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German Pages 154 [153] Year 2011
Hans-Georg Klemm
„Echte Kunst ist eigensinnig!“ Das Leben des Ludwig van Beethoven
Meinem Djinn
Hans-Georg Klemm
„Echte Kunst ist eigensinnig!“ Das Leben des Ludwig van Beethoven
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlagabbildung: Ludwig van Beethoven, Kreidezeichnung von August von Kloeber 1818; © picture-alliance / akg-images Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Satz: SatzWeise, Föhren Redaktion: Projektmanagement & Verlagslösungen Dr. Rainer Aschemeier, Weinheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-24418-8 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag. Umschlagabbildung: Ludwig van Beethoven, Kreidezeichnung von August von Kloeber 1818; © picture-alliance / akg-images Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. ISBN 978-3-89678-771-2 www.primusverlag.de Das Hörbuch erscheint bei auditorium maximum, dem Hörbuchverlag der WBG: ISBN 978-3-654-60231-8 www.auditorium-maximum.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71997-6 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-534-71998-3 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-756-5 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-757-2 (Buchhandel)
Vorrede Beethoven: ein Name, den Millionen Menschen in allen Ländern dieser Erde voller Bewunderung und Liebe aussprechen; der nie in Vergessenheit geraten wird. Ein Mensch, dessen Werke unvergänglich sind, und mit dem bei uns, in seiner Heimat, viel zu viele viel zu wenig anzufangen wissen. Während Sie dies lesen, setzt ein junger Franzose den Kopfhörer seines i-Pod auf, schaltet in Amerika eine alte Frau im Sessel ihre Stereoanlage an, sitzen Hunderte von Chinesen in einem voll besetzten Konzertsaal; blicken erwartungsvoll auf den Dirigenten, der genau jetzt vorne auf dem Podium beide Hände hebt … All diese Menschen, die durch Kontinente voneinander getrennt sind, verbindet in diesem Augenblick nur Eines, ohne dass sie es sich bewusst wären; sie werden Zeugen eines Ausnahmeereignisses, einer Sensation: ein Kunstwerk von vollendeter Schönheit wartet auf sie, das vor fast 200 Jahren zum ersten Mal seine Hörer fesselte, überwältigte: die Neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven; der sie jedoch selbst nie hören konnte. Völlig taub war er, als er die unsterblichen Noten niederschrieb. So tragisch war sein Leben, so aufregend, so eigensinnig und einzigartig; ein geradezu atemberaubender Roman. Doch beginnen wir nach dem Ende.
Prolog: Währinger Friedhof Es ist schummrig und kühl in der Friedhofskapelle. Der Unbekannte hält sich im Dunkel der hintersten Ecke versteckt und beobachtet die fremden Männer, die schweigend nebeneinander stehen. Alles ist längst besprochen worden. Immer und immer wieder. Jeder weiß, was zu tun ist. Nun warten sie, bis er kommt und der schaurige Augenblick da ist, der sie ihr Leben lang begleiten wird: das, was sie zu Gesicht bekommen werden. Sein Anblick. Oder vielmehr: was von ihm geblieben ist. Sie haben nicht bemerkt, dass noch jemand hier ist. Er darf nicht hier sein, niemand darf es, außer ihnen. Er wartet, wie sie. Tiefschwarz ist seine Kleidung. Ihm ist heiß, wie so oft, unerträglich heiß. Lautlos nimmt er den Zylinder vom kurz geschorenen Kopf und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er wagt kaum zu atmen. Man darf ihn nicht entdecken, noch nicht, so lange nicht, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist …
Endlich nähern sich von weitem schwere, gleichmäßige Schritte. Langsam öffnet sich die zweiflüglige Tür, Tageslicht flutet herein. Noch weiter zurück in das Dunkel tritt er, bis er die kühle Mauer der Kapelle in seinem Rücken spürt. Bloß nicht entdeckt werden, gerade jetzt, da es seinen Anfang nimmt. Er beobachtet die unheimliche Szene: Sechs vollbärtige Männer in schwarzen Gehröcken tragen langsam den Sarg herein. Setzen ihn behutsam ab. Kein Wort fällt zwischen den Wartenden und den Trägern. Stumm beginnen sie mit ihrer Arbeit. Nur das metallische Klappern ihrer Instrumente verhallt im Dunkel. Jetzt heißt es nur auf den richtigen Moment warten. Ungeduldig tritt er von einem Bein auf das andere. Plötzlich und unerwartet tritt einer von ihnen aus dem Kreis zurück. Die Lücke ist da. Endlich! Er stürzt vor, bis an
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den geöffneten Sarg … von Entsetzen verzerrte Gesichter starren ihn an …
Es ist der 21. Juni 1888, als die Gebeine Ludwig van Beethovens – nicht zum ersten Mal – ausgegraben werden. Alle, die auf dem Währinger Friedhof in Wien dabei sind, erinnern sich ihr Leben lang an einen unvergesslichen Augenblick: Der Sarg ist gehoben worden, die im Kreis um die Grube stehenden Männer haben ehrfürchtig die schwarzen Zylinder abgenommen. Feierliches Schweigen herrscht. Da beginnt plötzlich – um vier Uhr am Nachmittag – von einem nahen Baum eine Nachtigall mit einem schluchzenden Lied. Den Anwesenden läuft ein Schauer über den Rücken. Bis hinauf zur Friedhofskapelle ist der Grabgesang des Vogels zu hören, wo schon Ärzte des Anthropologischen Instituts ungeduldig den Sarg erwarten; bewaffnet mit Maßbändern, Schieblehren und Zirkeln. Bevor die Gebeine Beethovens nämlich auf dem Zentralfriedhof Wiens ihre endgültig letzte Ruhe finden werden, soll der Schädel Ludwig van Beethovens noch einmal gründlichst vermessen werden. Der Eindringling in der Kapelle wird, nachdem der erste Schrecken annähernd überwunden ist, von Professor Doldt, dem Leiter der Kommission, erkannt: „Ach, Sie sind’s …“ Die Ärzte blicken sich wortlos, aber vielsagend an. Der Mann ist bekannt in Wien; berühmt als Orgelspieler, umstritten als Komponist. Er gilt als etwas merkwürdig – gelinde ausgedrückt. Die sonderbarsten Geschichten erzählt man sich über ihn. Leider hat man da noch nicht erkannt, dass er neben Beethoven als einer der genialsten Sinfoniker des 19. Jahrhunderts in die Musikgeschichte eingehen wird. Es ist der Österreicher Anton Bruckner. Professor Doldt gestattet es ihm schweren Herzens, in der Kapelle zu bleiben – und wird es schon bald darauf bereuen. Kaum ist man nämlich mit den wissenschaftlichen Untersuchungen fertig, da drängt Bruckner erneut resolut an den Sarg heran, bittet geradezu flehentlich, den Schädel des von ihm Verehrten doch nur einmal berühren zu dürfen. Gerade jetzt fühlt er sich besonders verbunden mit ihm, hat
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er doch die Idee für den Anfang seiner Neunten im Kopf – einer der überwältigendsten Sinfonien, die je ein menschliches Gehirn erdacht hat. Wie Beethovens Abschiedswerk soll auch sie in der Tonart d-Moll stehen … Den hoch empfindlichen Schädel des toten Titanen berühren will dieser Mann? Das kommt selbstverständlich nicht infrage! Die Ärzte bilden, indem sie sich an den Händen fassen, eine menschliche Kette, um die Gebeine vor dem offensichtlich Wahnsinnigen zu schützen. Bruckner jedoch lässt sich davon keinesfalls beeindrucken. Unsanft schubst er mal eben einen der Ärzte beiseite, beugt sich blitzschnell über den Sarg und betastet zunächst nur mit den Fingern seiner rechten Hand den bleichen Schädel. Dann setzt er den Zylinder auf, um beide Hände daranlegen zu können. Die Umherstehenden sind fassungslos und wie gelähmt; vor allem, als Bruckner sie auch noch vor dem Toten schlechtmacht, indem er murmelt: „Nicht wahr, lieber Beethoven, wenn du noch lebtest, würdest du mir erlauben, dich anzulangen – diese fremden Herren haben es mir verboten.“ Ob dieser tatsächlich, wenn er denn gekonnt hätte, dem Wunsch Bruckners nachgekommen wäre, darf mehr als bezweifelt werden. Denn eigensinnig ist er ganz sicher gewesen, Ludwig van Beethoven, ein hochsensibler Mensch, dem noch dazu das Schicksal grausam mitspielte; ein Leben lang …
Seine Dunkelheit und sein Licht bezeichnen uns die Straße, der wir folgen müssen … Franz Liszt
Inhaltsverzeichnis Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prolog: Währinger Friedhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erster Teil: Bonn . . . . . . . Geburt und Heimat . . . Angst und Schrecken . . . Elternhaus . . . . . . . . . Musikunterricht . . . . . Mutterliebe . . . . . . . . Geheimnisvolle Herkunft Erste Förderer . . . . . . . Vorspiel bei Mozart . . . . Last als Familienoberhaupt Freund Graf Waldstein . .
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Zweiter Teil: Wien . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . Karriere als Pianist und Komponist . . . . . Unterricht bei Papa Haydn . . . . . . . . . . Neue Förderer . . . . . . . . . . . . . . . . . Begegnung mit Goethe . . . . . . . . . . . . „Eroica“ für Bonaparte . . . . . . . . . . . . Hochsensible Persönlichkeit . . . . . . . . . Komponistenalltag . . . . . . . . . . . . . . Sehnsucht nach Freundschaft und Familie . Wohnungen und Umzüge . . . . . . . . . . Ertaubung: das „Heiligenstädter Testament“ Qualen des Gehörlosen . . . . . . . . . . . . Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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41 42 43 48 50 52 53 54 61 62 64 68 74 80
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Inhaltsverzeichnis
Die „Mondscheinsonate“ . . . . . . . . . . . . . Qualen des Verliebten . . . . . . . . . . . . . . „Für Elise“ und „Für Lisa“ . . . . . . . . . . . . Größtes Geheimnis: die „Unsterbliche Geliebte“ Drama um den Neffen Karl . . . . . . . . . . . Eigensinn und Eigenart . . . . . . . . . . . . . Letzter Triumph: die Neunte Sinfonie . . . . . . Krankheit und Sterben . . . . . . . . . . . . . . Beerdigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Nachwort: Die Wahrheit über Ludwig van Beethoven . . . . . 131 Epilog: Beethovens Musik – Trost und Heiterkeit . . . . . . . . 135 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Erster Teil: Bonn
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Erster Teil: Bonn
Geburt und Heimat Es ist eine kalte Dezembernacht, als die kleinen, pechschwarzen Augen sich zum ersten Mal öffnen und doch nur wenig vom Licht der Welt erblicken. Denn finster ist es in der winzigen, niedrigen Dachstube. Da die Butzenscheiben der zwei kleinen Fenster nur die Nacht hereinstarren lassen, sorgt eine Öllampe für trübes Licht. Dunkel getüncht sind die kahlen Wände. Man wickelt das Kind eng ein und legt es in eine Wiege aus dunkelbraunem Holz. Zuvor jedoch hat sein erster, lauter Schrei das Hinterhaus in der Bonngasse erfüllt; viele stumme werden ihm noch folgen – denn den Jungen, der jetzt trotzig das rechte Händchen hebt, erwartet eine einsame, unglückliche, grausame Kindheit. Eine Pockenerkrankung wird noch das geringste Übel sein. Sie hinterlässt nur Narben in seinem Gesicht, nicht an seinem Herzen, wie die unerfüllte Sehnsucht eines Kindes nach der Liebe der Eltern; das erste, und bei weitem nicht das letzte, große Verhängnis seines noch jungen Lebens. Dabei kann man zunächst von Glück sagen, dass er überhaupt lebt. Die Säuglingssterblichkeit ist hoch im 18. Jahrhundert. Jedes fünfte Kind in Bonn wird keine vier Wochen alt; die Überlebenschance eines Jungen kurz nach der Geburt ist noch geringer als die eines Mädchens. 256 Menschen werden im Jahr 1770 auf dem Kirchhof bei Sankt Remigius zu Grabe getragen – 156 davon sind Kinder, die Hälfte von ihnen ist kein Jahr alt geworden. Erbliche Schäden, mangelnde Hygiene und Infektionskrankheiten sind häufige Todesursachen. Kinderseuchen – wie die Pocken Mitte der achtziger Jahre – raffen Hunderte dahin. Auch die Familie Beethoven bleibt vom Sterben nicht verschont. Sieben Kinder wird Maria Magdalena ihrem Ehemann Johann gebären; Ludwig ist einer von den drei Söhnen, die das Glück haben, am Leben zu bleiben, zum Mann heranzureifen an einem Ort, der für immer untrennbar mit dem Namen seines berühmtesten Kindes verbunden bleiben wird: Bonn am Rhein. Was ist das für eine Stadt, in der Ludwig van Beethoven aufwächst, seine Kindheit und Jugend verlebt? Was sieht und erlebt er im ersten
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Drittel seines Lebens? Um es vorwegzunehmen: Es ist ganz sicher so manches Ereignis darunter, das sich unauslöschlich in seinem Unbewussten einprägen und später, viel später erst irgendwo in seiner Musik verborgen zur Ewigkeit werden wird. Auch wenn wir es nie genau erfahren werden. Der große Sinfoniker Gustav Mahler jedenfalls war überzeugt davon und geht sogar noch deutlich weiter, wenn er sagt, dass „im künstlerischen Schaffen fast ausschließlich jene Eindrücke endgültig fruchtbar werden und entscheidend sind, die in das Alter vom 4. bis zum 11. Jahr“ fallen. Begeben wir uns also zurück in diese Zeit und den Ort der Kindheit Ludwig van Beethovens …
„Bonn, eine kleine Stadt am Rhein, vier Meilen oberhalb Kölns, auf derselben Rheinseite. Sie liegt in einem ebenen Gebiet; die Landschaft ist sehr angenehm; teilweise ist die Stadt von Weinbergen umgeben, was man am weiteren Unterrhein nicht mehr feststellen kann. Sie ist nicht fern den Bergen und Wäldern, die den Ort geeignet für die Jagd machen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum der Herr Kurfürst dort residierte.“ So oder so ähnlich wie diese Beschreibung eines französischen Reisenden, der auf dem Weg nach Münster in Bonn übernachtet hat, lauten sicher viele Schilderungen des Geburtsorts von Ludwig van Beethoven. Die Umgebung der Stadt muss zauberhaft sein, besonders im Frühling, wenn Apfel-, Johannisapfel-, Birn-, Kirsch-, Morellen-, Pflaumen-, Pfirsich-, Quitten- und Haselnussbäume in voller Blüte stehen. Dornen- und Rosenhecken trennen die Grundstücke vor der Stadt. Man pflanzt Ulmen, Eschen und Weiden. Auf der Landseite ist Bonn von Weingärten, Fruchtbäumen und Kornfeldern umgeben. Vor allem aber ist es eine Stadt, die an einem großen Fluss liegt, der nie ganz bezwungenen Naturkraft der Gegend: dem Rhein. Mit Eisgang und Hochwasser bedroht er die ihm zugewandte Stadtfront, wenn auch die Katastrophen für das Steilufer, auf dem Bonn liegt, nicht die verheerenden Ausmaße annehmen wie auf der rechten Rheinseite. Der gewaltige Strom verlangt von den Menschen ständige Arbeiten, Uferbefestigung und -bepflanzung. Aber er gibt weit mehr, als er fordert.
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Erster Teil: Bonn
Seine Verkehrskraft garantiert die nicht unbeträchtlichen Einnahmen des Zolls; von nah und fern kommen die Güter über den Kölner Stapel mit dem Bonner Marktschiff an, werden am Bonner Kran ausgeladen und dann auf den Markt gebracht: in über fünfzig „Winkel“ und „Boutiquen“ der Kaufleute und Krämer, in die Werkstätten der Handwerker. Er treibt die Schiffsmühlen an, die für die sechzig Bonner Bäcker das Getreide mahlen. Breit zieht der Strom an der Stadt vorbei. Sicher, die Rheinfront Bonns ist nicht ganz so eindrucksvoll wie die Kölns, besitzt aber dennoch ihren ganz eigenen Charme. Das Stadtbild im Norden wird von einer gewaltigen Windmühle beherrscht, einem steinernen Turm mit Holzwerk – über zwölf Meter hoch. Im Süden beeindrucken die Dreikönigenbastion, das gewaltige kurfürstliche Schloss, aber auch die „Vinea Domini“, ein kleines Weinbergschlösschen. Die fünf Türme des Münsters ragen gemeinsam mit dem Turmpaar der Jesuitenkirche gen Himmel. Auch der Dachreiter der Minoritenkirche reckt sich bescheiden in die Höhe. Bonn ist von einer hohen, mittelalterlichen Mauer umschlossen, einen Meter dick und bis zu sieben Meter hoch. In ihren Nischen haben die ganz Armen ihre Häuschen gebaut. Einlass gewähren die Stadttore, vor denen Wachen postiert sind. Ein Fremder wird nur hereingelassen, wenn er sich ordnungsgemäß ausweisen kann. Es ist recht eng innerhalb der Stadtmauern Bonns. Über zehntausend Menschen leben in nur tausend, oft sehr schmalen Häusern, die dicht aneinandergereiht stehen. Die Wohnungsnot ist bereits groß, und die Bevölkerung wächst weiter. Einwanderer, etwa aus Italien, zieht es nach Bonn. Bis in die Dachgipfel hinein sind manche der Häuser bewohnt. Noch sind sie nicht nummeriert, viele tragen jedoch eigene, oft eigentümliche Namen, wie etwa „Zur Totenlade“, „Zum Walfisch“, „Zum alten Wolf“, „Zum roten Kopf“, „Zum schwarzen Hörnchen“, „Zum kleinen Karpfen“. Die mehr schlecht als recht gepflasterten Straßen sind eng, unregelmäßig, nicht wirklich reinlich zu nennen. Oft sieht man einen älteren Herrn auf ihnen schreiten, der einen kleinen Jungen an der Hand hält: Großvater van Beethoven mit seinem Enkel Ludwig.
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Der über alles geliebte Opa unternimmt viel mit seinem dreijährigen Enkel, zeigt ihm die Stadt und ihre Umgebung. Sie kommen gerade aus Köln zurück, wo der Junge überwältigt zum ersten Mal vor dem Dom gestanden hat. Seit fast fünf Stunden sitzen beide in der Kutsche; so lange dauert die Fahrt zurück nach Bonn. Über eine gut gepflasterte Allee sind sie gefahren, die von Lindenbäumen gesäumt ist. Und viel haben sie gesehen, viel hat der Großvater dem Kleinen erzählen und erklären müssen. Vor allem auf der aufregenden Hinfahrt am Morgen, über den Rhein mit dem Marktschiff. Voll besetzt ist die Kabine zunächst gewesen, der Großvater war verärgert. Kein Platz frei, und dann noch „Tabaktrinken“ verboten! Die Pfeife des Opas muss kalt bleiben. Dann hat es jedoch großes Geschrei gegeben, und man hat zwei Männer unsanft hinausbefördert. Ein Jude und ein Bettler. Die dürfen hier nicht sein, erfährt Ludwig. Sitzen hätte der Großvater auch so können: Vornehmen Personen wie ihm ist gefälligst Platz zu machen, auch wenn sie so spät dran sind wie heute. Der Dreijährige lernt viel an diesem Tag, weil er viel fragt. Über das kleine Schlösschen da zum Beispiel. Ein Lustschloss, die „Vinea Domini“, von einem Weingarten umgeben. Der Opa ist einmal Gast gewesen. Es gibt ein „Tischleindeckdich“ da. Wenn man im Speisesaal sitzt, steigen wie von Geisterhand die schönsten Köstlichkeiten aus dem Boden empor – heraufbefördert durch einen fabelhaften Apparat: die „Maschine des aufgehenden Tisches“. Auch an den Schlössern Brühl und Poppelsdorf sind sie vorbeigekommen. Ihre Glanzzeit ist vorbei, schon lange haben keine Bälle mehr dort stattgefunden, schon lange sind keine Gäste mehr mit Gondeln auf dem Weiher des herrlichen Gartens von Poppelsdorf gefahren. Die hatte der Kurfürst sogar extra aus Venedig kommen lassen … Jetzt verfällt es mehr und mehr, auch wenn man das aus der Ferne nicht sehen kann. Der Burggraf ist der einzige Bewohner. Clemens heißt der. „Clemensruhe“ nennt man das Schloss noch immer, aber nicht nach ihm, sondern nach dem Kurfürsten Clemens August. Jetzt sind Großvater und Enkel wieder zurück in der Heimat. Noch einmal erlebt der kleine Ludwig etwas Aufregendes am Stadttor. Zwei in Lumpen gekleidete Männer bekommen es gehörig mit den Posten zu tun, die nicht gerade zimperlich mit ihnen umgehen. Ihr Geschrei
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Erster Teil: Bonn
nützt gar nichts. Sie kommen auf keinen Fall hinein nach Bonn. Bettler sind es. Fremde Bettler.
Fast zweihundert von ihnen bevölkern die Gassen Bonns, Männer, Frauen und Kinder. Es sind Soldatenwitwen darunter, Alte, Kranke und Blinde, wie ein 65-jähriger Franzose, der, bevor er sein Augenlicht verloren hat, Schuster gewesen ist. Aber auch Schreiner, Maurer, Wäscherinnen, Näherinnen und Spinnerinnen verdienen so wenig, dass sie zusätzlich betteln müssen, um leben zu können. Ortsfremde Bettler werden unmissverständlich aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Wer sich widersetzt, dem droht das Stockhaus. Soldaten durchsuchen die Kirchen und Gassen nach lichtscheuen Elementen. Für die „eigenen“ Armen jedoch wird durchaus gesorgt. Durch ein am linken Arm zu tragendes Bettelzeichen – eine Bleischeibe – können sie sich als anerkannte „Bonner Bettler“ ausweisen. 1774 wird das Betteln schließlich ganz verboten, Bedürftige erhalten Almosen, bis ihnen Arbeit verschafft werden kann, ein Arbeitshaus für Arme wird eröffnet, wo auch Kinder beschäftigt werden. Ein Arzt, ein Wundarzt und eine Hebamme werden eigens für die Armen Bonns eingestellt.
