i c h breathes f o r t h f r o m his heart like a face. Praise be to y o u w h o see in the f o u n t a i n the place of the eternal heart.")

N O T K E R ' S SEQUENCE TO THE ANGELS

Hildegard's presentation of the hierarchy of Saints in the Scivias and of the hierarchy of angels in Ο vos angeli can be compared to the presentation of the two hierarchies in the sequence Omnes sancti for the feast of all Saints by Notker Balbulus in Saint-Gall. This celebrated sequence from the ninth century was generally sung in the liturgy in Hildegard's days, and it is also found in the Mainz proser: O m n e s sancti Seraphim, C h e r u b i m , Throni quoque, Dominationesque, Principatus, Potestates, Virtutes,

55

Archangeli, Angeli! Vos decet laus et honores,

Ordines novenos spirituum b e a t o r u m .

Q u o s in D e i laudibus f i r m a v i t Caritas,

N o s fragiles homines f i r m a t e precibus.

U t spiritales pravitates vestro iuvamine vincentes fortiter

N u n c et in a e v u m vestris simus digni solemniis interesse sacris.

Vos, quos D e i gratia vincere terrea

E t angelis socios fecit esse p o l o .

Vos patriarchae, prophetae, apostoli, c o n f e s s o r e s , martyres, monachi, virgines

E t v i d u a r u m sanctarum o m n i u m placentium p o p u l u s supremo domino:

N o s adiutorium

N u n c et perenniter

Responsory

Ο vos angeli

(= HILDEGARDIS

Symphonia,

30).

Ο vos Angeli

103

Foveat, protegat ut vestrum, in die poscimus gaudiorum vestrorum.56 In N o t k e r ' s old sequence the angels are addressed, just as we have seen in the anaphorically repeated " O v o s " in Hildegard's text, and in the trope Vos quos for the introit antiphon of the feast of the Archangel St. Michael. In the first part of the N o t k e r sequence, ending in the doxological "nunc et in aevum", the nine angelic orders are directly addressed ("Vos decet laus"), and in the latter part the holy saints ("Vos quos, Vos patriarchae"). In his text N o t k e r calls the celestial orders "the nine orders of blessed spirits" ("ordines novenos spirituum b e a t o r u m " ) in words which Hildegard will use in her vision on the angels, as we see below. To "the blessed spirits duly praised and h o n o u r e d " , N o t k e r addresses the prayer that they might confirm the fragile man through their own prayers thus helping us to overcome our spiritual deformities ("spiritales pravitates"), " s o that we might be worthy to take part in your solemn celebration now and for ever". In the latter part N o t k e r includes the orders of saints w h o m " G o d ' s grace has brought to victory on earth and associated with the angels in heaven". It seems quite possible that N o t k e r ' s words in expressing this essential theme in medieval thinking on the functions on the angels might have inspired Hildegard in her song to the angels.

P R O S A DE A N G E L I S

Another sequence which might perhaps have been known to Hildegard is the famous sequence for the feast of the Archangel Michael Has celebres rex, also known as Ad celebres rex and diffused over large regions. It is found in West and East Frankish regions, as well as in Italy, and evidently kept its popularity during a long period. 5 7 As we mentioned above, Hildegard's young colleague "magister" Alan of Lille devoted a penetrating study, Expositio prosae de angelis, to this text. 5 8 Alan repeats an attribution that the author of the sequence was Gerbert of Aurillac, later Pope Silvester II. 5 9 In relation to Hildegard's context it is interesting to note that, whereas in other regions it was generally being retained in printed Missals, in Germany it was uniquely kept in the printed

56

STEINEN 1 9 4 8 , P . 7 8 .

57 Analecta Hymnica,

vol. 7, p. 178; vol. 53, p. 190. For further studies of this text, see

IVERSEN 1 9 9 6 ; IVERSF.N 1 9 9 8 .

58 59

ALANUS Expositio prosae "Papa Gilbertus, in quo entia, hoc opusculum, in et nominum perturbator

de angelis, in Opera, p. 196-217. non solum humana, immo etiam supercelestis viguit sapiquo, sicut in sacris mirabilis exstitit, ita tanquam verborum admirandus apparuit . . . " (ALANUS Opera, p. 195).

Gunilla

104

Iversen

Missals from Mainz and Konstanz. 60 The oldest known manuscript containing the sequence was kept in Michelsberg abbey in Bamberg. 61 We know from the letters that Hildegard had contacts with this abbey, and as Peter Dronke has pointed out, they also had Eriugena's works, at least the Peripbysion.62 Prosa de Angelis 1

H a s celebres, rex, laudes c u n c t a

2a

C l a n g a t n u n c caterva s i m p h o n i a

2b

O d a s a t q u e solvat c o n c i o tibi n o s t r a ,

3a

C u m iam r c n o v a n t u r Michaelis inclita valde festa

3b

Per q u a m laetabunda perornatur machina m u n d i tota.

4a

N o v i e s distincta p n c u m a t u m s u n t a g m i n a p e r te facta.

4b

Sed, c u m vis, facis haec f l a m m e a p e r angelicas officinas.

5a

I n t e r p r i m a e v a s u n t haec n a m creata tua, c u m s i m u s n o s u l t i m a f a c t u r a , sed i m a g o t u a .

5b

T h e o l o g a c a t h e g o r i z a n t h a e c s y m b o l a n o b i s haec ter tripertita p e r privata o f f i c i a :

6a

Plebs angelica p h a l a n x et archangelica, p r i n c i p a n s t u r m a , v i r t u s u r a n i c a ac p o t e s t a s a l m i p h o n a .

6b

D o m i n a n t i a n u m i n a d i v i n a q u e subsellia C h e r u b i m a e t h e r e a ac S e r a p h i m i g n i c o m a ,

7a

Vos, ac M i c h a e l , caeli satrape, G a b r i e l q u e vera d a n s verbi n u n t i a ,

7b

A t q u e R a p h a e l , vitae v e r n u l a , t r a n s f e r t e n o s intra paradisicolas.

9a

Vos p e r aethra, n o s p e r r u r a , d e n a pars electa, h a r m o n i a v o t a d e m u s h y p e r l y d i c a cithara,

9b

Q u o p o s t bella Michaelis inclita n o s t r a D e o sint accepta a u r e a m iuxta a r a m q u e t h y m i a m a t a ,

10a

Q u o in coaeva iam gloria

10b

Condecantemus

Alleluia.

This Prose on the angels is entirely focused on a description of the angels, and the author enumerates the nine orders of the celestial hierarchy giving each of them particular epithets and varying their normal designation. Thus, the Angels and Archangels are here called "the angelic crowd and the archangelic squadron" ("plebs angelica, phalanx archangelica"), the Principalities, heavenly

60 The oldest manuscript seems to be the troper-proser-tonary Paris, BNF, lat. 1118 from Auch or Aurillac written in the end of the tenth century or around the year 1000. See Analecta Hymnica, vol. 53, p. 309. The reading "Has" found in the oldest sources is changed by an obvious misinterpretation of the writing "As" (= has) into "Ad" in the manuscript Paris, BNF, lat. 1084, from Aurillac from the beginning of the eleventh century, and becomes the most frequent reading after that. The version which Alan commented upon has the reading "Ad celebres rex". See IVERSEN 1 9 9 6 , p. 1 2 4 , n. 1 5 . 61 The oldest East-Frankish source is the newly discovered manuscript Universitätsbibliothek Düsseldorf, MS C 9 1 , dating from the mid-eleventh century; see M Ü T H E RICH 1 9 8 1 , p. 7 3 - 7 8 ; cf. K Ü R B I S 1 9 8 3 , p. 9 7 - 1 1 2 . I am grateful to Ms Kürbis who kindly informed me about this manuscript. 62 D R O N K E 1 9 9 8 , p. 1 3 ; H I L D E G A R D I S LDO, Introduction, p. XIX-XX.

Ο vos

Angeli

105

V i r t u e s and P o w e r s are here being presented as " t h e ruling t r o o p and the heav e n l y strength and the p o w e r o f sacred p r o p i t i o u s s i n g i n g " ( " p r i n c i p a n s t u r m a , virtus uranica, potestas a l m i p h o n a " ) . T h e D o m i n a t i o n e s and the T h r o n e s are p r e s e n t e d as " t h e governing c o m m a n d s " and " d i v i n e t r i b u n e s " ( " d i v i n a subsellia, d o m i n a n t i a n u m i n a " ) . T h e C h e r u b i m are d e s c r i b e d as " t h e e t h e r e a l " ( " a e t h e r e a " ) , and the S e r a p h i m as " f i e r y - h a i r e d " ( " i g n i c o m a " ) , an epithet used in m o s t c o m m e n t a r i e s explaining the m e a n i n g o f the H e b r e w w o r d " C h e r u b i m " . 6 3 T h i s is the i n t e r p r e t a t i o n f o l l o w e d b y H i l d e g a r d in her vision o f the angels, as w e will see b e l o w . T h e angels are d e s c r i b e d as t h o s e w h o are made i n t o G o d ' s fervent a d m i n i stering servants. T h e h o s t s o f spirits ( " p n e u m a t u m a g m i n a " ) are a m o n g the first c r e a t i o n s ( " i n t e r primaeva creata t u a " ) I n the same w a y H i l d e g a r d describes the angels as G o d ' s first c r e a t i o n in h e r vision o n the angels, as w e will see b e l o w . T h e s o n g ends in the p r a y e r that o u r offerings might b e accepted b y G o d , that " w e " , the h u m a n singers o n earth ( " n o s per r u r a " ) , m a y sing t o g e t h e r with " y o u in h e a v e n " ( " v o s p e r a e t h r a " ) . A g a i n , w e can o b s e r v e that here, just as in N o t k e r ' s and H i l d e g a r d ' s texts, the celestials are directly addressed in the repeated vos. I n this text a tenth o r d e r , that o f m a n k i n d , the c h o s e n p e o p l e ( " d e n a pars e l e c t a " ) , is added t o the nine celestial orders. T h e r e f e r e n c e to m a n k i n d as the tenth d r a c h m a and the h u n d r e d t h sheep naturally refers to the gospel o f St. L u k e ( L c . 15 4 _ 6 8 _ 10 ). M a n is fallen and lost like L u c i f e r , the fallen angel that was expelled f r o m the heavenly paradise in the fight w i t h M i c h a e l , but can be f o u n d and restored again, b r o u g h t b a c k to the celestial palace o f the F a t h e r , w h e r e " t h e r e is j o y in the p r e s e n c e o f the angels o f G o d over o n e sinner that r e p e n t s " ( L c . 15 1 0 ). T h i s biblical c o n t e x t must have been present f o r H i l d e g a r d in her first s o n g t o the angels, Ο vos gloriosissimi a b o v e , in h e r lines o n the fallen angel. B u t this is also, as w e m u s t r e m e m b e r , the t h e m e o f the h o m i l y o f G r e g o r y the G r e a t in w h i c h the t h e m e o f the nine celestial o r d e r s is c o m b i n e d with the t h e m e o f the tenth d r a c h m a representing m a n k i n d as the tenth order. T h i s h o m i l y o n L c 15,_, 0 was used f o r the readings o f the D i v i n e O f f i c e o f the feast o f the A r c h a n g e l Saint M i c h a e l . 6 4 C o p i e s o f his text w e r e universally spread and used in lessons and liturgy and it seems very likely that G r e g o r y ' s text was k n o w n to H i l d e g a r d .

63

Cf. Analecta Hymnica, vol. 53, p. 76, 9: "Cherubin aetherea, Seraphin atque cuncta ignicoma turma."; cf. Gregory's Homiliae, below; H U G O DE SANCTO V I C T O R E In Hierarchiam Caelestem, col. 1023; cf. Analecta Hymnica, vol. 53, p. 76, 9; "Cherubim ac Seraphim necne ardentia", see IVERSEN 1990, p. 4 1 - 4 2 ; " C h e r u b i m altithrona, Seraphim i g n i c o m a " , IVERSEN 1990, 70.

64

GREGORIUS

Homiliae,

34,

col.

1248.

106

Gunilla

Iversen

T H E N I N E CELESTIAL ORDERS

In his presentation of the angelic orders in the homily Gregory the Great firstly declares that they are nine and that they are all testified in the Bible, the Angels and Archangels being mentioned in nearly all the biblical books, the Cherubim and Seraphim in the books of the prophets: " N o v e m vero a n g e l o r u m ordines diximus, quia videlicet esse, testante sacro eloquio, scimus angelos, archangelos, virtutes, potestates, principatus, d o m i n a t i o n e s , t h r o n o s , c h e r u b i m atque seraphim. Esse n a m q u e angelos et archangelos p e n e o m n e s sacri eloquii paginae testantur. C h e r u b i m vero a t q u e s e r a p h i m saepe, u t n o t u m est, libri p r o p h e t a r u m l o q u u n t u r . " 6 5

It is notable that the order in which Gregory names the celestial orders here is exactly the same as that which Notker uses in his sequence, and it is the same as Hildegard uses in her sequence Ο vos angeli. This is also the order that she uses in her sixth vision in Scivias, the vision entirely devoted to a description of the angelic hosts. Table II GREGORY THE GREAT, Horn. XXXIV in Luc. (Lectiones in S. Michael): Angeli, Archangeli, Virtutes, Potestates, Principatus, D o m i n a t i o n e s , T h r o n i , C h e r u b i m , Seraphim NOTKER Omnes sancti·. Angeli, Archangeli, Virtutes, Potestates, Principatus, D o m i n a t i o n e s , T h r o n i , C h e r u b i m , Seraphim HILDEGARD, Ο VOS angeli·.

Angeli, Archangeli, Virtutes, Potestates, Principatus, D o m i n a t i o n e s , T h r o n i , C h e r u b i m , Seraphim PROSA DE ANGELIS, Has

celebres

rex:

Angeli, Archangeli, Principatus, Virtutes, Potestates, D o m i n a t i o n e s , T h r o n i , C h e r u b i m , Seraphim PSEUDO-DIONYSIUS AREOPAGITA / J o h n Scotus E r i u g e n a Hierarchia Caelestis: Seraphim, C h e r u b i m , T h r o n i , D o m i n a t i o n e s , Virtutes, Potestates, Principatus, Archangeli, Angeli HUGH OF SAINT VICTOR, Expositio in Hierarchiam caelestem S. Dionysiv. Seraphim, C h e r u b i m , T h r o n i , D o m i n a t i o n e s , Virtutes, Potestates, Principatus, Archangeli, Angeli 6 6 ALAN OF LILLE, Hierarchia Caelestis Alani, Sermo in die sancti Michaeli: Seraphim, C h e r u b i m , T h r o n i ; D o m i n a t i o n e s , Principatus, Potestates, Virtutes, Archangeli, Angeli. 6 7

65

P L 76, col. 1249.

66

H U G O DE SANCTO VICTORE In Hierarchiam

67

ALANUS Hierarchia, Opera, p. 249-251.

in: Opera,

Caelestem,

p. 223-235; idem, Sermo

c o l . 1028.

in die sancti Michaeli,

in:

Ο vos Angeli

107

As can be seen in Table II, this is not, however, an order universally followed by the medieval authors. It is not the order presented by John Scotus Eriugena in his Latin translation and commentary of the Dionysian treatise on the Hierarchia caelestis. Firstly, the author moves in the opposite direction in enumerating the orders, beginning with the Seraphim and Cherubim. Together with the Thrones which represent the heavenly throne they constitute the highest order of the hierarchy surrounding the Throning One and contemplating God's arcane. Secondly, it is not the Virtutes, but the Principatus which are closest to the Angels and Archangels in the Dionysian Hierarchy. The same proceeding is followed, for instance, by Hildegard's contemporary colleague in Paris Hugh of Saint Victor Gregory the Great who actually refers to the work of Dionysius Areopagita in his homily, does not follow the Dionysian order, as we have seen, when he begins with the Angels and the Archangels and ends with the Cherubim and Seraphim and places the Virtues immediately after Archangels. 68 In the same homily, however, he also refers to the four orders named in St. Paul's letter to the Ephesians (Eph 1 2] : "Supra omnem Principatum et Potestatem, et Virtutem et Dominationem"), as well as to St. Paul's letter to the Colossians (Col 116: "Sive Throni, sive Potestates, sive Principatus, sive Dominationes"). 69 He also enumerates the celestial hosts in another order in his Moralia in Job, in naming the Thrones and not the Virtutes after the Archangels and Angels, that is, Gregory rather follows the biblical sources than the learned Dionysian treatise: " N o v e m dixit genera lapidum, quia nimirum novem sunt ordines angelorum. N a m cum per ipsa sacra eloquia angeli, archangeli, throni, dominationes, virtutes, principatus, potestates, cherubim et seraphim aperta narrationes memorantur, quantae sint supernorum civium distinctiones ostenditur." 7 0

As can be seen in the table, the author of the Sequence Has celebres rex diverges both from the disposition presented by Gregory in his homily for St. Michael and in John Scotus' translation of Dionysius' Celestial Hierarchy. Although it seems clear that the author of the sequence must have known both of these texts, he places the Principatus ("principans turma") before the Virtutes ("virtus uranica"). 68

69

70

" F e r t u r vero Dionysius Areopagita, antiquus et venerabilis Pater, dicere quod ex minoribus angelorum agminibus foras ad explendum ministerium vel visibiliter vel invisibiliter mittuntur, scilicet ad humana solatia ut angeli aut archangeli veniunt. N a m superiora agmina ab intimis numquam recedunt, quoniam ea quae praeeminent usum exterioris ministerii nequaquam habent." ( G R E G O R I U S Homiliae, 34, col. 1 2 5 4 ) . Gregory w h o did not read Greek himself might perhaps have come in contact with his w o r k in Athens and brought a c o p y of D i o n y s i o s ' text with him in order to procure a Latin translation, when he returned to R o m e in connection with the synod of Lateran in 6 4 9 as d'Alverny suggests ( A L A N U S Opera, p. 87, n. 70). G R E G O R I U S Homiliae, 3 4 , col. 1 2 4 9 - 5 0 . G R E G O R I U S Moralia, 32, col. 6 6 5 .

108

Gunilla

Iversen

It is interesting to see that this "disorder" obviously came to be a problem for Alan of Lille. In his Expositio Prosae de angelis he says that "in ordering the orders of the spirits the author does not follow the legitimate order ("legitimum non tenet ordinem"). For it is the Virtutes which hold the third place" ("tertium enim ordinem tenent Virtutes"). Alan explains that this "anomaly" is due to a poetic licence "since an author can change the legitimate order to create a better euphony in the clausula or for rhythmical or metrical reasons". 71 It is important to note that "the legitimate order" to "magister" Alan was obviously not that of Dionysius and John Scotus Eriugena, but the one presented by Gregory the Great. In his sermon to the feast of Saint Michael as well as in his own presentation of the celestial hierarchy, Alan follows the same order as Gregory, but begins like Dionysius from the highest degree, with the Seraphim and Cherubim, as we see in the table above. Hildegard of Bingen, just like Gregory and Notker begins her enumeration of the orders with the Angels and Archangels both in her song Ο vos angeli and in her vision of the angels in Scivias. In both texts she moves from the outer circles inwards until she comes to the Cherubim and Seraphim who are closest to the arcane secrets of God "the inner chamber of the old heart" ("loculum antiqui cordis"). In the illumination to this vision the nine orders are depicted in circles beginning from the outer ring of Angels and Archangels and to the Cherubim and Seraphim in the inner circle closest to the empty sphere, the arcane secrets of God. (Cf. the illumination to the vision in Scivias, I 6).

T H E F U N C T I O N S OF THE A N G E L S

In her sixth vision in Scivias Hildegard presents the nine different orders, their appearances and their functions. She describes how the celestial virtues operate in the human soul. She says that "in the secret places in the heights of Heaven there are two armies of heavenly spirits who shine with great brightness; as it is shown to you in the height of secret places which the bodily eye cannot penetrate but the inner sight can see, these two armies indicate the human body and soul should serve God, since they are going to have the brightness of eternal blessedness with the citizens of heaven": "Quapropter vides in altitudinen caelestium secretorum duas acies supernorum spirituum multa claritate fulgentes: quia, ut tibi demonstratur, in altitudinem illorum occultorum quae carnalis obtutus non penetrat, sed quae visus interioris 71 "Hie etiam ordinando ordines spirituum auctor legitimum non tenet ordinem. Tertium enim ordinem tenent Virtutes. Hoc autem usus est ordine, ut sibi euphonius clausule responderetur. Multotiens enim auctores, aut ritmi aut metri necessitate, preponenda postponunt, et postponenda preponunt." ( A L A N U S Opera, p. 211; see also op. cit., p. 86).

Ο vos

Angeli

109

hominis attendit, haec duo agmina corpus et animam hominis Deo famulari debere designant, ubi ipsa cum supernis civibus claritatem aeternae beatitudinis habent." 7 2 H i l d e g a r d f o l l o w s G r e g o r y the G r e a t w h e n she explains that " G o d destined s o m e creatures t o stay o n earth, b u t o t h e r s t o inhabit the celestial regions. H e also set in place the blessed angels, b o t h f o r h u m a n salvation and f o r the h o n o u r o f his n a m e . H o w ? B y assigning s o m e to help h u m a n s in their need, and o t h e r s t o manifest t o p e o p l e the j u d g e m e n t s o f H i s s e c r e t s " : "Quasdam creaturas terrenis adhaerere, quasdam vero calestibus in esse deputavit. Ipse quoque beatos angelicos spiritus tam ad salutem hominum quam ad honorem nominis sui disposuit. Q u o m o d o ? Nam quosdam ita constituit ut necessitatibus hominum subveniant, quosdam vero iudicia secretorum suorum per eos hominibus manifestentur." 73 I n her last v i s i o n a r y w o r k , Liber

de Divinis

operibus,

H i l d e g a r d describes the

angelic offices in w o r d s similar to t h o s e o f G r e g o r y the G r e a t in his h o m i l y o n the angels. 7 4 She explains that " t h e r e is a m u l t i t u d e o f angels t o g e t h e r w i t h G o d , a multitude w h i c h is hidden in the arcane in heaven, a m u l t i t u d e w h i c h the D i v i n i t y fills w i t h its light, w h i c h is hidden to the h u m a n c r e a t i o n and w h i c h can o n l y b e perceived t h r o u g h their brilliant signs. T h i s m u l t i t u d e is m o r e in c o n c o r d a n c e w i t h G o d than w i t h m a n , and t h e y rarely appear to h u m a n beings. W h e n e v e r it pleases G o d t h e y s h o w themselves t o h u m a n beings t h r o u g h c e r tain signs, since G o d has d e t e r m i n e d s o m e angels t o certain offices and makes these fulfil their services t o m a n " : "Est etiam multitudo quaedam angelorum cum Deo arcana in caelo, quam Divinitas lumine suo perfudit, et quae humanae creaturae obscura est, praeter quod ilia per lucida signa cognoscitur. Et multitudo ista cum Deo magis quam cum homine rationalis est, raroque hominibus apparet, cum angeli qui cum hominibus officiales sunt, quando Deo placuerit illis quibusdam signis se ostendunt, quoniam Deus quosdam ad diversa officia constituit, et cum creaturis eos officiales esse fecit." 7 5 In her t w o songs t o the C o n f e s s o r s , the r e s p o n s o r y Ο vos imitatores and the a n t i p h o n Ο successores, H i l d e g a r d expresses similar ideas w h e n she writes a b o u t these saints:

72 73 74

75

Scivias, I 6 , 1 ; p. 1 0 2 . Scivias, I 6 , 1, p. 1 0 1 - 1 0 2 . Cf. G R E G O R I U S Homiliae, 3 4 , col. 1 2 5 4 . Cf. G R E G O R I U S Homiliae, 3 4 : "Ii spiritus qui mittuntur eorum vocabulum percipiunt quorum officium gerunt. Qui enim, ut peccata locutionis incendat, de altari angelus carbonem portat, seraphim vocatur, quod incendium dicitur ... Aliud namque est ministrare, aliud assistere, quia hi administrant deo, qui et ad nos nuntiando exeunt; assistunt vero qui sic contemplatione intima perfruuntur, ut ad explenda foras opere minime mittantur." (col. 1608-9; 8). HILDEGARDIS

HILDEGARDIS

H I L D E G A R D I S LDO,

I I I 1, 4 .

110

Gunilla

Iversen

"Nam et angelici ordinis officia habetis, et fortissima fundamenta prescitis, ubicumque constituenda sunt, unde magnus est vester honor. Etiam ornans candidos et nigros, et magna onera remittens.76 Ο successores fortissimi leonis, inter templum et altare dominantes in ministratione eius, sicut angeli sonant in laudibus, et sicut assunt populis in adiutorio, vos estis inter illos qui hec faciunt, semper curam habentes in officio Agni." 77 We can note here that H u g h of Saint Victor devoted one chapter in his Commentary of the Hierarchy to explaining why all the celestial essences are called "celestial virtues". H e repeats the Dionysian thoughts expressed already by Gregory the Great and explains that the ordines are named, not after a function that only refers to one of them, but after the function and quality that they have in a particularly high degree, thus, for instance, the Seraphim are interpreted as ardent or burning, since they are the nearest and closest in their love to the C r e a t o r : "Sic itaque coelestes illi ordines habent, in quibus designatur, non quod singulariter acceperint, sed quid possideant excellenter. Seraphim namque, quia ex amore Creatoris sui tanquam vicini et proximi, et in se ardentes sunt et ex se alios accendunt, ardentes sive incendentes interpretantur."78

T H E T H R E E F O L D D I S P O S I T I O N OF T H E N I N E ORDERS

J o h n Scotus Eriugena follows Dionysius and uses the word " t h e o r i a " ("visio"), when he describes the three forms of epiphanies of G o d . Like J o h n Scotus, his followers, such as Hugh of Saint Victor and later Alan of Lille, and with them many authors of tropes and sequences explain the Dionysian disposition of the nine orders into three times three. H u g o of Saint-Victor underlines the division into three degrees of the nine orders simply naming them the first, the second and the third degree, instead of using the three Greek designations. H e does not follow the Dionysian order, however, since he places Principatus, and not Virtutes, together with the Angels and Archangels:

76 77 78

Responsory Ο vos imitatores excelse persone ( = H I L D E G A R D I S Symphonia, 3 9 ) . Antiphon for Confessors, Ο successores ( = H I L D E G A R D I S Symphonia, 4 0 ) . H U G O DE SANCTO V I C T O R E In Hierarchiam Caelestem, col. 1 0 2 3 .

Ο vos Angeli

111

"Agit enim in hoc capite de trina dispositione novem ordinum: quorum prima, quae et summa, tres ordines continet, seraphim, cherubim et thronos; secunda quae et media, similiter tres, dominationes, virtutes et potestates; tertia quae et ultima, tres similiter, principatus, archangelos et angelos: in quibus novem ordinum dispositio consummatur." 7 9

T h e commentators generally explain that the three first Cherubim, Seraphim and T h r o n i dwell in front of G o d , gaze into G o d ' s eyes, the Seraphim are themselves burning with love. T h e Cherubim are the full knowledge of G o d , whereas the T h r o n i know how to judge between good and bad. O f the three next powers, the Dominationes invite us to feel humble respect, the Principatus invite us to show respect in a worthy way and the Potestates invite us to stand strong resisting the foe. T h e three last orders are the Virtutes, the spiritual powers through which G o d ' s miracles are made, the Angeli, who give messages about minor things whereas the Archangeli bring "messages about the greatest things". 8 0 Whereas J o h n Scotus and his followers Hugh of Saint Victor and later Alan of Lille divide the ninefold celestial hierarchy into 3 + 3 + 3 , Hildegard divides the three orders into 2 + 5 + 2 . In this, again, she rather follows Gregory the Great who explains that when the T h r o n i are added to the Principatus, Potestates, Virtutes, Dominationes there are five specifically named orders, and when the Angels and Archangels and the Cherubim and Seraphim are joined to these five, it becomes clear that the number of the celestial orders is nine. H e invites his audience to contemplate over these powers and to see how they might be integrated in their own hearts and acts: " D u m ergo illis quattuor quae ad Ephesios dixit, id est principatibus, potestatibus, virtutibus atque dominationibus, coniunguntur throni, quinque sunt ordines qui specialiter exprimuntur. Quibus cum angeli et archangeli, cherubim atque seraphim, adiuncta sunt, procul dubio novem esse angelorum ordines inveniuntur. Sed haec, fratres charissimi, me loquente, introrsus vos ad vosmet ipsos reducite, secretorum vestrorum merita cogitationesque discutite. Videte si quid iam boni vobiscum intus agitis, videte si in numero horum agminum, quae breviter tangendo perstrinximus, sortem vestrae vocationis invenitis." 81

T h e Dionysian treatise underlines that the epiphanies of G o d can be perceived by man through the reading of the H o l y Scripture, but also through the reading the b o o k of nature. In nature which is created by G o d , as well as in the Bible which is inspired by G o d , G o d manifests himself in multiple ways, in infinite epiphanies, which man can only try to understand but will never fully recognise. Every epiphany will be surpassed by another of greater depth and more elevated. In Dionysian terms the movement of contemplation is, then, a In Hierarchiam

79

H U G O DE S A N C T O V I C T O R E

80 81

Cf. Hiemrchia Alani, in: ALANUS Opera, GREGORIUS Homiliae, 34, col. 1607-8.

Caelestem,

p. 223-235.

col.

1028.

112

Gunilla Iversen

constant circular movement, but at the same time the movement from one epiphany to another in a direct step; the combination of these two movements creates a helical movement, winding spirally towards greater depths. In Hildegard's visionary and lyrical writings we recognise this way of describing God's epiphanies in nature in her description of God's work through "viriditas", and we recognise her way of preceding in circular and helical movements when she explains the inner meaning of her visions.

CONCLUSION

In describing and addressing the angels as living light and powerful sound, like the voice of a great multitude, and in describing the power of music in bringing the heart to compunction in the first of her songs to the angels, Ο gloriosissimi, lux vivens, angeli, Hildegard appears as a true child of her time. Her texts naturally reflect many other texts sung and read in the monastic culture in which she lived. When Hildegard describes the music of the angelic choirs and the longing to join the celestial choirs, when she combines the theme of the fallen angel, of mankind as the tenth order, she expresses essential ideas found in new contemporary lyrical liturgical texts, as tropes, prosulae and sequences, as well as in the traditional Biblical texts used in the chants of the Divine office and Mass. Likewise we have observed similar influences in her presentation of the nine celestial orders in the second song to the angels, Ο vos angeli. Of particular interest are the texts on the celestial hierarchies used in the liturgy of the feasts of the Archangel Michael and of All saints. We have noted that the Homily of Gregory the Great on the celestial Hierarchy, generally spread and used in the Divine Office, most probably constituted a natural context for Hildegard. It might even be possible that also other liturgical texts, even in the form of sequences and tropes which belonged to the traditional repertories in Mainz, such as the famous Notker sequence Omnes sancti, can have influenced her. At the same time, it seems that the Dionysian treatise on the celestial hierarchy in its Latin translation by John Scotus Eriugena has influenced her thinking. Possibly, but not necessarily, this might have taken place through a direct contact with Eriugena's work. Or, she was influenced by the Dionysian ideas as they were reflected in the works of her contemporary colleagues, authors, such as a Hugh of Saint Victor. She might also have been influenced by other liturgical songs inspired by the Dionysian treatise in Eriugena's translation, such as the Prose on the angels, Ad celebres rex, since long treasured in Mainz and Michelsberg. When describing and addressing the celestial hierarchy Hildegard expresses central Dionysian ideas treated by other authors in her time. Still, she seems to remain closest to Gregory the Great. Like him she underlines the effects of the angels as celestial powers bringing the soul to compunction and helping the

Ο vos

Angelt

113

human soul in its struggle against the snares of temptation. Like Gregory she begins with the angels and archangels, like him she divides the nine celestial orders into t w o plus five plus two. But she describes the five orders in her own way, and in her own way she describes the angels as brilliant light and w o n derful sound.

Hildegarde ou Pseudo-Hildegarde? Reflexions sur l'authenticite du traite «Cause et eure» p a r LAURENCE

MOULINIER

L'oeuvre scientifique attribuee ä Hildegarde de Bingen est problematique par plus d ' u n aspect: la question de sa datation, celle de sa configuration originelle et celle de son titre, notamment, n ' o n t pas τεςυ de reponse definitive. Cette ceuvre revet aujourd'hui la forme d ' u n diptyque constitue de deux traites, le Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum alias Physica (titre de l'edition prineeps parue chez Jean Schott ä Strasbourg en 1533) et le Cause et eure, sur lequel porte cette etude. Ces deux ecrits sont aussi connus sous les appellations respectives de Liber simplicis medicinae et de Liber compositae medicinae, dont aueune, soulignons-le, n'apparait du vivant de la religieuse: les temoignages contemporains de Hildegarde (principalement le sien dans le prologue du Liber vite meritorum1 et une lettre de son secretaire Volmar datee de 1170 environ 2 ) ne mentionnent qu'une seule oeuvre, qui se serait appelee Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum. L'origine meme du couple forme par la Physica et le Cause et cure pose done probleme, et le plus ancien temoignage sur ce dernier est dü ä Gebeno prieur du monastere cistercien d'Eberbach; dans la deuxieme version de l'epitre dedicatoire de son Speculum futurorum temporum, un montage des propheties de Hildegarde sorties de leur contexte, il enumere les oeuvres de la nonne et lui prete la paternite de deux traites de medecine: 3 «librum simplicis medicine, secundum rerum creationem octo libros continentem, librumque eius medicine composite, de egritudinum 1

2 3

Cf. HILDEGARDIS LVM (1995), p. 8: «Et factum est in nono anno, postquam vera visio veras visiones, in quibus per decennium insudaveram, mihi simplici homini manifestaverat; qui primus annus fuit, postquam eadem visio subtilitates diversarum naturarum crcaturarum, ac responsa et admonitiones tarn minorum quam maiorum plurimarum personarum, et symphoniam armoniae caelestium revelationum, ignotamque linguam et litteras, cum quibusdam aliis expositionibus, in quibus post praedictas visiones, multa infirmitate multoque labore corporis gravata, per octo annos duraveram, quas mihi ad explanandum ostenderat.» Cf. HILDEGARDIS Epistolarium II, ep. 195, p. 443: «Ubi tunc expositio naturarum diversarum creaturarum?» Cf. GEBENO Speculum, ms. München, Bayer. Staatsbibliothek, Clm 2619, f. lr: «Libros q u o q u e eius, scilicet librum seivias, librumque vite meritorum ac librum diuin o r u m operum, omelias etiam eius ac ignotam linguam cum suis Iitteris celestemque armoniam cum aliis scriptis eius non paucis, atque librum simplicis medicine, secund u m rerum creationem octo libros continentem, librumque eius medicine composite, de egritudinum causis, signis atque curis» (cite par SANTOS PAZ 1998b, p. 215).

116

Laurence

Moulinier

causis, signis atque curis.» L'epitre date de 1222 environ, et ce temoignage, bien qu'il soit le plus ancien dont on dispose sur le Cause et cure, est de toute fa§on posterieur ä l'achevement du , ce manuscrit geant realise au Rupertsberg et destine ä constituer comme un des oeuvres de Hildegarde : or ce codex ne contient ni le Liber subtilitatum ni le Cause et cure, dont nous n'avons du reste ä ce jour aucun manuscrit du XII C siecle. Quelque dix ans apres Gebeno lors du proces mene en 1233 en vue de la canonisation de Hildegarde, un certain Bruno originaire de Lorsch, alors pretre de Strasbourg et «procurator» du Rupertsberg, enumere ä son tour les ecrits de Hildegarde en deux depositions sinon contradictoires du moins discordantes: en un premier temps, il fournit une liste de ses oeuvres largement calquee sur le prologue du Liber vite meritorum,4 mais en y introduisant un librum simplicis medicinae qui n'y figurait pas; puis, s'inspirant probablement de Gebeno il decline une liste qui comporte un liber simplicis medicinae et un liber compositae medicinae .5 Ces titres suggerent une complementarite des deux ecrits mais aucun manuscrit ne les a retenus: la Physica, pour sa part, qui fit l'objet d'une edition princeps en quatre sections ne refletant l'organisation d'aucun manuscrit connu, 6 est conservee dans cinq manuscrits complets et plusieurs fragments,7 et seul le fragment dit de Berne annonce «Hyldegardis de simplicibus medicinis»8 (et encore s'agit-il d'un texte ou l'on trouve aussi des extraits de Platearius ou de

4

5

6

7

8

Cf. B R U D E R 1 8 8 3 , p. 1 2 6 : «Librum Scivias, quern X I annis complevit; librum simplicis medicinae; librum Expositionis Evangeliorum; Coelestis harmoniae cantum; linguam ignotam cum suis litteris, quae VIII annis perfecit: quod plenius in accessu libri Vitae meritorum colligitur. Postea quinque annis subsequentibus librum Vitae meritorum scripsit: postremo vero librum Diuinorum operum VII annis scripsit: quod per accessum ipsius libri plenius patet.» Cf. B R U D E R 1883, p. 127: «Scripta ejus, quae conventus juratus confessus est sua esse, scilicet librum Scivias, librum vitae meritorum, librum diuinorum operum, Parisius per theologiae magistros examinatos; librum Expositionis quorundam Evangeliorum, librum Epistolarum, librum simplicis medicinae, librum compositae medicinae, ac Cantum ejus cum lingua ignota, cum libello qui de ejus vita conservatus est.» D'apres Friedrich Jürgensmeier, la Vie de Hildegarde servie aux enqueteurs par Bruno serait eile aussi fortement influencee par Gebeno: cf. J Ü R G E N S M E I E R 1979, p. 286. Cf. H I L D E G A R D I S Physica (1533). La Physica fut reeditee sans changement par Georg Kraut, toujours ä Strasbourg, en 1544, dans un recueil qui contenait aussi un traite de l'enigmatique Trotula: cf. H I L D E G A R D I S Experimentarius. Manuscrits complets: Bruxelles, Bibliotheque royale, 2551; Firenze, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ashburnham 1323; Paris, Bibliotheque nationale de France, lat. 6952; Vaticano, Biblioteca Apostolica, Ferraioli 921; Wolfenbüttel, Herzog-AugustBibliothek, 56, 2. Aug. 4°. Pour un etat actuel du corpus, voir M O U L I N I E R 1995, p. 45-62, et WEISS-ADAMSON 1995a. Bern, Burgerbibliothek, ms. 525, f. 18r-23r. Sur ce manuscrit, voir H Ä G E N 1875; THORNDIKE 1 9 3 6 , p. 4 2 8 ; MÜLLER

1997.

