"Haben" als Vollverb: Eine dekompositionale Analyse 9783110252637, 9783110253644, 2011014708, 9783110252644

This monograph on the verb have in the function of a full verb asserts that have-constructions in the syntactic analysis

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German Pages 365 [368] Year 2011

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit
1.2 Theoretischer Rahmen und Methodik
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Daten und Hypothese
2.1 Einleitung
2.2 Zur Flexionsmorphologie von haben
2.3 Abgrenzung von haben als Vollverb gegenüber haben als Hilfsverb
2.3.1 Kriterien zur Unterscheidung von Vollverben und Hilfsverben
2.3.2 Haben in weiteren Verwendungsweisen
2.3.3 Erreichter Stand
2.4 Grundsätzliches zur Syntax von haben als Vollverb
2.4.1 Syntaktische Konstruktionsmöglichkeiten
2.4.2 Konstituenz
2.4.3 Eine Small-Clause-Analyse
2.4.4 Weitere Evidenz für die SC-Analyse
2.5 Die absolute mit-Konstruktion
2.5.1 Einführung
2.5.2 Konstituenz
2.5.3 Scheinbare und echte Ausnahmen von der haben-mit-Parallele
2.5.4 Unterschiedliche homonyme mit-Präpositionen
2.6 Hypothese und weiterführende Überlegungen
2.6.1 Hypothese
2.6.2 Blockierung
2.6.3 Zum Kasus des SC-Subjekts unter mitprop
2.6.4 Ausblick
3 Der adjektivische Haben-Konfigurativ
3.1 Einleitung
3.2 Der AHK und andere Konstruktionen mit postnominalem Adjektiv
3.3 Forschungsansätze
3.3.1 Bestehende generative Analysen
3.3.2 HABEN-Komplemente mit adjektivischem Prädikat im Deutschen und im Französischen
3.3.3 Adjektivische Stadien- und Individuenprädikate.
3.4 Eine Syntax-Semantik-Asymmetrie
3.4.1 Problemstellung
3.4.2 Prädikative Adjektive an der Syntax-Semantik-Schnittstelle
3.5 Optimalitätstheoretische Rekonstruktion
3.5.1 Beschränkungen
3.5.2 Wettbewerbe
3.5.3 Eine pragmatische Beschränkung
3.5.4 Pronomen und Quantoren
3.6 Die absolute mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat
3.6.1 Einleitung
3.6.2 Artikellosigkeit
3.6.3 Referenzeigenschaften des ‹besessenen› Nomens
3.6.4 Der AHK und External possessor constructions
3.6.5 Die Rolle des indefiniten Artikels
3.7 Besondere AHK-Konstruktionen
3.7.1 ‹offen haben›
3.7.2 ‹es satt haben›
3.8 Fazit und Ausblick
4 Der partizipiale Haben-Konfigurativ
4.1 Einleitung
4.2 Abgrenzung des PHK vom Perfekt
4.3 Eine verwandte Konstruktion mit haben im Infinitiv bzw. im Konjunktiv II
4.4 Der PHK und das Diathesensystem des Deutschen
4.4.1 Der PHK als ‹statives Dativpassiv›?
4.4.2 Zur Syntax des PHK gegenüber dem Dativpassiv
4.4.3 Zur Semantik des PHK
4.4.4 Fazit
4.5 Die Kategorie des Partizips II im PHK
4.5.1 Das Partizip II im Zustandspassiv und im PHK
4.5.2 Zur absoluten mit-Konstruktion mit Partizip II
4.6 Fazit und Ausblick
5 Haben und Nichtflektierbare als Codaelemente
5.1 Einleitung
5.2 Zwei Ellipsenanalysen
5.3 SC-Prädikate als Codakonstituenten
5.3.1 Grundsätzliches
5.3.2 Verbpartikeln als Codakonstituenten
5.3.3 Funktionsverbgefüge mit haben und präpositional angeschlossenem Verbalsubstantiv
5.3.4 Beschränkungen
5.4 Adjunkte als Codakonstituenten
5.4.1 Topologie
5.4.2 Die absolute MIT-Konstruktion im Niederländischen
5.4.3 Semantik
5.4.3.1 Adverbiale Präpositionalphrasen
5.4.3.2 Als-Phrasen
5.5 Konsequenzen und offene Fragen
6 Haben + NP
6.1 Einleitung
6.2 Haben-Konstruktionen mit stillem SC-Prädikat
6.2.1 Ausgangslage
6.2.2 Absolutkonstruktionen mit stillem Prädikat
6.3 FVG mit akkusativisch angeschlossenem Verbalsubstantiv
6.3.1 Syntaktische Kriterien
6.3.2 Semantische Kriterien
6.4 Feste Nomen-haben-Verbindungen
6.4.1 Einführung
6.4.2 Syntaktische Eigenschaften
6.4.3 Nomen-haben-Verbindungen in weiterem Rahmen
6.5 Fazit
7 Zur Semantik von haben als Vollverb
7.1 Einleitung
7.2 Bestehende Zugänge und Analysen
7.2.1 Haben als lexikalisches Verb
7.2.2 Relationale haben-Konstruktion
7.2.3 Haben: mehrdeutig oder vollständig unterspezifiziert?
7.2.4 Baron/Herslund (2001): Lokalisierung und Inklusion
7.2.5 Die Interpretation des haben-Subjekts als ‹Ort›
7.3 Semantik von sein&mitprop
7.3.1 Haben als K-Zustandsverb
7.3.2 Die Pertinenzpräsupposition
7.4 Zur Perspektivität in haben-Konstruktionen
7.5 Fazit
8 Weitere Formtypen
8.1 Einleitung
8.2 Der haben-AcI
8.2.1 Einführung
8.2.2 Syntax
8.2.3 Semantik
8.3 Haben + am-Infinitiv
8.4 Haben + Partizip I
8.5 Schlussbemerkung
9 Zusammenfassung und Ausblick
9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
9.2 Ausblick
Literaturverzeichnis
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Linguistische Arbeiten

538

Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Müller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese

Martin Businger

‹Haben› als Vollverb Eine dekompositionale Analyse

De Gruyter

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahrssemester 2009 von Frau Prof. Dr. Christa Dürscheid und Herrn Prof. Dr. Gallmann als Dissertation angenommen.

ISBN 978-3-11-025263-7 e-ISBN 978-3-11-025364-4 ISSN 0344-6727 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Businger, Martin. Haben als Vollverb : eine dekompositionale Analyse / by Martin Businger. p. cm. -- (Linguistische Arbeiten ; 538) Includes bibliographical references. ISBN 978-3-11-025263-7 (alk. paper) 1. Haben (The German word) 2. German language--Verb. 3. German language--Syntax. I. Title. PF3599.H32B87 2011 435--dc22 2011014708

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

Zum Abschluss dieser Arbeit haben viele fachlich wie auch persönlich beigetragen: Ihnen allen gebührt mein herzlichster Dank. Folgenden Personen möchte ich dafür danken, dass sie mit mir Daten oder Theorieansätze diskutiert, mich mit schwer zugänglicher Literatur versorgt oder mich auf andere, manchmal aufopferungsvolle Weise beim Verfassen dieser Arbeit unterstützt haben: Juanito Avelar, Aja van Bladel, Noah Bubenhofer, Petrea Bürgin, Marie-Laure Chevalley, Elizabeth Cowper, Nadio Giger, Amina Hallab, Tamara Hegner, Daniel Holl, Anja Lübbe, Martin Salzmann, Joachim Scharloth, Claudia Schmellentin, Jürgen Spitzmüller, Volker Struckmeier, Rebekka Studler und Ladina Tschander und vor allem Gerard Adarve. Ganz besonders danke ich Prof. Dr. Christa Dürscheid. Ihr Langmut war der beste Beweis für ihr nie erloschenes Vertrauen, das sie mir im Hinblick auf meine Arbeit entgegengebracht hat. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, meinen fachlichen Horizont zu weiten und meinen Blick auf größere linguistische Zusammenhänge zu lenken. Auch möchte ich Prof. Dr. Peter Gallmann danken, in dessen Seminaren ich das grammatische Handwerk erlernt habe. Im Hinblick auf die vorliegende Publikation konnte ich von seinen wertvollen Hinweisen profitieren, durch die die Arbeit an Klarheit und Verständlichkeit gewonnen hat. Schließlich darf ich hier den Mann erwähnen, sine quo non: Prof. Dr. Thomas Lindauer. Ohne ihn und den begeisternden Unterricht, den ich bei ihm an der Universität Zürich genoss, hätte ich den steinig-lustvollen Pfad der Grammatiktheorie wohl nicht beschritten und dieses Buch wäre nie geschrieben worden. Ich danke der Herausgeberschaft der Linguistischen Arbeiten für die freundliche Aufnahme in ihre Reihe.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI 1

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Theoretischer Rahmen und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 2 5

2

Daten und Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zur Flexionsmorphologie von haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Abgrenzung von haben als Vollverb gegenüber haben als Hilfsverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Kriterien zur Unterscheidung von Vollverben und Hilfsverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Haben in weiteren Verwendungsweisen . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Erreichter Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Grundsätzliches zur Syntax von haben als Vollverb . . . . . . . . . 2.4.1 Syntaktische Konstruktionsmöglichkeiten. . . . . . . . . . . 2.4.2 Konstituenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Eine Small-Clause-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Weitere Evidenz für die SC-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Die absolute mit-Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Konstituenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Scheinbare und echte Ausnahmen von der haben-mitParallele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Unterschiedliche homonyme mit-Präpositionen . . . . . . 2.6 Hypothese und weiterführende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Blockierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Zum Kasus des SC-Subjekts unter mitprop . . . . . . . . . . 2.6.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der adjektivische Haben-Konfigurativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.2 Der AHK und andere Konstruktionen mit postnominalem Adjektiv. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

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Forschungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Bestehende generative Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 HABEN-Komplemente mit adjektivischem Prädikat im Deutschen und im Französischen . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Adjektivische Stadien- und Individuenprädikate. . . . . . Eine Syntax-Semantik-Asymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Prädikative Adjektive an der Syntax-SemantikSchnittstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Optimalitätstheoretische Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Wettbewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Eine pragmatische Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Pronomen und Quantoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die absolute mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat . . . 3.6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Artikellosigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.3 Referenzeigenschaften des ‹besessenen› Nomens . . . . . 3.6.4 Der AHK und External possessor constructions . . . . . . 3.6.5 Die Rolle des indefiniten Artikels . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere AHK-Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1 ‹offen haben› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2 ‹es satt haben› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der partizipiale Haben-Konfigurativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Abgrenzung des PHK vom Perfekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Eine verwandte Konstruktion mit haben im Infinitiv bzw. im Konjunktiv II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Der PHK und das Diathesensystem des Deutschen . . . . . . . . . . 4.4.1 Der PHK als ‹statives Dativpassiv›? . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Zur Syntax des PHK gegenüber dem Dativpassiv . . . . 4.4.3 Zur Semantik des PHK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die Kategorie des Partizips II im PHK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Das Partizip II im Zustandspassiv und im PHK . . . . . . 4.5.2 Zur absoluten mit-Konstruktion mit Partizip II . . . . . . . 4.6 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Haben und Nichtflektierbare als Codaelemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Zwei Ellipsenanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 SC-Prädikate als Codakonstituenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Verbpartikeln als Codakonstituenten . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Funktionsverbgefüge mit haben und präpositional angeschlossenem Verbalsubstantiv . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Adjunkte als Codakonstituenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Topologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Die absolute MIT-Konstruktion im Niederländischen . 5.4.3 Semantik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3.1 Adverbiale Präpositionalphrasen . . . . . . . . . . . 5.4.3.2 Als-Phrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Konsequenzen und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Haben + NP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Haben-Konstruktionen mit stillem SC-Prädikat . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Absolutkonstruktionen mit stillem Prädikat . . . . . . . . . 6.3 FVG mit akkusativisch angeschlossenem Verbalsubstantiv . . . 6.3.1 Syntaktische Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Semantische Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Feste Nomen-haben-Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Syntaktische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Nomen-haben-Verbindungen in weiterem Rahmen . . . 6.5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Semantik von haben als Vollverb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Bestehende Zugänge und Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Haben als lexikalisches Verb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Relationale haben-Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Haben: mehrdeutig oder vollständig unterspezifiziert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Baron/Herslund (2001): Lokalisierung und Inklusion . . 7.2.5 Die Interpretation des haben-Subjekts als ‹Ort› . . . . . . 7.3 Semantik von sein&mitprop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257 257 260 260 266 271 276 282 286

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7.3.1 Haben als K-Zustandsverb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Die Pertinenzpräsupposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Zur Perspektivität in haben-Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Formtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Der haben-AcI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Syntax. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Semantik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Haben + am-Infinitiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Haben + Partizip I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 9.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole

AHK FA FVG HABEN

mhd. MIT mitprop nhd. PHK PM RP SC SEIN sein

Adjektivischer Haben-Konfigurativ (= Gegenstand von Kap. 3) Funktionale Applikation Funktionsverbgefüge eine (nicht genauer bestimmte) Menge von ‹haben-Verben› (das sind z. B. dt. haben, engl. have oder frz. avoir) in verschiedenen Einzelsprachen mittelhochdeutsch eine (nicht genauer bestimmte) Menge von ‹mit-Präpositionen› (das sind z. B. dt. mit, engl. with oder frz. avec) in verschiedenen Einzelsprachen eine von mehreren homonymen ‹mit-Präpositionen› im Deutschen und Teil des komplexen Kopfes haben neuhochdeutsch Partizipialer Haben-Konfigurativ (= Gegenstand von Kap. 4) Predicate Modification (vgl. Heim/Kratzer 1998:65) Relator-Phrase (vgl. den Dikken 2006) Small Clause eine (nicht genauer bestimmte) Menge von ‹sein-Verben› (das sind z. B. dt. sein, engl. be oder frz. être) in verschiedenen Einzelsprachen Kopulaverb im Deutschen als Teil des komplexen Kopfes haben

Markierung der Daten: * Verletzung der grammatischen Wohlgeformtheit (einschließlich Verletzungen von lexikalischen Selektionsbeschränkungen) ?? nach meinem [M.B.] Urteil (und unter Berücksichtigung der Urteile weiterer muttersprachlicher Sprecher) nicht akzeptabel und nach meiner Kenntnis nicht belegt ? markiert und nur eingeschränkt akzeptabel # Die Äußerung des Satzes ist im erläuterten pragmatischen Kontext unangemessen oder ist in gängigen pragmatischen Kontexten unangemessen. (Die zweite Möglichkeit wird zugelassen, damit nicht in jedem betrachteten Fall explizit ein bestimmter pragmatischer Kontext beschrieben werden muss.) Vorbehalten sind Beurteilungsmarkierungen, die der Literatur entnommen sind. Eine solche Übernahme wird jeweils vermerkt. Notationskonventionen (am Beispiel der Beurteilung ‹*›): *(X)Y = OKXY und *Y (*X)Y = *XY und OKY

1

Einführung

In diesem Kapitel sollen zunächst der Gegenstand und das Ziel der vorliegenden Arbeit bestimmt werden (Abs. 1.1). Danach folgen grundlegende Bemerkungen zum gewählten theoretischen Rahmen und zu methodischen Fragen (Abs. 1.2). In Abs. 1.3 wird ein Überblick über die Arbeit gegeben.

1.1

Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit

Diese Arbeit hat ein einzelnes Verb des Deutschen zum Thema: haben. Ein Einzellexem zum Gegenstand einer grammatiktheoretischen Arbeit zu machen, ist dann ‹gewinnbringend›, wenn das untersuchte Lexem eine zentrale Rolle innerhalb des grammatischen Systems der betrachteten Sprache spielt, wenn also sein Fehlen nicht bloß eine lexikalische Lücke darstellen würde, sondern weit reichende Konsequenzen für die grammatische Struktur der Sprache hätte. Dies ist, wie im Verlauf der Arbeit deutlich werden dürfte, beim deutschen Verb haben der Fall. In den letzten Jahren wurden mehrere Arbeiten zu einzelnen Kopulaverben des Deutschen wie sein (Maienborn 2003) oder bleiben (Schlücker 2007) und zu Kopulakonstruktionen in verschiedenen Sprachen (Pustet 2003, Geist 2006) verfasst; mit Geist/Rothstein (2007) liegt auch ein jüngerer Sammelband zu diesem Themenbereich vor. Vor diesem Hintergrund ist auffällig, dass nur wenige syntaktische Untersuchungen zum deutschen Verb haben vorliegen, und diese fokussieren in der Regel jeweils auf eine bestimmte haben-Konstruktion, z. B. auf die Konstruktion haben + Partizip II mit Zustandslesart, so Leirbukt (1981), Hole (2002) und Rothstein (2007) (vgl. unten Kap. 4). Die hier vorgelegte Arbeit will einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten. Den Gegenstand dieser Arbeit bildet haben in seinem Gebrauch als Vollverb.1 Damit ist haben als Hilfsverb (Auxiliar) von der Untersuchung ausgeschlossen. Kriterien, auf deren Grundlage auxiliare von nicht-auxiliaren Funktionen von haben unterschieden werden können, werden in Abs. 2.3 erörtert. Hierbei wird 1

Die Verwendung des Terminus Vollverb in dieser Arbeit ist allein der Tradition geschuldet und dient nur einer unkomplizierten Verständigung. Insbesondere soll der Gebrauch des Terminus keine Analyse von haben-Konstruktionen vorwegnehmen oder bestimmte Annahmen in Bezug auf semantische Merkmale von haben implizieren.

2 sich die Kasusrektionsfähigkeit von haben als das am besten geeignete Kriterium herausstellen. Dass die Unterscheidung von auxiliarem gegenüber nichtauxiliarem haben nicht nur operational möglich ist, sondern auch der Gegenstandsbestimmung einer Monographie zugrunde gelegt werden soll, ist damit freilich noch nicht klar. Die entsprechende Rechtfertigung wird sich durch die in der Arbeit formulierten Generalisierungen und durch die Argumentation für die eigene Hypothese ergeben. Mit dieser Abgrenzung des Gegenstandsbereichs soll nicht impliziert werden, bei haben in auxiliarer Funktion einerseits und haben als Vollverb andererseits handle es sich um ein Verbpaar, dessen Homonymie synchron eine reine Zufälligkeit darstellt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass systematische Bezüge von haben in seinen verschiedenen syntaktischen Funktionen feststellbar sind. Entsprechendes dürfte für das Verb sein in auxiliarer Funktion einerseits und sein als Kopulaverb andererseits gelten. Es ist ein Desiderat, dass diese Bezüge – sowie die Bezüge zwischen den beiden Verben haben und sein – im Rahmen einer integrativen Theorie beschrieben werden. Die Erarbeitung einer solchen umfassenden Theorie wird in dieser Arbeit allerdings nicht geleistet; ich muss mich mit einer Vorarbeit hierzu begnügen. Damit lässt sich die Zielsetzung der Arbeit wie folgt präzisieren: Es soll die Frage beantwortet werden, inwiefern eine einheitliche Modellierung der unterschiedlichen syntaktischen Verwendungsweisen von haben als Vollverb möglich und theoretisch wie empirisch angemessen ist.

1.2

Theoretischer Rahmen und Methodik

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine grammatiktheoretische Arbeit. Sie ist der generativen Forschungstradition verpflichtet, d. h. sie versteht sich als Beitrag zur Erforschung der mental repräsentierten Grammatikkompetenz von Deutschsprachigen und darüber hinaus der menschlichen Grammatikkompetenz allgemein. Üblichen Annahmen der Generativen Grammatik folgend verstehe ich die Grammatikkompetenz als eine sprachliche Teilkompetenz, die prinzipiell von anderen Teilkompetenzen innerhalb der menschlichen Sprachfähigkeit abgegrenzt werden kann. So bilden insbesondere Syntax und Semantik unabhängige Module, die aber durch eine Schnittstelle miteinander interagieren. In Kap. 3 wird diese Schnittstelle verstärkt in den Blick kommen, und ich werde dort für eine spezifische, optimalitätstheoretisch zu formulierende Modellierung von bestimmten Schnittstellenphänomenen argumentieren. Im Weiteren wird sich zeigen, dass beim Interpretationsprozess von haben-Sätzen die Pragmatik eine

3 entscheidende Rolle spielt. Damit dürfte auch schon angedeutet sein, dass sich meine Arbeit nicht allein auf der Ebene formalsyntaktischer Fragen bewegt. Vielmehr sollen auch Aspekte der Semantik und der funktionalen Leistung von haben-Konstruktionen zur Sprache kommen. Zur Gewinnung der Daten, die in dieser Arbeit präsentiert werden und die die Grundlage für Generalisierungen und für die theoretische Modellierung bilden, ist Folgendes zu bemerken. Große Teile des hier zur Diskussion stehenden Datenbereichs sind empirisch unproblematisch. So stellen Wortfolgen wie Er hat die Füße auf dem Tisch oder Sie hatte einen passenden Schraubenschlüssel im Deutschen zweifellos grammatische Sätze dar, und sie müssen im Hinblick auf die syntaxtheoretische Modellierung als zum grammatischen System des Deutschen gehörig angesehen werden. In gewissen Teilbereichen der für die Arbeit relevanten Daten erscheinen die Grenzen der Grammatikalität aber eher verschwommen. Für solche Fälle habe ich mich grundsätzlich an folgendes Prinzip gehalten: Strukturen müssen belegbar sein – dies insbesondere dann, wenn die Daten von zentraler Bedeutung für den Argumentationsgang sind. Hierzu stellt sich unmittelbar die Frage, welche Quellen für Belege in Frage kommen sollen. Eine Möglichkeit wäre die Beschränkung auf standardsprachliche Modelltexte (im Sinne von Ammon 1995:79). Nach verbreiteter Auffassung weisen insbesondere Texte aus überregionalen Zeitungen, wie sie beispielsweise im COSMAS-Korpus in großer Zahl zugänglich sind, Modellcharakter auf. Aufgrund der folgenden Überlegungen wäre eine solche Beschränkung aber im Hinblick auf die Zielsetzung meiner Arbeit nicht angemessen. Belvin bemerkt in seiner Dissertation, in der u. a. engl. have-Konstruktionen behandelt werden, dass – ähnlich wie etwa die in der generativen Literatur ausführlich diskutierten Konstruktionen mit Schmarotzerlücken – manche have+clause-Konstruktionen im Englischen etwas marginal seien, und er bemerkt weiter dazu: «[They] have a highly colloquial timbre to them» (Belvin 1996:4). Entsprechendes gilt interessanterweise auch für manche haben-Konstruktionen im Deutschen, beispielsweise für solche, die ein Adjektiv mit prädikativem Bezug zur Akkusativ-NP beinhalten (wie Die Katze hat den Napf leer; vgl. dazu eingehend Kap. 3). Es ist davon auszugehen, dass diese Konstruktion in konzeptionell schriftlichen Textsorten (vgl. Koch/Oesterreicher 1994) selten vorkommt.2

2

Die Tendenz zur Marginalität oder zu niedriger Verwendungsfrequenz einer Konstruktion rechtfertigt aus grammatiktheoretischer Sicht sogar ein besonderes Interesse an der Konstruktion. Die Seltenheit der Konstruktion impliziert unter Umständen, dass sie kaum als Konstruktionsmuster gelernt worden sein kann. Vielmehr ist in dem Fall zu vermuten, dass sich die Möglichkeit ihrer Existenz aus dem Zusammenspiel unabhängiger Prinzipien ergibt. Auch aufgrund dieser Überlegung wäre es wenig sinnvoll, sich auf standardsprachliche Modelltexte zu beschränken.

4 Wie sich zeigen wird, sind manche haben-Strukturen des Deutschen tatsächlich in den standardsprachlichen Modelltexten nicht oder kaum belegbar. Daher lasse ich neben Belegen aus dem COSMAS-Korpus und aus weiteren standardsprachlichen Quellen auch solche aus dem Internet – und damit aus verschiedensten Textsorten standardsprachlicher und standardnaher, aber auch standardfernerer Prägung – als empirischen Nachweis von einzelnen Konstruktionen zu. Hier mag vielleicht die Befürchtung aufkommen, dass mit dieser Vorgehensweise im Grunde jede Struktur als belegbar eingestuft wird, da ‹im Internet ja alles zu finden ist›. Dazu ist Folgendes zu bemerken: Erstens zeigt sich bei der Belegbeschaffung, dass durchaus sehr viele Strukturen oder Syntagmen, die man aus theoretischer Sicht konstruieren kann, nicht belegbar sind. Freilich ist diese Aussage dahingehend einzuschränken, dass jede Generalisierung von der Form ‹X ist nicht belegbar› grundsätzlich – und unabhängig vom zu Grunde gelegten Korpus – nachträglich durch entsprechende Belege falsifiziert werden kann. Zweitens wurden die angeführten Belege immer einer sorgfältigen Prüfung unterzogen, dies unter Berücksichtigung ihrer weiteren sprachlichen Umgebung (etwa Textsorte, sprachliche Gestalt oder Orthografie), um beispielsweise zu verhindern, dass Texte fremdsprachiger Lerner als Belegquelle dienten. Umgekehrt lässt die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, eine Struktur belegen zu können, nicht auf Ungrammatikalität dieser Struktur schließen: «Für die Grammatikalität einer Konstruktion spielt […] ihre Frequenz keine Rolle.» (Hundt 2005:24) Die niedrige Frequenz einer Konstruktion kann «ihre Akzeptabilität in der Sprachgemeinschaft» negativ beeinflussen (Hundt 2005:21f), doch dies bedeutet nicht, dass sie nicht systemgerecht im Sinne der I-Grammatik (vgl. Fanselow/Felix 1987:44f) des Deutschen ist. Daher schließe ich mich der Auffassung von Hundt an, dass korpusorientiertes Arbeiten und Introspektion sich ergänzen müssen, um in Fragen der Grammatikalität zu angemessenen Einschätzungen zu kommen (vgl. Hundt 2005:15). Introspektion ist in manchen Datenbereichen unverzichtbar. So sind Fragen, die Lesarten, Lesartenpräferenzen oder allgemein die Semantik eines Satzes sowie seine Angemessenheit unter bestimmten pragmatischen Vorannahmen betreffen, grundsätzlich nicht allein durch Belegbeschaffung zu klären. Hierbei stütze ich mich weit gehend auf mein eigenes Urteil sowie dasjenige von einer kleinen Zahl von muttersprachigen Informanten.3 Dasselbe gilt in Bezug auf die Grammatikalitätsbeurteilung von eher ‹exotischen›, schwer durch Korpusrecherche belegbaren Sätzen, etwa solche mit markierter Konstituentenabfolge.

3

Diese – in der Generativen Grammatik freilich gängige und teilweise zu wenig problematisierte – Methode der Datengewinnung hat Jürgen Spitzmüller (p. c.) treffend als ‹erweiterte Introspektion› bezeichnet.

5 Auch wenn das Bemühen um eine adäquate Datengewinnung fraglos eine Notwendigkeit darstellt, so darf doch auch nicht ausgeblendet werden, dass Datenbereiche nicht im eigentlichen Sinne ‹entdeckt›, sondern immer auch zu einem gewissen Grad vom Forschenden ‹geschaffen› werden. Zu dieser Problematik äußert sich Martin Neef – in einem anderen Gegenstandskontext, nämlich dem der Orthografie – wie folgt: «Die linguistische Analyse eines sprachlichen Datenbereichs zielt darauf ab, die Systematik dieses Bereichs zu rekonstruieren, indem die Daten in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden, der über Regeln oder ähnliche Mechanismen erfasst wird. […] [Es] unterscheiden sich konkurrierende Analysen typischerweise durch den Bestand von als unregelmäßig deklarierten Daten; nur relativ zu einer Theorie ist ein Datum regelmäßig oder unregelmäßig.» Neef (2007: 283f)

Dass sich Systematizität und ‹Ausnahmshaftigkeit› erst vor dem Hintergrund einer bestimmten theoretischen Modellierung ergeben, gilt nicht nur für orthografische Regelapparate, sondern auch für grammatiktheoretische Modelle – und damit für die in dieser Arbeit entwickelte Analyse. Das bedeutet, dass nicht nur die in Kap. 2 formulierte Hypothese durch bestimmte Daten bestätigt oder in Frage gestellt werden kann, sondern dass umgekehrt im Feld verschiedener haben-Konstruktionen durch die Hypothese eine Abgrenzung vorgenommen wird zwischen Daten, die von der Hypothese erfasst werden, einerseits und solchen, die vor dem Hintergrund der Hypothese als ‹ausnahmshaft› zu gelten haben, andererseits. Das ‹Ausnahmshafte› wird in dieser Arbeit keineswegs verschwiegen (vgl. insbesondere die in Kap. 8 behandelten Formtypen), zumal gerade diese Konstruktionstypen durch ihre ‹Modellierungsresistenz› Ansatzpunkte für die weitere Forschung bilden. Nicht zuletzt eine solche Erstellung von Brückenköpfen in unbekanntes Terrain hinein bildet m. E. einen wichtigen Teilaspekt der Leistung von wissenschaftlichen Arbeiten.

1.3

Aufbau der Arbeit

Im folgenden Kap. 2 wird der für diese Arbeit relevante Datenbereich vorgestellt und darauf aufbauend eine Generalisierung zur Syntax von haben in Form einer Hypothese entwickelt. Diese Hypothese wird in den nachfolgenden Kapiteln anhand verschiedener Datenbereiche überprüft. Dabei ergibt sich die Gliederung im Wesentlichen aus den in Kap. 2 unterschiedenen Formtypen von habenKonstruktionen. Zunächst werden haben-Konstruktionen thematisiert, bei denen der Akkusativ-Nominalphrase nachgestellt eine Adjektivphrase (Kap. 3) bzw. eine Phrase, deren Kopf von einem Partizip II besetzt ist (Kap. 4), erscheint.

6 Kap. 3 nimmt dabei vergleichsweise viel Raum ein, dies einerseits deshalb, da der dort behandelte Konstruktionstyp von der bisherigen Forschung kaum berücksichtigt wurde, und andererseits, weil sich seine theoretische Einordnung als komplex erweisen wird. Im Zuge dieser Diskussion müssen auch einige in der Forschung teilweise noch wenig behandelte Fragen – etwa im Zusammenhang mit dem artikellosen Auftreten von Zählnomen – erörtert werden. Bei dem in Kap. 5 betrachteten Formtyp erscheint neben Subjekt- und Objekt-NP eine Präpositionalphrase oder eine formal ähnlich gelagerte Konstituente im Satz. Dieser Formtyp wird sich als heterogen erweisen – dies sowohl in syntaktischer wie auch semantischer Hinsicht. In Kap. 6 zeige ich, wie auf der Grundlage der in den Kapiteln davor erzielten Ergebnisse der – oberflächlich besehen ‹einfachste› – Formtyp vom Muster X hat Y grundsätzlich analog zu den anderen Formtypen erfasst werden kann. In Kap. 7 wird auf semantische Aspekte von haben-Konstruktionen eingegangen. Es soll überlegt werden, ob die Voraussagen, die sich aus der vorgeschlagenen syntaktischen Analyse ergeben, mit davon unabhängigen, grundsätzlichen Überlegungen zur Semantik von haben als Vollverb vereinbar sind. Kap. 8 ist Konstruktionen gewidmet, die sich aus der Sicht meiner Hypothese als problematisch darstellen, d. h. hier werden Daten thematisiert, die vor dem Hintergrund der Hypothese als ‹Ausnahmen› eingeordnet werden müssen. Abschließend bietet Kap. 9 eine Zusammenfassung der Ergebnisse und einen Ausblick auf mögliche Forschungsfragen für die Zukunft.

2

Daten und Hypothese

2.1

Einleitung

Dieses Kapitel hat zum Ziel, den Gegenstand der Arbeit genau zu bestimmen, relevante Daten mithilfe einfacher Beschreibungskategorien in einer vorläufigen Weise zu ordnen sowie – ausgehend von der so geschaffenen Datengrundlage – eine Hypothese zu formulieren, die durch den Argumentationsgang in den folgenden Kapiteln erhärtet werden soll. Als Einheit des mentalen Lexikons kann das Verb haben auf morphologischer, syntaktischer und semantischer Ebene betrachtet werden. In der vorliegenden Arbeit steht die Ebene der Syntax im Zentrum. Zur Syntax von ‹habenVerben› in verschiedenen Einzelsprachen (abgekürzt: HABEN1), v. a. von have im Englischen, liegen bereits einige Studien vor – die Literatur zur Syntax von haben im Deutschen hingegen ist bis heute recht spärlich. Frühe germanistische Arbeiten zu haben im Deutschen sind Brinkmann (1959) – der sich in erster Linie für die funktionale Leistung des Verbs haben interessiert, weniger für seine Syntax – und Helbig (1978). Letzterer bietet einen knappen Überblick über zustandsbezeichnende Konstruktionen mit haben und mit sein und gelangt zu einem Katalog von syntaktischen Formtypen (in der Zielsetzung nicht unähnlich dem unten in Abs. 2.4.1 angestellten Kategorisierungsversuch). Frühe generativ orientierte Arbeiten zu have im Englischen sind Bach (1967) und Lyons (1967); vgl. auch Fillmore (1968:44–47 und 75–80). Inspirationsquelle für zahlreiche generative Analysen von HABEN war allerdings Benveniste (1966) (erstmals erschienen 1960), der die enge syntaktische Verwandtschaft von avoir und être

1

Mit dem Begriff HABEN beziehe ich mich in dieser Arbeit auf eine (nicht näher bestimmte) Menge von ‹haben-Verben› in verschiedenen Einzelsprachen. Zu diesen haben-Verben gehören z. B. dt. haben, frz. avoir oder engl. have. Diese und entsprechende Verben in weiteren Einzelsprachen scheinen in syntaktischer und in semantisch-funktionaler Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten aufzuweisen, allerdings ist auch immer mit mehr oder weniger weit reichenden Unterschieden zu rechnen, was die Abgrenzung der Kategorie HABEN problematisch macht. Weiter ist zu bedenken, dass auch die Unterscheidung in auxiliares und nicht-auxiliares HABEN (vgl. unten Abs. 2.3) für jede Einzelsprache gesondert zu diskutieren wäre. Somit gilt: Bei HABEN handelt es sich um eine vortheoretische Kategorie von relativ vagem Inhalt. Dennoch ist sie für eine knappe Verständigung nützlich (und ungefährlich, solange man sich bewusst bleibt, dass unter HABEN eine Menge von nur annäherungsweise äquivalenten Elementen zusammengefasst wird).

8 herausstreicht und durch die formelhafte Aussage «avoir n’est rien autre qu’un être-à inversé» (Benveniste 1966:197; vgl. auch 195) zu fassen versucht. Prägend für die Sicht auf HABEN in der jüngeren generativen Forschung sind die Arbeiten von Freeze (1992) und Kayne (1993) (vgl. dazu unten Abs. 2.6.1). An sprachvergleichend-typologischer Literatur sind insbesondere Stassen (2001, 2009) und Heine (1997) zu nennen. – Auf weitere Literatur zu haben bzw. HABEN soll jeweils an passender Stelle in der Arbeit verwiesen werden. Die Kategorie haben als Gegenstand syntaxtheoretischer Beschäftigung stellt bereits eine Abstraktion dar. Diese lässt sich auffassen als Menge von morphologischen Einheiten, genauer gesagt von Flexionsformen, die zu einem Paradigma geordnet werden können. Daher ist es angemessen, in einem ersten Schritt das Flexionsparadigma von haben im gegenwärtigen Deutsch zu beschreiben (Abs. 2.2). Ein Syntagma, dass eine Flexionsform von haben enthält, soll – vortheoretisch und durchaus vage – als haben-Konstruktion bezeichnet werden. Im Fokus meiner Arbeit steht dabei, wie in Kap. 1 bereits festgehalten wurde, nur eine Teilmenge der haben-Konstruktionen des Deutschen, und zwar diejenigen Konstruktionen, in denen die Flexionsform von haben aufgrund ihres Gebrauchs der Kategorie ‹haben als Vollverb› zugeordnet werden kann. Daher gilt es, haben als Vollverb von haben als Hilfsverb abzugrenzen (Abs. 2.3). Im Anschluss daran unterscheide ich – zunächst auf beschreibender Ebene – einzelne Konstruktionstypen mit haben als Vollverb aufgrund formaler Gesichtspunkte, um auf dieser Grundlage eine allgemeine Hypothese über die syntaktische Struktur von haben-Konstruktionen2 zu entwickeln (Abs. 2.4). Der daran anschließende Abschnitt hat eine Absolutkonstruktion zum Gegenstand, deren Kopf von der Präposition mit gebildet ist (Abs. 2.5). Es werden weit reichende Parallelen zwischen der Syntax von mit in der genannten Konstruktion einerseits und der Syntax von haben als Vollverb andererseits feststellbar sein. Diese Parallelen bilden die Grundlage für die Formulierung der untersuchungsleitenden Hypothese in ihrer endgültigen Form (Abs. 2.6). Obwohl der Schwerpunkt dieser Arbeit klar auf der Modellierung syntaktischer Erscheinungen liegt, kommen auch semantische Aspekte von habenKonstruktionen an verschiedenen Stellen der Arbeit in den Blick; speziell mit der Frage nach dem semantischen Beitrag von haben zur Gesamtbedeutung von haben-Konstruktionen beschäftigt sich Kap. 7.

2

Ab Abs. 2.4 hat die Arbeit nur noch solche Konstruktionen zum Gegenstand, in denen haben als Vollverb (nicht als Hilfsverb) in Erscheinung tritt. Der Begriff ‹haben-Konstruktion› bezieht sich dann grundsätzlich nur auf Konstruktionen mit haben als Vollverb, nicht auf haben-Konstruktionen allgemein. Diese Festlegung soll helfen, das wiederholte Auftreten umständlicher Formulierungen zu vermeiden – Missverständnisse dürften sich dabei kaum einstellen.

9

2.2

Zur Flexionsmorphologie von haben

Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über das Flexionsparadigma von haben. Fragen der Wortbildungsmorphologie im Zusammenhang mit dem Verbstamm hab- bleiben hier außer Betracht, da sie im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit nicht relevant sind. Bei haben handelt es sich grundsätzlich um ein schwaches Verb, das aber einige auffällige ‹Irregularisierungscharakteristika› aufweist (zum Begriff der Irregularisierung in Bezug auf Verbalparadigmen vgl. ausführlich Nübling 2000). In der unten stehenden Tabelle ist ein Ausschnitt des Flexionsparadigmas von haben wiedergegeben (vgl. 3. Spalte). Die Formen in der mittleren Spalte bilden ein hypothetisches, ‹regelmäßiges› Paradigma,3 was einzig der Verdeutlichung der ‹irregulären› Aspekte des realen Paradigmas dienen soll. Im hypothetischen Paradigma zeigt der Verbalstamm keine Alternanz (abgesehen von der Auslautverhärtung), insbesondere ist der Stammvokal durchgehend lang (wie dies beispielsweise bei den Flexionsformen von laben der Fall ist). Die Notation der Formen folgt der orthografischen Schreibung; die Angaben von Längen (durch Überstrich) und Kürzen (ohne Bezeichnung) entsprechen der Standardlautung (vgl. Duden Aussprache 2005); in der dritten Spalte sind die vom ‹regularisierten› Paradigma abweichenden Formen fett gedruckt (zum Inhalt der Tabelle vgl. auch Nübling 2000:22f und Duden-Grammatik 2005:466). ‹regularisiertes› Paradigma reales Paradigma Infinitiv Präsens Sg. 1 2 3 Pl. 1/3 2

haben

h$ben

h$be *h$bst *h$bt h$ben h$bt

h$be hast hat h$ben h$bt

Imperativ Sg. Präteritum 1. Sg. Konjunktiv II 1. Sg.

h$b *h$bte *h$bte [bzw. identisch mit Präteritum] geh$bt

h$b hatte hätte

Partizip II

geh$bt

(Tabelle 2:1)

3

Dieses regularisierte Paradigma entspricht dem Flexionsparadigma des völlig regelmäßigen Verbs handhaben (diesen Hinweis verdanke ich Peter Gallmann).

10 Allen Formen gemeinsam ist der Stammanlaut h. Die beiden im Nukleus der Stammsilbe vorkommenden Vokale unterscheiden sich in der Länge, sind sich aber hinsichtlich ihrer Lautqualität sehr ähnlich; hinzu kommt der umgelautete Vokal im Konjunktiv II, sodass im Stammsilbennukleus drei Vokale alternieren. – Nun zu einzelnen Auffälligkeiten des Paradigmas: In den Präsensformen der 2. und 3. Person Singular ist – aus synchroner Sicht – die komplexe Silbencoda durch Tilgung von b (phonetisch: [p]) vereinfacht, und der Stammvokal erscheint gekürzt.4 Zu bemerken ist hierzu, dass die ‹regulären› Formen gegen keine phonotaktischen Beschränkungen des Deutschen verstoßen würden (vgl. etwa die wohlgeformten Flexionsformen labst, labt). Durch die Irregularität der Form der 3. Sg. fällt diese – anders als im Paradigma vieler deutscher Verben – nicht mit der Form der 2. Pl. zusammen, was zur innerparadigmatischen Differenzierung beiträgt. Der Kurzvokal in Verbindung mit einer Vereinfachung am Silbengelenk, bei der wiederum der stammauslautende Labial schwindet, begegnet auch im Präteritum und im Konjunktiv II. Diesen Formen gegenüberzustellen sind die für schwache Verben regulären Präteritalbildungen wie in labte (mit langem Stammvokal). Damit weicht haben merklich von einem regulär flektierten schwachen Verb wie laben oder leben ab. Andererseits ähnelt es starken Verben wie graben oder geben darin, dass die 2./3. Sg. ‹unregelmäßig›, genauer gesagt mit idiosynkratischer Stammalternanz gebildet ist: Bei graben erfolgt in den genannten Formen Umlautung (gräbst/gräbt), bei geben e/i-Wechsel (gibst/gibt), bei haben wie bereits festgehalten Vokalkürzung und Ausfall des stammauslautenden Konsonanten. Im Unterschied zu graben oder geben zeigt haben aber keinen Ablaut im Präteritum und im Partizip, sondern es bildet die Formen mit Dentalsuffix, also schwach. Der Konjunktiv II von haben weist – bei kurzem Vokal wie im Präteritum – Umlaut auf, was für die schwache Konjugation außergewöhnlich ist (vgl. sagte/*sägte, malte/*mälte; aber: brauchte/bräuchte als Varianten im Konjunktiv II zum Präteritum brauchte5). Damit vermeidet haben die Homophonie von Präteritalformen und Konjunktiv-II-Formen, wie sie für schwache Verben charakteristisch ist, und erlaubt so eine eindeutige Kennzeichnung des Konjunktivs II, analog zum Verb sein oder zu den (meisten) Modalverben.

4

5

Diachron gesehen rühren die Präsensformen der 2. und 3. Person Singular (wie auch die weiteren Formen mit kurzem Stammvokal, das sind die Formen im Präteritum und im Konjunktiv II) aus den mhd. Kurzformen (Infinitiv hân) her, während der andere, größere Teil des nhd. Paradigmas historisch auf den mhd. Langformen (Infinitiv haben) beruht. Aus diachroner Perspektive liegt bei nhd. haben somit ein Mischparadigma vor (vgl. Nübling 2000:22f). Der ‹Zweifelsfälle-Duden› lehnt in der jüngsten Auflage die umgelautete Konjunktiv-Form bräuchte für den standardsprachlichen Gebrauch immer noch ab, wenn auch in einer vorsichtigen Formulierung (vgl. Duden Zweifelsfälle 2007:186).

11 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass haben eine innerparadigmatische Differenzierung insbesondere durch «die Alternanz von kurzer und langer Wurzel» (Nübling 2000:23) erreicht. Wie Nübling (2000:24f) allerdings zeigt, gilt dies nur im Bereich der standardsprachlichen Lautung. In der Umgangssprache zeigen die Flexionsformen von haben die Tendenz zu einem einheitlich kurzen Stammvokal. Diese Kürzung kann nicht als automatisches Ergebnis von allgemeinen Regularitäten einer ‹Umgangslautung› gewertet werden, wie der Vergleich mit Verben wie graben oder laben zeigt: In der Umgangssprache steht beispielsweise kurzes [hap] für (ich) habe langem [gra:p] für (ich) grabe gegenüber (vgl. Nübling 2000:24). Mit Blick auf die gesamte Germania hält Nübling fest, dass HABEN in den germanischen Sprachen «[d]as eindrucksvollste Beispiel für Irregularisierung bei gleichzeitiger Reduktion liefert» (Nübling 2000:13), dies insbesondere, wenn berücksichtigt wird, dass es sich bei HABEN ursprünglich um ein schwaches Verb handelt. Irregularisierung und Ausdruckskürze stehen in engem Zusammenhang mit hoher Tokenfrequenz (vgl. Nübling 2000:290–294). «Bei den Irregularität anstrebenden Verben handelt es sich nicht […] um eine marginale Gruppe, sondern um das Zentrum, den frequentesten Kernbereich der Verben» (Nübling 2000:2). Sowohl die Frequenz des Verbs haben6 als auch seine oben illustrierte Tendenz zur Irregularisierung weisen haben im Deutschen unzweifelhaft als diesem verbalen ‹Kernbereich› zugehörig aus. Ebenfalls diesem Kernbereich zuzuordnen sind neben haben insbesondere das Verb sein sowie das Verb werden. Aus der Gruppe der Verben mit Spezialfunktionen, wie sie in der Dudengrammatik abgegrenzt wird (vgl. Duden-Grammatik 2005:421–423), erscheinen «vor allem sein, werden und haben in mehreren Spezialverbkategorien» (Duden-Grammatik 2005:423). Diese drei Verben zeigen somit ein großes syntaktisches Verwendungsspektrum und tragen im grammatischen System des Deutschen ein jeweils unterschiedlich profiliertes, aber in jedem Fall bedeutendes funktionales Gewicht. Aus flexionsmorphologischer Sicht ist nun zu fragen, ob diese Verben über ein ähnliches Maß an ‹Irregularität› aufweisen. Dazu kann an dieser Stelle nur knapp das Folgende festgehalten werden. Im Vergleich zum hochgradig suppletiven Paradigma des Verbs sein erscheint die Irregularität des

6

Nach Ruoff (1981) stellt haben das höchstfrequente Verb im Deutschen dar. Getrennt nach der Verwendung als Hilfsverb bzw. als Vollverb ergeben sich für haben und sein folgende Frequenzen (bezogen auf die Gesamtheit der Verben): haben als Hilfsverb 17,84%, sein als Hilfsverb 11,26%, sein (übrige Verwendungen) 10,45%, haben (übrige Verwendungen) 4,65% (Ruoff 1981:440). Allerdings muss dazu einschränkend Folgendes bemerkt werden (vgl. Ruoff 1981:9): Die Datengrundlage, auf der diese Zahlen beruhen, kann nicht mehr als aktuell bezeichnet werden, außerdem ist sie medial auf die gesprochene Sprache und geografisch auf bestimmte Gebiete (im Süden) des deutschen Sprachgebiets beschränkt.

12 haben-Paradigmas als nicht besonders auffällig.7 Eher vergleichbar ist haben, was das Maß an Irregularisierung betrifft, die im Flexionsparadigma begegnet, mit dem Verb werden (vgl. Nübling 2000:63–65 für Einzelheiten). Auch die Diskrepanzen zwischen standardsprachlichem und umgangssprachlichem Paradigma sind bei werden ähnlich ausgeprägt wie bei haben (vgl. Nübling 2000:64). – Die Frage, inwiefern die Irregularität des Flexionsparadigmas eines Lexems mit der funktionalen Last korreliert, die das Lexem in der Grammatik einer Sprache zu tragen hat, muss hier unbeantwortet bleiben.

2.3

Abgrenzung von haben als Vollverb gegenüber haben als Hilfsverb

Wie in Kap. 1 bereits festgehalten wurde, bildet haben in seiner Funktion als Vollverb den Gegenstand dieser Studie; haben in anderen syntaktischen Funktionen gehört nicht zum gewählten Gegenstandsbereich. Als erste Illustration dazu sollen die folgenden zwei Beispiele dienen (2-1). (2-1)

a. b.

Sie hat einen Klapptisch. Sie hat gut geschlafen.

In (2-1a) liegt haben als Vollverb vor. In (2-1b) dagegen dient haben als Perfekthilfsverb (Perfektauxiliar)8 und stellt somit kein Vollverb dar. Diese Unterscheidung und die damit verbundene Terminologie ist in Resultatsgrammatiken des Deutschen gängig (vgl. unter vielen anderen Duden-Grammatik 2005:424; Eisenberg 2004:57, 128). Teilweise werden weiter gehende Unterscheidungen vorgenommen wie die folgende (2-2; Kategorienbezeichnungen und Satzbeispiele aus der Duden-Grammatik 2005:424). (2-2)

7

8 9

a.

transitives 9 Vollverb: Ich habe einen reichen Onkel. / Er hatte den Hut in der Hand.

Auch im Vergleich etwa zum Französischen avoir sind die Irregularität und die phonologische Reduziertheit der Flexionsformen von haben (in der Standardvarietät) nur schwach ausgeprägt. Dies zeigt sich bei einer Gegenüberstellung entsprechender Teilparadigmen von avoir und haben: Man beachte beispielsweise die monophonemischen Formen von avoir im Präsens (Singular ai, as, a und 3. Plural ont) und beim Partizip II (eu) (vgl. auch Nübling 2000:14, Anm. 6). In dieser Arbeit verwende ich die Begriffe Hilfsverb und Auxiliar als Synonyme. Im Gegensatz zur Charakterisierung als transitiv durch die Duden-Grammatik wird haben in Vollverbfunktion oft als intransitiv eingeordnet, so etwa in Abraham

13 b. c. d.

Perfekthilfsverb: Wer hatte euch gefragt?10 Funktionsverb: Wir haben alles unter Kontrolle. Modalitätsverb: Du hast mir zu helfen.

Im folgenden Unterabschnitt 2.3.1 werden mögliche Kriterien zur Abgrenzung von haben als Vollverb und haben als Hilfsverb (insbesondere als Hilfsverb zur Bildung von Perfekt und Plusquamperfekt) diskutiert, mit dem Ziel, ein verbindliches Unterscheidungskriterium für die Zwecke der vorliegenden Arbeit zu formulieren. Auf der Grundlage des definierten Kriteriums werden dann weitere Verwendungsweisen von haben eingeordnet (Abs. 2.3.2), so diejenige als Funktionsverb (d. h. in Funktionsverbgefügen) sowie – knapper – diejenige von haben als Modalitätsverb (vgl. oben 2-2c/d).

2.3.1 Kriterien zur Unterscheidung von Vollverben und Hilfsverben In der Literatur wurde eine Reihe von Kriterien vorgeschlagen, um Hilfsverben/ Auxiliare von Vollverben im Allgemeinen zu unterscheiden, wobei diese Kriterien einzelnen sprachlichen Ebenen wie etwa der Semantik, der Syntax, der Morphologie oder der Phonologie zugeordnet werden können (vgl. Remberger 2006:12–14 für einen knappen Überblick, sowie Harre 1991:12–23 für eine Kriteriendiskussion in Bezug auf span. tener ‚haben‘).11

10

11

(2005:270) oder Zifonun et al. (1997:1862). Letztere verweisen dabei auf den Umstand, dass das Partizip gehabt nicht attributiv auf die Akkusativ-NP eines zugrunde gelegten Satzes bezogen werden kann (i), dies im Gegensatz zu einem transitiven Verb wie aufessen (ii). (i) *der gehabte Erfolg (vgl.: Sie hat Erfolg gehabt.) (ii) der aufgegessene Kuchen (vgl.: Sie hat den Kuchen aufgegessen.) Für die Unmöglichkeit von (i) machen Zifonun et al. semantische Gründe geltend, die sie jedoch nicht näher ausführen. – Eisenberg (2004:128) verweist auf die NichtPassivfähigkeit von haben. Die fehlende Passivierbarkeit von haben-Konstruktionen ist ein weiterer Grund, haben nicht zu den transitiven Verben zu rechnen (vgl. Kürschner 2003:118). Nach Helbig/Buscha (2001:48) etwa sind «Verben mit einem nicht-subjektfähigen Akkusativ» nicht zu den transitiven Verben zu zählen, sondern als pseudotransitiv zu bezeichnen. Zur Frage der Passivierbarkeit von haben vgl. auch Abs. 7.2.1, Fn. 6. Die Funktion ‹Perfekthilfsverb› ist, wie das Beispiel aus der Duden-Grammatik zeigt, nicht auf das Perfekt zu beschränken, sondern liegt auch bei der Bildung des Plusquamperfekts (und analog des Futurperfekts) vor. In der folgenden Diskussion bleibt eine große Zahl von in der Literatur vorgeschlagenen Kriterien, die sich fraglos nicht eignen, auxiliares haben von ‹vollverbhaftem› haben abzugrenzen, unerwähnt. Ein Beispiel für ein solches ungeeignetes Kriterium wäre die grundsätzliche Flektierbarkeit. Auxiliare können sich durch ihre

14 Die Formulierung eines Kriteriums auf der semantischen Ebene erscheint intuitiv zunächst sinnvoll. So könnte man davon ausgehen, dass sich Hilfsverben auf der semantischen Ebene gegenüber Vollverben durch Reduziertheit oder Fehlen lexikalisch-semantischer Merkmale auszeichnen.12 Die Gefahr der Vagheit eines auf dieser Grundlage formulierten Kriteriums ist allerdings groß, was durch die folgende Beispielreihe verdeutlicht werden soll. (2-3)

a. b. c.

Heidi hat ein Motorboot (auf dem Bodensee). Heidi hat einen Arm in der Schlinge. Heidi hat ein altes Fahrrad vor dem Haus.

Satz (2-3a) ist geeignet, ein Besitzverhältnis zwischen Heidi und einem Motorboot auszudrücken. Für diesen Satz scheint die Annahme einer lexikalischen Semantik für haben im Sinne von ‚besitzen‘ o. ä. somit plausibel. Satz (2-3b) drückt kein mit (a) vergleichbares Besitzverhältnis aus, zugleich scheint eine Paraphrase wie ‚Heidis Arm ist in der Schlinge‘ angemessen. Haben scheint also in (b) ohne semantischen ‹Substanzverlust› eliminierbar zu sein, woraus der Schluss zu ziehen wäre, dass hier haben kein Vollverb darstellt. Wie ist vor diesem Hintergrund (2-3c) zu bewerten? Eine Besitzsemantik ist hier sicherlich weniger zwingend als in (a) (jemand könnte das Fahrrad vor Heidis Haus abgestellt haben), aber auch nicht ausgeschlossen. Kann also (c) mit Vollverb-haben (wie in a) und mit auxiliarem haben (wie in b) gebildet werden, wodurch die angedeutete Ambiguität zustande käme? – Andererseits lässt sich haben in (b) bei ungefähr gleich bleibender Semantik des Gesamtsatzes durch das Vollverb tragen ersetzen (vgl. Heidi trägt einen Arm in der Schlinge), sodass sich argumentieren lässt, haben weise auch hier eine lexikalische Semantik auf – wenn auch eine deutlich andere als in (a) (womit von mindestens zwei homophonen Vollverben haben auszugehen wäre). Im Weiteren könnte man sich bei folgendem Beispiel, in dem haben sowie sein als Perfektauxiliare verwendet werden, auf den Standpunkt stellen, dass die Wahl von haben gegenüber sein einen semantischen Beitrag zur Satzbedeutung leistet. (2-4)

12

Sie haben/sind ein bisschen gebummelt. (aus Duden Zweifelsfälle 2007:430)

Unflektierbarkeit (so die englischen Modalverben) von den ihrerseits flektierbaren Vollverben unterscheiden (vgl. Remberger 2006:14). Das deutsche Verb haben ist aber in allen Funktionen grundsätzlich flektierbar. In Bezug auf HABEN in den romanischen Sprachen äußert sich in diesem Sinne Coseriu (1976:123–126), in Bezug auf das deutsche haben beispielsweise Teuber (2005:72–83).

15 So ist haben gebummelt präferiert als ‚haben getrödelt‘ zu paraphrasieren, sind gebummelt nur als ‚sind herumspaziert‘ (vgl. Duden Zweifelsfälle 2007:430). Damit soll angedeutet werden, dass sich in Bezug auf gewisse Perfektkonstruktionen argumentieren ließe, die Tempusauxiliare sein und haben würden zumindest ansatzweise lexikalische Bedeutung aufweisen (dieser Sicht folge ich allerdings nicht). Im Fazit ergibt sich, dass mit schwer lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten zu rechnen ist, wenn man Gegebensein oder Fehlen lexikalisch-semantischer Merkmale als Abgrenzungskriterium zweier Klassen von haben verwenden will.13 Präzisierungsmöglichkeiten bieten hier valenztheoretische oder ähnlich geartete Beschreibungsinstrumente. So wird üblicherweise davon ausgegangen, dass Vollverben über eine Argumentstruktur verfügen (vgl. z. B. Eisenberg 2004:58– 70, unter Verwendung des Terminus Komplementstruktur; in der generativen Tradition ist hier von Thetaraster o. Ä. die Rede). Bei Hilfsverben fehlt hingegen eine solche Argumentstruktur (vgl. z. B. Hoekstra/Guéron 2004:155). Es gilt dann folgende Korrelation: Verben mit lexikalischer Semantik besitzen eine Argumentstruktur, d. h. sie ‹vergeben› Thetarollen, Verben ohne lexikalische Semantik (Hilfsverben) tun dies nicht. Allerdings sind Argumentstrukturen theoretische Konstrukte und als solche nicht direkt beobachtbar.14 Immerhin werden Argumentstrukturen über Selektionsrestriktionen empirisch fassbar. So zeigt sich die Desemantisiertheit eines Verbs daran, dass das Verb keine Selektionsrestriktionen hinsichtlich der semantischen Merkmale der nominalen Argumente im Satz aufweist. Verliert beispielsweise ein Verb – diachron betrachtet – die ursprüngliche Restriktion, nur Subjekte mit belebtem Referenten zuzulassen, und ist neu mit beliebigen Subjekten kombinierbar, so kann dies ein Zeichen seiner Auxiliarisierung sein (vgl. Heine 1993:54). In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass im Deutschen bei der Bildung eines Satzes im Perfekt 13

14

Vgl. Harre, die dazu festhält: «[G]iven the very subjective nature of the [semantic, M.B.] criterion and the difficulties in measuring the degree of semantic loss, a certain amount of inconsistency is inevitable» (Harre 1991:14). Im Übrigen wird sich im Ergebnis dieser Arbeit zeigen, dass ein thetatheoretisch fundiertes Kriterium grundsätzlich nicht geeignet ist, haben in zwei Subklassen zu unterteilen: Haben ist in allen seinen Verwendungen thetatheoretisch inaktiv, d. h. haben vergibt nie Thetarollen (vgl. Kap. 7). – Hierzu sei folgende grundsätzliche Bemerkung gemacht: Die verwendeten Redeweisen setzen voraus, dass mindestens einem Verb (des Deutschen) ein Thetaraster zugeschrieben werden kann. Anders gesagt: Es wird vorausgesetzt, dass die Thetatheorie (oder ein vergleichbares Theoriekonstrukt) überhaupt notwendiger Bestandteil eines grammatiktheoretischen Gesamtmodells darstellt. Soweit ich sehe, ist keine der in meiner Arbeit vertretenen Entscheidungen von der ‹Existenz› einer – wie immer im Detail ausgestalteten – Thetatheorie abhängig.

16 allein die Selektionsbeschränkungen der jeweiligen Vollverben ausschlaggebend für eine mögliche Argumentwahl sind, und nicht etwa das mit dem Vollverb auftretende Perfektauxiliar sein bzw. haben.15 Im Gegensatz dazu scheint beim Vollverb haben eine eingeschränkte Verträglichkeit mit unbelebten Subjekten gegenüber belebten Subjekten beobachtbar zu sein (2-5). (2-5)

a. b.

Oskar hat einen Papagei. #Das Fensterbrett hat einen Papagei.

(2-5b) erscheint markiert und ist nicht ohne Weiteres interpretierbar (jedenfalls ist der Satz nicht geeignet, eine Bedeutung wie ‚Ein Papagei sitzt auf dem Fensterbrett‘ auszudrücken). Die Annahme drängt sich auf, dass die Markiertheit von (b) mit der Unbelebtheit des Subjektsreferenten zusammenhängt (vgl. dagegen 2-5a mit belebtem Subjektsreferenten) – diese Annahme wird sich in Abs. 7.3.2 bestätigen. Die grundsätzliche Frage, ob haben als Vollverb semantische Merkmale aufweist, und wenn ja, welche, ist aber nicht trivial und wird in der Literatur äußerst kontrovers diskutiert (vgl. dazu Kap. 7.2).16 Semantische Beschränkungen in Bezug auf die Wahl des Satzsubjekts zur Grundlage der Gegenstandsabgrenzung zu machen wäre daher mit einigen Unsicherheiten behaftet, weshalb ein solcher Weg hier nicht beschritten werden soll. Aufgrund der Überlegungen zur semantischen Ebene komme ich zum Schluss, dass es unangemessen wäre, semantische Eigenschaften zur Unterscheidung von auxiliarem haben und haben als Vollverb zugrunde zu legen. Im nächsten Schritt ist auf morphologischer und phonologischer Ebene nach möglichen Kriterien zu suchen. Beispielsweise weist Remberger (2006:14) auf das Rumänische hin, wo das Flexionsparadigma von HABEN als Auxiliar Formen enthält, die gegenüber den Flexionsformen von HABEN als Vollverb phonologisch reduziert sind. Eine ähnliche Paradigmenspaltung weist das engl. have auf, dessen enklitische Formen weit gehend auf den auxiliaren Gebrauch beschränkt sind (vgl. Nübling 2000:38 und Ritter/Rosen 1997:318). Eine solche Unterscheidung ist in der deutschen Standardsprache nicht gegeben.17 Denkbar wäre allerdings, dass in nicht standardnormgerechter Mündlich-

15 16

17

Entsprechend äußern sich Zifonun et al. (1997:1248): Hilfsverben «transportieren […] die Valenz der Infinitform, auf der sie operieren, weiter». In Kap. 7 werde ich dafür argumentieren, dass haben als Vollverb über bestimmte semantische Merkmale verfügt und damit nicht als ‹semantisch leer› zu gelten hat. Mit anderen Worten: Es wird sich zeigen, dass sich haben als Vollverb und haben als Auxiliar in Grad und Qualität ihrer Desemantisiertheit durchaus unterscheiden. Dies gilt, obwohl sich in der Geschichte des Deutschen eine Entwicklung in Richtung einer derartigen Paradigmenspaltung ansatzweise abzeichnete, nämlich im Mittelhochdeutschen mit seinen Kurz- und Langformen hân bzw. haben (vgl. Nübling 2000:19).

17 keit Unterschiede in der phonologischen Realisierung der Formen von haben als Auxiliar gegenüber haben als Vollverb zu konstatieren sind. Entsprechende Untersuchungen sind mir nicht bekannt; Nübling (2000) enthält keine Hinweise auf eine entsprechende Tendenz zur Paradigmenspaltung in der deutschen Umgangssprache der Gegenwart (vgl. die Diskussion zur Flexionsmorphologie von haben oben in Abs. 2.1). Im Weiteren ist zu fragen, ob haben in allen Funktionen ein vollständiges Flexionsparadigma aufweist. Dies scheint weit gehend der Fall zu sein, Einschränkungen sind möglicherweise beim Imperativ zu machen. Dieser scheint bei Gebrauch von haben als Perfektauxiliar im Allgemeinen ausgeschlossen (2-6a), ansonsten aber durchaus möglich (2-6b) (vgl. Zifonun et al. 1997:1248). (2-6)

a. b.

#Hab viel gearbeitet! Hab keine Angst. / Hab Geduld.

Allerdings ist die Imperativierbarkeit von haben auch dann erheblich eingeschränkt, wenn kein tempusauxiliarer Gebrauch vorliegt (2-7).18 (2-7)

a. b.

#Hab ein Motorboot! #Hab (endlich mal) eine Tochter! (vgl.: Krieg endlich mal eine Tochter! aus Wratil 2005:36)

Umgekehrt ist die Imperativbildung mit Perfektkonstruktionen nicht völlig undenkbar (2-8).19 (2-8)

18

19

a. b

Hab gefälligst bis morgen den Kram erledigt! (aus Wratil 2005:37) Habt morgen ja die Arbeit abgeschlossen, sonst … (aus Zifonun et al. 1997:1729)

Die in (2-7) gegebenen Beispiele werden akzeptabel, wenn sie im Rahmen eines sog. ‹konditionalen Imperativs› verwendet werden (vgl. Zifonun et al. 1997:1730). Als konditionale Imperative «bezeichnet man koordinative Satzgefüge, in denen der Imperativsatz mit einem indikativischen Satz verknüpft wird» (Wratil 2005:41). (i) Hab ein Motorboot und du wirst deine ganze Freizeit auf dem Wasser verbringen wollen. (ii) Hab selbst eine Tochter und du wirst mich verstehen. Solche Äußerungen haben keinen direktiven, sondern einen konditionalen Charakter, weshalb in dieser Konstruktion die Auswahl der Verben, die morphologisch im Imperativ erscheinen, viel weniger stark eingeschränkt ist als bei ‹kanonischen› Imperativkonstruktionen (vgl. auch Donhauser 1986:229). Daher sind Sätze wie (i) und (ii) im gegebenen Zusammenhang wenig aussagekräftig. Allerdings ist hier zu bedenken, dass es sich bei Sätzen in (2-8) nicht zwingend um Beispiele für das Perfekt handelt, sondern auch eine mit dem Perfekt homonyme Konstruktion mit Zustandssemantik vorliegen könnte. Diese Konstruktion wird in Kap. 4 ausführlich behandelt.

18 Es ist zu vermuten, dass in den Fällen, wo der Imperativ bei haben nicht möglich ist, hierfür semantisch-pragmatische – und nicht (rein) morphologische – Beschränkungen den Grund darstellen – und zwar unabhängig von der syntaktischen Funktion, die haben in der jeweiligen Konstruktion wahrnimmt. Jedenfalls machen die obigen Beispiele und die damit zusammenhängenden offenen Fragen deutlich, dass sich aufgrund der Imperativierbarkeit von haben kein zuverlässiges, leicht handhabbares Kriterium zur Abgrenzung von auxiliarem gegenüber vollverbhaftem haben formulieren lässt. Ebenfalls nicht mehr im strengen Sinne zur Morphologie, sondern eher zur Syntax gehört im Deutschen der Bereich der Diathesenbildung (vgl. Remberger 2006:14). Hierzu ist festzuhalten, dass haben in keiner seiner Verwendungen passivierbar ist, weshalb die Passivierbarkeit als Kriterium ausscheidet (vgl. auch oben Fn. 9 und Kap. 7, Fn. 6). – Aufgrund dieser Überlegungen betrachte ich phonologische und morphologische Kriterien (inkl. Passivierbarkeit) zur Abgrenzung von haben als Hilfsverb und haben als Vollverb ebenfalls als ungeeignet. Schließlich sind nun mögliche Kriterien auf syntaktischer Ebene zu betrachten. Ritter/Rosen (1997:317f) bieten in Bezug auf das engl. Verb have eine Liste von Merkmalen, in denen sich das auxiliare have von to have als Vollverb unterscheidet. Die Merkmale beziehen sich u. a. auf Distribution, Argumentlizenzierung und Kasusrektion. Zunächst zur Distribution: Remberger verweist auf «weitreichendere und andere Bewegungsmuster», durch die sich Hilfsverben gegenüber Vollverben auszeichnen, und führt Beispiele aus verschiedenen Sprachen an (Remberger 2006:13). Ritter/Rosen konstatieren, dass auxiliares have nach I(nfl) angehoben wird, Vollverb-have dagegen nicht. Die Generalisierung gilt allerdings nur für gewisse Varietäten des Englischen (vgl. Ritter/Rosen 1997:317, Anm. 17; vgl. auch den Dikken 1997:131 zur Positionierung von have in Bezug auf die Satznegation). Im Hinblick auf das Deutsche ist die Bewegung von V nach I empirisch schwer überprüfbar (zumindest, wenn man von der Rechtsköpfigkeit der IP im Deutschen ausgeht), daher taugt das Kriterium der Anhebung für unsere Zwecke kaum. Andere distributionelle Unterschiede von haben, die in Korrelation zu spezifischen Funktionen des Verbs stehen, sind schwer auszumachen. Die IdS-Grammatik hält in Bezug auf das Deutsche allgemein fest: «[T]opologisch verhalten sich Hilfsverben in periphrastischen Verbalkomplexen wie Vollverben» (Zifonun et al. 1997:1247). 20

20

Auf eine funktionsabhängige distributionelle Beschränkung bei haben weist Abraham (2004:133f; vgl. auch Abraham 2005:274, 292) hin. So ist neben der kanonischen Nebensatzstellung in (i) auch eine Variante beobachtbar, in der die finite haben-Flexionsform unmittelbar vor dem von ihr regierten Partizip erscheint (i) (eine Stellung des Finitums, die bei mehr als zwei Verbalformen in der rechten

19 Bezüglich der Argumentlizenzierung gehen Ritter/Rosen (1997:317) davon aus, dass Vollverb-have ein Argument (das Subjekt) in den Satz einführt, während auxiliares have kein solches Argument einzuführen vermag. Entscheidend bei der Anwendung eines darauf aufbauenden Kriteriums ist natürlich die Wahl der Vergleichskonstruktion. Zur Illustration sei Satz (2-9a) mit haben dem Kopulasatz (2-9b) gegenübergestellt. (2-9)

a. b

Heidi hat die Schachtel auf dem Dachboden. Die Schachtel ist auf dem Dachboden.

Hier wird der Gedanke, haben ermögliche in (2-9a) die Einführung des zusätzlichen Arguments Heidi, was zur Erweiterung einer gegebenen Prädikationsstruktur (vgl. 2-9b) führt, zumindest intuitiv nachvollziehbar. Bei einem Satz wie (2-10) ist aber nicht ohne Weiteres klar, zu welchem anderen Satz, dessen einziges Argument eine Tochter sein sollte, er in Beziehung zu setzen wäre.21 (2-10)

21

Heidi hat eine Tochter.

Satzklammer üblich ist und nach Bech (1983 [1955]) unter dem Begriff der Oberfeldbildung behandelt wird). (i) dass die Sportler ihre Knöchel bandagiert hatten (ii) dass die Sportler ihre Knöchel hatten bandagiert Entscheidend in unserem Zusammenhang ist, dass diese Stellungsvariation nach Abraham nur möglich ist, wenn haben als Perfektauxiliar fungiert, nicht aber, wenn es sich als Vollverb mit einem Partizip II verbindet; in diesem zweiten Fall ist nur die Endstellung von haben wie in (i) möglich (zur Konstruktion Vollverb-haben + Partizip II vgl. unten Kap. 4). – Ein auf dieser Beobachtung aufbauendes Kriterium ist als ungeeignet einzustufen, da die durch (ii) illustrierte Konstruktionsvariante in vielen Varietäten des Deutschen, zu denen auch die Standardvarietät zu zählen ist, nicht möglich ist. Noch etwas anders liegt der Fall bei (i): (i) Sie hat Angst. (ii) Sie ist ängstlich. Zieht man (ii) als Vergleichskonstruktion für (i) heran, lässt sich kaum dafür argumentieren, haben führe ein zusätzliches Argument in eine gegebene Prädikation ein – die zwar formal je unterschiedlich realisiert wird: mit einem nominalen Prädikat in (i), dagegen mit einem adjektivischen Prädikat in (ii). Ein entsprechendes Kriterium wiese haben in (i) somit als Hilfsverb, nicht als Vollverb aus. Dies sei hier eigens vermerkt, da sich die Annahme einer ‹stärkeren Hilfsverbhaftigkeit› von haben in Sätzen wie (i) gegenüber ‹klassischen› Instanzen der Verwendung von haben als Vollverb, wie sie beispielsweise in (2-1a) vorliegt, durchaus durch weitere, unabhängige Gründe stützen lässt (vgl. zu Angst haben und verwandten Kollokationen Abs. 6.4). Eine damit angedeutete skalare oder prototypentheoretisch inspirierte Auffassung von Auxiliarität bzw. Vollverbhaftigkeit soll hier aber nicht entwickelt werden.

20 Die von Ritter/Rosen (1997) vertretene These der Einführung eines zusätzlichen Arguments durch HABEN als Vollverb ist als Kriterium zur Gegenstandsabgrenzung zu stark mit spezifischen theoretischen Annahmen verbunden, gerade was die Bestimmung der jeweiligen Vergleichskonstruktion betrifft.22 – Es bleibt das von Ritter/Rosen (1997) genannte Merkmal der Kasusrektion. Dieses Merkmal stellt eine sinnvolle Grundlage zur Bildung des Kriteriums dar, mit dessen Hilfe sich die Gebrauchsweisen von haben in zwei Subklassen unterteilen lassen. Die Gründe dafür werden im Anschluss erörtert. Zunächst soll aber das Kriterium selbst formuliert werden: (2-11)

Kriterium für den Vollverbstatus von haben: Bei haben handelt es sich genau dann um ein Vollverb, wenn es obligatorisch den Akkusativ regiert. Wenn haben keinen Kasus regiert, liegt ein Auxiliar (= Hilfsverb) vor.23

Für dieses Kriterium spricht erstens seine relativ einfache Handhabbarkeit (vgl. dazu gleich unten). Zweitens führt die Anwendung des Kriteriums zu einer Unterscheidung, die mit der Begrifflichkeit, wie sie in Resultatsgrammatiken im Allgemeinen verwendet wird, gut in Übereinstimmung zu bringen ist, was sich etwa an den eingangs verwendeten Beispielsätzen (2-1) (hier leicht verändert wiederholt als 2-12) zeigen lässt. (2-12) a. b

Sie hat *(einen Klapptisch). Sie hat gut geschlafen.

Die Weglassung der Akkusativ-NP in (2-12a) führt zu Ungrammatikalität, weshalb es sich bei haben hier um ein Vollverb handelt. In (2-12b) dagegen erscheint keine Akkusativ-NP, daher stellt haben hier ein Auxiliar dar. Leicht komplexer ist die Beurteilung von Perfektsätzen, die eine Akkusativ-NP enthalten. In (2-13) beispielsweise ist die Akkusativ-NP viele Fragen obligatorisch. (2-13)

22

23

Er hat *(viele Fragen) beantwortet.

Hier ist darauf hinzuweisen, dass in Haiders Modell (vgl. Haider 1984, Haider/ Rindler-Schjerve 1987) gerade auch haben als Tempusauxiliar (und als Auxiliar in Verbindung mit dem modalen Infinitiv) für die (Wieder)Einführung des externen Arguments des Hauptverbs verantwortlich gemacht wird. Auch daran wird die starke Theorieabhängigkeit eines solchen Kriteriums deutlich. Neben den beiden genannten Möglichkeiten wäre denkbar, dass haben einen anderen Kasus als den Akkusativ regiert (was im Deutschen nie der Fall ist) oder dass haben den Akkusativ nicht obligatorisch, sondern fakultativ regiert, d. h. dass eine haben-Konstruktion ohne akkusativische Ergänzung bleiben kann, diese aber prinzipiell hinzufügbar wäre. Dieser zweite Fall wird in der vorliegenden Arbeit gelegentlich begegnen; es muss dann im Einzelfall überlegt werden, ob eine Zuordnung zur Kategorie ‹haben als Vollverb› angemessen ist.

21 Der Vergleich von (2-13) mit einem Satz, in dem beantworten im Präsens (statt im Partizip II) steht, schafft allerdings schnell Klarheit über die Rektionsbeziehungen: Auch in Er beantwortet *(viele Fragen) kann die Akkusativ-NP nicht weggelassen werden, ohne dass Ungrammatikalität resultiert. Es ist somit das Hauptverb beantworten, das obligatorisch eine Akkusativ-NP fordert. Auf diese Weise lässt sich leicht zeigen, dass es in Perfektsätzen mit Akkusativ-NP nicht finites haben ist, das die Akkusativ-NP verlangt, sondern das verbale Partizip II. Somit gilt: Das üblicherweise als Perfekthilfsverb (vgl. z. B. Duden-Grammatik 2005:407), Tempusauxiliar o. ä. bezeichnete haben stellt auch nach dem hier gewählten Kriterium ein Hilfsverb/Auxiliar dar.

2.3.2 Haben in weiteren Verwendungsweisen In diesem Abschnitt wird das in (2-11) formulierte Kriterium auf weitere Verwendungsweisen von haben angewandt. Dabei sollen solche haben-Konstruktionen in den Blick kommen, deren Sondereigenschaften zum Anlass genommen werden können, für sie eigene Verbkategorien (neben den Kategorien Vollverb und Hilfsverb/Auxiliar) zu etablieren (vgl. oben 2-2). Zunächst zu haben als Funktionsverb (vgl. oben den Beispielsatz 2-2c): Haben dient sowohl mit akkusativisch (2-14a) als auch mit präpositional angeschlossenem Verbalsubstantiv (2-14b) (Begrifflichkeit nach Duden-Grammatik 2005:425–432) als Funktionsverb in sog. Funktionsverbgefügen (vgl. z. B. Polenz 1987; Eroms 2000:162–170; Zifonun et al. 1997:702–705, 1068f und die dort jeweils angeführte Literatur). (2-14) a. b.

Kenntnis / die Hoffnung / eine Wirkung haben zur Verfügung / in Besitz / in Gebrauch haben

Gemäß dem oben formulierten Kriterium besitzt haben beim Gebrauch als Funktionsverb immer Vollverbstatus, und zwar unabhängig davon, ob das Verbalsubstantiv akkusativisch oder präpositional angeschlossen ist. Im ersten Fall ist die Akkusativ-NP obligatorischer Teil des Funktionsverbgefüges, und auch im zweiten Fall regiert haben obligatorisch den Akkusativ (2-15).24 (2-15)

Sie hat *(die Limousine) zur Verfügung / in Besitz/Gebrauch.

Damit ordne ich haben in der Verwendung als Funktionsverb der Klasse ‹haben als Vollverb› zu. Auf Funktionsverbgefüge mit haben wird in Abs. 5.3.3 und in den Abs. 6.3/6.4 eingegangen.

24

Zu Ausnahmen von dieser Verallgemeinerung wie bei im Sinne haben vgl. Abs. 5.3.3.

22 Als Nächstes ist haben als Modalitätsverb zu betrachten. Wie Beispiel (2-2d) (hier wiederholt als 2-16a) deutlich macht, ist das Auftreten einer AkkusativNP keine Strukturbedingung für eine Konstruktion mit haben und modalem Infinitiv. (2-16) a. b.

Du hast mir zu helfen. Du hast mich zu unterstützen.

In (2-16b) wiederum ist es zweifellos das Verb unterstützen, das den Akkusativ der NP mich regiert. Haben als Modalitätsverb vermag es hingegen nicht, eine Akkusativ-NP in den Satz einzuführen, wenn das eingebettete Hauptverb nicht selbst den Akkusativ regieren kann. Dies zeigen die folgenden Beispiele mit dem dativregierenden Verb helfen (2-17a, vgl. 2-16a) und dem unakkusativischen Verb sinken (2-17b). (2-17) a. b.

Du hast (*mich) zu helfen. *Wir haben das gegnerische Schiff zu sinken.

Damit ist haben in der Funktion als Modalitätsverb gemäß dem Kriterium (211) als Auxiliar, nicht als Vollverb einzustufen. Etwas problematisch erscheint in diesem Zusammenhang aber das folgende Beispiel aus Holl (2010:47). (2-18)

[Was unsere Vorräte angeht:] Wir haben noch zwei Fische zu essen.

Dieser Satz ist, wie Holl (2010:47) ausführt, ambig. In einer ersten Lesart dient haben wie in (2-16) als Modalitätsverb und selegiert als solches das Infinitkomplement. Die Semantik dieser Lesart beschreibt Holl wie folgt: «Der Satz hat eine modale Bedeutung, die auf die müssen-Interpretation beschränkt ist, und das logische Subjekt des Infinitums fungiert als syntaktisches Subjekt des Gesamtsatzes.» (Holl 2010:47) Bei einer zweiten Lesart wird «[d]ie Infinitkonstruktion […] nicht von haben selegiert, sondern bildet ein Adjunkt, das als Attribut des direkten Objekts fungiert» (Holl 2010:47). Bei dieser Lesart ist der zu-Infinitiv auch grundsätzlich weglassbar, ohne dass eine semantische Uminterpretation erzwungen wird, vgl. Wir haben noch zwei Fische. Es zeigen sich auch semantische Unterschiede zur Konstruktion in der ersten Lesart: Neben der müssen-Interpretation ist die können-Interpretation möglich, und «[d]as logische Subjekt des Infinitums […] ist […] nicht unbedingt referenzidentisch mit dem Matrixsubjekt» (Holl 2010:47). Aus dem Gesagten ergibt sich für den Satz in der zweiten Lesart folgende mögliche Paraphrase: ‚Wir haben noch zwei Fische, die (von uns oder jemand anders) gegessen werden müssen/können‘. In dieser zweiten Lesart dient haben somit als Vollverb, nicht als Modalitätsauxiliar (so auch Holl 2010:47), und Satz (2-18) ist bei dieser Lesart dem in Kap. 6 behandelten Konstruktionstyp (= haben + NP) zuzuordnen.25 25

In dieser Arbeit werden Sätze wie (2-18) nicht wieder aufgegriffen, da die innere

23 Eine weitere ‹Sonderfunktion› übt haben in (2-19) aus. (2-19)

Es hat keine Milch im Kühlschrank.

Die Fügung es hat, die grundsätzlich durch es gibt ersetzbar ist, dient der Bildung von Existenzaussagen. Beim Subjekt es handelt es sich um ein nicht referenzfähiges Element, das beispielsweise im Duden als «unpersönliches es» (Duden-Grammatik 2005:830), bei Eisenberg (2004:176) als «expletives es» bezeichnet wird. Es hat ist in der Standardsprache regional beschränkt (vgl. Ammon et al. 2004:320).26 In syntaktischer Hinsicht gilt, dass die AkkusativNP obligatorisch ist. (2-20)

*Es hat im Kühlschrank.

Damit ist haben in der Existenzkonstruktion mit es hat als Vollverb einzustufen (was allerdings aus semantischer Sicht etwas unbefriedigend ist, vgl. zur Semantik von haben als Vollverb Kap. 7).27 Schließlich soll noch auf Konstruktionen hingewiesen werden, in denen haben weder als Tempusauxiliar noch als Modalitätsverb dient, dabei aber keine Akkusativ-NP im Satz erscheint; zunächst (2-21). (2-21)

Das Museum hat heute offen/geöffnet.

Diese Konstruktion, in der haben mit einem Adjektiv bzw. einem Partizip II verbunden ist, gilt nach Kriterium (2-11) streng genommen nicht als Vollverbkonstruktion, da sie keine Akkusativ-NP enthält; es darf in (2-21) nicht einmal eine Akkusativ-NP ergänzt werden. Unbefriedigend wäre eine Einordnung von haben in (2-21) als Auxiliar aber aus zwei Gründen: Erstens müsste für eine – wie sich zeigen wird – kleine und klar abgrenzbare Menge von Kollokationen eine dritte Auxiliarklasse (neben Tempusauxiliar und Modalitätsauxiliar) eingeführt werden; zweitens ist – wie in Abs. 3.7.1 gezeigt wird – Satz (2-21) als zustandsdenotierende Konstruktion semantisch verwandt mit den haben-Konstruktionen, die ein Adjektiv bzw. ein Partizip II als prädikative Konstituente aufweisen.

26

27

Struktur von Akkusativ-NPs, die in haben-Konstruktionen erscheinen, nicht im Zentrum des Interesses steht. Vgl. aber Holl (2010:Kap. 7), wo eine syntaktische Analyse der mit (2-18) illustrierten Struktur in der Lesart mit haben als Vollverb vorgeschlagen wird. Die es-hat-Konstruktion ist dabei keineswegs eine Eigenheit des Deutschen allein. In vielen Sprachen erscheint das Verb, dass zum Ausdruck von Zugehörigkeitsrelationen (Possession im weiten Sinne) dient, daneben auch als Existenzverb (vgl. Law 1994:154). Diesem Zusammenhang wird hier nicht nachgegangen. Zur Syntax von es-hat-Existenzkonstruktionen in deutschen Varietäten vgl. insbesondere Czinglar (2002).

24 Auch in den Kollokationen jemand hat warm/heiß/kalt (regional auf die Schweiz beschränkte, standardsprachliche Varianten für jemandem ist warm/ heiß/kalt, vgl. Ammon et al. 2004:320) wäre haben nach Kriterium (2-11) als Auxiliar einzustufen, da in der Konstruktion keine Akkusativ-NP erscheint, sondern – an ihrer Stelle – ein unflektiertes Adjektiv. Ich fasse diese Konstruktion jedoch als verwandt mit Konstruktionen des Typs Angst/Durst/Recht (etc.) haben auf (vgl. Abs. 6.4).

2.3.3 Erreichter Stand Im Fazit ergibt sich aus den Überlegungen dieses Abschnitts 2.3 das Folgende. Das in (2-11) formulierte Kriterium führt zur Unterscheidung von zwei homonymen Varianten von haben. Die Anwendung des Kriteriums ist meist unproblematisch und führt zu zwei – mit Ausnahme von einigen wenigen Problemfällen – klar unterscheidbaren Instanzen von haben: Akkusativregierendes und nicht-akkusativregierendes haben. Akkusativregierendes haben (das den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bildet) bezeichne ich als ‹Vollverb›, nicht-akkusativregierendes haben als ‹Hilfsverb› (oder synonym als ‹Auxiliar›). Die Vollverbklasse beinhaltet auch diejenigen Verwendungsweisen von haben, die als Teil eines Funktionsverbgefüges aufgefasst werden können; die Klasse Hilfsverb umfasst die traditionellen Kategorien haben als Tempusauxiliar und haben als Modalitätsverb. Die Bezeichnungen ‹haben als Vollverb› und ‹haben als Auxiliar› sind in erster Linie der grammatikographischen Tradition geschuldet und sollen – wie schon in Kap. 1 festgehalten wurde – in keiner Weise so verstanden werden, dass sie Hinweise darüber enthalten, welche syntaktischen oder semantischen Merkmale haben in der einen bzw. anderen Verwendung aufweist. Die Diskussion in Abs. 2.3.1 dürfte deutlich gemacht haben, dass die Begriffe Vollverb und Auxiliar in Bezug auf haben nicht in dem Sinne verstanden werden sollen, dass sich haben als Vollverb gegenüber auxiliarem haben durch eine ‹volle› lexikalische Semantik o. Ä.28 auszeichnet (vgl. dazu Kap. 7).

28

So charakterisiert beispielsweise Kürschner (2003:85) Vollverben als «Verben mit fest umrissener Bedeutung, die für sich allein Valenzträger sind und in einem Satz allein das Prädikat bilden können» und stellt sie (innerhalb der Gruppe der ‹Hauptverben›) den Kopulaverben und den Gefügeverben (zu denen u. a. die Funktionsverben gehören) gegenüber. Bei Gefügeverben gilt: «Das Verbgefüge als Ganzes ist Bedeutungs- und Valenzträger» – und eben nicht das Verb allein (Entsprechendes ließe sich in abgeschwächter Form von den Kopulaverben sagen). Bemüht man sich um eine Einordnung von haben in diese beschreibenden Kategorien, so erweist sich

25

2.4

Grundsätzliches zur Syntax von haben als Vollverb

Der folgende Abschnitt 2.4 führt in die Syntax der Konstruktionen mit haben als Vollverb ein. Dabei ist Vollverb in Bezug auf haben im Sinne von (2-11) zu verstehen. Instanzen von haben, die gemäß (2-11) als hilfsverbhaft einzustufen sind, werden im Verlauf der Arbeit nurmehr punktuell berücksichtigt, dies meist im Zusammenhang mit Abgrenzungsfragen (beispielsweise in Kap. 4, wo Verbindungen von haben mit dem Partizip II thematisiert werden). Im anschließenden Teilabschnitt werden die haben-Konstruktionen nach syntaktischen Formtypen geordnet, und ich formuliere eine erste Generalisierung in Bezug auf die Syntax von haben im Deutschen in Form einer Hypothese (Abs. 2.4.1). In Abs. 2.4.2 wird die Konstituentenstruktur in haben-Konstruktionen untersucht. Aufgrund der dabei erzielten Ergebnisse schlage ich eine syntaktische Analyse vor, die sich wiederum in Form einer Hypothese zusammenfassen lässt (Abs. 2.4.3). Daran anschließend wird die Hypothese – unter Einbezug weiterer Daten – gegenüber einer alternativen Sichtweise verteidigt (2.4.4). – Die in Abs. 2.4.3 formulierte Hypothese bildet den eigentlichen Ausgangspunkt für die in dieser Arbeit verfolgte Argumentation. Sie wird in Abs. 2.5 weiterentwickelt und präzisiert.

2.4.1 Syntaktische Konstruktionsmöglichkeiten In diesem Abschnitt biete ich einen Überblick über die einzelnen syntaktischen Konstruktionen mit haben als Vollverb. Für die Zwecke einer ersten, durchaus als vorläufig zu verstehenden Beschreibung gehe ich von folgender Verallgemeinerung aus: Jeder haben-Satz lässt sich beschreiben als ein Syntagma, das aus einem Subjekt, einer (allenfalls periphrastisch gebildeten) Tempusform des Verbs haben, einer Akkusativ-NP und einer weiteren Konstituente, der Coda (vgl. dazu gleich unten) besteht. Aufgrund der formalen Gestalt der Coda können Klassen (Formtypen) von haben-Konstruktionen abgegrenzt werden. Wichtig ist: Die im Folgenden gebildeten Klassen sind Oberflächenkategorien, die in erster Linie dazu dienen, die vorliegende Arbeit sinnvoll zu gliedern. Die Klassen stellen aber nicht das Ziel der Analyse dar. Ich gehe von folgenden Formtypen aus (2-22; die Coda ist jeweils unterstrichen).

haben – wie im Laufe der Arbeit deutlich wird – als den Kopulaverben (und nicht den Vollverben) am nächsten verwandt.

26 (2-22) a. b c. d.

Sie hat das Fenster offen. Sie hat den Arm verbunden. Sie hat die Füße im Wasser. Sie hat ein Motorboot.

(Coda = AP) (Coda = Partizip II) (Coda = PP) (Coda = ∅)

Alle angeführten Beispiele können auf das folgende allgemeine Schema bezogen werden.29 (2-23)

Subjekt – haben – Akkusativ-NP – Coda30

In (2-22a) wird die Coda durch ein unflektiertes Adjektiv gebildet. Da dieses expandierbar ist (vgl. Sie hat das Fenster weit offen) liegt eine Adjektivphrase vor. Die durch (2-22a) illustrierte Konstruktion bezeichne ich im Folgenden als Adjektivischen Haben-Konfigurativ (abgekürzt AHK).31 Der AHK ist syntaktisch grundsätzlich leicht abgrenzbar von Konstruktionen mit ebenfalls objektbezüg-

29

30

31

Die Beispiele stellen Verbzweitsätze mit einer unmarkierten Konstituentenabfolge dar; die gewählte Abfolge wurde auch dem generalisierten Schema in (2-23) zugrunde gelegt. Die Termini in (2-23) bezeichnen aber nicht Positionen in einem topologischen Modell, sondern grundsätzlich syntaktische Funktionen. Der Begriff Coda leitet sich zwar zunächst aus der unmarkierten Positionierung der damit bezeichneten Konstituente am Satzende (genauer gesagt: am rechten Rand des Mittelfelds) ab. Hinsichtlich der syntaktischen Funktion, die die Coda-Konstituente realisiert, stellt sie gleichsam eine Variable dar: Die syntaktische Funktion einer Codakonstituente ist jeweils im Einzelnen zu bestimmen und wird sich für die unterschiedlichen Formtypen und teilweise auch ihre Untertypen nicht als einheitliche Kategorie erweisen. – Der Begriff Subjekt – und nicht Nominativ-NP – wird verwendet, da die damit bezeichnete Konstituente auch stumm realisiert werden kann, etwa in Infinitivsätzen (vgl. Sie behauptet, _ _ den Arm verbunden zu haben). Im Weiteren wird in dieser Arbeit meist die traditionelle Bezeichnung NP (statt und im Sinne von DP) verwendet; Ausnahmen sind Passagen, in denen explizit auf Autoren Bezug genommen wird, die ihrem Ansatz die DP-Analyse zugrunde legen. Der Coda-Begriff ist der Diskussion von Existenzsätzen, insbesondere von thereSätzen im Englischen entlehnt (i). (i) There are three unicorns in the garden. In Sätzen wie (i) wird die postnominale Konstituente (hier: in the garden) als Coda bezeichnet (vgl. z. B. Keenan 2003:194; Cann 2007; Francez 2009). In Partee (1999) wird der Begriff auf die satzfinale PP in engl. have-Sätzen angewandt. Diesem Gebrauch folge ich hier (ohne Beschränkung des Codabegriffs auf PPs). Mit dieser terminologischen Übernahme impliziere ich allerdings nicht, dass HABENKonstruktionen – insbesondere haben-Konstruktionen im Deutschen – syntaktisch parallel zu Existenzkonstruktionen zu analysieren sind. Eine solche Parallelisierung wurde in der Literatur öfter erwogen (vgl. Keenan 1987, Partee 1999 u. a.). Dies in Anlehnung an die Begriffsprägung Partizipialer Haben-Konfigurativ bei Hole (2002), die ich ebenfalls übernehme (vgl. unten).

27 lichem, aber pränominal stehendem Adjektiv (vgl. 2-24b): Hierbei ist die Coda leer, wodurch die Beispiele dem Formtyp (2-22d) zuzuordnen sind. (2-24b) unterscheidet sich von der Konstruktion in (2-24a) neben der unterschiedlichen relativen Abfolge von Nomen und Adjektiv auch durch das Flexionsverhalten des Adjektivs: Pränominal ist das Adjektiv grundsätzlich flektiert. (2-24) a. b.

Sie hat das Glas leer. Sie hat das leere Glas.

In semantischer Hinsicht sind die beiden Konstruktionen sicherlich nicht äquivalent, wie in (2-24) deutlich wird. Andererseits scheinen Varianten mit postnominalem und pränominalem Adjektiv (bei gleichem lexikalischem Material) unter bestimmten Bedingungen zumindest stark bedeutungsähnlich zu sein (vgl. 2-25a/b). (2-25) a. b.

Sie hat die Finger schmutzig. Sie hat schmutzige Finger.

Diese Bedingungen betreffen die Ebene der Syntax (vgl. die Wahl des definiten Artikels in 2-25a gegenüber der Artikellosigkeit in b), aber – wie zu zeigen sein wird – auch die Ebenen der Semantik und Pragmatik. – Der AHK und sein Verhältnis zu Konstruktionen mit objektbezüglichem, pränominal realisiertem Adjektiv bilden den Gegenstand von Kap. 3. Bei Satz (2-22b) sind zunächst zwei Lesarten zu unterscheiden. Bei der ersten Lesart wird der Satz als Perfektkonstruktion aufgefasst. In diesem Fall bezeichnet der Satz ein Geschehen, das sich in der Vergangenheit abspielt.32 Diese Lesart kann durch Hinzusetzen bestimmter Temporaladverbiale (2-26a) oder durch die Einfügung eines Dativobjekts, das den Benefizienten des Geschehens denotiert (2-26b), erzwungen werden; zu Einzelheiten vgl. Abs. 4.2. (2-26) a. b.

Sie hat gestern Abend den Arm eingebunden. Sie hat der Patientin den Arm eingebunden.

In der zweiten Lesart beschreibt (2-22b) einen Zustand, der gegenwärtig anhält. In dieser Lesart stellt ‚sein Arm ist eingebunden‘ eine ungefähre Paraphrase von (2-22b) dar. Es ist festzuhalten, dass den Sätzen in (2-26a/b) keine analoge Paraphrase zugeordnet werden kann.

32

Diese semantische Charakterisierung des Perfekts ist natürlich stark vereinfachend und dient hier nur einer ersten intuitiven Abgrenzung der Perfektlesart von Sätzen wie (2-22b) gegenüber einer zweiten, stativen Lesart. Zur Semantik des Perfekts vgl. u. a. Rathert (2004), Welke (2005) und die Beiträge in Klein/Musan (Hg.) (1999).

28 In Kap. 4 werde ich zeigen, dass es sich bei (2-22b) nicht um eine einzige, ambige Konstruktion handelt, sondern dass (2-22b) die nur oberflächensyntaktisch identische Realisierung zweier unterschiedlicher syntaktischer Konstruktionen darstellt. Die Perfektkonstruktion ist somit von einer zweiten Konstruktion mit stativer Semantik zu trennen. Diese zweite Konstruktion wird im Folgenden – Hole (2002) und Rothstein (2007) folgend – Partizipialer Haben-Konfigurativ (abgekürzt PHK) genannt. Der PHK ist Gegenstand von Kap 4. Dort wird deutlich werden, dass nicht zu jedem PHK eine formgleiche Perfektkonstruktion gebildet werden kann, und dass auch nicht jeder Perfektsatz ein Spiegelbild besitzt, das als PHK aufzufassen ist. Allgemein gilt: Im Perfekt stellt haben ein (nicht-kasusregierendes) Auxiliar dar, im PHK dagegen erscheint haben als Vollverb (vgl. die Diskussion in Abs. 2.3 sowie unten Abs. 4.2). Der PHK wird in der Literatur gewöhnlich in einen Zusammenhang mit passivischen Konstruktionen gestellt (vgl. u. a. Leirbukt 1981; Zifonun et al. 1997:1850–1854; Eroms 2000:393–399 und 420f mit einer Einordnung in ein umfassendes Diathesensystem). ‹Passivähnlich› (vgl. den Titel des Aufsatzes von Leirbukt 1981) ist der PHK deshalb, da in dieser Konstruktion das Subjekt nicht die externe Thetarolle (typischerweise die Agensrolle) des Verbs, das als Partizip II erscheint, trägt. Hierin unterscheiden sich das Passiv (Vorgangspassiv) (vgl. 2-27a), das so genannte Zustandspassiv (b) (vgl. dazu auch Kap. 4), das Dativpassiv (c) und der PHK (d) einerseits vom Perfekt (e) andererseits. (2-27) a. b. c. d. e.

Der Arm wird eingebunden. Der Arm ist eingebunden. Sie bekommt den Arm eingebunden. Sie hat den Arm (schon seit Wochen) eingebunden. Er hat ihr den Arm eingebunden.

Was allen Konstruktionen in (2-27) gemeinsam ist, ist die Tatsache, dass die Verbalform mit dem stärksten semantischen ‹Eigengewicht› im Satz im Partizip II steht. Doch nur im Perfektsatz (e) realisiert das Subjekt die Agensrolle von einbinden, in den übrigen Sätzen steht das Patiens (a/b) bzw. der Benefizient (c/d) im Subjekt (die Benennung der semantischen Rollen ist im gegebenen Zusammenhang nicht weiter relevant). Das Verhältnis des PHK zu den anderen genannten Konstruktionen ist natürlich im Auge zu behalten; im Rahmen meiner Analyse wird allerdings in erster Linie die enge Verwandtschaft zur Konstruktion mit adjektivischer Coda (zum AHK) akzentuiert (vgl. Kap. 4). Beispiel (2-22c) steht für Konstruktionen, deren Codakonstituente als Kopf ein unflektierbares Wort aufweist. Neben einer Präposition wie in (2-22c) können weitere Nichtflektierbare (vgl. Duden-Grammatik 2005:573f) den Kopf der Codakonstituente bilden (2-28; die Coda ist jeweils unterstrichen).

29 (2-28) a. b. c. d.

Sie hat die Füße drin. Ich habe das Auto hier. Er hat den Hut auf. Sie hat eine Konzertpianistin als Putzfrau.

(Coda = Adverb) (Coda = Adverb) (Coda = Verbpartikel) (Coda = als-Phrase)

In (2-28a) ersetzt ein Pronominaladverb die PP in (2-22c). In (2-28b) bildet ein lokales Situierungsadverb (vgl. Duden-Grammatik 2005:580) die Coda. Das Codaelement in (2-28c) stellt eine Verbpartikel dar, die zu einer homonymen Präposition (vgl. Duden-Grammatik 2005:706) und damit zu einer entsprechenden PP in Beziehung gesetzt werden kann (vgl. Er hat den Hut auf dem Kopf 33). In (2-28d) ist als der Kopf der Codakonstituente. Im Duden wird als zusammen mit wie innerhalb der Klasse der Nichtflektierbaren der Unterklasse der Konjunktionen zugeordnet34 (Duden-Grammatik 2005:632).35 Einige Beschränkungen hinsichtlich der Teilklassen von Nichtflektierbaren, die sich zur Besetzung der Coda eignen, werden in Kap. 5 diskutiert. Dort wird auch gezeigt, dass die haben-Konstruktionen mit einem nichtflektierbaren Wort als Kopf der Codakonstituente eine heterogene Klasse darstellen – dies in syntaktischer wie auch in semantischer Hinsicht, und ganz im Unterschied zu AHK und PHK, die nicht nur jeweils für sich, sondern – wie insbesondere in Kap. 4 deutlich wird – auch gemeinsam eine syntaktisch und semantisch einheitliche, klar umgrenzbare Klasse bilden. In (2-22d) schließlich ist die Coda leer. Zu fragen ist hier, ob die Konstruktion neben haben nur die beiden nominalen Konstituenten Subjekt und AkkusativNP aufweist, und die Coda somit inexistent ist. In diesem Fall lassen sich die Konstruktionen mit haben als Vollverb grundsätzlich in zwei Typen unterscheiden: Der eine Typus enthält obligatorisch eine Coda, der andere beinhaltet keine Coda. Eine Unterteilung von HABEN-Konstruktionen in diesem Sinne nehmen beispielsweise Déchaine et al. (1994) oder für das Deutsche Abraham (2005), sowie – ausschließlich auf das Englische bezogen – Harley (1998) vor.

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34

35

In Abs. 5.3.2 wird sich allerdings zeigen, dass die Verwandtschaft von Er hat den Hut auf und Er hat den Hut auf dem Kopf nicht so eng ist, wie es zunächst den Anschein haben mag. Ähnlich verfährt die IdS-Grammatik, die als und wie als Adjunktoren bezeichnet und sie den Konjunktoren und Subjunktoren gegenüberstellt (Zifonun et al. 1997:79). Das Merkmal, das entscheidend ist für die Abgrenzung von als und wie gegenüber Präpositionen, ist die fehlende Kasusrektionsfähigkeit von als bzw. wie. Vgl. Flaate (2007:50f) für eine knappe Übersicht über die stark divergierenden Auffassungen in der Literatur, was die kategoriale Einordnung von als betrifft. Zu Beispielen mit Nichtflektierbaren als Codaelementen, die der Kategorie Adkopula zuzurechnen sind, vgl. Abs. 3.7.

30 Ein alternativer Ansatz ist es, von einer einheitlichen syntaktischen Struktur für alle Konstruktionen mit haben als Vollverb auszugehen. Eine entsprechende Analyse wird vorsehen, dass alle in (2-22) vertretenen Formtypen, also auch (2-22d), eine Codakonstituente aufweisen. Im Falle von (2-22d) handelt es sich dabei um eine stille (phonetisch leere, aber in der syntaktischen Struktur vorhandene) Konstituente; für diese Sichtweise werde ich unten argumentieren. Eine solche Analyse ist vom Standpunkt der theoretischen Ökonomie aus gesehen attraktiv, da alle Konstruktionen einheitlich beschreibbar sind, jedoch muss auch unabhängige, aus den Daten gewonnene Evidenz für die ‹Realität› der stillen Coda beigebracht werden, andernfalls ist die Analyse nicht tragfähig (vgl. dazu Kap. 6 sowie Abs. 5.5 und Abs. 7.3.2). Funktional müsste es sich bei der stillen Konstituente um eine prädikative Phrase oder ein Adverbial handeln – dies legen die nicht-stillen Codakonstituenten in den oben angeführten Beispielen mindestens nahe. Für eine Annahme, dass die stille Konstituente ein NP/DPArgument darstellt, fehlt jedenfalls jegliche Evidenz; dies wird meines Wissens in der Literatur auch nirgends vertreten. Stille Prädikate zu have-Objekten im Englischen – zumindest in bestimmten have-Konstruktionen – sehen Ritter/Rosen (1997:315) vor; jüngst argumentiert Sæbø (2009:379f) für ein Nullprädikat in have-Sätzen ohne sichtbare Coda. Auch in meiner Analyse werde ich die Möglichkeit eines stillen SC-Prädikats für haben-Konstruktionen vorsehen (vgl. unten Abs. 2.4.3 und Kap. 6). An der Stelle möchte ich die bisherigen Überlegungen in eine erste Hypothese überführen, die im Verlauf dieses Kapitels präzisiert werden soll. (2-29)

Hypothese (1) Alle Konstruktionen mit haben als Vollverb enthalten obligatorisch folgende Konstituenten: Subjekt – haben – Akkusativ-NP – Coda

Neben diesen obligatorischen Konstituenten können in haben-Konstruktionen natürlich weitere Konstituenten – im Sinne von ‹freien Angaben› – auftreten. Hypothese (1) impliziert nicht, dass alle Konstruktionen mit haben als Vollverb eine einheitliche syntaktische Struktur aufweisen, doch liegt eine entsprechende Vermutung nahe. Im folgenden Abschnitt argumentiere ich für eine solche einheitliche Konstituentenstruktur in haben-Konstruktionen.

2.4.2 Konstituenz In diesem Abschnitt werden die Konstituenzverhältnisse in den im letzten Abschnitt angeführten haben-Konstruktionen untersucht. Ziel ist es, auf diese Weise die in (2-29) formulierte Hypothese zu präzisieren.

31 Unstrittig dürfte sein, dass das Subjekt und das Objekt im haben-Satz zwei eigenständige Konstituenten bilden.36 Dies wird dadurch deutlich, dass Subjekt und Akkusativobjekt nicht gemeinsam das Vorfeld besetzen können. (2-30) a. b.

*[Jemand ein Motorboot] hat sicherlich. *[Sie das Fenster] hat offen.

(vgl.: Jemand hat sicherlich ein Motorboot.) (vgl.: Sie hat das Fenster offen.)

Auch bilden das Subjekt und die Coda keine gemeinsame Konstituente. (2-31) a. b.

*[Einige Bewohner offen] hatten die Fenster. *[Ein Kind im Wasser] hatte die Füße.

(vgl.: Einige Bewohner hatten die Fenster offen.) (vgl.: Ein Kind hatte die Füße im Wasser.)

Interessanter ist die Frage nach der Konstituenz von Akkusativ-NP und Coda. Die anschließenden Überlegungen werden Folgendes zeigen: Akkusativ-NP und Coda bilden eine gemeinsame Konstituente, wobei es aber nicht in jedem Fall so ist, dass die eine der beiden Konstituenten eine Teilkonstituente der anderen darstellt. Für den weiteren Argumentationsgang der Arbeit sind dann insbesondere diejenigen Fälle von Bedeutung, bei denen keine Teilkonstituenzbeziehung zwischen Akkusativ-NP und Coda vorliegt. Zunächst zur Evidenz, dass Akkusativ-NP und Coda eine gemeinsame Konstituente bilden (2-32).37

36

37

Diese aus Sicht einer ‹traditionellen› Satzgliedanalyse natürlich kaum überraschende Tatsache stellt möglicherweise ein Problem dar für eine Analyse im Sinne von Kayne (1993), demzufolge in HABEN-Sätzen Subjekt und Objekt (Possessor und Possessum) zumindest in bestimmten Stadien der syntaktischen Derivation eine gemeinsame Konstituente bilden. Instruktiv ist es, die Konstruktionen in (2-32) solchen Beispielen gegenüberzustellen, in denen Phrasen, die im Mittelfeld adjazent stehen können, nicht gemeinsam ins Vorfeld verschiebbar sind und daher auch keine gemeinsame Konstituente bilden (i)–(iii). (i) *[Die Suppe] [kalt] aß er an jenem Abend. (vgl.: … dass er an jenem Abend die Suppe kalt aß) (ii) *[Privat] [schon lange] kämpft er mit Problemen. (vgl.: … dass er privat schon lange mit Problemen kämpft) (iii) *[Gestern] [mit Interesse] haben wir den Vortrag verfolgt. (aus Dürscheid 1989:108; vgl.: … dass wir gestern mit Interesse den Vortrag verfolgt haben) In (i) stehen Akkusativobjekt und objektsbezügliches Prädikativum, in (ii) und (iii) zwei formal jeweils unterschiedlich geprägte Phrasen in adverbialer Verwendung gemeinsam im Vorfeld – was in den gegebenen Beispielen zu Ungrammatikalität führt. Zur Problematik der sog. (scheinbar) mehrfachen Vorfeldbesetzung – die durchaus unter bestimmten Bedingungen akzeptabel ist – vgl. Müller (2003, 2005)

32 (2-32) a. b. c. d.

Das Fenster offen hat er leider viel zu selten. Den Arm verbunden hat sie schon seit Wochen. Den Arm im Gips hat er schon seit Wochen. Einen Alligator in der Badewanne hatte ich noch nie.

Die gemeinsame Vorfeldpositionierung von Akkusativ-NP und Coda in habenKonstruktionen lässt sich in eindeutig standardsprachlichen Texten belegen (233). (2-33) a.

b.

[Eine lange Kolonialgeschichte] [hinter sich] hat das einst britische Warenhaus Lane Crawford, … (Polyglott-Reiseführer «Hongkong Macau», München 1995, S. 28; zitiert nach Müller 2005:302). [Den großen Hebel] [in der Hand] hat dagegen eine verkehrspolitische Null. (taz, 04.02.2004, S. 1; zitiert nach Müller 2010:28)

Es kann vermutet werden, dass in (a/b) die Idiomatisiertheit der Verbindungen von haben + PP die Möglichkeit, Akkusativ-NP und PP gemeinsam ins Vorfeld zu stellen, begünstigt. Dies wäre aber kein Spezifikum von haben-Konstruktionen: Vielmehr erscheinen Phraseologismen und Funktionsverbgefüge überdurchschnittlich häufig in Konstruktionen mit sog. mehrfacher Vorfeldbesetzung, wie die umfangreiche Belegsammlung in Müller (2010:26–32) zeigt; andererseits ist die mehrfache Vorfeldbesetzung keineswegs auf Phraseologismen und Funktionsverbgefüge beschränkt. Auch folgender Internetbeleg, der einem im Ganzen zweifellos als standardsprachlich einzuordnenden Text aus einem ‹schulnahen› Kontext (Reisebericht einer Klassenfahrt) entstammt, kann als Evidenz für die Konstituenz von Akkusativ-NP und Coda gerechnet werden (2-34; Unterstreichung M.B.). (2-34)

Während einer Verschnaufpause am See nahmen einige eine zaghafte Untersuchung der Wassertemperatur vor, doch mehr als die Füße im Wasser hatte keiner, da es doch zu kalt war. (30.5.2008: http://www.realschule-amoberen-schloss.de/rosprojekt/ost_west_leinoel/tagesberichte/tagesberichte. htm)

In (2-34) bildet mehr als die Füße eine (komplexe) Akkusativ-NP und im Wasser die Coda.38

38

sowie unten Abs. 2.4.4. Zu semantischen Restriktionen für Adverbialkombinationen im Vorfeld vgl. Dürscheid (1989:109). Die PP im Wasser kann im gegebenen Beispiel kein Attribut zu Füße darstellen, denn vgl. (i) und (ii). (i) … dass er mehr im Wasser hat als die Füße (ii) *… dass er mehr hat als die Füße im Wasser Satz (i) zeigt, dass die vergleichende als-Phrase ins Nachfeld des Satzes ausgeklammert werden kann. Könnte die PP im Wasser die Funktion eines Attributs zum in

33 Der Befund, dass Akkusativ-NP und Coda eine gemeinsame Konstituente bilden, wird sich im Folgenden noch weiter erhärten lassen. An dieser Stelle geht es im Weiteren darum, zu zeigen, dass die Coda keine Teilkonstituente der Akkusativ-NP darstellt.39 Dies wird anhand von drei Datenbereichen gezeigt: 1) syntaktische Distribution der von Akkusativ-NP und Coda gemeinsam gebildeten Konstituente gegenüber der von NP-Konstituenten; 2) semantische Effekte im Zusammenhang von Relativisierungen; 3) Extraktion von Attributen. 1) Wäre die Coda in haben-Sätzen eine Teilkonstituente der Akkusativ-NP, so würde es sich bei der postverbalen Konstituente (Akkusativ-NP & Coda) grundsätzlich um eine NP handeln. (2-35) a. b.

Ich hatte [das Fenster offen]. Ich hatte [einen Alligator in der Badewanne].

Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den geklammerten Ausdrücken in (2-35a/b) um NPs handelt, wäre zu erwarten, dass diese in kanonischen NPFunktionen, beispielsweise als ein mit dem finiten Verb kongruierendes Satzsubjekt, erscheinen können. Im Falle von (2-35a) ist leicht zu zeigen, dass dies nicht möglich ist (2-36). (2-36) a. b.

39

*Das Fenster offen blieb nicht unbemerkt. *Die Fenster offen blieben nicht unbemerkt.

der als-Phrase enthaltenen Nomen Füße wahrnehmen, so müsste die PP zusammen mit der als-Phrase ins Nachfeld verschoben werden können. Dies ist nicht der Fall, wie (ii) zeigt. – Zur Nachfeldpositionierung von als-Phrasen in Vergleichskonstruktionen vgl. Zifonun et al. (1997:1654–1657). Logisch gegeben ist auch die Möglichkeit, dass umgekehrt die Akkusativ-NP eine Teilkonstituente der Codakonstituente darstellt. Bildet eine AP oder eine PP die Coda, so wäre in diesem Szenario die Gesamtkonstituente ebenfalls eine AP bzw. eine PP. Es ist aber offensichtlich, dass Konstituenten wie das Fenster offen (vgl. 2-32a) oder den Arm im Gips (vgl. 2-32c) syntaktisch nicht die Distribution von PPs bzw. APs aufweisen. (i) a. Das Haus ist [AP groß] / *Das Haus ist [das Fenster offen]. b. ein [AP großes] Haus / *ein [das Fenster offenes] Haus (ii) Hans ist [PP im Garten]. / *Hans ist [den/der Arm im Gips]. Somit kann der Kopf der Codakonstituente nicht den Kopf der übergeordneten Konstituente darstellen. – Auf den ersten Blick plausibler erscheint eine Analyse mit der Coda als Kopfkonstituente bei partizipialer Coda wie in Er hat den Arm verbunden (vgl. 2-32b). Hier muss erwogen werden, dass die Akkusativ-NP eine Teilkonstituente der VP darstellt, deren Kopf das Partizip II (verbunden) ist – analog dazu also, wie der Satz in seiner Perfektlesart analysiert würde. In Kap. 4 wird aber deutlich, dass eine solche Analyse nicht haltbar ist.

34 Die Unmöglichkeit der Konstruktionen in (2-36) überrascht insofern nicht, als dass im heutigen Deutsch postnominale Adjektive in Attributsfunktion bis auf wenige, relativ klar abgrenzbare Ausnahmeklassen ausgeschlossen sind (vgl. Dürscheid 2002 sowie die Diskussion unten in Abs. 3.2). Das attributive Adjektiv hat pränominal zu stehen und wird dann flektiert (zu den Verhältnissen im Einzelnen vgl. Trost 2007): Das offene Fenster blieb nicht unbemerkt.40 Etwas anders liegt der Fall bei (2-35b), wo die Coda durch eine PP gebildet wird. Da präpositionale Attribute gewöhnlich postnominal stehen und die PP in der Badewanne damit eine Attributsfunktion wahrnehmen kann, kann ein(en) Alligator in der Badewanne grundsätzlich ohne Weiteres eine NP darstellen und so z. B. als Satzssubjekt auftreten (2-37). (2-37)

[Ein Alligator in der Badewanne] träumt von der Freiheit.

Es ist hier daher festzuhalten, dass eine Analyse von (2-35b) mit der PP als Attribut zu Alligator grundsätzlich zuzulassen ist. In diesem Fall ist (2-35b) im Grunde als eine Instanz des haben-Formtyps mit leerer Coda zu betrachten, da die PP ja Teil der Akkusativ-NP ist. Entscheidend ist aber, dass die PP-Coda nicht in jedem Fall als Attribut aufgefasst werden kann, wie das folgende Beispiel zeigt (vgl. Keenan 1987:301).41 (2-38)

Ich hatte [einen Alligator, der mich immer zu beißen versuchte, in der Badewanne].

Im gegebenen Fall kann die geklammerte Konstituente keine NP darstellen, da sie als Ganzes nicht die Funktion einer Subjekt-NP wahrnehmen kann (2-39). (2-39)

40

41

*[Ein Alligator, der mich immer zu beißen versuchte, in der Badewanne] war mir mein liebster Hausgenosse.

Im Weiteren ist die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass ein dem Kopfnomen nachgestelltes Adjektiv zwar Teilkonstituente der NP ist, dabei aber kein Attribut (im engeren Sinne) darstellt. Dies ist der Fall bei postnominalen Adjektiven in der Funktion einer lockeren Apposition (vgl. Dürscheid 2002:60f). Dabei ist das Adjektiv – anders als im AHK – intonatorisch abgesetzt, was in geschriebener Sprache durch Kommasetzung angezeigt wird (vgl. Überarbeitetes Regelwerk 2006:§77) (i). (i) Das Fenster, offen, blieb nicht unbemerkt. Der AHK und die Konstruktion mit postnominalem Adjektiv als lockere Apposition sind daher nicht miteinander zu identifizieren (vgl. dazu auch Abs. 3.2). Damit sind haben-Konstruktionen, die eine zur Akkusativ-NP rechtsadjazent stehende PP beinhalten, grundsätzlich strukturell ambig. In dieser Arbeit ist die Syntax (und die Semantik) einer solchen PP v. a. dann von Interesse, wenn sie kein Attribut darstellt (vgl. Kap. 5).

35 Zugleich gilt, dass sowohl der Relativsatz als auch – wie bereits festgestellt – die PP für sich allein (2-40a/b), ebenso wie Relativsatz und PP in Kombination, dann aber in umgekehrter Reihenfolge (2-40c), als Attribute zum Nomen erscheinen können.42 (2-40) a. b. c.

[Ein Alligator, der mich immer zu beißen versuchte], war mir mein liebster Hausgenosse. [Ein Alligator in der Badewanne] war mir mein liebster Hausgenosse. [Ein Alligator in der Badewanne, der mich immer zu beißen versuchte], war mir mein liebster Hausgenosse.

Damit kann es sich bei der PP in der Badewanne in (2-38) nicht um ein Attribut zum Nomen Alligator handeln. Beispiele nach diesem Muster lassen sich leicht vermehren; ein weiteres soll hier genügen (2-41). (2-41) a. b.

Ich habe zwei Studentinnen, die im ganzen Institut für ihre Pöbeleien bekannt sind, in meinem Kurs. *Zwei Studentinnen, die im ganzen Institut für ihre Pöbeleien bekannt sind, in meinem Kurs haben in der Zwischenprüfung die Bestnote erzielt.

Analog zum vorangehenden Beispiel kann hier in meinem Kurs nicht als Attribut zum Nomen Studentinnen analysiert werden. 2) Auch der nächste anzusprechende Punkt, der semantische Effekte bei Relativisierungen betrifft, zeigt die Unhaltbarkeit einer Attributsanalyse für Codakonstituenten in haben-Konstruktionen (vgl. dazu Keenan 1987:302).43 42

43

Attributive PPs stehen innerhalb der NP grundsätzlich vor Relativsätzen und anderen satzwertigen Erweiterungen (vgl. Zifonun et al. 1997:2069). Appositive Erweiterungen in der NP weisen zwar die Tendenz auf, weiter rechts zu stehen als restriktive (vgl. Vater 1986). Dennoch kann eine appositiv verwendete lokale PP nicht rechts von einem restriktiven Relativsatz stehen (i). (i) *Der Alligator, der mich immer zu beißen versucht, auf der Terrasse ist mein Lieblingshaustier. Satz (i) ist nicht geeignet zum Ausdruck folgender Semantik: ‚Derjenige Alligator (von mehreren, mit denen ich zusammenlebe o. ä.), der mich immer zu beißen versucht (= restriktive Interpretation des Relativsatzes), – er ist übrigens auf der Terrasse – (= appositive Interpretation der PP) ist mein Lieblingshaustier.‘ – Zu appositiven gegenüber restriktiven PPs vgl. Zifonun et al. (1997:2033–2035); zu appositiven gegenüber restriktiven Relativsätzen vgl. Zifonun et al. (1997:2007–2017). In diesem Abschnitt werden im Folgenden nur noch Sätze mit einer PP als Codakonstituente zur Argumentation herangezogen. Der Konstruktionstyp mit adjektivischer Coda bleibt hier weit gehend außer Betracht, da – wie bereits festgestellt – die Attributlesart bei postnominalem Adjektiv nicht den Normalfall darstellt und die Unterscheidung von attributiv gegenüber nicht-attributiv verwendetem Adjektiv daher grundsätzlich leichter ist als bei einer postnominalen PP (vgl. aber Kap. 3 für

36 Es darf als unbestritten gelten, dass die PP ins Regal in (2-42a) kein Attribut zu Bücher darstellt, während in (b) die PP im Regal zumindest in einer möglichen (und pragmatisch nahe liegenden) Lesart als Attribut zu Bücher aufzufassen ist. (2-42) a. b.

Sie stellte [die Bücher] [ins Regal]. Sie betrachtete [die Bücher [im Regal]].

Diese strukturelle Differenz wird in Unterschieden bei den Möglichkeiten der Relativisierung widergespiegelt. (2-43) a. b. c. d.

die Bücher, die sie ins Regal stellte *die Bücher ins Regal, die sie stellte #die Bücher, die sie im Regal betrachtete die Bücher im Regal, die sie betrachtete

Da das Syntagma die Bücher ins Regal in (2-42a) keine nominale Konstituente bildet, kann es auch nicht in Analogie zu die Bücher (vgl. 2-43a) relativisiert werden (2-43b). Im Gegensatz dazu ist eine Relativisierung von die Bücher im Regal (vgl. 2-42b) möglich (2-43d); die Relativisierung von die Bücher unter Einschluss der PP im Regal in den Relativsatz ist aber – vor dem Hintergrund von (2-42b) – semantisch abweichend (2-43c). Im gegebenen Zusammenhang ist nun entscheidend, dass die PP in der Coda einer haben-Konstruktion in vielen Fällen semantisch nicht sinnvollerweise als Attribut der Akkusativ-NP interpretiert werden kann, wenn das eben vorgestellte Testverfahren zur Identifizierung von PPs mit Attributsfunktion angewandt wird. Dies zeigen die folgenden Beispiele. (2-44) a. b. (2-45) a.

b.

(Ich habe noch Milch im Kühlschrank.) Nimm doch von der Milch, die ich im Kühlschrank habe. #Nimm doch von der Milch im Kühlschrank, die ich habe. (Ich hatte etwa 30 Studenten im Seminar.) Nicht einer der Studenten, die ich im Seminar hatte, wusste in der Prüfung etwas Gescheites zum Plurizentrizitätskonzept zu schreiben. #Nicht einer der Studenten im Seminar, die ich hatte, wusste in der Prüfung etwas Gescheites zum Plurizentrizitätskonzept zu schreiben.

Die Coda-PPs in (2-44/2-45) verhalten sich nicht analog zur PP in (2-42b), d. h. sie lassen sich nicht als Attribute interpretieren, ohne dass dabei eine semantische Abweichung von der ursprünglich intendierten Bedeutung erzeugt würde.

Aspekte, die das Bild komplizieren). – Dass die nicht-attributiven PPs in Codaposition nicht alle dieselbe syntaktische Funktion wahrnehmen, wird hier ebenfalls außer Acht gelassen und erst in Kap. 5 thematisiert.

37 3) Als letzter Punkt soll die Beweglichkeit der Codakonstituente betrachtet werden. Die Codakonstituente kann selbstständig aus ihrer ‹Grundposition› am rechten Rand des Mittelfeldes44 (2-46a) ins Vorfeld verschoben werden (b). (2-46) a. b.

Sie hat heute ihr Motorrad vor dem Haus. Vor dem Haus hat sie ihr Motorrad.

Zwar können auch präpositionale Attribute unter gewissen Bedingungen in Distanzstellung zu ihrem Bezugsnomen stehen und selbstständig im Vorfeld des Satzes erscheinen (2-47; Beispiel aus Schmellentin 2006:1). (2-47)

[Über die Klimaveränderung] i hat Rudi [viele Artikel ti] gelesen.

Allerdings besteht diese Möglichkeit im Allgemeinen nicht, wenn die NP, deren Kernnomen durch die PP attribuiert wird, spezifisch zu interpretieren ist (2-48; Beispiel leicht verändert aus Schmellentin 2006:1).45 (2-48)

*[Über Politik] i hat Rudi [dieses/das/Annas/ihr Buch ti] gelesen.