Am nächsten Morgen sind Großvater und Enkel schon wieder unterwegs. Es ist Markttag. Der kleine Ludwig liebt den Markt über alles. So viel gibt es zu sehen, zu hören, zu riechen. Noch bevor eine Glocke das Treiben eröffnet, sind die beiden da. Zuerst geht es zur Fontäne, dem Brunnen. Ludwig hält seine Hände unter einen der beiden lustigen Männerköpfe, die das Wasser in ein ovales Becken spucken, und beobachtet fasziniert, wie es durch zwei Schlangen wieder abläuft. Der Marktplatz von Bonn: Aneinandergedrängte Häuschen, in Gelb, Rosa und Grau gestrichen, scheinen sich gegenseitig vor dem Umfallen zu bewahren. Auf der einen Seite eine geschlossene Reihe dreigeschossiger Häuser mit geschweiften Giebeln, auf der anderen ragen auch fünfgeschossige hervor. Im Hintergrund das herrliche Rathaus, in Gelb und Grau gehalten. Ein schmiedeeisernes Schmuckgitter ziert die zweiläufige Freitreppe.
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Reges Treiben herrscht, wenn um zehn oder elf Uhr morgens die Marktglocke ertönt. Ein Marktmeister ist eingesetzt, um nach dem Rechten zu sehen und Betrug und Unordnung zu verhindern. Er nimmt die Waren in Augenschein, vor allem „garstig Fischwerk“ wird von ihm beschlagnahmt und in den Rhein geschüttet. Die Kölner Händler stehen unter seiner besonderen Beobachtung – sagt man ihnen doch nach, dass sie gerne mal halb verdorbene Fische auf dem Bonner Markt an den Mann bringen wollen. Ausschussware, die immerhin noch genießbar ist, darf nur auf dem untersten Teil des Marktes, hinter dem Brunnen, zu günstigeren Preisen verkauft werden. Die Menschen drängen sich vor den Fleischbänken der Metzger, den unzähligen Ständen und Buden, wo die Krämer ihre Waren anbieten: Speck, Käse, Honig, Öl, Wachs, Tran, Hanf, Tabak, Seife, Tuche und vieles mehr. Sogar ganze Schweine und Rinder kann man auf dem Viehmarkt vor der Sternpforte erwerben. Der Markplatz Bonns ist ein Ort des Handels. Grausamkeiten gibt es hier nicht mehr zu bestaunen. Die letzte Hinrichtung liegt lange zurück, fast sieben Jahrzehnte ist es her, dass man hier einem Soldaten den Strick um den Hals gelegt hat. Jetzt stehen die Galgen vor der Stadt, „Auf der Höhe“. Auch einen Pranger sucht man vergebens, nur ein Hals- und Handband erwartet die Sünder am Rathaus. Vor zwei Jahren erst, erfährt Ludwig, hat man einen jungen Mann dort angeschlossen, einen Zettel mit der Aufschrift „Gartendieb“ an der Brust und die türkischen Bohnen, die er gestohlen hat, um den Hals. So hat er dagesessen, eine geschlagene halbe Stunde lang. Wenn es auf dem Markt nichts mehr zu sehen gibt, gehen Großvater und Enkel noch ein bisschen spazieren. Immer wieder wird der Opa ehrfurchtsvoll gegrüßt; er ist eine angesehene Persönlichkeit in Bonn. Auch die in Sänften getragenen Herrschaften senken oft den Kopf zum Gruß. Großvater und Enkel gehen lieber zu Fuß. Viel gibt es in Bonn zu bewundern, vor allem die Kirchen, allen voran die Stiftskirche St. Cassius und Florentius, das Münster. Der gleichnamige Platz davor ist voller Bäume, auch einen Weiher gibt es dort, den Krötenpfuhl. Ein lustiger Name, findet Ludwig. Doch nicht nur Kirchen schmücken die Stadt, sondern auch die Paläste der Adligen. Graf Wolff-Metternich zu Gracht etwa hat seine
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Erster Teil: Bonn
Residenz, den Metternicher Hof, im Stile eines Pariser Adelshotels angelegt. Der dazugehörige Garten ist so groß, dass er bis zum Rhein reicht, das Gartenhaus steht direkt an der Rheinmauer. Die Bonngasse schmückt der Gudenauer Hof mit seinen zwei Einfahrten; die stattlichen Häuser der Rysselstraße, wo nur Adel und hohes Beamtentum logieren: Stadtgouverneur Graf von Verita, Geheimrätin Löltgen und „Madame Troggeler“ alias Mechthild Brion, eine Mätresse des Kurfürsten. Derer von Lapp wohnen neben de Cler in der Wenzelgasse, in der Sandkaule stehen die Häuser derer von Kügelgen, der Madame de Berghes, des Geheimrats von Föller, wo später Graf von NesselrodeReichenstein zu wohnen beliebt. Nicht nur von außen ist alles vom Feinsten. Im Föller’schen Hause beispielsweise befindet sich eine Orangerie und eine eigene Hauskapelle; der Silberschatz – Schüsseln, Wandleuchter, Tafelaufsätze und so weiter – hat einen Wert von 6.000 Reichstalern, die Porzellansammlung enthält Prachtstücke von Alt-Meißner und Straßburger Fayence. Der Vorrat an feinem Leinen umfasst 213 Tischtücher, 1123 Servietten, 262 Bettlaken, 148 Kissenbezüge, 493 Handtücher; dazu Stuhlbezüge, Gardinen, Bettbehänger, Betthimmel … Die Werte dieser Paläste sind ungeheuer: Den Gudenauer Hof beispielsweise schätzt man auf 20.000 Reichstaler, ebenso hoch den Metternicher. Da kann kein noch so wohlhabender Handwerker oder Kaufmann mithalten, deren Häuser am Markt und in den von ihm ausgehenden Straßen liegen. Immerhin: Ihre Werte schwanken zwischen 1.000 und 6.000 Reichstalern; für diesen Betrag verkauft ein Brauermeister das Haus „Zum Alten Wolf“. Zum Vergleich: Ein herkömmlicher Handwerkermeister verdient etwa 30 Reichstaler – im Monat. Fast ein Drittel der Häuser Bonns liegt, was ihren Wert anbetrifft, unter 750 Reichstalern. In ihnen leben die Armen, die an noch Ärmere untervermieten. Darunter die Bettelarmut: die Bewohner der über hundert „Bogenhäuser“ an der Stadtmauer. Der junge Ludwig sieht all die herrlichen Paläste der Reichen und ihr Leben – und die zerlumpten Bettler in den Straßen. Bilder, die er wohl sein Leben lang kaum vergessen wird. „Alle Menschen werden Brüder“ …
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Angst und Schrecken 150 Jahre vor der Geburt Beethovens sind in Bonn die letzten Hexen auf dem Scheiterhaufen umgekommen; dass die Pest in der Stadt gewütet hat, liegt gerade einmal 100 Jahre zurück. Und keine sechs Jahrzehnte sind vergangen, seit die Bonner drei Tage lang gefastet haben, um die Seuche abzuwenden, die sie – aus Russland und Polen kommend – erneut bedroht, aber schließlich verschont hat. Doch Pestkreuze erinnern die Menschen noch immer an die schreckliche Zeit. Auch der junge Beethoven erlebt Stunden der Angst, des Grauens, des Todes – und die unbarmherzige Zerstörungskraft entfesselter Naturgewalten. Ironie des Schicksals: Das Jahr 1770, in dem eines der größten Genies aller Zeiten als Kind ihrer Stadt geboren wird, ist ein Unglücksjahr für die Menschen in Bonn: Ein furchtbares Hagelwetter vernichtet nahezu die gesamte Ernte. Im Winter tritt dadurch eine der höchsten Teuerungen aller Zeiten ein. Eine ungeheure Hungersnot ist die Folge. Die Not ist so groß, dass im Jahr darauf die Zahl der Eheschließungen und Geburten dramatisch zurückgeht. Man sorgt sich um eine gesicherte Zukunft. Welch ein Glück, dass Ludwig van Beethoven da schon auf der Welt ist und allen Widrigkeiten zum Trotz am Leben bleibt! Denn neben seiner Pockenerkrankung, der unzählige andere Kinder und Jugendliche erliegen, erwartet seine Heimatstadt gleich zwei verheerende Katastrophen in den nächsten Jahren.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Januar 1777 wird der kleine Ludwig um kurz nach drei Uhr jäh aus dem Schlaf gerissen und reibt sich die müden Augen – wie fast jeder in Bonn. Eine gewaltige Explosion verhallt an den Hängen des Siebengebirges. Während der Sechsjährige noch darüber nachgrübelt, warum die Fensterscheiben klirren, wird er schon aus dem Bett gezerrt. Anziehen muss er sich, ganz schnell anziehen. Durch die Butzenscheiben fällt sein ängstlicher Blick auf den nächtlichen Himmel, der in düsterer Glut leuchtet. An allen Fenstern erscheinen jetzt die Menschen, ihre Schreie hallen durch die Bonngasse. Die Sturmglocken heulen von den Türmen, die Feuertrom-
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meln dröhnen unheimlich in der Nacht. Auf der Straße laufen panisch die Menschen zusammen, viele nur notdürftig bekleidet in der klirrenden Kälte; es herrscht scharfer Frost und starker Südostwind. Alles drängt in Richtung des gewaltigen Feuerscheins. Und bald schon ruft es einer dem anderen zu: „Das Schloss brennt!“ In der Menge sind auch Ludwig und seine Eltern. Brandschützen drängen die Männer zum Unglücksort, um beim Löschen zu helfen. Frauen und Kinder stehen zusammengedrängt und sehen voller Entsetzen, wie sich das Feuer immer mehr ausbreitet. Der ganze Dachstuhl des riesigen Schlosses steht bereits in Flammen, und das Feuer frisst sich unaufhaltsam bis hinab ins erste Stockwerk. Große Wasserbütten werden im nahen Bach gefüllt und mit Kutschen herangekarrt. Die Peitschen der Fuhrleute knallen, ängstlich schnauben die Pferde, und in das Geheule der Glocken, das Dröhnen der Trommeln mischt sich das Geschrei der Menge, das immer lauter wird. Denn der scharfe Südostwind treibt einen wahren Feuerstrom über die gegenüberliegenden Dächer. Schon schlagen die ersten Flammen aus einem Dach an der Bischofsgasse. Das Feuer droht die ganze Stadt zu erfassen. Wilde Panik überfällt die Menschen. Jetzt gilt es, das eigene Haus zu retten. Der kleine Ludwig steht vor dem Glockenturm des Schlosses, von dem die Flammen bereits Besitz ergriffen haben. Oft ist er mit dem Großvater zur vollen Stunde hier gewesen, um dem Glockenspiel zu lauschen. Als es an diesem Morgen sechs Uhr schlägt, hört er es zum letzten Mal. Bald darauf bricht der Turm in sich zusammen. Der 38-jährige Hofrat von Breuning versucht gemeinsam mit zwölf anderen Männern die Archive des Schlosses zu retten. Als das Treppenhaus mit seiner großen Marmorstiege einstürzt, werden die Retter unter herabstürzenden Trümmern begraben. Schwer verletzt, noch bei vollem Bewusstsein, wird von Breuning in sein Haus am Münsterplatz gebracht – und stirbt in den Armen seiner jungen Frau Helene. Dreizehn große Brände sind in Bonn zu diesem Zeitpunkt ausgebrochen. Mehrmals beginnt die Remigiuskirche zu brennen, auch Jesuitenkirche und Rathaus werden von den Flammen bedroht. Fünf Tage lang wütet das Feuer, fünf Tage lang heulen die Sturmglocken, dröhnen die Feuertrommeln.
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Familie van Beethoven wohnt zu diesem Zeitpunkt in der Neugasse, im Haus des Hofmusikers Brandt, nahe beim Schloss. Das Dach des Hauses hat Feuer gefangen, seinen Bewohnern gelingt es jedoch, mit vereinten Kräften das Gebäude zu retten. Als am sechsten Tag die Sonne über einer rauchenden Trümmerstätte aufgeht, ist der prächtigste Teil des Schlosses mit all seinen unermesslichen Kunstschätzen vernichtet. Die Ursache des Brandes konnte nicht geklärt werden. Die gewaltige Explosion, die den Jungen Ludwig und ganz Bonn aus dem Schlaf gerissen hat, ist die Pulverkammer des Schlosses gewesen.
Der Dezember 1783 – Ludwig wird in diesem Monat dreizehn Jahre alt – bringt seiner Heimat abwechselnd scharfen Frost und Tauwetter. Ein starkes Eisschollentreiben auf dem Rhein ist die unvermeidliche Folge. Im Januar beginnt das Eis, sich zu setzen, einem zeitgenössischen Bericht nach „einen Steinwurf unter Bonn“. Die Lage wird immer bedrohlicher, die Angst der Menschen wächst von Stunde zu Stunde. Ein achttägiges Beten nimmt seinen Anfang, um – wie einst bei der Pest – ein schreckliches Unglück abzuwenden. Doch mittlerweile hat sich auch oberhalb Bonns das Eis festgesetzt. Der Rhein ist so fest zugefroren, dass er selbst mit schweren Karren befahren werden kann. Anfang Februar fallen dazu noch ungeheure Mengen Schnee, die sich auf der Eisschicht zu Hügeln auftürmen. Ende des Monats setzt mildere Witterung ein, begleitet von heftigen Niederschlägen. Das Wasser des Rheins steigt unaufhaltsam. Als die Menschen Bonns am 25. Februar 1784 im Aschermittwochsgottesdienst im Münster sitzen, tritt der Strom über seine Ufer. Vielen von ihnen stehen schreckliche Tage und Nächte bevor. Keller und Erdgeschosse müssen geräumt, Frauen, Kinder und Mägde in Booten in Sicherheit gebracht werden. Die gewaltigen Eis- und Wassermassen schieben die Rheinschiffsmühle gegen die Stadtmauer und bringen sie zusammen mit drei angebauten Häusern zum Einsturz. In den Dörfern Beuel und SchwarzRheindorf werden über hundert Behausungen zerstört, einige reißen die Fluten sogar ganz mit sich. In Bonn steht das Wasser in mehreren Gassen, die Josephstraße ist mit großen Eisschollen angefüllt; Zuchthäusler müssen sie zerschlagen. Die rheinische Stadtmauer ist an meh-
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reren Stellen eingestürzt, Schlachthaus und Rheinwerft sind beschädigt. Der Sachschaden ist gewaltig. Wie durch ein Wunder fordert diese Katastrophe kein Menschenleben. Als „Eisgang“ wird sie in Bonn unvergesslich bleiben. Eine Hochwassermarke im Kreuzgang des Münsters erinnert bis heute an die Tage der Angst und des Schreckens im Februar 1784.
Elternhaus Schon vor seiner Geburt haben die Eltern den Lebensweg vorherbestimmt: durch die Wahl seines Vornamens. Er ist gewissermaßen Programm. So heißt der Großvater, ein überaus erfolgreicher Mann – Hofkapellmeister ist er. Der mittelmäßige Vater hat es verglichen mit ihm zu nichts gebracht. Der ältere Sohn (der nicht zufällig ebenfalls Ludwig hieß) wird es nicht mehr können. Er ist schon kurz nach der Geburt gestorben. Nun soll also der Neugeborene in die übergroßen Fußstapfen des Großvaters treten. Und das ist durchaus auch der Wunsch des kleinen Jungen, denn er bewundert, verehrt und liebt den Opa, der zugleich auch sein Pate ist, über alles. Als angesehener Bürger Bonns betreibt er einen blühenden Weinhandel und macht auch als Geldverleiher gute Geschäfte. Aber jähzornig soll er gewesen sein, der alte Herr. Es heißt, dass er sich einst im Zorn von seinem eigenen Vater getrennt und seine Geburtsstadt Antwerpen zugunsten Bonns verlassen hat. Mag sein, dass er neben dem Namenszusatz „van“ auch diesen vermeintlichen Jähzorn seinem Enkel Ludwig schon mit in die Wiege gelegt hat – und seine Hochempfindlichkeit … Dieser kann die Liebe des Großvaters nicht lange genießen; ein Schlaganfall setzt dessen Leben ausgerechnet an Heiligabend ein Ende. Da ist Ludwig erst drei Jahre alt; der erste große Schicksalsschlag, der erste große Verlust. Weitere werden bald folgen. Der Opa ist sein Held, und er wird es bleiben. Ein Porträt des Großvaters hat später seinen Ehrenplatz in Beethovens Wohnung. Bis zu seinem Tod begleitet es ihn – so, wie die sicher wenigen Erinnerungen an einen Mann, von dem er noch als Erwachsener in den höchsten Tönen schwärmt. Ihm eifert er nach, mit ihm identifiziert er sich ein Leben lang. Das geht sogar so weit, dass Beethoven als 53-Jähriger
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ernsthaft glaubt, wie der Großvater wohl an einem Schlaganfall sterben zu müssen. Selbst beim Tod ist der alte Herr das große Vorbild – der eigene Vater ist es nämlich nie gewesen.
Johann van Beethoven ist, als sein Sohn Ludwig geboren wird, immerhin Mitglied der Bonner Hofkapelle. Seine Leistungen als Tenor und Violinist können so schlecht nicht gewesen sein, denn sein – wenn auch mäßiges – Gehalt ist in den Jahren zuvor stets gestiegen. Auch als Gesangs- und Klavierlehrer sind seine Dienste gefragt. Er gilt als kinderlieber, lebenslustiger und geselliger Mann, der jedoch dem Alkohol alles andere als abgeneigt ist. In dem Punkt ist Johann ganz der Sohn seiner Mutter, einer Trinkerin, die wegen ihrer Trunksucht schließlich sogar in ein klösterliches Hospiz gebracht wird und ihre letzten Lebensjahre dort verbringen muss. Oft sitzt der Vater Ludwigs einfach nur am Fenster und starrt stumpf in den Regen hinaus. Es sei denn, sein Trinkkumpan, Fischhändler Klein, räkelt sich auf der anderen Straßenseite auch gerade zufällig im Fenster. Dann streckt Johann ihm die Zunge raus und macht lustige Gesichter. Denn zu Scherzen ist er immer aufgelegt. Ansonsten hält ihn zu Hause nicht viel. Mehr und mehr treibt er sich einfach nur herum, verbringt ganze Nächte im Gasthaus oder läuft mit Freunden ziellos durch die Straßen Bonns, um spät nachts oder früh morgens erst heimzukehren. So entkommt er schließlich am besten seiner Familie, vor allem der Ehefrau, die ihm sowieso nur die Stimmung verdirbt und Vorwürfe macht – vor allem wegen der Trinkerei und der damit verbundenen Schulden. Beides wird nicht weniger. Im Gegenteil: Ungeniert läuft Johann durch die Straßen, trinkt den Wein direkt aus der Flasche und setzt sich ganz offen dem Spott der Nachbarschaft aus. Als neuer Inhaber der väterlichen Weinhandlung muss ihm um den Nachschub nie bange sein. Er ist zu dieser Zeit jedoch ganz sicher nicht der Einzige, der dem Rebensaft in besonderem Maße zuspricht. Er steht als Alltagsgetränk jedem zur Verfügung, die Anbaugebiete an Rhein und Mosel sind schließlich nah. Für die Menschen ist er das sauberste Getränk – viel sauberer jedenfalls als Wasser und nicht so stark alkoholisch wie Schnaps. Die Grenze zwischen täglichem, „nor-
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malem“ Genuss und der Alkoholsucht ist fließend. Johann hat sie längst deutlich überschritten und fügt sich bald in die Rolle des versoffenen Taugenichts. Nicht einmal bei der allerbesten Gelegenheit kann er als Mann und Held glänzen: Beim „Eisgang“ ist es seine Frau, nicht Johann, die Mut beweist, andere Menschen beruhigt und mit der eigenen Flucht so lange wartet, bis diese gerettet worden sind. Nein: Johann van Beethoven ist gewiss kein großer Mann. Dafür soll nun aber der Sohn dem Vater Ehre machen. Am besten freiwillig. Zur Not – wenn es denn gar nicht anders geht – auch mit Gewalt.
Musikunterricht Als Ludwig vier Jahre alt ist, beginnt der Vater höchstpersönlich mit dem Unterricht. Das Fach heißt natürlich Musik. Die Begabung dafür muss der Junge schließlich von ihm geerbt haben. Der Lehrer ist streng, mitunter grausam. Endlich, nach dem Tod des übermächtigen Vaters, hat er das Sagen, ist er der Herrscher! Und so unterrichtet er seinen Sohn, seinen Schüler, auch. Doch um Johann gerecht beurteilen zu können, darf nicht unerwähnt bleiben, dass er als gefragter Musiklehrer wohl nur zu gut weiß, wie man ein Talent wie Ludwig zielgerichtet aufbaut. Geduld gehört leider nicht zu Johanns Stärken. Das zeigt sich sicher schon in der ersten Stunde, als er den nichtsahnenden Jungen vor das Klavier führt und ihm die schwarzen und weißen Tasten erklärt. Ludwig hat erst auch seinen Spaß daran. Wenn er sich ein wenig streckt, kann er mit seinen Fingerchen die etwas muffig riechenden Holzstäbchen runterdrücken – dann kommt ein Ton, immer ein anderer. Aber er soll jetzt nicht klimpern, er soll sich die Namen der Tasten merken und nachsagen. Das kann er nicht. Der Schüler Ludwig hat versagt. Er wird vom Lehrer durchgeprügelt und muss ins Bett. Man muss Verständnis haben. Geduld ist hier völlig fehl am Platze. Denn es darf nicht allzu lange dauern, bis Ludwig als Wunderkind – wie der sechsjährige Mozart – öffentlich auftreten kann. Schließlich will der von Schulden geplagte Vater auch viel Geld mit ihm verdienen. Aber er ist doch noch recht klein, der Vierjährige. Vor das Klavier
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muss daher ein Bänkchen gestellt werden, auf das er sich zum Üben stellen kann. Es sind nur wenige Tage, an denen er das freiwillig macht.