Reflexions

117

Macer Floridus)·, q u a n t au second traite, on n ' e n connait a u j o u r d ' h u i q u ' u n manuscrit, 9 dote de l'intitule «Beate Hildegardis cause et cure» sur son premier folio, et u n c o u r t extrait d e n u e de titre sur lequel s'ouvre un curieux texte c o n n u c o m m e le Fragment de Berlin.10 Si Hildegarde elle-meme s'attribuait la paternite d ' u n ecrit naturaliste, l'apparition d ' u n second livre de medecine mis sous son n o m suscite done maintes questions, et Ton peut se d e m a n d e r ä la limite s'il n ' y a pas la p l u t o t l'oeuvre d ' u n e «Pseudo-Hildegarde», ä l'instar de certaines propheties que Ton attacha ä son n o m apres sa mort. 1 1 U n tel p r o b l e m e ne se laissant pas aisement resoudre, on tächera dans cette etude d ' y a p p o r t e r divers eclairages: apres avoir rappele de quels temoins on dispose, et quelle est leur fiabilite, concernant la tradition manuscrite du Cause et cure, on s'attachera aux donnees fournies par le seul manuscrit subsistant et son extrait t o u t aussi unique, et Ton y cherchera des renseignements sur la genese et la composition de l'oeuvre. L'examen de l'unite de Pceuvre, d ' u n p o i n t de vue t h e m a t i q u e mais aussi linguistique, par exemple, peut a p p o r t e r de l'eau au moulin du p r o b l e m e de son authenticite. Enfin, on reprendra la question de l'auteur et de la genese du texte sous Tangle de l'intertextualite: c o m m e d'autres ecrits hildegardiens authentifies, le Cause et cure, se signale par l'absence totale de citations alors qu'il est clair que ce traite puise sa matiere dans d'autres oeuvres; on envisagera aussi les r a p p o r t s que l'on peut etablir entre Cause et cure et d'autres ecrits hildegardiens, afin d'evaluer leur poids dans la question de Pauthenticite du traite.

I . L E S TEMOIGNAGES

MEDIEVAUX

Cause et cure est c o n n u a u j o u r d ' h u i par un manuscrit u n i q u e originaire de Saint-Maximin de Treves, c o m m e on peut en juger par sa tres grande ressemblance avec les mss Paris, BnF, lat. 9741-9742, 1 2 et datant du milieu ou du troisieme q u a r t du Χ Ι Ι Γ siecle; il f u t tire de l'oubli par Karl Jessen au XIX C siecle 13 , et edite par Paul Kaiser en 1903. 14 Q u e l q u e s temoignages invitent toutefois ä penser qu'il en exista plus d ' u n exemplaire au M o y e n Age, mais la tradition manuscrite de cet ouvrage a u j o u r d ' h u i fils u n i q u e n'en d e m e u r e pas moins difficile ä cerner: l'imprecision ou le caractere partial de certains temoins empeche en effet de voir se degager clairement u n n o m b r e d o n n e de manuscrits ayant existe au M o y e n Age. Avant

9 Kebenhavn, Kongelige Bibliothek, N y . kgl. saml. 90b Fol. 10 Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Lat. Q u . 674, f. 103r-103v. 11

C f . JENKS 1 9 7 7 .

12

V o i r AVRIL/RABEL 1 9 9 5 , p . 1 4 7 - 1 4 8 , p l . C X X I e t C X X I I .

13

C f . JESSEN 1 8 6 2 .

14

HILDEGARDIS Causae.

Laurence Moulinier

118

d'en venir ä une description de l'unique survivant, passons done rapidement en revue, dans l'ordre chronologique, ces differents temoins et tentons d'evaluer leur fiabilite. On n'oubliera pas, tout d'abord, qu'un des premiers temoins de l'existence de deux ecrits medicaux, le «procurator» du Rupertsberg, Bruno ne se contenta pas de servir aux enqueteurs une liste des ceuvres de Hildegarde: il aurait joue egalement un role actif dans leur transmission, si l'on en croit les Acta Inquisitionis qui affirment qu'il copia de sa main les trois livres visionnaires de la nonne, et que par son entremise, ces differents livres auraient ete transmis ä Rome. 15 On n'en trouve toutefois nulle trace ni dans les actuelles Archives du Vatican ni dans les reconstitutions de la bibliotheque pontificale en Avignon. 16 Or si l'ensemble des oeuvres copiees par Bruno a reellement ete achemine par ses soins vers le pape, il devait s'agir d'une masse d'ecrits considerable, et Ton ne peut que s'etonner qu'elle ait echappe jusqu'ä ce jour ä l'attention des chercheurs. Bruno aurait-il ete empeche de s'acquitter de sa mission ? Les livres seraient-ils restes ä Strasbourg ? C'est en tout cas dans cette ville qu'en 1254, le moine Richer (f 1267), 17 de l'abbaye de Senones dans les Vosges, raconte dans sa chronique avoir vu un 'livre de medecine' de Hildegarde: «Scripsit etiam librum medicinalem ad diversas infirmitates quem ego Argentine vidi.»18 Il est tentant d'y voir un exemplaire du Cause et cure lie ä Bruno, mais le temoignage de Richer est trop peu precis pour que l'on puisse y reconnaitre ce traite avec certitude, le Liber subtilitatum pouvant somme toute lui aussi satisfaire ä la definition de «livre de medecine contre diverses maladies». Le chroniqueur anglais Matthieu de Westminster a longtemps passe pour etre le premier, en 1292, ä nous donner les moyens d'identifier l'actuel Cause et cure comme le liber compositae medicinae dont les Acta Inquisitionis passaient le contenu sous silence. Evoquant Hildegarde dans ses Flores historiarum - continuation des Flores historiarum ab origine mundi usque ad a. 1250 de Matthieu Paris - il ecrit en effet qu'elle composa de nombreux livres, ä savoir, entre autres, «un livre de simple medecine suivant la creation, contenant huit livres,19

15

Cf. B R U D E R 1883, p. 126 («cum libros ejus ... secundum monasterii sui exemplaria conscripsisset») et p. 127: «Scripta ejus, quae conventus juratus confessus est sua esse ... per eundem Brunonem sacerdotem ... sub sigillis nostris clausos transmittimus.»

16

C f . J u L I . I E N DE P O M M E R O L

1991.

Sur ce personnage, voir entre autres M A N I T I U S 1931, III, p. 233, et G A S S E - G R A N D JEAN 1992, p. 152-155. 18 R I C H E R U S Gesta, I V , cap. 1 5 : «De beata Hiltigarde sanctimoniali et prophetiis eius», p. 306. 19 Le Liber subtilitatum tel qu'on le connait d'apres les manuscrits comporte neuf sections mais j'ai suggere ailleurs des explications pour le chiffre «huit» avance par 17

G e b e n o : cf. MOULINIER 1 9 9 5 , chap. V .

Reflexions

119

et un livre de medecine composee sur les causes, les signes et les traitements des maladies». 20 O r en realite, Matthieu ne fait que suivre Gebeno d'Eberbach, auteur qu'il reproduit par ailleurs servilement, contre la verite historique des faits, en affirmant que «tous les livres de Hildegarde» furent «approuves par le pape Eugene, au concile de Treves, en presence de nombreux eveques allemands et francs, et de saint Bernard, abbe de Clairvaux». 2 1 A la fin du XIV C siecle, l'inventaire de la bibliotheque de l'abbaye SaintMaximin de Treves, etabli en 1393 du temps de l'abbe Rorich mentionne en seizieme position: «Item de medicina sancte Hildegardis in uno volumine». 2 2 Aucune indication de titre n'est fournie mais, sur le premier folio du codex Kobenhavn, Kongelige Bibliothek, N y . kgl. saml. 90b Fol., en haut, d'une main du X I V e siecle, la presence d'une cote («R 5 Codex monasterii sancti Maximini prope treverim siti») ne laisse pas place au doute et nous invite ä tenir l'unique codex subsistant pour l'item n" 16 de la liste de livres de 1393. Au XV C siecle, l'abbe de Spanheim, Trithemius (1462-1516) enumere ä plusieurs reprises les oeuvres de Hildegarde; en ce qui concerne le liber simplicis medicinae et le liber compositae medicinae, significativement, il n'est pas toujours capable d'en fournir l'incipit, contrairement aux autres oeuvres de la religieuse. 23 Toutefois, dans son Chronicon Hirsaugiensis, sa description suggere qu'il eut les deux ouvrages sous les yeux, 24 et par l'incipit qu'il cite, son temoignage confirme l'identification du Liber medicinae compositae avec le Cause et cure que nous connaissons. Ou les vit-il au juste ? N o u s l'ignorons, mais il pourrait bien somme toute designer par liber composite medicine le manuscrit de Saint-Maximin de Treves: on sait en effet qu'ä partir du XV C siecle, la biblio-

20

21

«Exposuit et condidit multos libros, scilicct librum Scivias librumque vite meritorum ac Librum diuinorum operum, omelias etiam et Ignotam linguam cum suis Uteris celestemque armoniam cum aliis scriptis non paucis atque librum simplicis medicinae secundum creationem, octo libros continentem, librumque compositae medicinae de aegritudinum causis, signis atque curis, qui omnes recepti sunt et canonizati a papa Eugenio, in concilio Trevirensi, praesentibus multis episcopis tarn Francorum quam Teutonicorum, et sancto Bernardo clarevallensi abbate» (MATTHAF.US WESTMONASTERIENSIS Ex floribus Historiarum, p. 487). Cf. GEBENO Speculum, p. 484: «Praeterea sciendum est quod libri sanctae Hildegardis recepti et canonizati sunt a papa Eugenio in concilio Trevirensi, praesentibus multis episcopis tam Francorum quam Teutonicorum, et sancto Bernardo abbate Clarevallensis.»

22

C f . K E U F F E R 1 8 9 9 , p. 5 4 .

23

Voir ä ce sujet MOULINIER 1995, p. 39-42.

24

Cf. JOHANNES TRITHEMIUS Chronicon, p. 175: « D e causis et remediis morborum humani corporis, opus insigne, quod medicinam praenotavit compositam, et incipit: Deus ante creationem mundi absque initio fuit et est. Item alium librum de naturis herbarum, quantum ad curam humani corporis pertinent, satis pulchrum edidit, quam simplicem medicinam praenotavit.»

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Laurence

Moulinier

theque de cette abbaye fut exploitee par des savants tels Nicolas de Cuse (14011464) ou Trithemius desireux de promouvoir la publication de sources et les recherches erudites.25 Enfin, on sait qu'ä Heidelberg, au debut du XVC siecle, se trouvait une Summa Hildegardis de medicina dont l'incipit etait lui aussi identique ä celui du manuscrit de Copenhague. Le 18 decembre 1438 en effet, le recteur de l'Universite, Johannes Rybeisen de Bruchsal, accuse reception des livres legues par le comte palatin Louis III (Louis III le Barbu) ä la bibliotheque de l'eglise du Saint-Esprit, une bibliotheque fondee par Louis III en 1421, reliee ä l'universite et conservee dans l'eglise du Saint-Esprit. Louis III mourut en 1436 et deux ans plus tard, son executeur testamentaire, Otto de Mosbach, remit ä Johannes Rybeisen 155 manuscrits (162 volumes).26 La liste en fut etablie par deux collaborateurs qui rangerent les ouvrages par discipline, theologie, droit civil et droit canon, medecine et astronomie. 55 livres de medecine sont enumeres, et pour chacun d'entre eux, le redacteur indique les premiers mots du premier feuillet et ceux par lesquels commence l'avant-dernier feuillet. Parmi ces items figure « Item summa Hildegardis de infirmitatum causis et curis in uno volumine cuius primum folium incipit penultimum vero incipit ».27 Seul le debut du penultieme feuillet et non l'explicit au sens strict du terme est donne, comme pour les autres livres, pratique classique dans les inventaires, en prevision de possibles vols du premier et du dernier feuillet; mais peut-etre aussi le manuscrit inventorie se terminait-il par un feuillet de garde vierge. Le document porte les sceaux du recteur de l'universite et des quatre doyens: apparait ainsi le nom de Gerhard de Hohenkirchen (v. 1382-1448), doyen de la faculte de medecine, personnage ä qui l'on doit de precieux extraits de la Physica dans le ms. Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 120728, un manuscrit originaire de Heidelberg, copie entre 1425 et 1447. La charte du 18 decembre 1438 se terminait en affirmant que les livres regus par l'eglise du Saint-Esprit avaient ete ranges et enchames («concathenavimus») et qu'ils devaient ainsi y rester et y etre conserves ä perpetuite comme l'avait recommande Louis III dans son testament. Or la trace de la Summa Hildegardis lui ayant appartenu se perd tres vite: en 1466, lorsque PUniversite de Heidelberg etablit un registre de ses livres, l'oeuvre medicale de Hildegarde ne fait plus partie de la bibliotheque de l'eglise du Saint-Esprit, comme 22 autres manuscrits medicaux de la liste de 1438 sans qu'on puisse s'expliquer pourquoi.29 Quoi qu'il en soit, l'hypothese d'une identite entre Summa Hildegardis et manuscrit de Copenhague ne resiste pas ä l'examen de leurs avant-derniers 25

C f . L Ö F F L E R 1 9 2 2 , P. 1 9 4 .

26

JEUDY 1 9 8 2 , p . 1 1 .

27

SCHUBA 1 9 8 1 , P. X X V I .

28

Edition de ces fragments dans

29

SCHUBA 1 9 8 1 , P. X X V I I .

MOULINIER 1 9 9 5 ,

annexe, et

MOULINIER 1 9 9 9 .

Reflexions

121

folios respectifs. Le recueil ayant appartenu ä Louis III ne se terminait apparemment pas de la meme maniere que le codex de Copenhague, mais il est vrai que cette difference ne suffirait pas ä prouver a eile seule qu'il s'agit de deux manuscrits differents puisque la Summa Hildegardis aurait pu representer une version anterieure ä celle dont nous disposons. Je n'ai toutefois trouve la formule «qui et quarta» au debut d'aucun folio du codex de Copenhague et tout au plus ai-je pu noter que le folio 89v c o m m e ^ a i t par «Qui in quarta luna concipitur ...»; or cette formule se donne ä lire au debut de la colonne de droite, et ne marque done pas ä proprement parier le debut d'un folio. II faut done tenir le manuscrit de Copenhague et celui qui se trouvait a Heidelberg en 1438 pour deux volumes distincts dont seul le premier a survecu. Ce sont, en tout cas, les deux pans de l'ceuvre scientifique de Hildegarde, Cause et cure et Liber subtilitatum qui se trouvaient alors ä Heidelberg, comme le prouvent les extraits copies par Gerhard de Hohenkirchen et un des fragments que j'ai decouverts dans un manuscrit du fonds palatin de la Bibliotheque Vaticane. 30 Iis etaient egalement connus, ä la meme epoque, tout pres de Heidelberg, ä Spire, comme l'attestent deux temoins. Le manuscrit Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Germ. fol. 817 , contient un herbier qui mele ä d'autres textes de longs extraits du «liber de plantis» de la Physica : un premier redacteur avait d'abord suivi la traduction allemande de l'herbier compose vers 1070 par Odon de Meung (Macer Floridus, De viribus herb arum), le Deutscher Macer, un second y ajouta des chapitres de Hildegarde, et un troisieme completa le tout par des extraits du Circa instans de Platearius et du Macer Floridus. L'herbier fut copie en 1456 par un certain Wilhelm Gralap Spirensis mais le «liber de plantis» avait vraisemblablement ete traduit plus tot, vers 1200. 31 Parallelement, un des manuscrits complets du Liber subtilitatum, le codex Paris, BnF, lat. 6952, copie dans la premiere moitie du XV C siecle, renferme un appendice en allemand (f. 232v-238v) de la meme main que le reste du codex, comportant quatre recettes qui ne peuvent provenir que de l'actuel Cause et cure et suggerent que le copiste avait ä sa disposition les deux oeuvres, comme l'a montre M. Weiss-Adamson. 32 Ce manuscrit a eu pour possesseur au X V F siecle Nicolaus Gugler, medecin et bibliophile de Spire, et en outre il contient une liste de synonymes pharmaceutiques «de Spire» (taxa pharmacopolarum Spirae)\n l'hypothese emise par M. Weiss-Adamson, selon laquelle il fut copie ä Spire et aurait ete la source de Wilhelm Gralap est done tout ä fait recevable 34 et ne s'oppose pas, en tout cas, ä l'idee que l'actuel Cause et cure aurait ete connu dans le meme temps ä Heidelberg et ä Spire.

30

C f . M O U L I N I E R 1 9 9 3 , et M O U L I N I E R

31

Cf. FEHRINGER

1999.

1994.

32

C f . WEISS-ADAMSON 1 9 9 5 b , p. 1 7 7 .

33

Pour une description plus complete du manuscrit, voir MOULINIER 1995, p. 51-53.

34

C f . WEISS-ADAMSON 1995a, p. 63.

122

Laurence Moulinier

Recapitulons: malgre les efforts de F. A. Reuss ou de Max Manitius p o u r etablir des filiations ou des identites entre les manuscrits auxquels renvoient les temoins que nous avons cites, 35 il reste difficile de se faire une idee exacte du n o m b r e d'exemplaires du Cause et cure, qui existerent au M o y e n Age. O n peut tenir p o u r certain qu'il y en eut au moins deux, c o m m e le p r o u v e la difference irreductible entre l'unique manuscrit subsistant et la Summa Hildegardis disparue, et c o m m e il ressort aussi d ' u n e comparaison entre le codex de C o p e n hague et son seul fragment connu ä ce j o u r : la collation des deux textes met en evidence des divergences de detail 36 qui invitent ä penser que l'extrait contenu dans le Fragment de Berlin a ete copie d'apres u n autre exemplaire. Peut-etre d o i t - o n meme tabler sur l'existence de trois manuscrits differents, si Ton admet que le procurator du Rupertsberg B r u n o a bien achemine vers R o m e toutes les oeuvres de Hildegarde qu'il cite; mais cet h y p o t h e t i q u e troisieme exemplaire est a u j o u r d ' h u i introuvable et rien n ' e m p e c h e de penser que, s'il n'a en fait pas quitte le territoire germanique, il pourrait ne faire q u ' u n avec la Summa Hildegardis attestee plus tard ä Heidelberg. O n relevera aussi que les appellations d o n t G e b e n o puis B r u n o dotent les deux traites attribues ä Hildegarde ont pu etre empruntees ä d'autres ouvrages de medecine qui circulaient dans l'Occident latin ä la fin du XII e et au debut du XIII 0 siecle: la «medecine simple» avait p o u r illustre modele et precedent le Circa instans compose par Platearius et commenqant par les mots «Circa instans negotium de simplicibus medicinis n o s t r u m . . . » ; quant au syntagme associe par G e b e n o au liber compositae medicinae, il a pu etre inspire par u n ouvrage de Richardus Anglicus, u n personnage sur lequel on sait peu de choses mais que Ton tient a u j o u r d ' h u i p o u r u n auteur du Χ Ι Γ siecle ayant vecu en France. 3 7 Il composa entre autres u n Micrologus a la requete de Lancelinus de l'Isle-Adam, d o y e n de Peglise de Beauvais entre 1178 et 1190, u n e oeuvre qui comprenait cinq traites: De causis et signis et curis passionum, Regule de urinis, Anatomia, De repressivis et Signa pronostica infirmitatum, ou plus simplement De signis. A u c u n manuscrit n'a conserve la reunion de ces cinq traites mais le premier, De causis et signis et curis passionum, dit aussi Practica, est conserve a u j o u r d ' h u i

35

36

37

F. A. Reuss pensait que Bruno avait vu un codex subtilitatum au Rupertsberg, que Richer L'avait vu Ä Strasbourg et que Trithemius s'en etait fait faire une copie (REUSS 1859, p. 52). M. Manitius considerait pour sa part que l'ouvrage vu ä Strasbourg par Richer de Senones au XIII C siecle etait bien un «livre de medecine composee», different de celui qui se trouvait Ä Saint-Maximin en 1393; cf. MANITIUS 1931, III, p. 234. Ainsi «venenosis», lä oü H I L D E G A R D I S Causae (p. 2 5 ) donne «venosissimi», «libenter ibi», lä oü Causae donne «ibi libenter», «diffluerent» (Causae: «fluerent»), «tardius in vi» (Causae: «difficile a fervore»), «inextinguibilibus» (Causae: «extinguibilibus»), «caloris» (Causae, p. 26: «coloris»), etc. C f . WICKERSHEIMER 1936, II, p . 6 9 4 - 6 9 8 , et JACQUART 1979, p . 2 5 6 .

Reflexions

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dans six manuscrits au moins 38 , dont le ms. Paris, BnF, lat. 6957 (f. 37v-51); l'introduction dont il y est dote annonce un contenu ä premiere vue fort proche de celui du Cause et cure: «Continet igitur presens iste Micrologus de causis et signis et curis earum de quibus hie agitur passionum quicquid est utilius ..., de urinis etiam regulas ..., continet etiam anathomiam ... continet igitur signa prognostica infirmitatum ad salutem seu mortem tendencium.»3'' Notons pour finir qu'au Moyen Age, on trouve par exemple ce traite dans la liste des livres de l'abbaye Saint-Matthias de Treves au XIV C siecle telle que l'a reconstitute J. Montebaur. 40 Enfin, l'emploi de liber simplicis medicinae et de liber compositae medicinae suggere une complementarite des deux ecrits, mais ces denominations rendent somme toute mal compte de leur contenu: elles suggerent en effet que le premier ouvrage devrait decrire les ingredients simples servant ä elaborer les prescriptions complexes du second, ce qui n'est en realite pas le cas, comme l'a souligne Sabina Flanagan. 41 L'apparition, pour la premiere fois sous la plume de Gebeno d'Eberbach vers 1222, d'un couple d'ouvrages de medecine attribue ä Hildegarde a done tout d'une naissance suspecte: non seulement le liber compositae medicinae y fait figure d'enfant posthume mais la mention des deux volets de cette oeuvre medicale s'accompagne d'un bapteme dont on ne trouve pas trace dans les manuscrits subsistants.

2. Testis unust

U N MANUSCRIT AUJOURD'HUI

UNIQUE

La presente etude est le fruit de recherches menees en vue d'une nouvelle edition critique du Cause et cure, ä laquelle eile ne saurait se substituer: on ne trouvera done pas ici de description exhaustive du manuscrit temoin et de l'extrait que l'on en connait. Mais avant de presenter la structure et le contenu du seul manuscrit conserve, le ms. K.0benhavn, Kongelige Bibliothek, Ny. kgl. saml. 90b Fol., on peut tenter de retracer brievement son histoire. On peut tenir pour assure que le manuscrit fut copie au monastere SaintMaximin de Treves au XIII C siecle, et qu'il s'y trouvait du XIV L au XVL' siecle, d'apres les deux annotations de bibliothecaires figurant sur son premier folio: en haut, la mention «R. 5. Codex monasterii sancti Maximini prope Treverim siti» que nous avons dejä citee, et, dans la marge inferieure, «Ex libris imperialis monasterii sancti Maximini», d'une main du XVT' siecle, probablement celle du moine Nicolaus Petreius qui, en 1583, reorganisa la bibliotheque et dota les

40

Texte edite par H E L L R I E G E L 1 9 3 4 . Introduction editee par SUDHOFF 1 9 2 4 . Cf. M O N T E B A U R 1 9 3 1 , p. 1 9 , Ä completer par

41

C f . FLANAGAN 1 9 8 9 , p . 9 3 .

38 39

LEHMANN 1 9 3 1 .

Laurence

124

Moulinier

manuscrits de numeros et de marques de propriete: 42 la meme annotation de sa main figure par exemple sur le premier folio de deux autres manuscrits originaires de Saint-Maximin de Treves et datant sans doute du second quart du ΧΙΙΓ siecle, les mss Paris, BnF, lat. 9741 et lat. 9742. La trace du manuscrit de Copenhague se perd du XVI° au XIX e siecle, et il est probable qu'il ne quitta son monastere d'origine qu'apres la secularisation de 1802 - ä moins que ce ne füt entre 1794 et 1802, selon Ludwig Traube.43 Ii vint en effet ensuite grossir, avec d'autres manuscrits du meme monastere, la collection du publiciste Johann Joseph von Görres (1776-1848), qui consacra quelques pages de sa Christliche Mystik ä Hildegarde. 44 Puis le manuscrit fut la propriete de Georg Kloss (1787-1854), un medecin de Francfort, dont l'ex-libris est colle ä l'interieur du plat de couverture: le manuscrit portait, dans le catalogue de sa bibliotheque, le n° 4597 et le titre errone de Hildegardis (Beate) Cause et Curiae. On notera que le docteur Kloss possedait egalement, sous le nom de Hildegardis pentachronon seu Speculum quinque futurorum temporum collectore ex scriptis Hildegardis Gebeno priore in Suerbach (sie) un exemplaire de la compilation de Gebeno d'Eberbach, dote du n° 4598 dans le catalogue de ses livres. Ces deux ouvrages furent vendus ä Londres chez Sotheby en 1835, le premier au prix de 3 livres et 3 shillings, 45 comme on peut le lire ä l'interieur du plat de couverture du codex. Le manuscrit est en parchemin, avec une couverture du XVI° siecle, et il comprend I+93+I folios de 28,8 x 20,5 cm. Le texte est ecrit sur deux colonnes de 34 lignes, et la surface d'ecriture est de 22 x 15 cm. Le manuscrit a ete coupe, en ses bords superieurs comme inferieurs comme le montrent entre autres le f. 2va (dans la rubrique «De firmamento et ventis» situee en marge gauche, le et le signe tachygraphique pour ont ete manges) ou le f. 60rb oü Ton lit «De insania e/... lensia» au lieu de «et epilensia». L'ecriture est soignee (textura gothica) et deux mains differentes ont copie le texte, la seconde succedant ä la premiere au f. 36r, c'est-a-dire ä la fin du 4eme cahier du manuscrit, qui en comporte onze au total ainsi que des marques de production, un chiffre romain dans la marge inferieure marquant la fin de chaque cahier. Le codex n'a pas de foliotation et une main contemporaine (debut XX e ?) a porte au crayon ä papier une numerotation des pages de 1 ä 185. Nous reintroduisons quant ä nous une foliotation pour decrire brievement son contenu comme suit: f. lra-92va: Beate Hildegardis cause et cure. Inc.: («Beate Hildegardis cause et eure. De mundi creatione. Deus ante creationem mundi.» 46 ) Des.: 42

LÖFFLER 1 9 2 2 , p . 1 9 3 .

43

TRAUBE 1 9 0 1 , p . 7 3 7 - 7 3 9 .

44

GÖRRES 1 8 3 6 - 4 2 , II, p . 1 5 1 - 1 5 9 .

45

C f . KLOSS 1 8 3 5 , p . 3 2 7 .

46

L. Thorndike et P. Kibre ne tiennent pas compte de la premiere rubrique lorsqu'ils recensent ce manuscrit dans leur catalogue d'incipits d'ecrits scientifiques (cf. KIBRE/THORNDIKE 1 9 6 3 , c o l . 4 0 6 ) .

Reflexions

125

(«cum h o m o n o n operatur. Expliciunt p r o p h e t i e sancte Hildegardis. Explicit iste liber scriptor sit crimine liber. A m e n dicant omnia» 4 7 ); f. 92va-93r: index des chapitres («Incipiunt capitula libri primi, capitula libri secundi, etc.», le tout traverse de rouge, de m e m e que le «C» de «Capitula»). Le titre d o n n e ä l'ensemble appelle u n bref c o m m e n t a i r e : soit il est ä tenir p o u r une abreviation de la classique triade nosologique qui apparaissait sous la p l u m e de G e b e n o («cause, cure, signa») soit il peut renvoyer ä u n premier etat possible du texte. C e t intitule c o n t e m p o r a i n du premier copiste pourrait en effet signifier que l'ouvrage qu'il entreprit de copier ne contenait pas de section consacree aux «signa». Q u a n t au c o l o p h o n , il est du au deuxieme copiste, et Ton soulignera d ' e m b l e e le decalage entre Pintitule du codex et son explicit: H i l degarde passe du Statut de «beata» ( c o m m e dans le codex de Berlin qui contient le court extrait de Cause et eure) ä celui de «saneta», ses «cause et eure» deviennent «prophetie», et l'explicit est comparable ä celui du Speculum futurorum temporum de G e b e n o . Le manuscrit c o m p o r t e en general des lettres d'attente, et des initiales ä l'encre r o u g e ; quelques-unes d ' e n t r e elles n ' o n t pas ete realisees, ou ont ete executees d ' u n e maniere erronee: ainsi f. 76va on lit «Et ebrius» lä ou le sens impose « U t ebrius» mais nulle lettre d'attente, ni «e» ni «u», n'est visible. Le manuscrit presente en o u t r e six grandes initiales ornees de couleur (rouge ou rouge et bleu), ä filigranes: D , f. l r ; D , f. 12rb; C, f. 64ra; M , f. 71va; C, f. 83vb; H , f. 89rb. Ces initiales baguees ont des jambages et des hastes ornes d ' u n e t o u f f e aux extremites, motif comparable ä celui des initiales des mss Paris, BnF, lat. 9741 et 9742. Les grandes initiales decorees m a r q u e n t le d e b u t de chaque section du codex; des titres courants («liber 1», «liber 2», etc.) o n t ete ajoutes sans d o u t e au XV1·' siecle, 48 et le rang du livre est rappele par un chiffre arabe dans le b o r d superieur de chaque page impaire. A vrai dire ces titres courants sont m e m e p r o b a b l e m e n t de deux mains, c o m m e on p e u t en juger au f. 12v-13r: une premiere main a ecrit «Secundus» en abregέ («Scds») au milieu du f. 12r, et une autre main, posterieure, a rajoute «liber» dans l'angle droit de la marge superieure; le volume ayant ete rogne, tout d o n n e ä penser que ce terme de «liber» etait suivi d ' u n rang. D e meme, au f. 64r, ce n'est a p p a r e m m e n t pas la m e m e main qui a p o r t e le chiffre 3 dans la marge superieure, et qui l'a fait preceder de «liber», et dote du signe · t r a n s f o r m a n t le 3 en adjectif ordinal. Le m e m e p h e n o m e n e se verifie au f. 71v. Des differentes sections du manuscrit, seul le «liber 4» se termine ä la fin d ' u n cahier, au bas de la colonne de gauche du f. 83v; de fait le «liber 5» c o m m e n c e sur la colonne de droite de ce folio, qui m a r q u e la fin du cahier X. La cinquieme section du codex n'a pas ete per$ue de la m e m e maniere par ceux qui ont copie et r u b r i q u e le codex au X I I P siecle et celui qui y a introduit des titres courants 47

Jeu de mots final assez courant: cf.

48

Cf.

HILDEGARDIS

Analecta, p.

XXI.

WATTENBACH

2

1875, p. 428.

126

Laurence

Moulinier

au XVC. Aux yeux de ce dernier annotateur, c'est une seule et meme section qui s'etend du f. 83v au f. 92v: eile n'a pas droit au qualificatif de «über», mais ces folios sont consideres comme un meme ensemble et surmontes par un meme numero 5 qui suggere que l'on a la affaire ä un unique cinquieme livre, en depit de la grande initiale qui figure f. 89rb. O r on trouve ä l'evidence deux sections differentes du manuscrit entre les f. 83vb et 92v puisqu'une premiere initiale decoree est surmontee de la rubrique «De vite signis», f. 83vb, et une autre de la rubrique «De conceptu», f. 89rb. Ii y a done discordance entre le recours aux initiales, qui marquent le debut d'un «Über» dans le reste du manuscrit, et le rang «5» inscrit dans la marge superieure. Dans les marges laterales ou ä cote des rubriques apparait une numerotation des paragraphes en chiffres arabes, due non au rubricateur mais ä la main qui a attribue des titres courants aux livres: les numeros des chapitres sont d'une encre plus claire que le texte, et la numerotation est posterieure a la rubrication, comme le montre bien par exemple la difference d'ecriture entre «liber» et «liberabunt» au debut du «liber III», f. 64r. La structure du Cause et eure apparait avec peu de nettete, et le titre general du codex rend mal compte de la variete de son contenu. La premiere section est principalement un recit sur la creation, oü se marient cosmologie et cosmographie; la seconde est de loin la plus importante en volume: on y trouve des passages sur l'origine du monde, de l'homme et des animaux, mais aussi, selon un ordre qui nous echappe, sur le rire, les larmes, les soupirs, les moments propices ä la cueillette, le plaisir sexuel, l'ivresse, etc., et surtout un expose theorique sur l'etiologie de diverses maladies qui suit grosso modo l'ordre «de capite ad calcem». Les «livres» 3 et 4, egrenent, sous forme de recettes, des remedes susceptibles de guerir toute une serie de maux. Le «liber 5» voit se succeder des paragraphes sur les signes de vie et de mort, sur l'uroscopie ou sur l'usage des bains, et la fin du codex est occupee par un lunarium, un horoscope medical qui s'appuie sur un mois de 30 jours pour dresser le portrait des enfants ä naitre en fonction du jour ou ils ont ete con9US. Les paragraphes sont numerates de 1 ä 49 pour le livre premier, de 1 a 284 pour le second, de 1 ä 39 pour le livre III, de 1 ä 65 pour le livre IV, et de 1 ä 27 pour le livre V. Seuls quelques numeros apparaissent dans la deuxieme partie de la derniere section du manuscrit, qui est traitee, on l'a dit, comme faisant partie de la cinquieme. Le Statut de ce lunarium est de fait hybride: il s'ouvre sur une des grandes initiales qui, dans le reste du codex, signalent le debut d'une section, mais il constitue en meme temps un seul chapitre du «livre» 5, dote du n° 29 et du titre «De conceptu». Aux yeux de la plupart des critiques contemporains, le lunarium fait figure de «6eme livre»,49 voire d'ajout: si en revanche on inclut, comme l'annotateur du XV° siecle, le pretendu livre VI dans la derniere section, on y trouve au total 35 chapitres numerates. Le manuscrit porte done la trace de plusieurs interventions et la derniere section du codex fait figure de pomme de 49

Cf. par exemple

WINTERFELD 1 9 0 4 ,

p.

296,

ou

HILDEGARD

Heilkunde,

p.

42.

Reflexions

127

discorde puisque les deux sections distinguees au XIII C siecle sont resolues en unite au XV e par celui qui a dote l'ensemble d ' u n decoupage en cinq «libri» apparaissant dans les marges superieures. a) Les questions liees aux rubriques Les rubriques sont ä l'encre rouge et ont ete ajoutees dans un second temps; l'espace qui leur avait ete laisse s'est avere parfois tres insuffisant voire inexistant, ainsi f. 46vb: sur ce folio, en haut dans la marge droite apparait la rubrique «De mulieris minutione» et dans le texte, le «U» de «Unde» a ete marque d'une barre rouge, signe que le rubricateur a vu un nouveau paragraphe la oil le copiste avait oublie de menager un alinea; de meme f. 67rb, avec « Q u o d si idem fumus»: «Q» porte du rouge, et une rubrique «De uvula» apparait en marge ä droite. Ces rubriques figurent tantot dans les marges laterales, tantot dans la marge superieure, comme «De oculorum lacrimis», f. 35va. Ii y a manifestement eu deux campagnes de rubrication, la seconde se pla$ant de preference en marge, des le f. Ira, avec «De yle» apparaissant en marge dans le chapitre «De mundi creatione». Le decoupage meme de certains paragraphes n'est pas coherent, ainsi f. 62vb, dans un paragraphe baptise «De nervorum contractione» par le rubricateur, on ne voit pas le rapport entre les deux phrases sur lesquelles s'acheve le texte («Et sic h o m o ille claudicare incipit. Et quia h o m o ab elementis factus est, ab elementis etiam sustentatur et in eis ac cum eis conversatur»), alors que la derniere phrase entre manifestement en relation avec la premiere phrase du paragraphe suivant. Certains titres sont en outre particulierement peu adaptes aux paragraphes qu'ils chapeautent, comme «De anima et spiritibus», 50 «De sensualitate», 3 ' «De melancolia et psalmo», 52 «De Ade prudentia», 5 3 «De insania et epilensia», 54 «Pro sterilitate femine», 55 etc.; Tun d'eux, «De stranguiria» (sic), est meme un contresens sur la maladie decrite dans le paragraphe c o m m e ^ a n t par «Si quis urinam pre frigiditate stomachi retinere non potest», f. 7Ora.36 Ces rubriques introduisent souvent une graphie differente (par exemple «De alitu» surmontant « Q u o d si h o m o halitum», f. 31va, «De calvitie» au-dessus de « H o m o cuius calvitium», f. 33rb, «De diaboli odio» au-dessus de «Quoniam dyabolus», f. 55vb, etc.) et surtout un vocabulaire parfois etranger ä celui du

50

Cf. HILDEGARDIS Causae, p. 42: «Spiritus enim ignei et aerei sunt, h o m o autem aquosus et limosus est.» 51 Cf. HILDEGARDIS Causae, p. 66: «Postquam autem infans ingressus ...» 52 Cf. HILDEGARDIS Causae, p. 145: «Multotiens etiam melancolia surgit ...» 53 Cf. HILDEGARDIS Causae, p. 148: «Adam q u o q u e ante prevaricationem ...» 54 Cf. HILDEGARDIS Causae, p. 156: «Et ira, que in ipsis est ...» 55 HILDEGARDIS Causae, p. 182: «Mulier autem cuius matrix ...» 56 C o m p a r e r par exemple avec la definition qu'en d o n n e Isidore de Seville (Etymologiae, IV, 7, 33): «dicta est, eo quod stringat urinarum difficultatem.»