Die Spezifizität von Buch wird im Beispiel durch den Gebrauch des Demonstrativpronomens, des definiten Artikels, des pränominalen Genitivs oder des Possessivpronomens widergespiegelt.46 In (2-46b) liegt mit ihr Motorrad somit ein spezifischer Ausdruck vor, dennoch zeigt sich bei der Vorfeldpositionierung der Coda-PP kein Spezifizitätseffekt. Dies ist mit der Annahme, dass es sich bei der PP vor dem Haus um ein Attribut zu ihr Motorrad handelt, nicht vereinbar.47 44 45 46

47

Zur genaueren Charakterisierung dieser ‹Grundposition› als Teil der sog. minimalen Verbdomäne (vgl. Frey/Pittner 1998:499) s. Abs. 3.2. Zu diesem sog. Spezifizitätseffekt vgl. Schmellentin 2006:14–16 sowie – für einen Erklärungsansatz des Phänomens – ebd. 80–89. Spezifizität ist nicht mit Definitheit gleichzusetzen, obwohl gilt: «Definite Ausdrücke sind […] typischerweise spezifisch» (Heusinger 1997:15). Zu Abgrenzungsmöglichkeiten von Spezifizität gegenüber Definitheit vgl. z. B. Heusinger (1997:12–15; 93–95). Zu adjektivischen Coda-Phrasen kann hier Folgendes angefügt werden: Postnominale, aber in attributiver Funktion verwendete Adjektive scheinen generell ebensowenig aus der NP ihres Bezugsnomens extrahierbar wie pränominal stehende, flektierte Adjektive. (i) *Kleini traf ich heute [Hänschen ti]. (vgl.: Ich traf heute Hänschen klein.) (ii) *Extrafeini verkaufen wir auch [Bohnen ti]. (vgl.: Wir verkaufen auch Bohnen extrafein.) Damit bestätigt sich die oben getroffene Feststellung, dass es sich auch bei adjektivischen Codas in haben-Sätzen nicht um Attribute der Akkusativ-NP handeln kann, denn adjektivische Codas sind ohne Weiteres allein verschiebbar (iii). (iii) Offen hatte er das Hemd.

38 Im Fazit ergibt sich aus der obigen Diskussion der folgende Befund: Einerseits bilden die Akkusativ-NP und die Phrase, die die Coda besetzt, eine gemeinsame syntaktische Konstituente. Andererseits stellt weder die AkkusativNP noch die Codakonstituente eine Teilkonstituente der jeweils anderen Konstituente dar. Akkusativ-NP und Coda konstituieren somit folgende schematische Struktur. (2-49)

[[Akkusativ-NP] [Coda]]

Wie ist diese Struktur syntaktisch zu deuten? Diese Frage wird im nächsten Teilabschnitt beantwortet.

2.4.3 Eine Small-Clause-Analyse Im Folgenden werde ich dafür argumentieren, dass die aus Akkusativ-NP und Coda gebildete Gesamtkonstituente in (2-49) einen Small Clause (SC) darstellt. (2-50)

[SC [Akkusativ-NP] [Coda]]

Bei Small Clauses handelt es sich um eine Analysekategorie, die seit den 1980er-Jahren in der Generativen Grammatik Verbreitung gefunden hat.48 Die unten stehenden Überlegungen gehen von folgender SC-Definition von Basilico aus (für ähnliche Bestimmungen vgl. z. B. Lundin 2003:12f oder Staudinger 1997:1). «The term small clause (SC) refers to a string of XP YP constituents that enter into a predication relation, but where the predicate, YP, rather than containing a fully inflected verb, contains an adjective phrase, noun phrase, prepositional phrase, or uninflected verb phrase.» (Basilico 2003:1)

Ein SC ist insofern als satzartig aufzufassen, als dass er eine vollständige Proposition beinhaltet, die durch ein Prädikat (in Basilicos Definition: YP) einerseits und durch ein dieses Prädikat sättigendes Argument (XP) andererseits gebildet wird; das Argument kann daher auch als Subjekt des SC bezeichnet werden. (Durch diesen Zusammenhang rechtfertigt sich der Teilterminus Clause.) Anders als in ‹kanonischen› Sätzen handelt es sich beim Prädikatsausdruck

48

Grundlegend für die Etablierung der Kategorie SC waren die Arbeiten von Stowell (1981, 1983). Inhaltlich ist das SC-Konzept aber älter: Es geht (mindestens) auf Jespersen (1933) zurück (vgl. Staudinger 1997:61). – Im Folgenden wird meist die Abkürzung SC verwendet. SC bzw. Small Clause hat in dieser Arbeit maskulines Genus und wird im Singular nicht flektiert; als Pluralform verwende ich SCs.

39 nicht um eine flektierte Verbform. Diese Tatsache wird in generativen Arbeiten oft so gedeutet, dass SCs im Gegensatz zu ‹kanonischen› Sätzen keine funktionalen Projektionen beinhalten, die im Zusammenhang mit der Spezifikation von Tempusmerkmalen stehen (vgl. Progovac 2006:61; Lundin 2003:16). (Der Teilterminus Small kann auf diese Weise gedeutet werden.) Zur Begrifflichkeit ist an dieser Stelle Folgendes festzuhalten. Prädikation fasse ich als semantische, nicht als primär syntaktische Relation auf. Die Prädikationsrelation kann dabei in sehr allgemeiner Weise als Eigenschaftszuschreibung aufgefasst und ‹technisch› als Schnittmengenbildung modelliert werden (vgl. Flaate 2007:10). Bei einer solchen Bestimmung ist auch die Relation zwischen syntaktischem Attribut und Bezugsnomen semantisch unter Prädikation einzureihen. Dieser Sicht folge ich nicht – aus Gründen, die in Kap. 3 deutlich werden; dort wird der Prädikationsbegriff in geeigneter Weise eingegrenzt. Ein SC stellt somit eine syntaktische Form zur Realisierung einer Prädikation dar (diese Bestimmung wird gleich im Anschluss präzisiert). Mit Blick auf die haben-Konstruktionen lässt sich das bisher Gesagte nun wie folgt zusammenführen: Die Akkusativ-NP und die Codakonstituente können semantisch in einer Prädikationsbeziehung zueinander stehen.49 Hierbei ist die Codakonstituente als Prädikatsausdruck und die NP als sein Subjekt zu deuten. In diesem Sinne sind nun beispielsweise die Sätze (2-22a–c), hier wiederholt als (2-51a–c), zu analysieren. (2-51) a. b. c.

Sie hat [SC [das Fenster] [offen]]. (Coda = AP) Sie hat [SC [den Arm] [verbunden]]. (Coda = Partizip II) Sie hat [SC [die Füße] [im Wasser]]. (Coda = PP)

Das Fenster bzw. den Arm bzw. die Füße stellt das Argument (das Subjekt) dar, das den nachfolgenden prädikativen Ausdruck offen bzw. verbunden bzw. im Wasser sättigt. Dass es sich bei letzteren Ausdrücken tatsächlich um Prädikate handelt, wird dadurch bestätigt, dass sie als Prädikativa in Kopulasätzen auftreten können (2-52). (2-52) a. b. c.

49

Das Fenster ist offen. Der Arm ist verbunden. Die Füße sind im Wasser.

Die vorsichtige Formulierung (… können…) ist dem Umstand geschuldet, dass nicht alle Codakonstituenten von ihrem semantischen Typ her als Prädikate analysiert werden können. Nach meiner Auffassung bettet haben aber auch in diesen Fällen einen SC ein; für diese Sichtweise wird in Kap. 5 argumentiert.

40 Die Sätze (2-52a–c) stellen Implikate der Sätze (2-51a–c) dar, was aus der SCAnalyse automatisch folgt, denn die Sätze in (2-51a–c) enthalten die durch (2-52a–c) ausgedrückten Propositionen in Form der SCs.50 Auf der bis hierher erarbeiteten Grundlage lässt sich nun eine Hypothese zur syntaktischen Struktur von Konstruktionen mit haben als Vollverb formulieren (2-53). (2-53)

Hypothese (2) (zu revidieren) Haben als Vollverb bettet obligatorisch einen SC ein. Der SC besteht aus einem Argument (realisiert als Akkusativ-NP) und einem Prädikat.

Dass haben bzw. HABEN-Verben in anderen Sprachen einen SC einbetten können, wurde in der Literatur öfter angenommen: So schlägt schon Hoekstra (1987:231–235) eine SC-Analyse für Komplemente des niederländischen Verbs hebben (‚haben‘) vor; Sæbø (2009) stellt die jüngste mir bekannte Arbeit dar, die auf einer SC-Analyse für have (im Englischen) aufbaut.51 Oft werden ‹gemischte› Analysen der HABEN-Einbettung entwickelt: Nach Déchaine et al. (1994) liegt bei HABEN-Verben entweder eine SC-Einbettung oder eine DP-Einbettung vor; von einer entsprechenden Annahme geht Abraham (2005:Kap. 5) für haben im Deutschen aus oder McIntyre (2006:189) für have im Englischen. Tatsächlich stellt der Formtyp mit leerer Coda (vgl. 2-22d, hier wiederholt als 2-54) eine Herausforderung für die SC-Analyse dar, denn die SC-Teilkonstituente, die das Prädikat darstellen soll, fehlt offenkundig. (2-54)

Sie hat ein Motorboot. (Coda = ∅)

In Kap. 6 (vgl. auch Abs. 5.5 und Abs. 7.3.2) werde ich dafür argumentieren, dass sich die Annahme eines im SC enthaltenen stillen Prädikats (= phonetisch leeren Prädikats) rechtfertigen lässt. Im Weiteren ist hier festzuhalten, dass auch bei Vorliegen einer nicht-stillen Codakonstituente diese nicht in jedem Fall das SC-Prädikat bildet (vgl. Kap. 5): In diesen Strukturen ist ebenfalls ein stilles Prädikat anzunehmen, wobei die zusätzlich im SC enthaltene Codakonstituente ein Adjunkt mit adverbialer Funktion darstellt.

50

51

Die gewählte Formulierung beinhaltet stillschweigend, dass das Kopulaverb sein in (2-52) den SC-Propositionen aus (2-51) semantisch ‹nichts hinzufügt›. Dies ist eine Vereinfachung (vgl. dazu Abs. 7.3.1), die allerdings die Gültigkeit der gemachten Aussage zur Implikationsbeziehung von haben- und sein-Sätzen m. E. nicht berührt. Bei den in der Generativen Grammatik einflussreichsten HABEN-Analysen von Freeze (1992) und von Kayne (1993) spielt die SC-Analyse im hier vertretenen Sinne dagegen keine Rolle, vielmehr gehen diese Analysen von grundsätzlich anderen Strukturannahmen in Bezug auf HABEN-Sätze aus. Diese Tatsache hat m. E. die Entwicklung einer (zumindest für das Deutsche) angemessenen Sicht auf habenKonstruktionen teilweise behindert.

41 Im Folgenden gilt es, die oben angedeutete SC-Analyse in struktureller Hinsicht zu präzisieren. Ich gehe dabei von folgendem Grundgedanken aus: Prädikation, verstanden als semantische Relation, weist ein syntaktisches Korrelat auf (vgl. Stalmaszczyk 1999:157), d. h. es besteht eine Zuordnungsbeziehung zwischen der Prädikation auf semantischer Ebene und einer bestimmten formalen Struktur auf syntaktischer Ebene.52 Damit besteht grundsätzlich eine Beziehung der Isomorphie zwischen Semantik und Syntax.53 Zur Modellierung dieser Isomorphiebeziehung greife ich eine Ausarbeitung von den Dikken (2006) auf. Ihm zufolge wird jede Prädikationsbeziehung syntaktisch als Struktur der Form (2-55) realisiert (vgl. den Dikken 2006:11). RP

(2-55) XP

R'

R

YP

R steht für RELATOR, wobei gilt: «[A]ll predication relationships are mediated by a relator» (den Dikken 2006:11). Die Funktion des Relators lässt sich so beschreiben, dass er die semantische Relation der Prädikation syntaktisch etabliert. Relator stellt – anders als z. B. die von Bowers (1993) vorgeschlagene Kategorie Pr – keine bestimmte syntaktische Kategorie dar, sondern eine Art Platzhalter für Elemente aus unterschiedlichen syntaktischen Kategorien (Wortarten), die geeignet sind, eine Prädikationsrelation herzustellen (vgl. den Dikken 2006:15 und 251, Endn. 2). Die Phrasen XP und YP können die Funktion des Subjekts bzw. des Prädikats wahrnehmen, wobei grundsätzlich sowohl die Phrase in der Komplementposition als auch diejenige im Spezifikator der Relator-P (im Folgenden RP) als Subjekt bzw. als Prädikat fungieren kann.54 Der Rückgriff auf den Dikkens Relator-Phrase erlaubt eine SC-Analyse, die von der Frage nach der syntaktischen Kategorie des SC weit gehend abstrahieren kann. Auch erlaubt die Analyse grundsätzlich die Projektion von (weiteren) funktionalen Kategorien oberhalb der RP, wie sie gemäß Lundin (2003) beispielsweise für SCs im Schwedischen anzunehmen sind. Außerdem wird eine 52

53

54

Zu unterschiedlichen Prädikationsbegriffen in der philosophischen und linguistischen Tradition vgl. Stalmaszczyk (1999). Einen Überblick über generative Prädikationstheorien (bis zum Stand von Bowers 2001) bietet Flaate (2007:Kap. 4). In Kap. 3 werde ich für die Sichtweise argumentieren, dass diese Isomorphie – bedingt durch Optimierungsprozesse an der Syntax-Semantik-Schnittstelle – durchbrochen werden kann. Für die Analysen in dieser Arbeit mache ich allerdings nur von der einen der beiden Möglichkeiten Gebrauch, nämlich derjenigen, bei der das Subjekt (kategoriell realisiert als NP) in SpecR und das Prädikat als Komplement von R auftritt.

42 Analyse auf der Grundlage von RPs vollumfänglich der restriktiven (und daher heute allgemein üblichen) Annahme gerecht, dass in syntaktischen Strukturzuweisungen nur binäre Verzweigungen vorzusehen sind (solange nicht massive empirische Evidenz zur Aufgabe dieses ‹Axioms› zwingt).55 Vor dem Hintergrund der getroffenen Annahmen ist eine Konstruktion mit haben als Vollverb syntaktisch wie folgt zu analysieren (vgl. 2-22c). (2-56)

Sie hat [RP [Subjekt die Füße] [R ∅] [Prädikat im Wasser]].

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die durch die RP ausgedrückte syntaktische Konfiguration dient als formal hinreichend explizites Instrument zur Darstellung der Semantik-Syntax-Isomorphie in Bezug auf die Prädikationsrelation, die in der durch haben eingebetteten Konstituente ausgedrückt wird. Zugleich ist das Instrument – da es auf wenigen und relativ allgemeinen Annahmen beruht – offen und ‹neutral› genug, um (allenfalls mit geringen Modifikationen) auch in anders gelagerte Modelle integriert werden zu können, und es dürfte zur Beschreibung von SC-Strukturen in anderen Sprachen ebenfalls geeignet sein. Im folgenden Abschnitt wird die bis hierher entwickelte SC-Analyse durch die Diskussion weiterer Daten gestützt.

2.4.4 Weitere Evidenz für die SC-Analyse Ein Phänomen, das oben zur Argumentation für eine SC-Analyse herangezogen wurde, war die Vorfeldfähigkeit des Syntagmas Akkusativ-NP – Coda: Da diese zwei Konstituenten gemeinsam im Vorfeld stehen können, müssen sie auch gemeinsam eine Konstituente bilden (vgl. die Beispiele in 2-32, 2-33 und 2-34). Dies gilt jedenfalls unter der Annahme, dass im Vorfeld Platz für genau eine Konstituente ist, nicht aber für mehrere Konstituenten (eine Annahme, die für das Deutsche gängig, aber freilich problematisierbar ist). Man könnte argumentieren, dass neben den genannten Beispielen eine Reihe weiterer Strukturen mit scheinbar mehrfacher Vorfeldbesetzung (vgl. den Titel des Aufsatzes von St. Müller 2005) zu beobachten ist, bei denen eine SC-Analyse für die zwei im Vorfeld erscheinenden Konstituenten unplausibel erscheint, während dagegen mit einer anders gearteten Erklärung die Konstruktionen mit scheinbar mehrfa55

In den in dieser Arbeit behandelten SC-Strukturen ist R immer still (= phonetisch leer). Hierzu ist anzumerken, dass die von mir vertretene SC-Analyse ohne Substanzverlust auch in einem Theorierahmen ausdrückbar ist, der auf stille SC-Köpfe verzichten möchte und daher auf andere geeignete formale Mittel zur Modellierung der Konstituenz des SC zurückgreift. Für eine kritische Diskussion der Annahme ‹reiner› SCs – also solcher SCs, die ausschließlich einen Prädikatsausdruck und sein Subjekt beinhalten – vgl. den Dikken (2006:Abs. 3.2).

43 cher Vorfeldbesetzung unter Einschluss von Daten wie die erwähnten Beispiele in (2-32), (2-33) und (2-34) einheitlich erklärt werden könnten. Damit wäre die SC-Analyse entkräftet. Ein solch einheitliches Erklärungsmodell entwickelt beispielsweise St. Müller (2003, 2005). Ausgangspunkt seiner Analyse sind Originalbelege wie die folgenden. (2-57) a. b. c.

[Zum zweiten Mal] [die Weltmeisterschaft] errang Clark 1995. (aus Müller 2005:300) [Alle Träume] [gleichzeitig] lassen sich nur selten verwirklichen. (aus Müller 2005:299) [Mit den Hühnern] [ins Bett] gehen sie dort. (aus Müller 2005:302)

Hinsichtlich Form und syntaktischer Funktion der beiden Konstituenten im Vorfeld ergibt sich ein heterogenes Bild: In (2-57a) und (b) erscheint ein ‹logisches Objekt› des Hauptverbs in Kombination mit einer PP bzw. einem Adverb, wobei diese zweite Konstituente der Objekt-NP vor- bzw. nachgestellt ist. In (2-57c) stehen zwei PPs, die Teil eines Phraseologismus sind, gemeinsam im Vorfeld. Allen diesen Sätzen (und vielen weiteren – vgl. die umfangreiche Sammlung von Belegen, nach Formtypen geordnet, in Müller 2010) legt Müller (2005) eine einheitliche Strukturanalyse zugrunde, derzufolge die beiden Vorfeldkonstituenten Teil einer Verbalphrase sind, deren Kopf phonetisch leer ist. Dies lässt sich schematisch wie in (2-58) darstellen.56 (2-58)

[[Konstituente 1] [Konstituente 2] ØV]

Damit wäre Beispiel (2-32a) wie folgt analysierbar (2-59). (2-59)

[[Das Fenster] [offen] ØV] hat er leider viel zu selten.

Müllers Analyse kann hier nicht im Einzelnen evaluiert werden. Es seien aber die folgenden knappen Bemerkungen angebracht. Eine SC-Analyse für komplexe Vorfeldkonstituenten wie in (2-57a/b), wo die nicht-nominale Teilkonstituente eine Phrase in adverbialer Funktion darstellt, ist kaum gangbar. Somit muss mit der von mir vertretenen SC-Analyse auf eine einheitliche Modellierung komplexer Vorfeldkonstituenten verzichtet werden. Dies wiegt angesichts des heterogenen Charakters der Vorfeldbesetzungen in den von Müller betrachteten Konstruktionen m. E. allerdings nicht schwer.57

56 57

Zu den hier irrelevanten technischen Einzelheiten der Analyse und ihrer Umsetzung im Rahmen eines HPSG-Modells vgl. Müller (2005:312–321). So analysiert beispielsweise Dürscheid (1989) – anders als Müller – Adverbialkombinationen im Vorfeld (vgl. Dürscheid 1989:106–109) und Vorfeldbesetzungen mit zwei Argumentausdrücken (vgl. Dürscheid 1989:85–87) nicht einheitlich. Letzteres – die Bildung von «Argumentcluster[n]» im Vorfeld (Dürscheid 1989:87) – sollte

44 Was die Ökonomie der beiden hier gegenübergestellten Ansätze betrifft, so darf man sie als gleichwertig einschätzen: In beiden Analysen wird ein leerer Kopf postuliert, der eine Projektion über die beiden Teilkonstituenten aufspannt. In der Annahme, dass die komplexe Vorfeldkonstituente die Projektion eines leeren Kopfes darstellt, zeigt sich auch eine gewisse Verwandtschaft der beiden Zugriffe. Abschließend soll noch ein mögliches Problem der Analyse Müllers aufgegriffen werden. Da Müller die komplexen Vorfeldkonstituenten als Verbalphrasen mit leerem Kopf analysiert, wäre zu erwarten, dass sich diese syntaktisch grundsätzlich wie ‹normale› Verbalphrasen verhalten. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. So zeigen bei Linksversetzungsstrukturen (vgl. dazu insbesondere Altmann 1981) die komplexen Vorfeldkonstituenten hinsichtlich ihrer Pronominalisierbarkeit ein Verhalten, das untypisch für Verbalphrasen ist – was für Müllers Analyse ein Problem darstellt, wie er selbst einräumt (vgl. Müller 2005:323, wo auch die folgenden Beispiele entnommen sind), ebenso für alle verwandten Analysen, insofern sie die komplexe Vorfeldkonstituente als VP modellieren (vgl. die Verweise auf solche Ansätze in Müller 2005:311f). (2-60)

Die Torte essen, das/*die will Peter nicht.

«Wird in Linksversetzungskonstruktionen eine Verbphrase wieder aufgenommen, so muss das Pronomen das verwendet werden» (Müller 2005:323), ein Pronomen dagegen, das mit einer in der Vorfeldkonstituente enthaltenen NP im Genus kongruiert (wie die in 2-60), ist ausgeschlossen.58 Das Gesagte gilt aber im Falle von (2-57a) nicht, wie (2-61) zeigt. (2-61)

Zum zweiten Mal die Weltmeisterschaft, die/*das gewann Clark 1965.

(2-61) könnte somit als Evidenz gegen eine VP-Analyse der komplexen Vorfeldkonstituente interpretiert werden. – Wie verhält es sich nun mit der Pronominalisierbarkeit von komplexen Konstituenten, die aus Akkusativ-NP und Prädikativum bestehen, in haben-Konstruktionen?

58

nach Dürscheids Argumentation eigentlich ganz ausgeschlossen sein, wobei sie zugleich einen Originalbeleg anführt, der den generellen Ausschluss von Argumentclustern im Vorfeld zu widerlegen scheint (i; aus Dürscheid 1989:87). (i) [Der Universität] [zum Jubiläum] gratulierte auch Bundesminister Dorothee Wilms, […] Das Problem kann an dieser Stelle nicht näher erörtert werden (vgl. Müller 2010 und die dort zitierte Literatur). Generell gilt in Linksversetzungsstrukturen, dass das Demonstrativpronomen im Vorfeld des Satzes und die davor platzierte (= linksversetzte) NP in Genus und Numerus kongruieren, doch sind auch Ausnahmen zu konstatieren, etwa wenn es sich bei der linksversetzten NP um ein Prädikativum handelt (vgl. Altmann 1981:245– 250).

45 (2-62)

Die Bluse offen – das/*die hat sie nie!

Die Wiederaufnahme der linksversetzten Konstituente durch das und die gleichzeitige Unmöglichkeit der Wiederaufnahme durch das genuskongruente Pronomen die in (2-62) stellt für Müllers Analyse an sich kein Problem dar: Es lässt sich mit (2-62) dafür argumentieren, dass die Bluse offen tatsächlich eine VP mit leerem Kopf darstellt. Da dies aber nach Müller auch für die satzinitialen Konstituenten in Sätzen wie (2-61) gelten soll, drängt sich der Schluss auf, dass die Wahl der Proform keine direkten Rückschlüsse auf die syntaktische Kategorie der komplexen Vorfeldkonstituente zulässt. Vielmehr ist zu vermuten, dass Pronominalisierbarkeit durch das an semantische Bedingungen geknüpft ist. Im gegebenen Zusammenhang ist relevant, dass auch Nebensätze in Linksversetzung durch das Pronomen das aufgenommen werden müssen (2-63). (2-63)

Dass er immer ehrlich war, das glaube ich heute nicht mehr.

Ein finiter Nebensatz wie in (2-63) (hier in der Funktion eines Objektsatzes) stellt eine vollständige Proposition dar. SCs sind, wie oben festgehalten wurde (vgl. Abs. 2.4.3), semantisch als Verbindung eines einstelligen Prädikats und eines Argumentausdrucks, der dieses Prädikat sättigt, aufzufassen; damit handelt es sich bei SCs ebenfalls um vollständige Propositionen. Unter dieser Annahme, und unter der Prämisse, dass das «die Proform für propositionale Ausdrücke» (Altmann 1981:246) darstellt, folgt die Grammatikalitätsverteilung in (2-62) aus Hypothese (2) (vgl. 2-53) automatisch, denn dieser Hypothese zufolge bildet die linksversetzte Konstituente die Bluse offen einen SC. Die komplexe Vorfeldkonstituente in (2-61) stellt im Gegensatz dazu keinen propositionalen Ausdruck dar, womit sich die Unmöglichkeit der Wiederaufnahme durch das (teilweise59) erklärt. Der Zusammenhang zwischen Propositionalität und der Form der «pronominalen Kopie» (Altmann/Hofmann 2004:147) in Linksversetzungsstrukturen soll durch folgende Beispielreihe noch einmal deutlich gemacht werden. (2-64) a. b. c. d.

59

Meinen Kranz an der Tür, das/??den habe ich in der Vorweihnachtszeit immer. Meinen Kranz, den/*das habe ich in der Vorweihnachtszeit immer an der Tür. Meinen Kranz an die Tür, *das/*den hänge ich in der Vorweihnachtszeit immer. Meinen Kranz, den/*das hänge ich in der Vorweihnachtszeit immer an die Tür.

Die Proform das kann natürlich nicht nur propositionale Ausdrücke wiederaufnehmen. Es wären somit weitere semantische Typen, die das lizenzieren würden, für die Vorfeldkonstituente in (2-61) auszuschließen.

46 In (2-64a) ist der gesamte, von haben abhängige propositionale SC meinen Kranz an der Tür linksversetzt, in (b) dagegen nur der Argumentausdruck daraus (= die Akkusativ-NP), woraus sich die Verteilung der Proformen erklärt.60 In (2-64c/d) sind in paralleler Weise Beispiele konstruiert, hier aber mit transitivem hängen als Matrixverb. Demzufolge handelt es sich bei der PP um ein Richtungsadverbial (gegenüber der PP mit rein lokaler Semantik in a/b). Entscheidend ist (2-64c): Die beiden Teilkonstituenten meinen Kranz und an die Tür bilden keine propositionale Konstituente, was daran erkennbar ist, dass die Proform das als pronominale Kopie ausgeschlossen ist. (Die Proform den ist ihrerseits ungrammatisch, da es sich bei der linksversetzten Konstituente nicht um eine NP handelt.)61 Insgesamt sprechen die oben betrachteten Daten für die Propositionalität der von haben eingebetteten Konstituente und damit für die Gültigkeit der hier vertretenen SC-Analyse. Im nächsten Abschnitt soll der Blick auf eine oben noch nicht thematisierte syntaktische Struktur – und zwar eine absolute Konstruktion – gerichtet werden, dies mit dem Ziel, das Verständnis der Syntax von haben zu erweitern.

60

61

Die Proform den ist in (a) nicht vollständig ausgeschlossen, da an der Tür auch als Attribut zu meinen Kranz aufgefasst werden kann. Bei dieser Lesart steht im Vorfeld eine NP, kein SC, und von den verschiedenen Formtypen der haben-Konstruktionen liegt derjenige mit ‹reiner NP-Einbettung›, d. h. mit leerer Coda, vor. In diesem Fall ist ein erhöhter pragmatischer Aufwand nötig, um die haben-Relation im gegebenen Satz semantisch sinnvoll zu interpretieren, wodurch die Markiertheit dieser Lesart zu erklären ist. Dass die Teilkonstituenten meinen Kranz (Akkusativobjekt) und an die Tür (Richtungsadverbial) grundsätzlich gemeinsam eine Konstituente bilden können, setze ich dabei voraus, vgl. Müller (2005:300, Bsp. 5c). – Im Weiteren ist einzuräumen, dass die Wiederaufnahme eines von haben abhängigen SC durch das nicht immer zu akzeptablen Ergebnissen führt, vgl. (i)–(iii). (i) Den Diederichs, den kennen wir noch nicht. (ii) Den Diederichs, den haben wir leider nicht im Team. (iii) Den Diederichs im Team, *den/??das haben wir leider nicht. (*den, wenn es sich bei der linksversetzten Konstituente um einen SC, nicht um eine NP handelt) Bei (i) liegt eine typische Linksversetzungsstruktur vor, bei der das Akkusativobjekt linksversetzt ist. Bei (ii) ist analog dazu, ausgehend von einer haben-Konstruktion mit der PP im Team als Codakonstituente, die Akkusativ-NP allein linksversetzt, und die Coda verbleibt im Mittelfeld. Bei (iii) dagegen erscheint der gesamte SC linksversetzt. Nicht überraschend ist hierbei, dass die Proform den (vgl. (i)/(ii)) in diesem Satz ausgeschlossen ist. Die starke Markiertheit der Wiederaufnahme des SC durch die Proform das wird durch die oben angestellten Überlegungen aber nicht vorausgesagt. – Beschränkungen für die Proform das in Linksversetzungsstrukturen sind weiter zu erforschen.

47

2.5

Die absolute mit-Konstruktion

In diesem Abschnitt wird die in (2-53) formulierte Hypothese zur Einbettung von haben ergänzt. Grundlage dafür ist eine Beobachtung in Bezug auf die Syntax der Präposition mit: Es lassen sich weit reichende Parallelen nachweisen betreffend die Einbettungen von mit einerseits und von haben andererseits. Abs. 2.5.1 führt in die Syntax und Semantik derjenigen mit-PP ein, die sich im gegebenen Kontext als relevant erweist und die als ‹absolute mit-Konstruktion› bezeichnet werden soll. In Abs. 2.5.2 wird die Konstituentenstruktur der absoluten mit-Konstruktion untersucht. In Abs. 2.5.3 wird die Reichweite der bis dahin entwickelten Hypothese zur Parallelisierbarkeit von haben- und mitKomplementen bestimmt. Im abschließenden Teilabschnitt dieses Unterkapitels wird die absolute mit-Konstruktion gegenüber anderen mit-PPs abgegrenzt (Abs. 2.5.4). Die so erreichte Charakterisierung von mit in der Funktion einer Absolutkonstruktion ermöglicht danach (Abs. 2.6) eine präzise Generalisierung zur Syntax von haben als Vollverb.

2.5.1 Einführung Als eine erste Illustration der Parallelen zwischen der Syntax von haben und der von mit greife ich die Sätze in (2-22c), (2-28c) und (2-28d) auf (hier wiederholt als 2-65a–c) und stelle sie den Sätzen in (2-66) gegenüber, bei denen im Vorfeld eine PP erscheint, deren Kopf von mit besetzt ist. (2-65) a. b. c.

Sie hat [die Füße im Wasser]. Er hat [den Hut auf]. Sie hat [eine Konzertpianistin als Putzfrau].

(2-66) a. b. c.

Mit [den Füßen im Wasser] konnte sie sich richtig entspannen. Mit [dem Hut auf] würde er wie Indiana Jones aussehen. Mit [einer Konzertpianistin als Putzfrau] käme ich mir dekadent vor.

Die von mit eingebetteten Konstituenten in (2-66) scheinen mit den von haben eingebetteten SCs identisch zu sein.62 Diesen ersten Augenschein nehme ich

62

Auf die syntaktische Verwandtschaft von HABEN und MIT (d. h. haben bzw. mit und/oder ihre Entsprechungen in anderen Sprachen) wurde in der Literatur öfters hingewiesen – vgl. zum Französischen Ruwet (1982:125–133); zum Niederländischen Klein (1983) (kritisch dazu Beukema/Hoekstra 1983, vgl. im Weiteren van der Lubbe 1985) und Hoekstra (1987:231–234); zum Spanischen Gunnarson (1994:164); zum Englischen bzw. zum Deutschen McIntyre (2006:188–191 und 209, Anm. 2);

48 zum Anlass, die im letzten Abschnitt formulierte Hypothese (2-53) zu erweitern. Dazu soll der Hypothese ein dritter Satz hinzugefügt werden. (2-67)

Hypothese (3) (zu revidieren) Haben als Vollverb bettet obligatorisch einen SC ein. Der SC besteht aus einem Argument (realisiert als Akkusativ-NP) und einem Prädikat. Ein SC, der von haben eingebettet wird, kann auch von mit eingebettet werden.

Durch den letzten Satz in (2-67) wird eine Implikationsbeziehung ausgedrückt: Wenn eine SC-Konstituente vom Vollverb haben eingebettet werden kann, dann kann sie auch von der Präposition mit eingebettet werden. Die Umkehrung davon gilt nicht notwendigerweise. Diese Implikationsbeziehung wird gleich im Anschluss an weiteren Beispielen überprüft. Die folgende Diskussion wird zu einer Umarbeitung und Präzisierung der Hypothese führen, die ich in ihrer endgültigen Form in Abs. 2.6.1 festhalte. Wenn nun gilt, dass mit einen SC einbetten kann, so ergibt sich – vor dem Hintergrund der oben vertretenen Auffassung der Kategorie SC – das Korollar, dass eine mit-PP in semantischer Hinsicht eine vollständige Proposition beinhalten kann. Genau dies scheint für die mit-PPs in (2-66) zu gelten: Sie enthalten eine Proposition und sind zugleich Teil eines übergeordneten finiten Satzes. Damit können sie als ‹nebensatzartig› aufgefasst werden.63 Sie gehören dabei nicht zum Valenzrahmen des übergeordneten Verbs und sind somit ohne Weiteres weglassbar, wodurch sie den Status einer freien Angabe besitzen. Frei hinzufügbare, im beschriebenen Sinn satzwertige Phrasen werden traditionell mit dem Adjektiv absolut charakterisiert.64 Die durch die Beispiele in (2-66) illustrierte Absolutkonstruktion wird im Folgenden als absolute mit-Konstruktion bezeichnet. – Die Satzwertigkeit der absoluten mit-Konstruktion wird dadurch bestätigt, dass in ihrem Inneren – zwischen Subjekt und Prädikat – Phrasen in adverbialer Funktion erscheinen können (2-68).

63 64

vgl. im Weiteren die in Lundin (2003:147f, Fn. 4) angegebene Literatur. Dennoch wurde die syntaktische Beziehung zwischen haben- und mit-Konstruktionen im Deutschen meines Wissens noch nie systematisch untersucht. Die Satzwertigkeit der betrachteten mit-PPs wird gleich im Anschluss unabhängig motiviert, und zwar durch die Einsetzbarkeit von Adverbialen. Gängig sind Bezeichnungen wie absoluter Akkusativ oder absoluter Nominativ für bestimmte, als ‹absolut› einzustufende Konstruktionstypen (vgl. u. a. Duden-Grammatik 2005, Zifonun et al. 1997). Die hier interessierende, durch mit eingeleitete Absolutkonstruktion im Deutschen ist in der Literatur noch kaum zur Kenntnis genommen worden (eine Ausnahme ist Kortmann 1988), dies ganz im Gegensatz zum damit verwandten absoluten Akkusativ (vgl. u. a. Dittmer 1980; Kortmann 1988; Bausewein 1990:77–79; Zifonun et al.1997:2224–2226). Bezeichnungen wie absolute Konstruktion oder Absolutkonstruktion als übergreifende Termini scheinen in der germanistischen Grammatikschreibung wenig verbreitet zu sein.

49 (2-68) a. b. c.

Mit dem Arm seit drei Wochen im Gips habe ich das Schreiben fast verlernt. Mit den Füßen als Zeichen meiner Missachtung auf dem Tisch erwartete ich meine Schwiegereltern. Mit allen Vasen ordentlich in der Vitrine erwartete ich meine Schwiegereltern.

In (2-68a) ist ein Temporaladverbial in die mit-Konstruktion eingefügt, in (b) eine als-Phrase und in (c) ein Adjektiv. Nicht nur das Temporaladverbial in (a), sondern auch die in (b) und (c) eingefügten Phrasen beziehen sich semantisch auf die gesamte Proposition, die in der mit-Konstruktion ausgedrückt wird, und nicht etwa nur auf die Dativ-NP (nicht die Füße selbst sind Zeichen der Missachtung, und nicht alle Vasen sind als ordentlich zu bezeichnen, sondern die Art und Weise ihrer Aufstellung in der Vitrine o. Ä.). Damit scheidet für die als-Phrase in (b) eine Analyse als adnominales als-Prädikativ (vgl. Flaate 2007:122–126) aus; ebenso ist ordentlich in (c) als Modaladverbial, nicht als Depiktiv zu verstehen.65 Absolute Konstruktionen lassen sich aufgrund ihrer Propositionalität in finite Sätze umformen. Aufgrund der bisher gemachten Überlegungen müsste ein Satz mit einer finiten Form von haben eine geeignete Paraphrase für eine absolute mit-Konstruktion darstellen. Dies lässt sich ohne Weiteres anhand der Sätze in (2-66) bestätigen, so beispielsweise für (2-66c): ‚Wenn ich eine Konzertpianistin als Putzfrau hätte, käme ich mir dekadent vor.‘66 Funktional ist die absolute mit-Konstruktion als rahmensetzender Modifikator einzuordnen. Darunter sind Adverbiale zu verstehen, die «syntaktisch außerhalb der VP angesiedelt sind und semantisch die verbleibende Proposition in ihren Skopus nehmen» (Maienborn 2003:89). Zunächst zur syntaktischen Positionierung (vgl. 2-69): Die Stellung eines Rahmensetzers im Vorfeld ist unmarkiert (a). Im Mittelfeld stehen rahmensetzende Modifikatoren grundsätzlich vor Satzadverbialen wie z. B. wahrscheinlich (b/c;67 vgl. Pittner 1999:177).

65

66

67

Für die Argumentation hier dürfte die Einordnung von ordentlich in (c) als Adverbial oder als Depiktiv allerdings ohnehin keine Rolle spielen, denn es handelt sich bei der Abgrenzung Adverbial – Depiktiv «in erster Linie um eine semantisch motivierte Unterscheidung» (Pittner 1999:54). Entscheidend ist, dass die absolute mit-Konstruktion – ebenso wie Sätze, die eine VP beinhalten – die Möglichkeit zur Aufnahme von adverbialen oder depiktiven Phrasen bietet. Die hier wiedergegebene Lesart der absoluten mit-Konstruktion im Sinne eines kontrafaktischen Konditionalsatzes ist nicht die einzig mögliche. Zu den einzelnen Lesarten s. gleich unten. Bei hinreichend starker intonatorischer Absetzung vor und nach der absoluten mitPP ist ihre Stellung nach dem Satzadverbial (vgl. c) wohl auch möglich. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass absolute Konstruktionen generell eine Affinität zu intonatorischer Abgesetztheit zeigen (vgl. Kortmann 1988:61). Der mit

50 Dadurch erklärt sich, dass die absolute mit-Konstruktion tendenziell eine Orientierung nach links zeigt, was ihre Stellung im Satz betrifft. (2-69) a. b. c. d.

[Mit dem Hut auf dem Kopf] könnte er wahrscheinlich für Bogart gehalten werden. Er könnte [mit dem Hut auf dem Kopf] wahrscheinlich für Bogart gehalten werden. *Er könnte wahrscheinlich [mit dem Hut auf dem Kopf] für Bogart gehalten werden. Er könnte wahrscheinlich für Bogart gehalten werden, [mit dem Hut auf dem Kopf].

Daneben ist aber auch eine Nachfeldstellung der absoluten mit-Konstruktion nicht ausgeschlossen (d). – Nun zur Semantik der absoluten mit-Konstruktion als Rahmensetzer: Eine grundsätzliche Beobachtung ist, dass die in der mit-PP ausgedrückte Proposition nicht notwendigerweise vom Gesamtsatz impliziert wird (2-70; vgl. Stump 1985:43f; 273). (2-70)

Mit dem Arm im Gips könnte Oskar die Kiste nicht tragen.

Satz (2-70) impliziert nicht, dass Oskar den Arm im Gips hat.68 Vielmehr drängt sich für den Satz eine Interpretation auf, bei der die mit-PP als Konditionalsatz paraphrasiert werden kann (vgl. Stump 1985:273): ‚Wenn Oskar den Arm im Gips hätte, könnte er die Kiste nicht tragen.‘ Daneben ist (2-70) aber auch mit der Annahme vereinbar, dass Oskar den Arm tatsächlich im Gips hat. In diesem Fall liegt eine kausale Verknüpfung zwischen den beiden im Gesamtsatz ausgedrückten Propositionen nahe: ‚Weil Oskar den Arm im Gips hat, könnte er die Kiste nicht tragen.‘ Wichtig ist aber die Feststellung, dass sich diese unterschiedlichen Lesarten aufgrund pragmatischer Faktoren ergeben, d. h. dass beispielsweise die zuletzt angeführte kausale Lesart nicht Teil der Semantik der absoluten Konstruktion ist (vgl. dazu eingehend Kortmann 1991, allerdings mit

68

Fragen der Intonation zusammenhängende Problembereich kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. Dies unterscheidet mit in der absoluten Konstruktion von beispielsweise der Konjunktion und (vgl. Kortmann 1991:108–110). (i) Mit dem Arm in der Schlinge trägt Otto keine Kisten. (ii) Otto hat den Arm in der Schlinge und (Otto) trägt keine Kisten. Die Wahrheitsbedingungen von (ii) ergeben sich additiv aus den Wahrheitsbedingungen der beiden Konjunkte. Das bedeutet beispielsweise, dass für einen gegebenen Zeitraum sowohl gelten muss, dass Otto den Arm in der Schlinge hat, als auch, dass er keine Kisten trägt: Nur dann ist die Wahrheit von (ii) gegeben. Im Gegensatz dazu kann (i) so interpretiert werden, dass – wiederum in Bezug auf einen bestimmten Zeitraum – Otto nur dann keine Kisten trägt, wenn er den Arm in der Schlinge hat.

51 Bezug auf das Englische). Was Kortmann zu satzwertigen Partizipialkonstruktionen festhält, gilt auch für Absolutkonstruktionen: «[U]nter dem Gesichtspunkt der Informationsgewichtung innerhalb des komplexen Satzes haben sie [= satzwertige Partizipialkonstruktionen; M.B.] die ausschließliche Funktion, Hintergrundmaterial für das im Matrixsatz gegebene Vordergrundmaterial zu liefern» (Kortmann 1988:62). Zugleich sind absolute Konstruktionen – wie bei (2-70) eben deutlich wurde – «semantisch variabel» in dem Sinne, dass sie unterschiedliche adverbiale Relationen zum Matrixsatz vermitteln können (Kortmann 1988:62). Anders gesagt: Die inhaltliche ‹Füllung› der adverbialen Relation zum Matrixsatz ist weit gehend unspezifiziert (vgl. Stump 1985:1).69 Daraus ergibt sich eine Reihe von – pragmatisch gesteuerten – Interpretationsmöglichkeiten, die sich im Falle der absoluten mit-Konstruktion jeweils einer der Kategorien ‹konditional›, ‹temporal› oder ‹kausal› zuordnen lassen. Dies kann anhand des folgenden Beispiels illustriert werden. (2-71)

[Mit der Mütze auf dem Kopf] sah Oskar aus wie ein Gartenzwerg.

Die konditionale Interpretation lässt sich paraphrasieren durch ‚Wenn Oskar die Mütze auf dem Kopf hatte, …‘, die temporale durch ‚Als Oskar die Mütze auf dem Kopf hatte, …‘, und die kausale schließlich durch ‚Weil Oskar die Mütze auf dem Kopf hatte, sah er aus wie ein Gartenzwerg.‘70 Diese Beobachtungen sind klare Indizien für eine Einordnung der absoluten mit-Konstruktion als Rahmensetzer, denn für diese gilt allgemein das Folgende. Rahmensetzende Modifikatoren formulieren Bedingungen, unter denen die im Satz ausgedrückte Proposition wahr ist, ohne dabei selbst Teil der Proposition zu sein: «Frame-setting modifiers are not part of what is properly asserted but restrict the speaker’s claim.» (Maienborn 2001:194)71 Im Fazit lässt sich festhalten: Die Präposition mit kann eine Phrase einbetten, die semantisch eine Subjekt-Prädikat-Relation beinhaltet. Eine solche mit-PP kann im Satz rahmensetzende Funktion wahrnehmen.

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71

Wie in Abs. 7.3.2 gezeigt wird, ist die Präposition mit in der absoluten mit-Konstruktion dabei aber semantisch nicht vollständig ‹leer›. Vgl. auch Flaate (2007:129f), die zu ähnlichen Lesartenkategorien in Bezug auf die Interpretation von solchen als-Prädikativen gelangt (diese als-Prädikative bezeichnet Flaate als ‹satzadverbial›). Vgl. auch die Ausführungen zum Adverbialtypus die Prädikation limitierende Adverbiale in Bartsch (1972:62–65).

52 2.5.2 Konstituenz Im Folgenden soll in Bezug auf die absolute mit-Konstruktion – unabhängig von der oben in (2-67) formulierten Hypothese (3) – für solche Konstituenzverhältnisse argumentiert werden, wie sie bei einer SC-Einbettung durch mit zu erwarten sind: Keine der beiden von mit eingebetteten Konstituenten ist eine Teilkonstituente der anderen, und beide Konstituenten sind Teil einer größeren Konstituente. – Zunächst zur ‹äußeren› Konstituenz der absoluten mit-Konstruktion (vgl. Ruwet 1982:94f). (2-72) a. b. c. d.

Mit Opa am Steuer / als Anführer brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Wir brauchen uns mit Opa am Steuer / als Anführer keine Sorgen zu machen. *Mit Opa brauchen wir uns am Steuer / als Anführer keine Sorgen zu machen.72 *Am Steuer / *Als Anführer brauchen wir uns mit Opa keine Sorgen zu machen.

Die geschlossene Verschiebbarkeit von mit Opa am Steuer bzw. mit Opa als Anführer (vgl. 2-72a bzw. b) weist die Folge mit + NP + PP als Konstituente aus. In (2-72c) und (d) dagegen erscheinen das Syntagma mit + NP und die PP diskontinuierlich. Dies führt – unter grundsätzlicher Beibehaltung derjenigen Semantik, die in (2-72a/b) zum Ausdruck kommt – zu Ungrammatikalität. Die Folge mit + NP stellt für sich genommen, d. h. ohne die Coda, somit keine Konstituente dar. Damit ist folgende Strukturdarstellung der absoluten mit-Konstruktion ausgeschlossen: *[[mit NP] [Coda]]. Der Grund dafür könnte darin vermutet werden, dass die Codakonstituente ein Attribut zur NP darstellt. In diesem Fall sollte es sich beim Syntagma NP + Coda um eine NP-Konstituente handeln, die somit auch in den üblichen NP-Positionen auftreten kann. Dies ist aber nicht generell der Fall (2-73; vgl. die parallele Diskussion oben in Abs. 2.4.2 sowie Ruwet 1982:96). (2-73) a. b.

#Opa am Steuer hat uns durch Florenz kutschiert. #Opa am Steuer habe ich in der Stadt angetroffen (obwohl er doch keinen Führerschein mehr hat).

Opa am Steuer kann zwar grundsätzlich als NP mit PP-Attribut aufgefasst werden und so beispielsweise als Satzsubjekt (vgl. 2-73a) oder als Objekt (vgl. b) dienen. Dann ist aber keine Beziehbarkeit auf die Semantik, die in den absoluten mit-Konstruktionen in (2-72a/b) ausgedrückt wird, gegeben – vorausgesetzt, 72

* = ungrammatisch bei einer gegenüber Satz (a) im Wesentlichen gleich bleibenden Semantik.

53 dass die Sätze in (2-73) überhaupt pragmatisch sinnvoll interpretiert werden können.73 – Gegen eine Attributsanalyse spricht außerdem, dass bei Weglassung der PP in der absoluten mit-Konstruktion gewöhnlich eine weit reichende Uminterpretation des Gesamtsatzes nötig wird (2-74). (2-74) a.

Mit Opa (als Stellvertreter) können wir getrost in die Ferien fahren. Mit meiner Enkelin (an der Spitze des Unternehmens) kann ich mich getrost zur Ruhe setzen.

Bei Weglassung der Codakonstituente (als Stellvertreter bzw. an der Spitze des Unternehmens) wird eine ‹absolute› Interpretation der mit-Phrase gestört,74 und es drängt sich eine andere, und zwar am ehesten eine komitative Interpretation der mit-Phrase auf. Denotiert das Nomen der NP wie in (2-75) einen Körperteil, fällt es schwer, bei Weglassung der Coda-PP eine sinnvolle Interpretation herzustellen.75

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75

Ein Gegenbeispiel scheint in (i) vorzuliegen. (i) Opa am Steuer / als Anführer kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Hier stellt die Vorfeldkonstituente aber wohl keine NP mit präpositionalem Attribut, sondern einen SC (bestehend aus NP-Subjekt und PP-Prädikat) dar (vgl. auch Safir 1983). Was sich der Sprecher vorzustellen versucht, ist die Situation, in der Opa am Steuer sitzt oder als Anführer auftritt. Damit referiert die Vorfeldkonstituente nicht auf eine Person, sondern sie drückt eine Proposition aus, die die genannte Situation charakterisiert (vgl. dazu auch ii). (ii) Opa am Steuer / als Anführer ist ja eine lustige Vorstellung/#eine Witzfigur. Diese Auffassung wird durch die Numerusmorphologie des finiten Verbs in den entsprechenden Konstruktionen bestätigt (iii/iv; vgl. Safir 1983:732f). (iii) Unsere Großväter am Steuer eines Motorboots ist/ ?sind ja eine lustige Vorstellung. (iv) Beide Arme im Gips ist/*sind eine schreckliche Vorstellung. Auch wenn die ‹präverbale› NP im Plural steht, kann das Kopulaverb im Singular erscheinen. Eine Pluralflexion beim Verb ist demgegenüber ausgeschlossen (iv) oder zumindest markiert (iii). Dies spricht dagegen, die NP als Satzsubjekt aufzufassen. Stattdessen ist die gesamte präverbale Konstituente als SC zu analysieren; dieser SC nimmt die Funktion des Satzsubjekts wahr. Die Interpretation wird gestört oder erschwert, aber nicht vollständig blockiert. In Kap. 6 wird gezeigt, dass eine absolute Interpretation von mit-Phrasen mit ‹reiner NP-Einbettung› grundsätzlich möglich ist. Sie unterliegt aber starken pragmatischen Restriktionen, da in diesem Fall Informationen, wie sie mit einer als-Phrase (vgl. a) oder einer PP (vgl. b) als Codakonstituente vermittelt werden und die die Satzinterpretation in starkem Maße steuern, durch den pragmatischen Kontext allein beigesteuert werden müssen (vgl. auch Abs. 5.4.3 zur ‹spezifizierenden› Funktion von als-Phrasen und Lokaladverbialen in haben-Sätzen). Von den besonderen semantisch-pragmatischen Effekten, die sich im Zusammenhang mit körperteildenotierenden Ausdrücken in haben-Konstruktionen und in ab-

54 (2-75)

Mit dem Kopf #(unter der Trockenhaube) konnte sie so tun, als würde sie nichts hören.

In diesem Zusammenhang kann auch auf eine weitere Konstruktion verwiesen werden, die mit der absoluten mit-Konstruktion verwandt ist (2-76). (2-76)

[Den Kopf *(unter der Trockenhaube)], konnte sie so tun, als würde sie nichts hören.

Die geklammerte Konstituente stellt einen absoluten Akkusativ dar (vgl. dazu u. a. Dittmer 1980; Kortmann 1988; Bausewein 1990:77–79; Zifonun et al. 1997:2224–2226). Auch hier ist die PP unter der Trockenhaube nicht weglassbar; Streichung der PP führt in diesem Fall wohl gar zu Ungrammatikalität. Der Grund für die Obligatorik der PP in (2-75) und (2-76) dürfte aber in beiden Fällen derselbe sein: Die Bildung einer Proposition im Sinne von ‚Der Kopf ist unter der Trockenhaube‘ bleibt bei Fehlen der PP unvollständig. Dies wird durch eine Analyse im Sinne der oben formulierten These korrekt vorausgesagt (nicht aber durch eine Analyse, die die PP als Attribut zur NP auffasst): Die PP unter der Trockenhaube stellt in der absoluten mit-Konstruktion wie auch im absoluten Akkusativ ein Prädikat dar, die NP d- Kopf sein Argument. Damit ist gezeigt, dass folgende Struktur, die einer Attributsanalyse entspricht, für die absolute mit-Konstruktion ausgeschlossen ist: *[mit [NP [Coda]]]. Für die absolute mit-Konstruktion bleiben damit noch folgende denkbare Strukturzuweisungen als Alternativen: Eine Analyse, bei der NP und Coda eine gemeinsame, von mit eingebettete Konstituente bilden, ohne dass die Coda eine Teilkonstituente der NP darstellt (= SC-Analyse, 2-77a), sowie eine Analyse, bei der mit, NP und Coda jeweils einzelne Konstituenten einer übergeordneten Konstituente (= der gesamten absoluten mit-Konstruktion) sind (2-77b). (2-77) a. b.

[mit-P [mit] [SC [NP] [Coda]]] [mit-P [mit] [NP] [Coda]]

Die zweite Option ist aus Gründen der Theorieökonomie weniger attraktiv, da für diese Lösung ternäre Baumverzweigungen zugelassen werden müssen.76 Neben diesem theorieinternen Argument sprechen auch empirische Argumente für eine Analyse im Sinne von (2-77a), d. h. für die SC-Analyse (bei den folgenden drei Punkten orientiere ich mich an McCawley 1983:271f, der für

76

soluten mit-Konstruktionen ergeben, wird in dieser Arbeit noch vermehrt die Rede sein, vgl. v. a. Kap. 3 und 6. Eine Analyse mit ternärer Struktur der absoluten MIT-Konstruktion im Niederländischen wurde durch van Riemsdijk (1978) vorgeschlagen; vgl. dazu die Diskussion in Beukema/Hoekstra (1983) und Lundin (2003:47f).

55 die Konstituenz von NP und Coda im englischen Pendant zur absoluten mitKonstruktion argumentiert). Erstens: NP und Coda können gemeinsam als Antezedens für ein Pronomen (hier: was) dienen (2-78). (2-78)

Mit all den Ratten im Keller, was ich ja völlig vergessen hatte, können wir die Vorräte nicht mehr da unten lagern.

Zweitens kann sogenanntes ‹Right-Node-Raising› (RNR) als Evidenz angeführt werden (2-79). (2-79)

Mit, aber auch ohne Onkel Hans an der Firmenspitze mache ich mir Sorgen um die Zukunft unseres Unternehmens.

Bei RNR wird an der rechten Peripherie des letzten Konjunkts ein Syntagma realisiert, dass an der rechten Peripherie des ersten Konjunkts (allgemeiner: der nicht-letzten Konjunkte) als elidiert erscheint (vgl. Hartmann 2000:54). In diesem Sinne kann (2-79) interpretiert werden: Mit Onkel Hans an der Firmenspitze, aber auch ohne Onkel Hans an der Firmenspitze […]. Nach McCawley (1983) stellt die elidierte Wortkette in RNR-Strukturen grundsätzlich eine Konstituente dar. Demzufolge ist aus (2-79) zu schließen, dass die NP und die Coda in der absoluten mit-Konstruktion eine gemeinsame Konstituente bilden.77 Drittens kann in der absoluten mit-Konstruktion ‹unterhalb› der Präposition koordiniert werden (2-80). (2-80)

Mit [Hans am Steuer] und [diesem dicken Reiseführer in der Tasche] würde ich die Reise nach Syldavien wagen.

Geht man davon aus, dass nur solche Syntagmen koordiniert werden können, die den Status einer Konstituente besitzen (vgl. Dürscheid 2007:53), so spricht (2-80) für die Konstituenz der Wortkette NP – Coda in der absoluten mit-PP.78

77

78

Hartmann (2000:56) bestreitet allerdings, dass elidiertes Material in einer RNRStruktur zwingend eine syntaktische Konstituente bildet. Dazu führt sie u. a. das folgende Beispiel an (Hartmann 2000:57). (i) Ramona hat Peter gefragt, wann der Nikolaus endlich kommt, und Romana hat Martin gefragt, wann der Nikolaus endlich kommt. Gemäß Hartmann bilden das elidierte Partizip und der ebenfalls elidierte abhängige Fragesatz keine gemeinsame Konstituente. Diese Auffassung mag sich zwar begründen lassen; dennoch ist klar, dass die Frage der Konstituenz eines Syntagmas von der jeweils zugrunde gelegten syntaktischen Analyse des Gesamtsatzes abhängt. Im Falle von (i) sind insbesondere Annahmen über mögliche Adjunktionspositionen für extraponierte Nebensätze entscheidend für die Frage der Konstituenz des elidierten Syntagmas. Auch dieses Argument ist angreifbar, denn es scheint beispielsweise, dass die Folge Dativobjekt – Akkusativobjekt mit einer zweiten entsprechenden Phrasenfolge

56 Diese Überlegungen aus theoretischer wie empirischer Sicht sprechen insgesamt dafür, die absolute mit-Konstruktion hinsichtlich ihrer syntaktischen Struktur im Sinne von (2-77a), hier wiederholt als (2-81), zu interpretieren. (2-81)

[mit-P [mit] [SC [NP] [Coda]]]

Durch (2-81) wird die in Abs. 2.5.1 angenommene Parallelität von mit und haben bestätigt: Ebenso wie haben bettet mit – zumindest in der absoluten mitKonstruktion – einen SC ein. Unter Bezugnahme auf die Kategorie des Relators (den Dikken 2006, vgl. Abs. 2.4) ergibt sich für die absolute mit-Konstruktion die allgemeine Struktur (2-82a) (RP = Relator-Phrase); (b) zeigt eine beispielhafte ‹Füllung› dieser allgemeinen Struktur; (c) bietet den entsprechenden haben-Satz, der analog zu analysieren ist.79 (2-82) a. b. c.

mit [RP [NP] [R ∅] [Coda]] mit [RP [Subjekt den Füßen] [R ∅] [Prädikat im Wasser]] Sie hat [RP [Subjekt die Füße] [R ∅] [Prädikat im Wasser]].

Abschließend ist festzuhalten, dass mit und ohne die einzigen Präpositionen im Deutschen sind, die einen SC einbetten können (2-83; die eckigen Klammern markieren den SC). (2-83) a. b.

c.

79

Mit [dem Hund vor der Tür] konnte ich gut schlafen. (≈ ‚Wenn/Da/Weil der Hund vor der Tür war, konnte ich gut schlafen.‘) Ohne [den Hund vor der Tür] konnte ich nicht gut schlafen. (≈ ‚Wenn/Da/Weil der Hund nicht vor der Tür war, konnte ich nicht gut schlafen.‘) *Während [des Hundes vor der Tür] konnte ich gut schlafen. (Intendiert: ‚Während der Hund vor der Tür war, konnte ich gut schlafen.‘)

koordiniert werden kann. (i) Ich schenke [Erich eine CD] und [Paula einen Roman]. Ob die geklammerten Ausdrücke dabei Konstituentenstatus beanspruchen können, ist äußerst fragwürdig. Allerdings ist unklar, ob Sätze wie (i) im gegebenen Argumentationszusammenhang von Relevanz sind. Satz (i) ist wohl als ein Beispiel für Gapping einzuordnen (vgl. Hartmann 2000:Kap. 4). Dies deshalb, da (i) durch Tilgung des finiten Verbs im zweiten Konjunkt ableitbar ist (vgl. Ich schenke Erich eine CD und schenke Paula einen Roman). Gapping unterliegt bestimmten strukturellen Bedingungen (vgl. Hartmann 2000:144), deren Übertragbarkeit auf absolute Konstruktionen erst noch zu untersuchen wäre. – Vgl. im Weiteren auch die kurze Diskussion zum Koordinationstest in McCawley (1983:272). Wiederum ist anzumerken, dass nicht jede präpositionale Codakonstituente als SCPrädikat aufzufassen ist; insofern stellt die Diskussion hier eine starke Vereinfachung der Datenlage dar. Vgl. dazu Kap. 5.

57 d.

*Nach [dem Hund vor der Tür] konnte ich gut schlafen. (Intendiert: ‚Nachdem der Hund vor die Tür gegangen war, konnte ich gut schlafen‘; oder: ‚Nachdem der Hund vor der Tür gewesen war (und danach nicht mehr vor der Tür war), konnte ich gut schlafen.‘)

Diese Eigenschaft, einen SC einzubetten, macht diese beiden Präpositionen zu komplementiererartigen Elementen (vgl. den Dikken 1997:137). Es ist davon auszugehen, dass diese Eigenschaft nicht auf Gegebenheiten der Kasusrektion zurückführbar ist: Die beiden Präpositionen mit und ohne regieren unterschiedliche Kasus. Auch ermöglicht Dativrektion nicht generell die Einbettung eines SC (vgl. nach in 2-83d). Die Grundlage für die SC-Einbettung scheint eher semantischer Natur zu sein, da ohne offenkundig das negierte ‹Gegenstück› zu mit darstellt.80 In der durch (2-83) illustrierten Beschränkung unterscheidet sich das Deutsche (zusammen etwa mit dem Englischen, vgl. den Dikken 1997:137) von anderen Sprachen wie beispielsweise dem Spanischen, wo neben con ‚mit‘ und sin ‚ohne‘ auch Präpositionen mit temporaler Bedeutung den Kopf einer absoluten Konstruktion bilden können (vgl. Gunnarson 1994). Dazu sei das folgende Beispiel mit der Präposition después de ‚nach‘ angeführt (Beispiel und Glossierung aus Gunnarson 1994:126; die eckigen Klammern markieren wiederum den von der Präposition eingebetteten SC). (2-84) Instantes después de [ocurrido el accidente], todas las ambulancias se movilizaron. moments after happended the accident all the ambulances mobilized ‚Moments after the accident had happened, all the ambulances mobilized.‘

Dem Sonderstatus der Präpositionen mit und ohne im Deutschen hinsichtlich der Kategorie ihrer Komplemente wurde in der germanistischen Linguistik bisher wenig Beachtung geschenkt. Im folgenden Abs. 2.5.3 werden die Voraussagen untersucht, die sich aus der Hypothese der Parallelisierbarkeit von haben-Komplementen und mit-Komplementen in der absoluten mit-Konstruktion ergeben. Auf die Syntax und Semantik der Präposition mit komme ich im übernächsten Abschnitt zurück.

80

Ich gehe davon aus, dass ohne semantisch zu dekomponieren ist in ein Element, das die Bedeutung von mit aufweist, einerseits und einen Negationsoperator andererseits (vgl. McIntyre 2006:191). Dies ist im Hinblick auf die Analyse von habenKonstruktionen aber nicht von Bedeutung.

58 2.5.3 Scheinbare und echte Ausnahmen von der haben-mit-Parallele In diesem Abschnitt geht es darum, die oben formulierte und hier in (2-85) wiederholte Hypothese in einem ersten Schritt zu überprüfen. (2-85)

Haben als Vollverb bettet obligatorisch einen SC ein. Der SC besteht aus einem Argument (realisiert als Akkusativ-NP) und einem Prädikat. Ein SC, der von haben eingebettet wird, kann auch von mit eingebettet werden.

Die obige Einbettungshypothese bezieht sich allein auf haben in der Funktion als Vollverb (im Sinne der Festlegung in 2-11, Abs. 2.3) und macht keine entsprechende Voraussage in Bezug auf haben als Auxiliar. Auxiliares haben liegt in (2-86) vor. (2-86) a. b. c. d.

Sie hat gut geschlafen. Sie hat viele Rätsel gelöst. Sie hatte zu schlafen. Sie hatte die Rätsel zu lösen.

In (2-86a/b) wird haben als Perfektauxiliar in Kombination mit einem intransitiven bzw. einem transitiven Hauptverb verwendet. In (2-86c/d) dient haben als Modalitätsverb, d. h. als Auxiliar in Verbindung mit einem modalen Infinitiv (der hier jeweils mit denselben Hauptverben gebildet ist, wie sie in a/b erscheinen). Der Versuch, die Einbettungen von haben in (2-86) als Komplemente von mit einzufügen, führt zu klarer Ungrammatikalität, wie (2-87) zeigt.81 (2-87) a. b. c. d.

81

82

*[Mit gut geschlafen] nahm sie um sieben Uhr morgens fröhlich die Arbeit an ihrer Dissertation wieder auf. *[Mit vielen Rätseln gelöst] ruhte sie sich auf ihren Lorbeeren aus. *[Mit zu schlafen] hatte sie keine Zeit zum Schwimmen. *[Mit vielen Rätseln zu lösen] hatte sie keine Zeit zum Schlafen.82

Mit der heute verbreiteten Annahme, dass das Subjekt innerhalb der vP/VPProjektion(en) basisgeneriert bzw. verkettet wird, wären auch die Subjekte der Sätze in (2-86) als Teil der Einbettung von haben zu verstehen. Doch auch unter dieser Prämisse bleibt die Einbettung unter mit unmöglich (i–iv). (i) *[Mit ihr gut geschlafen] nahm sie um sieben Uhr fröhlich die Arbeit an ihrer Dissertation wieder auf. (ii) *[Mit ihr viele Rätsel gelöst] ruhte sie sich auf ihren Lorbeeren aus. (iii) *[Mit ihr zu schlafen] hatte sie keine Zeit zum Schwimmen. (iv) *[Mit ihr viele Rätsel zu lösen] hatte sie keine Zeit zum Schlafen. Zu Satz (d) ist Folgendes anzumerken: Der Satz ist ungrammatisch, wenn wie hier eine Analyse im Sinne der absoluten mit-Konstruktion zugrunde gelegt wird, d. h. wenn zu lösen als Prädikat zu vielen Rätseln interpretiert werden soll. Das Syntagma mit vielen Rätseln zu lösen ist jedoch auch in der Weise analysierbar, dass der zu-Infinitiv als Attribut zum Nomen Rätsel aufgefasst wird. Diese Möglichkeit

59 Damit stützt die Einbettungshypothese – sofern sie unabhängig bekräftigt werden kann – die in Abs. 2.3 vorgenommene Unterscheidung in Vollverb-haben und Hilfsverb-haben: Die beiden Instanzen von haben unterscheiden sich dann durch ein weiteres Kriterium, nämlich dadurch, ob sie in systematischer Beziehung zu (absoluten) mit-Konstruktionen stehen oder nicht. Kommen wir nun zurück zu haben als Vollverb und zu den einzelnen Formtypen, denen sich einzelne Konstruktionen mit Vollverb-haben zuordnen lassen (vgl. Abs. 2.4.1). Bisher wurden nur solche von mit eingebetteten SCs betrachtet, deren Coda von einer PP, einer Verbpartikel oder von einer als-Phrase besetzt ist. Zu überprüfen bleibt die Hypothese für SC-Einbettungen mit einem Adjektiv bzw. einem Partizip II sowie für Einbettungen mit leerer Coda (scheinbar ‹reine› NP-Einbettung). – Zunächst zur zweiten Gruppe. Zu fragen ist also, inwiefern sich beim Formtyp mit leerer Coda die von der Einbettungshypothese formulierte Parallelität von haben- und mit-Strukturen beobachten lässt. (2-88) a. b.

Sie hat ein Motorboot. [Mit einem Motorboot] …

Auf den ersten Blick scheint sich die Voraussage der Hypothese auf triviale Weise zu erfüllen: Die Präposition mit kann selbstverständlich eine NP einbetten – diese Eigenschaft ist Teil der Bestimmung des Begriffs Präposition nach gängiger Auffassung. So verstanden wäre die Einbettungshypothese in Bezug auf den Datenbereich der haben-Sätze mit leerer Coda praktisch ohne Gehalt.83 Im Wortlaut sagt die Einbettungshypothese aber das Folgende: Ein SC (und nicht eine beliebige Konstituente), der von haben eingebettet wird, kann auch von mit eingebettet werden. Dies gilt auch – und das ist an der Stelle relevant – für SCs mit stillem Prädikat (vgl. Abs. 2.4.3). Die Hypothese sagt damit voraus, dass zu jedem haben-Satz, der ein stilles SC-Prädikat beinhaltet (vgl. 2-89a), eine mit-Konstruktion existiert, deren SC-Prädikat seinerseits still ist (vgl. 2-89b). (2-89) a. b.

Sie hat [SC [Subjekt ein Motorboot] [Prädikat ∅]]. [Mit [SC [Subjekt einem Motorboot] [Prädikat ∅]]] …

Mit anderen Worten: Die Hypothese sagt die Existenz von absoluten mit-Konstruktionen voraus, die an der Oberfläche die Gestalt von reinen P-NP-Verbin-

83

ist zu erwarten, da auch die Objekt-NP von haben als Vollverb einen attributiven, modal zu interpretierenden zu-Infinitiv enthalten kann; vgl. dazu die Diskussion von Bsp. (2-18) in Abs. 2.3.2. Dies wäre zumindest in syntaktischer Hinsicht zu konstatieren. Die Postulierung einer einheitlichen semantischen Relation, die sowohl durch die Präposition mit einerseits (auch bei Einbettung einer NP allein, also nicht eines SC) und haben andererseits ausgedrückt wird, wäre ‹gehaltvoll› und nicht trivial (vgl. McIntyre 2006:188–191, der eine solche Relation für das Englische formuliert).

60 dungen aufweisen. Der Unterschied zwischen den Strukturen mit + NP und mit + SC wird in (2-90) deutlich. (2-90) a. b.

Mit [NP einem Motorboot] überquerte sie den See. Mit [SC [NP einem Motorboot] [∅]] hat sie keine Zeit mehr für ihre Familie.

In (2-90a) stellt die mit-Phrase ein Modaladverbial dar, dessen semantische Funktion wohl am ehesten als instrumental bezeichnet werden kann (vgl. die Paraphrase: ‚Sie verwendete ein Motorboot, um den See zu überqueren‘).84 Für (2-90b) dagegen ist – zumindest in einer pragmatisch leicht zugänglichen Lesart – eine Paraphrase angemessen, bei der ein Nebensatz mit haben die mit-Phrase vertritt: ‚Wenn/Da/Weil sie ein Motorboot hat, hat sie keine Zeit mehr für ihre Familie.‘ Die Art der adverbialen Relation zum Matrixsatz ist dabei unterspezifiziert (vgl. oben Abs. 2.5.1), weshalb unterschiedliche nebensatzeinleitende Konjunktionen für die Paraphrase in Frage kommen. Durch diese ‹semantische Offenheit›, was die inhaltliche Anbindung der mit-Konstruktion an den Matrixsatz betrifft, ist ein Indiz für die Auffassung gegeben, dass es sich bei der mit-Phrase in (2-90b) um eine Absolutkonstruktion handelt und die Annahme eines leeren Prädikats gerechtfertigt ist. Für eine Analyse in diesem Sinne wird in Kap. 6 eingehender argumentiert.85 Nun komme ich zum Formtyp mit adjektivischer und partizipialer Coda. (2-91) a. b.

Sie hat das Fenster offen. Sie hat den Arm verbunden.

(Coda = AP) (Coda = Partizip II)

Auf der Grundlage der obigen haben-Konstruktionen werden durch die Einbettungshypothese mit-Konstruktionen wie in (2-92) vorausgesagt. (2-92) a. b.

?? [Mit ?? [Mit

[SC dem Fenster offen]] kann ich gut schlafen. [SC dem Arm verbunden]] kann ich nicht auf die Piste.

Diese mit-Konstruktionen erscheinen als sehr fragwürdig. Kortmann (1988:70f) schließt absolute mit-Konstruktionen mit einem Adjektiv als postnominalem Prädikat für das Deutsche grundsätzlich aus und führt dazu das folgende Beispiel an (aus Kortmann 1988:70).

84

85

Zur eingeschränkten Brauchbarkeit eines solchen Paraphrasetests zur Identifizierung von Instrumentalen vgl. Pittner (1999:99). Welche präzise semantische Funktion das mit-Adverbial im Satz wahrnimmt, spielt für die Argumentation hier aber keine Rolle. Eine systematische Einordnung der in diesem Abschnitt erwähnten Typen von mitPhrasen, die sich nach syntaktischen und semantisch-funktionalen Gesichtspunkten unterscheiden lassen, findet im nächsten Unterabschnitt (Abs. 2.5.4) statt.

61 (2-93)

*Er schlich sich den Korridor entlang, mit jeder seiner Bewegungen vorsichtig …

Andererseits sind Strukturen wie in (2-92) zumindest gelegentlich belegbar, wie etwa in (2-94) (Unterstreichung M.B.). (2-94)

ich hab die box wo wir sie gekauft haben auf den boden gestellt mit der tür offen. unsere katze geht so raus und rein und hat sich schnell dran gewöhnt. (31.10.2010: http://www.katzen-album.de/forum/ftopic1523.html)

Hier erscheint eine mit-Phrase mit adjektivischer Coda nach einem satzfinalen verbalen Partizip im Nachfeld des Satzes.86 Dieser Beleg deutet darauf hin, dass absolute mit-Konstruktionen mit prädikativem Adjektiv als Codakonstituente zumindest nicht grundlegende syntaktische Strukturprinzipien des Deutschen verletzen. Dennoch ist die Marginalität der Beispiele in (2-92) aus Sicht der Einbettungshypothese unerwartet. Entscheidend für die weitere Argumentation ist nun die Beobachtung, dass die in (2-92) angestrebten Bedeutungen durch die folgenden Strukturen ausdrückbar sind. (2-95) a. b.

[Mit offenem Fenster] kann ich gut schlafen.87 [Mit verbundenem Arm] kann ich nicht auf die Piste.

Die mit-Konstruktionen in (2-95) unterscheiden sich syntaktisch von denjenigen in (2-92) in Bezug auf zwei Aspekte: Erstens steht das Adjektiv bzw. das Partizip nicht postnominal, sondern pränominal (und wird in dieser Position, wie es für pränominale Adjektive grundsätzlich der Fall ist, flektiert); zweitens braucht bei pränominaler Stellung des Adjektivs kein Artikel gesetzt zu werden. Die Artikellosigkeit ist bemerkenswert, denn bei Zählnomen wie Fenster oder Arm führt der Verzicht auf die Setzung eines Artikels in vergleichbaren syntaktischen Umgebungen normalerweise zu Ungrammatikalität, vgl. *Sie zog die Schraube mit __ kleinem Kreuzschraubenzieher an (zu Einzelheiten vgl. Abs. 3.6). – Auf der Grundlage dieser Feststellungen möchte ich hier – rein deskriptiv – folgenden Zusammenhang formulieren: Wenn haben einen SC mit einem Adjektiv oder einem Partizip II als Prädikat einbettet, so kann mit – bei

86

87

Damit stellt die mit-Phrase kein Attribut zu einem Nomen dar, obwohl semantisch ein Bezug zur NP die Box gegeben ist. Die für Absolutkonstruktionen typischen Paraphrasemöglichkeiten (vgl. Abs. 2.5.1) sind hier unangemessen: #Als / (Immer) Wenn / Weil die Tür [der Box] offen war, habe ich die Box auf den Boden gestellt. Daher ist zu vermuten, dass es sich bei der vorliegenden mit-Phrase um ein Modaladverbial mit VP-Bezug handelt (s. dazu unten Abs. 2.5.4). In Satz (a) kann neben mit auch bei als Präposition erscheinen: bei offenem Fenster. Eine generelle Ersetzbarkeit von mit durch die Präposition bei ist in absoluten Konstruktionen aber nicht gegeben; vgl. dazu auch Abs. 3.6.2.

62 entsprechender Semantik – die beiden Teilkonstituenten dieses SC in folgender Weise einbetten: Die NP erscheint syntaktisch als Komplement von mit, das Adjektiv bzw. das Partizip II als pränominales Attribut zum Nomen, wobei der Wortkette Attribut–Nomen kein Artikel vorangeht. Der Zusatz bei entsprechender Semantik bedeutet, dass in der beschriebenen syntaktischen Konfiguration das attributiv stehende Adjektiv bzw. Partizip in gleicher Weise wie im SC als Prädikat zu interpretieren ist, und die NP als sein Argument (sein Subjekt). Die Artikellosigkeit wird sich als hilfreiches Merkmal zur Identifizierung der beschriebenen Konstruktion und zur Abgrenzung gegenüber oberflächlich ähnlichen Strukturen erweisen. Die eben skizzierte Auffassung wird in Kap. 3 eingehend begründet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aufgrund der haben-Konstruktionen mit adjektivischer, partizipialer oder leerer Coda die Einbettungshypothese nicht aufgegeben werden soll. Die Hypothese erzwingt aber für habenKonstruktionen mit leerer Coda die Postulierung eines stillen Prädikats. Eine solche Annahme wird durch unabhängige Gründe zu stützen sein (vgl. Kap. 6 und Abs. 7.3.2). Durch die haben-Konstruktionen mit adjektivischer und partizipialer Coda wird die Einbettungshypothese in (2-67/2-85) falsifiziert – dem Buchstaben nach, doch nicht ihrem Geiste nach. Dieser Gedanke wird in Kap. 3 in einem optimalitätstheoretischen Modell präzisiert. Bevor dieser Abschnitt abgeschlossen werden kann, muss noch auf habenKonstruktionen hingewiesen werden, die m. E. ‹echte Ausnahmen› von der in Hypothese (2-67/2-85) formulierten Generalisierung darstellen und somit außerhalb der Reichweite dieser Hypothese liegen. Zu nennen ist insbesondere diejenige haben-Konstruktion, in deren Coda ein verbaler Infinitiv ohne zu (1. Status im Sinne Bechs 1983 [1955]) erscheint (2-96). (2-96)

Sie haben [ein Designersofa [Coda im Wohnzimmer stehen]].

Das Lokaladverbial im Wohnzimmer steht nicht zwingend in der Coda (vgl. 2-97a), weshalb der verbale Infinitiv als diejenige Konstituente der Konstruktion zu betrachten ist, die den vorliegenden Formtyp charakterisiert. Andererseits kann das Lokaladverbial auch nicht ohne Weiteres weggelassen werden (2-97b). (2-97) a. b.

Sie haben im Wohnzimmer ein Designersofa [Coda stehen]. (Coda = Inf./1. Status) *Sie haben ein Designersofa stehen.

Dieser Formtyp ist syntaktisch einer AcI-Konstruktion vergleichbar, wie sie in (2-98) vorliegt. (2-98)

Sie hören den Nachbarn singen.

Sowohl ein Designersofa in (2-97b) als auch den Nachbarn in (2-98) stellt jeweils eine Akkusativ-NP dar, die zugleich als ‹logisches Subjekt› des ver-

63 balen Infinitivs aufgefasst werden kann. Dies wird durch die Tatsache nahe gelegt, dass folgende Sätze Implikate der Sätze in (2-97a) bzw. (2-98) sind: Im Wohnzimmer steht ein Designersofa bzw. Der Nachbar singt. – Im vorliegenden Zusammenhang ist nun festzustellen, dass sich für diesen Formtyp mit Infinitiv in der Coda die Voraussagen der Einbettungshypothese nicht bestätigen. (2-99) a. b.

Sie haben [ein Designersofa im Wohnzimmer stehen]. *Mit [einem Designersofa im Wohnzimmer stehen] fühlen sie sich als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft.

Da in (2-99a) eine Akkusativ-NP (ein Designersofa) erscheint, muss haben im gegebenen Satz als Vollverb im Sinne des Kriteriums (2-11) (Abs. 2.3.1) eingeordnet werden (das intransitive Verb stehen scheidet als Akkusativregens aus). Daher ist zu erwarten, dass die geklammerte Wortkette in (2-99a) – d. h. die Objekt-NP zusammen mit der Coda88 – als Komplement der Präposition mit in einer absoluten mit-Konstruktion erscheinen kann. Dies ist nicht der Fall, wie (2-99b) verdeutlicht. Die Diskussion in Kap. 8 wird ergeben, dass die AcI-Konstruktion mit haben neben der fehlenden Parallele im Bereich der absoluten mit-Konstruktionen eine Reihe weiterer syntaktischer und semantischer Eigenschaften aufweist, die sie von den bisher thematisierten haben-Konstruktionen unterscheidet (eine solche Sondereigenschaft wurde bereits erwähnt, nämlich die quasi-obligatorische Setzung eines Lokaladverbials). In Kap. 8 wird neben dem haben-AcI noch eine weitere, eher selten begegnende haben-Konstruktion angesprochen, die zweierlei mit dem haben-AcI gemeinsam hat: Es lässt sich keine ihr entsprechende absolute mit-Konstruktion bilden, und ihre Coda ist durch eine verbale Wortform besetzt. Bei dieser Verbalform handelt es sich um den von der Partikel am eingeleiteten Infinitiv (vgl. Abs. 8.3). – In den folgenden Kapiteln der Arbeit werden vereinzelt weitere haben-Konstruktionen aufscheinen, die aufgrund ihrer besonderen syntaktischen Eigenschaften nicht von der oben formulierten Hypothese erfasst werden können, deren Zuordnung zur Gruppe der Konstruktionen mit auxiliarem haben aber ebenfalls unbefriedigend sein dürfte. Diese problematischen Konstruktionen werden in Kap. 8 noch einmal zusammenfassend genannt. Damit wird dort derjenige Datenbereich im Feld der haben-

88

Ob das Lokaladverbial zur Coda gerechnet wird oder nicht, ist hier irrelevant. Es zeigt sich, dass auch bei Auslassung (i) oder beim Versuch einer ‹Auslagerung› des Lokaladverbials aus der mit-PP (ii/iii) die Bildung einer absoluten mit-Konstruktion unmöglich bleibt. (i) *Mit einem Designersofa stehen fühlen sie sich … (ii) *Im Wohnzimmer mit einem Designersofa stehen fühlen sie sich … (iii) *Im Wohnzimmer fühlen sie sich mit einem Designersofa stehen …

64 Konstruktionen abgesteckt, der aus der Sicht meines Ansatzes ‹unfassbar› bleibt und deshalb am dringlichsten Gegenstand zukünftiger Forschung sein sollte.

2.5.4 Unterschiedliche homonyme mit-Präpositionen In diesem Abschnitt soll die Auffassung begründet werden, dass ‹die Präposition mit› eine Klasse mehrerer homonymer Listeme mit jeweils unterschiedlichen syntaktischen und semantischen Eigenschaften darstellt.89 Auf dieser Grundlage lässt sich die im letzten Abschnitt entwickelte Hypothese zur Parallelität der Einbettungen durch haben und mit weiter präzisieren: Die Einbettungshypothese ist zu beziehen auf eine spezifische Präposition unter den homonymen Präpositionen mit.90 Absolute mit-Konstruktionen zeigen Affinitäten beispielsweise zu Temporaladverbialen (vgl. die neben anderen bestehende Paraphrasemöglichkeit durch einen Temporalsatz, s. Abs. 2.5.1) oder zu Modaladverbialen, die oft in Form von mit-PPs vorliegen (vgl. Pittner 1999:92–105).91 Im Folgenden steht die 89

90

91

Dass im Folgenden unterschiedliche Verwendungsweisen von mit relativ ausführlich dargestellt werden, ist damit begründet, dass sich die im gegebenen Zusammenhang relevante mit-Konstruktion – nämlich die absolute mit-Konstruktion – oft schwer oder gar nicht aufgrund ihrer äußeren syntaktischen Form allein identifizieren lässt. Es ist Folgendes zu bedenken: 1) Bei einer mit-Konstruktion, die eine PP beinhaltet, muss jeweils sorgfältig geprüft werden, ob es sich bei der PP um ein Prädikat zur NP (in diesem Fall liegt eine Absolutkonstruktion vor) oder um ein Attribut handelt (oder aber um eine PP in einer dritten syntaktischen Funktion, vgl. Kap. 5). 2) Aufgrund der Überlegungen im letzten Abschnitt ist mit absoluten Konstruktionen zu rechnen, deren Prädikat still ist – solche Konstruktionen sind von mit-PPs abzugrenzen, in denen eine NP allein das Komplement der Präposition darstellt. 3) Ebenfalls aufgrund der oben angestellten Überlegungen ist mit Absolutkonstruktionen zu rechnen, bei denen ein adjektivisches Prädikat pränominal steht und daher u. U. nicht ohne Weiteres von einem ‹kanonischen› attributiven Adjektiv zu unterscheiden ist. Aus diesen Gründen müssen geeignete Kriterien zur Identifizierung der absoluten mit-Konstruktion bereitgestellt werden, die von der syntaktischen ‹Oberflächenform› der mit-PPs abstrahieren. Einen grundsätzlich anderen Ansatz wählt Strigin (1995), indem er eine einheitliche (und damit notgedrungen äußerst unspezifische) Semantik für die Präposition mit in allen ihren Verwendungen postuliert. Die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit, unterschiedliche Instanzen von mit auf der Grundlage syntaktischer Kriterien zu differenzieren, diskutiert Strigin nicht. Im Weiteren ist die absolute mit-Konstruktion grundsätzlich zu unterscheiden von den Satzadverbialen, womit hier – Pittner folgend – solche Adverbiale gemeint sind, «die eine Sprechereinstellung zur Proposition des Satzes ausdrücken» (Pittner 1999:108). Nach diesem terminologischen Gebrauch ist somit nicht jedes Adverbial

65 Unterscheidung der absoluten mit-Konstruktion von anderen mit-PPs in adverbialer Funktion im Zentrum. Die IdS-Grammatik bietet eine eingehende Darstellung von mit in seinen verschiedenen semantischen Funktionen (vgl. Zifonun et al. 1997:2135–2149), weshalb hier darauf Bezug genommen wird. Durch mit eingeleitete ‹Komplemente›, d. h. von Prädikatsausdrücken selegierte mit-PPs, sowie nicht-präpositionale Verwendungen von mit (vgl. Zifonun et al. 1997:2141–2146 bzw. 2146–2149) bleiben unberücksichtigt; relevant sind hier mit-Adverbiale in der Funktion von ‹Supplementen› (Zifonun et al. 1997:2135– 2141).92 Für die mit-Supplemente werden in der IdS-Grammatik vier Unterkategorien unterschieden: 1. komitativ; 2. instrumental; 3. Identifikation (ISTGebrauch); 4. Teil-Ganzes- oder Zugehörigkeitsrelation (HAT-Gebrauch). Für jede Kategorie ist in (2-100) ein Beispiel angeführt (alle Beispiele aus Zifonun et al. 1997:2135f).93 (2-100) a. b. c. d.

Hans verließ [mit Anna] die Party. (komitativ) Er aß den Fisch [mit dem Messer]. (instrumental) [Mit Müller] verließ der beste Spieler das Feld. (IST-Gebrauch) Das Auto steht [mit dem Kofferraum] über der Bordsteinkante. (HAT-Gebrauch)

Der Komitativ drückt eine koordinative Semantik aus (vgl. das Implikat von 2-100a Hans und Anna verließen die Party), darüber hinaus werden durch komitatives mit zwei Sachverhalte «zu einer Instanz integrier[t]» (Pittner 1999:102): So drückt (2-100a) nicht nur aus, dass sowohl Anna als auch Hans die Party verließen, sondern dass sie gemeinsam/zusammen weggingen. «Daher kann die Hinzufügbarkeit von zusammen als eines der Unterscheidungskriterien zur Identifikation von Komitativen herangezogen werden.» (Pittner 1999:102; vgl. Hans

92

93

mit Satzbezug – zu denen z. B. die rahmensetzend verwendeten Adverbiale gehören (vgl. oben Abs. 2.5.1) – auch ein ‹Satzadverbial›. Vgl. dazu auch die schematische Gegenüberstellung von Modal- und Satzadverbialen in Pittner (1999:109). Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf mit-Supplemente mit VP- oder Satzbezug (vgl. Zifonun et al. 1997:2096), d. h. NP-interne mit-PPs (Präpositionalattribute) bleiben hier und im weiteren Verlauf der Arbeit ausgeklammert. Dabei ist mit – möglicherweise weit reichenden – syntaktischen und semantischen Parallelen von mit-PPs in Attributfunktion und den hier thematisierten mit-PPs in Funktion von Adverbialen zu rechnen. Beispielsweise dürften auch bei attributiv verwendetem mit SC-Einbettungen auftreten, vgl. ein Mann [mit [dem Arm im Gips]] (vgl. auch McIntyre 2006:189). Zu semantischen Beschränkungen von attributiv verwendeten mit-PPs gegenüber VP- und Satzadverbialen vgl. Zifonun et al. (1997:2140). Originale Hervorhebungen in den Beispielen, die Zifonun et al. (1997) entnommen sind, werden hier und im Folgenden durch Klammerungen (statt durch Fettdruck wie im Original) ausgedrückt.

66 verließ (zusammen) mit Anna (zusammen) die Party.) Diesem Kriterium zufolge sind absolute mit-Konstruktionen keine Komitative (2-101). (2-101) a. (*Zusammen) Mit den Füßen (*zusammen) im Wasser (*zusammen) bin ich mit dem Leben versöhnt. b. (*Zusammen) Mit Monsterratten (*zusammen) vor der Haustür (*zusammen) konnte ich nicht einschlafen.

Satz (2-101b) kann dahingehend uminterpretiert werden, dass der Sprecher sich zusammen mit den Monsterratten vor der Haustür befand und dort zu schlafen versuchte: In diesem Fall liegt ein Komitativ, keine absolute Konstruktion vor.94 Für die instrumentale Verwendung von mit (2. Kategorie) schlägt die IdSGrammatik eine Paraphrase mit unter Verwendung (von) vor, vgl. zu (2-100b) ‚Er aß den Fisch unter Verwendung eines Messers.‘ Zuverlässiger im Hinblick auf die Identifizierung von Instrumentalen als ein derartiger Paraphrasentest dürfte folgende Korrelation sein: «Beim Auftreten eines Instruments muß ein Agens vorhanden oder impliziert sein.» (Pittner 1999:99; Fn. ausgelassen)95 Diese Bedingung gilt bei absoluten mit-Konstruktionen nicht, wie die Beispiele in (2-102) deutlich machen. (2-102) a. Mit den Augen voller Tränen sieht man nicht mehr klar. b. Mit einem Termitenhügel vor dem Haus könnte ich abends nicht einschlafen.

Unter pragmatisch unauffälligen Bedingungen wäre eine Interpretation, bei der die tränenvollen Augen bzw. der Termitenhügel von einem Agens zur Ausführung einer ‹Handlung› des Sehens bzw. des Einschlafens verwendet wird, höchst abwegig.96 94

95

96

Ein Problem für die Probe der Zusammen-Einsetzung ergibt sich, wenn man der IdS-Grammatik folgend auch solche temporalen bzw. modalen Lesarten dem Komitativ zuordnet, wie sie in folgenden Beispielen vorliegen. (i) [Mit dem Einbruch der Nacht] verließen wir Karthago. (ii) Wir prüfen das [mit Sorgfalt]. Hier ist eine Einsetzung von zusammen unmöglich. Entsprechend äußert sich auch Maienborn (2003:205): «Instrumentale PPs sind Prädikate über Aktivitäten»; dabei handelt es sich um «Situationen mit Agens». Ausdrückbar ist diese Bedingung für instrumentale mit-PPs in Form einer Präsupposition, die die Beteiligung eines Agens an der Situation fordert. Die Eigenschaft, zum Ausdruck von komitativer und instrumentaler Rolle auf dieselbe Präposition (oder allgemeiner: auf dasselbe formale Mittel) zurückzugreifen, ist ein besonderes Kennzeichen europäischer Sprachen bzw. der Sprachen, die Haspelmath unter der Bezeichnung Standard Average European (SAE) zusammenfasst (vgl. Haspelmath 2001:1502f). Diese Sprachgruppe zeigt nach Haspelmath eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen, durch die sie sich von anderen Sprachgruppen

67 Spezialisiert erscheint die Semantik, die im sog. IST-Gebrauch von mit zum Ausdruck kommt (3. Kategorie, vgl. 2-100c). Dabei wird «‹begleitende› Identifikation» vermittelt (Zifonun et al. 1997:2138; vgl. auch Pittner 1999:104). Das Kopfnomen in der mit-PP stellt beim IST-Gebrauch «eine Kennzeichnung oder ein[en] Eigenname[n]» dar (Zifonun et al. 1997:2138). Eine Konstruktionsvariante mit der Präposition ohne ist in dieser Kategorie ausgeschlossen: *Ohne Müller verließ der beste Spieler das Feld. Die vierte Kategorie, die die IdS-Grammatik abgrenzt, wird mit der Kurzbezeichnung ‹HAT-Gebrauch› versehen, weil dabei eine Teil-Ganzes- oder Zugehörigkeitsrelation ausgedrückt werde.97 Die Kategorie bildet eine in sich recht heterogene Klasse, wie die gleich folgenden Beispiele verdeutlichen. Die absolute mit-Konstruktion ist in diese Kategorie einzuordnen, vgl. dazu Beispiel (2-103) aus Zifonun et al. (1997:2139). (2-103)

[Mit der Gitarre in der Hand], den offenen Hut neben mir, mit meinem wahren Gesicht würde ich auf den Zug aus Rom warten.

Irrtümlicherweise erwähnen die Autoren der IdS-Grammatik nur die Lesart, bei der in der Hand als Attribut zu Gitarre aufzufassen ist (und unter der die mit-Phrase eine komitative Lesart in einem weiteren Sinne aufweist; vgl. auch Pittner 1999:103f), nicht aber die Lesart als absolute Konstruktion. Zugleich stellen sie explizit die Verwandtschaft der hier illustrierten mit-Konstruktion mit dem absoluten Akkusativ fest, der mit [den offenen Hut neben mir] vorliegt. Die Verwandtschaft besteht darin, dass sowohl mit dem absoluten Akkusativ als auch mit der absoluten mit-Konstruktion eine Proposition ausgedrückt wird (wodurch beide als satzwertig zu gelten haben) und dabei ebenfalls in beiden

97

abgrenzen lässt. Der genannte ‹Komitativ-Instrumental-Synkretismus› erweist sich im Sprachvergleich als eine Erscheinung, die in SAE-Sprachen überdurchschnittlich häufig anzutreffen ist (vgl. Stolz 1996:127–133). Mit Stolz (1996) lässt sich auch festhalten, dass dieser Synkretismus keineswegs eine universale Tendenz darstellt. Diese Tatsache stützt das gewählte Vorgehen, die verschiedenen Funktionen von mit im Deutschen zu trennen und die Präposition mit als Klasse von homonymen Lexemen mit jeweils unterschiedlichen syntaktischen und semantischen Eigenschaften zu behandeln. Dass Syntax und Semantik von haben keine direkte Parallelen aufweisen mit manchen – ja, mit den meisten – ‹Verwendungsweisen› von mit, ist somit kein Argument gegen die hier vertretene Hypothese, dass eine systematische Beziehung zwischen haben und mit besteht. Aus der Perspektive, die in meiner Arbeit eingenommen wird, ist der Begriff HATGebrauch insofern irreführend, als dass keineswegs alle Verwendungsweisen von mit, die nach Zifonun et al. dem HAT-Gebrauch zuzuordnen sind, auch eine parallele haben-Konstruktion im Sinne meiner Hypothese aufweisen.

68 Konstruktionen eine Tempusmorphologie fehlt (worin sie sich von ‹vollständigen› Sätzen unterscheiden).98 Wichtig ist es, festzuhalten, dass zu jeder absoluten mit-Konstruktion grundsätzlich eine Konstruktionsvariante mit ohne gebildet werden kann (2-104).99 (2-104) a. b. c. d.

Mit/Ohne Gitarre in der Hand käme ich mir seltsam vor. Mit/Ohne Opa am Steuer fahre ich nicht mit. Mit offenem Fenster / Ohne offenes Fenster kann ich nicht schlafen.100 Mit gebrochenem Arm / Ohne gebrochenen Arm könnte ich (nicht) mit dem Auto hinfahren.101

Wie (2-104c) und (d) zeigen, gilt die syntaktische mit-ohne-Parallelität auch bei pränominal stehendem adjektivischem bzw. partizipialem Prädikat.102 Die ohne-Konstruktion ist allerdings keineswegs zu allen mit-Konstruktionen bildbar, die gemäß IdS-Grammatik dem HAT-Gebrauch zuzuordnen sind (2-105; vgl. oben 2-100d). (2-105)

Das Auto steht mit dem Kofferraum / *ohne den Kofferraum über der Bordsteinkante.

Die Möglichkeit einer parallelen ohne-Konstruktion kann somit als Hilfe zur Abgrenzung der absoluten mit-Konstruktion gegenüber anderen Vertretern der

98

Zum absoluten Akkusativ vgl. auch oben Bsp. (2-76) in Abs. 2.5.2. Dies gilt aber beispielsweise auch bei vielen komitativen Verwendungen von mit, vgl. Hans verließ die Party mit/ohne Anna. 100 Die Struktur ist gut belegbar, vgl. (i) (Hervorhebung M.B.). (i) «Die Straße ist laut und ohne offenes Fenster geht schlafen bei mir nur mit Kopfschmerzen am nächsten Morgen, so als ob ich die Nacht mit viel Alkohol, noch mehr Zigaretten und wenig Schlaf verbracht habe.» (31.10.2010: http://blog.franziskript.de/?m=200505) Der Beleg zeigt eindrücklich die Produktivität der ohne-Variante, denn durch mit geschlossenem Fenster stünde ja ein nahe liegendes Quasi-Synonym zur Verfügung. 101 Ein Beleg dazu ist (i) (Hervorhebung M.B.). (i) «Und wenn es wirklich zum Unfall kommt, wirst du schlecht beweisen können, dass auch ohne gebrochenen Arm der Unfall unvermeidbar war.» (31.10.2010: http://www.motor-talk.de/forum/mit-gebrochener-hand-auto-fahren-t1722774.html) Zu beachten ist hier, dass bei pränominaler Stellung des Prädikats die Artikellosigkeit entscheidend ist für die Möglichkeit einer Lesart als Absolutkonstruktion, denn vgl. Beispiel (ii) aus Pittner (1999:104). (ii) Er kam mit seinem verletzten Arm/*ohne seinen verletzten Arm zur Premiere. Zur Interpretation von körperteildenotierenden Nomen in haben- und mit-Konstruktionen vgl. Kap. 3. 102 Vgl. dazu die Bemerkungen zu (2-95) in Abs. 2.5.3. 99

69 vierten Kategorie (HAT-Gebrauch) herangezogen werden. Allerdings ist der Test allein nicht stichhaltig, denn manche mit-PPs, die dem HAT-Gebrauch zuzuordnen sind und dabei keine absoluten Konstruktionen darstellen, lassen eine ohne-Variante zu (2-106) (vgl. Zifonun et al. 1997:2141). (2-106)

Er aß den Apfel immer mit dem Kernhaus / ohne das Kernhaus.

Hier lässt aber die Ersatzprobe, bei der mit durch samt ersetzt wird (2-107), eine Abgrenzung zur Absolutkonstruktion zu (vgl. wiederum Zifonun et al. 1997:2141). (2-107)

Er aß den Apfel immer samt dem Kernhaus.

Dies deshalb, da sich mit der Präposition samt keine absolute Konstruktion bilden lässt (2-108). (2-108) a. b. c. d.

*Samt Gitarre in der Hand käme ich mir seltsam vor. *Samt Opa am Steuer fahre ich nicht mit. *Samt offenem Fenster kann ich nicht schlafen. *Samt gebrochenem Arm könnte ich nicht mit dem Auto hinfahren.

Die Beispiele oben sind als Absolutkonstruktionen ungrammatisch (in diesem Sinne ist der Stern zu verstehen); sie können aber zumindest teilweise uminterpretiert werden: Insbesondere bei (2-108a) kann – ausgehend von der bereits angesprochenen komitativen Lesart ‹im weiteren Sinne› – pragmatisch relativ leicht eine Lesart erzeugt werden, bei der Gitarre semantisch als ‹Begleiter› des Subjektsreferenten dient und in der Hand dabei als spezifizierendes lokales Attribut zu verstehen ist. Die Diskussion der vier in der IdS-Grammatik vorgeschlagenen ‹Verwendungsweisen› von mit-Adverbialen in Supplementfunktion kann wie folgt resümiert werden. Die absolute mit-Konstruktion lässt sich aufgrund einer Reihe von Kriterien von anderen mit-PPs unterscheiden: 1) Der absoluten mit-Konstruktion ist das Adverb zusammen nicht hinzufügbar (was sie vom Komitativ – zumindest im engeren Sinn – unterscheidet); 2) die absolute mit-Konstruktion impliziert kein Agens (was sie vom Instrumental unterscheidet); 3) die absolute mit-Konstruktion zeigt systematische Alternanz mit einer entsprechenden (ebenfalls absolut zu interpretierenden) ohne-Konstruktion (was sie generell vom IST-Gebrauch und teilweise von anderen mit-PPs in der Kategorie des HATGebrauchs unterscheidet); 4) in der absoluten mit-Konstruktion kann mit nicht durch samt ersetzt werden (was sie vom Komitativ im engeren Sinn sowie teilweise von anderen mit-PPs in der Kategorie des HAT-Gebrauchs unterscheidet). Im Fazit lässt sich festhalten: Die Präposition mit, die den Kopf der absoluten mit-Konstruktion bildet, ist im Sinne der oben gegebenen Charakterisierung von anderen homonymen Präpositionen abgrenzbar. Ich bezeichne sie im Folgenden als mitprop, wobei ‹prop› für Proposition oder propositional steht und

70 zum Ausdruck bringen soll, dass die Komplementphrase von mitprop semantisch eine Proposition beinhaltet. Die absolute mit-Konstruktion wird unter Verwendung von mitprop gebildet, denn, wie oben gezeigt wurde, bringt die absolute mit-Konstruktion immer eine vollständige Proposition zum Ausdruck, dies unabhängig davon, ob das Komplement von mit einen SC oder ‹nur› eine NP darstellt (Letzteres im Falle eines adjektivischen oder partizipialen Prädikats, vgl. Abs. 2.5.3 und Kap. 3 bzw. Abs. 4.5.2). Zum Abschluss dieses Abschnitts möchte ich dafür argumentieren, dass mitprop nicht nur den Kopf von absoluten Konstruktionen im oben dargestellten Verständnis bildet, sondern auch als Kopf von gewissen Modaladverbialen auftreten kann. In dieser Funktion tritt die mitprop-PP nicht als Rahmensetzer auf (vgl. Abs. 2.5.1), sondern modifiziert das durch die VP des Matrixsatzes bezeichnete Geschehen. Nach Pittner (1999) sind Modaladverbiale (in nichtrahmensetzender Funktion) in «drei syntaktisch relevante Klassen» zu unterteilen, d. h. die Klassen unterscheiden sich «bezüglich Stellung und Akzentuierung» (Pittner 1999:158), worauf hier nicht im Einzelnen eingegangen wird (vgl. auch Frey 2003 zur Abgrenzung der verschiedenen Adverbialtypen). Die drei Klassen werden von Pittner als (1) prozessbezogene, als (2) ereignisinterne bzw. als (3) ereignisbezogene Modaladverbiale bezeichnet. Die dritte Gruppe ist im Hinblick auf mit-PPs nicht relevant und wird im Folgenden nicht aufgegriffen. Der Subklasse (2), den ereignisinternen Modaladverbialen, sind die mit-PPs in (2-109) zuzuordnen. Im Gegensatz zu den absoluten mit-Konstruktionen in rahmensetzender Funktion modifizieren sie das im Satz ausgedrückte Ereignis. (2-109) a. Sie fährt schon wieder [mit dem Arm im Gips] Ski. b. Sie fährt schon wieder [mit gebrochenem Arm] Ski.

In beiden Sätzen in (2-109) beinhaltet die mit-Phrase semantisch eine Proposition. Dies wird durch die Möglichkeit der Paraphrasierung der mit-Phrasen als haben-Sätze deutlich: ‚Sie hat den Arm im Gips‘ bzw. ‚Sie hat den Arm gebrochen‘.103 In (2-109a) besteht das Komplement von mit aus einem SC, dessen Prädikat von der PP im Gips gebildet wird; in (b) hingegen stellt ein Adjektiv das Prädikat dar, das pränominal zu seinem Argument realisiert wird (vgl. oben Abs. 2.5.3). Mitprop-PPs in der Funktion von ereignisinternen Modaladverbialen, wie sie in (2-109) vorliegen, sind von den mit-PPs mit instrumentaler und komitativer Semantik zu unterscheiden, die ebenfalls der Untergruppe der ereignisinternen Modaladverbiale angehören. Die unterschiedlichen Funktionen der mit-Phrasen lassen sich durch Koordinationen deutlich machen, bei denen sich zeugmatische

103

Die Paraphrase ist als zustandsdenotierend, d. h. als PHK (vgl. Kap. 4), nicht im Sinne eines Perfektsatzes zu verstehen.

71 Effekte zeigen (vgl. Pittner 1999:94). In den folgenden Beispielen wird jeweils eine mitprop-Konstruktion mit einer instrumentalen mit-Phrase koordiniert (das Ausrufezeichen steht hier für Zeugma). (2-110) a. !Sie schneidet die Wurst [mit einem Schnapsglas in der Hand] und [mit einem japanischen Messer]. b. !Sie schneidet die Wurst [mit zittriger Hand] und [mit einem japanischen Messer]. (2-111) a. !Er kam mit [offenem Hemd] und [mit einem neuen Wagen] zum Familienfest. b. !Er kam [mit einem exaltierten Hut auf dem Kopf] und [mit einem neuen Wagen] zum Familienfest.

In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die Koordination des adjektivischen Formtyps der mitprop-Konstruktion mit einer mitprop-Phrase des Typs mit PP-Prädikat nicht zeugmatisch ausfällt (2-112). (2-112)

Er kam mitprop [offenem Hemd] und [einem exaltierten Hut auf dem Kopf] zum Familienfest.

Zu beachten ist, dass offenem im ersten Konjunkt ein Prädikat zu Hemd darstellt (eine Auffassung, die in Kap. 3 eingehender begründet wird), exaltierten im zweiten Konjunkt dagegen ein Attribut; im zweiten Konjunkt stellt die PP auf dem Kopf das Prädikat zu exaltierten Hut dar. Abschließend komme ich zu mit-PPs, die der Untergruppe (1) der Modaladverbiale zuzuordnen sind. Diese können mit Pittner (1999) als prozessbezogen bezeichnet werden, da sie den vom Verb denotierten Prozess104 modifizieren. Pittner bezeichnet die prozessbezogenen Adverbiale auch als ‹Adverbiale der Art und Weise› (2-113). (2-113) a. Sie spricht [mit leiser Stimme]. b. Sie spricht [leise].

Die Ersetzbarkeit der mit-PP in (2-113a) durch ein Adjektiv (b) zeigt, dass aus semantischer Sicht das Adjektiv, nicht das Nomen, den ‹Kopf› der von mit eingebetteten Phrase bildet. Auch ist in der mit-Konstruktion das Adjektiv – anders als dies bei attributiven Adjektiven im Allgemeinen der Fall ist – nicht weglassbar (vgl. 2-114). (2-114)

104

Sie spricht mit *(leiser) Stimme.

Da nicht alle Verben Prozesse denotieren, wäre eine allgemeinere Formulierung wie die folgende wohl angemessener: Prozessbezogene Adverbiale modifizieren das Verbdenotat.

72 In dieser Hinsicht verhält sich das hier betrachtete mit-Adverbial parallel zur formal entsprechenden mit-Konstruktion in rahmensetzender Funktion (2-115a) bzw. in der Funktion als ereignisinternes Modaladverbial (2-115b; vgl. 2-109b). (2-115) a. Mit *(verstopfter) Nase klingt Heidi ganz sympathisch. b. Sie fährt schon wieder mit *(gebrochenem) Arm Ski.

Aufgrund dieser Parallele gehe ich davon aus, dass auch es sich auch bei den ‹Adverbialen der Art und Weise› vom Formtyp mit-Adjektiv-Nomen um solche PPs handelt, deren Kopf durch mitprop gebildet wird. Das bedeutet, dass auch hier zwischen dem Nomen und dem Adjektiv innerhalb der mit-PP eine Prädikationsbeziehung besteht und die von mit eingebettete Konstituente semantisch eine Proposition darstellt.105 Es ist zu vermuten, dass sich die unterschiedliche semantische Interpretation der mitprop-PP in der Funktion als ‹Adverbial der Art und Weise› (prozessbezogenes Modaladverbial), als ereignisinternes Modaladverbial bzw. als Rahmensetzer (absolute mit-Konstruktion im engeren Sinne) aus der syntaktischen Positionierung im Satz ergibt (vgl. Frey/Pittner 1998). Diese Annahme müsste im Rahmen weiterer Forschung überprüft werden – im gegebenen Rahmen sind die damit zusammenhängenden Fragen aber nicht unmittelbar relevant, weshalb sie hier nicht weiterverfolgt werden. Auf der Grundlage der in diesem Abs. 2.5 geführten Diskussion liegen hinreichende Differenzierungen im Zusammenhang mit Syntax und Semantik von mit vor – nun kann im folgenden Abschnitt die Beziehung, in der haben und mit zueinander stehen, präzisiert werden.

2.6

Hypothese und weiterführende Überlegungen

Im hier folgenden letzten Teilkapitel formuliere ich zunächst die untersuchungsleitende Hypothese in ihrer endgültigen Form (Abs. 2.6.1). In den darauf folgenden Abschnitten werden zwei Aspekte angesprochen, die im Hinblick auf die Hypothese problematisch erscheinen: erstens die Existenz gewisser Kons105

Bei mitprop-PPs in der Funktion als ‹Adverbiale der Art und Weise› scheinen nur adjektivische (und partizipiale) Prädikate möglich zu sein, Beispiele mit einer PP als Prädikat sind mir nicht bekannt. Typisch sind Verbindungen von einem Adjektiv mit Stimme oder einem lexikalisch-semantisch ähnlich gelagerten Nomen (vgl. mit lauter Stimme singen, mit klarer Diktion deklamieren); vgl. im Weiteren mit eisernem Blick fixieren. Die hier relevanten Beschränkungen wären noch zu formulieren und – in einem zweiten Schritt – zu erklären.

73 truktionen, in denen die Kopula sein und eine mit-PP gemeinsam erscheinen (Abs. 2.6.2), und zweitens die Tatsache, dass die Präposition in der absoluten mit-Konstruktion den Dativ regiert, das Verb haben hingegen den Akkusativ (Abs. 2.6.3). Abs. 2.6.4 bietet einen Ausblick auf die folgenden Kapitel der Arbeit.

2.6.1 Hypothese Aus der bisherigen Diskussion in diesem Kap. 2 ergibt sich im Resultat, dass die möglichen Komplemente von haben als Vollverb einerseits und die möglichen Komplemente von mitprop weit gehend identisch sind (auf systematische Ausnahmen wurde in Abs. 2.5.3 hingewiesen). Dieser Befund lässt sich in einfacher Weise so deuten, dass mitprop ein ‹Teil› des Verbs haben ist. Gemäß einer solchen Auffassung legt mitprop die Selektionseigenschaften von haben in Bezug auf sein Komplement fest – daraus ergeben sich die oben dokumentierten Parallelen zwischen haben und mit. Dieser Gedanke lässt sich wie folgt präzisieren: Haben als Vollverb ist dekomponierbar in (mindestens) zwei distinkte syntaktische Köpfe. Der eine Kopf ist mitprop. Er stellt den tiefer eingebetteten Kopf dar, denn er steuert die Wahl des Komplements von haben. Der zweite, syntaktisch höher stehende Kopf ist verbaler Natur und sorgt dafür, dass haben in morphosyntaktischer Hinsicht in Form von verbalen Flexionsformen in Erscheinung tritt (vgl. Abs. 2.2). Dekompositionsanalysen von HABEN sind in der generativen Forschung nicht neu. Sie können als theoretische Ausarbeitungen oder Adaptationen von Benvenistes prägnanter Formel HABEN = ‹être-à inversé› (vgl. oben Abs. 2.1) verstanden werden (vgl. den Dikken 1997:133). Benvenistes Intuition wird im Grunde immer dahingehend präzisiert, dass HABEN zu dekomponieren ist in das Kopulaverb SEIN einerseits und in einen weiteren, unterhalb von SEIN eingebetteten Kopf K andererseits; der Kopf K wird in dekompositionalen Analysen oft als präpositionales Element aufgefasst – diesen Annahmen folge ich hier.106 Im Weiteren lassen sich die dekompositionalen Analysen nach dem Kriterium, welche Konstituente des HABEN-Satzes das Komplement von K darstellt, in zwei Gruppen unterteilen. Gemäß den Arbeiten der einen Gruppe – zu der insbesondere die einflussreichen Arbeiten Freeze (1992) und Kayne (1993) sowie im Weiteren etwa Belvin/den Dikken (1997) zu zählen sind – bettet K in der zugrunde liegenden Struktur (im GB-Modell: in der D-Struktur) den Possessor

106

In Kap. 7 wird dafür argumentiert, dass sich auf semantischer Ebene korrekte Voraussagen aus einer Analyse ergeben, die das Kopulaverb sein als konstitutiven Bestandteil von haben als Vollverb auffasst.

74 (d. h. das Subjekt des HABEN-Satzes) direkt oder indirekt ein.107 In den Arbeiten, die einer zweiten Gruppe zuzurechnen sind, wird dagegen – zumindest im Hinblick auf bestimmte Sprachen – die Auffassung vertreten, dass K das Possessum (die Objekt-NP/DP) sowie gegebenenfalls weiteres Material (insbesondere die Konstituente, die ich als Codakonstituente bezeichne, aber nicht den Possessor) einbettet. Vertreter einer solchen Herangehensweise sind Harley (2002), McIntyre (2006), Avelar (2009) und Levinson (erscheint). Die in dieser Arbeit vertretene Analyse gehört ebenfalls dieser zweiten Gruppe der dekompositionalen Ansätze an und ist dabei wesentlich inspiriert durch die Arbeit von McIntyre (2006) – vgl. dort insbesondere die Dekompositionsanalyse auf S. 190f – sowie durch unpublizierte Vorarbeiten zu Levinson (erscheint) (z. B. Levinson 2004). Aufgrund der bisherigen Überlegungen gilt nun: Konstruktionen mit haben als Vollverb sind generell auf der Grundlage des allgemeinen Schemas in (2-116) zu analysieren, einer Struktur also, deren Kopf das Kopulaverb sein darstellt. SEIN'

(2-116) MITpropP

MITprop

ZP

SEIN

Bei der Schwesterkonstituente des Kopulaverbs sein handelt es sich um eine PP, deren Kopf mitprop darstellt. Die Einbettung der mitprop-Phrase durch sein unterliegt keinen besonderen Restriktionen. Ich gehe hier von der gängigen 107

Die genannten Arbeiten unterscheiden sich voneinander in ihren spezifischen Strukturannahmen für HABEN-Konstruktionen, worauf hier nicht eingegangen wird. – Analysen, die vorsehen, dass das HABEN-Subjekt als Komplement einer Präposition basisgeneriert und im Verlauf der Derivation angehoben wird, kommentiert McIntyre leicht polemisch so: «It is unclear to me if complicating the syntax in this way is worthwhile.» (McIntyre 2006:209, Fn. 3). Mit Blick auf das Deutsche ist zu sagen: Aus den Daten ergibt sich schlicht keine Evidenz dafür, dass das haben-Subjekt im Deutschen aus dem Komplement eines tiefer stehenden (präpositionalen oder auch anders geprägten) Kopfes angehoben wird, weshalb eine Analyse im Sinne von beispielsweise Freeze (1992) für das Deutsche abzulehnen ist. Als methodisches Prinzip hat m. E. zu gelten, dass die Analyse für HABEN-Konstruktionen für jede Einzelsprache aus den Daten dieser Sprache zu entwickeln ist. Selbst wenn sich HABEN universell als Inkorporationsprodukt aus SEIN und einem oder mehreren weiteren Köpfen modellieren lassen sollte, deuten die Ergebnisse der jüngeren Forschung zu HABEN m. E. darauf hin, dass – im Unterschied zur Einschätzung von Freeze (1995) – bei HABEN-Konstruktionen mit erheblicher struktureller Varianz zwischen den Einzelsprachen zu rechnen ist (vgl. u. a. Adger/Ramchand 2006, Reintges/Lipták 2006, Boneh/Sichel 2010 oder Levinson [erscheint]).

75 Annahme aus, dass das Komplement von Kopulaverben semantisch ein Prädikat darstellt. Dieses Prädikat kann von unterschiedlichen syntaktischen Kategorien realisiert werden: von einer AP (vgl. Sie ist klug.), einer NP (vgl. Sie ist Assistentin) oder einer PP (vgl. Sie ist außer sich). Die Einbettung einer solchen prädikativen PP liegt auch bei mitpropP in (2-116) vor. Das Komplement von mitprop – in (2-116) als ZP bezeichnet – ist in erster Linie semantisch zu charakterisieren: Es drückt eine Proposition aus, d. h. es ist semantisch vom Typ . Syntaktisch wird diese Proposition grundsätzlich als Relator-Phrase (RP, vgl. den Dikken 2006), d. h. als Small Clause realisiert (vgl. 2-55 in Abs. 2.4.3). Wird (2-55) in (2-116) eingefügt, ergibt sich folgende abstrakte Gesamtstruktur (2-117) (wobei XP und YP für Subjekt bzw. Prädikat des Small Clause stehen). (2-117)

SEIN'

MITpropP

RP

MITprop

XP

R'

R

YP

SEIN

Der beispielhaft gewählte Satz (dass) Oskar die Füße im Wasser hat lässt sich damit wie folgt ableiten (2-118) (ohne Berücksichtigung der verbalen Tempusund Kongruenzmorphologie im Strukturbaum). SEINP

(2-118)

SEIN'

MITpropP

RP

R'

NP2

NP1

R

MITprop

Oskar

PP

die Füße

SEIN

im Wasser hab-

76 YP, das Small-Clause-Prädikat, ist im Beispiel als PP realisiert, und XP, das Small-Clause-Subjekt, – wie dies in allen haben-Konstruktionen der Fall ist – als NP (notiert als NP2). Die gestrichelten Pfeile bezeichnen die zyklischen Bewegungen der bei der Inkorporation involvierten Köpfe R, mitprop und sein; der Inkorporationsprozess ist somit als Kopfbewegung im Sinne Bakers (1988) zu verstehen (vgl. hierzu auch Levinson [erscheint]). Als Produkt der Inkorporation resultiert der Stamm hab-. Dieser komplexe Kopf verbindet sich im weiteren Verlauf der Derivation mit der Verbalmorphologie und lizenziert so – gängigen generativen Annahmen zufolge, die hier nicht problematisiert werden sollen – das Satzsubjekt (notiert als NP1). Zusammengefasst lässt sich festhalten: Haben-Sätze im Deutschen basieren auf einer doppelten, ‹verschachtelten› Subjekt-Prädikat-Struktur: Die erste Subjekt-Prädikat-Struktur wird durch die RP gebildet. Die RP ihrerseits ist Teil eines weiteren prädikativen Ausdrucks: mitpropP (vgl. hierzu auch die tentativen Überlegungen zur Semantik in Abs. 7.1). NP1 nimmt die Subjektsfunktion dieser zweiten Prädikation wahr und stellt das Satzsubjekt dar. Wie (2-118) zeigt, wird mitprop als Kopf der Schwesterkonstituente von sein nicht selbstständig realisiert (vgl. hierzu auch den folgenden Unterabschnitt Abs. 2.6.2). Allerdings kann mitprop syntaktisch auch selbstständig, und zwar in der phonologischen Form mit, realisiert werden. Dann stellt mitprop den Kopf der absoluten mit-Konstruktion (vgl. Abs. 2.5.1) oder eines damit verwandten Modaladverbials (vgl. Abs. 2.5.4) dar. Für die beispielhaft gewählte Phrase mit den Füßen im Wasser ist von folgender syntaktischer Struktur auszugehen (2119), wobei die Kategorienbezeichnungen denen in (2-118) entsprechen.108

108

Im Unterschied zu haben-Sätzen kann in der absoluten mit-Konstruktion NP1 nicht offen realisiert werden (vgl. (*Er) Mit den Füßen im Wasser betrachtete er den Sonnenuntergang): Das Subjekt der Absolutkonstruktion muss implizit bleiben. In der generativen Literatur wird oft angenommen, dass ein implizites Subjekt zu einem Adjunkt mit prädikativer Funktion oder auch zu einem Infinitivsatz ohne Subjektanhebung als (großes) PRO in der syntaktischen Struktur erscheint (vgl. Flaate 2007:Abs. 7.3 und die dort zitierte Literatur) – eine entsprechende Anreicherung der Struktur in (2-119) wäre denkbar. Hier möchte ich allerdings keine Position für oder gegen eine bestimmte Auffassung von solchen sog. Kontrollkonstruktionen beziehen (vgl. Landau 2003 für einen ‹traditionellen› Analysezugriff bzw. Hornstein 1999, Boeckx/Hornstein 2004 et passim für ‹a movement theory of control›). Meine Analyse impliziert auch keine spezifische Auffassung davon, wie die Interpretation des impliziten Subjekts in absoluten mit-Konstruktionen zustande kommt; so sind Ansätze, die keine syntaktische Repräsentation des impliziten Subjekts in Form eines phonetisch leeren, pronominalen Elements (= PRO) vorsehen, mit der hier entwickelten parallelen Analyse von haben-Konstruktionen und absoluten mitKonstruktionen kompatibel.

77 (2-119)

MITpropP

RP

R'

NP2 R

MITprop

mit

PP

den Füßen

im Wasser

In Abs. 2.5.3 war die Existenz einer Realisierungsvariante von ZP (vgl. 2-116) in Form einer NP – neben der in (2-118) und (2-119) zugrunde gelegten Realisierung von ZP in Form einer RP – zu konstatieren. Somit gilt für (2-116): ZP = {RP, NP}. Auf die Alternation zwischen RP und NP als Komplemente von mitprop wird in Kap. 3 ausführlich eingegangen. Sie tritt dann auf, wenn es sich beim Small-Clause-Prädikat um eine adjektivische Wortform handelt, und ist, wie zu zeigen sein wird, von syntaktischen sowie pragmatischen Faktoren gesteuert. (Vgl. auch Tabelle 9:1 in Kap. 9 für eine Orientierung über die Formtypen; Konstruktionen mit adjektivischem Prädikat sind dort unter A3 aufgeführt.) Zum Abschluss dieses Abschnitts kann nun die Hypothese, die dieser Arbeit zugrunde gelegt werden soll, in ihrer endgültigen Gestalt formuliert werden (2-120). (2-120)

Hypothese (4) (Endversion) Haben als Vollverb ist in (mindestens) zwei syntaktische Köpfe K1 und K2 zu dekomponieren, wobei gilt: – K1 = sein (als Kopulaverb); – K2 = mitprop; – mitprop bildet den Kopf der Schwesterkonstituente von sein; – mitprop selegiert ein Komplement ZP, wobei ZP = {RP, NP} und vom semantischen Typ ist.

Gegenüber früheren Versionen der Hypothese (vgl. 2-29, 2-53 und 2-67/2-85) macht Hypothese (4) keine Aussage über den Kasus der unterhalb von mitprop eingebetteten NP. Diese Problematik wird unten in Abs. 2.6.3 aufgegriffen.

2.6.2 Blockierung Im Rahmen von Dekompositionsansätzen wird das Auftreten von HABEN oft so gedeutet, dass die Präposition P, die den Kopf der Schwesterkonstituente von SEIN bildet, in SEIN inkorporiert, und dass der komplexe Kopf SEIN + P als

78 Flexionsform von HABEN realisiert wird (vgl. Freeze 1992:587; Kayne 1993:3 u. a.). Inkorporation in diesem Sinne stellt die Bildung eines komplexen syntaktischen Kopfs auf der Grundlage von Kopfbewegung dar. Als solche unterliegt Inkorporation den Lokalitätsbeschränkungen, die für Kopfbewegung anzunehmen sind, insbesondere dem Head Movement Constraint (Travis 1984) – ein Prinzip, dass bei den in (2-118) angenommenen Bewegungen nicht verletzt wird. In Anlehnung an Avelar (2009:168) lässt sich die Tatsache, dass der so gebildete komplexe Kopf (gemäß Abs. 2.6.1 hier zu präzisieren als R + mitprop + sein) als HABEN (hier: eine Flexionsform von haben als Vollverb) realisiert wird, im Rahmen eines Late-Insertion-Ansatzes (d. h. im Sinne der Distribuierten Morphologie, vgl. Halle/Marantz 1993, Embick 2003) wie folgt interpretieren. In der syntaktischen Konfiguration (2-118) werden die Merkmale von R zum nächsthöheren Kopf mitprop (genauer gesagt sind dies die nicht-phonologischen Merkmale von mitprop) bewegt; diese vereinigte Merkmalsmenge wird wiederum zum nächsthöheren Kopf bewegt, wo sich die (nicht-phonologischen) Merkmale der Kopula sein befinden. Für diese vereinigte Merkmalsmenge verfügt das Lexikon über eine ‹passende› phonologische Matrix: haben (genauer gesagt: ein Paradigma von haben-Flexionsformen).109 Die Entscheidung zwischen einer solchen Lösung mit ‹später Einsetzung› der phonologischen Merkmale oder beispielsweise einer Modellierung, bei der eine voll spezifizierte haben-Flexionsform unter P eingesetzt und dann nach V bewegt wird, ist im gegebenen Zusammenhang im Grunde nicht von Bedeutung. Entscheidend ist aber die Beobachtung, dass im Deutschen – im Unterschied etwa zur Situation im brasilianischen Portugiesisch (vgl. Avelar 2009) – der Kopf mitprop nie selbstständig als phonologische Form mit realisiert werden kann, sofern er in der syntaktischen Konfiguration (2-116), d. h. als Kopf der Schwesterkonstituente von sein, erscheint. Mit anderen Worten: Eine Struktur, wie sie in (2-121a) angedeutet ist, kann nicht als (b), sondern nur als (c) realisiert werden. (2-121) a. dass er [mit-PP mitprop [SC [den Füßen] [auf dem Tisch]] sei-Kopula b. *dass er mit den Füßen auf dem Tisch ist c. dass er die Füße auf dem Tisch hat

Eine nahe liegende Intuition ist, dass der haben-Satz in (2-121a) den sein-mitSatz in (b) blockiert. Hierzu ist davon auszugehen, dass verschiedene Wortformen um die Einsetzung in eine gegebene Kopfposition konkurrieren und dabei

109

Die Wahl der Flexionsform aus dem haben-Paradigma hängt im Weiteren von Merkmalen in ‹höheren› Köpfen wie I oder T und Agr ab, was hier unberücksichtigt bleibt.