Denn unten im Haus duftet es so gut. Immer nach frisch gebackenem Brot, manchmal sogar nach Kuchen. Nach der Geburt des dritten Sohnes wohnt man nämlich im Haus des Bäckermeisters Gottfried Fischer, im zweiten Stock. Unter ihnen lebt der Bäcker mit seiner älteren Schwester Cäcilia und drei Kindern, über ihnen befindet sich der Mehlspeicher. Die von Johanns Vater vererbte Wohnungseinrichtung der Beethovens kann sich durchaus sehen lassen: Reich möbliert sind die sechs Zimmer, Ölgemälde – darunter das des Großvaters – schmücken die Wände. Das Silberservice, vergoldetes Porzellan und Glaswaren sind in Vitrinen zu bestaunen. Die Mutter sorgt für feine Tischwäsche. Sie selbst stammt aus einer wohlhabenden Familie, soll ein Faible für kostbare Kleidung aus ostindischen Stoffen gehabt haben. Den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verbringt Ludwig in dieser Wohnung und diesem Haus, das übrigens als das höchste private von ganz Bonn gilt. Der Junge liebt es, dem Bäckermeister bei der Arbeit zuzusehen. Ungeduldig wartet er, bis er den Rest des Teiges zusammenkratzen und verputzen darf. Nicht nur bei schönem Wetter möchte er gerne auch zum Spielen mit den anderen Kindern nach draußen. Auch wenn Bonn, seine Heimat, eher ein Dorf als eine Stadt ist: Zu sehen gibt es mehr als genug. Biegt man am Marktplatz um die Ecke, steht man bald schon vor dem gewaltigen Schloss des Erzbischofs und kann beim Glockenspiel mitsingen, das zur vollen Stunde vom Turm herunterschallt. Hinter dem Schloss ist der herrliche Hofgarten mit seinen ausgedehnten Alleen und den Taxushecken, die so viele Verstecke bieten. Wie oft ist der kleine Ludwig hier zusammen mit seinem Großvater spazieren gegangen … und dann noch zum Münsterplatz, in die wunderschöne alte Kirche. Einmal sogar sind sie den Kreuzberg hoch, zu der einsamen Klosterkapelle. Wie herrlich der Ausblick war von da oben! Und nicht zu vergessen: der Rhein. Er ist ganz nah. Man braucht ja nur ein paar Schritte die steile Rheingasse hinabzulaufen, durch das alte Rheintor. Dahinter liegt schon der ungeheure Fluss, wo man so viel erleben kann: stromabtrei-
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bende Flöße aus gewaltigen Stämmen, schwer beladene, tief gehende Frachtkähne. Man kann den Schiffern winken, die bis nach Holland fahren, oder Verstecken spielen in den dichten Weidengebüschen am Ufer. Doch ganz egal, wo Ludwig gerade ist: Der Vater findet ihn auch dort und zerrt ihn nach Hause, prügelt ihn zur Not vor das Klavier. Die Spielkameraden, die neugierig durch das Fenster spähen, sehen das Kind weinend auf dem Bänkchen stehen. Reichen selbst die Schläge nicht aus, um ihn zum Üben zu bringen, wird der Junge eben kurzerhand in den Keller gesperrt, bis er einsichtig ist. Trotz oder wegen der Strenge des Vaters: Der Unterricht ist erfolgreich. Schon am 26. März 1778 tritt Ludwig van Beethoven, achtjährig, das erste Mal als Solist öffentlich auf. Johann hat das Konzert mit modernsten Mitteln beworben, die sich grundlegend bis heute kaum verändert haben. Der Vater setzt eine Annonce auf, in der er persönlich das Ereignis ankündigt und auf die „Wunderkind-Karte“ setzt, die ja schon bei Mozart bestens gestochen hat. Das Alter Ludwigs wird mit „6 Jahren“ angegeben. Ist es Taktik, dass hier geschummelt wird? Beginnt eine der großartigsten Musikerkarrieren aller Zeiten mit einer dicken Lüge? Es ist eher unwahrscheinlich. Doch die Irritationen über das richtige Geburtsjahr des Komponisten beginnen, der fortan selbst glaubt, jünger zu sein, als er eigentlich ist.
Kurz vor seinem sechsten Geburtstag kommt Ludwig in die Schule, das Tirocinium in der Bonner Neugasse. Religion, Gesang, Lesen, Schreiben, Rechnen sind die Unterrichtsfächer, später auch Latein. Ein notwendiges Übel, findet Vater Johann. Schließlich hat er selbst dort nicht allzu viel gelernt. Und? Ist aus ihm denn nichts geworden? Der Klavierunterricht hat also Vorrang, die Schulaufgaben sind weniger wichtig. Das sieht allerdings der strenge Magister Johann Krengel ganz anders. Und da Prügel auch sein Haupterziehungsmittel sind, muss er bei seinem Schüler Ludwig van Beethoven reichlich Gebrauch davon machen. Denn der versagt auf ganzer Linie. Doch sehr lange wird Ludwig nicht unter Lehrer Krengel, seinen Schlägen und der Schule
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leiden müssen. Im Alter von elf Jahren verlässt er sie – auf Nimmerwiedersehen. Der Gymnasiast Zambona kommt stattdessen ins Haus. Dass man mit solch einem Namen nur Fremdsprachen unterrichten kann, liegt auf der Hand. Ludwig büffelt mit ihm Latein, Französisch und Italienisch. Hat Vater Beethoven etwa von sich aus ein Einsehen gehabt? Oder ist er nur der Bitte eines durchaus lernwilligen Kindes nachgekommen? Wie dem auch sei: Man darf jedenfalls nicht behaupten, Beethoven habe in jungen Jahren keine Bildung genossen.
Nach einigen Jahren stellt Johann van Beethoven fest, dass er seinem Sohn musikalisch nichts mehr beibringen kann. Ein Mann namens Tobias Pfeiffer, mittelmäßiger Schauspieler und Musiker in einer Person, übernimmt nicht nur die Lehrerrolle, sondern auch die des Saufkumpans des Vaters – Letztere spielt er übrigens besonders überzeugend. Wie praktisch, dass er mit den Beethovens unter einem Dach wohnt. Oft kommen die beiden Musikpädagogen nämlich erst um Mitternacht aus der Weinschenke, wo man gemeinsam gezecht hat, nach Hause und lassen sich von der Magd Kaffee und einen „guten Tropfen“ bringen. Die Zeit erscheint günstig, um jetzt den Unterricht fortzusetzen. Dass der Schüler Ludwig schon schläft, darf dabei keine Rolle spielen. Er wird geweckt und weinend vor das Klavier gezerrt. Bis zum Morgengrauen macht Pfeiffer sich die Mühe, neben dem übenden Jungen sitzenzubleiben – und dabei dem einen oder anderen Gläschen Rheinwein zuzusprechen. Dass der Unterricht bevorzugt in den Nachtstunden abgehalten wird, hat allerdings auch einen anderen Grund: Man wohnt schließlich zur Miete im Haus eines Bäckers, und Meister Fischer pflegt nachmittags zu ruhen und verbittet sich ausdrücklich jegliches Geklimpere, Gestreiche und Geplärre. Doch ob tagsüber oder nachts: Ein großes Vergnügen sind die Stunden für Ludwig ohnehin nicht, denn er muss strikt nach Noten spielen, sowohl auf dem Klavier als auch auf der Geige. Darauf wird streng geachtet. Die große Begabung des Jungen jedoch zeigt sich schon früh darin, dass er frei – ohne Noten eben – spielen, „phantasieren“ kann und möchte. Kreativität ist allerdings nicht erwünscht. „Ist denn das nicht schön?“, sagt
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Ludwig zu seinem Vater, als er auf dem Klavier nach eigenen Ideen improvisiert. Johann aber will das „dumme Zeug“ nicht hören und jagt ihn unter Androhung einer Ohrfeige weg. Dennoch: Die große Begabung seines Sohnes erfüllt den Vater mit Stolz. Sie bietet nebenbei eine gute Gelegenheit, das eigene, leicht ramponierte Image ein wenig aufzupolieren. Er lädt recht bald Musikliebhaber nach Hause ein, um den Knaben – gegen Eintritt selbstverständlich – spielen zu hören. Dem Saufkumpan und Musikpädagogen Pfeiffer folgen in den nächsten Jahren mehrere andere Lehrer, die ihn in verschiedenen Instrumenten unterweisen: Klavier, Orgel, Violine, Horn. Sonderbar ist jedoch, dass der Vater gerade das kreative Talent des Sohnes nicht fördert und sogar unterdrückt. Ob er innerlich vielleicht doch nicht will, dass Ludwig es dem Großvater nachmacht? Dieser ist nämlich – selbst nach seinem Tod – immer noch gegenwärtig. Und zwar nicht nur in Öl an der Wand. Dafür sorgt Maria Magdalena, seine Frau. Sie hält die Erinnerung an den so übermächtig großen Mann aufrecht – und zeigt ihrem Gatten dadurch umso mehr, wie mittelmäßig er selbst ist. Das klingt nicht gerade nach einer harmonischen Ehe. Kein Wunder also, dass man Beethovens durchaus hübsche, schlanke Mutter angeblich nie lachen sieht, dass sie – wie die eigene – zusehends schwermütig wird. Als „stille, leidende Frau“ bleibt sie nach ihrem Tod in Erinnerung.
Mutterliebe Maria Magdalena bereut schon bald, diesen Mann überhaupt geheiratet zu haben, der vom Wesen her das Gegenteil von ihr ist. Man lebt in beengten Verhältnissen, die Wohnung muss häufiger gewechselt werden, wobei man sich jedoch nicht wirklich verbessert (der erwachsene Ludwig van Beethoven übrigens wird in drei Jahrzehnten mindestens 30-mal umziehen). Das Geld ist ständig knapp, der Mann säuft und vergrößert die Schulden nur noch. Drei weitere Kinder, darunter zwei Mädchen, sind nicht lange am Leben geblieben. Dass der Älteste von dem Vater misshandelt worden ist, kann Maria Magdalena nicht verborgen geblieben sein. Ob der Sohn sich jemals
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Hilfe suchend an seine Mutter gewandt hat? Es ist nicht bekannt. Offensichtlich aber ist, dass sie Ludwig nicht sonderlich viel Zuneigung entgegenbringt: Sie protestiert nicht gegen die harte Behandlung seitens ihres Gatten, was man von einer liebenden Mutter erwarten dürfte. Ist es das eigene Leid, das es ihr verwehrt, die starken Gefühle ihres Sohnes zu erwidern, seinen Schrei nach Liebe zu erhören? Wie viele Stunden harrt der kleine Ludwig wohl in dem dunklen Keller des Hauses in der Bonngasse aus – in der Hoffnung auf Rettung durch seine Mutter; so wie er Jahrzehnte später seinen im Kerker schmachtenden Helden Florestan in „Fidelio“ durch eine geliebte Frau, Leonore, erlösen lässt. Ein Vater, der schlägt; eine Mutter, die ihre Augen davor verschließt: Vielleicht liegt hier schon die Ursache für das – von anderen als krankhaft empfundene – Misstrauen, das der erwachsene Ludwig später seinen Mitmenschen entgegenbringt. Nicht nur auf Cäcilia Fischer macht der Junge einen schmutzigen, ungepflegten, beinahe verwahrlosten Eindruck. Auch dies spricht nicht gerade für mütterliche Fürsorge – wohl aber für den ersten Hilferuf eines Kindes, das Aufmerksamkeit und Liebe braucht. Es gibt nur eine einzige Geschichte aus Ludwig van Beethovens Kindheit, die Zärtlichkeit ansatzweise erahnen lässt: Während einer Mutter-Kind-Reise nach Holland will Maria Magdalena auf dem Schiff die Füße des elfjährigen Ludwig in ihrem Schoß gehalten haben, um sie vor Frost zu schützen. Immerhin. Bedenken wir an dieser Stelle, wie wichtig die Beziehung zwischen Sohn und Mutter für das Liebesleben eines Mannes ist. Es erscheint auf den ersten Blick sonderbar, dass Beethoven später von der Mutter stets mit Liebe und Achtung spricht, sie – allerdings erst nach ihrem Tod – als „eine herzensgute Frau“ und seine „beste Freundin“ bezeichnet. Selbst über den Vater verliert er sein Leben lang nicht viele Worte – und wenn, dann niemals schlechte. Andere dürfen es in seiner Gegenwart nicht wagen. Vielleicht ist diese Lebenslüge ja die einzige Möglichkeit, um Kindheit (die er ansonsten in einen Mantel des Schweigens hüllt) und Eltern schönzufärben – und somit die eigene Seele vor Schaden zu bewahren. So, wie viel später die Vorstellung aufkommt, gar nicht der Sohn dieses Vaters zu sein.
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Geheimnisvolle Herkunft Spätestens im Alter von 40 Jahren muss Beethoven von dem unglaublichen Gerücht gehört haben, das bis zu seinem Tod in aller Welt schriftlich verbreitet wird: In Wirklichkeit sei er der uneheliche Sohn eines Königs – Friedrichs des Großen oder Friedrich Wilhelms des Zweiten. Einer von beiden soll Maria Magdalena geschwängert haben. Das ist ein starkes Stück! Freunde drängen den schon hoch prominenten Komponisten, diesem üblen Gerücht entschieden entgegenzutreten. Das muss doch berichtigt werden! Schon um der armen toten Mutter willen. Doch Beethoven tut es nicht. Sein Leben lang nicht. Erst bei Ausbruch seiner tödlichen Krankheit gibt er in einem hinterlassenen Brief einem Freund die Erlaubnis, das Gerücht aus der Welt zu schaffen. Dieser Brief jedoch wird nie abgeschickt – bis zu seinem Tod verleugnet er den leiblichen Vater und versäumt es, die Ehre seiner Mutter zu retten; als späte Rache für eine schreckliche Kindheit? Man kann es aber auch anders deuten, vor allem, wenn man bedenkt, dass Beethoven sich häufig in die falschen Frauen verlieben wird: Adlige, mit denen er, der Bürgerliche, nie auf Augenhöhe steht, die er nie bekommt. Vielleicht hat auch dadurch eine Vorstellung mehr und mehr von ihm Besitz ergriffen: Nicht der versoffene, brutale Taugenichts Johann hat ihn gezeugt, sondern ein preußischer König! Und seine Mutter: eine – wenn auch der Untreue schuldige – königliche Geliebte! Dafür, dass das die Wahrheit ist, gibt es schließlich sogar Beweise …
Man weiß anhand des Eintrags im Taufregister der Kirche St. Remigius in Bonn, dass Ludwig van Beethoven am Sonntag, dem 17. Dezember 1770 getauft und daher aller Wahrscheinlichkeit nach am selben Tag oder aber am Abend zuvor geboren worden sein muss. Warum nicht früher? Die Kindersterblichkeit ist so hoch. Jedes Kind, das am Leben bleibt, ist ein kleines Wunder. Da ein Ungetauftes niemals mit kirchlichem Segen beerdigt wird, ist große Eile geboten: Am besten am Tag der Geburt taufen, spätestens jedoch am Tag darauf. Das sind die Fakten. Allerdings nicht für Beethoven. In seinen ers-
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ten beiden Lebensjahrzehnten glauben er, seine Freunde und vielleicht sogar die Eltern an eine Geburt im Dezember 1771; ein ganzes Jahr später also. Aber es wird noch verwirrender: In Beethoven wächst nämlich, je älter er selbst wird, die Überzeugung, noch jünger sein zu müssen. Er glaubt tatsächlich, erst im Dezember 1772 (oder gar noch 3 Jahre später!) das Licht der Welt erblickt zu haben. Grund der Ungewissheit ist, dass in rheinisch-katholischen Gegenden üblicherweise der Namens-, und eben nicht der Geburtstag, gefeiert wird, somit also kein Jahrestag im eigentlichen Sinne. Doch Freunde wollen wiederholt dieses Rätsel lösen und legen Beethoven Kopien des echten Taufscheins vor. Doch was macht er? Er weigert sich einfach hartnäckig, diesen anzuerkennen, und behauptet, es müsse der seines früh verstorbenen, gleichnamigen Bruders Ludwig (Maria) sein! Sein eigenes Taufzeugnis – das seine Herkunft und sein Geburtsjahr belegen könnte – habe es vielleicht nie gegeben. Oder war es etwa sogar verheimlicht und vernichtet worden? Welches Geheimnis konnte, ja musste sich dann dahinter verbergen … ? Eben! So viel zur Überzeugung des erwachsenen Beethoven. Der kleine Ludwig kennt dieses Gerücht natürlich noch nicht. Es ist auch nicht notwendig, um daraus eine Fantasievorstellung von adliger, vornehmer Geburt zu entwickeln. Denn schon früh muss der Junge seine Genialität gespürt haben: Als die Frau Fischer ihn wieder einmal auf sein schmutziges Äußeres anspricht, entgegnet er ihr selbstbewusst: „Wenn ich mal ein Herr werde, dann wird mir das keiner mehr ansehen!“ Doch das Genie empfindet zugleich auch sein „Anderssein“. Mehr und mehr zieht der junge Beethoven sich zurück, flüchtet in seine eigene Traumwelt – und zusehends in die Einsamkeit.
Die Kinder freuen sich diebisch, als sie aus ihrem Versteck heraus die Nachbarin beobachten – aus sicherer Entfernung, versteht sich. In ihrem Gesicht eine Mischung aus Wut und Angst. Auf Zehenspitzen stolziert sie durch ihren Garten auf der vergeblichen Suche nach der streunenden Füchsin, die schon wieder die Eier aus ihrem Hühnerstall geplündert hat. Ludwig spielt Streiche wie diesen. Ludwig spielt Huckepack mit seinen Vettern. Ludwig sitzt auf der Schaukel und wird
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von der Bäckerstochter angeschubst. Ganz selten sind für ihn so übermütige Momente, die für die anderen Kinder beinahe alltäglich sind. Sie streifen durch die Wälder, erleben Abenteuer in Bonn, auf dem Rhein oder am Ufer, spielen und scherzen. Ludwig ist nicht dabei. Jedenfalls erinnert sich niemand. Der Junge reagiert mit Jähzorn auf den Diebstahl seiner unbeschwerten Kindheit – und mit Melancholie. Dann sieht man ihn an seinem Fenster sitzen, wie er den Kopf in beide Hände legt und lange auf einen fernen Fleck zu starren scheint. Er schließt sich auf dem Dachboden ein, wo ein Fernrohr auf ihn wartet. Damit schaut er dreißig Kilometer weit. Über den Rhein hinweg, wo die anderen spielen, lässt er seine einsamen Blicke und Gedanken bis hin zum Siebengebirge schweifen. Ist es einer dieser Momente, als Ludwig zum ersten Mal an seinen toten Bruder denkt? Seinen „großen“ Bruder, ein Jahr älter als er selbst wäre er. Nur sechs Tage hat er leben dürfen. Ob Vater und Mutter ihn mehr geliebt haben, den erstgeborenen Sohn, das erste Kind überhaupt? Vielleicht hat ja Beethoven später, als er sein wahres Geburtsjahr beharrlich leugnet, schlicht und ergreifend auch einem sehnlichen Verlangen nachgegeben, einem eigentlich unerfüllbaren Wunsch: selber der erstgeborene, der geliebte Sohn gewesen zu sein. Tatsache ist, dass Beethoven des toten Bruders sein Leben lang gedenkt. Dies mag (auch unbewusst) seinen Ehrgeiz anstacheln, noch besser zu werden, als er ist. Der Ältere hat nie die Chance gehabt, zu leben und es dem Großvater gleichzutun. Oder ist es mehr die Erinnerung an diesen, den Helden, das Vorbild, dem er nacheifert? Nicht umsonst hat er sein Leben lang den Gedanken, selbst Kapellmeister zu werden, nie ganz aufgegeben. Womöglich ist es ja beides – gepaart mit dem Bewusstsein, dass der Tod ein ständiger Begleiter ist, der alles beenden kann – spät oder früh; wie bei „den beiden Ludwigs“ vor ihm, dem Großvater, dem Bruder. Und bald auch bei seinen Eltern und Geschwistern. Dies mögen jedenfalls Erklärungen dafür sein, dass Beethoven die Musik, die ihm vom Vater eingeprügelt worden ist, nicht mit Widerwillen oder gar Hass erfüllt, sondern – ganz im Gegenteil – im Mittelpunkt der Traumwelt steht, in die er geflüchtet ist. So gut wie jede Stunde seiner Tage widmet er ihr bald. Denn in ihr findet er Erfüllung
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und Glück. Später wird Beethoven erzählen, dass er – ganz ohne die Schläge des Vaters – bis weit nach Mitternacht geübt hat, um seine Technik nach und nach zu vervollkommnen. Auch wenn er kein Wunderkind wie Mozart ist: In seinem zweiten Lebensjahrzehnt stellen sich rasch die ersten Erfolge ein. Und vieles wird anders werden für Ludwig van Beethoven.