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Moulinier

texte: «yle» (f. Ira et 8va), «sperma» (f. 12va), «secundina» (f. 24va), «hosceum» («De hoscei inflatione», au-dessus de «Viriiis enim fortitudo», f. 38rb) ou «ossceum» («De osscei tumore», surmontant «Si interdum a malis humoribus», f. 69vb), «sifac» (37vb, 69rb), «coriza» (51vb, 73rb), «litargia» (56ra), «emoptoica» (59ra, 77va), «apostemata» (59va), «lumbrici» (61ra, 80rb, 80vb), «cretici die» (63rb), «fumositas» (64va), «yliaca» (69va), «spasmus» (75vb), «emorroidi» (77va), «erisipila» (78ra), «epylempsia» (60rb et 79ra), «colica» (80ra), «dissuria» (85va), «corua» (92va, sans doute une deformation de «corisa») etc., autant de mots qu'on ne trouve que dans les rubriques. Quelques-unes d'entre elles reviennent tres souvent, comme «De amentia», «De conceptu» ou «Quare menstruum»; un meme intitule, «De instabilitate», chapeaute deux paragraphes differents, f. 20v («Si autem siccum» et «Cum vero in aliquo spuma ...»); d'autres sont biffes, comme «De melancolia», remplace par «De complexione», f. 55rb, «De insompnietate», f. 70vb ou «De aromatibus» au meme folio. On note aussi qu'en un cas au moins, le copiste reconnait ne pouvoir proposer aucune rubrique: «nihil inveni, nihil scripsi», lit-on f. 73vb au-dessus de «Accipe jecur piscis illius qui welra dicitur». Quant ä la recette figurant au f. 83va («Accipe storkesnabeles radicem ...»), eile n'est surmontee d'aucune rubrique et l'espace qui y etait reserve est rempli d'un trait rouge; celle commenqant par «Accipe salvia(m) minus ...» f. 76ra n'a purement et simplement pas de rubrique; enfin, avec la derniere rubrique du «livre» 4, on note l'irruption de la langue vernaculaire dans une rubrique, «Unde agezzele», f. 83va. Certaines d'entre elles, enfin, semblent directement puisees dans d'autres oeuvres, et la presence d'un mot d'origine arabe comme «sifac» dans une rubrique, par exemple, merite qu'on s'y arrete afin de donner un exemple des brouillages introduits pas le rubricateur. Ce terme apparait en deux endroits du texte, d'abord avec une description du peritoine, 57 accompagnee de la rubrique «De sifac extensione aut ruptura», puis avec une recette munie de la rubrique «De ruptura sifac». 58 Cette partie du corps et ses maux ne sont evidemment pas inconnus au X I I 0 siecle, mais c'est avec Constantin l'Africain ( f 1087) que le terme arabe de «sifac» etait arrive en Occident; 5 9 il figure au X I e siecle dans Anatomie de Cophon, 6 0 et fut en quelque sorte immortalise par la Cyrurgia de Ruggero Frugardi dit Roger de Parme - un traite chirugical dont le texte fut revu et corrige vers 1180 par Guy d'Arezzo, 61 et dont un chapitre s'intitule «De

60

Cf. H I L D E G A R D I S Causae, p. 99: «Quidam autem homines sunt... in viris quam in mulieribus scinditur.» H I L D E G A R D I S Causae, p. 179: «interior pellicula, in qua intestina clausa sunt ...»; cf. C O N S T A N T I N U S A F R I C A N U S Viaticum, VI, 8, f. L X X V I I I r : «de ruptura siphac.» Voir par exemple la Demonstratio, p. 396: «quendam panniculum in modum telae araneae subtilis, arabice siphac vocatur secundum Constantinum.» Cf. C O P H O Anatomia, p. 389: «quod autem subtile est, siphac.»

61

C f . MCVAUGH 1995, p. 2 4 4 - 2 4 5 .

57 58

59

Reflexions

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ruptura sifac». 62 Que les deux rubriques examinees ici aient ete empruntees au Viaticum de Constantin ä la Chirurgia Rogerii ou ä un autre intermediaire, c'est en tout cas tres artificiellement que le rubricateur rapproche le Cause et cure de textes techniques: la recette proposee au f. 69r a pour principe de fonctionnement un usage pratique de l'etymologie (la consoude, «consolida», repare et consolide les organes blesses) et ne fait appel ni ä la Chirurgie ni ä une medecine «savante». Les rubriques, on l'a dit, ont ete copiees apres le texte, ce qui n'a rien de rare; mais elles ne sont pas l'ceuvre de l'auteur du texte, et elles ont manifestement ete c o g u e s en se referant ä d'autres ecrits. II apparait en fait qu'un grand nombre d'entre elles s'inspirent, par leur vocabulaire mais meme par leur ordre de succession, des titres des differents chapitres d'autres oeuvres medicales, comme ceux du Viaticum de Constantin 63 ou meme de certains traites chirurgicaux. Heinrich Schipperges rejetait les rubriques du Cause et cure comme inauthentiques en arguant du fait qu'elles vehiculaient une terminologie du XIIF siecle; 64 en realite certains termes presents dans les rubriques, comme «hyle», 65 etaient dejä utilises au ΧΙΓ siecle, et le probleme qu'elles posent est avant tout lie ä leur caractere d'emprunt. Bon nombre d'entre elles n'appartiennent au texte d'origine ni par leur lettre ni par leur esprit, et tout se passe comme si les rubriques voulaient ramener un traite inclassable ä une litterature plus usuelle, d'oü l'introduction de tout un vocabulaire qui fausse grandement la lecture et le sens de l'oeuvre, en tentant de faire d'un texte heterogene, dont la matiere a ete puisee ä des sources tres differentes, y compris, comme on le verra, les ecrits authentiques de Hildegarde, un traite medical de plus. L'auteur des rubriques a apparemment voulu ramener le texte ä des normes correspondant davantage aux attentes des lecteurs d'ouvrages medicaux, en le dotant de rubriques techniques, quitte ä en fausser le sens. Entre ces rubriques et le titre qui lui fut donne, veritable habillage du texte (le binome «Cause et eure», lui-meme issu de la triade «cause, signa, eure», etiologie, symptomes, therapie, ne laissait aucun

62

63

Cf. R U G E R U S Chirurgia, p. 4 8 2 : «siphac est panniculus ille, qui retinet intestina ne cadeant in oscheum, qui saepe relaxatur, vel etiam rumpitur.» Sur ce terme, voir par exemple Flos medicinae vv. 3 3 4 2 - 3 3 4 3 : «Syphac membrana est qua viscera cuncta teguntur, qua rumpente cadunt et ad inferiora trahuntur.» Ainsi de la succession «de coriza», «de fluxu sanguinis a naribus» ( C O N S T A N T I N U S A F R I C A N U S Viaticum, I I , cap. X I V et X V , f. 21v-22r); «de singultu», «de dissinteria», «de colica passione» ( V i a t i c u m , IV, f. 44v), ou «de effusione spermatis in somno», «de vulneribus testiculorum», «de ruptura siphac», «de retentione menstruorum» au livre VI.

Cf. SCHIPPERGES Heilkunde, p. 4 1 . 65 Peter Dronke a critique les arguments de Heinrich Schipperges en faisant remarquer notamment que le concept aristotelicien de hyle (le mot figure dans les rubriques mais c'est materia qu'on trouve dans le texte) etait aussi courant au XIIC siecle qu'au X I I I C siecle: Honorius ou Bernardus Silvestris L'utilisent. Cf. D R O N K E 1981a, p. 113. 64

130

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doute sur le contenu medical du traite 66 ), c'est ä une tentative d'homogeneisation que l'on a affaire - impression par ailleurs confirmee par la grande frequence de la formule «ut prefatum est» tout au long du traite, qui vise ä resoudre le disparate des six sections du volume en l'unite d'un livre. Le texte est sinon banalise, du moins ramene au connu. En tout etat de cause, un caractere fortement compilatoire marque cette oeuvre, dont il subsiste aussi un court extrait dans un texte appele Fragment de Berlin, qu'il nous faut maintenant brievement presenter. b) Le Fragment de Berlin Ce manuscrit de parchemin, ä la reliure en cuir brun, d'origine frangaisc, du X V I i r siecle, comprend 116 folios de 28,6 χ 20,8 cm. Ii est dote d'un titre, f. l r («S. Hyldegar ... vita et oper ...») et contient de nombreux ecrits de et sur Hildegarde: f. lra-24vb: «Vita sancte Hildegardis virginis auctoribus Godefrido et Theoderico monachis»; f. 25ra-56rb: «Epistole beate virginis Hildegardis»; f. 58r-62r: «Lingua ignota» et «Litterae ignotae»; 67 f. 63r-99vb: «Gebenonis prioris speculum futurorum temporum»; f. 99vb-102va: «Quindecim signa quae evenient ante diem judicii» et autres revelations attribuees ä Hildegarde; f. 103r116r: Fragment de Berlin. Les folios 56v et 57r sont vides, et le f. 57v comporte une croix formee des lettres K. A. P. H. D. et de 18 mots qui, combines entre eux, donnent les phrases suivantes: «kirio prespiteri deest. kristum primum derisit. kristo plangitur decrimine. altare poculum habet, ascende pupille hauriendo. alas prespiter habet.» 68 Le manuscrit comporte trois parties. D'apres H. Degering la premiere, du f. 1 au f. 62, est constitute de 7 cahiers de huit feuillets, et d'un huitieme quaternion qui a ete ampute de ses deux derniers feuillets; la seconde partie s'etend jusqu'au folio 102, et est composee de 5 cahiers de huit feuillets; la troisieme partie est faite de deux cahiers, respectivement f. 103-107 et f. 108-116. Une premiere main, du debut du X I I I ° siecle, a copie les folios 1-62 et 103116; une seconde main, un peu plus recente (fin Χ Ι Ι Γ ) , s'est chargee des folios 63-102. On lit l'explicit suivant au f. 102va: («Explicit prophetia sancte hyldegardis hiis omnibus completis petit actor [sic] grates de benedictis et veniam de obmissis. Et quia difficile est invenire supra illud quod inventum est et difficilis invenire quod non est. Guillelmus de valle scripsit.») Le texte est dote de rubriques et d'initiales de plusieurs couleurs entre les f. 63 et 102, mais il n'y a aucune rubrication entre les f. 103r et 116r. Les deux copistes ecrivent sur deux colonnes, excepte aux f. 57-62, ou le texte est dispose sur une seule colonne. Le premier copiste utilise des colonnes de 35/36 lignes et 66

Voir par exemple Pincipit d'un De febribus sans doute du ä Ferrarius (Faradj ben Salem : «De signis causis et curis particulariter tractaturi» (cite dans K I B R E / T H O R N DIKE 1 9 6 3 , c o l . 3 9 0 ) .

67 68

Cf. H I L D E G A R D I S Glossae. Allusion Ä un miracle rapporte dans

HILDEGARDIS

Vita,

III 16,

p.

53-54.

Reflexions

131

le second, de 34/35 lignes. Le texte compris entre les folios 103 et 116, ecrit sur deux colonnes de 34 et 35 lignes, correspond au XIV C cahier du manuscrit et constitue le Fragment de Berlin-, il s'agit d'une serie de fragments d'ecrits scientifiques attribues ä Hildegarde, serie fort heterogene: certaines qu'on peut y lire (Adam et Eve auraient parle allemand, 69 les anges n'auraient pas ete crees, etc.) ont conduit Peter Dronke ä douter de l'authenticite de ce texte et ä y voir un recueil de sententiae ou d'extraits des propheties de Hildegarde contamines par des ecrits apocalyptiques, 70 voire par la compilation de Gebeno. Le Fragment de Berlin s'acheve sans explicit. O n reconnait en tout cas, f. 103ra-103va, un court passage du Cause et cure·. Inc.: «tum infrigidari permittantur ...». Des.: «iuxta quas fluunt, constringunt». 71 Cet extrait correspond aux f. 9va-10ra du codex de Copenhague, mais le reste du Fragment n'a pu etre identifie avec autant de certitude, bien que de nombreuses ressemblances avec le Cause et cure ou le Liber diuinorum operum aient ete relevees.72 L'extrait commence au milieu d'un mot et il parait certain que trois feuillets manquent entre les folios 102 et 103, c'est-ä-dire apres les textes copies par un certain «Guillelmus de Valle» ä la fin du Χ Ι Ι Γ siecle (f. 63-102); des traces de colle font d'autre part supposer ä Η. Degering que les feuillets 103 a 116, copies comme les folios 1 ä 62 au debut du Χ Ι Ι Γ siecle, formaient auparavant un tout relie ä part, ou qu'ils constituaient le debut d'un autre volume. Ce manuscrit appartint ä un monastere du diocese de Treves, d'apres une inscription f. l r : «Liber monasterii Sancte Marie de palatolis». 73 Ii s'agit du monastere de Pfalzel, ayant abrite des Benedictines du debut du VIII C siecle ä l'an 1037, puis des chanoines reguliere jusqu'ä sa destruction en 1676 par les Franqais. Le manuscrit se retrouva ensuite au College de Jesuites d'Agen, comme on le lit sur le meme folio: «Collegii Aginn [ensis] Societ [atis] Jesu Catalogo Inscript [us]». Ii figura plus tard, sous le numero 528 (revers de la couverture), dans le catalogue du libraire londonien Thomas Thorpe (17911851), 74 puis passa ä Sir Thomas Phillipps (1792-1872), le grand collectionneur qui l'acheta a Thorpe, au milieu d'un lot de 1600 manuscrits, 75 en 1836. Devenu le manuscrit «Cheltenham 9303», il fut achete par Sir Max Wächter en 1895, puis offert ä l'empereur Guillaume II qui en fit don ä son tour ä la Bibliotheque Royale de Berlin en 1912.

69

Cf. HILDEGARDIS Fragmentum, p. 71, 769: «Adam et eva teutonica lingua loquebantur»; 7 8 6 - 7 8 7 : «Angelus est non factum opus.»

70

D R O N K E 1 9 8 1 , p. 1 0 9 .

71

C f . H I L D E G A R D I S Fragmentum,

72

Voir {'apparatus

fontium

73 Voir Bibliothekskataloge,

p. 4 7 - 4 8 .

de HILDEGARDIS Fragmentum,

II, p. 659.

74

Cf. MUNBY

75

C f . DE R I C C I 1 9 3 0 , p . 1 2 3 .

1954.

et de HILDEGARDIS

LDO.

Laurence Moulinier

132

Adelgundis Führkötter et Marianna Schräder avaient emis Phypothese que ce manuscrit pouvait provenir du scriptorium du Rupertsberg. 76 La premiere main, du debut du Χ Ι Ι Γ siecle, qui a copie les folios 1-62 et 103-116, done l'extrait du Cause et cure, est en effet probablement la meme que celle qui a copie, vers 1210, le codex de Lucca (Biblioteca Governativa, 1942) qui contient le Liber diuinorum operum. L'extrait du Cause et cure, anterieur au codex de Copenhague, aurait done ete recopie d'apres un autre manuscrit, legerement different, et l'unique manuscrit subsistant ne representerait pas l'oeuvre originale: la formule «nihil inveni, nihil scripsi» du rubricateur du codex de Copenhague traduirait ainsi, en definitive, sa distance par rapport ä son modele plutot que son manque d'inspiration. L'oeuvre originale date-t-elle pour autant du X I I P siecle, comme le manuscrit temoin, ainsi que le pensait C. Singer 77 ? II est sans doute plus prudent de ne pas exclure non plus les deux dernieres decennies du X I P siecle comme epoque possible de sa composition et de considerer que l'oeuvre connue aujourd'hui sous le titre de Cause et cure a pu voir le jour entre 1180 et 1220, c'est-ä-dire entre la mort de Hildegarde et la premiere mention d'un liber compositae medicinae par Gebeno. 7 8

3 . L I M I T E S E T POSSIBILITIES D E

L'INTERTEXUALITE

Une des principales difficultes du probleme de Pauthenticite du Cause et cure vient du fait qu'il nous faut raisonner ä partir d'un seul temoin, et done superposer le contenu et le contenant. De ce fait, faute de point de comparaison, certains arguments s'averent reversibles: ainsi la presence de termes vernaculaires irregulierement repartis au fil du texte, mais tres concentres dans le lunarium, peut plaider aussi bien pour Pauthenticite de l'oeuvre que contre elle, comme le remarquait dejä Η. Schipperges. 79 Le Liber subtilitatum lui-meme en comporte quelque 900, et somme toute, on ne peut tirer de la presence de ces termes germaniques qu'un indice de plus en faveur de l'idee d'un lunarium compose dans l'entourage de l'abbesse ou en tout cas dans son aire dialectale. 80 Le debat toujours ouvert autour des sources du Cause et cure montre aussi les limites de cet angle d'attaque ä apporter des preuves dans la question de Pauthenticite du traite: comme d'autres ecrits hildegardiens authentifies, le Cause et 76

C f . SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1 9 5 6 , P. 80.

77

C f . SINGER 1 9 1 7 , p. 12.

79

Cf. H I L D E G A R D Heilkunde, p. 4 2 : «fremde mundartliche Lehnwörter (die allerdings sowohl für als gegen die Echtheit mit Erfolg ausgewertet sind).» Pour une etude de ce traite du point de vue linguistique, voir H I L D E B R A N D T 1 9 9 7 B et

78 C'est dejä la voie qu'indiquait H. Fischer qui, faute de disposer de ce tέmoignage encore inedit de Gebeno, fixait ä la composition du Cause et cure le terminus ante quern de 1233, c'est-ä-dire la deposition de Bruno dans les Acta Inquisitionis·, cf. FISCHER 1 9 2 9 , p. 27.

80

1989.

Reflexions

133

cure ne cite aucun auteur, et faute de jamais pouvoir y trouver de similitudes lexicales avec d'autres oeuvres, la Quellenforschung peut mettre au jour des influences probables et des surfaces de contact, mais non contribuer ä fixer un terminus a quo pour la composition du traite. II est toutefois incontestable qu'il se nourrit ou se souvient d'auteurs tres varies, les Peres de l'Eglise, un certain nombre de classiques latins, divers auteurs du Haut Moyen Age et meme la litterature strictement medicale qui circulait dans l'Occident medieval depuis la fin du ΧΓ siecle: differents points de rencontre avec les traductions de Constantin l'Africain et meme avec les fameuses Questions salernitaines se laissent mettre au jour sans qu'il y ait, repetons-le, trace de la moindre citation textuelle 81 (rappelons ici que sur l'avant-dernier folio du codex, apres l'explicit, on peut lire deux vers tires du Regimen Salernitanum,%1 dus a une main qui apparait f. 48rb, au gre d'une annotation marginale, qui suggere un lien entre le contenu du recueil et la medecine salernitaine). Impossible, par exemple, d'imaginer que le liber 5, qui traite du pouls, d'uroscopie, et plus largement de toute une semiologie medicale, ait pu etre compose sans subir aucune influence de traites sur l'urine ou le pouls, anciens ou contemporains. Ces traites etaient alors un genre ancien en Occident, et on citera par exemple ici un manuscrit comme le Vatican, Pal. lat. 1088, copie en Allemagne du Sud aux IX e -X c siecles, qui contient, outre l'oeuvre de Quintus Serenus Sammonicus et YEpitome altera de Vindicianus, deux textes de Galien sur la question: Ad Glauconem de medendi methodo et De pulsibus et urinis omnium causarum secundum liber ad Glauconem. Outre Galien, Isidore de Seville luimeme avait contribue a repandre un certain nombre de connaissances en ce domaine, et on n'oubliera pas non plus que la doctrine des urines, qui devait donner lieu ä de nombreux Harntraktate, etait une des composantes fondamentales, aux yeux de Charles Singer, de ce qu'il appelait «Native Teutonic Magic and Medicine». 83 Enfin, les connaissances exposees en la matiere dans le Cause et cure pourraient deriver en partie aussi du De urinis du Byzantin Theophile Protospatharios (VIC ou VIIe s.), traduit au XI e : avec le traite Du pouls attribue ä un certain Philaret et issu en fait d'un opuscule pseudo-galenique, traduit au meme moment et dans le meme milieu, 84 il faisait partie de 1 'Articella, anthologie de textes de medecine hippocratico-galenique vouee ä devenir un canon en vigueur jusqu'a la Renaissance. Les textes de 1 'Articella parvinrent tres tot en Europe du Nord, notamment ä Chartres. 85 Un auteur comme Guillaume 81

82

Pour un etat de la question je me permets de renvoyer Ä mon article, M O U L I N I E R 1997a, et ä mon introduction ä la nouvelle edition critique du Cause et cure (Rarissima mediaevalia 1), Berlin 2001. Cf. Regimen sanitatis, Flos medicinae v. 1553: «febris acuta tisi pedicon scabies sacer ignis / cancer lippa lepra frenesis contagia praestant.»

83

SINGER 1 9 2 0 , p .

84

JACQUART/MICHEAU

15. 1997, p.

101.

85

JACQUART/MICHEAU

1997, p.

128.

Laurence

134

Moulinier

de Conches qui y etudia, cite les medecins grecs et arabes traduits au XIC siecle et il pouvait lire ces traductions ä Chartres meme: pour composer son De philosophia mundi vers 1125, il eut ainsi ä sa disposition, entre autres, le De urinis de Theophile 86 et le De pulsibus de Philaret (deux textes au demeurant tres frequemment copies l'un ä la suite de l'autre), dont la bibliotheque du chapitre possedait des manuscrits. 87 De fait, les folios du Cause et cure consacres ä l'urine et au pouls, ne sont pas sans rapport avec l'oeuvre de Theophile et de Celle de Philaret. 88 Seule la mise en evidence d'un emprunt textuel incontestable ä une oeuvre connue ou traduite seulement apres la mort de l'abbesse pourrait faire pencher la balance et designer clairement le Cause et cure comme l'oeuvre de continuateurs; mais meme certaines Questions salernitaines, avec lesquelles le traite presente plus d'une convergence et dont les plus vieux manuscrits conserves datent de 1200 environ, ne satisfont en definitive pas ä ce critere, ä la fois parce que notre traite ne presente pas de similitude lexicale stricto sensu avec ces recueils de Questions, et surtout parce que des recueils plus anciens, et aujourd'hui disparus, de ces questions, ont fort bien pu etre connus de l'abbesse elle-meme puisqu'on sait qu'ils exercerent une forte influence sur Adelard de Bath mort en 1150.89 Faute de pouvoir y trouver rien de tel, nous ne creuserons done pas davantage ici la question des influences qui parcourent cette oeuvre, traitee en details ailleurs,90 mais nous n'abandonnerons pas pour autant le champ de l'intertextualite: e'est en effet, last but not least, en nous tournant ä present vers les liens qui unissent Cause et eure au reste de la production hildegardienne que nous trouverons peut-etre des elements de reponse au probleme de son authenticite.

86 Voir aussi GUILLELMUS CONCHENSIS Dragmaticon, VI, 12 p. 225: «Si autem hoc scire desideras, librum Theophili vel Ysaac de urinis lege.» 87

C f . BURNETT 1 9 8 4 , p . 1 2 8 - 1 3 0 e t 1 3 9 - 1 4 0 ; v o i r a u s s i M O R P U R G O 1 9 9 0 , p . 4 9 e t 161.

88 Voir par exemple HILDEGARDIS Causae, p. 224: «unum ictum aut duos ictus ordinate dederit», et PHILARETUS De pulsibus, p. 26: «Percussus qui a bis feriendo, id est bis pulsans, dicrotus vocatur, et caprizanze, hoc inter se differunt ... Dicrotus vero bis quidem una percussione pulsat, sed impari celeritate»; HILDEGARDIS Causae, p. 225 «ut iam cadens nix»: cf. THEOPHILUS De urinis, p. 46: «Sunt candidorum enim lotiorum alia crystallea, alia nivea»; HILDEGARDIS Causae, p. 226 «cum nubes in celo ...»: cf. THEOPHILUS De urinis, p. 72 («Quaecumque autem contenta ad summam usque urinae superficiem pervenerunt ... nubes voeavere, quia circa hasce res prudentes fuerunt»), ou p. 81: «Nunc vero et tertiae quoque contentorum speciei, quae ad supremam lotii regionem pervenerit, et nubecula vocatur, seu nebula.» 89

C f . LAWN 1 9 6 3 , P. 4 7 .

90

Cf. MOULINIER 1997a, et mon introduction Ä l'edition critique du traite.

Reflexions 4. D u Liber subtilitatum

135

AU Cause et cure

Le Cause et cure presente u n caractere f o r t e m e n t compilatoire et d e s o r d o n n e , et j'ai tache naguere de m o n t r e r quels etaient ses liens d'imbrication avec le Liber subtilitatum en le s o u m e t t a n t ä une comparaison detaillee avec un manuscrit recemment decouvert de ce dernier (Firenze, Biblioteca Medicea Laurenziana, A s h b u r n h a m 1323). 91 Bien avant la decouverte de ce codex, Paul Kaiser avait dejä repere de n o m b r e u x parallelismes unissant les deux traites mais ils sont en fait bien plus n o m b r e u x qu'il ne le pensait: Irmgard Müller est arrivee de son cote aux memes resultats, 9 2 et Ton peut desormais tenir p o u r certain que les III et IV du Cause et cure proviennent en droite ligne de n o m b r e u x chapitres du Liber subtilitatum tel qu'il est transmis par le ms. A s h b u r n h a m 1323 - et Ton se souviendra ici que ce manuscrit est lui-meme originaire de Treves, en l'occurrence de l'abbaye Saint-Matthias. 9 3 Le «liber III» et le «Über IV» du Cause et cure se presentent c o m m e deux sections decousues, e n u m e r a n t des remedes qui se succedent parfois au hasard, voire se repetent - repetition d o n t ils n ' o n t certes pas l'apanage, p u i s q u ' o n trouve d'autres d o u b l o n s au sein du traite. 94 U n e phrase entiere, n o t a m m e n t («De predictis infirmitatibus subscripte medicine a deo demonstrate aut h o m i nem liberabunt aut ipse morietur aut deus eum liberari n o n vult»), se retrouve en deux endroits, ä l'ouverture et ä la fin du livre I I I : a y mieux regarder, elle f o u r n i t u n lien entre la theorie medicale exposee au livre II et les remedes enumeres aux livres III et IV, entre «theonca» et «practica», en d'autres termes entre les «cause» et les «eure». Les sections III et IV tranchent de fait avec ce qui les precede par de n o m b r e u x aspects, n o t a m m e n t le taux eleve de mots germaniques qui s'y trouvent, mais s u r t o u t ils m a r q u e n t l'irruption de la pratique dans u n ouvrage oil il est principalement question de theorie et de p r o b l e m e s generaux, tant dans les livres I et II que dans la V c section de l'ouvrage. C e t t e orientation pratique ne signifie pas p o u r autant r e n o n c e m e n t ä t o u t e rationalisation, et les livres III et IV se caractensent aussi par l'abondance de phrases introduites par «nam» ou «enim» et concluant Pexpose des differents remedes: aux conseils p o u r la mise en oeuvre de differentes substances ou medications succede l'explication de leur efficacite, sur f o n d de theorie des h u m e u r s et des qualites elementaires. La pratique y reste indissociable du souci didactique. A u total, ce sont ainsi plus de 100 fragments de la Physica telle q u ' o n la connait dans Pedition de Schott et 21 extraits d ' u n Liber subtilitatum tel que le manuscrit de Florence n o u s le livre qui sont venus n o u r r i r les livres III et IV du Cause et cure:95 ce qui etait auparavant u n chapitre du Liber subtilitatum n'a pas ete introduit integralement dans le Cause et cure mais fragmente et p o u r ainsi 91

C f . MOUI.INIER 1993 et

92

C f . MÜLLER 1995, et MÜLLER

93

Sur ce codex, voir aussi

94

C f . MOULINIER 1995, p. 102.

95

C f . MÜLLER

1995.

1995. 1997.

HILDEBRANDT

1997a.

136

Laurence

Moulinier

dire saupoudre, insere dans differents chapitres reorganises pour leur part par maladies. Les chapitres des livres III et IV sont en effet le produit d'une reorganisation, et Cause et cure introduit de nouvelles entrees, une nouvelle grille de lecture, en un mot un reclassement; alors que le Liber subtilitatum passe en revue les creatures des differents regnes en autant de chapitres enumerant systematiquement leurs vertus medicinales, notre traite lui substitue une medecine «composee» operant un certain nombre de regroupements: l'emprunt se double done d'un reagencement, et les rubriques sont le lieu d'une recreation autant que d'une creation. En substituant des entrees par maladies aux entrees par creatures, elles transforment une oeuvre preexistante en la rcagengant; en injectant dans le codex des termes techniques, le plus souvent medicaux, dont l'emprunt ä d'autres ceuvres est aise ä reperer, elles achevent de faire d'un texte tres heterogene un traite medical de plus. II est done clair desormais qu'un meme texte, un Liber subtilitatum semblable ä celui du manuscrit de Florence ou encore ä celui de Wolfenbüttel, est probablement l'ancetre commun ä trois textes aujourd'hui distincts, la Physica telle qu'en la Patrologie latine, celle editee par Schott ä Strasbourg en 1533 et une grande partie du Cause et cure. Les livres III et IV de ce dernier en sont la preuve la plus eclatante, mais on trouve d'autres parallelismes textuels entre les deux ecrits scientifiques pretes ä Hildegarde: les trois premiers chapitres du livre second du Liber subtilitatum se retrouvent ainsi en ordre disperse dans le Cause et cure (f. 8ra-8va). En outre, l'analyse d'une recette contre le dessechement de l'oeil figurant f. 65va et chapeautee par la rubrique «De oculorum attenuatione» m'a permis de montrer que le chapitre du Liber subtilitatum etait anterieur ä celui du Cause et cure, ce qui doit nous inciter ä considerer le paragraphe «De oculorum attenuatione» comme le fruit d'un assemblage d'extraits des chapitres «De Thymo» et «De Aqua» de la Physical Irmgard Müller, de son cöte, a affirme que Cause et cure n'est pas un ecrit authentiquement hildegardien mais une compilation plus tardive. 97 La question de savoir qui, entre ce dernier ouvrage et le Cause et eure, etait l'emprunteur, vexata quaestio qui ressemblait fort ä celle de la poule et de l'oeuf, parait done actuellement tranchee. La matiere du Cause et cure ne provient pas pour autant entierement d'un Liber subtilitatum originel, loin de lä: d'un cote, Cause et cure est lie ä l'ensemble des oeuvres de Hildegarde, et non pas seulement au Liber subtilitatum, 96

Cf. MOULINIER 1995, p. 147-148. Les choses n'ont toutefois rien de simple avec le livre II de la Physica, de elementis, et on ignore ä quelle date il a reellement pris la configuration qu'on lui connait actuellement: Existait-il tel quel en 1222, lorsque Gebeno evoque un livre en 8 sections selon la creation ? Eut-il d'emblee le second rang dans le Liber subtilitatum (on sait que le «über de elementis» clot la serie des livres dans le manuscrit Bruxelles, Bibliotheque royale, cod. 2551)? Son nom meme n'est-il pas une deformation de de erementis qui conviendrait mieux ä son contenu et ä sa position finale dans le manuscrit de Bruxelles ?

97

C f . MÜLLER 1 9 9 5 , p . 3.

137

Reflexions

par de nombreux rapports; d'autre part, differents textes, en particulier medicaux, ont certainement inspire la composition des autres sections de l'ouvrage; enfin, meme dans les livres III et IV formes de passages du Liber subtilitatum mis bout ä bout, on peut sans doute distinguer differentes strates, et le livre IV a tout l'air d'un livre ne dans un second temps par rapport au livre III, dont il imite le principe, mais avec beaucoup moins de coherence. Le livre III du Cause et cure, on l'a dit, est dote de quelques lignes d'introduction tendant ä faire le lien avec ce qui precede, et le dernier de ses paragraphes peut etre lu comme une sorte de conclusion renouant avec la theorie et les principes generaux («Nunc autem de predictis infirmitatibus subscripte medicine a deo demonstrate aut hominem liberabunt aut ipse morietur aut deus eum liberari non vult», f. 71r); ä l'interieur de cette section, on s'est d'autre part efforce de suivre l'ordre «de capite ad calcem». Toutefois, meme dans ce livre III, des remedes ont ete clairement composes en deux temps au moins, et ä une premiere recette tiree de la Physica contre un mal particulier en a ete ajoutee une autre, issue d'un chapitre different. Au f. 64vb, 98 par exemple, la recette contre le mal de tete commengant par les mots «Accipe oleum olive ... abstergatur» est issue d'un chapitre «De Oleybaum» tel que dans le manuscrit de Florence," et eile est venue grossir un chapitre puise originellement dans une notice consacree ä la sauge dans le Liber subtilitatum;'00 f. 66vb-67ra on a de meme un paragraphe («Qui de putrido sanguine . . . » ) qui commence avec une recette tiree d'une notice sur Pabsinthe, 101 sur lequel est venu se greffer un remede («Qui in dentibus dolet ... et melius habebit») tire d'un chapitre sur la ronce, 102 etc.; enfin, au f. 70ra («si qui ergo ... desuper ponat» 103 ) on a un cas de repetition interessant d'une meme recette puisque la fin du paragraphe, tout en resumant la recette, introduit dans son resume des termes vernaculaires qui ne figuraient pas dans la recette du debut du paragraphe, «kusmalz» et «malzkuchin». Quant au long paragraphe precede de la rubrique «De pulmonis dolore», f. 67va-68ra, 104 il est constitue d'extraits de deux chapitres differents du Liber subtilitatum et d'un passage du Cause et cure lui-meme tel qu'on peut le lire f. 36va-36vb: «Alii homines sunt, qui in nebulosa et humida temperie . . . » . Le «liber IV» est le plus decousu, ce qui se traduit par une repetition des memes rubriques souvent a peu de distance («de sanguine», «de oculorum caligine ...»); c'est dans ce livre aussi que le rubricateur a ecrit «nihil inveni, nihil scripsi», en lieu et place d'une rubrique. On y trouve egalement des paragraphes

98

HILDEGARDIS Causae,

p. 167.

99 Cf. ms. Ashburnham 1323, f. 39r. 100 Cf. HILDEGARDIS Physica I 63, col. 1154C. 101 HILDEGARDIS Causae,

p . 1 7 3 ; c f . HILDEGARDIS Physica,

102 Cf. HILDEGARDIS Physica, I 169, col. 1193C. 103 HILDEGARDIS Causae,

p. 181.

104 HILDEGARDIS Causae,

p. 1 7 5 - 1 7 6 ; cf. i b i d e m , p. 97.

I 109, col. 1 1 7 2 D .

138

Laurence

Moulinier

ecrits (et non copies) en deux temps au moins comme ceux que nous avons mis en evidence pour le «über III»: ainsi f. 76vb, de «Accipe ergo kumel» jusqu'ä «manduca», la recette ne fait que repeter toute la premiere partie du paragraphe. 105 Les folios 79-80 sont manifestement eux aussi le lieu d'accumulations du meme ordre: ä une recette dejä fort longue et non exempte de digressions contre l'epilepsie s'enchaine une serie de recommandations cette fois non plus d'ordre therapeutique mais dietetique, dans laquelle on reconnait entre autres un echo des prescriptions du Pantegni de Constantin l'Africain ainsi qu'un rappel de conseils dietetiques prodigues plus haut dans le recueil, ä propos de la saignee.106 Enfin, non seulement ces deux livres sont des transplants, mais une distance avec leur source d'inspiration originelle se laisse reperer de ci de lä. Ainsi, un passage f. 67va-68ra cite plus haut est en contradiction apparente avec un des chapitres qu'il semble demarquer: «lunchwurt accipiat et earn in aqua coquat, et non in vino, quia herba haec cum vino nimium fortis esset» contredit «Et cum pulmo inflatus est, si lunckwurtz in vino coctam saepe bibit, ut praediximus, pulmo eius ad sanitatem recuperatur». 107 Des le chapitre d'ouverture du «liber IV», intitule «Item de menstrui retentione», on note une modification par rapport ä la recette d'origine («anesum» remplace «tanacetum» 108 ), et on comparera dans la meme optique la recette du f. 76ra («Accipe salvia(m) minus quam cituwar et feniculum plus quam salvie et cituwar. Postea sume merlinsen et vicwur bis tantum ut merlinsen et synape, que in campo crescit, eodem pondere ut vicwur atque herbam, i i m cleddun crescunt, minus, quam merlinsen sit»109) et celle du f. 80ra (qui reproduit un extrait du chapitre 15 du «Über de plantis» de la Physica) dont eile semble un resume infidele; 110 que la recette du f. 76r s'in105 Cf. H I L D E G A R D I S Causae, P . 2 0 0 . 106 Comparer H I L D E G A R D I S Causae, p. 125: «Minutus autem sanguine in vena diversos cibos et assos ... Caseum autem minutus devitet», et p. 208: «Caseos quoque et ova et cruda olera ... cervisiam bibat»: cf. C O N S T A N T I N U S A F R I C A N U S Pantegni Practica, V , 17, f. 99r. Sur la valeur du Cause et cure pour l'histoire de la dietetique, voir S T R Ü -

BING 1 9 6 3 - 6 4 .