79 alle bis auf eine – die spezifischste für die jeweilige Position – ausscheiden.110 Die Blockierung von mit…ist durch hat ist damit beispielsweise der Blockierung von ‹regulären› Präteritalformen (*gebte) durch starke (und damit ‹irreguläre›) (gab) vergleichbar.111 Gegenbeispiele für die Blockierung von mit … sein durch haben scheinen in (2-122)/(2-123) vorzuliegen, denn hier kann die haben-Konstruktion (a-Sätze) bei weit gehend entsprechender Semantik durch eine Kopulakonstruktion mit sein und einer mit-PP (b-Sätze) ersetzt werden. (2-122) a. Ich hatte nur die Füße im Wasser. b. Ich war nur mit den Füßen im Wasser. (2-123) a. Oskar hat den Unterarm in der Röhre. b. Oskar ist mit dem Unterarm in der Röhre.

Die folgenden Überlegungen zeigen allerdings, dass die haben-Konstruktion und die mit (2-122b)/(2-123b) illustrierte Kopulakonstruktion strukturell nicht äquivalent sind. Zunächst ist festzustellen, dass die Kopulakonstruktion mit der mit-PP syntaktisch und semantisch gegenüber der haben-Konstruktion stark

110

111

Für eine aktuelle und kritische Diskussion verschiedener Ansätze zur Modellierung von Blockierungsphänomenen (aus Sicht der Distribuierten Morphologie) vgl. Embick/Marantz (2008). Im Unterschied zur ‹Konkurrenz› von Flexionsformen wie gab/*gebte ist die Merkmalsmenge, die haben konstituiert, auf drei Köpfe verteilt, die – zumindest während eines Teils der Derivation, nämlich ‹vor› der Inkorporation – drei distinkte syntaktische Positionen besetzen. Damit bleibt unklar, warum es in (2-121a) nicht auch möglich ist, die Merkmale der Köpfe unabhängig voneinander als mit bzw. als Flexionsform von sein an ihren jeweiligen Kopfpositionen auszubuchstabieren: In der absoluten mit-Konstruktion wird mitprop ja in Form von mit realisiert, und Entsprechendes gilt für sein in Kopulasätzen. Eine Lösung für dieses Problem bietet sich mit dem Ansatz von Hankamer/Mikkelsen (2002, 2005). Sie nehmen auf der Grundlage von Poser (1992) an, dass Wortformen mit Phrasen in Konkurrenz stehen können und Erstere dabei Letztere blockieren. Überträgt man Hankamers/ Mikkelsens Analyse der Definitheitsmarkierung in den nordgermanischen Sprachen auf haben-Konstruktionen, muss eine morphologische Regel formuliert werden, die festlegt, dass die vereinigte Merkmalsmenge der Elemente R, mitprop und sein als haben-Flexionsform realisiert wird. Durch diese morphologische Regel wird die Annahme der Bildung eines komplexen Kopfes aufgrund syntaktischer Bewegung hinfällig. Das bedeutet, dass bei einer solchen Analyse mitprop keine eigene syntaktische Phrase projiziert. – Die in diesem Kapitel erzielten Ergebnisse zur Syntax von haben ließen sich wohl ohne Substanzverlust auch in einem solch ‹lexikalistischen› Modell ausdrücken.

80 restringiert ist. So muss in der Kopulakonstruktion eine PP mit lokaler Semantik als ‹Codakonstituente› auftreten (wie im Wasser/in der Röhre in 2-122/2-123), andere Konstituenten sind ausgeschlossen (2-124a/b), und die ‹Coda› darf auch nicht fehlen (c). (2-124) a. *Sie ist mit einer Konzertpianistin als Putzfrau. (vgl. Sie hat eine Konzertpianistin als Putzfrau.) b. *Sie ist mit den Augen offen. (vgl. Sie hat die Augen offen.) c. *Sie ist mit einem Motorboot. (vgl. Sie hat ein Motorboot.)

Die Kopulakonstruktion hat zur Voraussetzung, dass zwischen dem NP-Komplement in der mit-Phrase und dem Subjekt eine Teil-Ganzes-Relation in einem engen Sinn besteht. So werden in (2-122)/(2-123) mit Füßen bzw. Unterarm Körperteile des Subjektsreferenten benannt, und in (2-125) bezeichnet Hinterrädern einen konstitutiven Teil eines Autos. (2-125)

Das Auto war mit den Hinterrädern im Schlamm.

Ist die genannte Teil-Ganzes-Relation nicht gegeben, wird die Konstruktion semantisch abweichend (2-126). (2-126) a. #Ich bin mit 1 Million auf der Bank. (vgl. Ich habe 1 Million auf der Bank.) b. #Er ist mit der ältesten Tochter im Elitegymnasium. (vgl. Er hat die älteste Tochter im Elitegymnasium.)

Mit-PPs, wie sie in (2-122b), (2-123b) und (2-125) erscheinen, werden von Eroms (1981:333) als ‹subjektzentrierte mit-Phrasen› bezeichnet. Sie stellen Adverbiale dar, die dem Kopulasatz als Adjunkte hinzugefügt wurden, d. h. sie sind grundsätzlich weglassbar. Dass bei ihrer Streichung die Semantik des Satzes teilweise erheblich verändert erscheint (vgl. 2-123b: Oskar ist #(mit dem Unterarm) in der Röhre), ist wie folgt zu erklären: Die subjektzentrierten mit-Phrasen schränken die Gültigkeit der im Kopulasatz ausgedrückten Proposition auf einen konstitutiven Teil oder einen Teilausschnitt des Denotats der Subjekt-NP ein; dieser Teil kann einen wesentlich kleineren räumlichen Bereich umfassen als das Subjektsdenotat selbst. In dieser Charakterisierung sind die subjektzentrierten mit-Phrasen den in folgenden Sätzen unterstrichenen Lokaladverbialen verwandt (vgl. Maienborn 2003:78, Fn. 12, wo auch die Beispielsätze in 2-127 entnommen sind). (2-127) a. Das Hemd war am Kragen schmutzig. b. Die Panamericana ist zwischen Santiago und Antofagasta asphaltiert.

Die Verwandtschaft zeigt sich auch daran, dass für die Adverbiale in (2-127) dieselbe semantische Teil-Ganzes-Bedingung in Relation zum Subjekt gilt, wie sie oben für die subjektzentrierten mit-Phrasen formuliert wurde. So bezeich-

81 nen die Adverbiale in (2-127a/b) und in (2-128a) einen konstitutiven Teil des Subjektsreferenten. In (2-128b) gilt dies nicht, und der Satz ist entsprechend unangemessen. (2-128) a. Oskar war im Gesicht schmutzig. b. #Oskar war am Hemdkragen schmutzig.112

Im Resultat ergibt sich, dass die diskutierten Kopulasätze, die ein mit-Adverbial beinhalten, keinen Grund darstellen, die oben entwickelte Inkorporationsanalyse aufzugeben.

2.6.3 Zum Kasus des SC-Subjekts unter mitprop Das Subjekt des SC, der das Komplement von mitprop bilden kann, erscheint im haben-Satz im Akkusativ, in der absoluten mit-Konstruktion dagegen im Dativ (vgl. den/dem Ellbogen in 2-129a/b). (2-129) a. Er hat den Ellbogen auf dem Tisch. b. Mit dem Ellbogen auf dem Tisch wirkt er nicht gerade distinguiert.

Dieser Sachverhalt soll im vorliegenden Abschnitt thematisiert werden. Zunächst zur absoluten mit-Konstruktion: Es muss davon ausgegangen werden, dass der Kasus von dem Ellbogen in (2-129b) (dem SC-Subjekt) durch die Präposition mit regiert wird.113 Damit liegt in der absoluten mit-Konstruktion eine Konfiguration vor, bei der die Kasuszuweisung/-überprüfung in Form von ECM (Exceptional Case Marking) geschieht.114 Dies deshalb, da die kasustragende NP (das SC-

112

113

114

Dass die beschriebene Restriktion für haben-Konstruktionen nicht gilt, wird durch (i) bestätigt. (i) Oskar hatte den Hemdkragen schmutzig. Zu Beschränkungen für die semantische Relation, die zwischen Subjekt- und Objekt-NP in Sätzen wie (i) besteht, vgl. Kap. 3 und Abs. 7.3.2. Jedenfalls sehe ich keine ernst zu nehmende Alternative zu dieser Annahme. Bei allen alternativen Analysemöglichkeiten müsste (1) mit in der absoluten Konstruktion nicht als Präposition, sondern als nicht-kasusregierende Partikel aufgefasst werden – vgl. Zifonun et al. (1997:2146–2149) zu den nicht-präpositionalen Verwendungsweisen von mit – und (2) geklärt werden, wie die SC-Subjekt-NP ihr Kasusmerkmal überprüft (d. h., ‹woher› sie ihren Kasus erhält). Die Tatsache, dass mit in präpositionaler Verwendung generell den Dativ regiert und die auf mit unmittelbar folgende NP in der absoluten Konstruktion im Dativ steht, wäre bei einem solchen Zugang als Zufall zu werten. Dass in absoluten mit-Konstruktionen ein Fall von ECM vorliegen muss, wird beispielsweise schon in Broekhuis/Cornips (1994:174) vermerkt. Ausgehend vom Eng-

82 Subjekt) nicht selbst das Komplement des Regens (der Präposition mit) darstellt, sondern eine Teilkonstituente des Komplements bildet. Anders gesagt: Das Kasusmerkmal des SC-Subjekts wird durch einen Merkmalsträger überprüft, der außerhalb des SC steht.115 Der auf diese Weise zu charakterisierende Abgleich des Kasusmerkmals des SC-Subjekts soll im Folgenden auf der Grundlage von Sternefeld (2006:611–615) beschrieben werden. Verallgemeinert formuliert liegt bei ECM eine syntaktische Konstellation vor, bei der «ein Kopf […] eine besondere morphologische Beziehung zum Spezifikator des Komplements dieses Kopfes unterhält» (Sternefeld 2006:611). Im vorliegenden Fall stellt mitprop den genannten Kopf und das SC-Subjekt die Spezifikatorphrase dar. Die zwischen diesen Positionen stattfindende Merkmalsüberprüfung ist nicht in der Weise lokal, wie sie im Allgemeinen angenommen wird, insbesondere deshalb, da zwischen den genannten syntaktischen Positionen eine maximale Projektion interveniert, nämlich eine RP.116 Daher muss für ECM, um mit Sternefeld (2007:611) zu sprechen, die «Checking-Domäne» erweitert werden. Sternefeld schlägt vor, eine «Domäne zu definieren, die für bestimmte Merkmale spezifisch ist» (Sternefeld 2006:615). Dazu führt Sternefeld einen besonderen Merkmalstyp ein (notiert als [↓α↓]), der von den sonst in Sternefeld (2006) üblichen ‹Stern-Merkmalen› ([*α*]) zu unterscheiden ist. Die Überprüfungsdomäne ist dann wie folgt zu definieren. (2-130) Ein Kopf A mit dem Merkmal [↓α↓] steht zu B mit dem Merkmal [α] in einer Checking-Konfiguration genau dann, wenn gilt: a. A c-kommandiert B, b. A und B sind adjazent (d. h. benachbart) (Sternefeld 2006:615)

In der absoluten Konstruktion liegt mit A=mit und B=dem Ellbogen (bezogen auf Beispiel 2-129b) eine Konfiguration wie in (2-131) vor. (2-131)

PP

Mit [↓ DAT ↓]

115 116

SC (= RP)

NP [DAT]

PP

dem Ellbogen

auf dem Tisch

lischen und Niederländischen äußern sich auch Beukema/Hoekstra (1983:546) in diesem Sinne. Eine solche Kasusmarkierung des SC-Subjekts ‹von außen›, die durch S'-Tilgung ermöglicht wird, nimmt beispielsweise schon Chomsky (1981:70, 106f, 295) an. Es sei daran erinnert, dass gemäß Abs. 2.4.3 SCs als RPs (Relator-Phrasen, nach den Dikken 2006) und damit als maximale Projektionen zu analysieren sind.

83 Die lineare Bedingung der Adjazenz (2-130b) schließt ungrammatische Abfolgen wie in (2-132) aus. (2-132)

*Mit auf dem Tisch dem Ellbogen …117

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich soweit korrekte Voraussagen ergeben für den Fall, dass mitprop syntaktisch selbstständig, d. h. als Kopf der absoluten mit-Konstruktion realisiert wird (vgl. 2-129b). Wenn allerdings mitprop gemeinsam mit dem Kopulaverb sein einen komplexen Kopf bildet, der als haben ausbuchstabiert wird, so erscheint das SC-Subjekt im Akkusativ (vgl. 2-129a). Diese Tatsache könnte als Evidenz gegen die oben entwickelte Dekompositionsanalyse gewertet werden und ist somit im Rahmen einer solchen Analyse erklärungsbedürftig. Das Problem ist lösbar, wenn man von der Annahme ausgeht, dass mitprop nicht den Dativ oder den Akkusativ, sondern einen ‹unterspezifizierten› Komplementkasus regiert. Der Akkusativ in der haben-Konstruktion und der Dativ in der absoluten mit-Konstruktion stellen dann die zwei möglichen Instantiierungen dieses Komplementkasus dar. Dieser Gedanke lässt sich in einem System präzisieren, das die einzelnen Kasus als Kombination binärer Merkmale auffasst. Ein solches System entwirft Bierwisch (1967) (vgl. Tabelle 2:2); dieses Merkmalssystem wird durch psycholinguistische Evidenz gestützt (vgl. Penke 2006:156–160). Nominativ

Akkusativ

Dativ

Genitiv

gov(erned)



+

+



obl(ique)





+

+

(Tabelle 2:2)

Akkusativ und Dativ teilen das Merkmal [+gov]. Ich gehe daher davon aus, dass das Kasusregens mitprop mit einem entsprechenden Merkmal versehen ist. Das bedeutet, dass in (2-131) das Merkmal [↓dat↓] durch [↓+gov↓] und [dat] durch [+gov] zu ersetzen ist. Die Spezifizierung von [+↓gov↓] als [Akkusativ] bzw. [Dativ] – d. h. die Hinzufügung des Merkmals [↓–obl↓] bzw. [↓+obl↓] 117

Wie in Abs. 5.4.2 gezeigt wird, gilt in der absoluten MIT-Konstruktion des Niederländischen eine solche Adjazenzbedingung nicht. Die in (2-130) gegebene Definition der ‹Checking-Konfiguration› wäre für das Niederländische in geeigneter Weise anzupassen.

84 – geschieht dann über eine allgemeine Regel, die Bezug nimmt auf die syntaktische Kategorie (Wortart) des Kasusregens. Wird mitprop selbstständig, d. h. als Präposition realisiert, so liefert die Regel den Wert [↓+obl↓], stellt mitprop dagegen einen Teil des komplexen Kopfes haben dar, so resultiert der Wert [↓–obl↓]. Dass eine solche allgemeine Regel nicht bloß Ad-hoc-Charakter hat, zeigt sich daran, dass sie korrekte Voraussagen erlaubt hinsichtlich der Kasuszuweisung ‹im unmarkierten Fall›. Der Regel zufolge stellt der Akkusativ für eine NP, die das Komplement eines Verbs darstellt, den Defaultkasus dar, und entsprechend ist der Dativ der Defaultkasus für die Komplement-NP einer Präposition. Dies entspricht gängigen Auffassungen zur Kasuszuweisung im Deutschen: Der Akkusativ stellt den strukturell zugewiesenen Objektskasus bei Verben dar,118 und der Dativ gilt bei Präpositionen als der unmarkierte Fall (vgl. Eisenberg 2004:191, Zwarts 2006:13). Das Gesagte impliziert, dass der unmarkierte Kasus jeweils ‹domänenspezifisch› zu bestimmen ist, dass also im Rektionsbereich einer Präposition ein anderer Kasus (im Deutschen der Dativ) den Default darstellt als im Rektionsbereich eines Verbs (der Akkusativ) (vgl. Zwarts 2006:14). Zusammenfassend lässt sich festhalten: mitprop hat ein unterspezifiziertes Kasusmerkmal (in Anlehnung an Sternefeld 2006 und Bierwisch 1967 dargestellt als [↓+gov↓]) abzugleichen. Wenn mitprop einen SC einbettet, geschieht der Abgleich dieses Merkmals mit einer von mitprop c-kommandierten NP in einer für ECM-Phänomene charakteristischen Weise.119

2.6.4 Ausblick Die anschließenden Kapitel 3 bis 6 befassen sich eingehender mit einzelnen Formtypen, die im Bereich der haben-Konstruktionen unterschieden werden können (vgl. oben Abs. 2.4). Von besonderem Interesse ist aus theoretischer Sicht derjenige Formtyp, bei dem das SC-Prädikat von einem Adjektiv gebildet wird, weshalb er gleich in Kap. 3 aufgegriffen wird. In Kap. 7 sind die Voraussagen der hier formulierten Hypothese, die sich für haben-Konstruktionen auf semantischer Ebene ergeben, zu diskutieren, während in Kap. 8 habenKonstruktionen zur Darstellung kommen, die außerhalb der Reichweite meiner Hypothese liegen.

118

119

Ob Verben neben dem Akkusativ auch den Dativ strukturell zuweisen können, ist umstritten. Vgl. Woolford (2006), die gegen strukturelle Dativzuweisung argumentiert, sowie Dürscheid (1999) für eine breite Diskussion der Problematik. Für einen anderen Vorschlag zur Lösung der Kasusproblematik in miteinander verwandten HABEN- und MIT-Konstruktionen s. Levinson (erscheint).

3

Der adjektivische Haben-Konfigurativ

3.1

Einleitung

In diesem Kapitel steht eine haben-Konstruktion zur Diskussion, die obligatorisch ein Adjektiv beinhaltet und durch Sätze wie in (3-1) illustriert werden kann. (3-1)

a. b. c.

Sie hat das Glas leer. Sie hatte ein Fenster offen. Er hatte die Hände schmutzig.

Die Konstruktion besteht aus einer Flexionsform von haben, einer AkkusativNP, einem Adjektiv sowie dem Satzsubjekt. Das Adjektiv zeigt die folgenden morphologischen, syntaktischen und semantischen Eigenschaften: Es ist unflektiert (und dabei grundsätzlich flektierbar); es ist der Akkusativ-NP nachgestellt; die Akkusativ-NP stellt die primäre semantische Bezugsgröße für das Adjektiv dar, denn Satz (3-1a) beispielsweise impliziert ‚das Glas ist leer‘. Der gesamte Satz lässt sich daher auch in erster Annäherung so paraphrasieren: ‚Ihr Glas ist leer.‘ Entsprechendes gilt für (3-1b/c). Dem Kernnomen der Akkusativ-NP geht oft, aber nicht immer (vgl. 3-1b) der definite Artikel voraus. In Abs. 2.4 habe ich dafür argumentiert, dass in Sätzen wie (3-1a–c) zwischen der Akkusativ-NP und dem Adjektiv eine Prädikationsbeziehung besteht, wobei das Adjektiv das Prädikat und die Akkusativ-NP sein Argument (‹sein Subjekt›) darstellt. Diese semantische Beziehung wird syntaktisch als Small Clause (SC) kodiert (3-2; vgl. 3-1a). Gemäß der Analyse nach den Dikken (2006), bei der SCs als Relator-Phrasen aufzufassen sind (vgl. Abs. 2.4.3), ist von einer Struktur auszugehen, wie sie in (3-2b) dargestellt ist. (3-2)

a. b.

[SC [Subjekt das Glas] [Prädikat leer]] hab[RP [das Glas] [R ∅] [leer]] hab-

Für die so analysierte Konstruktion wurde in Abs. 2.4.1 (in Anlehnung an die Terminologie in Hole 2002) die Bezeichnung Adjektivischer Haben-Konfigurativ (abgekürzt AHK) eingeführt. Der AHK ist noch sehr wenig erforscht.1 Nicolay (2007:233) hält explizit fest, dass ein entsprechendes Forschungsdesiderat

1

In Bezug auf eine zum AHK analoge Konstruktion im Niederländischen existiert immerhin die – schon ältere – sprachgeografische Studie von van Bree (1981). Vgl. im Weiteren die unten in Abs. 3.3 genannte Literatur.

86 bestehe.2 Daher folgt hier in einem ersten Schritt eine weit gehend beschreibend angelegte Charakterisierung des AHK (Abs. 3.2). Dabei soll der AHK mithilfe syntaktischer und semantischer Kriterien gegenüber anderen Konstruktionen abgegrenzt werden, in denen wie im AHK ein unflektiertes Adjektiv einer akkusativischen NP nachgestellt erscheint. In Abs. 3.3 werden bisherige Forschungsansätze zum AHK – vorwiegend solche, die sich auf andere Sprachen als das Deutsche beziehen – diskutiert. In Abs. 3.4 wird der Bezug zwischen haben-Konstruktionen mit adjektivischem Prädikat und solchen absoluten mit-Konstruktionen, die ihrerseits ein adjektivisches Prädikat beinhalten, hergestellt. Es wird gezeigt, dass der in Kap. 2 herausgearbeitete Zusammenhang zwischen den beiden Konstruktionstypen auch in dem Datenbereich gilt, der in diesem Kapitel im Zentrum steht. Die Ergebnisse der bis dahin geführten Diskussion werden anschließend in ein optimalitätstheoretisches Modell ‹übersetzt› (Abs. 3.5). Abs. 3.6 widmet sich vertieft den syntaktischen Besonderheiten der absoluten mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat. In Abs. 3.7 kommen schließlich AHK-artige Konstruktionen mit idiosynkratischen Eigenschaften zur Sprache. Abs. 3.8 schließt die Diskussion zum AHK ab.

3.2

Der AHK und andere Konstruktionen mit postnominalem Adjektiv

Das im AHK erscheinende Adjektiv ist der Beschreibungskategorie postnominales Adjektiv (im Sinne von Dürscheid 2002) zuzuordnen, denn es ist – topologisch gesehen – einem Nomen nachgestellt (im AHK ist dies der Kern des Akkusativ-NP). Außerdem ist das Adjektiv unflektiert, was bei den postnominalen Adjektiven im Deutschen grundsätzlich der Fall ist.3 Der AHK ist von den in (3-3) aufgeführten Konstruktionen abzugrenzen (vgl. auch Trost 2006:Kap. 17).4

2

3

4

Eine Ursache für die Forschungslücke könnte in der Fehleinschätzung liegen, der AHK ‹existiere› im Deutschen kaum oder gar nicht. So stuft Helbig (1978:37) den AHK (bei Helbig: den Formtyp ‹haben + NP + Adjektiv›) als «kaum akzeptabel» ein – eine Auffassung, von der sich aber schon Leirbukt (1981:144) distanziert und dabei die Beispiele anführt Ich habe den Bleistift griffbereit, die Sache präsent, das alles nicht mehr gegenwärtig. Von Fällen wie in Paul liest ein Buch, ein sehr interessantes (vgl. Dürscheid 2002:58, 70), in denen das postnominale Adjektiv flektiert ist, da es innerhalb einer Nominalklammer steht (mit phonetisch leerem Kernnomen als klammerschließendem Element, vgl. Trost 2007:381), wird im Folgenden abgesehen. Auf die folgenden Konstruktionstypen mit postnominalem, unflektiertem Adjektiv gehe ich hier nicht näher ein:

87 (3-3)

a. b. c. d. e.

Da hatten wir Natur pur fünf Meter vom Schlafzimmer entfernt.5 Wir haben auch Pizza vegetarisch. Sie hat jetzt eine Wohnung, hell und geräumig. (vgl. Dürscheid 2002:60) Sie hat die Schnecken roh gegessen. Sie hat den Krug leer getrunken.

Zunächst zu (3-3a). In syntaktischer Hinsicht ist für diese Konstruktion charakteristisch, dass zwischen das Adjektiv (pur) und das Bezugsnomen (Natur) keine weitere syntaktische Konstituente treten kann (3-4a), was beim AHK ohne Weiteres möglich ist (b). (3-4)

a. b.

*Da hatten wir Natur fünf Meter vom Schlafzimmer entfernt pur. Er hatte das Glas schon lange leer.

Im Weiteren ist eine prädikative Umformung des Syntagmas Nomen – postnominales Adjektiv bei Konstruktionen dieses Typs nicht angemessen (vgl. Dürscheid 2002:67), was diese Konstruktion vom AHK, allerdings auch von den Konstruktionen (3-3b–e) unterscheidet. (3-5)

a.

#Die Natur ist pur.

Mit Blick auf die Lexik stellt Dürscheid (2002:67) fest, dass die Adjektive, die in dieser Konstruktion erscheinen können, eine geschlossene Klasse bilden.

5

(i) (Er hatte) ein Röslein rot. (ii) Zoo dicht! / Medaillen ausgegangen (aus Dürscheid 2002:58) Konstruktionen wie in (i) mit einem nachgestellten, unflektierten Adjektiv, das als restriktives Attribut zu interpretieren ist, «kommen nur in poetischen, volksliedhaften Texten vor und wirken als leicht archaisierendes Stilelement» (Zifonun et al. 1997:1991). Sie werden hier daher als marginale und stilistisch markierte Erscheinung nicht weiter behandelt. Ebenfalls außer Betracht bleiben Beispiele wie in (ii), die als «typische Sparsyntax» (Dürscheid 2002:73) einzuordnen sind. Mit den AHKs, wie sie hier analysiert werden, sind die Strukturen allerdings verwandt, denn das Adjektiv (im Beispiel dicht) und das Partizip (ausgegangen) können als Prädikativum zum vorangehenden Nomen aufgefasst werden (vgl. Dürscheid 2002:73). Es liegt damit in dieser Konstruktion ein uneingebetteter Small Clause (root small clause) vor (vgl. Progovac 2006), während im AHK die Akkusativ-NP und das postnominale Adjektiv einen durch haben eingebetteten SC bilden. Aufgrund dieser Verwandtschaft ist es möglich, zumindest manche dieser ‹Sparsyntax›-SCs unter haben einzubetten, vgl. Laden dicht! / Sie haben den Laden dicht oder Akku leer? (aus Dürscheid 2002:74) / Ich habe den Akku leer (auf die gegenseitige Beziehbarkeit von eingebetteten und uneingebetteten SCs weist auch Progovac 2006:40 hin). Uneingebettete SCs sind im Deutschen nur sehr beschränkt bildbar. Neben den oben zitierten Beispielen, wie sie beispielsweise in Schlagzeilen auftreten, wären Ausrufe der Form Du Monster! (vgl. Potts/Roeper 2006:190) oder Der und arbeiten? Kandidaten für eine Analyse als uneingebettete SCs. 13.11.2010: http://www.wuzgarden.de/huhn.html

88 Entsprechendes gilt, wie im Laufe der Darstellung deutlich werden dürfte, für den AHK sicherlich nicht, wenngleich der AHK gewissen semantischen Bedingungen unterliegt, die bestimmte Klassen von Adjektiven von der Konstruktion im Deutschen ausschließen. Das gilt beispielsweise für typische Individuenprädikate, vgl.: *Er hat die Augen blau (für: ‚er hat blaue Augen, seine Augenfarbe ist blau‘); auf diese Problematik wird in Abs. 3.3 zurückzukommen sein. Wie in (3-3a) ist das Adjektiv auch in den Nomen-Adjektiv-Syntagmen in (3-3b) und (c) attributiv zu interpretieren. Eine diskontinuierliche Realisierung von Nomen und Adjektiv ist in (3-3b/c) im Gegensatz zu (a) möglich, doch wird in diesem Fall bei (b) eine Umdeutung des Adjektivs zu einem sekundären Prädikat (d. h. zu einer prädikativen Interpretation) erzwungen (vgl. Dürscheid 2002:64), vgl. Er mag Pizza am liebsten vegetarisch. In solchen Beispielen ist das Adjektiv analog zu (3-3d) zu analysieren (vgl. dazu gleich unten). Bei (3-3c) nimmt das Adjektiv die Funktion einer lockeren Apposition wahr (vgl. Dürscheid 2002:60), was sich insbesondere daran zeigt, dass das Adjektiv im Beispiel durch Kommas abgetrennt ist und in der Rede intonatorisch abgesetzt erscheint (vgl. Lawrenz 1993:61). Ohne hier auf die semantischen Bedingungen für die Absetzbarkeit von Appositionen durch Mittel der Interpunktion oder Intonation einzugehen, lässt sich festhalten, dass im AHK das Adjektiv nicht durch Kommas abgetrennt werden kann und auch nicht intonatorisch absetzbar ist – andernfalls findet eine weit reichende semantische Uminterpretation statt: #Sie hat ein Fenster, offen, gehabt. In (3-3d) (hier wiederholt als 3-6a) und (3-6b) liegen mit roh bzw. leer depiktive Prädikative mit Objektsbezug vor (vgl. u. a. Staudinger 1997:81, 84f; Dürscheid 2002:70; Duden-Grammatik 2005:800f; Flösch 2007:26; Müller (2008)). (3-6)

a. b.

Sie hat die Schnecken roh gegessen. Sie trug das Glas leer in die Küche.

Depiktive bilden eine Teilklasse der formal heterogenen Klasse der Objektsprädikate im Sinne von Pütz (1982; vgl. dort für einen Überblick und eine frühe generative Analyse); depiktive Adjektive werden manchmal auch unter der irreführenden Bezeichnung prädikatives Attribut behandelt (vgl. Bausewein 1990:244). Als semantische Charakterisierung von Depiktiven soll hier die folgende Bestimmung genügen: «Depictives say something about a state that holds for a participant of an event during the event.» (St.Müller 2008:255) In syntaktischer Hinsicht ist es wichtig, festzuhalten, dass Depiktive zu einer Bezugs-NP (= der syntaktischen Realisierung des ‹Partizipanten› im vorangehenden Zitat) in Relation stehen, wobei sie grundsätzlich nach dem Bezugsnomen erscheinen (vgl. Lötscher 1985:208). Es ist nun zu erwägen, ob das postnominale Adjektiv im AHK – beispielsweise leer in (3-7a) bzw. offen in (b) – ebenfalls als depiktives Prädikativ (mit der jeweiligen Akkusativ-NP als Bezugsphrase) zu analysieren ist.

89 (3-7)

a. b.

Er hatte das Glas schon leer. Sie hatte die Augen offen.

Für eine solche Analyse spricht zunächst, dass die Adjektive leer bzw. offen in den AHK-Konstruktionen in (3-7a) bzw. (b) jeweils ein Bezugsnomen aufweisen, diesem syntaktisch nachgestellt sind und dessen Referenten semantisch näher beschreiben, und zwar indem sie eine zeitlich beschränkt gültige Eigenschaft des Referenten ausdrücken. Dennoch ist eine Depiktiv-Analyse für den AHK nicht haltbar, da sich Adjektive, die als depiktive Prädikative fungieren, und solche, die einen konstitutiven Bestandteil des AHK bilden, in syntaktischer wie auch semantischer Hinsicht wesentlich unterscheiden. Dies wird im Folgenden anhand der Punkte (1) Weglassbarkeit, (2) syntaktische Position des Adjektivs, (3) semantische Beziehbarkeit und (4) Verschiebbarkeit von Komplementen des Adjektivs gezeigt. Zu (1) (Weglassbarkeit): Depiktive Prädikative sind weglassbar (3-8), weshalb sie in der generativen Literatur gewöhnlich als Adjunkte aufgefasst werden (vgl. z. B. Staudinger 1997:81–86; Flösch 2007:27). (3-8)

Sie trug das Glas (leer) in die Küche.

Dagegen kann im AHK das objektbezügliche Adjektiv nicht ohne Weiteres weggelassen werden (3-9). (3-9)

a. b.

Er hatte das Glas schon (leer). Sie hatte die Augen (offen).

Die Weglassung des Adjektivs führt zwar nicht zu einem ungrammatischen Satz, doch der neue Satz erzwingt eine weit reichende Uminterpretation. Eine ähnliche Uminterpretation ist in (3-8) bei Weglassung des Adjektivs nicht nötig. Dieses Phänomen lässt sich über die Beschreibung von Implikationsbeziehungen zwischen den Sätzen mit bzw. ohne Adjektiv erfassen (vgl. Zifonun et al. 1997:1828 für eine entsprechende Argumentationsweise im Zusammenhang mit der Unterscheidung verschiedener bekommen-Konstruktionen): Sie trug das Glas leer in die Küche impliziert Sie trug das Glas in die Küche (vgl. 3-8). Die Wahrheitsbedingungen des zweiten Satzes bilden somit eine echte Teilmenge der Wahrheitsbedingungen des ersten Satzes. Entsprechendes gilt nicht für die folgenden Satzpaare (vgl. 3-9a/b). (3-10) a. b.

Er hatte das Glas schon leer. Er hatte das Glas schon.

(3-11) a. b.

Sie hatte die Augen offen. Sie hatte die Augen.

90 Intuitiv scheinen der (a)- und der (b)-Satz in (3-10) bzw. (3-11) jeweils deutlich unterschiedlichen Wahrheitsbedingungen zu unterliegen, und die (a)-Sätze implizieren die (b)-Sätze nicht.6 Zu (2) (syntaktische Position des Adjektivs): Staudinger (1997:84f) hält fest, dass lexikalisches Material zwischen das objektsbezügliche Depiktiv und das Verb in der rechten Satzklammer treten kann. (3-12)

Sie hat die Flasche leer in die Küche getragen.

In (3-12) erscheint das direktionale Adverbial in die Küche zwischen dem depiktiven Adjektiv leer und dem Perfektpartizip in Endstellung. Entsprechende Beispiele mit AHK zu konstruieren, ist nicht ganz einfach, da manche typischerweise verbnah stehenden Konstituenten wie Direktionale oder Genitivobjekte in einem AHK grundsätzlich nicht erscheinen können. Im Folgenden soll daher ein Beispiel betrachtet werden, das die syntaktische Wechselwirkung von prädikativem Adjektiv und Lokaladverbial deutlich macht. (3-13) a. b. c.

… dass sie das Glas leer hatte. … dass sie das Glas leer vor sich hatte. … dass sie das Glas vor sich leer hatte.

Ausgehend von einer Lesart für (3-13a), die ungefähr als ‚Ihr Glas war leer‘ paraphrasierbar ist, kann (a) der Kategorie AHK zugeordnet werden. Steht, wie in (3-13b), ein Lokaladverbial zwischen dem Adjektiv leer und dem Verb in der rechten Satzklammer, ist die für den AHK charakteristische Lesart nicht mehr erhältlich. In diesem Fall kann leer nur noch als Depiktiv interpretiert werden und der Satz lässt sich paraphrasieren durch ‚Sie hatte das Glas vor sich, und zwar in leerem Zustand‘; eine entsprechende Lesart ist für (3-13a) im Übrigen auch möglich. Satz (3-13c) zeigt, dass bei Vertauschung der adjektivischen und der präpositionalen Phrase die AHK-Lesart wieder zugänglich wird (wobei die PP vor sich dann wohl nur als Attribut zu Glas verstanden werden kann). Im Fazit ergibt sich, dass das Adjektiv im AHK und ein depiktiv verwendetes Adjektiv unterschiedliche syntaktische Positionen besetzen: Das Adjektiv im AHK

6

Dies gilt zumindest, wenn man die salientesten Lesarten der (a)-Sätze berücksichtigt. Genau genommen sind diese Sätze aber ambig. So können beispielsweise für Satz (3-11a) pragmatische Kontexte konstruiert werden, die es erlauben, den Satz etwa wie folgt zu paraphrasieren: ‚Sie war im Besitz der Augen, die sich zu dem Zeitpunkt im offenen Zustand befanden.‘ Ein möglicher Kontext wäre ein Workshop, in dem Puppen oder Roboter gebastelt/konstruiert werden, wobei auch mit künstlichen Augen gearbeitet wird, die sich öffnen und schließen lassen. In diesem Fall gälte die Implikationsbeziehung zwischen (3-11a) und (b), und offen wäre als Depiktiv zu analysieren.

91 steht verbnäher als depiktive Adjektive (zur genaueren Charakterisierung dieser Position s. gleich unten). Zu (3) (semantische Beziehbarkeit): Depiktive können grundsätzlich auf das Subjekt oder das Objekt des Satzes Bezug nehmen. (3-14)

Katharinai hat die Professorinj nackti/j angetroffen.

Im AHK ist dagegen nur Objektbezug möglich, ein Subjektbezug ist ausgeschlossen, wie (3-15) verdeutlicht. (3-15) a.

Anna hatte die Hände schmutzig.

Pragmatisch ist in (3-15) der Bezug von schmutzig auf die NP Anna, die auf eine Person referiert, denkbar. Bei einem solchen Subjektbezug des Adjektivs findet allerdings eine deutlich erkennbare Uminterpretation des Satzes statt (bei der Hände als alienable Entitäten aufzufassen wären) – ähnlich, wie sie in den Beispielen (3-10) und (3-11) bei Weglassung des Adjektivs zu konstatieren ist. Zu (4) (Verschiebbarkeit von Komplementen des Adjektivs): Das Komplement eines depiktiv verwendeten Adjektivs kann nicht unabhängig von Adjektiv verschoben werden (vgl. Flösch 2007:26), was folgende Beispiele, in denen sicher bzw. benommen als Depiktive fungieren, zeigen. (3-16) a. b.

*Seines Erfolges hatte er sicher mit dem Bau der Brücke begonnen. (aus Flösch 2007:26) *Vom Rauch versuchte sie benommen die Tür zu erreichen.

Die Komplemente (seines Erfolges bzw. vom Rauch) der Adjektive können dabei prinzipiell durchaus getrennt vom regierenden Adjektiv stehen, so in Kopulasätzen, in denen das Adjektiv die Funktion des Hauptprädikats wahrnimmt. (3-17) a. b.

Seines Erfolges war er (sich) sicher. Vom Rauch war sie benommen.

Entscheidend ist nun, dass das Komplement eines Adjektivs, das konstitutiver Teil eines AHK ist, ohne das Adjektiv (in 3-18 frei bzw. voll) verschoben werden kann. (3-18) a. b.

Vom Schnee habe ich den Vorplatz jetzt frei. Mit allem möglichen Nippes hatte er die Kisten voll.

Hinsichtlich der Beweglichkeit ihrer Komplemente verhalten sich Adjektive im AHK somit gleich wie prädikative Adjektive im Kopulasatz, nicht wie depiktiv verwendete Adjektive. Folgt man der Annahme, dass depiktive Adjektive syntaktisch Adjunkte darstellen (vgl. Staudinger 1997:81–86), und fasst man die in (3-18) illustrierten Vorfeldbesetzungen als Ergebnis von Extraktion aus der AP auf, erklärt sich der Gegensatz zwischen (3-16) und (3-17) durch die allgemeine Annahme, dass Adjunkte Inseln für Bewegung sind (vgl. Huang 1982). (3-18)

92 stellt damit Evidenz dafür dar, dass die AP im AHK nicht in einer Adjunktposition steht, weshalb Extraktion aus der AP möglich ist (3-19; vgl. 3-18b). (3-19) a.

[Mit allem möglichen Nippes] i hatte er [SC [die Kisten] [voll ti]].

Gemäß der in Abs. 2.4 vertretenen Analyse stellt die AP im AHK ein SC-Prädikat zur Akkusativ-NP dar, wobei der gesamte SC das Komplement von haben bildet. Diese Strukturannahmen sind mit der Bewegungsanalyse in (3-19) vereinbar und werden so durch sie indirekt bestätigt. Als Fazit aus der Diskussion der Punkte (1) bis (4) ist festzuhalten, dass das Adjektiv, das Teil eines AHK ist, nicht die Funktion eines Depiktivs hat und dass daher der AHK nicht auf eine Depiktivkonstruktion reduziert werden kann. In einem letzten Schritt ist nun zu überlegen, ob der AHK mit der in (3-3e) illustrierten Konstruktion (hier wiederholt als 3-20) zu identifizieren ist. (3-20) a.

Sie hat den Krug leer getrunken.

Bei leer in (3-20) handelt es sich um ein resultatives Prädikat, denn es bezeichnet «einen Resultatszustand des von der Handlung, die das Matrixverb denotiert, betroffenen Objekts» (Staudinger 1997:73). Daher kann (3-20) ungefähr so paraphrasiert werden: ‚Sie hat aus dem Krug getrunken, und als Ergebnis davon war/ist der Krug leer.‘ In syntaktischer Hinsicht zeigen Adjektive im AHK eine Verwandtschaft zu resultativen Prädikaten. Erstens ist festzustellen, dass Adjektive mit resultativer Interpretation, anders als Depiktive, nicht grundsätzlich weglassbar sind (vgl. Duden-Grammatik 2005:801f; Flösch 2007:27). (3-21)

#Sie hat den Krug getrunken.

Durch Auslassung des resultativen Prädikats leer in (3-20) ergibt sich der pragmatisch anomale Satz (3-21). – Zweitens zeichnen sich resultative Prädikate, wiederum im Unterschied zu Depiktiven, durch ihre Verbnähe aus, d. h. sie besetzen (bei Verb-Endstellung) die verbnächste Position im Mittelfeld (vgl. Staudinger 1997:84f). Diese Position bildet zusammen mit dem Verb die «minimale Verbdomäne» (Frey/Pittner 1998:499), die oft auch als Vu bezeichnet wird (vgl. Frey/Pittner 1998:498; Pittner 1999:142). Es handelt sich dabei um das kleinste verbhaltige Syntagma, das allein vorfeldfähig ist (vgl. Frey/Pittner 1998:498f; Pittner 1999:143). Zur Verdeutlichung ist in (3-22a) ein Beispiel mit dem resultativ zu interpretierenden Prädikat leer gegeben. Bei (3-22b/c) (aus Frey/Pittner 1998:499) wird deutlich, dass das verbale Partizip nur zusammen mit dem resultativen Prädikat topikalisiert werden kann.7 7

Entsprechendes gilt für Depiktive nicht: Sie können bei Voranstellung des verbalen Partizips im Mittelfeld verbleiben (und gehören somit nicht zur minimalen Verbdomäne), vgl. Getrunken hat Otto die Milch kalt (aus Frey/Pittner 1998:499).

93 (3-22) a. b. c.

dass er den Teller leer gegessen hat. *Gegessen hat er den Teller leer. Leer gegessen hat er den Teller.

Somit bildet leer gegessen in (3-22) die minimale Verbdomäne. Das gleiche Muster ist nun beim AHK zu beobachten. (3-23) a. b.

*Gehabt hat er das Hemd offen. Offen gehabt hat er das Hemd.

Das Partizip gehabt kann nicht ohne das Adjektiv topikalisiert werden (vgl. 3-23). Das Adjektiv im AHK ist damit im selben Sinne als ‹verbnah› zu bezeichnen wie Resultativa. Im Weiteren spricht für die Position des AHK-Adjektivs in der minimalen Verbdomäne die Tatsache, dass im AHK (3-24a) – wiederum parallel zu Konstruktionen mit resultativ verwendetem Adjektiv (3-24b) – ein Satznegationselement oder ein Satzadverb nicht zwischen Adjektiv und Verb in Endstellung treten kann (vgl. Frey/Pittner 1998:498; Pittner 1999:142f). (3-24) a. b.

*dass er das Glas leer nicht/wahrscheinlich hat *dass er das Hemd offen nicht/wahrscheinlich hat

Als Fazit kann festgehalten werden: Das Adjektiv im AHK besetzt im Mittelfeld des deutschen Satzes dieselbe syntaktische Position wie resultative Prädikate.8 Im gegebenen Zusammenhang ist nun zu beobachten, dass nicht wenige Adjektive, die als resultative Prädikate auftreten (3-25a), auch als Prädikate im AHK erscheinen (3-25b). (3-25) a. b.

Sie isst die Schüssel leer / macht die Windeln voll / schaufelt den Weg frei. (vgl. Zifonun et al. 1997:1115) Sie hat die Schüssel leer / hat die Windeln voll / hat den Weg frei.

In (3-25) können die sich entsprechenden (a/b)-Sätze semantisch so in Beziehung gesetzt werden, dass der (b)-Satz einen Zustand denotiert, der als Resultat des im (a)-Satz ausgedrückten Geschehens aufgefasst werden kann. Eine Analyse des AHK (und analog dazu der haben-Konstruktionen mit PP, Adverb oder Verbpartikel als Codakonstituente) als eine Art Resultativkonstruktion deutet

8

Mit dieser Aussage soll allerdings nicht impliziert werden, dass AHK und Resultativkonstruktionen syntaktisch parallel zu analysieren sind (zu Analysen von Resultativkonstruktionen im Deutschen vgl. beispielsweise Staudinger 1997:Kap. 7 oder Rapp 1997:Abs. 3.2). Auch soll mit Übernahme des Begriffs minimale Verbdomäne nicht behauptet werden, dass die darin enthaltenen Elemente (immer) eine syntaktische Konstituente bilden. Im Falle des AHK halte ich aufgrund der Argumentation in Abs. 2.4 daran fest, dass im AHK Akkusativ-NP und Adjektiv eine syntaktische Konstituente bilden, nicht aber Adjektiv und Verb (= minimale Verbdomäne).

94 Abraham (2005:271f) an. Dabei betont er, «wie eng die Zusammenhänge zwischen haben und kriegen» seien (Abraham 2005:272), weshalb er Konstruktionen mit diesen beiden Verben einander gegenüberstellt (Beispiele in 3-26 aus Abraham 2005:271). (3-26) a. b.

Wir haben die Tür offen/zu/im Auto/dort. Wir kriegen die Türe auf/zu/ins Auto/dorthin.

In (3-26b) ist kriegen als ‚es soweit kriegen; es dazu bringen‘ zu paraphrasieren (vgl. Abraham 2005:271). Analog dazu «bietet sich auch für haben eine Paraphrase […] an, nämlich die mit ‹es so weit (gebracht) haben›: Wir haben es so weit gebracht, daß die Tür offen/zu/im Auto/dort ist» (Abraham 2005:272). Damit wird die haben-Konstruktion in (3-26a) als resultatives Pendant zur formal entsprechenden bekommen/kriegen-Konstruktion (3-26b) aufgefasst. Zur Frage, ob die resultative Interpretation Teil der Satzsemantik ist oder pragmatisch gewonnen wird, äußert sich Abraham nicht. Die folgenden Überlegungen zeigen, dass eine etwaige ‹resultative Interpretation› einer AHK-Konstruktion eine pragmatische Anreicherung darstellt, d. h. dass Resultativität nicht Teil der Semantik des AHK ist.9 Es ist festzustellen, dass durch einen haben-Satz Aktivitäten o. ä., die zur Erreichung des Zustandes, der durch den haben-Satz denotiert wird, unternommen wurden, weder impliziert noch präsupponiert werden. Dies soll anhand des Beispiels (3-27) verdeutlicht werden. (3-27)

Anna hat das Fenster offen.

Hier mag Anna (die Referentin des Subjekts im haben-Satz) das Fenster geöffnet haben. Impliziert wird dies aber nicht, da sonst folgende Fortführung widersprüchlich wäre. (3-28)

Anna hat das Fenster offen. Ihre Tochter hat es für sie geöffnet.

Auch wird durch (3-27) nicht präsupponiert, dass Anna das Fenster geöffnet hat oder auch nur, dass sie Versuche unternommen hat, es zu öffnen. Würde dies eine Präsupposition des Satzes (3-27) darstellen, müsste sie unter Negation (vgl. 3-29) erhalten bleiben (vgl. Chierchia/McConnell 2000:349f; vgl. auch McIntyre 2005:418). (3-29) 9

Anna hat das Fenster nicht offen.

Aus den oben behandelten topologischen Daten folgt freilich ebenfalls nicht, dass es sich beim Adjektiv (oder bei der PP) in der Coda einer haben-Konstruktion um ein resultatives Prädikat handeln muss. Wie bereits festgestellt erscheinen neben resultativen Prädikaten auch Konstituenten mit klar nicht-resultativer Semantik (wie prädikative Adjektive oder Nomen in Kopulasätzen) innerhalb der minimalen Verbdomäne.

95 Dies ist nicht der Fall: (3-29) ist ohne Weiteres vereinbar mit einer Äußerungssituation, in der Anna keine Versuche unternommen hat, das Fenster zu öffnen. Daher ist (3-30) nicht widersprüchlich. (3-30)

Anna hat das Fenster heute Morgen nicht offen. Sie ist noch gar nicht aufgestanden.

Aufgrund dieser Überlegungen ist davon auszugehen, dass es allein von pragmatischen Faktoren abhängt, ob der Referent des haben-Subjekts durch seine Handlungen für das Erreichen des durch den haben-Satz ausgedrückten Zustands verantwortlich ist. Bei einem Satz mit resultativem Prädikat wie Anna isst die Schüssel leer ist es hingegen so, dass der Subjektsreferent (Anna) verantwortlich ist für den Resultatszustand (die Schüssel ist leer). Somit ergibt sich: Der AHK kann semantisch nicht als Resultativkonstruktion aufgefasst werden und ist auch nicht direkt auf eine solche zu beziehen (Entsprechendes gilt für haben-Konstruktionen mit kategorial anderer CodaFüllung, z. B. einer PP als Codakonstituente).10 Die Diskussion in diesem Abschnitt hat gezeigt, dass der AHK nicht auf eine der anderen angesprochenen Konstruktionen mit postnominalem Adjektiv reduziert werden kann. Insbesondere ist festzuhalten, dass das adjektivische Prädikat des AHK weder ein depiktives noch ein resultatives Prädikat darstellt. Mit resultativen Prädikaten teilt es allerdings die syntaktische Eigenschaft der ‹maximalen Verbnähe›, d. h. es ist topologisch als Teil der minimalen Verbdomäne im Sinne von Frey/Pittner (1998) zu identifizieren.

3.3

Forschungsansätze

Wie in Abs. 3.1 erwähnt, ist der AHK im Deutschen kaum erforscht. Daher ist es angezeigt, Literatur zu verwandten Konstruktionen in anderen Sprachen heranzuziehen. Im Folgenden soll ein Konstruktionstyp betrachtet werden, der in den romanischen Sprachen verbreitet ist und zunächst durch die folgenden Beispiele aus dem Französischen illustriert werden soll (aus Furukawa 2005:17f). 10

Ebenfalls gegen eine enge Anbindung des AHK an Resultativkonstruktionen spricht die fehlende haben-Parallele zur Konstruktion, in der sich ein resultatives Prädikat auf ein Akkusativobjekt bezieht, das syntaktisch als subjektbezügliches Reflexivpronomen realisiert wird. (i) Er redet sich heiser / tanzt sich müde / isst sich schlank / arbeitet sich kaputt / läuft sich frei. (ii) *Er hat sich heiser/müde/schlank/kaputt/frei.

96 (3-31) a. b.

Elle a les yeux bleus. Elle a son mari malade.

Die Beispiele in (3-31) zeigen einen syntaktischen Aufbau, der dem AHK weit gehend entspricht: Auf das Subjekt folgt eine Flexionsform des Verbs avoir und ein postverbales Syntagma, bestehend aus einem definiten Artikel bzw. einem Possessivpronomen, einem Nomen und einem Adjektiv. Die postnominale Stellung des Adjektivs ist hier allerdings nicht aussagekräftig, da im Französischen nicht nur prädikative, sondern auch attributive Adjektive in der Regel postnominal stehen. Im Weiteren fällt der Gebrauch des definiten Artikels in (3-31a) auf. Er kann als «le marqueur de l’inaliénabilité» gelten (Hanon 1988:173) (worauf in Abs. 3.6.4 zurückzukommen sein wird) und ist kein Spezifikum der HABENKonstruktionen in den romanischen Sprachen oder im Deutschen. Vielmehr erscheint er in einer Anzahl weiterer syntaktischer Kontexte, typischerweise bei Nomen, die Körperteile bezeichnen (vgl. u. a. Hanon 1988, Vergnaud/Zubizarreta 1992, Español-Echevarría 1997, Koenig 1999, Alexiadou 2003, Guéron 2003). Ich werde in Abs. 3.3.2 dafür argumentieren, dass die Konstruktionen in (3-31) mit dem AHK zu identifizieren sind. In Abs. 3.3.3 werden die unterschiedlichen semantisch-pragmatischen Bedingungen, denen der AHK im Deutschen gegenüber dem Französischen unterliegt, thematisiert. Zu Beginn dieses Unterkapitels werden aber zunächst bestehende Analysen der interessierenden Konstruktion zur Diskussion gestellt (Abs. 3.3.1).

3.3.1 Bestehende generative Analysen Tellier (1994) analysiert avoir-Konstruktionen mit adjektivischer Coda (332a) im Französischen mithilfe einer Struktur, die im Wesentlichen an Freeze (1992) orientiert ist11 (vgl. 3-32b als D-Struktur zu 3-32a, vereinfacht nach Tellier 1994:253). (3-32) a. b.

11

Olga a sa soeur malade. … T(BE) … [SC-1/PP [SC-2 sa soeur malade] [P e] Olga]]

Freeze’ Aufsatz, der typologisch-sprachvergleichend ausgerichtet ist, hat die generative Sicht auf HABEN-Verben nachhaltig geprägt (vgl. Abs. 2.6.1). Als theoretischer Rahmen für seine Analyse dient Freeze das GB-Modell, und zwar in der Ausarbeitung von Chomsky (1986) (Barriers-Modell). Der Kerngedanke der Freeze’schen Analyse, von dem auch Tellier ausgeht, ist, dass HABEN-Konstruktionen (wie engl. Lupe has a book) übereinzelsprachlich in systematischer Weise auf Kopulasätze mit Lokaladverbial (wie The book is on the bench) zu beziehen sind, und zwar so, dass das HABEN-Subjekt (Lupe) denselben derivationellen Ursprung aufweist wie die NP innerhalb des Lokaladverbials (the bench) im Kopulasatz. Dass ein solcher Zugriff zu pauschalisierend ist, zeigt Levinson [erscheint].

97 Der ‹Kern› der Konstruktion besteht wie bei Freeze (1992) aus einem präpositionalen SC. Das Prädikat des SC besteht aus einer lokativischen Präposition als Prädikatskopf – nach den Annahmen Telliers (1994:243) phonetisch leer – und ihrem Komplement, der Possessor-DP. Eine Erweiterung gegenüber Freeze (1992) stellt die Annahme dar, dass nicht nur eine Nominalphrase, sondern auch ein SC (in 3-32b als SC-2 bezeichnet) die Funktion des Subjekts im von der Kopula eingebetteten SC (SC-1) wahrnehmen kann. Die Oberflächenform des Satzes (3-32a) ergibt sich analog zu Freeze’ Modell durch Anhebung des Possessors und Inkorporation von Pe in BE.12 Zu Telliers Ansatz soll Folgendes kritisch angemerkt werden. Es ist unklar, welche Implikationen die von Tellier vertretene Annahme hat, dass ein SC Subjekt eines anderen SC sein kann. Nach einer gängigen Auffassung von SCs (der auch in dieser Arbeit gefolgt wird, vgl. Abs. 2.4.3) stellt ein SC eine syntaktische Konstituente dar, innerhalb deren die Sättigung eines Prädikats durch einen Argumentausdruck erfolgt. Grundsätzlich Entsprechendes nimmt auch Freeze in Bezug auf die PP (die Konstituente, die in seinem Modell Possessum, Possessor und Präposition beinhaltet) an (vgl. Freeze 1992:558). In (3-32b) ist es nun ein SC (SC-2), der das Prädikat ([Pe Olga]) sättigen und in eine Proposition überführen soll. Dies ist erklärungsbedürftig, und für eine konsistente semantische (typentheoretische) Modellierung wären wohl Zusatzannahmen nötig.13 Español-Echevarría (1997) analysiert HABEN-Konstruktionen mit inalienablem Possessum (typischerweise einem Körperteilnomen) und adjektivischem Prädikat im Spanischen (3-33a), dies im Kontext einer Kopulakonstruktion mit ser ‚sein‘ (b) (Beispiele mit Glossierungen aus Español-Echevarría 1997:212). (3-33) a.

b.

12

13

Juan tiene la cara Juan has the face ‚Juan has a nice face.‘ Juan es guapo Juan is handsome ‚Juan has a nice face.‘

guapa. nice de of

cara. face

Dieselbe Analyse wendet Tellier auf avoir-Konstruktionen mit einer PP als Coda sowie auf solche mit einem Relativsatz als Coda an (vgl. Olga a sa soeur qui est malade). Für Konstruktionen mit einem inalienablen Nomen als Kern der ObjektDP (vgl. Luc a le cœur faible) legt Tellier dieselbe Struktur wie in (3-32b) zugrunde, mit dem Unterschied, dass das inalienable Nomen nach Tellier grundsätzlich als ungesättigter Ausdruck aufzufassen ist. Seine freie Argumentposition wird durch einen stillen Operator gesättigt (zu den Einzelheiten vgl. Tellier 1994:258f). Die Annahme von propositionalen SC-Subjekten ist wohl unvermeidlich, wenn man HABEN-Sätze mit nicht-leerer Coda auf der Grundlage von Strukturannahmen im Sinne von Freeze (1992) analysiert. Hierbei wird ja das HABEN-Subjekt als Prädikativum aufgefasst, weshalb Objekt-DP/NP und Codakonstituente gemeinsam die Funktion des Subjekts wahrzunehmen haben (vgl. Belvin/den Dikken 1997).

98 Satz (3-33a) entspricht der französischen Konstruktion in (3-31a). Wie dort wird das Objektnomen (hier cara) von einem definiten Artikel begleitet. Bei (3-33b) wird das Adjektiv guapo prädikativ auf denselben Subjektsreferenten wie in (a) bezogen und ist dabei syntaktisch durch eine PP erweitert, in der cara als Komplement der Präposition de ‚von‘ erscheint, diesmal ohne Artikel. In (3-33a) kongruiert das Adjektiv mit dem Possessum, in (b) mit dem Possessor. Beide Konstruktionen basieren nach Español-Echevarría auf derselben Grundstruktur (3-34) (leicht vereinfacht nach Español-Echevarría 1997:212). (3-34)

BE [D/PP-1 D/P0 [AGRP [AP nice [D/PP-2 of/the [NP [DP-possessor Juan] face]]]]]

(3-34) ist eng an Kaynes (1993) Strukturmodell für HABEN-Sätze angelehnt, insbesondere in der Annahme, dass BE eine DP mit hybridem D/P-Kopf einbettet, die alle lexikalischen Teilkonstituenten des Satzes enthält. Die nächsttiefere lexikalische Phrase im Komplement des D/P-Kopfes ist hier aber, anders als bei den von Kayne berücksichtigten Konstruktionen, eine AP. Diese wiederum bettet eine weitere hybride D/PP ein, die den Ursprung der Alternation zwischen dem definiten Artikel (3-33a) und der Präposition de (b) darstellt. Die Possessor-NP (Juan) hat ihre Basisposition im Spezifikator der NP, deren Kopf das Possessum (das Körperteilnomen) darstellt.14 Die beiden Oberflächenstrukturen in (3-33a/b) ergeben sich durch je unterschiedliche Derivationen auf der Grundlage von Struktur (3-34). Diese Derivationen sollen dabei die oben beschriebenen syntaktischen Unterschiede der beiden Konstruktionen korrekt erfassen. Die Diskussion hierzu ist im Folgenden gegenüber der Darstellung von Español-Echevarría (1997:216–219) leicht vereinfacht. Die Konstruktion in (3-33b) ergibt sich durch Anhebung der Possessor-DP Juan nach Spec, BE. Die zyklische Bewegung der DP sorgt für eine ‹Zwischenlandung› im Spezifikator der Agr-Projektion, die die AP einbettet, woraus sich die (Genus-)Kongruenz zwischen der Possessor-DP und dem Adjektiv guapo erklärt. Zur Ableitung von Struktur (3-33a) wird dagegen nicht nur die Possessor-DP, sondern die gesamte D/PP-2 (in 3-35 durch Fettdruck markiert) nach Spec, Agr angehoben. Dadurch ergibt sich Kongruenz zwischen dem Adjektiv (guap-a) und dem Possessum (cara). (3-35)

14

[DP-possessor Juan] i BE+D/P0j [D/PP-1 tj [AGRP [D/PP-2 ti la [NP cara]] AGR0 [AP guapa tD/PP-2]]]

Zu Argumenten für diese Basisposition der Possessor-DP vgl. Español-Echevarría (1997:233–235). Nach dieser Auffassung stellt der Possessor das obligatorische Argument des inalienablen (und damit nach Español-Echevarría relationalen) Possessumnomens dar. – Tellier (1994) (vgl. oben) nimmt ihrerseits an, dass ein phonetisch leerer Operator die Argumentstelle des relationalen Possessums sättigt.

99 Die Possessor-DP wird weiter nach Spec, BE angehoben, und der Kopf der D/PP1 inkorporiert nach BE. Der komplexe Kopf BE+D/P0j wird, wie in Kaynes Modell angenommen, als HABEN ausbuchstabiert. – Die Distribution der Präposition de und des definiten Artikels innerhalb der D/PP-2 erklärt sich kasustheoretisch: In der Struktur (3-33b) muss de eingesetzt werden, da andernfalls die Possessum-NP ihr Kasusmerkmal nicht abgleichen kann. In Struktur (3-33a) hingegen kann die Possessum-NP den Kasusabgleich mit tener vornehmen.15 16 Abschließend ist festzuhalten, dass die ser-Konstruktion (3-33b) gegenüber der tener-Konstruktion in (a) semantisch stark beschränkt ist, worauf hier nicht eingegangen werden soll (vgl. Español-Echevarría 1997:222–233).17 Die von Español-Echevarría vorgeschlagene Analyse verfolge ich hier nicht weiter; dies einerseits aufgrund der Tatsache, dass die oben in Kap. 2 unternommene Analyse der Daten in keiner Weise darauf hindeutet, dass die von Kayne entwickelte und von Español-Echevarría zugrunde gelegte Analyse für haben-Konstruktionen im Deutschen grundsätzlich anwendbar ist. Andererseits werfen auch die Aspekte, um die Español-Echevarría das Kayne’sche Modell erweitert, Fragen auf. So ist unklar, ob HABEN-Sätze mit präpositionaler Coda analog zu Strukturen mit adjektivischer Coda abzuleiten sind. Wenn ja, würde in (3-34) anstelle der AP eine PP erscheinen, ansonsten bliebe die zugrunde liegende Struktur gleich. Da Präpositionen im Gegensatz zu Adjektiven nie (weder im Spanischen noch im Deutschen) morphologische Kongruenz aufweisen, fehlt jede morphologische Evidenz für die Annahme einer AgrP und

15

16

17

Diese Erklärung ist nicht stichhaltig. Dass der definite Artikel in der ser-Struktur (3-33b) fehlt, impliziert, dass er zumindest in semantischer Hinsicht nicht benötigt wird. Dann fragt sich allerdings, warum er in der tener-Struktur (3-33a) nicht auch fehlen kann. Im Weiteren weist Español-Echevarría (1997:219) darauf hin, dass die gleichzeitige Realisierung sowohl der Präposition de als auch des definiten Artikels in einer Struktur deshalb ausgeschlossen sei, weil nicht zwei Elemente zugleich den D/P0 -Kopf besetzen können (vgl. dazu auch Español-Echevarría 1997:219f, Fn. 7 zu einer Struktur im Französischen, wo allerdings genau eine solche ‹Doppelbesetzung› möglich scheint: Sylvie est jolie des yeux). Das Problem kann hier nicht gelöst werden; möglicherweise könnte sich ein optimalitätstheoretischer Zugriff als geeignet erweisen, die anscheinend komplementäre Distribution von Artikel und Präposition zu erfassen. Nicht ganz klar wird, wie *Juan tiene guapo de/la cara – also eine Struktur, in der der Possessor allein angehoben wird und zugleich D/P01 in BE inkorporiert – ausgeschlossen werden kann (vgl. Español-Echevarría 1997:219, Fn. 5). Aus EspañolEchevarrías Modell folgt m. E. nicht zwingend die Inkompatibilität dieser Bewegungsoperationen. Im Weiteren soll darauf hingewiesen werden, dass Español-Echevarría (1997:236243) für Fälle mit alienabel besessenem Objektsreferenten die oben dargestellten Strukturannahmen modifiziert, worauf hier nicht eigens eingegangen werden soll.

100 damit für eine Bewegung der D/PP-2 (die gemäß den Ausführungen oben nach Spec, Agr angehoben werden soll). Unabhängig davon, ob die D/PP-2 in der beschriebenen Weise bewegt werden kann, ist zu fragen, ob überhaupt Bewegungen aus der prädikativen PP heraus stattfinden können, denn PPs müssen – zumindest im Deutschen – als weit gehend undurchlässig für Extraktionen angesehen werden. Eine Ableitung von (3-36a) aus einer zugrunde liegenden Struktur (b) (oder ähnlich) scheint daher problematisch. (3-36) a. b.

Hans hat den Fuß in der Tür. [D/PP-1 D/P0 (…) [PP in der Tür [D/PP-2 D/P0 [NP [DP-possessor Hans] Fuß]]]] sein

Auch im Hinblick auf deutsche haben-Konstruktionen mit adjektivischem Prädikat ist das Modell von Español-Echevarría unbefriedigend. Insbesondere ist die Alternanz zwischen Strukturen mit postnominalem Adjektiv (3-37a) und solchen mit pränominalem Adjektiv (b) schwer ableitbar. (3-37) a. b.

Er hat den Mund offen. Er hat einen roten Kopf.

Falls der indefinite Artikel in (3-37b) wie der definite in (a) eine Ausbuchstabierung des D/P0-2-Kopfes sein soll, ist unklar, durch welche syntaktischen Bewegungen die korrekte Konstituentenabfolge in (b) abgeleitet werden könnte und wie diese Bewegungen zu begründen wären. Falls der indefinite Artikel in (3-37b) einen anderen (wohl strukturell höher stehenden) syntaktischen Kopf instantiiert, ist die Frage, welcher das sein soll. – Die angesprochenen Probleme sollen im eigenen, unten ab Abs. 3.4 vorgestellten Ansatz in befriedigender Weise gelöst werden. Während Tellier (1994) und Español-Echevarría (1997) AHK-artige Konstruktionen in einem dekompositionalen Modell herleiten und der Possessor (das Subjekt des HABEN-Satzes) dabei aus einer unterhalb von SEIN eingebetteten Phrase extrahiert werden muss, analysieren Broekhuis/Cornips (1994) entsprechende Konstruktionen im Niederländischen ‹oberflächennäher›. Auf ihren Ansatz wird im Folgenden eingegangen. In bestimmten Varietäten des Niederländischen kann – bei prädikativem, auf die Possessum-NP bezogenem Adjektiv – der Possessor nicht nur als HABENSubjekt (vgl. 3-38a), sondern auch als Dativ-Phrase realisiert werden. In diesem Fall erscheint zijn (‚sein‘) als Kopula (vgl. 3-38b) (Beispiele aus Broekhuis/ Cornips 1994:180; regionale Varietät Heerlen).18

18

Zur Dativkonstruktion (im Vergleich mit der HABEN-Konstruktion) im Niederländischen vgl. ausführlich van Bree (1981) sowie aus generativer Perspektive Hoekstra (2004 [1996]) und Broekhuis/Cornips (1994).

101 (3-38) a. b.

Hij heeft Er hat Hem zijn Ihm sind

de handen vies.19 die Hände schmutzig. de handen vies. die Hände schmutzig.

Broekhuis/Cornips (1994:180) beziehen die durch (3-38a) und (b) illustrierten Konstruktionstypen derivationell aufeinander, indem sie argumentieren, dass es sich beim hebben-Subjekt in (3-38a) und bei der Dativ-DP in (b) um dasselbe Argument handelt. Die Konstruktion mit dativisch realisiertem Possessor ist im Deutschen (zumindest im Standarddeutschen) ausgeschlossen (3-39).20 (3-39) a. b.

*Ihm sind die Hände schmutzig. *Ihr sind die Augen offen.

Es ist unklar, warum die Beispiele in (3-39) im Deutschen ungrammatisch sind. Bei ereignisbezeichnenden verbalen Prädikaten, die den Adjektiven in (3-39) auf lexikalisch-semantischer Ebene verwandt sind, sind entsprechende Dativargumente möglich, vgl. Sie haben ihm die Hände bekleckert bzw. Er hat ihr die Augen geöffnet. Auch sind Dativphrasen in Kopulasätzen mit adjektivischem Prädikat nicht grundsätzlich ausgeschlossen, vgl. Ihm ist übel (vgl. dazu Abs. 6.4). In semantischer Hinsicht ist die Pertinenzrelation zwischen dem Referenten der Dativ-NP und dem Referenten einer weiteren Argument-NP nichts Außergewöhnliches, vgl. die eben genannten Beispiele oder Sie wusch dem alten Mann die Hände. Auch die allgemeine semantische Charakterisierung ei-

19 20

In der Quelle steht das Beispiel im Präteritum: Hij had de handen vies (‘… hatte …’). Diese Generalisierung ist dahingehend zu präzisieren, dass die Konstruktion auf prädikativ verwendete Partizipien beschränkt ist, und somit nur ‹genuine›, unabgeleitete Adjektive in der Konstruktion ausgeschlossen sind. Die folgenden Beispiele sind aus Wegener (1985:201). (i) Uns ist der Ausflug verregnet. (ii) Mir sind die Haare zerzaust. Anders als in anderen Kopulakonstruktionen mit einem Partizip II in Prädikatsfunktion wie beispielsweise in Ihm ist die Krawatte verrutscht ist für (i) und (ii) keine Perfektlesart möglich, da es sich bei verregnen bzw. zerzausen nicht um unakkusativische Verben handelt. Bei den sein-Konstruktionen in (i/ii) ist grundsätzlich der Bezug zu einer aktivischen Konstruktion möglich, in der das Dativargument ebenfalls erscheinen kann, vgl. (iii) und (iv). (iii) Es hat uns den Ausflug verregnet. (iv) Sie/Der Wind hat mir die Haare zerzaust. Offenbar kann das Partizip das Dativargument vom zugrunde liegenden Verb ‹erben› (vgl. Rapp 1997:207f).

102 nes Dativ-NP-Referenten als «potentiell sich betroffen Fühlender» (Wegener 1985:286) könnte auf die Referenten von ihm/ihr in (3-39) zutreffen. Daher wäre eine Interpretation der Dativ-Phrasen in (3-39) als Pertinenzdativ oder Dativus commodi ohne Weiteres vorstellbar (zur Semantik des adverbalen Dativs vgl. Dürscheid 1999:168–175). – Der ‹Verwandtschaftsgrad› von habenPossessoren und (adverbalen) Dativphrasen wird in Kap. 4 im Zusammenhang mit dem Dativpassiv noch einmal aufzugreifen sein.

3.3.2 HABEN-Komplemente mit adjektivischem Prädikat im Deutschen und im Französischen Anders als bei den oben diskutierten Ansätzen stellt im von mir vertretenen Ansatz das HABEN-Komplement im AHK einen SC dar, in dem eine AP die Prädikatsfunktion wahrnimmt. Hierbei folge ich Abraham (2005:272) (für das Deutsche), Hoekstra (1987:232) (für das Niederländische) und Harley (1998:216f) (für das Englische).21 Hoekstra (1987:232) weist auch auf die syntaktische Parallele zwischen der Konstruktion mit hebben ‚haben‘ und met ‚mit‘ im Niederländischen hin. An dieser Stelle ist auf die zu Beginn dieses Abschnitts 3.3 eingeführte Konstruktion aus dem Französischen zurückzukommen (3-40 = 3-31a). (3-40) a.

Elle a les yeux bleus.

Im Folgenden werde ich dafür argumentieren, dass das postverbale Syntagma les yeux bleus in (3-40) syntaktisch als Small Clause (SC) – und nicht etwa als NP – zu analysieren ist.22 Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer einheitlichen Analyse des AHK im Deutschen einerseits und der in (3-40) illustrierten Konstruktion im Französischen andererseits, für die Riegel (1997) die Bezeichnung construction attributive du verbe avoir (CAA) verwendet; vgl. dazu u. a. Moi-

21

22

Ebenfalls einen SC bilden Objekt-NP und Adjektiv in John has his/the window open in der Analyse von Déchaine et al. (1994). Dabei ist der SC allerdings in eine größere syntaktische Struktur eingebettet, und das unmittelbare Komplement von have ist eine TP (vgl. Déchaine et al. 1994:5). Auf diesen Ansatz soll hier nicht näher eingegangen werden. Dies gilt im Übrigen – bei aller Unterschiedlichkeit zum hier vertretenen Ansatz – auch für die Analyse von Tellier (1994) (vgl. oben Abs. 3.3.1). Bei Español-Echevarría (1997) hingegen bilden Possessum-NP und Adjektiv weder eine NP/DP noch einen SC, sondern gar keine gemeinsame syntaktische Konstituente (vgl. ebenfalls Abs. 3.3.1).

103 gnet (1975), Furukawa (1987, 2002, 2005), Hanon (1988), Riegel (1988, 1997) und Kupferman (2000).23 Zunächst ist festzustellen, dass in der CAA das Adjektiv syntaktisch auch vor dem definiten Artikel stehen kann (Beispiel 3-41 aus Moignet 1975:257). (3-41)

Pierre a bleus les yeux, roses les joues.

Die Abfolge der Teilkonstituenten kann also in einer Weise verändert werden, die bei Nominalphrasen unmöglich ist: Ein attributives Adjektiv kann nicht vor den Artikel der NP gestellt werden (3-42a). (3-42) a. b.

J’ai vu des yeux bleus / *J’ai vu bleus des yeux. Bleus sont les étés. (Buchtitel)

Dagegen ist ein diskontinuierliches Auftreten von einem prädikativen Adjektiv und seinem Argument nicht prinzipiell ausgeschlossen (3-42b). Diese Daten sprechen deutlich dagegen, les yeux bleus in (3-40) als Nominalphrase zu analysieren, und dafür, dem Adjektiv eine prädikative Funktion zuzuschreiben. Als zweiter Punkt sind die Eigenschaften der CAA bei Pronominalisierung des postverbalen Nomens zu betrachten (vgl. Moignet 1975:257). So kann les yeux in (3-43a) unter Ausschluss des postnominalen Adjektivs pronominalisiert werden, sodass (b) resultiert. Dies spricht dafür, dass les yeux, nicht aber les yeux bleus eine Konstituente mit nominalem Kern darstellt. (3-43) a. b. c. d.

Sylvie a les yeux bleus. Sylvie les a bleus. Sylvie a les yeux bleus de sa mère. Sylvie les a.

Im Gegensatz dazu kann in (3-43c) das gesamte postverbale Syntagma – einschließlich des postnominalen Adjektivs – durch ein Personalpronomen ersetzt werden (vgl. d). Der Datenkontrast lässt darauf schließen, dass sich die hier interessierende CAA (3-43a) syntaktisch von Fällen wie (c) unterscheidet. In (3-43c) stellt die postverbale Konstituente eine durch Attribute erweiterte NP 23

Im Französischen ist eine weitere Konstruktion zu beobachten, in der das adjektivische Prädikat mit der Präposition de im Satz angeschlossen wird (i). (i) Elle a sa fille de malade. Diese Konstruktion bleibt im Folgenden außer Betracht, insbesondere deswegen, da sie keine formale Entsprechung im Deutschen besitzt. Vgl. die Darstellung in Lagae (1998) zu diesem Konstruktionstypus sowie zu verwandten Konstruktionen mit anderen Verben neben avoir; vgl. auch Kupferman (2000) zu einigen Beschränkungen der avoir-Konstruktion mit de gegenüber derjenigen ohne de. Zu einer entsprechenden Absolutkonstruktion mit avec (vgl. Avec trois guides de malades, le voyage a été une véritable catastrophe) vgl. Lagae 1998:98–100.

104 dar. Eine entsprechende Analyse scheint dagegen für (3-43a) nicht angemessen. Hier steht das postnominale Adjektiv außerhalb der (nur aus les yeux bestehenden) NP. Zusammenfassend ergibt sich: Die obigen Überlegungen sprechen dafür, das postnominale Adjektiv in der CAA als Prädikativum, nicht als Attribut zum Nomen aufzufassen. Da das Adjektiv bleu ein einstelliges Prädikat darstellt und in den CAA-Beispielen oben über die Objekt-NP les yeux prädiziert, bildet es semantisch mit dieser eine vollständige Proposition. Zu diesem Schluss kommt auch Furukawa (vgl. Furukawa 2002:133f, 2005:21f). Allerdings bezweifelt Furukawa die strukturelle Assimilierbarkeit von (3-43b) an (a) (Furukawa 2002:135f; 2005:23–25). Er weist darauf hin, dass das Pronomen les nicht nur NPs mit definitem Artikel wie les yeux (vgl. 3-43a), sondern auch formal andersartige NPs, beispielsweise solche mit Possessivpronomen (ses yeux), vertreten könne. Als Beleg führt er u. a. folgendes Beispiel an (aus Furukawa 2002:135; Hervorhebungen von Furukawa). (3-44)

Jamais ses yeux ne furent plus beau. – Et elle les a superbes, s’écria Julien.

‹Paradox› («paradoxal») sei in (3-44), dass anstelle des Pronomens im zweiten Satz dieses Beispiels die ‹volle› Nominalphrase mit dem Possessivpronomen ses yeux (wie es ja als Antezedens des Pronomens les im Beispiel erscheint) kaum akzeptabel («difficilement acceptable») wäre, dies im Gegensatz zur Einsetzung der NP les yeux (vgl. 3-45) (Furukawa 2002:135). (3-45)

… – Et elle a #ses yeux / OKles yeux superbes, s’écria Julien.

Anhand dieses und weiterer, ähnlich gelagerter Fälle pronominaler Wiederaufnahme (Furukawa 2002:135f) bezweifelt Furukawa, dass es sich in (3-43a) und (b) um dieselbe Konstruktion handelt. Im Weiteren weist Furukawa anhand von folgendem Beispiel auf ein diskurssemantisches Phänomen hin, das man wiederum als ‹paradox› empfinden könnte. (3-46)

[…] tout en reconnaissant que j’avais les cheveux noirs, tandis que le vicomte les avait blonds. (Ponson du Terrail, Rocambole; zit. nach Furukawa 2002:135, Hervorhebungen Furukawa)

Nimmt man an, dass im gegebenen Beispiel das Pronomen les den Referenten von les cheveux wieder aufgreift, ergibt sich semantisch ein Widerspruch, denn les cheveux scheint auf das Haar des Referenten des Subjekts je zu referieren, les dagegen auf das Haar des Vicomte. Daraus folgert Furukawa wiederum, dass die beiden in (3-46) hervorgehobenen Syntagmen – die den oben in (3-43a/b) gegenübergestellten Sätzen entsprechen – mit dem von einem definiten Artikel begleiteten Nomen einerseits bzw. mit dem Personalpronomen andererseits nicht dieselbe grammatische Konstruktion bilden (Furukawa 2002:135). Dieser

105 Schluss scheint mir jedoch nicht zwingend; außerdem ist damit die semantische ‹Paradoxie› noch nicht erklärt. Die Paradoxien in (3-44) und (3-46) erweisen sich meines Erachtens als nur scheinbare, wenn man annimmt, dass die ObjektNP (bzw. das Objektpronomen) in der CAA bzw. im AHK in nicht-referierender Funktion verwendet werden kann. Für diese Sichtweise wird unten in Abs. 3.6.3 unabhängig argumentiert. Wenn les cheveux und les in (3-46) nicht auf Entitäten im Diskursuniversum referieren, kann kein Widerspruch festgestellt werden dergestalt, dass die NP und das Pronomen sich nicht auf denselben Referenten beziehen würden. Ebenso unproblematisch ist (3-44) unter dieser Annahme: les greift nicht den Referenten von ses yeux wieder auf, sondern weist gar keine Referenz im Diskursuniversum auf.24 Daraus folgt: Furukawas Beobachtungen stellen kein Hindernis dar, Objekt-NP und Adjektiv in der CAA uneingeschränkt als propositionalen SC zu analysieren.25

3.3.3 Adjektivische Stadien- und Individuenprädikate Im letzten Abschnitt wurde dafür argumentiert, dass es sich bei der CAA im Französischen und beim AHK im Deutschen syntaktisch um ein und dieselbe Struktur handelt. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass sich grundsätzlich zu jedem CAA-Beispiel ein Pendant im Deutschen bilden lässt. Diese Erwartung scheint sich nicht zu erfüllen (3-47).

24

25

Überlegungen in die Richtung, die hier verfolgt wird, sind bei Furukawa bereits angedeutet, wenn er schreibt: «[L]e pronom les reprend quelque chose come le sens qu’exprime la forme les yeux» (Furukawa 2005:24). – Die Möglichkeit, mit einem Pronomen inhaltlich an eine DP anzuschließen, ohne dabei zwingend ihre Referenz zu übernehmen, ist nach Carlson (2003) so zu interpretieren, dass als Antezedens für ein Pronomen nicht nur eine DP dienen kann, sondern auch die in der DP enthaltene NP (diese Erklärung setzt somit die DP-Analyse von ‹Nominalphrasen› voraus). Ein von Carlson diskutiertes Beispiel lautet: (i) Several [bears] were seen at the campground. They are common in mountain areas. (Carlson 2003:303, Bsp. 4a, Hervorhebung original) They greift hier nicht die Referenz der gesamten DP several bears auf, sondern ‹nur› das Denotat der NP bears. Bei solchen NP-Denotaten handelt es sich, wie unten in Abs. 3.6.4 – im Einklang mit Carlson (2003) – gezeigt wird, um kinds bzw. um types im Sinne von Vergnaud/Zubizarreta (1992). Es ist daher auch nicht nötig, die CAA als ‹doppelgesichtig› aufzufassen: Furukawa schreibt der CAA zwei Aspekte zu: «la face propositionelle» und «la face nominale» (z. B. Furukawa 2005:19–23). Damit soll seine Analyse den komplexen und gemäß Furukawa widersprüchlichen Eigenschaften der Konstruktion Rechnung tragen.

106 (3-47) a. b.

Elle a les yeux bleus. hat die Augen blau.

?? Sie

Satz (3-47b) scheint ungeeignet zu sein, die Semantik von (3-31a) (hier wiederholt als 3-47a) auszudrücken. In (3-47a) wird den Augen des Sujektsreferenten die permanente Eigenschaft zugeschrieben, blau zu sein. Diese Semantik kann im Deutschen durch die haben-Konstruktion in (3-48) ausgedrückt werden. (3-48)

Sie hat blaue Augen.

Das Komplement von haben ist in (3-48) kein SC mit adjektivischem Prädikat, sondern eine NP, in der das Adjektiv pränominal erscheint, d. h. syntaktisch in Form eines Attributs realisiert wird. Im folgenden Abschnitt 3.4 argumentiere ich dafür, dass das pränominal stehende Adjektiv in Sätzen wie (3-48) semantisch als Prädikat (nicht als Attribut) aufzufassen ist. Unter dieser Annahme sind der deutsche Satz (3-48) und der französische Satz (3-47a) semantisch analog zu analysieren. – In diesem Abschnitt soll nun nach den Bedingungen für die unterschiedliche syntaktische Form von (3-48) gegenüber (3-47a) bzw. (b) gefragt werden. Zunächst ist festzuhalten, dass (3-47b) keineswegs als ungrammatisch einzustufen ist. Der Satz ist allerdings gegenüber dem syntaktischen Analogon im Französischen (3-47a) in seiner Interpretation eingeschränkt. Bei der deutschen Konstruktion (3-47b) wird eine Lesart erzwungen, bei der das Prädikat blau eine temporäre Eigenschaft des Referenten der Objekt-NP Augen ausdrückt. Hierbei ist ein Bezug auf Haut und Gewebe in unmittelbarer Nähe zum Auge pragmatisch nahe liegender als ein Bezug auf die Iris, sodass der Satz etwa interpretiert werden kann als ‚Ihre Augen sind geschwollen‘ (daneben sind andere Interpretationen möglich26). Im Gegensatz zum Deutschen besteht keine solche Lesartenbeschränkung im Französischen. (3-49) a.

Elle a les yeux rouges/fermés/fatigués. (aus: Furukawa 2002:131)

Die adjektivischen Lexeme in (3-49) unterstützen eine Lesart, bei der dem Eigenschaftsträger (yeux) eine temporäre Eigenschaft zugeschrieben wird (rouge kann etwa im Sinne von ‚verweint‘ interpretiert werden), während in (3-47a)

26

So ist eine Interpretation denkbar, bei der durchaus auf die Irisfarbe Bezug genommen wird. Die ‹Exotik› einer solchen Lesart hat rein außersprachliche Gründe. Äußerungen wie Diese Woche hat Erika die Augen blau könnten in Zukunft, wenn das Wechseln der Augenfarbe so problemlos vonstatten gehen mag und so selbstverständlich ist wie heute das Ändern der Haarfarbe, pragmatisch ebenso unauffällig erscheinen wie (i). (i) […] das sieht nur so aus weil sie jetzt die Haare blond hat (13.11.2010: http://forum.metal-hammer.de/showthread.php?t=1515&page=27)

107 hingegen eine Lesart nahe liegt, bei der bleu eine permanente, inhärente Eigenschaft bezeichnet. Die Frage, inwiefern die Unterscheidung zwischen Prädikaten, die temporäre Eigenschaften (oder Ereignisse) denotieren, und solchen, die permanente Eigenschaften denotieren, in Wechselwirkung steht zu Unterscheidungen auf der grammatischen Ebene, wird seit Milsark (1974, 1977) und Carlson (1977) mithilfe der dichotomischen Kategorien Stage level predicate (SLP; Stadienprädikat) und Individual level predicate (ILP; Individuenprädikat) diskutiert, wobei Stadienprädikate eher temporäre, akzidentelle Eigenschaften, Individuenprädikate eher permanente, inhärente Eigenschaften denotieren. Zur Erfassung der mit der Unterscheidung zusammenhängenden syntaktischen Reflexe wurden in jüngerer Zeit verschiedenartige Ansätze verfolgt. So unterscheiden sich nach Kratzer (1995) Stadien- und Individuenprädikate in ihrer Argumentstruktur und damit auf der Ebene der Grammatik; für Maienborn hingegen handelt es sich beim SLP/ILP-Gegensatz um eine Unterscheidung, die allein auf pragmatischer Ebene anzusiedeln ist (vgl. Maienborn 2003, 2004). An dieser Stelle ist nur relevant, dass es sich bei der Unterscheidung in Stadien- und Individuenprädikate nicht um eine Zuordnung handelt, die im Lexikon vorgenommen wird (vgl. Kratzer 1995:125f), wie (3-50) verdeutlicht. (3-50) a. b.

Katja ist von Geburt an blond. Katja ist diese Woche blond.

Würde sich der Gegensatz zwischen Stadien- und Individuenprädikate aufgrund lexikalischer Merkmale ergeben, so müsste blond – und viele weitere Lexeme – einerseits als Individuenprädikat (3-50a), andererseits daneben auch als Stadienprädikat im Lexikon aufgeführt sein, was zu einer höchst unattraktiven Homonymenvermehrung führen würde.27 Im Folgenden gehe ich somit davon

27

Ogawa (2001:5) argumentiert dagegen für eine lexikalisch fundierte Unterscheidung zwischen Stadien- und Individuenprädikaten. (i) There is a fireman available/*altruistic. Der Datenkontrast in (i) wird in der Diskussion um Stadien- gegenüber Individuenprädikaten oft als Ausdruck einer Generalisierung gesehen, die besagt, dass in der existenziellen there-Konstruktion nur Stadienprädikate in der Position hinter der postkopularen NP stehen können. Vor diesem Hintergrund ist die Unakzeptabilität von (ii) überraschend. (ii) *There is a man having five million dollars in a bank / having a book in his hand. (aus Ogawa 2001:5) Nach Ogawa denotiert having five million dollars in a bank eine Individueneigenschaft, da der damit angedeutete Reichtum typischerweise eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweise, wohingegen durch having a book in his hand eine Stadieneigenschaft ausgedrückt werde, da die Eigenschaft von vorübergehender Dauer

108 aus, dass ein Adjektiv grundsätzlich als Stadien- oder als Individuenprädikat interpretiert werden kann, und dass die Wahl der Interpretation vom pragmatischen Kontext gesteuert wird. Als Zwischenfazit ergibt sich folgendes Bild: 1) Der AHK ist im Deutschen an bestimmte semantisch-pragmatische Bedingungen geknüpft; 2) in ‹Konkurrenz› zum AHK steht eine haben-Konstruktion mit pränominal zum Objektnomen stehendem Adjektiv; 3) die pränominale Konstruktion kommt zum Zuge, wenn das adjektivische Prädikat als Individuenprädikat zu interpretieren ist, also eine tendenziell permanente, inhärente Eigenschaft des Referenten bezeichnet; 4) wenn das gewählte Adjektiv als Stadienprädikat dienen soll, d. h. eine tendenziell temporäre, akzidentelle Eigenschaft bezeichnen soll, wird allerdings nicht zwingend der AHK realisiert, sondern es kann oft auch die Konstruktion mit pränominalem Adjektiv gewählt werden (3-51). (3-51) a. b. c.

Nach der Gartenarbeit heute hatte ich schmutzige Hände. Er hat einen roten Kopf vom Herumrennen. Ich habe eine trockene Kehle.

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich unter Einbezug weiterer Daten eingehender mit der oben konstatierten ‹Konkurrenz› zwischen dem AHK (und damit der postnominalen Realisierung des Adjektivs) und dem Konstruktionstyp mit pränominalem Adjektiv. Dabei wird auch auf Beispiele wie solche in (3-51) eingegangen und eine theoretische Einordnung vorgenommen.

sei. Unabhängig davon ist der Satz in beiden Fällen nicht akzeptabel. Daraus zieht Ogawa den Schluss, dass have bereits auf lexikalischer Ebene als Individuenprädikat spezifiziert ist, woran auch ein sprachlicher oder pragmatischer Kontext, der eine Interpretation von have als Stadienprädikat nahe legt, nichts zu ändern vermag. Ein solcher Schluss ist m. E. keineswegs zwingend. Vielmehr ist zu vermuten, dass mit der Einsetzung von Prädikaten in die postnominale Position von existenziellen there-Sätzen nicht (nur) der Charakter dieser Prädikate als transitorisch bzw. andauernd o. ä. ‹getestet› wird, sondern auch andere Faktoren für die Akzeptabilität der resultierenden Sätze eine Rolle spielen. Man vergleiche hierzu den folgenden Datenkontrast, den Ogawa im Rahmen seiner Argumentation aufgreift. (iii) There is a man holding/*having a book in his hand. (aus Ogawa 2001:5) Wie in Abs. 7.3.1 auf der Grundlage der Diskussion in Maienborn (2003) gezeigt wird, gehören haben und halten (und wohl auch die englischen Kognate have bzw. hold) zwei verschiedenen Klassen von Prädikaten an, die je unterschiedliche Typen von Zuständen (nämlich K- bzw. D-Zustände) denotieren. Diese Tatsache – und nicht die Unterscheidung zwischen Stadien- und Individuenprädikaten – dürfte auch für den Gegensatz in (iii) verantwortlich sein.

109

3.4

Eine Syntax-Semantik-Asymmetrie

3.4.1 Problemstellung In Abs. 2.6 wurde dafür argumentiert, dass haben als Vollverb im Deutschen in die drei syntaktischen Köpfe sein (verstanden als Kopulaverb), mitprop und R zu dekomponieren ist. mitprop erscheint als syntaktisch eigenständig realisierter Kopf in absoluten mit-Konstruktionen. Als Kopf des Komplements des Verbs sein inkorporiert er in dieses, und der komplexe Kopf wird als Flexionsform von haben ausbuchstabiert. Im Weiteren wurde dafür argumentiert, dass das Komplement von mitprop (und damit von haben) grundsätzlich einen SC darstellt (vgl. Abs. 2.4). Aufgrunddessen ergibt sich die Voraussage, dass jeder SC, der als Komplement von haben realisiert werden kann, auch als Komplement von mit in der absoluten mit-Konstruktion erscheinen kann, denn in beiden Fällen ist der SC per Annahme das Komplement desselben Kopfes: mitprop. Ausgehend von (3-52a) wird somit die Existenz von (3-52b) vorausgesagt. (3-52) a. b.

Sie hatte das Fenster offen. dem Fenster offen fahre ich nie.

??Mit

Wie in Abs. 2.5.3 bereits festgestellt wurde, erfüllt sich die Voraussage nicht, denn (3-52b) ist, wenn nicht ungrammatisch, so doch syntaktisch stark markiert.28 Die in (3-52b) angestrebte Semantik kann aber durch (3-53) ausgedrückt werden, d. h. durch eine mit-Konstruktion, in der das Adjektiv in pränominaler Stellung erscheint. (3-53)

Mit offenem Fenster fahre ich nie.

Mit anderen Worten: Das Adjektiv offen, das im Komplement von haben die Funktion eines Prädikativums zum Small-Clause-Subjekt das Fenster wahrnimmt, erscheint im Komplement von mit in pränominaler Stellung zu Fenster, wird syntaktisch somit in einer Weise realisiert, die Adjektiven in attributiver Funktion vorbehalten scheint. Damit bettet mit in (3-53) auch keinen Small Clause (SC), sondern eine bloße Nominalgruppe ein, womit ein anderer Formtyp (vgl. Abs. 2.4.1) als in (3-52a) vorliegt. Die Datenlage hier erinnert an die Varianz von pränominaler und postnominaler Stellung des Adjektivs in habenKonstruktionen, wie sie im letzten Abschnitt dargestellt wurde, vgl. (3-47) und (3-48). Daher ist zu vermuten, dass sich die Problematik nicht als ‹Idiosynkrasie› der absoluten mit-Konstruktion auffassen lässt.

28

Absolute mit-Konstruktionen mit postnominalem adjektivischem Prädikat sich sporadisch belegbar, vgl. den Beleg (2-94) in Abs. 2.5.3.

110 Zunächst ist aber festzuhalten: Der in (3-52/3-53) vorliegende Datenkontrast stellt ein Problem für das Ziel dar, haben-Konstruktionen und absolute mitKonstruktionen einheitlich zu analysieren. Dieses Problem gibt Anlass zu einer eingehenderen Untersuchung des Verhältnisses von semantischen Relationen einerseits und der syntaktischen Realisierung dieser semantischen Relationen andererseits im Gegenstandsbereich der haben- bzw. der mit-Konstruktionen. Im Folgenden wird sich zeigen, dass 1) sich das Komplement von mitprop semantisch einheitlich als Argument-Prädikat-Struktur auffassen lässt; 2) die syntaktische Realisierung dieser semantischen Struktur ‹prototypisch› die Form eines SC aufweist; 3) diese semantische Struktur unter näher zu erläuternden Bedingungen syntaktisch in anderer Form, nämlich als komplexe Nominalgruppe mit einem pränominal stehenden, flektierten Adjektiv realisiert wird. Im folgenden Unterabschnitt wird die syntaktische Realisierung von prädikativen Adjektiven in haben-Konstruktionen und in der absoluten mit-Konstruktion systematisch beleuchtet. Die Ergebnisse der Diskussion bilden die Grundlage für eine anschließende optimalitätstheoretische Modellierung der Daten in Abs. 3.5.

3.4.2 Prädikative Adjektive an der Syntax-Semantik-Schnittstelle Die haben-Konstruktion (3-52a) und das mit-Adverbial in (3-53) lassen sich durch die folgenden Kopf-Komplement-Strukturen schematisieren (der Kopf ist unterstrichen, sein Komplement steht in eckigen Klammern). (3-54) a. b.

[das Fenster offen] haben mit [offenem Fenster]

Die Einbettungsrichtung ist an der Stelle irrelevant, im Fokus steht die Struktur des Komplements. Auf die Artikelform (definiter Artikel in 3-54a) bzw. das Fehlen des Artikels in (b) wird in Abs. 3.6 eingegangen. Grundlegend ist hier die Beobachtung, dass das Adjektiv offen syntaktisch entweder postnominal/ prädikativ (in 3-54a) oder pränominal/attributiv (in b) steht, wobei diese Alternation von der Kategorie des einbettenden Kopfes abhängt: In (3-54a) liegt ein verbaler, in (b) ein präpositionaler Kopf vor. Auf die semantische Relation von Nomen und Adjektiv scheint die Stellung des Adjektivs in (3-54) jedoch keinen Einfluss zu haben. Das ist insofern bemerkenswert, als syntaktische Stellungsunterschiede im Allgemeinen und die pränominale Stellung eines Adjektivs gegenüber der postnominalen im Besonderen gewöhnlich mit einer semantischen Unterscheidung einhergehen.29 Dies lässt sich mit einem Minimalpaar wie dem folgenden illustrieren. 29

Eine aktuelle, ganz knappe Einführung in die Syntax und Semantik von Adjektiven bietet Cabredo Hofherr (2010).

111 (3-55) a. b.

Er aß die Pizza kalt. Er aß die kalte Pizza.

In (3-55a) stellt kalt in postnominaler Stellung ein Depiktiv mit Objektbezug dar; im Vergleich dazu wird es in (3-55b) attributiv (ebenfalls mit Bezug auf das Objekt Pizza) verwendet. Die beiden Sätze sind semantisch nicht äquivalent. In attributiver Verwendung dienen Adjektive dazu, «ein Substantiv diskursiv [zu] präzisieren» (Eroms 2000:267), d. h. durch Setzung eines Attributs (wie kalte in 3-55b) wird die mögliche Referentenmenge einer Nominalphrase eingeschränkt (vgl. Hamann 1991:664). Dies gilt nicht für depiktiv verwendete Adjektive (wie kalt in 3-55a): Hier wird einem Referenzausdruck (die Pizza) eine Eigenschaft zugeschrieben (vgl. Struckmeier 2007:71; allgemein zu Attribution und Prädikation vgl. Hackmack 2001). Im Folgenden werde ich dafür argumentieren, dass die semantische Relation, die zwischen dem Nomen und dem Adjektiv in (3-54a und b) besteht, jeweils dieselbe ist und es sich dabei um eine Prädikationsbeziehung (und nicht um eine Attributionsbeziehung) handelt. Im Weiteren wird gezeigt, dass die syntaktisch unterschiedliche Realisierung dieser semantischen Relation ihre Ursache in syntaktischen, d. h. von der Semantik unabhängigen, Wohlgeformtheitsbedingungen hat. Damit ist schon angedeutet, dass m. E. ein angemessenes Verständnis der in diesem Kapitel thematisierten Konstruktionen Überlegungen zur Syntax-Semantik-Schnittstelle voraussetzt, d. h. dass eine rein syntaktische Modellierung der Daten unbefriedigend bleiben muss. Die Notwendigkeit einer solchen Herangehensweise soll unterstrichen werden durch die Gegenüberstellung der folgenden zwei syntaktisch parallelen Sätze, die sich semantisch aber deutlich unterscheiden. (3-56) a. b.

Lucia hat einen roten Kopf. Lucia hat ein rotes Ruderboot.

(3-56a) ist ambig. In einer Lesart, die in den meisten pragmatischen Kontexten als unmarkiert gelten dürfte, ist ein bestimmter Körperteil von Lucia, nämlich ihr Kopf, rot (beispielsweise ist er rot angelaufen aufgrund einer körperlichen Anstrengung). Somit wird Kopf in dieser Lesart als inalienabler Teil des Subjektsreferenten aufgefasst. In einer zweiten, pragmatisch markierten Lesart, kann Kopf aber auch alienabel verstanden werden. Ein möglicher Kontext wäre etwa ein Puppenbastelworkshop, in dem Lucia gerade ihren Puppenkopf rot bemalt hat. Diese zweite Lesart entspricht der Semantik, wie sie einem Satz wie (3-56b) gewöhnlich zugeordnet wird. Dieser Satz kann so paraphrasiert werden: ‚Lucia hat ein x; x ist ein Ruderboot und x ist rot‘. Fokussieren wir auf das Komplement von haben, so lässt sich festhalten: Das Denotat von rotes Ruderboot stellt die Schnittmenge der Denotate von rot und von Ruderboot dar (was in der Paraphrase durch die Konjunktion und deutlich wird). Etwas stärker formalisiert lässt sich die Bedeutung von rotes Ruderboot in (3-56b) wie folgt darstellen.

112 (3-57)

λx[rot(x)&Ruderboot(x)]

Dies entspricht der üblichen semantischen Interpretation von attributiven Adjektiven.30 Entsprechend ist die Semantik von rot auch in der zweiten Lesart von (3-56a) (mit alienabler Interpretation von Kopf) darzustellen. Bei der ersten (‹inalienablen›) Lesart von (3-56a) liegt dagegen eine andere semantische Relation vor. Dies wird an der Unangemessenheit einer Paraphrase deutlich, die nach dem Vorbild der Paraphrase von (3-56b) gebildet wird: #‘Lucia hat ein x; x ist ein Kopf und x ist rot‘. Angemessener scheint – in einer ungefähren Annäherung – folgende Paraphrase zu sein: ‚Lucias Kopf ist rot.‘31 Damit drückt (356a) (in der betrachteten ersten Lesart) folgende Prädikation aus: Das Adjektiv rot prädiziert als einstelliges Prädikat über sein Argument Kopf. Damit stellt die Verbindung von Adjektiv und Nomen keinen Lamdaausdruck wie (3-57), sondern ein gesättigtes Prädikat dar. (3-53), hier wiederholt als (3-58a), und (3-56a), hier wiederholt als (3-58b) und interpretiert mit der ‹Inalienabilitätslesart›, zeigen somit dieselbe Charakteristik. (3-58) a. b.

Mit offenem Fenster fahre ich nie. Lucia hatte einen roten Kopf.

Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich, dass in beiden Strukturen ein ‹attributives› (d. h. hier: pränominal stehendes) Adjektiv wie ein prädikatives zu interpretieren ist, oder, aus der Perspektive der Semantik formuliert, dass ein semantisches Prädikat syntaktisch als Attribut realisiert wird (vgl. dazu auch Brugman 1996). Damit liegt in Fällen wie (3-58) ein Syntax-Semantik-Mismatch vor. Ein solcher Mismatch ist dann festzustellen, wenn eine kanonische Abbildungsbeziehung zwischen der Semantik- und der Syntaxkomponente der Grammatik in einem gegebenen Fall nicht beachtet wird, wenn also einer syntaktischen Struktur eine ‹unpassende›, d. h. nicht-kanonische semantische Struktur zugeordnet wird (oder umgekehrt). Aussagen dieser Art sind nur sinnvoll, wenn ‹kanonische Abbildungsbeziehungen› definiert sind. Zumindest implizit werden solche Abbildungsbeziehungen und damit eine grundsätzliche Isomorphie (in stärkerer oder schwächerer Form) zwischen Syntax und Semantik in der Grammatikforschung wohl immer angenommen, denn ein Verzicht auf jegliche Isomorphieannahmen würde implizieren, dass keinerlei Generalisierungen in

30 31

Genauer gesagt: von intersektiven Adjektiven, die attributiv verwendet werden (vgl. Cabredo Hofherr 2010:7). Es soll nicht behauptet werden, dass die Sätze Lucia hat einen roten Kopf und Lucias Kopf ist rot im strengen Sinne gleichbedeutend seien. Satzpaare wie diese sind (zumindest) auf der Ebene der Perspektivierung des dargestellten Sachverhalts zu unterscheiden (vgl. Abs. 7.4).

113 Bezug auf Zuordnungen von syntaktischen Strukturen und semantischen Repräsentationen (Interpretationen) möglich sind. Explizit kann ein Isomorphieprinzip beispielsweise so formuliert werden, dass eine syntaktische Struktur genau einer semantischen Struktur zuzuordnen ist und umgekehrt; damit würde eine eineindeutige Abbildungsbeziehung zwischen Syntax und Semantik zugrunde gelegt (starke Isomorphie). Eine schwächere Formulierung der Isomorphiebeziehung zwischen Syntax und Semantik könnte lauten: Einer gegebenen syntaktischen Struktur ist genau eine semantische Struktur zuzuordnen, aber nicht notwendigerweise umgekehrt (in diesem Sinne: Borer 2005:16). Logisch ebenso möglich ist die Annahme einer schwachen Isomorphiebeziehung ‹in umgekehrter Richtung›: Einer gegebenen semantischen Struktur ist genau eine syntaktische Struktur zuzuordnen, aber nicht notwendigerweise umgekehrt. In Bezug auf das hier interessierende Verhältnis zwischen der syntaktischen Stellung eines Adjektivs und seiner Interpretation könnte von folgenden Zuordnungsbeziehungen zwischen Syntax und Semantik ausgegangen werden (hier formuliert im Sinne einer ‹starken Isomorphie›, d. h. die Zuordnungsbeziehungen sind eineindeutig).32 Syntax:

Semantik:

postnominale Stellung

Prädikat

pränominale (attributive) Stellung

Modifikator

(Tabelle 3:1)

Eine Zuordnung wie in Tabelle (3:1) stellt zweifellos eine Standardzuordnung zwischen syntaktischer Realisierung und Interpretation von Adjektiven dar (vgl. z. B. Lohnstein 1996:161). Eine genauere semantische Charakterisierung von Prädikaten gegenüber Modifikatoren wird unten in Abs. 3.5.1 vorgenommen. Zunächst genügt es, Prädikat und Modifikator über den semantischen Typ des Resultats ihrer Verbindung mit einem Nomen auseinander zu halten: Wird ein (einstelliges) Prädikat mit einem Argument verbunden, resultiert ein semantischer Ausdruck vom Typ , d. h. eine vollständige Proposition. Wird dagegen ein Modifikator mit einer anderen Kategorie K von einem beliebigen Typ verbunden, so resultiert ein semantischer Ausdruck, der wiederum vom selben Typ ist. Letzteres ist der Fall in (3-56b) (vgl. die semantische Repräsenta32

Der Begriff Modifikator wird im Folgenden als rein semantische Kategorie verstanden, während der Begriff Attribut sich seinerseits nur auf syntaktische Merkmale beziehen soll. Ein adjektivisches Attribut ist im Deutschen dadurch charakterisiert, dass es pränominal steht und (gewöhnlich) flektiert ist. Ebenso soll Prädikat im Folgenden nur noch im Sinne einer semantischen Kategorie verwendet werden.

114 tion in 3-57): rotes Ruderboot ist vom selben semantischen Typ wie Ruderboot (und zwar – nach üblichen Annahmen – , was hier aber nicht relevant ist). Ein SC-Komplement wie das Fenster offen in der haben-Konstruktion Sie hatte das Fenster offen (vgl. 3-52a) stellt dagegen eine Proposition dar und ist damit vom Typ , weshalb offen hier ein Prädikat darstellt. Dasselbe gilt aber aufgrund der Überlegungen oben auch für die Nominalgruppen in (3-58a/b), die ein Adjektiv enthalten, für Strukturen also, in denen das Adjektiv pränominal zu seinem Bezugsnomen steht. Wie bereits festgehalten wurde, liegt in (3-58a/b) ein Syntax-Semantik-Mismatch vor, d. h. die Zuordnungsbeziehungen in Tabelle (3:1) werden verletzt. Die Mismatch-Situation in (3-58) kann nun wie folgt skizziert werden. Syntax:

Semantik:

postnominale Stellung

Prädikat

pränominale (attributive) Stellung

Modifikator

(Tabelle 3:2)

Ich gehe hier davon aus, dass unter bestimmten Bedingungen – die in Abs. 3.5 zu diskutieren sind (und die in 3-58 offenbar erfüllt sind) – ein adjektivisches Prädikat syntaktisch als Attribut realisiert wird. Die Darstellung in Tabelle (3:2) mit dem schrägen Pfeil deutet an, dass es sich bei dieser Abbildungsbeziehung um eine markierte Beziehung handelt, die nicht den ‹Normalfall› darstellt. Die zweite logisch mögliche Mismatch-Situation im hier betrachteten Datenbereich lässt sich wie folgt skizzieren. Syntax:

Semantik:

postnominale Stellung

Prädikat

pränominale (attributive) Stellung

Modifikator

(Tabelle 3:3)

Tabelle (3:3) stellt abstrakt den Fall dar, in dem ein syntaktisch postnominal stehendes Adjektiv semantisch als Modifikator zu einem Nomen zu interpretieren ist. Bei den in Abs. 3.2 angesprochenen Konstruktionen mit postnominalem Adjektiv in (3-3a–c) könnte es sich um Fälle handeln, die als Mismatches im Sinne von Tabelle (3:3) einzuordnen sind. Ob eine solche Analyse gangbar ist, hängt im Wesentlichen davon ab, ob die postnominalen Adjektive in den genannten Konstruktionen tatsächlich die Funktion von Modifikatoren wahrnehmen; dies zu klären, bleibt zukünftiger Forschung vorbehalten. An dieser Stelle soll nur

115 noch darauf hingewiesen werden, dass Kopulasätze mit einem Adjektiv in der für prädikative Adjektive typischen syntaktischen Position (vgl. 3-59) nicht im Sinne von Tabelle (3:3) interpretiert werden können. (3-59)

Oskars Hemd ist rot.

Bei einem Mismatch im Sinne von Tabelle (3:3) wäre rot in (3-59) semantisch als Modifikator zu Hemd zu interpretieren. Diese Interpretation ist wohl grundsätzlich ausgeschlossen, dies deshalb, weil der Satz in dem Falle keine vollständige Proposition darstellen würde und daher ‹semantisch unvollständig› wäre. Abschließend ist festzuhalten, dass im Bereich der oben betrachteten Daten keine der angeführten ‹Isomorphiegrade› zwischen Syntax und Semantik durchgehend zu gelten scheint, auch keine ‹schwache Isomorphie›: Weder wird jedes pränominal stehende Adjektiv (qua Formkategorie) einheitlich einer einzigen Interpretation zugeordnet (beispielsweise als Modifikator interpretiert), noch wird ein als Prädikat zu interpretierendes Adjektiv formal einheitlich realisiert (beispielsweise als postnominal zum Bezugsnomen stehende Phrase). Dennoch wäre es sicherlich verfehlt, von rein willkürlichen Abbildungsbeziehungen zwischen syntaktischen und semantischen Strukturen auszugehen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet eine Modellierung im Rahmen der Optimalitätstheorie. Eine solche Modellierung soll im folgenden Abschnitt skizziert werden.

3.5

Optimalitätstheoretische Rekonstruktion

Im folgenden Teilabschnitt (Abs. 3.5.1) werden die Beschränkungen (Constraints), die zur optimalitätstheoretischen Rekonstruktion der im letzten Abschnitt diskutierten Syntax-Semantik-Mismatches benötigt werden, formuliert. Danach wird die Interaktion der Beschränkungen anhand von Wettbewerben illustriert (Abs. 3.5.2). In Abs. 3.5.3 wird für die Einführung eines weiteren, auf die pragmatische Ebene bezogenen Constraints argumentiert. Abs. 3.5.4 thematisiert abschließend syntaktische Beschränkungen im Zusammenhang mit Pronomen und Quantoren.

3.5.1 Beschränkungen Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die oben diskutierten Daten aus dem Deutschen als Ergebnis eines Optimierungsprozesses an der Syntax-SemantikSchnittstelle aufgefasst werden können. Dabei sind – wie dies in der Optimalitätstheorie (OT) grundsätzlich angenommen wird – sprachliche Strukturen un-

116 terschiedlichen und insgesamt widersprüchlichen Anforderungen unterworfen, die in Form von Beschränkungen (Constraints) formuliert sind. Beschränkungskonflikte können gelöst werden, da jede Beschränkung grundsätzlich verletzbar ist. Im gegebenen Zusammenhang gehe ich von den folgenden Annahmen aus. Inputs für die Optimierung sind Form-Bedeutungs-Paare, d. h. syntaktische Strukturen mit einer ihnen jeweils zugeordneten Interpretation. Alle relevanten Beschränkungen sind in einer einzigen Hierarchie angeordnet, unabhängig davon, ob sie Auswirkungen auf die Interpretation oder auf die syntaktische Form haben. Die Formulierung der Beschränkungen und ihre hierarchische Ordnung dienen dazu, die oben dargestellten Intuitionen über beobachtbare Mismatches zwischen Syntax und Semantik in einem theoretischen Modell zu präzisieren. Dabei sind folgende Klassen von Beschränkungen zu erwarten: – Wohlgeformtheitsbeschränkungen hinsichtlich der syntaktischen Struktur; – Wohlgeformtheitsbeschränkungen hinsichtlich der semantischen Struktur (der Interpretation); – Treuebeschränkungen, die den syntaktischen Ausdruck einer semantischen Kategorie fordern; – Treuebeschränkungen, die die Interpretation einer syntaktischen Kategorie fordern. Die Treuebeschränkungen streben nach Isomorphie zwischen Syntax und Semantik, oder anders gesagt: Sie fördern die Transparenz an der Syntax-Semantik-Schnittstelle, während die Wohlgeformtheitsbeschränkungen die SyntaxSemantik-Korrespondenzen verunklaren können. Die Treuebeschränkungen formuliere ich in der Weise, dass sie Treue zum Input fordern. Im Input kommen per Annahme grundlegende Syntax-Semantik-Korrespondenzen (Isomorphiebeziehungen) zum Ausdruck; Treue zum Input bedeutet damit Erhaltung einer Syntax-Semantik-Korrespondenz: Je stärker die Inputtreue, umso stärker ist die Isomorphie zwischen Syntax und Semantik. Diese Annahme in Bezug auf den Input ist nicht trivial und sicherlich angreifbar. Sie erlaubt aber ein Modell, bei dem ein einziger Optimierungsvorgang stattfindet, und eine komplexe Architektur mit zwei hintereinander geschalteten Optimierungsprozessen wie etwa bei Wilsons (2001) Modellierung von Bindungsphänomenen ist dabei nicht nötig.33 Im Folgenden soll zunächst die Variation zwischen pränominaler und postnominaler Stellung des Adjektivs im Komplement von haben erfasst werden. Die absolute mit-Konstruktion wird danach in Abs. 3.6 aufgegriffen. – Konkret nehme ich die folgenden Beschränkungen an.

33

Eine Übersicht über die grundsätzlichen konzeptuellen Stärken und Schwächen von unterschiedlichen optimalitätstheoretischen Modellen in Bezug auf die Syntax-Semantik-Schnittstelle bietet der Aufsatz von Beaver/Lee (2004).

117 – – – –

*Rel-eingeb: Eine eingebettete Relator-Phrase ist verboten. Treue(Rel'-Adj): Ein Adjektiv, das im Input Tochter von Relator' ist, ist es auch im Output. *PM: Predicate Modification ist verboten. Treue(PM): Ein Adjektiv, das im Input als Modifikator interpretiert wird, wird auch im Output als Modifikator interpretiert.

Zunächst zu den ersten beiden Beschränkungen, *Rel-eingeb und Treue(Rel'Adj). Hierbei wird Bezug genommen auf den Dikkens Begriff des relators (vgl. oben Abs. 2.4.3): «[A]ll predication relationships are mediated by a relator» (den Dikken 2006:11). Diese Generalisierung formuliert eine bestimmte Isomorphiebeziehung zwischen einer semantischen Relation und ihrem syntaktischen Ausdruck: Sie besagt, dass die semantische Relation der Prädikation syntaktisch Niederschlag finden muss in Form einer relator-Phrase. In Abs. 2.4.3 wurde davon ausgegangen, dass die Prädikationsbeziehung, die zwischen den unmittelbaren Teilkonstituenten des haben-Komplements besteht, syntaktisch grundsätzlich als relator-Phrase realisiert wird. Durch die Formulierung der Beschränkungen *Rel-eingeb und Treue(Rel'-Adj) fasse ich diese allgemeine Aussage (und die dahinter stehende, oben zitierte Generalisierung den Dikkens) als verletzbare Regularität auf. Im Einzelnen bedeutet dies: Bei *Rel-eingeb handelt es sich um eine syntaktische Markiertheitsbeschränkung. Sie bestraft alle eingebetteten Relator-Phrasen, d. h. alle RelatorPhrasen außer die hierarchisch am höchsten stehende eines Satzes. Im Grunde sorgt diese Beschränkung dafür, dass ein Satz möglichst nur eine einzige Prädikation ausdrückt; die ‹Schichtung› von Prädikationen (in Form von RelatorPhrasen) wird bestraft. Wenn man – wie oben in Kap. 2 angenommen – davon ausgeht, dass SCs grundsätzlich als Relator-Phrasen zu analysieren sind, so bedeutet dies, dass SCs als syntaktisch markierte Strukturen durch *Rel-eingeb bestraft werden. Treue(Rel'-Adj) ist eine syntaktische Treuebeschränkung. Im Geiste von den Dikkens Generalisierung muss ein prädikativ zu interpretierendes Adjektiv syntaktisch als Tochter von Rel' realisiert werden.34 Entsprechend wird im Input die syntaktische Struktur realisiert. Der Beschränkung Treue(Rel'-Adj) zufolge ist diese isomorphe Inputstruktur beizubehalten. Während die eben behandelten Beschränkungen Aussagen zur Syntax von Adjektiven machen, beziehen sich die Beschränkungen *PM und Treue(PM)

34

Die Formulierung ist hier restriktiver, als es den Annahmen von den Dikken entspricht. Den Dikken sieht nämlich auch die Möglichkeit vor, dass zur syntaktischen Realisierung einer Prädikationsbeziehung das Prädikat im Spezifikator und das Subjekt im Komplement der Relator-P stehen kann (vgl. den Dikken 2006:13). Davon wird hier abgesehen.

118 auf die Interpretation von Adjektiven. Aufgrund der Überlegungen in Abs. 3.4 kann von folgenden ‹Standardkorrespondenzen› ausgegangen werden: Syntaktisch pränominal stehende Adjektive sind als Modifikatoren ihres Bezugsnomens zu interpretieren, postnominal stehende Adjektive nehmen die Funktion eines Prädikats zu ihrem Bezugsnomen wahr. Ich nehme daher für Form-Bedeutungs-Paare im Input die Realisierung dieser Korrespondenzen an. Zu klären bleibt die Frage, was semantisch als ‹markiert› zu gelten hat: die Interpretation eines Adjektivs als Prädikat oder die Interpretation als Modifikator? Die Problematik, wie prädikativer und attributiver Gebrauch des Adjektivs semantisch aufeinander zu beziehen sind, wurde und wird kontrovers diskutiert – dies gilt insbesondere für die Frage, welche der beiden Gebrauchsweisen als die ‹primäre› zu veranschlagen ist (für einen Überblick vgl. Hamann 1991). Ich folge Szabó (2001), Heim/Kratzer (1998) u. a. in der Auffassung, dass aus semantischer Sicht der prädikative Gebrauch der unmarkierte, unauffällige Fall ist – dass also die semantische Interpretation eines Adjektivs als Prädikat unmarkiert, die semantische Interpretation eines Adjektivs als Modifikator dagegen markiert ist. Dies lässt sich wie folgt begründen: Im Rahmen formalsemantischer Ansätze wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Interpretation syntaktischer Strukturen kompositional geschieht, dass sich also die Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks aus der Bedeutung seiner Teile ergibt, und zwar in regelhafter Weise (vgl. von Fintel/Matthewson 2008:172). Der Grundsatz ist unter der Bezeichnung Frege-Prinzip bekannt und wird oft so interpretiert, dass – anstelle von sprach- oder konstruktionsspezifischen semantischen Interpretationsregeln – als einzige Interpretationsregel Funktionale Applikation (FA) vorzusehen ist, wodurch eine rein typengetriebene Interpretation von syntaktischen Strukturen ermöglicht wird (vgl. von Fintel/Matthewson 2008:174f). Bei enger Auslegung des Fregeprinzips auf der Grundlage von FA gelten alle Interpretationsregeln außer FA als Verletzung des Kompositionalitätsprinzips und sind daher verboten; bei einer weniger strikten Auslegung sind Nicht-FAInterpretationsregeln im Prinzip zugelassen, aber als markiert (als ‹Ausnahmefall›) zu betrachten. Einen solchen Ausnahmefall stellen nun Modifikatoren dar. Adjektive (wie klug) treten semantisch grundsätzlich als Prädikate in Erscheinung und sind vom Typ , was die Interpretation von Kopulakonstruktionen ermöglicht, in denen diese Prädikate mit einem Subjekt (wie beispielsweise Anna, vom Typ ) zu einer Proposition verbunden werden (vgl. Heim/Kratzer 1998:62f). Für eine attributive Verbindung eines Adjektivs mit einem Nomen muss entweder dem Adjektiv ein anderer Typ als zugeschrieben werden, oder es muss eine weitere Interpretationsregel (neben FA) eigens für Modifikatoren formuliert werden. Heim/Kratzer wählen den zweiten Lösungsweg35 und

35

Die erste Lösung könnte ebenfalls einen gangbaren Weg darstellen, den Ausnahme-

119 formulieren die Interpretationsregel Predicate Modification (PM) (vgl. auch von Fintel/Matthewson 2008:175f). Predicate Modification (PM): If α ist a branching node, {β, γ} is the set of α’s daughters, and 冀β冁 and 冀γ冁 are both in D, then 冀α冁 = λx ∈ De . 冀β冁(x) = 冀γ冁(x) = 1. (Heim/Kratzer 1998:65)

Zur Berechnung der Bedeutung von rotes Ruderboot (= α) beispielsweise wäre für 冀β冁 die (lexikalische) Bedeutung von rot und für 冀γ冁 diejenige von Ruderboot einzusetzen (beide sind, wie in der Definition gefordert, vom Typ ). Dann gilt: 冀rotes Ruderboot冁 = λx ∈ De . x ist rot und x ist ein Ruderboot. Dies entspricht, wie zu erwarten ist, der Darstellung in (3-57) in Abs. 3.4.2 (zu den technischen Einzelheiten vgl. Heim/Kratzer 1998). Entscheidend ist im gegebenen Zusammenhang, dass die Interpretationsregel PM als ‹Zusatzregel› neben dem allgemeinen Interpretationsprinzip FA einen markierten Charakter hat, weshalb die Anwendung von PM nach Möglichkeit zu vermeiden ist.36 Dieser Intuition soll im gewählten optimalitätstheoretischen Rahmen durch die Formulierung der Beschränkung *PM (im Folgenden wiederholt, vgl. oben) Rechnung getragen werden. *PM: Predicate Modification ist verboten.

Aufgrund der vorangegangenen Erläuterungen ist *PM als semantische Markiertheitsbeschränkung aufzufassen. Als Antagonist zu *PM dient die ebenfalls bereits oben formulierte, hier wiederholte semantische Treuebeschränkung Treue(PM). Treue(PM): Ein Adjektiv, das im Input als Modifikator interpretiert wird, wird auch im Output als Modifikator interpretiert.

Die Treuebeschränkung Treue(PM) fordert Beibehaltung eines Inputmerkmals im Output, wobei es sich dabei um ein markiertes Merkmal handelt, d. h. um ein Merkmal, das zwingend dazu führt, dass eine Struktur, die das Merkmal enthält, gegen eine Markiertheitsbeschränkung (im gegebenen Fall: *PM) verstößt. Bei der oben eingeführten syntaktischen Treuebeschränkung Treue(Rel'-Adj) (im Folgenden wiederholt) verhält es sich entsprechend.

36

charakter von Modifikatoren zu erfassen: ‹Markiert› – und durch einen Markiertheitsconstraint zu ahnden – wäre dann die Ad-hoc-Anpassung des semantischen Typs, die ein Prädikat in einen Modifikator umwandelt (vgl. die Diskussion in Heim/ Kratzer 1998:68–73). Eine Diskussion weiterer Interpretationsregeln, die in der Literatur – wie PM ‹in Ergänzung› zu FA – vorgeschlagen werden, wird in von Fintel/Matthewson (2008) geboten.