Erste Förderer Der Erfolg ist untrennbar mit einem Namen verbunden: Christian Gottlob Neefe. Der Komponist, Dirigent und Organist am Hof des Kurfürsten merkt sofort, dass der Elfjährige eine geniale Begabung besitzt. Und im Gegensatz zu dem Vater fördert er als neuer Lehrmeister sie auch, vor allem das eigene Komponieren. Neefe verschafft dem Jungen feste Anstellungen als Organist und Cembalist und sorgt dafür, dass Beethovens erste Kompositionen erscheinen. Er preist ihn öffentlich als „ein zweiter Wolfgang Amadeus Mozart“ an, und in Carl Friedrich Cramers „Magazin der Musik“ erscheint die folgende Notiz: „Louis van Beethoven … ein Knabe von 11 Jahren, und vielversprechendem Talent. Er spielt sehr fertig und mit Kraft das Klavier, liest sehr gut vom Blatt, und um alles in einem zu sagen: Er spielt größtenteils das Wohltemperierte Klavier von Sebastian Bach, welches ihm Herr Neefe unter die Hände gegeben.“ Das ist eine klare Ansage. Reiche Gönner finden sich nun bald, die das junge Genie fördern wollen: Kurfürst Maximilian Franz, Graf Waldstein und andere. Beethoven knüpft wichtige Kontakte zu den vornehmen Kreisen in Bonn. So wird er Klavierlehrer der beiden Kinder im Haus der verwitweten Hofrätin Helene von Breuning und rasch zum Freund dieser gebildeten Familie. Alles scheint sich plötzlich zum Guten zu wenden, der Aufstieg mutet unaufhaltsam an. Und Ludwig verändert sich dadurch – auch äußerlich. Wie darf man ihn sich zu dieser Zeit vorstellen? Trotz seiner breiten Schultern wirkt er eher gedrungen, was auch an seinem kurzen Hals und dem nach vorne gebeugten Gang liegen mag. Sein rundliches Gesicht ist dunkelbraun, die Augen pechschwarz, was ihn südeuropäisch aussehen lässt. „Spaniol“ wird er genannt. Jetzt läuft er nicht mehr
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ungepflegt und nachlässig gekleidet herum, sondern trägt stolz und selbstbewusst die Gala-Uniform des Hofmusikers: grüner Frackrock, kurze Schnallenhose, weiße Seidenstrümpfe und Schuhe mit schwarzer Schleife, unter dem linken Arm einen Degen. Sein Haar ist nach der Herrenmode der Zeit frisiert, mit Locken und einem Zopf. So bricht Beethoven Ende März 1787 nach Wien auf. Er soll da jemandem am Klavier vorspielen, vielleicht sogar Unterricht bei ihm nehmen. Neefe hat die Sache vermittelt, der Kurfürst unterstützt sie finanziell. Wie fühlt sich wohl der Sechzehnjährige in dem Moment, als er von den Eltern Abschied nimmt, eine Kutsche besteigt und sich alleine auf den weiten Weg macht? In eine der größten Städte Europas, zu einem Mann, dem die Musik-Welt zu Füßen liegt, der mit seinen 31 Jahren auf dem Gipfel seines Ruhmes steht: Wolfgang Amadeus Mozart.
Vorspiel bei Mozart Nicht viel ist bekannt über die einzige Begegnung der beiden wohl größten Komponisten aller Zeiten. Für Beethoven ist sie eine riesige Enttäuschung. Einer Anekdote zufolge soll er Mozart tatsächlich besucht und ihm vorgespielt haben. Doch dessen Reaktion ist zunächst kühl, als der Junge ihm ein Stück zu Gehör bringt, das er wieder und wieder geübt hat. Daraufhin jedoch soll Beethoven ein Thema, das Mozart ihm vorgegeben hat, überwältigend variiert haben. Das große Lob des Meisters hört er nicht: Mozart geht zu seinen Freunden ins Nebenzimmer und sagt begeistert: „Auf den gebt Acht. Der wird einmal in der Welt von sich reden machen.“ Der Junge bekommt diesen Satz nicht zu hören; beschämt, verletzt, gedemütigt bleibt er zurück. So weit die Anekdote. Ob es auch zu Unterrichtsstunden gekommen ist, weiß man nicht genau. Und wenn, dann können es nicht sehr viele gewesen sein, denn nach nur zwei Wochen schlägt das Schicksal grausam zu. Ein Brief aus Bonn erreicht ihn, vom Vater. Ludwig muss sofort aufbrechen und zurückreisen. Seine Mutter liegt im Sterben: Lungentuberkulose, genannt Schwindsucht. Sie ist erst 40 Jahre alt. Nur die Hoffnung auf Ludwigs Rückkehr soll sie noch am Leben halten. Der Sohn kommt rechtzeitig, um am Totenbett für immer Ab-
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schied zu nehmen. Nach ihrem Tod schreibt er in einem Brief an einen Bekannten, den er auf der Rückreise in Augsburg kennen gelernt hat: „Ich traf meine Mutter noch an, aber in den elendsten Gesundheitsumständen; sie hatte die Schwindsucht und starb ungefähr vor sieben Wochen … nach vielen überstandenen Schmerzen und Leiden. Sie war mir eine so gute, liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin; O wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen?“ So viele Worte des Mitgefühls und der Liebe, die von der Mutter zu ihren Lebzeiten nicht erwidert worden ist. Aber ob der Sohn sich dessen wirklich bewusst ist? Ganz sicher weiß er, dass seine Pläne vernichtet, zerstört sind. Statt in Wien von Mozart unterrichtet zu werden, muss er in Bonn bleiben. Er hat seiner Mutter nämlich am Totenbett etwas versprechen müssen, hoch und heilig: dass er nun ihre Rolle übernimmt und die Familie beschützt, seine beiden Brüder Karl und Johann, die kleine, nicht einmal zweijährige Schwester Maria und – den Vater. Welch eine ungeheure Verantwortung, welch eine Last für einen siebzehnjährigen Jungen, Beschützer und Ernährer einer sechsköpfigen Familie sein zu müssen! Aber Ludwig hat sein Wort gegeben und wird es sein Leben lang nicht brechen. Zunächst einmal ahnt er, was ihn jetzt nach dem Tod der Mutter zu Hause erwartet.
Last als Familienoberhaupt Johann van Beethoven verliert nicht nur seine Ehefrau, sondern auch jeden Halt, jeden Bezug zur Wirklichkeit. Er trinkt mehr denn je, treibt sich bis in die Morgenstunden in Lokalen herum, ist eine Schande für seine Kinder. Ein ums andere Mal muss Ludwig mit seinen beiden jüngeren Brüdern mitten in der Nacht auf die Suche nach ihrem Vater gehen. Verzweifelt verhandelt der Sohn sogar mit der Polizei und kann verhindern, dass der Sturzbetrunkene verhaftet wird. Schließlich kommt es, wie es kommen muss: Johann wird – mit 50 Jahren – wegen Alkoholismus vorzeitig aus dem Dienst entlassen. Immerhin gelingt es Ludwig, durch einen Bittbrief den Kurfürsten davon zu überzeugen, die Hälfte der Pension an ihn, den Sohn, auszuzahlen, damit er die Familie versorgen kann. Das Geld jedoch reicht alleine
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nicht. Der junge Beethoven muss neben seiner durch Neefe vermittelten Stellung bei Hof zusätzlich Klavierstunden geben, was er nur sehr ungern tut. „Nebenher“ kümmert er sich um die Ausbildung seiner Brüder: Karls musikalische Begabung muss gefördert werden, Johann wird bei einem Apotheker in die Lehre gegeben. Ein weiterer Schicksalsschlag hat ihm auch die Schwester genommen, die kleine Maria, die er beschützen sollte. Keine sechs Monate später folgt sie ihrer Mutter in den Tod, nicht einmal zwei Jahre ist sie alt geworden. Welche eine ungeheure, unvorstellbare Leistung ist es, dass Beethoven neben seinen vielen Verpflichtungen auch noch die Zeit für das Üben und Komponieren findet! Eine Fülle von Jugendwerken – etwa 50 – entstehen in diesen schweren Jahren. Wie viele Stunden muss sein Tag gehabt haben? Und wie prägend sind solche Erfahrungen für das weitere Leben? Glücklicherweise steht ihm eine Frau zur Seite, die eine Art Ersatzmutter für ihn wird und eine wichtige Stütze: die Witwe von Breuning, die – wie wir wissen – selbst einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften hat. Ihr Mann, der Hofrat, ist einer der 14 Toten des Stadtbrandes. In ihrem Haus kann Beethoven unbeschwerte Stunden verleben, hier findet er Wärme, Geborgenheit und – Liebe, und zwar wohl nicht nur ersatzmütterliche. Denn Eleonore, das hübsche Töchterchen der Frau Hofrätin, wird „die erste Frauengestalt, die ihm innerlich stärker zu schaffen macht“, wie ein Biograph des Komponisten mit unübertrefflicher Wärme formuliert. Dass die Siebzehnjährige ihrem nur wenig älteren Klavierlehrer in der Tat so einiges bedeutet haben muss, lässt sich an einem Geschenkwunsch Beethovens ablesen. Fern der Heimat bittet er sein Lorchen in einem Brief aus Wien um ,,eine von Haasen-Haaren [sic] gestrickte Weste von Ihrer Hand“. Mal ehrlich: Kann es etwas Romantischeres geben? Es ist leider nicht bekannt, ob der zum Frösteln neigende Ludwig van Beethoven diese Weste auch trug, als er ein Jahrzehnt später seine Oper „Fidelio“ komponierte, die übrigens zunächst einen ganz anderen Titel tragen sollte: „Leonore“ … Zur Erinnerung ihr Inhalt noch mal in Kürzestfassung: Frau bringt mittels Liebe Licht ins Dunkel eines Mannes. In erster Linie sind es aber natürlich rein ideelle Gründe gewesen, die den Komponisten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Stoff verführten. Wohl kaum die Erinnerung an die erste
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Liebe, sein Lorchen, von der er nicht wissen konnte, dass er sie in seinem Leben nie mehr wiedersehen würde. Im Breuning’schen Hause jedenfalls weitet sich zu dieser Zeit nicht nur das Herz, sondern auch die Bildung des Siebzehnjährigen. Die beiden ältesten Söhne studieren immerhin Recht und Philosophie in Bonn. Auch Ludwig schreibt sich an der Universität als „philosophischer Kandidat“ ein – das ist damals ohne Gymnasialausbildung möglich – und besucht zumindest zeitweise Vorlesungen in Logik, Metaphysik, griechischer Literatur und Moralphilosophie, wenn es seine Zeit erlaubt. Woher er überhaupt noch welche nimmt, bleibt sein Geheimnis. Doch so schön und interessant Liebe und Bildung auch sein mögen: Der für die Karriere Beethovens bedeutendste Effekt des engen Kontaktes zu der Familie von Breuning ist, dass er durch sie die Leute kennen lernt, auf die es manchmal ankommt im Leben. Als besonders wichtig soll sich für ihn ein Förderer erweisen, dem er eine seiner berühmtesten Klaviersonaten widmen wird: Ferdinand Graf von Waldstein.
Freund Graf Waldstein Der junge Adlige, acht Jahre älter als Beethoven, schenkt ihm ein Klavier, unterstützt ihn finanziell und besucht Ludwig häufig in dessen eher armseligen Behausung. Er ist es auch, der schließlich entscheidend dafür sorgt, dass der junge Komponist erneut im Auftrag des Kurfürsten nach Wien reisen kann, um Unterricht zu erhalten. Dem reichen Grafen selbst, der den jungen Beethoven so selbstlos fördert, ist ein trauriges, ein tragisches Schicksal beschieden. Er wird einsam, entehrt und durch Spekulationen völlig verarmt sterben, weil ihm sogar das Geld fehlt, um einen Arzt bezahlen zu können. Dabei ist er reich, ohne es zu ahnen. Vier Tage vor seinem Tod hat er ein großes Vermögen geerbt. Nur die „Waldstein-Sonate“ wird ihn vor der Vergessenheit bewahren und seinen Namen unsterblich machen. Vor der Abreise Beethovens nach Wien schreibt der Graf die berühmt gewordenen Sätze in ein Stammbuch (eine Art Vorläufer des Poesiealbums), das Ludwig von Freunden zum Abschied geschenkt bekommen hat: „Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozarts
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Geist aus Haydns Händen.“ Und das ist er, dieser magische Moment, als zum ersten Mal die drei Komponisten, die „Wiener Klassiker“, in einem Atemzug genannt werden; Waldstein wird sich als wahrer Prophet erweisen. Zu diesem Zeitpunkt kann man bei dem jungen Beethoven nämlich keineswegs ohne Weiteres davon ausgehen, dass er wirklich eines Tages ebenbürtig neben den beiden Meistern stehen würde. Und ja, leider: Ludwig muss sich mit dem Geist des großen Vorbilds begnügen. Wolfgang Amadeus Mozart ist ein Jahr zuvor – gerade erst 35-jährig – gestorben. Aber Joseph Haydn, von ihm „Papa Haydn“ getauft, ist nun der unbestritten größte lebende Komponist – und sein neuer Schüler verehrt auch ihn zutiefst. Und Haydn ist bereits auf das außergewöhnliche Talent des Jungen aufmerksam geworden. Es soll nur eine Studienreise werden. Beethoven hat ganz und gar nicht die Absicht, Bonn den Rücken zu kehren. Sein Herz hängt an dem Ort, wo er die erste Liebe erlebt hat, wo das Grab der Mutter ist – und bald auch das des Vaters: Johann van Beethoven stirbt sechs Wochen nach der Abreise Ludwigs an Herzversagen. In den Briefen an die Jugendfreunde wird immer auch das Heimweh nach Bonn deutlich werden. Erinnerungsstücke an die alte Zeit hebt Beethoven trotz seiner Unordnung sein Leben lang auf. So schreibt er fast vierzig Jahre später einem Freund, drei Monate vor seinem Tod, dass er noch immer den Scherenschnitt von Eleonore von Breuning, die „Silhouette“ von „Lorchen“, besitzt. Selbst im Totenbett wandern seine Gedanken zum Rhein zurück, und er lässt sich von dort eine Kiste Wein schicken. Als Ludwig van Beethoven jedoch Anfang November 1792, im Alter von 21 Jahren, nach Wien aufbricht, kann er nicht ahnen, dass er seine geliebte Heimat nie wiedersehen wird – und nun eine ganz andere Welt betritt.
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Neue Heimat Wien ist mit 220.000 Einwohnern zwanzigmal so groß wie Bonn. Es ist eine multikulturelle Stadt, ein Anziehungspunkt für Menschen verschiedenster Nationalitäten, die schon mit der Kleidung und Sprache das Stadtbild auffällig prägen. Nach der Toleranzgesetzgebung Kaiser Josephs II. sind Juden emanzipiert wie kaum anderswo. Die Innere Stadt ist von einer Mauer mit Basteien, zwölf Stadttoren und einem Stadtgraben umgeben. Davor liegt im Nordwesten ein Seitenarm der Donau, an allen anderen Seiten das Glacis, eine aus militärischen Gründen unverbaute Fläche, die für Spaziergänge von den Wienern geschätzt wird. Es ist die Musikmetropole überhaupt, die Stadt der Träume, nicht nur für Komponisten, Klavier- und Geigen-Virtuosen oder Sänger. Magisch zieht sie zu dieser Zeit alles an, was Rang und Namen hat. Eine Stadt, in der man vor der unerfreulichen Wirklichkeit ganz gerne ins Vergnügen flüchtet. Ernste Themen werden gemieden, wenn Wiener sich unterhalten. Seiltänzer, Jongleure, Marionettenspieler und Kurpfuscher werben auf den öffentlichen Plätzen um die Gunst des Publikums. Im Amphitheater Hetz treten Kunstreiter und Akrobaten im Vorprogramm auf. Die Hauptvorstellung, an der das Publikum sich danach ergötzt, sind blutige Kämpfe, bei denen Raubtiere einander zerfleischen. Bei schönem Wetter spaziert das Volk auf den Wällen, die den Stadtkern Wiens umgeben, oder flaniert im Prater. Man kommt in den zahllosen Kaffeehäusern und Bierhallen zusammen, trifft sich vor allem zum Tanzen in einem der vielen Säle. Dort mischen sich fröhlich die Gesellschaftsschichten. Oft werden Masken getragen, um unerkannt zu bleiben und den Reiz der Begegnung zu erhöhen. Häufig geht man nicht alleine nach Hause – die Zahl der unehelichen Geburten ist kaum geringer als die der ehelichen. Unter den tanzenden Damen finden sich auch etliche, die sich für ihre Dienste bezahlen lassen. Die Prostitution ist weit verbreitet. Als man Kaiser Joseph II. die Errichtung öffentlicher Bordelle vorschlägt, antwortet dieser: „Die Mauern würden nichts kosten, aber die Kosten, welche die Bedachung erforderte, würden ungeheuer sein; denn es wäre durchaus nötig, ein Dach über die ganze Stadt zu setzen.“
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Hierhin also kommt der 21-jährige Ludwig. Man wartet in Wien nur auf jemanden, den man nach Mozarts Tod als neues Idol feiern kann: Und dieser jemand wird Beethoven werden.
Karriere als Pianist und Komponist Im Sturm erobert er die Metropole, zunächst als Klaviervirtuose. Durch Waldsteins Empfehlungsschreiben öffnen sich für ihn die Türen der Adligen, die sich darum reißen, in ihren Salons einen würdigen Nachfolger Mozarts Klavier spielen zu hören. Seit über einem Jahr hat ein solches Ereignis nicht mehr stattgefunden – eine lange Zeit für die musikverrückten Wiener. Beethovens Ruhm als glänzender Pianist ist ihm bereits vorausgeeilt. Man ist gespannt auf diesen Mann. Und der große Tag ist bald gekommen. Heute soll er zum ersten Mal zu hören sein. Wird er sich tatsächlich am Klavier mit Mozart messen können? Hoffentlich sieht er zumindest besser aus als er! Hoffentlich sind seine Manieren feiner! Man hat sich im Salon des Fürsten versammelt. An die hundert Gäste sind anwesend. Der gesamte Hochadel ist vertreten. Das Licht unzähliger Wachskerzen wird von wandhohen venezianischen Spiegeln zurückgeworfen und erfüllt den weiten Raum. In Rot, Blau, Grün, Gelb, Lila, Weiß schimmern die herrlichen Kleider der Damen. Sie zeigen ihre blassen Schultern, ihr weiß gepudertes, kunstvoll frisiertes Haar, ihre Halsbänder, Diademe und Armgehänge. Stimmengewirr ist zu hören und das Klirren der Champagnergläser, die von einer Schar Lakaien nachgefüllt werden. Eine Glocke läutet. Der Fürst bittet darum, im Musikzimmer Platz zu nehmen. Beethoven ist gekommen.
Ein kleiner, breitschultriger Mann betritt an der Seite des sichtbar stolzen Hausherrn den Raum. Immerhin: Er ist sehr schlank und elegant gekleidet – dunkelgrüner Frack, schwarz-seidene Strümpfe. Das gefällt den Damen (und einem Herrn …). Nachdem sein Name genannt worden ist, nickt er jedoch nur kurz und setzt sich wortlos an den Flügel, ohne die Anwesenden auch nur eines Blickes zu würdigen. Nicht einmal ein Lächeln kommt über seine Lippen. Man ist „not
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amused“. Doch alle spüren sofort: Dieser Mann ist anders; anders als sie, anders als alle anderen. Was geht in Beethovens Innerem vor, wenn er zum ersten Mal den Salon eines Adligen betritt? Er ist nur äußerlich kühl. Niemand kann hinter die Fassade dieses Mannes blicken, der als Hochsensibler Menschenansammlungen und banale Gespräche verabscheut. Sein Herz rast, als er vor der Tür steht. Und kaum hat er den ersten Fuß in den Raum gesetzt, da wird er auch schon von einer unglaublichen Fülle von Sinneswahrnehmungen überflutet. Nicht nur Gerüche und Geräusche dringen auf ihn ein, sondern auch die vielfältigen Stimmungen der anwesenden Personen, die er augenblicklich spürt, als wären es die eigenen. Wenn ihn jetzt jemand anspricht, kann es gut möglich sein, dass ihm die Stimme versagt und er außerstande ist, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch wer ihn nur von außen erlebt und Klavier spielen hört, kann all das nicht im Entferntesten ahnen. Mit seiner kräftigen, schwarz behaarten Hand streicht er sich energisch über seinen kurzen, derben Nacken. Die Komtess im weißen Seidenkleid, die schräg hinter ihm Platz gefunden hat, betrachtet den großen Kopf des Fremden fasziniert. Kohlschwarzes, gewelltes Haar, lange Koteletten; ein gerötetes Gesicht voller runder Narben. Sie lässt ihre Augen von der breiten, gewölbten Stirn über die klobige Nase wandern. Als ob Beethoven ihre Blicke spüren würde, wendet er sich plötzlich um zu ihr. Sie schrickt zusammen. In unheimlichem Glanz leuchten unter buschigen Augenbrauen kleine, schwarze Augen, die sie zu durchdringen scheinen. Sein kleiner Mund ist zart geformt. Ein tiefes Grübchen spaltet das breite Kinn. Jetzt legen sich seine kurzen, kräftigen Finger auf die Tasten des Klaviers, und Beethoven beginnt zu spielen. Bei den ersten donnernden Akkorden fährt dem Publikum der Schreck in die Glieder. So hat vor ihm noch nie jemand in die Tasten gehauen. Der Fürst bangt schon um seinen neuen, teuren Flügel. Der ganze Raum scheint angefüllt mit den Klängen, die er dem Instrument entlockt. Wie ein wild schäumender Fluss ist sein Spiel, denkt ein Baron. Und die Komtess hinter Beethoven sieht, mit welcher Leidenschaft er spielt, wie seine Gesichtsmuskeln anschwellen, seine Adern hervortreten und der Mund zu beben scheint. Ein Zauberer ist er, denkt sie, der von den Geistern überwältigt
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wird, die er selbst gerufen hat. Als hätten übernatürliche Kräfte Besitz ergriffen von ihm. Dabei verrät sein Körper nichts davon. So ruhig, so edel geradezu sitzt er am Klavier, mit geradem Rücken, den Kopf leicht nach vorne geneigt. Als der letzte Akkord verklingt, blickt Beethoven sich um. Er wirkt verstört, wie in Trance, als ob er gerade aus einem Alptraum erwacht wäre. Ringsumher schaut man sich fassungslos an. So etwas haben sie noch nie in ihrem Leben gehört! Diese ungeheure Kraft, diese Perfektion, diese Geschwindigkeit, selbst bei Sprüngen, Skalen, Doppeltrillern. Und eine ganze Stunde ist vorbei? Alles schon vorbei? Die Komtess in Weiß trocknet sich verstohlen die Tränen. Sie ist nicht die Einzige. Die Fürstin ist bei dem langsamen Satz sogar in lautes Weinen ausgebrochen.