Physica, I 2 9 , col. 1 1 4 2 A . Physica, 1 1 1 1 , col. 1 1 7 4 B D . 109 H I L D E G A R D I S Causae, p. 198. 110 H I L D E G A R D I S Causae, p. 209: «Homo, quem vich fatigat, modicum zinziberi et plurimum cinamoni accipiat et hec pulverizet. Deinde tollat salvie minus quam zinziberi et feniculi plus quam salvie et tanaceti minus quam salvie atque hec in mortario ad succum terat ac per pannum colat. Deinde mel in vino modice coquat et ei parum albi piperis addat, vel si illud non habuerit, parum de nimmolo et predictum pulverem ac predictum inmittat succum. Postea merlinsen sumat et tormentille bis tantum ut merlinsen et sinape, quod in campo crescit, eodem pondere ut tormentilla ponderata est, atque herbam illam, in qua minutissime filiantropos crescunt, minus quam merlinsen sit, et hec in mortario ad succum terat et trita in saccellum ponat atque prefatum mellitum et pulverizatum vinum superfundatur et ex hoc velut lutridranc 107 108

Cf. Cf.

HILDEGARDIS HILDEGARDIS

Reflexions

139

spire eile aussi du Liber subtilitatum, cela est indeniable, mais la distance est manifeste entre ce chapitre du Cause et cure et sa source d'inspiration. 1 " U n dernier exemple de ces decalages est fourni par le mysterieux mot «orfune» (f. 81va), qui apparait sous la forme «orfime» ä plusieurs endroits du Liber subtilitatum·. Reiner Hildebrandt a montre que son etymon probable est «rosime», 112 devenu «orsime» par une metathese qui caracterise le parier rhenofranconien, comme avec «ors» et «roß»; 1 1 3 or, si le «orfime» du Liber subtilitatum est dejä sans doute une deformation du «orsime» qu'aurait pu utiliser Hildegarde, «orfune» represente une deuxieme etape de cette alteration." 4 Aux emprunts au Liber subtilitatum s'ajoutent done des discordances, et ce meme hors des livres III et IV. Prenons par exemple au f. 3va la phrase «ut achates ferrum ad se trahit»: dans le Liber subtilitatum il est bien question d'une pierre qui attire le fer, mais eile est nommee «magnes», l'aimant, comme par exemple chez Isidore de Seville; 115 si «achates» figure dans le Liber subtilitatum, il designe une pierre precieuse, l'agate. O r il s'avere que «age-stein, aget-stein» pouvait designer, en moyen haut allemand, indifferemment l'aimant ou l'ambre. 1 1 6 Le scribe a pu lire «magnes», le traduire dans sa langue maternelle par «agetstein» et le restituer en latin sous sa forme la plus proche de son nora allemand, «achates». Quoi qu'il en soit, ce n'est pas le meme auteur qui a ecrit le passage sur le «magnes» dans le Liber subtilitatum et celui sur l'«achates» dans le Cause et cure. Enfin, au milieu de tant de discontinuite, une rupture encore plus nette que les autres est reperable au paragraphe surmonte de la rubrique «Contra vermem»: les paragraphes que l'on peut y lire ensuite non seulement ne sont plus organises par maladies (on trouve «De calybe», «De ovibus», etc., qui renoue avec l'ordre du Liber subtilitatum) mais en outre ils repetent certains passages du Cause et cure. Ainsi, de «si equo aut bovi jusqu'ä modicum sanguinis», f a c i e n s . Q u i a u t e m p r e d i c t u m d o l o r e m p a t i t u r , p o t u m i s t u m , q u a n t u m u n o halitu b i b e r e p o t e s t , i e i u n u s b i b a t et simili m o d o ad n o c t e m , c u m se in l e c t u m r e p o n i t , et h o c f a c i a t , u s q u e d u m s a n e t u r » : cf. H I L D E G A R D I S

Physica,

I 15, c o l . 1 1 3 6 D - 1 1 3 7 A .

111 V o i r aussi la r e c e t t e p. 181 («Si m a l u s f u m u s de s t o m a c h o ad ylia h o m i n i s . . . » ) : p a r r a p p o r t Ä la r e c e t t e du

Liber subtilitatum

(HILDEGARDIS

Physica,

I 63, col. 1 1 5 4 C D )

il y a eu s u b s t i t u t i o n de « s t i c h w u r t z » ä « s e u w u r t z » . 112 Cf.

Summarium Heinrici,

I, p. 3 7 9 : « r o s ( i ) m e » ; cf. LEXER 1 8 7 2 - 7 8 , I I , c o l . 4 9 3 : « r o -

seme». 113 C f . HILDEBRANDT 1 9 9 7 b , p. 1 2 9 :

sime/roseme.

orfime/orfune/orphune

«scrofula, lentigo» mha.

114 « O r p h u n e » , tel q u ' o n le t r o u v e p a r e x e m p l e au f. 5 8 du ms. d u Liber

subtilitatum

rode

W o l f e n b ü t t e l ( H e r z o g - A u g u s t - B i b l i o t h e k , c o d . 5 6 , 2 . A u g . 4"), d a t a n t p r o b a b l e m e n t de la t o u t e f i n du X I I I C siecle, est sans d o u t e u n e t r o i s i e m e e t a p e de la d e g r a d a t i o n de ce v o c a b l e .

Physica, Etymologiae,

115 H I L D E G A R D I S ISIDORUS

I V 18, c o l . 1 2 6 2 C : «et f e r r u m n a t u r a l i t e r p o s t se t r a h i t » ; cf. X V I , 4, 1.

116 C f . LEXER 1 8 7 2 - 7 8 , I, 2 8 : « a g e - s t e i n , a g e t - s t e i n : B e r n s t e i n u n d M a g n e t s t e i n . »

140

Laurence Moulinier

f. 83rb, on a une redite d'un passage qui, dans le livre II, etait surmonte de la rubrique «De minutione bruti», f. 49ra, succedant lui-meme ä un «De scarificatione» et precedant un «De cocturis», done integre dans une succession de paragraphes beaucoup plus coherente ayant pour fil directeur le theme de la saignee.

5. U N E CEUVRE S T R A T I F I E E

Hermann Fischer, qui doutait de l'authenticite du Cause et cure, emettait l'hypothese d'un admirateur de Hildegarde assez fin connaisseur de son systeme de pensee pour composer, entre la mort de l'abbesse et l'ouverture de son proces de canonisation, un second ouvrage fidele ä son enseignement. 117 De fait, ä premiere vue, le Cause et cure se presente comme un ecrit «hildegardien», dans lequel on peut montrer de nombreux «loci paralleli» avec le reste de la production de Hildegarde, et ce des le premier folio, ä propos de la creation des anges 118 ou de la chute de Lucifer: 119 du point de vue des idees et du style, on retrouve apparemment largement l'univers et les leitmotive (comme le recit de la chute d'Adam) de la religieuse. U n tel constat doit toutefois etre nuance des la fin du «Über II» si Ton se souvient que les sections III et IV du traite se presentent comme entierement constitutes d'extraits du Liber subtilitatum tel qu'on le connait aujourd'hui d'apres le manuscrit de Florence: dans ces sections III et IV du Cause et cure, il ne faut plus parier de «loci paralleli» mais d'excerpta et il est clair que nous n'avons plus affaire ä un texte con9U par Hildegarde. La these d'un ecrit originel qui aurait ete grossi par des sections ajoutees par la suite n'est done pas a exclure a priori, mais le probleme est d'autant plus difficile ä trancher que n'ayant qu'un manuscrit, nous n'avons aucun point de comparaison. O n peut toutefois poser aujourd'hui cette question des ajouts d'une nouvelle maniere. Le grand suspect, de ce point de vue, a longtemps ete la «sixieme section» de l'oeuvre, et il est vrai que le traite ne correspond que jusqu'au livre V inclus ä la triade «cause», «eure» et «signa» mentionnee par Gebeno. Hans Liebeschütz, bien qu'il ait magistralement mis en evidence l'unite entre les ecrits scientifiques et les autres textes de Hildegarde, refusait l'authenticite de ce «livre VI», en alleguant que l'astrologie qui y etait exposee se differenciait nettement des vues 117 FISCHER 1929, p. 27. Charles Singer estimait p o u r sa part que l'oeuvre datait du X I I P siecle, comme le manuscrit; cf. SINGER 1917, p. 12. 118 C o m p a r e r par exemple «Et verbum patris sonuit ... q u o d angeli sunt» et HILDEGARDIS LDO, I 1, 9: « N a m quando Deus dixit: , racionalis lux exorta est, scilicet angeli.» 119 C o m p a r e r «Et cum Lucifer... in illud cecidit» et, entre autres, HILDEGARDIS LDO, I 1, 7: « C u m enim Deus p r i m u m angelum, qui Lucifer dictus est ...», ou HILDEGARDIS LDO, 14, 12: « O m n e m quippe pulcritudinem o p e r u m ... et eum Lucifer nominavit.»

Reflexions

141

en la matiere exposees ailleurs par Hildegarde, 120 et Heinrich Schipperges s'est rallie a cette opinion. 121 O r il est egalement question d'astrologie dans d'autres sections du traite: 122 si le «livre VI» est un ajout, pourquoi done serait-il le seul, comme le faisait dejä remarquer Bertha Widmer, qui plaidait pour une authenticite partielle du Cause et cure123? Le «livre V» lui-meme tranche avec ceux qui le precedent, et on a dit plus haut ce qu'il fallait penser des «libri» III et IV ... J'expliquerais pour ma part comme suit les etapes de la genese de ce traite, dont l'analyse revele une composition stratifiee. Ses deux premieres sections, dans lesquelles on trouve de tres nombreux «loci paralleli» avec le reste de l'oeuvre de la nonne, sont incontestablement par leur matiere et par leur style et pourraient constituer un noyau primitif authentique contamine par la suite, un ecrit laisse par Hildegarde et retrouve apres sa mort, bien que l'idee d'un ecrit inacheve mais deja couche sur le parchemin soit difficilement imaginable: si l'on se souvient ici que Hildegarde elle-meme et Volmar evoquaient un Liber subtilitatum, pourquoi ni l'abbesse ni aueun de ses contemporains, en particulier ses secretaires, n'aurait-il souffle mot d'un deuxieme traite? Barbara Newman propose pour sa part de voir dans Cause et cure une ceuvre ecrite sur une longue periode, et sans doute jamais assemblee sous une forme definitive, 124 et il semble de fait plus prudent d'imaginer ici non pas tant un ecrit laisse par l'abbesse, que des notes retrouvees apres sa disparition, ä l'instar des pretendues «notes autobiographiques» que Theoderich insera dans la Vita S. Hilde gardis.i2S A suivre cette hypothese, il pourrait s'agir de notes accumulees par Hildegarde en vue de la preparation de son Liber diuinorum operum, par exemple, avec lequel Cause et cure presente de tres nombreux paralleles, bien qu'il soit assez difficile de concevoir sous quelle forme de telles notes auraient pu se presenter: on sait que Hildegarde utilisait des tablettes de cire pour une sorte de «premier jet» 126 et il n'est guere pensable qu'on en ait retrouve (et done conserve) une quantite correspondant au nombre de folios concernes ici. A la reflexion, on peut d'ailleurs se demander si la principale source d'inspiration des deux premieres sections du Cause et cure n'est pas le Liber diuinorum operum lui-meme, pour l'achevement duquel Hildegarde se fit aider par l'abbe

120 LIEBESCHÜTZ 1930, p. 85, n. 2. 121 C f . HILDEGARD Heilkunde, 122 V o i r HILDEGARDIS Causae,

p. 4 1 - 4 2 . p. 17: « N a m o m n i a s e c u n d u m Iunam t e m p e r a n t u r » ; p. 97:

«Alii h o m i n e s sunt, qui in n e b u l o s a et h u m i d a t e m p e r i e aeris c o n c i p i u n t u r , etiam f e t e n t e m et male o d o r a n t e m

halitum et male o d o r a n t e m

sudorem

unde

semper

h a b e n t » ; ou p. 9 8 «Sed alii h o m i n e s sunt, qui c o n c i p i u n t u r , c u m sol in c a n c r o est . . . » 123 W I D M E R 1 9 5 5 , p. 18. 124 NEWMAN 1 9 8 7 , p. 126. 125 C f . D R O N K E 1 9 8 4 , p. 2 3 1 - 2 4 1 . 126 C f . n o t a m m e n t DEROLEZ 1 9 7 3 , p. 2 9 1 - 2 9 5 .

142

Laurence Moulinier

Louis de Saint-Euchaire de Treves: 127 comme dans ce livre, le role des elements et des humeurs est ici fondamental (meme si, dans le Liber diuinorum operum, le systeme des humeurs ou des elements, tres longuement expose dans la 3eme vision de la premiere partie, est avant tout un point de comparaison pour un message spirituel) et on ne peut manquer d'etre frappe aussi par l'egale importance que revetent les exposes sur les regions du monde, les vents ou les planetes dans la deuxieme et dans la quatrieme vision de la premiere partie du Liber diuinorum opemm comme dans la premiere section du Cause et cure. De tres nombreux themes et termes, 128 voire une figure de style comme 1' annominatiou9 sont communs aux deux oeuvres mais il est clair que le dernier livre visionnaire de Hildegarde se distingue radicalement de Cause et cure par sa perspective essentiellement exegetique. Les deux sections centrales du Cause et cure, les «libri» III et IV, sont par leur matiere mais non dans leur organisation comme on Γ a vu. La cinquieme section, plus nettement orientee vers la semiologie medicale, fait place principalement ä des considerations sur l'urine et sur le pouls, et entre de fait en resonance avec certains traites medicaux specifiques. La sixieme et derniere section du codex constitue un lunarium comme il en existait beaucoup ä l'epoque de Hildegarde, mais selon par exemple H. Schipperges, tenant de l'idee que Hildegarde ne doit rien ä la medecine arabe, un determinisme astral d'origine Orientale y serait ä l'oeuvre et plaiderait contre I'authenticite de cette section. 130 O r en fait, d'une part le lunarium ne contredit pas les vues exprimees dans le reste du codex en matiere d'astrologie, et il ne faut peut-etre pas, d'autre part, s'etonner outre mesure du fait que soit pris ici en compte non le jour de la naissance mais celui de la conception: personne ne sait jamais le jour ou il a ete congu, et l'auteur du lunarium illustrerait une fois de plus Pimportance de la recherche des causes cachees, tel caractere ou telle constitution pouvant s'expliquer par l'etat de la lune au moment de la conception. Somme toute, les

Cf. H I L D E G A R D I S Epistolarium I I , ep. 2 1 5 R , p. 474: «Librum q u o q u e . . . qui n o n d u m finitus est, mox tibi ad corrigendum dabo, cum perfectus et scriptus fuerit.» 128 U n exemple parmi beaucoup d'autres est le motif de la lune, ä laquelle sont consacres de n o m b r e u x passages dans les deux traites; dans H I L D E G A R D I S Causae, p. 1 7 , eile est appelee «mater o m n i u m temporum», et dans le Liber diuinorum operum o n lit ä son sujet: «omnia tempora velut mater infantem nutriret» (HILDEGARDIS LDO, I 4, 99). Mais ce theme est egalement a b o n d a m m e n t represente dans le Scivias ; comparer par exemple H I L D E G A R D I S Scivias, I I 5 , p. 1 7 6 («Et ut luna semper incrementum et defect u m in constitutione habet, sed a se ipsa n o n ardet nisi q u o d a lumine solis incenditur») et Causae, p. 8: «lumen suum in lunam mittit, cum ad eum accedit, ut vir semen suum in feminam mittit ... nec u n q u a m ab hoc cessat.» 129 La formule «circuiens circulus» est recurrente en plusieurs endroits du Liber diuinorum operum ou de la Symphonia, par exemple, et on peut en rapprocher entre autres le « f u m u m fumigantem» du H I L D E G A R D I S Causae, p. 1 5 2 . 130 Cf. H I L D E G A R D I S Heilkunde, p. 4 1 - 4 2 . 127

Reflexions

143

principes et l'intention ä l'oeuvre dans le lunarium ne different pas grandement de la caracterologie predisant le sexe et les qualites de l'enfant ä naitre selon l'amour que se portent ou non ses parents 1 3 1 ou encore de la typologie des caracteres exposee longuement au «liber II»: 1 3 2 dans tous les cas, il s'agit de prefigurer la vie, et notamment la resistance aux maladies, d'un individu, selon des causes inconnues du plus grand nombre et qui sont ici revelees. Toujours selon H . Schipperges, un certain vocabulaire aristotelicien ä l'oeuvre dans le lunarium, et notamment le terme de «substantia», jetterait une lueur suspecte sur son authenticity: il me parait toutefois que «substantia» n'est pas ä prendre au sens scolastique de «sujet des accidents», voire d'«essence», mais, selon les passages, soit c o m m e synonyme de «moyens de subsistance», «fortune», soit au sens de «capacite de supporter»; enfin, quand bien meme en certains endroits il devrait signifier «etre» ou «essence», point n'est besoin d'invoquer Aristote puisque Quintilien ou Seneque utilisaient dejä le terme dans cette acception. 1 3 3 Enfin, il s'agirait d'un livre ajoute, et H . Schipperges en veut pour preuve l'initiale decoree sur laquelle il s'ouvre et qui signale le debut d'une nouvelle section dans le reste du codex. 1 3 4 Difficile pourtant d'imaginer que seul ce pretendu livre aurait ete ajoute, et qu'il serait venu se greffer sur une oeuvre d'origine representee par le reste du codex jusqu'au f. 89. E n revanche, je pense qu'il est venu lui aussi grossir une oeuvre heterogene dont la configuration initiale nous echappe, et qu'il n'est pas le seul: il est un alien, comme les sections III et I V et meme comme la premiere partie du livre V, consacre aux signes de la vie et de la mort, et done d'une tonalite resolument medicale. La sixieme section pour sa part n'est d'ailleurs pas elle-meme d'un seul tenant: au f. 9 I v b , le paragraphe «Elementa autem unamquamque . . . » est une redite par rapport au f. 7rb, bien que dote d'une rubrique differente, et l'on trouve ä sa suite, pele-mele, des considerations sur les herbes, sur le developpement et le caractere de l'enfant selon la qualite du sang dont il est ne; les deux derniers paragraphes, sur lesquels se conclut le codex, sont tires l'un du chapitre « D e abiete» du Liber subtilitatum teile qu'on le connait dans le manuscrit de Florence, l'autre du present codex,

131 Voir ainsi HILDEGARDIS Causae, p. 35: «Nec aliter fieri potest, quin masculus coneipiatur ... Et hic masculus prudens et virtuosus erit, quia sic in forti semine ac in recto amore caritatis utrorumque, quem ad invicem habent, conceptus est.» 132 Voir par exemple HILDEGARDIS Causae, p. 51: «Unde si in quolibet homine siccum flecma superexcellit humidum et humidum spumam et tepidum ... Et sanus est et diu vivit, sed ad plenam senectutem non pervenit, quia, postquam caro eius ab igne exsiccata fuerit, plenum adiutorium de humido non habet.» 133 Cf. QUINTILIANUS De institutione oratoria, VII, 2, 5, et SENECA Epistolae, 113, 4, cite par GAFFIOT 1 9 3 4 , p. 1 5 0 0 .

134 HILDEGARD Heilkunde,

p. 41-42.

Laurence Moulinier

144

f. 63va. Enfin, le colophon («Expliciunt prophecie sancte Hildegardis» 135 ) ne correspond pas au contenu du livre, mais bei et bien ä l'image de prophetesse etroitement associee ä Hildegarde qui culminera dans l'appellation de «Sibylle du Rhin» - ä moins que le second scribe, auteur de la formule, ait exprime par lä son sentiment de la proximite de la medecine et de la prophetie, deux mondes ou il s'agit de prevoir, et qu'il ait sanctifie la masse de pronostics renfermes par l'oeuvre dans son ensemble en les qualifiant in fine de «prophetie»: «II faut que le medecin soit tel un prophete, afin qu'il puisse juger non seulement du present mais aussi du passe et du futur», disait entre autres Hugues de Fouilloy chanoine de Saint-Laurent-au-Bois pres de Corbie, au debut du XII e siecle.136 Le Statut de «piece rapportee» du seul «livre VI» parait done ä revoir: si ajout il y a, il n'est pas le seul ä en relever, et ä vrai dire, ce sont les quatre dernieres sections du traite, qui peuvent etre considerees comme dubia, et tenues pour des complements, des prolongations apportees ä un hypothetique noyau hildegardien d'origine. Pour resumer, il parait desormais certain que nous n'avons pas affaire ici ä un ecrit con9u et compose par l'abbesse sous cette forme mais bei et bien ä une compilation realisee par d'autres apres sa mort, probablement dans les annees ou se fit jour la volonte d'obtenir sa canonisation mais pas forcement ä l'appui de cette demande: aueun temoignage du vivant de l'abbesse n'atteste une telle oeuvre, les premiers temoignages ä son sujet ne sont pas exempts de tout soupςοη et le texte se presente comme fortement stratifie. O n peut done tabler que le Liber compositae medicinae attribue ä l'abbesse a ete ΰοηςυ entre 1180 et 1220: meme si les deux premieres sections de l'ouvrage ont reellement ete composees par ses soins (encore le liber secundus me semble-t-il trop desordonne pour pouvoir etre retenu dans son entier comme con£u par Hildegarde), elles ont de toute fa£on ete completees par la suite. Il faut done attribuer la composition du traite ä un ou des continuateurs, bons connaisseurs de son oeuvre et desireux de l'amplifier. Comme le Fragment de Berlin avec lequel de nombreux points de convergence existent, le Cause et cure a pu etre compose en s'appuyant sur l'ensemble de l'oeuvre de l'abbesse, puisqu'on peut trouver jusque dans ses lettres ou dans ses poesies des points de comparaison. Enfin, si la periode 1180-1220 est bien celle de sa genese ou de son amplification, la forme que prit l'oeuvre pendant ce temps est-elle pour autant la forme sous laquelle elle nous est connue ? Nous avons vu qu'un temoignage au moins, certes du XV e siecle, l'inventaire des livres de la bibliotheque de l'eglise du Saint-Esprit ä Heidelberg, renvoyait ä une autre configuration possible du traite, et l'extrait qui en est contenu dans le Fragment de Berlin ne manque pas 135 Meme L. T h o r n d i k e et P. Kibre reproduisent cette confusion entre prophetesse et femme de science en faisant figurer un manuscrit du Speculum de G e b e n o (Bourges, BM, 367, XIII 0 s., f. 24-28r) dans leur catalogue de manuscrits scientifiques; cf. KIBRE/THORNDIKE 1 9 6 3 , c o l . 1371 et 1 5 9 5 . 136 H U G O DE FOLIETO

De medicina animae, col.

1195-1196.

Reflexions

145

non plus de soulever la question de la forme originelle de l'oeuvre: pas plus que le Liber subtilitatum, le Cause et cure n'apparait comme une ceuvre stable au cours du Moyen Age, et differents temps dans la composition du texte sont ä soupqonner. Mais rappelons que, faute de points de comparaison, nous avan£ons comme sur des sables mouvants: comment savoir ainsi si le deuxieme copiste a integralement transcrit un modele ou si, une fois achevee la copie de la deuxieme section que le premier scribe avait abandonnee en cours de route au beau milieu d ' u n paragraphe, il n'a pas pris d'initiatives de lui-meme? II est evidemment impossible d'identifier ce ou ces continuateurs, mais quelques noms se presentent ä l'esprit, ceux d'acteurs tout ä fait centraux dans l'histoire de la transmission des oeuvres de Hildegarde et de leurs transformations: celui de Theoderich d'Echternach d'abord, principal redacteur de la Vita sanctae Hildegardis et auteur des Octo lectiones en son honneur; 1 3 7 celui de Gebeno d'Eberbach, auteur du Speculum futurorum temporum et artisan de la posterite deformee de la visionnaire; celui de Guibert de Gembloux enfin, dernier secretaire de l'abbesse, principal organisateur du Riesenkodex et auteur «rate» d'une Vie de Hildegarde. 1 3 8 C'est par son entremise que les Cisterciens de Villers-en-Brabant avaient soumis ä la nonne un corpus de 38 questions dont certaines ont ici un prolongement incontestable 139 , et Guibert en outre, n'est pas sans rapport avec Saint-Maximin puisqu'un manuscrit de ses lettres est origin a t e de ce monastere, le codex Berlin, Staatsbibliothek, Phillipps 1840, oü les lettres de Guibert se trouvent copiees vers la fin, notamment aux folios 146r163r. 140 Dans une lettre adressee ä Philippe de Heinsberg, archeveque de Cologne, en 1180, Guibert lui-meme disait d'ailleurs clairement qu'il lui envoyait deux textes composes par Hildegarde mais rediges par lui, «suo quidem prolatas sensu, sed meo exaratas stilo». 141 E n t e n d o n s - n o u s : il ne s'agit pas ici de designer ä tout prix un ou des compilateurs inavoues comme on tente de faire parier un suspect! Mais chacun ä sa maniere, Theoderich, Gebeno et Guibert avaient ouvert une voie en elaborant ou en remaniant, apres la mort de l'abbesse, des ecrits la concernant ou lui revenant, et son oeuvre scientifique n'a apparemment pas echappe ä cette tendance. II semble done necessaire, p o u r conclure, de prendre de l'altitude avec le traite Cause et cure, p o u r lequel rappelons-le, nous n'avons ni manuscrit ni

137 Cf. HILDEGARDIS Lectiones octo. 138 Voir sa Vita in: HILDEGARDIS Analecta, p. 407-414. 139 HILDEGARDIS Causae, p. 1: «Et verbum patris sonuit ... quod angeli sunt»: cf. HILD E G A R D I S Solutiones, 1, col. 1 0 4 0 : «materiam o m n i u m caelestium et terrestrium ... et istae duae materiae simul creatae sunt et unus circulus apparuerunt»; HILDEGARDIS Causae, p. 4: «Unde aque ... in superioribus sunt»: cf. HILDEGARDIS Solutiones, col. 1041A: «illae superiores aquae in primo statu suo, sicut Deus eas constituit, persistunt ...»; Causae, p. 6: «superiora firmamenti»: cf. Solutiones, col. 1041A; etc. 140 C f . GUIBERTUS Epistolae,

p. X X X I I I .

141 C f . GUIBERTUS Epistolae,

e p . 15, p . 2 1 5 .

146

Laurence Moulinier

temoignage du Χ Ι Γ siecle. Tel qu'il se presente dans l'unique temoin, il est le resultat de plusieurs interventions et differents indices invitent ä y voir une compilation posterieure ä Hildegarde, bien que lui empruntant une grande part de sa matiere, et sans doute due ä un ou plusieurs de ses zelateurs: en definitive, sans aller jusqu'ä l'attribuer entierement ä une Pseudo-Hildegarde comme le suggere le titre resolument provocateur de cette etude, nous ne pouvons le tenir que pour un opus dubium. Curieux destin, en verite, que celui de cette ceuvre: visiblement vouee ä une circulation fort reduite au M o y e n Age, enfouie ensuite sous une chappe de silence jusqu'au XIX C siecle, eile n'est sortie de l'oubli que pour mieux connaitre l'ere du soup9on ä la fin de ce siecle, 142 au moment meme ou eile jouit d'une gloire sans precedent aupres du grand public qui, non seulement ne doute pas que Hildegarde en soit l'auteur, 1 4 3 mais tente de la faire sienne envers et contre tout.

142 143

Cf. M O U L I N I E R 1995 et 1997a; M Ü L L E R 1995 et 1997; H I L D E B R A N D T 1997a. Cf. F L A S C H 1 9 9 8 , p. 4 2 : «Die Befürworter der Hildegard-Medizin... äußern unprofessionnelle, vage, naiv-moderne Kriterien der Echtheit.»

Wo lebte die heilige Hildegard wirklich? Neue Überlegungen zum ehemaligen Standort der Frauenklause auf dem Disibodenberg v o n EBERHARD J.

NIKITSCH

Wer mit dem Kloster Disibodenberg erwartungsvoll die Stätte sucht, wo Hildegard als junges Mädchen am Allerheiligentag des Jahres 1112 ihre Profeß ablegte, um als Inklusin in die Frauenklause des kurz zuvor gegründeten Benediktinerklosters einzutreten, wird nicht enttäuscht werden: Die hochaufragenden Klosterruinen beeindrucken noch heute durch ihre Lage auf einer bewaldeten, weithin sichtbaren Anhöhe über dem Zusammenfluß von Nahe und Glan und ziehen die Besucher geheimnisvoll in ihren Bann. Neu angelegte Wege und Hinweisschilder führen allerdings rasch in die Realität zurück, zudem vermitteln die sorgsam präsentierten Funde in dem neu eröffneten Museum am Fuß des Berges einen nachhaltigen Eindruck von der reichen Ausstattung der 1259 von Zisterziensern übernommenen und 1559 aufgehobenen Klosteranlage. 1 Wer aber auf dem Disibodenberg mit der Frauenklause den authentischen Ort sucht, an dem Hildegard wirklich lebte, wo sie nach dem Tod der Meisterin Jutta von Sponheim im Dezember des Jahres 1136 die Leitung der Frauengemeinschaft übernahm und mit dem Liber Scivias ihre erste große visionäre Schrift verfaßte, von wo aus sie schließlich mit ihren zwanzig Gefährtinnen kurz vor der Mitte des 12. Jahrhunderts aufbrach, um auf dem Rupertsberg bei Bingen ein eigenes Kloster zu besiedeln - wer also heutzutage die Wohn- und Arbeitsstätte Hildegards auf dem Disibodenberg aufsuchen will, dürfte eher enttäuscht werden: Er wird vor eine neuzeitlich rekonstruierte Mauer mit der Hinweistafel „Frauenklause ?" geführt, die deren mutmaßliche Lage südwestlich der Ruinen der Klosterkirche andeuten soll. Allerdings zeugt die liebevolle Gestaltung des erhöht dahinter liegenden Terrains mit Rosenbüschen und Ruhebänken von der seit einigen Jahrzehnten verstärkt zu beobachtenden Verehrung der Heiligen an diesem Ort. 2 Daneben vermitteln aber auch die von unbekannter Hand angelegten labyrinthartigen Wege und merkwürdigen Steinformationen einen eher ambivalenten Eindruck von der Anziehungskraft dieses 1 2

Vgl. d a z u zuletzt im Ü b e r b l i c k NIKITSCH 1998. D e r Kult der nie kanonisierten „Volks"-Heiligen war im Mittelalter lokal eng begrenzt, dehnte sich während des 17. Jahrhunderts regional aus und erfuhr spätestens mit den Feierlichkeiten zu ihrem 750. Todestag in den dreißiger Jahren des 20. J a h r h u n d e r t s nationale und in den letzten Jahrzehnten auch internationale Verbreitung; vgl. d a z u HINKEL 1979 sowie KRASENBRINK 1997.

Eberhard J.

148

Nikitsch

Platzes auf bestimmte Besucherkreise, die sich nicht nur auf der Suche nach der historischen Wirkungsstätte Hildegards befunden haben dürften. Bei dem Versuch, sich der Geschichte dieses speziellen, für viele Besucher zentralen Ortes ernsthaft zu nähern, fällt zunächst auf, daß die Frage des Standorts der Frauenklause auf dem Disibodenberg in der älteren Literatur nicht behandelt wird. 3 Auch in dem ersten größeren, bereits 1853 aufgelegten Klosterführer 4 w i r d dieser Frage ebensowenig Beachtung geschenkt wie in einer Mitte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts erschienenen, grundlegenden Studie zur frühen Klostergeschichte. 5 Selbst in dem einem heimatkundlichen Aufsatz über den Disibodenberg 6 aus dem Jahre 1959 beigefügten Grundriß des Klosters und auch in dem Lageplan einer 1983 erschienenen heimatkundlichen Monographie 7 w a r noch keine Frauenklause verzeichnet. So verwundert es nicht, daß sich selbst der kenntnisreiche Verfasser der Geschichte des Klosters Disibodenberg für die Festschrift z u m 800. Todestag Hildegards darauf beschränkte, die Lage der Frauenklause unbestimmt als „im Klosterbereich" 8 befindlich anzugeben. Gleichzeitig gab es in jüngerer Zeit immer wieder Versuche, den Standort der Frauenklause genauer zu bestimmen. Meist ohne nähere Begründung wurden etwa der Osthang am Fuße des Disibodenberges an der Stelle des heutigen Disibodenberger Hofes vorgeschlagen, 9 dann der Platz zwischen der südlichen Ecke des Chors und dem Querschiff der Klosterkirche, 1 0 eine Stelle an der Nordseite des Querschiffs 1 1 oder ein Ort irgendwo im Süden der Klosterkirche. 12 Als dann Günther Stanzl im Jahr 1985 mit den Sicherungsmaßnahmen im Bereich der Klosterruine begann, die aufgrund seiner Entdeckungen in langjährige Forschungs-, Grabungs- und Restaurierungstätigkeiten mündeten, 1 3 mußte er sich zwangsläufig auch mit dem Areal südwestlich der Klosterkirche auseinandersetzen, das zwischenzeitlich als mutmaßlicher Standort der Frauenklause galt. In der ausführlichen Diskussion seiner Grabungsergebnisse stellt Stanzl dazu unmißverständlich fest, daß „archäologisch zur Lokalisierung einer ... Frauenklause noch nichts gesagt werden kann" 1 4 und weist zur Begründung 4

Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Vgl. dazu Disibodenberg.

5

BÜTTNER

6

NAGEL

7

SCHWORM 1 9 8 3 , S. 3 4 9 .

8

SEIBRICH 1 9 7 9 , S . 6 2 .

3

F E L L 1 9 9 9 , S.

144f.

1934.

1959.

So erstmals R E M L I N G 1 8 3 6 , S. 158, und ihm folgend Disibodenberg Klosterruine, S. 137. - Die oben erwähnte Mauer vor der mutmaßlichen Frauenklause wird auf dem beigegebenen Plan (ebd. S. 125, Fig. 186) als erhaltener Teil der Klosterbefestigung aus dem Jahr 1240 bezeichnet. 10 M A Y 1929, S. 16.

9

11

OTTO 1 9 7 1 , S. 138.

12

SCHWORM

1972,

13

Vgl. dazu

STANZL

14

STANZL 1 9 9 2 , S . 5 3 .

S.

67, und übereinstimmend S C H W O R M 1983, 1985-86 und N I K I T S C H 1987.

S.

352.

Wo lebte die heilige Hildegard

wirklich ?

149

darauf hin, daß der heutzutage als Standort der Frauenklause betrachtete Bereich südwestlich der Klosterkirche im J a h r 1841 durch den Heidelberger Gartenarchitekten Ludwig Johann Metzger als eine Art Belvedere 1 5 angelegt worden war und daß eine Grabung an dieser Stelle wegen der hohen Aufschüttungen nicht durchgeführt werden konnte. Allerdings Schloß Stanzl aufgrund der anzunehmenden engen Nachbarschaft der Klause zur benediktinischen Klosterkirche 1 6 und mit Hinweis auf die Aussage Hildegards, daß sie deren Erbauung von Anfang an mitverfolgen konnte, nicht ganz aus, daß sich die Klause tatsächlich an dieser Stelle befunden haben und mittels eines „brükkenartigen, gedeckten Korridors" mit der Kirche verbunden gewesen sein könnte. Diese nicht von der Hand zu weisenden Überlegungen flössen auch in die entsprechenden Kapitel des Katalogs der großen Hildegard-Ausstellung des Jahres 1998 ein, 1 7 w o der Bereich südwestlich der Kirche mit dem sich daran anschließenden Südhang als möglicher Standort der Frauenklause bezeichnet und im beigefügten Grundriß des Klosters als „Frauenklause ?" markiert wurde. Meine etwa zur selben Zeit angestellten Vermutungen gingen unter Beachtung der zur Zeit Hildegards verbreiteten Inklusenregeln in eine andere Richtung. 1 8 Diesen Vorschriften zufolge sollte (im Idealfall) eine Seite der Klause an die Kirche stoßen und mit dieser durch ein Fenster verbunden sein, damit die Inklusinnen den liturgischen Handlungen beiwohnen und die Sakramente empfangen konnten. Zudem sollte über einen kleinen Vorraum ein zweites Fenster die Verbindung zur Außenwelt sichern und so die klösterliche Erziehung und religiöse Bildung der Inklusinnen ermöglichen. Dieses zweite Fenster diente auch zum Hineinreichen der Speisen und bot die Möglichkeit zum Gespräch mit auswärtigen Besuchern. D a jedoch durch die archäologischen Untersuchungen Stanzls keine Spuren von Fundamenten eines wie auch immer gearteten Anbaus an den Außenseiten der benediktinischen Klosterkirche nachgewiesen werden konnten, bot sich als möglicher Standort im näheren Umkreis der Kirche nur noch jener durch seine merkwürdige zellenartige Struktur bislang unidentifizierte, an den Westflügel des Kreuzgangs stoßende Bereich an, der meiner damaligen Meinung nach als Frauenklause gedient haben könnte. Zusammenfassend ist also festzuhalten, daß alle bisherigen Versuche zur Lokalisierung der Frauenklause auf dem Disibodenberg nicht mehr als mehr oder weniger plausible Vermutungen darstellen, daß der heute als Standort der ehemaligen Frauenklause bezeichnete Platz südwestlich der Kirche auf einer kaum zu begründenden Hypothese der letzten Jahrzehnte beruht und daß es daher äußerst fragwürdig ist, wenn in der neuesten Publikation zum Kloster

15

STANZL 1 9 9 2 , S. 19 mit A b b . 8.