120 Treue(Rel'Adj): Ein Adjektiv, das im Input Tochter von Relator' ist, ist es auch im Output.

Treue(Rel'Adj) fordert Treue zu einem syntaktischen Merkmal (Präsenz einer Relator-Phrase), das von der Markiertheitbeschränkung *Rel-eingeb verboten wird. *Rel-eingeb:

Eine eingebettete Relator-Phrase ist verboten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Semantisch wird die Interpretation von syntaktischen Strukturen durch Funktionale Applikation (FA), wie sie beispielsweise bei Subjekt-Prädikat-Relationen zum Zuge kommt, bevorzugt, andere Interpretationsregeln wie Predicate Modification (PM) sind semantisch markiert. Zur syntaktischen Realisierung einer Subjekt-Prädikat-Relation ist nun die Projektion einer Relator-Phrase nötig – eine Forderung, die im Hinblick auf Prädikationsbeziehungen ein gewisses Maß an Isomorphie zwischen der syntaktischen und der semantischen Ebene sicherstellt. Relator-Phrasen ihrerseits (genauer gesagt nur eingebettete) sind aber in syntaktischer Hinsicht markiert. Diese Annahme ist allein schon deshalb plausibel, weil aufgrund von Ökonomieüberlegungen der Aufbau von syntaktischen Strukturen per se markiert ist: je weniger Struktur, umso ‹besser›. Die Syntax bevorzugt daher attributive Adjektive: Diese können mit dem Nomen verkettet werden, ohne dass dabei eine Relator-Phrase projiziert werden muss. Daraus folgt: Eine ‹Nomen-Adjektiv-Struktur› ist dann sowohl aus semantischer als auch aus syntaktischer Sicht unmarkiert, wenn das Adjektiv pränominal (attributiv) zum Nomen steht und dabei als Prädikat zu interpretieren ist. Der Preis für die Unmarkiertheit eines solchen Form-Bedeutungspaares ist die dabei fehlende Isomorphie zwischen Syntax und Semantik.

3.5.2 Wettbewerbe Die folgenden Wettbewerbe illustrieren, wie sich mit den oben formulierten Beschränkungen unterschiedliche haben-Konstruktionen, die im Komplement von haben ein Adjektiv enthalten, und ihre Interpretationen ableiten lassen. Die Artikelproblematik (d. h. die Wahl des definiten oder indefiniten Artikels) bleibt hier vorerst unberücksichtigt; sie wird in Abs. 3.6 aufgegriffen. In den nachfolgend diskutierten Beispielen denotiert das Objektnomen einen Körperteil, sodass zwischen Possessor und Possessum eine Relation der inalienablen Zugehörigkeit besteht (vgl. dazu auch unten Abs. 3.6.4). Zur Semantik von Input- oder Outputstrukturen wird nur angegeben, ob das Adjektiv als Modifikator (d. h. durch PM) oder als Prädikat (d. h. durch FA) interpretiert wird, andere Aspekte der Semantik bleiben unberücksichtigt. Zunächst wird folgendes FormBedeutungspaar abgeleitet.

121 (3-60)

Form: Er hat einen roten Kopf. / Bedeutung: prädikativ.

Beispiele dieses Typs gaben oben Anlass zu den Überlegungen zur Korrespondenz von Syntax und Semantik (Abs. 3.4.2) und wurden als Instanzen eines Mismatch zwischen syntaktischer und semantischer Ebene identifiziert (vgl. Tabelle 3:2): Das Adjektiv rot steht pränominal-attributiv, wird dabei aber prädikativ auf Kopf bezogen, die Bedeutung des Satzes kann daher ungefähr mit ‚Sein Kopf ist rot‘ paraphrasiert werden. (3-60) geht als Sieger aus dem folgenden Wettbewerb hervor. Input: Syntax: Er hat [RelP Kopf rot] Semantik: prädikative Interpretation des Adjektivs *Rel-eingeb [RelP Kopf rot], präd

*!

[RelP Kopf rot], mod

*!

Treue(PM)

*PM

*

☞ [N' roten Kopf], präd [N' roten Kopf], mod

Treue(Rel'-Adj)

* *!

*

(Tabelle 3:4)

Gemäß den Dikkens Generalisierung findet eine prädikative Beziehung zwischen einem Adjektiv und seinem Bezugsnomen auf der syntaktischen Ebene Ausdruck durch die Projektion einer Relator-Phrase (jeweils angegeben als RelP). Outputs (Kandidaten), die die Relator-Phrase erhalten, verstoßen gegen *Rel-eingeb (die ersten beiden Kandidaten in Tabelle 3:4). Da der Verstoß offenbar fatal ist (der erste Kandidat verletzt sonst keine der angeführten Beschränkungen), ist zu schließen, dass *Rel-eingeb hoch gerankt ist. Kandidaten, die das Adjektiv als Modifikator interpretieren (angegeben als mod, zweiter und vierter Kandidat), können ebenfalls nicht optimal werden, da sie gegen *PM verstoßen. Optimal wird der dritte Kandidat, der die semantische Inputspezifikation (prädikative Interpretation des Adjektivs) beibehält, dabei aber auf die Projektion einer Relator-Phrase verzichtet. Der Kandidat verletzt nur die Beschränkung Treue(Rel'-Adj), die daher tief gerankt sein muss. (Die Beschränkung Treue(PM) ist in diesem Wettbewerb ohne Wirkung, da im Input die Interpretationsregel PM nicht vorgesehen ist.) Die vorgeschlagene Beschränkungshierarchie macht auch korrekte Voraussagen im Hinblick auf Strukturen mit attributiv stehendem Adjektiv, das ‹standardmäßig›, d. h. als Modifikator interpretiert werden soll (3-61).

122 (3-61)

Er hat ein rotes Auto.37

Der Wettbewerb dazu ist wie folgt zu illustrieren. Input: Syntax: Er hat ein [N' rotes Auto] Semantik: Interpretation des Adjektivs als Modifikator (PM) *Rel-eingeb

Treue(PM)

[RelP Auto rot], präd

*!

*

[RelP Auto rot], mod

*!

[N' rotes Auto], präd ☞ [N' rotes Auto], mod

*PM

Treue(Rel'-Adj)

* *! *

(Tabelle 3:5)

Gegenüber dem ersten illustrierten Wettbewerb kommt hier die Beschränkung Treue(PM) ins Spiel. Der erste und der dritte Kandidat ändern die semantische Inputspezifikation [mod] zu [präd] und verstoßen daher gegen Treue(PM). Da aber der (maximal inputtreue) vierte Kandidat trotz der Verletzung von *PM optimal wird, ist zu schließen, dass Treue(PM) höher gerankt sein muss als *PM. Treue(Rel'-Adj) ist in diesem Wettbewerb irrelevant, da das Adjektiv im Input nicht in einer Relator-Phrase eingebettet ist. Eine relative Hierarchisierung von *Rel-eingeb und Treue(PM) bzw. *PM und Treue(Rel'-Adj) ergibt sich aufgrund der Daten nicht. Abschließend ist festzustellen, dass auch Kopulasätze mit prädikativem Adjektiv von der Beschränkungshierarchie korrekt erfasst werden. Dies soll knapp verdeutlicht werden. Das Adjektiv weist in Sätzen wie das Auto ist rot eine prädikative Interpretation auf. Aus syntaktischer Sicht ist daher im Input eine Relator-Phrase vorzusehen (vgl. den Dikken 2006:77). Unter Beibehaltung der Inputspezifikationen im Output wird keine Beschränkung verletzt.38 Bei den anderen drei Outputs ist jeweils mindestens eine Beschränkung verletzt: Bei Änderung der Interpretation des Adjektivs von [präd] zu [mod] wird *PM verletzt, bei attributiver Verwendung des Adjektivs – was eine Struktur wie [[N' rotes Auto] ist] ergäbe – wird Treue(Rel'-Adj) verletzt.

37 38

Analog zu (3-61) ist auch das mit (3-60) homonyme Syntagma mit der ‹Puppenkopflesart› abzuleiten (vgl. Abs. 3.4.2). *Rel-eingeb bleibt in einfachen Kopulasätzen unverletzt, wenn man annimmt, dass diese nur eine einzige Relator-Phrase enthalten. Diese Annahme sollte die Nullhypothese darstellen, wenn nicht empirische Evidenz dagegen spricht.

123 Als vorläufiges Fazit ergibt sich, dass die vorgeschlagene Beschränkungshierarchie für wesentliche Datenbereiche korrekte Voraussagen macht. Allerdings ist auch festzuhalten, dass aufgrund der bisherigen Annahmen der AHK im Deutschen grundsätzlich ausgeschlossen sein müsste. Dies deshalb, weil durch das hohe Ranking von *Rel-eingeb eine SC-Struktur im Output nie optimal werden kann (vgl. Tabelle 3:4). Zur Ableitung des AHK ist daher die Einführung einer weiteren Beschränkung nötig. Im nächsten Abschnitt wird dafür argumentiert, dass es sich dabei um eine Beschränkung handelt, die Bezug auf die pragmatische Ebene nimmt.

3.5.3 Eine pragmatische Beschränkung Von einigen pragmatischen Bedingungen, denen die Realisierung eines AHK unterliegt, war in Abs. 3.3.3 schon die Rede. Was oben noch nicht explizit thematisiert wurde, m. E. aber bedeutsam ist für das Verständnis des AHK, ist der pragmatische Status des Denotats der Akkusativ-NP. An der Stelle sollen noch einmal die Beispiele aus der Einleitung aufgegriffen werden (3-1, hier wiederholt als 3-62). (3-62) a. b. c.

Sie hat das Glas leer. Sie hatte ein Fenster offen. Er hatte die Hände schmutzig.

In allen Beispielen gilt, dass das ‹Possessum› (Glas, Fenster, Hände) als präsupponiert zu gelten hat (vgl. Hanon 1988:164). Dies lässt sich durch Anwendung der Satznegation zeigen (3-63). (3-63) a. b. c.

Sie hat das Glas nicht leer. Sie hatte kein Fenster offen. Er hatte die Hände nicht schmutzig.

Präsuppositionen bleiben unter Satznegation erhalten (vgl. Chierchia/McConnell-Ginet 2000:350). So gilt für die negierten Sätze (3-63) wie für die Ausgangssätze (3-62), dass (in a) der Subjektsreferent ein Glas mit einem Getränk vor sich (o. ä.) hat bzw. dass sie (in b) sich in einem Raum mit Fenstern befindet bzw. dass er (in c) ein Wesen ist, das mit Händen als Körperteilen ausgestattet ist. Zu beachten ist dabei Folgendes: Die Akkusativ-NP kann einen Körperteil denotieren (3-62c) (das in einer Teil-Ganzes-Beziehung zum Subjektsreferenten, dem ‹Possessor› des Körperteils steht); dies ist allerdings nicht zwingend (vgl. 3-62a/b). Auch ist die Präsupposition nicht an die Definitheit der Akkusativ-NP gebunden (vgl. 3-62b). Für die Präsupponiertheit des Possessums spricht im Weiteren die Nicht-Weglassbarkeit der Akkusativ-NP (3-64).

124 (3-64) a. b. c.

#Sie hat das Glas. #Sie hatte ein Fenster. #Er hatte die Hände.

Wie in Abs. 3.2 bereits festgehalten wurde, erzwingt die Weglassung des adjektivischen Prädikats eine deutliche Uminterpretation des Satzes. Ohne Uminterpretation würde der Satz keine vollständige Assertion beinhalten, sondern nur das ausdrücken, was von den Diskursteilnehmern schon präsupponiert wird. Daher wäre er pragmatisch stark markiert, wodurch sich der Zwang zur Uminterpretation ergibt (vgl. dazu auch am Ende von Abs. 7.3.2). – Daraus ist zu schließen: Da im AHK das Possessum zwingend präsupponiert sein muss, eignet sich der AHK zur Kennzeichnung des Possessums als präsupponiert. Ich möchte daher die folgende Beschränkung vorschlagen. SelbstArgPräsupp: Ein als präsupponiert zu kennzeichnender Inhalt wird als selbstständiger Argumentausdruck realisiert.

Die Beschränkung fordert, dass präsupponierte Inhalte von nicht-präsupponierten (assertierten) Inhalten getrennt in einem eigenen Argumentausdruck realisiert werden.39 Die Trennung von präsupponiertem Inhalt (Denotat des Possessums) und assertiertem Inhalt (die durch das Adjektiv ausgedrückte Eigenschaft) im Sinne der Beschränkung ist im AHK realisiert, nicht aber in einer Konstruktion wie Sie hat einen roten Kopf, wo Präsupponiertes (Kopf) und Assertiertes (rot) in einer einzigen DP/NP realisiert werden. Mit ‹als präsupponiert zu kennzeichnen› ist Folgendes gemeint:40 Die Zuschreibung der Merkmale [präsupponiert] und [assertiert] ist in einem gegebenen pragmatischen Kontext unterschiedlich leicht vorzunehmen. Erscheint in einer Äußerung ein Ausdruck, der auf ein menschliches Wesen referiert, so darf im Allgemeinen vorausgesetzt werden, dass dieser Referent über Körperteile wie Kopf, Hände oder einen Rumpf verfügt. Bezeichnet das Possessum (Denotat der Akkusativ-NP) in einem habenSatz einen Körperteil des Subjektsreferenten, so besteht wenig Notwendigkeit, das Possessum eigens als präsupponiert zu kennzeichnen (3-65).

39

40

Die Beschränkung ist nur auf präsupponierte Denotate von Nomen, NPs oder DPs zu beziehen, nicht auf präsupponierte Propositionen, die hier unberücksichtigt bleiben. Die Formulierung der Beschränkung mag aufgrund ihrer Vagheit problematisch sein, für die hier verfolgten Ziele aber genügen. Zukünftige Forschung, die sich eingehender mit den pragmatischen Aspekten von haben-Konstruktionen beschäftigen kann als die vorliegende, v. a. syntaktisch orientierte Arbeit, wird hier für Präzisierungen zu sorgen haben.

125 (3-65) a. b.

Sie hatte einen roten Kopf. hatte den Kopf rot.41

? Sie

Dass ein menschlicher Subjektsreferent eine Hose trägt, ist nicht zwingend, aber leicht akkomodierbar (3-66); dass er ein Surfbrett besitzt oder zur Verfügung hat, kann dagegen kaum als allgemein voraussetzbar gelten (3-67).42 Daraus ergibt sich für den Sprecher eine jeweils unterschiedlich starke Notwendigkeit, den präsupponierten Inhalt als solchen zu kennzeichnen. (3-66) a. b.

Er hat eine schmutzige Hose. Er hat die Hose schmutzig.

(3-67) a. b.

Er hat ein kaputtes Surfbrett. Er hat das Surfbrett kaputt.

Hier ist anzumerken, dass der (a)- und der (b)-Satz in (3-65)–(3-67) nicht jeweils Teil desselben Wettbewerbs sind, sondern es handelt sich um die Gewinner zweier verschiedener Wettbewerbe. Im einen Wettbewerb beinhaltet der Input ein pragmatisches Merkmal, aufgrund dessen SelbstArgPräsupp die syntaktische Realisierung des Possessums als selbstständigen Argumentausdruck fordert. Als Gewinner geht dabei jeweils ein AHK hervor, d. h. ein Satz vom Typ der (b)-Sätze. Wenn das pragmatische Merkmal im Input fehlt, ist SelbstArgPräsupp inaktiv, und es gewinnen Kandidaten vom Typ der (a)Sätze. Während bei Konstruktionen mit Körperteilbezeichnungen (3-65) oder mit Bezeichnungen von am Körper getragenen Kleidungsstücken (3-66) als Possessumsausdrücke zumindest eine Tendenz zu freier Variation erkennbar ist (zur Datenlage s. auch gleich unten), kann in einem Syntagma wie (3-67a) das Possessum (Surfbrett) nur als Teil der Assertion aufgefasst werden (sodass in 3-67a das Adjektiv kaputt als Modifikator interpretiert wird). Wird Surfbrett präsupponiert, muss im Input ein entsprechendes Merkmal spezifiziert sein. Wird es ignoriert, führt eine fatale Verletzung von SelbstArgPräsupp zum Ausschluss des Kandidaten. Damit ist bereits gesagt, dass SelbstArgPräsupp alle oben formulierten Beschränkungen dominieren muss. Es ergibt sich folgende Beschränkungshierarchie. 41

42

Der AHK mit der Körperteilbezeichnung Kopf und dem Prädikat rot ist gelegentlich belegbar (i). (i) Arnika stillt Blutungen: ……. der Patient hat den Kopf rot und heiß, den Körper kalt, ….. ist evtl. benommen oder bewußtlos; antwortet, wenn man ihn anspricht, fällt aber sofort wieder in seine Bewußtlosogkeit zurück. (13.11.2010: http://www.agrar.de/landfrauen/forum/index.php?topic=22444.15) (Unterstreichung M.B.; Auslassungspunkte original) Zur Präsuppositionsakkomodation vgl. von Fintel (2008).

126 SelbstArgPräsupp >> *Rel-eingeb, Treue(PM) >> *PM, Treue(Rel'-Adj) In Abhängigkeit von der Wahl der Lexik ist mit erheblicher Variation zwischen AHK und Konstruktion mit attributivem Adjektiv zu rechnen. Oft lassen sich beide Konstruktionen belegen, so beispielsweise bei der Kombination einer Körperteilbezeichnung mit dem Adjektiv schmutzig43 (3-68/3-69; Unterstreichungen M.B.) (3-68) a.

b.

(3-69) a. b.

Wenn ich früher mit den Kindern Eis essen ging, und sie ihre Finger schmutzig hatten, zog ich mein T-Shirt hervor und säuberte den Kids damit das Händchen.44 Der elastische Randverbund muss jetzt noch auf speziellen Ständern getrocknet werden. Einige von uns konnten der Versuchung nicht widerstehen und berührten die schwarze Versiegelung, so dass sie anschließend ganz schmutzige Finger hatten.45 Mir kommt eilig ein Mann entgegen, der die Stirn schmutzig hat.46 Als ihnen gleich darauf eine Frau begegnet, die ebenfalls eine schmutzige Stirn hat, sagt die Mutter: „Guck doch mal genau hin, das ist kein Schmutz.“ 47

Entsprechendes lässt sich beobachten bei Bezeichnungen von Kleidungsstücken (3-70, Auslassungen in eckigen Klammern und Unterstreichungen M.B.). (3-70) a. b.

Auch unser Sohn (8) ist noch nie nachts trocken gewesen. […] Hinzu kommt noch, das er auch noch tagsüber permanent die Hose feucht hat.48 Oft stellt der Arzt aber auch bei der Untersuchung die Blasenschwäche fest, wenn der Patient eine Windel trägt oder eine feuchte Hose hat.49

Die hier angedeutete Variation wäre anhand eines Korpus von angemessenem Umfang im Einzelnen zu dokumentieren. Es müsste überprüft werden, inwiefern die lexikalische Semantik der in der haben-Konstruktion verwendeten Le43 44 45 46

47 48 49

Zur Semantik von schmutzig – genauer gesagt: von engl. dirty – vgl. Cohen/ErteschikShir (2002:127f). 13.11.2010: http://moewes.blog.de/2006/07/19/klebrige_patscherchen~972948 13.11.2010: http://www.waiblinger-kreiszeitung.de/lokales/zisch_pdf/2006/zisch27. pdf 9.9.2007: http://64.233.183.104/search?q=cache:Oj2wt45XN2YJ:www.pistenkuh. de/reiseberichte/2005egypt/egypt.html+%22schmutzig+hat%22&hl=de&ct=clnk &cd=78&gl=ch 9.9.2007: http://www.kolpingjugend-dv-paderborn.de/service/religioeses/was-istdas/ 10.9.2007: http://www.crealern.de/Forum/Kategorie.php?KategorieID=6 10.9.2007: http://www.aerztlichepraxis.de/rw_4_Archiv_HoleArtikel_353622_Artikel. htm

127 xeme die Wahl der Konstruktion beeinflusst, und ebenso müsste der Einfluss pragmatischer Faktoren näher untersucht werden. An dieser Stelle soll noch knapp angedeutet werden, wie sich die Beschränkung SelbstArgPräsupp unabhängig stützen ließe. Dazu sind Konstruktionen mit einem anderen Verb als haben heranzuziehen. Bei den folgenden Beispielen (3-71)–(3-74) handelt es sich um Resultativkonstruktionen, in denen die Alternation zwischen einer Konstruktion mit postnominalem Adjektiv und einer Konstruktion mit pränominalem, attributivem Adjektiv ähnlichen pragmatischen Bedingungen zu unterliegen scheint wie bei den oben behandelten haben-Konstruktionen. (3-71) a. b.

Sie schlug ihm das Auge blau. Sie schlug ihm ein blaues Auge.

(3-72) a. b.

Er aß den Teller leer. #Er aß einen leeren Teller.

(3-73) a. b.

?Von

der Wunderkur bekam sie die Haut wieder straff. Von der Wunderkur bekam sie wieder eine straffe Haut.

(3-74) a. b.

Die Truppen bekamen den Flüchtling frei. #Die Truppen bekamen einen freien Flüchtling.

Bildet eine Körperteilbezeichnung das Kernnomen des Akkusativobjekts (wobei der ‹Possessor› als Dativ-NP wie in 3-71 oder als Satzsubjekt wie in 3-73 realisiert werden kann), so ist – zumindest tendenziell – Variation zwischen der pränominalen und der postnominalen Konstruktion des Adjektivs zu beobachten. Andernfalls können ein präsupponiertes ‹Possessum› und das adjektivische Prädikat nicht in einer einzigen NP/DP syntaktisch realisiert werden (3-72b/374b). Diese Tendenzen sind natürlich anhand eines Korpus zu überprüfen. Insbesondere ein systematischer Vergleich der Komplemente von bekommen/ kriegen (vgl. 3-73/3-74) gegenüber haben ist ein Desiderat.50 Eine letzte Untergruppe des AHK kommt im nächsten Abschnitt zur Sprache.

3.5.4 Pronomen und Quantoren Abschließend ist auf Fälle hinzuweisen, in denen eine Struktur mit attributiver Realisierung des prädikativ zu interpretierenden Adjektivs grundsätzlich ausge-

50

Zu Ansätzen dazu vgl. Abraham (2005:Kap. 5). Zur Semantik von bekommen/ kriegen-Konstruktionen vgl. auch McIntyre (2005).

128 schlossen ist. Der Grund dürfte dabei immer eine hoch gerankte syntaktische Markiertheitsbeschränkung sein. Dies ist erstens der Fall, wenn die PossessumNP/DP allein von einem Pronomen gebildet wird (Beleg in 3-75; Unterstreichung M.B.). (3-75)

Er ist ein sehr ruhiger und liebevoller Kater, der 1998 geboren wurde. Er putzt sich im Moment nicht so toll die Ohren, so dass er diese oft schmutzig hat.51

In diesem Fall wird der AHK nicht von einer Variante mit pränominal realisiertem Adjektiv (vgl. Er hat schmutzige Ohren) konkurrenziert. (3-76) a. b.

Er hat die/diese/sie/… schmutzig. *Er hat schmutzige die/diese/sie/….

Es darf angenommen werden, dass Beispiele wie (3-76b) durch eine hoch gerankte syntaktische Markiertheitsbeschränkung ausgeschlossen werden, die – unabhängig von den hier interessierenden Datenbereichen – für das Deutsche allgemein zu formulieren ist, worauf hier verzichtet werden soll. Etwas anders liegt der Fall im folgenden Beleg (3-77; Unterstreichung M.B.). (3-77)

Celek, der erst 24 Jahre alt ist, sagt, daß er schon fast alle Knochen kaputt hat.52

Aufgrund der Präsenz des Quantors alle würde die pränominale Stellung eines prädikativ zu interpretierenden Adjektivs zu einer grundlegenden Änderung der Semantik des Satzes führen (3-78).53 (3-78)

[…] dass er schon fast alle kaputten Knochen hat

In (3-78) quantifiziert alle über einen anderen Bereich als in (3-77), denn kaputte Knochen denotiert eine andere (kleinere) Menge als Knochen. Es muss davon ausgegangen werden, dass es im Allgemeinen nicht möglich ist, prädikative Adjektive ‹in den Skopus› eines Determinators54 zu bringen, um damit eine Verletzung der Beschränkung *Rel-eingeb (vgl. Abs. 3.5.1) zu verhindern. Dies 51 52

53

54

9.9.2007: http://www.beepworld.de/members89/wasja2005/nero-hilfe.htm COSMAS: R99/APR.27764 Frankfurter Rundschau, 08.04.1999, S. 36, Ressort: REGIONALSPORT; Bei der Kickbox-Gala in Gelnhausen geben sich die Kontrahenten im Ring grimmig / «Vollkontakt ist das, was die Leute interessiert»; zitiert 9.9.2007) Im Falle des im Beleg verwendeten Adjektivs kaputt mag hinzukommen, dass eine attribute Verwendung von kaputt als umgangssprachlich empfunden werden könnte (vgl. Duden-Grammatik 2005:365). Die Blockierung der pränominalen Stellung des Adjektivs in dieser Konstruktion kann aber sicherlich nicht allein damit erklärt werden, wie im Folgenden deutlich wird. Unter Determinator verstehe ich in Anlehnung an Lohnstein (1996:180) natürlich-

129 kann hier nicht im Einzelnen nachgewiesen werden; die folgenden Beispiele (379/3-80) mit weiteren Determinatoren (beide, diese) stützen diese Vermutung allerdings nachdrücklich. (3-79) a. b.

Er hatte beide Augen blau.55 #Er hatte beide blauen Augen.

(3-80) a. b.

Diesen Krug habe ich schon lange leer. #Diesen leeren Krug habe ich schon lange.

Die (b)-Beispiele in (3-79) und (3-80) unterliegen im Wettbewerb den (a)-Beispielen im Optimierungsprozess an der Syntax-Semantik-Schnittstelle.56 Aufgrund dieser Überlegungen ist eine Beschränkung folgender Art zu formulieren. Det-DomäneKonst: Halte die Domäne, über die ein Determinator quantifiziert, konstant.

Det-DomäneKonst muss (im Deutschen) höher gerankt sein als *Rel-eingeb, denn die optimalen Kandidaten (3-79a) und (3-80a) verletzen *Rel-eingeb. Dies impliziert aber, dass Det-DomäneKonst für den indefiniten Artikel ‹blind› ist, denn sonst könnten Sätze wie Sie hat einen roten Kopf bei prädikativer Interpretation des Adjektivs keine optimale syntaktische Form darstellen (vgl. dazu Abs. 3.5.2). Mit anderen Worten: Der indefinite Artikel ist kein De-

55

56

sprachliche D-Elemente, die als Instantiierungen aus der Menge der logisch möglichen Quantoren aufzufassen sind. Vgl. hierzu Beleg (i) (Unterstreichung M.B.). (i) Die Schauspieler gaben Vollgas, allen voran Peter Rugart alias Rudi Nudelbaum und Peter Abele als leidgeprüfter Staubsaugervertreter Bodo Mückenmacher, der am Schluss beide Augen blau hatte. (31.7.2008: http://www. tsv-unterriexingen.de/theatergruppe) Interessant ist in diesem Zusammenhang Beleg (ii) (Unterstreichung M.B.), denn hier bezeichnet das Adjektiv blau die Irisfarbe der Augen von Hunden und ist somit wohl als Individuenprädikat einzuordnen, was für den AHK im Deutschen vor dem Hintergrund der Feststellungen in Abs. 3.3.3 überrascht. (ii) Die meisten haben wunderschöne Bernsteinfarbene Augen. Manchmal etwas heller oder dunkler. Andere haben ein Auge «Braun» , das Andere Blau oder sogar in einem Auge 2 Farben (Braun und Blau). Dass ein Husky beide Augen Blau hat, ist eher selten. (13.11.2008: http://www.unsereferien.ch/nordlicht/ content-r6393.html) Die Syntagmen der (b)-Beispiele stellen aber optimale Kandidaten eines jeweils anderen Wettbewerbs dar, bei dem im Input das Adjektiv als Modifikator spezifiziert wurde. Dabei resultiert eine deutlich andere Satzbedeutung gegenüber den (a)-Beispielen.

130 terminator im hier verstandenen Sinne, d. h. er ist ‹semantisch leer›. Genau dies wird sich im folgenden Abs. 3.6 bestätigen. Die Diskussion in Abs. 3.5 hat gezeigt, dass die Wahl zwischen dem AHK einerseits und einer ‹Konkurrenzkonstruktion› mit attributiv realisiertem Adjektiv andererseits das Ergebnis eines Optimierungsprozesses darstellt, bei dem syntaktische, semantische und pragmatische Faktoren zusammenspielen. Im nächsten Abschnitt wird die Diskussion auf absolute mit-Konstruktionen erweitert.

3.6

Die absolute mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat

3.6.1 Einleitung Der Gegenstand dieses Abschnitts ist die absolute mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat (3-81). (3-81) a. b.

[Mit offenem Fenster] kann ich gut schlafen. [Mit rotem Kopf] betrat er die Bühne.

Für diese Konstruktion – wie für jede absolute mit-Konstruktion im Deutschen (vgl. Abs. 2.5) – gilt, dass ihr in systematischer Weise eine haben-Konstruktion zugeordnet werden kann (3-82). (3-82) a. b.

Ich habe das Fenster offen. Er hatte einen roten Kopf.

Die absolute mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat weist die folgenden Kennzeichen auf: 1) Im Gegensatz zur haben-Konstruktion steht das adjektivische Prädikat grundsätzlich in pränominal-attributiver Stellung (vgl. 3-81a gegenüber 3-82a); 2) ebenfalls im Unterschied zur haben-Konstruktion erscheint kein Artikel in der von mit eingebetteten NP/DP. Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, im Anschluss an die bisherigen Überlegungen diese Kennzeichen in einem optimalitätstheoretischen Modell darzustellen. An dieser Stelle soll vorab verdeutlicht werden, warum das Adjektiv in Konstruktionen wie (3-81) trotz seiner pränominalen Stellung nicht als Modifikator, sondern als Prädikat zum Bezugsnomen aufgefasst werden muss. Erstens ist das Adjektiv nicht weglassbar, ohne dass eine grundlegende Uminterpretation des Satzes eintritt (3-83). (3-83) a. b.

#Mit (einem/dem) Fenster kann ich gut schlafen. #Mit (einem/dem) Kopf betrat er die Bühne.

131 Derselbe Effekt wurde bereits in Abs. 3.2 und 3.5.3 für die haben-Konstruktion konstatiert und lässt sich beispielsweise auch in (3-82) nachvollziehen. Bei Adjektiven, die die Funktion von Modifikatoren wahrnehmen, ist im Allgemeinen kein solcher Effekt zu beobachten. – Zweitens ergibt sich Evidenz für den prädikativen Status des Adjektivs aufgrund seiner Unverträglichkeit mit einer Phrase, die ihrerseits als Prädikat zum selben Bezugsnomen zu interpretieren ist. (3-84) a. b.

Von einem kleinen Haus im Grünen mit Garten träume ich schon lange. *Anna ist [Prädikat fleißig] [Prädikat im Garten].

Modifikatoren (vgl. Unterstreichungen in 3-84a) zu Nomen sind grundsätzlich beliebig vermehrbar. Im Gegensatz dazu kann die Prädikatsfunktion nicht iteriert werden (3-84b).57 In der absoluten mit-Konstruktion kann nun beispielsweise eine PP – in postnominaler Stellung – als Prädikat dienen (im Gips in 3-85a; vgl. dazu Kap. 5), oder ein Adjektiv bzw. ein Partizip (b) kann die Prädikatsfunktion wahrnehmen – in diesem Fall in pränominaler Stellung.58 Die Kombination eines postnominalen Prädikats mit einem pränominalen Adjektiv/ Partizip ist in der absoluten mit-Konstruktion aber ausgeschlossen (3-85c). (3-85) a. b. c.

Er fuhr [mit dem Arm im Gips] die steile Piste hinunter. Er fuhr [mit kaputtem/gebrochenem Arm] die steile Piste hinunter. *Er fuhr [mit kaputtem/gebrochenem Arm im Gips] die steile Piste hinunter.

Dies spricht dafür, das pränominale Adjektiv/Partizip in Konstruktionen wie (385b) als Prädikat, nicht als Modifikator zu interpretieren.59 – Drittens bietet das Niederländische indirekte Evidenz für die Prädikativanalyse des pränominalen Adjektivs in der absoluten mit-Konstruktion. (3-86)

57 58 59

Hij slaapt met het raam open. ‚Er schläft mit dem Fenster offen.‘

Von Lesarten, in denen im Garten als ‹freies› Lokaladverbial auftritt oder fleißig als sekundäres Prädikat (als Depiktivum) interpretiert wird, ist hier abzusehen. Ein Partizip II verhält sich in der absoluten mit-Konstruktion bzw. in der habenKonstruktion syntaktisch parallel zu einem Adjektiv (vgl. dazu Kap. 4). Es ist darauf hinzuweisen, dass die Artikellosigkeit in der Konstruktion einzuhalten ist. Bei Setzung eines Artikels ergibt sich eine andere Lesart des pränominalen Adjektivs (i). (i) Er kam mit dem gebrochenen Arm im Gips in die Schule. In (i) ist der kaputte/gebrochene Arm als ganzer präsupponiert, d. h. die zugrunde liegende Prädikationsstruktur ist schematisch wie in (ii) darzustellen. (ii) [Argument der [Attribut kaputte/gebrochene] Arm] ist [Prädikat im Gips] Hier stellt kaputt/gebrochen kein Prädikat, sondern ein Attribut zu Arm dar.

132 In der niederländischen absoluten met-Konstruktion kann als Prädikat in postnominaler Stellung – ebenso wie beispielsweise eine PP – ein Adjektiv erscheinen (3-86) (vgl. Beukema/Hoekstra 1983, Klein 1983 sowie E-ANS). Die semantische Vergleichbarkeit der met-Konstruktion in (3-86) und der mit-Konstruktion in (3-81a) stellt sicherlich keinen Zufall dar, und in der theoretischen Modellierung sollte die Verwandtschaft der beiden Konstruktionen zum Ausdruck kommen. Dies geschieht hier, indem ich das Adjektiv (in den Beispielen: open bzw. offen) – trotz ihrer unterschiedlichen syntaktischen Realisierung – einheitlich als Prädikative zum Bezugsnomen analysiere. Dieses Teilkapitel 3.6 ist wie folgt aufgebaut. Abs. 3.6.2 hat die Artikellosigkeit der NP/DP in der absoluten mit-Konstruktion zum Gegenstand, die Abschnitte 3.6.3 und 3.6.4 beschäftigen sich mit den Referenzeigenschaften des beteiligten Kernnomens. In Abs. 3.6.5 formuliere ich die optimalitätstheoretischen Beschränkungen, die zur Erfassung der syntaktischen und semantischen Eigenschaften der betrachteten Konstruktionen nötig sind. Dabei wird insbesondere die Rolle des indefiniten Artikels zu beleuchten sein.

3.6.2 Artikellosigkeit Zählnomen60 im Singular (wie Tisch, Säge) können im Deutschen gewöhnlich nicht artikellos verwendet werden (dies im Unterschied zu Massenomen wie Holz, 3-87a). Dies gilt auch dann, wenn das Nomen das Komplement einer Präposition darstellt (3-87b). (3-87) a. b.

Sie zersägt Holz / * Tisch. Sie arbeitet mit Holz / * Säge.

Zu dieser Generalisierung gibt es eine Reihe von Ausnahmen. (3-88) bietet eine Liste von Konstruktionen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), in denen ein Zählnomen im Singular den Kern einer NP/DP bildet, die das Komplement einer Präposition darstellt und dabei ohne Artikel erscheint (vgl. u. a. Brinkmann 1971:52–59 und Eroms 1988 zum Deutschen sowie Pereltsvaig 2006:475–477, Baldwin et al. 2006 und insbesondere de Swart/Zwarts 2007 und die dort angeführte Literatur).

60

Zum semantischen Merkmal der Zählbarkeit vgl. unten Abs. 3.6.5. – Eigennamen, die ebenfalls systematisch artikellos auftreten können, bleiben im Folgenden unberücksichtigt (vgl. Sturm 2005).

133 (3-88) a. b. c. d.

Das ist ein Ratgeber für Büro und Werkstatt. (aus: Dudengrammatik 2005:917) Wir haben erfolglos Laden für Laden abgeklappert. in Urlaub (fahren) / an Bord / bei Tisch Im Winter gehe ich nur mit warmer Mütze aus dem Haus.

Die Artikellosigkeit in der absoluten mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat kann nicht unter Bezugnahme auf eine der oben illustrierten Konstruktionen erklärt werden, denn die Bedingungen für die Artikellosigkeit sind jeweils andere. So liegen in (3-88a) koordinierte bzw. gereihte 61 artikellose Nomen vor (vgl. Heycock/Zamparelli 2003, Roodenburg 2004, de Swart/Zwarts 2007). Die Reihung ist hierbei – im Gegensatz zur absoluten mit-Konstruktion – eine Voraussetzung für die Artikellosigkeit, vgl. *Das ist ein Ratgeber für __ Büro. Die Einbettung in eine PP ist hingegen nicht Bedingung für das Fehlen des Artikels, vgl. Mit diesem Kabel verbinden Sie __ Computer und __ Drucker (Beispiel aus Duden-Grammatik 2005:305). In (3-88b) liegt eine Art Reduplikationsstruktur vor (vgl. de Swart/Zwarts 2007), bei der zwei identische Nomen durch eine Präposition verbunden und dabei artikellos verwendet werden. Als weitere Beispiele im Deutschen wären zu nennen: Stufe um Stufe (hinaufsteigen), Seite für Seite (lesen) oder Buch auf Buch (stapeln). Damit unterscheidet sich die Konstruktion in ihrer syntaktischen Struktur grundsätzlich von der absoluten mit-Konstruktion.62 Die Beispiele in (3-88c) stehen stellvertretend für eine Reihe von PPs mit artikellosem Nomen, die starke lexikalische Restriktionen aufweisen (vgl. *auf __ Schiff, *bei __ Schreibtisch) und (in einem weiten Sinne) lokale Semantik aufweisen (vgl. de Swart/Zwarts 2007, McIntyre 2007). Beides gilt für die absolute mit-Konstruktion nicht. (3-88d) ist am schwierigsten von der absoluten mit-Konstruktion abzugrenzen. Wichtig ist hier die Feststellung, dass die Weglassung des Adjektivs (vgl. Im Winter gehe ich nur mit __ Mütze aus dem Haus) pragmatisch unauffällig ist und keine grundsätzliche Uminterpretation des Satzes erforderlich macht (vgl. oben Abs. 3.6.1). In diese Kategorie sind wohl auch Beispiele wie mit __ Kreditkarte bezahlen (vgl. McIntyre 2007:3) oder Ohne __ Computer kann ich nicht arbeiten einzuordnen. Die Bedingungen für die Artikellosigkeit in diesen Konstruktionen können hier nicht geklärt werden (vgl. dazu Pereltsvaig 2006, McIntyre 2007, de Swart/Zwarts 2007). Die in (3-88) illustrierten PPs beinhalten alle kein (oder kein obligatorisch zu setzendes) Adjektiv – dies u. a. unterscheidet sie von der absoluten mit-Kon-

61

62

Die Duden-Grammatik (2005:305, 917) spricht treffend von Reihung, denn es können auch mehr als zwei Nomen in die Konstruktion einbezogen werden (i). (i) Das ist die Lösung für __ Küche, __ Bad und __ WC. Auch in semantischer Hinsicht zeigt die Konstruktion besondere Eigenschaften, auf die hier nicht eingegangen werden soll (vgl. Beck/von Stechow 2005).

134 struktion. Die Präsenz eines (pränominalen) Adjektivs selbst ist andererseits noch keine hinreichende Bedingung für die Artikellosigkeit in der PP; vgl. hierzu die – nicht systematisch angelegte – Beispielsammlung in (3-89). (3-89) a. b. c. d. e. f.

*Während langer Prüfung schlief er ein. *Mit neuem Schraubenzieher brachte ich die Schraube endlich heraus. *Auf hoher Terrasse wird mir leicht schwindlig. *Das ist ein Geschenk für guten Freund. *Er atmet durch offenen Mund. *Sie freut sich über gelungenes Fest.

Bei den ersten vier Beispielen stellen die PPs freie Adverbiale (Adjunkte) in temporaler (3-89a), instrumentaler (b), lokaler (c) bzw. finaler Funktion (d) dar. In (3-89e/f) handelt es sich bei den PPs um Phrasen, die vom Verb (atmen bzw. sich freuen) selegiert sind. Obwohl alle PPs ein pränominal stehendes Adjektiv beinhalten, führt die Artikellosigkeit in allen Fällen zu einem ungrammatischen Satz. Setzt man einen Artikel, sind die Sätze hingegen grammatisch (3-90). (3-90) a. b. c. d. e. f.

Während der (langen) Prüfung schlief er ein. Mit dem (neuen) Schraubenzieher brachte ich die Schraube endlich heraus. Auf einer (hohen) Terrasse wird mir leicht schwindlig. Das ist ein Geschenk für einen (guten) Freund. Er atmet durch den (offenen) Mund. Sie freut sich über das (gelungene) Fest.

Dabei ist das Adjektiv in der PP grundsätzlich weglassbar. Daher ist davon auszugehen, dass es sich bei den Adjektiven in (3-90) um Modifikatoren handelt. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die Artikellosigkeit in der absoluten mit-Konstruktion mit dem Status des Adjektivs als Prädikat zusammenhängt. Dies wird bestätigt durch die folgenden, wiederum nur exemplarisch zu verstehenden Daten (3-91). (3-91) a. b. c. d. e.

63

Er lief in *(schnellem/rasantem/gebremstem/beschleunigtem) Tempo. Sie äußerte sich in *(sachlichem/beleidigtem/entschiedenem) Ton. Ich bekam den Anzug in *(sauberem/ordentlichem/gereinigtem) Zustand zurück. Nach *(katholischem/islamischem/hinduistischem) Glauben erwartet uns nach dem Tod … Bei *(freiem) Durchgang erfolgt ein Signal.63

Vgl.: «Über diesen Ausgang wird bei freiem Durchgang links ein Dauersignal ausgegeben.» (14.8.2008: http://www.kwapilcz.com/downloads/bedienungsanleitungmpt33.pdf)

135 In den angeführten Beispielen steht kein Artikel in der PP, und das Adjektiv ist nicht weglassbar. Das Komplement von P lässt sich auf der inhaltlichen Ebene – ganz analog zur absoluten mit-Konstruktion und zum AHK – in einen präsupponierten Gehalt (das Kernnomen) und einen assertierten Gehalt (das Adjektiv) unterteilen. So definiert in (3-91a/b/c) das Nomen Tempo, Ton bzw. Zustand die Kategorie, die ‹gemessen› wird, während das Adjektiv den ‹Wert› spezifiziert. (3-91d) ist möglicherweise analog einzuordnen. In (3-91e) ist die PP konditional zu interpretieren; bei einer entsprechenden Paraphrase wird das Adjektiv als Prädikativ realisiert: ‚Wenn der Durchgang frei ist, …‘. Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass es sich bei den Adjektiven in den PPs in (3-91) um Prädikate, nicht um Modifikatoren handelt. Dies müsste allerdings durch weiter gehende Forschung bestätigt werden. Dennoch soll an dieser Stelle die folgende Generalisierung im Sinne einer Hypothese formuliert werden: Eine NP/DP, die das Komplement einer Präposition darstellt, kann artikellos realisiert werden, wenn die NP/DP ein Adjektiv beinhaltet, das pränominal zum Nomen steht, dabei aber als Prädikat interpretiert wird.64 Der nächste Abschnitt geht näher auf die Semantik des Nomens in der absoluten mit-Konstruktion und der haben-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat ein.

3.6.3 Referenzeigenschaften des ‹besessenen› Nomens In diesem Abschnitt zeige ich, dass ein artikellos verwendetes Zählnomen in der absoluten mit-Konstruktion keine Referenzfähigkeit besitzt. Erstens ist festzustellen, dass auf das artikellos auftretende Nomen in der absoluten mitKonstruktion nicht mit einem Relativsatz Bezug genommen werden kann (392). Dies spricht gegen die Referenzialität der von mit eingebetteten NP (vgl. Helbig 2008:88). (3-92) a. b.

64

65

Er fährt immer mit offenem Fenster (*das ihm von Jungs aus der Nachbarschaft einmal eingeschlagen wurde). Er erschien mit schmutzigem Hemd (*das er die Woche davor gekauft hatte).65

Ob Beispiele wie die folgenden auch unter diese Generalisierung fallen oder anders zu erklären sind, muss hier offen bleiben. (i) Sie wurde aus *(tiefstem) Schlaf gerissen. (ii) Nach *(kurzer/durchzechter/schlafloser) Nacht fuhren wir um 6 Uhr los. Ein auffälliger Unterschied zu den oben diskutierten Beispielen ist die stärkere Eigensemantik der regierenden Präposition. In (3-92b) ist eine Lesart möglich, bei der Hemd nicht präsupponiert wird. In diesem Fall ist das Adjektiv schmutzig als Modifikator zu interpretieren (was sich auch in

136 Wird aber beispielsweise in (3-92b) ein Artikel eingesetzt, so ist die Erweiterung durch den Relativsatz möglich (3-93). (3-93)

Er erschien mit einem schmutzigen Hemd, das er die Woche davor gekauft hatte.

Zweitens geht die Artikellosigkeit in der PP mit einer Reduktion der Skopusambiguitäten einher (vgl. Pereltsvaig 2006:472). (3-94) a. b.

Alle ließen sich mit gebügeltem Hemd fotografieren. Alle ließen sich mit einem gebügelten Hemd fotografieren.

(3-94b) weist (mindestens) zwei Lesarten auf: Bei der einen Lesart trugen alle Fotografierten beim Fototermin (irgend)ein gebügeltes Hemd (enger Skopus von ein gebügeltes Hemd) oder alle trugen (nacheinander) dasselbe Hemd (weiter Skopus von ein gebügeltes Hemd). (3-94a) weist dagegen nur die erste Lesart (mit engem Skopus von gebügeltes Hemd) auf. Pereltsvaig (2006) interpretiert diese Lesarteneinschränkung dahingehend, dass die artikellose NP nicht-referierende Funktion hat.66 Die fehlende Referenzfähigkeit des Nomens in den diskutierten Beispielen ist unabhängig von den Eigenschaften der Präposition mitprop (d. h. unabhängig vom Konstruktionstyp der absoluten mit-Konstruktion). Dies zeigen die PPs in den Beispielen in (3-95) und (3-96), die dem Typus in (3-88d) entsprechen (d. h. hier liegen mit den PPs keine Absolutkonstruktionen vor). (3-95) a. b.

Sie ließ sich mit Hut fotografieren (*den sie in Paris gekauft hatte). Ich bezahle mit Kreditkarte (*die ich ein paar Tage verlegt hatte und erst gestern wieder gefunden habe).

(3-96) a. b.

Alle ließen sich mit Hut fotografieren. Alle ließen sich mit einem Hut fotografieren.

Wiederum ist eine Erweiterung des artikellosen Nomens in der PP durch einen Relativsatz unmöglich (3-95), und (3-96a) weist nur die Lesart mit engem Skopus von Hut auf (während in b auch die Lesart mit weitem Skopus möglich ist). Wichtig ist nun die Feststellung, dass im AHK, anders als in den betrach-

66

der Weglassbarkeit des Adjektivs zeigt). In dieser Lesart liegt eine PP vor, die dem oben mit Beispiel (3-88d) illustrierten Typus zuzuordnen ist. Entsprechendes gilt für (3-94). – Bei Beispielen, die als Kernnomen Hemd (oder die Bezeichnung für ein anderes Kleidungsstück) beinhalten, kann neben mit auch die Präposition in verwendet werden. Für weitere Kriterien, aufgrund deren die fehlende Referenz einer NP nachgewiesen werden kann, vgl. Pereltsvaig (2006:471–475).

137 teten präpositionalen Konstruktionen, das Komplementnomen (das mit Artikel erscheint) durchaus referierend interpretiert werden kann (3-97). (3-97) Beim Fahren hat er immer das Fenster offen (OKdas ihm übrigens von Jungs aus der Nachbarschaft einmal eingeschlagen wurde).

Der oben dargestellte semantische Unterschied zwischen absoluter mit-Konstruktion und haben-Konstruktion ist somit unabhängig zu begründen – es liegen keine konstruktionsspezifischen Eigenschaften vor. Interessieren muss im Weiteren die Frage, ob das Objektnomen in der habenKonstruktion mit pränominal stehendem, aber prädikativ zu interpretierendem Adjektiv die Fähigkeit zur Referenz hat. Dies scheint nicht der Fall zu sein.67 (3-98) a. b.

Er hat eine gebrochene Nase (*die ihm übrigens schon letztes Jahr einmal eingeschlagen wurde). Ich hatte eine beschlagene Brille68 (*deren Gläser außerdem mittlerweile zu schwach für meine schlechten Augen waren), und sah daher fast nichts.

Im Ergebnis zeigt sich, dass die Setzung des indefiniten Artikels allein noch nicht dazu führt, dass das Objektnomen Referenzfähigkeit aufweist: Nase bzw. Brille werden in (3-98a/b) nicht-referenziell verwendet, genauso wie in den entsprechenden absoluten mit-Konstruktionen (3-99) (vgl. die Diskussion oben). (3-99) a. b.

Mit gebrochener Nase kämpft es sich schwer. Mit beschlagener Brille sehe ich nichts.

Dies steht im Gegensatz zum Gebrauch des indefiniten Artikels in (3-100). (3-100) a. Der Arzt behandelte eine gebrochene Nase, die wohl nicht zum ersten Mal zusammengeflickt werden musste. b. Ich sah in der Ecke eine verbogene Brille, deren Gläser außerdem gebrochen waren.

67

68

Jedenfalls ist es mir nicht gelungen, Beispiele mit den genannten Merkmalen zu finden oder zu konstruieren, bei denen das Nomen klar referierende Funktion hat. – Bei einer haben-Konstruktion, in der das Objektnomen von einem Adjektiv mit Modifikatorinterpretation begleitet wird, ist Referenz des Nomens dagegen grundsätzlich möglich. (i) Ich habe eine kaputte Brille, die ich den Kindern zum Theaterspielen schenken kann. Vgl. den folgenden Beleg (Unterstreichung M.B.): «Eventuell war es von Vorteil, daß ich eine beschlagene Brille hatte, denn so lief ich einfach und kümmerte mich nicht so sehr um den Untergrund.» (13.11.2010: http://www.hauptsache-ankommen. de/2003/Die_Laufe_2003/die_laufe_2003.html)

138 Zum Abschluss dieses Abschnitts sind die Referenzeigenschaften des Possessums69 in den oben betrachteten Konstruktionen sowie der jeweilige Artikelgebrauch schematisch zusammengefasst. I

mit rotem Kopf (absolute mitKonstruktion)

nicht-referierend

kein Artikel

II

einen roten Kopf haben

nicht-referierend

indefiniter Artikel

III

das/ein/dieses/… Fenster offen haben (AHK)

referierend oder nichtreferierend70

(keine besonderen Restriktionen)

(Tabelle 3:6)

70

Im Folgenden bleibt nun die Frage zu beantworten, wie die Artikellosigkeit in Kategorie I bzw. die Setzung des indefiniten Artikels in Kategorie II von Tab. (3:6) theoretisch zu deuten ist (vgl. dazu Abs. 3.6.5). Im nächsten Abschnitt ist aber zunächst auf den AHK (Kategorie III) zurückzukommen.

3.6.4 Der AHK und External possessor constructions Am Ende des letzten Abschnitts wurde festgehalten, dass die Akkusativ-NP (Possessum-NP) im AHK entweder referierenden oder nicht-referierenden Charakter haben kann. Referierend ist der Gebrauch von [… Fenster] in (3-101a). (3-101) a. Sie hatte das mittlere Fenster ihres Wohnzimmers / dieses Fenster hier offen. b. Sie hat das Glas leer.

(3-101b) ist hingegen ambig. Neben der Lesart, bei der das Glas auf ein spezifisches, identifizierbares Glas referiert, weist der Satz eine Lesart auf, bei der Glas semantisch als nicht-referierend einzuordnen ist. Diese Auffassung wird im Folgenden begründet. – Die zweite Lesart von (3-101b) ist mit (3-102) zu vergleichen.

69

70

Vereinheitlichend als Possessum bezeichnet wird hier die NP, die in der absoluten mit-Konstruktion von der Präposition eingebettet wird, die Akkusativ-NP im AHK sowie die NP in der ‹Variante› zum AHK mit pränominalem, prädikativ zu interpretierendem Adjektiv. Zu nicht-referierenden Akkusativ-NPs im AHK vgl. die Diskussion im folgenden Abschnitt.

139 (3-102) Der Schüler hatte den Arm kaputt / eingebunden / im Gips.

Die folgenden Beobachtungen gelten nicht nur für den AHK (vgl. … kaputt), sondern auch für den PHK (die Variante mit einem Partizip II als SC-Prädikat, vgl. … eingebunden) und für die haben-Konstruktion mit präpositionalem SCPrädikat (vgl. … im Gips). Der Gebrauch des definiten Artikels in (3-102) ist in diskurssemantischer Hinsicht auffällig: Anders, als es bei der Verwendung des definiten Artikels ‹üblicherweise› der Fall ist, nimmt den Arm hier nicht Bezug auf einen festgelegten Diskursreferenten.71 Dies ist schon daran zu erkennen, dass in (3-102) offen bleiben kann, welcher der beiden Arme des Subjektsreferenten verletzt ist, ohne dass dabei die Äußerung des Satzes pragmatisch markiert erscheint. Die syntaktischen Eigenschaften dieser ‹pseudo-definiten› NPs/DPs sind in der Literatur öfters dokumentiert worden, insbesondere im Zusammenhang mit der sog. External possessor construction (3-103)72 (vgl. u. a. Vergnaud/Zubizarreta 1992, Payne/Barshi 1999, Koenig 1999, Guéron 2003). (3-103) Die Ärztin hat einem Patienten den Brustkasten geröntgt.

Die Äußerung von (3-103) ist pragmatisch unmarkiert in einem Kontext, wo der Referent von einem Patienten eben durch diese Äußerung in den Diskurs eingeführt wird. Es ist unnötig (und pragmatisch stark abweichend) anzunehmen, dass den Brustkasten auf eine Entität mit im Diskurs bereits festgelegter Referenz Bezug nimmt. Ich gehe daher davon aus, dass die körperteilbezeichnenden NPs in (3-103) und (3-102) semantisch als nicht-referierend einzustufen sind (vgl. Guéron 2003:200). Die Zugehörigkeitsrelation, die in (3-102) und (3-103) zwischen Schüler bzw. Patient (dem Possessor) einerseits und Arm bzw. Brustkasten (dem Possessum) andererseits zum Ausdruck kommt, wird im Allgemeinen als inalienable Possession (oder unveräußerlicher Besitz) bezeichnet. Die Beziehung kann als eine Teil-Ganzes-Relation aufgefasst werden. Es ist jedoch wichtig, festzuhalten, dass es sich bei dem als inalienabel konzeptualisierten Possessum nicht zwingend um einen konstitutiven Teil des durch die Possessor-NP bezeichneten

71

72

Die genaue Bestimmung der semantisch-pragmatischen Kategorie Definitheit kann hier offen bleiben (für einen Überblick über verschiedene Ansätze vgl. Lyons 1999 oder Abbott 2004). Ich orientiere mich hier am Konzept der determined reference von Farkas (2002). Der definite Artikel ist dabei die syntaktische Markierung für die Fixierung des von der NP eingeführten Diskursreferenten auf einen bestimmten Wert (vgl. Farkas 2002:222). Der Begriff external bezieht sich auf die syntaktische Realisierung des ‹Possessors› (im Beispiel Patient) als eigenständiges Argument des Verbs. Bei ‹interner› Stellung wird es syntaktisch als Attribut des Possessums realisiert (i). (i) Die Ärztin hat den Brustkasten eines Patienten geröntgt.

140 Ganzen zu handeln braucht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass grundsätzlich beliebige Denotate als ‹inalienabel› konzeptualisiert werden können (vgl. Hanon 1988).73 Entscheidend ist nur, dass es sich beim Possessum im gegebenen pragmatischen Kontext um eine Größe handelt, «dont le possesseur est si fortement empreint que l’objet devient une sorte de prolongement de ce possesseur» (Hanon 1988:175). Zu ähnlichen Schlüssen für die dem AHK formal entsprechende Konstruktion im Französischen (der CAA, vgl. oben Abs. 3.3) kommt Riegel (1997). Vor diesem Hintergrund ist die oben behauptete Lesart von (3-101b), bei der das Glas eine ‹inalienable› und nicht-referierende Funktion wahrnimmt, erwartbar.74 Evidenz für diese Sichtweise ergibt sich aufgrund einer weiteren semantischen Parallele zwischen Sätzen wie (3-101b) einerseits und solchen mit einem Objektnomen, das einen Körperteil im engeren Sinne denotiert, andererseits. Diese Parallele besteht im Distributionseffekt (distribuity effect, Vergnaud/Zubizarreta 1992) (3-104). (3-104) a. Die Ärztin hat Fritz und Oskar den Brustkasten geröntgt. b. Fritz und Oskar haben den Arm kaputt / eingebunden / im Gips. c. Fritz und Oskar haben das Hemd offen / das Glas leer / das Handy kaputt / das Portemonnaie leer.

Der Distributionseffekt zeigt sich in (3-104a) (einem Beispiel der Kategorie External possessor construction) darin, dass die Ärztin zwei Brustkästen geröntgt hat: Den von Fritz und den von Oskar. Dies gilt, obwohl die PossessumNP im Singular steht. Entsprechende distributive Lesarten ergeben sich für die Possessum-NPs in den haben-Konstruktionen (3-104b/c) (die jeweils formal unterschiedlich ausgeprägte Coda-Konstituenten enthalten). Dabei ergibt sich der Distributionseffekt nicht bloß bei einem Possessum, mit dem ein Körperteil bezeichnet wird (wie Arm in 3-104b), sondern in gleicher Weise auch bei den nicht-körperteildenotierenden Objektnomen: So ist in (3-104c) beispielsweise eine Interpretation möglich – und pragmatisch bevorzugt – bei der Fritz und Oskar aus je einem eigenen Glas, nicht gemeinsam aus demselben, getrunken haben. Vergnaud/Zubizarreta (1992) erfassen die Unterscheidung der beiden Lesarten von das Glas in (3-101b) mit der begrifflichen Dichotomie Token und Type: Bei Referenz auf eine spezifische Entität des Diskursuniversums denotiert das Glas ein Token, in der ‹inalienablen› Lesart denotiert das Glas hingegen ein

73

74

Es muss hier offen bleiben, ob dieser Grundsatz zwingend zu der (unattraktiven) Annahme führt, dass für alle betroffenen Nomen lexikalische Ambiguität angenommen werden muss, wie dies Vergnaud/Zubizarreta (1992:596f) vorschlagen (vgl. auch Hole 2005). Nach Vergnaud/Zubizarreta (1992:617) wären NPs wie das Glas hier als «inalienable phrases in an extended sense» einzuordnen (Hervorhebung M.B).

141 Type.75 Diese Unterscheidung wird im nächsten Abschnitt noch einmal aufgegriffen. Distributive Lesarten treten bei indefiniten NPs regelmäßig auf, nicht aber bei definiten (vgl. Vogeleer/Tasmovski 2006:2). Insofern verhalten sich die ‹pseudo-definiten›, (im weiteren Sinne) inalienablen NPs wie indefinite NPs. Es stellt sich nun die Frage, wie der ‹pseudo-definite› Artikel theoretisch zu deuten ist. Da er keine Referenz auf ein Individuum herzustellen vermag, verstehen ihn Vergnaud/Zubizarreta (1992) als Expletivum (vergleichbar dem Pronomen es in es regnet). Damit hat der ‹pseudo-definite› Artikel eine rein syntaktische Funktion und sollte keine semantischen Effekte haben. Dies scheint jedoch empirisch eine falsche Voraussage zu sein (3-105).76 (3-105) a. *Er hat den roten Kopf. b. Er hat einen roten Kopf.

Für ein Input-Paar mit den Spezifikationen Er hat [RelP Kopf rot] [Syntax] / prädikative Interpretation des Adjektivs [Semantik] ergibt der Optimierungsvorgang an der Syntax-Semantik-Schnittstelle einen optimalen Kandidaten, bei dem das Adjektiv syntaktisch pränominal-attributiv realisiert wird (vgl. oben Abs. 3.5.2). Würde es sich beim ‹pseudo-definiten› Artikel um ein Expletivum handeln, wäre zu erwarten, dass dieser in der syntaktischen Struktur des optimalen Kandidaten erscheinen kann (wie dies ja auch im AHK, also bei postnominaler Stellung des prädikativen Adjektivs, der Fall ist). Kurz gesagt: Als Gewinner zu erwarten wäre (3-105a). Tatsächlich ist dieser Satz aber ungrammatisch,77 und (3-105b) – mit indefinitem Artikel – ist der optimale Kandidat: Es scheint im Deutschen somit nicht der ‹pseudo-definite›, sondern der indefinite Artikel zu sein, der als semantisch leerer, expletiver Artikel auftreten kann. Eine theoretische Analyse des ‹pseudo-definiten› Artikels – der ja nicht nur in haben-Konstruktionen auftritt – kann im gegebenen Rahmen nicht geleistet

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76

77

Carlson (2003:303) identifiziert die semantischen Kategorien Type (im Sinne von Vergnaud/Zubizarreta 1992) und Kind (Art) miteinander. Eine Kind-Lesart weist beispielsweise das Mammut in (i) auf. (i) Das Mammut ist ausgestorben. Ob diese Identifizierung angemessen ist, kann hier nicht erörtert werden (vgl. dazu auch Vergnaud/Zubizarreta 1992:643–647 und Pérez-Leroux et al. 2004:201). Kritik an der Expletiv-Analyse des ‹pseudo-definiten› Artikels übt Hole (2005:Abs. 4.3) auf theoretischer Ebene, da mit dieser Analyse zwei unterschiedliche, aber homonyme definite Artikel stipuliert werden müssen. Es kann vermutet werden, dass (3-105a) gegen Det-DomäneKonst (vgl. Abs. 3.5.4) verstößt, genauso wie dies bei strukturell entsprechenden Kandidaten mit einem ‹echten› definiten Artikel oder einem anderen Quantor der Fall wäre.

142 werden.78 – Im nächsten Abschnitt werden die Beschränkungen formuliert, die die Distribution des ‹expletiven› indefiniten Artikels in den hier interessierenden Konstruktionen steuern.

3.6.5 Die Rolle des indefiniten Artikels Pereltsvaig (2006:435) fasst artikellose NPs im Singular – die sie als Small Nominals bezeichnet, da diese gemäß ihrem Modell keine DP über der NP projizieren – semantisch generell als vom Typ , also als Eigenschaften (properties) auf. Das passt allerdings schlecht zu Pereltsvaigs Annahme, dass es sich bei den Small Nominals um Argumente handelt. Ich folge Pereltsvaig in der Auffassung, dass Zählnomen im Singular auch bei artikellosem Gebrauch Argumentstatus haben können – doch denotieren diese NPs nicht (zwingend) properties. Um Argumente muss es sich bei den artikellos verwendeten Possessum-NPs in der absoluten mit-Konstruktion und in der haben-Konstruktion deshalb handeln, da sie sich mit einem Prädikatsausdruck – einem prädikativ interpretierten Adjektiv – zu einer Proposition verbinden. Dies bedeutet, dass Argumenthaftigkeit nicht zwingend Referenzialität impliziert (vgl. auch Zamparelli 2005:927f). Aufgrund der Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt – und in Abgrenzung zu Pereltsvaig – nehme ich an, dass die artikellos verwendeten Nomen in der absoluten mit-Konstruktion semantisch Types (im Sinne von Vergnaud/ Zubizarreta 1992, vgl. oben Abs. 3.6.4) darstellen. Dasselbe gilt für die ObjektNPs in der haben-Konstruktion, bei der das prädikativ interpretierte Adjektiv wie in der absoluten mit-Konstruktion pränominal steht (vgl. einen roten Kopf haben). Daher lassen sich die Ergebnisse in Tabelle (3:6) (vgl. oben) auch wie folgt darstellen.

78

Die Relation zwischen Possessor und inalienablem Possessum wird in anderen Ansätzen (vgl. Koenig 1999, Guéron 2003) als Form der Bindung verstanden. Eine eher vortheoretische, aber dennoch treffende Bestimmung der Funktion des ‹pseudodefiniten› Artikels bietet Hanon: «l’article le est un marqueur de l’évidence du rapport entre parties et tout» (Hanon 1988:174; Hervorhebungen original). Demzufolge drückt der ‹pseudo-definite› Artikel die Selbstverständlichkeit des Gegebenseins eines Possessums aus.

143 I

mit rotem Kopf (absolute mitKonstruktion)

type-denotierend

kein Artikel

II

einen roten Kopf haben

type-denotierend

indefiniter Artikel

III

das/ein/dieses/… Fenster offen haben (AHK)

token-denotierend oder type-denotierend

(keine besonderen Restriktionen)

(Tabelle 3:7)

Die Setzung des indefiniten Artikels in Kategorie II bzw. sein Fehlen in Kategorie I ist nicht Ausdruck unterschiedlicher Semantik der jeweiligen NPs, sondern muss ein Reflex syntaktischer Wohlgeformtheitsbeschränkungen sein. Zum Verständnis des Artikelgebrauchs in Kategorie II sind zunächst allgemeine Bedingungen für die Setzung bzw. Nicht-Setzung des indefiniten Artikels zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund wird im Anschluss die Nicht-Setzung des indefiniten Artikels in Kategorie I thematisiert. Ich folge Heim (1988), Kamp/Reyle (1993) und Lyons (1999:32–36) in der Auffassung, dass die Indefinitheit einer NP im Englischen nicht durch die Präsenz von bestimmten Determinierern (Determinatoren) (vgl. engl. a/an) hervorgerufen wird, und übernehme diese Annahme für das Deutsche in Bezug auf ein-. Ein wichtiges Argument hierfür bieten NPs, die keinen Determinierer enthalten und dabei indefinit zu interpretieren sind. Dies gilt etwa für Massennomen (mass nouns) wie Butter in (3-106a) oder (zählbare) Nomen (count nouns) im Plural wie Gläser in (b) (vgl. Lyons 1999:34). (3-106) a. Er holt noch Butter. b. Auf dem Tisch standen Gläser.

Auch die Interpretation von NPs, die ein Zahlwort enthalten, stützt die vertretene Auffassung (vgl. Lyons 1999:33). (3-107) a. Wir sahen drei Elche. b. Wir sahen die drei Elche.

Das Zahlwort drei in (3-107a) ist offenkundig nicht verantwortlich dafür, dass die postverbale NP indefinit interpretiert wird, denn die NP in (b), die das Zahlwort ebenfalls enthält, wird definit interpretiert. Für die definite Interpretation der NP in diesem zweiten Satz wiederum ist der Determinierer die verantwortlich. Das Fehlen dieses Determinierers in (3-107a) führt dazu, dass drei Elche indefinit zu verstehen ist. Aufgrund dieser Überlegungen ist zu vermuten, dass analog dazu in (3-108a) die indefinite Interpretation von einen Elch nicht von der Präsenz des Determinierers einen herrührt,

144 sondern sich aufgrund der Abwesenheit eines definiten Determinierers (vgl. (3-108b) ergibt. (3-108) a. Wir sahen einen Elch. b. Wir sahen den Elch.

Zusammenfassend ergibt sich: Der Determinierer ein- trägt nicht ein Merkmal wie [+indefinit], [–definit] o. ä., sondern er verhält sich in Bezug auf die Definitheit der NP, in der er auftritt, gleichsam neutral, weshalb er – Lyons (1999:36) folgend – im Folgenden quasi-indefiniter Artikel genannt werden soll. Die Frage stellt sich, ob der quasi-definite Artikel andere semantische oder grammatische Merkmale zum Ausdruck bringt. Lyons (1999:35) zufolge kodiert der quasi-indefinite Artikel (zumindest im Englischen) das Merkmal [+Sg]. Dafür spricht, dass er ein Nomen nur dann begleiten kann, wenn es im Singular steht, aber nicht, wenn es im Plural steht, was auch für das Deutsche zutrifft: eine Frau / *eine Frauen. Damit könnte der quasi-indefinite Artikel nach Lyons (1999:35) als «a cardinality term, perhaps even a kind of numeral» aufgefasst werden. Der quasi-indefinite Artikel und die Kardinalzahl ein(s) sind dann nicht nur in ihren phonologischen Merkmalen eng verwandt, sondern auch hinsichtlich ihrer grammatischen und semantischen Merkmale: Die Kardinalzahl steht in unmittelbarem Kontrast zu Kardinalzahlen wie zwei, drei etc., während der quasi-indefinite Artikel merkmalsärmer ist und in Kontrast zur Bedeutung ‚mehr als ein‘ steht (vgl. Lyons 1999:35). – Lyons Auffassung des quasi-indefiniten Artikels als Enkodierung des Merkmals [+Sg] ist aber, wie hier gleich gezeigt wird, nicht überzeugend. Im Folgenden werde ich für eine alternative Konzeption des quasi-indefiniten Artikels argumentieren. Es ist leicht festzustellen, dass die Präsenz des quasi-indefiniten Artikels nicht mit dem Merkmal [+Sg] korreliert: Bei Massenomen im Singular ist die Einsetzung des quasi-indefiniten Artikels ungrammatisch (vgl. *ein reines Gold). Vielmehr steht der quasi-indefinite Artikel vor Zählnomen (count nouns) im Singular (vgl. 3-108a), aber er fehlt obligatorisch vor Massennomen und vor pluralischen Nomen (vgl. 3-106a bzw. b). Daher gehe ich davon aus, dass der quasi-indefinite Artikel mit dem Merkmal der Zählbarkeit korreliert. Zählbarkeit in dem hier zu entwickelnden Verständnis ist eine Eigenschaft, die denjenigen NPs zukommt, deren Kern aus einem Zählnomen im Singular besteht, aber nicht solchen NPs, deren Kern von einem Massenomen oder von einem pluralischen Nomen gebildet wird.79 Die gemeinsame Abgrenzung von 79

Einen ähnlichen Vorschlag macht – en passant – Guéron (2003:217), die den quasiindefiniten Artikel a im Englischen als Klassifikator auffasst, der die Klasse der Nomen in zwei Subklassen teilt, die mit dem Merkmal [±diskret] assoziert sind. Der ‹Klassifikator› a trägt das Merkmal [+diskret] und steht daher bei Zählnomen, nicht aber bei Massenomen (die nach Guéron von einem stillen Determinierer mit

145 massedenotierenden NPs und pluralischen NPs einerseits gegenüber ‹zählbaren› NPs im Singular ist wie folgt zu begründen. Nominalphrasen, deren Kopf ein Massenomen darstellt, und solche mit einem Nomen als Kopf, das das morphosyntaktische Merkmal Plural aufweist, besitzen eine semantische Gemeinsamkeit, die sie von ‹zählbaren› singularischen NPs unterscheidet: die Eigenschaft der kumulativen Referenz (vgl. Gillon 1992:597f und im Weiteren Krifka 1989; der Begriff cumulative reference geht auf Quine 1960:91 zurück). Damit ist Folgendes gemeint: Wenn die Entität x als a bezeichnet werden kann, und die Entität y ebenfalls als a bezeichnet werden kann, so kann die Summe aus x und y, x⊕y, wiederum als a bezeichnet werden. Für a kann nun ein Massenomen eingesetzt werden: Wenn die Entität x als Gold bezeichnet werden kann, und die Entität y ebenfalls als Gold bezeichnet werden kann, so kann die Summe aus x und y, x⊕y, wiederum als Gold bezeichnet werden. Im Weiteren kann für a auch ein pluralisches Nomen eingesetzt werden: Wenn die Entität x als Bleistifte bezeichnet werden kann, und die Entität y ebenfalls als Bleistifte bezeichnet werden kann, so kann die Summe aus x und y, x⊕y, wiederum als Bleistifte bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu kann für a kein zählbares Nomen im Singular (genauer: keine NP mit einem zählbaren Nomen im Singular als Kopf) eingesetzt werden: Wenn die Entität x als ein Bleistift bezeichnet werden kann, und die Entität y ebenfalls als ein Bleistift bezeichnet werden kann, so kann die Summe aus x und y, x⊕y, nicht als ein Bleistift bezeichnet werden, d. h. für zählbare Nomen im Singular gilt die Eigenschaft der kumulativen Referenz nicht. Aus dem Gesagten ergibt sich folgende Generalisierung: Wenn ein Nomen die Eigenschaft der kumulativen Referenz nicht aufweist, wird es vom quasiindefiniten Artikel begleitet. Das Fehlen der Eigenschaft der kumulativen Referenz bezeichne ich mit dem Merkmal [+zählbar], das Merkmal [–zählbar] liegt dagegen in einer NP vor, wenn diese die Eigenschaft der kumulativen Referenz besitzt.80 Der Plus-Wert der Opposition [± zählbar] wird auch syntaktisch markiert: [+zählbar] korreliert mit der Setzung des quasi-indefiniten Artikels ein-.

80

dem Merkmal [–diskret] begleitet werden). – Guérons Ansatz wird hier nicht weiter verfolgt. Es mag zunächst unattraktiv anmuten, dass das Fehlen einer semantischen Eigenschaft – im gegebenen Fall diejenige der kumulativen Referenz – syntaktisch markiert werden muss. Allerdings ist die Annahme nicht unplausibel, dass Zählbarkeit tatsächlich semantisch eine markierte Option darstellt. So argumentiert Borer (2005:Kap. 4) für die Auffassung, dass Nomen grundsätzlich Masse denotieren. Zählbarkeitssemantik ist in dieser Sicht nur durch den Aufbau von syntaktischer Struktur innerhalb der DP möglich. Pluralflexion oder indefinite Artikel sind Reflexe dieser syntaktischen Struktur, die semantisch für die Teilung (Portionierung) von Masse sorgt. – Die Integration des hier entwickelten Ansatzes in ein umfassendes

146 Im Fazit ergibt sich eine korrekte Voraussage in Bezug auf die Setzung bzw. die Nicht-Setzung des quasi-indefiniten Artikels in NPs des Deutschen. (3-109) a. *(eine) Frau b. (*ein) Gold c. (*eine) Frauen

Beim singularischen Zählnomen Frau (a) muss der quasi-indefinite Artikel gesetzt werden, andernfalls resultiert Ungrammatikalität. Dagegen darf beim Massenomen Gold sowie beim Pluralnomen Frauen, die nach obiger Auffassung als [–zählbar] zu gelten haben, kein quasi-indefiniter Artikel stehen.81 Damit komme ich zurück zur Artikelsetzung in der haben-Konstruktion und in der absoluten mit-Konstruktion mit prädikativ zu interpretierendem Adjektiv (vgl. Tabelle 3:7, Kategorie II bzw. I).

81

NP-DP-Modell wie dasjenige von Borer (2005) wäre in zukünftigen Arbeiten zu leisten. Die Behauptung, Zählnomen im Plural wie Frauen seien nicht zählbar, scheint widerlegt zu werden durch die Möglichkeit, Kardinalzahlen als Begleiter von Zählnomen zu verwenden (i). (i) zwei Frauen, drei Frauen, … Tatsächlich entsteht das Problem aber nur durch eine ungenaue Redeweise. Das Denotat von Zählnomen im Plural ist als Summe von ‹Atomen› zu verstehen, d. h. morphosyntaktische Pluralisierung drückt semantisch Summenbildung aus (Link 1983:306f; vgl. auch Gillon 1992:618). Was in (i) gezählt wird, sind aber nicht Summen, sondern die Atome, aus denen die Summe, die die Pluralform Frauen denotiert, besteht. Das Denotat von Frauen – eine Summe – kann nicht gezählt werden. Dies wird dadurch deutlich, dass die NPs in (i) nicht über die Lesart verfügen, in der sie zwei, drei etc. Summen, die ihrerseits aus Atomen (= ‹einzelnen Frauen›) bestehen, denotieren (vgl. Vogeleer/Tasmowski 2006:21). Die damit vertretene Auffassung wird bestätigt durch syntaktische Eigenschaften von Pluralia tanta wie Ferien (vgl. Gallmann 1990:29). (ii) *zwei Ferien, *drei Ferien Das Denotat von Ferien weist – anders als Pluralformen von Zählnomen – keine ‹atomare Binnenstruktur› auf und entspricht darin einem Massenomen. Da keine Atome, auf die eine Kardinalzahl ‹zugreifen› könnte, vorhanden sind, kann Ferien grundsätzlich nicht mit einer Kardinalzahl verbunden werden, denn Kardinalzahlen denotieren – wie eben argumentiert wurde – Mengen von Summen von Atomen. So denotiert zwei die Menge aller Summen, die aus zwei Atomen bestehen; Frauen denotiert die Menge aller Summen, die aus ‹atomaren› Frauen bestehen; Ferien dagegen denotiert keine Summe, die aus atomaren ‹Ferieneinheiten› besteht. Daher ist das Denotat von zwei Frauen (vgl. i) die Menge aller Summen, die zwei Frauen enthalten, dagegen ist die Extension von Phrasen wie in (ii) leer.

147 (3-110) a. Oskar hatte einen roten Kopf. b. Mit rotem Kopf betrat Oskar die Bühne.

In (3-110a) muss der quasi-indefinite Artikel gesetzt werden, da andernfalls die Zählbarkeit des Nomens Kopf syntaktisch nicht markiert wäre, was zu Ungrammatikalität führen würde (vgl. *Er hatte roten Kopf). (3-110b) zeigt dabei, dass die Erfordernis eines Artikels bei Zählnomen nicht absolut ist; unter bestimmten strukturellen Bedingungen kann der Artikel fehlen. Die Forderung, dass Zählnomen von einem Artikel begleitet werden, ist daher als verletzbare Beschränkung zu formulieren: Markiere-Zählbar: Ein Nomen mit dem Merkmal [+zählbar] wird von einem Artikel begleitet.

Die hier gegebene Formulierung der Beschränkung Markiere-Zählbar kann auf der Grundlage von spezifischen theoretischen Strukturannahmen bezüglich der DP/NP präzisiert werden, worauf im Folgenden verzichtet wird. Auch wäre zu klären, welche syntaktischen Elemente als Artikel im Sinne der Beschränkung einzustufen sind. Im Deutschen dürften etwa der definite Artikel oder Demonstrativpronomen wie dies- in die Kategorie Artikel im hier relevanten Sinn fallen. Erscheint keiner der semantisch merkmalshaltigen Artikel, so wird, im Sinne eines Last Resort, der quasi-indefinite Artikel gesetzt – dies ist zumindest der vorläufige Schluss, der aus den obigen Überlegungen zu ziehen ist. Antagonistisch zur Treuebeschränkung Markiere-Zählbar wirkt eine Familie von Markiertheitsbeschränkungen, die Artikel – oder allgemeiner: syntaktische Struktur in der NP/DP – verbieten (vgl. de Swart/Zwarts 2008, wo eine Sprachtypologie entwickelt wird in Bezug auf morphologische Numerusunterscheidung und Artikelsetzung in NPs). Zentral ist hierbei die folgende Beschränkung (nach de Swart/Zwarts 2008:632). *Art: Artikel ist verboten.

Im Deutschen gilt die Hierarchisierung: Markiere-Zählbar >> *Art. Die Artikellosigkeit von Kopf in (3-110b) legt aber die Existenz einer hoch gerankten Markiertheitsbeschränkung nahe, die die Artikelsetzung spezifisch in PPs bestraft. Nun wurde in Abs. 3.6.2 festgestellt, dass das Nomen in der absoluten mit-Konstruktion bei pränominalem, prädikativ zu interpretierendem Adjektiv und damit einhergehender Artikellosigkeit zwingend als nicht-referierend (d. h. – wie im Anschluss präzisiert wurde – als Type im Sinne von Vergnaud/Zubizarreta 1992) einzustufen ist. Daher formuliere ich die relevante Beschränkung wie folgt.

148 *Art(PP)Nicht-Ref: Artikel ist in einer nicht-referierenden NP, die Komplement von P ist, verboten.82

Ich nehme an, dass Artikellosigkeit bei Nicht-Referenz (type-Lesart) der NP den unmarkierten Fall darstellt, eine Tatsache, die im Deutschen durch das relativ hohe Ranking von Markiere(zählbar) aber meist verdunkelt wird.83 – Die genannten Beschränkungen sind im Deutschen wie folgt geordnet: *Art(PP)Nicht-Ref >> Markiere-Zählbar >> *Art.84 Es ist hier festzuhalten, dass die gegebene Beschränkungshierarchie einen Satz wie (3-111) nicht generell ausschließt. (3-111)

Mit einem roten Kopf betrat Oskar die Bühne.

Dies ist deshalb nicht der Fall, da Art(PP)Nicht-Ref den Gebrauch eines Artikels nur im Falle der Nicht-Referenzialität von Kopf verbietet. Allerdings ergibt sich aus dem Modell die Voraussage, dass Kopf in (3-111) als Token interpretiert wird (weshalb die Struktur nicht gegen Art(PP)Nicht-Ref verstößt). So ist (3-111) mit einer ‹Puppenkopf-Lesart› vereinbar, d. h. einer Lesart, in der Oskar beim Betreten der Bühne beispielsweise einen roten Puppenkopf in den Händen hat.85 Zur Syntax der absoluten mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat ist nun noch ein letzter Punkt anzusprechen. Er betrifft die syntaktische Realisierung des Adjektivs. Wie mehrfach festgehalten wurde, steht das prädikative Adjektiv in der absoluten mit-Konstruktion im Deutschen grundsätzlich pränominal. Eine Alternation zwischen prä- und postnominaler Stellung des Adjektivs, wie sie in haben-Konstruktionen zu beobachten ist und die der Wirkung der Beschränkung SelbstArgPräsupp (vgl. Abs. 3.5.3) geschuldet ist, ist für die absolute mit-Konstruktion nicht zu konstatieren. Im hier verfolgten optima-

82

83 84

85

Die Formulierung ist als vorläufig zu verstehen. Störend ist die Komplexität der Beschränkung. Möglicherweise kann die Wirkung der Beschränkung auch auf das Zusammenspiel mehrerer unabhängiger, je einfacher formulierter Beschränkungen zurückgeführt werden. Dagegen werden beispielsweise im Norwegischen nicht-referierende NPs auch außerhalb von PPs, als Argumente von V, artikellos realisiert (vgl. Pereltsvaig 2006). Diese Beschränkungshierarchie sagt auch die Artikellosigkeit von PPs wie in mit Kreditkarte zahlen oder ohne Mütze aus dem Haus gehen, in denen Kreditkarte bzw. Mütze ebenfalls nicht-referierend verwendet werden (vgl. Abs. 3.6.2), korrekt voraus. Eine Lesart, bei der Kopf zwar als Token, dabei aber – qua Token – auf den entsprechenden Körperteil von Oskar zu beziehen ist, wird durch die Theorie nicht grundsätzlich ausgeschlossen. (3-111) scheint für eine solche Interpretation auch tatsächlich zugänglich. Entscheidend ist aber, dass die artikellose Variante des Satzes (Mit rotem Kopf …) die ‹Puppenkopf-Lesart› nicht aufweist.

149 litätstheoretischen Ansatz ist dieser Tatsache durch eine entsprechende, hoch gerankte Markiertheitsbeschränkung Rechnung zu tragen. *Rel-eingeb(PP): Relator-Phrase als Komplement von P ist verboten.

Gegenüber der unspezifischeren Beschränkung *Rel-eingeb, die alle syntaktisch eingebetteten Relator-Phrasen bestraft (vgl. Abs. 3.5), verstößt eine Struktur nur dann gegen *Rel-eingeb(PP), wenn die Relator-Phrase das Komplement einer Präposition darstellt. Entscheidend ist, dass Rel-eingeb(PP) höher gerankt ist als SelbstArgPräsupp. Der hier relevante Ausschnitt aus der Beschränkungshierarchie lautet wie folgt: *Rel-eingeb(PP) >> SelbstArgPräsupp >> *Rel-eingeb, Treue(PM) >> *PM, Treue(Rel'-Adj) (vgl. Abs. 3.5). Zum Abschluss der Diskussion wird nun zur Illustration ein WettbewerbsTableau für die absolute mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat präsentiert, wobei eine Auswahl relevanter Kandidaten einbezogen wurde (Tab. 3:8). Input: Syntax: mit [RelP Kopf rot] Semantik: prädikative Interpretation des Adjektivs, Type-Interpretation des Nomens *Art(PP) Markiere- *Art Nicht-Ref Zählbar mit [RelP einem Kopf rot], präd

*

*!

*Releingeb(PP)

*Releingeb

*

*

mit [RelP _ Kopf rot], präd

*

*!

*

mit [RelP _ Kopf rot], mod

*

*!

*

mit [N' einem roten Kopf], präd

*PM

*

*

*!

☞ mit [N' _ rotem Kopf], präd

*

mit [N' _ rotem Kopf], mod

*

Treue (Rel'Adj)

*

* *!

*

(Tabelle 3:8)

Die von Rel-eingeb(PP) dominierte und daher für PPs wirkungslose Beschränkung SelbstArgPräsupp ist im Tableau aus Gründen der Übersichtlichkeit

150 ausgelassen. Auch die Beschränkung Treue(PM) bleibt hier unberücksichtigt, da sie bei dem auf semantischer Ebene gegebenen Teilinput (prädikative Interpretation des Adjektivs) immer unverletzt ist. Andere wirkungslose Beschränkungen wurden zur Illustration ins Tableau integriert: *Art ist irrelevant, da jeder Verstoß gegen *Art einen Verstoß gegen die höher gerankte Beschränkung *Art(PP)Nicht-Ref impliziert. Entsprechendes gilt sinngemäß für die beiden Beschränkungen *Rel-eingeb und *Rel-eingeb(PP). Alle Kandidaten, die Markiere-Zählbar nicht verletzen, verletzen im Gegenzug die höher gerankte Beschränkung *Art(PP)Nicht-Ref, wodurch eine Verletzung von Markiere-Zählbar nicht fatal sein kann (es ist zu beachten, dass auch der Gewinner gegen Markiere-Zählbar verstößt). Die an zweiter bzw. dritter Stelle angeführten Kandidaten, die ebenfalls Markiere-Zählbar verletzen, scheitern aufgrund der syntaktischen Realisierung einer Relator-Phrase, was von *Releingeb(PP) bestraft wird. – Aus der Zeile des Gewinners wird klar ersichtlich, was in der deutschen PP als syntaktisch unmarkiert gilt: Artikellosigkeit der Komplement-NP und ein unabhängig von der Semantik pränominal realisiertes Adjektiv. Als syntaktisch markiert hat zu gelten: Artikelsetzung und RelatorPhrase (Small Clause) als Komplement der Präposition. Zusammenfassend ergibt sich aufgrund der in diesem Kapitel diskutierten Daten das Folgende. In PPs haben Markiertheitsbeschränkungen im Verhältnis zu Treuebeschränkungen mehr Gewicht als auf der Ebene der VP. Dies kommt durch die Beschränkungen *Rel-eingeb(PP) und *Art(PP)Nicht-Ref und ihr hohes Ranking zum Ausdruck. Anders gesagt: Innerhalb von PPs ist die Reduktion von syntaktischer Struktur ‹erstrebenswerter› als eine möglichst starke Isomorphie zwischen Syntax und Semantik. In PPs werden somit semantische Relationen weniger eindeutig in der Syntax abgebildet als auf der VP-Ebene. Inwiefern diese verallgemeinernden Aussagen sich auf weitere, hier nicht betrachtete Datenbereiche ausdehnen lassen, müssen zukünftige Forschungen zeigen. An dieser Stelle ist die optimalitätstheoretische Diskussion und damit auch die für die vorliegende Arbeit zentrale Gegenüberstellung von haben-Konstruktionen mit adjektivischem Prädikat und der absoluten mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat abgeschlossen.

151

3.7

Besondere AHK-Konstruktionen

In diesem Abschnitt sollen zwei Ausprägungen des AHK thematisiert werden, die sowohl in syntaktischer als auch semantischer Hinsicht gewisse Sondereigenschaften zeigen, dabei aber doch Anlass zu Überlegungen geben, die allgemeineres Interesse beanspruchen dürfen, als es bei rein lexikalischen Idiosynkrasien der Fall wäre.

3.7.1 ‹offen haben› Die folgende Konstruktion ist vor dem Hintergrund der bisherigen Diskussion zum AHK syntaktisch außergewöhnlich. (3-112)

Der Laden hat offen.

In (3-112) erscheint ein unflektiertes, postverbal stehendes Adjektiv, aber keine Bezugs-NP im Akkusativ. Die Bezugs-NP scheint vielmehr das Satzsubjekt zu sein: Offen ist als Prädikat zum Satzsubjekt zu interpretieren. Damit kann (3-112) semantisch weit gehend parallel zum Kopulasatz mit sein in (3-113) aufgefasst werden. (3-113)

Der Laden ist offen.

Haben scheint hier die Funktion von sein übernehmen zu können. Im Weiteren ist festzuhalten, dass haben in (3-112) keinen Akkusativ regiert.86 (3-112) ist Teil einer semantisch zusammengehörigen Gruppe von Sätzen, die formal – genauer gesagt: was die Wortart des Ausdrucks in der Coda betrifft – aber heterogen ist. (3-114) a. Der Laden hat offen/geöffnet. b. Der Laden hat zu/geschlossen.

Die in (3-114a) erscheinenden Codaausdrücke weisen eine gegenüber (b) komplementäre Semantik auf. Formal gehören die Codaausdrücke der Kategorie der Adjektive (offen), der Partizipien II (geöffnet, geschlossen)87 und der Nichtflek-

86 87

Daher kann man auch den Schluss ziehen, dass es sich bei haben in (3-112) nicht um haben als Vollverb handelt, wie es in Abs. 2.3.1 (2-11) festgelegt wurde. Neben geöffnet und geschlossen kann nur eine sehr kleine Zahl weiterer Partizipien II in der hier behandelten Konstruktion erscheinen. Latzel (1977:302) nennt geheizt und führt folgendes (anscheinend selbst gebildetes) Beispiel an: (i) Wir haben jahraus jahrein in den Büros geheizt.

152 tierbaren (vgl. Duden 2005:573f) bzw. der Adkopulas (vgl. Eichinger 2007) an (zu). Die Konstruktion ist hinsichtlich der möglichen lexikalischen Füllungen stark beschränkt. Für die Subjektsposition kommen nur NPs in Frage, die auf Geschäfte, Ämter, Institutionen o. ä. referieren (3-115). (3-115) a. Das Museum / #Die Schachtel hat offen. b. Der Schalter / #Das Fenster hat schon geöffnet. c. Die Läden / #Die Augen haben zu.

Dabei hat das Prädikat die Bedeutung ‚(nicht) im Dienst‘, ‚Angebote jetzt (nicht) zur Verfügung stellend‘ o. ä. – Die Konstruktion ist in Beziehung zu setzen zu der folgenden. (3-116)

Wir haben offen/geöffnet/zu/geschlossen.

Im Gegensatz zu (3-112) ist das Satzsubjekt in (3-116) belebt, doch ist es auch hier in seiner möglichen Referenz stark eingeschränkt, wobei die semantische Verwandtschaft von (3-112) und (3-116) offensichtlich ist: Als Referenten der Subjekt-NP kommen in (3-116) Besitzerinnen, Mitarbeiter etc. von Geschäften, Ämtern, Institutionen o. ä. in Frage. Eine absolute mit-Konstruktion kann weder zu (3-112) noch zu (3-116) gebildet werden: Dabei würde das Komplement von mit nur den Prädikatsausdruck (z. B. das Adjektiv offen) beinhalten, wenn die Bildung parallel zu den in Kap. 2 und oben in diesem Kapitel behandelten Konstruktionen zu sein hat. (3-117) a. *Mit am Sonntag offen läuft das Geschäft gut. (vgl.: Das Geschäft hat am Sonntag offen.) b. *Mit am Sonntag offen machen wir deutlich mehr Umsatz. (vgl.: Wir haben am Sonntag offen.)

Es bestehen grundsätzlich zwei entgegengesetzte Möglichkeiten, die Konstruktionen (3-112) und (3-116) aufeinander zu beziehen. In einem ersten Zugang ist (3-116), d. h. die Konstruktion mit belebtem Subjekt, (in einem rein synchron zu verstehenden Sinn) ‹primär›, wobei mit (3-116) im Grunde ein gewöhnlicher AHK vorliegt. Die Besonderheit der Konstruktion besteht einzig darin, dass die Akkusativ-NP phonetisch leer ist, wobei sie aber lexikalisch-semantische Merkmale aufweist: Sie kann nur auf Läden, Ämter o. ä. referieren. Dadurch schränkt die stille Akkusativ-NP auch die Interpretation des Satzsubjekts entsprechend ein. Die stille Akkusativ-NP gleicht außerdem – wie im AHK generell – das Kasusmerkmal mit haben ab. (3-112) kann dabei als Variante zu (3-116) gese-

Zur haben-Konstruktion mit einem Partizip II als SC-Prädikat im Allgemeinen vgl. Kap. 4.

153 hen werden, die vielleicht so zustande kommt, dass der Laden, das Amt etc. als metonymisch mit seinen Besitzern, Angestellten etc. identifiziert wird. In einem zweiten Zugang ist (3-112), die Konstruktion mit unbelebtem Subjekt, (wiederum rein synchron gesehen) ‹primär›. In diesem Fall liegt eine umgekehrte Metonymbildung vor: In der Variante mit belebtem Subjektsreferenten (3-116) stehen die Angestellten (o. Ä.) eines Geschäfts für das Geschäft (o. Ä.) selbst. Für diese Sichtweise spricht, dass belebte Subjekte eher im Plural erscheinen (Wir/Die haben auch am Sonntag offen), während die Referenz auf ein spezifisches Individuum eher markiert sein dürfte: ?Ich habe auch am Sonntag offen. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass das Satzsubjekt in der Konstruktion grundsätzlich nicht auf ein Individuum, sondern auf ein Kollektiv oder eine Institution referiert. Unabhängig davon, welchem Zugang man den Vorzug gibt, ist die Variante mit unbelebtem Subjekt (3-112) in syntaktischer wie in semantischer Hinsicht auffälliger als die Variante mit belebtem Subjekt (3-116). Erstens würde ein aus kasustheoretischen Gründen angesetztes stilles Objekt in (3-112) eine semantisch merkmalslose ‹Dummy›-NP darstellen. Zweitens verhält sich haben (verstanden als Vollverb) in (3-112) semantisch völlig unüblich: Im Satz wird keine wie auch immer geartete Pertinenzrelation ausgedrückt (vgl. Kap. 7). Vielmehr scheint haben hier, wie bereits festgestellt wurde, durch die Kopula sein austauschbar.

3.7.2 ‹es satt haben› In diesem Abschnitt geht es um die ‹Füllung› der Prädikatsfunktion im AHK durch das Adjektiv satt. (3-118)

Ich habe deine Ausflüchte satt.

Zu (3-118) existiert eine Konstruktionsvariante, in der die Funktion der Akkusativ-NP durch einen (finiten oder infiniten) Nebensatz wahrgenommen wird (3-119). (3-119)

Ich habe *(es) satt (, dass du immer zu spät bist / immer auf dich zu warten).

Hierbei erscheint an der Position der Akkusativ-NP ein obligatorisches Korrelat-es. Syntaktisch scheinen Sätze wie (3-118) oder (3-119) zunächst keine Herausforderung für den von mir vertretenen Ansatz darzustellen: Das Kasusmerkmal von haben wird durch die NP deine Ausflüchte bzw. durch das Korrelat abgeglichen; das Adjektiv satt stellt den Prädikatsausdruck des SC dar – auch Bausewein (1991:114) analysiert satt in Sätzen wie (3-120a) als prädikatives Adjektiv. Allerdings ist festzustellen, dass sich keine dem haben-Satz entsprechende absolute mit-Konstruktion bilden lässt (3-120b).

154 (3-120) a. Ich hatte die Warterei satt (und nahm deshalb ein Taxi). b. *Mit der Warterei satt / satter Warterei nahm ich ein Taxi.

Dies deutet darauf hin, dass die Konstruktion etwas satt haben idiosynkratischen Charakter aufweist. Mit Blick auf die Semantik bestätigt sich diese Einschätzung: Die Bedeutung der Gesamtkonstruktion ergibt sich nicht kompositional aus satt in der allgemeinen Bedeutung von ‚nicht hungrig‘ einerseits sowie haben andererseits, weshalb sie als lexikalisiert zu betrachten ist.88 Darauf weist auch die Tatsache, dass die Konstruktion nicht reihenbildend ist (3-121).89 90 (3-121)

*Ich habe die Arbeit zufrieden/glücklich/genervt.

Zu prüfen ist im Weiteren, ob satt auch als Kasusregens auftritt und dabei den Akkusativ regiert. Bei einer solchen Analyse wäre deine Ausflüchte in (3-118) das Komplement von satt und würde das Kasusmerkmal mit dem Adjektiv satt abgleichen. Gegen eine solche Sicht spricht zunächst die Tatsache, dass Adjektive gewöhnlich den Dativ (oder den Genitiv) regieren (vgl. Abraham 2005:238), nicht aber den Akkusativ.91 Im Weiteren müsste für die Analyse stipuliert werden, dass haben in der Konstruktion nicht obligatorisch den Akkusativ regiert, da die Akkusativ-NP ihr Kasusmerkmal nicht zweimal abgleichen kann. Daher ist eine syntaktische Beschreibung der Konstruktion etwas satt haben im Sinne 88

89

90

91

Die Bildung eines kompositional interpetierbaren AHK mit dem Prädikat satt ist dabei grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Im Rahmen eines geeigneten pragmatischen Kontexts ist eine Äußerung wie in (i) durchaus vorstellbar. (i) Endlich habe ich diese gefräßige Katze satt! Vgl. aber diese semantisch und syntaktisch verwandten Konstruktionen: (i) Sie hat [die Arbeit über]. (ii) Ich hab [die Faxen dicke]. In (i) stellt eine Partikel die Prädikatskonstituente dar; das Prädikat dicke in (ii) ist wohl am ehesten als Adkopula (vgl. Eichinger 2007) aufzufassen. Somit wäre nicht von fehlender Produktivität, sondern von einer (stark) eingeschränkten Produktivität des Konstruktionstyps auszugehen. Etwas anders als es satt haben ist wohl es auf etwas abgesehen haben einzuordnen. (i) Er hat es nur auf ihr Vermögen abgesehen. Hier stellt es ein unpersönliches Pronomen dar und ist somit nicht durch eine volle Nominalphrase ersetzbar. Der Prädikatsausdruck abgesehen stellt formal ein Partizip dar, ist aber synchron nicht mehr auf ein verbales Lexem beziehbar. Er weist darüber hinaus die Besonderheit auf, dass seine präpositionale Ergänzung auf … nicht weglassbar ist. Eine ‹produktive› Ausnahmeklasse scheinen Maßadjektive wie lang, hoch, dick etc. zu bilden. (i) Das Brett ist einen Meter lang. Allerdings handelt es sich bei diesen Akkusativ-NPs wie hier einen Meter wohl nicht um Argumente der Maßadjektive (vgl. Struckmeier 2007:9).

155 der AHK-Analyse grundsätzlich attraktiver. Andererseits lassen sich doch Gründe dafür anführen, dass satt als Akkusativregens auftreten kann. Dies zeigt sich bei einem Vergleich mit der Konstruktion in (3-122). (3-122)

Ich war die Warterei satt.

Hier erscheint anstelle einer Flexionsform von haben eine solche von sein, im Übrigen unterscheidet sich die Konstruktion dem ersten Anschein nach syntaktisch nicht von (3-120a). Hinsichtlich der vermittelten Semantik scheint kein Unterschied zwischen der haben- und der sein-Variante zu bestehen. Aufgrund verbreiteter Auffassungen von Kopulasätzen mit adjektivischem Prädikat (vgl. z. B. Duden-Grammatik 2005:859) ist (3-122) aber syntaktisch kaum analog zu einem AHK zu analysieren. Vielmehr ist in (3-122) die Warterei syntaktisch als Akkusativobjekt des Adjektivs satt zu interpretieren (vgl. Flösch 2007:173), analog zum Pronomen ihrer in er ist ihrer überdrüssig, das die Funktion eines Genitivobjekts zu überdrüssig wahrnimmt (zur diachronen Tendenz von der Genitivrektion hin zur Akkusativrektion bei Adjektiven vgl. Flösch 2007:85–87). Der Eindruck, dass die satt-haben- und die satt-sein-Konstruktion im gegenwärtigen Deutsch nebeneinander existieren, lässt sich durch eine Korpusrecherche bestätigen. Bei der Abfrage im COSMAS-Korpus (durchgeführt am 23.1.2008) wurde nach hat/hast/hatte/… es satt (mit der Anfrage ‹&haben es satt›) bzw. nach bin/ist/wäre… es satt gesucht (bei dieser Abfrage wurden nur Belege angezeigt, in denen die Wörter in der Reihenfolge ‹Verb – es – satt› unmittelbar nacheinander stehen, was aber für einen Eindruck der quantitativen Relationen ausreichen dürfte). Es ergaben sich 475 Treffer für die Variante mit haben gegenüber 28 Treffern für die sein-Variante. Die Konstruktion es satt sein ist somit keine Randerscheinung innerhalb der deutschen Standardsprache, tritt aber quantitativ deutlich weniger in Erscheinung als die entsprechende Konstruktion mit haben. Zwar handelt es sich bei nicht wenigen der sein-Belege um Zitate in direkter oder (seltener) indirekter Rede (sodass man geneigt sein könnte, die Konstruktion eher einem mündlichen Register zuzuordnen), doch dasselbe gilt auch für die Konstruktionsvariante mit haben. Als Beispiel für die Variante mit sein soll folgender Beleg angeführt werden. (3-123)

Rexroth war es satt, für das noch in alten Vorstellungen einer Rettung von oben nostalgisch verharrende Rundfunk-Sinfonieorchester (RSB), das einstige Orchester des DDR-Rundfunks, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. (COSMAS: R99/NOV.94489 Frankfurter Rundschau, 20.11.1999, S. 8, Ressort: FEUILLETON; Berliner Musikneuordnung; zitiert 10.2.2008)

Hinsichtlich der syntaktischen Umgebung sind keine Unterschiede zwischen den beiden Konstruktionsvarianten auszumachen – das Folgende gilt für die haben- und die sein-Konstruktion gleichermaßen: In der überwiegenden An-

156 zahl der Fälle fungiert es als Korrelat zu einem (meist) infiniten oder (seltener) finiten Nebensatz. Gelegentlich steht es als alleiniges Bezugselement von satt, d. h. ohne Nebensatz. Auch eine ‹volle› NP kann die Ergänzung zu satt sein darstellen. (3-124)

Die Menschen sind den Terror satt, sie protestieren. (COSMAS: E97/SEP.21710 Zürcher Tagesanzeiger, 08.09.1997, S. 5, Ressort: Ausland; Tausende demonstrieren gegen Polizistenmord; zitiert: 10.2.2008)

Ob sich die beiden Konstruktionen durch je eigene semantische Tendenzen auszeichnen, oder ob sie semantisch und funktional freie Varianten darstellen, muss hier offen bleiben. – An dieser Stelle soll abschließend ein kurzer Blick auf zwei Konstruktionsmöglichkeiten von leid geworfen werden. (3-125)

Ich war die Warterei leid.

Leid kann, da es unflektierbar ist, dabei aber in prädikativer Stellung mit der Kopula sein verwendet wird, als Adkopula eingeordnet werden (vgl. Eichinger 2007:149). Entsprechend zu (3-122) stellt in (3-125) die Warterei ein Akkusativobjekt zur Adkopula leid dar. Die Frage drängt sich auf, ob analog zu (3-125) eine Variante mit haben auftritt. Dies ist tatsächlich der Fall, wie der folgende Beleg zeigt. (3-126)

Viele Burschen sagen zwar, daß sie es leid haben, immer den ersten Schritt machen zu müssen. (COSMAS: I99/MAR.09884 Tiroler Tageszeitung, 16.03.1999, Ressort: Magazin; JUGENDSZENE TIROL AUS DEM LEBEN EINE SERIE DER TIROLER, zitiert 10.2.2008)

Die durch (3-126) illustrierte Variante tritt zwar (in der Standardsprache) quantitativ gegenüber der sein-Konstruktion klar zurück: Die Suche im COSMASKorpus ergab für es leid haben/hat/… nur zwei, für es leid sein/ist/… dagegen 87 (relevante) Treffer (Abfrage: 10.2.2008). Im Fazit ergibt sich das Folgende. Bei satt und leid ist eine Oszillation zwischen einer haben- und einer sein-Konstruktion zu beobachten. In der seinKonstruktion stellt die im Akkusativ stehende NP das Objekt von satt bzw. leid dar. Die haben-Konstruktion ihrerseits lässt sich als AHK analysieren, d. h. die Akkusativ-NP stellt hier das Subjekt zum SC-Prädikat satt bzw. leid dar.

157

3.8

Fazit und Ausblick

Die Diskussion in diesem Kapitel hat gezeigt, dass sich die Parallelisierbarkeit von haben und mit – genauer gesagt: von haben als Vollverb und mitprop – auch auf solche Konstruktionen erstreckt, in denen eine adjektivische Wortform in Prädikatsfunktion auftritt. Dieses Ergebnis ist im Weiteren von Bedeutung für den im nächsten Kapitel thematisierten haben-Formtyp, bei dem als Codakonstituente ein Partizip II als Prädikatsausdruck auftritt. Dieses Partizip wird sich ebenfalls als adjektivische Wortform erweisen, womit die genannte Konstruktion im Wesentlichen auf den hier behandelten AHK reduzierbar ist. Die erzielten Resultate sind aber nicht nur im Hinblick auf syntaktische Konstruktionen mit haben von Interesse. So hat sich gezeigt, dass pränominalattributiv verwendete Adjektive semantisch manchmal als Prädikate interpretiert werden müssen und dass es sich dabei nicht um eine idiosynkratische Erscheinung bei bestimmten lexikalisierten Wendungen handelt, sondern um ein im Deutschen systematisch auftretendes Phänomen. Die pränominal-attributive Verwendung von prädikativen Adjektiven dürfte nur ein Beispiel sein für eine Tendenz, die Ortmann (2002:60) so umschreibt: Die Grammatik von natürlichen Sprachen scheint unter bestimmten Bedingungen die «homogene Behandlung syntaktischer Kategorien» (im gegebenen Fall ist dies die pränominal-attributive Stellung von adjektivischen Wortformen) gegenüber einer «Isomorphie von Form und Bedeutung» zu bevorzugen. Es gilt daher, weitere Beispiele für diese Erscheinung an der Syntax-Semantik-Schnittstelle zu dokumentieren (vgl. etwa die Ansätze dazu in Brugman 1996) und theoretisch zu erfassen.

4

Der partizipiale Haben-Konfigurativ

4.1

Einleitung

Gegenstand dieses Kapitels sind Sätze wie der folgende in ihrer stativen Lesart.1 (4-1)

Sie hat den Fuß eingegipst.

Die stative Interpretation von (4-1) zeigt sich darin, dass man die folgenden stativen Sätze als ungefähre Paraphrasen von (4-1) verstehen kann. (4-2)

a. b.

Ihr Fuß ist eingegipst. Sie hat den Fuß im Gips.

In (4-2a) liegt ein ‹Zustandspassiv› vor (diese Kategorie wird unten zu thematisieren sein, vgl. Abs. 4.4 und 4.5), in (b) eine Konstruktion mit haben als Vollverb, wobei eine PP, die als Prädikativum zur Akkusativ-NP den Fuß zu analysieren ist, die Coda bildet (vgl. Kap. 5). Sätze wie (4-1) mit der hier angedeuteten Zustandssemantik werden im Folgenden mit dem Begriff Partizipialer Haben-Konfigurativ (abgekürzt PHK) bezeichnet (vgl. Abs. 2.4.1; die Wahl dieser Bezeichnung nach Hole 2002 und Rothstein 2007 dient lediglich einer einfachen Verständigung, ohne dass damit eine bestimmte Analyse vorweggenommen werden soll). Der PHK ist im Gegensatz zu anderen Konstruktionen mit haben als Vollverb dadurch charakterisiert, dass seine Coda von einem Partizip II gebildet wird. Im Folgenden wird, anknüpfend an die Argumentation in Kap. 2, davon ausgegangen, dass das Partizip II im PHK als Prädikat zur Akkusativ-NP – seinem Argument – aufzufassen ist. Damit werden (4-1) und (4-2b) syntaktisch und semantisch parallel analysiert, was intuitiv als wünschenswert erscheint. (4-1) und (4-2b) unterscheiden sich damit allein hinsichtlich der syntaktischen Kategorie (der Wortart) des Kerns der Phrase, die die Coda bildet, ansonsten sind sie strukturell identisch. Damit gilt: Die Coda-Phrase im PHK (das partizipiale Prädikat) und die Akkusativ-NP (die die Rolle des Arguments für das partizipiale Prädikat wahrnimmt) bilden einen SC, der als Relator-Phrase (RP) im Sinne den Dikkens (2006) zu interpretieren ist (4-3; vgl. Abs. 2.4.3). (4-3)

1

Sie hat [RP [Subjekt den Fuß] [R ∅] [Prädikat eingegipst]].

Das vorliegende Kapitel hat in inhaltlicher Hinsicht wesentliche Impulse durch hilfreiche Hinweise von Anja Lübbe erhalten. Es versteht sich aber, dass ich allein für die im Kapitel enthaltenen Irrtümer verantwortlich bin.

160 Damit basiert die in diesem Kapitel darzustellende Auffassung des PHK im Wesentlichen auf der in den Kap. 2 und 3 entwickelten Analyse, für die hier auch weitere Evidenz beigebracht wird. Im Weiteren beziehe ich mich auf die Spezialliteratur zum PHK: Zu nennen sind insbesondere Latzel (1977), Leirbukt (1981), Hole (2002)2 und Rothstein (2007). Der PHK ist oft formal identisch mit einer Perfektkonstruktion. Daher werden im folgenden Abschnitt (Abs. 4.2) mögliche Kriterien zur Unterscheidung des PHK gegenüber dem Perfekt diskutiert. Dabei zeigt sich, dass es sich beim PHK um eine vom Perfekt unabhängige Konstruktion handelt, nicht etwa um eine bloße Lesart des Perfekts. In Abs. 4.3 kommt eine Konstruktion zur Sprache, die formal eine starke Ähnlichkeit mit dem PHK aufweist, im Vergleich mit diesem aber besondere semantische und syntaktische Eigenschaften aufweist. Nachdem mit den Abs. 4.2 und 4.3 der PHK hinreichend abgegrenzt ist, wird in Abs. 4.4 seine Stellung gegenüber dem Dativpassiv (bekommen-Passiv) diskutiert. Dabei kommen semantische und syntaktische Bildungsbeschränkungen des PHK zur Sprache. Abs. 4.5 widmet sich der Frage, welcher syntaktischen Kategorie (Wortart) das Partizip II im PHK angehört. Es wird dafür argumentiert, dass es sich beim Partizip II im PHK um ein Adjektiv handelt, weshalb der PHK im Grunde nichts anderes als eine Unterkategorie des AHK (vgl. Kap. 3) darstellt. Abs. 4.6 schließt das Kapitel mit einem kurzen Fazit ab.

4.2

Abgrenzung des PHK vom Perfekt

(4-4) besitzt (mindestens) zwei Lesarten. (4-4)

Oskar hat den Arm eingebunden.

Die zwei Lesarten können – in einer groben Annäherung – wie folgt paraphrasiert werden: 1) ‚Der Arm wurde von Oskar eingebunden‘; 2) ‚Oskars Arm ist eingebunden‘. Bei (1) liegt ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen vor, bei dem Oskar als Agens in Erscheinung tritt, bei (2) dagegen wird ein gegenwärtig andauernder Zustand zum Ausdruck gebracht, wobei Oskar nicht agentivisch, sondern als «Favorisierter» (Helbig 1978:43), als Experiencer o. ä. zu verstehen ist. Die beiden Lesarten sind, wie gleich gezeigt wird, zwei unterschiedlichen syntaktischen Konstruktionen zuzuordnen. Die erste Lesart ergibt

2

Die in diesem Kapitel angeführten Seitenzahlen zu Hole (2002) beziehen sich jeweils auf die Pdf-Version des Aufsatzes unter: http://www.ilg.uni-stuttgart.de/ mitarbeiter/hole/index.htm (zitiert: 14.11.2010)

161 sich bei einer Perfektkonstruktion, die zweite ist die Semantik des PHK.3 Im Folgenden werden die in der Literatur aufgeführten Tests zur Unterscheidung von Perfektkonstruktionen mit haben als Hilfsverb einerseits und dem PHK andererseits aufgegriffen und, wo nötig, problematisiert. Es wird sich zeigen, dass die Tests – bei aller Problematisierbarkeit – es erlauben, auf eindeutige Weise zwischen den beiden Konstruktionen zu differenzieren.4 Allerdings unterscheiden sich die beiden Konstruktionen oberflächensyntaktisch oft nicht. In diesen Fällen hat eine Desambiguierung über den pragmatischen Kontext zu geschehen. Dass die Diskussion um die Abgrenzung von PHK und Perfekt hier verhältnismäßig breiten Raum einnimmt, findet seine Rechtfertigung u. a. darin, dass die ‹Existenz› des PHK in der gegenwärtigen Forschung erstaunlich wenig bekannt zu sein scheint oder der PHK zumindest nur als marginales Phänomen im Feld von passivischen oder passivähnlichen Konstruktionen und allgemein periphrastischen Verbalkonstruktionen angesehen wird (vgl. dazu Abs. 4.4). So betrachtet Teuber (2005:4) die Formeinheit ‹sein + Partizip II› richtigerweise als «uneindeutig», da sie den Kategorien Perfekt und Zustandspassiv zugeordnet werden kann, wohingegen die Formeinheit ‹haben + Partizip II› einer einzigen Kategorie, dem Perfekt, zuzuordnen sei;5 ähnlich äußert sich Rödel (2007:72).6 Im Folgenden werden sieben Test diskutiert: 1) Erweiterung durch Temporaladverbiale; 2) Verwendung von Partizipien unakkusativischer Verben; 3)

3

4

5

6

Wenn im Folgenden von Perfekt(konstruktion) die Rede ist, so sind dabei die weiteren periphrastisch gebildeten Tempora Plusquamperfekt und Futurperfekt mit eingeschlossen. Zum sog. Doppelperfekt vgl. unten Fn. 19. Confais (1995:151) bezeichnet den PHK als Pseudoperfekt, das den Perfektlesarten resultatives Perfekt und prozessuales Perfekt gegenübergestellt wird. Dieser Klassifikationsansatz, der den PHK eng an das Perfekt anbindet, wird hier nicht weiterverfolgt. Etwas eigentümlich mutet an, dass Teuber an späterer Stelle (Teuber 2005:17) dann doch auf ein Beispiel zu sprechen kommt, das als PHK einzuordnen ist und von Teuber als solcher anerkannt wird (wenn auch ohne Verwendung der hier gewählten Terminologie nach Hole 2002). Er bemerkt dazu, es sei «zu prüfen, inwieweit in dem Satz Das Pferd hat die Fesseln bandagiert vom normalen Vollverb haben (mit etwa der Bedeutung ‚besitzen‘) ausgegangen werden kann und sich dabei die Satzbedeutung normal kompositionell ergibt» (Teuber 2005:17). Wie in Kap. 7 gezeigt wird, ist eine Besitzsemantik für haben nicht haltbar. Abgesehen von diesem Vorbehalt entspricht die von Teuber geäußerte Vermutung aber genau dem hier verfolgten Ansatz. Schwer nachvollziehbar ist, was Admoni (1982:171) meint, wenn er den PHK als «eine Art elliptischen Perfekts» bezeichnet, denn es bleibt unklar, was im PHK gegenüber einer Perfektkonstruktion elidiert worden sein soll.

162 Erweiterung durch eine Dativ-NP; 4) Voranstellung des Partizips; 5) so-Probe; 6) Koordinationsprobe; 7) Einsetzung von genug. 1) Eine erste Möglichkeit, zwischen Perfektkonstruktionen mit haben als Hilfsverb und dem partizipialen Haben-Konfigurativ zu unterscheiden, bieten Temporaladverbiale (vgl. Rothstein 2007:285, woraus das folgende Beispiel entnommen ist). (4-5)

Er hat den Arm gestern eingegipst.

Bei einer «Modifikation durch Temporaladverbien, die eine Ereigniszeit vor dem Sprechzeitpunkt lokalisieren» (Rothstein 2007:285), wie im vorliegenden Fall durch gestern, wird die Perfektlesart erzwungen, d. h. der Satz kann nicht als PHK interpretiert werden. Im Gegensatz dazu sind Temporaladverbiale, die eine Zeitdauer angeben, gut vereinbar mit der Interpretation als PHK (4-6; vgl. auch Latzel 1977:298). (4-6)

a. b.

Sie hat den Arm drei Wochen lang eingegipst. Sie hat den Arm schon seit Wochen eingegipst.

Beide Sätze werden – mitbedingt durch das Temporaladverbial – bevorzugt als PHK interpretiert. Die Lesart als PHK ist allerdings nicht zwingend, die Interpretation als Perfekt muss vielmehr als pragmatisch stark markiert eingestuft werden. So wäre für (4-6a) prinzipiell auch eine Lesart möglich, bei der der Vorgang des Eingipsens drei Wochen in Anspruch nahm. Auch seit-Adverbiale (vgl. 4-6b) sind mit dem Perfekt grundsätzlich kompatibel, vgl. Franzis hat mich seit vier Uhr dreimal angerufen (Beispiel aus Stechow 2002:395).7 2) Liegt dem Partizip II im PHK ein unakkusativisches Verb zugrunde, so besteht keine Homonymie mit dem Perfekt, denn unakkusativische Verben bilden das Perfekt im Deutschen im Allgemeinen mit sein (vgl. Grewendorf 1989). Die Perfektsätze in (4-7) sind mit den Verben zusammenwachsen, einwachsen, anschwellen und zufrieren gebildet. (4-7)

a. b. c. d.

Die Wunde ist schnell zusammengewachsen. Das Haar ist eingewachsen. Seine Zunge ist über Nacht angeschwollen. Der Teich ist zugefroren.

Konstruktionen mit haben und dem Partizip II eines unakkusativischen Verbs sind daher eindeutig als PHKs einzuordnen (4-8).

7

Zum seit-Adverbial in Perfektsätzen vgl. u. a. Stechow (2002), Musan (2003) und Welke (2005:252–274).

163 (4-8)

a. b. c. d.

Meerjungfrauen haben die Beine zu einem Schwanz zusammengewachsen. (aus: Hole 2002:2) Er hatte Haare im Auge eingewachsen.8 Er hat die Zunge angeschwollen.9 Wir haben den Teich zugefroren.10

Daten wie die Sätze in (4-8) stellen starke Evidenz dafür dar, den PHK als eine vom Perfekt unabhängige Konstruktion zu behandeln.11 Diese Beispiele mit

8

9

10

11

Vgl. folgenden Beleg: «Er musste zwei Mal operiert werden, da er Haare im Auge eingewachsen hatte, die wieder nachwuchsen!? Man lernt nicht aus, was es so alles gibt.» (9.1.2008: http://www.archenoah-kreta.com/artikel.php?newsID=327) Vgl. folgenden Beleg: «Meine Schwester hat auch ein Piercing und bei ihr war das so, dass sie nach dem Stechen die Zunge zwei Tage lang voll angeschwollen hatte und man sie gar nicht verstehen konnte, wenn sie was sagte.» (14.11.2010: http:// www.lovetalk.de/archiv-allgemeine-themen/27881-zungenpiercing-2.html) Vgl. folgenden Beleg: «falls wir wieder 3 moante [sic; M.B.] die teiche zugefroren haben, bin ich gerüstet» (9.1.2008: http://34248.rapidforum.com/topic=100874122693) – Hier ist allerdings anzumerken, dass zufrieren marginal auch transitiv verwendet werden kann, vgl.: «Mit albtraumhaften Zuständen hatte ich heute schon zu kämpfen, als mir die nächtlichen Minustemperaturen das Schloss meines Autos zugefroren hatten […]» (14.11.2010: http://www.vampster.com/artikel/show/?id=17589) Manche unakkusativischen Verben können nicht im PHK erscheinen. (i) a. ?Ich habe die Hand eingeschlafen. b. *Ich habe den Ficus wieder umgefallen. c. *Ich habe die Katze gestorben. Für die Unmöglichkeit (oder zumindest Marginalität) der obigen Bildungen sind wohl semantische Gründe verantwortlich. Nach Rapp (1997:190) existieren zu den Sätzen in (i) keine entsprechenden sein+Adjektiv-Konstruktionen, d. h. die folgenden Sätze (ii) sollen nur als Perfekt interpretierbar sein. (ii) a. Die Hand ist eingeschlafen. b. Der Ficus ist umgefallen. c. Die Katze ist gestorben. Der Grund für diese Lesarteneinschränkung besteht gemäß Rapp (1997:190) darin, dass bei Verben, die punktuelle Zustandswechsel denotieren, eine Adjektivierung ausgeschlossen ist (zumindest im Hinblick auf eine prädikative Verwendung des Partizips). Dies sei daran ersichtlich, dass un-Präfigierung bei Partizipien von diesen Verben nicht möglich ist (vgl. Rapp 1997:190f; vgl. auch unten in Abs. 4.5.1). (iii) a. *Die Hand ist uneingeschlafen. b. *Der Ficus ist unumgefallen. c. *Die Katze ist ungestorben. Eine Erklärung für den Ausschluss der Sätze in (i) in Anlehnung an Rapps Überlegungen scheint mir jedoch nicht befriedigend, denn die Sätze in (ii) können wohl – entgegen Rapps Auffassung – durchaus als zustandsbezeichnende Kopulakonstruktionen interpretiert werden. So sind grundsätzlich zustandsmodifizierende Adverbiale

164 Partizipien von unakkusativischen Verben machen auch deutlich, dass es sich bei haben im PHK um das Vollverb haben und nicht um auxiliares haben handelt. In Kap. 2 wurde festgelegt, dass haben genau dann Vollverbstatus besitzt, wenn es den Akkusativ regiert (Abs. 2.3.1: 2-11). Dies ist im PHK der Fall, wie die Beispiele in (4-8) zeigen: Da unakkusativische Verben keinen Akkusativ regieren, kann das Kasusmerkmal der Objekt-NP (z. B. die Zunge in 4-8c) nicht durch das Partizip II abgeglichen werden. Als einziges Akkusativregens in den Beispielen in (4-8) kommt haben in Frage. Ohne gegenteilige Evidenz ist davon auszugehen, dass im PHK immer – also auch bei Vorliegen des Partizips eines grundsätzlich transitiven Verbs – der Kasus der Akkusativ-NP durch haben, nicht durch das Partizip, abgeglichen wird. Mit anderen Worten: Haben im PHK stellt immer ein Vollverb im Sinne der Bestimmung (2-11) in Abs. 2.3.1 dar. 3) Litvinov/Nedjalkov (1988) folgend kann ein PHK durch das «Fehlen des dativischen sich, das im entsprechenden eventiven (Plusquam)Perfekt obligatorisch oder hochwahrscheinlich wäre» (Litvinov/Nedjalkov 1988:41), identifiziert werden. In den hier relevanten von Litvinov/Nedjalkov (1988:41f) angeführten Beispielen handelt es sich beim dativischen Reflexivpronomen um einen Pertinenzdativ (vgl. Wegener 1985:92), d. h. die Dativphrase steht zu einer anderen Phrase im Satz semantisch in einer Teil-Ganzes-Beziehung, wobei die Bezugsphrase in den meisten Fällen einen Körperteil (vgl. Hals 4-9a), manchmal auch ein (momentan getragenes) Kleidungsstück oder einen Teil davon (vgl. Krawattenknoten in 4-9b) bezeichnet; bei Partikelverben kann die Bezugsphrase auch fehlen, vgl. (4-9c) (alle Beispiele nach Litvinov/Nedjalkov 1988:41f). (4-9)

a. b. c.

Sie wickelt sich einen Schal um den Hals. Er lockerte sich den Krawattenknoten. Sie stülpten sich die Gasmasken um.

wie immer noch hier einsetzbar (vgl. Thieroff 2007:172): Die Hand ist immer noch eingeschlafen (zum immer-noch-Test vgl. auch unten Abs. 4.4.3). Dass der immernoch-Test im Falle von gestorben ein inakzeptables Ergebnis liefert (vgl.: #Die Katze ist immer noch gestorben), hat seine Gründe in der lexikalischen Semantik von sterben. Die Unmöglichkeit eines PHK mit gestorben (vgl. i-c) ergibt sich aus einer in Abs. 4.4.3 formulierten semantischen Beschränkung (nur ein Partizip II, das einen grundsätzlich aufhebbaren Zustand bezeichnet, ist im PHK zugelassen). (i-a) hingegen muss wohl als mögliche Bildung eingestuft werden – vgl. den folgenden Beleg. (iv) Sach mal war ich der Einzige der alle beide Arme eingeschlafen hatte? (26.9.2008: http://www.offroadforen.de/vb/archive/index.php?t-27241.html) Der Status des Beispiels (i-b) bleibt vorerst ungeklärt.