So schildern Augenzeugen die Wirkung des Pianisten Beethoven auf seine Zuhörer. „Schönfelds Jahrbuch“ von 1796 urteilt etwas sachlicher: „ein musikalisches Genie … Er wird allgemein wegen seiner besonderen Geschwindigkeit und wegen den außerordentlichen Schwierigkeiten bewundert, welche er mit so vieler Leichtigkeit exequiert.“ Doch kein Wort über des Meisters Erfolgsrezept. Was hat er, das die anderen nicht haben? Dass er als Perfektionist bis in die Nacht geübt hat, um seine Technik zu vervollkommnen? Ganz sicher. Doch ganz abgesehen von Hochbegabung gepaart mit gründlicher Ausbildung und viel Übung: Vielleicht ist auch das „Handwerkszeug“ – im wahrsten Sinne des Wortes – Teil seines Geheimnisses; denn Beethovens Hände sind nicht besonders groß, laut seines Schülers Carl Czerny „spannte“ er „kaum eine Decime“, und er spielt nicht mit gestreckten, sondern gebogenen Fingern unter „Gebrauch des Daumens“, was ihm ein Legato ermöglicht, „das er … in einer so unübertrefflichen Art in seiner Macht“ hat und das „alle anderen Pianisten auf dem Fortepiano für unausführbar“ halten zu seiner Zeit. Meint jedenfalls Czerny. Durch dieses brillante, hinreißende, nie gehörte Klavierspiel, das die Zuhörer stellenweise zu Tränen rührt, macht Beethoven als Pianist
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in Wien rasch Karriere, schafft es an die Spitze. Doch er muss seine führende Position behaupten. Denn Wien ist eine Stadt der Pianisten. Weit mehr als 300 von ihnen gibt es, sehr viele unterrichten einige der annähernd 6.000 Klavierschüler – Kinder aus besseren und besten Familien. Es gibt also durchaus andere Männer, die auch hervorragend Klavier spielen können, nur eben bei weitem nicht so gut wie er. Beethoven betrachtet sie dennoch als seine Rivalen und geht nicht gerade zimperlich mit ihnen um. So schreibt er in einem Brief an Eleonore von Breuning, dass er die Absicht hat, „die hiesigen Klaviermeister in Verlegenheit zu setzen“, von denen er manche als seine „Todfeinde“ bezeichnet, an denen er sich „rächen“ will. Ob das wirklich ernst gemeint ist? Es kommt tatsächlich in den nächsten Jahren zu mehreren Klavierwettbewerben zwischen Beethoven und verschiedenen Herausforderern. Das ist an sich nichts Neues, hat es Jahrzehnte zuvor schon häufiger gegeben: Scarlatti gegen Händel, Marchand gegen Bach, Mozart gegen Clementi … In Wien jedoch häufen sich fortan diese „Duelle“. Die Idee dafür kommt jedoch nicht von Beethoven selbst. Der Grund ist vielmehr, dass Adelsfamilien, die etwas darstellen wollen, sich einen eigenen Hauspianisten „halten“. Und jede Familie behauptet natürlich, den besten zu haben. Die Konkurrenz ist hart. Gönner und Verehrer der verschiedenen Klavierspieler bilden beinahe „feindliche Lager“. So muss Beethoven, der lange Zeit in Diensten des Fürsten Lichnowsky steht, gegen andere Pianisten öffentlich antreten – ob er will oder nicht.
„Den wollen wir zusammenhauen“, sagt der damals berühmte Klaviervirtuose Abbé Joseph Gelinek vor einem Wettspiel, um am nächsten Tag nach einem kleinlauten Bericht auszurufen: „In dem jungen Menschen steckt der Satan. Nie habe ich so spielen gehört! Er bringt auf dem Klavier Schwierigkeiten und Effekte hervor, von denen wir uns nie etwas haben träumen lassen.“ Auf die Frage, wer der Gegner denn gewesen sei, antwortet Gelinek: „Es ist ein kleiner, hässlicher, schwarz und störrisch aussehender junger Mann, und er heißt Beethoven.“ Eigentlich müsste den Ausrichtern von vornherein klar sein, wer gewinnen wird. So gesehen, machen die Wettbewerbe, die diesen
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Namen nicht verdienen, wenig Sinn. Man muss sie wohl mehr als ein besonderes gesellschaftliches Ereignis ansehen, ein „Event“ auf hohem Niveau, nur weniger blutig als die Tierkämpfe im Amphitheater Hetz. Im Jahr 1799 kommt es gleich mehrmals zu einem Aufeinandertreffen mit dem Pianisten Joseph Wölffl in der Villa eines Bankiers (mit vorhersehbarem Ausgang), und ein Jahr später findet ein weiteres, legendär gewordenes „Duell“ Beethovens statt: Im Hause des Grafen Fries trifft er auf Daniel Steibelt, einen der größten Klaviervirtuosen, der allerdings auch als eitel und arrogant beschrieben wird. Und so behandelt er seinen Gegner auch – was keine gute Idee ist. Denn Beethoven ist außer sich vor Wut. So endet es wenig überraschend in einem fürchterlichen Debakel für den Herausforderer. Der arme Kerl unterliegt nicht nur deutlich, er wird sogar vor dem versammelten Adel gedemütigt. Beethoven nimmt nämlich ein Notenblatt seines Kontrahenten, stellt es für alle sichtbar auf den Kopf und improvisiert zu den Noten freie Variationen! Steibelt verlässt mit roten Ohren fluchtartig den Ort des Geschehens und in derselben Nacht noch Wien.
Beethovens Ruf als Meister der Virtuosenkunst dringt bald über die Wände der adligen Salons, die Mauern der Stadt und die Grenzen des Landes hinaus. Öffentliche Auftritte in Wien folgen. Bezeichnenderweise ist der erste eine Art Benefiz-Konzert „zum Besten der Witwen der Tonkünstlergesellschaft“. Sein Leben lang werden soziale Anliegen für Beethoven wichtig sein. Er vergisst nie seine eigene Herkunft und das harte Los, als ältester Sohn eine ganze Familie alleine versorgen zu müssen. Und auch die Bilder der Bettler Bonns vor den Palästen der Reichen sind sicher in ihm haften geblieben. Dass seine „Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen“ soll, schreibt er in einem Brief an den Jugendfreund Wegeler. Im Alter von 25 Jahren geht es „auf Tournee“: Beethoven gibt Konzerte in Prag, Dresden, Leipzig und Berlin, wo er dem preußischen König Friedrich Wilhelm II. vorspielt; eine goldene Tabaksdose des entzückten Monarchen wird ihn fortan begleiten. Doch nicht nur als Konzertpianist, sondern auch als Komponist macht Beethoven mehr und mehr auf sich aufmerksam. „Außerordent-
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liches Aufsehen“ erregen seine Schöpfungen der frühen Wiener Jahre. „Das ist der Mann, der uns für den Verlust Mozarts trösten wird“, sagt der Musikverleger Cramer über die Klaviertrios op. 1. Bald entstehen die ersten Meisterwerke, die unverkennbar „Beethoven“ sind: die Klaviersonaten „Grande Sonate“ (Es-Dur op. 7), „Pathétique“ (c-Moll op. 13) und „Mondschein“ (cis-Moll op. 27/2), das 3. Klavierkonzert (c-Moll op. 37) und natürlich die beiden fulminanten Sinfonien Nr. 1 (C-Dur op. 21) und Nr. 2 (D-Dur op. 36). Seine Musik, die so neu, so anders, so revolutionär ist, wirkt oft genug schockierend in den Ohren der Wiener. Nie hat eine Sinfonie so originell begonnen wie Beethovens Erste, nie hat man ein so leidenschaftliches Klavierwerk gehört wie die „Mondscheinsonate“. Beethovens erste Jahre in Wien sind also eine ausgesprochen erfolgreiche Zeit. Joseph „Papa“ Haydn ist allerdings – entgegen aller Erwartung – keine große Hilfe bei der Karriere des Schülers Ludwig gewesen.
Unterricht bei Papa Haydn Recht flüchtig ist der Unterricht. „Papa“ hat Wichtigeres zu tun, muss zum Beispiel seine nächste Reise nach England, wo er geradezu vergöttert wird, vorbereiten. Auch ist er zu dieser Zeit psychisch angeschlagen: Mozarts Tod und der einer sehr engen Freundin haben ihn tief getroffen. Darüber hinaus beschäftigt ihn sein Liebesleben sehr, ist der erst 60-Jährige doch in Affären mit gleich zwei Frauen, einer Londoner Witwe und einer italienischen Sängerin, verwickelt und leidet daheim unter seiner wenig verständnisvollen Ehefrau, deren baldiges Ableben er herbeisehnt. Da kann man verständlicherweise schon mal den Kopf verlieren. So wird es übrigens dem toten Haydn ergehen. Buchstäblich. Ein Verehrer des großen Komponisten, gelernter Chirurg, trennt vom aufgebahrten Leichnam heimlich das Haupt ab, das in einer ledernen Hutschachtel 150 Jahre lang ehrfürchtig weitergereicht wird. Erst 1959 werden Kopf und Rumpf gemeinsam beigesetzt. Noch Schlimmeres wird Beethovens sterblichen Überresten widerfahren. Doch dazu später mehr … Zurück zu dem Lehrer und seinem Schüler. Mag sein, dass auch
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Eifersucht auf das Genie des so viel Jüngeren ein Grund für den wenig ergiebigen Unterricht ist, der darüber hinaus – im Gegensatz zu Haydn – sehr schnell vom Wiener Adel akzeptiert worden ist. Das weiß Ludwig vermutlich zu dem Zeitpunkt nicht, sehr wohl aber, dass die Stunden ihm wenig bringen. Als sein Lehrer wünscht, dass auf dem Titelblatt der ersten Werke der Zusatz „Schüler von Haydn“ steht, wird er bitter enttäuscht. Sein Zögling lehnt dies schlichtweg ab, weil er – wie er später bemerkt – mehr Schachspielen als Komponieren bei ihm gelernt habe. Trotzdem: Privat versteht man sich offenbar, was eine Eintragung Beethovens in seinem kleinen Haushaltsbüchlein verrät. Er hat sich für den Meister offenbar in Unkosten gestürzt und 22 Kreuzer investiert: „Für Haydn und mich Schokolade“. Vielleicht spielt ja das schlechte Gewissen eine kleine Rolle: Der Schüler hat sich nämlich heimlich, hinter „Papas“ Rücken, einen neuen, gewissenhafteren Lehrer gesucht, Johann Schenk, dem andere folgen werden, beispielsweise Johann Georg Albrechtsberger und Antonio Salieri (dem bis heute – sicher zu Unrecht – ein Mord in die Schuhe geschoben wird, an keinem Geringeren als Mozart!). Haydn hat Beethoven die Untreue jedoch nie verübelt und sich später immer wieder nach seinem ehemaligen Schüler erkundigt; dieser wird im Gegenzug den Namen des Meisters stets mit Ehrfurcht aussprechen. Ein Bild des Lehrers wird an seinem Totenbett stehen und zuvor einen der letzten Tobsuchtsanfälle des Sterbenden auslösen: Der Unglückliche, der den Rahmen anfertigte, hat einen fatalen Fehler begangen und am unteren Rand die Inschrift „Jos. Haydens Geburtsort in Rohrau“ eingefügt. Beethovens Gesicht überzieht sich mit Zornesröte: „Wer hat denn das geschrieben? … Wie heißt der Esel? … weiß nicht einmal den Namen eines Meisters wie HAYDN richtig zu schreiben.“ Auch ohne den Unterricht bei „Papa“ hätte Beethoven ganz sicher Karriere gemacht; unverzichtbar jedoch sind seine Geldgeber, seine „Mäzene“: reiche Menschen blauen Blutes, in deren Händen das Schicksal des Komponisten zu dieser Zeit liegt.
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Neue Förderer Wie kein Künstler vor oder nach ihm wird Beethoven von den Adligen Wiens gefeiert, gehätschelt und verwöhnt. Die Fürsten, Grafen und Barone überhäufen ihn mit Geld und Geschenken; natürlich nicht ganz uneigennützig: Es schadet dem gesellschaftlichen Ansehen keineswegs, den bedeutendsten Künstler der Stadt zu fördern. Und so wird der junge Beethoven zur gleichen Zeit von mehreren Mäzenen unterstützt, deren Bedeutung für ihn gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, die alle aufzuzählen jedoch wenig sinnvoll wäre. Der wichtigste ist unbestritten Karl Fürst Lichnowsky, in dessen Haus viele Werke Beethovens zum ersten Mal aufgeführt werden und wo dieser einige Jahre lebt. Der Fürst unterstützt das junge Genie mit einer Jahresrente von 600 Gulden, die diesem ein gutes Stück finanzielle Sicherheit gewährt. Beethovens Dankbarkeit für seine Gönner äußerst sich darin, dass er ihnen einige seiner Werke widmet. So mancher Beiname erinnert daher bis heute an den damaligen Geldgeber oder gar „Besteller“ des Werkes. Neben der bereits erwähnten „WaldsteinSonate“ wären beispielhaft die „Rasumowsky-Quartette“ und die „Lobkowitz-Kantate“ zu nennen. Mit vielen Adligen, vor allem mit dem Fürsten Lichnowsky und seiner Frau, entstehen über die bloße „Geschäftsbeziehung“ hinaus echte Freundschaften, die jedoch keineswegs frei von Konflikten sind.
Beethoven sagt seine Meinung, offen und ehrlich. Und lässt sich nicht den Mund verbieten. Er kritisiert seine adligen Freunde, oft unhöflich, manchmal gar verächtlich. Später wird er auch vor dem Kaiser selbst nicht Halt machen. Stets versucht er, so gut es geht, ein Gefühl der Abhängigkeit von seinen Gönnern zu vermeiden. Als er eines Tages zufällig mithört, wie der Fürst einem Bediensteten befiehlt, den Gast selbst ihm gegenüber bevorzugt zu behandeln, schafft er sich am selben Tag einen eigenen Diener an. Später ist es gar ein Pferd, das Beethoven kauft: Lichnowsky hat ihm, weil Beethoven Reitstunden nimmt, seinen Stall zur Auswahl angeboten. Häufig geht er zum Essen in Gasthäuser, speist lieber auswärts als
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„daheim“. Ausgangspunkt dafür ist eine Bitte des Fürsten bezüglich der Mahlzeiten. „Nun soll ich täglich um halb 4 zu Hause sein, mich etwas besser anziehen, für den Bart sorgen usw. – Das halt ich nicht aus!“, erzählt Beethoven einem Freund. Neben der geradezu erdrückenden Fürsorge leidet Ludwig darunter, dass man in ihm in erster Linie das Genie sieht und schätzt, und nicht den Menschen. „Bin ich denn gar nichts als dein Musikus oder der anderen?“, schreibt er in einem Brief wutentbrannt. Hier liegt auch der Grund dafür, dass man Beethoven die Laune gründlich verderben kann, wenn man ihn in einer Gesellschaft zum Klavierspielen auffordert oder – fast noch schlimmer – seinen Vortrag nicht hinreichend würdigt, nach dem der Künstler übrigens zumeist in ein hysterisches Lachen verfällt. Mehr als einmal soll Beethoven jedoch unter Publikumsbeschimpfung das Spiel abgebrochen und einmal sogar wörtlich gesagt haben: „Für solche Schweine spiele ich nicht!“ Berühmt ist auch die Geschichte, wie er sich in einem adligen Salon erst auf hartnäckigstes Drängen hin an das Instrument setzt. Die Gespräche der Anwesenden verstummen, man erwartet mild lächelnd musikalischen Hochgenuss. Beethoven öffnet den Deckel des Klaviers, streicht sich kurz über den Nacken – und sorgt für einen recht kurzen und zweifelhaften Wohlklang des Pianos, indem er beide Arme auf die Tastatur legt. „Das war mein Stück für heute Abend“, sagt er, erhebt sich und geht. Aber dauerhaft kann er sich den Wünschen seiner Förderer schwerlich entziehen. Es wird daher seine Gewohnheit, in einem Nebenraum zu spielen, sodass man ihn im Salon zwar hören, aber nicht sehen kann. Hochsensible lassen sich eben oft nicht gerne bei der Arbeit zusehen. Als eines Abends ein Zuhörer dennoch versucht, heimlich einen Blick auf ihn zu werfen, steht Beethoven vom Klavier auf, nimmt seinen Hut und empfiehlt sich. Es kommt noch schlimmer: Selbst als bei anderer Gelegenheit eine ältere Dame, die Gräfin Thun, vor dem im Sofa Sitzenden sogar auf die Knie fällt und ihn inständig bittet, doch etwas für sie zu spielen, weigert er sich trotzig. Sicher kein sehr feines Benehmen des Herrn van Beethoven! Zumal es sich bei der Gräfin ausgerechnet um die Schwiegermutter seines Gönners Lichnowsky handelt und man gerade in dessen Haus zu Gast ist. Ein ähnlicher, jedoch folgenschwererer Vorfall wird sich auf dem
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Landgut des Fürsten in Schlesien ereignen, auf dem zu diesem Zeitpunkt Soldaten der französischen Besatzungsmacht einquartiert sind. Lichnowsky drängt Beethoven, vor den anwesenden fremden Gästen zu spielen. Dieser weigert sich so hartnäckig, dass es zu einem Wortwechsel kommt. Die Situation eskaliert. Beethoven flüchtet in ein Zimmer und verschließt die Tür, die der Fürst – wenig vornehm – eintritt. Ein Dritter kann daraufhin gerade noch verhindern, dass auf Lichnowskys Kopf ein bereits zum Schlag erhobener Stuhl zerbrochen wird. Beethoven verlässt das Landgut bei Nacht und Nebel, muss über eine Stunde zu Fuß marschieren und kehrt mit der Postkutsche nach Wien zurück. Der brüskierte Gönner findet nur einen zurückgelassenen Zettel. Während er ihn entfaltet, geht daheim seine Büste zu Bruch. Beethovens Wut ist nämlich keinesfalls verraucht und Lichnowsky bekommt diese Zeilen zu lesen: „Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen.“ Das sitzt wohl. Man muss bei diesen heftigen Reaktionen bedenken, dass das Gefühl, eigentlich „gekauft“ zu sein, wohl in jedem Menschen naturgemäß auch Groll und Widerstand hervorruft. Pech für die alte Dame, die das wohl kaum erahnen kann, sich vor versammeltem Adel peinlichst bloßgestellt sieht und Beethoven als einen Flegel ansehen muss. Pech für den Fürsten, dessen Freundschaft mit dem Komponisten nie mehr so innig sein wird. Eine berühmte Anekdote passt an dieser Stelle so gut, dass sie nicht vorenthalten werden darf; auch wenn sie aller Wahrscheinlichkeit nach erfunden ist. Sie zeigt jedoch Beethovens Selbstbewusstsein und sein geradezu rebellisches Verhalten „nach oben“ aufs Allerliebste.
Begegnung mit Goethe Im Sommer 1812 treffen zwei der größten Geister der Menschheitsgeschichte im böhmischen Badeort Teplitz aufeinander: Beethoven und Goethe. Während eines nachmittäglichen Spaziergangs hält man – von Genie zu Genie – ein kleines Pläuschchen über Musik.
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Da nähert sich eine größere Gruppe Leute den beiden, die sich beim Näherkommen als der gesamte österreichische Hof erweist: großes Gefolge, Erzherzog Rudolf in Person und – nicht zu vergessen – Kaiser und Kaiserin. Goethe tritt beiseite, nimmt den Hut ab und verbeugt sich tief. Wie es sich gehört, wenn man der geballten Blaublütigkeit unverhofft begegnet. Doch was macht Beethoven? Er drückt sich den Hut nur noch tiefer in die Stirn, knöpft seinen Mantel zu, verschränkt die Arme und marschiert rücksichtslos geradeaus weiter. Die Kaiserin muss Platz, ihr Gatte nur gute Miene zum bösen Spiel machen. Majestät schüttelt lächelnd den Kopf. Der Erzherzog grüßt Beethoven brav, auch Fürsten und Höflinge hüpfen beiseite. Der peinlichst berührte Goethe, der den Zug passieren lassen muss und später nachkommt, wird mit den Worten empfangen: „Ich habe auf Sie gewartet, weil ich Sie hoch achte. Aber glauben Sie mir, dass Sie diesen Menschen mehr Ehre erweisen, als sie verdienen. Ich selbst ergreife jede Gelegenheit, um ihnen den Unterschied begreiflich zu machen, der zwischen mir und ihnen besteht. Es gibt Tausende von Fürstlichkeiten in der Welt, aber nur einen Beethoven!“ Wie bereits gesagt: Die Anekdote soll eine Erfindung sein, und zwar von einer Frau namens Bettina von Arnim. Sie ist die einzige Quelle dieser Geschichte. Darüber hinaus ist zweifelsfrei erwiesen worden, dass weder Kaiser noch Erzherzog auch nur einen Tag in jenem Sommer in Teplitz gewesen sind – dem einzigen, in dem Beethoven und Goethe einander dort begegneten. Etwas anders verhält es sich mit einer anderen, äußerst bemerkenswerten Begebenheit, die mindestens ebenso den Beigeschmack einer Anekdote hat, und auch sie ist für Beethovens Wesen ungemein bezeichnend. Es handelt sich um die berühmte Geschichte, wie der Komponist wutentbrannt das Titelblatt seiner Dritten Sinfonie zerreißt, auf der als Widmung der Name eines Mannes prangt, von dem die ganze Welt spricht: Napoleon Bonaparte.