16

Vgl. z u m F o l g e n d e n STANZL 1992, S. 53f., und ü b e r e i n s t i m m e n d STANZL 1996, S. 2 1 5 .

17

Vgl. dazu KOTZUR 1 9 9 8 , S. 5 8 mit A b b . S. 63.

18

Vgl. dazu NIKITSCH 1 9 9 8 , S. 4 4 , u n t e r A u s w e r t u n g der bei DOERR 1934 z u s a m m e n gestellten Q u e l l e n .

150

Eberhard J. Nikitsch

Disibodenberg mit Hinweis auf eine (ältere) Tradition eben dieser Platz wieder als Standort der Frauenklause in Anspruch genommen wird.19 Unternimmt man nun den Versuch, sich aus dem vorhandenen Quellenmaterial selbst ein Bild über die historische Lage der Frauenklause zu verschaffen, wird man nur ansatzweise fündig: Obwohl sich Hildegard nahezu vierzig Jahre lang auf dem Disibodenberg aufgehalten hat, hat sie sich in ihren Briefen und Schriften weder über die Lage noch über das Aussehen ihrer dortigen Behausung geäußert. Auch in den um 1150 auf dem Disibodenberg niedergeschriebenen Klosterannalen20 und selbst in den nach 1179 verfaßten Lebensbeschreibungen der Heiligen21 steht kein klärendes Wort. Dagegen finden sich vage Hinweise in der erst kürzlich entdeckten und auch publizierten Vita22 ihrer hochverehrten, 1136 im mutmaßlichen Stand der Heiligkeit verstorbenen Gefährtin und Lehrerin Jutta von Sponheim - eine aufschlußreiche Schrift, die bald nach deren Tod von einem unbekannten Disibodenberger Mönch verfaßt worden ist. Da dort ausführlich nachzulesen ist, daß nicht nur die Bewohner des Klosters Juttas Ermahnungen und Ratschläge beherzigten, sondern daß auch von ringsumher rat- und hilfesuchende Leute in großer Zahl auf dem Berg zusammenkamen, „cuiuscumque ordinis forent, nobiles, ignobiles, diuites ac pauperes, peregrini et hospites", kann sich die Frauenklause angesichts dieses Andranges nur an einer öffentlich zugänglichen Stelle im Klosterareal befunden haben, die nicht dem unmittelbaren Klausurbereich angehörte. Die im Zusammenhang mit einer wundersamen Begebenheit mitgeteilte Notiz, daß Juttas Klause ein Fenster aufwies, scheint zwar banal, soll aber dennoch festgehalten werden. Angesichts dieses spärlichen Quellenmaterials erhält die wohl auf Hildegards eigenen Mitteilungen basierende, brieflich überlieferte Notiz ihres späteren Biographen Wibert von Gembloux, daß die kleine Klause auf dem Disibodenberg ganz aus Stein erbaut war und nur ein einziges kleines Fenster besaß, das auch für die regelmäßige Gesprächszeit und als Durchreiche für Mahlzeiten diente,23 ein ganz besonderes Gewicht24 - hilft aber unserer Frage letztlich nicht weiter. 19 So der entsprechende Hinweis in dem ansonsten zuverlässig und sorgfältig recherchierten Beitrag von FELL 1999, S. 131 Anm. 43. 20 Annales Disibodi. 21 Vgl. dazu HILDEGARD Leben (1998) sowie die Quellendiskussion bei STAAB 1997, S. 58ff. 22 Vgl. dazu die erstmalige Edition der Vita bei STAAB 1992 (Anhang II), Zitat S. 178. Vgl. auch die deutsche Ubersetzung der Vita in STAAB 1997, S. 69-81. 23

GUIBERTUS Epistolae,

ep. 38, S. 373.

24 Wenn er auch, wie F. J. Feiten in seinem Vortrag zur Hildegard-Tagung 1998 überzeugend darlegte, Hildegard „zu einer sozusagen klassischen heiligen Klosterfrau konservativen Zuschnitts stilisierte", dürfte seiner Beschreibung der Klause als steinernes Bauwerk doch eine gewisse Glaubwürdigkeit zukommen. - Herrn Prof. Dr. F. J. Feiten danke ich für die gern gewährte Einsicht in sein Vortrags-Manuskript.

Wo lebte die heilige Hildegard

wirklich ?

151

Aus allem bisher Gezeigten folgt zwingend, daß sich einerseits keine ernstzunehmende lokale Tradition nachweisen läßt, die es rechtfertigt, den heute als mutmaßlichen Standort der Frauenklause auf dem Disibodenberg gezeigten Platz als solchen zu bezeichnen. Andererseits geben aber auch die zur Verfügung stehenden archäologischen Befunde und die wenigen historischen und literarischen Zeugnisse keine befriedigende Auskunft: Offensichtlich ist der wirkliche Standort der Frauenklause bis heute unbekannt geblieben, und wohl zurecht wird sowohl in der jüngsten Edition ihrer Vita25 als auch im neuesten Führer zu Hildegards Wirkungsstätten 26 sowie im biographischen Teil des Katalogs der Hildegard-Ausstellung von 1998 resümiert, daß „über ... die Ausstattung und den Standort der Frauenklause ... nichts überliefert" 27 ist. Aber schweigen die Quellen wirklich ? Vielleicht bringt eine veränderte Fragestellung, die zunächst die Voraussetzungen und Bedingungen untersucht, welche zur Gründung der Frauenklause geführt haben könnten, mehr Klarheit. Als Jutta von Sponheim, Hildegard von Bingen 28 und ein weiteres Mädchen im November des Jahres 1112 die Frauenklause des Benediktiner-Klosters betraten, befand sich dieses erst seit vier Jahren im Bau. Das heißt: Das damals noch zerklüftete, von Süd nach Nord steil abfallende Areal auf dem Gipfel des Disibodenberges, auf dem die große Klosteranlage errichtet werden sollte, mußte zuerst in mühsamer Arbeit vorbereitet, also fundamentiert und terrassiert werden 29 - mehr als Grundmauern dürften nach vier Jahren Arbeit kaum gestanden haben. Daraus folgt zwingend, daß sich die Frauenklause des Jahres 1112 schon aus baulichen Gründen nicht im Bereich der damals noch gar nicht existenten Klosterkirche befunden haben kann, sondern aufgrund der von den Regeln geforderten Nähe zu einer Kirche eher dort angesiedelt war, wo auch die mit dem Bau des Klosters beschäftigten Benediktinermönche untergebracht waren: im Bereich der alten Klostergebäude des ehemaligen Kanonikerstiftes. Immerhin verwahrte man dort in der Kirche des Vorgängerklosters auch die Reliquien des hl. Disibod, 3 0 bis sie 1138 erstmals erhoben, ein Jahr später Leben ( 1 9 9 8 ) , S. 93 A n m . 20.

25

HILDEGARD

26

Vgl. TROMBEREND

27

Vgl. KORING

28

N u r am R a n d e sei auf die neue Studie von HEINZELMANN 1997 hingewiesen, durch

1 9 9 6 , S. 7.

1 9 9 8 , S. 5.

die die i n z w i s c h e n z u m A l l g e m e i n g u t g e w o r d e n e T h e s e von der H e r k u n f t H i l d e gards aus dem edelfreien G e s c h l e c h t derer von B e r m e r s h e i m n a c h d r ü c k l i c h in Frage gestellt und aufgrund quellenkritischer genealogischer und besitzgeschichtlicher Studien der ü b e r z e u g e n d e S c h l u ß gezogen wird, daß H i l d e g a r d mit ihrem Vater H i l debert und ihrer M u t t e r M e c h t h i l d (von M e r x h e i m ) einer u n b e k a n n t e n (vielleicht in Hosenbach

bei

Kirn

sitzenden)

rheinhessisch-naheländischen

(Hoch)Adelsfamile

angehört hat, die lediglich B e s i t z in B e r m e r s h e i m (und a n d e r s w o ) hatte. 29

D i e s haben die im n ö r d l i c h e n Seitenschiff der K l o s t e r k i r c h e d u r c h g e f ü h r t e n S o n d a gen ergeben, so reichte etwa die G r ü n d u n g im nördlichen Seitenschiff bis 3 , 2 0 m tief auf den gewachsenen Fels h i n a b ; vgl. dazu STANZL 1992, S. 4 5 - 4 8 .

30

Vgl. zu ihm und z u m F o l g e n d e n ausführlich NIKITSCH 1991, S. 198ff.

152

Eberhard J. Nikitsch

„a veteri ecclesia in novum monasterium" 31 überführt und 1143 anläßlich der Schlußweihe der neuen Klosterkirche in der Chorapsis in einem Sarkophag endgültig beigesetzt wurden. Leider läßt sich nach den bisherigen archäologischen Befunden und Interpretationen das unter Erzbischof Willigis von Mainz (975-1011) wohl an der Stelle einer noch älteren Anlage errichtete Kanonikerstift nicht mehr eindeutig lokalisieren. 32 Seine ungefähre Lage kann jedoch aus den (für die topographischen Angaben sicherlich verläßlichen) Hinweisen der von Hildegard um 1170 selbst verfaßten Vita s. Disibodi erschlossen werden: 33 Das mit zwölf Kanonikern besetzte Stift befand sich oben auf dem Berg, westlich oberhalb der ehemaligen Einsiedelei des hl. Disibod. Da sich diese - laut Hildegard - auf halber Höhe des Berges „versus orientem", also an der Stelle des heutigen Disibodenberger Hofes befunden haben dürfte, lag das alte Kanonikerstift „in supercilio ejusdem montis ... versus orientem", also auf einer Anhöhe auf der Ostseite des Berges. Was spricht also dagegen, das damals wie heute auf der höchsten Erhebung des Berges südöstlich der benediktinischen Klosterkirche gelegene Gelände mit dem gesuchten Ort zu identifizieren, auf dem sich der weitgehend unerforschte mittelalterliche Mönchsfriedhof mit seiner nur noch in den Grundmauern erhaltenen Friedhofskapelle befindet ? Bedauerlicherweise 34 konnte das von einer nur noch teilweise erhaltenen Böschungsmauer umgebene, im Vergleich zum umliegenden Areal etwa 1,20 bis 1,50 m höhere Gelände mit seiner wiederum ganz im Osten liegenden Kapelle während der archäologischen Arbeiten im Grunde nur gereinigt und vermessen werden. Immerhin wurden noch drei kleinere Suchschnitte durchgeführt sowie die oberflächlich freigelegten Werksteine erfaßt und bestimmt. Insgesamt wurde die zweischiffige, 17,50 x 13,70 m große Kapelle mit Rechteckchor und „ganz in romanischer Art mit der Fläche geglätteten und mit 2 cm breiten Randschlag" versehenen Pfeilerstützen von dem Ausgräber eindeutig in die benediktinische Zeit - also nach 1108 - datiert und als Friedhofskapelle bestimmt. Somit scheint der archäologische und bauhistorische Befund klar zu sein und weiteres Nachforschen müßig. Allerdings stellt sich aus historischer Sicht noch eine entscheidende, bislang unbeantwortete Frage: Benötigte ein in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erbautes Benediktinerkloster überhaupt eine Friedhofskapelle ? 31 Annales Disibodi, S. 26. 32 STANZL 1992, S. 207, konnte aufgrund seiner archäologischen Beobachtungen zumindest ausschließen, daß sich das Kanonikerstift weder an der Stelle der benediktinischen Klosterkirche noch an der der östlich des Kapitelsaal gelegenen Marienkapelle befunden hat. - Neue Erkenntnisse in dieser Richtung sind von der sich in Arbeit befindlichen Kaiserslauterner Dissertation von G. Mergenthaler, Das Benediktinerund Zisterzienserkloster Disibodenberg im baugeschichtlichen Vergleich, zu erwarten. 33 Vgl. zum Folgenden H I L D E G A R D I S Vita Disibodi ( 1 8 6 7 ) , S . 591f. und S . 596. 34 Vgl. zum Folgenden ausführlich STANZL 1992, S. 185-189, Zitat S. 186.

Wo lebte die heilige Hildegard

wirklich ?

153

D i e s e s bislang n o c h n i c h t e r ö r t e r t e P r o b l e m ausführlich b e h a n d e l n zu w o l len, wäre z w a r h o c h i n t e r e s s a n t , w ü r d e aber w e i t ü b e r den t h e m a t i s c h e n R a h m e n dieses A u f s a t z e s hinausgehen. E i n i g e n H i n w e i s e n in e n t s p r e c h e n d e n A r b e i t e n 3 5 ist z u m i n d e s t zu e n t n e h m e n , daß B e i n h ä u s e r ( O s s a r i e n ) b z w . aus B e i n h ä u s e r n e r w a c h s e n e K a p e l l e n auf ( K l o s t e r - ) F r i e d h ö f e n eher eine j ü n g e r e , meist aus der N o t der U b e r b e l e g u n g resultierende E r s c h e i n u n g darstellen und daß F r i e d h o f s k a p e l l e n an sich o f t erst in V e r b i n d u n g mit der späteren Verlagerung der F r i e d h ö f e v o n der K i r c h e w e g nach a u ß e r h a l b entstanden sind. E n t scheidend f ü r die v o r l i e g e n d e Fragestellung ist aber der grundsätzliche B e f u n d , daß K a p e l l e n auf F r i e d h ö f e n a n s c h e i n e n d nicht zu den v e r b i n d l i c h v o r g e s c h r i e b e n e n B a u w e r k e n eines K l o s t e r s g e h ö r t e n . J e d e n f a l l s sieht der u m 8 2 0 angefertigte St. G a l l e r Plan eines idealen B e n e d i k t i n e r k l o s t e r s 3 6 alle n u r d e n k b a r e n E i n r i c h t u n g e n im B e r e i c h des K l o s t e s v o r , j e d o c h k e i n e Kapelle auf d e m G e l ä n d e des stets nahe der K i r c h e gelegenen F r i e d h o f e s . W a r u m sollte er a u c h ? Z w a r s c h r e i b e n die gut d o k u m e n t i e r t e n m ö n c h i s c h e n B e s t a t t u n g s r e g e l n des M i t t e l a l ters 3 7 genauestens v o r , wie mit einem V e r s t o r b e n e n verfahren w e r d e n soll, wie z u n ä c h s t am O r t seines T o d e s u n d d a n n im C h o r der K i r c h e die p r a k t i s c h e n H a n d l u n g e n und liturgischen R i t e n zu v o l l z i e h e n sind, wie er nach der T o t e n messe in einer feierlichen P r o z e s s i o n auf den F r i e d h o f geleitet und d o r t s o f o r t b e g r a b e n wird - v o n einer z e r e m o n i e l l e n E i n b i n d u n g einer F r i e d h o f s k a p e l l e ist dabei j e d o c h nicht die R e d e . O f f e n s i c h t l i c h - und das ist die ü b e r r a s c h e n d e E r k e n n t n i s - w a r dieses B a u w e r k f ü r den gut organisierten T o t e n k u l t des M i t telalters e n t b e h r l i c h . F ü r die v o r l i e g e n d e Fragestellung ergibt sich daraus die e n t s c h e i d e n d e S c h l u ß f o l g e r u n g , daß es f ü r die G r ü n d u n g s m ö n c h e des B e n e d i k t i n e r k l o s t e r s auf d e m D i s i b o d e n b e r g k e i n e n A n l a ß gegeben h a b e n dürfte, bei der K o n z e p t i o n ihres neuen K l o s t e r s auch den B a u einer Kapelle auf d e m f ü r den künftigen F r i e d h o f v o r g e s e h e n e n G e l ä n d e zu planen. L i e g t es daher nicht auf der H a n d , in den R u i n e n der F r i e d h o f s k a p e l l e eben d o c h die R e s t e der K i r c h e des ehemaligen K a n o n i k e r s t i f t e s zu sehen, das die B e n e d i k t i n e r bei i h r e m E i n z u g v o r g e f u n d e n h a t t e n ? Z u m i n d e s t w ä r e damit die E x i s t e n z und die e x p o n i e r t e L a g e dieses k i r c h l i c h e n G e b ä u d e s erstmals plausibel erklärt. D e r einfache G r u n d r i ß der kleinen S a a l k i r c h e mit r e c h t e c k i g e m C h o r und die z u r ü c k h a l t e n d e künstlerische A u s a r b e i t u n g der W e r k s t e i n e sind w o h l auch s c h o n im 11. J a h r h u n d e r t d e n k bar. 3 8 D a n e b e n b e s t e h t natürlich auch die M ö g l i c h k e i t , die heute n o c h sicht-

35

Vgl. dazu etwa BREDT 1916, vor allem S. 171ff.; KYLL 1972, S. 80ff. und 114ff., sowie ILLI 1 9 9 2 , v o r allem S. 18f. u n d S. 4 1 f .

36

V g l . d a z u BRAUNFELS 1 9 7 8 , S . 5 4 f .

37

Vgl. dazu ausführlich KYLL 1972, S. 15-76; speziell für den benediktinischen Bereich HALLINGER 1950/51, S. 964ff., und POECK 1981, S. 72ff., sowie für den der Zisterzienser NIKITSCH 1990, S. 183ff.

38

Vgl. dazu etwa GLASER 1997, S. 37 und die zahlreichen Beispiele im Katalog

1991.

Eberhard J. Nikitsch

154

baren Ruinen als das Resultat von Umbaumaßnahmen 3 9 zu betrachten, die die Benediktiner zu Beginn des 12. Jahrhunderts bei der Übernahme des alten Klosters veranlaßt hatten. Jedenfalls berichten die Quellen zwar von der vermutlich nicht ganz freiwilligen Ablösung der Kanoniker durch die Benediktiner, 40 nicht aber von einem ruinösen Zustand der Gebäude, schon gar nicht von deren Abriß. Muß es also nicht so gewesen sein, daß sich die Benediktiner so lange im alten Kloster ihrer Vorgänger aufgehalten haben, bis ihr eigenes, von Grund auf neu erbautes Kloster fertiggestellt war? Und war die eigenwillige zweischiffige Form der Friedhofskapelle nicht hervorragend dazu geeignet, den drei im Jahr 1112 als Inklusinnen eingetretenen Mädchen das nördliche Seitenschiff als eigenen Raum zu geben, den sie durch ein (archäologisch nachgewiesenes) eigenes Portal von der Nordseite aus betreten und wo sie - gemäß ihren Regeln - den liturgischen Handlungen unbeobachtet folgen konnten ? Und warum sollte sich das reale Gebäude der damaligen Frauenklause 41 nicht auf eben diesem Areal des heutigen Friedhofs befunden haben, das vermutlich schon von den Kanonikern des 11. Jahrhunderts mit einer Mauer umgeben und sicherlich mit weiteren (uns unbekannten) Gebäuden bebaut worden war? Es spricht also eigentlich alles dafür, in der sogenannten Friedhofskapelle die ehemalige Kirche des Kanonikerstiftes zu sehen, 42 die von den Benediktinern 39

40

Dafür spräche auch die Beobachtung von STANZL 1992, S. 188, daß sich im Fundament der Friedhofskapelle „verbaute Spolien und Bausteine eines älteren, durch Brand beschädigten oder zerstörten Gebäudes" vorgefunden hätten. In der von Erzbischof Ruthard von Mainz am 11. Mai 1108 ausgestellten „Gründungsurkunde" wird lediglich mitgeteilt, daß die bislang auf dem Disibodenberg sitzenden Kanoniker unter Gewährung einer ihnen angemessenen Entschädigung durch Benediktiner ersetzt worden seien, vgl. dazu Urkundenbucb Mainz I, Nr. 436, S. 3 4 2 .

41

42

Daß man sich eine Frauenklause dieser Zeit nicht unbedingt als winzige Zelle vorstellen muß, in der die Inklusinnen ohne Kontakt zur Außenwelt für alle Zeiten eingemauert waren, sondern daß es gerade in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts als Ubergangszeit weg von den „Doppelklöstern" unterschiedlichste Formen des Zusammenlebens einer Frauengemeinschaft in einem Männerkloster gegeben haben dürfte, zeigen bereits die oben angeführten Hinweise in der Vita der Jutta von Sponheim; vgl. dazu ausführlich den dies erhellenden Exkurs „Das Leben der Reformbenediktinerinnen auf dem Disibodenberg" in dem Beitrag von F. J . Feiten für diesen Tagungsband. Aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit dem Ruinen- und Rekonstruktionsmodell der Klosteranlage Disibodenberg kam der Modellbauer Gerhard Roese zu einer ähnlichen Ansicht, indem er bei der Rekonstruktion der Friedhofskapelle von der (allerdings nicht näher begründeten Annahme) ausging, „in ihr einen Teil der ausgebrannten Vorgängerkirche des Klosters zu sehen", vgl. dazu seinen Kommentar in KOTZUR 1998, S. 54. Leider wird nicht erklärt, was den Verfasser des dort auf S. 63 abgebildeten Planes „Disibodenberg, Dachlandschaft. Zustand um 1559" bewogen hat, ein an den sogenannten Abteibau südöstlich anschließendes Gebäude als „Abtei-

Wo lebte die heilige Hildegard

wirklich ?

155

möglicherweise umgebaut, auf jeden Fall aber weiter benutzt worden war. In dem Zeitraum zwischen 1130 (Weihe des ersten Altars im südlichen Seitenschiff) und 1143 (Schlußweihe der neuen Klosterkirche) dürften die Mönche nach und nach ihr neues Kloster bezogen haben. O b sie für die stetig ansteigende Zahl der Bewohnerinnen der Frauenklause ebenfalls ein neues Gebäude vorgesehen oder sogar errichtet hatten, bleibt mangels archäologischer Nachweise offen. Es spricht nur wenig gegen die Überlegung, daß die Frauenklause auch nach Fertigstellung des neuen Klosters auf dem Areal des alten Kanonikerstiftes verblieb und - nun getrennt von dem Bereich der Mönche - durch einen eigenen Zugang für die zahlreichen auswärtigen Besucher leicht erreichbar war. Vermutlich diente die alte Kirche weiterhin liturgischen Zwecken und die Inklusinnen waren somit nicht genötigt, für den Besuch der Messe ihre Klause zu verlassen und die Klosterkirche der Benediktiner aufzusuchen. Daß nach dem bis heute unklar gebliebenen Auszug Hildegards und ihrer Gefährtinnen das nun leerstehende Areal als Mönchsfriedhof 4 3 und die Kirche als der Andacht dienende Friedhofskapelle genutzt werden konnte, steht dem nicht entgegen. Letzte Gewißheit über den Standort der Frauenklause auf dem Disibodenberg kann jedoch nur eine sorgfältige archäologische Untersuchung des gesamten Friedhofbereichs bringen. Denn sollte die knappe Charakterisierung der Frauenklause durch Wibert von Gembloux zutreffend sein, dann muß das ganz aus Stein erbaute Gebäude dort heute noch nachweisbare Spuren hinterlassen haben.

gebäude des Vorgängerklosters ?" zu b e z e i c h n e n . - H e r r n R o e s e d a n k e ich für ein anregendes, an seine Ü b e r l e g u n g e n anknüpfendes G e s p r ä c h im S o m m e r 1998. 43

STANZL 1 9 9 2 , S. 185ff., k o n n t e die bis dahin nur v e r m u t e t e B e l e g u n g des G e l ä n d e s mit G r ä b e r n durch S u c h s c h n i t t e nachweisen, z u d e m scheint es durch die N u t z u n g der B e n e d i k t i n e r und Zisterzienser m e h r f a c h Veränderungen im B e r e i c h des Zugangs und der Kapelle erfahren zu haben. - D i e W ü r d e n t r ä g e r des K l o s t e r s und verdienstvolle Laien w u r d e n dabei nicht auf d e m F r i e d h o f , s o n d e r n in K i r c h e ,

Kreuzgang,

Kapitelsaal und der dahinter liegenden M a r i e n k a p e l l e b e g r a b e n ; vgl. dazu grundlegend SCHOLZ 1 9 9 8 , und im Speziellen NIKITSCH 1990, passim.

156

Eberhard J. Nikitsch

Hildegard von Bingen in der zisterziensischen Diskussion des 12. Jahrhunderts v o n FRANZ STAAB

D E R ANGEBLICHE ORDENSWECHSEL HILDEGARDS

Mit der Behauptung, Hildegard von Bingen sei gegen Ende ihres Lebens Zisterzienserin geworden und habe dementsprechend auch ihren Rupertsberger Konvent diesem Orden zugeführt, betrat Augustinus Sartorius in seiner Historia elogialis der Zisterzienser, die er aus Anlaß ihres im Jahre 1698 gefeierten 6 0 0 jährigen Bestehens verfaßte und im Jahre 1700 in Prag herausbrachte, kein Neuland.1 Auch William Cave hatte sich bereits in seiner international und interkonfessionell anerkannten, 1688 bis 1698 erschienenen, in zweiter Auflage zuletzt 1741 bis 1745 in Genf publizierten kirchlichen Literaturgeschichte in diesem Sinn geäußert. 2 Letztlich ging diese Lehrmeinung aber auf eine Hypothese von Barnabas (Bernabe) de Montalvo von 1602 zurück, für die Chrysostomus Henriquez 1633 sogar eine ausführliche Begründung geliefert hatte, die darauf hinauslief, daß Hildegard unter dem Eindruck von Bernhard von Clairvaux und aus Dankbarkeit für den Zisterzienserpapst Eugen III. schließlich man könnte heute sagen, nach einer gewissen Inkubationszeit - mit ihrem Konvent den Übertritt vollzogen habe. 3 Aber der Zisterzienser Sartorius bemühte sich zum Ordensjubliäum doch in besonderer Weise und an herausragender Stelle, eine berühmte Heilige des Mittelalters durch das Mittel einer gelehrten Konstruktion, die inzwischen Autorität gewonnen hatte, wenigstens nachträglich für sein geliebtes geistliches Vaterland zu annektieren. Dabei bleibt es bemerkenswert, daß ein braver Zisterzienserpater damit zugleich die Meinung eines Anglikaners teilte, den Rom 1693 auf den Index gesetzt hatte. 4 Einen nicht unbeträchtlichen Einfluß in der katholischen Welt gewann die These des Henriquez schließlich dadurch, daß Alban Butler sie in seiner berühmten, von 1756 bis 1759 herausgekommenen, sorgfältig recherchierten, bis ins 19. Jahrhundert nachgedruckten und deshalb weit verbreiteten hagiographischen Enzyklopädie

1 2 3

4

SARTORIUS 1700, S. 220f. CAVE 1 6 8 8 - 1 6 9 8 , I, S. 476; zu Cave vgl. OVERTON 1887. HENRIQUEZ 1630, S. 315f., schon mit Hinweis auf die Beweisführung in seinen Lilia: HENRIQUEZ 1633, S. 3 3 3 - 3 5 5 . E r berief sich auf die Annales des Barnabas de M o n talbo, torn. I, lib. 2, cap. 40, womit wohl gemeint ist eine lateinische Ausgabe von DE MONTALVO 1602. D e n lateinischen Titel konnte ich nicht verifizieren und auch den spanischen nicht einsehen. Vgl. CONSTANTIN 1903, Sp. 2045.

Franz

158

Staab

The Lives of the Fathers, Martyrs and other Principal Saints aufgegriffen und in die unangreifbar scheinenden Worte gegossen hatte: „She changed the habit of St. Bennet for that of the Cistercians, and died on the 17th of September, in the year 1179, at her age eighty-two." 5 Heute ist diese Lehrmeinung selbstverständlich vollständig aufgegeben, 6 da sie zeitgenössisch und in der Tradition von Rupertsberg und Eibingen überhaupt nicht zu belegen ist und da außerdem feststeht, daß die Zisterzienser im 12. Jahrhundert ohnehin so gut wie keine Frauenklöster aufgenommen haben. 7 Der Rupertsberg - im Gegensatz zu seinem 1259 in eine Zisterze umgewandelten Mutterkloster Disibodenberg, 8 - blieb bis zur Zerstörung durch die Schweden 1632 benediktinisch, ebenso darüber hinaus der nach Eibingen geflüchtete Konvent bis zur Säkularisation, eingeleitet im Jahre 1804 mit dem Verbot, eine neue Äbtissin zu wählen, vollzogen dann durch die Aufhebung des Klosters 1814.9 In der Literatur hat das Verhältnis Hildegards zu den Zisterziensern bisher nur in der Weise Beachtung gefunden, daß man den Kontakt zu verschiedenen Zisterzienseräbten oder -konventen behandelt hat, der durch Besuche und Briefe mehr oder weniger dokumentierbar ist. In der Liste der Vita über die Städte und Klöster, die von ihr zur Predigt oder Schlichtung von Streitigkeiten aufgesucht wurden, findet man etwa auch die Zisterzienserklöster Eberbach im mainzischen Rheingau und Maulbronn in der Diözese Speyer. 10 Als prominentestes Beispiel des Austausches mit den Zisterziensern ist das Zusammentreffen 5 6

7

BUTLER 1838, S. 474. Butler beruft sich, abgesehen von Theoderichs Vita S. Hildegardis, an erster Stelle auf Cave (vgl. OVERTON 1887). - Vgl. zu ihm COOPER 1886. Bereits widerlegt von STILTING 1755, S. 636, auch unter Berufung auf eine Beobachtung Papebrochs von 1640 zur dunklen Farbe der auf dem Rupertsberg gezeigten Kukulle Hildegards. Zusammenfassend zum Wandel der H a l t u n g des Zisterzienserordens gegenüber Frauenkonventen von strikter Ablehnung zu geregelter A u f n a h m e seit 1190/1210 KUHN-REHFUS 1981, h i e r S. 125f.

8 9

Z u r U m w a n d l u n g vgl. immer noch SALDEN-LUNKENHEIMER 1968, S. 83-91 [auch 1981, D r u c k einer Mainzer Dissertation von 1949]. Zu den U m s t ä n d e n der Zerstörung 1632 vgl. jetzt REIDEL 1998, S. 164f.; wegen Details vgl. auch MÜLLER 1979, S. 103 A n m . 83, S. 122f. mit A n m . 216. - Ü b e r die Endphase des Klosters Eibingen vgl. SIMON 1958. Diese Darstellung f ü h r t S. 191 bis zur Unterzeichnung des Aufhebungsdekrets durch H e r z o g Friedrich August von Nassau am 12.2.1814. Auch die letzte Rechnung reicht mit den Neujahrsgeschenken f ü r Knecht und Mägde bis ins Jahr 1814, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 23 / N r . 208 (ursprünglich angelegt f ü r 1811). A m 24.2.1814 richtete der letzte Propst J o h a n n Joseph Schraub ein Gesuch an die nassauische Regierung, die beiden, der Legende nach von Hildegard selbst geschriebenen Codices bis an sein Lebensende in Verwahr nehmen zu dürfen, das aber am 8.3. abgelehnt wurde. Die Zimelien w u r d e n am 7.5. in Eibingen abgeholt und am 3.6. in Wiesbaden quittiert, vgl. VAN DER L I N D E 1 8 7 7 , S . 2 1 A n m .

10

HILDEGARDIS Vita,

1.

I I I 17, S. 55.

Hildegard

von Bingen

in der zisterziensischen

159

Diskussion

und die Korrespondenz mit Bernhard von Clairvaux zu nennen.11 Er soll von Hildegard so beeindruckt gewesen sein, daß er 1148 für sie bei Eugen III. die Anerkennung der bis dahin vorliegenden Teile des Scivias und die offizielle Ermutigung zu dessen Fortsetzung erreichte. 12 Auch der Briefwechsel mit dem einflußreichen Abt Adam von Ebrach wurde relativ stark beachtet. 13 1995 hat Benoit Chauvin die Bitte von fünf burgundischen Zisterzienseräbten an die Binger Äbtissin und deren Antwort darauf14 neu untersucht. Im Ergebnis hob er nicht allein die traditionelle Datierung zu 1148, also in der Nähe der Bemühungen Bernhards um die Anerkennung des Scivias, auf, sondern auch den neuen Datierungsversuch zu 1157 des letzten Herausgebers der Briefe, Lieven van Acker, um die Zeit dieser Korrespondenz auf Sommer 1159 bis Januar 1162 einzugrenzen.15 Dieser Zeitraum ergab sich zwingend als Schnittmenge der Regierungszeiten der beteiligten Äbte Burchard von Bellevaux, Guido von Cherlieu, Aliprand von Clairefontaine, Wilhelm von Bithaine und Peter von La Charite. 16 Wenngleich Chauvin seinen Aufsatz Hildegarde de Bingen et les Cisterciens betitelte und seine Nachforschungen zur Datierung der genannten Äbte einen willkommenen Fortschritt darstellen, so beschleichen den Leser doch TantalusGefühle, denn das Thema dieses Briefwechsels ist die Wallfahrt einer adeligen Dame, die nach dem Verlust ihrer Kinder auf weiteren Nachwuchs hoffen mußte und dafür die Unterstützung Hildegards erhalten sollte. Nicht angesprochen jedoch wird darin das Verhältnis der Binger Meisterin zu den Zisterziensern und zu deren monastischen Idealen. Auch ihre übrigen Brief- und Besuchskontakte mit zisterziensischen Äbten und Konventen lassen davon nur wenig erkennen, wenn man von der mit den Eberbachern geführten Diskussion der Konversenfrage absieht, auf die hier nicht einzugehen ist. Daß sich zwischen 11

Vgl. SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1 9 5 6 , S. 1 0 4 - 1 1 0 . E i n e p e r s ö n l i c h e B e g e g n u n g

wird

ebd. S. 1 1 0 als u n w a h r s c h e i n l i c h a n g e s e h e n . D i e s ist eine F r a g e d e r B e w e r t u n g nicht nur des T r i t h e m i u s , s o n d e r n auch d e r R u p e r t s b e r g e r H a u s t r a d i t i o n , die hier nicht erörtert w e r d e n k a n n . 12

HILDEGARDIS Vita, 1 4 , S. 9f.; SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1 9 5 6 , S. 1 0 4 - 1 1 0 ; Pontificia

4/4,

Germania

S. 2 4 1 f . N r . 1 - 5 . A u s älterer L i t e r a t u r h a b e n SCHRADER/FÜHRKÖTTER

1 9 5 6 die A n s i c h t ü b e r n o m m e n , daß die A n e r k e n n u n g von H i l d e g a r d s

visionärem

W e r k d u r c h Papst E u g e n I I I . in T r i e r im R a h m e n eines K o n z i l s erfolgt sei, e b e n s o VAN ACKER 1 9 8 9 , S. 139, u n d andere. HILDEGARDIS Vita u n t e r s c h e i d e t j e d o c h an d e r a n g e g e b e n e n Stelle d u r c h a u s k o r r e k t z w i s c h e n d e m K o n z i l in R e i m s

(1147-1148)

und d e m auf E i n l a d u n g v o n E r z b i s c h o f A d e l b e r o z u s t a n d e g e k o m m e n e n T r i e r e r A u f enthalt im W i n t e r 1 1 4 7 ( D e z e m b e r ) auf 1 1 4 8 ( F e b r u a r ) . 13

HILDEGARDIS Epistolarium

I, ep. 8 5 - 8 6 ; zu den S c h w i e r i g k e i t e n A d a m s im S c h i s m a

vgl. z u l e t z t GOEZ 1 9 9 7 . 14

HILDEGARDIS Epistolarium

15

CHAUVIN

16

I, ep. 7 0 - 7 0 R .

1995.

CHAUVIN 1 9 9 5 , S. 164, e m e n d i e r t e in diesem Fall die überlieferte N a m e n s - I n i t i a l e R . zu d e m graphisch v e r w a n d t e n P.

160

Franz

Staab

1159 und 1162 gleich fünf burgundische Zisterzienseräbte mit dem eher medizinischen Problem einer adeligen Dame an Hildegard wendeten, beweist jedoch einmal mehr das Vorhandensein von funktionierenden Kontakten zwischen dem Rupertsberg und dem Orden Bernhards. Bei einer näheren Beschäftigung mit der Binger Äbtissin und ihrem Kloster stößt man allerdings auf sehr bemerkenswerte innere Affinitäten zu den Zisterziensern, eine intensive Auseinandersetzung mit ihren Idealen und deren wohlabgewogene Umsetzung. Dies verleiht, wie sich zeigen wird, der mit allzu großer Kühnheit vorgetragenen These von Montalvo, Henriquez, Cave, Sartorius und Butler doch einen gewissen realen Gehalt. Die Beschäftigung mit dem Verhältnis Hildegards zu den Zisterziensern stellt daher keine bloße Reverenz vor dem doppelten Jubiläum dar, das wir gegenwärtig feiern, dem der Geburt der Binger Heiligen und dem der Gründung des Zisterzienserordens im Jahre 1098.