165 In den entsprechenden PHKs fehlt dagegen der Pertinenzdativ. (4-10) a. b. c.

Sie hat einen Schal um den Hals gewickelt. Er hatte den Krawattenknoten gelockert. Sie hatten die Gasmasken umgestülpt.

Problematisch mag sein, dass es schwer fällt, Verben zu finden, bei denen ein Pertinenzdativ in eventiven Sätzen wirklich obligatorisch (und nicht bloß ‹hochwahrscheinlich›) ist. In den Sätzen in (4-9) ist das Dativpronomen prinzipiell weglassbar, ohne dass die Sätze ungrammatisch werden, vgl. z. B. zu (b): Er lockerte (sich) den Krawattenknoten. Zumindest lässt sich aber festhalten, dass bei Auftreten eines Pertinenzdativs die Zustandslesart ausgeschlossen ist. Fügt man nämlich einem Satz aus (4-10) das Dativargument, wie es in (4-9) vorliegt, hinzu, so wird der Satz zugunsten der Perfektlesart desambiguiert (vgl. z. B. (4-11 mit 4-10a). (4-11)

Sie hat sich einen Schal um den Hals gewickelt.

Auch bei Einsetzung eines Temporaladverbials wie den ganzen Tag, das einen Zeitraum denotiert und so die Zustandslesart unterstützen kann (vgl. oben zu Punkt 1), kann die Konstruktion nicht als PHK interpretiert werden, wenn zugleich ein dativisches Reflexivpronomen im Satz steht (4-12a). Der Satz muss als Perfekt interpretiert werden (wobei der Wickelvorgang den ganzen Tag in Anspruch nahm oder aber iterativ stattfand). (4-12) a. b.

Sie hat sich den ganzen Tag einen Schal um den Hals gewickelt. Sie hat den ganzen Tag einen Schal um den Hals gewickelt.

Fehlt hingegen die Dativphrase wie in (4-12b), so ist die Interpretation als PHK ohne Weiteres möglich und aufgrund des Temporaladverbials auch pragmatisch unmarkierter als die Perfektlesart. Mit anderen Worten: Im PHK kann, im Gegensatz zu haben-Perfektkonstruktionen, kein Pertinenzdativ auftreten. Diese Tatsache erlaubt im Zusammenhang mit dem Partizip II gewisser Verben eine eindeutige Unterscheidung zwischen PHK und Perfektkonstruktion. Nicht hilfreich ist das Kriterium natürlich bei solchen Verben, die grundsätzlich nicht mit einem Pertinenzdativ verbunden werden können. Dieses Ergebnis scheint darauf hinzudeuten, dass Subjekte im PHK einerseits und (bestimmte) Dativergänzungen andererseits ‹in Konkurrenz› zueinander stehen und nicht zugleich im selben Satz erscheinen können. Eine nahe liegende Erklärung für dieses Phänomen könnte in der Annahme gefunden werden, dass das Subjekt im PHK das promovierte Dativargument des Verbs, welches als Partizip realisiert ist, darstellt (ähnlich, wie das oft für das Dativpassiv angenommen wird; vgl. z. B. Wegener 1991:74). In Abs. 4.4.2 wird aber gezeigt,

166 dass diese Analyse nicht korrekt sein kann und einer andersartigen Erklärung der Vorzug zu geben ist.12 13 Die im Folgenden unter Punkt (4) und (5) aufgeführten Kriterien sind Latzel (1977) entnommen. 4) Latzel (1977:289) zeigt, wie der PHK anhand einer Umformungsprobe vom Perfekt unterschieden werden kann. Bei dieser Umformung erscheint das im PHK nach dem Akkusativobjekt stehende Partizip in attributiver Stellung und damit vor dem Kernnomen der Akkusativ-NP (4-13). (4-13) a. b.

Das Pferd hat die Fesseln bandagiert. Das Pferd hat bandagierte Fesseln.

Ausgehend von einem Perfektsatz ist eine solche Umformung dagegen nicht möglich (4-14).14 (4-14) a. b.

Das Pferd hat den Knecht gebissen. #Das Pferd hat einen gebissenen Knecht.

In den Abs. 3.4 und 3.5 habe ich dafür argumentiert, dass eine pränominal stehende, adjektivische Wortform wie bandagiert in (4-13b) als Prädikat, nicht als Attribut, zu seinem Bezugsnomen zu interpretieren ist. Ein wichtiges Indiz für das Vorliegen eines solchen ‹pränominalen Prädikats› ist der präsupponierte Status des Bezugsnomens. Diese Voraussetzung ist in (4-13b) gegeben: Hier ist die Körperteilbezeichnung Fesseln, die den Teil eines Ganzen (im Beispiel: Pferd) denotiert, als präsupponiert zu verstehen, obwohl sie – anders als in (413a) – nicht von einem definiten Artikel begleitet wird (für Einzelheiten vgl.

12 13

14

Zu Verwandtschaft und Unterschieden von haben-Subjekten und Dativergänzungen vgl. auch Kap. 7. Litvinov/Nedjalkov (1988:39–44) führen weitere Charakteristika des PHK an, die Unterschiede zum Perfekt deutlich machen. Meines Erachtens taugen sie aber kaum zur eindeutigen Abgrenzung der beiden Konstruktionen voneinander, sondern stellen allenfalls Tendenzen in Bezug auf die Syntax oder die Semantik von Perfektkonstruktionen bzw. von Haben-Konfigurativen dar. Dies darf hier nicht als grundsätzliche Kritik an Litvinov/Nedjalkov aufgefasst werden, da ihre Ausführungen nicht zum Ziel haben, syntaktische Tests zur Unterscheidung der zwei Konstruktionen zu liefern. Ihr Anspruch ist, «einige Faktoren [zu nennen], die die resultative Deutung [einer haben+Partizip-II-Konstruktion] nahelegen» (Litvinov/Nedjalkov 1988:40). – Zur Frage, ob der PHK mit Recht als resultative Konstruktion einzuordnen ist, vgl. Abs 4.4.3. Beispiele nach Latzel 1977:289; bei (4-14b) setzt Latzel einen Stern, womit aber nicht syntaktische Ungrammatikalität gemeint sein kann, sondern eher semantische oder pragmatische Unangemessenheit der Paraphrase in Bezug auf (4-14a). Entsprechendes gilt bei der gleich im Anschluss angeführten so-Probe (Punkt 5, Bsp. 4-18).

167 Abs. 3.4 und 3.5). Vor diesem Hintergrund ist die Transformierbarkeit von (413a) in (b) verständlich, und sie spricht im Weiteren für eine Analyse des PHK in Analogie zum AHK. Allerdings ist auch festzuhalten, dass die Überführbarkeit eines AHK bzw. PHK in eine Konstruktion mit pränominal realisiertem adjektivischem bzw. partizipialem Prädikat manchen syntaktischen und pragmatischen Einschränkungen unterliegt, sodass Latzels Umformungsprobe nicht in jedem Fall durchführbar ist. So ist die pränominale Stellung des Partizips (bzw. des Adjektivs) beispielsweise dann syntaktisch ausgeschlossen, wenn die Bezugsgröße ein Pronomen darstellt (4-15; vgl. Abs. 3.5.4). (4-15) a. b.

Das Pferd hat sie bandagiert. *Das Pferd hat bandagierte sie.

Aus pragmatischen Gründen kann die Konstruktion mit pränominalem Partizip (bzw. Adjektiv) insbesondere dann ausgeschlossen sein oder zumindest markiert erscheinen, wenn nicht hinreichend deutlich wird, dass das Bezugsnomen als präsupponiert aufzufassen ist (4-16; vgl. Abs. 3.5.3). (4-16) a. b.

Er hat den Becher gefüllt. #Er hat einen gefüllten Becher.

In (4-16b) kann Becher nur dann als präsupponiert gelten, wenn geeignete pragmatische Bedingungen dies nahe legen (z. B. wenn die Menschen, von denen die Rede ist und denen der Referent von er angehört, alle einen Becher vor sich stehen haben) – andernfalls wird Becher als Teil des assertierten Gehalts des Satzes aufgefasst. Im Gegensatz dazu wird in (4-16a) die Präsupponiertheit von Becher durch den Gebrauch des definiten Artikels formal markiert. Damit ist in Fällen wie (4-15a) oder (4-16a) Latzels Umformungsprobe nicht geeignet, die strukturelle Ambiguität zwischen PHK und Perfekt aufzulösen. 5) Bei der so-Probe wird das Partizip II durch das deiktisch verwendete Adverb so ersetzt. Beim PHK entsteht – insbesondere verbunden mit einer Zeigegeste oder Ähnlichem – ein pragmatisch unmarkierter Satz (vgl. Latzel 1977:289). (4-17) a. b.

Das Pferd hat die Fesseln bandagiert. Das Pferd hat die Fesseln so.

Bei der Perfektkonstruktion führt die Anwendung der so-Probe zu einem inakzeptablen Resultat (4-18). (4-18) a. b.

Das Pferd hat den Knecht gebissen. #Das Pferd hat den Knecht so.

Die so-Probe weist das Partizip im PHK als eigenständiges Prädikat aus, das unabhängig von haben prädiziert (vgl. auch die Möglichkeit der Paraphrase des

168 PHK durch einen Kopulasatz mit sein: Die Fesseln des Pferdes sind bandagiert/ so).15 6) Auf Bech (1983 [1955]) geht folgende Koordinationsprobe zurück (Beispiele in 4-19 zit. nach Latzel 1977:289, Fn. 2). Dabei wird die Akkusativ-NP und das Partizip (inklusive allfällig davon dependente Phrasen) mit einer weiteren Akkusativ-NP und einer darauf folgenden PP koordiniert. Ist der Satz, von dem ausgegangen wird, als PHK interpretierbar, so kann er in der genannten Weise erweitert werden (4-19a). (4-19) a. b.

Er hat den Hut in den Nacken geschoben und die Hände in den Taschen. *Dann hat er den Hut in den Nacken geschoben und die Hände in den Taschen.

Bei einer Perfektlesart (in 4-19b durch das Temporaladverb dann unterstützt) ist das Ergebnis der Erweiterung zeugmatisch. Der Kontrast lässt sich im Rahmen der in Abs. 2.4 vertretenen Analyse leicht deuten: Bei den Konjunkten in (419a) handelt es sich um zwei SCs, wobei das erste eine Partizipialphrase, das zweite eine PP als Coda-Konstituente aufweist (4-20). (4-20)

Er hat [[den Hut] [Coda in den Nacken geschoben] und [[die Hände] [Coda in den Taschen]].

Die Ungrammatikalität von (4-19b) erklärt sich dadurch, dass nur Vollverbhaben, nicht aber auxiliares haben einen SC einbettet.

15

Zur Problematisierung von Latzels Proben hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit zur Abgrenzung des PHK von der Perfektkonstruktion vgl. Leirbukt (1981:124f). An dieser Stelle soll hierzu nur das Folgende angemerkt werden: Beispiel (i) (nach Leirbukt 1981:125) stellt in der pragmatisch nächstliegenden Lesart keine Perfektkonstruktion dar, dennoch führt sowohl die Anwendung der so-Probe (ii) als auch die oben unter Punkt (4) vorgestellte Umformungsprobe (iii) zu einem inakzeptablen Ergebnis. (i) So/na bitte, jetzt hätten Sie Ihren Schaden ersetzt. (ii) #So/na bitte, jetzt hätten Sie Ihren Schaden so. (iii) #So/na bitte, jetzt hätten Sie einen ersetzten Schaden. Die Unangemessenheit von (iii) dürfte sich im Zuge der oben zu Punkt (4) gemachten Überlegungen zu präsupponierten gegenüber assertierten Bedeutungsanteilen von haben-Sätzen erklären lassen. Was (ii) betrifft, so dürfte die Markiertheit des Satzes ihre Ursache darin haben, dass der durch ersetzt ausgedrückte Zustand nicht sinnlich wahrnehmbar ist, was aber eine Bedingung für die Verwendung des Deiktikums so zu sein scheint. Die sinnliche Wahrnehmbarkeit des im PHK denotierten Zustands, in dem sich der Objektsreferent befindet, dürfte meist – aber eben nicht immer, wie (ii) zeigt – gegeben sein (vgl. auch Rothstein 2007:295).

169 7) Auch durch die Positionierung des Modifikators genug kann eine Desambiguierung zwischen Perfekt und PHK erreicht werden.16 Man vergleiche hierzu die Stellung von genug unmittelbar nach bzw. unmittelbar vor dem Partizip II in den folgenden zwei oberflächensyntaktisch ansonsten identischen Sätzen. (4-21) a. b.

Er hat seine Wohnung aufgeräumt genug. Er hat seine Wohnung genug aufgeräumt.

Bei Nachstellung von genug (vgl. 4-21a) ergibt sich die für den PHK charakteristische Zustandslesart, eine Perfektlesart ist dagegen ausgeschlossen. Bei Voranstellung von genug wie in (4-21b) ist hingegen eine Perfektlesart möglich (und für manche Sprecher zwingend, vgl. dazu Fn. 17 gleich unten). Diese Unterscheidungsmöglichkeit hängt damit zusammen, dass Adjektive durch nachgestelltes genug modifiziert werden können, vgl. Er ist alt genug. Im Gegensatz dazu kann ein adverbialer Modifikator im Allgemeinen nicht im Nachfeld des Satzes erscheinen; wenn (4-21a) als Perfektsatz interpretiert würde, wäre aber genau dies der Fall, und man müsste den Satz als ungrammatisch oder zumindest als äußerst markiert einstufen (vgl. dazu den aus unabhängigen Gründen nur als Perfekt interpretierbaren Satz Er hat geweint (*genug)). Die Positionierung von genug kann daher auch als Evidenz dafür gewertet werden, dass das im PHK erscheinende Partizip kategorial als Adjektiv zu analysieren ist (im Gegensatz zum verbalen Partizip in der Perfektkonstruktion) – eine Sicht, für die unten in Abs. 4.5 ausführlicher argumentiert werden wird.17

16 17

Auf diese Möglichkeit hat mich Anja Lübbe (p. c.) aufmerksam gemacht. Das Kriterium ist meines Wissens in der Literatur bisher nicht aufgegriffen worden. In der Schweizer Standardvarietät des Deutschen ist die Konstruktion mit Prästellung von genug ambig, d. h. Er hat seine Wohnung genug aufgeräumt kann nicht nur als Perfekt, sondern auch als PHK interpretiert werden. Dies ist dadurch zu erklären, dass im Schweizer Standarddeutsch genug ein Adjektiv auch (und wohl bevorzugt) in Prästellung modifizieren kann. Vergleiche hierzu den Beleg (i) aus dem St. Galler Tagblatt (einer Schweizer Tageszeitung) (zitiert aus dem COSMASKorpus). (i) Die am häufigsten gehörte Feststellung war, dass man seine Kundschaft kenne und wisse, wer genug alt sei und wer nicht. (COSMAS, A98/NOV.75549 St. Galler Tagblatt, 24.11.1998)

170 Damit soll hier die Diskussion von Kriterien zur Unterscheidung zwischen PHK und Perfekt abgeschlossen werden.18 19 Im Fazit ergibt sich: Die oben angeführten Tests sind nicht alle bei jeder Konstruktion, die aus einer Flexionsform von haben und einem Partizip II besteht, anwendbar. Auch sind die Tests im Einzelnen mehr oder weniger stark problematisierbar. Insgesamt dürfte aber deutlich geworden sein, dass es sich beim PHK um eine vom Perfekt unterscheidbare und von diesem unabhängige Konstruktion handelt.20 Das aus 18

19

20

Abraham (2005:274; 292) weist darauf hin, dass im Wienerischen die Abfolge der verbalen Elemente in der rechten Satzklammer Einfluss auf die Lesart eines Satzes als PHK bzw. als Perfekt haben kann (Beispiele aus Abraham 2005:292; vgl. auch oben Abs. 2.3.1, Fn. 20). (i) … dass wir Flüchtlinge versteckt ham. (ii) … dass wir Flüchtlinge ham versteckt. Im Wienerischen weist Satz (ii) nach Abraham nur die «temporale Lesart» (Abraham 2005:274; d. h. die Perfektlesart) auf, Satz (i) sei dagegen ambig zwischen temporaler Lesart und Zustandslesart (ähnlich Abraham 2004:133f). Für das Standarddeutsche sowie für die meisten standardnahen Varietäten taugt dieses Kriterium allerdings nicht, da die Abfolge in (ii) dort ungrammatisch ist. Eine Problematik, die hier nicht weiter vertieft werden kann, ist die Abgrenzbarkeit des PHK im Perfekt einerseits von doppelten Perfektbildungen andererseits (vgl. Rödel 2007 und die dort zitierte Literatur). So ist die haben-Konstruktion in folgendem Beleg ambig (Unterstreichung M.B.). (i) Das kann doch nicht sein, dann müßte die gesamte Formatierung ja insg. 3 Tage dauern wenn man das hochrechnet! Habe alle unnötigen Hintergrundanwendungen geschlossen gehabt. (5.2.2008: http://www.informationsarchiv. net/foren/beitrag-55711.html) Im gegebenen sprachlichen Kontext kann die Konstruktion stativ, d. h. als PHK, interpretiert werden (während der Formatierung waren die Hintergrundanwendungen geschlossen) oder als doppeltes Perfekt, was – neben anderen möglichen Deutungen, vgl. die Diskussion in Rödel (2007) – Vorzeitigkeit zum Ausdruck bringen kann (vor der Formatierung wurden die Hintergrundanwendungen geschlossen). Soweit ich sehe, wird das Problem in der Literatur kaum aufgegriffen. Helbig unterscheidet weiter innerhalb der Kategorie, die hier als PHK bezeichnet wird, zwischen einem reflexiven und einem nicht-reflexiven Zustandspossessiv. Bei der ersten Konstruktion sind «Agens und Favorisierter identisch» (Helbig 1978:43) (weshalb Helbig von Reflexivität spricht), bei der zweiten dagegen nicht. Im Falle des nicht-reflexiven Zustandspossessivs ist der durch z. B. Er hat das Bein verbunden ausgedrückte Zustand auf ein vorgängiges Geschehen zu beziehen, bei dem ein Agens X einer anderen Person das Bein verbunden hat. Beim reflexiven Zustandspossessiv geht der durch Er hat das Bein verbunden ausgedrückte Zustand dagegen auf ein Geschehen zurück, bei dem sich das Agens X selbst das Bein verbunden hat. Der hier postulierte Unterschied ist verwandt mit der Unterscheidung von Zustandsreflexiv und Zustandspassiv im Bereich der Konstruktionen mit sein (vgl. Helbig 1978:38f, 1983:50, 1987:217f).

171 syntaktischer Sicht stärkste Argument für die Eigenständigkeit des PHK ist die Möglichkeit, eine haben-Konstruktion mit dem Partizip II unakkusativischer Verben zu bilden (vgl. Punkt 2).21

21

Helbigs Unterscheidung wird hier nicht gefolgt, da sie – im Gegensatz zur Unterscheidung zwischen PHK und Perfekt – auf syntaktischer Ebene keinen Niederschlag findet (zumindest ist mir kein syntaktischer Tests bekannt, mit dem zwischen den beiden von Helbig vorgeschlagenen Kategorien unterschieden werden könnte). Im Weiteren ist Maienborn (2007:96) zuzustimmen, dass es methodisch angemessen ist, bei Identität auf der Ebene der Form (der syntaktischen Konstruktion) zunächst – d. h. ohne gegensätzliche Evidenz – auch eine Identität auf der Ebene der Semantik anzunehmen. Daher gehe ich im Folgenden von einem syntaktisch einheitlich zu beschreibenden PHK aus, dem auch eine einheitliche Semantik zugrunde liegt. Ich folge Hole (2002) in der Auffassung, dass das Subjekt im PHK semantisch generell einen Zustandsträger darstellt und damit nie Agens oder Favorisierter (o. ä.) sein kann (vgl. auch Kap. 7). Die beiden von Helbig unterschiedenen Lesarten ergeben sich damit allein aufgrund pragmatischer Faktoren. Eine offene Frage ist, wie Beispiele der folgenden Art in Bezug auf den PHK einerseits und in Bezug auf das Perfekt und seine Lesarten sowie das Zustandspassiv andererseits einzuordnen sind. (i) Wolfgang hat Diano seit Freitag verlassen. (aus Stechow 2002:395) Für Stechow handelt es sich bei (i) um eine Instanz der Perfektlesart Perfect of result. Dieses ist semantisch strikt von anderen Lesarten des Perfekts zu trennen (Stechow 2002:394). Allgemein hält Stechow fest: «The perfect of result is expressed by the adjectival passive (‹Zustandspassiv›) and occasionally by active constructions.» (Stechow 2002:415) Eine solche ‹gelegentliche› Aktivkonstruktion stellt Satz (i) dar. Die Hauptgruppe der Kategorie Perfect of result bilden aber Zustandspassiva wie Die Bibliothek ist seit 9 Uhr geöffnet. Stechow entwickelt eine semantische Analyse, die Zustandspassivkonstruktionen und Sätze wie (i) recht weit gehend parallel behandelt. Für (i) schlägt Stechow folgende LF vor (leicht vereinfacht): (ii) [TP NOW seit Friday [VP STATE haben [VP leave(Diano)(Wolfgang)] e]] «This LF means that Wolfgang has been in the state of being out of Diano since Friday, and this as the result of having left Diano on Friday» (Stechow 2002:422). Gemäß dieser Analyse ist das Subjekt dieser Konstruktion (im Beispiel Wolfgang) wie im PHK ein Zustandsträger. Zugleich ist Wolfgang aber auch ein Agens (vgl. Stechow 2002:421): Dass Wolfgang Diano verlassen hat, ist Teil der LF von (i). Dies unterscheidet Perfect-of-result-Sätze von PHK-Konstruktionen, wie ich sie hier analysiere. Ein weiterer Unterschied ist, dass die für Konstruktionen mit haben als Vollverb charakteristische Pertinenzrelation zwischen dem Subjekt und einem Element im haben-Komplement (vgl. Kap. 7) in (i) fehlt.

172

4.3

Eine verwandte Konstruktion mit haben im Infinitiv bzw. im Konjunktiv II

Die syntaktische Verbindung eines Partizips II mit haben als Vollverb22 begegnet nicht nur in Form der bisher diskutierten Beispiele, in denen haben als finite, indikativische Flexionsform erscheint (4-22a), sondern auch mit infinitivischem haben, eingebettet durch ein Modalverb (b), und als Konstruktion mit hätte gern, d. h. mit formal konjunktivischem und semantisch volitiv zu interpretierendem haben (c). (4-22) a. b. c.

Sie hat die Haare onduliert. Sie will die Haare onduliert haben. Sie hätte die Haare gern onduliert.

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Sätze (4-22b und c) nicht vollumfänglich auf den PHK zurückgeführt werden können. Das bedeutet, dass Sätze wie (4-22b und c) es notwendig erscheinen lassen, neben dem PHK und der Perfektkonstruktion noch einen weiteren Konstruktionstyp mit haben und Partizip II zu unterscheiden. Grundlegend ist die Feststellung, dass die Sätze in (4-22b und c) in bestimmter Weise ambig sind: Neben der Lesart als PHK, in der sie auf den ‹einfachen› PHK in (4-22a) beziehbar sind, weisen sie eine zweite Lesart auf, die dem PHK fremd ist. Die beiden Lesarten von (4-22b) (vgl. Leirbukt 1981:124) lassen sich wie folgt paraphrasieren: 1) ‚Sie will, dass ihre Haare onduliert sind‘; 2) ‚Sie will, dass ihre Haare onduliert werden‘. Entsprechendes gilt für (4-22c) (vgl. Leirbukt 1981:129). Ein denkbarer sprachlicher Kontext für Lesart (1) wäre beispielsweise: Sie will ihre Haare onduliert haben, wenn sie zur Party geht. Für Lesart (2) wäre dagegen eine Weiterführung wie folgt denkbar: Sie will ihre Haare onduliert haben, wenn sie zum Friseur geht. Die beiden Lesarten können mit Leirbukt (1981) als statische Lesart (1) bzw. als dynamische Lesart bezeichnet werden.23 Wichtig ist nun zweierlei. Erstens weist der PHK in (4-22a) nur die statische Lesart auf (‚Ihre Haare sind onduliert‘), nicht aber eine dynamische Lesart (‚Ihre Haare werden onduliert‘). Zweitens ist in (4-22b) nur in der dynamischen Lesart (Lesart 2), nicht aber in der statischen Lesart (Lesart 1), haben durch

22

23

Weist ein Satz mit Partizip II und haben auch die Interpretationsmöglichkeit als Perfektkonstruktion auf, so wird diese im vorliegenden Kapitel von nun an nicht mehr berücksichtigt. Die dynamische Lesart ergibt sich nicht nur bei Einbettung von haben + Partizip II durch wollen, sondern auch durch andere Modalverben (z. B. können).

173 bekommen ersetzbar, ohne dass eine wesentliche Bedeutungsänderung eintritt24 (4-23). (4-23)

Sie will die Haare onduliert bekommen.

Mit anderen Worten: Nur unter modaler Einbettung (oder bei Konjunktiv-IIMorphologie mit volitiver Semantik) ist die Verbindung von haben und Partizip II durch eine bekommen-Passiv-Konstruktion (oder allgemeiner: Dativpassiv-Konstruktion) ersetzbar. Der PHK (4-22a, hier wiederholt als 4-24a) hingegen weist eine klar von Dativpassiv-Konstruktionen (4-24b) unterscheidbare Semantik auf. (4-24) a. b.

Sie hat die Haare onduliert. Sie bekommt die Haare onduliert.

Während (4-24a) semantisch einen Zustand denotiert, weist (b) eine eventive Semantik auf. Allerdings ist die Ersetzbarkeit von haben durch bekommen auch bei Einbettung durch ein Modalverb nicht generell gegeben (4-25, aus Leirbukt 1981:136; vgl. auch Vuillaume 1977:9; Leirbukt 1981:121). (4-25) a. b.

Der Patient will dieses Medikament nicht mehr verordnet haben/bekommen. Der Chefarzt will dieses Medikament nicht mehr verordnet haben/#bekommen.

In (4-25a) kann der Infinitiv haben durch bekommen ersetzt werden. Diese Möglichkeit besteht hingegen bei (4-25b) nicht. Der Grund dafür ist, dass in der Variante mit bekommen der Subjektsreferent zwingend die Rolle eines Benefizienten (o. ä.) realisiert, was im Falle von Patient in (4-25a) pragmatisch angemessen ist, nicht aber für Chefarzt in (b). Es zeigt sich somit, dass die Konstruktion mit haben einen breiteren Interpretationsspielraum in Bezug auf die Semantik des Satzsubjekts aufweist als die syntaktisch parallele Konstruktion mit bekommen. Aufgrund der semantischen Besonderheiten der ‹dynamischen› haben-Konstruktion gegenüber dem PHK, aber auch gegenüber der Dativpassiv-Konstruk24

Ob eine haben-Konstruktion im strengen Sinne bedeutungsgleich mit einer entsprechenden bekommen-Konstruktion sein kann, muss hier offen bleiben. Leirbukt (1981:124) merkt an, dass die haben-Konstruktion (in der dynamischen Lesart) «manchmal härter, fordernder» als die bekommen-Variante klinge und führt dazu u. a. das folgende Beispiel an. (i) Das möchte ich noch mal erklärt haben. (Angesprochener: Prüfling) Der Grund dafür ist unklar (vgl. aber die gleich unten folgenden Überlegungen zur Semantik der haben- bzw. bekommen-Konstruktion).

174 tion in modaler Einbettung, folge ich Leirbukt (1981:141) in der Auffassung, dass die ‹dynamische› haben-Konstruktion einen eigenständigen Konstruktionstyp darstellt.25 Sie ist – was hier von Interesse ist – insbesondere nicht auf den PHK reduzierbar (vgl. zu weiteren Einzelheiten der verschiedenen Konstruktionen Leirbukt 1981).26 Für diese Einschätzung spricht im Weiteren ein syntaktischer Unterschied zwischen dem PHK einerseits und der ‹dynamischen› haben+Partizip-II-Konstruktion andererseits. So ist festzustellen, dass bei einer modal eingebetteten Verbindung von haben mit einem Partizip II ein Akkusativobjekt ohne Weiteres fehlen kann (4-26,27 aus Leirbukt 2000:10228). (4-26) a. b.

Diesem Missstand will er abgeholfen haben. Darauf will er nicht mehr hingewiesen haben.

Eine Konstruktion ohne Akkusativobjekt ist beim PHK überwiegend ausgeschlossen (zu idiosynkratischen Ausnahmen wie Der Laden hat geöffnet vgl. Latzel 1977:302, Rothstein 2007:295 sowie oben Abs. 3.7.1). Die folgenden Beispiele sind daher nur als Perfektkonstruktionen, nicht aber als PHK interpretierbar. (4-27) a. b.

25

26

27

28

Diesem Missstand hat er abgeholfen. Darauf hat er nicht mehr hingewiesen.

Im Gegensatz dazu gelangt die IdS-Grammatik zur Einschätzung, eine explizite Abgrenzung zwischen ‹statischer› und ‹dynamischer› haben+Partizip-II-Konstruktion sei «nicht notwendig» (Zifonun et al. 1997:1852). Zur Klärung der in Leirbukt (1981) diskutierten und oben teilweise wiedergegebenen Lesarteneinschränkungen der einzelnen Konstruktionen tragen die Ausführungen in Zifonun et al. (1997:1851–1854) allerdings nichts bei. – Für weitere semantische Evidenz zugunsten der Aussonderung der dynamischen haben-Konstruktion vgl. Abs. 7.3.1, Fn. 58. Hole (2002:5) parallelisiert die ‹dynamische› haben+Partizip-II-Konstruktion mit der englischen Kausativkonstruktion (i). (i) Paul has his hair cut. Das deutsche Pendant dazu unterscheidet sich von der englischen Kausativkonstruktion nur darin, so Hole, dass sie – aus unbekannten Gründen – auf modale Kontexte beschränkt ist. Diese Vermutung müsste allerdings einer näheren Prüfung unterzogen werden. Zum englischen have-Kausativ mit verbalem Partizip Passiv vgl. u. a. Harley (1998). Von der manchmal nahe liegenden Lesart, bei der wollen epistemisch (und haben dabei als Perfektauxiliar) zu interpretieren ist, wird im Folgenden wie schon in den obigen Beispielen abgesehen. Leirbukt (2000) betrachtet Partizip-II-Konstruktionen in modaler Einbettung mit dem Verb haben sowie mit wissen und sehen (vgl. Petra will das in relativ kurzer Zeit erledigt haben/wissen/sehen) im Hinblick auf die Frage, wie stark die einzelnen Konstruktionen im heutigen Deutsch grammatikalisiert sind.

175 Die Interpretation als PHK ist ausgeschlossen, obwohl das Partizip des gewählten Verbs grundsätzlich eine Zustandslesart erlaubt, vgl. die zustandsdenotierenden sein-Sätze Diesem Missstand ist abgeholfen bzw. Darauf ist (nicht mehr) hingewiesen. Die Unmöglichkeit von PHK-Konstruktionen von der Form der Sätze in (4-27) ist damit nicht semantisch, sondern syntaktisch begründet: Haben als Vollverb regiert obligatorisch den Akkusativ (vgl. 2-11 in Abs. 2.3.1); ein PHK wie (4-27a) oder (b) ist ungrammatisch, da das Kasusmerkmal von haben nicht abgeglichen werden kann. Damit ist klar, dass die Sätze (4-26a bzw. b) nicht auf die Sätze (4-27a bzw. b) zurückgeführt werden können – sie stellen eine vom PHK unabhängige Konstruktionsmöglichkeit dar.29 Diese unabhängige Konstruktion fällt aufgrund ihrer besonderen semantischen und syntaktischen Eigenschaften nicht in den Datenbereich, der in der vorliegenden Arbeit einheitlich zu erfassen gesucht wird, sondern sie steht – wie die in Kap. 8 dargestellten haben-Konstruktionen – außer Reichweite der in Kap. 2 entwickelten Hypothese.30

29

30

Zur Semantik der Sätze in (4-26) ist Folgendes festzuhalten. Zweifelsfrei weisen die Beispiele eine ‹dynamische› Interpretation auf, d. h. (i-a) und (i-b) stellen angemessene Paraphrasen für (a) bzw. (b) dar. (i) a. Er will, dass diesem Missstand abgeholfen wird. (ii) b. Er will, dass darauf nicht mehr hingewiesen wird. Ob daneben grundsätzlich eine ‹statische› Lesart – vgl. Lesart (ii) in Bezug auf (i-a) – möglich ist (was aus den bisherigen Überlegungen nicht folgt), ist unklar. (ii) ?Er will, dass diesem Missstand (bis nächsten Monat) abgeholfen ist. Es ist an dieser Stelle auf die interessante Tatsache hinzuweisen, dass beim Verb sein eine mit haben vergleichbare ‹Dynamisierung› in modaler Einbettung nicht zu beobachten ist (i). (i) Sie will erstklassig frisiert werden/#sein, wenn sie zum Friseur geht. Das Zustandsverb sein kann nicht an die Stelle von werden (das wie bekommen eine Zustandsänderung ausdrückt) treten, auch wenn, wie es in (i) der Fall ist, Partizip und Kopulaverb (frisiert werden) von einem Modalverb eingebettet sind. Im hier betrachteten Datenbereich verhalten sich haben und sein semantisch somit nicht parallel. Zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts sei das folgende Satzpaar angeführt. (ii) a. Er will eine halbe Stunde lang den Rücken abgeschrubbt bekommen/ haben. b. Ihm soll eine halbe Stunde lang der Rücken abgeschrubbt werden/#sein. Betrachtet man die semantische ‹Dynamisierung› von modal eingebetteten Infinitiven als eine allein von pragmatischen Faktoren abhängige Interpretationsmöglichkeit, so ist die Beschränkung in (i) und (ii-b) überraschend. – Die Klärung der Gründe für diese Diskrepanz zwischen haben und sein muss zukünftiger Forschung überlassen werden. Vgl. auch unten in Abs. 5.3.4 die Ausführungen zu einem verwandten Phänomen bei haben-Konstruktionen mit Direktionaladverbialen.

176 Eine offene Frage bleibt, wie haben in den Sätzen (4-26) einzuordnen ist. Wie im PHK und in der Perfektkonstruktion regiert haben ein Partizip II. Gegen den Vollverbstatus von haben in (4-26) spricht, wie schon festgehalten, das Fehlen einer Akkusativ-NP; gegen die Einordnung als Perfektauxiliar die Semantik der Sätze. Semantisch scheint haben durch das Passivverb werden ersetzbar (vgl. 4-28 mit 4-26). (4-28) a. b.

Er will, dass diesem Missstand abgeholfen wird. Er will, dass darauf nicht mehr hingewiesen wird.

Wenn man bereit ist, (4-28a bzw. b) und (4-26a bzw. b) als mögliche Paraphrasen voneinander zu werten, so unterscheiden sich haben und werden hier in erster Linie in syntaktischer Hinsicht: Während werden in einem finiten Nebensatz, der von wollen selegiert wird, realisiert werden muss, erscheint haben anstelle von werden bei einem infiniten von wollen eingebetteten Satz. – Eine vertiefte Analyse der Konstruktionen in (4-26) muss bei anderer Gelegenheit erfolgen. Im folgenden Abschnitt komme ich auf den PHK zurück, dies im Zusammenhang mit weiteren Konstruktionen mit dem Partizip II.

4.4

Der PHK und das Diathesensystem des Deutschen

In diesem Abschnitt wird diskutiert, ob der PHK als eine (von mehreren) Passivdiathesen des Deutschen aufgefasst werden kann. Es wird sich zeigen, dass eine solche Sichtweise problematisch ist und es aus theoretischer Sicht attraktiver ist, den PHK als SC-Konstruktion aufzufassen, bei der das SC-Prädikat von einem Partizip II gebildet wird. Abs. 4.4.1 stellt eine verbreitete theoretische Einordnung des PHK als ‹statives Dativpassiv› sowie von Hole (2002) formulierte Einwände gegen diese Deutung vor. In Abs. 4.4.2 werden weitere syntaktische Eigenschaften des PHK diskutiert, die ebenfalls gegen eine Erweiterung des deutschen Diathesensystems um ein statives Dativpassiv sprechen. In Abs. 4.4.3 werden semantische Aspekte des PHK aufgegriffen. Abschließend wird ein Fazit aus der Diskussion gezogen (Abs. 4.4.4).

4.4.1 Der PHK als ‹statives Dativpassiv›? Öfters ist der PHK in Beziehung mit dem Dativpassiv (bekommen-Passiv) diskutiert und als dessen zustandsdenotierendes Pendant eingeordnet worden (vgl. u. a. Askedal 1987:34f; Pilar 1990:63; Schanen 1992:464; Eroms 2000:395,

177 420f).31 32 Nach dieser Auffassung steht der PHK zum Dativpassiv im selben Verhältnis wie das ‹Zustandspassiv› (sein-Passiv; vgl. dazu am Ende dieses Abschnitts) zum Vorgangspassiv (werden-Passiv). So bezeichnet Eroms den PHK explizit als «Zustandsvariante des Dativpassivs» (Eroms 2000:395) und ordnet ihn als Konverse in einem umfassenden Diathesensystem ein (vgl. Eroms 2000:393f). Diese Sichtweise lässt sich durch folgendes Korrelationsschema nach Hole (2002:4; hier leicht abgeändert) darstellen (vgl. auch Zifonun et al. 1997:1851). Patienspromotion

Rezipientenpromotion

vorgangsdenotierend

werden-Passiv

bekommen-Passiv

zustandsdenotierend

sein-Passiv

haben-Passiv

(Tabelle 4:1)

Der PHK (in Tabelle 4:1 wie in Eroms 2000:420 als ‹haben-Passiv› bezeichnet) teilt einerseits mit dem sein-Passiv die Zustandssemantik, andererseits mit dem bekommen-Passiv (in der Begrifflichkeit von Hole 2002) das Charakteristikum, dass der Rezipient zum Subjekt promoviert wird (im Gegensatz zum Paar werden-/sein-Passiv, wo es das Patiens ist, das zum Subjekt promoviert wird).33 34 Hole (2002) kritisiert nun eine solche Einordnung des PHK ins Diathesensystem des Deutschen, indem er auf Bildungsbeschränkungen hinweist: «Ers-

31 32

33

34

Die Literatur zum Dativpassiv ist umfangreich. Vgl. Leirbukt (1997) für eine Monografie sowie Askedal (2005) für einen jüngeren Beitrag zum Thema. Zifonun et al. (1997:1851) ordnen den PHK nicht als Passivkonstruktion im engeren Sinne ein, sondern fassen ihn als periphere, passivähnliche Konstruktion auf, dies zusammen mit weiteren Konstruktionen, die als «grammatische Konversen» bezeichnet werden (Zifonun et al. 1997:1792). Vor diesem Hintergrund wäre es eigentlich angemessen, bekommen-Passiv und Dativpassiv nicht – wie dies meist geschieht – als Synonyme zu behandeln, sondern Dativpassiv als Überbegriff für das bekommen- sowie das haben-Passiv zu verwenden (und analog unter dem Begriff Akkusativpassiv das werden- und das sein-Passiv zusammenzufassen). In vielen grammatischen Darstellungen werden nur das werden-Passiv und das seinPassiv, in neuerer Zeit oft auch das bekommen-Passiv, als Passivkonstruktionen im engeren Sinne (die gegenüber ‹passivähnlichen› Konstruktionen abzugrenzen sind) angeführt. So nennt beispielsweise die Dudengrammatik die drei Verben werden, sein, bekommen als «Passivhilfsverb[en]» (Duden 2005:550; vgl. auch 422–424). Dass ein ‹haben›-Passiv dagegen in manchen Grammatiken fehlt, dürfte – so ist zu vermuten – seine Gründe wohl zunächst einmal in der niederen Auftretensfrequenz des PHK haben, und nicht (nur) durch theoretische Reserven begründet sein.

178 tens gibt es Bekommen-Passiva, denen keine partizipialen Haben-Konfigurative entsprechen, und es gibt Haben-Konfigurative, für die es keine bekommenpassivischen Gegenstücke gibt.» (Hole 2002:4) Zum ersten Punkt lässt sich beispielsweise folgendes Satzpaar anführen. (4-29) a. b.

Wir bekommen die Mülltonne (jede Woche) geleert. Wir haben die Mülltonne geleert.

Satz (4-29b) ist als Perfekt gut, eine Lesart als PHK scheint aber ausgeschlossen (zu dieser Beschränkung vgl. unten Abs. 4.4.3). – Zum zweiten von Hole genannten Punkt: Hierzu ist auf solche Haben-Konfigurative zu verweisen, deren Partizip einem unakkusativischen Verb zuzuordnen ist (4-30a) (zu Unakkusativa im PHK vgl. oben Abs. 4.2; das Beispielpaar in 4-30 ist Hole 2002:4 entnommen). (4-30) a. b.

Paul hat das Gesicht mit Haaren zugewachsen. *Paul bekommt das Gesicht mit Haaren zugewachsen.

Ein bekommen-Passiv ist beim unakkusativischen Verb zuwachsen nicht möglich (4-30b).35 Aufgrund dieser Überlegungen kommt Hole (2002:13) zum Schluss, dass der PHK «kein statisches Gegenstück zum Bekommen-Passiv» darstellt. Diesem Schluss könnte man entgegenhalten, dass beispielsweise auch das werden-Passiv Bildungsbeschränkungen unterliegt (vgl. z. B. Duden 2005:553f) und dennoch in der gegenwärtigen Grammatikschreibung des Deutschen im Allgemeinen als Konverse des Aktivs behandelt wird. Bildungsbeschränkungen allein (insbesondere rein semantisch gesteuerte wie in 4-29) stellen meines 35

Im Weiteren weist Hole (2002:6) darauf hin, dass die Subjektsreferenten im bekommen-Passiv und im PHK nicht generell in paralleler Weise interpretiert werden können, was gegen eine enge Verwandtschaft der beiden Konstruktionen spreche. Dazu führt er das folgende Satzpaar an. (i) Der Kranke hat das Fenster absichtlich geöffnet. (ii) Der Kranke bekommt das Fenster absichtlich geöffnet. In (i) ist das Adverb absichtlich auf den Subjektsreferenten beziehbar, in (ii) dagegen «wahrscheinlich nicht, oder nur marginal» (Hole 2002:6). In (ii) stellt das Subjekt rollensemantisch einen Benefaktiv dar (oder ähnlich; Hole verwendet den Begriff Rezipient). Dem Subjekt in (i) spricht Hole demgegenüber eine actor-ähnliche Rolle zu (im Sinne von Foley/Van Valin 1984), wodurch sich die Beziehbarkeit von absichtlich auf das Subjekt erklären lässt. – Diese Interpretation ist nicht ohne Weiteres vereinbar mit der unten in Kap. 7 entwickelten Auffassung des habenSubjekts als reiner Zustandsträger. Möglicherweise liegt in (i) eine durch absichtlich erzwungene Uminterpretation des Subjekts im Sinne einer nicht-kompositionalen Bedeutungsanpassung vor, wie sie gemäß Maienborn (2003:96f) auch in Sätzen mit dem Kopulaverb sein zu beobachten ist. Warum eine solche Bedeutungsanpassung für (ii) nicht möglich ist, bliebe allerdings noch zu klären.

179 Erachtens keine hinreichende Grundlage dar, um eine Konstruktion von der Einordnung in ein System von Diathesen (oder von anderen grammatischen Kategorien) auszuschließen. Allerdings zeigt sich im nächsten Abschnitt, dass auch die dort diskutierten syntaktischen Eigenschaften des PHK nicht für eine ‹Dativpassiv-Analyse› sprechen. Hole (2002:6) hält nun eine Analyse für angemessen, die den PHK «möglichst direkt an das Zustandspassiv anbindet». Auch Latzel konstatiert eine besonders enge Verwandtschaft zwischen dem PHK und dem Zustandspassiv (Latzel 1977:296–298), weshalb er die beiden Konstruktionen in paralleler Weise benennt: ‹haben-Stativ› bzw. ‹sein-Stativ›. Folgende Generalisierung scheint zu gelten: Jede Instanz des PHK entspricht einem Zustandspassiv (vgl. u. a. Leirbukt 1981:122; Schanen 1992:463). Die Umkehrung davon gilt aber nicht (vgl. insbesondere Hole 2002:5f). Für den PHK ist somit von stärkeren Restriktionen auszugehen als für das Zustandspassiv.36 Konstruktionen aus sein + Partizip II sind in jüngerer Zeit vermehrt Gegenstand von Debatten gewesen. Im Zentrum stand insbesondere die Frage, ob man berechtigt ist, von einem eigenständigen Genus Verbi Zustandspassiv auszugehen (vgl. Helbig/Buscha 2001:143f oder Zifonun et al. 1997:1808–1823, dort als ‹Sein-Passiv› bezeichnet und von weiteren Zustandsformen, bestehend aus sein + Partizip II, abgegrenzt) oder ob es sich bei den als ‹Zustandspassiv› apostrophierten Konstruktionen nicht eher um Kopulakonstruktionen mit einem adjektivierten Partizip II als Prädikativum handelt. Für eine solche Analyse argumentiert insbesondere Rapp (1997:161–217, 1998), jüngst aber auch Maienborn (2007) (weitere Literatur vgl. dort) und – an Maienborn (2007) anknüpfend – Welke (2007).37 Ich gehe nun – im Sinne einer Nullhypothese – davon aus, dass eine Konstruktion bestehend aus sein + Partizip II grundsätzlich eine Kopulakonstruktion darstellt und als solche strikt kompositional zu interpretieren ist. Dasselbe hat auch für haben-Konstruktionen im Allgemeinen, und damit für den PHK im Besonderen, zu gelten: Ohne zwingende Evidenz dafür, dass eine idiosynkra-

36 37

Diese Restriktionen werden in den folgenden Teilabschnitten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) aufgegriffen und in Abs. 4.4.4 zusammenfassend angeführt. Daneben sind aber auch andere ‹Neu-Kategorisierungen› im Feld der sein+PartizipII-Konstruktionen vorgeschlagen worden. Nach Leiss (1992) ist das Zustandspassiv und das sein-Perfekt als einheitliche Kategorie zu analysieren, Teuber (2005:179– 193) fasst sogar Zustandspassiv, Kopulakonstruktion sowie das sein-Perfekt zu einer einzigen Kategorie zusammen. Einen anderen Weg beschreitet Nicolay, die das Partizip II im Zustandspassiv als Übergangskategorie zwischen verbaler und adjektivischer Wortform (als ‹Mittelwort›) auffasst (vgl. Nicolay 2007:187–192). – Für einen Überblick und eine kritische Diskussion der unterschiedlichen Positionen vgl. Thieroff (2007).

180 tische ‹Konstruktionsbedeutung› angenommen werden soll, ist davon auszugehen, dass der PHK kompositional zu interpretieren ist. Im folgenden Abschnitt wird dafür argumentiert, dass sich aufgrund der dort diskutierten syntaktischen Eigenschaften des PHK tatsächlich keine Evidenz dafür ergibt, eine eigenständige Kategorie ‹statives Dativpassiv› zu etablieren.

4.4.2 Zur Syntax des PHK gegenüber dem Dativpassiv Die zwei in diesem Abschnitt behandelten Aspekte betreffen die Bildung unpersönlicher Konstruktionen und die Realisierung adverbaler Dativphrasen. Zunächst zum ersten Punkt: Ausgehend von einer Einordnung des Haben-Konfigurativs als einer Konverse, die in einem Diathesensystem einen ganz bestimmten ‹Systemort› besetzt (als ‹haben-Passiv›, vgl. Tab. 4:1), ist vor dem Hintergrund der Bildungsmöglichkeiten des Passivs im Deutschen zu überlegen, ob es ein ‹unpersönliches haben-Passiv› gibt. Immerhin lassen sich unpersönliche Konstruktionen nicht nur im werden-Passiv (4-31a), sondern grundsätzlich auch im Zustandspassiv/seinPassiv bilden (4-31b; das Beispiel stammt aus Eroms 2000:430; zum unpersönlichen Zustandspassiv vgl. auch Rapp 1997: 213–216 und Rapp 1998:295–262). (4-31) a. b.

Dort wird wieder gebaut. Dort ist bereits gebaut.

Ein entsprechendes ‹unpersönliches haben-Passiv› scheint dagegen ausgeschlossen, wie mit (4-32) deutlich wird. (4-32) a. b.

Da gipsen die Ärzte viele Beine ein. *Da hat viele Beine eingegipst.

Man könnte sich vorstellen, vor dem Hintergrund des Aktivsatzes (4-32a) mit Hilfe des Verbs haben einen Satz mit stativer Semantik zu bilden, also einen PHK. Dazu wird zunächst das externe Argument die Ärzte gestrichen. Da es im Ausgangssatz (4-32a) kein Dativobjekt gibt, das zum Subjekt promoviert werden könnte, resultiert eine unpersönliche Konstruktion, die wie (4-32b) aussehen müsste. Diese Struktur ist aber offenkundig ungrammatisch (vgl. dagegen den ‹persönlichen› PHK wie z. B. Der Patient hat das Bein eingegipst). In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass auch beim Dativpassiv/bekommen-Passiv unpersönliche Konstruktionen nicht möglich sind (vgl. Eroms 2000:431). (4-33) a. b.

*Da bekommt viele Beine eingegipst. (vgl. 4-32) *Da bekommt den Rücken massiert. (Vgl.: Sie bekommt den Rücken massiert.)

181 Daher wäre es denkbar, nach einer einheitlichen Erklärung für die Unmöglichkeit unpersönlicher Strukturen sowohl in Bezug auf den PHK als auch auf das Dativpassiv zu suchen. Gelänge dies, so spräche die Beschränkung auf persönliche Konstruktionen für eine Verwandtschaft des PHK mit dem Dativpassiv. Die Möglichkeit einer solchen einheitlichen Erklärung kann ich hier nicht ausschließen. Allerdings ist festzuhalten, dass die Unmöglichkeit eines unpersönlichen PHK auch ohne Bezug auf das Dativpassiv erklärbar ist. So ergibt sich die Beschränkung des PHK auf persönliche Konstruktionen aus der in Kap. 7 vertretenen These zur Semantik von Konstruktionen mit haben als Vollverb. Dieser Auffassung zufolge beinhaltet haben eine Präsupposition dahingehend, dass zwischen dem haben-Subjekt und einem Element im von haben eingebetteten SC eine Pertinenzrelation besteht. Haben-Konstruktionen ohne Subjekt (oder mit einem unpersönlichen, d. h. semantisch leeren es als Subjekt) sind aus diesem Grund ausgeschlossen: Die genannte Präsupposition wird verletzt.38 Als Fazit ergibt sich aus der Diskussion: Die Unmöglichkeit eines unpersönlichen PHK stellt kein zwingendes Argument dafür dar, den PHK als ‹Zustandsvariante› des Dativpassivs aufzufassen. Damit komme ich zum zweiten Punkt, d. i. die bereits oben angesprochene Unverträglichkeit des PHK mit einem adverbalen Dativ (vgl. Abs. 4.2, Punkt 3). Aus ihr lässt sich ein auf den ersten Blick starkes Argument für eine Parallelisierung von PHK und bekommen-Passiv ableiten: Bezogen auf einen Aktivsatz wie (4-34a) lassen sich die bekommen-Passivkonstruktion (b) und der PHK (c) in paralleler Weise dadurch ableiten, dass das Argument θ3 zum Subjekt promoviert wird (die gewählte Nummerierung der Thetarollen ist willkürlich). (4-34) a. b. c.

Die Pflegerin [θ1] bindet dem Patienten [θ3] den Arm [θ2] ein. Der Patient [θ3] bekommt (*sich [θ3]) den Arm [θ2] eingebunden. Der Patient [θ3] hat (*sich [θ3]) den Arm [θ2] eingebunden.

Die Einsetzung von sich als Realisierung von θ3 in (4-34b/c) führt deshalb zu Ungrammatikalität, weil die Strukturen in diesem Fall das Thetakriterium (vgl. Chomsky 1981:36) verletzen. Diese Analyse ist allerdings nicht haltbar, da sich aus ihr eine falsche Voraussage ergibt: Gemäß den obigen Überlegungen zu (4-34) müsste das Subjekt im PHK immer mit dem θ3-Argument des Verbs, das dem Partizip II zugrunde liegt, identisch sein. Daraus folgt, dass mit dem Partizip II von Verben, die kein θ3 zuweisen können (die also kein Dativargument selegieren können), auch

38

Als Ausnahme von dieser Generalisierung muss die in manchen regionalen Varietäten des Deutschen auftretende Existenzkonstruktion es hat betrachtet werden. Für sie scheint die Präsupposition der Pertinenzrelation nicht zu gelten.

182 kein PHK gebildet werden kann. Diese Voraussage ist nicht korrekt, wie die folgenden Beispiele zeigen. (4-35) a. b. c. d.

‹Der Denker› von Rodin hat das Kinn in die Hand gestützt. (aus Latzel 1977:302) Ich hatte 10 Minuten lang den Arm ausgestreckt. Wenn sich die Katze bedroht fühlt, hat sie die Krallen ausgefahren. Er hatte die ganze Zeit vor Angst die Beine angezogen.

Alle Beispiele in (4-35) können zweifelsfrei als PHK interpretiert werden. Zugleich können die PHK-Subjekte der Beispiele in (4-35) nicht als Dativargumente der Verben realisiert werden, die den Partizipien II im PHK zugrunde liegen (4-36). (4-36) a. b. c. d.

Er stützt (*sich) das Kinn in die Hand. / *Man stützte ihm das Kinn in die Hand. Ich streckte (*mir) den Arm aus. / *Man streckte mir den Arm aus.39 Die Katze fährt (*sich) die Krallen aus. / *Man fährt der Katze die Krallen aus. Er zog (*sich) die Beine an. / *Man zog ihm die Beine an.

Die Beispiele verdeutlichen, dass es sich bei den Verben, die kein Dativargument bei sich haben können, deren Partizip II aber im PHK auftreten kann, nicht um idiosynkratische Fälle handelt. Vielmehr bilden diese Verben eine syntaktisch und semantisch homogene, aber prinzipiell offene Klasse. Syntaktisch handelt es sich um transitive Verben, die sich neben dem Akkusativobjekt mit einer PP (vgl. a) oder einem trennbaren Verbzusatz (vgl. b–d) verbinden. Semantisch hat die PP bzw. der Verbzusatz direktionale Bedeutung und der Kern des Akkusativobjekts denotiert einen Körperteil. Im Fazit ergibt sich, dass bei den PHKs in (4-35) das Satzsubjekt nicht einem Argument des dem Partizip zugrunde liegenden Verbs entspricht. Damit ist ein Ansatz, der davon ausgeht, beim PHK-Subjekt handle es sich um das promovierte Dativ-/θ3-Argument, grundsätzlich in Frage gestellt. Eine Analyse, die die mit (4-35/4-36) illustrierte Verbklasse gesondert behandelt und damit im Grunde zwei verschiedene PHKKonstruktionen postuliert, scheint unattraktiv, und m. E. lassen sich keine unabhängigen Argumente dafür finden. Damit muss die von Litvinov/Nedjalkov (1988) konstatierte Unverträglichkeit von Dativargumenten mit dem PHK ohne Bezugnahme auf das Dativpassiv erklärt werden. Hierzu soll an die in dieser Arbeit vertretene These erinnert

39

Zum zweiten Satz in (b), der hier als ungrammatisch markiert ist, muss einschränkend angemerkt werden, dass manche Sprecher entsprechende Strukturen als grammatisch einstufen (p. c. Anja Lübbe); vgl. etwa Der Physiotherapeut hat mir den Arm ausgestreckt. Für diese Sprecher gehört ausstrecken damit einer Verbklasse an, deren Vertreter Dativargumente aufweisen können.

183 werden, der zufolge haben-Komplemente und die Komplemente von mit in absoluten Konstruktionen parallel zu analysieren sind (vgl. Abs. 2.5). Im gegebenen Zusammenhang ist eine Beobachtung von P. Brandt (2003:83) zu absoluten Konstruktionen von wesentlicher Bedeutung. Brandt stellt fest, dass Dativargumente in absoluten Konstruktionen ausgeschlossen sind.40 Ich gebe zunächst das Beispiel einer absoluten mit-Konstruktion, bei der eine Präpositionalphrase als Prädikat41 auftritt (vgl. dazu Kap. 5). (4-37)

Mit dem ganzen Müll (*ihrem Nachbarn) vor der Haustür war ihre Rachsucht fürs Erste besänftigt.

Aus pragmatischen Gründen allein kann nicht erklärt werden, warum in (4-37) keine (zusätzliche) Dativphrase wie ihrem Nachbarn eingesetzt werden kann. So ist etwa die Realisierung eines ‹Malefizienten› als Genitivattribut durchaus möglich: Mit dem ganzen Müll vor der Haustür des Nachbarn war ihre Rachsucht fürs Erste besänftigt. Die Unmöglichkeit eines Dativ-Arguments hat offenbar syntaktische Gründe. Nötig ist die Präsenz eines lexikalischen Kopfs, der ein Dativargument selegieren kann, z. B. ein Verb wie werfen. Damit kann beispielsweise eine Partizipialkonstruktion gebildet werden, die (4-37) in semantischer Hinsicht ähnelt (4-38). (4-38)

Den ganzen Müll ihrem Nachbarn vor die Haustür werfend, kam sie ordentlich ins Schwitzen.

Nicht anders ist das Bild, das sich ergibt, wenn eine absolute mit-Konstruktion mit einem adjektivischen Prädikat gebildet wird (anders als in 4-37, wo eine PP das Prädikat bildet). Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein adjektivisches Prädikat syntaktisch pränominal realisiert wird (vgl. Kap. 3). Dasselbe gilt, wenn ein Partizip II als Prädikat fungiert, wie eingebunden in (4-39) (vgl. unten Abs. 4.5.2). (4-39)

40

41

[Mit eingebundenem Handgelenk] geht sie nicht Ski fahren.

Genauer gesagt ist eine bestimmte Klasse von adverbalen Argumenten, die Brandt Cipients nennt, aus absoluten Konstruktionen ausgeschlossen. Im Deutschen sind u. a. Dativargumente, die eine Rezipientenrolle oder eine Experiencer-Rolle tragen, zur Kategorie der Cipients zu rechnen (vgl. auch Brandt 2006). In Brandt (2003:83) werden nur englische Beispiele diskutiert, doch Brandts Generalisierung ist im Deutschen, wie hier gezeigt wird, ebenfalls gültig. Im gegebenen Beispiel kann die PP vor der Haustür nicht nur als SC-Prädikat, sondern grundsätzlich auch als Adverbial analysiert werden (vgl. dazu Abs. 5.4). Von dieser Lesart wird hier abgesehen.

184 Das Verb einbinden erlaubt grundsätzlich ein Dativargument, vgl. die Perfektkonstruktion in (4-40). (4-40)

Siei hat sichi/ihm k das Handgelenk eingebunden.42

Entscheidend ist Folgendes: Erscheint das Partizip eingebunden in der Rolle des Prädikats einer absoluten mit-Konstruktion, so kann innerhalb der absoluten mit-Konstruktion kein Dativargument realisiert werden. (4-41)

Mit (*sich/*ihm) eingebundenem Handgelenk geht er nicht Ski fahren.

Die Unmöglichkeit eines Dativarguments im PHK ist nun parallel zur Unmöglichkeit eines Dativarguments in der absoluten mit-Konstruktion zu erklären. In Abs. 2.5 wurde gezeigt, dass die Syntax der Einbettungen von haben als Vollverb einerseits und von mitprop (d. i. die Präposition, die den Kopf der absoluten mit-Konstruktion darstellt) andererseits weit gehend identisch ist (zu systematischen Ausnahmen vgl. Kap. 3). Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass Komplemente von haben als Vollverb und solche von mit in der absoluten mit-Konstruktion dieselben Restriktionen zeigen – im hier diskutierten Fall besteht die Restriktion darin, dass kein Dativargument in die Konstruktion integriert werden kann. Aus diesen Überlegungen ist das Folgende zu schließen: Die Unverträglichkeit von Dativargumenten mit dem PHK lässt sich im Rahmen der in dieser Arbeit vertretenen Hypothese zur Parallelisierbarkeit von haben- und mit-Konstruktionen ohne Zusatzannahmen erklären. Der Rückgriff auf eine (scheinbare) Parallele zwischen dem PHK und dem Dativpassiv (bekommen-Passiv) ist daher nicht nötig. Im Weiteren kann die Auffassung, dass es sich beim PHK um ein statives Gegenstück zum Dativpassiv handelt, solche PHKs nicht erfassen, die sich nicht in Beziehung setzen lassen zu aktivischen Konstruktionen mit DativArgument (vgl. 4-35/4-36). Damit bestätigt sich die von Hole (2002) vertretene Sicht – dies aufgrund von Daten, die Hole nicht in seine Diskussion einbezog – dass der PHK «nicht regelhaft mit dem Bekommen-Passiv assoziiert ist» (Hole 2002:11).

42

Das Dativargument kann mit dem Subjekt koreferent sein oder auch nicht (vgl. die Indizes im Beispiel). Im ersten Fall handelt es sich bei der Dativphrase um einen Pertinenzdativ, im zweiten Fall realisiert die Dativphrase die Rolle eines Benefizienten.

185 4.4.3 Zur Semantik des PHK Eine umfassende Beschreibung der Semantik des PHK wird in diesem Abschnitt nicht angestrebt (zu semantischen Restriktionen des PHK vgl. u. a. Latzel 1977, Leirbukt 1981, Hole 2002). Eine Voraussetzung dafür wäre eine genaue Erfassung der Semantik des Partizips II (vgl. z. B. Welke 2005:Kap. 6 und die dort referierte Literatur) – eine Problematik, die hier nicht angegangen werden kann. An dieser Stelle soll lediglich auf eine semantische Unterscheidung in Bezug auf mögliche Lesarten des Partizips II eingegangen werden, die zur semantischen Charakterisierung des PHK (insbesondere gegenüber dem Zustandspassiv) von grundlegender Bedeutung sein könnte – ‹könnte›, da diesbezüglich manche offene Frage durch zukünftige Forschung beantwortet werden muss. Der angesprochene Problembereich ist – wie gleich deutlich wird – in der Diskussion um das Zustandspassiv verschiedentlich aufgegriffen worden. Überlegungen zur Semantik des PHK können daher auch Anregungen bieten für die Erforschung des Zustandspassivs und weiterer Konstruktionen mit dem Partizip II. Hole (2002:3f) lenkt im Rahmen seiner Diskussion des PHK den Blick auf zwei Klassen von Zuständen. Diese sind target states (im Folgenden: Zielzustände) und resultant states (im Folgenden: Resultatszustände) im Sinne von Kratzer (2000) (die ihrerseits auf Parsons 1990 aufbaut; vgl. auch Welke 2005:184). Eine erste Unterscheidungsmöglichkeit zwischen den beiden Zustandsklassen bietet die Einsetzung des Adverbials immer noch (hier demonstriert anhand von Zustandspassivkonstruktionen; vgl. Kratzer 2000:1f). (4-42) a. b. c.

Der Arm ist (immer noch) eingebunden. Der Eingang ist (immer noch) versperrt. Die Lippen sind (immer noch) geschminkt.

Sätze, in denen das Partizip II einen Zielzustand denotiert (4-42), können durch immer noch erweitert werden. Eine entsprechende Erweiterung von Sätzen, wo das Partizip einen Resultatszustand bezeichnet, führt zu Anomalie (4-43). (4-43) a. b.

Der Briefkasten ist (#immer noch) geleert. Die Wäsche ist (#immer noch) getrocknet.

Der immer-noch-Test beruht auf der Eigenschaft von Resultatszuständen, prinzipiell ‹unaufhebbar› zu sein, und nur ein grundsätzlich aufhebbarer Zustand kann sinnvollerweise als ‹immer noch gültig›, ‹immer noch andauernd› o. ä. bezeichnet werden. Ein Resultatszustand ist daher zu bestimmen als ein «Nachzustand, der mit Abschluss des vom Verb bezeichneten Ereignisses e einsetzt (und von da an bis in alle Ewigkeit anhält)» (Maienborn 2007:105). Resultatszustände sind somit zeitsemantisch zu charakterisieren. Ein Zielzustand ist dagegen ein für ein gegebenes verbales Prädikat charakteristischer Zustand, der

186 durch den Abschluss des vom Verb denotierten Ereignisses eintritt, aber auch wieder aufgehoben werden kann, also grundsätzlich reversibel ist. Hole (2002:3f) formuliert nun die Generalisierung, dass im PHK nur solche Partizipien auftreten können, die Zielzustände denotieren. Die oben angeführten Beispiele bestätigen dies (vgl. 4-44 mit 4-42 und 4-45 mit 4-43). (4-44) a. b c.

Er hat den Arm eingebunden. Wir haben den Eingang versperrt. (vgl. Hole 2002:2) Sie hat die Lippen geschminkt. (vgl. Rothstein 2007:287)

(4-45) a. b.

#Ich habe den Briefkasten geleert. (gut als Perfekt) #Wir haben die Wäsche getrocknet. (gut als Perfekt)

Die Beispiele in (4-45) können nicht als PHK interpretiert werden, was offenbar damit zusammenhängt, dass die Partizipien in (4-45) nur Resultatszustände, nicht aber Zielzustände bezeichnen können.43 43

Auffällig ist bei diesen Beispielen, dass eine Konstruktion, bei der ein Adjektiv an die Stelle des Partizips tritt (bei ähnlicher lexikalischer Semantik von Adjektiv und Partizip), problemlos gebildet werden kann. (i) Ich habe den Briefkasten immer leer! (ii) Ich habe die Socken trocken. Vgl. zu (i) den folgenden Beleg: «Ich bin total von Tuppi [Tupperware; M.B.] begeistert, hat aber leider seinen Preis … nur als Beraterin lohnt sich das, wenn man die Schränke noch leer hat» (16.9.2007: http://64.233.183.104/search?q=cache:FA5rKAgcIroJ: www.mrsshiva.com/wbb2/addreply.php%3Fthreadid%3D209%26sid%3Dfb674e839 471aeab039a2cf5365b3416+%22noch+leer+hat%22&hl=de&ct=clnk&cd=7&gl=ch) – Vgl. zu (ii) den folgenden Beleg: «Sie haben genug zu tun…. da können sie (die Erzieherinnen) nicht auch noch schauen, ob jedes Kind die Socken trocken hat!» (9.1.2008: http://familiennetz.eltern.de/foren/showthread.html?p=5569675#poststop) Ansätze für eine Erklärung dieses Gegensatzes könnten folgende Unterschiede zwischen Partizip und genuinem Adjektiv bilden. Erstens ist festzuhalten, dass beispielsweise leer und geleert natürlich keine Synonyme darstellen. So impliziert der Satz (iii) den Satz (iv), aber nicht umgekehrt (vgl. Lübbe 2004:28). (iii) Der Briefkasten ist geleert. (iv) Der Briefkasten ist leer. Satz (iv) kann wahr sein unabhängig davon, ob der Briefkasten geleert wurde und als Folge dieser Handlung leer ist oder ob er noch nie etwas enthielt und daher schon immer leer war. Diese zweite Möglichkeit ist bei (iii) nicht gegeben. Der Satz mit einem Adjektiv unterliegt somit einer kleineren Menge von Wahrheitsbedingungen als ein entsprechender Satz mit Partizip II (abgesehen von allenfalls gegebenen Unterschieden in der lexikalischen Semantik des Adjektivs einerseits und des Verbs, auf das das Partizip zurückgeht, andererseits). Zweitens können Sätze wie (i) oder (ii) mit genuinem Adjektiv keine Perfektlesart aufweisen. Bei einer syntaktischen Konstruktion von haben und Partizip II muss dagegen meist desambiguiert werden zwischen PHK und Perfekt (Ausnahmen sind unzweideu-

187 Maienborn (2007:104–106) greift eine von M. Brandt (1982) in die Diskussion um das Zustandspassiv eingebrachte Unterscheidung auf und bringt sie mit der oben dargestellten Parson’schen/Kratzer’schen Unterscheidung in Verbindung. Brandt (1982:31) differenziert bei einem Satz wie Das Fleisch ist gekocht zwischen zwei ‹Äußerungsbedeutungen›, die durch unterschiedliche Fortführungen greifbar werden (4-46). 44 (4-46) a. b.

Das Fleisch ist gekocht. Wir können jetzt essen. Das Fleisch ist gekocht. Es ist nicht gebraten/roh.

In (4-46a) weist das Partizip gekocht die Nachzustandslesart auf, in (b) dagegen die Charakterisierungslesart. Das Beispiel mit einem jeweils anderen weiterführenden Satz macht den je unterschiedlichen, vom Diskurskontext abhängigen Alternativenbezug der beiden Lesarten deutlich (vgl. Maienborn 2007:107–110). Bei der Nachzustandslesart kontrastiert der Zustand, den das Partizip denotiert, mit alternativen Zeiten (insbesondere mit einem zeitlich früher gelegenen Zeitraum); bei der Charakterisierungslesart sind es andere als die durch das Partizip ausgedrückte Eigenschaften, die diskurspragmatisch relevante Alternativen darstellen. Gemäß Maienborn (2007) entspricht Brandts Nachzustandslesart der Kategorie der Resultatszustände, und die Charakterisierungslesart der Kategorie der Zielzustände. Im Zusammenhang mit der zweiten begrifflichen Entsprechung ist allerdings zu berücksichtigen, dass manche Partizipien, die die Charakterisierungslesart erlauben, nicht gut mit dem Adverbial immer noch kombinierbar sind: #Das Fleisch ist immer noch gekocht ist markiert, da in unserer Welt einmal gekochtes Fleisch nicht mehr ‹roh werden› kann (vgl. Kratzer 2000:3).

44

tige Fälle, insbesondere solche, bei denen das Partizip eines unakkusativischen Verbs vorliegt, vgl. Abs. 4.2). – Vgl. im Weiteren Abs. 4.5.2 zur absoluten mit-Konstruktion mit Partizip II, bei der die Beschränkung auf Zielzustände nicht zu gelten scheint. Ein Gegenbeispiel zu Holes Generalisierung scheint in (i) vorzuliegen. (i) Da hast du es nun von einem kapitalistischen Verleger, der es wissen muß, ausgesprochen. (aus Litvinov/Nedjalkov 1988:45 [Bsp (204), J. Seyppel, 1975, 16]) Das Partizip ausgesprochen scheint einen Resultatszustand, keinen Zielzustand zu denotieren, denn vgl. Es ist (#immer noch) ausgesprochen. Es ist zu vermuten, dass die Akzeptabilität des Satzes mit der spezifischen syntaktischen Konstruktion zusammenhängt, vgl.: Da hast du das Theorem bewiesen oder (Warum schließt du nie ab?) Da hast du den Keller geleert! Diese Beispiele erscheinen relativ unmarkiert, obwohl hier haben mit einem Partizip II mit Resultatszustands-Lesart verbunden ist (vgl. dagegen z. B. 4-45a mit dem Partizip geleert). Der Befund, dass die Partizipien in den angeführten Beispielen Resultatszustände ausdrücken, dürfte auch im Lichte der gleich folgenden Differenzierungen nicht zu revidieren sein. Die Gründe für die unerwartete Akzeptabilität der Beispiele bleiben erklärungsbedürftig.

188 Es ist somit notwendig, im Bereich der Charakterisierungslesart zwischen aufhebbaren und nicht-aufhebbaren Zuständen zu unterscheiden (vgl. Maienborn 2007:105, Fn. 24). Diese Differenzierung scheint auch im Hinblick auf den PHK relevant. (4-47)

Ich habe das Fleisch gekocht.

(4-47) kann nicht als PHK, sondern nur als Perfekt interpretiert werden. Im PHK scheinen Partizipien somit nicht nur in der resultatszustandsdenotierenden Lesart ausgeschlossen, sondern auch in der zielzustandsdenotierenden Lesart, sofern der Zielzustand, den das Partizip ausdrückt, unaufhebbar ist. Diese Vermutung bestätigt sich durch folgendes Beispiel einer Zustandspassivkonstruktion, deren Subjekt dem effizierten Objekt des Verbs herstellen entspricht. (4-48)

Der Wagen ist (in Japan) hergestellt. (aus Zifonun et al. 1997:1820)

Die Charakterisierungslesart ist hier von der Präsenz eines Adverbials wie in Japan abhängig. Ohne Adverbial weist der Satz nur die Nachzustandslesart auf (vgl. Brandt 1982:32). Der immer-noch-Test führt zu einem inakzeptablen Ergebnis, was auf der Unaufhebbarkeit des denotierten Zustands beruhen dürfte: #Der Wagen ist immer noch in Japan hergestellt. Es ist nun festzustellen, dass ein PHK, bei dem in Japan hergestellt die Funktion des SC-Prädikats wahrnimmt, nicht möglich ist (4-49). (4-49)

Wir haben den Wagen in Japan hergestellt.

Der Satz erlaubt nur eine perfektivische Interpretation. Eine Lesart, die der Paraphrase ‚Unser Wagen wurde in Japan hergestellt‘ entspricht, erscheint dagegen als unmöglich. Das spricht für die Verallgemeinerung, dass im PHK nur aufhebbare Zielzustände ausgedrückt werden können, nicht aber unaufhebbare Zielzustände. – Die bisherigen Überlegungen lassen sich durch das folgende Schema zusammenfassen.

Lesarten des Partizips II

Nachzustandslesart (PHK unmöglich)

Charakterisierungslesart

aufhebbare Zielzustände (PHK möglich)

(Schema 4:2)

unaufhebbare Zielzustände (PHK unmöglich)

189 Die Inkompatibilität von Resultatszuständen und dem PHK ist ein Indiz dafür, dass das Geschehen, das dem im PHK ausgedrückten Zustand vorangeht, irrelevant ist. Dies spricht auch gegen die oben schon kritisierte Unterscheidung Helbigs in reflexive und nicht-reflexive Zustandspossessive, denn diese nimmt ja wesentlich Bezug auf das dem Zustand vorangehende Geschehen. Damit ist schon angedeutet, dass der PHK nicht als ‹Resultativkonstruktion› angesehen werden kann. Die Kategorie Resultativ kann bestimmt werden «als eine Form, die einen Zustand bezeichnet, bei dem ein vorangehender Vorgang vorausgesetzt ist» (Litvinov/Nedjalkov 1988:1). Die bisher angestellten Überlegungen deuten allerdings darauf hin, dass für den in einem PHK ausgedrückten Zustand ein diesem vorangehender Vorgang für die Interpretation nicht ‹vorausgesetzt›, sondern im Gegenteil irrelevant ist. Vielmehr hat sich gezeigt, dass für das Partizip II im PHK der Alternativenbezug pragmatisch in der Weise eingeschränkt ist, dass zeitliche Alternativen – insbesondere die Alternative ‹Vorzustand› – nicht in Betracht kommen. Der einzig mögliche Alternativenbezug betrifft andersartige Eigenschaften, die der Eigenschaftsträger (im PHK: die Akkusativ-NP) aufweisen könnte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die folgende Feststellung Maienborns (2007:109): «Für die pragmatische Legitimation der Charakterisierungslesart spielt der zeitliche Verlauf keine Rolle.» Damit ist klar: Die semantische Leistung des PHK besteht nicht darin, einen Zustand gegenüber einem andersartigen Vorzustand auszuzeichnen.45 Daraus ist zu schließen, dass die Einordnung des PHK als Resultativkonstruktion irreführend und unangemessen wäre. Abschließend ist Folgendes festzuhalten: Die semantische Beschränkung auf aufhebbare Zielzustände für das Partizip II im PHK ist insofern überraschend, da sie für das ‹Zustandspassiv› nicht gilt. Aus der in dieser Arbeit vertretenen Analyse des PHK als SC-Konstruktion mit partizipialem SC-Prädikat folgt die Beschränkung nicht ‹automatisch›. Allerdings ist die Beschränkung auch im Rahmen der Auffassung, beim PHK handle es sich um ein statives Pendant des bekommen-Passivs, nicht erklärbar, da die Beschränkung für das bekommenPassiv nicht gilt (vgl. oben Beispiel 4-29 mit dem Partizip geleert). Somit ist aufgrund der in diesem Abschnitt diskutierten semantischen Beschränkung kein Argument zugunsten des einen oder anderen Ansatzes abzuleiten.

45

An dieser Stelle kann auch auf Hole (2002:3) verwiesen werden, der (offenbar selbst konstruierte) Beispiele wie das folgende anführt. (i) Der Patient hat die Halsschlagader schon immer verengt. Die körperliche Fehlbildung ist hier gerade nicht als Resultat einer Zustandsänderung (von einer weiten zu einer zu engen Ader hin) zu verstehen. Es wäre also höchst fragwürdig, Satz (i) als ‹resultativ› zu bezeichnen.

190 4.4.4 Fazit Die Diskussion in diesem Teilkapitel hat Folgendes gezeigt: Die syntaktischen und semantischen Eigenschaften des PHK lassen es nicht zu, den PHK als ‹statives Dativpassiv› aufzufassen (im Bezug auf die in Abs. 4.4.3 dargestellte Beschränkung bietet die ‹Dativpassiv-Theorie› zumindest keinen Vorteil gegenüber dem von mir vertretenen Ansatz). Die Analyse des PHK als SC-Konstruktion, bei der das SC-Prädikat durch ein Partizip II realisiert wird, kann die oben diskutierten syntaktischen Eigenschaften des PHK dagegen alle korrekt erfassen. Im folgenden Abs. 4.5 wird sich die Gültigkeit der Analyse durch weitere Parallelen zwischen PHK und AHK (die haben-Konstruktion mit adjektivischem SC-Prädikat) weiter erhärten lassen. Im Weiteren hat sich gezeigt, dass der PHK Restriktionen unterliegt, die für das Zustandspassiv nicht gelten. Als erste – syntaktische – Restriktion ist die Unmöglichkeit von Dativargumenten im PHK zu nennen. Im Zustandspassiv hingegen können Dativargumente grundsätzlich erscheinen (vgl. Rapp 1997:207f; vgl. z. B.: Die Spesen sind den Teilnehmern schon ausbezahlt). Diese Restriktion lässt sich im Rahmen der SC-Analyse unabhängig erklären (vgl. Abs. 4.4.2). Eine zweite Restriktion des PHK gegenüber dem Zustandspassiv ist die Beschränkung auf aufhebbare Zielzustände (vgl. Abs. 4.4.3). Es ist noch weit gehend unklar, wie diese Beschränkung zu erklären ist, und ob die Beschränkung auf semantischer oder eher auf pragmatischer Ebene zu formulieren ist (vgl. hierzu die unterschiedlichen Auffassungen von Kratzer 2000 und Maienborn 2007). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Konstruktionen mit haben als Vollverb allgemein – und damit auch der PHK – eine Pertinenzrelation zwischen dem haben-Subjekt und einem Element im SC-Komplement von haben präsupponieren (vgl. hierzu eingehender Kap. 7). Eine große Anzahl von Konstruktionen aus haben und Partizip II (z. B. 4-50) sind allein deshalb für eine Interpretation als PHK unzugänglich, weil die geforderte Pertinenzrelation nicht hergestellt werden kann. (4-50)

Ich habe die Stadtmauer zerstört.

(4-50) scheint nur als Perfekt, nicht aber als PHK interpretierbar zu sein. Dabei handelt es sich aber um einen rein pragmatischen Effekt. Wie (4-51) zeigt, bei dem gegenüber (4-50) das singularische Subjekt gegen ein Pluralsubjekt ausgetauscht wurde, kann die Stadtmauer zerstört haben durchaus als zustandsdenotierend und die Konstruktion damit als PHK aufgefasst werden. (4-51)

Wir haben die Stadtmauer immer noch komplett zerstört; für einen Wiederaufbau ist kein Geld vorhanden.

Dies liegt daran, dass die Vorstellung einer Pertinenzrelation zwischen wir (beispielsweise verstanden als die Bewohnerschaft der Stadt) und die Stadtmauer

191 pragmatisch viel leichter zugänglich ist als zwischen ich (also einem einzelnen menschlichen Referenten) und die Stadtmauer wie in (4-50). – Durch die genannte Präsupposition erklärt sich auch die Unmöglichkeit der Bildung ‹unpersönlicher› PHKs (vgl. Abs. 4.4.2). Der folgende Abschnitt ist der Frage nach dem Wortartmerkmal des Partizips II im PHK gewidmet.

4.5

Die Kategorie des Partizips II im PHK

In Abs. 4.2 wurde unter Punkt (7) (zur Voranstellung bzw. Nachstellung von genug in Bezug auf das Partizip II) bereits ein erstes Argument dafür angeführt, dass es sich beim Partizip II im PHK um eine adjektivische Wortform handelt. Im folgenden Abschnitt (Abs. 4.5.1) wird eine Reihe weiterer Argumente auf syntaktischer und morphologischer Grundlage für diese Auffassung vorgestellt. Auch die Syntax der absoluten mit-Konstruktion, bei der ein Partizip II das Prädikat bildet, stellt Evidenz für eine solche ‹Adjektivanalyse› dar (Abs. 4.5.2).

4.5.1 Das Partizip II im Zustandspassiv und im PHK Vor dem Hintergrund der Analyse des Zustandspassivs als Kopulakonstruktion mit adjektivischem Prädikat (d. h. einer Analyse im Sinne von Rapp 1997, 1998 und Maienborn 2007; vgl. Ende des Abs. 4.4.1) argumentiere ich in diesem Abschnitt dafür, dass es sich beim Partizip II im PHK um eine adjektivische Wortform handelt, womit ich im Grundsatz Rothstein (2007) folge. In seiner Argumentation führt Rothstein eine Reihe von syntaktischen und morphologischen Tests durch. Das Ergebnis fällt zunächst uneindeutig aus: Manche Tests sprechen für einen adjektivischen, andere für einen verbalen Charakter des Partizips II im PHK. Daher sieht sich Rothstein gezwungen, die verbalen Eigenschaften des Partizips II im PHK durch eine besondere Annahme (Kratzer 1993 und Rapp 1998, 1997 folgend)46 im Zusammenhang mit der Affigierung

46

Diese Annahme besteht darin, zwei Arten von Affixen anzunehmen, die die Ableitung eines Adjektivs auf der Basis eines verbalen Partizips erlauben. Die Unterscheidung wurde von Kratzer Anfang der 1990er Jahre vorgeschlagen (und in ‹grauer Literatur› verbreitet; aktuelle Referenz: Kratzer 2000). Auf dieser Grundlage bietet sich ein Erklärungsansatz für die Tatsache, dass im Zustandspassiv typisch adverbale Modifikatoren erscheinen können. Beispiele für solche adverbalen Modifikatoren sind die Agensangabe von einem Kind in (i) und die Instrumentalangabe mit roter Tinte in (ii).

192 zur Ableitung adjektivischer Partizipien zu erklären, ohne dabei die Adjektivanalyse des Partizips aufgeben zu müssen. Ich argumentiere nun im Folgenden, dass die Datenlage etwas anders einzuschätzen ist, als dies Rothstein (2007) tut, und zwar in einer Weise, die es ohne Einschränkungen oder Zusatzannahmen erlaubt, das Partizip II im PHK als Adjektiv zu analysieren. Dazu greife ich zunächst Argumente auf, die Rothstein (2007) zugunsten der Adjektivanalyse des Partizips im PKH anführt (Punkte 1–3), danach kommen die Datenbereiche zur Sprache, die gemäß Rothstein für die Adjektivanalyse problematisch erscheinen (Punkte 4 und 5). 1) Ein PHK ist grundsätzlich in der Weise ambig, dass nicht festgelegt ist, ob als Verursacher des durch den PHK ausgedrückten Zustands der Subjektsreferent oder das (syntaktisch nicht realisierte) Agens des als Partizip II auftretenden Verbs zu interpretieren ist. Die beiden Lesarten können als reflexiv bzw. nichtreflexiv bezeichnet werden (vgl. dazu Fn. 20). Das bedeutet, dass in Satz (4-52a) – verstanden als PHK – Maria sich entweder selbst die Lippen geschminkt hat, oder dass dies jemand anders getan hat.

(i)

a. Die Zeichnung ist von einem Kind angefertigt. b. *Die Zeichnung ist von einem Kind schön. (aus Rapp 1998:254) (ii) a. Der Brief war mit roter Tinte geschrieben. b. *Der Brief war mit roter Tinte leserlich. (aus Maienborn 2007:97) Diese Daten stellen ein Problem dar für Ansätze (wie die von Rapp oder Maienborn), die Zustandspassivkonstruktionen grundsätzlich als Verbindung von sein als Kopulaverb und adjektivischem Partizip II, und nicht als periphrastische Verbalkonstruktion, auffassen, denn es fragt sich, warum sich die Partizipien in den (a)Sätzen und die genuinen Adjektive in den (b)-Sätzen der Beispiele oben syntaktisch nicht parallel verhalten. Offenbar sind die (a)-Sätze so zu deuten, dass «das vom Basisverb bezeichnete Ereignis […] für die Bedeutungskomposition noch zugänglich» ist (Maienborn 2007:97). Die Erklärung hierfür beruht nun nach Rapp (1997, 1998) darauf, dass das verbale Partizip II auf zwei unterschiedliche Weisen in ein Adjektiv konvertiert werden kann (vgl. Rapp 1998:240). (iii) a. [A [V] [A]] b. [A [VP] [A]] Bei (iii-a) liegt lexikalische Adjektivierung, bei (b) phrasale Adjektivierung vor. Im zweiten Fall, bei dem das neu gebildete Adjektiv eine Verbalphrase beinhaltet, ergibt sich so die Möglichkeit, adverbale Modifikatoren in die syntaktische Struktur einzubauen. – Diese ‹Lösung› ist keineswegs unbestritten (vgl. Maienborn 2007:97– 102, Nicolay 2007:186f). An dieser Stelle interessiert allerdings nur, ob der Rückgriff auf die theoretische Unterscheidung zwischen ‹phrasaler› und ‹lexikalischer Adjektivierung› notwendig ist, um der Datenlage im Hinblick auf den PHK gerecht zu werden, wie dies Rothstein (2007) vorschlägt; seine Generalisierung lautet: «Der PHK erlaubt nur phrasale Adjektivierung.» (Rothstein 2007:295) – Die folgende Argumentation will zeigen, dass ein Rückgriff auf die genannte Unterscheidung nicht nötig ist.

193 (4-52) a. b.

Maria hat die Lippen geschminkt. Julia hat Maria die Lippen geschminkt.

(reflexiv oder nicht-reflexiv) (nicht-reflexiv)

Dagegen ist bei einem Aktivsatz (vgl. Satz 4-52b, der nur als Perfekt interpretierbar ist)47 nur eine nicht-reflexive Lesart möglich, d. h. Maria kann sich die Lippen nicht selbst geschminkt haben. Ebenso ist bei einer Interpretation von (a) als Perfektkonstruktion Maria zwingend als Agens zu verstehen. Rapp (1998:256) konstatiert einen analogen Gegensatz zwischen dem Zustandspassiv (4-53a) einerseits und vorgangspassivischen Strukturen andererseits (vgl. das werden-Passiv in b und das Dativpassiv in c). (4-53) a. b. c.

Das Kind war sorgfältig gekämmt. (reflexiv oder nicht-reflexiv) Das Kind wurde sorgfältig gekämmt. (nicht-reflexiv) Das Kind kriegte die Haare sorgfältig gekämmt. (nicht-reflexiv)

In (4-53a) bleibt offen, ob sich das Kind selbst gekämmt hat. In (4-53b) und (c) dagegen ist es ausgeschlossen, dass «das unterdrückte Subjektsargument […] mit dem nominativisch realisierten Objekt koreferent» (Rapp 1998:256) ist, dass also das Kind sich selbst gekämmt hat. Nach Rapp kann der Unterschied damit erklärt werden, dass «das Zustandspassiv überhaupt keinen Argumentblockierungsvorgang involviert» (Rapp 1998:256), wie er für ‹echt› passivische Strukturen (vgl. 4-53b/c) anzunehmen ist. Diese Erklärung lässt sich auf den PHK übertragen: Auch der PHK basiert nicht auf der Blockierung eines Arguments des Verbs, das als Partizip II erscheint – eine Auffassung, für die bereits oben in Abs. 4.4.2 argumentiert wurde. Diese Überlegungen sprechen somit dafür, das Partizip II im PHK analog zum Partizip II im Zustandspassiv zu analysieren. Unter der Voraussetzung, dass man einer Analyse des Zustandspassivs im Sinne von Rapp (1997, 1998), Maienborn (2007) und Welke (2007) folgt, stützen die oben dargebotenen Daten die Auffassung, dass es sich beim Partizip II im PHK nicht um ein verbales Partizip (vergleichbar dem Partizip in einer Vorgangspassivkonstruktion) handelt, sondern um eine adjektivische Wortform (vgl. Rothstein 2007:287). 2) Das nun dargestellte Argument beruht auf der Koordinationsprobe. «Adjektivische Partizipien lassen sich mit Adjektiven, verbale Partizipien mit Verben koordinieren» (Rothstein 2007:288), kategorial ungleichartige Konjunkte führen dagegen zu Ungrammatikalität einer Struktur. Demnach können Koordinationsdaten darüber Auskunft geben, ob das Partizip II in einer bestimmten Konstruktion adjektivischen oder verbalen Charakter hat.

47

Die Interpretation des Satzes als PHK ist deshalb unmöglich, weil im Komplement von haben als Vollverb kein Dativargument enthalten sein kann (vgl. oben Abs. 4.4.2).

194 (4-54) a. b. c.

*Max ist ausgerutscht und bandagiert. Max ist ausgerutscht und hingefallen. Amors Pfeile sind gespitzt und treffsicher.

(4-54a) (aus Maienborn 2007:94) zeigt, dass ein Perfektpartizip (ausgerutscht) und ein Zustandspassiv-Partizip (bandagiert) nicht koordiniert werden können. Die Koordination zweier Perfektpartizipien wie in (4-54b) ist dagegen unproblematisch. Als ebenso problemlos erweist sich die Koordination von einem Zustandspassiv-Partizip mit einem ‹genuinen› Adjektiv wie in (4-54c) (Internetbeleg, aus Rothstein 2007:288). Den Daten in (4-54) wird Rechnung getragen durch die Annahme, dass Partizipien in Zustandspassivkonstruktionen Adjektive darstellen, Partizipien in Perfektkonstruktionen dagegen verbale Wortformen. In Einbettungen unter haben zeigt sich nun ein vergleichbares Bild (vgl. die folgenden beiden Beispiele aus Rothstein 2007:288; das zweite Beispiel ist ein Internetbeleg). (4-55) a. b.

*Er hat gut geschlafen und nun den Bleistift griffbereit. Im Detailbereich haben Sie alle Informationen zum aktuellen Kontext klar und übersichtlich dargestellt und griffbereit.

Die Koordination des Adjektivs griffbereit mit einem verbalen Perfektpartizip (4-55a) ist gemäß Rothstein unmöglich (zumindest aber markiert, da zeugmatisch). Dagegen ist die Koordination des Partizips dargestellt mit dem Adjektiv griffbereit unproblematisch, was für die adjektivische Natur des Partizips spricht (4-55b). Bei der Konstruktion … haben Sie … dargestellt in (4-55b) handelt es sich unzweifelhaft um einen PHK, da der Angesprochene (Sie) im gegebenen Kontext nicht als Agens von darstellen verstanden werden kann. – Daraus ist zu schließen: Das Partizip II im PHK ist ein Adjektiv. 3) Der folgende Test beruht auf einer Beschränkung im depiktiven Gebrauch von Adjektiven. Depiktive sind in Zustandspassivsätzen (4-56b) ausgeschlossen, wohingegen sie in Vorgangspassivsätzen möglich sind (a). (4-56) a. b.

Das Fleisch wird roh serviert. Das Fleisch ist (*roh) serviert.

Dies erklärt Rapp (1998:252) damit, dass «[d]ie gleiche syntaktosemantische Funktion […] nicht doppelt gefüllt werden» kann. Das bedeutet, dass die Ungrammatikalität von (4-56b) parallel zu der von (4-57) erklärt werden kann. (4-57)

*Das Gras ist grün kurz.

In beiden Fällen liegt mit serviert bzw. kurz ein subjektbezügliches, prädikativ verwendetes Adjektiv vor, sodass kein zweites Adjektiv in prädikativer Funktion in die Struktur integriert werden kann. Auch im PHK kann neben dem Parti-

195 zip II kein objektbezügliches prädikatives Adjektiv auftreten (Beispiel 4-58 aus Rothstein 2007:289). (4-58)

Er hat die Haare trocken geschnitten.

Als PHK ist der Satz ausgeschlossen, nur die Interpretation als Perfekt ist möglich. Dies lässt sich so erklären, dass trocken und geschnitten im PHK dieselbe syntaktosemantische Funktion realisieren würden, nämlich die Funktion als prädikatives Adjektiv.48 In der Perfektlesart ist der Satz dagegen gut, da in diesem Fall das Partizip geschnitten verbalen Charakter hat und damit nicht in ‹syntaktosemantische Konkurrenz› zum depiktiven Adjektiv trocken tritt. Somit ergibt sich auch hier: Das Partizip II im PHK ist als Adjektiv zu analysieren.49 Wie bereits festgehalten, diskutiert Rothstein (2007:289–291) im Weiteren solche Eigenschaften des PHK, die (scheinbar) gegen eine Analyse des Partizips als Adjektiv sprechen. Diese Eigenschaften betreffen (4) die un-Affigierung sowie (5) die morphologische Komparierbarkeit sowie die Graduierung mit der Partikel zu. Grundsätzlich gilt, dass diese drei Bildungsweisen mit Adjektiven vereinbar sind. Sind sie beim Partizip im PHK ausgeschlossen – und genau dies ist Rothsteins Einschätzung –, so ist dies als Evidenz dafür zu werten, dass mit dem Partizip II im PHK kein Adjektiv vorliegt. – Im Folgenden gehe ich zunächst auf die Problematik der un-Affigierung ein, danach folgen Bemerkungen zu den semantisch miteinander verwandten Erscheinungen der morphologischen Komparation und der Graduierung mit zu. 4) Un-Affigierung ist bei Adjektiven, aber nicht bei Verben möglich (vgl. Lenz 1995:17–24; 32f; Rapp 1998:239; Maienborn 2007:91f), was folgenden Kontrast erklärt – die Annahme vorausgesetzt, dass das Partizip II im Zustandspassiv ein Adjektiv ist.

48

49

Damit ist freilich noch nicht erklärt, warum eine prädikative Struktur mit einem Adjektiv als Prädikat nicht durch ein depiktiv verwendetes Adjektiv erweitert werden kann. Die Redeweise, dass die beiden Adjektive ‹dieselbe syntaktosemantische Funktion› wahrnehmen würden (und dies zur Ungrammatikalität der Struktur führt), ist im Grunde irreführend: Weder nehmen SC-Prädikate und Depiktive dieselbe syntaktische Position ein (vgl. Abs. 3.2) noch ist davon auszugehen, dass SC-Prädikate und Depiktive semantisch dasselbe leisten. Ein weiteres Argument, das Rothstein (2007) für eine Adjektivanalyse vorbringt, nimmt Bezug auf die Konstruktion in (i) mit dem Partizip geschlossen (vgl. Rothstein 2007:277f). (i) Das Geschäft hat geschlossen. Ich halte diese Konstruktion allerdings für zu idiosynkratisch (vgl. oben Abs. 3.7.1 sowie Latzel 1977:302f), als dass sich auf ihrer Grundlage ein allgemeines Argument zur Syntax des PHK ableiten ließe.

196 (4-59) a. b.

*Der Brief wurde ungeöffnet. Der Brief war ungeöffnet.

Rothstein (2007:290f) kommt zum Schluss, dass Un-Affigierung beim Partizip im PHK ausgeschlossen sei (4-60b, Beispiele und Beurteilung aus Rothstein 2007:291). (4-60) a. b.

Ihre Lippen sind ungeschminkt. *Sie hat die Lippen ungeschminkt.

Damit bestünde ein starkes Argument gegen eine Adjektivanalyse des Partizips im PHK. Allerdings ist die Datenlage in Bezug auf die Un-Affigierung m. E. anders einzuschätzen, als dies Rothstein tut.50 So lassen sich durch Suchmaschinenrecherche im Internet relativ leicht Belege für den PHK mit einem durch un- präfigiertem Partizip II finden, die – unter Beachtung der sprachlichen Umgebung, in der sie erscheinen – oft nicht als ‹Entgleisungen›, sondern als systemgerechte Bildungen anzusehen sind. Im Folgenden werden einige Belege präsentiert und kommentiert (die Unterstreichungen stammen in allen Belegen von mir, M.B.). Häufig begegnet die Un-Präfigierung beim Partizip II von verschließen (461). (4-61) a.

b.

c.

50

51 52 53

Von IT-Sicherheit keine Spur ! Oder: um sich die Pflege der Benutzerprofile zu sparen, erhalten alle Mitarbeiter Zugriff zu allen Daten. Das ist als ob Sie Ihren Safe immer unverschlossen haben.51 Die Beschriftung mache ich noch, habe das Terrarium jetzt umgestaltet mit Rückwand, dort klettert der Skorpion nun gerne mal. […] Euren Posts entnehme ich also, dass ihr es [= das Terrarium; M.B.] größtenteils unverschlossen habt, was ja auch mit meine Frage war.52 Die bereits eingesetzten Bambusstangen haben den Nachteil, dass sie das an beiden Seiten offene Bambusrohr unverschlossen haben. Es kann also Wasser von beiden Seiten eindringen, […].53

Rothstein hat zur Datengewinnung nicht nur Belege gesammelt, sondern auch 45 Informanten mit einem Fragebogen befragt, um die durch die Internetrecherche gewonnenen Daten abzusichern (vgl. Rothstein 2007:286). Aus Rothsteins Ausführungen geht allerdings nicht eindeutig hervor, ob Daten, die vom Autor als inakzeptabel eingeschätzt wurden, ebenfalls den Informanten vorgelegt wurden. Daher muss hier offen bleiben, inwieweit die im Folgenden von mir vorgelegten Einzelbelege zu den Ergebnissen von Rothsteins Fragebogenerhebung im Widerspruch stehen. 14.11.2010: http://www.data-defenders.de/vertraulichkeit.htm 14.11.2010: http://www.dghtserver.de/foren/showthread.php?t=33743 20.1.2008: http://www.wikipatents.com/de/3035831.html

197 In allen drei Belegen in (4-61) ist die Beziehbarkeit auf das verbale Lexem verschließen gegeben (vgl. den Safe / das Terrarium / das Bambusrohr verschließen), so dass ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei unverschlossen um ein als Adjektiv lexikalisiertes Partizip handelt (vgl. Lübbe 2004:21).54 – In den folgenden zwei Belegen charakterisieren die Formen ungewaschen bzw. unbedeckt einen Körperteil des als Satzsubjekt realisierten menschlichen Possessors. (4-62) a.

b.

es darf nicht zu extrem sein, das ist es ja eben. ungepflegt denke ich ist im sommer bis zu einem gewissem grade vertretbar. es kann mir ja keiner was direkt nachsagen wenn ich mal die haare strähnig und ungewaschen habe, und nach schweiß stinke und etwas müffle.55 Der Wilde wurde gefragt, wie er nur bei jedem Wetter nackt gehen könne und er antwortete mit der Gegenfrage an den Weißen, ,warum er stets das Gesicht unbedeckt habe?’56

In syntaktischer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass in (4-62a) das Partizip mit un-Präfix (ungewaschen) koordiniert mit einem genuinen Adjektiv (strähnig) erscheint. – Schließlich seien noch folgende Belege aus dem thematischen Bereich der Informationstechnologie angeführt, wo sich nicht wenige Belege finden lassen. (4-63) a. b.

54

55 56

57 58

Und wenn man sein System nicht völlig ungepflegt hat, ist das mit den „Altlasten“ auch nicht so schlimm.57 Ja, wenn der Besitzer blöde genug ist und seinen Zugang ungeschützt hat.58

Trotz der hohen Internetfrequenz der Verbindung etwas unverschlossen haben konnte ich im COSMAS-Korpus keine entsprechenden Belege finden. Dass die Verbindung in Modelltexten (vgl. Ammon 1995) nicht in Erscheinung tritt, mag damit zusammenhängen, dass eine funktional vergleichbare Konstruktion mit lassen zur Verfügung steht, die zugleich eine spezifischere Semantik zum Ausdruck bringt. Vergleiche (i): (i) Das Führerhaus seines Lastwagens hat ein Lkw-Fahrer am Mittwoch nachmittag unverschlossen gelassen, als er Waren für einen Supermarkt am Holzweg entlud. (COSMAS: R99/AUG.62284 Frankfurter Rundschau, 06.08.1999, S. 2, Ressort: LOKAL-RUNDSCHAU, zitiert 20.1.2008) 14.11.2010: http://www.med1.de/Forum/Psychologie/Beziehungen/330716/2/ Skiera, Ehrenhard 2003: Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart. Eine kritische Einführung. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Zit. nach: 20.1.2008: http://books.google.com/books?id=ovl-0IM0wCQC&pg=PA67&lpg=PA67&dq=% 22unbedeckt+habe%22&source=web&ots=4PLiTNWAMP&sig=KDJwPYUvFEP tcTcv4kS8lIjLDBs 14.11.2010: http://www.discountfan.de/forumneu/read.php?6,166637,page=2 14.11.2010: http://board.gulli.com/thread/362641-bluetooth-verbindungen-mit-anderen-geraeten/

198 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Belege in (4-61 bis 4-63) weitere Evidenz für eine Adjektivanalyse des Partizips im PHK darstellen, denn sie machen deutlich, dass die für Adjektive charakteristische un-Präfigierung beim Partizip II im PHK im Sprachgebrauch in Erscheinung tritt. 5) Adjektivische Partizipien sollten – wie genuine Adjektive – grundsätzlich steigerbar sein. Damit lässt sich beispielsweise für den adjektivischen Charakter des Partizips im Zustandspassiv argumentieren. (4-64) a. b.

Diese Region ist noch gefährdeter. (aus Rapp 1998:239) In diesem Alter sind Kinder am gefährdetsten. (aus Maienborn 2007:93)

Nach Rothstein ist ein kompariertes Adjektiv im PHK aber ausgeschlossen (465a, Beispiel mit Beurteilung aus Rothstein 2007:290; als Vergleich dient die Zustandspassivkonstruktion in b). (4-65) a. b.

*Du hast ja das Gesicht geschminkter als Kiss. Dein Gesicht ist ja geschminkter als Kiss.

Entsprechend lässt sich nach Rothstein (2007:291) PHK und Zustandspassiv in Bezug auf die Möglichkeit der Graduierung des Partizips durch die Partikel zu kontrastieren (4-66a, Beispiel mit Beurteilung aus Rothstein 2007:291). (4-66) a. b.

*Er hat sein Hemd zu aufgeknöpft für das aktuelle Wetter. Sein Hemd ist für das aktuelle Wetter zu aufgeknöpft.

Zugegebenermaßen fällt es schwer, Belege für den PHK mit einem komparierten Partizip II bzw. mit einem durch zu graduierten Partizip II zu finden. Ich möchte im Folgenden aber plausibel machen, dass sich aus dieser Tatsache keine Evidenz gegen eine Adjektivanalyse des Partizips im PHK ableiten lässt. Zunächst ist festzuhalten, dass auch in Zustandspassivstrukturen Partizipien mit Komparativmorphologie eher selten begegnen: Maienborn 2007:93 spricht von «gelegentliche[m] Auftreten», Zifonun et al. (1997:1822) konstatieren gar, «die Partizipien II in den Zustandsformen [seien] nicht steigerungsfähig», außer es handelt sich um «[a]ls Adjektive lexikalisierte Partizipien» (Zifonun et al. 1997:1823) wie z. B. verhasst(er), gefragt(er). Das eingeschränkte Auftreten von komparierten Partizipialformen hängt u. a. damit zusammen, dass bei Partizipien die morphologische Komparation in Konkurrenz steht zu syntaktischen Mitteln der Graduierung – Letztere muss bei Partizipien als «die primäre Form» (Lübbe 2004:35) der Graduierung angesehen werden. Zifonun et al. (1997:1822) führen dazu folgendes Beispiel an, in dem eine Graduierung durch mehr ausgedrückt wird. (4-67)

Durch ihr Schweigen ist meine Frage *beantworteter / mehr beantwortet als durch alle denkbaren Ausflüchte.

199 Diese «verbspezifische und bei Adjektiven ausgeschlossene» (Zifonun et al. 1997:1822) Art der Graduierung wird in der IdS-Grammatik als Indiz dafür gedeutet, dass es sich beim Zustandspassiv gerade nicht um eine Kopulakonstruktion mit prädikativem Adjektiv handelt. Zifonun et al. beschreiben die Verteilung von morphologischer Komparation gegenüber syntaktischer Graduierung allerdings zu starr dichotomisch. Wie oben schon festgehalten (vgl. 4-64), begegnen durchaus auch morphologisch gesteigerte Partizipien in prädikativer Verwendung, wobei daneben oft auch eine Graduierungsmöglichkeit syntaktischer Natur besteht (vgl. gelungener gegenüber besser gelungen in 4-68). (4-68) a. b.

Die Überschrift «Bill Gates Rain Man» ist gelungener als das Video selbst.59 Der englische Titel ist besser gelungen als der deutsche: […] 60

Im Zusammenhang mit der Frage, inwiefern morphologische Steigerbarkeit ein Kriterium für den adjektivischen Charakter von prädikativ verwendeten Partizipien darstellt, muss berücksichtigt werden, dass bei vielen Partizipien die morphologische Komparation aus lexikalisch-semantischen Gründen ausscheidet, und zwar auch bei attributiver Verwendung des Partizips (vgl. 4-69b) (Beispiele mit Beurteilung in 4-69 aus Rothstein 2007:290). (4-69) a. b. c.

*Der Arm ist verbundener. *der verbundenere Arm *Er hat den Arm verbundener.

Die Unmöglichkeit des PHK mit kompariertem Partizip in (4-69c) erklärt sich somit aus unabhängigen Gründen und spricht nicht gegen eine Analyse des Partizips im PHK als Adjektiv.61

59 60

61

19.9.2008: http://www.netzeitung.de/internet/1069717.html 19.9.2008: http://autismus-kultur.de/autismus/autipedia/high-functioning-autismus. html – Dieser Satz ist aufgrund der ‹verbspezifischen› Graduierung auch als Perfekt interpretierbar. Die genauen lexikalisch-semantischen Bedingungen, die für die morphologische Komparation eines Partizips II erfüllt sein müssen, können hier nicht geklärt werden. Es sei nur vermerkt, dass im Falle des *verbundeneren Arms offenkundig nicht hinreichend klar ist, hinsichtlich welcher semantischen Dimension eine Graduierung zum Ausdruck kommen soll, was ein Grund für die tendenzielle Vermeidung der morphologischen Komparation von Partizipien sein könnte. (i) Dieser Arm ist besser verbunden / *verbundener als der andere. (ii) Die am häufigsten verbundene / *verbundenste Gliedmaße ist der rechte Arm. Die syntaktische Graduierung erlaubt eine spezifischere Semantik. In (i) wird in Bezug auf die Dimension Qualität, in (ii) in Bezug auf die Dimension Frequenz graduiert.

200 Vor diesem Hintergrund – und trotz der eher schwierigen Belegbarkeit von PHKs mit morphologisch gesteigertem Partizip II, die im Lichte der obigen Überlegungen nicht ganz überraschend erscheinen dürfte – darf man grundsätzlich davon ausgehen, dass Strukturen wie die folgende ‹systemgerecht› bildbar sind. (4-70)

Wir haben den Garten gepflegter als unsere Nachbarn.

Dazu kann folgender Beleg angeführt werden (Unterstreichung M.B.). (4-71)

Der Hutlupfer könnte dem Bart nach unser Pfarrer sein *gg* Naja, ein bißchen gepflegter hat ihn der zwar aber ansonsten… *lach* Und der Pfarrer ist ein ganz netter 62

Das Partizip gepflegter ist in (4-71) auf einen Verbstamm mit gleicher Semantik beziehbar (vgl. Er pflegt seinen Bart) und somit nicht als lexikalisiertes Partizip zu betrachten. Im Weiteren ist zu beachten, dass im Beleg als Akkusativ-Objekt des PHK ein Personalpronomen (ihn) erscheint. Bart, das im vorangehenden Satz erscheint, wird im PHK damit pronominal aufgegriffen. Dadurch scheidet eine – funktional gesehen – mögliche Konkurrenzkonstruktion des PHK aus, nämlich diejenige, in der das Partizip II attributiv realisiert würde, vgl.: Er hat einen gepflegteren Bart./*Er hat einen gepflegteren ihn (vgl. dazu Abs. 3.5.4). Wesentlich im gegebenen Argumentationszusammenhang ist aber nicht die soeben skizzierte Motivierung des Auftretens einer PHK-Konstruktion mit kompariertem Partizip II, sondern die Feststellung, dass das Sprachsystem des Deutschen die Möglichkeit einer solchen Konstruktion grundsätzlich zur Verfügung stellt. Im Hinblick auf die Graduierbarkeit des Partizips im PHK durch zu gilt Entsprechendes zum bisher Gesagten. Grundsätzlich muss die Möglichkeit, das Partizip II im PHK mit zu zu modifizieren, als gegeben erachtet werden. Die in (4-72) angeführte Konstruktion beispielsweise dürfte ohne allzu spezielle Annahmen in Bezug auf den pragmatischen Kontext als relativ unmarkiert gelten. (4-72)

62 63

Wir haben das Gemüse schon wieder zu zerkocht.63

14.11.2010: http://feedbackbox.de/feedback.php?user=seelenfarben&msgid=kb200 70930&l=de Vergleiche dazu den Beleg in (i) (Unterstreichung M.B.). (i) Es gibt aber neben viel trinken noch 2 Sachen mind. um den Stuhlgang geschmeidiger zu halten, und das ist Leinsamen / Weizenkleie in einen Becher Joghurt einrühren […] aber auch viel Obst und frisches Gemüse essen, d.h. auch das Essen nicht zu zerkocht haben, […] also unter dem Strich auf die Ballaststoffe im Essen achten. (14.11.2010: http://www.rehakids.de/phpBB2/ftopic23776.html)

201 Die Diskussion in diesem Abschnitt hat gezeigt, dass sich das Partizip II im PHK – ganz analog zum Partizip II im Zustandspassiv – in syntaktischer wie auch in morphologischer Hinsicht wie ein Adjektiv verhält. Damit ergibt sich im Fazit: Das Partizip II im PHK stellt ein Adjektiv dar. Diese Auffassung lässt sich durch die syntaktischen Eigenschaften der absoluten mit-Konstruktion mit partizipialem Prädikat weiter stützen, worauf im folgenden Abschnitt eingegangen wird.

4.5.2 Zur absoluten mit-Konstruktion mit Partizip II Aufgrund der Auffassung, dass es sich beim Partizip II im PHK um ein Adjektiv handelt, ergibt sich im Rahmen der in Kap. 3 entwickelten Analyse des AHK eine klare Voraussage: Ein Partizip II, das in der absoluten mit-Konstruktion die Funktion eines Prädikats wahrnimmt, muss dieselben syntaktischen Eigenschaften wie ein ‹genuines› Adjektiv in dieser Funktion aufweisen. Diese Eigenschaften sind im Wesentlichen die folgenden: Prästellung des Prädikats in Bezug auf sein Argument, Artikellosigkeit der gesamten von mit eingebetteten NP und Nicht-Weglassbarkeit des Adjektivs sowie fehlende Referentialität des Nomens (vgl. Abs. 3.6). Die Voraussage erfüllt sich in allen genannten Punkten (4-73). (4-73) a. b. c.

Mit eingebundenem Arm kann ich doch keine Zwiebeln schneiden. #Mit einem Arm kann ich doch keine Zwiebeln schneiden / kann ich gut Zwiebeln schneiden. Mit eingebundenem Arm (*den ich mir beim Skifahren verletzt habe) kann ich doch keine Zwiebeln schneiden.

Das Partizip eingebunden steht pränominal, und die aus Partizip und Nomen bestehende NP weist keinen Artikel auf (4-73a); bei Auslassung des Partizips wird der Satz pragmatisch abweichend (ohne Einsetzung eines Artikels in diesem Fall sogar ungrammatisch: *Mit Arm …) (4-73b); eine Erweiterung der von mit eingebetteten NP durch einen Relativsatz ist unmöglich, was auf die fehlende Referenzfähigkeit von Arm in der Konstruktion verweist.64 64

Eine Recherche im COSMAS-Korpus (8.1.2008) mit verschiedenen Suchanfragen, die das Partizip eingebunden enthielten, ergab für die Standardsprache eine klare Dichotomie: Bei haben steht das Partizip II postnominal in Bezug auf die Akkusativ-NP (= PHK), in der absoluten mit-Konstruktion ist die pränominal-attributive Stellung die einzig mögliche. Im Internet lässt sich allerdings bei haben die Variante mit pränominalem Adjektiv auch belegen (i). (i) Ich weiss es nicht genau aber er hatte einen eingebundenen arm! ich tipp mal den arm gebrochen!! (http://www.esvkforum.de/thread.php?goto=nextnewest &threadid=646&sid=2497084cd89f3525f2d5394e70f1423b) Zur Alternanz von pränominalem und postnominalem Adjektiv in der haben-Konstruktion vgl. Abs. 3.5.3.

202 Die Daten in (4-73) bestätigen damit die Analyse des Partizips II im PHK als Adjektiv.65

4.6

Fazit und Ausblick

In diesem Kapitel wurde deutlich, dass der Partizipiale Haben-Konfigurativ (PHK) eine Unterkategorie des Adjektivischen Haben-Konfigurativs (AHK, vgl. Kap. 3) darstellt. Der PHK ist als eine Konstruktion zu analysieren, bei der das Vollverb haben einen SC einbettet, der seinerseits aus einem Argumentausdruck (einer Akkusativ-NP) und einem Prädikat besteht. Dieses SC-Prädikat wird im PHK durch ein Partizip II gebildet, das syntaktisch als adjektivische Wortform aufzufassen ist. Die dem PHK zuzuordnende – d. h. mithilfe eines Partizips II in Prädikatsfunktion gebildete – absolute mit-Konstruktion zeigt dieselben syntaktischen Eigenschaften wie die absolute mit-Konstruktion mit adjektivischem Prädikat. – Der PHK stellt weder eine Lesart des Perfekts dar, noch ist es angemessen, ihn als stative Variante des Dativpassivs einzuordnen. Neben diesen Ergebnissen ergaben sich aus der obigen Diskussion auch einige Fragen und Problembereiche. So wäre etwa die in Abs. 4.3 thematisierte ‹dynamische› haben+Partizip-II-Konstruktion näher zu untersuchen und theoretisch einzuordnen. Nicht nur im Zusammenhang mit der Syntax von haben, sondern auch im Hinblick auf das Verständnis aller Konstruktionen, die ein Partizip II als konstitutiven Bestandteil enthalten, ist eine vertiefte Auseinander-

65

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich der PHK und die absolute mitKonstruktion mit einem Partizip II in Prädikatsfunktion auf semantischer Ebene nicht vollkommen gleich verhalten. Während für das Partizip II im PHK eine Beschränkung auf Zielzustände (genauer gesagt: aufhebbare Zielzustände) zu konstatieren ist (vgl. Abs. 4.4.3), scheint diese Beschränkung für die absolute mit-Konstruktion nicht zu gelten, wie ein Vergleich von (4-45a), hier wiederholt als (i), mit (ii) verdeutlicht. (i) #Ich habe den Briefkasten geleert. (gut als Perfekt) (ii) Mit geleertem Briefkasten können wir losfahren. Die mit-PP in Satz (ii) zeigt die oben genannten syntaktischen Eigenschaften und lässt sich paraphrasieren als ‚Da/Wenn unser Briefkasten geleert ist, …‘, weshalb es sich um eine absolute Konstruktion handeln dürfte. Vgl. zu (ii) den folgenden Originalbeleg. (iii) Komisch ist nämlich, das ich mit geleertem Cache das Problem kurzzeitig nicht hatte. (14.11.2010: http://opera-info.de/forum/thread.php?postid=92326) Die Ursache für diese semantische Diskrepanz zwischen PHK und absoluter mitKonstruktion ist mir nicht bekannt.

203 setzung mit den in Abs. 4.4.3 aufgegriffenen semantischen Unterscheidungen nötig. Für die weitere Forschung ist zu wünschen, dass auch vertieft sprachvergleichend gearbeitet wird. So scheint der PHK im Deutschen semantisch eingeschränkter als formal vergleichbare Konstruktionen beispielsweise im Spanischen (zu span. tener + Partizip II vgl. Harre 1991): (4-74a) besitzt kein direktes Äquivalent im Deutschen (vgl. b). (4-74) a.

b.

Este chico tiene preocupada a su madre. (aus Harre 1991:53) seine Mutter Dieser Junge hat besorgt Partikel66 ‚Dieser Junge macht seiner Mutter Sorgen.‘67 *Der Junge hat seine Mutter besorgt/beunruhigt/aufgeregt.68

Ein Sprachvergleich könnte sich als gewinnbringend erweisen bei dem Bemühen, die semantischen, aber auch die syntaktischen Charakteristika des PHK im Deutschen weiter herauszuschälen.

66 67

68

Die Partikel a steht vor belebten Objekt-NPs. Meine Glossierung (2. Zeile) und Paraphrase (3. Zeile) orientiert sich an den Ausführungen in Harre (1991:53), die (4-74a) als äquivalent bezeichnet zu (i). (i) Este chico preocupa a su madre. Eine Paraphrase wie ‚Dieser Junge hält seine Mutter im Zustand der Sorge‘ wäre zwar unidiomatisch, dürfte aber die Semantik von (4-74a) – und damit die gegenüber (i) abweichenden Nuancierungen – möglicherweise genauer treffen (Gerard Adarve, p. c.). Satz (b) ist als PHK ausgeschlossen. Mit den Partizipien beunruhigt und besorgt ist aber eine Perfektlesart des Satzes gegeben. – Die Unmöglichkeit des folgenden Satzes (i) deutet darauf hin, dass bei (b) keine rein formale Beschränkung in Bezug auf Partizipien vorliegen kann. (i) *Der Junge hat seine Mutter traurig/in Sorge. Die Konstruktion ist auch mit ‹genuinem› (nicht partizipialem) Adjektiv (traurig) oder mit einer PP (in Sorge) in der Codaposition inakzeptabel.

5

Haben und Nichtflektierbare als Codaelemente

5.1

Einleitung

Den in diesem Kapitel behandelten Konstruktionen ist gemeinsam, dass es sich beim Kopf der Coda-Konstituente um einen Vertreter der Nichtflektierbaren (vgl. Duden-Grammatik 2005:573f) handelt. (5-1)

a. b. c. d. e.

Er hatte eine Hand in der Schublade. Er hatte eine Hand darin. Sie hat den Fernseher an. Er hat eine Freundin in jeder europäischen Hauptstadt. Sie hat eine Studentin als Klavierlehrerin.

In den Beispielen in (5-1) ist der Kopf der Codakonstituente jeweils unterstrichen. Dabei handelt es sich in (5-1a) und (d) um eine Präposition, in (b) um ein Adverb, in (c) um eine Verbpartikel (d. h. eine Partikel, die einen syntaktisch abtrennbaren Bestandteil eines komplexen Verbs darstellen kann) und in (e) um die Partikel als. Bei den hier illustrierten Konstruktionstypen liegen nicht Vertreter einer in syntaktischer Hinsicht einheitlich zu charakterisierenden Klasse vor. Dies zeigt sich bei der Verschiebung der Codakonstituente innerhalb des Mittelfeldes nach links. (5-2)

a. b. c. d. e.

#Er hatte in der Schublade eine Hand. #Er hatte darin eine Hand. *Sie hat an den Fernseher. Er hat in jeder europäischen Hauptstadt eine Freundin. Sie hat als Klavierlehrerin eine Studentin.

In den ersten drei Sätzen ist eine solche Verschiebung der Codakonstituente nicht möglich (5-2a–c),1 in den letzten beiden Sätzen dagegen schon (d/e). In Abs. 5.3 wird gezeigt, dass in Sätzen wie (5-1a–c) die Codakonstituente als Prädikat zur Akkusativ-NP zu analysieren ist. Wie dies beim Formtyp mit einer

1

PPs und Adverbien (vgl. a/b) können in beiden im Folgenden unterschiedenen Konstruktionsklassen als Codakonstituenten erscheinen. Ob die Bildung einer Konstruktion der einen oder anderen Klasse möglich ist, hängt von pragmatischen Faktoren ab, wie in den folgenden Abschnitten deutlich wird. Daher resultiert in den Sätzen (a) und (b) aus der Verschiebung der PP bzw. des Adverbs keine Ungrammatikalität, sondern zur Interpretation des Satzes ist eine (möglicherweise starke) Uminterpretation notwendig.

206 adjektivischen Wortform in der Coda (vgl. Kap. 3 und 4) der Fall war, bilden hier somit die Akkusativ-NP und die Codakonstituente einen Small Clause (SC). Bei der Konstruktion mit PP in (5-1/5-2d) und ebenso bei der Konstruktion mit als-Phrase (5-1/5-2e) stellen die Codakonstituenten dagegen nicht SCPrädikate, sondern Adjunkte dar, die semantisch eine restringierende Funktion wahrnehmen. Für diese Auffassung argumentiere ich in Abs. 5.4. Zuvor aber werden im folgenden Abs. 5.2 zwei Analyseansätze vorgestellt, denen zufolge die Konstruktion mit präpositionaler Codakonstituente als Ellipse einer jeweils anderen haben-Konstruktion aufzufassen wäre. Diese Analysen werden zurückgewiesen, und stattdessen argumentiere ich in Abs. 5.3 für die Angemessenheit einer SC-Analyse für eine Reihe von haben-Konstruktionen mit Nichtflektierbaren in der Coda. Im abschließenden Abs. 5.5 fasse ich Konsequenzen aus der Diskussion zusammen, die auch im Hinblick auf das nachfolgende Kap. 6 von Bedeutung sind.

5.2

Zwei Ellipsenanalysen

In diesem Abschnitt soll überlegt werden, ob zumindest gewisse haben-Konstruktionen mit einem Nichtflektierbaren als Kopf der Codakonstituente als Ellipsen anderer haben-Konstruktionen aufgefasst werden können. So schlägt Helbig (1978) eine Herleitung von haben-Konstruktionen mit einem Lokaladverbial in der Coda aus einer AcI-Konstruktion vor. Dieser Analysezugang kommt im Folgenden zuerst zur Sprache. Danach wird eine alternative Herleitungsmöglichkeit aus einer haben-Konstruktion mit Partizip II diskutiert. Es wird gezeigt, dass beide Ansätze zu problematisch sind, als dass sie ernstzunehmende Alternativen zu den Analysen darstellen, die in den Abs. 5.4 und 5.5 vorgeschlagen werden. Helbig (1978:44f) interpretiert die Konstruktion mit Lokaladverbial in der Coda (5-3b) als «eine Art Reduktion» (Helbig 1978:44) der AcI-Konstruktion mit haben als infinitivregierendem Verb (5-3a; vgl. dazu Abs. 8.2, wo die Konstruktion als ‹haben-AcI› bezeichnet wird). (5-3)

a. b.

Er hat ein Auto in der Garage stehen. Er hat ein Auto in der Garage.

Demnach kommt (5-3b) durch Elision oder Tilgung des Infinitivs in (a) zustande. Für eine solche Sicht scheint zunächst die Obligatorik des Lokaladverbials in (5-3a) zu sprechen (vgl. *Er hat ein Auto stehen; vgl. dazu Abs. 8.2.3). Die Infinitive stehen, liegen etc. scheinen in Konstruktionen wie (5-3a) dagegen fakultativ und somit tilgbar. Einen besonderen Status habe dabei das «desemantisierte Verb» sein (Helbig 1978:45), das obligatorisch getilgt werden müsse.

207 (5-4)

Er hat ein Bild an der Wand (*sein).

Warum aber im Falle von (5-4) überhaupt eine Konstruktion mit sein in der ‹zugrunde liegenden› Struktur anzusetzen wäre, bleibt unklar. Gegen Helbigs ‹Reduktionsthese› im Allgemeinen spricht außerdem, dass oft nicht ohne Weiteres rekonstruiert werden kann, welches Verb ‹ursprünglich› in der Struktur anzunehmen wäre. Zur Verdeutlichung dieses Problems gehe ich von einem zunächst unproblematisch erscheinenden Fall aus. (5-5)

Sie hat einen zweiten Fernseher im Schlafzimmer.