„Eroica“ für Bonaparte Napoleons ungeheure Ausstrahlungskraft wirkt zunächst stark auf Beethoven. Vor allem berühren ihn die großen Ziele „Freiheit, Gleich-
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heit, Brüderlichkeit“. Sie können einen Mann nicht kalt lassen, der in seiner Heimatstadt Bonn bittere Armut und verschwenderischen Reichtum nebeneinander gesehen und in Wien die demütigende Arroganz des Adels kennengelernt hat. Beethoven entschließt sich nicht nur aufgrund seiner Begeisterung für Napoleon dazu, ihm seine Dritte Sinfonie zu widmen. Er trägt sich nämlich zu diesem Zeitpunkt mit dem Gedanken, nach Paris überzusiedeln. Der deutsche Komponist ist beileibe nicht der einzige Bewunderer Bonapartes. „Das Schicksal Napoleons war wie ein Hammerschlag auf die Geister seiner Zeit gefallen“, bemerkt Emile Zola. „Wie die Schlange den Vogel“ bezaubert er beispielsweise den Dichter Franz Grillparzer. In Goethes Zimmer steht gar eine Büste des „großen“ Franzosen. Doch stellen bereits Napoleons Eroberungsfeldzüge ein nicht gerade geringes Problem für die Schar seiner Bewunderer dar, so setzt seine Erklärung zum Kaiser dem Ganzen im wahrsten Sinne des Wortes noch die Krone auf. Es herrscht das blanke Entsetzen. Beethovens Schüler Ferdinand Ries schildert eindringlich den unvergessenen Moment, als Beethoven davon erfährt und wütend ausruft: „Ist der auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werden!“ Beethoven geht an den Tisch, fasst das Titelblatt oben an, reißt es ganz durch und wirft es auf die Erde. Die Sinfonie wird in „Eroica“ umgetauft. Aus ist es mit der Bewunderung und zugleich auch mit dem Plan, Wien zu Gunsten der französischen Hauptstadt den Rücken zu kehren. Ein für allemal. Beethovens Gefühle für den Kaiser bleiben jedoch merkwürdigerweise zwiespältig. Als er am 5. Mai 1821 von Napoleons Tod erfährt, sagt er, mit einer Anspielung auf seine Messe op. 86: „Ich habe zu dieser Katastrophe bereits die passende Musik komponiert.“
Hochsensible Persönlichkeit Beethoven ist ganz sicher nicht der Flegel, für den er oft gehalten wird, auch wenn seine zum Teil sonderbaren Umgangsformen Gegenstand zahlreicher Anekdoten sind. Gesellschaftliche Normen scheren ihn offenbar herzlich wenig. Als Ideal schwebt ihm die „Einfachheit der
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englischen Sitten vor“, wie er selbst sagt. Es wird berichtet, dass Beethoven – ein Skandal – erst den Kopf durch die Tür steckt und dann eintritt. Auch will man ihn hemdsärmlig, die Jacke am geschulterten Krückstock baumelnd, im Badener Kurpark gesehen haben! Einige Besucher erzählen, wohl noch unter Schock stehend, der Komponist habe sie im Schlafrock empfangen! Und – eigentlich kaum zu glauben – einem ihm fremden Mann (der eine Nachricht Goethes überbringt) fällt Beethoven ungeniert um den Hals. So etwas ziemt sich doch nicht. Kann oder will Beethoven nicht anders? Gehört es etwa schlicht zum „Marketing“? Gut möglich, dass der Ruf, ein „wilder Mann“ und „ungeleckter Bär“ zu sein, ihm ganz gelegen kommt, quasi als eine Art Markenzeichen von ihm kultiviert wird. Denn in die Umgangsformen der höheren Kreise dürfte ihn die Familie von Breuning hinreichend eingeführt haben. Seine Herkunft kann Beethoven nicht völlig verleugnen. Er tut alles, um anerkannt zu sein, den Adligen auf Augenhöhe begegnen zu können, und versucht, sich einen aristokratischen „Anstrich“ zu verleihen: Er nimmt Reit- und Tanzunterricht und arbeitet im Selbststudium weiter an seiner Bildung. So intensiv sind seine Studien, dass selbst Goethe davon sichtlich beeindruckt ist und dem Komponisten seinen Respekt zollt. Beethoven kennt sich bestens aus, in zeitgenössischer Literatur und erst recht in den „Klassikern“. Mit dem Bleistift hat er Goethes „West-östlichen Divan“ studiert, ist ein Kenner der Werke William Shakespeares und Homers – besonders die Abenteuer des Helden Odysseus verehrt er. Eine Altersfreude wird (wohl eher für ihn!) sein, dass sein Neffe Karl drei Wochen lang, Tag für Tag, nicht weniger als 110 Verse aus der „Odyssee“ ins Deutsche übersetzt. Doch nicht nur in Literatur ist er außerordentlich bewandert, sondern auch in Politik, Philosophie, Religion, Kulturgeschichte, Physik und Astronomie. Von seinem lebenslangen Bildungshunger zeugt eine erlesene Hausbibliothek. Neben den Sommeraufenthalten ist sie übrigens der einzige Luxus, den er sich gönnt, und das ist absolut nichts verglichen mit zum Beispiel Richard Wagner, der sich für seine exquisite Herrenoberbekleidung gar verschuldet. Die Büchersammlung ist wohl nur deshalb nicht so umfangreich wie die Wagners oder eines Johannes
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Brahms, weil Beethoven als Stammgast in Leihbibliotheken ein- und ausgeht. In den Adelskreisen jedoch fällt der Komponist „als nicht wirklich einer von ihnen“ auf, und man kann sich denken, dass einige Blaublütige sich – zumindest heimlich – über den Bürgerlichen amüsiert haben. Vor diesem Hintergrund ist es doch mehr als verständlich, dass Beethoven der in Wien weit verbreiteten Annahme, von vornehmer Geburt zu sein, nicht entschieden widerspricht. Wenn die Leute es doch glauben wollen? „Schuld“ ist sein Namenszusatz „van“. Dieser hat mit Adel nicht unbedingt etwas zu tun, in Beethovens Fall ganz sicher nicht – seine Vorfahren sind flämische Bauern gewesen („van Beethoven“ bedeutet übrigens „vom Rübenfeld“, was der Komponist jedoch kaum gewusst haben dürfte und ganz sicher nicht hätte wissen wollen). In seinen ersten Wiener Jahren nun wird das „van“ sehr häufig in „von“ umgewandelt, und zwar nicht von ihm selbst. In seinen Konzerten wird er mit „Herr von Beethoven“ angekündigt, somit als zweifellos Adliger. Allzu bereitwillig halten ihn daher viele Wiener dafür, und sie können es ja auch nicht besser wissen. Beethoven jedoch lebt ständig unter der Angst, dass Bonner Bekannte den „Betrug“ aufdecken und ihn bloßstellen könnten; mehr als 25 Jahre lang. Bis schließlich im Rahmen eines Gerichtsprozesses alles auffliegt. Nebensächlichkeiten wie diese können Beethoven nicht schaden. Immer wichtiger ist über die Jahre seine Rolle im Musikleben Wiens geworden. Er ist ein mitreißender Pianist, ein grandioser Komponist und – auch wenn es für den Respekt des Adels nicht bedeutend sein mag – eine faszinierende Persönlichkeit, ein außergewöhnlicher Mensch.
Man sieht Beethoven (leider noch immer allzu oft) als einen finsteren, rücksichtslos groben Mann mit ungezügeltem Temperament – dabei ist er feinfühlig, gütig, warmherzig und vor allem: hochsensibel, voller Ängste, die jedoch selten so offen zutage treten wie im Jahr 1812, als der Bildhauer Franz Klein die bekannte Lebendmaske abnehmen will. Kein Wunder, dass die Miene des Komponisten so finster erscheint: Der Künstler gießt zur Herstellung eines Negativs flüssigen Gips auf
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das Gesicht des Bedauernswerten. Es ist eine Tortur. Beethoven fühlt sich unter dem nassen Gips alles andere als wohl und will partout nicht stillhalten. Zum Atmen hat man ihm zwar einen Strohhalm in den Mund gesteckt, doch der erste Versuch scheitert; das Opfer droht zu ersticken. Erst als zusätzlich Röhrchen in beide Nasenlöcher eingeführt werden, gelingt das Werk – um fortan der Nachwelt das falsche Bild eines eher düsteren Beethoven zu vermitteln. Auch bei der Belagerung und Beschießung Wiens durch die Franzosen gibt der Komponist alles andere als den „Titanen“. Er flüchtet angsterfüllt in einen Keller und bedeckt seine Ohren mit Kissen – obwohl sein Hörvermögen zu diesem Zeitpunkt bereits eingeschränkt ist. Beethoven leidet so sehr unter der Situation in den nächsten Wochen, dass an Komponieren gar nicht zu denken ist. Um in der feinen Gesellschaft nicht unangenehm aufzufallen, nimmt er – wie schon erwähnt – Tanzunterricht, und das ist dringend nötig. Denn der Komponist, der neben Melodien auch unsterbliche Rhythmen zu Papier bringen kann, ist außerstande, sich im Takt der Musik auch nur annähernd passend zu bewegen. Durchaus möglich, dass ein missratener Walzer den einen oder anderen Wutausbruch Beethovens nach sich zieht. Sein jähzorniges Verhalten, das er selbst oft genug bereut, ist überliefert und unbestritten; mit Menschenverachtung jedoch hat es nichts, aber auch gar nichts zu tun. Es ist vielmehr die Kehrseite seines hochsensiblen Wesens, die sich in Momenten seelischer Überlastung offenbart. Er wird von Reizen überflutet. Und kann nichts dagegen tun. Auch die außergewöhnlichen Stimmungsschwankungen zwischen großer Ausgelassenheit und tiefer Traurigkeit, unter denen Beethoven sein Leben lang leidet, sind typisch für hochsensible Menschen. Weltschmerz überfällt sie plötzlich und unerwartet, ohne dass sie die Ursache dafür kennen. Beethoven selbst spricht dies sehr deutlich in seinem frühen Brief aus, in dem er über den Tod seiner Mutter berichtet. Dort stellt er seine „melankolie“ auf nahezu dieselbe Stufe wie seine Krankheiten; sie ist „fast eben so großes übel“. Er kann „himmelhoch jauchzend“, dann aber auch „zu Tode betrübt“ sein. Einer Freundin schreibt er: „Ich kam diesen Morgen erst um vier Uhr von einem Bacchanal [Trinkgelage], wo ich sogar viel lachen musste, um heute beinahe ebensoviel zu weinen.“ In düsteren Momenten
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wie diesem sind Tod und Sterben oft gegenwärtig; Selbstmordgedanken sind Beethoven daher nicht fremd. Wirklich traurig ist, dass sein Verhalten, das er sich selbst nicht erklären kann, auf seine Mitmenschen „krankhaft“ wirken muss. Dabei ist er nur anders als sie. Trost sucht und findet Beethoven in der Natur, die er über alles liebt. Sie ist laut Therese von Brunsvik „seine einzige Vertraute, seine Zuflucht“. Als Hochsensibler braucht er sie als Rückzugsort, wo er seiner Seele Erleichterung verschaffen kann. Auf Spaziergänge will er daher bis kurz vor seinem Tod nicht verzichten. Seine letzten Kompositionen vollendet Beethoven, nachdem er stundenlang über das freie Feld gestreift ist. Er hat seiner geliebten Natur in der Sechsten Sinfonie, der sogenannten „Pastorale“, für alle Ewigkeit ein Denkmal gesetzt. Auch die Extreme der Seele des Komponisten haben ihren Niederschlag in seiner Musik gefunden. In ihren scharfen Ausdruckskontrasten zwischen Wärme und Schroffheit spiegeln die späten Streichquartette die eigensinnige, hochsensible Persönlichkeit bestens wider. An dieser Stelle sei außerdem auf den 4. Satz des Streichquartetts op. 18/6 (1800) hingewiesen, von Beethoven überschrieben mit „La Malinconia“: ein Abbild von Sehnsucht, Schwermut und Zerrissenheit. Eine musikalische Version des Kupferstichs von Albrecht Dürer.
Ferdinand Ries wundert sich, wie sein Lehrer es überhaupt fertigbringt, sich zu rasieren. Und tatsächlich ist Beethovens Gesicht hin und wieder mit Schnittwunden bedeckt. Man glaubt, er sei ungeschickt, denn dauernd wirft er Dinge um oder zerbricht sie. Dabei sind es die typischen Missgeschicke, die einem Hochsensiblen in Momenten nervlicher Anspannung unterlaufen – wie seine Schrittfehler beim Tanzen. In seinen frühen Wiener Jahren ist er noch elegant, gelegentlich sogar nach der Mode gekleidet, mit fortschreitendem Alter allerdings wirkt er auf andere „höchst nachlässig, ja unreinlich …“. Wohlmeinende Freunde tauschen daher heimlich abends am Bett des Schlafenden die getragene Kleidung gegen frische aus, was Beethoven nicht einmal bemerkt. Auch von einer Frisur im eigentlichen Sinne kann man später kaum noch sprechen. Ihr gilt sein „letztes Augenmerk“, wie er in einem
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Brief selbst einräumt. Beethoven lässt sein krauses, widerborstiges Haar wachsen, wie es will, kämmt es nicht und wäscht es unregelmäßig. Sein eigensinniger Wuschelkopf wird schon zu seinen Lebzeiten als Symbol gelten für eine eigenwillige, sich nichts und niemandem beugende Persönlichkeit. Als zurückhaltend und steif wird er im Umgang mit Fremden beschrieben, was ihm als Arroganz ausgelegt wird. Dass hinter der rauen Schale jedoch ein eher schüchterner, hochsensibler Mensch steckt, der sich vor Kränkungen schützen will, ahnen die wenigsten. Sie erleben ihn nur „von außen“, sehen, wie er voller Wut aus einer vornehmen Abendgesellschaft davonstürzt, weil man ihm keinen Platz an der Haupttafel zugewiesen hat, wundern sich darüber, dass er selbst Fürsorglichkeit (die er als übertrieben oder falsch empfindet) nicht ertragen kann und daher von einem Moment auf den anderen den Landsitz eines Adligen verlässt. Sein triftiger Grund: Man hat ihn doch tatsächlich jeden Morgen gefragt, ob es ihm gut geht. Selbst engste Freunde haben unter Beethovens Wutanfällen zu leiden, für die er sich anschließend jedoch meist voller Reue entschuldigt. Überhaupt kann er sehr warmherzig sein, was auch viele seiner Briefe bezeugen, die vor überschäumendem Witz sprühen und mitunter unflätige Wortspiele enthalten. Es kommt allerdings hin und wieder auch vor, dass Beethoven im Umgang mit seinen Mitmenschen die Grenze zu körperlicher Gewalt überschreitet; die er ja selbst am eigenen Leib oft genug hat ertragen müssen – denkt man nur an den Vater und Lehrer Krengel zurück. Die Betroffenen jedoch wissen das nicht, die als Diener mit unerwünschtem Essen beworfen oder als Haushälterin mit Eiern und Büchern bombardiert werden. Auch wenn sie dies ganz sicher nicht komisch finden: Beethoven besitzt durchaus – wenn auch einen recht eigentümlichen – Humor, den er selbst auf dem Totenbett nicht verlieren soll. Sterbenskrank vergleicht er den Arzt Dr. Seibert, der bei ihm eine Bauchwasserpunktion durchgeführt hat, mit Moses, nur hat der bekanntermaßen mit einem Stab das Wasser aus einem Felsen geschlagen. Und ein Fels war er eben nicht. Ganz und gar nicht.
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So berichtet er einer Bekannten von einem Vorfall, bei dem er mal wieder die Kontrolle über sich verloren hat: „Die Fräulein Nanny ist ganz umgewandelt, seit ich ihr das Halbdutzend Bücher an den Kopf geworfen. Es ist wahrscheinlich durch Zufall etwas in ihr Gehirn oder schlechtes Herz geraten.“ Ein anderes Beispiel für Beethovens Humor: Nachdem sein Bruder Johann, der Apotheker, später zu einigem Wohlstand gelangt und sich ein eigenes Landgut zulegt, fügt er seiner Unterschrift stolz die Bezeichnung „Gutsbesitzer“ an. Als Beethoven einen so unterzeichneten Neujahrsgruß von ihm erhält, antwortet er mit der entsprechenden Unterschrift: „Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer“. Auch die Freunde bleiben von seinen Späßen nicht verschont. Vor allem der Geiger Ignaz Schuppanzigh, der ein Leben lang zu den engsten Vertrauten gehört, hat sehr darunter zu leiden. Wegen seiner Leibesfülle ist er häufig Zielscheibe von Beethovens Scherzen, wird mit unzähligen, mehr oder weniger geschmackvollen Spitznamen bedacht. Eigens für Schuppanzigh entsteht ein kleines Musikstück mit dem Titel „Lob auf den Dicken“ (WoO 100). Ähnliche Späße erlaubte er sich übrigens beispielsweise bei dem „Duett mit zwei obligaten Augengläsern“ (WoO 32), dem Musikalischen Scherz „Ich bin der Herr von zu“ (WoO 199) sowie den Kanons „Bester Herr Graf, Sie sind ein Schaf“ (WoO 183) und „Bester Magistrat, ihr friert“ (WoO 177). Doch auch Beethoven selbst wird – vor allem in seinen jüngeren Jahren, als er seinen Mitmenschen noch nicht so viel Misstrauen entgegenbringt – Opfer von Späßen. Ein Freund berichtet ihm aus Berlin schriftlich von einer sensationellen Neuigkeit, die Beethoven – naiv wie viele Hochsensible – umgehend im Freundeskreis verbreitet: Eine Lampe für Blinde ist erfunden worden! Vermutlich hat er selbst über sich lachen müssen später. Nicht begeistert soll er allerdings angesichts der folgenden Geschichte gewesen sein: Die Frau des Pianisten Anton Halm, Maria, hat um eine Haarlocke des von ihr verehrten Komponisten gebeten und in einem üblen Scherz zunächst ein Büschel Ziegenhaare erhalten. Beethoven entschuldigt sich dafür, obwohl er selbst an dieser Geschmacklosigkeit unschuldig ist. Das Bild, dass Beethoven ein griesgrämiger, cholerischer Eigenbrötler ist, stimmt also ganz und gar nicht. Er ist ein geselliger, humor-
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voller Mensch, der Anschluss sucht und rasch findet. In Gesellschaft kann er unvermittelt in ein herzhaftes Gelächter ausbrechen – auch wenn sich den Anwesenden häufig der Anlass nicht so ganz erschließt.