ZLSTERZIENSISCHE DISKUSSION UND FÜR HILDEGARDS

QUELLEN

STELLUNGNAHME

Wenn es also so ist, daß der briefliche Austausch Hildegards mit Äbten und Konventen von Zisterzienserklöstern nicht allzu viel hergibt für ihre Gedanken über den neuen Orden, vielleicht sogar über ihre Versuche, einiges von seinen Idealen bei sich selbst zu verwirklichen, welche Quellen haben wir dann? Bei einigem Nachsuchen eröffnen sich im Berg der Überlieferung mit seinen vielen unergiebigen und schwer zu erschließenden Ablagerungen sehr wohl einige gute Erzadern, die ganz erstaunliche Erkenntnisse zu liefern vermögen. Zunächst ist es allerdings wichtig, sich über die monastische Diskussion zwischen den Zisterziensern und den andern Orden im 12. Jahrhundert zu vergewissern. Die gängigen Quellen wären hierfür zweifellos die zugleich grundsätzlichen wie auch historiographischen Dokumente der Charta Charitatis und des Exordium Cisterciense}7 Allerdings handelt es sich dabei um recht abstrakte Texte, denen konkrete Erläuterungen fehlen. Gerade weil sie sehr konsequent stilisiert wurden, eröffnen sie keinen leichten Zugang zu jenen Auseinandersetzungen des Tages, die erst zu den programmatischen Texten geführt haben. Als sehr viel informativer erweisen sich in dieser Hinsicht die beiden Werke des Idung von Prüfening, das um 1144 entstandene Argumentum super quatuor questionihus und der um 1154 verfaßte Dialogus duorum monachorum, die mittlerweile in einer gut eingerichteten Ausgabe von R. B. C. Huygens vorliegen18 und zeitlich genau in jene Epoche fallen, in der Hildegard ihr neues Kloster auf dem Rupertsberg mit Zielstrebigkeit und Zähigkeit in Gang brachte. Es gibt keine

17

18

Zu Entwicklung und Inhalt der Charta Caritatis vgl. immer noch die Zusammenfassung bei PFURTSCHELLER 1972, S. 77-87. Zum Exordium vgl. zuletzt P A L M E R 1998, S. 106f. (mit Literatur). H U Y G E N S 1 9 8 0 . - Vgl. zusammenfassend A U B E R T 1 9 9 5 .

Hildegard

von Bingen in der zisterziensischen

Diskussion

161

Texte des 12. Jahrhunderts, die, bis in kleinste Nuancen der Consuetudines hinein, die Differenzen zwischen den Zisterziensern einerseits und den alten Observanzen, aber auch den Prämonstratensern und sonstigen Anhängern der Augustinus-Regel andererseits detaillierter und ausführlicher diskutiert hätten. Vor diesem Hintergrund füllen sich auch scheinbare Nebenbemerkungen in den Schriften Hildegards mit einem Sinn. In den Schriften Hildegards findet man gelegentliche Erörterungen zum angesprochenen Fragenkomplex, so in manchen Briefen, hinsichtlich der Spiritualität auch recht gut in den Antworten auf die achtunddreißig Fragen der Zisterzienser von Villers in Brabant, die in ihren letzten Lebensjahren entstanden, und in ihrer Erklärung der Regula S. BenedictiP Besonders instruktiv für das Verständnis des Offiziums ist der bislang nicht zureichend interpretierte Austausch mit Tengswind von Andernach. Von ganz eigenem Wert für die aus der geistigen Auseinandersetzung resultierende Praxis sind jedoch die Urkunden der Mainzer Erzbischöfe für den Disibodenberg und den Rupertsberg, 20 die aufschlußreiche Vergleiche zwischen der Güterorganisation der beiden Klöster ermöglichen. Sehr gute Einblicke liefert schließlich die detaillierte Aufzeichnung der Besitzungen, wovon sich Fragmente aus der Zeit Hildegards und eine Abschrift aus den Jahren um 1200 erhalten haben. Von beidem liegen bisher nur Drucke, keine kritischen Ausgaben vor,21 die aber mit der noch vorhandenen handschriftlichen Uberlieferung verglichen werden können. Urkunden und Güterverzeichnis liefern wichtige Einblicke in die besonderen Formen von Erwerb und Organisation der Rupertsberger Ausstattung, bei der von Anfang an, also lange vor der Erklärung der Regel und dem Gedankenaustausch mit den Mönchen von Villers, ganz deutlich zisterziensische Prinzipien adaptiert wurden. Weiterhin läßt sich dieser Aufbau auch anhand der Totengedächtnisse in den Rupertsberger Nekrologfragmenten, die vom 15. November bis zum 31. Dezember reichen, gelegentlich nachprüfen.22

19

20 21

22

H I L D E G A R D I S Solutiones; eadem Regula. Für beide Werke fehlt noch eine moderne Ausgabe auf der Grundlage der handschriftlichen Uberlieferung. Urkundenbuch Mainz I und / / . Fragmente des älteren Güterverzeichnisses im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Bestand 2 3 / 1 4 1 ; Teildruck bei R O T H 1 8 8 2 ; Teil-Faksimiles davon bei S C H R A D E R / F Ü H R K Ö T T E R 1 9 5 6 , Tafeln I-VII. Die Abschrift der Zeit um 1 2 0 0 verwahrt das Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 106 / Nr. 105; Druck (mit einigen nicht gekennzeichneten Auslassungen) unter dem Titel Güterverzeichniß. Es wird im Folgenden grundsätzlich der Druck zitiert, nur bei dort vorhandenen Lücken und Unklarheiten auch die Handschrift. Es handelt sich um die gleiche handschriftliche Überlieferung wie für die Fragmente

des Güterverzeichnisses, vgl. CHAUVIN 1995; Edition von SAUER 1882; Teil-Faksi-

miles bei SCHRADER/FÜHRKÖTTER 1956, Tafeln II-IV.

162

Franz Staab

E I N BESITZAUFBAU OHNE PATRONATS-, Z E H N T - UND HERRSCHAFTSRECHTE

Bei der Ubersiedlung auf den Rupertsberg, die nach der dortigen Überlieferung im Jahre 1147 erfolgte, 23 forderte Hildegard vom Mutterkloster Disibodenberg offenbar von Anfang an, daß die seit 1112 der Disibodenberger Frauenklause als Ausstattung der ins Kloster eingetretenen Mädchen übertragenen Güter nun auf den Rupertsberg übertragen würden. Bis Hildegard mit diesen Ansprüchen durchdrang, dauerte es allerdings eine ganze Weile. In der ersten Urkunde, die der Rupertsberg 1152 von Erzbischof Heinrich I. erhielt, 24 ist von der Herausgabe der Fundation der früheren Frauenklause noch keine Rede. Erst Erzbischof Arnold konnte am 22. Mai 1158 die tauschweise Abtretung von acht Hufen bestätigen, die endlich nach einer eingehenden Beratung im Disibodenberger Konvent erfolgt war. 25 Welche Bedeutung diese Regelung für die Rupertsberger Nonnen hatte, läßt sich aus der Tatsache erkennen, daß dieser Punkt der Güterausstattung der einzige ist, der im großen Privileg Friedrichs I. vom 18. April 1163 nicht nur summarisch mit dem Verweis auf erzbischöfliche Urkunden erwähnt, sondern detailliert angesprochen ist, wobei außerdem aus der Vorurkunde Arnolds übernommen und vermerkt wird, daß hierzu sowohl Abt Cuono (der am 2. Juli 1155 verstorben war 26 ), als auch dessen Nachfolger Abt Heiinger vom Disibodenberg ihre Zustimmung erteilt hatten. 27 Wie kompliziert die Verhandlungen bis zur Erreichung dieses Zieles waren, läßt auch die Vita Hildegardis erkennen, in der es heißt, sie habe die güterrechtliche Abhängigkeit des neu eingerichteten Klosters vom Disibodenberg dadurch abgelöst, daß sie auf einen Teil der Fundation der alten Frauenklause verzichtete und auch einen beträchtlichen Abstand in Geld zahlte. 28

23

Güterverzeichniß, S. 366. O h n e auf die Problematik der Gründungszeit hier näher einzugehen, sei doch auf den U m s t a n d hingewiesen, daß die Rupertsberger Tradition des Gründungsjahres 1147 bereits um 1200 im Güterverzeichnis manifest ist. N a c h H I L D E G A R D I S Vita, I I 5, S. 28f. erfolgte der U m z u g , bevor die alten Gebäude hergerichtet und neue erbaut waren. Die renovierte alte Kapelle konnte bereits am 1.5.1051 geweiht werden, vgl. Vorbemerkung zu Urkundenbuch Mainz II, N r . 175.

24 Urkundenbuch Mainz II, Nr. 175. 25 Urkundenbuch Mainz II, Nr. 231. 26 Annales Disibodi, S. 28. 27 Urkunden Friedrichs /., II, Nr. 398. 28 H I L D E G A R D I S Vita, I 8, S. 13f.: „Perueniensque ad m o n t e m prenominati confessoris, cur uenire compulsa esset, exposuit atque locum sue habitacionis cum allodiis ad se pertinentibus ab illius cenobii fratribus absoluit, relicta Ulis plurima portione possessionum, que illo cum sororibus susceptis tradite fuerant, et insuper pecuniarum n o n modica quantitate, ne quid usquam iuste querele relinqueretur." D i e Vita schiebt hier, wie nicht selten, zwei rechtliche Tatbestände ineinander, einmal die güterrechtliche Unabhängigkeit des Rupertsbergs vom Mutterkloster und z u m anderen die Übertragung der Fundation der Disibodenberger Frauenklause gegen eine Entschädigung für den Disibodenberg.

Hildegard

von Bingen in der zisterziensiscben

Diskussion

163

Ü b e r den Umfang der Fundation der Disibodenberger Frauenklause zum Zeitpunkt der Übersiedelung Hildegards und ihrer achtzehn Mitschwestern 2 9 gab es gewiß eine schriftliche Aufstellung, die in den Verhandlungen benützt wurde, doch ist sie nicht erhalten. W i r kennen aber einen herausragenden Bestandteil davon, das Eintrittsgut Juttas von Sponheim, der Lehrerin Hildegards. Es bestand aus dem D o r f Nunkirche mit allem Zubehör inklusive H ö r i gen und einer Kirche, die Juttas Mutter Sophie einst von Erzbischof Ruthard ( 1 0 8 9 - 1 1 0 9 ) als Zehntkirche hatte privilegieren lassen. Dieses Gut, das offenbar zum Wittum Sophies gehört hatte, gab Meginhard von Sponheim seiner Schwester auf deren dringliche Bitten mit ins Kloster, und es wurde mit allen damit verbundenen Rechten dem Disibodenberg im großen Besitzprivileg von 1128 durch Erzbischof Adalbert I. bestätigt. 3 0 Aber bei der Übertragung der F u n dation der Disibodenberger Frauenklause auf den Rupertsberg blieb es zweifellos beim Mutterkloster, das im übrigen beim Übertritt zum Zisterzienserorden 1259 die genannte Kirche an den Mainzer Erzbischof Gerhard von Eppstein abtreten mußte. 3 1 War es Zufall, daß ein Besitz, der für Hildegards Lehrerin als E r b e der Mutter einen hohen emotionalen Wert gehabt haben muß, nicht auf den neuen Frauenkonvent übertragen wurde, sondern beim Disibodenberg verblieb ? Setzte sich hier die Mutterabtei gegen die in die Sezession gegangenen Frauen durch ? D e r erste Anschein trügt. Wenn man den Güterbestand des Rupertsbergs nach den Urkunden, dem Güterverzeichnis und dem Nekrologfragment durcharbeitet, so stellt sich heraus, daß die N o n n e n offenbar grundsätzlich und so gut es ging keine Herrschaftsrechte, Hörigen, Kirchen oder Zehnten annahmen. Dabei hätten sie dergleichen von so potenten Stiftern wie Markgräfin Richardis von Stade, Pfalzgraf Hermann, Graf Ulrich von Are, Vizthum Bernhard von Hildesheim oder Rheingraf E m b r i c h o I., um nur einige aus der Schenkungsbestätigung E r z bischof Arnolds von 1158 zu nennen, 3 2 ebenso gut wie einfachen Grundbesitz erwerben können. Man beobachtet nur eine Art Übergangsstadium in dieser Urkunde, wenn bei der Schenkung einer Wendela, die sich anscheinend ihres gesamten Eigentums an den genannten O r t e n entledigte, neben umfangreichem Ackerland in Weitersheim und Hargesheim auch ein Zehnt-Sechstel in R o x h e i m und zwanzig Hörige aufgezählt werden. Im Rupertsberger Güterverzeichnis wird davon allein das Ackerland bei den betreffenden O r t e n registriert. 3 3 Die Zehnten, das heißt die übrigen Zehntanteile in Roxheim erwarb stufenweise nicht etwa der Rupertsberg, sondern 1225 und 1344 das nahe Kloster St. Ka-

29 30

Diese Zahl überliefert H I L D E G A R D I S Vita, I 7, S. 1 2 . Urkundenbucb Mainz I, Nr. 553, S. 465; dort falsch mit „Neukirchen bei Kaiserslautern" identifiziert, vgl. demgegenüber SEIBRICH 1977, S. 176f.

31

SALDEN-LUNKENHEIMER

32

Urkundenbucb

33

Güterverzeichniß, S. 375f. (Weitersheim), S. 379f. (Hargesheim); Roxheim ist schon damals nicht mehr aufgeführt.

1 9 6 8 , S. 85f.; SEIBRICH 1 9 7 7 , S. 1 7 7 .

Mainz II, Nr. 230.

Franz

164

Staab

tharinenthal von Familienangehörigen der Rheingrafen vom Stein, späteren Verwandten der genannten Wendela. Sie waren Inhaber der bei Roxheim gelegenen Burgsiedlung Gutenberg. D e r genannte Konvent erhielt 1225 ferner den Kirchsatz von Roxheim, und bei seiner Auflösung 1566 in der Reformation fiel beides an die Grafschaft Sponheim als den Ortsherrn. 3 4 D e r ursprünglich von Wendela geschenkte, nur geringe Zehntanteil blieb aber dem Rupertsberg erhalten, wurde später entweder Roxheim oder Gutenberg zugeordnet und noch im 18. Jahrhundert regelmäßig versteigert, während die andern Güter am O r t mitsamt den Hörigen verloren gegangen waren. 35 Der Unterschied zwischen der Erwerbspolitik der Klöster Rupertsberg und St. Katharinenthal ist signifikant. Ersteres erhielt von Wendela ein größeres Bündel von Gütern, über die es selbständig hatte verfügen können, darunter auch den erwähnten kleinen Zehntanteil. E r wurde jedoch nicht durch weitere Erwerbungen aufgestockt. St. Katharinenthal dagegen bemühte sich zielstrebig und mit Erfolg um alle noch im Besitz der rheingräflichen Verwandtschaft befindlichen Rechte an der Roxheimer Kirche. Sehr instruktiv ist weiterhin der Komplex der Erwerbungen in Bermersheim bei Alzey, den Marianna Schräder in ihrer bahnbrechenden Untersuchung über die Herkunft Hildegards analysiert hatte, um damit der Familie und Verwandtschaft der Heiligen auf die Spur zu kommen. 3 6 Durch diese Schenkungen und sonstigen Erwerbungen ist der größte Teil des Dorfes als Grundbesitz, aber ohne die Ortsherrschaft, in die Hände der Rupertsberger Nonnen gelangt, ebenso ohne die dem hl. Martin geweihte Kirche. 3 7 Sie steht in einem römischen Gräberfeld 3 8 und gehörte der Mainzer Abtei St. Alban. 3 9 N o c h in einem Brief vom 23. März 1757 bestätigt die Rupertsberg-Eibinger Äbtissin Caroline von Brambach, das Patronat habe, bevor es in der Reformation von der Kurpfalz eingezogen wurde, der Abtei St. Alban gehört. 40 Die zahlreichen Schenkungen, welche die Abtei Lorsch im 8. und 9. Jahrhundert aus Bermersheim erhielt, begründeten aber auch einen Zehntanteil des berühmten Nazariusklosters. Die betreffenden Urkunden sind im Codex Lauresbamensis nur sehr summarisch überliefert, 41 so daß darin kein Zehntanteil 34 35

FABRICIUS 1913, S. 427f., vgl. auch SEIBRICH 1977, S. 112-114. Watzelhabn'sches Compendium, f. 36v-38, 48. Edmund Watzelhahn stammte aus Johannisberg, war Profeß in St. Peter in Erfurt und versah das Amt des Klosterpropstes in Eibingen von 1721 bis zu seinem Tod 1770, ebd. f. 10; vgl. dazu STRUCK 1973, S. 193-197.

36

SCHRÄDER

37

SCHRÄDER 1 9 8 1 , S. 4 6 .

1981.

38

Vgl. STAAB 1 9 7 5 , S. 1 5 8 m i t L i t e r a t u r .

39

SCHMID 1996, S. 280, 282 (erstmals genannt 1184, aber sicher alter Besitz).

40

Watzelhabn'sches

41

Codex Laureshamensis, III, S. 280 (Registerstelle, eine klare Aufteilung der etwa 40 Urkunden zwischen Bermersheim bei Alzey und Bermersheim bei Worms ist nicht immer möglich).

Compendium,

f. 9.

Hildegard

von Bingen in der zisterziensischen

Diskussion

165

genannt wird, doch erscheint er endlich 1255 anläßlich eines Streites der Abtei L o r s c h mit J a k o b von Lettweiler. N a c h d e m er diesen Z e h n t als Besitz beansprucht hatte, erhielt er ihn nunmehr in Pacht. 4 2 G r ö ß e r e H ö f e besaßen in Bermersheim außerdem im 12. Jahrhundert der M a i n z e r E r z b i s c h o f , beziehungsweise sein D o m k a p i t e l und die Abtei St. Alban. 4 3 D i e Ausübung herrschaftlicher R e c h t e im D o r f lag aber, wie bei geistlichen Grundherrschaften nicht anders zu erwarten, bei Vögten, von denen 1277 ein gewisser K o n r a d , Inhaber des H e r r e n h o f s ( h e r n s h o u b i s ) und ehemaliger Keller der Gräfin von Eberstein, als Wohltäter des Rupertsbergs auch urkundlich nachweisbar ist. 44 Diese Vogtei m u ß letztlich von den geistlichen Grundherren, deren höchstgestellter der Mainzer E r z b i s c h o f war, lehnbar gewesen sein. D o c h existieren davon wegen der Nichtschriftlichkeit von routinemäßigen Belehnungen der damaligen Zeit keine Zeugnisse. Im 15. Jahrhundert erscheint Bermersheim unter den siebzehn Ortschaften, die im A l z e y e r Wald, also unter der Herrschaft der Kurpfalz, N u t z u n g s r e c h t e besaßen; 4 5 1 590 war der O b e r h o f von Bermersheim das wildgräfliche F l o n heim. 4 6 Erst im 18. Jahrhundert behauptete das Kloster Rupertsberg, ehemals Herrschaftsrechte in Bermersheim besessen zu haben, und erzielte durch geschickte Verhandlungsführung darüber mit der Ritterschaft am O r t 1717 einen Vergleich. 4 7 Wenn es in der älteren Literatur heißt, das Kloster habe in Bermersheim die Ortsherrschaft besessen, 4 8 so wird Herrschaft (Vogtei) mit einem niederen H o f g e r i c h t verwechselt, über welches das Kloster in der Tat verfügte. 4 9 Bei wem die eigentliche Herrschaft lag, läßt sich klar daran erkennen, daß es der Kurpfalz und ihren Amtleuten im 16. Jahrhundert ohne ernsthafte

42

D A H L 1 8 1 2 , S. 1 2 4 N r . 76; vgl. FABRICIUS 1 9 1 0 , S. 2 4 1 .

43

45

Hof des Domkapitels oder Erzbischofs zu erschließen aus der 1128 von Erzbischof Adalbert I. vorgenommenen Einkünfteregelung, Urkundenbuch Mainz I, Nr. 554, S. 467, vgl. L I E B E H E R R 1971, S. 73f. - Der St. Albaner Grundbesitz wird schon 1154 und 1194 erwähnt, Urkundenbuch Mainz II, Nr. 199, 608. 1276 erlaubte St. Alban den Rupertsberger Nonnen die Nutzung des Brunnens im Albanshof, Regesten mrh., I I I Nr. 289; vgl. insgesamt S C H M I D 1996, S. 280-282. Noch 1395 werden bei einer Abgrenzung des kurpfälzischen Pfortenzehnts Liegenschaften des Rupertsbergs, der Mainzer Domherren und des St. Albansklosters erwähnt, Urkunden Hessische, V, S. 495f. Nr. 527. Hier werden die Domherren (also ihr älteres Gut) ausdrücklich vom Hof Kronkreuz südlich des nahen Ensheim mit Liegenschaften in Bermersheim unterschieden. Dieser Hof war schon 1298 vom Domkapitel dem Kloster Flonheim abgekauft worden, Regesten Ε Β Mainz, 1/1 Nr. 560. Regesten mrh., III Nr. 441. K R A F T 1934, S.45f.

46

KRÄHT 1 9 3 4 , S . 1 9 8 .

44

47

Watzelhahn'sches

48

BRILMAYER 1 9 0 5 , S. 4 9 ; SCHRÄDER 1 9 8 1 , S. 4 3 f . ; LIEBEHERR 1 9 7 1 , S. 7 3 .

49

Vgl. S C H R Ä D E R 1981, S . 43f. - W I D D E R 1787, I I I , S . 114, spricht deshalb nur davon, daß Bermersheim „dem Frauenkloster Eibingen im Rheingau gehörig" sei.

Compendium,

f. 9.

Franz

166

Staab

Schwierigkeiten gelang, im D o r f die Reformation einzuführen. 5 0 Gegen die Majorisierung des Klosters in Bermersheim durch die Kurpfalz mochte sich Propst Edmund Watzelhahn im 18. Jahrhundert sehr nachdrücklich äußern, 5 1 doch läßt sich auch daraus nur erkennen, daß der übermächtige Kurstaat nichts weiter tat, als das Kloster sehr konsequent auf seine niedere Hofgerichtsbarkeit zu beschränken und für die Schutzgewährung die üblichen Abgaben zu fordern. Es läßt sich also mit Sicherheit sagen, daß keine Äbtissin des Rupertsbergs für die Bermersheimer Ortsherrschaft die Lehnsoberhoheit oder auch nur Anteile davon besessen hätte. D a jedoch die gesamte nähere und fernere Verwandtschaft Hildegards bereit war, den Familienbesitz in Bermersheim an ihr Kloster zu veräußern, da auch Pfalzgraf Hermann ihr äußerst gewogen war, 5 2 hätte Hildegard dort zumindest Anteile an Ortsherrschaft und Zehnt erwerben können, wenn sie diese nur hätte besitzen wollen. Erst seit dem 13. Jahrhundert erhielt auch der Rupertsberg vereinzelt Patronatsrechte. So erlangten die N o n n e n 1231 das Verleihungsrecht der Kapelle in Waldalgesheim. 5 3 D i e prominenteste Erwerbung dieser Art war aber die Schenkung des Patronats der Pfarrkirche von Friedberg in der Wetterau 1314, also schon im J a h r der Königswahl, durch Ludwig den Bayern mit daraufhin 1324 erfolgter Inkorporation. 5 4 In dieser Entwicklung ist aber eindeutig eine Abweichung von dem von Hildegard ursprünglich streng beobachteten, bereits v o m Gründungsabt von Citeaux propagierten 5 5 Verzicht auf Niederkirchen hin zu einer mehr traditionell und herrschaftlich ausgerichteten Benediktinerinnenabtei zu erkennen. Beim Unterschied zwischen der ursprünglichen Strenge Hildegards und dem später in ihrem Kloster eingetretenen Wandel, befindet man sich an der Anschlußstelle der zisterziensischen Diskussion des 12. Jahrhunderts. Bekannt ist das sogenannte Zehntprivileg der Zisterzienser, das in oberflächlicher Weise häufig als ,Zehntbefreiung' bezeichnet wird. In Wirklichkeit handelte es sich um den Verzicht auf Kirchenpatronate, Kirchenzehnten und parallel dazu die Befreiung von der Zehntleistung der Ländereien, die das Kloster selbst bewirtschaftete. Letztere Regelung wurde, allerdings verbunden mit speziellen sozialen Verpflichtungen, seit der Karolingerzeit für das sogenannte Salland von 50

SCHRÄDER 1 9 8 1 , S. 44.

51

Watzelhabn'scbes Compendium, f. 9, 21v-31 (woraus hervorgeht, daß die Kurpfalz bereits im 15. Jahrhundert die vogteilichen Rechte nicht nur beanspruchte, sondern effektiv innehatte); vgl. S C H R Ä D E R 1981, S . 44; S T R U C K 1973, S . 198.

52

V g l . STAAB 1 9 9 6 , S. 5 8 , 7 2 f . A n m .

53

SEIBRICH

76.

1977, S . 30, auch im Watzelhahn'schen Compendium, f. 64; 1973, S. 203. Die Vermutung von SEIBRICH 1977, diese Kapelle könnte Disibodenberg dem Rupertsberg abgetretenen Gütern gehört haben, dem oben erörterten Befund der Urkunden und der Vita, wonach der allein die acht Hufen erhielt, vgl. oben Anm. 25-28.

54

KLEINFELDT/WEIRICH

55

Vgl. CONSTABLE 1979a, I, S. 326f.

1 9 3 7 , S. 2 1 .

vgl. S T R U C K zu den vom widerspricht Rupertsberg

Hildegard

von Bingen in der zisterziensischen

Diskussion

167

Klöstern schon mehrfach angewendet. 56 In seinem Dialogus duorum monachorum gibt Idung dafür eine klassische Begründung, die er gemäß Robert von Molesme von dem Zisterzienser erläutern läßt: Die Zehnten seien nach altkirchlichem Recht in vier gleichen Teilen zu vergeben, einen für den Bischof, den zweiten für den Weltpriester, den dritten für die Pilger und Armen, den vierten für den Kirchenbau.57 Daraus ergibt sich für Idung und seinen Orden mit Notwendigkeit, daß die Klöster keine Kirchenzehnten besitzen und einnehmen dürfen. Der cluniazensische Gesprächspartner ist darüber zutiefst entsetzt, denn er muß zugeben, daß in der Tradition seiner Observanz die Mönche keinen Besitz mehr schätzen als die Zehnten.58 Ökonomisch gesehen, ist die cluniazensische Passion für diese Art von Besitz nur zu verständlich, denn sie verursachte keine Produktions- oder Transport-, sondern nur Lagerkosten, wenn sie auch zu Lasten der Bischöfe, der Ortspfarrer, der Armen und des örtlichen Kirchenbaus ging. Historisch ist sie allerdings nicht aus blanker materieller Begehrlichkeit entstanden, sondern aus einem von den Vertretern der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts propagierten archaischen, beinahe magischen Zehntbegriff. Nach dieser Konzeption sah man den Zehnt als eine „res sacra" an, machte ihn somit sakrosankt, wollte ihn den Händen der Laien ganz entziehen, verbot dementsprechend Verlehnungen, Verpachtungen oder Fixzehnt-Verträge und propagierte stattdessen die Übertragung des Zehntbezugs auf diejenigen, die sich nach der allgemein und besonders von Gregor VII. und Urban II. vertretenen Ansicht der vollkommensten christlichen Lebensform widmeten, das heißt auf die Cluniazenser. 59 Etwas später läßt Idung seinen Zisterzienser noch einmal auf diese Frage zurückkommen. Hier vergleicht er die Nachteile bestimmter Arten klösterlichen Besitzes mit den Vorteilen, die sich ergeben, wenn man, wie die Zisterzienser, darauf verzichtet. Er sagt: „Da ihr (die C l u n i a z e n s e r ) die Zehnten anderer Menschen, die Erträge von D ö r fern und M ü h l e n und die Steuerabgaben von Bauern, ja sogar diese Bauern selbst besitzt, pflegen aus dieser Vielfalt der Besitzarten Streitigkeiten zu entstehen, die den heiligen Frieden der M ö n c h e stören. Weil aber unser O r d e n all diesem entsagt, genießt er mit rechtmäßigem Besitz seinen Frieden." 6 0

Daß Hildegard für ihr Kloster Rupertsberg auf den systematischen Erwerb von Zehnten verzichtete, läßt sie um so mehr in der Nähe zisterziensischer Prinzipien erscheinen, als ihr Heimatkloster Disibodenberg schon seit der Ausstat56

V g l . STAAB 1 9 8 4 , S. 2 9 - 3 4 .

57

IDUNG Dialogus

58

Ebd. S. 117: „Finis relationis tuae de decimis non mediocriter terret me, quia nostri ordinis monachi nullas possessiones libentius habent q u a m decimas." CONSTABLE 1979a, I, S. 317-319, als cluniazensische A n s c h a u u n g noch im 12. J a h r hundert, ebd. S. 325. Vgl. auch STAAB 1984, S. 43f.

59 60

IDUNG Dialogus

(HUYGENS 1 9 8 0 ) , I 5 2 , S. 1 1 6 .

(HUYGENS 1 9 8 0 ) , I I I 3 1 , S. 1 6 8 .

168

Franz

Staab

tung des alten Klosters fränkischer Zeit, wie auch der des zwischen der Zeit um 1000 bis 1108 bestehenden Stiftes sehr wohl über eine größere Anzahl von dörflichen Kirchenzehnten und außerdem über von den Mainzer Erzbischöfen geschenkte Salzehnte verfügte. 6 1 N o c h im Jahre 1127 hatte es sich von Erzbischof Adalbert I. von Mainz bezüglich des vom Wiederbegründer des Klosters, Erzbischof Ruthard, zugeteilten bischöflichen Salzehnten in Mainz-Hechtsheim ganz im Sinn der archaisierenden cluniazensischen Interpretation in doppelter Urkundenausfertigung verbriefen lassen, daß dieser Zehnt nicht fern von den Ertragsgrundstücken in H ö h e irgendwelcher Abmachungen oder Ubereinkünfte bezahlt werden dürfe, sondern auf den Äckern und Weinbergen selbst und exakt nach dem Ertrag des jeweiligen Jahres zu leisten sei. 62 Es war in der Tat eine Revolution, daß die Zisterzienser die alte päpstlichkirchenreformerische Argumentationen verwarfen und sich der schon früher von dem Mainzer Erzbischof Siegfried I. ( 1 0 6 0 - 1 0 8 4 ) im sog. Thüringischen Zehntstreit mutig vertretenen Ansicht anschlossen, 6 3 daß Klöster keine Kirchenzehnte besitzen sollten. D e r neue O r d e n fand diese Auffassung wirtschaftlich vertretbar und sogar spirituell besonders adäquat für ein Kloster. Dabei war es den Zisterziensern, zumindest den etwas gründlicher denkenden, durchaus bewußt, daß sie sich mit ihren neuen Prinzipien auch gegen die bisherige päpstliche Rechtsauffassung stellten. Dies gilt übrigens noch für weitere rechtliche Vorstellungen der alten R e f o r mer. Als der Cluniazenser in Idungs Dialog in den von seiner Observanz zu den Zisterziensern übergetretenen Gesprächspartner dringt, ob er nicht der dem kanonischen Recht konformen päpstlichen Anordnung gehorchen, also in das Kloster zurückkehren müsse, in dem er die Profeß geleistet hatte, lehnt es der Zisterzienser zwar ab, dem Papst den Gehorsam aufzukündigen, aber er protestiert gegen diese Frage, auf welche die Antwort, wie sie auch immer ausfalle, nachteilig ausgelegt werden könne, und behauptet sogar, es sei gemäß dem G e b o t „Christo omnino nihil preponas" in Kapitel I V 23 der Benediktsregel nicht statthaft, „si papam vicarium Christi ipsi Christo preponeres". 6 4 Schärfer läßt sich die Kompetenz eines Papstes nicht eingrenzen. Es ist in diesem Zusammenhang fast schon zu erwarten, daß Hildegard in ihrer Erklärung der Regel die stabilitas loci, deren Verpflichtung sie sehr unterstreicht, doch nur dann verletzt sieht, wenn dies „qualibet occasione instabilitatis" geschieht, und in

61

62 63

64

Urkundenbuch Mainz I, Nr. 553 zu 1128 (große Besitzbestätigung mit historischen Herkunftsangaben). Die Besitzgeschichte des Disibodenbergs ist im übrigen ein Desiderat. Urkundenbuch Mainz I, Nr. 542 zu 1127; vgl. C O N S T A B L E 1979b, dort zitiert nach dem alten Druck in Urkundenbuch mrh., I, Nr. 457. STAAB 1984, S. 5 1 - 5 4 .

IDUNG Dialogus ( H U Y G E N S 1 9 8 0 ) , I I 1, S. 121f., Zitat S. 121. Die Regel sagt an der angegebenen Stelle ein wenig abweichend: „Nihil amori Christi praeponere." Idung zitiert hier offensichtlich nach dem Gedächtnis, aber doch inhaltlich korrekt.

Hildegard

von Bingen in der zisterziensischen

Diskussion

169

Notfällen sogar die A u f n a h m e eines entlaufenen Mönches in ein fremdes Kloster empfiehlt. 6 5 In der Frage, ob es richtig sei, daß sich neue Observanzen Regularkanoniker statt Mönche nennen - Idung ist selbstverständlich der Meinung, daß ein Versteckspielen mit dem asketischen Anspruch des Mönchtums mithilfe einer solchen Benennung nicht statthaft sei in dieser Frage also wirft er sogar Gregor VII. und Urban II. vor, sie hätten sich von den Interessenvertretern der Regularkanoniker täuschen und zu zweifelhaften Synodaltexten verleiten lassen. Trotzdem hält er selbstverständlich daran fest, daß auch diese Päpste vermöge des Jesusgebetes für Petrus (Lk 22 32 ) nicht wirklich vom Glauben abgewichen seien, gehe es doch hier um disziplinäre, nicht um Glaubensfragen. 6 6 Doch kehren wir zu den Besitzfragen z u r ü c k ! Die oben erwähnten, von Idung angesprochenen Mühlen sind für den besitzlichen Purismus des Rupertsbergs wiederum sehr instruktiv. Da die bestehenden Mühlen allgemein, so auch in Bingen, herrschaftlich organisiert und mit dem sog. Mühlbann 6 7 ausgestattet waren, konnte es nicht im Sinn Hildegards und ihrer Nonnen sein, von solch einer Einrichtung abhängig zu werden oder sich gar daran zu beteiligen. Es ist daher verständlich, daß sie sich bereits von Erzbischof Heinrich I. von Mainz in der ersten überhaupt erhaltenen U r k u n d e des Rupertsbergs Anfang 1152 einen Mühlplatz auf einer Insel im Binger Loch, also im Rhein, schenken ließ. 68 Die angegebene Stelle weist auf die besonderen topographischen Verhältnisse Bingens, die nicht allzu viele Wassermühlen zuließen. Eine solche Inselmühle mußte öfter im Jahr bei Hochwasser oder Eisgang unbrauchbar werden. Die damalige Unmöglichkeit, gemahlenes Mehl über längere Zeit aufzubewahren, ohne daß es verdarb, machte es deshalb notwendig, sich nach einer anderen Möglichkeit umzusehen. Bis etwa 1200, wahrscheinlich schon längere Zeit vor 1181, erwarben die Nonnen deshalb von Rudolf von Münster einen weiteren Mühlplatz oberhalb von Dietersheim bei Bingen, für den allerdings ein jährlicher Zins an das Kloster St. Jakob bei Mainz, das Mutterkloster des Disibodenbergs, zu zahlen war. 6 9 Außerdem beschafften sie sich von Richelo und Berloch eine halbe Mühle weiter oberhalb an der Nahe bei Langenlonsheim. 7 0 All dies war jedoch auf längere H I L D E G A R D I S Regula, Sp. 1063D. Im übrigen gebraucht sie einen mehr ethischen als formalen Begriff des entwichenen Mönchs, des „fugitivus"; vgl. Z Ö L L E R 1997, S. 277 Anm. 393. 66 I D U N G Dialogus ( H U Y G E N S 1 9 8 0 ) , II 4 6 - 4 8 , S . 1 4 5 . 67 Vgl. W E R K M Ü L L E R 1978-84, Sp. 716-722. 68 Urkundenbuch Mainz II, Nr. 175: „molendini locum, qui in potestate nostra erat, Mulenwert dictum et iuxta Loch in Reno situm, cum toto decursu et toto termino aquarum ipsius." Als Lage für diesen Mühlplatz ist an den „Mühlfels" im Rhein zu denken, in dem Herz und Gehirn des Niklas Vogt (Historiker und Sagendichter der Romantik) bestattet wurden, vgl. R E I D E L 1965, S. 134 Anm. 253. 69 Güterverzeichniß, S. 384. 70 Ebd. S. 372. 65

170

Franz

Staab

Sicht nicht befriedigend, weil diese Mühlen anscheinend nicht vollständig erworben, nicht genügend aus dem Herrschaftsgefüge ihrer Dörfer herausgelöst werden konnten. Endlich gelang es, von dem Mainzer Ministerialen Reimbodo von Bingen und dessen gleichnamigem Sohn als den bisherigen Pächtern eine Mühle bei Bingen-Büdesheim an der Nahe zu erhalten, die dem Kloster St. Alban gehörte und als die spätere „Frauenmühle" seit 1181 von den Nonnen auf Dauer gegen eine jährliche Korngült gepachtet werden konnte. 71 Das war dem Konvent so wichtig, daß er diese Mühle im Besitzprivileg Papst Lucius' III. vom 22. November 1184 genau angeben ließ. 72 Die langwierigen Bemühungen der Rupertsberger Nonnen um die Erwerbung einer herrschaftsunabhängigen Mühle zeigen also wiederum, welche Bedeutung das Prinzip des Herrschaftsverzichtes für die Erwerbungspolitik Hildegards und ihrer Nonnen hatte, aber auch welche Probleme es mit sich brachte. Noch etwas deutlicher wird die Problematik herrschaftlichen Besitzes in der Hand von Kirchen, wenn man eine Erörterung heranzieht, die Otto von Freising darüber anstellte. Bekanntlich verschaffte er dem Leser seiner Chronica oder Historia de duabus civitatibus eine willkommene Abwechslung von dem nicht gerade erbaulichen Charakter vieler Ereignisse der Weltgeschichte, indem er die Vorreden zu den einzelnen Teilen dazu benützte, um allgemeinere und aktuelle Fragen zu diskutieren. Im Prolog zum vierten Buch stellte er sich nun dem Thema, ob es der Kirche und speziell auch dem Papsttum erlaubt sei, weltliche Güter und weltliche Herrschaft zu besitzen. Er präsentierte die beiden gegensätzlichen Standpunkte und ihre Gründe, gelangte dann aber mit zwei Argumenten zu dem Schluß, daß die gestellte Frage zu bejahen sei. Das erste Argument ist sehr allgemeiner und grundsätzlicher Natur. Christus werde es nicht zulassen, daß seine geliebte Braut in Irrtum verfalle, sondern im Geist der Wahrheit verbleibe. Eine praktische Stütze erhalte diese Uberzeugung durch die gute Art und Weise, in der Heilige wie Papst Silvester, Gregor der Große, Ulrich von Augsburg, Bonifatius, Lambert von Lüttich oder Godehard von Hildesheim mit weltlichem Gut umgegangen seien.