(5-5) bringt die Lokalisierung eines Alltagsgegenstandes (Fernseher) an einem – pragmatisch gesehen erwartbaren – Ort (im Schlafzimmer) zum Ausdruck; Entsprechendes kann für (5-3a) geltend gemacht werden. Allerdings ist zu konstatieren, dass beispielsweise in (5-5) offen bleibt, ob der Fernseher (auf einem Tischchen) steht, (an der Wand) hängt oder (unbeachtet in der Ecke) liegt. Wie in Abs. 8.2.3 gezeigt wird, treten in der AcI-Konstruktion mit dem Regens haben nicht nur die Positionsverben stehen, liegen, hängen und sitzen, von denen Helbig (1978) ausgeht, auf, sondern es ist mit einer größeren Menge von Verben zu rechnen, die in der genannten Konstruktion erscheinen können und dabei wohl keine geschlossene Klasse bilden. So wäre in anderen Fällen die Ambiguität der Konstruktion, d. h. die Zahl der Verben, die als Infinitiv in der Struktur prinzipiell erscheinen könnten, noch viel größer als in (5-5). Man denke hier beispielsweise an die Vielzahl der menschlichen Körperhaltungen und der Verben, durch die sie bezeichnet werden: So wäre (5-6a) zurückführbar auf eine Reihe von denkbaren Sätzen (vgl. b). (5-6)

a. b.

Ich hatte den Mann direkt vor mir. Ich hatte den Mann direkt vor mir stehen/sitzen/liegen/kauern/knien/…

Es ist nahe liegend, dass eine Desambiguierung von (5-6a) im Sinne einer der in (b) angedeuteten Möglichkeiten durch den pragmatischen Kontext geschieht, und nicht durch die Eigensemantik von lexikalischen Elementen, die ihrerseits aber ‹kovert› sind. Im Weiteren scheint es in vielen Kontexten gar nicht wünschenswert, dass durch die ‹Rekonstruktion› eines Verbs eine entsprechende Bedeutungsspezifizierung (im Beispiel in Bezug auf die Körperhaltung des Objektsreferenten) erzwungen wird, da sie oft irrelevant sein dürfte. Daneben sei auf Fälle hingewiesen, in denen es schwer fällt, ein Verb zu finden, das als geeignetes Rekonstrukt überhaupt in Frage käme. Dies ist oft dann der Fall, wenn der Referent der Akkusativ-NP, wie in (5-7), menschlich ist. (5-7)

a. b.

Wir haben die Kinder heute bei der Großmutter. Sie haben einen Reporter vor Ort.

208 Es scheint schwierig, ein geeignetes Verb zu finden, das in (5-7a) eingesetzt werden könnte. Ob (5-7a) beispielsweise auf einen Satz mit bleiben im Infinitiv zurückgeführt werden kann, ist äußerst fraglich (5-8). (5-8)

??Wir

haben die Kinder heute bei der Großmutter bleiben.

Für Satz (5-7b) scheint einzig eine Paraphrase mit einem lexikalisch-semantisch sehr unspezifischen Verb angemessen, vgl. beispielsweise ‚Ein Reporter ist / befindet sich für sie vor Ort.‘ Die dabei verwendeten Verben sein und sich befinden – oder auch sich aufhalten – können aber nicht als Infinitive in die habenKonstruktion eingefügt werden (vgl. 5-9). (5-9)

*Sie haben einen Reporter vor Ort sein / sich vor Ort befinden / sich vor Ort aufhalten.

Schließlich ist auf Fälle hinzuweisen, bei denen das Lokaladverbial an die Präsenz eines Infinitivs – genauer gesagt: an die Infinitivform eines bestimmten lexikalischen Verbs wie ragen in (5-10) – gebunden scheint. (5-10) a. b.

Paul hat eine riesige Nase aus dem Gesicht *(ragen). (vgl. Hole 2002:12) Wir haben eine Palme (von der Straße) ins Zimmer *(ragen).

Bei Auslassung des Infinitivs ragen werden die Sätze in (5-10) ungrammatisch. Dies ist vor dem Hintergrund von Helbigs Ellipsentheorie unerwartet. Auch Infinitive von Bewegungsverben wie fliegen in (5-11) in Verbindung mit einem direktionalen Adverbial können nicht getilgt werden. (5-11)

Wir haben den ganzen Tag schwere Jumbo-Jets über unser Haus *(fliegen).

Aufgrund der obigen Überlegungen scheint mir Helbigs Reduktionsthese nicht haltbar und ich verfolge sie nicht weiter.2 Im gegebenen Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob (zumindest gewisse) haben-Konstruktionen mit einer PP in der Coda, wenn nicht aus AcIKonstruktionen, so doch vielleicht aus PHK-Strukturen (d. h. aus Konstruktio-

2

Die Darstellung im VALBU suggeriert eine umgekehrte Ableitungsbeziehung: Die haben-Konstruktion mit Infinitiv stellt eine Art Erweiterungsform der Konstruktion mit präpositionaler Coda dar: «Gelegentlich wird haben 4 [Sublemma von haben mit der Bedeutung ‚irgendwo über etwas verfügen können‘, das syntaktisch mit einer ‹Adverbativergänzung› mit lokaler Semantik konstruiert wird; M.B.] in Verbindung mit einem Verb im Infinitiv […] verwendet, das ebenfalls eine statische AdvE [Adverbativergänzung] regiert» (VALBU 2004:435; Hervorhebungen durch Schriftwechsel im Original). In Abs. 8.2 wird aber gezeigt, dass die Infinitivkonstruktion eine Reihe von Sondereigenschaften zeigt, die dagegen sprechen, sie als Erweiterung der hier behandelten Konstruktion mit PP-Coda aufzufassen.

209 nen mit einem Partizip II als Kern der Coda, vgl. Kap. 4) abgeleitet werden können. So ist eine Analyse zu prüfen, die (5-12a) als Ellipse zu (b) auffasst. (5-12) a. b.

Sie hat einen Schal um den Hals. Sie hat einen Schal um den Hals gewickelt.

Die PP um den Hals in (5-12a) wäre dabei als Dependens eines nicht realisierten bzw. elidierten Partizips (vgl. gewickelt in 5-12b) zu analysieren. Ein solcher Ansatz erweist sich allerdings als fragwürdig, wenn man Fälle mit Verben in Betracht zieht, die eine PP selegieren, deren Kopf eine Wechselpräposition darstellt (5-13). (5-13) a. b. c.

Sie hat mir ein Zettelchen auf den/*dem Rücken geheftet. Ich hatte den ganzen Tag ein Zettelchen auf den/*dem Rücken geheftet. Ich hatte den ganzen Tag ein Zettelchen auf *den/dem Rücken.

Die Präposition auf regiert, wenn die auf-PP direktional interpretiert werden soll, den Akkusativ. Die Dativrektion – obwohl bei auf als Wechselpräposition grundsätzlich gegeben – ist in (5-13a) damit ausgeschlossen. Entsprechend steht im PHK (5-13b) die von der Präposition regierte NP ebenfalls zwingend im Akkusativ. In (5-13c) kann auf dagegen einzig den Dativ regieren, wie dies bei lokaler, nicht direktionaler Interpretation einer Wechselpräposition generell der Fall ist – die Akkusativrektion ist ausgeschlossen. Damit kann die PP in (513c) nicht als Dependens eines unrealisierten (oder stumm realisierten) Partizips geheftet aufgefasst werden. In Analogie dazu sollte eine solche Tilgungsanalyse auch für Sätze wie (5-12a), in denen die Präposition eine feste Rektion aufweist, ausgeschlossen werden, wenn nicht unabhängige Gründe dafür sprechen, (512a) und (5-13c) als grundsätzlich unterschiedliche Konstruktionen aufzufassen. Mir sind keine solchen Gründe bekannt. Als Fazit lässt sich festhalten: Zwar kann in Einzelfällen eine haben-Konstruktion mit einer PP als Codakonstituente auf eine zweite haben-Konstruktion bezogen werden, die neben der PP einen verbalen Infinitiv oder ein Partizip II enthält, und dabei als Ellipse in Bezug auf diese zweite Konstruktion aufgefasst werden. Da aber – wie oben gezeigt wurde – in vielen, jeweils ganz unterschiedlich gelagerten Fällen ein Bezug zu einer Konstruktion mit Infinitiv oder Partizip ausgeschlossen ist, bleibt eine ‹Ellipsentheorie› eine Ad-hoc-Lösung für einzelne Sätze und ist für die in diesem Kapitel thematisierten haben-Konstruktionen insgesamt ohne Erklärungskraft.

210

5.3

SC-Prädikate als Codakonstituenten

In diesem Abschnitt werden solche Codakonstituenten mit einem nichtflektierbaren Wort als Kopf diskutiert, die als Prädikat analysiert werden können und als solches zusammen mit ‹ihrem Subjekt›, der Akkusativ-NP, einen Small Clause (SC) bilden. Nach grundsätzlichen Bemerkungen zur Identifizierung von SC-Prädikaten (Abs. 5.3.1) werden in Abs. 5.3.2 Konstruktionen mit Verbpartikeln als Codakonstituenten betrachtet, und in Abs. 5.3.3 kommen Funktionsverbgefüge zur Sprache. Abschließend werden in Abs. 5.3.4 semantische Beschränkungen für die SC-Konstruktion mit Nichtflektierbaren als Prädikatskopf thematisiert.

5.3.1 Grundsätzliches Eine SC-Analyse für HABEN-Konstruktionen mit einer PP oder einem Adverb als Codakonstituente wurde in der generativen Literatur öfter vorgeschlagen, so etwa von Hoekstra (1987: 231–235), Ritter/Rosen (1997:309), Harley (1998:216f) und Abraham (2005: 271f).3 Im Rahmen der Deutung von SCs als Relator-Phrasen (RP) nach den Dikken (2006), die schon in den Kapiteln 2, 3 und 4 der Analyse von haben-Konstruktionen zugrunde gelegt wurde, ist Satz (5-14a) (= 4-2b in Kap. 4) strukturell im Sinne von (5-14b) zu analysieren. (5-14) a. b.

Sie hat den Fuß im Gips. Sie hat [RP [Subjekt den Fuß] [R ∅] [Prädikat im Gips]].

Für eine Analyse im Sinne von (5-14b) wurde in Abs. 2.4 ausführlich argumentiert, dies unter starker Berücksichtigung von haben-Konstruktionen mit einer PP als Codakonstituente. Die Analyse kann weiter gestützt werden durch syntaktische Parallelen zwischen Konstruktionen wie in (5-14) einerseits und dem AHK (vgl. Kap. 3) andererseits. So steht im Gips in (5-14) in der minimalen Verbdomäne des Satzes (Frey/Pittner 1998:499), genauso, wie dies für ein adjektivisches Prädikat im AHK der Fall ist (vgl. Abs. 3.2). Dies zeigt sich daran, dass PP und Verb (in satzfinaler Stellung) nicht durch Satznegationselemente (nicht) oder Satzadverbien (wahrscheinlich) getrennt werden können (5-15; vgl. Frey/Pittner 1998:498; Pittner 1999:142f).

3

Im Unterschied dazu analysiert Tellier (1994) avoir-Konstruktionen mit PP als Codakonstituente in einem Modell, das im Wesentlichen auf Freeze (1992) aufbaut; vgl. dazu Abs. 3.3.1.

211 (5-15) a. b.

*dass sie den Arm im Gips nicht/wahrscheinlich hat *dass er die Füße auf dem Tisch nicht/wahrscheinlich hat

Außerdem ist – wie ebenfalls in Abs. 3.2 festgehalten wurde – ein verbales Partizip nur zusammen mit dem gesamten syntaktischen Material, das in der minimalen Verbdomäne steht, topikalisierbar (vgl. 5-16b gegenüber a). (5-16) a. b.

*Gehabt hat er die Füße auf dem Tisch. Auf dem Tisch gehabt hat er die Füße.

Somit gehört auch nach diesem Kriterium eine PP in der Funktion eines SCPrädikats der minimalen Verbdomäne an. Gewisse PPs, die in der Coda von haben-Konstruktionen erscheinen können, weisen nicht nur in syntaktischer, sondern auch in semantischer Hinsicht eine starke Verwandtschaft mit adjektivisch oder partizipial besetzten Codas auf. Vgl. dazu die Beispielreihe in (5-17).4 (5-17) a. b. c.

Er hatte die Hose in Fetzen. Er hatte die Hose zerfetzt/zerrissen. Er hatte die Hose kaputt.

In (5-17a) stellt die Coda formal eine PP dar, in (b) dagegen ein Partizip II – womit ein PHK (vgl. Kap. 4) vorliegt5 – und in (c) ein Adjektiv (zum AHK vgl. Kap. 3). Aus syntaktischer Sicht ist festzustellen, dass die PP in Fetzen insofern immobil ist, als sie nicht weiter nach links ins Mittelfeld verschoben werden kann (5-18a). (5-18) a. b. c.

*Er hatte in Fetzen die Hose. *Er hatte zerfetzt/zerrissen die Hose. *Er hatte kaputt die Hose.

Diesbezüglich ist die PP in Fetzen positionell in derselben Weise eingeschränkt wie adjektivische und partizipiale Codas (vgl. 5-18b/c). Dies kann als Evidenz dafür aufgefasst werden, dass in Fetzen in der haben-Konstruktion nur die Funktion eines Prädikativums zur Akkusativ-NP (d. h. als SC-Prädikat), nicht aber eines restringierenden Adverbials wahrnehmen kann (vgl. oben Abs. 5.1 sowie unten Abs. 5.4). Es darf angenommen werden, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Beschränkung der PP auf die syntaktische Funktion als SC-Prädikat und ihrer Semantik. Im Fall der PP in Fetzen lässt sich feststellen, dass sie im Gegensatz zu den bisher angeführten Beispielen keine lokalisierende Semantik aufweist, sondern einen Zustand ausdrückt, in dem sich der Referent 4 5

Zu vergleichbaren Daten im Französischen vgl. Tellier (1994:238, 254). Satz (b) kann daneben auch als Plusquamperfektkonstruktion aufgefasst werden, was hier aber irrelevant ist (vgl. dazu die Diskussion in Abs. 4.2).

212 der Bezugsphrase – in den Beispielen oben die Hose – befindet. Demgegenüber können PPs (oder Adverbien) mit lokaler Semantik grundsätzlich in beiden Funktionen – als SC-Prädikat und als Adverbiale – in Erscheinung treten (vgl. dazu eingehender Abs. 5.4).

5.3.2 Verbpartikeln als Codakonstituenten Verbpartikeln «besitzen […] grundsätzlich das Potential, syntaktischen Prädikatsstatus zu erlangen, d. h. in Verbindung mit einer Kopula aufzutreten» (Stiebels 1996:160). Dies gilt für die Partikeln ab, an, auf, aus, zu (und evtl. weitere). (5-19) a. b. c.

Ein Mantelknopf ist ab. Das Radio ist an/aus. Die Tür ist auf/zu.

Die Möglichkeit, eine Verbpartikel prädikativ zu verwenden, hat einen Reflex darin, dass die Partikel selbstständig topikalisiert werden kann – zumindest unter der zusätzlichen Bedingung, dass die Partikel semantisch «mit anderen Partikeln kontrastieren» kann (Stiebels 1996:161), wie dies etwa für auf in (5-20a) gilt (Kontrast: zu) (Beispiele in 5-20 aus Stiebels 1996:160). (5-20) a. b.

Auf hat sie die Tür gemacht. *An hat er die Frau gerufen.

Aus der SC-Analyse für haben-Sätze ergibt sich daher die Voraussage, dass die Partikeln in (5-19) als SC-Prädikate in haben-Konstruktionen in Erscheinung treten können. Diese Voraussage ist korrekt (5-21). (5-21) a. b. c.

Ich habe einen Mantelknopf ab. Sie haben das Radio an. Sie hat die Tür auf/zu.

Was in Bezug auf die Position im Mittelfeld für die oben diskutierten SC-Prädikatskonstituenten bereits festgehalten wurde, gilt auch für die Partikeln in (5-21): Sie können im Mittelfeld nicht aus ihrer satzfinalen Position heraus nach links verschoben werden (vgl. 5-22 mit 5-21a). (5-22)

*Ich habe ab einen Mantelknopf.

Die Analyse der obigen Verbpartikeln als SC-Prädikate wird weiter bestätigt durch die Bildbarkeit von absoluten mit-Konstruktionen, in denen die Verbpartikel als Prädikatskonstituente auftritt (5-23).

213 (5-23) a. b. c.

Mit dem Mantelknopf ab kann ich doch nicht auf die Straße. Mit dem Radio an versteht man gar nichts. Mit der Tür auf würde ich im Durchzug sitzen.6

Im Fazit ergibt sich: Die Partikeln ab, an, auf, aus, zu können in haben- wie in absoluten mit-Konstruktionen die Rolle von SC-Prädikaten wahrnehmen.7 Damit ist allerdings noch unklar, ob jede Verbindung von haben + Verbpartikel im Sinne der Analyse oben zu verstehen ist. Dies ist insbesondere fraglich bei Verben wie an-, auf- oder umhaben, wenn sie das Tragen von Kleidungsstücken bezeichnen (5-24). (5-24) a. b. c.

Er hatte eine dicke Jacke an. Sie hat den Hut schon auf. Sie hatte wie immer ihren Schal um.

In der hier illustrierten Semantik lassen sich die Partikeln an, auf und um nicht prädikativ mit dem Kopulaverb sein konstruieren (5-25). (5-25) a. b. c.

*Eine dicke Jacke war an. *Der Hut ist schon auf. *Wie immer war ihr Schal um.

(5-25) spricht gegen eine Prädikativanalyse der betreffenden Partikeln. Interessanterweise können diese dennoch wie die Partikeln in (5-23) als Prädikatskonstituenten in der absoluten mit-Konstruktion erscheinen (5-26). (5-26) a. b. c.

Mit einer dicken Jacke an darfst du noch etwas draußen bleiben. Mit dem Hut auf sieht er aus wie ein Mafioso. Mit dem Schal um ist dir immer schön warm.

Es ist zu erwägen, ob es sich bei den Sätzen in (5-24) um verkürzte PHKs (vgl. Kap. 4) handelt, d. h. um haben-Konstruktionen, deren SC-Prädikat durch ein Partizip II gebildet wird, wobei aber dieses Partizip bis auf die Verbpartikel getilgt worden wäre (5-27). (5-27) a. b. c.

6

7

Er hatte eine dicke Jacke angezogen. Sie hat den Hut schon aufgesetzt. Sie hatte wie immer ihren Schal umgewickelt.

Auf ist hier ein (Quasi-)Synonym zum Adjektiv offen. Tritt dieses als SC-Prädikat in der absoluten mit-Konstruktion auf, so wird es pränominal realisiert: Mit offener Tür … Vgl. dazu ausführlich Kap. 3. Zu einer vergleichbaren Einschätzung der Funktion von Verbpartikeln gelangen Beukema/Hoekstra (1983:536) in Bezug auf die niederländische Entsprechung zur absoluten mit-Konstruktion.

214 Diese Ellipsenanalyse erklärt allerdings den Ausschluss der Kopulastrukturen in (5-25) auch nicht, denn das Partizip II kann grundsätzlich mit der Kopula sein zu einer Konstruktion mit stativer Semantik verbunden werden (‹Zustandspassiv› oder ‹sein-Passiv›, vgl. Kap. 4). Hier soll ein Beispiel genügen (vgl. 5-28 mit 5-25b). (5-28)

Der Hut ist schon aufgesetzt.

Auch lassen sich viele PHKs nicht zu einer Partikel+haben-Konstruktion ‹verkürzen›, wie die folgenden zwei (leicht vermehrbaren) Beispiele verdeutlichen. (5-29) a. b.

Ich habe die Salbe seit einer Stunde auf *(getragen) (und sie ist immer noch nicht eingezogen). Ich habe den Arm seit drei Tagen ein *(gebunden).

In Bezug auf Fälle wie (5-29a) wäre zu fragen, warum aufhaben nicht für aufgetragen haben stehen kann. Bei der durch (5-29b) illustrierten Fallgruppe wäre unklar, warum *einhaben nicht für eingebunden haben stehen kann, d. h. warum bei ein (und weiteren Partikeln wie z. B. unter) eine Elision des Partizips im PHK generell blockiert ist. Es ist anzunehmen, dass solche ‹Ausnahmen› – die quantitativ wohl die Mehrzahl der Fälle darstellen dürften – bei einer Ellipsenanalyse stipuliert werden müssten. Aufgrund dieser Überlegungen ist es angemessener, die Sondereigenschaften von an-, auf- und umhaben (sowie gegebenenfalls weiterer mit der Basis haben gebildeter Partikelverben) als lexikalische Idiosynkrasien zu betrachten.

5.3.3 Funktionsverbgefüge mit haben und präpositional angeschlossenem Verbalsubstantiv Zumindest gewisse Funktionsverbgefüge (FVG) mit dem Verb haben und einem präpositional angeschlossenem Verbalsubstantiv (vgl. dazu oben Abs. 2.3.2) können analog zu (5-14b) analysiert werden, d. h. die PP, die konstitutiver Teil eines Funktionsverbgefüges mit haben ist, kann als SC-Prädikat gedeutet werden. Dies gilt beispielsweise für die FVG in (5-30). (5-30) a. b. c.

Sie hat eine Limousine zur Verfügung / in Besitz / in Gebrauch. Sie hat eine tolle Stelle in Aussicht. Er hat einen längeren Aufsatz in Arbeit.

Dafür spricht die gemeinsame Topikalisierbarkeit der Akkusativ-NP und der PP (5-31; vgl. auch die in Abs. 2.4.2 angeführten Originalbelege). (5-31)

[Eine Limousine zur Verfügung] hatte ich noch nie.

215 Auch die Tatsache, dass PPs, die Teil eines FVG sind, ihre Basisposition in der minimalen Verbdomäne haben (vgl. Frey/Pittner 1998:498; Pittner 1999:142), ist gut mit der SC-Analyse vereinbar (vgl. oben Abs. 5.3.1). Im Weiteren kann auf die ‹Platzfestigkeit› der PP, die zu einem FVG gehört, verwiesen werden: Die PP kann innerhalb des Mittelfelds nicht aus der minimalen Verbdomäne heraus nach links bewegt werden (5-32). (5-32)

*Sie hat in Gebrauch eine Limousine gehabt.

Die Möglichkeit, eine PP, die Teil eines FVG ist, als Prädikat in einer absoluten mit-Konstruktion zu verwenden, besteht grundsätzlich ebenso (vgl. 5-33 mit 5-30b).8 (5-33)

[Mit einer tollen Stelle in Aussicht] konnte sie ruhig schlafen.

Eine SC-Analyse von Akkusativ-NP und PP ist in Bezug auf die oben betrachteten FVG somit vertretbar. – Allerdings ist eine Ausweitung der Analyse auf alle FVG mit dem Verb haben und einem präpositional angeschlossenen Verbalnomen kaum sinnvoll. So tritt bei einem FVG wie im Sinn haben neben der erwartbaren Konstruktion mit Akkusativobjekt (Böses in 5-34a) eine Variante mit Objektnebensatz anstelle einer Akkusativ-NP auf (vgl. b) (Entsprechendes gilt bei in Erinnerung haben). (5-34) a. b.

Er hatte Böses im Sinn. Er hatte im Sinn, die Schwester zu ärgern.

Eine absolute mit-Konstruktion ist nur in Analogie zur Konstruktion mit Objekts-NP möglich, nicht aber mit einem Nebensatz.

8

Absolute mit-Konstruktionen mit der PP zur Verfügung als Prädikatsphrase wie in (i) scheinen allerdings von fragwürdiger Akzeptabilität zu sein. ?Mit einem Fernseher zur Verfügung kann man es sogar hier ein paar (i) a. Tage aushalten. b. ?Mit einer Sekretärin zur Verfügung könnte man die Arbeit fristgerecht bewältigen. Dies dürfte mit der vagen Semantik der PP zur Verfügung zusammenhängen. So lässt sich die in (i-a) bzw. (i-b) angestrebte Semantik annäherungsweise auch mit einer mit-PP vermitteln, die nicht durch die PP zur Verfügung erweitert ist (ii); die ‹Konkurrenz› durch die Sätze in (ii) könnte die Sätze in (i) als redundant und daher als markiert erscheinen lassen. (ii) a. Mit einem Fernseher kann man es sogar hier ein paar Tage aushalten. b. Mit einer Sekretärin könnte man die Arbeit fristgerecht bewältigen. Bei der Präposition mit in (ii-a) bzw. (ii-b) handelt es sich wohl nicht um den Kopf einer absoluten Konstruktion, sondern mit dürfte hier im weitesten Sinne Komitativität ausdrücken; vgl. dazu Kap. 2.5.4.

216 (5-35) a. b.

Mit Gutem im Sinn … *Mit im Sinn, die Schwester zu ärgern …

(5-35b) ist damit zu erklären, dass das Kasusmerkmal von mit nicht abgeglichen werden kann, weshalb die Struktur ungrammatisch wird. Die Idiosynkrasie von (5-34) besteht somit darin, dass haben als Teil des Funktionsverbgefüges im Sinne haben nicht obligatorisch, sondern nur fakultativ den Akkusativ regiert: In (5-34b) fehlt die Akkusativ-NP, und dennoch ist der Satz grammatisch.9

5.3.4 Beschränkungen Die Realisierung der Prädikationsfunktion durch Nichtflektierbare im SC-Komplement von haben ist semantisch beschränkt. Hierzu sollen in diesem Abschnitt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Hinweise gegeben werden. In diesem Kapitel wurden schon einige Beispiele angeführt, in denen das SC-Prädikat lokale Semantik aufweist (vgl. z. B. 5-14). Nicht zur Lokalisierung, sondern zur Zuschreibung eines (temporären) Zustandes, in dem sich der Referent der Akkusativ-NP befindet, dienen PPs wie in Fetzen (vgl. 5-17a) und manche der in Abs. 5.3.2 diskutierten Partikeln. Ein semantisch noch etwas anders gelagerter Fall wäre die Verwendung des deiktischen Modaladverbs so – möglich in Verbindung mit einer demonstrierenden Geste – als Prädikatsausdruck (5-36).10 (5-36)

Ich hatte den Arm so.

Der prädikative Status von so in (5-36) wird bestätigt durch die Möglichkeit, so als Prädikat in der absoluten mit-Konstruktion (a) sowie in Kopulasätzen (b) zu verwenden. (5-37) a. b.

[Mit dem Arm so] konnte ich mich nicht mehr bewegen. Der Arm war so.

Aus diesen Überlegungen könnte die Voraussage abgeleitet werden, dass eine PP oder ein Adverb immer dann als SC-Prädikat in einer haben-Konstruktion erscheinen kann, wenn die PP bzw. das Adverb als Prädikativum in Kopulasätzen dienen kann. Diese Implikation gilt allerdings nicht. So ist eine Beschränkung festzustellen in Bezug auf präpositionale Prädikate, die eine befürwor-

9

10

Dies widerspricht der in Abs. 2.3.1 formulierten Generalisierung, dass haben als Vollverb obligatorisch den Akkusativ regiert. Streng genommen müsste man daher haben im Funktionsverbgefüge im Sinn haben nicht als Vollverb einordnen. Vgl. dazu die so-Probe zur Abgrenzung des PHK (d. h. der stativen haben-Konstruktion mit einem Partizip II als SC-Prädikat) gegenüber dem Perfekt in Abs. 4.2.

217 tende oder ablehnende Haltung eines belebten (im Normalfall menschlichen) Referenten ausdrücken. (5-38)

Sein Sohn ist für/gegen den Plan.

Es scheint nicht möglich, Subjekt und Prädikat dieses Satzes zu einer von haben oder mit eingebetteten SC-Konstituente zu verbinden (5-39). (5-39) a. b.

*Er hat [seinen Sohn für den Plan]. *Mit [seinem Sohn für den Plan] haben wir eine Mehrheit.

Die Beschränkung gilt, obwohl es leicht fällt, zwischen dem Subjektsreferenten (er in 5-39) und dem Objektsreferenten (sein Sohn) eine Pertinenzrelation herzustellen (vgl. dazu Kap. 7) und es daher auch möglich ist, eine haben-Konstruktion mit entsprechenden Argumentausdrücken und beispielsweise einem Lokaladverbial als SC-Prädikat zu bilden (vgl.: Er hat seinen Sohn auf einer Eliteschule). Die Ursache für die Beschränkung bleibt hier ungeklärt. Hervorzuheben ist aber, dass sie gleichermaßen für die haben- wie auch für die absolute mit-Konstruktion gilt, weshalb sich im Hinblick auf die in dieser Arbeit angestrebte Parallelisierung der beiden Konstruktionen kein Problem ergibt. Im Weiteren sind PPs oder Adverbien mit direktionaler Semantik als SCPrädikate nicht zugelassen. Auch diese Beschränkung gilt sowohl für die habenals auch für die absolute mit-Konstruktion (5-40/5-41). (5-40) a. b.

*Er hat einen Splitter in den Zeh. *Ich habe noch etwas Salz hinein.

(5-41) a. b.

*Mit einem Splitter in den Zeh kann man schlecht laufen. *Mit noch etwas Salz hinein würde die Suppe besser schmecken.

Im Englischen (5-42a) gilt diese Beschränkung im Gegensatz zum Deutschen (b) nicht. (5-42) a. b.

Smith had Jones into his team. (aus McIntyre 2005:417) *Smith hatte Jones in seine Mannschaft. (möglich: … in seiner Mannschaft)

Auffällig ist dabei, dass die Einsetzung einer direktionalen anstelle einer lokalen PP im englischen have-Satz mit dem Verlust einer Lesart verbunden ist. So hat Satz (5-43), der eine PP mit lokaler Semantik enthält, zwei Lesarten. (5-43)

Smith had Jones in his team. (aus McIntyre 2005:417)

Entweder (i) ist Smith verantwortlich für die Aufnahme von Jones in die Mannschaft oder (ii) Jones und Smith spielen in derselben Mannschaft (o. ä.), ohne dass Smith für diesen Umstand verantwortlich zu sein braucht. In (5-42a) mit direktionaler PP ist hingegen nur Lesart (i), nicht Lesart (ii) möglich (vgl. McIn-

218 tyre 2005:417). Die Gründe für diese Lesartenbeschränkung im Englischen sind ebenso unklar wie diejenigen für die Unmöglichkeit einer direktionalen PP in der deutschen haben-Konstruktion (5-42b). Hinzuzufügen ist, dass die Beschränkung im Deutschen in (mindestens) einem syntaktischen Kontext nicht gilt, nämlich bei modaler Einbettung der haben-Konstruktion (5-44). (5-44) a. b.

Was möchtest du alles in die Suppe reinhaben? (neben: … in der Suppe drin haben) Ich will die Kiste in den Keller haben. (neben: … im Keller haben)

In der nicht modal eingebetteten haben-Konstruktion können die direktionalen Adverbiale in die Suppe (rein) (5-44a) bzw. in den Keller (5-44b) nicht eingesetzt werden (5-45). (5-45) a. b.

*Was hast du alles in die Suppe rein? (nur: … in der Suppe drin) *Ich habe die Kiste in den Keller. (nur: … im Keller)

Bereits in Abs. 4.3 wurde festgestellt, dass haben in modaler Einbettung sich durch den Zugewinn einer Lesart auszeichnet, die bei der ‹kanonischen› habenKonstruktion nicht beobachtet werden kann. Diese Lesart kann in Anlehnung an Leirbukt (1981) (vgl. auch oben Abs. 4.3) als dynamische Lesart bezeichnet werden. Die ‹dynamische› Interpretation der Sätze in (5-44) mit den direktionalen Adverbialen zeigt sich in Paraphrasen wie ‚Was soll in die Suppe reinkommen‘ (5-44a) bzw. ‚Ich will, dass die Kiste in den Keller kommt / gebracht wird ‚ (5-44b) o. ä. – Abschließend ist zu bemerken, dass sein-Konstruktionen im Gegensatz zu haben-Konstruktionen keine solche Möglichkeit der ‹Dynamisierung› durch modale Einbettung aufweisen (5-46b).11

11

In diesem Zusammenhang ist eine Konstruktion zu erwähnen, bei der ein direktional zu interpretierendes Adverbial als Prädikativum mit der Kopula sein verbunden werden kann – und zwar auch ohne modale Einbettung (i). (i) Die Kinder sind ins Schwimmbad. Eine entsprechende haben-Konstruktion ist nicht möglich (ii). (ii) *Ich habe die Kinder ins Schwimmbad. Mit (i) semantisch verwandt ist (iii), die Absentivkonstruktion, zu der ebenfalls keine haben-Variante bildbar ist (iv). (iii) Die Kinder sind schwimmen. (iv) *Ich habe die Kinder schwimmen. Die Verwandtschaft zwischen (i) und (iii) zeigt sich daran, dass in beiden Fällen statt sein auch gehen als Finitum eingesetzt werden kann, wobei dann «das absentive sein inferentiell als Resultat von (weg)gehen interpretiert werden kann» (Vogel 2007:258; Vogels Bemerkung bezieht sich allerdings nur auf die Variante mit Infinitiv, also auf Fälle wie Satz iii, nicht wie Satz i). Eine Erklärung für die Ungrammatikalität von (iv) – und eventuell analog dazu von (ii) – muss sich aus

219 (5-46) a. b.

Sie sagte, die Kiste soll/müsse in den Keller (kommen). *Sie sagte, die Kiste soll/müsse in den Keller sein.

Die in diesem Abschnitt angesprochenen semantischen Beschränkungen stellen kein Problem im Hinblick auf die Gültigkeit der in Kap. 2 formulierten Hypothese dar (vgl. Abs. 2.6.1: 2-120), doch sie werfen grundsätzliche Fragen zur Semantik von haben-Konstruktionen und absoluten mit-Konstruktionen auf, die im Rahmen weiterer Forschung zu thematisieren sind. Auch ist zu untersuchen, welche semantischen Beschränkungen sprachübergreifend gültig sind und welche einzelsprachspezifisch sind.

5.4

Adjunkte als Codakonstituenten

In diesem Abschnitt wird gezeigt, dass eine Teilmenge der Phrasen, die in der Codaposition der haben-Konstruktion und der absoluten mit-Konstruktion erscheinen können, nicht als SC-Prädikate, sondern als Adjunkte zu analysieren sind. Sie unterscheiden sich von SC-Prädikaten sowohl in syntaktischer als auch semantischer Hinsicht. Als Adjunkte in adverbialer Funktion können erstens PPs bzw. Adverbphrasen mit lokaler Semantik auftreten (5-47); im Weiteren erscheinen als-Phrasen grundsätzlich in adverbialähnlicher Funktion (5-48).12 (5-47) a. b.

dass wir jetzt einen Psychologen [Coda in jeder Abteilung] haben [Mit einem Psychologen [Coda in jeder Abteilung]] sind wir führend in der Umsetzung neuster Management-Tools.

(5-48) a. b.

dass ich jetzt eine Theologin [Coda als Vorgesetzte] habe [Mit einer Theologin [Coda als Vorgesetzter]] bin ich bei der Arbeit viel inspirierter.

Im Folgenden wird die Unterscheidung zwischen SC-Prädikaten einerseits und Adjunktphrasen andererseits, die beide in der Codaposition begegnen, syntak-

12

einer geeigneten Analyse von Absentivkonstruktionen ergeben, die hier nicht geleistet werden kann (vgl. Krause 2002, Vogel 2007). Die Tatsache, dass (nicht-adnominale) als-Phrasen allgemein eine syntaktische Distribution aufweisen, die derjenigen von Adverbialen nahe kommt, wurde öfter konstatiert (vgl. Flaate 2007:33–42 für einen Überblick über die Behandlung dieser Thematik in der Literatur). Beispielsweise hält die IdS-Grammatik fest, dass als-Phrasen eine adverbiale Funktion wahrnehmen können. Diese sind als «Verbgruppenadverbialia (mit Komplementbezug)» zu charakterisieren (Zifonun et al. 1997:1604).

220 tisch (Abs. 5.4.1) und semantisch (Abs. 5.4.3) begründet. Beobachtungen zur absoluten MIT-Konstruktion im Niederländischen stützen die Unterscheidung, werfen allerdings auch neue Fragen auf (vgl. Abs. 5.4.2).

5.4.1 Topologie Lokale Adverbiale und als-Phrasen weisen gegenüber SC-Prädikaten eine größere Bandbreite an syntaktischen Stellungsmöglichkeiten auf: In haben-Sätzen können sie nicht nur in der Codaposition, sondern auch in Positionen, die sich weiter links im Mittelfeld befinden, auftreten (5-49). (5-49) a. b.

dass wir (in jeder Abteilung) jetzt (in jeder Abteilung) einen Psychologen (in jeder Abteilung) haben dass ich (als Vorgesetzte) jetzt (als Vorgesetzte) eine Theologin (als Vorgesetzte) habe

Eine entsprechende Stellungsvarianz ist in Bezug auf SC-Prädikate – wie in Abs. 5.1 (s. die Beispiele in 5-2) schon angedeutet wurde – nicht gegeben (550b/c). (5-50) a. b. c.

dass er jetzt eine Hand im Gips hat *dass er jetzt im Gips eine Hand hat *dass er im Gips jetzt eine Hand hat

Im Weiteren können adverbiale PPs und als-Phrasen (5-51a/b), nicht aber SCPrädikate (c) ausgeklammert werden.13 13

Ähnliche Beobachtungen notiert Hoekstra (1987:235) zur Situation im Niederländischen. Die Diskussion in Hoekstra enthält dabei die Implikation, dass wohl von zwei homophonen Verben hebben (‚haben‘) ausgegangen werden muss. Neben hebben1, das syntaktisch einen SC einbettet und semantisch weit gehend entleert ist, muss ein weiteres Verb hebben2 angenommen werden, dass eine Besitz-Semantik ausdrückt. So ist (i) ambig zwischen ‚In Jans Garage ist ein Auto‘ (hier läge das Verb vor, das ich als hebben1 bezeichne) und ‚Jan besitzt ein Auto und dieses Auto steht in der Garage‘ (hebben2) (die Bedeutungsangaben stellen ungefähre Paraphrasen dar). (i) dat Jan een auto in zijn garage heeft ‚dass J. ein Auto in seiner Garage hat‘ (ii) dat Jan een auto heeft in zijn garage Für (ii) ist dagegen die ‚Besitz-Lesart‘ (die zweite Lesart) «strongly preferred» (Hoekstra 1987:235). Bei einer SC-Einbettung (in meiner Rekonstruktion: in einer Struktur mit hebben1) ist die Ausklammerung der PP somit nicht oder nur äußerst marginal möglich. (Diese Tatsache versucht Hoekstra durch geeignete Annahmen bezüglich der Rektion von Spuren zu erklären, was hier nicht weiterverfolgt werden soll.) Die Inakzeptabilität von (iii) mit ausgeklammerter PP erklärt sich nun

221 (5-51) a. b. c.

dass wir jetzt einen Psychologen haben in jeder Abteilung dass ich jetzt eine Theologin habe als Vorgesetzte *dass er jetzt eine Hand hat im Gips

In Bezug auf die absolute mit-Konstruktion ist nun aber festzustellen, dass PPs ebenso wie als-Phrasen generell platzfest sind, d. h. sie können innerhalb der mit-Phrase nicht links von der Dativ-NP stehen (5-52). (5-52) a. b.

*[Mit [in jeder Abteilung] einem Psychologen] sind wir führend in der Umsetzung neuster Management-Tools. *[Mit [als Vorgesetzter] einer Theologin] bin ich bei der Arbeit viel inspirierter.

Damit scheint eine Parallelisierung der haben-Konstruktion mit der absoluten mit-Konstruktion im hier betrachteten Datenbereich zunächst in Frage gestellt. Ein Blick auf die Datenlage im Niederländischen legt jedoch nahe, haben-Sätze und absolute mit-Konstruktionen, die eine als-Phrase bzw. eine lokale PP in adverbialer Funktion beinhalten, dennoch aufeinander zu beziehen.

5.4.2 Die absolute MIT-Konstruktion im Niederländischen In der niederländischen Absolutkonstruktion, deren Kopf met ‚mit‘ darstellt, können die erste Konstituente (die NP) und die zweite Konstituente grundsätzlich auch in ‹umgedrehter› Reihenfolge erscheinen (vgl. die b-Sätze in 5-53 und 5-54), sofern es sich bei der zweiten Konstituente um eine PP oder eine als-Phrase handelt (vgl. E-ANS,14 wo auch die Beispiele in 5-53, 5-54 und 5-55 entnommen sind). (5-53) a. b.

14

met dat zware gewicht op zijn rug ‚mit diesem schweren Gewicht auf seinem Rücken‘ met op zijn rug dat zware gewicht

dadurch, dass hier eine Besitzsemantik (anders gesagt: hebben2) ausgeschlossen ist und hebben1 wie festgestellt keine Ausklammerung aus dem SC erlaubt. (iii) *dat Jan de zon heeft in zijn gezicht ‚dass J. die Sonne hat im Gesicht‘ Obwohl Hoekstra nicht explizit zwei homophone hebben-Verben fordert, scheint mir eine solche – unattraktive – Annahme im Rahmen von Hoekstras Argumentation unvermeidlich. In Kap. 7 wird dafür argumentiert, dass haben (im Deutschen) nie Besitzsemantik ausdrückt, weshalb ich Hoekstras Ansatz nicht zur Grundlage meiner Analyse mache. 14.11.2010: http://www.let.ru.nl/ans/e-ans/

222 (5-54) a. b.

met een computer als onderwijzer ‚mit einem Computer als Lehrer‘ met als onderwijzer een computer

Stellt dagegen die zweite Konstituente eine Adjektivphrase dar, so ist eine ‹Umstellung› von erster und zweiter Konstituente nicht möglich (5-55). (5-55) a. b.

Met de poes ziek (…) ‚Mit kranker Katze …‘ *Met ziek de poes (…)

Dieselbe Beschränkung gilt auch, wenn der Kopf der Zweitkonstituente ein Partizip II oder eine Verbpartikel ist (vgl. E-ANS;15 Beukema/Hoekstra 1983:535f; Klein 1983:154f). Damit ist festzuhalten: In der niederländischen absoluten met-Konstruktion ist die Voranstellung all derjenigen Kategorien ausgeschlossen, die auch in der deutschen haben-Konstruktion nur in der Codaposition, nicht aber links davon im Mittelfeld erscheinen können: Verbpartikeln (vgl. oben Abs. 5.3.2, Bsp. 5-22), Adjektive (vgl. oben Abs. 5.3.1, Bsp. 5-18c) und Partizipien II (vgl. 5-56).16 (5-56)

*Ich habe seit drei Wochen eingebunden den Arm.

Dagegen sind als-Phrasen sowohl in der absoluten met-Konstruktion des Niederländischen als auch in der deutschen haben-Konstruktion vor die NP verschiebbar, die durch met bzw. haben eingebettet ist. Was PPs als Zweitkonstituenten betrifft, so konnte oben für das Deutsche festgestellt werden, dass sie in der haben-Konstruktion nur mit Einschränkungen nach links verschiebbar sind. So ist die PP im Haus im folgenden Satz nicht nach links verschiebbar, ohne dass eine weit reichende Uminterpretation des Satzes stattfinden muss (5-57).17

15

16

17

Die Autoren von E-ANS äußern sich wie folgt: Wenn es sich bei der zweiten Konstituente nicht um eine PP oder eine als-Phrase handelt, dann ist die ‹umgedrehte› Reihenfolge «niet of nauwelijks aanwezig» (nicht oder kaum gegeben) (14.11.2010: http://www.let.ru.nl/ans/e-ans/). Das hier beobachtete parallele syntaktische Verhalten von Adjektiv und Partizip II erklärt sich dadurch, dass ein Partizip II, das in der haben-Konstruktion die Codaposition besetzt, grundsätzlich als adjektivische Wortform zu analysieren ist (vgl. Kap. 4). Inwiefern der (b)-Satz überhaupt sinnvoll interpretierbar ist, mag fraglich sein. Dass er aber nicht als im strengen Sinne ungrammatisch, sondern als pragmatisch markiert einzustufen ist, zeigt (i). (i) Wir haben im Haus jetzt diesen seltsamen Psychologen. Die Akzeptabilität der Voranstellung einer PP innerhalb des Mittelfeldes hängt anscheinend von den semantischen Interpretationsmöglichkeiten ab, die der PP in einem gegebenen pragmatischen Kontext zugeschrieben werden können.

223 (5-57) a. b.

Wir hatten Mutter im Haus. #Wir hatten im Haus Mutter.

In einer analog dazu gebildeten absoluten met-Konstruktion im Niederländischen zeigt sich dieselbe Platzfestigkeit der entsprechenden PP (5-58).18 (5-58) a. b.

Met moeder in huis wordt onze vrijheid beperkt. ‚Mit Mutter im Haus wird unsere Freiheit eingeschränkt.‘ #Met in huis moeder wordt onze vrijheid beperkt.

Wie (5-58b) zeigt, kann die PP in huis im gegebenen Beispiel innerhalb der absoluten met-Konstruktion nicht vor der NP stehen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: In Bezug auf die Beweglichkeit der Codakonstituenten zeigt die absolute met-Konstruktion im Niederländischen das Bild, das man aufgrund der Datenlage in deutschen haben-Konstruktionen für die absolute mit-Konstruktion im Deutschen (auch) erwarten dürfte. Die niederländischen Daten stützen so indirekt eine parallele Analyse von haben- und mit-Konstruktionen im Deutschen. Allerdings ist auch festzustellen, dass die Konstituentenfolge in der absoluten mit-Konstruktion sowohl gegenüber der haben-Konstruktion als auch gegenüber der absoluten met-Konstruktion im Niederländischen beschränkt ist: Die Codakonstituente kann in der absoluten mit-Konstruktion generell nicht vor der Dativ-NP erscheinen. Dieser Befund wird durch die hier vorgenommene Analyse nicht vorhergesagt, d. h. die Gründe für die Beschränkung sind unklar.19 Im Folgenden werden einige Erklärungsansätze für die Unterschiedlichkeit von Deutsch und Niederländisch in Bezug auf die Syntax der absoluten MIT-Konstruktion kurz diskutiert, wobei aber schon hier festzuhalten ist, dass keiner der Ansätze letztlich zu überzeugen vermag. Klein (1983:154) deutet vage an, dass die Möglichkeit der ‹umgekehrten Abfolge› in der niederländischen Absolutkonstruktion mit dem typologischen Charakter des Niederländischen als SOV-Sprache zusammenhängen könnte (vgl. auch Beukema/Hoekstra 1983:535) – dies unter Verweis darauf, dass in

18 19

Das Beispiel stammt von Aja van Bladel, p. c. (Markierung des b-Satzes mit ‹#›: M.B.). An dieser Stelle kann darauf hingewiesen werden, dass absolute Konstruktionen im Deutschen nicht generell der Bedingung einer starren Abfolge ihrer Teilkonstituenten unterliegen. Dies zeigt sich beim sog. absoluten Akkusativ (vgl. u. a. Zifonun et al. 1997:2224–2226; Bausewein 1990:77–79; Kortmann 1988; Dittmer 1980), wo auch beispielsweise die Abfolge PP – NP möglich ist (ii). (i) Die Füße auf dem Tisch, blätterte er lustlos in einem Heft. (aus DudenGrammatik 2005:910) (ii) Auf dem Tisch die Füße, blätterte er lustlos in einem Heft. Zu Unterschieden zwischen der absoluten mit-Konstruktion und dem absoluten Akkusativ vgl. die knappen Bemerkungen in Egorova (2006:202).

224 der SVO-Sprache Englisch die Abfolge PP vor Subjekt in absoluten Konstruktionen nicht möglich sei. Ein erklärender Zusammenhang erscheint allerdings schwer vorstellbar, und schon eine entsprechende Korrelation ist empirisch wohl schlicht falsch: In der SVO-Sprache Französisch ist die umgekehrte Abfolge grundsätzlich möglich (vgl. Ruwet 1982:95), im Deutschen, anders als im Niederländischen, nicht – obwohl beide Sprachen dem SOV-Typ zuzurechnen sind. Ein anderer Erklärungsansatz könnte die im Deutschen fehlende Möglichkeit der ‹umgekehrten Abfolge› der SC-Konstituenten in der absoluten mit-Konstruktion aus der Kasustheorie ableiten. So gilt in Bezug auf das Kasusregens (mit) einerseits und die regierte NP (das SC-Subjekt) andererseits offenbar eine Adjazenzbedingung (vgl. oben Abs. 2.6.3). Der Grund für die Notwendigkeit adjazenter Stellung könnte darin bestehen, dass im Deutschen – im Gegensatz zum Niederländischen oder auch zum Französischen – der von mit regierte Kasus nicht bloß abstrakt abgeglichen wird, sondern morphologisch sichtbar ist. Allerdings wäre eine auf diese Weise begründete Beschränkung typologisch auffällig, da morphologisch differenzierte Kasusmarkierung gewöhnlich mit mehr ‹Stellungsfreiheit› für NPs, und gerade nicht mit einer restringierteren Konstituentenabfolge einhergeht. Da das Niederländische gegenüber dem Deutschen – abgesehen von pronominalen Paradigmen – nur noch resthaft eine morphologische Kasusmarkierung kennt, kann ein solcher Ansatz nicht befriedigen.20 Ein anderer Erklärungsansatz könnte auf der Annahme beruhen, dass sich die absolute mit-Konstruktion im Deutschen durch eine minimale Struktur auszeichnet. So kann vermutet werden, dass zwischen der Projektion des SCKopfes (der Relator-Phrase) und der Projektion des mit-Kopfes keine weitere funktionale Projektion aufgespannt werden kann, sodass grundsätzlich keine potentiellen Landeplätze für Bewegungen zur Verfügung stehen.21 Im Rahmen 20

21

Zu erwägen wäre die Möglichkeit, dass es sich beim niederländischen met und beim französischen avec in der Absolutkonstruktion nicht um Präpositionen und damit nicht um Kasuszuweiser handelt, sondern um eine Art Konjunktion, die auf absolute Konstruktionen ‹spezialisiert› ist. Der Abgleich des (abstrakten) Kasus der NP findet unter dieser Annahme unabhängig von met/avec statt – wie, wäre noch zu klären. In diesem Fall könnte von einer universellen Adjazenzbedingung zwischen einer Präposition P und der von P regierten NP ausgegangen werden. Diese Adjazenzbedingung führt zu den im Deutschen beobachteten Abfolgebeschränkungen. Dass diese im Französischen und Niederländischen nicht gelten, rührt dann daher, dass in diesen Sprachen die Absolutkonstruktion nicht von einer Präposition eingeleitet wird, weshalb die Adjazenzbedingung gar nicht appliziert. Die Möglichkeit der Adjunktion innerhalb von SCs wäre dabei allerdings vorzusehen. (i) mit den Händen locker auf dem Tisch

225 einer solchen Argumentation könnte auf die Tatsache verwiesen werden, dass eine absolute mit-Konstruktion neben dem Prädikatsausdruck nur ein einziges Argument beinhalten kann (vgl. Abs. 4.4.2). Dies könnte damit zusammenhängen, dass die funktionale Struktur, die zur Lizenzierung eines zweiten Arguments notwendig wäre, nicht aufgebaut werden kann. Überlegungen dieser Art bleiben an der Stelle allerdings sehr spekulativ und können nur durch weitere Forschung erhärtet (oder falsifiziert) werden. Auch bleibt die Frage zu beantworten, wie es zu erklären ist, dass sich beispielsweise Deutsch einerseits und Niederländisch andererseits in Bezug auf die Möglichkeiten des Strukturaufbaus innerhalb der absoluten MIT-Konstruktion unterscheiden.

5.4.3 Semantik In Abs. 5.4.1 wurde ein topologisches Argument zur Unterscheidung zweier distinkter Klassen von Codakonstituenten präsentiert. In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, dass die genannte Unterscheidung auch aus semantischer Sicht notwendig ist.

5.4.3.1 Adverbiale Präpositionalphrasen Prädikate denotieren Eigenschaften (d. h. Mengen) von Entitäten. (5-1d) – hier wiederholt als (5-59) – macht deutlich, dass Codakonstituenten von habenKonstruktionen nicht generell als Prädikate interpretierbar sind.22 (5-59)

Er hat eine Freundin in jeder europäischen Hauptstadt.

Wäre die PP in jeder europäischen Hauptstadt ein Prädikat, so würde es dem Argument eine Freundin die Eigenschaft zuschreiben, in jeder europäischen Hauptstadt zu sein. Eine solche Lesart ist für (5-59) aber wohl grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Francez 2009). Verallgemeinert ist anzunehmen, dass PPs, die einen quantifizierenden Ausdruck enthalten, nicht als Prädikate in Frage kommen. Daraus ergibt sich die Voraussage, dass solche PPs – anders als Prä-

22

(ii) mit dem Messer drohend in der Hand Geht man davon aus, dass Bewegungen innerhalb der absoluten mit-Konstruktion im Deutschen generell ausgeschlossen sind, ist man gezwungen, Adjunktion von Phrasen mit adverbialer Funktion, wie das Adjektiv locker in (i) oder das Partizip drohend in (ii), innerhalb der Relator-Phrase zu erlauben. Zur Abgrenzung gegenüber Konstruktionen, in denen eine der Akkusativ-NP nachgestellte PP die Funktion eines Attributs wahrnimmt und damit Teilkonstituente der Akkusativ-NP ist, vgl. oben Abs. 2.4.2.

226 dikate – in haben-Sätzen nicht auf die Codaposition beschränkt sind, sondern innerhalb des Mittelfeldes auch Positionen links der Codaposition einnehmen können.23 Dies ist tatsächlich der Fall (5-60). (5-60) a. b. c.

Er hat in jeder europäischen Hauptstadt eine Freundin. Sie haben in manchen Abteilungen einen Psychologen. Wir haben nur in einem Zimmer einen Telefonanschluss.

In ähnlicher Weise lässt sich auf der Grundlage von haben-Sätzen argumentieren, die mehrere PPs enthalten (5-61). (5-61) a. b.

Er hat in jedem Pazifikstaat genau zwei Freundinnen in fast jedem Hafen. Er hat in jedem Pazifikstaat in fast jedem Hafen genau zwei Freundinnen.

In (5-61a) erscheint eine erste PP links der Akkusativ-NP und eine zweite PP in der Coda; in (b) stehen beide PPs links der Akkusativ-NP. Es liegt nahe, die beiden PPs aufgrund ihrer syntaktischen Gestalt und ihres semantischen Beitrags zum Satz in paralleler Weise zu analysieren. Würden nun beide PPs Prädikate darstellen, die je die Denotation einer Eigenschaft zur Satzbedeutung beitragen, so müssten die Sätze in (5-61) jeden der Sätze in (5-62), in denen jeweils eine PP fehlt, implizieren. (5-62) a. b.

Er hat genau zwei Freundinnen in fast jedem Hafen. Er hat in jedem Pazifikstaat genau zwei Freundinnen.

Es ist aber festzustellen, dass keine solche Implikation gilt (vgl. Francez 2009:31 für eine analoge Argumentation im Hinblick auf Existenzsätze). Der semantische Beitrag, den die PPs in den Sätzen in (5-61) leisten, ist offensichtlich anderer Natur als der von Prädikaten.24 Informell ausgedrückt, schränken

23

24

Die Umkehrung dieser Verallgemeinerung gilt nicht: Es ist nicht so, dass nur Codakonstituenten mit einem quantifizierenden Ausdruck die genannte Stellungsvariabilität zeigen. (i) dass er eine schwere Kiste auf dem Rücken hatte (ii) dass er auf dem Rücken eine schwere Kiste hatte Die PP auf dem Rücken enthält keinen quantifizierenden Ausdruck, sondern einen ‹pseudo-definiten› Artikel (vgl. Abs. 3.6.4), wie er vor Körperteilbezeichnungen oft begegnet (vgl. u. a. Vergnaud/Zubizarreta 1992, Payne/Barshi 1999, Koenig 1999, Guéron 2003). Diese PP kann sowohl in der Codaposition (i) als auch in einer Position links davon (ii) erscheinen. Die Argumente gegen den Prädikatstatus der hier diskutierten PPs lassen sich auf absolute mit-Konstruktionen übertragen. Somit ist klar, dass die PP in jeder europäischen Hauptstadt in (i) nicht als SC-Prädikat aufgefasst werden kann. (i) [Mit einer Freundin in jeder europäischen Hauptstadt] kann er nur selten an seiner spirituellen Entwicklung arbeiten.

227 die PPs in (5-61) die Gültigkeit der gemachten Aussage auf bestimmte lokale Bereiche ein. Damit ähneln sie Rahmenadverbialen (frame-setting modifiers), zu denen Maienborn (2001:194) festhält: «Frame-setting modifiers are not part of what is properly asserted but restrict the speaker’s claim.» Damit erklärt sich auch, dass die Auslassung von Rahmenadverbialen nicht notwendigerweise wahrheitswerterhaltend ist (vgl. Maienborn 2001:194), wie oben mit (5-62) deutlich wurde. Weiter ist festzuhalten, dass Rahmenadverbiale propositionsbezogen sind. Damit ist gemeint, dass die Funktion von beispielsweise lokalen Rahmenadverbialen «in der Setzung eines lokalen Rahmens für die gesamte Proposition» besteht (Maienborn 2003:77).25 Dies wird beim folgenden Beispiel deutlich (5-63). (5-63)

In der Schweiz haben alle richtigen Männer ein Sturmgewehr unter dem Bett.

Die Gültigkeit der Proposition, die mit alle richtigen Männer haben ein Sturmgewehr unter dem Bett ausgedrückt wird, wird durch das Rahmenadverbial auf einen lokalen Bereich, die Schweiz, eingeschränkt. Etwas anders verhält es sich bei den Adverbialen in den Sätzen in (5-64). (5-64) a. b.

Sie hatte an jedem Finger einen Ring. Er hatte auf dem Rücken eine schwere Kiste.

Die PPs an jedem Finger und auf dem Rücken bezeichnen nicht den lokalen Bereich, innerhalb dessen die Proposition, die der jeweilige Gesamtsatz ausdrückt, Gültigkeit hat. Dies deshalb, da die Subjektsreferenten in den Sätzen in (5-64) zweifellos nicht dem lokalen Bereich zuzuordnen ist, der durch die PPs in den beiden Sätzen jeweils abgegrenzt wird. Vielmehr «beschränken [lokale Modifikatoren wie die PPs in (5-64); M.B.] die Anwendung des Kommentars auf einen räumlichen Teilausschnitt ihres Bezugsreferenten» (Maienborn 2003:78, Fn. 12).26 Dennoch gilt meines Erachtens auch für diese adverbialen

25

26

Zu den Konsequenzen dieses Befundes vgl. Abs. 5.5. Bestimmte Rahmenadverbiale können nicht (nur) einen lokalen, sondern (auch) einen temporalen Rahmen für die Gültigkeit einer Proposition setzen (das Beispiel einer als-Phrase in dieser Funktion folgt gleich unten). Zu Rahmenadverbialen vgl. auch Frey/Pittner (1998). Maienborn führt dazu als Beispiele Kopulasätze wie in (i) sowie den haben-Satz (ii) an. (i) Paul ist auf dem rechten Ohr taub. (ii) Das Buch hat im ersten Kapitel viele Fehler. Die hier auftretenden lokalen PPs bezeichnet Maienborn als «mit rahmensetzenden Modifikatoren verwandt» (Maienborn 2003:78, Fn. 12). Ebenfalls hier einzuordnen sind die in Abs. 2.6.2 angesprochenen ‹subjektzentrierten› mit-Phrasen.

228 PPs ein Propositionsbezug: Die Proposition, deren Gültigkeit restringiert wird, ist allerdings nicht die Satzproposition, sondern die Proposition, die durch den von haben eingebetteten SC ausgedrückt wird. Für die Auffassung, dass das Komplement von haben auch in Sätzen mit (phonetisch) leerer Coda wie in (564) einen propositionalen SC darstellt, wird unten in Abs. 5.5 sowie in Kap. 6 argumentiert. Dass ein lokales Adverbial grundsätzlich geeignet ist, die Gültigkeit einer durch einen SC ausgedrückten Proposition einzuschränken, wird in (5-65) deutlich. (5-65) a. b.

Ich habe an einem meiner Fahrräder [den Vorderreifen platt]. Dank meiner Katze habe ich in zwei Zimmern [die Vorhänge in Fetzen].

Die geklammerten Konstituenten in (5-65a bzw. b) stellen jeweils einen SC dar, der die Proposition ‚der Vorderreifen ist platt‘ bzw. ‚die Vorhänge sind in Fetzen‘ ausdrückt. Bei den Codakonstituenten handelt es sich um Prädikate zur NP den Vorderreifen bzw. die Vorhänge, wofür oben hinreichend argumentiert wurde (vgl. Kap. 3 zu adjektivischen Codas wie platt in 5-65a und Abs. 5.3.1 zur PP in Fetzen). Die lokalen PPs in (5-65a bzw. b) restringieren dabei die Gültigkeit der im SC ausgedrückten Proposition.27 Um eine begriffliche Abgrenzung vom Typus des Rahmenadverbials im engeren Sinne, wie es beispielhaft in (5-63) vorliegt, vorzunehmen, bezeichne ich die hier zur Diskussion stehenden Adverbiale als restringierende Adverbiale.

5.4.3.2 Als-Phrasen Die Diskussion im letzten Abschnitt basierte auf Lokaladverbialen. Nun ist zu fragen, ob als-Phrasen, die sich ja syntaktisch in haben-Sätzen parallel zu den restringierenden Lokaladverbialen verhalten (vgl. Abs. 5.4.1), auch semantisch eine Funktion wahrnehmen, die derjenigen restringierender Adverbiale ver-

27

Aufgrund syntaktischer Beschränkungen, die in Abs. 5.4.2 diskutiert wurden, ist in der absoluten mit-Konstruktion die in (5-65) vorliegende Konstituentenfolge nicht möglich (vgl. i mit 5-65b). (i) *Mit in zwei Zimmern den Vorhängen in Fetzen … In der absoluten mit-Konstruktion darf ein hinzugefügtes Adverbial nicht zwischen mit und der Dativ-NP intervenieren. Es kann aber rechts von der Dativ-NP adjungiert werden (ii). (ii) Mit den Vorhängen in zwei Zimmern in Fetzen … Die in (ii) vorliegende Konstituentenfolge ist im haben-Satz erwartungsgemäß auch möglich (iii). (iii) Dank meiner Katze habe ich die Vorhänge in zwei Zimmern in Fetzen.

229 gleichbar ist. Zunächst ist festzuhalten, dass als-Phrasen die Gültigkeit der Satzproposition auf einen bestimmten zeitlichen Bereich eingrenzen können (5-66). (5-66)

Als Kind hat er täglich Spinnen gefangen.

In einer Lesart (neben anderen, vgl. Flaate 2007:129f) weist die als-Phrase in (5-66) eine temporale Interpretation auf, die als ‚(zu der Zeit) als er ein Kind war‘ paraphrasierbar ist. Damit ist die als-Phrase hier einem Rahmenadverbial vergleichbar.28 Die Setzung eines solchen zeitlichen Rahmens in Bezug auf die im SC-Komplement von haben ausgedrückte Proposition scheint nicht möglich, dies allerdings aus unabhängigen Gründen: SCs zeichnen sich nach verbreiteter Auffassung dadurch aus, dass sie – anders als ‹vollständige› Sätze – über keine temporal-funktionale Struktur (d. h. insbesondere über keine TP) und damit über keine Spezifikation von Tempusmerkmalen verfügen (vgl. Progovac 2006:61; Lundin 2003:16). – Als lokale Rahmensetzer kommen als-Phrasen wohl grundsätzlich nicht in Frage. Damit ist die Funktion von als-Phrasen als restringierende Adverbiale in Bezug auf die SC-Proposition im haben-Satz prinzipiell ausgeschlossen. Eine andere wichtige Funktion von als-Phrasen ist es, semantische Unterspezifikationen im Satz aufzulösen (5-67). (5-67) a. b.

Oskar ist bestechlich. Als Polizist ist Oskar bestechlich.

Um Unterschied zu (5-67a) wird in (b) durch die als-Phrase die Bestechlichkeit des Subjektsreferenten auf dessen Rolle als Polizist beschränkt – in seiner Rolle als Leiter eines Pokerclubs mag Oskar dabei gleichzeitig unbestechlich sein (vgl. Jäger 2003:577f). Als-Phrasen in haben-Sätzen scheinen insbesondere diese ‹spezifizierende› Funktion auszuüben (vgl. Burton 1995:88–98). Auf diese Weise kann eine als-Phrase die Interpretation des haben-Satzes in erheblichem Maße steuern (5-68).

28

Die als-Phrase im gegebenen Beispiel ist nach Flaate (2007:129) als ‹satzadverbiales als-Prädikativ› einzuordnen. Zu dieser Gruppe gehören als semantische Unterklasse auch die als-Phrasen in der Funktion von Rahmenadverbialen nach Flaates Begrifflichkeit. Beispiele wie die als-Phrase in (5-66) ordnet Flaate aber nicht als Rahmenadverbiale ein. Die Funktion eines Rahmenadverbials nimmt gemäß Flaate die als-Phrase in (i) wahr (aus Flaate 2007:92, Originalbeleg, Kürzung M.B.). (i) Das wurde möglich, weil als Kompromiß Ex-Intendant Nowottny … nominiert wurde. Aus der Diskussion in Flaate (2007:91f und 130) wird nicht völlig klar, wie alsPhrasen in der Funktion von Rahmenadverbialen gegenüber anderen satzadverbialen Verwendungsweisen von als-Phrasen ihrer Auffassung nach zu charakterisieren sind.

230 (5-68) a. b.

Ich hatte Oskar #(als Übungspartner). Der künstliche Baum in der Halle hat Dollarnoten #(als Blätter).

Die Sätze in (5-68) sind ohne als-Phrase in vielen pragmatischen Kontexten nur schwer interpretierbar, während sie bei Hinzufügung der als-Phrase als unmarkiert gelten dürften. Andererseits gelingt unter spezifischen Kontextbedingungen eine Interpretation durchaus auch bei fehlender als-Phrase (die Auslassung der als-Phrase führt somit nicht zu Ungrammatikalität). Beispielsweise ist (5-68a) ohne als-Phrase interpretierbar in einem Kontext, wo unter Arbeitskollegen über den letzten Personalschulungskurs diskutiert wird und jemand soeben geäußert hat, dass er Anna als Partnerin bei einer bestimmten Übung zugeordnet bekommen hatte. Die Äußerung Und ich hatte Oskar kann nun leicht im Sinne von (5-68a) (mit als-Phrase) interpretiert werden. Dies bedeutet, dass eine als-Phrase Informationen liefert, die in ähnlicher Weise auch durch den pragmatischen Kontext beigesteuert werden können. Ist dieser hinreichend spezifisch, glückt eine Äußerung wie diejenige in (5-68a bzw. b), sonst muss eine als-Phrase (oder gegebenenfalls ein anderes sprachliches Mittel) den Interpretationsspielraum einschränken (vgl. auch Zoeppritz 1981:118f für ähnliche Überlegungen; vgl. im Weiteren unten Abs. 7.2.2). Da die als-Phrasen in den Beispielen in (5-67b) und (5-68) ihre spezifizierende Funktion in Bezug auf eine nominale Bezugsgröße im Satz – das Satzsubjekt in (5-67a) bzw. die Akkusativ-NP in (5-68) – entfalten, sind sie sekundären Prädikaten vergleichbar.29 Die Unterscheidung zwischen sekundären Prädikaten einerseits und Adverbialen andererseits kann hier nicht thematisiert werden (vgl. dazu die grundsätzlichen Bemerkungen in Pittner 1999:53f und 97f und die Diskussion der Problematik in Bezug auf als-Phrasen in Flaate 2007:34–42). Entscheidend ist hier, dass eine als-Phrase grundsätzlich nicht als Prädikat in einem unter haben eingebetteten SC erscheinen kann. Für diese Auffassung sprechen nicht nur die syntaktischen Stellungseigenschaften der als-Phrasen in haben-Sätzen (vgl. Abs. 5.4.1), sondern auch die Gegenüberstellung von Codakonstituenten, die unzweifelhaft als SC-Prädikate einzuordnen sind, einerseits, und als-Phrasen in der Codaposition von haben-Sätzen andererseits. (5-69) a. b.

Ich habe den Mantel in Fetzen. (vgl. oben Bsp. 5-17) *Ich habe den Mantel als einen Fetzen Stoff.

(5-70) a. b.

Ich habe mein Auto total kaputt. (vgl. Kap. 3) *Ich habe mein Auto als totalen Schrotthaufen.

29

Vgl. die von Flaate (2007) gewählte Bezeichnung ‹als-Prädikativ› für jede Verbindung von als + NP, die semantisch nicht zum Ausdruck eines Vergleichs verwendet wird.

231 (5-71) a. b.

Ich habe die Wunde geschwollen. (vgl. Kap. 4) *Ich habe die Wunde als Schwellung.

In den (a)-Sätzen der Beispielpaare (5-69)–(5-71) stellt die Codakonstituente ein präpositionales (5-69), ein adjektivisches (5-70) bzw. ein partizipiales SCPrädikat (5-71) dar. Die (b)-Sätze zeigen, dass eine Ersetzung der Prädikate durch eine als-Phrase, die hinsichtlich der lexikalischen Semantik eng verwandt ist mit dem jeweiligen Prädikat, unmöglich ist. Aufgrund der obigen Überlegungen ist davon auszugehen, dass als-Phrasen in haben-Sätzen nie die Funktion eines SC-Prädikats wahrnehmen, sondern syntaktisch immer Adjunkte darstellen.30 Dies gilt auch dann, wenn sie die Codaposition von haben-Sätzen (bzw. von absoluten mit-Konstruktionen) besetzen. Ebenfalls als Adjunkte aufzufassen sind die oben als restringierende Adverbiale charakterisierten Präpositionalphrasen.

5.5

Konsequenzen und offene Fragen

Aus den Überlegungen in diesem Kapitel ergibt sich folgendes Bild. Nichtflektierbare können den Kopf von Phrasen bilden, die als Codakonstituenten in haben-Konstruktionen und in absoluten mit-Konstruktionen erscheinen. Eine Reihe dieser Codakonstituenten sind als Prädikate zu analysieren: Sie bilden im SC, der das Komplement von haben bzw. mit darstellt, das Prädikat, während

30

Nach Flaate (2007) kann eine überschaubare Gruppe von Verben einen SC selegieren, der eine als-Phrase in der Funktion des Prädikats enthält (genauer gesagt stellt die Schwester-NP des als-Kopfes das SC-Prädikat dar; vgl. die u. a. an Bowers 1993, 2001 angelehnte Analyse von Flaate 2007:Kap. 6). Verben dieser semantisch «recht homogene[n]» Gruppe bezeichnen «auf einer Skala zwischen Wahrnehmung und Interpretation eine (mehr oder weniger) subjektive Einschätzung» (Flaate 2007:66). Hier können beispielsweise abtun, betrachten, empfinden oder interpretieren (i) eingeordnet werden. (i) Er interpretierte die Antwort als Kapitulation. Die als-Phrase in (i) ist nach Flaate als verbselegiertes als-Prädikativ aufzufassen. Als-Prädikative, die unabhängig von Verben der genannten Gruppe auftreten, weisen dagegen Adjunktstatus auf (Flaate 2007:218). Haben ist zweifellos nicht der Gruppe der Verben zuzuschlagen, die als-Prädikative selegieren: Erstens trifft die oben gegebene, allgemeine semantische Charakterisierung der betreffenden Verben auf haben nicht zu, zweitens gilt die folgende syntaktische Generalisierung – wie in Abs. 5.4.1 schon gezeigt wurde – für als-Phrasen in haben-Sätzen nicht: Verbselegierte als-Prädikative «stehen möglichst weit rechts im Mittelfeld» (Flaate 2007:74).

232 die Akkusativ-NP (im haben-Satz) bzw. die Dativ-NP (in der absoluten mitKonstruktion) als Argument zum Prädikat auftritt. Andere Codakonstituenten mit einem nichtflektierbaren Wort als Kopf stellen keine SC-Prädikate dar: Bei bestimmten PPs sowie bei allen als-Phrasen in der Coda handelt es sich syntaktisch um Adjunkte, die daher im Mittelfeld von haben-Sätzen nicht an die Codaposition gebunden sind. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass in den folgenden Sätzen in (5-72) und (5-73) die geklammerten Ausdrücke, die Komplemente von haben bzw. von mit darstellen, – anscheinend – kein Prädikat, sondern nur einen Argumentausdruck (ein- Fernseher bzw. Opa) sowie eine Adjunktphrase enthalten. (5-72) a. b.

Ich habe [einen Fernseher in jedem Zimmer der Wohnung]. Mit [einem Fernseher in jedem Zimmer der Wohnung] kann ich 24 Stunden am Tag fernsehen.

(5-73) a. b.

Wir haben [Opa als Vertretung]. Mit [Opa als Vertretung] können wir getrost in die Ferien fahren.

Damit erscheint eine Analyse der geklammerten Ausdrücke als SCs zunächst einmal in Frage gestellt. Dies deshalb, da die Kategorie Small Clause in dieser Arbeit (im Anschluss an einschlägige generative Arbeiten; vgl. Abs. 2.4.3 und die dort zitierte Literatur) als syntaktische Realisierung der Relation zwischen einem einstelligen Prädikat und einem Argument aufgefasst wird. Es ergeben sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder die SC-Analyse ist für die Sätze (5-72a) und (5-73a) – und damit für eine Teilklasse der haben-Konstruktionen – aufzugeben, oder die genannten Sätze (und ebenso die mit-Phrasen in den entsprechenden b-Sätzen) beinhalten ein phonetisch leeres (stilles) SCPrädikat. Ich werde in den folgenden Kapiteln 6 und 7 (vgl. Abs. 7.3.2) für die zweite Lösung argumentieren. Als erste Evidenz für eine solche Auffassung kann die folgende Beobachtung angeführt werden: Die mit-PPs in (5-72b) und (5-73b) lassen sich als Absolutkonstruktionen auffassen, da sie sich mit den haben-Sätzen in (a) paraphrasieren lassen (vgl. Abs. 2.5.1) (beispielsweise in Bezug auf 5-72b: ‚Da ich einen Fernseher in jedem Zimmer der Wohnung habe, …‘); dabei dürfte die Lesart als Absolutkonstruktion für die mit-PPs in (5-72b)/(5-73b) pragmatisch auch nahe liegender sein als beispielsweise eine komitative oder instrumentale Semantik (vgl. dazu Abs. 2.5.4). Die gegebene Paraphrase legt nahe, dass die paraphrasierte mit-PP eine vollständige Proposition beinhaltet. Die Propositionalität der mit-PP spricht wiederum für eine syntaktische Analyse als SC. Der damit angedeutete Argumentationsgang wird unten in Abs. 6.2 weiterentwickelt. An dieser Stelle bleibt noch auf offene Fragen hinzuweisen, die in Zusammenhang stehen mit den in diesem Kapitel thematisierten Konstruktionen. Nicht diskutiert wurde hier etwa die Frage, wie die Stellungsvariabilität der in

233 Abs. 5.4 betrachteten Adjunktphrasen zu modellieren ist. Zwei Möglichkeiten sind zu prüfen: Die betreffenden Adjunkte können in verschiedenen Positionen in den Satz integriert werden, oder sie werden in einer bestimmten Position basisgeneriert, können dann aber – optional – in andere Positionen verschoben werden (einen solchen Analyseansatz, der Scrambling von Adjunkten vorsieht, bietet Frey 2003). Die hier vertretene Analyse von haben-Konstruktionen ist grundsätzlich mit beiden theoretischen Lösungsansätzen vereinbar. In Bezug auf die Diskussion von als-Phrasen stellt sich die Frage nach der Funktion von als. Nach Burton hat as im Englischen als Kopf von Phrasen, die den deutschen als-Phrasen entsprechen, eine rein syntaktische Funktion: As ermöglicht die Integration einer NP als Adjunkt in einen Satz, da eine nicht von as begleitete Adjunkt-NP keinen Kasus tragen und so zur Ungrammatikalität des Satzes führen würde (Burton 1995:91f). Im Rahmen eines solchen Ansatzes besitzt als die Funktion eines Kasuszuweisers (oder ‹Kasusübermittlers›) (eine detaillierte Theorie der Kasuszuweisung in als-Phrasen entwickelt Flaate 2007:Kap. 8). Im Weiteren könnte als eine semantische Funktion wahrnehmen, so etwa die Herstellung eines geeigneten semantischen Typs auf der Grundlage einer NP (vgl. Jäger 2003:569). Hierbei ist im Hinblick auf das Deutsche insbesondere die in als-Phrasen oft begegnende Artikellosigkeit der eingebetteten NP und die damit verbundene Semantik zu berücksichtigen (vgl. die Diskussion artikelloser NPs in Präpositionalphrasen in Abs. 3.6 und die dort angeführte Literatur).

6

Haben + NP

6.1

Einleitung

Gegenstand dieses Kapitels sind haben-Konstruktionen, die neben dem Vollverb haben und dem Satzsubjekt (sowie gegebenenfalls ‹frei hinzugefügten› Adjunkten) nur eine Akkusativ-NP beinhalten. Beispiele für solche haben-Sätze sind in (6-1) aufgeführt. (6-1)

a. b. c. d. e.

Sie hat einen Studierendenausweis. Sie hat jetzt doch das Kind. Sie hat eine rote Nase. Sie hat die Hoffnung, das Buch in einem Antiquariat zu finden. Sie hat Durst.

Anders gesagt: Diesen haben-Sätzen ist gemeinsam, dass sie keine Codakonstituente enthalten (vgl. Abs. 2.4.1). Neben dieser Gemeinsamkeit sind sowohl auf syntaktischer als auch semantischer Ebene Unterschiede zwischen den Beispielen festzustellen. Die Akkusativ-NP kann von einem indefiniten (6-1a) oder einem definiten Artikel (b) begleitet sein und entsprechend definit oder indefinit interpretiert werden. (6-1a) drückt im Weiteren eine Relation alienabler Zugehörigkeit zwischen dem Subjektsreferenten (Possessor) und dem Referenten der Akkusativ-NP (Possessum) aus. Im Unterschied zu (6-1a) besteht in (c) zwischen den Referenten der NP-Argumente des Satzes eine inalienable Zugehörigkeitsbeziehung.1 Sie verweist – zumindest ist dies pragmatisch nahe liegend – auf einen menschlichen Possessor, während die Possessum-Phrase einen Körperteil bezeichnet. Anders als in (6-1a/b) wird die Zugehörigkeitsrelation nicht assertiert, sondern präsupponiert. Dies ist u. a. daraus ersichtlich, dass die Auslassung des Adjektivs in (6-1c) zu pragmatischer Markiertheit führt (vgl. ausführlicher dazu Abs. 3.5.3): #Sie hat eine Nase. In Kap. 3 wurden Konstruktionen wie (6-1c) in der Weise analysiert, dass das pränominal stehende Adjektiv semantisch als Prädikat – nicht als Attribut – zum Bezugsnomen aufzufassen ist. Die pränominal-attributive Realisierung des Adjektivs ist das Ergebnis eines Optimierungsprozesses an der Syntax-Semantik-Schnittstelle. Konstruktionen,

1

Zu einer typologisch orientierten Diskussion der Unterscheidung von alienabler und inalienabler Zugehörigkeit sowie weiterer inhaltlich bestimmter Zugehörigkeitsklassen vgl. Stassen (2009).

236 wie sie in (6-1c) illustriert sind, bleiben im Folgenden außer Betracht, da sie ausführlich in Kap. 3 behandelt wurden. In (6-1d) liegt mit die Hoffnung haben eine Verbindung vor, die als Funktionsverbgefüge (FVG) eingeordnet werden kann (vgl. Duden-Grammatik 2005:426). Auch eine Verbindung wie Durst haben in (6-1e) wird manchmal als FVG betrachtet.2 In beiden Fällen bilden haben und die Akkusativ-NP eine Kollokation, die sich durch eine gewisse ‹Festigkeit› auszeichnet (vgl. Burger 2003:51; vgl. auch oben Abs. 2.3.2 sowie zu Funktionsverbgefügen mit präpositional angeschlossenem Nomen Abs. 5.3.3). Dieses Kapitel ist wie folgt aufgebaut. Gegenstand von Abs. 6.2 sind solche haben-Konstruktionen, in denen zwischen dem Subjektsreferenten und dem Referenten der Akkusativ-NP eine Zugehörigkeitsrelation (in einem weiten Sinne) assertiert wird (vgl. 6-1a/b). Es wird gezeigt, wie sich diese Konstruktionen im Rahmen der in Kap. 2 formulierten Hypothese analysieren lassen (vgl. 2-120 in Abs. 2.6.1). Abs. 6.3 und 6.4 sind (einer Auswahl von) Funktionsverbgefügen, die mit haben gebildet werden, gewidmet (vgl. 6-1d/e). In Abs. 6.3 wird gezeigt, dass sich Funktionsverbgefüge syntaktisch im Grundsatz wie ‹gewöhnliche› Verbindungen aus haben und Akkusativ-NP verhalten. In Abs. 6.4 kommen solche Nomen-haben-Verbindungen zur Sprache, die syntaktische Sondereigenschaften zeigen. In Abs. 6.5 wird ein knappes Fazit gezogen.

6.2

Haben-Konstruktionen mit stillem SC-Prädikat

6.2.1 Ausgangslage Am Ende des letzten Kapitels (Abs. 5.5) zeigte sich, dass nicht alle Codakonstituenten in haben-Konstruktionen als SC-Prädikate analysiert werden können, sondern teilweise als Adjunkte zu analysieren sind. Die in diesem Kapitel thematisierten haben-Konstruktionen weisen gar keine Codakonstituente auf, d. h. die Coda ist (phonetisch) leer. Für beide Fälle stellt sich die Frage, ob auch sie von der in Kap. 2 vorgeschlagenen Analyse erfasst werden können. Diese Analyse sieht vor, dass das Komplement von haben semantisch eine Proposition ausdrückt, wobei diese Proposition syntaktisch grundsätzlich als Small Clause realisiert wird (vgl. Abs. 2.4.3; zu systematischen Ausnahmen bei 2

Nomen-Verb-Verbindungen wie Angst haben, bei denen das Objektnomen – anders als beim ‹Kerntyp› der Funktionsverbgefüge – nicht deverbal oder deadjektivisch ist, werden nur von manchen Autoren zu den Funktionsverbgefügen gerechnet, so beispielsweise Mut haben (Duden-Grammatik 2005:426) oder Durst haben (Eroms 2000:165).

237 adjektivischen Prädikaten vgl. Kap. 3). Mit anderen Worten: Gibt es Evidenz dafür, dass in codalosen haben-Sätzen wie (6-1a/b) ebenfalls von einem habenKomplement auszugehen ist, das eine vollständige Proposition beinhaltet? Diese Frage ist zu bejahen. Dafür wird in diesem Abschnitt aufgrund der syntaktischen und semantischen Parallelität von haben-Konstruktionen und absoluten mit-Konstruktionen argumentiert (vgl. auch Abs. 2.5.3); im nächsten Kapitel (Abs. 6.3.2) werden weitere, semantische Argumente für diese Sichtweise vorgestellt. Der Analysevorschlag lässt sich am Beispiel von Satz (6-1a) wie folgt konkretisieren (6-2). (6-2)

Sie hat [RP [Subjekt einen Studierendenausweis] [R ∅] [Prädikat ∅]].

Das Komplement von haben stellt einen Small Clause dar. Dieser kann als Relator-Phrase (RP) im Sinne von den Dikken (2006) gedeutet werden (vgl. Abs. 2.4.3). Im Gegensatz zu den in Kap. 3–5 betrachteten haben-Konstruktionstypen ist das SC-Prädikat (d. h. das Komplement des Relator-Kopfes) phonetisch leer (still).3 Lässt sich die Struktur in (6-2) stützen, so ergibt sich die Möglichkeit einer einheitlichen syntaktischen Analyse von codahaltigen und codalosen haben-Konstruktionen.4

6.2.2 Absolutkonstruktionen mit stillem Prädikat Vor dem Hintergrund der in Kap. 2 vertretenen Parallelisierbarkeit von Konstruktionen mit haben als Vollverb einerseits und absoluten mit-Konstruktionen

3

4

Für die Existenz eines stillen Prädikats in codalosen HABEN-Sätzen argumentiert unabhängig Sæbø (2009) – dies v. a. auf semantischer Grundlage. Zu semantischen Argumenten für ein stilles SC-Prädikat in haben-Konstruktionen vgl. Kap. 7. Im Gegensatz dazu unterscheiden Déchaine et al. (1994) für HABEN grundsätzlich zwei Komplementtypen: HABEN bettet entweder einen SC oder eine DP ein. Die beiden Formtypen sollen mit einer semantischen Unterscheidung korrelieren. So drücke HABEN + SC-Komplement eine Relation ‹zufälliger/kontingenter› Zugehörigkeit aus, HABEN + DP-Komplement eine Relation ‹permanenter/inhärenter› Zugehörigkeit (vgl. Déchaine et al. 1994:Abs. 2.1). Die zweite Korrelation gilt allerdings, wie die Autoren einräumen, nur bei unbelebten, nicht bei belebten HABENSubjekten. Im Weiteren muss angenommen werden, dass die (von Déchaine et al. kaum ausgearbeitete und daher schwer evaluierbare) Korrelationshypothese eher Tendenzen als feste Zuordnungen erfasst. Auch Abraham (2005:270–279) unterscheidet für das Deutsche zwischen haben-Konstruktionen mit NP-Komplement und solchen mit SC-Komplement. Darüber hinaus unterscheidet er als dritten und vierten Formtyp ‹haben + Akkusativ-NP + Partizip II› (vgl. oben Kap. 4) bzw. ‹haben + Akkusativ-NP + zu-Infinitiv (vgl. oben Abs. 2.3.2).

238 andererseits ergibt sich aus der Analyse des haben-Satzes in (6-2) die Voraussage der Existenz von Strukturen wie in (6-3). mit [RP [Subjekt einem Studierendenausweis] [R ∅] [Prädikat ∅]]

(6-3)

Mit anderen Worten: Der Analyseansatz sagt die Existenz von absoluten mitKonstruktionen mit stillem Prädikat voraus. Dabei stellt mit in (6-3) die Präposition mitprop dar, da sie die einzige von mehreren homonymen Präpositionen mit ist, die als Komplement einen SC einbetten kann (vgl. Abs. 2.5). Auf die grundsätzliche Möglichkeit, codalose MIT-Phrasen als Absolutkonstruktionen zu interpretieren, wird in der Literatur – zumindest in Bezug auf andere Sprachen als das Deutsche – vereinzelt hingewiesen, so etwa bei Ruwet (1982:104) für das Französische und bei McCawley (1983) für das Englische. So können nach McCawley Phrasen der Form with + NP (6-4a) dann als absolute Konstruktionen aufgefasst werden, wenn sie semantisch so zu verstehen sind, dass man sie mit have paraphrasieren kann (6-4b) (Beispiel aus McCawley 1983:277).5 (6-4)

a. b.

With three brothers and two sisters, Harry had little time to himself. Harry had three brothers and two sisters.

Ausführlicher äußert sich Fernández Leborans (1995) zur Problematik, dies aus der Sicht des Spanischen. Die Autorin diskutiert verschiedene absolute Konstruktionen im Spanischen, darunter auch solche, die mit con ‚mit‘ eingeleitet sind und formal verschieden ausgeprägte Codakonstituenten enthalten (vgl. Fernández Leborans 1995:384). Gemäß Fernández Leborans (1995:385) muss davon ausgegangen werden, dass gewisse con-PPs, die neben der präpositional regierten NP kein sichtbares Prädikat beinhalten, als absolute con-Konstruktionen aufzufassen sind, nämlich dann, wenn sie eine ‹propositionale Interpretation› mit sich bringen. Dies ist in (6-5) der Fall (Beispiel aus Fernández Leborans 1995:385, freie Glossierung M. B.). (6-5)

Con el niño, no podemos salir por la noche como antes. ‚Mit dem Kind können wir nicht wie früher abends ausgehen.‘

In diesem Satz ist die PP con el niño so zu verstehen, dass sie eine Proposition ausdrückt, die man ungefähr durch ‚seit wir das Kind haben‘ oder ‚seit das Kind da ist‘ paraphrasieren kann. Ein syntaktisches Indiz auf das Vorliegen einer

5

McCawley leitet absolute with-Konstruktionen, die unter Einsetzung von have paraphrasierbar sind, durch eine Tilgungsoperation aus Sätzen ab, die have als Prädikat enthalten (vgl. McCawley 1983:276f) – ein Ansatz, der hier nicht weiter verfolgt wird.

239 solchen absolut zu interpretierenden con-PP kann die eingeschränkte Verschiebbarkeit der con-PP im Satz sein (6-6). (6-6)

a. b.

#No podemos salir por la noche como antes con el niño. #No podemos salir por la noche con el niño como antes.

Die Sätze (6-6a/b) sind keine geeigneten Paraphrasen von (6-5) (vgl. Fernández Leborans 1995:385).6 Auch im Deutschen lässt sich für die Propositionalität bestimmter mit-PPs ohne Coda argumentieren. Zunächst ist ein Beispiel zu betrachten, das der spanischen Konstruktion in (6-5) nachgebildet ist (6-7). (6-7)

Mit dem Kind können wir abends nicht mehr ausgehen.

Die Auffassung, dass mit der Phrase mit dem Kind eine absolute Konstruktion vorliegen kann, und nicht zwingend eine mit-PP zum Ausdruck von Komitativität,7 lässt sich unter Rückgriff auf die in Abs. 2.5.4 diskutierten Kriterien stützen. Erstens ist daran zu erinnern, dass das Adverb zusammen mit einer absoluten Interpretation der mit-PP nicht vereinbar ist. (6-8)

Zusammen mit dem Kind können wir abends nicht mehr ausgehen.

Die Einsetzung von zusammen wie in (6-8) führt notwendigerweise zu einer Interpretation dahingehend, dass der Diskussionspunkt darin besteht, ob das Kind die Eltern begleiten kann, wenn sie ausgehen o. ä. In diesem Fall drückt die mit-PP eine komitative Bedeutung aus. – Zweitens kann mit in komitativer Funktion oft – bei weit gehend vergleichbarer Semantik – mit der Präposition samt alternieren (6-9a). Der Ersatz von mit durch samt ist dagegen in der Absolutkonstruktion nicht möglich (6-9b). (6-9)

a. b. c.

Wir gingen mit/samt dem Baby zur Party. Mit/*Samt dem Baby in der neuen Tragevorrichtung habe ich endlich keine Rückenschmerzen mehr. Mit/Samt dem Baby können wir nicht mehr auf Partys gehen.

In Satz (6-9b) enthält die mit-PP eine Codakonstituente (die PP in der neuen Tragevorrichtung). Der Satz kann als Absolutkonstruktion aufgefasst werden

6

7

Fernández Leborans äußert sich nicht explizit dazu, ob die satzinitiale Stellung der con-PP für die absolute Interpretation eine notwendige Bedingung darstellt oder ob eine absolute Lesart durch die satzinitiale Stellung der PP bloß begünstigt wird. – Zu den Stellungsmöglichkeiten der absoluten mit-PP im Deutschen vgl. Abs. 2.5. Andere grundsätzlich mögliche Lesarten der mit-PP, wie beispielsweise eine instrumentale Semantik, sind in den hier diskutierten Beispielen aus pragmatischen Gründen ausgeschlossen und werden daher in der Diskussion nicht berücksichtigt.

240 und als solche paraphrasiert werden durch ‚Wenn/Seit/Da/Weil das Baby in der neuen Tragevorrichtung ist, habe ich keine Rückenschmerzen mehr‘. Eine entsprechende Paraphrase ist bei (6-9c) in der mit-Variante ebenfalls möglich: ‚(Wenn/)Seit/Da/Weil wir das Baby haben, können wir nicht mehr auf Partys gehen.‘ Diese Lesart fällt aber weg, wenn anstelle von mit die Präposition samt gesetzt wird. In diesem Fall ist nur eine Lesart – eine komitative – denkbar, bei der das Baby auf Partys mitgenommen wird (diese zweite Lesart ist bei mit ebenfalls möglich). Die absolute Lesart von mit-Phrasen ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen die von mit eingebettete NP definit ist (wie dem Kind in den Beispielen 6-7 bis 6-9), sondern auch indefinite NPs sind möglich. (6-10) a. b.

Mit einem Studierendenausweis könnte sie in der Mensa billiger essen. Mit einem Drei-Jahres-Stipendium könnte er für eine Weile ruhig schlafen.

Die mit-PP kann propositional interpretiert werden, wie folgende Paraphrasemöglichkeiten zeigen: ‚Wenn sie einen Studierendenausweis hätte, … / Da sie einen Studierendenausweis hat, …‘. Daneben ist eine instrumentale Deutung ebenfalls möglich (vgl. ‚Unter Verwendung eines Studierendenausweises könnte sie in der Mensa billiger essen‘; vgl. die Diskussion in Abs. 2.5.4). In (6-10b) ist dagegen eine instrumentale Lesart ausgeschlossen. Dies zeigt zunächst der beim vorangehenden Beispiel angewandte Paraphrasentest: #‘Unter Verwendung eines Drei-Jahres-Stipendiums könnte er für eine Weile ruhig schlafen‘. Im Weiteren wurde in Abs. 2.5.4 festgehalten, dass die instrumentale Lesart einer mit-PP die Möglichkeit, ein Agens zu erschließen, zur Voraussetzung hat. Der Subjektsreferent in (6-10b) ist aber nicht agentivisch interpretierbar, und ein implizites Agens scheint in Bezug auf den gegebenen Satz ebenfalls nicht rekonstruierbar. Viel näher liegt eine propositionale Interpretation der mit-PP, beispielsweise im Sinne von: ‚Wenn er ein Drei-Jahres-Stipendium hätte, …‘. Daraus folgt, dass auch codalose absolute mit-Konstruktionen gebildet werden können, die sich auf solche haben-Konstruktionen beziehen lassen, durch die eine Relation alienabler Zugehörigkeit ausgedrückt wird (6-11). (6-11) a. b.

Sie hat einen Studierendenausweis. (= 6-1a) Er hat ein Drei-Jahres-Stipendium.

Ein (In-)Definitheitseffekt – also eine Beschränkung von stillen SC-Prädikaten auf haben- und mit-Konstruktionen mit indefinitem oder definitem Possessum – ist somit nicht zu beobachten. Im Fazit lässt sich festhalten, dass die Existenz von mit-PPs, die keine phonetisch realisierte Coda enthalten, dabei aber eine propositionale Semantik aufweisen, eine Analyse stützt, die phonetisch leere SC-Prädikate vorsieht. SCs mit stillem Prädikat können vom syntaktischen Kopf mitprop eingebettet werden – und das bedeutet: von haben als Vollverb und von mit in der Absolutkonstruktion.

241

6.3

FVG mit akkusativisch angeschlossenem Verbalsubstantiv

In Abs. 2.3.2 wurde haben, wenn es Teil eines Funktionsverbgefüges mit akkusativisch angeschlossenem Verbalsubstantiv ist, als Vollverb eingeordnet, da es das Kriterium der Akkusativrektion erfüllt (vgl. 2-11 in Abs. 2.3.1).8 Im Folgenden soll überlegt werden, inwiefern haben als Teil eines solchen Funktionsverbgefüges einen anderen Status besitzt als Vollverb-haben in den übrigen Gebrauchsweisen, ob es also gerechtfertigt ist, neben haben als (nicht-akkusativregierendem) Auxiliar und haben als Vollverb eine dritte Kategorie ‹haben als Funktionsverb› abzugrenzen. Hierzu werden syntaktische (Abs. 6.3.1) und semantische Kriterien herangezogen (Abs. 6.3.2).

6.3.1 Syntaktische Kriterien Bei Funktionsverbgefügen handelt es sich um Kollokationen, die sich in syntaktischer Hinsicht oft nicht von ‹frei› gebildeten Fügungen unterscheiden lassen (vgl. Welke 2007:218). Dies gilt im Grundsatz auch für ‹feste Verbindungen› von haben mit Nomen im Akkusativ (zu syntaktischen Besonderheiten bestimmter Fügungen vgl. Abs. 6.4). Um dies zu verdeutlichen, soll im Folgenden auf Kriterien Bezug genommen werden, die die aktuelle Duden-Grammatik zur Unterscheidung von Funktionsverbgefügen einerseits und syntaktischen Verbindungen mit Vollverb andererseits anführt (vgl. Duden-Grammatik 2005:425; vgl. auch 870–873).9 Als ‹Testbeispiele› dienen die Verbindungen die Hoffnung haben und eine Wirkung haben.10 8 9

10

Auf Funktionsverbgefüge, deren Verbalsubstantiv präpositional angeschlossen ist, wurde in Abs. 5.3.3 eingegangen. Kriterien, die ausschließlich in Bezug auf Funktionsverbgefüge mit präpositional angeschlossenem Verbalnomen beziehbar sind, werden im Folgenden nicht aufgegriffen. Die Verbindungen die Hoffnung haben und eine Wirkung haben werden in der Duden-Grammatik als Funktionsverbgefüge angeführt (vgl. Duden-Grammatik 2005:426); in der Grammatik von Helbig/Buscha erscheinen in einer Liste von Funktionsverbgefügen mit haben die Verbindung (die) Hoffnung haben (mit eingeklammertem bestimmtem Artikel) sowie die Fügungen die/eine Auswirkung haben (auf). – Grundsätzlich ist natürlich jedes Funktionsverbgefüge einzeln zu beurteilen. Es muss immer damit gerechnet werden, dass ein gegebenes Funktionsverbgefüge semantische und/oder syntaktische Sondereigenschaften aufweist, die einer bestimmten Generalisierung zum Verb haben entgegenstehen. Solche ‹Ausnahmen› begegnen allerdings auch in anderen Datenbereichen, die in dieser Arbeit diskutiert werden (vgl. beispielsweise Abs. 3.7 zu idiosynkratischen haben-Konstruktionen mit

242 Ein erstes Kriterium betrifft die Artikelwahl: Sie ist bei Funktionsverbgefügen nicht frei, sondern bei einem gegebenen Funktionsverbgefüge oft auf eine einzige Artikelform oder auf Artikellosigkeit festgelegt, vgl. (?eine/ ?die) Berücksichtigung finden, (?eine/ ?die) Hilfe leisten oder die/*– Zusage erhalten (Beispiele nach Duden-Grammatik 2005:425f). Diese Eigenschaft bestätigt sich bei den beiden ausgewählten Beispielen nicht (6-12).11 (6-12) a. b.

Sie hatte die/diese/keine/eine (vage)/– Hoffnung. Die Drohung hatte eine/keine/jene/die (erhoffte)/– Wirkung.

Ein zweites Kriterium betrifft die Erweiterung des nominalen Bestandteils von Funktionsverbgefügen: Dieser «lässt sich nicht frei durch Attribute erweitern» (Duden-Grammatik 2005:425). Damit wird offenbar ausgesagt, dass die attributive Erweiterung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber eingeschränkt ist. Diese vorsichtige Formulierung dürfte zwar angemessen sein, allerdings lässt sich auf dieser Grundlage kein eindeutiges Kriterium ableiten. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, dass bei den ausgewählten Funktionsverbgefügen attributive Erweiterungen durch eine größere Menge von Adjektiven und Partizipien denkbar sind (6-13). (6-13) a. b.

11

die große/verzweifelte/leise Hoffnung haben eine geringe/beeindruckende/aktivierende/nachhaltige Wirkung haben

adjektivischem Prädikat). Idiosynkrasien einer gegebenen Kollokation rechtfertigen die Annahme eines gesonderten Lexikoneintrags, nicht aber die Einführung einer eigenständigen grammatischen Kategorie (beispielsweise eines ‹Funktionsverbs› haben). Allerdings dürfte bei vielen Verbindungen mit akkusativisch angeschlossenem Nomen, die in der Duden-Grammatik (2005:415f) als Funktionsverbgefüge aufgeführt sind, keine Restriktion in Bezug auf die Artikelwahl feststellbar sein, vgl. beispielsweise den/einen/diesen/– Befehl geben oder die/eine/diese/– Antwort bekommen. Grundsätzlich gilt, dass die Möglichkeit der Artikellosigkeit bei akkusativisch angeschlossenem Zählnomen syntaktisch der auffällige Fall ist (vgl. z. B. Zeitung lesen, von Gallmann 1999:287 als Noun-Stripping eingeordnet; vgl. unten Abs. 6.4); in einem solchen Fall liegt ein starkes Indiz für das Vorliegen eines Funktionsverbgefüges vor (vgl. auch Duden-Grammatik 2005:870f). Zu den Beispielen in (6-12) ist vor diesem Hintergrund Folgendes festzuhalten: Das Nomen Hoffnung begegnet auch außerhalb der Kollokation Hoffnung haben öfters artikellos, vgl. Hoffnung besteht immer / Es gibt noch Hoffnung / Sie sehen Hoffnung in der jüngsten Entwicklung u. a. Das Nomen Wirkung scheint hingegen im artikellosen Gebrauch auf einige wenige Kollokationen wie insbesondere Wirkung haben/zeigen/erzielen beschränkt zu sein, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass bei diesen zuletzt genannten Beispielen Noun-Stripping vorliegt. – Die hier gemachten Aussagen müssten anhand einer Korpusrecherche überprüft werden.

243 Daneben sind Erweiterungen durch Relativsätze möglich (6-14). (6-14) a. b.

die Hoffnung haben, dass sich etwas ändert eine Wirkung haben, die niemand erwartet hatte

Drittens wird in der Duden-Grammatik die schlechte Passivierbarkeit von akkusativischen Funktionsverbgefügen erwähnt (vgl. Duden-Grammatik 2005:425). Im Fall von haben taugt dieses Kriterium allerdings ebenfalls nicht zur Abgrenzung von einer Verwendung als Funktionsverb gegenüber einer Verwendung als Vollverb, denn haben ist in allen seinen Verwendungen nicht passivierbar (vgl. u. a. Zifonun et al. 1997:1862; Duden-Grammatik 2005:553 sowie oben Abs. 2.3.1). Viertens kann die Form der Negation ein Indiz für das Vorliegen eines Funktionsverbgefüges sein: Rechnung tragen ist als Funktionsverbgefüge einzuordnen, denn die Satznegation kann durch nicht ausgedrückt werden (anstelle von oder neben der Negation kein-): Man hat diesem Aspekt leider nicht Rechnung getragen (vgl. hierzu eingehender unten Abs. 6.4; vgl. auch Duden-Grammatik 2005:872). (6-15) a. b.

Er hatte keine/??nicht Hoffnung, sie jemals wieder zu sehen. Die Entscheidung hatte keine/??nicht Auswirkung auf die tägliche Arbeit.

Die Nomen Hoffnung und Auswirkung können – indefinit verwendet – in Verbindung mit haben kaum durch nicht negiert werden, weshalb sich aufgrund des Negationskriteriums sicherlich kein Argument für die Etablierung einer Kategorie ‹Funktionsverb haben› gewinnen lässt. Als letzter Punkt soll im Folgenden die Beweglichkeit von Phrasen, die von Funktionsverbgefügen abhängen, thematisiert werden. Bei den nicht-verbalen Teilen einiger Funktionsverbgefüge wie in eine Wirkung haben (mit allfälligen Erweiterungen durch adjektivische Attribute) handelt es sich um Phrasen, die man mit der Duden-Grammatik wohl als ‹locker ins Prädikat integrierte Phrasen› bezeichnen kann (vgl. Duden-Grammatik 2005:868f). Ein Charakteristikum für eine solche «lockere Integration ins Prädikat» stellt «die mögliche Verselbstständigung von Gliedteilen zu eigenen Satzgliedern» dar (DudenGrammatik 2005:868). Dies lässt sich durch die Beweglichkeit der von Wirkung abhängigen PP auf ihn in (6-16a/b) illustrieren. (6-16) a. b.

Die Drohung hatte eine (unerwartete) Wirkung auf ihn. Auf ihn hatte die Drohung eine (unerwartete) Wirkung.

Das präpositionale Attribut kann selbstständig ins Vorfeld bewegt werden. Es «verhält sich also wie ein Satzglied, das von der gesamten Verbindung» (hier = eine (unerwartete) Wirkung haben) abhängig ist (Duden-Grammatik 2005:869). Nach Schmellentin (2006) liegt hier der Fall einer Extraktion des präpositionalen Attributs aus der akkusativischen NP vor. Die Möglichkeit einer sol-

244 chen Extraktion ist charakteristisch für Funktionsverbgefüge (vgl. Schmellentin 2006:19),12 allerdings ist sie – und das ist hier entscheidend – auch bei einer Reihe anderer Konstruktionen gegeben (vgl. etwa die Beispielreihe in Schmellentin 2006:48f), so etwa bei der Verbindung von lesen mit einem geeigneten Werknomen wie Buch, Artikel o. ä (das folgende Beispielpaar stammt aus Schmellentin 2006:48). (6-17) a. b.

Philipp hat mehrere Biografien über die Bergmann gelesen. Über die Bergmann hat Philipp mehrere Biografien gelesen.

Wie in (6-16) kann das präpositionale Attribut (hier über die Bergmann), das Teil der akkusativischen NP ist (vgl. 6-17a), selbstständig topikalisiert werden (b).13 Damit kann festgehalten werden, dass die Extrahierbarkeit eines PP-Attributs aus dem Akkusativobjekt von haben nicht zur Grundlage einer Aussonderung eines Funktionsverbs haben gemacht werden kann, denn die Verwendung eines – wie immer genau zu definierenden – Funktionsverbs als Satzprädikat stellt keine notwendige Bedingung für die Extraktion eines Attributs aus der Akkusativ-NP dar. Vielmehr ergibt sich die Möglichkeit der Extraktion von PP-Attributen – wie Schmellentin (2006) zeigt – durch die Interaktion unterschiedlicher syntaktischer, semantischer und pragmatischer Faktoren. – Im Fazit ergibt sich, dass die Extrahierbarkeit von PP-Attributen kein taugliches Kriterium zur Identifizierung von Funktionsverbgefügen und damit von Funktionsverben darstellt. Aufgrund von Extraktionsdaten scheint es damit ebenso wenig möglich, zwischen haben als gesondert einzustufendem Funktionsverb einerseits und haben als Vollverb andererseits zu unterscheiden, wie aufgrund der zuvor diskutierten syntaktischen Kriterien.

12

13

Die Funktionsverbgefüge werden von Schmellentin (2006) unter dem Begriff Nominalisierungsverbgefüge behandelt. Damit folgt sie – wie übrigens auch die IdSGrammatik (vgl. Zifonun 1997:702f) – Polenz (1987:170), der eine terminologische Differenzierung zwischen Nominalisierungsverbgefügen einerseits und Funktionsverbgefügen andererseits vorschlägt, der zufolge das Verb in Funktionsverbgefügen eine «Eigenbedeutung» aufweise, während das Verb in Nominalisierungsverbgefügen «keinen eigenen prädikativen Beitrag zur Gesamtbedeutung» leiste (Polenz 1987:170). Ich folge hier dieser Unterscheidung nicht und verwende ausschließlich den stärker verbreiteten Begriff Funktionsverbgefüge im Sinne der Duden-Grammatik. – Zur Frage der ‹Eigenbedeutung› von haben in Funktionsverbgefügen (im weiten Sinn) s. gleich im Anschluss. Nach Gallmann (1999:288) ist bei Vorliegen einer solchen Extraktionsmöglichkeit von gewissen Attributen die Nomen-Verb-Verbindung in dem Sinne zu interpretieren, dass das Nomen abstrakt ins Verb inkorporiert ist (zu abstrakter Inkorporation vgl. Müller 1991 und Müller/Sternefeld 1993, sowie – im Zusammenhang mit Attributsextraktion – insbesondere Schmellentin 2006:Kap. 3).

245 6.3.2 Semantische Kriterien An der Stelle ist aber auch zu überlegen, ob semantische Kriterien herangezogen werden können, um haben als Funktionsverb abzugrenzen. Ein Ansatzpunkt böte die oft vertretene Auffassung, dass ein Funktionsverb gegenüber seiner homophonen Vollverbvariante semantisch teilweise entleert oder ausgebleicht sei.14 Demzufolge könnten Funktionsverben in semantischer Hinsicht auf einer Skala zwischen den Vollverben an einem Pol und Hilfsverben am entgegengesetzten Pol in einer mittleren Position situiert werden (vgl. Winhart 2005:60). Die Angemessenheit einer solchen Einordnung kann hier nicht untersucht werden, es soll nur darauf hingewiesen werden, dass sie keineswegs unumstritten ist. So kommt Winhart in ihrer Dissertation zu folgendem Schluss: «Die Gegenüberstellung der Basislesart eines Verbs mit seiner sich durch die Verbindung mit bestimmten Nomina ergebenden sog. Funktionsverblesart hat klar ergeben, dass es keine signifikante Bedeutungsreduzierung gibt.» (Winhart 2005:90)15 Zu einem ähnlichen, wenn auch weniger ‹radikal› formulierten Schluss wie Winhart kommt Fabricius-Hansen (2006:272): Ihre «Beobachtungen zeigen […] mit aller Deutlichkeit, dass die Vollverbsemantik der Funktionsverben deren Verwendung als Funktionsverben in hohem Ausmaß beeinflusst. Dies bestätigt wiederum die Erkenntnis, dass sich zwischen Vollverben und Funktionsverben […] keine scharfe Grenze ziehen lässt […]».

14

15

Es seien drei relativ willkürlich ausgewählte Beispiele für eine solche Einschätzung angeführt. Die aktuelle Duden-Grammatik schreibt: Während das (deverbale) Nomen «den sachverhaltsbeschreibenden lexikalischen Kern» bildet, dient das Funktionsverb «als Träger der verbalen Morphologie», auf semantischer Ebene drückt es aber lediglich «allgemeinere verbale Bedeutungsaspekte» aus (Duden-Grammatik 2005:424). Ähnlich lautet die Charakterisierung von Welke: Bei einem FVG «verliert das Verb seine Vollverbbedeutung und erhält eine abstraktere Hilfsverbbedeutung» (Welke 2007a:215). Burger (2003:52) beschreibt Funktionsverben als «semantisch ‹leere› Verben, mit denen die Aktionsart differenziert werden kann», womit offenbar impliziert wird, dass Funktionsverben eine lexikalische Semantik fehlt. Für ihre semantische Analyse von Funktionsverben, die hier nicht nachgezeichnet werden soll, nimmt Winhart auf den Dekompositionsansatz von Rapp (1997) Bezug (vgl. Winhart 2005:61). Auch mit Blick auf haben verweist Winhart auf Rapps Analyse (vgl. Winhart 2005:83). Rapp zufolge werden «Besitzverben (haben, besitzen)» – analog zu den «kognitiven Verben (wissen, kennen)» – durch das Grundprädikat «PSYCH repräsentiert», «der Besitzer wird also als Experiencer klassifiziert» (Rapp 1997:32). Näher begründet wird diese Analyse bei Rapp nicht. Bei Winhart wird nicht ganz deutlich, ob sie Rapps Analyse von haben mit dem PSYCH-Prädikat generell folgt oder ob sie diese nur hinsichtlich von haben-Verwendungen in Funktionsverbgefügen wie Wut/Angst haben für angemessen hält (vgl. Winhart 2005:83f). – Ich folge in dieser Arbeit Rapps Analyse nicht.

246 Als ein weiteres semantisches Charakteristikum von NPs, die Teil eines Funktionsverbgefüges sind, kann die ihnen fehlende Referenzfähigkeit angeführt werden (vgl. beispielsweise Duden-Grammatik 2005:425 oder Welke 2007:216; vgl. auch die IdS-Grammatik, gemäß der die nominalen Bestandteile von Funktionsverbgefügen als «Komplemente ohne Argumentstatus» [Zifonun et al. 1997:1069] bezeichnet werden können). Dies zum Anlass für die Bildung einer eigenen Kategorie von Funktionsverben zu nehmen – und damit zur Etablierung einer dritten Funktion von haben (neben Auxiliar und Vollverb) – ist jedoch nicht angemessen, denn, wie in Abs. 3.6 gezeigt wurde, kann auch eine vom Vollverb haben regierte Akkusativ-NP in nicht-referentieller Funktion verwendet werden. – Im Übrigen ist auf Kap. 7 zu verweisen, wo deutlich wird, dass eine Unterscheidung zwischen einem Vollverb haben mit ‹voller› (lexikalischer) Semantik gegenüber einem Funktionsverb haben, das im Vergleich dazu nur über eine ‹ausgebleichte› Semantik verfügt, deshalb nicht sinnvoll ist, da haben als Vollverb seinerseits keine lexikalische Semantik im engeren Sinne aufweist. Diese Überlegungen zu Funktionsverbgefügen mit haben dürften genügend deutlich gemacht haben, dass zur Etablierung einer Kategorie ‹haben als Funktionsverb›, die von ‹haben als Vollverb› zu unterscheiden wäre, trennscharfe syntaktische oder semantische Kriterien fehlen. Aus diesem Grund überrascht es auch nicht, dass Nomen wie Hoffnung, die den akkusativisch angeschlossenen Teil eines Funktionsverbgefüges darstellen können, als Kopf der Argumentphrase (des ‹Subjekts›) in absoluten mit-Konstruktionen auftreten können, deren SC-Prädikat still ist (6-18). (6-18)

Mit der Hoffnung auf Heilung könnte er wieder mehr Lebensmut entwickeln.

Der Hoffnung auf Heilung bildet den Argumentausdruck der Absolutkonstruktion (wobei auf Heilung ein Attribut zu Hoffnung darstellt), und die Coda ist durch ein stilles Prädikat besetzt. Als Fazit aus der Diskussion in diesem Abschnitt ergibt sich, dass auch für Funktionsverbgefüge mit haben im Grundsatz von der allgemeinen syntaktischen Struktur in (6-19) auszugehen ist – parallel zu den in Abs. 6.2 betrachteten haben-Konstruktionen. (6-19)

[RP [Subjekt NP] [R ∅] [Prädikat ∅]] haben

Mit der Existenz von lexikalisierten Nomen-Verb-Verbindungen, die auch in syntaktischer Hinsicht Sondereigenschaften zeigen, ist freilich immer zu rechnen – dies gilt auch für Verbindungen mit haben. Eine Gruppe solch spezieller Verbindungen bildet den Gegenstand des folgenden Abschnitts.

247

6.4

Feste Nomen-haben-Verbindungen

6.4.1 Einführung In diesem letzten Teilkapitel sollen Nomen-haben-Verbindungen zur Sprache kommen, die sich aufgrund ihrer besonderen syntaktischen Eigenschaften nicht im Rahmen der oben vertretenen Analyse erfassen lassen. Eine (nicht abgeschlossene) Reihe von Beispielen solcher Verbindungen wird in (6-20) gegeben. (6-20)

Sie hat Durst/Hunger/Angst/Langeweile/Recht.

Würde man für diese haben-Konstruktionen eine Analyse wie in (6-19) zugrunde legen, so ergäbe sich die – offenbar nicht korrekte – Voraussage, dass (u. a.) die folgenden absoluten mit-Konstruktionen bildbar sind (6-21). (6-21) a. b.

??Mit ??Mit

Durst könnte ich mich nicht konzentrieren. Langeweile wäre ich spazieren gegangen.

Die mit-Phrasen in den Sätzen in (6-21) können offenbar nicht die Funktion absoluter Konstruktionen erfüllen, d. h. sie sind nicht geeignet, die für Absolutkonstruktionen typische Semantik zu vermitteln wie etwa (in Bezug auf Satz a) ‚Wenn ich Durst hätte / durstig wäre, …‘;16 bzw. (in Bezug auf Satz b) ‚Wenn ich Langeweile gehabt hätte / mich gelangweilt hätte, … ‚. In den folgenden zwei Abschnitten wird keine erschöpfende Analyse der Verbindungen in (6-20) geleistet, sondern es soll deutlich werden, dass es sich bei denjenigen Nomen-haben-Verbindungen, zu denen sich keine entsprechende absolute mit-Konstruktion bilden lässt, um eine abgrenzbare Gruppe von Kollokationen handelt, die aufgrund ihrer idiosynkratischen Eigenschaften als lexikalisiert zu betrachten sind. Daher stellen sie die Beziehbarkeit von habenKonstruktionen und absoluten mit-Konstruktionen und damit die Möglichkeit von stillen SC-Prädikaten in den beiden Konstruktionstypen nicht grundsätzlich in Frage. Im anschließenden Abs. 6.4.2 kommen syntaktische Eigenschaften von festen Nomen-haben-Verbindungen zur Sprache; in Abs. 6.4.3 werden sie in einen weiteren Zusammenhang gestellt. 16

Dass in (6-21a) kein lexikalisch-semantisches Problem für den Ausschluss der PP mit Durst als Absolutkonstruktion vorliegt, zeigt sich aufgrund der Tatsache, dass das Adjektiv durstig im gegebenen Satz in der Funktion eines Depiktivs verwendet werden kann (i). (i) Durstig könnte ich mich nicht konzentrieren. Für (i) ist die Paraphrase ‚Wenn ich durstig wäre, könnte ich mich nicht konzentrieren‘ angemessen, d. h. die Semantik des ganzen Satzes entspricht derjenigen, die in Satz (6-21a) ‹angestrebt› wurde.

248 6.4.2 Syntaktische Eigenschaften Mit Fuhrhop (2007:31) lassen sich die Nomen-haben-Verbindungen unter der Fragestellung betrachten, ob es sich beim Nomen um ein «selbstständiges Substantiv» oder um ein «substantivisches Erstglied» eines (trennbaren) Kompositums mit verbalem Zweitglied handelt. Unter Bezugnahme auf einige der in Fuhrhop (2007:33–35) dargebotenen Testverfahren lässt sich zeigen, dass die Nomen in (6-20) ein gewisses Maß an ‹Integriertheit› ins Verb haben aufweisen.17 Zunächst ist festzustellen, dass alle Nomen in (6-20) artikellos erscheinen. Manche der Nomen sind dabei aber – auch in der Verbindung mit haben – grundsätzlich artikelfähig (6-22; vgl. Fuhrhop 2007:33). (6-22) a. b.

Ich hatte einen Durst/Hunger (wie noch nie)! Eine Angst wie diese hatte ich noch nie.

In manchen Fällen scheint der indefinite Artikel möglich, der definite hingegen nicht (vgl. 6-22a mit 6-23).18 (6-23)

*Ich hatte den Durst/Hunger (wie noch nie / den du auch schon erlebt hast).

In anderen Nomen-haben-Verbindungen ist das Nomen nicht artikelfähig. Dies gilt etwa für Recht oder Langeweile haben (6-24). (6-24) a. b.

Sie hatte wie immer (*ein/*das) Recht.19 Sie hatte damals (*eine/*die) Langeweile.

Bei der Anwendung eines weiteren Tests, der die Erweiterbarkeit des Nomens durch ein adjektivisches Attribut prüft (vgl. Fuhrhop 2007:33f), ergibt sich folgendes Bild. Die artikelfähigen Nomen Durst/Hunger/Angst sind auch attributiv erweiterbar (6-25a), das in der Verbindung mit haben nicht artikelfähige Nomen Recht kann nicht durch ein Attribut erweitert werden (6-25b); Langeweile kann in der Verbindung mit haben attributiv erweitert werden.

17

18 19

Nicht alle der von Fuhrhop vorgeschlagenen Tests sind auf haben-Konstruktionen anwendbar (vgl. Test 5 zur Transitivität), andere sind zwar grundsätzlich anwendbar, aber m. E. wenig aussagekräftig (vgl. die topologischen Tests 6 und 7). Auf eine systematische Diskussion der Tests wird hier verzichtet. Zur unterschiedlichen Akzeptabilität des definiten gegenüber dem indefiniten Artikel in bestimmten Nomen-Verb-Verbindungen vgl. Fuhrhop (2007:40). In Sie hatte das Recht, so zu handeln erscheint Recht mit Artikel. Damit ist allerdings eine starke semantische Verschiebung – von ‚sich nicht irren‘ (für Recht haben) zu ‚die moralische/gesetzliche Möglichkeit haben‘ (für das Recht haben) – zu beobachten. Es ist davon auszugehen, dass bei Recht ein Fall lexikalischer Ambiguität vorliegt und dass sich die Bedeutung von das Recht haben kompositional ergibt, diejenige von Recht haben dagegen idiomatisiert ist.

249 (6-25) a. b. c.

Wir hatten großen Durst/Hunger / schreckliche Angst. *Sie hatte großes/völliges/grundsätzliches Recht. Wir hatten schreckliche Langeweile.

Allgemein gilt: Artikelfähigkeit und attributive Erweiterbarkeit können als Indiz dafür gedeutet werden, dass das Nomen zur Phrase erweiterbar ist und damit ein ‹selbstständiges Substantiv› (im Sinne Fuhrhops) darstellt. Andernfalls ist das Nomen als Glied eines (trennbaren) Kompositums einzuordnen; dies scheint bei Recht in Recht haben der Fall. Die Auffassung wird bestätigt durch die Möglichkeiten der Gradierung bei Recht haben (6-26). (6-26)

Sie hatte sehr/völlig/absolut Recht.

Während Gradierung durch ein attributives Adjektiv unmöglich ist (vgl. 6-25b), kann Recht in der Verbindung Recht haben durch ein Adverb (sehr) oder durch ein unflektiertes Adjektiv (völlig/absolut) gradiert werden (6-26). Die Bezugsgröße einer solchen Gradierung kann nicht das Nomen, sondern nur das gesamte Prädikat Recht haben sein. Eine Gradierung nach diesem Muster ist bei den anderen oben angeführten Nomen-haben-Verbindungen allerdings auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen (6-27). (6-27) a. b.

Wir hatten sehr Angst.20 Die Katze hatte sehr Hunger.21

Eine solche Gradierung wäre bei der Verbindung von haben mit einem selbstständigen Nomen nicht möglich, vgl. *sehr Geld haben, *sehr einen Sohn haben. – Die Daten sind m. E. so zu interpretieren, dass das Nomen in den meisten Nomen-haben-Verbindungen schwankt zwischen der Funktion als selbstständiges Nomen und der Funktion als (trennbarer) Wortteil: Als selbstständiges Nomen ist es durch einen Artikel und durch Attribute expandierbar, als Wortteil nicht. Im zweiten Fall liegt nach Gallmann (1999) Noun-Stripping vor: Dabei bildet «der nominale Bestandteil ein eigenständiges morphosyntaktisches Wort mit dem Status eines Kopfadjunkts» (Gallmann 1999:283).22 Bei

20

21

22

Vgl. folgenden Beleg: «‹Ich bin gekommen, ihr zu danken, denn wir haben alle sehr, sehr Angst gehabt›, läßt sich Schulminister Francois Bayrou vernehmen […].» (COSMAS: N93/MAI.17996 Salzburger Nachrichten, 17.05.1993, zitiert: 5.7.2007) Vgl. folgenden Beleg: «die Katze muß wohl sehr Hunger haben....also Katzenfalle mit Futter, dann müßte es hoffentlich gehen...» (5.7.2007: http://www.fressnapf. de/community/forum/entries/134228,2058). – Eine Suche im COSMAS-Korpus (durchgeführt am 5.7.2007) nach der Kollokation sehr Hunger ergab keine Treffer, d. h. für die Standardsprache muss die Gradierung mit sehr bei Hunger haben wohl als marginal eingestuft werden. Etwas anders interpretiert Jones (1996:75f) ähnliche Beobachtungen in Bezug auf

250 der Verbindung Recht haben liegt – im Gegensatz zu den anderen betrachteten Nomen-haben-Verbindungen – immer Noun-Stripping vor, d. h. Recht kann in

Verbindungen von avoir + Nomen im Französischen wie avoir soif, avoir raison u. a.: Seiner Auffassung nach weisen die nominalen Bestandteile der Verbindungen einen intermediären Status zwischen Nomen einerseits und Adjektiv andererseits auf. Dies lässt sich damit begründen, dass Gradadverbien wie très oder absolument (vgl. i/ii) im Normalfall Adjektive modifizieren. (i) Il a très soif. (ii) Il a absolument raison. Die Argumentation ist zumindest für bestimmte Fälle auf das Deutsche übertragbar: So kann sehr ein Adjektiv modifizieren (vgl. iii) und dabei auch beispielsweise – wie oben schon festgestellt wurde – mit Angst in der Verbindung Angst haben auftreten (vgl. iv). (iii) Er ist sehr ängstlich. (iv) Er hat sehr Angst. In Anlehnung an Jones (1996) lässt sich dies so interpretieren, dass Angst in Angst haben schwankt zwischen Nomen einerseits und Adjektiv andererseits. Da Angst als ‹Adjektiv› unflektierbar ist, wäre es treffender als Adkopula zu bezeichnen (vgl. Eichinger 2007). Die Adkopula-Analyse lässt sich stützen durch die Beobachtung, dass Angst auch als Prädikativum zu sein und werden auftritt (v). (v) Mir war/wurde angst. Allerdings ist eine solche Konstruktion mit den nicht-verbalen Bestandteilen anderer Nomen-haben-Verbindungen nicht möglich, vgl. z. B. *Mir ist hunger. Auch ist mit Geisler (1991:29) zu bedenken, dass das synchrone Nebeneinander von sein- und haben-Konstruktion mit dem Prädikat angst/Angst möglicherweise als ein sprachgeschichtliches Übergangsphänomen zu deuten ist und damit wenig Relevanz im Hinblick auf eine synchrone Analyse besitzen mag. Im Weiteren kann gegen die Adjektiv-/Adkopulaanalyse eingewandt werden, dass Lexeme, die unzweifelhaft Adjektive darstellen, in haben-Verbindungen gewöhnlich nicht an die Stelle der Glieder Angst/Durst/… treten können (vi). (vi) *Er hatte ängstlich/durstig/… Es ist unklar, wie stark dieses Argument wiegt in einem Bereich, der so stark von lexikalischen Idiosynkrasien geprägt ist wie derjenige der hier betrachteten Nomenhaben-Verbindungen. Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass in den Schweizer Dialekten wie auch im Schweizer Standarddeutsch (vgl. Ammon et al. 2004:320) die Adjektive kalt/warm/heiß in Verbindung mit haben verwendet werden (vii). (vii) Ich hatte kalt/warm/heiß. (= ‚Mir war kalt/warm/heiß.‘) Die Beispiele in (vii) sind strikt zu trennen von der Konstruktion Ich hatte es warm, der ein reguläres Muster zugrunde liegt (vgl. Kap. 3). – Die Konstruktion in (vii), Verbindungen wie frei haben (vgl. Die Schüler haben heute frei) sowie weitere, in Abs. 3.7.1 diskutierte Verbindungen zeigen, dass auch Adjektive syntaktisch an die Stelle der Akkusativ-NP treten können. Dabei dürfte es sich aber immer um lexikalisierte Verbindungen handeln.