Komponistenalltag Wenig aufregend und unspektakulär ist der Alltag des Komponisten: Bei Tagesanbruch steht er auf und frühstückt. Obwohl er selbst nicht kochen kann und daher auf wechselnde Bedienstete und Wirtshäuser angewiesen ist, bekommt er einen Kaffee gerade noch hin. In einer gläsernen Maschine bereitet er ein Gebräu zu, das so manchem den Schlaf oder das Leben rauben würde: 60 Bohnen pro Tasse sollen es gewesen sein. So gestärkt, geht der Meister sofort an sein Pult, wo er – gelegentlich durch einen kurzen Spaziergang unterbrochen – meist bis Mittag arbeitet. Er bevorzugt leicht verdauliche Speisen, besonders Brotsuppen, freitags Fisch, Kalbfleisch. Sein Lieblingsgericht ist Makkaroni mit Schinken und Parmesan. Auch rustikal darf es sein: Blutwurst mit Kartoffeln. Mittags jedoch isst er grundsätzlich kalt: Brot mit Käse, Salami oder Zunge. Nur gelegentlich gönnt er sich eine Pfeife Tabak, in späteren Jahren auch ein Zigarrchen. Nach dem Essen ist Beethoven den größten Teil des Nachmittags zu Fuß unterwegs, um anschließend ein Lieblingslokal aufzusuchen, wo er Freunde trifft und Zeitungen liest. Auch eine Partie Schach wird hin und wieder gespielt, das Beethoven ja von „Papa“ Haydn gelernt hat – und zwar, wie wir bereits wissen, nach eigener Aussage besser als das Komponieren. Den Abend verbringt er in Gesellschaft. Man ist im Theater oder musiziert gemeinsam. In der Regel geht er früh nach Hause und um zehn Uhr schlafen. Wachsspuren in seinen Büchern zeugen davon, dass er sich bevorzugt im Bett ihrer Lektüre widmet. Keine leichte Kost, die er sich da einverleibt und über der ihm die Augen wohl auch mal zufallen: Goethe und Schiller, Shakespeare und Homer. Manchmal jedoch komponiert er noch mehrere Stunden, steht auch mitten in der Nacht auf, wenn ihm etwas einfällt, das er zu Papier bringen muss. Überhaupt ist Beethoven in Gedanken eigentlich immer bei seinen Kompositionen, füllt Unmengen von sogenannten Skizzen-
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büchern. Diese enthalten Notenlinien im Querformat und sind so klein, dass man auch im Stehen oder während des Laufens mit Bleistift Eintragungen darin vornehmen kann. Beethoven nutzt sie, um alles festzuhalten, was ihm gerade durch den Kopf geht: Themen, Motive, einzelne Akkorde, aber auch Rechnungen, Börsenkurse, Lebensregeln. In jeder Lebenslage sieht man ihn darin schreiben: zu Hause, auf der Straße, im Wirtshaus, im Gras liegend; selbst auf einer Astgabel … Stets hält er einen Bleistiftstummel in der Hand, sieht auf und nieder, bleibt oft wie lauschend stehen und zeichnet Noten auf die Blätter. Wird er von einem Unwetter überrascht, kann es passieren, dass er seinen Hut irgendwo liegen lässt und ganz durchnässt und geistesabwesend zurückkommt. Als ihn einmal jemand fragt, warum er immer ein solches Büchlein mit sich herumträgt, lautet die Antwort (ein Zitat aus Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleans“): „Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen.“ Will man der Anekdote glauben, so betritt er eines Tages einen Gasthof, den „Schwan“, und setzt sich zum Mittagessen. Geistesabwesend, tief in Gedanken versunken zieht er sein Skizzenbuch aus der Tasche und beginnt zu schreiben. Der Kellner, der seinen etwas merkwürdigen Gast kennt, traut sich nicht, Beethoven bei der Arbeit zu stören. Vorsichtig nähert er sich nach einer halben Stunde erneut dem Tisch und findet ihn immer noch in sein Büchlein vertieft. Er beschließt, weiter zu warten. Nach einer Stunde zuckt der Kellner zusammen, als eine mächtige Stimme durch den Raum brüllt: „Zahlen!“ Der Kellner teilt seinem Gast daraufhin mit, dass er „ja noch gar nix bestellt“ habe. Beethoven verzieht die Augenbrauen und sagt: „Dann bringen Sie mir irgendwas zu essen – und stören Sie mich nicht.“ Von keinem seiner Skizzenbücher wird sich der Komponist je trennen, hebt sie bis zu seinem Tod auf – als Zeugnisse seiner unerschöpflichen Kreativität, seiner grenzenlosen Fantasie.
Sehnsucht nach Freundschaft und Familie Nun könnte man womöglich den Eindruck gewonnen haben, dass Beethoven ein Mann ist, der grundsätzlich eher der Einsamkeit und Abgeschiedenheit den Vorzug gibt. So ist es aber nicht. Er braucht
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und sucht die Nähe von Menschen, denen er vertrauen kann; keine losen Bekanntschaften, sondern feste, geradezu innige Freundschaften. Doch seine Ansprüche sind hoch. „Ein Mann ein Wort“: So lautet Beethovens Wahlspruch. Nichts kann ihn wütender machen, als wenn jemand ein Versprechen nicht hält. Neben Zuverlässigkeit spielen Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Moral eine wichtige Rolle für ihn. Seine Überzeugung ist in dieser Hinsicht unmissverständlich. So schreibt er beispielsweise über die Sexualität in sein Tagebuch: „Sinnlicher Genuss ohne Vereinigung der Seelen ist und bleibt viehisch, nach selben hat man keine Spur einer edlen Empfindung, vielmehr Reue.“ Diese Tugenden fordert er – leider nicht immer überzeugend – von sich selbst und auch von anderen. Es gibt nur wenige Menschen, die seinen hohen Anforderungen genügen. Immer wieder wird Beethoven schwer enttäuscht. Doch er mutet seinen Freunden auch Einiges zu. Sie haben deutlich mehr „Pflichten“ als „Rechte“, müssen ihm die unbequemen Dinge des Lebens vom Leib halten und „um ihn sein“, wenn er sie braucht. So ist Freiherr Ignaz von Gleichenstein beispielsweise eine Art „Mädchen für alles“, muss diverse Besorgungen machen für den berühmten Freund: Federkiele, Bücher, Brennholz, Hüte und – wie wir bald sehen werden – selbst Ehefrauen. Beethoven ist anhänglich und fordernd zugleich, kann aber auch durchaus fürsorglich sein und seine Zuneigung mit Geschenken zum Ausdruck bringen (so sind einigen Freunden einzelne Werke gewidmet, beispielsweise Franz von Brunsvik die Klaviersonate „Appassionata“). Besonders eng ist die Freundschaft zu dem Geiger und Theologiestudenten Karl Friedrich Amenda. Nur sehr wenigen Menschen hat Beethoven je so viel Liebe und Zuneigung entgegengebracht wie ihm. Die beiden gelten eine Zeitlang als so unzertrennlich, dass man „Wo ist denn der Andere?“ ruft, wenn einer von ihnen alleine daherkommt. Da Beethoven echte Freunde nicht nach dem Geschlecht unterscheidet, spielen auch einige Frauen eine wichtige Rolle in seinem Leben: Dorothea von Ertmann, die Gräfin Marie Erdödy und vor allem die ein Jahr ältere Maria Anna (Nanette) Streicher, die zeitweise für ihn die Rolle einer Ehefrau einnimmt – allerdings nur, was deren Pflichten im Haushalt anbelangt. Dass er sie für ihre treuen Dienste nicht mit einer Widmung bedenkt, verwundert schon ein wenig.
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Auch die Brüder sind nach Wien gefolgt: Kaspar Karl, der bis zu seinem Tod als Kassenbeamter arbeitet, und Nikolaus Johann, Inhaber einer Apotheke. Die Beziehung zu den beiden ist nie frei von Konflikten, selbst nicht von Gewalttätigkeiten. Beethoven ist daran sicher nicht ganz unschuldig, weil er ständig meint, ihnen „als der Älteste“ sagen zu müssen, wie sie ihr Leben einzurichten haben. Nicht selten kommt es vor, dass er sich ungefragt in ihre Angelegenheiten einmischt, sogar die Ehe Karls mit einer Polsterertochter verhindern will. Einen Ausgleich für die geschwisterlichen Streitigkeiten sucht Beethoven bei seinen engen Freunden. Und da er selbst keine richtige Familie mehr hat, versucht er bis Jahre vor seinem Tod am Leben anderer teilzunehmen. In Wien sind es allein zehn (!) Familien, denen er sich als „Ersatz-Sohn“ anschließt. Von seiner Musik abgesehen, erlebt Beethoven die glücklichsten Stunden in diesen „fremden“ Häusern, wo er die Freuden und Vergnügungen einer Familie mitgenießen kann. Er sucht Zuneigung und Geborgenheit – und findet sie dauerhaft sein Leben lang nicht. Da die Sehnsucht nach einer eigenen Familie unerfüllt bleibt, ist er ein rastloser Mensch, ein ewig Suchender, der nie ein eigenes Heim findet und gründet. Aber er ist auch eine echte Plage der Vermieter. „Kaum im Besitz einer neuen Wohnung, missfiel ihm schon wieder manches daran, und er lief sich abermals die Füße wund, um nur eine andere aufzufinden“, weiß ein Freund zu berichten. Mindestens 29 Wohnungen an 26 verschiedenen Adressen sind es insgesamt – in nur drei Jahrzehnten –, in denen Beethoven in Wien lebt.
Wohnungen und Umzüge Wie darf man sich eine dieser Wohnungen vorstellen? Es ist die eines Junggesellen, und das ist noch maßlos untertrieben. Auf Besucher macht sie zunächst einmal lediglich einen außerordentlich merkwürdigen Eindruck. Betritt man nämlich das erste Zimmer, so muss man aufpassen, nicht über die Klaviere zu stürzen: Zwei oder gar drei von ihnen liegen auf dem Boden. Die Beine sind abgesägt worden. Gut möglich, dass Essensreste auf dem einen liegen und ein anderes bei näherer Betrachtung arg besudelt aussieht – Tinte! Dann hat Beethoven ein ganzes Fass davon vor Wut hineingeworfen. Vielleicht ja
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eines Mäusleins wegen: Ein kleiner Einkaufszettel (er wurde im März 2011 für läppische 74 000 Euro versteigert) verrät nämlich, dass der Meister den poussierlichen Tierchen mit neuester Technik zu Leibe rücken musste. Hat man also Instrumente und Mausefallen ohne Schaden passiert, kann man immer noch Opfer eines großen Koffers werden, der ebenfalls seinen Platz auf dem Fußboden hat. Aus diesem kleidet Beethoven sich. Einen Garderobenschrank gibt es nicht. Notenblätter, Münzen, Geldscheine und Kleidungsstücke liegen zerstreut auf dem Fußboden. Auf dem Tisch, der diesen Namen nicht verdient, steht zerbrochenes Kaffeegeschirr. Platz nehmen sollte man auf dem einzigen Stuhl besser nicht, und zwar nicht nur wegen der dicken Staubschicht, die fast alle Einrichtungsgegenstände bedeckt hat. Er hat nämlich nur noch drei Beine, und selbst die dürften bereits wacklig sein; vielleicht schon seit dem Kauf. Beethoven erwirbt Stühle vorzugsweise beim Trödler; aus praktischen Gründen. Im zweiten Zimmer erblickt man das Bett. Spätestens um zehn Uhr abends ist dies der Ort, wo nicht nur die vollkommene Stille, sondern auch tiefste Finsternis auf ihn warten. Der Boden, auf dem die Nachtkleider zerstreut liegen, ist nass. Denn Beethoven liebt Wasser. Das Waschbecken, das auf einem Tannentisch steht, ist randvoll. Vor allem im Sommer, wenn es heiß ist und er stundenlang komponiert hat, braucht aber nicht nur das Gesicht, sondern auch der Leib dringend eine Erfrischung – und das muss schnell gehen. Denn die vielen Ideen in seinem Kopf wollen schließlich aufgeschrieben werden. Was liegt da näher, als sich einen ganzen Zuber voll Wasser rasch über Kopf und Körper zu gießen? Die Lachen, die zurückbleiben, stören Beethoven nicht. Wohl aber die Menschen, die unter ihm wohnen …
Es tropft von der Decke. Immer und immer wieder. Es plätschert in die aufgestellten Eimer, Tag und Nacht. An ruhigen Schlaf ist ohnehin nicht mehr zu denken, seit der sonderbare Mieter oben eingezogen ist. Dieser unerträgliche Lärm! Warum um Himmels willen muss dieser Mann so laut schreien, singen, schimpfen? Sie sind doch nicht taub! Dazu das alles übertönende Klavier. Immer und immer wieder dasselbe, minutenlang. Kaum ein „Lied“, das er mal von Anfang bis Ende
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spielt. Dazu dieses ständige Geklopfe, als ob er mit einem Stock auf den Fußboden trommelt. Dauernd fällt einem der Putz von der Decke. Ist man mal friedlich eingeschlafen, gibt es anderen Radau. Gepolter von Stühlen und Tischen, Klirren von Gläsern. Der Kerl wirft anscheinend mit allem, was nicht niet- und nagelfest ist. Er muss wahnsinnig sein! Immerhin verschläft man nicht mehr, seit er da ist. Ab Sonnenaufgang geht es oben los. Und dann dieser Gestank gestern erst. Das ganze Treppenhaus war voll davon. Das kam doch aus seiner Wohnung. Da war was angebrannt, muss ein Braten gewesen sein. Dass der nicht einmal kochen kann, ist kein Wunder. Und dass er es überhaupt selbst probieren muss, ist doch seine eigene Schuld! Was hat seine letzte Haushälterin, die Frau Dolazek, doch gleich erzählt? Mit Eiern hat er sie beworfen, weil sie angeblich nicht frisch waren! Und den Diener: mit dem ganzen Essen! Man hat sich doch schon beschwert. Hat zunächst ein freundschaftliches Wort versucht, von Nachbar zu Nachbar. Ist hochgegangen zu ihm, hat vorsichtig angeklopft. Dann lauter. Dann noch lauter. Die Tür hat sich nicht geöffnet, obwohl er da gewesen ist. Unüberhörbar. Der Kerl muss taub sein! Zufällig ist man sich dann auf der Treppe begegnet. Das soll ein berühmter Mann sein? Wie der aussieht! Gar nicht vornehm. Dazu unrasiert, die Augenbrauen buschig. Wie der einen angeguckt hat! Mit der Angst hat man es gleich zu tun bekommen. Man wird lieber zum Vermieter gehen. Soll der sich doch darum kümmern. Entweder es kehrt wieder Ruhe ein – oder …
Beethoven muss umziehen – wieder einmal. Vielleicht weil ihm die Wohnung sowieso nicht sonderlich gefällt, vielleicht weil man ihn – dem Hausfrieden zuliebe – besonders „nett“ darum gebeten hat. Oder er hat einen anderen Grund. Irgendeinen muss es schließlich immer geben. Wie im Haus des Barons Pasqualati: Beethoven liebt eine schöne Aussicht. Die hätte er aus seinem Hauptzimmer, das an der Außenmauer liegt: auf den Wienerwald. Leider hat man versäumt, dort ein Fenster einzusetzen. Das lässt sich korrigieren, denkt Beethoven, und bestellt einen Steinmetz, der ein Loch in die Wand stemmen soll. Das
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geht naturgemäß nicht ganz ohne Geräusche ab. Der Baron rennt die Treppe hinauf und erfasst blitzschnell entsetzt die Szenerie. Er wird laut. Beethoven auch. Er sieht das Problem nicht. Es geht doch um die schöne Aussicht. Manchmal hält er es über ein Jahr in einer Wohnung aus, manchmal nur Monate, Wochen oder gar Tage. Ein Hochsensibler kann penetrante Gerüche, Krach, Kälte und Hitze schwerlich ertragen. Die Liste seiner Wiener Wohnungen erscheint daher unendlich. Wer so oft umzieht, darf nicht viele Möbel haben. Und diese sollten leicht zu transportieren sein – so wie Beethovens: Das Bücherregal ist zerlegbar, das Bettgestell schlicht, die Tische sind klein und handlich. Wer würde ahnen, dass der Komponist grundsätzlich einen erlesenen Geschmack besitzt, wie seine letzte Wohnung im „Schwarzspanierhaus“ verrät? Auf einen vierspännigen Lastwagen wird der Hausstand verfrachtet, der bei der Abfahrt turmhoch beladen ist. Der Kutscher muss sein Handwerk verstehen, damit auch alles an der neuen Wohnung ankommt. Vor allem heißt es langsam fahren. Nicht nur, um Verluste der kostbaren Fracht zu vermeiden, sondern auch, damit man dem Besitzer nicht in die Hacken fährt, der seelenruhig vorausmarschiert. Beethoven geht ja gerne spazieren, vor allem in der freien Natur. Während der Wagen hinter ihm ächzt und das Getrappel der braven Pferdchen – was er freilich nicht hört – in der Ferne verhallt, lässt er seine Blicke schweifen über die sich im Wind wiegenden Kornfelder. Er folgt dem Flug der Lerchen, die den Frühling verkünden, und bleibt hin und wieder stehen. Der Kutscher muss jederzeit damit rechnen und sein Gefährt ebenfalls zum Stillstand bringen. Denn Beethovens Kopf ist voller Ideen, vielleicht für eine neue Sonate oder Sinfonie, die er mit Bleistift in seinem Notizbuch festhält. So versunken ist er in seine Arbeit, dass er Sinn und Zweck der Wanderung vergisst – der wartende Kutscher hinter ihm allerdings nicht. Ihm wird es langsam zu bunt. Vor Einbruch der Dunkelheit möchte er gerne diesen seltsamen Umzug dieses seltsamen Mannes hinter sich gebracht haben. Er wird sicher nichts dagegen haben, wenn sein Hab und Gut schon mal vorausfahren. Bezahlt hat er die Fahrt ja schon. Es dämmert bereits, als Beethoven schließlich völlig erschöpft an
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seinem neuen Domizil ankommt. Wie er den Weg gefunden hat, weiß er wahrscheinlich selbst nicht so genau. Er macht leider nicht den besten ersten Eindruck auf seine neuen Vermieter, die ihn herzlich begrüßen wollen: Seine Kleidung ist von einer grauen Staubschicht bedeckt, das unrasierte Gesicht schweißnass. Er will nur noch ins Bett, so todmüde wie er ist. Leider ist jedoch weder dieses noch der Rest seines Hausstandes hier angekommen. Beethoven tobt. Wo bleibt der Wagen mit seiner kostbaren Ladung? Da wird doch wohl nichts passiert sein? Unglücklicherweise ist dem Kutscher unterwegs eingefallen, dass er die genaue Adresse gar nicht weiß. Auch den Namen des Auftraggebers kennt er nicht. Also beschließt er, ihn in der Stadtmitte abzufangen. Da wird er ja wohl bald vorbeikommen. Doch es dauert. Der gute Mann wartet eine Stunde, er wartet zwei Stunden … Dann reicht es ihm. Er lädt kurzerhand Tische, Stühle, Klaviere, Noten und Bücher ab und macht Feierabend. Er hat schließlich das Recht, in seinem eigenen Bett zu schlafen, und sieht es absolut nicht ein, wegen solch eines sonderbaren Patrons in diesem Nest zu übernachten. Also steht Beethovens Hab und Gut auf dem Markplatz und wird neugierig von Schaulustigen begafft. Irgendwann kommt der vor Wut schäumende Besitzer und bricht doch augenblicklich in schallendes Gelächter aus. Ein Bild für die Götter! Ein halbes Dutzend Straßenjungen wird engagiert, um alles abzutransportieren. Als der Nachtwächter die Mitternacht ausruft, ist das Werk schon vollbracht. Beethoven ist umgezogen.
Ertaubung: das „Heiligenstädter Testament“ Beethoven ist Mitte Zwanzig, als die ersten Wolken seines tragischen Schicksals sein Leben zu verdüstern beginnen. Als er eines Morgens erwacht, hört er ein leises, dumpfes Brausen. Es klingt wie strömender Regen. Doch der Himmel ist strahlend blau. Beethoven tritt ans Fenster. Brennt es etwa in der Nachbarschaft? Es ist kein Rauch zu sehen. Und der herbeigerufene Diener weiß gar nicht, wovon er spricht. Er hört nichts. Das Brausen sitzt in Beethovens linkem Ohr. Wenn er es mit dem Finger verschließt, wird es noch lauter. Es könnten die Nerven sein, vielleicht Überarbeitung. Beethoven beschließt, an diesem Tag
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nichts zu tun, einen langen Spaziergang zu machen, früh ins Bett zu gehen. Am nächsten Tag ist das Brausen noch nicht verschwunden. Es wird schon vergehen, heute muss gearbeitet werden. Einfach nicht daran denken … Doch es verschwindet nicht. Bald ist auch das zweite Ohr betroffen, andere Geräusche kommen dazu: Es klopft und knarrt, pfeift laut und gellend, heult wie der Wind. Manchmal hört er statt einem Ton zwei Töne zugleich, einen etwas höher als den anderen. Dann schwindet die Fähigkeit, hohe Töne wahrzunehmen. Laute Gespräche sind unangenehm, die Ohren schmerzen. Das grausamste Schicksal, das es für einen Musiker nur geben kann, droht ausgerechnet einem der größten Genies aller Zeiten: die Taubheit.
Blinde Komponisten und Virtuosen hat es schon vor Beethoven gegeben. Er aber ist der erste, der sich damit abfinden muss, sein Gehör zu verlieren. Ihm werden andere folgen, wie Bedrich Smetana, Komponist der berühmten „Moldau“, und Gabriel Fauré. Und jeder andere, der nur die leisesten Symptome wahrnimmt, wird an Beethovens schreckliches Schicksal denken und augenblicklich in Panik geraten. So zum Beispiel Johannes Brahms, einer der größten Komponisten nach ihm. Über ein halbes Jahrhundert nach dem Tod seines großen Idols, auf dem Gipfel des eigenen Ruhms stehend, überfallen ihn starke Ohrenschmerzen. Entsetzt verlässt Brahms den Kurort Bad Ischl, wo er den Sommer verbringen will, und reist nach Wien. Am Bahnhof empfängt ihn bereits ein vorab telegrafisch informierter, befreundeter Arzt und begleitet ihn zu einem Spezialisten, der glücklicherweise Entwarnung geben kann: Brahms leidet lediglich an einem Ohrenkatarrh. Diese Diagnose stellt auch Professor Frank, der berühmteste Arzt Wiens, als Beethoven zu ihm kommt. Er lacht, als der Verzweifelte die Befürchtung äußert, taub zu werden. Es sei eine Art „Gehörschnupfen“. Eine Sache von wenigen Wochen. Er verschreibt ihm warmes Mandelöl. Es hilft nicht. Auch die verordneten Bäder und Medikamente zeigen keine rechte Wirkung. Professor Frank ist ratlos. Ihm folgt eine Reihe anderer Ärzte. Sie verabreichen unter anderem verschiedene Teesorten oder empfehlen, Baumwolle in die Ohren
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zu stopfen. Doch keinem von ihnen gelingt es in den nächsten Jahren, die langsam fortschreitende Ertaubung zu stoppen. Eine fürchterliche Angst erfasst Beethoven, lässt ihn nicht mehr richtig zur Ruhe, zum Schlaf finden. Trost und Ablenkung findet er nur in seiner Musik, nur beim Komponieren. Wenn seine Gedanken nicht bei der drohenden Taubheit sind, ist er glücklich. Beethoven beginnt, die Menschen zu meiden. Gesellschaften besucht er nicht mehr, der Unterricht wird auf unbestimmte Zeit abgesagt, das Essen lässt er sich vom Wirtshaus in die Wohnung bringen. Trifft er auf seinen Spaziergängen Bekannte, so gibt er sich krampfhaft lustig und entspannt. Niemand darf wissen, wie es um ihn steht und wie verzweifelt er im Innersten ist.