71 72

Urkundenbuch Mainz II, Nr. 445; zu dieser Mühle vgl. die folgende Anmerkung. „Molendinum in fluuio qui dicitur .Na. super Pinguiam": Urkundenbuch mrh., II, Nr. 75, zur Datierung vgl. Germania Pontificia 4/4, S. 245 Nr. 17. Zusätzlich erwarben die Nonnen 1213 IV 16 von St. Alban einen Weinberg bei dieser Mühle, Urkundenbuch mrh., III, Nr. 6. Erst 1522 veräußerten sie die Mühle, nachdem sie außer mit den Abgaben für den Erzbischof und St. Alban noch mit anderen Verpflichtungen sehr belastet worden war, so daß schon die Instandhaltung nicht mehr bezahlt werden konnte, an das Mainzer Domkapitel und die Stadt Bingen. Das Domkapitel finanzierte dann auch großzügig den Wiederaufbau der Mühle, vgl. REIDEL 1965, S. 134-138; REIDEL 1998, S. 172-174 (mit Abbildung S. 172 aus einer Karte von 1599). Nach dem Verkauf der Frauenmühle mußte das Kloster gegen Lohn mahlen lassen. Sein Versuch, 1596 sich wieder eine eigene Mühle zu verschaffen, wurde vom D o m kapitel verhindert, vgl. ebd.

Hildegard von Bingen in der zisterziensiscben

Diskussion

171

D a s z w e i t e A r g u m e n t ist rein historisch u n d leitet die B e r e c h t i g u n g w e l t l i chen Besitzes u n d w e l t l i c h e r H e r r s c h a f t bei der Kirche v o n der mit guter A b s i c h t g e s c h e h e n e n K o n s t a n t i n i s c h e n S c h e n k u n g her, die i m 12. J a h r h u n d e r t a l l g e m e i n f ü r echt gehalten w u r d e . 7 3 J u s t u s H a s h a g e n beurteilte im J a h r e 1900 diese B e w e i s f ü h r u n g als schlüssig, w u n d e r t e sich aber d a r ü b e r , d a ß der C h r o nist sie anschließend d o c h w i e d e r in F r a g e stellte. 7 4 In der Tat ist es auffallend, w i e O t t o es a m Ende dieser E r ö r t e r u n g nicht n u r d e m Leser freistellt, der F r a g e w e i t e r u n d m ö g l i c h e r w e i s e mit besseren A r g u m e n t e n n a c h z u g e h e n , s o n d e r n sich die g a n z p e r s ö n l i c h e („de m e o s e n s u " ) F r a g e stellt, ob n u n Gott größeres W o h l g e f a l l e n an der j e t z i g e n Kirche mit ihrer „exaltatio", o d e r an der f r ü h e r e n o h n e w e l t l i c h e H e r r s c h a f t u n d der d a m a l i g e n „ h u m i l i a t i o " habe, u n d meint, er k ö n n e diese F r a g e eigentlich nicht b e a n t w o r t e n . Sein Vorschlag einer A n t w o r t bleibt eher v a g e : „Videtur q u i d e m status ille fuisse melior, iste felicior." 7 3 A b e r es scheint bei d e m Professen v o n M o r i m o n d das zisterziensische Ideal d u r c h , d a ß eine Kirche ohne w e l t l i c h e H e r r s c h a f t z w a r nicht glücklicher, aber doch besser sei. U m w a s es i m einzelnen ging, e r w ä h n t O t t o auch. Er u n t e r s c h e i d e t geistlichen Besitz, „decimae, p r i m i t i a e , oblationes f i d e l i u m et alia h u i u s m o d i " von den „terrenae dignitates, d u c a t u s , c o m i t a t u s et e i u s m o d i " . 7 6 H i l d e g a r d kennt dieses B e g r i f f s i n s t r u m e n t a r i u m , das die G a b e n der G l ä u b i g e n von H e r r s c h a f t u n t e r scheidet, selbstverständlich ebenfalls u n d hält die E n t g e g e n n a h m e solcher G a ben u n d das d a f ü r verrichtete Gebet f ü r rechtens. 7 7 In ihrer Vita S. Disibodi schilderte sie einen Streit u m die B e s i t z u n g e n dieses Klosters, in dessen Verlauf H e r r e n u n d Fürsten, die sich w e g e n der V e r t e i d i g u n g des R e i c h e s in N o t geraten glaubten, den M ö n c h e n einiges entziehen w o l l t e n . In dieser L a g e ließ H i l d e g a r d Karl den G r o ß e n dieses A n s i n n e n , G a b e n der G l ä u b i g e n staatlich einz u z i e h e n , r u n d w e g ablehnen. 7 8 Ihre U n t e r w e i s u n g u n d die d a r a u s resultierende R u p e r t s b e r g e r Tradition schlägt sich auch in ihrer Vita nieder, w o es heißt, d a ß der Besitz des R u p e r t s b e r g s d u r c h die „donaria f i d e l i u m " f i n a n z i e r t w o r d e n sei, w o b e i S t i f t u n g e n f ü r B e g r ä b n i s s e a n s c h e i n e n d eine b e s o n d e r e R o l l e spielten. 7 9 Chronica, IV prol., S. 182f.

73

OTTO

74

HASHAGEN 1 9 0 0 , S. 9 0 .

Chronica, IV prol., S. 183. Chronica, S . 1 8 1 .

75

OTTO

76

OTTO

77

Vgl. ZÖLLER 1997, S. 2 9 2 .

78

H I L D E G A R D I S Vita Disibodi, 4 7 (Sp. 1 1 1 3 B ) : „Quorum verba imperator sapienter suscipiebat, sapienterque dissimulabat, dicens quod ipse fratribus illis, nec allodia, nec alias facultates, quas ipsis fideles contulissent, ulla ratione abstrahieret." H I L D E G A R D I S Vita, I 7, 1 3 , S . 1 2 : „possessionem ... de donariis fidelium, que fama nominis eius adducti deferebant, locum sue habitacionis partim dato pretio, partim facto concambio a proprietariis predictis obtinuit"; vgl. ibidem, II 5, 71-72, S. 29: „Multi etiam diuites mortuos suos in honore apud nos sepelierunt." In diese Kategorie gehört wohl auch das Begräbnis des exkommunizierten Ritters, das zum Konflikt mit dem Mainzer Domkapitel führte, vgl. unten S. 177-178.

79

Franz

172

Staab

Wie Hildegard sich die Grundbesitzausstattung ihres Klosters wünschte, geht aber am deutlichsten aus der Besitzstruktur des Rupertsbergs hervor: ohne Herrschaftsrechte, ohne Niederkirchen- und Zehntbesitz.

ABSTINENZ

Daß die Cluniazenser außer im Krankheitsfall noch andere Ausnahmen vom Abstinenzgebot Benedikts vor allem bei den „caritates" im Rahmen der Totengedächtnisse, zuließen, wirft ihnen Idung vehement vor. 80 Der cluniazensische Partner seines Dialogs antwortet darauf mit der Gegenanschuldigung, das zisterziensische Regelverständnis sei ein judaisierendes, das heißt am Buchstaben klebendes. Idungs Zisterzienser gerät darüber ziemlich in Fahrt, fragt ironisch, ob ein Mönch etwa deswegen Fleisch essen solle, damit er sich nicht dem Vorwurf des Judaisierens aussetze, und erklärt es für Irrsinn, die klösterliche Disziplin, wie die Cluniazenser es tun, nicht wörtlich, sondern allegorisierend auslegen und damit entschärfen zu wollen. 81 Auch die in der Hirsauer Tradition stehenden Disibodenberger Mönche dürften in diesem Punkt dem cluniazensischen Vorbild etwas nachgegeben haben. Jutta von Sponheim jedenfalls beobachtete davon abweichend eine auffallend strenge Abstinenz vom Fleischgenuß, die sie sogar bei Krankheit nicht aufgeben mochte, selbst als ihr Abt gemäß der Benediktsregel cap. 30 und 39 Krankenkost mit Fleisch anordnete. 82 Hildegard hielt nichts vom willkürlich begonnenen strengen Fasten, 83 aber auch nichts von einer Überbewertung des Essens. Bei der Auslegung der Regel unterstrich sie das benediktinische Fleischverbot. Als erlaubt, da vom Mönchsvater nicht ausdrücklich verboten, betrachtete sie Fisch, Käse, Eier und Geflügel. Den Wert von Fleischspeisen erkannte sie durchaus an, wenn sie etwa im Vorwort des 7. Buchs der Physica generell feststellte, daß die pflanzenfressenden im Gegensatz zu den fleischfressenden Vierfüßlern für den Menschen gesund zu essen seien.84 Solche Stellen sagen aber nichts darüber aus, wie sie und ihr Rupertsberger Konvent mit Benedikts Abstinenzgebot umgingen, ebenso nicht eine Bemerkung aus ihren Briefen an den eigenen Konvent, wo sie warnt, man könne durch üppige Mahlzeiten und leichtfertige Sitten nicht das Gottesreich gewinnen.85

80

IDUNG Dialogus

(HUYGENS 1980), I I I 15, S. 160, und I I I 2 0 - 2 2 , S. 162f.

81

IDUNG Dialogus

(HUYGENS 1 9 8 0 ) , I I I 15, S. 1 6 0 .

82

Vita domnae Juttae inclusae, VI 1-5 (STAAB 1992), S. 180; Übersetzung: STAAB 1997, S . 74. HILDEGARDIS Regula, Sp. 1060D-1061A. Vgl. etwa auch HILDEGARDIS Epistolarium II, ep. 94R, 21-24, S. 250; ep. 156R, 29-30, S. 350. HILDEGARDIS Physica, VII praefatio, Sp. 1312. HILDEGARDIS Epistolarium II, ep. 194, S. 439: „Num existimatis quod per conuiuia ciborum ac potuum ac per lasciuiam morum regnum Dei accipiatis ?"

83 84 85

Hildegard

von Bingen

in der zisterziensischen

Diskussion

173

Etwas näher kommt man der Praxis Hildegards schon mit der Vita ihrer Lehrerin Jutta von Sponheim, aus der sich ergibt, daß bereits von ihr Geflügel, speziell Wasservögel, nicht als Fleisch im Sinne der Benediktsregel angesehen wurden.86 Verhältnismäßig ausführlich geht Hildegard auf diese Problematik in ihrer kurzen Erklärung der Regel ein. Hier meint sie, daß genau, wie Benedikt vorschreibt, die kranken Konventualen Fleisch sowohl von Vierfüßlern als auch von Geflügel zu sich nehmen dürfen (und sollen), die Gesunden aber weder Fleisch noch Fleischbrühe von Vierfüßlern, sondern bloß Geflügel. 87 Dabei sieht sie allerdings die Konzilianz, Fisch, Käse, Eier und Geflügel auf den Speiseplan zu setzen, nur als eine „gratia" an. Sie seien deshalb dem dritten Gang (also der Nachspeise nach der richtigen Sättigung) vorzubehalten. Außerdem zeigte sie eine besondere Strenge bezüglich Süßspeisen, die ebenfalls den dritten Gang bilden sollten. Sie wollte nicht, daß gekochte Apfel (Kompott, Bratäpfel, Pfannkuchen etc.) gereicht werden, sondern nur rohe, jedoch geschnittene Früchte ohne die Butzen. 88 Allein Kinder und Greise dürften im Kloster mit süßeren Speisen traktiert werden. 89 In ihrer Antwort auf die 30. Frage der Zisterzienser von Villers über die Bibelstelle 1 Sam 14 29 , wonach Jonathan nach dem Genuß von etwas Honig wieder besser sah, hob sie das Problem der Süßigkeiten sogar auf eine sehr allgemeine Ebene. Für die Rechtschaffenheit eines Menschen sei nicht seine Nahrung verantwortlich. Da Jonathan bereits vorher gerecht gewesen sei, habe ihm Honig geholfen, wieder Gutes zu vollbringen. Ein bösartiger Mensch indessen werde auch bei guter Ernährung nicht besser, wenn er sich nicht selbst durch das Wesen seiner Seele in die Schranken weise.90 In den Zusammenhang der von ihr geforderten Askese beim Essen gehört auch der Nachdruck, den sie darauf legte, daß die Söhne (und Töchter) Benedikts außerhalb der gemeinsamen Mahlzeiten bei schwerer Strafe keine Speisen zu sich nehmen dürfen.91 Auch hier gibt die Analyse der Güterausstattung des Rupertsbergs noch einen konkreteren Einblick. Als Bewirtschaftungsformen kommen Ackerland, deutlich weniger Weinberge und Wiesen vor, aber überhaupt keine Wälder, obwohl sie in der Region fast unmittelbar hinter dem Rupertsberg mit dem Binger Wald beginnen. Das Kloster und nach der Zerstörung von 1632 die Pächter des weiter bestehenden Wirtschaftshofs besaßen nur ein Beholzigungsrecht im Binger Wald,92 das zu den üblichen Rechten von Markgenossen und dörflichen Grundbesitzern an Wald, Wasser und Weide gehörte.93 Im 18.Jahr86 87

Wie oben Anm. 82. H I L D E G A R D I S Regula,

Sp.

88

HILDEGARDIS Regula,

Sp. 1 0 6 0 B - C .

89

HILDEGARDIS

90

HILDEGARDIS

91

HILDEGARDIS

1059C.

Regula, Sp. 1 0 5 9 D . Solutiones,, Nr. 3 0 , Sp. Regula, Sp. 1 0 6 1 B .

92

REIDEL 1 9 9 8 , S. 1 6 5 .

93

Vgl. KLÖTZER 1 9 7 8 - 8 4 , Sp. 2 8 3 .

1050C-D.

Franz Staab

174

hundert verfügte das Kloster außerdem über einen ,SchälWaldt' bei Waldalgesheim, der an die Gemeinde von Schnorbach gegen einen Haferzins verpachtet war, doch den zuständigen Förster bestellte die Kurpfalz. 94 Auch hier besaß das Kloster also keine Herrschaftsrechte. Dieser Besitz, auf dem wohl Eichen-Lohe gewonnen wurde, ist in den Urkunden bis 1200 und im Güterverzeichnis der Zeit um 1200 nicht nachweisbar, wurde also erst später erworben. Es war auf den Rupertsberger Gütern zur Zeit Hildegards demnach nur Feldfrüchteanbau möglich, etwas Weinbau und Viehhaltung, aber keine Schweinemast in der damals üblichen Form der Eichel- und Bucheckernmast. Dementsprechend konnte Wein gewiß kein tägliches Getränk sein, und es war nicht möglich, daß Schinken und Würste auf dem Speisezettel der Nonnen standen. Daß dies für fromme Frauen nicht überall die Regel war, mag ein Vertrag des Bischofs Meinwerk von Paderborn mit einer sanctimonialis Atte veranschaulichen, die ihren Besitz an die Paderborner Kirche veräußert hatte. Dafür erhielt sie als einmalige Entschädigung nicht nur Geld, sondern auch einen Mantel, eine Fuchsfelldecke und einen Marderumhang. Als jährlicher Unterhalt wurden ihr wahrscheinlich auch für Knecht und Magd, die man bei einer hochgestellten Dame voraussetzen muß - von Seiten der Paderborner Kirche 108 Scheffel Malz zum Bierbrauen, 3 Partien Schinken mit allen Därmen (Würsten), 3 Krüge Honig, 90 Käse, 5 Schweine, 5 Schafe und 20 Malter Korn zugesichert. 95 In den kühleren Monaten gab es auf dem Rupertsberg wahrscheinlich Fisch, der aus Rhein und Nahe nicht schwer und auch nicht teuer zu beschaffen war. Mit dieser Gewohnheit muß es zusammenhängen, daß Hildegard über die Haltbarkeit, Bekömmlichkeit und die physiologischen Wirkungen von Fischen sowohl nach ihrer Art als auch nach ihrer Herkunft aus den heimischen Gewässern sehr gut Bescheid wußte. 96 In der warmen Jahreszeit allerdings mußte Käse an deren Stelle treten. Hierfür wurde besondere Vorsorge getroffen, über die wir bestens informiert sind. Eine der großzügigsten Wohltäterinnen des Klosters, Gepa, die umfangreiche Liegenschaften in Ockenheim und Volxheim stiftete, wies auch für die Monate vom 1. Mai bis 1. Oktober je 10 Schillinge an, damit davon in dieser Zeit Käse gekauft werden konnte. 97 Man wird an die alte sprichwörtliche Regel erinnert, daß es in den Monaten, die ein r im Namen enthalten, gut sei, Fisch zu essen, in den übrigen aber nicht. Für letztere sorgte die erwähnte Käsestiftung. 94

Watzelhabn'sches Compendium, f. 64; vgl. S T R U C K 1973, S. 203. Zur Bestellung des Försters, der dem Forstmeister des Oberamtes Stromberg unterstand, vgl. WIDDER 1 7 8 7 , I I I , S. 3 5 4 .

95 Bischof Meinwerk, cap. 45, S. 39f. 96 Behandlung der einzelnen Fischarten in der Physica, V 1-37, Sp. 1270-1286, Behandlung der heimischen Flüsse Rhein, Main, Donau, Mosel, Nahe und Glan mit Angaben über die Bekömmlichkeit der darin lebenden Fische ebd., 115-10, Sp. 1212f.; Neudedition nach den Handschriften von VOLLMANN 1979, S. 67-69, Übersetzung S. 76-78. 97 Güterverzeichniß, S. 370.

Hildegard

von Bingen in der zisterziensischen

Diskussion

175

D a ß die Rupertsberger Abstinenz im 12. Jahrhundert keineswegs allgemein auch in andern Konventen üblich war, kann übrigens ein Blick auf den Augustiner-, also Regularkanonikerkonvent von Hane-Rothenkirchen bei Kirchheimbolanden zeigen. E r hatte von Werner II. von Bolanden, dem Sohn des Stifters Werner I., gleich vier Wälder in die Ausstattung erhalten, die letztlich aus einer Schenkung Ludwigs des F r o m m e n an die Abtei Prüm herrührten. 9 8 Die Regularkanoniker von Hane-Rothenkirchen besaßen also beste Voraussetzungen für eine ausgedehnte Schweinemast. Nicht allein Idung äußerte, wie bereits erwähnt, ernste Vorbehalte gegenüber der Lebensweise der regulierten Chorherren, die ihm die eigentliche Berufung des Mönchtums zu verfehlen schienen. Auch Hildegard hatte hier Vorbehalte. An den A b t von Rothenkirchen, der an sie eine überaus höfliche Anfrage gerichtet und sie darin mit allen berühmten Heldinnen des Alten Testamentes verglichen hatte, schrieb sie sehr ernst und ziemlich kurz angebunden, er gleiche einer weißen Wolke, die weder warme noch kalte Luft beinhalte, aus der deswegen keine nützlichen Wohlgerüche in den Pflanzen entstünden, da sie weder W ä r m e noch Regen spenden könne. E r müsse also sein Leben, bevor er abberufen werde, gründlich verbessern und gute Werke t u n . " Das ist ziemlich hart gegenüber einem Mann, der sich immerhin in der typischen Selbsteinschätzung der Regularkanoniker als „pauperis prelati habens officium" stilisierte, und klingt fast schon so, als ob sie befürchtete, daß die zu üppige Lebensweise des Chorherrn einen lebensverkürzenden Einfluß haben würde, gemäß dem hübschen französischen Sprichwort „un chanoine, un gras". Bei Idung von Prüfening vollführt übrigens der Cluniazenser im Gegenangriff auf die Kanoniker, die wegen ihrer kräftezehrenden Seelsorgsarbeit eine bessere Ernährung beanspruchten, mit umgekehrter Argumentation einen Hakenschlag und behauptet, es sei für die in Predigt- und Leitungsämtern stehenden Weltkleriker notwendiger, sich von Fleisch, Wein und aufwendigen Speisen zu enthalten, als für die Mönche, die nicht so sehr weltlichen Versuchungen ausgesetzt seien wie jene. 1 0 0 Damit ließen sich selbstverständlich ganz nebenbei die üppigen „caritates" der Cluniazenser rechtfertigen. U b e r die speziell monastische Abstinenz hinaus hatte Hildegard aber auch noch allgemeinere Vorbehalte gegenüber Schweinefleisch. Es war am Eingang dieses Abschnittes bereits erwähnt worden, daß sie ganz allgemein das Fleisch von Pflanzenfressern für gesund hielt, das von Fleischfressern nicht. Im Abschnitt der Pbysica über das Schwein charakterisierte sie dessen Fleisch generell als ungesund, gerade auch für Kranke. N u r Ferkel spielten für sie bei der Krankenkost eine Rolle, und sie konzedierte, daß Waldschweine etwas reinlicher seien als Hausschweine. 1 0 1 Das nähert sich sehr stark modernen ernäh98

Vgl. STAAB 1 9 9 8 a .

99

HILDEGARDIS Epistolarium

100 IDUNG Dialogus

II, e p . 191R, S. 432.

(HUYGENS 1 9 8 0 ) , I I I 3 5 , S. 1 7 5 .

101 HILDEGARDIS Pbysica,

VII 17, Sp. 1523f.

Franz Staab

176

rungsphysiologischen Lehren an, ist aber für ihre Zeit, in der Schweinefleisch in der allgemeinen Ernährung ein Haupteiweißlieferant und sehr geschätzt war,102 durchaus ungewöhnlich.

Vita

angelica

Ein sehr wichtiges monastisches Thema war für Bernhard von Clairvaux das Verhältnis von büßender und engelhafter Lebensform, bei dem er sehr stark letztere als das alles andere bestimmende Prinzip betonte. 103 Schon in Spätantike und Frühmittelalter spielte der Bußgedanke beim Mönchtum zwar nicht die Hauptrolle, aber doch eine sehr wichtige, bis hin zur Nutzung der Klöster als Gefängnisse auch für hochgestellte Häftlinge. 104 Mit der Scheidung zwischen Mönchen und Kanonikern, die auf eine strikte Trennung der Mönche von der Welt zielte, hatte sich das Element der Buße im Mönchtum seit der Karolingerzeit in den Vordergrund geschoben. Im Zeitalter der Kirchenreform wurde diese Differenzierung von den Kanonikern dazu benützt, um Rechte und Besitz, soweit sie mit Aufgaben der Seelsorge verbunden waren, von den Klöstern abzuziehen, aber auch um die Askese den Mönchen zu überlassen und sich selber das Leben, gewissermaßen durch die Unterscheidung legitimiert, zu erleichtern. Diese Diskussion spielt selbstverständlich auch bei Idung von Prüfening eine große Rolle. 105 Hildegard hat das Prinzip der „vita angelica" ähnlich wie Bernhard von Clairvaux sehr stark herausgestellt, und das bereits seit dem Scivias.Wb An eine unbekannte Äbtissin schrieb sie, der Mensch, der auf dieser Erde ein nicht-irdisches Leben gegen den Lauf der Welt und die Versuchungen des Teufels führe, dessen Leben sei eine „vita angelica". 107 In ihrer Einleitung zu den Fragen der Mönche von Villers erläuterte sie, daß die Mönche, die um Christi willen auf die Welt verzichteten, sich der Pracht der Welt enthalten, wie die Jungfrau nach dem Gelübde der Gedanken an einen Mann, denn - und damit wird das Argument ins Positive gewendet - die Mönche und Jungfrauen gehörten den Ständen der Engel an („inter ordines angelorum idem sunt"), da ihr einziger Wunsch darin bestehe, das Angesicht Gottes zu sehen, unter Verzicht auf die Welt dem Gotteslamm unter dem Feldzeichen des Kreuzes nachzufolgen, wodurch sie die leuchtenden Blumen des Leidens des Herrn hervorbrächten. 108 Hildegard reihte 102 RÖSENER 1985, S. 109, 113f., 147-149. 103 D I N Z E L B A C H E R 1 9 9 8 , S . 3 6 . 104 L A D N E R 1 9 6 7 , S . 3 1 1 - 3 1 3 ; LASKE 1 9 7 8 . 105 IDUNG

Dialogus

(HUYGENS 1 9 8 0 ) , I I I 3 3 - 3 7 , S. 1 7 4 - 1 7 6 ; I I I 4 4 - 4 7 , S. 180F.

106 V g l . SCHIPPERGES 1 9 7 9 , S . 1 4 6 - 1 4 9 ; Z Ö L L E R 1 9 9 7 , S . 2 7 6 , 5 5 4 A n m .

107 108

HILDEGARDIS HILDEGARDIS

55.

Epistolae, ep. 107 (PL 197, Sp. 328D). Solutiones, Sp. 1039C: „Eremitae quoque sive monachi, qui propter

Christum saeculo renuntiaverunt sine societate saecularis pompae vivere debent, sicut virgo post votum sine memoria viri; quia virgines et monachi inter angelicos ordines

Hildegard

von Bingen

in der zisterziensischen

Diskussion

177

sich damit n i c h t allein in eine bereits v o n A u g u s t i n u s b e z o g e n e m o n a s t i s c h e T r a d i t i o n 1 0 9 ein, s o n d e r n b e t o n t e darin b e s o n d e r s die seit f r ü h c h r i s t l i c h e r Zeit b e a n s p r u c h t e B e z i e h u n g z w i s c h e n d e m G e s a n g der E n g e l und d e m O f f i z i u m der R e l i g i ö s e n . A u f die F r a g e der Z i s t e r z i e n s e r v o n Villers, was m a n unter den Z u n g e n der E n g e l z u verstehen habe, gab sie z u n ä c h s t die A n t w o r t , in m e n s c h licher S p r a c h e äußerten sich die E n g e l n u r zu den M e n s c h e n , a n s o n s t e n sei ihre Z u n g e nichts als der K l a n g des L o b e s . D a n n f u h r sie aber f o r t , da der M e n s c h das, was t ö n t , d u r c h den K l a n g w a h r n e h m e , zeige er im G e s a n g die F r ö h l i c h k e i t seines H e r z e n s , die sich i m A t e m der Seele e r h e b t . 1 1 0 D a s gesungene G o t t e s l o b e r h ö h t also die M e n s c h e n auf die Stufe der E n g e l . E b e n s o wie Idungs Z i s t e r z i e n s e r gegen das v o n den C l u n i a z e n s e r n p r a k t i zierte S c h l ä f c h e n v o r der M a t u t i n sprach, u m ihr nichts v o n ihrer B e d e u t u n g zu n e h m e n , u n d darin einen w i c h t i g e n U n t e r s c h i e d s a h , 1 " erläuterte auch H i l d e gard in ihrer E r k l ä r u n g der R e g e l sehr ausführlich, die M a t u t i n müsse im M o r gengrauen (also im k o s m i s c h e n E i n k l a n g mit d e m S o n n e n l a u f ) gesungen w e r den. D a s w e g e n der längeren N a c h t im W i n t e r e n t s t e h e n d e Intervall nach der N o k t u r n sei mit M e d i t a t i o n ü b e r die g e h ö r t e n G e b e t e und L e s u n g e n zu füllen (also nicht mit d e m c l u n i a z e n s i s c h e n S c h l ä f c h e n ) . D a f ü r e r s t r e c k e sich der Schlaf v o r der N o k t u r n bis ü b e r die M i t t e r n a c h t hinaus, u n d bei dieser gesunden E i n t e i l u n g z w i s c h e n Schlaf u n d N a c h t w a c h e n w ü r d e die M a t u t i n auch mit F r e u d e g e s u n g e n . 1 1 2 H i e r s t i m m t e H i l d e g a r d also w i e d e r genau mit d e m P r o g r a m m der Z i s t e r z i e n s e r überein. W i e e l e m e n t a r sie die B e z i e h u n g z w i s c h e n d e m L o b der E n g e l und d e m k l ö s t e r l i c h e n O f f i z i u m e i n s c h ä t z t e , zeigt sich b e s o n d e r s in d e m b e k a n n t e n B r i e f , den sie w ä h r e n d des Streits u m das B e g r ä b n i s des angeblich n o c h e x k o m m u n i z i e r t e n R i t t e r s an das M a i n z e r D o m k a p i t e l richtete. D a r i n fügte sie sich z w a r d e m I n t e r d i k t , a r g u m e n t i e r t e j e d o c h sehr h a r t n ä c k i g gegen die dadurch erfolgte Sistierung des k l ö s t e r l i c h e n L o b g e s a n g s . W o h l h a b e A d a m d u r c h den Sündenfall seine bis dahin besessene „similitudo ergo uocis a n g e l i c e " v e r l o r e n , d o c h sei d u r c h die g ö t t l i c h e E r l e u c h t u n g davon etwas ü b e r die P r o p h e t e n in die P s a l m e n und C a n t i c a z u r ü c k g e f l o s s e n und v o m H e i l i g e n G e i s t in der K i r c h e

idem sunt; quoniam sicut angeli nihil aliud quam faciem Dei inspicere desiderant, sie et ipsi omnibus pompibus saecularibus abjectis, Agnum Dei, Christum scilicet, crucem ejus bajulantes, sequuntur, in quibus propter verum contemptum saeculi rutilantes flores passionis Dominicae generant." 109 V g l . L A D N E R 1 9 6 7 , S . 3 2 0 , 3 2 6 m i t A n m .

17.

Solutiones, Nr. 1 4 , Sp. 1 0 4 5 B . Vgl. auch H I L D E G A R D I S Epistolanum II, ep. 194, 29-30, S. 440: „Angeli enim reliquias operum secularium hominum qui secundum carnalia desideria uiuunt, Deo non offerunt, sed horum qui carnalia desideria relinquentes corpora sua propter Deum ad terram prosternunt atque laudibus Dei sicut angeli semper insistunt." 111 I D U N G Dialogus ( H U Y G E N S 1980), I I I 57-58, S . 185f. 112 H I L D E G A R D I S Regula, Sp. 1056f. 110 H I L D E G A R D I S

Franz Staab

178

verwurzelt worden. 113 Wer aber das Gotteslob ohne ganz triftigen Grund unterbinde, der schließe sich damit selbst vom „consortium angelicarum laudum in celo" aus. 114 Auch im Briefwechsel mit der Meisterin Tengswind von Andernach geht es weniger um eine soziale Frage, als um das Problem der „vita angelica" und ihrer Nähe zum göttlichen Bräutigam. Tengswind erhob den Vorwurf, die Rupertsberger Nonnen verrichteten ihre Gesänge an Festtagen mit offenen Haaren, mit weiß-seidenen Schleiern, die bis auf den Boden reichen, mit goldgewirkten und mit Darstellungen des Kreuzes und des Gotteslammes geschmückten Kronen auf dem Haupt, sogar mit goldenen Fingerringen an den Händen. 115 Hildegard rechtfertigte die besondere liturgische Gewandung mit dem Stand der geweihten Jungfrau in der Kirche, sie stehe in der Einfachheit und Reinheit des schönen Paradieses, 116 eine Auslegung, die sich im Einklang mit der erwähnten Vorrede zu den Solutiones und der dort erwähnten Zugehörigkeit zu den Rängen der Engel versteht. Daraus wird dann die Art der Gewandung abgeleitet, welche die Nonnen als Bräute Christi charakterisieren soll: Es gezieme sich, daß sie vor den höchsten Priester wie ein Gottesopfer treten, im weißen Gewand, das die Verlobung mit Christus kündet, den Namen des Sohnes und des Vaters auf der Stirn, bereit, dem Gotteslamm zu folgen. 117 Hier benützt nun Hildegard die bernhardinische Heraushebung der „vita angelica", um eine ältere cluniazensische Gewohnheit, die ihr wohl vom Disibodenberg her bekannt war, zu rechtfertigen, daß nämlich der gesamte Konvent an Festtagen für die Liturgie in besondere Gewänder gekleidet wurde. In diesem Punkt stellte sie sich allerdings den Neuerungen entgegen, die vom Zisterzienser Idungs sehr aggressiv vertreten werden, indem er solche Gebräuche als Raub an den Armen brandmarkt: Es reiche aus, wenn nur Zelebrant und Altar-

Epistolarium I , ep. 23, S . 63f., Zitat S . 63, 71. - Literatur zu Hildegards Verhältnis zur Hierarchie: Hildegard-Bibliographie, S. 138. Urkundenbuch Mainz II, N r . 427, S. 689; H I L D E G A R D I S Epistolarium I, ep. 23, S. 65, 147f. H I L D E G A R D I S Epistolarium I , ep. 52. S. 126, 12-19. - Zur Einschätzung der sozialen Problematik vgl. HAVERKAMP 1984; STAAB 1998b. H I L D E G A R D I S Epistolarium I, ep. 52R, S. 128, 24f.: „ipsa stat in simplicitate et integritate pulchri paradisi." H I L D E G A R D I S Epistolarium I, ep. 52R, S. 129, 3 1 - 3 9 : „Vnde decet illas peruenire ad summum sacerdotem sicut holocaustum D e o dedicatum. Quapropter decet per licentiam et per rcuelationem in mystico spiramine digiti Dei, quod uirgo candidum uestem induat, claram significationem desponsationis Christi, uidens quod intexte integritati mens eius solidetur, considerans etiam, quis ille sit cui coniuncta est, sicut scriptum est: Habentes nomen eius et nomen Patris eius scriptum in frontibus suis, et iterum: Sequuntur Agnum quocumque ierit." (Apoc. 14, 4 ). Vgl. dazu oben Anm. 108 das Zitat aus H I L D E G A R D I S Solutiones.

113 H I L D E G A R D I S 114 115

116 117

Hildegard

von Bingen

in der zisterziensischen

Diskussion

179

diener eine b e s o n d e r e G e w a n d u n g t r ü g e n . 1 1 8 D a ß F r a u e n der A l t a r d i e n s t nicht o f f e n s t a n d , mag mit ein G r u n d f ü r H i l d e g a r d gewesen sein, ersatzweise den e r w ä h n t e n c l u n i a z e n s i s c h e n B r a u c h f o r t z u f ü h r e n und w e i t e r z u e n t w i c k e l n , w ä h r e n d T e n g s w i n d hier der zisterziensischen A r g u m e n t a t i o n folgte. H i l d e g a r d hat gewiß n i c h t n u r Z i s t e r z i e n s i s c h e s a u f g e n o m m e n . V o n ihrer D i s i b o d e n b e r g e r H e r k u n f t h e r stand sie z u n ä c h s t in der c l u n i a z e n s i s c h - h i r s a u ischen T r a d i t i o n , die sich bei ihr auch vielfach m a n i f e s t i e r t e . 1 1 9 Sie v e r w i r k l i c h t e j e d o c h auf d e m R u p e r t s b e r g ein w o h l d u r c h d a c h t e s , integratives, dabei b e t o n t strenges, v o m W o h l l e b e n u n d H e r r s c h a f t s g e b a r e n der Welt n a c h d r ü c k l i c h a b g e w a n d t e s K l o s t e r l e b e n , das sich sehr stark den zisterziensischen Idealen annäherte. Wie sie mit ihren speziell entwickelten monastischen Gebräuchen b e e i n d r u c k t e , läßt sich n i c h t allein aus den T e x t e n ihrer E p o c h e ablesen, s o n dern auch aus der K u n s t späterer Zeit. I n der B i n g e r M a r t i n s b a s i l i k a sieht der B e s u c h e r im S c h i f f der K i r c h e eine H i l d e g a r d - S t a t u e in b e n e d i k t i n i s c h e r T r a c h t , die m a n d e m 19. J a h r h u n d e r t z u s c h r e i b t . Als m e r k w ü r d i g e A u s n a h m e v o m ü b l i c h e n H a b i t trägt sie j e d o c h k e i n e n s c h w a r z e n , s o n d e r n einen hellen, vergoldeten S c h l e i e r . 1 2 0

118 IDUNG Dialogus (HUYGENS 1980), II 23f., S. 133f. Dieser Zusammenhang wurde übersehen von STEVENS 1998. Das läßt die Kritik Tengswinds verabsolutiert und losgelöst von der zeitgenössischen monastischen Diskussion erscheinen. 119 Vgl. ZÖLLER 1997, S. 287 Anm. 487, S. 554f. Anm. 55 mit Literatur. - Zur hirsauischen Tradition des Disibodenbergs und seines Mutterklosters St. Jakob, vgl. STAAB 1992, S. 149-158. 120 Bingen Basilika, S. 32 Nr. 12.