251 Verbindung mit haben (und in der hier relevanten Semantik, vgl. Fn. 19) keine eigene NP projizieren. Abschließend soll aus der Reihe der Testverfahren in Fuhrhop (2007) der Negationstest angewandt werden: Dabei wird überprüft, ob die Satznegation durch nicht oder durch kein- ausgedrückt wird (vgl. Fuhrhop 2007:34). Kein- ist nur möglich, wenn der nominale Bestandteil der Nomen-haben-Verbindung ein selbstständiges Nomen darstellt, nicht zeigt dagegen «den ‹unsubstantivischen› Charakter der ‹substantivischen› Einheiten» (Fuhrhop 2007:45; vgl. auch Gallmann 1999:289 sowie Duden-Grammatik 2005:929). Die folgenden Satznegationen dürfen als unmarkiert angesehen werden (6-28). (6-28) a. b. c.

Wir hatten keinen Durst/Hunger. Wir hatten keine Angst/Langeweile. Sie hatte nicht Recht.

Es bestätigt sich, dass Recht in Recht haben nur unselbstständig, d. h. nur als Kopfadjunkt auftritt, denn eine Negation mit kein anstelle von nicht (vgl. 6-28c) ist unmöglich (6-29). (6-29)

*Sie hatte kein Recht.23

Bei den anderen Verbindungen ist neben der Negation mit kein- grundsätzlich auch diejenige mit nicht möglich. (6-30)

Wir hatten nicht Durst/Hunger/Angst/Langeweile.

Auch im Hinblick auf die Form der Negation verhalten sich die Verbindungen in (6-30) somit schwankend: Bei Projektion einer Nominalphrase erscheint keinals Negationselement; hat der nominale Bestandteil der Verbindung hingegen Kopfadjunktstatus, so wird mit nicht negiert.24 Diese Oszillation zwischen enger und lockerer Integration des Nomens ins Verb ist keine Besonderheit von Verbindungen mit haben, sondern lässt sich bei vielen Nomen-Verb-Verbindungen konstatieren (vgl. Duden-Grammatik 2005:871f).25 23 24

25

Bei geeigneter Uminterpretation von Recht ist die Verbindung kein Recht grammatisch, so in Sie hatte kein Recht dazu (vgl. Fn. 19). In diesem Sinne werden die Varianten nicht Angst haben gegenüber keine Angst haben sowie nicht Hunger haben gegenüber keinen Hunger haben auch in der DudenGrammatik (2005:930) interpretiert. Ein Problem für die Anwendung der Noun-Stripping-Analyse nach Gallmann (1999) stellt die Tatsache dar, dass die nominalen Bestandteile der Nomen-haben-Verbindungen immer problemlos allein topikalisierbar sind, dies auch dann, wenn sie unexpandiert verwendet werden (i). Auch Recht in Recht haben, das aufgrund der obigen Überlegungen obligatorisch ‹unselbstständig› ist, ist ohne Weiteres topikalisierbar (ii).

252 In Bezug auf die Ungrammatikalität der absoluten mit-Konstruktionen in (6-21) lässt sich nun Folgendes festhalten: Eine solche Konstruktion ist unmöglich, wenn es sich bei der Erstkonstituente um einen nicht-projizierenden Kopf handelt. Projiziert ein nominales Lexem aus den Verbindungen in (6-20) aber unzweifelhaft zur Phrase, so kann diese auch die Erstkonstituente in der absoluten mit-Konstruktion bilden, vgl. hierzu ein Beispiel mit Durst (6-31). (6-31)

Mit einem solch schrecklichen Durst könnte ich mich nicht konzentrieren.

Der Ausschluss von Köpfen als Erstkonstituenten von absoluten mit-Konstruktionen dürfte rein syntaktische Gründe haben; zu erwägen wäre daneben die Möglichkeit, dass eine Konstituente mit syntaktischem Kopfstatus nicht den für die Argumentfunktion geforderten semantischen Typ bilden kann.26 – Im Fazit ergibt sich: Aufgrund der fehlenden Parallele der haben-Konstruktion zur absoluten mit-Konstruktion im Falle derjenigen Nomen-haben-Verbindungen, die als Instanzen von Noun-Stripping einzustufen sind, gibt es für eine SC-Analyse im Sinne von (6-19) keine Evidenz. Die oben diskutierten Nomen-haben-Verbindungen sollen nun abschließend in einem weiteren Rahmen eingeordnet werden.

6.4.3 Nomen-haben-Verbindungen in weiterem Rahmen Igla (2003:139) bietet eine beschreibende Klassifikation von syntaktischen Konstruktionstypen, auf die – in den Einzelsprachen in je unterschiedlicher Weise – zum Ausdruck von körperlichen oder seelischen Zuständen zurückgegriffen wird. Die in (6-20) aufgeführten haben-Konstruktionen können hier eingeordnet werden, weshalb Iglas Aufstellung nachstehend (leicht modifiziert) wiedergegeben wird. a) haben + Nomen; Bsp.: Hunger haben b) unpersönliche Konstruktion mit sein + Nomen; Bsp.: mir ist angst c) unpersönliche Konstruktion mit sein + Adjektiv; Bsp.: mir ist kalt

26

(i) Durst/Hunger/Angst/Langeweile hatten wir allerdings nicht. (ii) Recht hatte er (er argumentierte bloß etwas ungeschickt). Als Kopfadjunkte müssten die nominalen Bestandteile, da sie nicht zur Phrase projizieren können, in der Vorfeldposition eigentlich ungrammatisch oder zumindest stark markiert sein (vgl. Gallmann 1999:287). Das Problem kann hier nicht gelöst werden (vgl. dazu auch die knappe Diskussion in Fuhrhop 2007:50f; vgl. auch Fn. 22 für einen alternativen Analyseansatz, für den die in (i/ii) illustrierten Topikalisierungen kein Problem darstellen). Referenzfähigkeit im strengen Sinne ist für den Argumentausdruck in einem SC dabei aber nicht gefordert, wie in Abs. 3.6 gezeigt wurde.

253 d) Verb; Bsp.: hungern, sich langweilen e) unpersönliches Verb mit Angabe des logischen Subjekts im Akkusativ oder Dativ; Bsp.: mich hungert Im gegebenen Zusammenhang sind insbesondere die Typen (a), (b) und (c) von Interesse, die Typen (d) und (e), bei denen auf ein lexikalisches Verb zurückgegriffen wird, sind dagegen von untergeordneter Bedeutung.27 In (a), (b) und (c) stehen sich Konstruktionen mit haben bzw. sein gegenüber. In der habenKonstruktion (a) erscheint das einzige Argument als Nominativsubjekt, in den Konstruktionstypen (b) und (c) dagegen als Dativ-NP, d. h. es tritt kein Nominativ auf, weshalb die Konstruktionen als ‹unpersönlich› bezeichnet werden.28 Im Gegensatz zu Konstruktionen von Typ (e) sind die Kopulakonstruktionen mit nicht-verbalem Prädikat und Dativargument29 laut Wegener (1998:75) «stabil

27

28

29

Bei Typ (d) handelt es sich um persönliche, dabei intransitive oder echt reflexive Verben. Die Verben dieser Gruppe können eine spezialisierte Bedeutung annehmen: So kann hungern einen langfristigen Mangel an Nahrungsmitteln ausdrücken (Die Bevölkerung hungert) oder auch einen absichtlichen Verzicht auf Nahrungsaufnahme (Sie hungert schon wieder!) (Igla 2003:139). In dieser letzten, volitionalen Lesart liegt mit hungern zweifellos kein Zustandsverb vor (vgl. die in Nicolay 2007:45– 98 diskutierten Kriterien). Das Verb dürsten wird (als persönliches Verb) meist metaphorisch verwendet (Er dürstete nach einem echten Freund) (Igla 2003:139). Aufgrund dieser Beobachtungen ist zu schließen, dass die genannten intransitiven Verben funktional nur eingeschränkt als ‹Konkurrenzformen› der Konstruktionen (a)–(c) anzusehen sind. – Die unpersönlichen Verben vom Konstruktionstyp (e) bilden im heutigen Deutsch eine sehr kleine Klasse. Der einzige obligatorische Aktant (die Person, deren Befindlichkeit ausgedrückt wird) wird im Akkusativ (Mich friert) oder im Dativ (Mir schwindelt) enkodiert. Fakultativ kann es gesetzt werden (im Vorfeld obligatorisch) (vgl. z. B. Hentschel 2003:146; Eisenberg 2004:177; zur diachronen Perspektive vgl. Wegener 1999). Die (innersprachliche wie auch zwischensprachliche) Alternation zwischen habenKonstruktion und unpersönlicher sein-Konstruktion zur Kodierung physischer oder psychischer Zustände wird in der Literatur öfters vermerkt, vgl. z. B. Leiss (1992:187), Trifan (2005) oder Vogel (2006:77). Zu einer typologischen Einordnung der unterschiedlichen Konstruktionen vgl. Moreno (1990). Auffällig an der unpersönlichen Konstruktion mit sein + Prädikat ist, dass das logische Subjekt nur im Dativ, nie aber im Akkusativ auftreten kann (*Ihn ist schlecht/…). Bei den unpersönlichen Verben in Klasse (e) lässt sich eine solche lexikalisch bedingte Alternation dagegen beobachten (Mir graust gegenüber Mich friert). Sowohl im Hinblick auf die unpersönlichen Verben des Typs (e) als auch in Bezug auf die unpersönlichen Kopulakonstruktionen in (b/c) kann der Dativ als der unmarkierte Kasus gelten (vgl. Eisenberg 2004:81). Nach Eisenberg können Verben wie frieren oder hungern, wenn sie unpersönlich verwendet werden, nicht nur mit dem Akkusativ, sondern auch mit dem Dativ verbunden werden (Ihr friert/

254 und unbeschränkt produktiv». Tatsächlich lässt sich eine relativ große Anzahl von Prädikaten finden, die in der Konstruktion auftreten können, insbesondere dann, wenn man neben adjektivischen Prädikaten (vgl. mir ist langweilig / (hunde)elend / leicht ums Herz / blümerant) auch nicht-adjektivische Prädikate einbezieht (vgl. mir ist zum Heulen / nach Feiern / komisch zumute / als ob ich ein Klopfen gehört habe). Bei einem solchen Vorgehen lässt sich auch mir ist angst (und bange) diesem Konstruktionstyp zuordnen, wodurch Iglas Kategorien (b) und (c) zusammenfallen.30 Entgegen der Aussage Wegeners zur Produktivität der Konstruktion ist teilweise aber von rein lexikalischen Festlegungen ohne weit reichende Generalisierbarkeit auszugehen, vgl.: *mir ist traurig (gegenüber mir ist zum Heulen), *mir war sehnsüchtig (gegenüber mir war langweilig, vgl. auch ich hatte Langeweile/Sehnsucht). Entsprechendes gilt wohl für den gesamten hier betrachteten Bereich. So konstatiert Igla bei ihrem Vergleich von Konstruktionen zum Ausdruck von physischen und psychischen Zuständen im Deutschen einerseits und im Bulgarischen andererseits: «Für die zwischensprachlichen Beziehungen der vorhandenen Ausdrucksmittel lassen sich kaum Regelhaftigkeiten feststellen.» (Igla 2003:139) Ähnlich äußert sich Renzi (1971:161f). Man vergleiche hierzu beispielsweise die Variabilität der Konstruktionen zum Ausdruck der Kälteempfindung im Englischen (I’m cold), im Französischen (J’ai froid) und im Deutschen (Mir ist kalt). Auch fällt es schwer, in Bezug auf das Deutsche allein allgemein gültige Bedingungen zu formulieren, denen die Bildung von Nomen-haben-Verbindungen, wie sie oben diskutiert wurden, unterliegt. Immerhin könnte man vermuten, dass bevorzugt morphologisch nicht-komplexe Nomen in Nomen-haben-Verbindungen erscheinen können (vgl. etwa die Minimalpaare Mut/*Mutlosigkeit haben, Furcht/*Furchtlosigkeit haben, die Reihe Sorge/?Besorgnis/*Sorglosigkeit haben oder unmögliche Verbindungen wie *Fröhlichkeit haben, *Müdigkeit haben). Dem stehen allerdings Beispiele wie Geduld/Langeweile haben oder Kenntnis haben (von) gegenüber, bei denen der nominale Bestandteil der Verbindung morphologisch komplex ist. Umgekehrt stehen auch morphologisch einfache Nomen für Verbindungen mit haben oft nicht zur Verfügung, vgl. *Neid haben, *Trauer haben. Im Weiteren ist festzustellen, dass morphologische Negation des nominalen Bestandteils einer Nomen-haben-Verbindung

30

Ihm hungert); umgekehrt den Akkusativ für solche Verben zu generalisieren ist nach Eisenberg (2004b:81) «viel schwieriger». Dieser Schritt fällt umso leichter, da unklar ist, inwiefern angst in mir ist angst überhaupt als Nomen aufgefasst werden kann. So scheint angst in dieser Konstruktion kaum zu einer Nominalphrase expandierbar: ??Ihm war große Angst (vgl. auch Fn. 22).

255 im Allgemeinen blockiert scheint, vgl. Geduld/*Ungeduld haben, Lust/*Unlust haben (auf);31 als Gegenbeispiel hierzu ist Recht/Unrecht haben zu nennen. Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass der in diesem Teilkapitel betrachtete Datenbereich kaum Generalisierungen zulässt, die korrekte Voraussagen über das Auftreten bzw. die Unmöglichkeit einer Nomen-haben-Verbindung erlauben. Solche Verbindungen können daher nicht die Grundlage von allgemeinen Aussagen über die Syntax von haben bilden, auch wenn zumindest einige der Verbindungen hochfrequent sein mögen.

6.5

Fazit

Die Diskussion in diesem Kapitel hat gezeigt, dass auch solche haben-Komplemente, die an der syntaktischen Oberfläche ‹nur› aus einer NP bestehen, semantisch propositional zu interpretieren sind. Diesem Umstand kann durch eine syntaktische Analyse Rechnung getragen werden, bei der das haben-Komplement ein stilles Prädikat beinhaltet, das durch den als Akkusativ-NP realisierten Argumentausdruck gesättigt wird. Die Angemessenheit einer solchen Analyse wird sich im folgenden Kapitel (vgl. Abs. 7.3.2) bestätigen. Einer kleinen Gruppe von festen Nomen-haben-Verbindungen (vgl. Abs. 6.4) fällt dabei aber ein Sonderstatus zu – sie lässt sich nicht im Sinne der in Kap. 2 entwickelten Hypothese einordnen.

31

Möglicherweise gilt diese Tendenz übereinzelsprachlich: So führt Renzi (1971:161) die folgenden Beispiele aus dem Italienischen an: aver pazienza ‚Geduld haben‘ gegenüber *aver impazienza ‚Ungeduld haben‘. Die Verbindung von avere ‚haben‘ mit einer ‹vollen› NP, deren Kopf das morphologisch komplexe impazienza ‚Ungeduld‘ bildet, ist hingegen möglich: avere l’impazienza tipica dei giovani ‚die für Junge typische Ungeduld haben‘ (für das Deutsche gilt Entsprechendes, wie die Glossierung des Beispiels verdeutlicht).

7

Zur Semantik von haben als Vollverb

7.1

Einleitung

Dieses Kapitel hat nicht zum Ziel, die Gesamtheit der bestehenden Literatur zur Semantik von haben-Verben (von HABEN) zusammenzufassen und kritisch zu würdigen. Auch entwickle ich im Folgenden keine erschöpfende Analyse der Semantik von haben als Vollverb im Deutschen. Vielmehr soll es vorrangig darum gehen, zu überlegen, welche Voraussagen die in dieser Arbeit vertretene syntaktische Analyse in Bezug auf die Semantik von haben-Konstruktionen macht, und im Weiteren, ob diese Voraussagen den Daten gerecht werden. Diese Überprüfung kann aber nur dann in sinnvoller Weise geschehen, wenn sie vor dem Hintergrund bestehender Ansätze zur Semantik von HABEN-Konstruktionen stattfindet. Es wird sich zeigen, dass im Rahmen des Ansatzes, wie er in dieser Arbeit verfolgt wird, manche Probleme früherer Analysen vermieden werden können. Sæbø (2009) formuliert mit Blick auf das englische have zwei Probleme, die eine semantische Theorie zu lösen hat: das Redundanzproblem und das Pertinenzproblem. Zum Redundanzproblem führt Sæbø (2009:372) zwei Beispiele an (7-1). (7-1)

a. b.

She has all her grandparents alive. I had a gun pointing at me.

«[A]ll [7-1a] seems to say is that all her grandparents are alive and all [7-1b] seems to say is that a gun was pointing at me» (Sæbø 2009:372). Damit scheint have semantisch redundant, d. h. es leistet keinen Beitrag zur Satzbedeutung. Bezogen auf haben als Vollverb im Deutschen1 lässt sich das Redundanzproblem mit Sätzen wie in (7-2) illustrieren. (7-2)

a. b.

Paula hat die Kinder diese Woche bei sich. Oskar hat den Arm im Gips.

Es ist nicht ohne Weiteres klar, worin sich die haben-Konstruktion in (7-2a) semantisch von einem Kopulasatz wie Die Kinder sind diese Woche bei Paula

1

Die beiden Probleme stellen sich nicht nur hinsichtlich des englischen Verbs have, sondern für HABEN insgesamt, wenn auch in den Einzelsprachen möglicherweise in unterschiedlicher Schärfe, worauf hier aber nicht eingegangen werden kann.

258 unterscheidet; ebenso ist zu fragen, worin der semantische Beitrag von haben in (7-2b) gegenüber Oskars Arm ist im Gips besteht. Das Pertinenzproblem kann wie folgt beschrieben werden. In vielen habenKonstruktionen besteht eine Pertinenzrelation zwischen dem Subjektsdenotat und dem Denotat einer Konstituente, die im von haben eingebetteten SC enthalten ist. Dies wird in (7-2b) deutlich: Mit Arm wird hier ein Körperteil des Subjektsreferenten Oskar bezeichnet. Die Pertinenzrelation scheint in einem Fall wie diesem auch die Interpretation des Subjekts wesentlich zu steuern: Die semantische Funktion des Subjekts besteht hier – so könnte vermutet werden – darin, den ‹Besitzer› des Körperteils Arm zu benennen. Auch in (7-2a) lässt sich leicht eine entsprechende Pertinenzrelation erschließen, denn der Satz ist geeignet auszudrücken, dass Paula ihre Kinder diese Woche bei sich hat. Allerdings wird an diesem Beispiel auch sofort klar, dass eine solche Lesart keineswegs zwingend ist. So kann (7-2b) unter geeigneten Kontextbedingungen (die pragmatisch leicht konstruierbar sind) so interpretiert werden, dass Paula die Kinder von Olga diese Woche bei sich hat; dieser Sachverhalt lässt sich auch ohne Weiteres explizit in einem haben-Satz zum Ausdruck bringen, vgl. Paula hat Olgas Kinder diese Woche bei sich. Damit stellt sich die Frage, ob jede Konstruktion mit haben als Vollverb eine Pertinenzrelation beinhaltet und, wenn ja, wie sie zu formulieren ist. Im Weiteren ist zu klären, wie sich die genannte Pertinenzrelation zur Besitzsemantik verhält, die – so macht es zumindest den Anschein – in Sätzen wie in (7-3) ausgedrückt wird. (7-3)

Paula hat ein Motorboot.

Verallgemeinernd lässt sich damit folgende Frage formulieren: Kann den Konstruktionen mit haben als Vollverb eine einheitliche Semantik zugrunde gelegt werden? Angesichts der Beispiele in (7-2) und (7-3) scheint es zunächst schwer vorstellbar, wie eine solche einheitliche Semantik formuliert werden könnte: Im ersten Fall scheint haben über keine Eigensemantik zu verfügen, im zweiten Fall dagegen durch das Verb besitzen austauschbar zu sein und damit auch eine entsprechende Besitzsemantik auszudrücken. Diesen kurzen (unten zu vertiefenden) Überlegungen aus der Datenperspektive sind nun die Voraussagen meiner syntaktischen Analyse von haben-Konstruktionen gegenüberzustellen. Ich spreche hier drei Punkte an: 1) Als Nullhypothese ist von einer einheitlichen Semantik für alle Konstruktionen mit haben als Vollverb auszugehen. Dies deshalb, da haben grundsätzlich eine Konstituente einbettet, die semantisch eine Proposition beinhaltet (vgl. Kap. 2).2 Die-

2

Ausnahmen dürften beispielsweise die Nomen-haben-Verbindungen darstellen, die in Abs. 6.4 behandelt wurden (z. B. Durst haben) sowie weitere lexikalisierte habenGefüge, die an verschiedenen Stellen in der Arbeit angesprochen wurden.

259 se Proposition wird gewöhnlich als SC realisiert; daneben treten systematisch propositionshaltige NPs in der Einbettung von haben auf (vgl. Kap. 3). – 2) Auf der Grundlage der in Kap. 2 (vgl. Abs. 2.6.1: 2-120) vertretenen Inkorporationsanalyse stellt ein haben-Satz im Grunde eine Kopulakonstruktion dar, denn er lässt sich auffassen als die Verbindung eines Subjekts mit einem Prädikativum, die ‹vermittelt› wird durch das Kopulaverb sein. Das Prädikativum wird von der mit-PP (deren Kopf ins Kopulaverb inkorporiert) gebildet. Geht man von der Annahme aus, dass Prädikativa generell vom semantischen Typ sind, wird auch die semantische Funktion der Präposition mit (genauer gesagt: mitprop, vgl. Abs. 2.5) unmittelbar klar: mitprop führt sein propositional gesättigtes Komplement (d. h. sein Komplement vom Typ ) in ein Prädikat (d. h. in einen Ausdruck vom Typ ) über.3 Damit ist mitprop selbst vom Typ . Die Zusammenhänge werden in (7-4b) noch einmal anhand eines Beispiels (mit SC-Einbettung) verdeutlicht. (7-4)

a. b.

Sie hat das Fenster offen. Sie ist [ [ mit] [[ d- Fenster] [ offen]]] 4

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass Sätzen mit haben als Vollverb eine einfache Subjekt-Prädikat-Struktur zugrunde zu legen ist. Ausgehend von der Annahme, dass ein einstelliges Prädikat (hier: die mit-PP) über sein Argument (hier: das Satzsubjekt) eine Eigenschaft (o. ä.) prädiziert, ist das Subjekt in haben-Sätzen in semantischer Hinsicht ein Eigenschaftsträger. – 3) Bei der Interpretation von syntaktischen Strukturen soll als Nullhypothese immer von Kompositionalität ausgegangen werden. Auf den vorliegenden Gegenstand bezogen ist daher davon auszugehen, dass sich die Semantik von haben kompositional aus der Semantik der beiden syntaktischen Köpfe sein und mitprop, in die haben (neben R, dem Kopf des von mitprop eingebetteten Small Clause) zerlegbar ist, ergibt. Aufgrund dieser Vorüberlegungen gliedere ich den verbleibenden Teil dieses Kapitels wie folgt. In Abs. 7.2 wird eine Auswahl bestehender Analyseansätze zur Semantik von HABEN-Konstruktionen zur Diskussion gestellt. In Abs. 7.3 zeige ich, wie sich wesentliche semantische Eigenschaften von haben als Vollverb aus der Semantik von sein einerseits und von mitprop andererseits ableiten 3

4

In ähnlicher Weise charakterisiert Sæbø (2009:375) – der in syntaktischer Hinsicht ebenfalls von einer SC-Einbettung durch (engl.) have ausgeht – die Funktion von have: «[…] to transform the small clause into a predicate». Auf die ‹technische› Umsetzung der Analyse der have-Semantik durch Sæbø gehe ich hier nicht näher ein. Das NP-Denotat wird hier der Einfachheit halber als generalisierter Quantor angegeben. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zur Semantik von Akkusativ-NPs im AHK (vgl. Abs. 3.6) wären in diesem Punkt aber Differenzierungen nötig.

260 lassen, wodurch die in Kap. 2 entwickelte syntaktische Inkorporationsanalyse unabhängig gestützt wird (eine erschöpfende Analyse der kompositionalen Semantik von haben biete ich allerdings nicht). Im Zuge der Argumentation wird sich auch das stille SC-Prädikat, das in Abs. 5.5 und in Kap. 6 für haben-Konstruktionen mit leerer Coda postuliert wurde, semantisch rechtfertigen lassen (vgl. Abs. 7.3.2). In Abs. 7.4 komme ich auf die Ebene der Perspektivität zu sprechen und versuche zu präzisieren, worin die «besondere Sehweise» (Brinkmann 1959:183) besteht, durch die sich haben-Konstruktionen auszeichnen. Abs. 7.5 schließt das Kapitel mit einem Fazit ab.

7.2

Bestehende Zugänge und Analysen

Im gleich anschließenden, ersten Unterabschnitt dieses Teilkapitels wird gegen die Auffassung argumentiert, es handle sich bei HABEN um ein ‹Besitzverb› (o. ä.) mit lexikalischer Semantik. Radikal anders ist der Zugang, dem zufolge HABEN die Argumentstruktur des Objektnomens ‹transportiert› und selbst keinen semantischen Beitrag zur Satzbedeutung beisteuert (Abs. 7.2.2). Der (scheinbaren) Vielfalt von semantischen Funktionen, die HABEN wahrnimmt, kann begegnet werden, indem HABEN als Menge homonymer Verben aufgefasst wird, oder aber als semantisch vollständig unterspezifiziert – diese beiden gegensätzlichen Alternativen werden in Abs. 7.2.3 diskutiert. In Abs. 7.2.4 wird der Analyseansatz von Baron/Herslund (2001) vorgestellt, der die Semantik von HABEN in die beiden Funktionen Lokalisierung und Inklusion aufbricht. Die verbreitete Auffassung von HABEN-Subjekten als ‹Orten› wird in Abs. 7.2.5 thematisiert.

7.2.1 Haben als lexikalisches Verb Für Eisenberg (2004:128) ist haben, abgesehen von seiner Funktion als Auxiliar, ein ‹Vollverb› auch in dem Sinne, dass es – wie andere Vollverben auch – semantische Rollen (Thetarollen) an seine Ergänzungen vergibt. Primus (1996:62) folgend versteht Eisenberg das Vollverb haben – und im Übrigen auch das Verb besitzen – als Instantiierung des Basisprädikats Possess.5 Dieses «ist das bezüglich Agenshaftigkeit schwächste Basisprädikat, es gibt deshalb praktisch kein 5

In Primus (1996 et passim) wird – auf der Grundlage von Dowty (1991) – ein System von übereinzelsprachlich gültigen Basisprädikaten und den sich daraus ableitbaren Basisrollen entwickelt.

261 Agensgefälle vom Nom[inativ] zum Akk[usativ]» (Eisenberg 2004:128). Aus dieser Tatsache leitet Eisenberg die ‹Nichtpassivfähigkeit› der Verben haben und besitzen ab. Die beiden Verben werden in Eisenbergs Analyse nicht weiter differenziert (wobei Eisenberg allerdings nicht explizit Synonymie oder auch nur eine starke Bedeutungsähnlichkeit zwischen haben und besitzen behauptet).6

6

Dass Agentivität einen wesentlichen Faktor im Hinblick auf die Passivierbarkeit einzelner Verben darstellt, soll hier nicht bezweifelt werden, wohl aber, dass haben und besitzen hinsichtlich ihrer Passivierbarkeit parallel zu behandeln sind (woraus sich ein Argument ergäbe, die beiden Verben in syntaktischer Hinsicht überhaupt parallel zu analysieren). Diesbezüglich äußern sich Zifonun et al. (1997:1796) vorsichtiger: Haben sei generell, besitzen «in aller Regel» nicht passivierbar. Auch Eroms hält haben für nicht passivierbar, konstatiert im Weiteren aber schlicht: «Verben wie besitzen erlauben dagegen die Passivbildung» (Eroms 2000:400). Dazu führt er folgendes Beispiel an: Ein solches Auto wird nicht von jedermann besessen. Die Auffassung von Eroms kann leicht durch Belege gestützt werden (Unterstreichung M.B.), vgl. (i). (i) Wieviel Tiroler Wald von Leuten besessen wird, die eigentlich keine Qualifikation dafür haben, kann Schwaninger nicht abschätzen (COSMAS, Tiroler Tageszeitung, 19.05.1999) Passiviertes haben ist meinen Recherchen zufolge aber praktisch nicht belegbar, wenn man vom Kompositum liebhaben bzw. lieb haben mit seiner deutlich verschobenen Semantik (vgl. ii) sowie von stark markiertem Gebrauch in der Literatursprache wie in (iii) (Elfriede Jelinek) absieht (Unterstreichungen M.B.). (ii) Sprechen Sie offen mit Ihrem Kind. Zeigen Sie ihm deutlich, dass es genauso lieb gehabt wird wie sein Geschwisterkind. (21.11.2010: http://www.elternimnetz.de/cms/paracms.php?site_id=5&page_ id=261) (iii) Wir wissen seit jeher: Was gehabt wird, kann weggenommen werden. Habt euch nicht so! Habt weniger als euch! (21.11.2010: http://www.deutscheakademie.de/druckversionen/buechner_1998. html) Ein ernster zu nehmendes Gegenbeispiel zur Generalisierung, dass haben kein Passiv zulässt, ist folgender Beleg (Unterstreichung M.B.). (iv) Das Ganze endet in tiefem Pessimismus: „Die wenigen politischen Ideen, die derzeit gehabt werden, schränken die Menschen ein, und zwar nicht nur finanziell, auch arbeitsrechtlich, zeitlich und freiheitlich, es wird ausschließlich lebensfremde und lebensfeindliche Repression geboren. […]“ (COSMAS, Die Presse, 12.08.1996) Es darf aber davon ausgegangen werden, dass ein solches Beispiel als deutlich markierter zu gelten hat als die (leicht belegbaren) Passivsätze mit besitzen als verbalem Prädikat. Diese Vermutung wäre allerdings erst noch mit weiteren Recherchen oder Befragungen zu stützen. Zur fehlenden Passivierbarkeit von haben-Konstruktionen ist im Weiteren dies festzuhalten: In der hier vertretenen Analyse ist haben syntaktisch dekomponierbar in

262 Die Auffassung von haben als einem Vollverb mit lexikalischer Semantik und einer entsprechenden Argumentstruktur ist auch in grammatiktheoretischen Arbeiten der jüngsten Zeit durchaus unhinterfragt anzutreffen. So stellt beispielsweise Teuber (2005:75) haben als Vollverb semantisch wie unten in Tabelle (7:1a) dar, was exakt seiner Darstellung des Verbs schälen (b) entspricht.7 a. ‚haben‘ = λs x1 x2:

s = besitzen ∧ –hr(s,x1) ∧ –lr(s,x2)

b. ‚schälen‘ = λs x1 x2:

s = schälen ∧ –hr(s,x1) ∧ –lr(s,x2)

(Tabelle 7:1)

Hier wird haben ganz analog zu schälen als zweiwertiges Verb aufgefasst, d. h. es vergibt zwei Thetarollen. Im Weiteren verfügt es über eine lexikalische Semantik, wie sie für die meisten Verben anzunehmen ist, und die gemäß der Darstellung von Teuber eine Art von Besitz zum Ausdruck bringt.8 Im Gegensatz dazu hat das Verb sein für Teuber einen gänzlich anderen Status. In syntaktischer Hinsicht gilt: In Kopulasätzen bildet sein zusammen mit dem Prädikatsnomen bzw. dem prädikativen Adjektiv eine «Prädikatsgruppe» (Teuber 2005:53). Weiter beschreibt Teuber die Charakteristik von Kopulakonstruktionen dadurch, «dass das Kopulaverb dem Substantiv oder Adjektiv dazu verhilft, ein syntaktisch einigermaßen normales Prädikat zu bilden» (Teuber 2005:53). Damit hat sein als Kopulaverb für Teuber in erster Linie grammatische Funktion, ansonsten ist es inhaltlich weit gehend ‹leer› (womit Teuber einer häufig vertretenen Auffassung des Kopulaverbs sein folgt; vgl. im Unterschied dazu Maienborn 2003 und die Diskussion unten in Abs. 7.3.1). Dementsprechend ist die Semantik von sein zu formulieren: Sein ist «so unspezifisch,

7

8

das Kopulaverb sein und einen präpositionalen Kopf (vgl. Abs. 2.6). Unter dieser Annahme folgt das (sehr weit gehende) Fehlen von passiviertem haben aus der Unmöglichkeit der Passivierung von sein, vgl. Er ist ein guter Lehrer – *Ein guter Lehrer wird (von ihm) gewesen (vgl. auch Zifonun et al. 1997:1807). Teubers Darstellung findet sich im Zusammenhang einer Diskussion der Grammatikalisierung des haben-Perfekts, was hier jedoch nicht weiter relevant ist. – Zur Notation: s bzw. x: Variable über Situationen bzw. Argument des Verbs; hr/lr: Bezeichnungen für semantische Rollen (+hr = ‹es gibt eine höhere Rolle›, –lr = ‹es gibt keine niedrigere Rolle› etc.) in Anlehnung an Wunderlich/Lakämper (1999). Eingehender zu Teubers Notationsweise vgl. Teuber (2005:62–64). Eine erschöpfende Beschreibung der lexikalischen Bedeutung von Lexikoneinheiten ist für Teuber (und für die Vertreter der Zwei-Ebenen-Semantik, auf die sich Teuber bezieht – Bierwisch 1983, Wunderlich 1997) nicht weiter von Interesse, denn sie betrifft idiosynkratische Bedeutungsanteile, die für die Belange grammatischer und satzsemantischer Analyse irrelevant sind.

263 dass [es] lediglich eine Situation, ein (logisch notwendig) involviertes Argument und eine Situationszeit festleg[t]» (Teuber 2005:123). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sein (als Kopulaverb) und haben (als Vollverb) bei Teuber semantisch völlig unterschiedlich aufgefasst werden. Haben weist eine lexikalische Semantik und eine Argumentstruktur wie jedes ‹gängige› Vollverb auf. Von transitiven Verben wie schälen, kritisieren oder ordnen unterscheidet es sich semantisch allein durch seine spezifischen lexikalisch-semantischen Merkmale, jedoch nicht in einer grundsätzlicheren Weise. Sein dagegen hat eine Funktion, die man sowohl aus syntaktischem als auch aus semantischem Blickwinkel als ‹strukturell› bezeichnen kann. Eine solche Auffassung der Verben haben bzw. sein wäre mit einer Inkorporationsanalyse, wie ich sie in Abs. 2.6 vertrete (aber ebenso mit anderen dort erwähnten Dekompositionsansätzen), wohl nur unter Einbezug von ad hoc formulierten Zusatzannahmen vereinbar. Insbesondere müsste angenommen werden, dass der in sein inkorporierende Kopf die Quelle der zugewiesenen Thetarollen darstellt; dazu wäre ein geeigneter ‹Vererbungsmechanismus› zu formulieren, der festlegt, wie das Inkorporationsprodukt (= haben) als Ganzes die Funktion als Thetarollenzuweiser wahrnehmen kann.9 Neben diesen theoretischen Überlegungen ist zu prüfen, inwiefern auf empirischer Ebene haben einem Verb vergleichbar ist, das dem Ausdruck einer Besitzsemantik dient, inwiefern es sich also semantisch wie besitzen oder auch – bei anderer syntaktischer Konstruierbarkeit – wie gehören10 verhält. Zunächst ist festzustellen, dass haben-Konstruktionen mit nicht-leerer Coda schon aus syntaktischen Gründen nicht in eine Konstruktion mit besitzen oder gehören

9

10

Für athematische Ansätze, d. h. solche Analysen, in denen HABEN nicht als Thetarollenzuweiser aufgefasst wird, stellt sich im Gegenzug die Frage, wie die beteiligten NPs überhaupt interpretiert werden können. Bettet HABEN einen SC ein, so lässt sich in Bezug auf die Objekt-NP die Frage nach der Interpretation dahingehend beantworten, dass die Objekt-NP als ‹Subjektargument› zum SC-Prädikat fungiert und so ihre Interpretierbarkeit sichergestellt ist. Damit reduziert sich die Problematik für eine athematische HABEN-Analyse auf die Frage nach der Interpretierbarkeit des Satzsubjekts in HABEN-Sätzen. Vgl. hierzu Brunson/Cowper (1992), Ritter/Rosen (1997) und Sæbø (2009). – Im Rahmen der hier vertretenen Analyse kann die Interpretation des haben-Subjekts ohne Rückgriff auf das Thetarollenkonzept erklärt werden, denn haben-Sätze stellen letztlich Kopulakonstruktionen dar, denen eine einfache Argument-Prädikat-Struktur zugrunde liegt (vgl. oben die Bemerkungen zu Bsp. 7-4 in Abs. 7.1). Vgl. im Weiteren den Dikken (1997) für eine Diskussion grundsätzlicher Fragen im Zusammenhang mit thematischen und athematischen Analysen von HABEN. Zu grundlegenden Unterschieden zwischen dem HABEN- und dem GEHÖREN‹Muster› im Feld der Konstruktionen zum Ausdruck von Possessionsrelationen vgl. Heine (1997).

264 überführt werden können: Eine Codakonstituente in prädikativer Funktion kann nicht in eine besitzen- oder gehören-Konstruktion integriert werden. Als Beispiel diene der AHK in (7-5a). (7-5)

a. b. c.

Sie hat das Fenster offen. *Sie besitzt das Fenster offen. *Ihr gehört das Fenster offen.

Daneben erlauben haben und besitzen aber auch syntaktisch parallele Konstruktionen mit – auf den ersten Blick – eng verwandter Semantik (7-6).11 (7-6)

a. b.

Oskar hat ein Auto. Oskar besitzt ein Auto.

In semantischer Hinsicht dürften die beiden Sätze in einer großen Zahl von denkbaren pragmatischen Kontexten als weit gehend synonym empfunden werden. Die Unmittelbarkeit, mit der sich für Sätze wie (7-6a) oder Evelyn hat einen Kanarienvogel eine Besitzlesart ergibt, scheint zunächst einmal dafür zu sprechen, haben zumindest in gewissen Verwendungsweisen als Synonym oder Beinahe-Synonym von besitzen (und damit – in diesen Verwendungsweisen – als lexikalisches Verb) aufzufassen. Allerdings ergibt sich in verschiedenen Äußerungskontexten auch ohne Weiteres eine Vielzahl anderer Interpretationen für die genannten haben-Sätze (vgl. Burton 1995:111): ‚Oskar hat die Zeichnung eines Autos vor sich‘, ‚Oskar hat die Aufgabe, über ein Auto zu berichten‘ etc. bzw. ‚Evelyns Beobachtungsobjekt ist ein Kanarienvogel‘ etc. Die pragmatisch möglichen Lesarten sind wahrscheinlich im strikten Sinne unbegrenzt (aber natürlich nicht beliebig). Daher ist es schwer nachvollziehbar, dass Itälä (1981) die

11

Hierzu ist zu bemerken, dass haben in einer Vielzahl von Beispielen nicht durch besitzen ersetzt werden kann, bei denen keine rein syntaktischen Gründe geltend gemacht werden können. (i) Sie haben/#besitzen einen unangenehmen Vorgesetzten. (ii) Sie hat/#besitzt eine Menge Staubflusen. (iii) Nach langem Suchen hatte/#besaß ich die Papiere. Zu haben-Konstruktionen mit einem relational zu interpretierenden Objektnomen wie Vorgesetzter in (i) vgl. Abs. 7.2.2. Zur Unterscheidung von ‹besitzwürdigen› (wie Designersofa, Bildband etc.) und ‹nicht-besitzwürdigen› Referenten (wie Staubflusen in ii) vgl. Lüdeling (1995:83f). Zu Sätzen wie (iii), in denen eine ‹KontrollSemantik› im Sinne von Jensen/Vikner (1998) vorliegt, vgl. Abs. 7.2.3. Die hier in Auswahl illustrierten Beschränkungen für besitzen könnten von Vertretern eines ‹lexikalischen Ansatzes› so gedeutet werden, dass die Besitz-Semantik von besitzen ‹enger› zu fassen ist als diejenige von haben oder dass haben (als Vollverb) in Form (mindestens) zweier Homonyme vorliegt, von denen nur eines mit besitzen synonym ist.

265 Auffassung vertritt, der Satz Kurt hat Bücher bringe «unmissverständlich zum Ausdruck […], dass Kurt Eigentümer von Büchern ist» (Itälä 1981:143). Sie erläutert dazu weiter: «Nicht ein situativer Kontext erlaubt diese Information, sondern unser Wissen um die in der Gesellschaft bestehenden Eigentumsbeziehungen.» (Itälä 1981:143) Zwar ist es richtig, dass zwischen Menschen und Büchern oft ein Besitzverhältnis besteht, und dass das Wissen darum es uns in einer Vielzahl von pragmatischen Kontexten erlaubt und sogar nahe legt, einen Satz wie Kurt hat Bücher so zu interpretieren, dass Kurt der Besitzer von Büchern ist. Eine solche Lesart ist aber – und das ist das Entscheidende – keineswegs zwingend, und andere Lesarten sind pragmatisch teilweise ebenso leicht zugänglich wie die Besitzlesart. Zur Illustration diene ein Kontext, der durch die folgende konstruierte Gesprächssequenz angedeutet wird. (7-7)

– A: Kurt muss doch ein Referat über Napoleon halten. Hat er schon Material? – B: Ja, er hat Bücher.

Mit Bs Antwort ist in keiner Weise festgelegt, ob Kurt Bücher (zum genannten Thema) in seinem Besitz hat, ob er welche aus einer Bibliothek oder von Freunden ausgeliehen hat oder ob er in anderer Weise zu ihnen Zugang hat (etwa dadurch, dass sein Zimmergenosse ein paar einschlägige Werke zum Thema besitzt). – Aufgrund der folgenden Beispiele muss nun davon ausgegangen werden, dass haben grundsätzlich nicht als Synonym eines Besitzverbs in Erscheinung treten kann. (7-8)

– Hast du den Sportwagen geliehen? – Nein, ich besitze ihn / ich bin der Besitzer / er gehört mir / #ich habe ihn.

(7-9)

Mein Nachbar protzt mit seinem Weingut am Genfersee, aber er hat es nur gepachtet, ich dagegen besitze eins / mir dagegen gehört eins / #ich dagegen habe eins.

Die Beispiele zeigen, dass haben – anders als besitzen oder gehören – nicht geeignet ist, explizit eine Relation dauerhaften Besitzes zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt unterschiedslos bei Vorliegen einer definit zu interpretierenden Akkusativ-NP (7-8) wie auch einer indefiniten Akkusativ-NP (7-9). Wäre haben – oder eins von mehreren haben-Homonymen – mit besitzen bedeutungsgleich oder stark bedeutungsähnlich, sollten die Satzvarianten mit haben in (7-8/7-9) pragmatisch angemessen sein.12

12

Dies lässt sich beispielsweise anhand des Verbpaares nehmen/schlucken verdeutlichen. Das Lexem nehmen kann in bestimmten Kontexten und mit Objekten, die bestimmte semantische Merkmale aufweisen (insbesondere mit Nomen, die Medikamente denotieren) (quasi-)synonym zu schlucken verwendet werden. Hier kann

266 Vor diesem Hintergrund erscheint ein Zugang, dem zufolge haben (oder eins von mehreren haben-Homonymen) kraft seiner lexikalischen Semantik eine Besitzrelation ausdrückt, wenig attraktiv.13

7.2.2 Relationale haben-Konstruktion Der Auffassung von HABEN als Verb mit lexikalischer Semantik und Argumentstruktur fundamental entgegengesetzt ist der Analyseansatz, der in diesem Abschnitt zur Sprache kommt. Hierbei leistet HABEN gar keinen Beitrag zur Satzsemantik. Vielmehr wird die semantische Interpretation ganz vom relational zu interpretierenden Kopfnomen der Objekt-NP gesteuert, weshalb im Folgenden von ‹relationalen HABEN-Konstruktionen› die Rede sein soll. Eine Ausarbeitung dieses Analysezugangs bietet Keenan (1987) (vgl. auch Partee 199914; McIntyre 2006:191; der Ansatz wird auch von Jensen/Vikner 1998 aufgegriffen, vgl. dazu Abs. 7.2.3). Grundlegend für Keenans (1987) Ansatz sind zwei Annahmen: Erstens ist die VP in existenziellen there-Sätzen (ET-Sätze, vgl. 7-10a) und ‹existenziellen have-Sätzen› (EH-Sätzen, vgl. 7-10b) syntaktisch parallel aufgebaut. (7-10) a. b.

There is a student in the garden. John has a friend in Chicago.

Die zweite Annahme besteht darin, dass auch die Bedeutungskomposition in beiden Konstruktionen in paralleler Weise verläuft. ET- (vgl. 7-10a) und EHSätze (vgl. 7-10b) können wie in (7-11a) bzw. (7-12a) schematisiert werden.

13

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das semantisch grundsätzlich breiter anwendbare nehmen assertiv in der Bedeutung ‚schlucken‘ verwendet werden (i). (i) – A: Hast du vergessen, deine Pillen zu schlucken? – B: Nein, ich habe sie genommen. Wäre haben als (Quasi-)Synonym von besitzen einsetzbar, so müsste es in Bezug auf dieses ein Substitutionsverhalten zeigen, wie es für nehmen in (i) in Bezug auf schlucken beobachtet werden kann. Damit ist die Möglichkeit, haben als Verb mit lexikalischer Semantik zu analysieren, das mit einer entsprechenden Argumentstruktur ausgestattet ist, natürlich noch nicht widerlegt. Eine offene Frage ist, wie die lexikalische Semantik von haben zu charakterisieren ist, wenn eine Besitzsemantik im engeren Sinne dabei nicht in Frage kommt (vgl. dazu Abs. 7.2.3). Die Analyse in Partee (1999) ist deutlich älter, als es das Publikationsjahr vermuten lässt, denn wesentliche Teile des Inhalts von Partee (1999) entsprechen dem unpublizierten (aber doch rezipierten!) Paper Landman/Partee (1987).

267 (7-11) a. b.

there [be [NP Det15 student] [XP in the garden]] [NP Det [student in the garden]] exist

(7-12) a. b.

John has [NP Det friend] [XP in Chicago] [NP Det [friend of John in Chicago]] exist

Die Darstellungen in (7-11b) und (7-12b) zeigen die parallele semantische Interpretation von ET- und EH-Konstruktionen; das Verb have in (7-12) leistet keinen semantischen Beitrag. Vielmehr ist die EH-Konstruktion in (7-12) semantisch nur durch die zwei folgenden Relationen bestimmt: einerseits durch diejenige zwischen den beiden postverbalen Konstituenten NP und XP (hierin entsprechen EH-Sätze genau den existenziellen there-Sätzen), andererseits durch die Relation zwischen den beiden NPs, wobei die präverbale NP Argument der relational aufzufassenden postverbalen NP ist und zugleich als strukturelles Subjekt des Satzes dient (hierin unterscheiden sich EH-Sätze von existenziellen there-Sätzen). Der zweite, hier wichtigere Sachverhalt lässt sich – bezogen auf eine deutsche haben-Konstruktion und gegenüber der Darstellung in Keenan etwas vereinfacht (vgl. Jensen/Vikner 1998, Partee 1999) – wie folgt darstellen. (7-13) a. b.

Hans hat einen Freund. ∃x[Freund(x,Hans)]

Nach dieser Auffassung erschöpft sich die Bedeutung von (7-13a) somit darin, dass ein Individuum existiert, von dem gilt, dass es ein Freund von Hans ist. Freund dient dabei als relationales Nomen, genauer gesagt als zweistelliges Prädikat, dessen eines Argument als Satzsubjekt realisiert wird. Haben besitzt keine eigene Argumentstruktur, sondern ‹übernimmt› oder ‹vermittelt› die Argumentstruktur des relationalen Nomens (vgl. Jensen/Vikner 1998:117).16

15

16

Det bezeichnet hier und im folgenden Beispiel mit der EH-Konstruktion einen beliebigen Determinierer. Keenans Analyse zielt auf eine Ableitung des sog. Definitheitseffekts, wie er in ET- wie EH-Sätzen gleichermaßen zu beobachten ist. Dabei geht es um die Bestimmung der Klasse von Determinierern, deren Vertreter in ETund EH-Sätzen in die genannte Det-Position eingesetzt werden können. Auf diese Problematik wird hier nicht weiter eingegangen (vgl. aber Gutiérrez-Rexach 2007). Durch seine reine ‹Vermittlungsfunktion› und die damit verbundene semantische ‹Neutralität› zeigt haben eine Charakteristik, die gewöhnlich dem Kopulaverb sein zugeschrieben wird (vgl. oben Abs. 7.2.1); vgl. dazu (i) und (ii). (i) Oskar ist ein guter Lehrer. (ii) Franz hat einen guten Lehrer. In beiden Fällen wird eine Relation zwischen dem Prädikat guter Lehrer einerseits und einem Argumentausdruck – dem Satzsubjekt – ausgedrückt. Das Nomen Lehrer stellt ein zweistelliges Prädikat Lehrer(x,y) dar , wobei allgemein gilt: ‚x ist Lehrer

268 An dieser Stelle sollen einige kritische Bemerkungen zur oben skizzierten Analyse von relationalen HABEN-Konstruktionen gemacht werden. Zunächst ist anzumerken, dass in der Literatur (vgl. Keenan 1987, Jensen/Vikner 1998, Partee 1999) keine Erklärung dafür gegeben wird, warum das semantisch leere Verb in relationalen HABEN-Konstruktionen gerade HABEN zu sein hat, und nicht beispielsweise SEIN oder auch ein anderes Verb; dies stellt auf theoretischer Ebene einen Schwachpunkt der Analyse dar (vgl. dazu aber die Überlegung in Fn. 16). Auf empirischer Ebene ist Folgendes festzuhalten: Es darf als unzweifelhaft gelten, dass die Analyse nicht auf die Gesamtheit der möglichen HABEN-Konstruktionen – und was hier interessiert: nicht auf alle habenKonstruktionen im Deutschen – ausgedehnt werden kann (vgl. Jensen/Vikner 1998, Sæbø 2009). So kann eine definite Objekt-NP in einem haben-Satz nicht relational interpretiert werden. (7-14) a. b.

Sie hat eine Schwester. Sie hat die Schwester.

Während (7-14a) analog zu (7-13) interpretiert werden kann, ist dies im Falle von (7-14b) nicht möglich (nach Jensen/Vikner 1998:121f liegt im b-Satz eine ‹Kontroll-Lesart› vor, vgl. unten Abs. 7.2.3). Im Weiteren sind Sätze wie (714a), in denen ein typischerweise relational interpretierbares Nomen den Kopf der Akkusativ-NP bildet, ihrerseits nicht zwingend als relationale haben-Konstruktion zu interpretieren (vgl. Jensen/Vikner 1998:122). So stellt beispielsweise für Ich habe ein Kind die relationale Lesart (‚Ich bin Mutter/Vater eines Kindes‘) zwar die pragmatisch unmarkierte, doch nicht die einzig mögliche Lesart dar. Man stelle sich etwa ein Gartenfest vor, bei dem für gewisse Spiele per Los Mannschaften gebildet werden. Da mag Anna bei der Zulosung triumphierend ausrufen: Ich habe ein Kind! – dies im Wissen darum, dass ihrem Team nun der Sieg in den Disziplinen Memory und Murmeln-im-Gestrüpp-Suchen so gut wie sicher ist. Hierbei wird Kind nicht relational interpretiert, denn Anna braucht nicht die Mutter des Kindes zu sein. Problematisch für eine relationale Analyse im Sinne von (7-13) ist nun die Tatsache, dass eine relationale Lesart in Bezug auf die Akkusativ-NP bei Hinzufügung einer als-Phrase nicht mehr zugänglich erscheint.

von y‘. In (i) wird das ‹externe› Argument x (im Beispiel Oskar) als Satzsubjekt realisiert, und das ‹interne› Argument y bleibt unausgedrückt. In (ii) verhält es sich umgekehrt und y (Franz) tritt als Subjekt auf. Das Erscheinen von sein bzw. haben könnte als rein syntaktischer Reflex dieser unterschiedlichen Argumentrealisierung interpretiert werden. – Allerdings wird unten deutlich, dass sich nicht alle habenKonstruktionen in der Weise einordnen lassen.

269 (7-15) a. b.

Anna hat eine Klavierlehrerin. Anna hat eine Klavierlehrerin als Privatsekretärin.

Unter unauffälligen pragmatischen Bedingungen wird (7-15a) so interpretiert, dass es eine Frau gibt, die Annas Klavierlehrerin ist, (b) dagegen so, dass es eine Frau gibt, die Annas Privatsekretärin ist (und von ihr erfahren wir weiter, dass sie eine Klavierlehrerin ist). Mit anderen Worten: Im (b)-Satz ist nicht Klavierlehrerin (vgl. a), sondern Privatsekretärin relational zu verstehen.17 In (7-15b) wird somit die sich für (7-15a) aufdrängende Lesart (mit relationaler Interpretation von Klavierlehrerin) durch die Präsenz der als-Phrase gleichsam überschrieben (zur restringierenden Funktion von als-Phrasen vgl. auch oben Abs. 5.4.3.2). Damit wäre (7-15b) annäherungsweise in Form von (7-16) interpretierbar.18 (7-16) a.

∃x[Privatsekretärin(x,Anna) & Klavierlehrerin(x)]

Entscheidend ist aber, dass eine solche Lesart auch für (7-15a) möglich ist, d. h. auch dann, wenn im Satz gar keine entsprechende als-Phrase erscheint. Die Zugänglichkeit dieser Lesart für (7-15a) ist von pragmatischen Bedingungen abhängig. In einem Kontext, wo mehrere Personen sich darüber austauschen, welche beruflichen Hintergründe ihre jeweiligen Privatsekretärinnen aufweisen, mag die Äußerung des Satzes (7-15a) analog zu (7-15b/7-16) verstanden werden (vgl. auch Zoeppritz 1981:119). Anders gesagt: Ob zum Ausdruck der in (716) angedeuteten Semantik Äußerung (7-15a) oder Äußerung (b) pragmatisch angemessen ist, hängt allein davon ab, ob der Äußerungskontext ausreichend

17

18

Auch die relationale Lesart in Bezug auf Privatsekretärin ergibt sich nicht obligatorisch. Eine nicht-relationale Lesart ist weiterhin möglich, wenn sie auch von besonderen pragmatischen Hintergrundannahmen abhängig ist. Ein denkbarer Kontext für die nicht-relationale Lesart des Kernnomens in der als-Phrase eines haben-Satzes wäre der folgende (nach Burton 1995:119): Doug übte viele verschiedene Berufe aus, und in jeder beruflichen Phase hatte er eine andere Freundin. Dann kann man sagen: Susi hatte Doug als Klempner, und Maria hatte Doug als Assistenten, wobei die Relation, in der die Subjektsreferenten zu Doug stehen, rein kontextuell spezifiziert ist (etwa als ‚zum Partner/als Freund haben‘ o. ä.). (Im Beispiel ist die relationale Lesart für das Objektnomen ausgeschlossen, da dieses jeweils einen Eigennamen darstellt und damit definit zu interpretieren ist; vgl. Sturm 2005). Daneben ist wohl eine relationale Lesart des Objektnomens (hier Klavierlehrerin) – auch bei Vorhandensein einer als-Phrase – nicht völlig ausgeschlossen. Denkbar wäre etwa, dass Anna bei mehreren Klavierlehrerinnen Unterricht nimmt und sie eine dieser Lehrerinnen zusätzlich in der Funktion als Privatsekretärin angestellt hat.

270 Hinweise darauf bietet, dass die mit Klavierlehrerin benannte Person in Bezug auf den Subjektsreferenten die Funktion einer Privatsekretärin wahrnimmt.19 Wenn somit sowohl eine relationale und als auch eine nicht-relationale Lesart in einem haben-Satz mit indefiniter Akkusativ-NP grundsätzlich zugänglich ist, und dabei die Wahl der einen oder anderen Lesart maßgeblich vom pragmatischen Kontext gesteuert wird, so ist zu fragen, ob es angemessen ist, die Lesarten auf semantischer Ebene zu codieren. Wenn nämlich zur Desambiguierung zwischen zwei (oder mehr) semantischen Repräsentationen in jedem Fall auf pragmatische Faktoren zurückgegriffen werden muss, so ist es ökonomischer anzunehmen, dass die Semantik von haben-Sätzen unterspezifiziert bleibt in Bezug auf die (Nicht-)Relationalität der im Satz auftretenden Nomen und es allein die Pragmatik ist, die – ohne ‹Umweg› über eine Auswahlfunktion in Bezug auf unterschiedliche semantische Repräsentationen – direkt bestimmt, welches Nomen gegebenenfalls relational in Bezug auf den Subjektsreferenten zu interpretieren ist. In den Sätzen in (7-15) stellt das Subjekt Anna somit auf semantischer Ebene kein Argument von einem der relationalen Nomen, die im jeweiligen Satz vorkommen, dar. Ist eine bestimmte Relation – etwa die ‹Privatsekretärin-vonx-Relation› oder die ‹Klavierlehrerin-von-x-Relation› – im Diskurs aber hinreichend salient, so kann das Subjekt des haben-Satzes als x-Argument dieser Relation interpretiert werden. Durch das Auftreten eines relational interpretierbaren Nomens wie Privatsekretärin, Klavierlehrerin etc. wird die Relation im Diskurs salient; sie kann aber auch unabhängig davon, d. h. allein durch den pragmatischen Kontext salient werden (vgl. Burton 1995:20f, 38). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Möglichkeit, das haben-Subjekt als Argument einer Relation aufzufassen, die der Semantik eines relational interpretierbaren Nomens im haben-Satz entspricht, nicht Teil der Semantik des Verbs haben ist, sondern einen pragmatischen Effekt darstellt.20 19

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Ähnliche Lesartenverschiebungen wie die beschriebenen lassen sich beobachten, wenn anstelle einer als-Phrase eine lokale PP in den haben-Satz eingefügt wird (vgl. Déchaine et al. 1994). (i) Sie hat ein Kind. (ii) Sie hat ein Kind auf dem Schoß / im Auto. Im Gegensatz zu (a) wird in (b) Kind bevorzugt nicht-relational interpretiert. Zugleich wird das in der PP enthaltene Nomen relational verstanden, d. h. Schoß wird als Körperteil des Subjektsreferenten verstanden bzw. Auto wird als Teil des ‹metonymisch erweiterten Körpers› (diese Ausdrucksweise ist dem Aufsatz von Hole 2002 entnommen) konzeptualisiert. Beschreitet man diesen Weg, so muss der Definitheitseffekt – der im grundsätzlichen Ausschluss der relationalen Lesart bei definitem Objektnomen manifest wird – ebenfalls rein pragmatisch abgeleitet werden. Dies leiste ich hier nicht (vgl. zu einer entsprechenden Diskussion in Bezug auf existenzielle there-Sätze Keenan 2003).

271 7.2.3 Haben: mehrdeutig oder vollständig unterspezifiziert? Aus der bisherigen Diskussion wird ersichtlich, dass weder ein Ansatz, der haben als lexikalisches Verb auffasst (vgl. Abs. 7.2.1), noch eine ‹relationale Analyse›, wie sie in Abs. 7.2.2 dargestellt wurde, alle Verwendungsweisen von haben als Vollverb erfassen kann (diese Feststellung gilt unabhängig davon, wie die einzelnen Analysen für den Datenbereich, auf den sie abzielen, zu bewerten sind). Vor diesem Hintergrund können zwei gegensätzliche, je radikale Lösungswege beschritten werden: Entweder man fasst haben (als Vollverb) als eine Menge von homonymen Verben auf, die eine je unterschiedliche Semantik aufweisen, oder man geht davon aus, dass ein einziges Vollverb haben existiert, welches in semantischer Hinsicht aber radikal unterspezifiziert ist. Beide Herangehensweisen sollen hier knapp erörtert werden; mein eigener Analysevorschlag (vgl. Abs. 7.3) wird mit der zweiten Herangehensweise enger verwandt sein als mit der ersten. Die Etablierung einer Anzahl homonymer Verben entspricht einer lexikografischen Herangehensweise (vgl. beispielsweise VALBU 2004). Ebenfalls auf eine Aufzählung von Einzelbedeutungen zielen Lukmani (1979) oder Aristoteles (1984)21 in Bezug auf HABEN im Englischen bzw. Griechischen ab. Andere Autoren streben eine Reduktion auf einige wenige Grundbedeutungen oder Gebrauchsweisen des HABEN-Verbs einer Einzelsprache an, so etwa Bendix (1966, 1971) oder Tham (2004, 2006) zum englischen have, Itälä (1981) zum deutschen haben oder Jensen/Vikner (1998) zum dänischen have. Dabei kann das HABEN-Verb in einer der jeweils etablierten Kategorien ‹bedeutungsleer› sein, in anderen Kategorien dagegen eine lexikalische Semantik aufweisen. Dies gilt beispielsweise für die Analyse von Jensen/Vikner (1998) (im Folgenden: J&V), die hier kurz aufgegriffen werden soll. Gegenstand des Aufsatzes von J&V sind Konstruktionen mit dem dänischen Vollverb have, und zwar fast ausschließlich solche vom Formtyp have + NP, also Konstruktionen mit leerer Co-

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Eine der acht von Aristoteles angenommenen Bedeutungen zeigt sich in der Verwendung ‹eine Frau/ein Mann haben›, die Aristoteles (1984:33) als «sehr sonderbar» bezeichnet, da diese HABEN-Verbindung ja eigentlich nichts anderes als ‚verheiratet sein‘ bedeute. Damit nimmt Aristoteles implizit die in Abs. 7.2.2 diskutierte ‹relationale Analyse› vorweg. – In seinem Kommentar zu Aristoteles’ Kategorien vermerkt Oehler, dass es sich bei Kapitel 15, auf das ich hier Bezug nehme, um «eine lexikalische Erörterung» (Aristoteles 1984:288) handle, die «einen Überblick über den Gebrauch des Verbs ‹haben› [gibt.] Es ist keine Analyse der Kategorie des Habens.» (Aristoteles 1984:287) Somit liegt hier eine sprachbezogene, nicht eine ontologische Erörterung vor.

272 da.22 J&V vertreten die These, dass die (scheinbare) Vielzahl der Bedeutungen von have semantisch auf zwei Verwendungsweisen zurückführbar ist, weshalb die Autoren von der semantischen ‹Doppelnatur› («double nature», J&V:114) von have sprechen. Eine noch weiter gehende Generalisierbarkeit auf eine einzige Verwendungsweise oder Grundbedeutung scheint – dies vermitteln J&V zumindest implizit – nicht gegeben. Die beiden Verwendungsweisen lassen sich wie folgt charakterisieren: – ‹relationale Verwendung›: have «allows its sense to be identical to a relation picked up from its direct object» (J&V:113). – ‹Kontrollverwendung›:23 have drückt aus, dass der Possessor in einem weiten Sinne Verfügungsgewalt über das Possessum hat (vgl. J&V:115). Im ersten Fall steuert have keine Eigensemantik zur Satzbedeutung bei. Vielmehr hängt die semantische Relation zwischen Possessor und Possessum allein von der Semantik des Possessums ab. Diese HABEN-Verwendung wurde oben in Abs. 7.2.2 dargestellt. Im zweiten Fall drückt have eine spezifische (wenn auch in diesem Fall recht abstrakte) Bedeutung aus und ist insofern einem lexikalischen Verb vergleichbar. Kontrollsemantik liegt in (7-17a) vor.24 (7-17) a. b.

Anna hat ein Motorboot. ∃x[Motorboot(x) & Kontrolle(Anna,x)]

Die nach J&V für (7-17a) anzunehmende Semantik lässt sich in einfacher Weise durch (7-17b) darstellen. Entscheidend ist, dass haben eine Relation zwischen dem Subjektsreferenten und dem Objektsreferenten herstellt, die darin besteht, dass der Erste (im Beispiel: Anna) Verfügungsgewalt über den Zweiten (Motorboot) hat. Der spezifische Charakter des Kontroll-Prädikats – ob also Anna das Motorboot besitzt, ausgeliehen hat, entwendet hat, vom Seegrund geborgen und abtransportiert hat etc. – ist nicht Teil der Semantik des Satzes, sondern wird allein von pragmatischen Faktoren bestimmt (vgl. J&V:115). Eine im Sinne von J&Vs Kontrollbegriff verstandene lexikalische Semantik von haben ist im Übrigen mit den oben in Zusammenhang mit (7-7), (7-8) und (7-9) gemachten Beobachtungen vereinbar (vgl. die Diskussion am Ende von Abs. 7.2.1). Aus

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Die theoretische Grundlage von J&Vs Analyse bildet die Theorie des Generativen Lexikons von James Pustejovsky (vgl. Pustejovsky 1991, 1995), worauf hier nicht eingegangen werden soll. Es ist hier zu beachten, dass Kontrolle (control) im hier intendierten Sinne in keiner Weise in Beziehung steht zur Kontrolltheorie als Teiltheorie der Prinzipien&Parameter-Theorie, die die Interpretation von PRO-Subjekten insbesondere in infiniten satzwertigen Phrasen regelt. Die von J&V angeführten Beispiele haben sowohl in formaler als auch inhaltlicher Hinsicht sehr genaue Entsprechungen im Deutschen, weshalb in der Diskussion hier auf deutsche Beispiele Bezug genommen wird.

273 diesem Grund, sowie aufgrund seiner Einfachheit (die verschiedenen Verwendungen von haben werden auf nur zwei haben-Homonyme zurückgeführt), ist das Modell von J&V grundsätzlich als attraktiv zu bewerten. Dennoch lässt sich Folgendes kritisch anmerken. Erstens ist zu fragen, ob eine Reduzierung auf eine einzige, einheitliche Semantik von haben nicht doch möglich und angemessen ist; ein entsprechender Vorschlag wird unten in Abs. 7.3 skizziert. Zweitens ist auf die oben in Abs. 7.2.2 vorgebrachten Einwände gegen eine ‹relationale Analyse› zu verweisen. Sie führen zum Schluss, dass die Auffassung, relationales haben ‹transportiere› auf der Ebene der Semantik bloß die Argumentstruktur des Objektnomens, unhaltbar ist. Drittens ist unklar, ob haben-Sätze mit einem Prädikat in der Coda in J&Vs Modell integriert werden können. Wenn dies nicht der Fall ist, müsste (mindestens) ein weiteres haben-Homonym angenommen werden, das in Sätzen wie (7-18) angewandt wird. (7-18) a. b. c.

Er hat das Fenster offen. Er hat den Arm eingebunden. Er hat die Füße im Wasser.

In (7-18a) liegt ein AHK (vgl. Kap. 3), in (b) ein PHK (vgl. Kap. 4) und in (c) eine haben-Konstruktion mit einer PP als Codakonstituente vor. In diesen Fällen bilden Adjektiv (offen), Partizip II (eingebunden) bzw. PP (im Wasser) das Prädikat des von haben eingebetteten SC. Kann haben in diesen Sätzen eine Kontrollrelation im Sinne von J&V ausdrücken? Zwar lässt sich sagen, dass die Körperteile (vgl. die Objektnomen in 7-18b/c), die in einer Teil-Ganzes-Relation zum Subjektsreferenten stehen, von diesem gleichsam kontrolliert werden, ihm zur Verfügung stehen ö. ä.; auch kann (7-18a) so interpretiert werden, dass das Fenster sich in einem vom Subjektsreferenten kontrollierten oder kontrollierbaren räumlichen Bereich befindet. Allerdings würde die so gedeutete Kontrollrelation in den Sätzen in (7-18) anders als in (7-17a) nicht assertiert, sondern präsupponiert (vgl. dazu eingehend Abs. 3.5.3).25 Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die Kontrollrelation nicht auf das Denotat der AkkusativNP, sondern auf die gesamte durch den SC vermittelte Proposition zu beziehen. Damit wäre beispielsweise in (7-18c) die Tatsache, dass die Füße im Wasser

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Dieser Umstand ist nicht darauf zurückzuführen, dass in den hier vorliegenden Satzbeispielen das Objektnomen von einem definiten Artikel begleitet wird. (i) Er hat den Ball. (ii) Er hat einen Arm eingebunden. Im Rahmen des Modells von J&V liegt in (i) Kontrollsemantik vor. Diese ist sowohl bei definiter (vgl. i) als auch bei indefiniter Objekt-NP möglich (vgl. J&V:124). In (ii) wurde gegenüber (7-18b) der definite Artikel durch den indefiniten ersetzt; dennoch bleibt die Präsuppositionalität von Arm erhalten (vgl.: #Sie hat einen Arm; vgl. im Weiteren Abs. 3.5.3).

274 sind, vom Subjektsreferenten ‹kontrolliert›, d. h. der Satz könnte so verstanden werden, dass der entsprechende Zustand vom Subjektsreferenten herbeigeführt wurde oder aufrechterhalten wird. Eine solche Lesart ist allerdings keineswegs zwingend, vgl. etwa das folgende mögliche Szenario zu (7-18a): Die ans Bett gefesselte Patientin hatte den ganzen Tag das Fenster offen – der Pfleger hatte es am Morgen geöffnet, verschwand und kam nicht wieder – und daher hat sie jetzt auch noch eine Lungenentzündung. Für diesen Fall müsste eine andere Semantik als die der Kontrollrelation angenommen werden. Dass es sich dabei um eine relationale haben-Verwendung handelt, erscheint als zumindest problematische Annahme.26 Daher wäre die Postulierung eines weiteren habenHomonyms wohl unvermeidlich. Einer Analyse, die von mehreren haben-Homonymen ausgeht, entgegengesetzt ist die Annahme, dass die von haben vermittelte Relation eine einheitlich zu fassende, dabei semantisch aber weit gehend unspezifische Relation ist. Eine derartige Sichtweise vertreten im Hinblick auf HABEN in verschiedenen Einzelsprachen u. a. Renzi (1971:150, 160), Tellier (1994:239), Ritter/Rosen

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Bei dem Versuch, die Sätze in (7-18) als Instanzen relationaler haben-Verwendung einzuordnen, müsste die Auffassung, was als relationale HABEN-Konstruktion zu gelten hat, erheblich revidiert werden. In relationalen HABEN-Konstruktionen gilt der Definitheitseffekt: So ist beispielsweise die relationale Interpretation von Schwester nur gegeben, wenn das Nomen indefinit ist (i). (i) Sie hat eine Schwester. (ii) Sie hat die Schwester. In der Variante mit definiter Akkusativ-NP (ii) ist nur die Kontrolllesart von haben möglich (vgl. J&V:121). In den Sätzen in (7-18) ist das Objektnomen dagegen von einem definiten Artikel begleitet, weshalb dort keine relationale Konstruktion im bisher diskutierten Sinne vorliegen kann. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Körperteilnomen in (7-18b) und (c) inalienable Possessa des Subjektsreferenten bezeichnen und in diesem Sinne auch relationale Konzepte ausdrücken: «An inalienable object […] is inherently defined in terms of another object, of which it is a part.» (Alexiadou 2003:167) Der definite Artikel, wie er in Verbindung mit den Objektnomen in (7-18) auftritt, wurde aufgrund seiner Sondereigenschaften in Abs. 3.6.4 als ‹pseudo-definiter Artikel› bezeichnet. Er liegt auch im Falle der NP das Fenster in (7-18a) vor (zur Rechtfertigung dieser Einordnung vgl. Abs. 3.6.4). Vor diesem Hintergrund könnte somit eine ‹relationale Analyse› von Beispielen wie in (7-18) ins Auge gefasst werden, die im Einzelnen aber erst noch zu entwickeln wäre. In jedem Fall ist in Rechnung zu stellen, dass bei relationalen haben-Konstruktionen im Sinne von J&V vor dem relational zu interpretierenden Nomen nicht der pseudo-definite Artikel erscheinen kann. Wäre dies der Fall, so könnte die in (ii) als pseudo-definit interpretiert werden und der Satz müsste dieselbe relationale Lesart aufweisen wie (i).

275 (1997) oder Harley (1998:198).27 Daneben gehen viele generative Analysen – wie beispielsweise Freeze (1992) oder Kayne (1993) – zumindest implizit davon aus, dass HABEN keine lexikalisch-semantische Merkmale aufweist. Wenn nun haben eine unspezifische Relation R ausdrückt, kann diese inhaltlich in grundsätzlich beliebiger Weise interpretiert werden. Burton (1995) versteht R als Variable, deren Wert durch eine im Diskurs saliente Relation festgelegt wird.28 Entsprechend äußert sich McIntyre (2006) zur Relation, die have (im Englischen) vermittelt: «HAVE(x,y)29 asserts of x that it is in some relationship to y.» (McIntyre 2006:191) Damit gilt: «HAVE does no more than assert that x has something to do with or is somehow involved with y.» (McIntyre 2006:191) In einem Satz wie Fred has a book drückt have somit nicht den Besitz eines Buches durch Fred aus, und auch nicht – wie es der Annahme von J&V entspräche – eine Relation der Verfügbarkeit, sondern nur, dass Fred in (irgend)einer Relation zum Referenten von Buch steht. Wie kommt es aber dann zur ‹richtigen› Interpretation des Satzes, der zufolge ja eine Art Zugehörigkeit zwischen einem Buch und Fred besteht? «Cultural knowledge tells us that ownership or temporary access is a likely relation between people and books.» (McIntyre 2006:191) Diese Erklärung ist sicherlich unbefriedigend, denn das Weltwissen sagt uns auch, dass Menschen zu Büchern oft in der Relation stehen, dass sie sie lesen. Dennoch ist Fred hat ein Buch in den meisten pragmatischen Kontexten ungeeignet dafür, die Bedeutung ‚Fred liest ein Buch‘ zu vermitteln (gegebenenfalls vermag der haben-Satz diese Bedeutung zu implikatieren).30 Man könnte einwenden, dass – zumindest im Hinblick auf das Deutsche – nicht-stative Relationen aus unabhängigen Gründen für die kontextuelle Festlegung der unspezifischen Relation, die haben vermittelt, ausscheiden (vgl. unten Abs. 7.3; vgl. auch Burton 1995:106f). Doch auch bei einer Beschränkung auf stative Relationen macht eine Unterspezifikationsanalyse falsche Voraussagen. Als Beispiel diene die in expliziter Weise durch das Zustandsverb kennen denotierbare 27

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Damit verwandt ist die Auffassung Langackers (1993, 1995), der HABEN die allgemeine und semantisch abstrakte Funktion zuschreibt, eine Relation zu einem Reference-point herzustellen. Bei relationaler Lesart des Objektnomens (wie in Sie hat eine Schwester, vgl. oben) ist es das relationale Nomen selbst, das einer bestimmten Relation (im Beispiel die Relation Schwester-von-x) im Diskurs Salienz verleiht (vgl. Burton 1995:38). Mit HAVE bezeichnet McIntyre im Rahmen seines Dekompositionsansatzes nicht das Verb have selbst, sondern die Relation, die durch have, aber auch durch die Präposition with vermittelt wird; HAVE ist auch Teil der Semantik von get und without (vgl. McIntyre 2006:190f). In einem anderen Aufsatz äußert sich McIntyre selbst kritisch zur Annahme, HABEN sei semantisch leer: «Theories claiming that have has next to no semantic content (e.g. Ritter & Rosen 1997) cannot prevent I had the lion in the cage from meaning ‘I saw that the lion was in the cage’.» (McIntyre 2005:419)

276 Relation. Es sei ein Äußerungskontext gegeben, in dem eben die Rede davon war, wer wen kennt: Maria kennt Paul, Oskar kennt Paul und Maria etc. Damit sollte die kennen-Relation im Diskurs stark salient sein. Dennoch ist es auch in einem solchen Äußerungskontext nicht möglich, den Satz Katrin hat Pamela zu verstehen als ‚Katrin kennt Pamela‘. Andererseits müsste ein Satz wie Fred hat einen Brorzel unter der Annahme, dass die von haben ausgedrückte Relation völlig unspezifisch ist, uninterpretierbar sein, denn weder kulturelles Wissen noch Kontextbedingungen können uns darüber informieren, in welcher Beziehung ein Mensch und ein Brorzel (in einer gewissen Wahrscheinlichkeit) stehen, solange wir die Bedeutung von Brorzel nicht kennen oder erschließen können. Tatsächlich ist der Satz aber auch ohne Zugrundelegung eines bestimmten pragmatischen Kontexts durchaus zu einem gewissen Grad interpretierbar: Wir glauben, durch ihn erfahren zu haben, dass Fred Zugang zu einem Brorzel hat oder dass in seinem sozialen Umfeld ein solcher vorhanden ist oder dass er einen zuhause hat. Andere Interpretationen sind möglich, aber – und das ist entscheidend – nicht jede Relation zwischen Fred und Brorzel ist durch den haben-Satz ausdrückbar. So kann der Satz beispielsweise nicht ausdrücken, dass Fred einem Brorzel ähnlich sieht oder selbst einer ist. Somit ist die durch haben vermittelte Relation nicht völlig unspezifisch. Daher ist zu fragen, ob es möglich ist, Relationen zu formulieren, die nicht gänzlich unspezifisch, aber doch abstrakt genug sind, um sie dem Vollverb haben einheitlich zuschreiben zu können. Ein entsprechender Ansatz wird im folgenden Abschnitt diskutiert.

7.2.4 Baron/Herslund (2001): Lokalisierung und Inklusion Baron/Herslund (2001) (im Folgenden: B&H) bieten eine semantische Analyse von HABEN (am Beispiel des dänischen Verbs have31). Ihnen zufolge ist HABEN durch zwei abstrakte Relationen charakterisiert. Erstens drückt HABEN eine lokale Relation aus (vgl. B&H:85). Diese lokale Relation ist allerdings nicht auf Fälle beschränkt, bei denen durch den HABEN-Satz die physische Lokalisierung einer Entität an einem Ort ausgedrückt wird, sondern die Relation kann auch abstrakterer (metaphorischer) Natur sein (was gleich illustriert wird). Zweitens beschreiben B&H die HABEN-Relation als eine Relation von deno-

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Die folgende Beispieldiskussion wird anhand deutscher Sätze geführt. Daher ist es möglich, dass einzelne der von mir formulierten Kritikpunkte vor dem Hintergrund der dänischen Daten nicht zutreffen. Dennoch ist es angemessen, der Diskussion deutsche Daten zugrunde zu legen, denn es soll hier in erster Linie darum gehen, zu prüfen, inwiefern das Modell von B&H auf deutsche haben-Konstruktionen anwendbar ist.

277 tativer Inklusion, womit gemeint ist, dass die Denotation des Objektnomens (oder die einer anderen Satzkonstituente, vgl. unten) in der Denotation des Subjektnomens enthalten ist (vgl. B&H:85). In Bezug auf die Inklusionsbeziehung unterscheiden B&H (86) drei Unterarten: (1) Es wird eine Teil-Ganzes-Relation ausgedrückt (wie in 7-19a, wo Strohdach einen Teil des Denotats von Haus denotiert); (2) das Objekt im HABEN-Satz denotiert einen Teil der Entitäten, die dem Subjektsreferenten als Besitztum zugeordnet sind (7-19b);32 (3) das Objektnomen weist eines der semantischen Merkmale des Subjektnomens auf, sodass eine Inklusionsbeziehung auf der Ebene der Isotopie im Sinne Greimas’ (1966) besteht (7-19c).33 (7-19) a. b. c.

Das Haus hat ein Strohdach. Karl hat ein Haus. Die Fabrik hat 200 Arbeiter.

Nach B&H sind daher in Bezug auf HABEN-Sätze generell zwei Ebenen zu unterscheiden: eine erste Ebene der Lokalisierung und eine zweite Ebene der Inklusion (vgl. B&H:86). Was ein HABEN-Verb leistet, ist generell dies: «[T]he object is […] located with respect to the subject [and it] actualises the denotative inclusion» (B&H:86). Satz (7-19a) beispielsweise ist vor diesem Hintergrund wie folgt zu paraphrasieren: ‚In Bezug auf das Haus wird das Strohdach lokalisiert in einer Teil-Ganzes-Beziehung‘ (vgl. B&H:86). Hinsichtlich der Sätze (7-19b/c) bleibt allerdings unklar, inwiefern hier überhaupt eine lokale Relation vorliegen soll. In welchem Sinne lokalisiert haben beispielsweise in (7-19b) das Objekt Haus in Bezug auf das Subjekt Karl?34 Der Begriff der Lokalisierung ist bei B&H so vage, dass er im Grunde leer ist. Daher werde ich die von B&H postulierte Ebene der Lokalisierung im Weiteren außer Acht 32

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Es scheint, dass damit zur Erklärung der Interpretation von Sätzen wie (7-19b) die Besitzrelation von B&H gleichsam durch die Hintertür eingeführt wird: Sie ergibt sich nicht selbstständig aus der lokalen Relation und/oder durch die Inklusionsrelation (vgl. auch unten die Diskussion der einzelnen von B&H angesetzten Subtypen von HABEN-Sätzen). Welches semantische Merkmal dem Lexem Arbeiter mit Fabrik gemeinsam ist und auf diese Weise eine ‹Inklusionsbeziehung› zwischen den beiden Nomen herzustellen vermag, lässt sich aus der Diskussion in B&H nicht erschließen. Auch gemäß Igla (2003) kann haben die Funktion der Lokalisierung des Objekts in Bezug auf das Subjekt aufweisen, doch ist diese Funktion an semantische Bedingungen geknüpft und liegt daher nicht jeder Verwendung von haben zugrunde. So kommentiert Igla Satzbeispiel (i) in folgender Weise: Hier «lokalisiert haben […] das Objekt in Bezug auf Peter» (Igla 2003:136). Igla bemerkt dazu, dass diese «lokativische Verwendung» des Verbs haben «im Deutschen nur dann möglich [ist], wenn das Subjekt belebt und das Objekt unbelebt ist» (Igla 2003:137). (i) Peter hat den Schlüssel (für die Bibliothek / meinen Wagen).

278 lassen und die Diskussion auf die zweite Ebene, die die Inklusionsbeziehung betrifft, beschränken.35 B&H stellen den Formtyp HABEN + Objekt-NP + lokale PP ins Zentrum ihrer semantischen Analyse. Deren Kernaussage besteht darin, dass HABEN eine Inklusionsrelation herstellt zwischen dem Subjektsdenotat einerseits und dem Denotat entweder der Objekt-NP oder der NP innerhalb der lokalen PP andererseits.36 Die PP wird von den Autoren als Sub-place bezeichnet.37 B&H (88–93) unterscheiden insgesamt fünf Subtypen. Das Kriterium für die Zuordnung einer Konstruktion zu einem der Subtypen ist hierbei, welcher Ausdruck im Komplement von HABEN zum Subjekt in einer Inklusionsbeziehung steht, und zwar in der Weise, dass das Denotat des Subjekts das Denotat des anderen Ausdrucks ‹inkludiert› (‹denotative Inklusion›, vgl. B&H:85). Im Folgenden werden die Typen anhand je eines Beispiels illustriert; rechts neben dem Beispiel ist die angenommene Inklusionsbeziehung vermerkt (hierbei bedeutet ‹>› ‚inkludiert/enthält‘).

35 36

37

Die Angemessenheit der zweiten Bedingung – die Unbelebtheit des Objektsreferenten – ist allerdings zweifelhaft. Gilt die Bedingung, wäre (ii) semantisch grundsätzlich anders als (i) zu analysieren. (ii) Heute habe ich die Kinder (bei mir). Es ist unklar, warum haben zwar in (i), nicht aber in (ii) objekt-lokalisierende Funktion haben soll. Zur Frage, ob HABEN-Subjekte semantisch als ‹Orte› aufgefasst werden können, vgl. den folgenden Abs. 7.2.5. Die Frage, ob im zweiten Fall tatsächlich das Denotat der NP innerhalb der PP oder das Denotat der PP selbst zu betrachten ist, bleibt ebenso unbeantwortet wie diejenige, ob sowohl NPs als auch PPs semantisch Orte denotieren können und, wenn ja, welche theoretischen Konsequenzen entsprechende Entscheidungen haben können. Hierbei ist störend, dass die Begriffe Subjekt, Objekt und Sub-place, die in der Diskussion der semantischen Relationen in HABEN-Sätzen verwendet werden, nicht auf derselben Ebene liegen: Subjekt und Objekt benennen syntaktische Funktionen, Subplace ist dagegen ein Begriff mit rein semantischem Bezug. – Der Begriff Sub-place ist gemäß Baron/Herslund (2001:87) angelehnt an den Begriff Specification von Heine (1997:156–163, 190–195). Bei solchen ‹spezifizierenden› Phrasen handelt es sich – nicht ausschließlich, aber in typischen Fällen – um Adverbiale, die die durch HABEN ausgedrückte Zugehörigkeits- oder Besitzrelation näher bestimmen oder in ihrer Natur verändern (vgl. Heine 1997:191; vgl. dazu auch oben Abs. 5.4.3). So liegt nach Heine in (i), also bei Fehlen eines Adverbials, permanenter, bei Setzung des Adverbials with you wie in (ii) dagegen temporärer, körperbezogener Besitz («physical possession») vor (Heine 1997:191). (i) Do you have a passport? (ii) Do you have your passport with you?

279 (7-20) a. b. c.

Karl hat ein Haus in Brighton. Anna hat einen Pudel im Auto. Paul hat eine Warze auf der Nase.

d.

Anna hat eine Angorakatze in der Katzenausstellung. Lisa hat eine Hand auf dem Knie.

e.

Typ 1: [Subjekt > Objekt] Sub-place Typ 2: [Subjekt > Sub-place] Objekt Typ 3: [Subjekt > [Sub-place > Objekt]] Typ 4: [Subjekt > Objekt, Sub-place > Objekt] Typ 5: [Subjekt > [Sub-place, Objekt]]

Bei Typus 1 (vgl. 7-20a) gilt: «The object noun [is] included in the denotation of the subject as being owned by a person» (B&H:88). Die Sub-place-Phrase beeinflusst hierbei die Inklusionsbeziehung zwischen Subjekt und Objekt nicht. In (7-20b) dagegen wird die Inklusionsbeziehung zwischen Subjekt und Subplace etabliert, weshalb zwischen Subjekt und Objekt anders als in (a) keine Inklusionsbeziehung mehr möglich sei (B&H:89). Beim dritten Typus bestehen zwei Inklusionsbeziehungen, die ‹verschachtelt› auftreten: Sub-place enthält das Objekt, und das Subjekt enthält Sub-place und damit auch das Objekt. Diese Konfiguration ist beispielsweise dann gegeben, wenn – wie in (7-20c) – sowohl das Objektnomen als auch das Kernnomen in Sub-place relational zu interpretieren sind (was bei Körperteilbezeichnungen pragmatisch nahe liegend ist). In (c) ist somit die Warze Teil der Nase und diese wiederum ein Teil von Paul (oder genauer: von Pauls Körper). Eine anders geartete zweifache Inklusion, die man als ‹überlappend› bezeichnen könnte, besteht bei Typ 4 (vgl. 7-20d). Hier ist das Denotat des Objekts Angorakatze im Sinne der Inklusionsbeziehung sowohl ‹Teil› von Anna als auch von Katzenausstellung (vgl. B&H:91f). Bei Typ 5 treten Sub-place- und Objekt-Denotat gemeinsam in eine Inklusionsbeziehung zum Subjekt. Dies ist in (7-20e) der Fall, wo Hand und Knie als Körperteile von Anna zu verstehen sind. Diese Typenbildung ist in mancher Hinsicht zu kritisieren. Es bleibt völlig unklar, was ‹Inklusion durch Besitz› im Falle von (a) bedeuten soll, da die Autoren keine weiteren Erläuterungen zu diesem Punkt geben. Auch formulieren B&H kein zuverlässiges Kriterium, durch das die mit (a) bzw. (b) illustrierten Typen grundsätzlich unterschieden werden können.38

38

Zur Abgrenzung der beiden Subtypen kann gemäß B&H (93–95) die folgende Umformungsprobe angewandt werden. Dabei wird der HABEN-Satz in ein Nominalsyntagma umgewandelt, bei dem das HABEN-Objekt als Kernnomen und Subjekt sowie Sub-place als Attribute realisiert werden. Hierbei soll nun folgende Generalisierung gelten: Die Umformung führt nur dann zu einem grammatischen Ergebnis, wenn die oben diskutierte Inklusionsbeziehung zwischen Subjekt und Objekt besteht. Wenn sie hingegen (nur) zwischen Subjekt und Sub-place besteht und das Objekt dabei ganz aus der Inklusionsbeziehung ausgeschlossen ist, soll die Nomen-Attribut-Struktur ungrammatisch sein. Letzteres gilt nur für Typus (2) (bei

280 In (b) scheint die Tatsache, dass Auto als dem Subjektsreferenten zugehörig interpretiert werden kann, den Ausschlag für die Zuordnung zu geben. Anders gesagt: Ein Auto kann mir zur Verfügung stehen oder in meinem Besitz sein, eine Ortschaft (wie Brighton in Satz a) hingegen nicht. Dies wird allerdings bei B&H nicht explizit ausgeführt und stellt somit meine Interpretation dar. Dass die Zugehörigkeitsrelation zwischen Anna und Auto in (b) präsupponiert, diejenige zwischen Karl und Haus in (a) aber assertiert wird,39 bleibt in der Analyse von B&H ebenfalls unberücksichtigt. – Vergleicht man in (7-20) die Sätze (a) und (c), so erfasst die Analyse zunächst korrekt einen zentralen Unterschied: In (c) ist die Nase ein Teil von Pauls Körper, während Brighton keinen von Paul ‹inkludierten› Teil darstellt (auch nicht im Sinne eines Besitzes). Was die Analyse hingegen unberücksichtigt lässt, ist folgende Parallele zwischen (a) und (c): In beiden Fällen besteht eine vergleichbare Teil-Ganzes-Beziehung

39

den anderen Typen wird das Objekt unmittelbar oder indirekt, durch Inklusion in Sub-place, vom Subjekt ‹inkludiert›). Damit müsste das aus (7-20b) abgeleitete (i-b) ungrammatisch sein, im Gegensatz zu beispielsweise (i-a) (aus 7-20a abgeleitet). (i) a. Karls Haus in Brighton. b. *Annas Pudel im Auto. In diesem Sinne werden die dänischen Pendants in B&H (2001:94f) beurteilt. Zumindest für das Deutsche ist die Aussagekraft dieser Umformungsprobe aber in Zweifel zu ziehen. Man vergleiche etwa (i-b) mit (ii). (ii) Annas Angorakatze in der Katzenausstellung (ii) ist aus (7-20d) ableitbar und sollte laut B&Hs Generalisierung grammatisch sein, da zwischen dem Subjekt Anna und dem Objekt Angorakatze im HABEN-Satz eine Inklusionsbeziehung besteht. Meiner Auffassung nach besteht allerdings zwischen (i-b) und (ii) kein klar erkennbarer Grammatikalitätskontrast, zumindest nicht, wenn man die Nominalsyntagmen ohne weiteren sprachlichen oder pragmatischen Kontext betrachtet. Ein denkbarer Kontext soll im Folgenden angedeutet werden. (iii) Annas Pudel im Auto / Annas Angorakatze in der Katzenausstellung tut mir Leid – so lange stillzusitzen und zu warten ist sicher nicht angenehm für das Tier. In diesem Kontext scheinen beide Syntagmen gleichermaßen akzeptabel. – Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die von B&H vorgeschlagene Umformungsprobe die Typologie von HABEN-Sätzen in Bezug auf die unterschiedlichen Inklusionsrelationen zumindest für das Deutsche nicht stützt. Dies lässt sich mit dem Negationstest zeigen (vgl. Chierchia/McConnell 2000:349f). Nur präsupponierte Inhalte bleiben unter Satznegation erhalten. (i) Es ist nicht so, dass Karl ein Haus in Brighton hat. (ii) Es ist nicht so, dass Anna einen Pudel im Auto hat. Eine Zugehörigkeit von Haus zu Karl gilt im negierten Satz (i), anders als in (720a), nicht. Dagegen gilt die Zugehörigkeit von Auto zu Anna auch dann, wenn Satz 7-20b negiert ist (ii) (vgl. dazu auch unten Abs. 7.3.2).

281 zwischen dem Objekt (Haus bzw. Warze) einerseits und Sub-place (Brighton bzw. Nase) andererseits. Warum hierbei nur in (c), nicht aber in (a), ein Fall von ‹denotativer Inklusion› bestehen soll, bleibt unklar. Angreifbar erscheint auch die Zuordnung von Beispielen wie (7-21) (vgl. B&H:90). (7-21)

Dorte hat drei Betten in der Wohnung.

Nach B&H ist (7-21) unter Typus 3 einzuordnen, und nicht – wie man auch vermuten könnte – unter Typus 2. Als Begründung muss folgende Aussage herangezogen werden: «[T]he denotation of the object noun constitutes a semantic feature of the subplace (e.g. bed–flat)» (B&H:90). Die Zuordnung von (7-21) zu Typus 3 basiert somit anscheinend auf der Überlegung, dass in Wohnungen normalerweise Betten stehen (vgl. B&H:86), während in Autos nicht mit derselben Selbstverständlichkeit Pudel anzutreffen sind. – Bei Typ 4 ist wiederum mit Abgrenzungsschwierigkeiten zu rechnen, insbesondere gegenüber Typ 1. Zu den Typen 3 und 5 ist schließlich festzuhalten, dass sie die von B&H geäußerte Generalisierung unterlaufen, gemäß der nur ein Element pro HABEN-Satz in eine Inklusionsbeziehung zum Subjekt treten könne, nicht zwei (vgl. B&H:87; aus dieser Annahme leiten die Autoren gewisse Lesartenbeschränkungen ab, vgl. 89). Damit verliert das Modell von B&H an Voraussagekraft. Im Weiteren erscheint als schierer Zufall, dass weitere, logisch denkbare Inklusionsverhältnisse in HABEN-Konstruktionen nicht ebenso beobachtbar sind wie die in (720) dokumentierten.40 Im Fazit bleibt zur Analyse von B&H festzuhalten, dass sie einerseits unnötig kompliziert ist, in ihrer Kategorienbildung andererseits zu vage bleibt. Kompliziert ist sie, da das Zwei-Ebenen-Modell, dem zufolge HABEN erstens eine Lokalisierungsrelation, und zweitens zugleich eine Inklusionsrelation denotiert, im Aufsatz von B&H kaum begründet wird und sich empirisch – zumindest auf der Grundlage der Daten im Deutschen – m. E. nicht rechtfertigen lässt. Die Vagheit der Analyse zeigt sich insbesondere an den deutlich greifbaren Abgrenzungsproblemen zwischen den angenommenen Subtypen. Ein Element

40

Insbesondere die Tatsache, dass Sub-place das Objekt ‹inkludieren› kann (vgl. Typen 3 und 4), nicht aber umgekehrt, bleibt im Modell von B&H unerklärt. Hingegen dürfte diese Asymmetrie ohne Zusatzannahmen aus der Analyse folgen, die oben in Abs. 5.4 entwickelt wurde: Ihr zufolge können lokale PPs (hier zu identifizieren mit zumindest einer Teilmenge der Sub-place-Phrasen) in haben-Konstruktionen als Adverbiale die Gültigkeit eines semantischen Gehalts auf bestimmte lokale Bereiche beschränken. Daher kann beispielsweise in (7-20c) das Denotat von Warze durch die PP auf der Nase näher lokalisiert werden. Eine entsprechende adverbiale Funktion durch das Objekt ist im von mir vertretenen Ansatz dagegen prinzipiell ausgeschlossen, da es sich bei der Objekt-NP um das Subjekt einer SC-Prädikation handelt.

282 der Analyse, das mir aber treffend erscheint und das ich daher in Abs. 7.3.2 aufgreifen werde, ist die Metapher der Inklusion.

7.2.5 Die Interpretation des haben-Subjekts als ‹Ort› Zum Abschluss dieses Abschnitts 7.2 zu bestehenden Auffassungen der Semantik von HABEN-Konstruktionen soll die Frage aufgegriffen werden, welche semantischen Merkmale das Subjekt in HABEN-Sätzen aufweist. Hierbei fällt auf, dass in der Literatur öfters die Ansicht vertreten wird, bei HABEN-Subjekten handle es sich semantisch um ‹Orte›. Bei Freeze (1992) ergibt sich diese Auffassung gleichsam als Korollar aus seiner syntaktischen Analyse, in der HABEN-Konstruktionen und Existenzsätze bzw. Prädikativsätze, die jeweils ein Lokaladverbial beinhalten, parallelisiert werden. Das Lokaladverbial entspricht dabei dem HABEN-Subjekt. Ein Satz wie Oskar hat einen Kaktus hätte demzufolge eine Tiefenstruktur (D-Struktur), die man ungefähr mit ‚Ein Kaktus ist bei Oskar‘ paraphrasieren könnte, was wiederum der oberflächensyntaktischen Realisierung von Sätzen mit HABEN-Semantik beispielsweise im Russischen – wo der Possessor Komplement einer Präposition ist – oder im Finnischen – wo der Possessor in einem der sog. Lokalkasus, dem Adessiv steht – nahe kommt. Solche und ähnliche Verhältnisse sind für viele Einzelsprachen zu konstatieren (vgl. Freeze 1992). Diese Überlegungen führen Freeze zur Überzeugung, dass die Possessoren in Sätzen mit haben-Semantik semantisch grundsätzlich als Lokationen aufzufassen sind: Dies gilt – um bei den erwähnten Beispielen zu bleiben – für die genannten PPs im Russischen, Adessiv-Nominale im Finnischen und entsprechende Phrasen in weiteren HABEN-losen Sprachen sowie analog dazu für HABEN-Subjekte. Diese Argumentation ist aber – auch wenn man bereit ist, Freeze in seiner syntaktischen Analyse zu folgen (was ich in meinem Ansatz nicht tue, vgl. Kap. 2) – keineswegs zwingend. Schon die Annahme, dass der Adessiv im Finnischen generell eine lokale Semantik ausdrückt, würde in die Irre gehen. Die sog. Lokalkasus dienen im Finnischen verschiedenen Funktionen, von denen der Ausdruck räumlicher Relationen nur eine darstellt (zum Adessiv vgl. Karlsson 1999:115–117). Auch war Freeze wohl zu voreilig in der Annahme, im Schottisch-Gälischen seien PPs mit Possessorenfunktion einerseits und PPs mit lokaler Semantik andererseits miteinander zu identifizieren (vgl. Adger/ Ramchand 2006). Daraus ergibt sich, dass die von Freeze aus sprachvergleichenden Daten gewonnene Evidenz für eine grundsätzlich ‹lokale Semantik› von HABEN-Subjekten nicht zu überzeugen vermag: Da offenbar manche der präpositional oder oblique markierten Possessoren in HABEN-losen Sprachen keine lokativische Semantik im engeren Sinne aufweisen, braucht dies für HABEN-Subjekte ebenfalls nicht zwingend zu gelten. – Eine ausführliche Diskus-

283 sion und Kritik der Analyse von Freeze und der dort vertretenen Auffassung, HABEN-Konstruktionen aus lokativen Strukturen abzuleiten, bietet Levinson (erscheint). Eingehend mit der Frage nach der semantischen Interpretation des Subjekts in HABEN-Sätzen beschäftigen sich Ritter/Rosen (1997) (im Folgenden R&R). In bestimmten Verwendungsweisen von have (im Englischen) stellt das Subjekt R&R zufolge einen Ort dar: R&R unterscheiden zwischen verschiedenen syntaktischen Formtypen mit have, u. a. locational ‹have› wie in John has a hat on his head oder have-Konstruktionen zum Ausdruck alienabler Possession wie in John has a hat (vgl. R&R:308–315). Da have nach R&R keine thematischen Rollen vergibt, muss die Interpretation des have-Subjekts auf andere Weise als durch die Zuweisung einer Thetarolle sichergestellt werden. Nach R&R geschieht dies durch Koindizierung des Subjekts mit einem Element im Komplement von have. Durch die Koindizierung ‹erbt› das Subjekt gleichsam die Interpretation vom koindizierten Element. In Beispiel (7-22a) kann das Subjekt John mit dem Pronomen his koindiziert werden. (7-22) a. b.

Johni has a hat on hisi head. Johni has [proi a hat].

locational alienable

Im Fall von alienabler Possession (7-22b) dient dagegen ein phonetisch leeres pro als mit dem Subjekt koindiziertes Element. Dabei steht pro im Spezifikator der Possessum-DP (vgl. R&R:313). Satz (7-23) scheint für diese Annahme aber ein Problem darzustellen. (7-23)

Johni has Bill’sj book.

Unter der Annahme, dass Bill’s – und nicht pro – in Spec D steht, scheint die Interpretation des Satzsubjekts John nicht mehr garantiert, denn eine Koindizierung von John mit Bill’s würde offenkundig zu einem semantischen Widerspruch führen (vgl. R&R 1997:314). R&R schlagen nun vor, (7-23) nicht als Instanz des Typus alienable possession, sondern des Typs locational ‹have› zu analysieren. In (7-23) gilt somit: «John is a human location» (R&R:314). John bezeichnet gewissermaßen den momentanen Aufbewahrungsort des Buchs. Dieselbe ‹lokale Interpretation› des Subjekts liegt in (7-24) vor. (7-24)

Johni has Bill’sj book with himi.

(7-23) und (7-24) sind nun gemäß R&R (315) strukturell in paralleler Weise zu analysieren: In beiden Fällen bettet have einen SC ein, der ein präpositionales Prädikat beinhaltet (7-25). (7-25) a. b.

Johni has [SC Bill’sj book [PP with himi]]. Johni has [SC Bill’sj book [PP P proi]].

284 Das stille Pronomen pro, das mit dem Subjekt koindiziert ist und so dessen Interpretation festlegt, befindet sich im Inneren eines präpositionalen SC-Prädikats. Dieses Prädikat kann – wie in (7-25b) – phonetisch leer sein (vgl. R&R:315).41 Die dargestellte Analyse ist nicht ohne Probleme. In Bezug auf die syntaktische Modellierung ist zu fragen, warum einerseits die Präposition with nur ein offenes Pronomen, nicht aber das stille pro einbetten kann (vgl. 7-26a), und warum andererseits die stille Präposition P nicht für die Einbettung eines offenen Pronomens zur Verfügung steht (vgl. b). (7-26) a. b.

*John has Bills book with pro. *John has Bills book P him.

Auch auf semantischer Ebene vermag R&Rs Ansatz nicht ganz zu befriedigen. So ist gemäß R&Rs Analyse Anna in (7-27a) als Ort, in (b) dagegen als Possessor in einer Relation des Typs alienable possession aufzufassen. (7-27) a. b.

Anna hat Egons Motorroller. Anna hat einen Motorroller.

Es ist unklar, mit welchen semantischen Eigenschaften diese beiden Kategorien, die sich zunächst einmal nur aus syntaxtheoretischen Überlegungen ergeben, korrelieren. Sicher ist, dass alienable Possession nicht mit permanenter Possession (festem Besitz o. ä.) und die lokationale Relation nicht mit temporärer Possession (momentaner Verfügbarkeit o. ä.) gleichgesetzt werden kann. So ist nämlich (7-27a) auch vereinbar mit einem pragmatischen Kontext, in dem auf einen permanenten Besitz des Motorrollers durch Anna geschlossen werden kann (etwa wenn Anna den Motorroller von Egon geerbt hat) (vgl. Storto 2005: 67 f, Fn. 7), und (7-27b) ist kompatibel mit einem Szenario, in dem Anna nur wenige Minuten einen Motorroller zur Verfügung hat. Im Übrigen federn R&R den scheinbar harten Gegensatz zwischen den beiden Konstruktionstypen etwas ab, indem sie alienable Possession als «abstract locational relationship between an entity and a human referent» bezeichnen (R&R:314; vgl. dort auch Fn. 16). Damit wird der Begriff des Ortes metaphorisch erweitert. Die Frage bleibt, ob HABEN-Subjekte als Lokationen im engeren Sinne interpretiert werden können. Sørensen (2001:60) bemerkt in diesem Zusammenhang: «The verb have [gemeint ist das dänische Verb für ‚haben‘, M.B.] […] is difficult to construct with a pure locational meaning». Entsprechendes gilt für

41

Die von R&R angenommene phonetisch leere PP in der Funktion eines SC-Prädikats entspricht dem in Abs. 5.5 und 6.2 postulierten stillen SC-Prädikat. Wie bei R&R spielt auch in meinem Modell dieses stille Prädikat bei der semantischen Interpretation gewisser haben-Sätze eine entscheidende Rolle (vgl. unten Abs. 7.3.2).

285 das deutsche haben. Ausnahmen könnten Sätze wie (7-28) darstellen (vgl. das entsprechende dänische Beispiel in Sørensen 2001:60). (7-28)

Die Stadt hat viele Einwohner.

Hier scheint haben eine reine Lokalisierungsfunktion auszuüben (vgl. die Paraphrase ‚in der Stadt sind/leben viele Einwohner‘; Stadt kann semantisch als ‹Ort› verstanden werden). Bei einer solchen Auffassung der Semantik von haben ist die Unakzeptabilität folgender Sätze allerdings überraschend. (7-29) a. b.

#Die Straße hat viel Schnee. #Die Schüssel hat viel Pudding.

Wenn haben eine lokale Relation ausdrücken kann, bleibt unklar, warum (729a) nicht ohne Weiteres als ‚auf der Straße ist/liegt viel Schnee‘ interpretiert werden kann, und (b) entsprechend als ‚in der Schüssel ist viel Pudding‘. Auch ist – unter der Annahme, dass haben eine Lokalisierungsfunktion wahrnehmen kann – nicht einsichtig, warum (7-30a) keine lokationale Lesart erlaubt. (7-30) a. b.

Oskar hat einen Papagei. #Der Felsblock hat einen Papagei.

(7-30a) kann nicht so verstanden werden, dass ein Papagei auf Oskars Kopf oder Schulter oder unter ihm zwischen seinen Beinen sitzt (obwohl eine solche Referenzsituation natürlich mit der Semantik des Satzes vereinbar ist). Die Unmöglichkeit einer lokalisierenden Semantik von haben wird noch deutlicher, wenn der belebte Subjektsreferent (Oskar in 7-30a) durch einen unbelebten Referenten ersetzt wird (7-30b): Der Satz verfügt dann – ohne Rückgriff auf Märchenszenarien o. Ä., wo Felsblöcke als belebte Entitäten auftreten – über gar keine pragmatisch sinnvolle Lesart mehr. Aus diesen Überlegungen ziehe ich den Schluss, dass die Semantik von haben nicht lokalisierenden Charakter besitzt und haben-Subjekte semantisch nicht als Orte aufzufassen sind. Im folgenden Abschnitt skizziere ich, aufbauend auf der in dieser Arbeit vertretenen syntaktischen Analyse, einen eigenen Ansatz zur Beschreibung der Semantik von haben.

286

7.3

Semantik von sein&mitprop

In der Einleitung (Abs. 7.1) wurde festgestellt, dass die von mir vertretene Inkorporationsanalyse es erwarten lässt, dass zumindest bestimmte semantische Eigenschaften von haben aus der Semantik von sein und von mitprop abgeleitet werden können. Im Folgenden argumentiere ich dafür, dass dies tatsächlich der Fall ist. Zunächst zeige ich, dass sich die Aktionsartencharakteristik von haben automatisch aus einer Analyse ergibt, die haben als Inkorporationsprodukt versteht, dessen ‹verbaler Anteil› aus dem Kopulaverb sein besteht (Abs. 7.3.1). Danach wird dafür argumentiert, dass es sich bei der Pertinenzrelation, die in haben-Sätzen zum Ausdruck kommt, um eine Präsupposition handelt, die durch den ‹nicht-verbalen Anteil› von haben, d. h. durch mitprop eingeführt wird. 7.3.1 Haben als K-Zustandsverb Hinsichtlich der Aktionsart42 von haben wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass es sich bei haben um ein statives Verb43 handelt (vgl. u. a. Itälä 1981; Lehmann 1992:174; Winhart 2005:83). Um diese Einordnung zu stützen, beziehe ich mich im Folgenden auf Nicolay (2007). Ihr zufolge (vgl. Nicolay 2007:98) sind nur zwei der von ihr diskutierten Tests zur Identifikation stativer Verben tauglich:44 Der erste Test beruht auf der Einsetzung des Adverbs weiter, der zweite nimmt Bezug auf die Potenz von Verbpräfixen, die Aktionsart des Basisverbs zu ändern. – Zu Test 1: Ein als stativ konzeptualisierter Sachverhalt zeichnet sich dadurch aus, dass er «intern homogen» ist, d. h. «dass er zu jedem einzelnen Zeitpunkt des Intervalls, während dessen er vorliegt, vollständig gegeben ist» (Nicolay 2007:71; vgl. auch 74). ‹Unterbricht› man einen Zustand, wird dies «als Zustandswechsel gewertet» (Nicolay 2005:77). Darauf beruht der erste Test von Nicolay: Die Verbindung des Adverbs weiter mit einem stativen Verb

42

43

44

Ich folge Nicolay (2005:1) darin, dass sich der Begriff Aktionsart auf semantische Merkmale bezieht, die Teil der Verbbedeutung sind (und nicht beispielsweise auf kontextuell gesteuerte Lesarten oder auf Flexionskategorien). In der Literatur werden die Begriffe statives Verb und Zustandsverb oft als Synonyme verwendet. Ich schließe hier an Nicolay (2007) an, wenn ich statives Verb (und nicht Zustandsverb) als Überbegriff für Verben mit stativer Semantik verwende. Den Begriff Zustandsverb reserviert Nicolay für eine Teilmenge der stativen Verben, nämlich für solche, die über einen Situationsbezug verfügen (s. dazu gleich im Anschluss). Als ungeeignete Testkriterien weist sie beispielsweise die Zugänglichkeit für Progressivkonstruktionen oder die Imperativierbarkeit aus (vgl. Nicolay 2007:84–97).

287 führt zu Inakzeptabilität, «da ein Zustand nicht unterbrochen und anschließend ‹fortgesetzt› werden kann» (Nicolay 2007:98) (vgl. 7-31; Beispiel mit Beurteilung aus Nicolay 2007:77). (7-31)

*Nach der Renovierung hängt das Bild weiter an der Wand.

Ein entsprechendes Bild ergibt sich bei haben-Konstruktionen; zur Illustration wurde in (7-32) auf verschiedene syntaktische Formtypen zurückgegriffen: ‹reine› NP-Einbettungen (a/b)45 gegenüber Konstruktionen mit AP (c) bzw. PP (d) als Codakonstituente. (7-32) a. b. c. d.

Er hatte den ganzen Tag schlechte Laune, #und nach einer kurzen Besserung hatte er weiter schlechte Laune. Er hatte jahrelang ein Motorboot, #und nach drei Jahren ohne Motorboot hatte er weiter eins. Sie hatte tagsüber das Fenster offen, am Abend schloss sie es, #aber vom folgenden Morgen an hatte sie es weiter offen. Er hatte den Schlüssel in der Hosentasche. Als er nach Hause kam, nahm er ihn heraus und schloss die Tür auf. #Danach hatte er den Schlüssel weiter in der Hosentasche.

Gemäß dem weiter-Test handelt es sich bei haben somit um ein statives Verb.46 – Zu Test 2: Nicolay (2007:80f) stellt fest, dass stative Verben resistent sind gegen Effekte aktionaler Modifikation, die bei Prozessverben durch Verbpräfixe hervorgerufen werden können (vgl. z. B. fahren gegenüber inchoativem losfahren oder schneiden gegenüber perfektivem zerschneiden). Damit ist gemeint, dass «aus Zustandsverben – ungeachtet der Produktivität des jeweiligen Wort-

45 46

Das Beispiel in (a) ist Nicolay (2007:77) entnommen, wo es zur Beurteilung – anders als hier – mit einem Asterisk versehen ist. In bestimmten Verbindungen wie Sitzung/Unterricht haben oder Sex haben diagnostiziert der weiter-Test Nicht-Stativität, vgl. als Beispiel (i). (i) Sie hatten den ganzen Vormittag Unterricht, es folgte eine kurze Unterbrechung um die Mittagszeit, danach hatten sie weiter Unterricht. Da der Ausdruck Unterricht haben somit als nicht stativ gilt, dabei aber als «zeitlich nicht inhärent begrenzt» und «homogen» (Nicolay 2007:7) zu betrachten ist, denotiert er einen Prozess. – Lüdeling (1995:75) verweist auf Verbindungen von Akkusativ-NP und haben, die ebenfalls nicht Zustände, aufgrund ihrer Punktualität aber auch keine Prozesse, sondern Ereignisse denotieren: einen Einfall/Geistesblitz haben / einen Anfall haben. Ich betrachte die hier aufgeführten Verbindungen als lexikalisiert, d. h. ihre nichtstative Semantik ergibt sich nicht-kompositional. Der Vergleich mit dem Englischen macht deutlich, dass Nomen- bzw. NP-haben-Verbindungen mit nicht-stativer Semantik die Ausnahme darstellen, während sie im Englischen in größerer Zahl begegnen (vgl. Ritter/Rosen 1997:303f).

288 bildungsmusters – […] mittels verbaler Präfixe bzw. Partikeln keine Ereignisverben entstehen können» (Nicolay 2007:82). Hierzu sei eine kleine Auswahl der in Nicolay (2007:82) angeführten Beispiele gegeben (7-33). (7-33)

*loswohnen, *zerglauben, *verähneln, *ansitzen

Diese Bildungsbeschränkung kann somit zur Abgrenzung stativer gegenüber nicht-stativen Verben herangezogen werden. In (7-34) werden verschiedene Präfixe zur Ableitung inchoativer (a) bzw. perfektiver Verben (b) auf haben als Derivationsbasis angewandt.47 (7-34) a. b.

*enthaben (vgl. entbrennen), #anhaben (vgl. anfahren), #aufhaben (vgl. aufschreien), #loshaben (vgl. losfahren) *erhaben (vgl. erarbeiten), *verhaben (vgl. verarbeiten), *zerhaben (vgl. zerschneiden), #abhaben (vgl. abarbeiten), #aufhaben (vgl. aufbrauchen)

Auch der zweite Test weist haben als stativ aus.48 – In der jüngeren Forschung hat sich gezeigt, dass stative Verben in zwei Unterklassen zu unterteilen sind, und zwar hinsichtlich des Gegebenseins oder Fehlens eines sog. Situationsbezugs (Nicolay 2007:Kap. 6; Maienborn 2003, 2005). Damit ist gemeint, dass nur Angehörige einer Teilklasse der stativen Verben auf Situationen referieren können. Situationen stellen raumzeitliche Entitäten dar, Zustände ohne Situationsbezug weisen demgegenüber nur eine zeitliche, aber keine räumliche Dimension auf (vgl. Maienborn 2003:121). Zustände mit Situationsbezug nennt Maienborn (2003) Davidson’sche Zustände (abgekürzt D-Zustände), solche ohne Situationsbezug Kim’sche Zustände (K-Zustände).49 47

48

49

Zur Bedeutung der Auszeichnungen: * = lexikalische Lücke; # = Bildung möglich, aber nicht mit inchoativer bzw. nicht mit perfektiver/resultativer Gesamtbedeutung des Partikelverbs. Auch das Kopulaverb sein, auf das gleich unten zurückzukommen sein wird, ist im Nicolay’schen Kategorienmodell als stativ einzuordnen. Ich gebe ein Beispiel mit dem weiter-Test (abgewandelt aus Rapp 1997:38, dort mit Asterisk ausgezeichnet; vgl. auch Nicolay 2007:77): Er war zwei Tage krank, #und nachdem es ihm einen halben Tag besser ging, war er weiter krank. Die Benennung ‹Davidson’scher Zustand› leitet sich daraus ab, dass in Maienborns Paradigma neben Verben, die ein Ereignis oder einen Prozess denotieren, nur Zustandsverben mit Situationsbezug über ein Davidson’sches Argument verfügen, Zustandsverben ohne Situationsbezug hingegen nicht (diese weisen ein anders geartetes Argument, ein ‹K-Zustandsargument› auf). Diese theoretische Interpretation ist für die folgende Argumentation allerdings nicht von Belang. – Es ergeben sich zwei Großklassen von Verben: ‹Davidson’sche Verben› / situative Verben (Geist 2006:93f), die auch ereignis- und prozessdenotierende Verben beinhalten, einerseits und ‹Kim’sche Verben› andererseits. Letztere werden in Nicolay (2007) noch weiter differenziert in ‹Intransformativa› und ‹Eigenschaftsverben› (was hier unberück-

289 Im gegebenen Zusammenhang stellt sich unmittelbar die Frage, ob haben einen D-Zustand oder einen K-Zustand denotiert. In Maienborn (2003) wird eine Reihe von Kriterien zur Unterscheidung von D- und K-Zustandsverben angeführt. Auf zwei wird im Folgenden Bezug genommen (weitere Charakteristika von K-Zuständen werden im Anschluss bei der Diskussion von Kopulasätzen mit sein aufgegriffen). Ein erster Test bezieht sich auf Nominalisierungen mit den Derivationsaffixen -erei und Ge-…-e. Diese Möglichkeit der Nominalisierung ist für D- (vgl. 7-35a), nicht aber für K-Zustandsverben (vgl. b) gegeben (Beispiele und ihre Beurteilung aus Maienborn 2003:62). (7-35) a. b.

diese Warterei / diese Am-Kamin-Hockerei / dieses Rumgesitze / dieses Rumgehänge auf Partys *Zweitwagen-Besitzerei / *Zuviel-Wiegerei / *9,99 DM-Gekoste / *BlondeHaare-Gehabe

Gemäß dem letzten Beispiel in (7-35b) ist haben somit zu den K-Zustandsverben zu rechnen. Dieser Befund kann durch weitere Beispiele gestützt werden: Man vergleiche die ungrammatischen haben-Bildungen in (7-36a) mit den lexikalisch-semantisch verwandten Beispielen in (b), die auf der Grundlage von D-Zustandsverben oder Prozessverben gebildet sind. (7-36) a. b.

*diese Die-Füße-auf-dem-Tisch-Haberei / *dieses Den-Arm-eingegipstGehabe / *diese Fäuste-oben-Haberei50 diese Die-Füße-auf-den-Tisch-Halterei / dieses Den-Arm-Eingegipse / diese Fäuste-Reckerei

Ein zweites Kriterium beruht auf der tun-Periphrase. Diese ist mit K-Zustandsverben ausgeschlossen (7-37a), bei D-Zustandsverben tendenziell möglich (737b), zumindest in solchen Varietäten des Deutschen, die die tun-Periphrase grundsätzlich zulassen (Beispiele und ihre Beurteilung aus Maienborn 2003:63). (7-37) a. b.

50

*Cathrine tut diese Oper gut kennen. / *Die Äpfel tun ein Kilo wiegen. ?Rita tut verlegen in der Ecke stehen. / ?Renate tut geduldig auf Eva warten.

sichtigt bleibt); von Geist (2006:93f) werden die Verben ohne Situationsbezug als ‹stative Verben› (!) bezeichnet. Die Bildung Rechthaberei ist, wie Maienborn (2003:62) zeigt, nur eine scheinbare Ausnahme zur hier formulierten Generalisierung. Vielmehr handelt es sich bei Rechthaberei um eine Lexikalisierung mit idiosynkratischer Semantik: Das Wort bezeichnet nicht die Eigenschaft, Recht zu haben, sondern das Gebaren, immer Recht behalten zu wollen. Nach Maienborn findet hier eine Uminterpretation von der Denotation eines Zustands hin zur Denotation einer Aktivität statt (weshalb auch die Nominalisierung mittels -erei ermöglicht wird). – Zur Nomen-Verb-Verbindung Recht haben vgl. oben Abs. 6.4.

290 Für haben ergibt sich m. E. aufgrund dieses Kriteriums eine klare Zuordnung zu den K-Zustandsverben. (7-38)

*Er tut ein Motorboot haben. / *Er tut die Füße auf dem Tisch haben. / *Er tut rote Augen haben.51

Maienborns Arbeiten (2003, 2005) zielen nun darauf ab, zu zeigen, dass es sich bei Kopulakonstruktionen mit sein um Sätze ohne Situationsbezug handelt. Dies wird dann so interpretiert, dass sein ein K-Zustandsverb darstellt, d. h. sein ermöglicht die Überführung eines Prädikats (des Denotats der prädikativen Konstituente) in einen K-Zustand (vgl. Maienborn 2003:126).52 Von den Evidenzen, die Maienborn (2003, 2005) gegen einen Situationsbezug von sein-Kopulasätzen anführt, nehme ich im Folgenden auf drei zentrale Punkte Bezug und zeige dabei, dass sich haben-Konstruktionen in ihrer semantischen Charakteristik parallel zu sein-Kopulasätzen verhalten – was genau der Voraussage entspricht, die sich aus der syntaktischen Analyse in Abs. 2.6 ergibt: Haben-Sätze stellen nichts anderes als sein-Kopulasätze dar (deren Prädikativum eine mitprop-Phrase ist). Die Punkte betreffen: 1) AcI-Konstruktion bei Perzeptionsverben; 2) Kombination mit lokalen Modifikatoren; 3) Kombination mit ‹Manner-Angaben›. – Zu Punkt (1): K-Zustandsverben sind als lexikalische Köpfe von Infinitivkomplementen, die von Perzeptionsverben abhängen, ausgeschlossen (Maienborn 2003:66; vgl. auch Nicolay 2007:134–137).53 Als Beispiel soll eine Konstruktion mit dem Perzeptionsverb sehen genügen (7-39).

51

52

53

Im Zürichdeutschen, das die tun-Periphrase etwa bei Prozessverben generell erlaubt, zeigt sich deutlich, dass HABEN und die tun-Periphrase inkompatibel sind. So ist die Entsprechung zu *Er tut die Füße auf dem Tisch haben (vgl. das zweite Beispiel in 7-38) unmöglich (vgl. i), wohingegen die Ersetzung von HABEN durch beispielsweise HALTEN zu einem unmarkierten Satz führt (vgl. ii). (i) *Èr tuet p füess uf em tisch haa ‚Er tut die Füße auf dem Tisch haben.‘ (ii) Èr tuet p füess uf de tisch hebe. ‚Er tut die Füße auf den Tisch halten.‘ Die Bedeutung von sein wird von Maienborn (2003:125) wie in (i) dargestellt. (i) λP λx λs [z ≈ [P(x)]] Dabei ist z eine Variable über K-Zustände und P vom Typ ; ≈ stellt einen ‹Charakterisierungsjunktor› dar, der dem K-Zustandsargument eine ihn charakterisierende Proposition P(x) zuordnet. In der Herstellung dieser Verbindung zwischen K-Zustand und im Satz ausgedrückter Proposition besteht der semantische Beitrag der Kopula sein (vgl. auch Geist 2006:93). Nach Maienborn (2003:64–69; 2005:304) lässt sich dies darauf zurückführen, dass AcI-Infinitive bei Perzeptionsverben in semantischer Hinsicht etwas Wahrnehmbares darstellen müssen, K-Zustände aber aufgrund des fehlenden Situationsbezugs

291 (7-39) a. b.

Sie sah ihn an der Bushaltestelle stehen/warten. *Sie sah ihn an der Bushaltestelle sein.

Eine AcI-Konstruktion mit D-Zustandsverben wie stehen oder warten in (7-39a) ist möglich, mit sein hingegen nicht. Auch mit haben ist eine AcI-Einbettung unter einem Perzeptionsverb unmöglich: Dies wird mit den Perzeptionsverben sehen (7-40/7-41) und spüren (7-42) illustriert. Das infinitivische haben wird dabei jeweils dem Infinitiv eines anderen Verbs gegenübergestellt wird, bei dessen Einsetzung die resultierende VP als bedeutungsähnlich mit der entsprechenden haben-VP empfunden werden kann (vgl. die b-Beispiele). (7-40) a. b.

*Ich sah sie die Haare offen haben. Ich sah sie die Haare offen tragen.

(7-41) a. b.

*Ich sah ihn einen Stock in der Hand haben. Ich sah ihn einen Stock in der Hand halten.54

(7-42) a. b.