Der „Thesaurus Hildegardis Bingensis" v o n P A U L TOMBEUR u n d C L A I R E PLUYGERS

Das Werk der Hildegard von Bingen: ein vielfältiges, facettenreiches, schwer zugängliches Werk. „Putasne ? Intelligis quae legis ?" fragt in der Apostelgeschichte Philippus den Kämmerer, während der den Propheten Jesaja liest. „Legere, intellegere; legere, in te legere . . . " „Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet ?" (vgl. Apg 830_31) Dieser an die elektronische Datenverarbeitung wie an die Philologie gerichtete Appell ist so unerbittlich, so subtil, so rational („ratio verbi") wie nur irgend möglich. Er stellt eine sowohl mikroskopische als auch makroskopische Vision dar: Von daher gewinnen wir das Gefühl von Sicherheit, mit dem wir uns auf den Weg der Erkenntnis von Hildegards Werk begeben. Die Katholische Universität von Löwen in Louvain-la-Neuve freut sich sehr, ihr Scherflein zum Hildegard von Bingen-Jahr beizutragen. Wir verfügen heute noch nicht über alle Elemente für einen vollständigen Thesaurus zu Hildegard. Verschiedene Ausgaben sind noch im Entstehen, und wir hoffen, daß ihre Veröffentlichung nicht zu lange auf sich warten läßt. Die Vorbereitung des Thesaurus Hildegardis geschah in Zusammenarbeit mit den Benediktinerinnen der Abtei von Eibingen, und wir nutzen diese Gelegenheit, den Schwestern unser Dankeschön für ihren Beitrag auszusprechen. Zu großem Dank verpflichtet sind wir auch unserem Kollegen Rainer Berndt für die Rolle, die er zu Beginn dieses Projektes gespielt hat. Der erste Band dieses Thesaurus trägt den Titel Visionis Munus und hat den Scivias, den Liber uitae meritorum und den Liber diuinorum operum zum Gegenstand. Die konkrete Planung und die Ausarbeitung dieses ersten Bandes sind das Werk des CETEDOC, des „Centre de traitement electronique de documents" in Louvain-la-Neuve. Den Löwenanteil der Arbeiten hat Ciaire Pluygers übernommen. Diese Vorstellung des Thesaurus besteht aus zwei Teilen: Ein erster Teil stellt einerseits das Arbeitsinstrument vor, das dieser Thesaurus der Forschung zur Verfügung stellt, und andererseits jene Arbeitsinstrumente, welche ihn vervollständigen und weiterführen (I). Der zweite Teil bietet einen Zugang zu Hildegard, der aus der Erarbeitung des Thesaurus hervorgegangen ist und sich auf ihn stützt (II). Was die deutsche Fassung dieses Beitrages betrifft, so stammt die Ubersetzung des ersten Teiles von Eddy Gouder, diejenige des zweiten Teiles ist das Werk von Professor Winfrid Huber. Beiden sei an dieser Stelle gedankt.

182

Paul Tombeur/Claire Pluygers I. DAS instrumentum

studiorum

v o n PAUL TOMBEUR

1. Die textliche Grundlage Alle Texte, welche die Grundlage von Hildegards visionärem Werk bilden, sind in der Continuatio Mediaeualis des Corpus Christianorum veröffentlicht worden. Die gemeinsame Problematik, die alle drei Werke betrifft, ist diejenige der Capitula-Listen. Diese Listen befinden sich in den Haupthandschriften, auf denen die Ausgaben beruhen. Niemand behauptet, daß die Listen des Scivias und des Liber uitae meritorum auf Hildegard zurückgehen. Was den Lib er diuinorum operum betrifft, so nimmt man im allgemeinen an, daß diese Textteile von Hildegard stammen, wenngleich diese Hypothese es verdient, überprüft zu werden. Wir haben folglich sämtliche Capitula in den Thesaurus übernommen. In der Konkordanz werden diese Textteile mittels Großbuchstaben sowie durch das Kodezeichen „C" hervorgehoben; wir haben sämtliche Unterscheidungsmerkmale übernommen, die es ermöglichen, alle diesbezüglichen Hypothesen zu stützen oder zu entkräften. Was die eigentlichen Werktitel oder die Titel von Werkteilen betrifft, so sind diese durch das Kodezeichen „T" markiert; auch erfahren diese Elemente eine systematische, eigene Bearbeitung. Einzig jene Titel, die, wie „pars prima" oder „uisio secunda", Untereinteilungen bezeichnen, sind nicht in die Bearbeitung einbezogen worden. 2. Die erstellten Arbeitsinstrumente Die Editionsprinzipien sind für die drei behandelten Werke nicht die gleichen. Die Schreibweise des Scivias gibt sich als vereinheitlicht. Die Schreibweise des Liber uitae meritorum ist vereinheitlicht, zeichnet sich aber durch eine Besonderheit in der Behandlung der Diphthonge „ae" und „oe" aus, die auf „e" reduziert werden. Einzig der Liber diuinorum operum übernimmt - mit Ausnahme der von den Herausgebern als Lapsus betrachteten Stellen - die Schreibweise der zugrundegelegten Handschrift. Wie für die übrigen im C E T E D O C erarbeiteten Thesauri haben wir alle Formen einer Analyse unterzogen, um in jedem Fall eine vereinheitlichte Schreibweise bieten zu können. Gleichwohl bieten die Kontexte der Konkordanz die tatsächlichen Schreibweisen so, wie sie in der jeweiligen Ausgabe gedruckt sind. Ein besonderer Index ermöglicht die Identifikation der tatsächlich gedruckten Schreibweisen. Entsprechend der für die Series A-Formae im allgemeinen angewandten Regel, wird nicht zwischen Groß- und Kleinbuchstaben unterschieden. Auch hier sind es wieder die Kontexte der Konkordanz, die es ermöglichen, im Falle identischer Ausdrücke den unterschiedlichen Gebrauch der Großbuchstaben durch die Herausgeber zu beobachten. Für die Formen, welche jeweils das

Der Thesaurus

183

Hildegardis

Stichwort bilden, wurde unter Ausschluß der Buchstaben „v" und „j" allein auf die Buchstaben „i" und „u" zurückgegriffen. Enumeratio formarum Die Formen werden in alphabetischer Ordnung aufgeführt. Allen vereinheitlichten Formen geht das Kodezeichen + voran. Der Gesamtindex der Formen ermöglicht es, sowohl die Gesamtfrequenz einer jeden Form innerhalb des Corpus der visionären Schriften wie auch die Frequenz für jedes einzelne Werk (also für Scivias, Liber uitae meritorum [V.merit.], Liber diuinorum operum [Diuin.op.]) abzulesen. In Anbetracht der Problematik, welche durch die Capitula aufgeworfen wird, gibt diese Enumeratio in den vier betroffenen Fällen (Gesamtfrequenz und Werkfrequenzen) jeweils eine Häufigkeitsangabe, welche die Capitula (C.ex) ausschließt und eine Häufigkeitsangabe, welche nur die Capitula (Cap.) betrifft. Beispiel: Corpus Summa C.ex ignauiter

3

igne

182

3 167

ignea

48

46

+igneae

7

7

Cap.

Sciuias C.ex

Cap.

V.merit. C.ex

Cap.

Diuin.op. C.ex

Cap.

3 15

33

3

58

76

12

2

15

1

13

18

1

3

1

1

1

6

2

13

igneam

19

18

igneas

5

5

ignei

24

13

1

5

5

22

23 21

1

igneis

1

6

1

11

4

58

40

6

1

2 2

2

4

6

2

ignem

119

118

1

20

igneo

24

23

1

16

igneorum 2 igneos 6

2 6

2

3

1

1

ignes ignescit

10

10

1

1

igneum

36 17

36

17

8

11

igneus

17

5

7

5

igni

4

4

2

1

1

ignibus

4

3

1

2

1

ignis

236

222

110

11

ignita

3

3

1

1 14

59

53 2

ignitas

1

1

igniti

1

1

ignitis

3

3

3

ignito

1

1 1

1

ignitorum 1 ignitos

1

1

ignitum

1

1

ignitus

2

1

ignium

7

7

3

ignobiles

1

1

1

3

1

1 1

1 1 1 1

1 4

1

Paul Tombeur/Claire Pluygers

184

Im angeführten Beispiel kann man den Wortschatz zum Begriff „Feuer" ablesen, ausgedrückt durch das Substantiv „ignis", durch das Adjektiv „igneus, a, um" oder durch das Verbum „ignio, -ire", welches durch „ignitus, a, um" vertreten ist. Der Form „+ igneae" entsprechen in den Ausgaben die Schreibweisen „igneae" oder „ignee". Man kann feststellen, daß die Form „igne" 58mal im Liber uitae meritorum bezeugt ist, nicht jedoch in den Capitula dieses Werkes, im Gegensatz zu dem, was sich für die beiden anderen Werke sagen läßt. Index formarum a tergo ordinatarum Dieser Index gibt alle Formen nach einer alphabetischen Ordnung, welche die vereinheitlichten Formen des Corpus in einer der Leserichtung entgegengesetzten Richtung, also von rechts nach links, von hinten nach vorne auflistet. Allen Formen, die in ihrer Gesamtheit oder für einen Teil ihrer Bezeugungen durch eine Vereinheitlichung der Schreibweise betroffen sind, geht das Kodezeichen + voraus. Alle Formen, die sowohl in den Capitula als auch im eigentlichen Werk bezeugt sind, erhalten zwei Frequenzangaben: die Frequenzangabe, welche auf die Form folgt, entspricht der Frequenz innerhalb des Werkes unter Ausschluß der Capitula·, diejenige, welche zwischen Klammern der Form vorausgeht, gibt die Frequenz unter Einschluß der Capitula. Alle Formen, die nur durch die Capitula bezeugt sind, werden, zusammen mit der Frequenzangabe, eingeklammert dargeboten. Dies ist beispielsweise der Fall für die Form „significet": der Index formarum α tergo ordinatarum notiert: „(significet 126)", was bedeutet, daß diese so häufig wiederholte Form einzig in den Capitula vorkommt. Die Lektüre der Enumeratio formarum läßt aber sofort erkennen, daß das Verbum „significo, -are" durch andere Formen wie „significans, significat", etc. innerhalb der Texte bezeugt wird. Wie das Beispiel „significet" aufzeigt, ermöglicht es dieser Index, augenblicklich alle Fälle beispielsweise eines Konjunktiv Präsens Aktiv von Verben der ersten Konjugation wie „significo, -are" zu beobachten. Dieser Index erlaubt in der Tat die Beobachtung der verschiedenen grammatikalischen Formen und der verschiedenen Typen von Endungen: Forma Freq

Forma Freq

Forma Freq

Forma Freq

Forma Freq

profundissima

7

benignissima

1

inuictissima

3 excellentissima

2

rapacissima

1 +immundissima

2

turpissima

2

sanctissima

5

feruentissima

1

ueracissima

3

fidelissima

1

carissima

1

inquietissima

1

deuotissima

2

fclicissima

1

crudelissima

1

(17) clarissima

16

mitissima

3

artissima

1

infelicissima

1

stabilissima

1

amarissima

5

munitissima

1

ccrtissima

8

pcrspicacissima

1

dulcissima

10

nobilissima

3

uerissima

2

elegantissima

3

sollertissima

1

uelocissima

1

subtilissima

1

durissima

4

amantissima

1

fortissima

49

lucidissima

15

uilissima

6

purissima

15

constantissima

2

castissima

6

candidissima

12

firmissima

2

gloriosissima

2

decentissima

1

scelcstissima

1

splendidissima

4

planissima

4 uictoriosissima

1

ardentissima

5

robustissima

1

sordidissima

1

lenissima

1

4

diligentissima

4

iustissima

3

prctiosissima

Der Thesaurus

Hildegardis

185

ualidissima

plcnissima

3

beatissima

1

fulgentissima

2

acutissima

nefandissima

serenissima

8

sacratissima

2

sapientissima

1

grauissima

3

fecundissima

dignissima

1

rectissima

3

suauissima

12

4praecellentissima

13

Für das angeführte Beispiel haben w i r auf die im visionären Werk Hildegards besonders häufig bezeugten Superlativ-Formen zurückgegriffen. In diesem stark differenzierten Ganzen kann man die Häufigkeit 49 für die Form „fortissima" notieren, die im übrigen nur für die eigentlichen Texte bezeugt ist. Man w i r d auch sofort feststellen, daß nur eine einzige Bezeugung von „clarissima" die Capitula betrifft: „(17) clarissima 16". U m der Präzision willen fügen w i r hinzu, daß die C L C L T - 3 (Cetedoc Library of Christian Latin Texts)1 aus ihren zum mittelalterlichen Teil zählenden Texten (736-1499) 156 Sätze anführt, die eine mit „acutissim-" beginnende Form enthalten, wovon 57, und das heißt mehr als ein Drittel, den Sciuias betreffen. Dieses letzte Beispiel weist auf die Besonderheit des Sciuias hin und beleuchtet die Komplementarität unserer Arbeitsinstrumente. Tabulae frequentiarum Unter diesem Titel vereinen wir alle Listen, welche die Formen in der Reihenfolge ihrer abnehmenden Häufigkeit darbieten. Die herangezogenen Formen sind die vereinheitlichten Formen. Eine erste Liste betrifft das Corpus in seiner Gesamtheit (Tabula frequentiarum generalis). Ihr folgen Listen, die jeweils einem einzelnen Werk gewidmet sind. In gedruckter Form liegt jeweils ein Ausschnitt vor, der die am häufigsten vorkommenden Formen betrifft. Die vollständigen Listen, welche alle Formen betreffen - von derjenigen mit der größten Häufigkeit bis hin zu den hapax legomena - , liegen auf den MikroficheKarten vor. Die Basisfrequenz entspricht derjenigen, welche die eigentlichen Texte betrifft. Die Frequenzangabe, welche die Capitula einschließt, folgt, zwischen Klammern, hinter der Form. Jedermann kann folglich beobachten, inwiefern der Einschluß der Capitula die Reihenfolge der Formen auf der Grundlage der abnehmenden Häufigkeit stört oder auch nicht stört. Die Zahlenangabe, welche auf der linken Seite der Kolonne mit der Frequenzangabe vorangeht, gibt den Rang an, dem jede Frequenz entspricht: Jede identische Frequenz hat den gleichen Rang. Was es zu beobachten gilt, ist immer sowohl die jeweilige Frequenz wie auch der Rang, den sie einnimmt.

1

Siehe infra, 3.1.

186

Paul Tombeur/Claire

Pluygers

Beispiel aus der Liste der Formen in der Reihenfolge der abnehmenden Häufigkeit: 1.

16084 et (17545)

13. 2281

quia (2356)

25. 1300

autem (1318)

37. 907

2.

15537 in (16420)

14. 2262

se (2359)

26. 1216

deus (1322)

38. 897

suis (939)

3.

5047

15. 2203

etiam (2248)

27. 1147

sie (1197)

39. 880

u n d e (886)

4.

3792

ad (4108)

16. 1969

q u o n i a m (1975)28. 1128

que (1157)

40. 853

sicut (906)

5.

3757

q u o d (4470)

17. 1916

dei (2128)

29. 1102

ac (1112)

41. 844

d e u m (887)

6.

3578

c u m (3646)

18. 1811

ita (1859)

30. 1054

sua (1103)

42. 745

enim (746)

7.

3244

per (3455)

19. 1770

hoc (1833)

31. 999

uelut (1014)

43. 714

deo (771)

8.

3131

qui (3347)

20. 1763

sunt (1867)

32. 991

ab (1052)

44. 712

hominis (783)

9.

3117

ut (3177)

21. 1730

de (2288)

33. 988

q u a m (1034)

non (2774)

22. 1616

nec (1644)

34. 979

11. 2626 +quae (2723)

23. 1468

a (1563)

12. 2547

24. 1361

h o m o (1435)

10. 2630

est (5198)

sed (2588)

quasi (932)

712

suo (735)

eius (1111)

45. 711

eum (730)

35. 975

omnia (1011)

46. 710

nam

36. 926

me

47. 692

ex (742)

Beispiel aus Sciuias: 1.

7370

in (7630)

13. 979

hoc (986)

25. 460

h o m o (488)

36. 335

idem (339)

2.

6057

et (6456)

14. 947

ita (952)

26. 451

autem (459)

37. 328

ο (330)

3.

2461

est (2535)

15. 875

se (892)

q u a m (460)

38. 326

ex (332)

4.

1800

q u o d (2103)

16. 839

dei (942)

27. 443

undc

39. 323

suis (329)

5.

1575

ad (1676)

17. 815

quae (836)

28. 437

sua (450)

40. 320

suo (325)

6.

1457

qui (1528)

18. 792

quoniam

29. 429

eius (485)

41. 314

7.

1386

ut (1407)

19. 773

etiam (776)

30. 414

q u o m o d o (426) 42. 311

deus (347)

8.

1321

cum (1331)

20. 730

de (1017)

31. 388

ab (404)

43. 303

si (311)

9.

1239

non (1311)

21. 688

nec (697)

32. 366

sie (367)

44. 300

s u u m (304)

10. 1206

sed (1220)

22. 669

sunt (709)

33. 355

quasi (360)

45. 295

quid (368)

11. 1061

per (1101)

23. 591

me

34. 352

eum (356)

295

12. 1035

quia (1041)

24. 549

a (578)

35. 351

suae (359)

46. 293

ac (294)

h o m o (253)

Beispiel aus dem Liber uitae

451

te

uelut (298)

meritorum:

1.

4539

et (4775)

13. 587

se (632)

24. 341

deus (375)

35. 231

2.

3317

in (3544)

14. 571

etiam (581)

25. 308

suis (331)

36. 227

homines (276)

3.

1020

q u o d (1249)

15. 570

sunt (613)

26. 297

d e u m (316)

37. 223

deo (248)

4.

888

est (915)

16. 536

quia (539)

27. 295

a (304)

38. 210

ab (223)

5.

873

cum (904)

17. 529

q u o n i a m (533) 28. 291

nam

6.

752

ad (806)

18. 484

nec (496)

29. 289

eius (331)

39. 201

u n d e (202)

7.

751

+quac (781)

19. 482

ut (502)

30. 277

enim

40. 198

ca (206)

8.

716

qui (819)

20. 451

de (572)

31. 275

sua (290)

9.

697

sed (704)

21. 402

autem (411)

32. 272

ita (296)

41. 181

10. 693

n o n (736)

22. 390

dei (436)

33. 265

uelut (271)

42. 180

me

11. 672

per (725)

23. 357

hoc (382)

34. 240

q u a m (251)

43. 176

ubi (177)

12. 629

ac (638)

sie (274)

44. 171

quasi (175)

357

omnia (372)

240

210 +haec

198

opera (212) sibi (190)

Der Thesaurus Hildegardis Beispiel aus dem Liber diuinorum

187

operum:

1.

5488

et (6314)

800 sc (835)

24. 524 sunt (545)

36. 346 q u e m a d m o d u m (349)

2.

4850

in (5246)

710 quia (776)

25. 456 sicut (493)

37. 342 sua (363)

3.

1698

est (1748)

698 n o n (727)

26. 447 autcm (448)

38. 304 enim

4.

1511

per (1629)

687 dci (750)

27. 444 nec (451)

39. 301 opera (310)

5.

1465

ad (1626)

670 .. _ h o m o (694),

2__. 8.

40. 297 q u a m (323)

6.

1384

cum (1411)

648 q u o n i a m (650) 29. 434 hoc (465)

41. 291 h o m i n e m (305)

7.

1249

ut (1268)

644 scd (664)

42. 278 d e u m (292)

8.

1060

+quae (1106) 19. 624 a (681)

31. 393 ab (425)

43. 275 suo (290)

958

qui (1000)

20. 592 ita (611)

32. 388 anima (423)

44. 270 ex (311)

10. 937

q u o d (1118)

21. 564 deus (600) 22. 549 de (699) 23. 541 sie (556)

33. 381 quasi (397)

45. 268

11. 859

etiam (891)

34. 379 hominis (419)

46. 266 suis (279)

35. 376 q u o q u e (392)

47. 261 eius (295)

9.

859

que (884)

439 uelut (445)

30. 432 omnia (447)

s u u m (284)

Man kann sofort feststellen, daß die Reihenfolge der Formen aufgrund der abnehmenden Häufigkeit nicht in jedem Fall die gleiche ist: Sciuias gibt „in" den Vorzug vor „et"; der Gesamtindex stellt, wie auch die beiden anderen Werke, „et" auf den ersten Platz. Was das gesamte C o r p u s betrifft, so wird die Reihenfolge der Formen durch den Einschluß der Capitula in bezug auf die Form „quod" verändert: Bei Einschluß der Capitula würde „quod" den vierten Rang einnehmen. Andererseits ist es interessant festzustellen, welche Formen des nicht zu den Eigennamen zu rechnenden allgemeinen Wortschatzes am häufigsten vorkommen, und somit zu begreifen, welchen Wortschatz man in seinen verschiedenen Gebrauchsformen und Bedeutungen unbedingt kennen muß, um Hildegard in der einzigen Weise zu lesen, die ein unverfälschtes Werkverständnis ermöglicht, nämlich in Latein. In der gleichen Weise kann man den Unterschied zwischen signifikantem Wortschatz und Hilfswörtern studieren. Wenn man von „est" absieht (aufgrund seiner Zweideutigkeit, die sich aus den verschiedenen Gebrauchsformen und Bedeutungen dieser Form ergibt), dann nimmt - innerhalb der Gesamtliste - das erste signifikante Wort, nämlich „dei", den 17. Rang ein. Ihm folgt, wenn man von „sunt" absieht, „ h o m o " auf Rang 24, dann „deus" auf Rang 26. Sciuias gibt in der gleichen Reihenfolge „dei" (Rang 16) und „ h o m o " (Rang 25); der Liber uite meritorum hat „dei" auf Rang 22, gefolgt von „deus" auf Rang 24 und „deum" auf Rang 26, dann kommen „homo" und „homines" auf Rang 35 und 36. Der Liber diuinorum operum seinerseits bezeugt „dei" auf Rang 15, dem „ h o m o " unmittelbar auf Rang 16 folgt, wohingegen „deus" auf Rang 21 steht. Die niedrigen Frequenzen sind natürlich genau so interessant, und dabei ganz besonders die hapax legomena. Die bisher vorgestellten Arbeitsinstrumente liegen (zumindest teilweise, nämlich was das letztgenannte Instrument betrifft) in gedruckter Form vor. Alle weiteren Instrumente liegen auf Mikrofiche-Karten vor.

Paul Tombeur/Claire

188

Pluygers

Index formarum secundum orthographiae normarn collatarum Dieser Index stellt alle Formen zusammen, die von einer Vereinheitlichung betroffen sind. Die tatsächlich gedruckte Form steht, zusammen mit ihrer Häufigkeit, der vereinheitlichten Form gegenüber, die ebenfalls von einer Häufigkeitsangabe begleitet wird. Dieser Index ermöglicht es, die tatsächlich gedruckten Schreibweisen zu studieren; er stellt eine Hilfe für den Wissenschaftler dar, der eine gegebene Form nicht sofort in der Enumeratio formarum oder in der Konkordanz findet. Beispiel: 1

solsticiis

1

solstitiis

2

speram

6

sphacram

8

spacia

8

spatia

3

spere+

5

sphaerae

27

spacii

29

spatii

1

spine+

1

Spinae

1

spaciis

1

spatiis

2

spiritualc

18

spiritale

9

spacio

9

spatio

1

spirituali

43

spiritali

5

spaciorum

5

spatiorum

1

spiritualibus

29

spiritalibus

5

spacium

8

spatium

3

spiritualis

39

spiri talis

1

spallendo

1

psallendo

1

spiritualiter

13

spiritaliter

1

spaltcrii

2

psaltcrii

1

spiritualium

27

spiri t a l i u m

2

spera

11

sphaera

1

spisse+

1

spissae

Das ausgewählte Beispiel zeigt die Nützlichkeit dieses Index, sowohl um eine Form in einem der verschiedenen Instrumente zu befragen als auch, um sich im Falle des Liber diuinorum operum - unmittelbar der tatsächlich in der zugrundeliegenden Handschrift bezeugten Schreibweise zu versichern, oder um gegebenenfalls in Erfahrung zu bringen, welche Entsprechung eine bestimmte Form hat, wie zum Beispiel „spere+" (wobei „e+" für „e caudata" steht), das der vereinheitlichten Form „sphaerae" und also, darüber hinaus, dem Lemma „sphaera" entspricht. Index formarum secundum distinctionem inter textuum partes Wie allgemein bekannt, setzen alle unsere Thesauri eine besondere, dem bearbeiteten Corpus entsprechende Problematik in Szene. Die Auswirkungen für die verschiedenen vorgestellten Indices und Tabulae sind schon beleuchtet worden. Wir haben für wichtig befunden, innerhalb des visionären Werkes einen Unterschied zwischen den eigentlichen Visionen und den Kommentaren zu machen, wenngleich man sich immer der Tatsache bewusst sein muß, daß gewisse Teile der Visionen innerhalb des Kommentares wieder aufgenommen werden oder aufgenommen werden können. Die textuum partes entsprechen also im wesentlichen einerseits den Visiones und andererseits den Commentarii. Diesen beiden Textteilen haben wir die Capitula, und - was eine Neuigkeit darstellt - die Gesamtheit aller Bezeugungen hinzugefügt, welche die eigentlichen Titel (unter Ausschluß der Capitula) sowie die Prologe und den in einem der Werke anzutreffenden Epilog betreffen. Beispiel:

Der Thesaurus i:.K .'iMc

Visiones DiOp

Corp.

Sei

ViMc

Commentarti DiOp

Corp.

189

Hildegardis

Sei

ViMc

Capitula DiOp

Corp.

Sei

ViMc

Tit., DiOp

Corp.

Pract..

Sei

YiMc-

hpiI DiOp

6 23

Ult uitc uminabum uminando

Am gewählten Beispiel kann man insbesonders feststellen, daß von den Formen, welche den lexikalischen Eintrag „ruina" betreffen, einzig die Form „ruina" einmal in der Spalte „Visiones" des Sciuias steht, wohingegen diese Form in allen „Commentarii"-Spalten steht. Ohne Bezeugung in „Titeln, Prologen und Epilog" steht das Lemma „ruina" fünfmal in einigen „Capitula". Concordantia formarum Die Gesamtkonkordanz des visionären Werkes von Hildegard ermöglicht es, alle textlichen Realitäten zu studieren, da sie eine jede der Formen in einem sehr weiten Kontext darbietet. (Wegen des Gebrauchs der Mikrofiche-Karten ist dieser Kontext wesentlich größer als in den hier aufgeführten Beispielen). Das Stichwort des Eintrags ist immer die vereinheitlichte Form. Ihr folgen drei Frequenzangaben, die, in der chronologischen Reihenfolge, den Bezeugungen innerhalb eines jeden der drei Werke {Sciu, ViMe, DiOp) entsprechen. Darauf folgt zwischen Klammern die Gesamtfrequenz. Für jede vereinheitlichte Form werden, zwischen Klammern, die jeweils bezeugten tatsächlichen Formen aufgeführt. Jede Form steht zusammen mit ihrer Frequenz - oder mit ihren Frequenzen, wenn es diesbezüglich Unterschiede zwischen der vereinheitlichten Form und der oder den tatsächlichen Formen gibt. Die vorgestellte Konkordanz ist eine Konkordanz der Redewendungen: Jede Form wird aufgrund der alphabetischen Ordnung aufgeführt, die sich aus den auf sie folgenden Formen ergibt. Dabei wird die Reihenfolge durch die vereinheitlichten Formen bestimmt: so stehen beispielsweise initio und inicio in derselben Redewendung. Die verschiedenen identischen Redewendungen erscheinen mithin alle zusammen an einem Ort, unabhängig von der tatsächlich benutzten Schreibweise. Wenn der auf eine Form folgende Kontext in mehreren Fällen identisch ist, so werden diese Bezeugungen in der Reihenfolge der verschiedenen Werke, sowie für ein bestimmtes Werk aufgrund der natürlichen Abfolge des Textes angeführt. Die Stellenangaben werden auf der linken Seite angeführt. Rechts von den Stellenangaben werden folgende Kodezeichen benutzt:

190

Paul Tombeur/Claire

Pluygers

- * entspricht einer Quelle biblischen Ursprungs für eine Textstelle, die in der Ausgabe kursiv gedruckt steht, um so ein Zitat oder eine Reminiszenz anzuzeigen. - Τ verweist auf einen Werktitel oder auf den Titel eines Werkteiles. - V bezeichnet einen Visionstext im eigentlichen Wortsinn. Innerhalb einer Stellenangabe verweist das Kodezeichen C auf die Capitula, die außerdem, im Kontext, in Großbuchstaben angeführt werden. Beispiel: spirima 296,150,225(671) igue ** Sascti a autre genitus est, cui et buuuuia genitursi umwno Spiritus DiOp 2 1 39 59 fiii*lit$ia in afGuüntibus Huris 85 1351 homimiin. LXXXV, Sed coin botoo per donumSpiritus * * sauoi aliquos labor«* pro necessitate muentiirin et pro VMe 5 Sein 3 9 20 640 et noü in futuro; ut »aeeuiura quod in obliuiooeSpiritus * * aaarti amaserunt in ipsis coofusdatxir, ita quod per banc 1 S ' PTRITVS *SANΟΤΙ APPARENS MINABATVR ANTIQVO Sein > 3 1.9 C 31 DANDA DVPLEX LEX. 19. QVOD ADMONTTIO Saocd ardebat, per quem ν erbum Dei in utero uirginis DiOp 3 5 Ii 26 regem regum osteadebat; ist* que sapientia de igae^pirinis* * Sein 3 10 14 520 mortem quam uitaxn, potenter in. bis regrtat qm tat»Spiritns * * sweti ardentes salubriter semaipsov egteriua cooculcaat, Sciu 3 9 21 709 coütrarietattm foetentium oumenun, iliuminatione *Spiritus* sancti carentes, Walaces magistri eäiciuntur: noa electi in post se uadens priuetur. j Qui aurem uiriditaieSpiritus * * Sancri caret, in infidetirau suifocatur in prauit que DiOp 1 2 21 55 Ä sancti cam, in quo lets et infinit* dies gaudiorum est * ViMe 3 53 1197 eniro qui in mgredine inuidie odium habcu calortSpiritus Sancti carnem d< urero uirgicis assumpsit, quam ica induit, DiOp I 4 106 500 ante euooi erat et quod Decs erat, per atdorem^iritus* * * «ancri circafinemmundi,it* uidelicet teosus ut cum nemo * Sciu 3 4 13 340 in obüuione sui et constncäor essiitens iq feruoreSpiritus * sancti cito euigdabo. Et cum poprsli propter nenner. Domcoi ViMe 4 14 298V graueff, per tunorcm Dei «perrotamignis Spiritüd * ViMe 2 54 1116 cordium suorum ad opera illa decliziani, que in igneSpiritus * * sancti cocu non sunt> coreruatfiliosproprie uoluntatis Sancti cogQouit, scilicet in qmbusdam senibus, in * DiOp 3 2 3 15 contrita non eeset. Ietad propheda. per iufosiooemSpiritus* * Sancti comburit, ha ut mala, que+ in ea fuerunt, ad sordiem iocebat, ad mcbilnm ducena igneSpiritus * DiOp t 3 14 32 * sancri componebant, α acutbsime in zelo mco comidtera praeeeptorum, quae ccrÜJ9urii uiri in texnwa.Spiritus * Seht 2 5 50 1525 Spiritus * * Sancti conetrpit nec opus uiri indiguit; nun alius quilibet DiOp I 4 105 530 a patre υ eoinu oswndit, ubi vom uirgt) de ardore e * * «aueti conceptus et de casrissima Vi^ne natus sine ujla Sem 2 6 32 1232dimitQ£, ita et idem Vaigeniuis Dei de fortissimo AgaSpiritus * * Sancri ennfortauit, ne diuersis (ribulationihue DiOp 3 2 Μ 57 bapti ζ arenf, et eospost ascecüionem suam infusioneSpiritus * sancti confota est, tacicncis eam diabolkanun iüsidiarum Sciu 3 8 24 1131 et obumbrationem akrum. id est per protetdouem Spiritus * * sancti cansecratuz; cum boxao tauera drcumctsioii,e * Sein 2 3 12 277 quando baptistoa cum chrismate in saoctiiicatioDt:Spiritus m hornige cum discretion«, quam ία ezspiracoaeSpiritus * * Sancti consiituit, propterea ut ipse bomo omnia instrumenta DiOp 2 1 27 29 sancti conuersari- Sed ita fortitudo eiu» «ogrüta Sc» 3 11 42 892 uerborwn Untnm coiere et. non m s^nificattoo«Spirinw* * * Sancti ereil, ipsis omnom pompam atque dclicias carsis DiOp 2 1 42 67 et amutteiitiatn, in Lomioibus per iu-spirsdonem Spiritus * * Sancti ctm aratro £dei eumat. Eos etiam temm uiueotium irurata terra priua erant, bos poitmodnm gramSpuittu * DiOp 2 1 32 14 Ülrus extisguendo cessare iiät, et per gratianiSpiritus * * Sancti cum doctrina j scrirpturarum cum consolando de DiOp I 4 98 29S per quirj^oc seajus sui oiiutus ia ürfosxotM?Spiritus * · saacti cum «axaibus uirtudbus iUis, quae ueras agnus ei Sein 3 9 9 284 ViMe 5 34 732 kidicra uolupttlua su&rum unpient; et syruphoniam 4Spiritus * sancti - cam qua inpreusptis Dei gauderc deberent -

Der Thesaurus Hildegardis

191

Das ausgedruckte Beispiel ermöglicht, eine gewisse Anzahl von Bezeugungen des Syntagmas „spiritus sancti" zu beobachten, f ü r welches die gedruckten Ausgaben die Schreibweisen „Spiritus Sancti" oder „Spiritus sancti" bringen. Wenn man nun im besonderen die diesem Syntagma vorangehende Form betrachtet, so kann man feststellen, welchen Begriffen „spiritus sancti" assoziiert wird; es handelt sich um die folgenden lexikalischen Einträge: „ignis, gratia, calor, donum, obliuio ...", aber auch „tactus, textura, uiriditas" oder auch „symphonia" und andere. Man wird auch feststellen, daß das Syntagma „spiritus sancti" 230mal bezeugt ist, und zwar innerhalb der Gesamtzahl von 671 Bezeugungen der Form „spiritus" (bei der sich um Singular oder Plural, den N o m i nativ oder den Genetiv etc. handeln kann). Da sich das Forschen in gewisser Weise durch ständige Bewegung auszeichnet, wird man, nach der Beobachtung der Assoziation von „spiritus sancti" und „uiriditas", alle Belege nachschlagen, die dem Lemma „uiriditas" entsprechen. So wird man feststellen, daß sie sich auf insgesamt 206 belaufen, was aus diesem lexikalischen Eintrag, auf rein statistischer Ebene, ein Schlüsselwort für Hildegard macht. Mit dieser Sammlung von Arbeitsinstrumenten - und in Erwartung der EDV-Bearbeitung der übrigen Werke Hildegards sowie der Realisierung der Series B-Lemmata - verfügt nun jedermann über die neuen Werkzeuge, die es erlauben, Hildegards uoces so zu studieren, wie sie sich in ihrem visionären Werk darstellen. Diese Arbeitsinstrumente wollen auch ein neues Hilfsmittel sein für die U b e r p r ü f u n g oder die Erarbeitung von Ubersetzungen und K o m mentaren sämtlicher Werke Hildegards. 3. Die komplementären Arbeitsinstrumente D e r Thesaurus zu Hildegard von Bingen reiht sich in eine lange Reihe von bereits veröffentlichten Thesauri Patrum latinorum ein. Was die abendländische Mystik betrifft, sei mit besonderer Eindringlichkeit auf den Thesaurus PseudoDionysii Areopagitae - Versiones latinae cum textu graeco und Textus graecus cum translationibus latinis- verwiesen. Andere Arbeitsinstrumente wurden aus einer umfassenderen, allgemeinen Perspektive heraus erarbeitet und erlauben andere Möglichkeiten des Suchens und Forschens. Ich verweise hier auf die Cetedoc Library of Christian Latin Texts (CLCLT) sowie auf den Thesaurus formarum totius latinitatis (TF), in denen Hildegard mit dem größten Teil ihrer Werke vertreten ist.

192

Paul Tombeur/Claire

Pluygers

Cetedoc Library of Christian Latin Texts

CLCLT CLCLT· J : r e l e a s e 1 9 9 6

U n i v e r s a l Catbofeca Lovaniemis LovanU N o v i

BREPOLS Cat*r'ahe of (fa* principal corpork u n d Corp« Cfcrttöiporynt U ö « ® Βτ«ρο« Carpal Owtmanor-im. CoBonwtio t>nlft*«ln & Bnpoh Corp« SpipWtfm (tti*si»B