*Ich spürte ihn die Hand auf meinem Bein haben. Ich spürte ihn die Hand auf mein Bein legen.

Während die AcI-Konstruktion in (7-40)–(7-42) mit (stativen oder nicht-stativen) Verben, die einen Situationsbezug aufweisen (tragen, halten bzw. legen in den b-Beispielen), möglich ist, bleibt sie für haben-Infinitive ausgeschlossen.55 Dies spricht gegen einen Situationsbezug von haben. – Zu Punkt (2): Ein entsprechendes Bild ergibt sich bei der Kombination mit situationsbezogenen lokalen Modifikatoren (vgl. Maienborn 2003:84f). Diese können mit Verben, die Situationsbezug aufweisen, kombiniert werden (7-43a; im Beispiel liegt das D-

54

55

eben gerade nicht wahrnehmbar sind. Vgl. Nicolay (2007:135f) für kritische Bemerkungen zu einer Argumentation auf der Grundlage von ‹Wahrnehmbarkeit›. Die stichprobenartige Belegsuche bestätigt die Intuitionen, die der Beispielreihe zugrunde liegen. So sind beispielsweise Konstruktionen wie … in der Hand halten sehen leicht zu belegen – vgl. (i). Für … in der Hand haben sehen konnte ich hingegen keinen Beleg finden. (i) Ihre Vermutung bestätigte sich, als sie Inu Yasha die Fernbedienung in der Hand halten sah […] (21.11.2008: http://www.yaoistories.de/fanfiktions/fanfiktion-kapitel-6978.html#) Instruktiv ist das folgende (scheinbare) Gegenbeispiel zu dieser Verallgemeinerung. (i) Ich sehe ihn ständig den Mund offen haben. Hier drängt sich für den Mund offen haben eine Lesart auf, die man als ‚sprechen, sich zu Wort melden, dreinreden‘ paraphrasieren könnte. Dies bedeutet, dass eine Uminterpretation stattfindet dahingehend, dass das Subjekt der sein-VP (ihn) agentivisch – und damit nicht als reiner Zustandsträger – verstanden wird. In dieser Lesart denotiert den Mund offen haben somit keinen K-Zustand.

292 Zustandsverb warten vor56), nicht jedoch mit K-Zustandsverben wie ähneln (743b) (Beispiele mit Beurteilung aus Maienborn 2003:85, leicht abgewandelt). (7-43) a. b.

Heidi wartet (gerade/ja doch) im Auto. *Andrea ähnelt (gerade/ja doch) 57 an der Straßenecke ihrer Nichte.

Die Ursache für die Unvereinbarkeit von k-zustandsdenotierenden Ausdrücken mit situationsbezogenen lokalen Modifikatoren ist darin zu suchen, dass – wie oben schon erwähnt wurde – K-Zustände räumlich nicht lokalisierbar sind (vgl. Maienborn 2003:121; 2005:304). – Die folgenden Beispiel zeigen nun, dass eine Einsetzung lokaler Modifikatoren in VPs mit der Kopula sein ebenso wie in haben-VPs nicht möglich ist. (7-44) a. b.

*Die Gläser sind ja doch auf der Terrasse leer. *Die Gäste haben ja doch auf der Terrasse die Gläser leer.

(7-45) a. b.

*Die Gäste sind ja doch im Haus schweißgebadet. *Die Gäste haben ja doch im Haus feuchte Gesichter.

(7-46) a. b.

*Jochen ist gerade in der Hängematte wach. (aus Maienborn 2003:84) *Jochen hat gerade in der Hängematte die Augen / das Hemd offen.

(7-47) a. b.

*Anna ist gerade in Zürich kurzhaarig. *Anna hat gerade in Zürich die Haare kurz geschnitten.58

56 57

58

Vgl. eine entsprechende Einordnung von warten durch Nicolay (2007:140). «Adverbien wie ja doch, gerade markieren in grober Annäherung die VP-Grenze» (Maienborn 2003:84). Ihre Einsetzung in den hier diskutierten Beispielen soll sicherstellen, dass der lokale Modifikator (z. B. an der Straßenecke) nicht als Rahmensetzer interpretiert wird. Rahmensetzer können nicht innerhalb der VP erscheinen (vgl. auch Frey 2003:171). Dies ist deshalb von Bedeutung, da rahmensetzende lokale Modifikatoren ohne Weiteres mit Konstruktionen, die K-Zustände denotieren, vereinbar sind. Dies zeigt (i), das mit dem K-Zustandsverb ähneln gebildet ist, sowie die Kopulakonstruktion mit sein in (ii) (Beispiele aus Maienborn 2003:85 bzw. 82). (i) Bei Kerzenlicht ähnelt Andrea ihrer Nichte. (ii) Heidi war in der Disco müde. Die Lokaladverbiale bei Kerzenlicht bzw. in der Disco haben in diesen Sätzen die Funktion eines Rahmensetzers (zu deren semantischer Leistung vgl. Maienborn 2003:77f). – Zu Rahmensetzern und verwandten Adverbialen in haben-Konstruktionen vgl. Abs. 5.4.3. In diesem Satz bildet haben in Verbindung mit dem Partizip II einen PHK (vgl. Kap. 4). In Abs. 4.3 wurde festgestellt, dass haben + Partizip II in modaler Einbettung eine weitere Lesart hinzugewinnt. (i) Sie hat die Haare kurz geschnitten. (ii) Sie will die Haare kurz geschnitten haben.

293 Die Daten in (7-44)–(7-47) sprechen gegen einen Situationsbezug von sein- wie auch von haben-Konstruktionen. – Zu Punkt (3): Als letzte Diagnostik greife ich die Kombinatorik mit Modifikatoren auf, die Maienborn (2003:88) als ‹MannerAngaben› bezeichnet. Bei diesen handelt es sich beispielsweise um adverbial verwendete Adjektive (7-48/7-49a) oder um Komitativangaben (7-49b). (7-48) a. b.

Frank steht reglos auf der Treppe. Heidi wartet geduldig vor der Tür.

(7-49) a. b.

Oskar schläft unruhig/friedlich. Paulchen schläft mit seinem Teddy.

Manner-Angaben «bestimmen […] die Art und Weise der Situationskonstitution näher» (Maienborn 2003:90). In Sätzen, die K-Zustände – und damit keine Situationen – denotieren, fehlt für Manner-Angaben das ‹Spezifikationsziel›. Daher sollte die Einsetzung einer Manner-Angabe in solchen Sätzen unmöglich sein. Diese Voraussage ist korrekt, was in (7-50/7-51) mit sein-Kopulasätzen illustriert ist. (7-50) a. b.

*Frank ist reglos auf der Treppe. (vgl. 7-48a) *Heidi ist geduldig vor der Tür. (vgl. 7-48b)

(7-51) a. b.

*Oskar ist spendabel/knauserig reich. *Paulchen ist mit seinem Teddy hungrig.59

59

Neben der Lesart, die auch der PHK ohne modale Einbettung (i) besitzt (‚Ihre Haare sind kurz geschnitten‘; ‹statische› Lesart), weist (ii) eine weitere Lesart auf, die in Abs. 4.3 als ‹dynamisch› bezeichnet wurde: ‚Sie will ihre Haare kurz geschnitten bekommen‘. Im gegebenen Zusammenhang ist nun die Beobachtung zu machen, dass bei modaler Einbettung von haben + Partizip II ein lokaler Modifikator mit Bezug auf die infinitivische VP eingesetzt werden kann (iii). (iii) Sie will die Haare ja doch in Zürich geschnitten haben (und nicht anderswo). Entscheidend ist, dass (iii) nur über die dynamische Lesart verfügt, nicht über die ‹statische›, während in (ii) beide Lesarten gegeben sind. Dies kann so interpretiert werden, dass haben in der dynamischen Lesart – und nur in dieser Lesart – über einen Situationsbezug verfügt, d. h. in (iii) kann das Lokaladverbial auf ein Davidson’sches Ereignisargument Bezug nehmen. Damit wird die in Abs. 4.3 vorgeschlagene Aussonderung des ‹dynamischen› haben, das auf modale Kontexte beschränkt ist, durch unabhängige Evidenz bestätigt. Die Akzeptabilität von (i) ist im Lichte des bisher Gesagten überraschend, denn offenbar können hier komitative PPs problemlos in die Interpretation des Kopulasatzes eingepasst werden. (i) Paul ist mit einem Teddy / ohne Schnuller im Garten. Nach Maienborn (2003:94f) findet im Fällen wie (i) eine nicht-kompositionale Bedeutungsanpassung statt. Es ist festzustellen, dass «lokale Prädikative [wie im Garten in (i); M.B.] den Manner-Angaben […] einen größeren Einpassungsspielraum

294 Wiederum verhalten sich haben-Konstruktionen analog zu sein-Konstruktionen (7-52/7-53). (7-52) a. b. c. (7-53) a. b.

*Oskar hat spendabel/knauserig viel Geld. (vgl. 7-51a) *Eva hat das Glas unruhig leer. *Paul hat stolz ein Motorboot. *Jochen hat (/ OKträgt) das Abzeichen selbstbewusst / mit Stolz an der Brust. *Heidi hat (/ OKträgt) die Kette ihrer Mutter selbstbewusst / mit Stolz um den Hals.

Damit kann auch aufgrund des Kriteriums der Einsetzbarkeit von Manner-Angaben geschlossen werden, dass haben keinen Situationsbezug aufweist.60 In Bezug auf die Aktionsartencharakteristik von haben kann nun folgendes Fazit gezogen werden. Haben-Konstruktionen haben stative Semantik und weisen keinen Situationsbezug auf. Wäre dies anders, so wäre die Auffassung, dass haben sich syntaktisch in das Kopulaverb sein einerseits und in einen weiteren syntaktischen Kopf andererseits dekomponieren lässt, erheblich geschwächt, denn die Andersartigkeit von haben gegenüber dem Verb sein – das stativ und

60

einräumen» als beispielsweise adjektivische Prädikative (Maienborn 2003:95). Auf die Problematik wird hier nicht näher eingegangen (vgl. aber die folgende Fn.). Problemfälle für den Maienborn’schen Ansatz ergeben sich u. a. bei der Einsetzung von sog. ‹agentiven Adverbialen› wie mit Begeisterung (i). (i) Boris war mit Begeisterung Opa. (aus Maienborn 2003:96) Für Jäger (1999) spricht die Möglichkeit, das Adverbial mit Begeisterung in Sätzen wie (i) einsetzen zu können, für die Annahme eines Davidson’schen Arguments in Kopulasätzen (vgl. oben Fn. 49) und damit gegen Maienborns Analyse der Kopula sein als K-Zustandsverb. Dem hält Maienborn (2003:96) entgegen, dass mit Begeisterung in (i) nicht den Zustand des Opa-Seins spezifiziert, sondern die Einstellungen eines Agens zu gewissen Tätigkeiten, beispielsweise dem Spielen mit den Enkeln o. ä. Daraus schließt Maienborn Folgendes: Die Einfügung des Adverbials bedingt eine nicht-kompositionale Reparatur, die «die Erschließung einer Situation mit dem Subjektsreferenten als Agens» voraussetzt (Maienborn 2003:96). – Im gegebenen Argumentationszusammenhang stellt sich nun die Frage, warum eine solche Uminterpretation mit dem entsprechenden «Agentivitätseffekt» (Maienborn 2003:96) in der haben-Konstruktion (ii) nicht ebenfalls möglich ist. (ii) #Boris hatte mit Begeisterung einen Enkel. Offenbar kann Boris in (ii) anders als in (i) nicht – oder nicht in ähnlich unmittelbarer Weise – ‹agentiv uminterpretiert› werden. Die Frage nach den Gründen für diese Diskrepanz zwischen sein- und haben-Konstruktion muss hier unbeantwortet gelassen werden. Allerdings ist festzuhalten, dass der Datenkontrast für einen Ansatz, der auch für stative Prädikate generell ein Davidson’sches Argument vorsieht, eher noch problematischer ist als für eine Analyse im Sinne Maienborns, denn es wäre völlig unklar, warum in (ii) bei Vorliegen eines Davidson’schen Arguments das Adverbial mit Begeisterung nicht als Situationsmodifikator fungieren kann.

295 ohne Situationsbezug ist – wäre erklärungsbedürftig. Die oben geführte Diskussion kann aber im Gegenteil als unabhängige – da genuin semantisch begründete – Bestätigung der syntaktischen Dekompositionsanalyse gelten. Vor diesem Hintergrund kann auch die in Abs. 7.1 getroffene Bemerkung, dass das Subjekt in haben-Sätzen einen Eigenschaftsträger (im weiteren Sinne) darstellt, weiter präzisiert werden: Haben-Subjekte sind K-Zustandsträger.61 Im nächsten Abschnitt wird der semantische Beitrag des Kopfes mitprop – und damit des zweiten syntaktischen Bestandteils von haben – thematisiert.

7.3.2 Die Pertinenzpräsupposition In dieser Arbeit wurden die syntaktischen Parallelen zwischen haben-Konstruktionen und absoluten mit-Konstruktionen eingehend thematisiert; auf ihrer Grundlage wurde in Kap. 2 die untersuchungsleitende Hypothese formuliert. Im Weiteren ist auch die semantische Verwandtschaft der beiden Konstruktionen immer wieder deutlich geworden. Fassbar wird diese Verwandtschaft insbesondere an der Paraphrasierbarkeit der absoluten mit-Konstruktionen durch habenKonstruktionen – auf diese Paraphrasierbarkeit wurde im Verlauf der Arbeit ebenfalls immer wieder Bezug genommen. In diesem Abschnitt soll nun ein Erklärungsansatz für die semantische Parallelität von absoluten mit-Konstruktionen und haben-Konstruktionen formuliert werden. Daraus ergibt sich auch ein Lösungsansatz für das in Abs. 7.1 formulierte ‹Pertinenzproblem›. Ausgehen möchte ich von der Annahme, dass grundsätzlich in jeder Konstruktion mit haben als Vollverb wie auch in jeder absoluten mit-Konstruktion eine Pertinenzrelation zum Ausdruck kommt – die Pertinenzrelation ist somit eine entscheidende Gemeinsamkeit der beiden Konstruktionstypen. Wenn sich diese Auffassung stützen lässt, so ist zu schließen, dass es der Kopf mitprop ist, der für die Herstellung der Pertinenzrelation verantwortlich ist. Dies deshalb, da mitprop einerseits den Kopf der absoluten mit-Konstruktion, andererseits eine syntaktische Komponente des syntaktisch komplexen Kopfs haben darstellt (vgl. Abs. 2.6: 2-120). mitprop bildet damit das syntaktische ‹Bindeglied› zwischen der haben- und der absoluten mit-Konstruktion. Als solches prägt es auch die Semantik beider Konstruktionen in paralleler Weise. Wie ist nun die Perti-

61

Zu ähnlichen Schlüssen über die Semantik des haben-Subjekts im PHK (vgl. oben Kap. 4) gelangt Hole (dies aufgrund anderer und weniger spezifischer Annahmen in Bezug auf die syntaktische Struktur von haben-Konstruktionen, als ich sie hier zugrunde lege). Hole bezeichnet das Subjekt im haben-Satz als ‹mittelbaren Zustandsträger›, das Akkusativargument als ‹unmittelbaren Zustandsträger› (Hole 2002:9). Allerdings differenziert Hole – anders als Maienborn (2003) oder Nicolay (2007) – den Zustandsbegriff nicht weiter.

296 nenzrelation inhaltlich zu beschreiben? Um diese Frage zu beantworten, knüpfe ich an die Darstellung in Abs. 3.6.4 und die dort diskutierten Satzbeispiele an (3-102, hier wiederholt als 7-54). (7-54) a. b. c.

Der Schüler hatte den Arm kaputt. Der Schüler hatte den Arm eingebunden. Der Schüler hatte den Arm im Gips.

Auf semantischer Ebene besteht bei den Sätzen in (7-54) zwischen Subjekt und Objekt eine Relation, die in Abs. 3.6.4 als inalienable Possession bezeichnet wurde und die als eine Teil-Ganzes-Relation aufgefasst werden kann.62 Sätze, die inalienable Zugehörigkeitsrelationen beinhalten, zeichnen sich durch bestimmte syntaktische Eigenschaften aus (Auftreten des ‹pseudo-definiten› Artikels, Distributionseffekt; vgl. Abs. 3.6.4). Dazu wurde in Abs. 3.6.4 festgestellt, dass diese Eigenschaften sich auch bei Fällen beobachten lassen, in denen die Akkusativ-NP keinen ‹echten› Teil des Subjektsdenotats bezeichnet (wie beispielsweise in 7-55), weshalb hier ebenfalls von inalienabler Possession gesprochen werden soll. (7-55) a. b.

Anna hat das Fenster offen. Anna hat das Glas leer.

In (7-55a/b) ist die ‹Ganzheit›, die vom Subjekt denotiert wird, gleichsam als metonymisch ausgeweitet zu verstehen: Fenster bzw. Glas sind Teil des räumlichen Bereichs, der dem Subjektsreferenten unmittelbar zugeordnet werden kann (vgl. hierzu auch gleich unten). – Entscheidend ist nun, dass dieselbe Relation inalienabler Zugehörigkeit sowohl in haben-Sätzen wie auch in absoluten mitKonstruktionen zum Ausdruck kommt.63 (7-56) a. b. c.

Mit kaputtem Arm kann der Schüler nicht schreiben. Mit eingebundenem Arm kann der Schüler nicht schreiben. Mit dem Arm im Gips kann der Schüler nicht schreiben.

(7-57) a. b.

Mit offenem Fenster kann ich nicht schlafen. Mit leerem Glas kann ich euch nicht zuprosten.

62

63

Harbert (2007:164–167) behandelt HABEN-Konstruktionen wie Er hat Schmerzen in der Seite ebenso wie Konstruktionen mit externem, dativisch realisiertem Possessor wie in Ihm tut der Kopf weh unter dem Titel meronymic constructions. Folgerichtig verwendet Harbert anstelle von Possessor und Possessum o. ä. die Begriffe Holonym bzw. Meronym. Es ist daran zu erinnern, dass bei der Umformung eines AHK (7-54a) oder eines PHK (b) in eine absolute mit-Konstruktion das adjektivische bzw. partizipiale Prädikat pränominal erscheint (7-56a/b; ebenso in 7-57) (vgl. Kap. 3 bzw. Abs. 4.5.2).

297 In den Absolutkonstruktionen in (7-56) besteht zwischen Arm einerseits und dem impliziten Subjekt der mit-PP andererseits64 dieselbe Teil-Ganzes-Relation wie in den haben-Konstruktionen in (7-54) zwischen Arm und Schüler. Entsprechendes gilt bei Fällen ‹erweiterter› Inalienabilität, also beispielsweise in Bezug auf das Verhältnis von Fenster bzw. Glas zum jeweiligen Subjektsreferenten in (7-55) und (7-57). Die Pertinenzbeziehung zwischen Subjekt- und Objektsdenotat in habenKonstruktionen kann allerdings nicht auf Fälle von Inalienabilität und ‹erweiterter› Inalienabilität beschränkt werden. So kann auch zwischen dem Denotat einer referierenden Objekt-NP65 und dem Subjekt eine Pertinenzrelation etabliert werden. Dieser Fall liegt in (3-101a) vor (hier wiederholt als 7-58). (7-58)

Sie hatte das mittlere Fenster ihres Wohnzimmers / dieses Fenster hier offen.

Trotz Referenzfähigkeit der Akkusativ-NP kann hier von einer Pertinenzrelation zwischen sie und Fenster ausgegangen werden. Dies deshalb, da für das Glücken der Interpretation von (7-58) dieselben pragmatischen Bedingungen gelten wie für (7-55a): In beiden Fällen muss das Fenster – auf das entweder referiert wird (7-58) oder das situativ erschließbar ist (7-55) – für den Subjektsreferenten zugänglich sein, sich räumlich in seiner unmittelbaren Umgebung befinden o. ä. Mit anderen Worten: Das Fenster muss als Teil des metonymisch erweiterten Körpers des Subjektsreferenten konzeptualisiert werden können.66 – Metonymische Erweiterung des Körpers im hier relevanten Sinn ist auf belebte Entitäten beschränkt.67 64

65

66

67

Das implizite Subjekt – in den Beispielen mit dem Subjekt des Matrixsatzes koreferent – kann syntaktisch als PRO repräsentiert werden. Diese Annahme ist zu treffen, wenn man – Stowell (1983) folgend – davon ausgeht, dass SCs in Adjunktpositionen grundsätzlich ein PRO-Subjekt enthalten (vgl. Flaate 2007:219). Die in dieser Arbeit vertretenen Auffassungen in Bezug auf die Syntax absoluter mit-Konstruktionen hängen jedoch in keiner Weise von einer solchen Annahme ab. Zur semantischen Interpretation des impliziten Subjekts in Absolutkonstruktionen vgl. Kortmann (1991). In Abs. 3.6 wurde festgestellt, dass Objekt-NPs, die als ‹inalienabel besessen› interpretiert werden, nicht referenzfähig sind, d. h. als Types im Sinne von Vergnaud/ Zubizarreta (1992) eingeordnet werden müssen. Den Begriff des ‹metonymisch erweiterten Körpers› habe ich Hole (2002:2) entnommen. – Die vorangegangene Diskussion dürfte ausreichend deutlich gemacht haben, dass der metonymisch erweiterte Körper nicht mit dem Bereich des von einem Referenten ‹inalienabel Besessenen› zusammenfällt, sondern gegenüber diesem mehr umfassen kann. Restriktionen im Zusammenhang mit unbelebten HABEN-Subjekten werden in der Literatur öfters thematisiert, so u. a. bei Renzi (1971), Déchaine et al. (1994), Belvin (1996), Ritter/Rosen (1997), Harley (1997) und Hole (2002). Zu Beschränkungen in

298 (7-59) a. b.

#Das Auto hat das Garagentor offen. #Der Computer hat das Netzwerkkabel noch in der Kartonschachtel.

(7-59a) ist inakzeptabel, auch wenn beispielsweise das genannte Auto sich in der Garage befindet, deren Tor geöffnet ist, oder wenn Garage den Ort bezeichnet, an dem das Auto gewöhnlich geparkt wird; entsprechend ist auch (b) selbst dann inakzeptabel, wenn der pragmatische Kontext es erlaubt, die Kartonschachtel dem Computer sinnvoll zuzuordnen (etwa indem sie als ehemaliger Aufbewahrungsort des Computers identifiziert wird). Dies bedeutet: Die unbelebten Entitäten Auto bzw. Computer können nicht in der Weise konzeptualisiert werden, dass sie sich metonymisch erweitern und so beispielsweise eine Garage bzw. eine Kartonschachtel ‹enthalten› können. Dies steht in Gegensatz zu belebten Entitäten, die als Subjektsreferenten in Konstruktionen wie (7-59) in Frage kommen (7-60). (7-60) a. b.

Oskar hat das Garagentor offen. Ich habe das Netzwerkkabel noch in der Kartonschachtel.

Das haben-Subjekt kann in entsprechenden Konstruktionen nur dann auf eine unbelebte Entität referieren, wenn das Denotat der Objekt-NP als ‹echter› Teil der Entität interpretiert werden kann, d. h. wenn zwischen Subjekt- und Objektsdenotat eine Relation der inalienablen Zugehörigkeit (und zwar im engen Sinn, vgl. oben) besteht. (7-61) a. b. c.

Das Auto hat den Vorderreifen platt.68 Das Auto hatte den Kofferraum offen.69 Unser Badezimmer hat den Lichtschalter (dummerweise nicht) gleich neben der Tür.

Die Sätze in (7-61) sind pragmatisch unmarkiert, da ein Reifen oder ein Kofferraum als konstitutiver Teil eines Autos anzusehen ist (a/b); Entsprechendes gilt für das Verhältnis von Lichtschalter und Badezimmer in (c).70

68

69

70

Bezug auf das Definitheitsmerkmal des Objekts bei unbelebtem Subjekt vgl. Tham (2006:142–146) sowie Jensen/Vikner (1998:123f). Vgl. folgenden Beleg: «Am 06.04.2008, gegen 01:35 Uhr, fiel einer Streifenwagenbesatzung, auf der Grabenstraße in Rheinbach, ein Fahrzeug auf, das den vorderen rechten Reifen platt hatte und dessen Fahrer in unsichere Fahrweise fuhr.» (21.11.2010: http://www.mein-rheinbach24.de/nachrichten.php?artikel_id=51834) Vgl. folgenden Beleg: «Uhi wenn der Benz auch bei der Aktion Kofferraum und Schiebedach offen hatte, kannste die Kiste nur noch einstampfen.» (28.11.2008: http://www.autotrac.org/index.php?topic=79.0) Ganz im Sinne des oben Festgehaltenen wird auch in Belvin (1996) und Belvin/ den Dikken (1997) in Bezug auf das englische have argumentiert: Have «denotes a special kind of inclusion relation […] dubbed ‘zonal inclusion’» (Belvin/den Dikken

299 Vor diesem Hintergrund formuliere ich nun folgende Hypothese zur Semantik von haben als Vollverb; im Anschluss daran wird die Hypothese erläutert und auf weitere, in diesem Abschnitt bisher noch nicht angesprochene Typen von haben-Konstruktionen angewandt. (7-62)

Pertinenz-Präsupposition Der Kopf mitprop führt die folgende Präsupposition ein: Zwischen dem Denotat eines Ausdrucks im Komplement von mitprop einerseits und dem Denotat des Subjekts zur mitprop-Phrase andererseits besteht eine Pertinenzrelation. Diese Pertinenzrelation kann als Teil-Ganzes-Beziehung beschrieben werden.

Grundsätzlich ist hierzu festzuhalten, dass bei belebten Subjektsreferenten die Teil-Ganzes-Beziehung auch in einem Sinne verstanden werden kann, der dem oben zur metonymischen Erweiterung von Körpern Festgehaltenen entspricht. Im Weiteren ist die Hypothese in (7-62) wie folgt zu kommentieren. Zunächst zur Präsuppositionalität der Pertinenzrelation: Dass die Pertinenzrelation auf der Ebene des präsupponierten, nicht des assertierten Gehalts des haben-Satzes liegt, zeigt der Negationstest (auf den in dieser Arbeit schon öfters Bezug genommen wurde; vgl. Chierchia/McConnell 2000:349f). Dies kann beispielhaft anhand von (7-60a, hier wiederholt als 7-63a) illustriert werden. (7-63) a. b.

Oskar hat das Garagentor offen. Oskar hat das Garagentor nicht offen.

Die Pertinenzrelation zwischen Oskar und Garagentor in (7-63a) bleibt unter Satznegation erhalten (7-63b). Mit anderen Worten: Die pragmatischen Bedingungen, unter denen Garagentor als dem Subjektsreferenten zugehörig aufge-

1997:170; Hervorhebung original). Zentral ist dabei folgende Annahme (vgl. Belvin 1996): «[E]ntities have various zones associated with them, such that an object […] may be included in a zone associated with an entity without being physically contained in that entity» (Belvin/den Dikken 1997:170; in diesem Zusammenhang verweisen die Autoren auf vergleichbare Überlegungen in Langacker 1993). Belebte Entitäten («sentient entities») verfügen gegenüber unbelebten über zwei zusätzliche ‹Zonen›: «zone of control» und «zone of experience» (Belvin/den Dikken 1997:171). Dieser Umstand ermöglicht für belebte have-Subjekte Lesarten, die für unbelebte nicht zugänglich sind. – Attraktiv an einem solchen Ansatz ist die Tatsache, dass Restriktionen in Bezug auf unbelebte HABEN-Subjekte nicht in Form von Selektionsbeschränkungen im Lexikoneintrag eines HABEN-Verbs festgehalten werden müssen, sondern aus allgemeinen – d. h. von HABEN grundsätzlich unabhängigen – Eigenschaften der Konzeptualisierung von unbelebten gegenüber belebten Entitäten folgen. Eine Aufgabe zukünftiger Forschung wird sein müssen, Reflexe dieser Konzeptualisierungen in verschiedenen Bereichen der Grammatik zu identifizieren und so ihre Allgemeingültigkeit zu stützen.

300 fasst werden kann (wobei diese Zugehörigkeit in diesem Fall als Enthaltensein im metonymisch erweiterten Körper des Subjektsreferenten zu verstehen ist), sind in (7-63a) und (b) dieselben. Zu einem zweiten Punkt: Die Pertinenzpräsupposition ist in (7-62) auf der Ebene der Denotate, nicht auf der Ebene der Referenz formuliert. Dies deshalb, da die NP, die das Meronym bezeichnet, nicht notwendigerweise referierende Kraft aufweist (dies wurde oben in Abs. 3.6 nachgewiesen). Schließlich ist zur Abgrenzung der in (7-62) formulierten Hypothese gegenüber verwandten Vorschlägen das Folgende festzuhalten. Die von mir angenommene Pertinenzrelation entspricht der denotativen Inklusion, die Baron/ Herslund (2001:85) der Beschreibung der Semantik von HABEN-Konstruktionen zugrunde legen (vgl. oben Abs. 7.2.4).71 Baron/Herslund (2001) nehmen darüber hinaus an, dass HABEN eine zweite semantische Relation eigen ist, die sie als Lokalisierungsfunktion beschreiben. Dafür fehlt aber, wie oben argumentiert wurde, zumindest im Hinblick auf das Deutsche jegliche Datengrundlage. Auch kann mit der Formulierung der Pertinenzpräsupposition in der gegebenen Form – wie bei der unten folgenden Diskussion weiterer Beispielsätze deutlich wird – auf die Entwicklung einer Satztypologie, wie Baron/Herslund (2001) sie entwerfen, verzichtet werden – was angesichts der in Abs. 7.2.4 konstatierten Abgrenzungsprobleme zwischen den Satztypen sowie weiterer Schwächen von Baron/Herslunds Modell sicherlich wünschenswert ist. – Ritter/Rosen (1997) sowie Sæbø (2009) gehen ihrerseits davon aus, dass in HABEN-Konstruktionen zwischen dem Subjekt sowie einem Element innerhalb des von HABEN eingebetteten SC eine Relation besteht, die in Form von Variablenbindung dargestellt werden kann. Gemäß Ritter/Rosen (1997) kann auf diese Weise die Interpretation des HABEN-Subjekts sichergestellt werden, ohne dass dabei für HABEN ein Thetaraster angenommen werden muss (vgl. dazu oben Abs. 7.2.5). Diffus

71

Schon Brinkmann (1959) hat die ‹Inklusionssemantik› von haben im Grunde treffend beschrieben. Nach Brinkmann besteht eine Besonderheit des Verbs haben darin, dass die Akkusativ-NP im haben-Satz «etwas, was in den Umkreis des Subjekts fällt» (Brinkmann 1959:179), nennt. Dies steht im Gegensatz zu anderen akkusativregierenden – insbesondere zu den passivierbaren – Verben, deren Objekt «ein Anderes […], ein außerhalb des Subjektbereichs Liegendes» (Brinkmann 1959:177) bezeichne. Brinkmann führt weiter dazu aus: «Der Akkusativ nennt zwar bei ‚haben‘ etwas, was dem Begriff nach von dem Subjekt unterschieden wird, aber so, daß es dazu dient, den Bereich des Subjekts zu erläutern» (Brinkmann 1959:179). In haben-Konstruktionen erlaubt die Akkusativ-NP den Ausdruck der Alterität einer Entität gegenüber dem Subjektsreferenten, zugleich wird das so Abgegrenzte als dem Subjektsreferenten zugehörig aufgefasst: Darin besteht laut Brinkmann gerade die «Eigentümlichkeit der ‚haben‘-Struktur» (Brinkmann 1959:193). Vgl. auch unten Abs. 7.4.

301 bleibt bei einem solchen Bindungsansatz allerdings, wie die für HABEN-Konstruktionen charakteristische Pertinenzsemantik zustande kommt. Zur Überprüfung der Voraussagen, die sich aus der Hypothese in (7-62) ergeben, werden im Folgenden noch einmal haben-Konstruktionen mit einer lokalen PP als Codakonstituente sowie solche mit stiller Coda aufgegriffen. Wichtig ist die Beobachtung, dass es in einer haben-Konstruktion nicht immer die Akkusativ-NP ist, die meronymisch in Bezug auf das Subjekt auftritt, sondern dass auch ein Ausdruck in der Coda diese Funktion wahrnehmen kann – diese Möglichkeit wird durch die Formulierung in (7-62) auch zugelassen. Bei diesen Ausdrücken handelt es sich gewöhnlich um nominale Konstituenten, die syntaktisch Teil einer PP sind. So wird beispielsweise in (7-64a) die Pertinenzpräsupposition dadurch erfüllt, dass Fuß als Meronym zum holonymischen Subjektsreferenten aufgefasst werden kann. (7-64) a. b.

Er hat einen Splitter im Fuß. Sie hat einen Schirm dabei.

In ähnlicher Weise kann (7-64b) so gedeutet werden, dass die Pertinenzpräsupposition durch die Präsenz des Morphems da- erfüllt wird.72 Vor diesem Hintergrund sind für manche haben-Sätze Ambiguitäten zu erwarten; dies sei anhand von (7-65) illustriert. (7-65)

Dr. Krause hat die Minikamera in der Speiseröhre.

Die Pertinenzpräsupposition kann in (7-65) – in Abhängigkeit der pragmatischen Begleitumstände – auf zwei Weisen erfüllt werden. Entweder wird Minikamera als Meronym des (in diesem Falle metonymisch erweiterten) Körpers des Subjektsreferenten interpretiert, oder der Satz wird so verstanden, dass Speiseröhre einen Körperteil des Subjektsreferenten denotiert. In der ersten Lesart kontrolliert Dr. Krause die Minikamera und führt sie zu Untersuchungszwecken in den Rachen eines Patienten ein o. ä., weshalb man diese Lesart beschreibend als ‹Kontroll-Lesart› bezeichnen könnte. Bei der zweiten Lesart ist Dr. Krause der Patient, daher wäre hier von einer ‹Experiencer-Lesart› zu sprechen. Diese beiden Lesarten müssen dabei nicht als Reflex zweier homonymer haben-Verben mit je unterschiedlichen Selektionseigenschaften auf semantischer Ebene aufgefasst werden, sondern sie ergeben sich automatisch aus der Pertinenzpräsupposition.73 Zugleich werden korrekterweise solche Lesarten ausgeschlos-

72

73

Hinzuzufügen ist aber, dass mit dabei (haben) eine Lexikalisierung vorliegt: Dabei in (7-64b) kann nicht eine beliebige PP mit bei als Kopf ersetzen (vgl. #Sie hat den Schirm beim Eingang), sondern dabei haben steht für ‚mitgenommen haben, bei sich tragen‘ o. ä. Dagegen könnte im Rahmen eines thetatheoretischen Modells angenommen werden,

302 sen, in denen keine Teil-Ganzes-Beziehung zwischen dem Subjektsdenotat und dem Denotat einer nominalen Konstituente im eingebetteten SC besteht – oder genauer gesagt: in denen eine solche Beziehung unter den jeweils gegebenen pragmatischen Bedingungen nicht hergestellt werden kann. Satz (7-65) kann beispielsweise nicht die Lesart ‚In der Speiseröhre von Dr. Krauses Schwester befindet sich eine Minikamera‘ aufweisen – auch dann nicht, wenn die Schwesterrelation (hervorgerufen durch mehrmalige Erwähnung von Dr. Krauses Schwester o. ä.) im Diskurs salient ist (vgl. dazu auch oben Abs. 7.2.3). Nachdem bis hierher die Gültigkeit der Pertinenzpräsupposition an solchen haben-Konstruktionen gezeigt wurde, deren Coda durch eine AP, ein Partizip oder eine PP besetzt wird, ist nun zu fragen, wie sich ‹codalose› haben-Konstruktionen einordnen lassen (7-66). (7-66) a. b.

Anna hat ein Motorboot. Anna hat eine Schwester.

Sätze wie (7-66a) werden traditionellerweise so gedeutet, dass in ihnen eine Relation alienabler Zugehörigkeit vermittelt wird (vgl. dazu Kap. 6). Beispiele wie (7-66b) werden semantisch hingegen üblicherweise ganz anders eingeordnet: Die im haben-Satz ausgedrückte Relation ist mit derjenigen Relation gleichzusetzen, die durch das Objektnomen (hier Schwester) denotiert wird (vgl. Abs. 7.2.2). Die in Kap. 6 vorgebrachte syntaktische Analyse sieht nun für beide Satztypen – so wie im Grundsatz für jede haben-Konstruktion ohne hörbare Codakonstituente – eine einheitliche syntaktische Analyse vor (7-67; vgl. Abs. 6.2). (7-67) a. b.

Anna hat [SC [Subjekt ein Motorboot] [Prädikat ∅]]. Anna hat [SC [Subjekt eine Schwester] [Prädikat ∅]].

In (7-67a/b) stellt ein SC das Komplement von haben dar. Die Besonderheit der Sätze in (7-67) gegenüber anderen haben-Konstruktionen mit SC-Komplement besteht darin, dass das SC-Prädikat hier still ist. Im gegebenen Argumentationszusammenhang ist nun festzustellen, dass die Annahme eines solchen stillen

den beiden Lesarten liege die Verwendung zweier haben-Verben mit je unterschiedlichen Thetarastern zugrunde. Bei der ‹Experiencer-Lesart› wird dem Subjekt eine Experiencerrolle zugewiesen, bei der ‹Kontroll-Lesart› hingegen eine Agensrolle. Damit wäre aber der Tatsache, dass in beiden Lesarten eine Teil-Ganzes-Relation mit dem Subjekt als Holonym besteht, noch nicht Rechnung getragen. Anders gesagt: Die Pertinenzrelation müsste den beiden Thetarastern je unabhängig eingeschrieben werden, was theoretisch unattraktiv wäre – dass beide Thetaraster eine Pertinenzrelation beinhalten, wäre ‹Zufall›. Im Weiteren ist die skizzierte Lösung unökonomisch, da zwei unterschiedliche haben-Lexeme angenommen werden müssen.

303 Prädikats es erlaubt, die Pertinenzpräsupposition, wie sie oben in (7-62) formuliert ist, auch auf Konstruktionen wie (7-67a/b) zu beziehen. Aus semantischer Sicht ist nämlich zu fragen, wie die Pertinenzpräsupposition in ‹codalosen› Sätzen erfüllt werden soll. So besteht beispielsweise in (7-66a) zwischen dem Subjekt und der Akkusativ-NP keine präsupponierte Pertinenzrelation: Unter Satznegation (vgl. Anna hat kein Motorboot / Es ist nicht so, dass Anna ein Motorboot hat) wird gerade keine Zugehörigkeitsbeziehung zwischen Motorboot und Anna ausgedrückt; wäre die Zugehörigkeitsbeziehung präsupponiert, müsste sie unter Negation erhalten bleiben. Damit gilt: Die Zugehörigkeitsbeziehung zwischen Motorboot und Anna ist assertiert, nicht präsupponiert. Daraus könnte geschlossen werden, dass die Pertinenzpräsupposition im gegebenen Fall nicht gilt und für ‹codalose› haben-Konstruktionen ein zweites haben-Homonym mit anderen semantischen Eigenschaften anzunehmen wäre. Aufgrund der syntaktischen Analyse in (7-67) bietet sich nun aber noch ein anderer Lösungsansatz an. Er lässt sich in Form der folgenden Annahme fassen: Das in ‹codalosen› haben-Konstruktionen auftretende stille Prädikat selbst ist es, dass die Pertinenzpräsupposition erfüllt. Unter dieser Annahme ist das stille Prädikat auch nicht als semantisch vollständig leer aufzufassen (und damit entgeht es dem Schicksal, ein rein syntaxtheoretisches Konstrukt zu bleiben). Vielmehr denotiert das stille Prädikat einen – weit gehend unterspezifizierten – räumlichen Bereich, der die Pertinenzpräsupposition erfüllen kann, indem er als meronymischer Teil des (gegebenenfalls metonymisch erweiterten) Körpers des Subjektsreferenten aufgefasst wird. – Der Bedeutungsaufbau in (7-66a) kann daher wie folgt nachvollzogen werden. Ein Motorboot nimmt die Subjektsfunktion in Bezug auf ein Prädikat wahr, das eine lokale, darüber hinaus aber unspezifische Semantik aufweist (diese Prädikationsbeziehung könnte man in grober Annäherung als ‚ein Motorboot ist da‘ paraphrasieren). Der durch das Prädikat denotierte räumliche Bereich steht – per Präsupposition, die von haben (genauer gesagt: von mitprop) eingeführt wird – in einer Teil-Ganzes-Beziehung zum Denotat des Satzsubjekts. Das bedeutet, dass ein Motorboot sich im räumlichen Bereich befindet, der als Teil des – in diesem Fall metonymisch erweiterten – Körpers von Anna aufzufassen ist. Die Assertion der Zugehörigkeitsbeziehung zwischen dem Motorboot und Anna wird somit ‹auf dem Umweg› über das stille Prädikat erreicht. Entsprechendes gilt für Fälle wie (7-66b) mit relational interpretierbarem Nomen als Kern der Akkusativ-NP. In Abs. 7.2.2 wurde – unabhängig von der hier vertretenen Präsuppositionshypothese und unabhängig von einer syntaktischen Analyse mit stillem SC-Prädikat – dafür argumentiert, dass eine relationale Lesart von (7-66b) nicht auf semantischer Ebene aus einer gegebenenfalls anzunehmenden Argumentstruktur des Objektnomens abzuleiten ist, sondern sich pragmatisch ergibt, sofern die Schwester-von-Relation im Diskurs hinreichend salient ist (für Einzelheiten s. oben). Auf rein strukturell-semantischer

304 Ebene unterscheidet sich (7-66b) dabei nicht grundsätzlich von (7-66a). (7-66b) ‹bedeutet› lediglich, dass eine Schwester in einem Bereich ‹vorhanden› ist, der als Meronym dem als holonymisch aufzufassenden Subjektsbereich zuzuordnen ist; dadurch wird dem Subjektsreferenten eine Entität zugeordnet, die denotativ als ‚Schwester‘ charakterisiert wird. Das zum stillen Prädikat Gesagte lässt sich wie folgt zusammenfassen: (7-68)

Semantik der stillen Coda In der Coda von haben-Konstruktionen, die kein offenes Prädikat enthalten, kann ein stilles Prädikat realisiert werden. Dieses denotiert einen unterspezifizierten räumlichen Bereich und kann dadurch die Erfüllung der Pertinenzpräsupposition (vgl. 7-62) sicherstellen.

Die große Interpretationsbandbreite, die zwischen einzelnen scheinbar codalosen haben-Sätzen zu konstatieren ist, ergibt sich durch die starke semantische Unterspezifiziertheit des stillen Prädikats. Wie die in einem haben-Satz vermittelte Zugehörigkeitsrelation durch die Einsetzung eines Lokaladverbials bzw. einer als-Phrase spezifiziert werden kann, wurde in Abs. 5.4.3 dargestellt.74 Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass sich aus den obigen Überlegungen auch eine Erklärung für den Interpretationsunterschied zwischen (7-69a) und (b) ergibt (vgl. dazu auch Abs. 3.2 und 3.5.3). (7-69) a. b.

Sie hat den Arm bandagiert. Sie hat den Arm.

In (7-69a) wird Arm meronymisch in Bezug auf das Subjekt interpretiert. Dies ist zwingend so, da die Codakonstituente – im Beispiel ein adjektivisches Partizip II (vgl. Kap. 4) – aus semantischen Gründen ungeeignet ist, die Pertinenzpräsupposition zu erfüllen. Wird das Partizip weggelassen (vgl. 7-69b), resultiert eine Uminterpretation dahingehend, dass Arm nun als alienabel besessen aufgefasst werden muss (beispielsweise kann es sich um einen Puppenarm handeln). Die inalienable Lesart von Arm ist in (7-69b) aus folgenden Gründen nicht möglich: Aufgrund des obigen Argumentationsgangs ist zu erwarten, dass ein stilles Prädikat die Funktion des Meronyms erfüllt. Seine Präsenz im SC wird durch die Pertinenzpräsupposition gefordert. In diesem Fall ergibt sich die alienable Lesart von Arm. Nimmt man hingegen an, dass kein stilles Prädikat mit den geforderten semantischen Merkmalen in der Struktur vorhanden ist, so muss Arm als Meronym aufgefasst werden, damit die Pertinenzpräsupposition 74

Bei haben-Konstruktionen mit einer präpositionalen Codakonstituente ist jeweils zu prüfen, ob die PP als SC-Prädikat oder als Adverbial zu interpretieren ist. Im zweiten Fall ist von einem stillen SC-Prädikat auszugehen (vgl. Abs. 5.4). Dieser komplizierende Aspekt wurde bei der vorangehenden Diskussion von haben-Konstruktionen mit PP-Coda ausgeblendet.

305 erfüllt wird. In diesem Fall wäre (7-69b) aber pragmatisch höchst markiert, da der Satz semantisch im Grunde nur präsupponierten Gehalt vermitteln würde und damit keine Assertion enthielte. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Pertinenzpräsupposition, wie sie in (7-62) formuliert ist, trägt der in allen Konstruktionen mit haben als Vollverb zum Ausdruck kommenden Pertinenzsemantik Rechnung. Sie vermeidet semantische Übergenerierung, wie sie für solche Ansätze zu konstatieren war, die HABEN-Verben als ‹semantisch leer› einstufen (vgl. Abs. 7.2.3). Zugleich ist die Annahme mehrerer homonymer Verben mit unterschiedlicher Semantik unnötig. Die Hypothese der Pertinenzpräsupposition ist mit der in dieser Arbeit vertretenen syntaktischen Analyse gut vereinbar und stützt insbesondere die Annahme eines stillen SC-Prädikats für ‹codalose› haben-Sätze.

7.4

Zur Perspektivität in haben-Konstruktionen

In diesem Abschnitt soll ein Beitrag zur Lösung des in der Einleitung (Abs. 7.1) formulierten Redundanzproblems geleistet werden. Im Gegensatz zu Sæbø (2009), der das Problem allein auf formalsemantischer Ebene angeht, möchte ich hier der Frage nachgehen, weshalb eine Sprache wie das Deutsche ‹sich› ein HABEN-Verb ‹leistet›. Die hier interessierende Frage lautet somit: Worin besteht der funktionale ‹Mehrwert› eines HABEN-Verbs? Dazu sollen noch einmal Satzpaare wie die folgenden aufgegriffen werden. (7-70) a. b.

Oskar hat den Arm im Gips. (= 7-2b) Oskars Arm ist im Gips.

(7-71) a. b.

Oskar hat eine lange Nase. Oskars Nase ist lang.

Die Sätze der Paare in (7-70) bzw. (7-71) scheinen jeweils in den wesentlichen Zügen synonym zu sein;75 auf die Paraphrasierbarkeit von haben-Konstruktionen (vgl. a-Sätze) durch sein-Konstruktionen (vgl. b-Sätze) wurde in dieser Arbeit wiederholt Bezug genommen. Auffällig ist, dass die (a)-Sätze unter üblichen pragmatischen Bedingungen ‹natürlicher›, unmarkierter wirken als die (b)-Pendants.76 Ich möchte vorschlagen, dass diesem Umstand durch folgende 75 76

Sæbø (2009:379) bezeichnet die folgenden Sätze als «intuitively […] synonymous»: I had my hair wet / My hair was wet / I had wet hair. Als ‹üblich› kann ein pragmatischer Kontext verstanden werden, in dem Oskar und seine Existenzform als Mensch präsupponiert sind. Damit wird auch präsupponiert,

306 Annahme Rechnung getragen werden kann: Haben-Konstruktionen zeichnen sich gegenüber ihren (quasi-)synonymen sein-Pendants durch eine eigene, charakteristische Perspektivierung des gegebenen außersprachlichen Sachverhalts aus. Dieser Gedanke soll in diesem Abschnitt knapp ausgeführt werden – dies ohne Anspruch auf eine erschöpfende Beschreibung des Perspektivierungspotentials (vgl. Dürscheid 1999:243) des Verbs haben. Schon Brinkmann hält fest, dass sich haben-Konstruktionen durch eine «besondere Sehweise» (Brinkmann 1959:183) auszeichnen. Er beschreibt den funktionalen Unterschied zwischen einem haben-Satz und dem sein-Satz, der ihm zugeordnet werden kann (z.B. Ich habe nasse Füße / Meine Füße sind nass; vgl. Brinkmann 1959:180 für weitere Beispiele), auf folgende Weise: Durch den haben-Satz besteht die «Möglichkeit, den Menschen selber als Subjekt in den Mittelpunkt zu rücken» (Brinkmann 1959:181). Zu ergänzen wäre hier: Der Mensch anstelle eines seiner Körperteile wird ‹in den Mittelpunkt gerückt›.77 Erreicht wird dies in der haben-Konstruktion auf syntaktischer Ebene durch die Realisierung des Holonyms als Satzsubjekt. Dabei sind m. E. zwei Aspekte zu trennen: Einerseits die Versprachlichung des Holonyms als unmittelbare Konstituente des Satzes (d. h. als Satzglied, nicht als Teil eines Satzglieds), andererseits seine Realisierung als Satzsubjekt (im Gegensatz beispielsweise zur Realisierung als Objekt). Zunächst zum ersten Punkt. Neumann (1996) schreibt zur Syntax von Teil-Ganzes-Relationen Folgendes. «[S]omething that would be sayable about the part is very often presented as something that is being said about the whole, because the whole is more salient in the speaker/hearer’s mind and he/she perceives it as dominant over the part.» (Neumann 1996:757)

Hierzu führt Neumann (1996:757) u. a. folgende Beispiele an. (7-72) a. b.

Die Augen der Kinder glänzen. Die Kinder haben glänzende Augen.

Während in (7-72a) der Körperteil (Augen) als Subjekt realisiert wird, steht in (b) das Holonym (Kinder) im Subjekt, wobei der Körperteil zusammen mit dem, was über ihn ausgesagt wird («the part with its comment», Neumann 1996:757), das Objekt von haben bildet. In Abhängigkeit davon, ob der Sprecher den Körperteil oder seinen ‹Besitzer› als salienter auffasst, wird die eine oder die andere Konstruktion gewählt. Die Alternation in (7-72) entspricht ei-

77

dass Oskar über zwei Arme und eine Nase verfügt. Vom präsupponierten Status von Nase in (7-71a) ist damit – trotz der Verwendung des indefiniten Artikels – genauso auszugehen wie in (7-71b) (vgl. Abs. 3.5.3). Ähnlich lautende Bemerkungen finden sich bei Zydatiß (1978:81), dort ausgehend von einem transformationsgrammatischen Modell.

307 nem allgemeinen Muster, d. h. das Deutsche stellt verschiedene syntaktische Mittel zur Verfügung, entweder ein Ganzes oder einen seiner Teile als salient darzustellen. Vergleiche dazu (7-73), wo nicht auf das Verb haben zurückgegriffen wird (Beispiele und Beurteilung aus Neumann 1996:759). (7-73) a. b.

Sie legten den Verletzten mit dem Kopf auf einen Stein. ??Sie legten den Kopf des Verletzten auf einen Stein.

Für Neumann ist in Bezug auf einen Sachverhalt, wie er (7-73a/b) zugrunde liegen kann, eine erhöhte Salienz des Körperteils (Kopf) gegenüber der Salienz der ganzen Person (Verletzter) pragmatisch unwahrscheinlich, weshalb sie (b) mit ‹??› beurteilt.78 Auf die Frage, warum oft ein solches Markiertheitsgefälle zwischen den beiden Versprachlichungsstrategien feststellbar ist, bieten möglicherweise Überlegungen aus Sicht der kognitiven Grammatik eine Antwort. «We generally do not know individual elbows and tails, nor think of the world as being populated by such entities (which incidentally have people or animals attached to them). Rather, we think of the world as being populated by people and animals, and we become aware of particular elbows and tails only in the context of the individuals with respect to which they constitute parts.» (Langacker 1995:58)

Allgemein gilt: Die Wahl der syntaktischen Konstruktion hängt von der Konzeptualisierung des Meronyms im Verhältnis zu seinem Holonym im gegebenen Äußerungskontext ab. Nun zum zweiten Punkt, d. h. der Tatsache, dass in haben-Konstruktionen das Holonym als Satzsubjekt erscheint. Hierzu knüpfe ich an eine Arbeit von Aissen an. Aissen (1999) untersucht Konstruktionen mit externem Possessor (EP) im Tz’utujil (einer Mayasprache) und vergleicht sie mit have-Konstruktionen im Englischen. Aissens Überlegungen bieten m. E. einen Ansatzpunkt zur Beschreibung der Perspektivierungsleistung von HABEN-Verben, denn auffälligerweise lassen sich EP-Konstruktionen aus dem Tz’utujil oft als englische have- bzw. deutsche haben-Sätze wiedergeben. Zur Syntax des Tz’utujil ist zunächst Folgendes festzuhalten. Zum Ausdruck prädikativer Possession wird in dieser Sprache auf das Genitive-PossessiveMuster zurückgegriffen (vgl. Stassen 2001:956). Dieser Konstruktionstyp be-

78

Ein weiteres Beispiel für die beiden hier diskutierten syntaktischen Strategien liegt im Satzpaar (i/ii) vor. (i) Ich habe dem Großvater die Füße abgetrocknet. (ii) Ich habe die Füße des Großvaters abgetrocknet. In (i) wird das Holonym als Dativargument, in (ii) dagegen als Genitivattribut zum Meronym realisiert. Zu den sog. External possessor constructions, wie sie mit (i) illustriert sind, vgl. auch oben Abs. 3.6.4.

308 steht aus einem Existenzprädikat und einer NP, die als Possessum interpretiert wird. Charakteristisch für die Konstruktion ist nun, dass der Possessor als adnominaler Modifikator des Possessums erscheint (weshalb für die Konstruktion in Stassen 2009 die Bezeichnung adnominal possessive verwendet wird). Das folgende Beispiel ist vollständig von Stassen übernommen, ergänzt ist lediglich die wörtliche deutsche Übersetzung (Dayley 1981:200, zitiert nach Stassen 2001:956; vgl. auch Stassen 2009:111). (7-74)

K’o jun ruu-keej n-ata/. exist a his-horse my-father ‚My father has a horse.‘ (wörtlich etwa: ‚Es gibt ein Pferd meines Vaters.‘)

Im Tz’utujil besteht nun die Möglichkeit, bei solchen Possessivkonstruktionen, aber auch in einer Reihe anderer Konstruktionen, die adnominal konstruierte Possessorphrase ‹anzuheben› und satzinitial zu positionieren. In dieser satzinitialen Position können aber auch andere nominale Konstituenten stehen. Alle die in dieser Weise ‹topikalisierten› Konstituenten werden semantisch-funktional in paralleler Weise interpretiert. Für Aissen stellen sie ‹Subjekte› in einem ganz bestimmten Sinne dar: Aissen bezeichnet sie als logische Subjekte.79 Dieser Fall ist in (7-75) illustriert.80 (7-75)

Ja w-xaayiil x-in-k’am (Aissen 1999:170) the a1sg-wife cmpl-a1sg-take ‚I took my wife to San Juan.‘

el

San Jwaan.

dir

San Juan81

Die satzinitial stehende Objekt-NP ja w-xaayiil ist gemäß Aissen (1999:170) als ‹logisches Subjekt› zu verstehen. Aissen identifiziert Sätze, die ein logisches Subjekt enthalten, mit der Klasse der kategorischen Urteile im Sinne von Franz

79

80

81

Manche Verwendungsweisen der Begriffe Topic oder Theme in der Literatur entsprechen dem Begriff des logischen Subjekts (vgl. Aissen 1999:167). Zum Gebrauch des Begriffs logisches Subjekt in der traditionellen Grammatik vgl. Dürscheid (1999:27). Alle folgenden Beispiele aus dem Tz’utujil sind Aissen (1999) entnommen, ebenso jeweils die durch eckige Klammern angedeutete Konstituenz, das leere Element pro und die englische Übersetzung der Beispielsätze. Zu den Abkürzungen: a1sg = 1. Singular der Affixklasse A (die Unterscheidung in die Cross-reference-Affixklassen A und B ist im gegebenen Zusammenhang irrelevant); cmpl = completive; dir = directional. – Tz’utujil ist grundsätzlich eine VOS-Sprache. Davon abweichende syntaktische Abfolgen – wie beispielsweise die hier besprochenen Konstruktionen mit logischem Subjekt – kommen durch Platzierung von Konstituenten in höheren funktionalen Projektionen zustande (vgl. Aissen 1999:168f, 172).

309 Brentano, dessen Lehre der Urteilsformen in der zeitgenössischen Linguistik von Kuroda (1992), Ladusaw (1994), Basilico (2003) und anderen wieder aufgegriffen und auf linguistische Kategorien (v. a. Sätze, aber auch Small Clauses, vgl. Basilico 2003) bezogen wurde. Grundlegend ist dabei die Dichotomie kategorische – thetische Prädikation. In thetischen Prädikationsstrukturen wird ein Ereignis oder eine Situation gleichsam holistisch versprachlicht, wohingegen in kategorischen Prädikationsstrukturen ein Element des Ereignisses oder der Situation herausgegriffen wird. Dieses ausgezeichnete Element (das ‹logische Subjekt›) ist Gegenstand der Aussage, der restliche Satz stellt die Aussage selbst dar. Das logische Subjekt ist vom grammatischen Subjekt zu unterscheiden, das eine syntaktische Funktion bezeichnet. Logisches Subjekt wird von Aissen dagegen primär als kognitiver Begriff verstanden (vgl. Aissen 1999:191, Fn. 4). Das grammatische Subjekt kann die Rolle des logischen Subjekts wahrnehmen, muss es aber nicht.82 Entscheidend ist nun, dass die Wahl des logischen Subjekts mit der Wahl einer bestimmten Perspektive einhergeht, und zwar derart, dass die im Satz ausgedrückte Situation als Eigenschaft («property») des logischen Subjekts dargestellt wird (Aissen 1999:170). Von besonderem Interesse ist im gegebenen Zusammenhang, dass im Tz’utujil auch Possessoren in Sätzen zum Ausdruck prädikativer Possession (vgl. 7-74) als logische Subjekte konstruiert werden können. In diesem Fall werden sie satzinitial konstruiert (7-76).

82

Der Status der Unterscheidung in thetische und kategorische Urteile für die linguistische Analyse ist Gegenstand der Diskussion. So kommt beispielsweise Junghanns (2002) ausgehend von der Datenlage in den slavischen Sprachen zum Schluss, dass die Dichotomie thetisch – kategorisch nicht direkt linguistisch relevant sei, sondern eine außersprachliche Unterscheidung darstelle (vgl. Junghanns 2002:185–190). Seiner Auffassung nach erfasst das Begriffspaar einen Gegensatz in der Perspektivierung einer Situation, doch «[d]iese Perspektivierung ist ihrer Natur nach nicht linguistisch» (Junghanns 2002:189), denn die Thetisch-Kategorisch-Dichotomie hat kein Korrelat in der sprachlichen Struktur. Die Beziehung zwischen der sprachlichen (formalen) Struktur einerseits und der Informationsstruktur eines Satzes andererseits kann allein unter Rückgriff auf die Topik-Kommentar- und die Fokus-Hintergrund-Gliederung beschrieben werden, die Einführung einer weiteren, unabhängigen binären Opposition ist gemäß Junghanns (2002) unnötig. Auch Aissen fasst den Begriff des logischen Subjekts nicht als primär sprachstrukturellen, sondern als allgemein kognitiven und damit außersprachlichen Begriff auf (vgl. Aissen 1999:191, Fn. 4). Andererseits ist für Aissen die Realisierung des logischen Subjekts im Tz’utujil an eine bestimmte syntaktische Position gebunden (und zwar SpecC, vgl. Aissen 1999:172). Es ist also damit zu rechnen, dass sich die Thetisch-Kategorisch-Dichotomie in manchen Sprachen strukturell in direkter Weise niederschlägt, während dies in anderen Sprachen nicht der Fall zu sein braucht.

310 (7-76)

Ja winaqi [k’o [ki-paq proi]]. the people be a3pl-money83 ‚The people have money.‘

(Aissen 1999:178)

Wie in (7-74) erscheint als Prädikat das Existenzverb k’o. Während der Possessor in (7-74) als adnominales Attribut zum Possessum realisiert wurde, bildet der Possessor ja winaq hier in (7-76) das logische Subjekt. Der Possessor wurde also zum logischen Subjekt ‹angehoben›, weshalb Aissen hier auch von External-possessor-Konstruktion (EP-Konstruktion) spricht. Da es sich in Aissens Analyse aber nicht um syntaktische Anhebung im eigentlichen Sinn handelt, erscheint in der adnominalen Position ein kleines pro, das mit dem Possessor koindiziert ist. Damit komme ich nun zu der hier interessierenden Hypothese von Aissen (1999), die sie in Anlehnung an Ritter/Rosen (1993) und Schafer (1997) formuliert.84 Die Hypothese besagt im Kern, dass have-Konstruktionen im Englischen dieselbe Perspektivierungsleistung erbringen wie die Konstruktion mit logischem Subjekt (EP-Konstruktionen) im Tz’utujil. (Das hier zum Englischen Gesagte darf man – trotz der Unterschiede zwischen englischen have-Konstruktionen einerseits und deutschen haben-Konstruktionen andererseits – m. E. auf das Deutsche übertragen.) Sprachen wie das Englische oder Deutsche verfügen, anders als das Tz’utujil, nicht über eine produktive Möglichkeit der ‹Possessoranhebung› im Sinne einer syntaktischen Konstruktion. Diese Sprachen besitzen im Gegenzug ein HABEN-Verb, wodurch ihnen eine vergleichbare Perspektivierungsmöglichkeit zur Verfügung steht wie den Sprachen mit Anhebung des Possessors zum logischen Subjekt. Beide Strategien erlauben es, den Possessor einer possessiven Relation als Subjekt einer kategorischen Prädikation zu kodieren. In Sprachen ohne Possessoranhebung im Sinne Aissens kann ein Argument nur als logisches Subjekt fungieren, wenn es zugleich auch das grammatische Subjekt darstellt. Das HABEN-Verb in HABEN-Sprachen ermöglicht die Kodierung eines Possessors als grammatisches Subjekt und damit als logisches Subjekt. Dagegen ist für Possessoren in Sprachen wie dem Tz’utujil dieser ‹Umweg› über das grammatische Subjekt nicht nötig: Durch die produktive ‹Anhebungsregel› kann auch eine Nominalphrase, die kein grammatisches Subjekt darstellt, als logisches Subjekt kodiert werden. Aus diesem Grund bedarf das Tz’utujil auch keines HABEN-Verbs (Aissen 1999:177, 182). Zusammenfassend lässt sich festhalten: Nach Aissen ist also nicht (7-74), sondern (7-76) das Pendant zur HABEN-Konstruktion. Die HABEN-Konstruktion stellt nicht bloß eine von gewissen Sprachen gewählte Ausdrucksmöglichkeit von prädikativer Possession dar (vgl. Stassen 2009), sondern eine, die gegen-

83 84

a3pl = 3. Plural der Affixklasse A Das Manuskript von Schafer (1997) selbst war mir leider nicht zugänglich.

311 über anderen Varianten durch eine ihr eigene Perspektivierung der possessiven Relation charakterisiert ist. Diese Auffassung wird gestützt durch Daten, die nicht zum Bereich prädikativer Possession im engeren Sinne gehören (7-77). (7-77)

Ja ti xteni [chitoom [ti the dim girl pleated dim ‚The little girl has her skirt pleated.‘ (Aissen 1999:175)

r-ujq proi]]. a3sg-skirt85

Wiederum ist die satzinitiale Konstituente, hier ja ti xten, das logische Subjekt. Aissen kommentiert zum Satz : «[7-77] presents the situation of the little girl’s skirt being pleated as a property of the little girl. […] The logical subject in [777] is syntactically integrated into the sentence by virtue of the fact that it binds the genitive of rujq ‘her skirt’.» (Aissen 1999:175) Instruktiv ist die gegebene englische Übersetzung sowie die analoge Möglichkeit der Wiedergabe im Deutschen: Das Mädchen hat seinen Rock gefältelt. Neben der (hier irrelevanten) Perfektlesart weist der deutsche Satz eine Zustandslesart auf (d. h. es liegt ein PHK vor, vgl. oben Kap. 4), die Satz (7-77) in geeigneter Weise wiedergibt. Mit der haben-Konstruktion scheint also auch im Falle von (7-77) eine angemessene Alternative für die (im Deutschen nicht mögliche) Konstruktion mit einem zum logischen Subjekt ‹angehobenen› Possessor zur Verfügung zu stehen.

7.5

Fazit

Abschließend soll die Frage beantwortet werden, welchen Beitrag dieses Kapitel zur Lösung der eingangs (Abs. 7.1) beschriebenen zwei Probleme – des Pertinenzproblems und des Redundanzproblems – geleistet hat. Zum Pertinenzproblem: Ausgegangen wurde von der Intuition, dass jede Konstruktion mit haben als Vollverb eine Pertinenzrelation beinhaltet, die aber in einzelnen haben-Sätzen je sehr unterschiedlich zu beschreiben ist (wie etwa in der Diskussion von Baron/Herslund 2001 in Abs. 7.2.4 deutlich wurde). Zur Erfassung dieser Pertinenzrelation wurde angenommen, dass haben eine Präsupposition einführt, der zufolge zwischen dem Satzsubjekt und einem Ausdruck im habenKomplement eine meronymische Relation besteht (7-62). – Zum Redundanzproblem: Haben-Konstruktionen weisen gegenüber bedeutungsähnlichen Konstruktionen – insbesondere Sätzen mit der Kopula sein – einen funktionalen

85

dim = Diminutiv; a3sg = 3. Singular der Affixklasse A

312 ‹Mehrwert› auf, der in ihrer Perspektivierungsleistung besteht (vgl. Abs. 7.4). Dabei wird das Holonym der Teil-Ganzes-Relation, die im haben-Satz zum Ausdruck kommt, als Satzsubjekt realisiert, womit es als logisches Subjekt im Sinne Aissens (1999) hervorgehoben und gegenüber der restlichen Satzaussage als ‹ausgezeichnetes Element› markiert wird.

8

Weitere Formtypen

8.1

Einleitung

In den vorangehenden Kapiteln begegnete eine Reihe von haben-Konstruktionen, die von der in Kap. 2 formulierten Hypothese (Abs. 2.6.1, 2-120) nicht erfasst werden. Zunächst ist die Verwendungsweise von haben als Hilfsverb zu nennen (zur Unterscheidung von haben als Hilfsverb gegenüber haben als Vollverb vgl. Abs. 2.3). Auf auxiliare Verwendungsweisen von haben zielt die genannte Hypothese nicht ab, deshalb wurden sie aus der Betrachtung in dieser Arbeit weit gehend ausgeschlossen. Im Weiteren war aber auch festzustellen, dass Konstruktionen mit haben als Vollverb besondere Eigenschaften aufweisen können, die durch die Hypothese nicht vorhergesagt werden. Dies gilt für haben-Konstruktionen, die in modaler Einbettung erscheinen (8-1). (8-1)

a. b.

Sie will die Haare onduliert haben. Ich will die Kiste in den Keller haben.

Zu Verbindungen aus haben + Partizip II wie in (8-1a), die von einem Modalverb regiert werden und dabei semantische Besonderheiten zeigen, vgl. Abs. 4.3. Ebenfalls außergewöhnlich und auf modale Kontexte beschränkt ist die Möglichkeit, ein direktionales Adverbial – wie in den Keller in (8-1b) – in eine Konstruktion mit haben als Vollverb einzusetzen (vgl. Abs. 5.3.4). Bisher noch unerwähnt geblieben ist die Verbindung von haben mit bestimmten Nomina actionis wie Kuss oder Tritt, die ebenfalls nur unter modaler Einbettung möglich scheint (8-2; vgl. McIntyre 2006:192; Brandt 2006:108). (8-2)

a. b.

Er will einen Kuss haben / keinen Tritt haben. *Er hat einen Kuss / einen Tritt.

Wie in den Sätzen in (8-1) ist haben in (8-2a) grundsätzlich durch bekommen ersetzbar, wobei die Semantik des Satzes im Wesentlichen dieselbe bleibt; dies unterstreicht die Verwandtschaft der drei Konstruktionen. – Eine theoretische Einordnung der genannten haben-Konstruktionen steht noch aus. Schließlich ist an die haben-Konstruktionen zu erinnern, deren besondere syntaktische und/oder semantische Eigenschaften von der Verwendung bestimmter Lexeme abhängig ist, weshalb die entsprechenden haben-Verbindungen als Lexikalisierungen einzustufen sind und keine oder nur sehr eingeschränkte Generalisierungsmöglichkeiten erlauben. Zu nennen wären etwa Kollokationen mit adjektivischen Wortformen wie offen haben oder satt haben (vgl. Abs. 3.7) oder Nomen-haben-Verbindungen wie Durst/Angst/Recht haben (vgl. Abs. 6.4).

314 Im Folgenden sollen zwei weitere Konstruktionen aufgegriffen werden, die sich nicht ohne Weiteres im Rahmen der Kategorien, die in dieser Arbeit entwickelt wurden, einordnen lassen (8-3). (8-3)

a. b.

Er hat eine Katze auf dem Schoß sitzen. Sie hat die Holzkohle am Glühen.

Bei (8-3a) handelt es sich um eine AcI-Konstruktion mit haben als infinitivregierendem Verb (vgl. Abs. 2.5.3), in (b) ist von haben eine Konstituente der Form am + Infinitiv abhängig. Die erste haben-Konstruktion wird in der Literatur (Bech 1983, Latzel 1977, Helbig 1978, Hole 2002 u. a.) und in den Problem- und Resultatsgrammatiken (Admoni 1982:171, Weinrich 2005:283, Duden-Grammatik 2005:434 u. a.) häufig aufgegriffen, die zweite nur ganz ausnahmsweise (van Pottelberge 2004). Gemäß Kriterium (2-11) (Abs. 2.3.1) liegt haben in (8-3a/b) als Vollverb, nicht als Auxiliar vor, denn es regiert obligatorisch den Akkusativ (8-4). (8-4)

a. b.

Er hat *(eine Katze) auf dem Schoß sitzen. Sie hat *(die Holzkohle) am Glühen.

Zugleich kann haben in (8-3a/b) aber nicht im Sinne der in Kap. 2 entwickelten Hypothese (2-120) (vgl. Abs. 2.6.1) analysiert werden, denn daraus ergäbe sich die Voraussage, dass sich absolute mit-Konstruktionen bilden lassen (vgl. Abs. 2.5), die den haben-Sätzen in (8-3) entsprechen. Dies scheint nicht der Fall zu sein, wie (8-5) zeigt. (8-5)

a. b.

*Mit einer Katze auf dem Schoß sitzen kann er nicht aufstehen. *Mit der Holzkohle am Glühen kann sie die Würste nun auf den Grill legen.

Damit ist die untersuchungsleitende Hypothese aus Kap. 2 für haben in Konstruktionen, wie sie in (8-3) vorliegen, falsifiziert. Oder anders gesagt: Die genannten Konstruktionen liegen außer Reichweite der Hypothese, d. h. sie scheinen die Bildung einer dritten haben-Kategorie (neben haben als Auxiliar und haben als Vollverb) nötig zu machen. Ob dieser Schluss zwingend ist, muss zukünftige Forschung entscheiden. In den folgenden Abschnitten soll es zunächst nur darum gehen, einige syntaktische und semantische Eigenschaften der beiden Konstruktionen darzustellen. Abs. 8.2 hat den haben-AcI (vgl. 8-3a), Abs. 8.3 die von haben regierte am-Konstruktion zum Thema (vgl. 8-3b). In Abs. 8.4 wird die sporadisch anzutreffende haben-Konstruktion mit Partizip I als Codakonstituente angesprochen. Abs. 8.5 schließt das Kapitel ab.

315

8.2

Der haben-AcI

8.2.1 Einführung Der haben-AcI (8-3a) zeigt syntaktische Eigenschaften, die ihn grundsätzlich von anderen, oben behandelten haben-Konstruktionen unterscheiden. Solche Eigenschaften werden in Abs. 8.2.2 aufgegriffen. In Abs. 8.2.3 kommen semantische Beschränkungen des haben-AcI zu Sprache. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass der haben-AcI eine Variante aufweist, bei der anstelle des reinen Infinitivs (1. Status, vgl. Bech 1983) ein von der Partikel zu begleiteter Infinitiv (2. Status) erscheint (8-6). (8-6)

Sie haben eine Ming-Vase im Flur zu stehen.

(8-6) ist semantisch wie die entsprechende AcI-Konstruktion ohne zu zu interpretieren, d. h. der Satz hat, anders als Verbindungen von haben als Hilfsverb mit einem zu-Infinitiv, keine modale Semantik (vgl. Abs. 2.3.2). Die mit (8-6) illustrierte Konstruktion wird im Allgemeinen als nicht-standardsprachlich eingeordnet (vgl. Jung 1984:195; Duden Zweifelsfälle 2007:1039). Die beiden folgenden Belege für die Konstruktion entstammen Kontexten, die insgesamt aber zumindest als standardnah eingestuft werden können (Unterstreichungen M.B.). (8-7)

a.

b.

Gipfel der Verquickung von körperlicher Ertüchtigung und Studium sind jedoch Studenten, die auf dem Stairmaster in einem der Fitneßräume ihre Kondition erhöhen, während sie gleichzeitig ein Lehrbuch vor sich zu liegen haben […] 1 Ein Forscherteam des Instituts für Angewandte Photophysik an der Technischen Universität Dresden hat jüngst einen neuen Weltrekord aufgestellt. Sie entwickelten ein Display, dass [sic, M.B.] mit organischen Leuchtdioden Bilder darstellt. […] Somit könnte der Fernseher, so wie wir ihn im Wohnzimmer zu stehen haben, bald wirklich ausgedient haben.2

Die ‹zu-Variante› des haben-AcI besitzt eine regional eingeschränkte Verbreitung. In der Literatur begegnen Einordnungen wie «Berliner Umgangssprache» (Jung 1984:195), «regionalsprachlich […] kommt vor allem in Berlin und in Niedersachsen vor» (Duden Zweifelsfälle 2007:1039) oder – stärker verallgemeinernd – «norddeutsch» (VALBU 435). – Der varietätenlinguistische Status der Konstruktion – sowohl was ihre regionale Verbreitung als auch die Frage ihrer Zugehörigkeit zur Standardsprache betrifft – muss weiter erforscht werden. In den folgenden Abschnitten bleibt sie ausgeklammert.

1 2

6.4.07: http://www.tu-berlin.de/presse/tui/96jan/stanford.htm 6.4.07: http://www.hpi-hannover.de/tt-netzwerk/phorum-5_1_12/read.php?3,1231,1231

316 8.2.2 Syntax Eine enge syntaktische Verwandtschaft des haben-AcI mit solchen haben-Konstruktionen, deren Coda von einer lokalen PP besetzt ist, wie sie von Helbig (1978) angenommen wird, wurde schon in Abs. 5.2 zurückgewiesen. Die im Folgenden angeführten Daten machen deutlich, dass der haben-AcI syntaktische Merkmale aufweist, die ihn von allen bisher betrachteten Konstruktionen mit haben als Vollverb grundsätzlich unterscheidet. Zunächst zur Konstituenz im haben-AcI (8-8). (8-8)

a. b. c.

[Ein Sofa auf der Veranda stehen haben] wollte sie schon lange. Sofa auf der Veranda stehen] wollte sie schon lange haben. ?? [Ein Sofa auf der Veranda] wollte sie schon lange stehen haben. ?? [Ein

(8-8a) zeigt, dass haben, der von haben regierte Infinitiv (stehen) sowie alle vom Infinitiv dependenten Konstituenten eine gemeinsame Konstituente bilden, denn die genannten Elemente können gemeinsam ins Vorfeld verschoben werden. Den von haben regierten Infinitiv mitsamt seinen Dependentien – aber ohne haben selbst – (8-8b) oder nur die Dependentien des Infinitivs (c) zu verschieben, führt zu einem markierten, möglicherweise ungrammatischen Ergebnis. Das spricht dagegen, dass im haben-AcI die Akkusativ-NP und die Coda – sei es unter Einschluss des Infinitivs stehen wie in (8-8b) oder ohne ihn (c) – eine Konstituente bilden. Dies steht im Gegensatz zu haben-Konstruktionen, deren Coda keinen verbalen Infinitiv beinhaltet: Dort bilden Akkusativ-NP und Coda grundsätzlich eine Konstituente (vgl. dazu Abs. 2.4). Die Marginalität von Vorfeldbesetzungen wie in (8-8b) interpretiert Bausewein (1991:246) als Indiz gegen die Satzwertigkeit des Infinitivs in AcI-Konstruktionen im Deutschen, und sie schlägt eine Analyse vor, die von der Bildung eines Verbalkomplexes, bestehend aus dem infinitivregierenden Verb und dem Infinitiv selbst, ausgeht (Bausewein 1991:248f). Die Verbalkomplexbildung geht mit einer «Auxiliarisierung» (Bausewein 1991:249) des infinitivregierenden Verbs einher. Diese Auxiliarisierung manifestiert sich im Weiteren durch Oberfeldbildung und Auftreten eines Ersatzinfinitivs anstelle des Partizips II in den periphrastischen Tempora (vgl. Bech 1983), was anhand des Beispiels in (8-9) (mit Beurteilung aus Bausewein 1991:249) gezeigt werden soll. In der grammatischen Variante in (8-9b) mit … hat kommen sehen … erscheint das Auxiliar hat im Oberfeld und sehen im Ersatzinfinitiv – hier wird sehen ‹auxiliarisiert› im Sinne Bauseweins (1991) verwendet. (8-9)

a. b.

… weil sie ihn kommen ?sehen/gesehen hat … weil sie ihn hat kommen sehen/*gesehen

In (8-9) dient sehen als infinitivregierendes Verb. Analoge Konstruktionen mit haben würden wie in (8-10a/b) lauten (angeführt ohne Beurteilung). In beiden

317 Sätzen steht alternativ das Partizip II bzw. der Ersatzinfinitiv von haben in Vollverbfunktion. In (8-10b) steht hat in Auxiliarfunktion im Oberfeld, während in (a) kein Oberfeld gebildet wird. (8-10) a. b.

… weil sie ein Sofa auf der Veranda stehen haben/gehabt hat … weil sie ein Sofa auf der Veranda hat stehen haben/gehabt

Zur Datenlage in Bezug auf (8-10) kann an dieser Stelle das Folgende festgehalten werden. Es ist mir nicht gelungen, in standardsprachlichen Modelltexten Belege mit Oberfeldbildung und/oder mit Ersatzinfinitiv zu finden. Es ist daher davon auszugehen, dass im Standarddeutschen der haben-AcI im Allgemeinen nur ohne Oberfeldbildung und ohne Ersatzinfinitiv in Erscheinung tritt. Lässt sich dieser Befund durch weiter gehende korpusanalytische Forschung bestätigen, so spricht er gegen eine Verbalkomplexbildung im standardsprachlichen haben-AcI. Außerhalb der Modelltexte ist die Variante mit ‹auxiliarisiertem› infinitivregierendem haben, d. h. mit Oberfeldbildung und Ersatzinfinitiv, aber zumindest vereinzelt belegbar (8-11; Unterstreichungen M.B.). (8-11) a.

b.

Es ist aber durchaus noch befremdlicher, wenn man jemanden auf dem Tisch vor sich liegen sieht, den man im Leben kannte. Und ich frage mich auch manchmal, in wieweit man noch Respekt für einen Lebenden empfinden kann, den man schon einmal aufgeschnitten vor sich hat liegen haben […] 3 Ich stand auf, und wollte mich schon in eine Starfleet uniform schwingen, die ich noch auf einem Stuhl habe liegen gehabt, doch, da fiel mir im letzten Augenblick ein, das ich ja seit gestern 1800 kein Lieutenant junior Grade mehr war, sondern 1st Lieutenant des Marine Corps!4

In (8-11a) steht das Perfektauxiliar hat im Oberfeld und haben als Vollverb erscheint im Ersatzinfinitiv. In (8-11b) liegt ebenfalls Oberfeldbildung vor, aber haben als Vollverb steht im Partizip II, nicht im Ersatzinfinitiv. Somit ist im nicht-standardsprachlichen Bereich mit einiger Variation zu rechnen, was die ‹Auxiliarisierung› von haben in der AcI-Konstruktion betrifft. Diese Variation wäre weiter zu erforschen. Im Fazit ergibt sich, dass haben als AcI-Verb in syntaktischer Hinsicht Charakteristika zeigt, die es von haben als Vollverb, wie es in den obigen Kapiteln in Erscheinung trat, unterscheidet. Bei diesen Unterschieden könnte es sich allerdings um Reflexe der Tatsache handeln, dass haben hier einen verbalen Kopf (den Infinitiv) einbettet – dies im Gegensatz zu allen bisher in dieser Arbeit betrachteten Konstruktionen mit haben als Vollverb. 3 4

21.11.2010: http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?printertopic=1&t=17915&postd ays=0&postorder=asc&&start=30&sid=24988e38b83266c9a0b6d91c8dd52cb8 14.10.2007: http://www.desf.de/forum/viewtopic.php?p=33547

318 8.2.3 Semantik In diesem Abschnitt gehe ich zunächst auf semantische Beschränkungen im Hinblick auf das Infinitivverb im haben-AcI ein, danach auf die Obligatorik des Lokaladverbials im haben-AcI. Einleitend ist festzuhalten, dass der haben-AcI semantisch stark restringiert ist, insbesondere im Vergleich zu seinem formalen Pendant im Englischen (8-12). (8-12) a. b.

He had his hamster die. He had the students read an article.

Die Konstruktionen in (8-12), in denen have einen ‹reinen› Infinitiv regiert, können aufgrund der in ihnen vermittelten Semantik als Experiencer-Konstruktion (a) bzw. als Kausativkonstruktion (b) bezeichnet werden (vgl. u. a. Ritter/Rosen 1997, Harley 1998). Ihre Nachbildung durch eine haben-Konstruktion ist im Deutschen nicht möglich (8-13). (8-13) a. b.

*Er hatte den Hamster sterben. *Er hatte die Studierenden einen Artikel lesen.

Die Semantik der Sätze in (8-12) kann im Falle von (a) durch eine Konstruktion ausgedrückt werden, bei der der Experiencer als Dativargument erscheint (814a) (vgl. McIntyre 2006), im Falle von (b) durch eine Konstruktion mit dem AcI-Verb lassen (8-14b). (8-14) a. b.

Ihm ist der Hamster gestorben. Er ließ die Studierenden einen Artikel lesen.

Allgemein sind wohl alle telischen Verben bzw. VPs aus der AcI-Konstruktion mit haben im Deutschen auszuschließen (vgl. Duden-Grammatik 2005:434). Darüber hinaus sind weitere Restriktionen für das Infinitivverb zu formulieren. In der Literatur begegnet öfters die Einschränkung auf Positionsverben (wie stehen, sitzen, liegen, hängen und stecken) (Helbig 1978:44; Duden-Grammatik 2005:434). Diese Einschränkung ist sicher zu stark; schon Latzel (1977:300) liefert eine Liste von Verben für die Infinitiv-Funktion im haben-AcI, die neben den genannten Positionsverben auch parken, wohnen, laufen, fahren und brennen enthält. Fahren oder auch schwimmen in der Verwendung als «statomotorische» Verben (Bech 1983:133) sind als Infinitive im haben-AcI sicherlich unauffällig (8-15). (8-15) a.

5

Sie hatte einen großen Hund neben sich laufen.5

Vgl. folgenden Beleg: «[…] damit sich die Persönlichkeit meines Hundes entfalten kann und ich nicht einen im Kadavergehorsam stehenden Befehlsempfänger auf vier Pfoten neben mir laufen habe.» (http://www.wuff-online.com/pics/artikel/2005/04/ alpha.pdf Zitiert: 21.11.2010)

319 b.

Er hat viele exotische Fische in seinem Aquarium schwimmen.6

Laufen kann daneben mit ähnlicher Semantik wie brennen im Sinne von ‚in Betrieb sein, an sein‘ im haben-AcI verwendet werden (8-16). (8-16)

Er hatte die ganze Nacht im Wohnzimmer das Radio laufen / die Lampen brennen.

Aufgrund der Beispiele in der Literatur und der oben (und im Folgenden) angeführten Belege ist zu vermuten, dass im haben-AcI nur solche Verben als Infinitive erscheinen können, die homogene Denotate bezeichnen. Als homogen haben Zustände und Prozesse, nicht aber Ereignisse zu gelten: «Prozess- und Zustandsausdrücke referieren […] ungequantelt» (Nicolay 2007:7). Ausgehend von den Beispielen laufen (Prozessverb) und wohnen (Zustandsverb) lässt sich feststellen, dass beliebige Teilintervalle des Laufens bzw. Wohnens wiederum als wohnen bzw. laufen beschreibbar sind (vgl. Nicolay 2007:7). Vor diesem Hintergrund lässt sich die Hypothese formulieren, dass im haben-AcI nur Verben mit ungequantelter Referenz als Infinitive verwendet werden können. Dazu gehören auch Verben, die einen Zustandswechsel denotieren, sofern dieser «unbegrenzt iterierbar» ist (Nicolay 2007:15). Nicolay (2007:15) bezeichnet diese Verben als Gradverben und ordnet sie den Prozessverben zu. Ein Beispiel für ein Gradverb ist wachsen, das als Infinitiv im haben-AcI erscheinen kann (8-17). (8-17)

Aber ich habe noch keine Frau gesehen, die neben dem Ohr noch soviel Haare wachsen hatte wie sie […].7

Andererseits ist festzustellen, dass nicht alle Zustandsverben als Infinitive für den haben-AcI in Frage kommen. Grundsätzlich ausgeschlossen scheinen Zustandsverben ohne Situationsbezug (K-Zustandsverben; vgl. Maienborn 2003 und Nicolay 2007:Kap. 6 sowie oben Abs. 7.3.1), zu denen kosten oder ähneln gehören (8-18). (8-18) a. b.

6

7

*Auf dem Land haben sie die Karotten unter 2 Franken pro Kilo kosten. *Im Schummerlicht habe ich die Skulptur einem berühmten Kunstwerk ähneln.

Vgl. folgenden Beleg: «Etwa 75 mal drücke ich auf den Auslöser, ein Starfoto kommt nicht dabei raus, aber wenigstens sind die Tiere erkennbar und ich kann dokumentieren, daß ich sie tatsächlich hier schwimmen habe.» (21.11.2010: http://www.tobiasmoeser.de/poecilo.php) 23.5.2008: http://www.langhaarnetzwerk.de/phpBB2/viewtopic.php?p=81533&sid =02c4b2b1df400f8876b1746935dd1cab

320 Dieser Verbgruppe gehört auch das Kopulaverb sein an, dessen Ausschluss aus der haben-AcI-Konstruktion schon Helbig (1978:45) bemerkt (vgl. auch oben Abs. 5.2), sowie haben selber (vgl. Abs. 7.3.1) (8-19). (8-19) a. b.

*Wir haben ein Tischchen im Flur sein. *Wir haben das Tischchen im Flur Holzwürmer haben.

Damit sollen die Bemerkungen zur Semantik der Infinitivverben im haben-AcI abgeschlossen werden, und ich komme auf die Problematik des Lokaladverbials zu sprechen. Die Obligatorik eines Lokaladverbials im haben-AcI wird in der Literatur öfters vermerkt (Duden-Grammatik 2005:434; Helbig 1978:44; Jung 1984:103; mit Differenzierungen Latzel 1977).8 Tatsächlich führt insbesondere bei Positionsverben im Infinitiv das Fehlen eines Lokaladverbials zu einer starken Markiertheit des haben-AcI (8-20).9 (8-20) a. b.

Ich habe noch eine Dose Bier ??(im Kühlschrank) stehen. Sie hat das Auto ??(hinter dem Haus) parken.

In Anlehnung an Überlegungen von Pittner (1999:64f) gehe ich davon aus, dass die Obligatorik des Lokaladverbials in Sätzen wie (8-20) nicht der grammatischen Wohlgeformtheit geschuldet ist, sondern pragmatische Gründe hat. Dies lässt sich anhand folgender Beispiele zeigen (8-21). (8-21) a. b.

Ich hatte das Gerät LIEGEN, nicht STEHEN.10 Der Hund hat die Ohren steif stehen. (aus Latzel 1977:301)

Wird wie in (8-21a) der Positionsmodus fokussiert, kann das Lokaladverbial fehlen (vgl. Pittner 1999:64). «Wenn das Verb selbst keine Fokussierungsmöglichkeiten bereitstellt, können diese durch zusätzliche Adverbiale bereitgestellt werden» (Pittner 1999:65). Diese Funktion wird gewöhnlich von Lokaladverbialen ausgeübt, doch wie Latzels Beispiel (8-21b) zeigt, kann auch ein adverbial

8

9

10

In Fügungen wie gut/leicht reden haben, bei denen haben den Infinitiv von reden – oder auch anderer Verba dicendi oder tacendi (vgl. Bech 1983:99) – regiert, ist kein Lokaladverbial gefordert. Sie bleiben aufgrund ihres idiomatischen Charakters hier außer Acht. Helbig/Schenkel (1972:258) führen (i) als Beispiel für den haben-AcI an. (i) Der Lehrer hat gute Bücher liegen. In (i) erscheint kein Lokaladverbial. Latzel bezeichnet dieses und ähnlich gelagerte Beispiele als «ganz und gar ungebräuchlich» und beurteilt sie implizit als nicht standardsprachlich, da er die Vermutung äußert, sie seien «im sächsischen Dialekt üblich» (Latzel 1977:301). Auf die Bildungsmöglichkeit solcher Sätze hat mich Christa Dürscheid (p. c.) aufmerksam gemacht.

321 verwendetes Adjektiv die Funktion erfüllen. Beispiele dieser Art lassen sich auch leicht belegen (8-22, Unterstreichungen M.B.). (8-22) a. b.

Der Stempelschneider hat da wohl mist gebaut! Sonst müssten die anderen Münzen ja auch alle die Sterne schief stehen haben oder???11 Nach und nach werden die Slalomstangen immer weiter zusammen gesteckt, 12 bis man sie hinterher komplett gerade stehen hat.

Im Weiteren kann das Lokaladverbial durch einen Verbzusatz vertreten werden (vgl. auch Latzel 1977:300f). (8-23) a. b. c.

Er hat den kleinen Zeh abstehen / einen Zahn vorstehen. Ich habe noch einen DVD einliegen. Ich habe genug Geld einstecken.13

Eine solche Funktion kann eine Verbpartikel auch dann wahrnehmen, wenn die lokale Semantik der Partikel nur verblasst erscheint, wie dies bei durch- in den folgenden Belegen der Fall ist (Unterstreichungen M.B.).

11 12 13

21.11.2010: http://www.numismatikforum.de/viewtopic.php?t=2356 21.11.2010: http://www.dogspot.de/benutzer/kiralee/blog/anlernen-am-slalom/ Im aktuellen Duden-Band 9 findet sich ein Eintrag zur Verwendung von einstecken im haben-AcI: Ich habe leider kein Geld einstecken sei umgangssprachlich, dagegen heiße es «richtig» (Duden Zweifelsfälle 2007:269) Ich habe leider kein Geld eingesteckt, da einstecken «einen Vorgang und nicht einen Zustand bezeichnet» (Duden Zweifelsfälle 2007:269); im Gegensatz dazu sei Er hat die Hände immer in den Taschen stecken standardsprachlich, da stecken – wie es im Beispiel der Fall ist – auch intransitiv und so zur Bezeichnung eines Zustands verwendet werden kann (Duden Zweifelsfälle 2007:846). Die hier vorgenommene Abgrenzung zwischen standardsprachlichem und nicht-standardsprachlichem Gebrauch von einstecken impliziert natürlich, dass im Sprachgebrauch einstecken durchaus als intransitives Verb zur Bezeichnung eines Zustands verwendet wird (vgl. auch Bech 1983:132). Doch nicht nur umgangssprachlich, sondern auch in standardsprachlichen Texten ist die zustandsdenotierende Verwendung von einstecken als Teil eines haben-AcI leicht zu belegen, wie folgender Beleg (aus mehreren) aus dem COSMAS-Korpus zeigt. (i) Laut Kreiswahlleiterin Karla Meißner sollten die Wähler sicherheitshalber auch ein Ausweisdokument auf dem Weg zur Urne einstecken haben. (L99/ SEP.59608 Berliner Morgenpost, 03.09.1999, S. 42, Ressort: BARNIM MÄRKISCH-ODERLAND; zitiert 26.5.2008) Vor diesem Hintergrund muss die Einschätzung des ‹Zweifelsfälle-Dudens› zum Gebrauch von einstecken als Fehlbeurteilung gesehen werden. – Zur Semantik der Verbpartikel ein- vgl. Witt (1998) sowie die weiteren Beiträge in Olsen (1998).

322 (8-24) a.

b.

Im Gegensatz zum Schlauf kann man nämlich den Thiedemann [Pferdezügel, M.B.] nicht komplett durchhängen haben, weil der ja am Zügel fest ist und automatisch Spannung aufkommt, wenn man den Zügel annimmt.14 Will man nicht die Struktur des Untergrundes durchscheinen haben, so ist das Primer Rezept von Bastelfischlein zu empfehlen.15

Möglicherweise schon idiomatisiert sind die Verbindungen von haben mit dem Infinitiv eines Partikelverbs in (8-25). (8-25) a. b.

Sie hatte die Papiere vorliegen. Der FC Barcelona hat wichtige Spiele anstehen.

Es ist bemerkenswert, dass die Realisierung bestimmter adverbaler Dativphrasen (Cipients nach Brandt 2003, 2006) ähnlichen Bedingungen zu unterliegen scheint wie der haben-AcI. So kann die Dativphrase in (8-26) durch ein Lokaladverbial (a) – im gegebenen Beispiel mit direktionaler Semantik – oder durch eine Verbpartikel, selbst wenn sie kompositional keine lokale Semantik im eigentlichen Sinne beisteuert (b), lizenziert werden (vgl. Brandt 2006:109f). (8-26) a. b.

Ihm fiel die Vase *(auf den Boden). Ihm fiel die Vase *(auf).

Abschließend ist auf haben-AcI-Konstruktionen hinzuweisen, in denen auf ein Adverbial (mit lokaler oder auch modaler Semantik, vgl. 8-21b/8-22) oder eine Verbpartikel verzichtet werden kann und bei denen auch keine Fokussierung der Verbsemantik wie in (8-21a) notwendig ist. Dies ist dann der Fall, wenn brennen (8-27a) oder laufen (im Sinn von ‚in Betrieb sein‘) (b) als Infinitivverb verwendet wird. (8-27) a. b.

«Man durfte nachts kein Licht brennen haben», erzählt Demush Gjergj, «sonst wurde sofort geschossen.»16 Sie hatten immer den Fernseher laufen.

Ebenfalls ohne Adverbial begegnet der haben-AcI im folgenden Beleg mit fahren.

14 15

16

7.5.2007: http://www.gegen-bilderklau.net/thread.php?threadid=63525&sid=f7661 e1ea5f8b3a0840b04cd1b2e2e82 7.5.2007: http://209.85.129.104/search?q=cache:-51tQTNjfkUJ:www.bastelforen. com/addreply.php%3Faction%3Dquote%26postid%3D7171%26sid%3D2b6fafcc4c 181462b727d3e668968cef+%22durchscheinen+haben%22&hl=de&ct=clnk&cd=5 &gl=ch COSMAS, P99/JUN.23268 Die Presse, 16.06.1999, Ressort: Ausland/Seite Drei; Kosovo: „Es gibt wieder Krieg, und zwar mit den Russen“; zitiert: 26.5.2008.

323 (8-28)

In Bamako hat das Transportunternehmen Diaby et Frere, das fünf Lastwagen fahren hat, seinen Sitz; […].17

Die Daten in (8-27) und (8-28) bestätigen die Auffassung, dass ein Adverbial mit lokaler Semantik nicht konstitutiver Bestandteil des haben-AcI ist.

8.3

Haben + am-Infinitiv

Der am-Infinitiv – die Verbindung von am mit einem verbalen Infinitiv – bildet in Kombination mit sein eine Konstruktion, die unter den Bezeichnungen ‹amProgressiv› oder ‹Verlaufsform› bekannt ist (vgl. 8-29) und in der jüngeren Forschung einige Beachtung gefunden hat (vgl. u. a. Bhatt/Schmidt 1993; Zifonun et al 1997:1877–1880; Felser 1999:Kap. 5; Krause 2002; van Pottelberge 2004). (8-29) a. b.

Ich bin gerade am Kochen. Er war die ganze Zeit am Heulen.

Der am-Infinitiv ist aber grundsätzlich vom Verb sein unabhängig und «neigt […] dazu, eine neue Infinitivform im deutschen Verbparadigma zu werden» (van Pottelberge 2004:191f). Als solche kann er sich mit einer Reihe von Verben verbinden (vgl. van Pottelberge 2004:189), so auch mit haben (8-30). (8-30) a. b.

Wir haben einiges am Kochen, ob das heuer oder nächstes Jahr umgesetzt wird, ist aber noch nicht sicher.18 […] wenn Bärbel Schäfer auf RTL mal wieder eine heisse Studiodiskussion am Laufen hat.19

Bei der Verbindung am Laufen haben (8-30b) dürfte es sich um eine verfestigte Kollokation handeln, die mit einer Reihe unterschiedlicher Nomen kombiniert werden kann, vgl. Kredite / ein Verfahren / eine Affäre / viele Projekt (etc.) am Laufen haben.

17

18 19

COSMAS, R99/AUG.64995 Frankfurter Rundschau, 16.08.1999, S. 6, Ressort: WELT-RUNDSCHAU; Wie Polizisten in Elfenbeinküste die Lkw-Fahrer abkassieren; zitiert: 26.5.2008. COSMAS, Oberösterreichische Nachrichten, 17.4.1997; zitiert nach van Pottelberge (2004:191) COSMAS, E98/OKT.25844 Zürcher Tagesanzeiger, 12.10.1998, S. 53, Ressort: Kultur; Der Fischeflüsterer und seine Freunde; zitiert 30.11.2008

324 Außerhalb standardsprachlicher Modelltexte ist haben + am-Infinitiv mit einer Vielzahl von Infinitivverben belegbar; eine kleine Auswahl bietet (8-31) (Unterstreichungen M.B.). (8-31) a. b.

c. d.

Jetzt, am Anfang der Arbeit an diesem Projekt komme ich mir vor wie ein Jongleur, der unzählige Teller in der Luft am Drehen hat.20 Grillen ist im Sommer einfach eine schöne Sache, sogar für uns Vegetarier. Aber auf das Geschiss, bis wir mal die Holzkohle am Glühen haben, können wir gut und gerne verzichten.21 Das Problem vieler Anfänger ist, daß sie immer alles gleich am funktionieren haben wollen, ohne sich vorher zu informieren.22 Hoffe diese Nacht wird ruhiger. Als ich sie vorhin endlich am Schlafen hatte (halb zehn oder so :-? ) bin ich duschen […] 23

Die Semantik des niederländischen Pendants zur haben+am-Infinitiv-Konstruktion paraphrasiert van Pottelberge (2004:45) als «dafür gesorgt haben, dazu gebracht haben» und ordnet die Konstruktion daher als kausativ ein. Eine entsprechende Charakterisierung könnte sich für die in (8-31) angeführten deutschen Beispiele als angemessen erweisen, doch generalisierbar ist eine solche Semantik zumindest im Deutschen nicht für alle haben+am-Infinitiv-Konstruktionen, denn vgl. (8-32) (Unterstreichungen M.B.). (8-32) a. b.

Nehmen wir an ich habe daheim die Wohnung am Brennen. Ich komm nicht raus […] 24 Hatte ich früher immer, wo ich ganzen [sic, M.B.] Tag am PC arbeiten musste, dass ich Abends die Augen am Jucken hatte ohne Ende […] 25

In beiden Fällen wäre eine Paraphrase mit ‹dafür gesorgt haben, dass die Wohnung brennt› (8-32a) bzw. ‹dafür gesorgt haben, dass die Augen jucken› (b) pragmatisch unangemessen. Im Weiteren ist festzustellen, dass der am-Infinitiv in (8-32b) habituelle Semantik zum Ausdruck bringt – anders als in den anderen angeführten Belegen, wo progressive Semantik vorliegt (zur Habitualität im amProgressiv vgl. Krause 2002:32). – Dass der hier diskutierten Konstruktion keine kausative oder resultative Semantik inhäriert, entspricht den Verhältnissen, die in dieser Arbeit allgemein festzustellen waren: Haben-Konstruktionen denotieren einen Zustand, Bedeutungsaspekte wie ‹Bewirktsein› oder ‹Aufrechter-

20 21 22 23 24 25

21.11.2010: http://www.borantec.ch/portal/include.php?path=content/articles.php&contentid=129 1.4.2007: http://www.rosinas.de/r2003b.html 21.11.2010: http://www.linuxforen.de/forums/showthread.php?t=120553&page=4 21.11.2010: http://www.schnullerfamilie.de/sitemap/t-13151.html 21.11.2010: http://www.ioff.de/archive/index.php/t-137644.html 14.6.2007: http://www.echt-karibik.de/board/thread.php?threadid=3409

325 haltung› eines Zustands werden gegebenenfalls pragmatisch inferiert (vgl. dazu auch oben Abs. 3.2 und 4.4.3). Die Erforschung der Konstruktion haben + am-Infinitiv steht erst am Anfang. Auf syntaktischer Ebene wäre etwa zu untersuchen, inwiefern der am-Infinitiv in der haben-Konstruktion durch Objekte oder Attribute erweitert werden kann (zu dieser Problematik im am-Progressiv vgl. Bhatt/Schmidt 1993; van Pottelberge 2004:205, 219; Dürscheid/Hefti 2006:139f).

8.4

Haben + Partizip I

Zum Abschluss soll auf eine haben-Konstruktion hingewiesen werden, die im heutigen Deutsch einen noch marginaleren Status als die haben+am-InfinitivKonstruktion aufweisen dürfte: die haben-Konstruktion mit einem Partizip I als Codakonstituente (8-33; Unterstreichung M.B.). (8-33)

Solltest Du eine Datei finden, die so ähnlich aussieht, aber einen Buchstaben ausgewechselt oder fehlend hat, z. B. svhost.exe, dann hat sich möglicherweise ein Spion eingeschlichen.26

Die Teilkonstruktion einen Buchstaben ausgewechselt … hat lässt sich als PHK einordnen (vgl. Kap. 4), d. h. beim Partizip II handelt es sich hier um ein SCPrädikat, das vom Argument einen Buchstaben gesättigt wird. Analog dazu ist das mit ausgewechselt koordinierte Partizip I fehlend ebenfalls als SC-Prädikat zu analysieren. Dieser Umstand ist daher bemerkenswert, da Partizipien I von der prädikativen Funktion in Kopulasätzen im Allgemeinen ausgeschlossen sind (vgl. Fuhrhop/Teuber 2000:101; Struckmeier 2007:35f).27 Funktional scheint die haben-Konstruktion mit Partizip I tendenziell in Konkurrenz zur haben-Konstruktion mit am-Infinitiv zu stehen; dies legen zumindest die Belegpaare in (8-34) und (8-35) nahe (Unterstreichungen M.B.).

26 27

21.11.2010: http://www.seniorentreff.de/diskussion/threads2/thread1891.php Ausnahmen sind Beispiele wie reizend (vgl. Duden-Grammatik 2005:346) oder enttäuschend (vgl. Struckmeier 2007:14), die die Form eines Partizips I aufweisen, dabei aber wohl als eigenständige adjektivische Lexeme aufzufassen sind (vgl. Fuhrhop/Teuber 2000:101); man beachte auch die bei reizend in (i) deutlich erkennbare semantische Verschiebung gegenüber dem verbalen Lexem reizen; vgl. Zifonun et al. (1997:2209). (i) Die Aufführung war reizend/enttäuschend.

326 (8-34) a.

b.

[…] da bin ich schonmal frierend in der Nacht aufgewacht, habe meine Spiritus Bootsheizung (im Grunde ein Spirituskocher) angeschmissen bis ich 1L Tee kochend hatte […] 28 Zur horizontalen Sonnennachführung muss hingegen der ganze Kocher gedreht werden - eine Lösung, die noch nicht überzeugt, gerade wenn man die ganze Leistung des Kochers ausnutzt und z.B. einen schweren 10-Liter-Topf mit Suppe am Kochen hat.29

Hinsichtlich ihrer lexikalischen Semantik sind sich die interessierenden Teilsätze in (8-34a) mit der Partizip-I-Konstruktion und in (b) mit der am-InfinitivKonstruktion sehr ähnlich. Auch pragmatisch liegt sowohl in (8-34a) als auch in (b) eine vergleichbare Interpretationsanreicherung nahe, nämlich eine resultative Lesart mit einem kontrollierenden Subjektsreferenten. Letzteres steht im Gegensatz zu den Beispielen in (8-35; Unterstreichungen M.B.), wo fast nur eine ‹Experiencerlesart› denkbar ist (was sich aber konstruktionsunabhängig aus der lexikalischen Semantik des Verbs bluten ergibt, das einen nicht-kontrollierbaren Prozess bezeichnet, vgl. Nicolay 2007:95). (8-35) a.

b.

Wir haben ein Gastkater (zu unseren 2 eigenen Katzen), der seit 2 Monaten das Ohr offen und andauernd blutend hat (kann langsam meine Hausmauer draußen neu streichen).30 Du musst doch die Fingerkuppen am bluten haben?31

Auch hier stehen sich die Konstruktion mit Partizip I (8-35a) und diejenige mit am-Infinitiv (b) gegenüber. Weiter fällt auf, dass blutend in (8-35a) in Koordination zum Adjektiv offen steht – Vergleichbares war in (8-33) zu beobachten, wo das Partizip I mit einem Partizip II koordiniert ist. Es scheint, dass durch die Koordination mit einer adjektivischen Wortform, die unbeschränkt in prädikativer Funktion erscheinen kann, auch die prädikative Verwendung eines Partizips I ‹lizenziert› werden kann. – Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Bildung einer absoluten mit-Konstruktion mittels eines Partizips I ohne Weiteres möglich ist (8-36), da adjektivische Wortformen in der absoluten mit-Konstruktion pränominal-attributiv zum Bezugsnomen stehen (vgl. Kap. 3 bzw. – in Bezug auf das Partizip II – Abs. 4.5.2).

28 29 30 31

21.11.2010: http://www.womobox.de/phpBB2/viewtopic.php?t=1427&highlight=&s id=19257512753a43a8ef81851a884cb7aa 21.11.2010: http://www.umweltschulen.de/energie/solarkocher6.html 21.11.2010: http://www.foren4all.de/showthread.php?t=15318&page=2 28.1.2008: http://209.85.135.104/search?q=cache:geTmsf5Fe4gJ:www.burgis-world. de/wbb2/search.php%3Faction%3Duser%26userid%3D20%26sid%3D577f47f467b 658c50ce09b8dc7548dde+%22am+Bluten+haben%22&hl=de&ct=clnk&cd=3&g l=ch

327 (8-36)

Mit blutender Hand kann ich nicht weiterschreiben.

Es wäre zu untersuchen, inwieweit die in (8-33)–(8-35) angeführten Belege okkasionelle Bildungen darstellen, oder ob es sich dabei um Konstruktionen handelt, die doch eine gewisse Produktivität aufweisen.

8.5

Schlussbemerkung

Das Verhältnis der drei in den Abs. 8.2–8.4 angesprochenen Konstruktionstypen zueinander – d. h. ihre Verwandtschaft auf syntaktischer, aber auch auf funktionaler Ebene – wäre eingehender zu untersuchen; dazu müsste zunächst die Datenlage mit systematischen Korpusrecherchen und Befragungen erhellt werden. Was die Unmöglichkeit der absoluten mit-Konstruktion beim haben-AcI und bei der haben-Konstruktion mit am-Infinitiv betrifft (vgl. 8-5), so ist zu vermuten, dass sie mit den verbalen Merkmalen des Infinitivs bzw. der am-Phrase zusammenhängt. Es kann spekuliert werden, dass zur Lizenzierung der genannten infiniten Verbalformen funktionale Projektionen wie Tempus- oder Aspektphrasen aufgespannt werden müssen (zu einem entsprechenden Vorschlag in Bezug auf den am-Progressiv vgl. Bhatt/Schmidt 1993 und Felser 1999:Kap. 5), was innerhalb von PPs und damit in der absoluten mit-Konstruktion nicht möglich scheint. Von Lösungsansätzen für die skizzierte Problematik hängt auch die Beantwortung der Frage ab, ob neben Vollverb-haben und auxiliarem haben eine dritte haben-Kategorie für die AcI-Konstruktion und die am-Konstruktion angenommen werden muss oder ob dieser aus theoretischer Sicht unattraktive Schritt vermeidbar ist.

9

Zusammenfassung und Ausblick

9.1

Zusammenfassung der Ergebnisse

Den Gegenstand dieser Arbeit bildete das deutsche Verb haben, wobei die syntaktische Ebene im Zentrum stand. In Kap. 2 wurde eine syntaktische Analyse vorgestellt, die sich allein auf haben in der Funktion als Vollverb bezog. Eine Voraussetzung der Analyse war somit, ein unabhängiges Kriterium zu formulieren, auf dessen Grundlage haben als Vollverb von haben als Hilfsverb unterschieden werden kann: Haben stellt dann ein Vollverb dar, wenn es obligatorisch den Akkusativ regiert (vgl. 2-11 in Abs. 2.3.1). Die Analyse von Konstruktionen mit haben als Vollverb wurde in Kap. 2 strikt auf der Grundlage der Datensituation im Deutschen entwickelt. Entscheidend war die Feststellung, dass die Komplemente des Vollverbs haben und diejenigen der Präposition mit in der absoluten mit-Konstruktion starke syntaktische Parallelen aufweisen und dabei auch auf semantischer Ebene als verwandt erscheinen (vgl. Abs. 2.5). Diesen Gemeinsamkeiten wurde in der Formulierung der untersuchungsleitenden Hypothese (2-120 in Abs. 2.6.1, unten wiederholt als 9-1) Rechnung getragen. Der Hypothese zufolge ist haben als Vollverb syntaktisch zu dekomponieren in das Kopulaverb sein einerseits und in (mindestens) einen weiteren syntaktischen Kopf andererseits. Dieser zweite Kopf bildet nicht nur eine Komponente von haben, sondern kann auch unabhängig realisiert werden, und zwar als Kopf der absoluten mit-Konstruktion. Da er in beiden Fällen eine Konstituente einbettet, die in semantischer Hinsicht eine vollständige Proposition zum Ausdruck bringt, wurde er als mitprop bezeichnet. Allgemeinen Isomorphiebeziehungen zwischen der Ebene der Semantik und derjenigen der Syntax zufolge wird die Proposition, die im Komplement von mitprop enthalten ist, syntaktisch in Form einer Relator-Phrase (RP, im Sinne von den Dikken 2006), d. h. als Small Clause (SC) realisiert. Einige dieser SCs ‹überleben› den Optimierungsprozess, der an der Syntax-Semantik-Schnittstelle stattfindet, allerdings nicht: Sie scheitern an einem syntaktischen Markiertheitsconstraint (*Rel-Eingeb), der SCs – genauer gesagt: die Schichtung mehrerer Relator-Phrasen in ein und demselben Satz – bestraft (vgl. Abs. 3.5). In diesem Fall wird die genannte Proposition syntaktisch in Form einer NP realisiert. Dies betrifft solche Propositionen, bei denen das Prädikat eine adjektivische Wortform darstellt (vgl. unten Tabelle 9:1, A3). Neben den ‹genuinen› Adjektiven (vgl. Kap. 3) sind auch die Partizipien II (vgl. Kap. 4) den adjektivischen Wortformen im hier relevanten Sinne zuzuordnen. Überflüssig wird damit die Annahme einer stativen Variante des Dativpassivs, die mit haben gebildet wer-

330 den soll – eine Annahme, die aus empirischer Sicht ohnehin als problematisch einzustufen ist (vgl. Abs. 4.4). Der Vergleich der syntaktischen Realisierung von adjektivischen Prädikaten in haben-Konstruktionen mit ihrer Realisierung in der absoluten mit-Konstruktion lässt den Schluss zu, dass innerhalb von PPs (im gegebenen Fall: mit-PPs) der syntaktischen Wohlgeformtheit (verstanden als Reflex verletzbarer Markiertheitsbeschränkungen) mehr Gewicht zugemessen wird als einem transparentem Ausdruck semantischer Relationen (vgl. Abs. 3.6). Im Gegensatz dazu spielt auf der Ebene der VP die semantische Transparenz (d. h. die Isomorphie von Form und Bedeutung) eine stärkere Rolle. Inwiefern sich dieses Ergebnis in Bezug auf weitere Datenbereiche des Deutschen bestätigen lässt und ob hier gar von einer universellen Tendenz auszugehen ist, muss an der Stelle offen bleiben. In Kap. 5 wurde deutlich, dass nicht alle PPs im Komplement von mitprop als Prädikate zum SC-Subjekt analysiert werden können und dass als-Phrasen in haben-Sätzen und in absoluten mit-Konstruktionen nie den Status eines SCPrädikats besitzen. Die sich daraus ergebende Differenzierung zwischen SCPrädikaten einerseits und Adjunkten, die innerhalb von SCs erscheinen, andererseits führte zur Postulierung eines stillen (= phonologisch leeren) Prädikats für solche Komplemente von mitprop, die zwar ein Adjunkt, aber kein ‹offenes› Prädikat enthielten. Die Möglichkeit, das Prädikat im von mitprop eingebetteten SC still zu realisieren, erlaubte es, die Analyse, die ein propositional zu interpretierendes Komplement von haben als Vollverb vorsieht, auch auf die oberflächensyntaktisch betrachtet ‹einfachsten› haben-Sätze der Form X hat Y auszuweiten (Kap. 6). Hierbei stellt Y das Argument dar, welches das stille Prädikat sättigt. Damit wurde eine einheitliche syntaktische Analyse für Konstruktionen mit haben als Vollverb möglich. Diese Analyse konnte in Kap. 7 unabhängig, und zwar aufgrund semantischer Eigenschaften von haben-Konstruktionen, gestützt werden. Dort wurde argumentiert, dass die Pertinenzsemantik, die in Konstruktionen mit haben als Vollverb zum Ausdruck kommt, ihren Ursprung in einer durch mitprop eingeführten Präsupposition hat (vgl. 7-62 in Abs. 7.3.2, unten wiederholt als 9-2). Im Weiteren wurde gezeigt, dass die vertretene Dekompositionsanalyse korrekte Voraussagen macht in Bezug auf die Aktionsartencharakteristik von haben als Vollverb: Dieses stellt ein statives Verb ohne Situationsbezug dar (vgl. Abs. 7.3.1). Im Anschluss sind die zentralen Thesen der Arbeit zu haben als Vollverb noch einmal angeführt. Dabei handelt es sich um die Hypothese zur syntaktischen Struktur von haben-Konstruktionen – (2-120), hier wiederholt als (9-1) – sowie die Hypothesen zur Semantik von mitprop (und damit von haben) und zu Semantik und Funktion des stillen Prädikats – (7-62) und (7-68), hier wiederholt als (9-2) bzw. (9-3).

331 (9-1)

Hypothese zur Syntax von haben (Endversion) Haben als Vollverb ist in (mindestens) zwei syntaktische Köpfe K1 und K2 zu dekomponieren, wobei gilt: – K1 = sein (als Kopulaverb); – K2 = mitprop; – mitprop bildet den Kopf der Schwesterkonstituente von sein; – mitprop selegiert ein Komplement ZP, wobei ZP = {RP, NP} und vom semantischen Typ ist.

(9-2)

Pertinenz-Präsupposition Der Kopf mitprop führt die folgende Präsupposition ein: Zwischen dem Denotat eines Ausdrucks im Komplement von mitprop einerseits und dem Denotat des Subjekts zur mitprop-Phrase andererseits besteht eine Pertinenzrelation. Diese Pertinenzrelation kann als Teil-Ganzes-Beziehung beschrieben werden.

(9-3)

Semantik der stillen Coda In der Coda von haben-Konstruktionen, die kein offenes Prädikat enthalten, kann ein stilles Prädikat realisiert werden. Dieses denotiert einen unterspezifizierten räumlichen Bereich und kann dadurch die Erfüllung der Pertinenzpräsupposition (vgl. 9-2) sicherstellen.

Die folgende Tabelle bietet unter (I) einen Überblick über die behandelten Konstruktionen mit haben als Vollverb. Den haben-Konstruktionen in der ersten Spalte sind in der zweiten Spalte die syntaktisch jeweils entsprechenden absoluten mit-Konstruktionen gegenübergestellt. In den Konstruktionen unter (II) regiert haben keinen Akkusativ, weshalb sich auch keine analogen absoluten mit-Konstruktionen bilden lassen. Hier dient haben als Auxiliar. Eine Herausforderung für die Analyse stellen die Konstruktionen unter (III) dar. Es war festzustellen, dass keine absoluten mit-Konstruktionen gebildet werden können, die diesen haben-Konstruktionen jeweils entsprechen. Daher ist davon auszugehen, dass haben hier syntaktisch keinen mitprop-Kopf beinhaltet, weshalb für eine Analyse gemäß Hypothese (9-1) eine wesentliche Grundlage fehlt. So ist für diejenigen Fälle in (III), in denen haben den Akkusativ regiert, eine dritte haben-Kategorie neben Vollverb-haben und Hilfsverb-haben anzusetzen – denn bei (III) gilt die Korrelation von Dekomponierbarkeit im Sinne von (9-1) und Akkusativrektion nicht. Haben-Instanzen ohne Akkusativrektion können dagegen grundsätzlich der Kategorie (II) (haben als Auxiliar) zugeordnet werden; allerdings handelt es sich dann um Hilfsverbfunktionen, die im Vergleich zu haben als Tempusauxiliar bzw. als Modalitätsverb teilweise starke Idiosynkrasien in ihrer lexikalischen Kombinierbarkeit aufweisen. Die Kapitel- bzw. Abschnittverweise in der Tabelle sollen das Auffinden der Stellen erleichtern, wo die jeweiligen Konstruktionen in der Arbeit behandelt werden.

332 I Konstruktionen mit haben als Vollverb

Verwandte absolute mit-Konstruktionen

A Mit offener Coda A1 Coda = PP als Prädikat (→ Kap. 5) Er hat [die Füße auf dem Tisch]. PP = Verbpartikel: Er hat [einen Mantelknopf ab]. PP = Teil eines Funktionsverbgefüges: Sie hat [eine tolle Stelle in Aussicht].

Mit [den Füßen auf dem Tisch] kann er sich besser entspannen. Mit [dem Mantelknopf ab] kann ich doch nicht auf die Straße! Mit [einer tollen Stelle in Aussicht] kann sie ruhig schlafen.

A2 Coda = PP oder als-Phrase als restringierendes Adverbial (→ Abs. 5.4) Er hat [eine Freundin in jeder Stadt].

Mit [einer Freundin in jeder Stadt] kann er nicht an seiner spirituellen Entwicklung arbeiten.

Sie hat [eine Konzertpianistin als Putzfrau].

Mit [einer Konzertpianistin als Putzfrau] käme sie sich dekadent vor.

A3 Coda = adjektivisches Prädikat

Adjektivisches Prädikat steht pränominal:

Unabgeleitetes Adjektiv (→ Kap. 3): Sie hat [das Fenster offen].

Mit [offenem Fenster] fährt sie nie. (→ Abs. 3.6)

Adjektivisches Partizip II (→ Kap. 4): Sie hat [den Fuß eingebunden].

Mit [eingebundenem Fuß] kann sie kaum laufen. (→ Abs. 4.5.2)

Adjektivisches Prädikat steht pränominal: Sie hat eine rote Nase. (→ Abs. 3.4/3.5) B Stilles Prädikat (= Ø) als Coda Er hat [ein Kind Ø]. (→ Kap. 6; zum stillen Prädikat vgl. Abs. 7.3.2)

Mit [einem Kind Ø] kann er abends nicht mehr so oft ausgehen.

AKK-NP = Teil eines Funktionsverbgefüges: Er hat [die Hoffnung [auf Heilung] Ø] weiterhin.

Mit [der Hoffnung [auf Heilung] Ø] könnte er wieder Lebensmut entwickeln.

333 II Konstruktionen mit haben als Auxiliar → Abs. 2.3 Tempusauxiliar: Er hat geschlafen. Modalitätsverb: Er hat zu arbeiten. III Weitere haben-Konstruktionen (Auswahl) Akkusativrektion durch haben Er hat eine Katze auf dem Schoß sitzen. (AcI → Abs. 8.2)

+

Er hat die Kohle am Glühen. (mit am-Infinitiv → Abs. 8.3)

+

Der Laden hat offen/geöffnet. (mit AP/Partizipphrase → Abs. 3.7.1)



Sie hatte die Warterei satt. (→ Abs. 3.7.2)

?

Sie hatte Recht. (Noun-Stripping → Abs. 6.4)



Sie will die Haare onduliert haben. (→ Abs. 4.3) Sie will die Kiste in den Keller haben. (→ Abs. 5.3.4) (in modaler Einbettung)

?

(Tabelle 9:1)

9.2

Ausblick

Die Forschung zu HABEN war oft bemüht, die Analyse unterschiedlicher Gebrauchsweisen von HABEN auf eine einheitliche Grundlage zu stellen (vgl. u. a. Benveniste 1966, Bach 1967, Kayne 1993, Guéron 1998). Die Frage, ob es möglich und angemessen ist, haben als Vollverb und haben als Hilfsverb im Deutschen einheitlich zu analysieren, stellt sich weiterhin. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Arbeit betrachtet, wäre eine solche einheitliche Analyse nur durch weiter gehende Abstraktionsschritte zu erreichen. Worin die ‹Substanz› bestehen könnte, die allen haben-Verwendungsweisen bzw. allen habenHomonymen gemeinsam eigen ist, bleibt vorerst unklar. Unbestreitbar ist, dass die Parallelisierung von haben-Konstruktionen mit absoluten mit-Konstruktionen nicht auf auxiliares haben ausgeweitet werden kann (vgl. Abs. 2.5.3). Damit erscheint eine syntaktische Analyse von haben als Auxiliar unter Rückgriff auf mitprop nicht gangbar. In semantischer Hinsicht ist festzustellen, dass die in

334 Abs. 7.3.2 formulierte Pertinenzpräsupposition für auxiliares haben ebenfalls nicht zu gelten scheint. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass auch eine theoretische Einordnung der in Kap. 8 dargestellten haben-Konstruktionen noch zu leisten ist. Ein Desiderat ist im Weiteren eine systematische vergleichende Untersuchung von HABEN-Subjekten und Dativargumenten. Es ist einerseits festzustellen, dass diese beiden Argumenttypen insbesondere im Sprachvergleich starke Affinitäten aufweisen (vgl. u. a. Kayne 1993, Broekhuis/Cornips 1994, McIntyre 2006). Andererseits hat sich beispielsweise bei der Analyse von haben-Konstruktionen mit Partizip II (PHK) gezeigt, dass haben-Subjekte im Deutschen nicht als promovierte Dativargumente aufgefasst werden können (vgl. Abs. 4.4). Ebenfalls eine offene Frage ist, wie die zwischensprachliche Variation zu erklären ist, was die Bildung möglicher ‹Formtypen› (vgl. Abs. 2.4.1) betrifft. So muss davon ausgegangen werden, dass im Deutschen keine haben-Konstruktion mit einem Relativsatz als Codakonstituente gebildet werden kann. Eine solche Konstruktion ist beispielsweise im Französischen möglich, vgl. Olga a le bras qui enfle (aus Tellier 1994:238); im Deutschen muss hier auf eine haben-Konstruktion ausgewichen werden, bei der ein formal anders geprägtes SC-Prädikat verwendet wird, z. B. ein Partizip II: Olga hat den Arm geschwollen. Auch ein SC-Prädikat in Form einer NP ist für die deutsche haben-Konstruktion ausgeschlossen (vgl. *Ich habe den Mantel einen Fetzen Stoff gegenüber Ich habe den Mantel in Fetzen / zerfetzt / kaputt). Dies ist insofern erklärungsbedürftig, als dass NPs in Kopulakonstruktionen mit sein durchaus in Prädikatsfunktion auftreten können (vgl. Der Mantel war nur noch ein Fetzen Stoff). Schließlich ist zu fragen, ob der in dieser Arbeit postulierte syntaktische Kopf mitprop auch in anderen als den hier betrachteten Datenbereichen in Erscheinung tritt. Ist dies der Fall, so ergibt sich eine Bestätigung der hier vertretenen haben-Analyse. Aufgrund der Verwandtschaft zwischen haben und bekommen, die Abraham (2005:Kap. 5) konstatiert, könnte beispielsweise vermutet werden, dass auch bekommen einen syntaktisch komplexen Kopf darstellt, von dem mitprop ein Teil ist (vgl. auch McIntyre 2005 sowie 2006:190f zu den englischen Verben have und get). Auch in Bezug auf andere Verben wie halten oder behalten (vgl. Eroms 2000:394) wäre eine Dekompositionsanalyse unter Bezugnahme auf mitprop zu überprüfen.

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