Was bedeutet es für ihn, wenn er sein Gehör verliert? Komponieren wird er weiterhin können. Er verfügt über ein perfektes „inneres Ohr“, kann sogar die komplizierteste Musik „hören“, wenn er nur die Noten ansieht – quasi wie jemand, der stumm liest. Die Welt der Töne ist in ihm und wird in ihm bleiben. Außerdem hat er ohnehin nie am Klavier komponiert, sondern seine Einfälle am Pult oder unterwegs in den Skizzenbüchern zu Papier gebracht und bis zu ihrer vollständigen Form ausgearbeitet. Nicht umsonst gelingt es Beethoven trotz seiner Taubheit, bis zu seinem Tod eine ungeheure Fülle von Meisterwerken zu komponieren. Überhaupt wird – wie später auch bei Smetana – die Krankheit sein Schaffen nicht negativ beeinflussen, sondern im Gegenteil sogar ungeheuer beflügeln. Seine Fantasie wird sich umso mehr ins Grenzenlose steigern, je schlechter er hört. An dieser Stelle seien nur die 1823 komponierten „Diabelli-Variationen“ op. 120 genannt, ein eigenes Universum, das neben Bachs „Goldberg-Variationen“ als großartigstes Variationswerk der Musikgeschichte gilt. Allerdings, und das weiß Beethoven auch, wird er seine Musik nie mehr im vollen Orchesterklang in einem Konzertsaal genießen können. Vielleicht noch schlimmer für ihn: Seine Karriere als gefeierter Pianist oder Dirigent, der durch Europa reist und die Beifallsstürme des Publikums auskostet, ist beendet. Mehr und mehr muss er sich aus
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dem Konzertleben zurückziehen. Auch an den Klavierunterricht – eine wichtige Einnahmequelle – ist nicht mehr zu denken. Und seine Gegner, die seine Musik ablehnen? Wie werden die sich freuen! Haben sie es denn nicht immer gewusst und gesagt: verworrene Werke mit wenigen Melodien – kein Wunder, der arme Kerl ist ja taub! Für den geselligen Menschen Beethoven ist der Verlust des Gehörs eine einzige Katastrophe. Die Fähigkeit, ungezwungen mit anderen umzugehen, ist unwiderruflich dahin. Auf einen normalen Umgang mit seinen Mitmenschen kann er nicht hoffen. Auch die Natur, die er so über alles liebt, wird er nie mehr so genießen können wie früher. Die Vögel werden stumm bleiben für ihn, die Bäche, der Wind in den Wipfeln der Bäume … Beethoven ist der Gefangene einer stillen, grausamen Welt. Er verschweigt seine Erkrankung selbst den engsten Freunden. Niemand soll etwas davon erfahren. Niemand darf wissen, dass der große Ludwig van Beethoven bald völlig taub sein wird.
Erst vier Jahre, nachdem die ersten Symptome aufgetreten sind, vertraut er sich Amenda an, den er jedoch bittet, seine Erkrankung geheim zu halten. Dieser Brief – hier in einer gekürzten, der heutigen Sprache, Rechtschreibung und Zeichensetzung angepassten „Übersetzung“ – lautet wie folgt: „Wie oft wünsche ich, dass du bei mir bist, denn ich lebe sehr unglücklich … Du musst endlich erfahren, dass das Wichtigste, was ich überhaupt habe, immer schwächer wird: mein Gehör. Schon damals, als du bei mir warst, bemerkte ich die ersten Anzeichen. Doch ich sagte niemandem etwas. Nun ist es immer schlimmer geworden. Ob es je geheilt werden wird, steht in den Sternen. Ich kann es kaum hoffen; Krankheiten wie diese sind die unheilbarsten. Wie traurig ich nun leben muss, alles, was mir etwas bedeutet, muss ich meiden …“ Auch wenn Beethoven versucht, sein Leiden, so lange es nur geht, vor der Außenwelt geheim zu halten: Die Anzeichen sind so eindeutig, dass sie seinen Mitmenschen nicht entgehen können. Einem Besucher, dessen kleiner Junge Beethoven vorspielen soll, fällt beispielsweise auf, dass der Dreißigjährige in beiden Ohren Baumwolle hat, die in gelbe
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Flüssigkeit getaucht scheint. Und als die Taubheit sich bereits deutlich abzeichnet, erlebt Ferdinand Ries auf einer gemeinsamen Wanderung Folgendes: Sie treffen auf eine Schafherde, der Hirte selbst ist nicht zu sehen, wohl aber zu hören, denn er spielt auf seiner Flöte. Ries macht eine Bemerkung über die schöne Melodie, doch der Schrecken fährt ihm in die Glieder, als er Beethoven nur angestrengt lauschen sieht, der dann für lange Zeit „still und finster“ wird. Dass Ries die Töne noch eine halbe Stunde lang deutlich hören kann, verschweigt er, denn er ahnt bereits die Tragödie. Ausführlich vertraut Beethoven sich als Erstem einem alten Freund an, dem Arzt Franz Wegeler, sicher auch in der Hoffnung, von diesem einen Rat zu erhalten. Ihm beschreibt er in einem Brief detailliert seine Beschwerden sowie die bisher verordneten, weitgehend wirkungslosen Therapien der anderen Ärzte. Er leidet nämlich nicht nur unter dem zunehmenden Verlust seines Gehörs, sondern auch unter starken Verdauungsbeschwerden und Durchfällen, die ihn sein Leben lang nicht mehr verlassen werden. Weiter heißt es in diesem Brief im Original-Wortlaut: „Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nun nicht möglich ist, den Leuten zu sagen, ich bin taub … um dir einen Begriff von dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich dir, dass ich mich im Theater ganz dicht am Orchester anlehnen muss, um den Schauspieler zu verstehen, die hohen Töne von Instrumenten, wenn ich etwas weit weg bin, höre ich nicht … manchmal hör ich auch den Redenden, der leise spricht, kaum, ja die Töne wohl, aber die Worte nicht, und doch sobald jemand schreit, ist es mir unausstehlich, was nun werden wird, das weiß der liebe Himmel … ich habe schon oft den Schöpfer und mein Dasein verflucht … ich will, wenns anders möglich ist, meinem Schicksal trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde.“ Diese Augenblicke lassen nicht lange auf sich warten. Nur ein Jahr später steht Beethoven an der Schwelle vom Leben zum Tod.
Ein stilles Dorf in der Nähe Wiens. Linden und Obstbäume, weite Wiesen, rote Ziegeldächer, eine kleine gotische Kirche. In der Ferne
Ertaubung: das „Heiligenstädter Testament“
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fließt die mächtige Donau: Heiligenstadt. Dorthin hat sich der Kranke auf Anraten seines Arztes zurückgezogen. Der Frühling ist gekommen. Beethoven lebt einsam in einem eher ärmlichen Winzerhäuschen am Fuße des Kahlenbergs. Von seinem Fenster aus kann er den Kirchturm sehen und die Glocken hören – die für ihn allmählich immer leiser werden. Seine Taubheit schreitet fort. Da greift er am 6. Oktober 1802 mit zitternder Hand zur Feder und schreibt die eindrucksvollste Selbstenthüllung seines Lebens. Er entblößt eine geschundene Seele. Es ist ein einziger Schrei nach Liebe und Geborgenheit. Erst nach seinem Tod wird man unter seinen Papieren dieses ergreifende Dokument finden, das als „Heiligenstädter Testament“ weltberühmt ist und – wie so vieles in Beethovens Leben – Rätsel aufgibt. Es liest sich wie der Abschiedsbrief eines Menschen, der, nachdem er die Feder weggelegt haben wird, Selbstmord begeht. Hier eine gekürzte, „übersetzte“ Fassung des mehrere Seiten umfassenden Manuskripts: „O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, verschlossen oder misanthropisch haltet: Wie Unrecht tut ihr mir! Ihr kennt nicht die geheime Ursache für mein Verhalten. Seit ich ein Kind war, habe ich nur Gutes gefühlt und wollte immer Gutes tun. Ihr müsst wissen, dass ich seit sechs Jahren ernsthaft krank bin, und schlechte Ärzte haben alles nur noch schlimmer gemacht. Jahrelang habe ich vergeblich auf Besserung gehofft und weiß jetzt, dass ich vielleicht nie geheilt werden kann. Ich bin immer ein temperamentvoller Mensch gewesen, der gerne in Gesellschaft ist. Doch schnell war ich gezwungen, mich in die Einsamkeit zurückzuziehen. Ich habe eine Zeitlang versucht, mein Leiden einfach zu ignorieren, aber zweimal auf schreckliche Weise erlebt, wie schlecht es wirklich mit meinem Gehör steht. Trotzdem konnte ich den Menschen unmöglich sagen: Sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub! Wie könnte ich denn ausgerechnet die Schwäche dieses einen Sinnes zugeben, der bei mir doch so viel besser sein sollte als bei jedem anderen! Ein Sinn, der bei mir immer so perfekt war wie wohl kaum bei einem anderen Musiker. O ich kann es nicht, darum verzeiht mir, wenn ich mich von euch fernhalte, obwohl ich so gerne unter euch wäre. Doppelt weh tut mir mein Unglück, weil ich dabei auch noch verkannt werde. Ich darf die Gesellschaft von Menschen nicht genießen, mich nicht mit ihnen unterhalten und austauschen. Nur wenn es gar nicht anders geht, muss ich mich unter Leute
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begeben. Wie ein Verbannter muss ich leben. Nähere ich mich auch nur einer Gesellschaft, so überfällt mich wahnsinnige Angst. Denn ich muss befürchten, dass man merkt, was mit mir los ist. So ist es mir auch in dem letzten halben Jahr ergangen, das ich auf dem Land zugebracht habe …“ Im nun folgenden Teil schreibt Beethoven, dass er auf den Rat seines Arztes hin, der ihm empfohlen habe, sein Gehör zu schonen und menschlichen Kontakt möglichst zu meiden, nach Heiligenstadt gegangen sei. Er berichtet, dass er es jedoch ganz ohne Gesellschaft nicht habe aushalten können und erzählt unter anderem von dem Hirten-Erlebnis auf der Wanderung mit Ries. Dies sei für ihn eine „Demütigung“ gewesen und hätte ihn zur Verzweiflung getrieben. Weiter heißt es in dem „Testament“: „Es fehlte nicht viel, und ich hätte meinem Leben selbst ein Ende gesetzt – nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück. Es erschien mir unmöglich, die Welt zu verlassen, bevor ich all das erschaffen habe, wozu ich noch im Stande bin. Und so habe ich dieses elendige Leben verbracht – wirklich elendig …“
Qualen des Gehörlosen Beethovens Leiden zieht sich schleichend über annähernd 25 Jahre hin; und vielleicht macht dies es umso grausamer. Es sind Jahre, in denen aufkeimende Hoffnung auf Heilung und tiefste Verzweiflung über das gnadenlose Schicksal wechseln. Ungeheure Geldsummen wird der Kranke investieren, was ihn schließlich, als einen der größten und erfolgreichsten Komponisten aller Zeiten, bis an den Rand der Mittellosigkeit treibt. Erst als Beethoven vierzig ist, beginnt sich das Gehör mehr und mehr zu verschlechtern. Man kann sich bald kaum noch mit ihm verständigen. Louis Spohr, der 1812 bis 1815 als Kapellmeister in Wien tätig ist, erinnert sich an ihre erste Begegnung in einem Speiselokal: „Beethoven … begrüßte mich ungewöhnlich freundlich. Wir setzten uns zusammen an einen Tisch, und Beethoven wurde sehr gesprächig, was die Tischgesellschaft sehr verwunderte, da er gewöhnlich düster und wortkarg vor sich hinstarrte. Es war aber eine sauere Arbeit, sich ihm verständ-
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lich zu machen, da man so laut schreien musste, dass es im dritten Zimmer zu hören war.“ Fünf Jahre später sitzt Beethoven dem Maler August von Kloeber für dessen berühmte Bleistiftzeichnung Modell. Dieser erzählt: „Er war schon sehr taub und ich musste ihm, wenn ich etwas sagen wollte, dasselbe entweder aufschreiben oder er setzte das Rohr an, wenn nicht sein Famulus (ein junger Verwandter von etwa zwölf Jahren) zugegen war, welcher ihm dann die Worte ins Ohr schrie.“ Mit „Rohr“ ist hier eines der Hörrohre gemeint, in die Beethoven große Hoffnungen setzt. Der Mechaniker Johann Nepomuk Mälzel – Erfinder des Metronoms – baut diese wenig handlichen „Maschinen“ für ihn. Manche erinnern eher an Alphörner oder Bettpfannen als an akustische Geräte. Doch zumindest für einige Zeit helfen sie dabei, einen Eindruck von den eigenen Kompositionen zu erhalten und eine Unterhaltung ansatzweise führen zu können. Ob Beethoven in seiner Verzweiflung sogar tatsächlich die obskure „Kopfmaschine für Schwerhörige“ benutzt hat, wie deren Erfinder Wolffsohn in einer Werbeanzeige behauptet, ist nicht bekannt. Als auch die Hörrohre nicht mehr ausreichen, kann sich Beethoven nur noch schriftlich mit seiner Umwelt verständigen. Hierzu verwendet er neben einer Schiefertafel sogenannte „Konversationshefte“, in denen seine Besucher das aufschreiben, was sie sagen oder fragen wollen. Beethoven antwortet natürlich mündlich – er ist schließlich „nur“ taub und nicht stumm. Daher spiegeln diese Hefte auch nicht seine Gedanken wider, erweisen sich aber als wichtige und nahezu lückenlose Dokumentation seines Alltags und der Gesprächsthemen. 139 Konversationshefte sind erhalten. In ihnen finden sich Klatsch, Notizen über das Haushaltsgeld, Bemerkungen über Musiker (und deren Ehefrauen) und vieles mehr. Sie zeugen von zweifelhaften Ratgebern und vermitteln – wenig überraschend – insgesamt den Eindruck eines eher trüben Alltags. Denn Beethoven wird mehr und mehr in die Isolation, in die Einsamkeit getrieben. Da ein ungezwungener Kontakt mit Menschen unmöglich ist, verstärkt sich seine Scheu vor ihnen und sein Misstrauen. Er beginnt, sein Äußeres zu vernachlässigen. Als Gefangener der Stille jedoch kann und muss er sich ganz auf das Komponieren konzentrieren. Frei vom störenden
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Lärm seiner Umgebung erträumt er sich – wie schon als kleiner Junge auf dem Dachboden – seine eigene musikalische Welt. Auf ein Skizzenblatt schreibt der 46-Jährige diesen einen Satz: „Nur in deiner Kunst leben!“
Kaum zu ertragen ist für Beethoven bis zuletzt die zwanghafte Verbannung aus den Konzertsälen. Am 25. Januar 1815 tritt er zum letzten Mal öffentlich als Pianist auf – ein Schatten seiner selbst. Schon ein Jahr zuvor weiß Louis Spohr über einen Auftritt Erschreckendes zu berichten: „Ein Genuss wars nicht, denn erstlich stimmte das Pianoforte sehr schlecht, was Beethoven wenig kümmerte, da er ohnehin nichts davon hörte, und zweitens war von der früher so bewunderten Virtuosität des Künstlers infolge seiner Taubheit fast gar nichts übrig geblieben. Im Forte schlug der arme Taube so darauf, dass die Saiten klirrten, und im Piano spielte er wieder so zart, dass ganze Tongruppen ausblieben, so dass man das Verständnis verlor, wenn man nicht zugleich in die Klavierstimme blicken konnte. Über ein so hartes Geschick fühlte ich mich von tiefer Wehmut ergriffen! Ist es schon für jedermann ein großes Unglück, taub zu sein, wie soll es ein Musiker ertragen, ohne zu verzweifeln! Beethovens fast fortwährender Trübsinn war mir nun kein Rätsel mehr.“ Auch als Dirigent erlebt Spohr ihn im selben Jahr. Beethovens Freunde veranstalten ein Konzert im großen „Redoutensaal“, wo die neuesten Werke zur Aufführung kommen sollen: „Alles, was geigen, blasen und singen konnte, wurde zur Mitwirkung eingeladen, und es fehlte von den bedeutenden Künstlern Wiens auch nicht einer. Ich und mein Orchester hatten uns natürlich auch angeschlossen, und so sah ich Beethoven zum ersten Mal dirigieren. Soviel ich auch hatte davon erzählen hören, so überraschte es mich doch in hohem Grade. Beethoven hatte sich angewöhnt, dem Orchester die Ausdruckszeichen durch allerlei sonderbare Körperbewegungen anzudeuten. Sooft ein Sforzando vorkam, riss er beide Arme, die er vorher auf der Brust kreuzte, mit Vehemenz auseinander. Bei dem Piano bückte er sich nieder, und umso tiefer, je schwächer er es wollte. Trat dann ein Crescendo ein, so richtete er sich nach und nach wieder auf und sprang beim Eintritte des Forte hoch in die Höhe. Auch
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schrie er manchmal, um die Forte noch zu verstärken, mit hinein, ohne es zu wissen!“ Als Spohr in einem Gespräch mit dem Dirigenten Ignaz von Seyfried sein Erstaunen über diese sonderbare Art zu dirigieren äußert, erzählt dieser ihm „von einem tragikomischen Vorfall“ bei dem letzten Solo-Konzert des Pianisten, einer Aufführung des 5. Klavierkonzerts Es-Dur op. 73: „Beethoven spielte ein neues Pianofortekonzert von sich, vergaß aber schon beim ersten Tutti, dass er Solospieler war, sprang auf und fing an, in seiner Weise zu dirigieren. Bei dem ersten Sforzando schleuderte er die Arme so weit auseinander, dass er beide Leuchter vom Klavierpulte zu Boden warf. Das Publikum lachte, und Beethoven war außer sich über diese Störung, dass er das Orchester aufhören und von neuem beginnen ließ. Seyfried, in der Besorgnis, dass sich bei derselben Stelle dasselbe Unglück wiederholen werde, hieß zweien Chorknaben sich neben Beethoven stellen und die Leuchter in die Hand nehmen. Der eine trat arglos näher und sah mit in die Klavierstimme hinein. Als daher das verhängnisvolle Sforzando hereinbrach, erhielt er von Beethoven mit der ausfahrenden Rechten eine so derbe Maulschelle, dass der arme Junge vor Schrecken den Leuchter zu Boden fallen ließ. Der andre Knabe, vorsichtiger, war mit ängstlichen Blicken allen Bewegungen Beethovens gefolgt, und es glückte ihm daher, durch schnelles Niederbücken der Maulschelle auszuweichen. Hatte das Publikum schon vorher gelacht, so brach es jetzt in einen wahrhaft bacchanalischen Jubel aus! Beethoven geriet so in Wut, dass er gleich bei den ersten Akkorden des Solos ein halbes Dutzend Saiten zerschlug. Alle Bemühungen der echten Musikfreunde, die Ruhe und Aufmerksamkeit wieder herzustellen, blieben für den Augenblick fruchtlos. Das erste Allegro des Konzertes ging daher ganz für die Zuhörer verloren. Seit diesem Unfall hatte Beethoven kein Konzert mehr gegeben.“
Wenige Jahre vor seinem Tod unternimmt Beethoven letzte Versuche, als Dirigent arbeiten zu können – und quält sich damit umso mehr. Eine Augenzeugin berichtet von der Generalprobe zu seiner Oper „Fidelio“ im November 1822: „Verwirrten Antlitzes, mit überirdisch begeistertem Auge seinen Takt-
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stock unter heftigen Bewegungen hin und her schwingend, stand er mitten unter den spielenden Musikern und hörte keinen Ton!“ Ein anderer Besucher der Generalprobe ergänzt: „Die Ouvertüre ging noch reibungslos; aber bei dem ersten Duett stellte es sich heraus, dass Beethoven nichts von dem hörte, was auf der Bühne erklang. Es wurde wiederholt. Wiederum fiel alles durcheinander. Der Taube wandte sich fragend an Schindler. Der bat ihn schriftlich, nicht weiter fortzufahren und mit ihm nach Hause zu kommen. Im Nu sprang er in das Parterre hinüber und sagte bloß: „Geschwinde hinaus!“ Unaufhaltsam lief er seiner Wohnung zu. Eingetreten, warf er sich auf das Sofa, bedeckte mit beiden Händen das Gesicht und verblieb in dieser Lage, bis wir uns an den Tisch setzten. Aber auch während des Mahles war kein Laut aus seinem Munde zu vernehmen; die ganze Gestalt bot das Bild der tiefsten Schwermut und Niedergeschlagenheit.“ Dass der Komponist sich „von der Einwirkung dieses Schlages nie mehr ganz erholt“ hat, weiß Anton Schindler, Beethovens Faktotum, zu berichten. Im letzten Lebensjahrzehnt nimmt der Verlust des Gehörs rapide zu. Vor allem auf dem rechten Ohr kann er so gut wie nichts mehr hören. Auf dem linken bleibt bis zu seinem Tod ein kleiner Rest von Hörfähigkeit vorhanden. Der Geiger Schuppanzigh überrascht den Freund eines Tages dabei, wie er mit einem Stiefelknecht heftige Schläge gegen die Zimmerwand ausführt, um dadurch wenigstens akustische Eindrücke zu gewinnen. Gellende Schreie kann er bis zuletzt wahrnehmen, auch niedrige Frequenzen wie Wagengerassel und Schüsse. Ob Beethoven vielleicht sogar noch den Donner des fürchterlichen Gewitters, das seine Todesstunde begleitet, als letztes Geräusch in seinem Leben gehört hat?
Die Ursache für Beethovens Leiden bleibt für ihn bis zu seinem Ende ein Geheimnis. Liegt es an den heftigen Verdauungsstörungen, einem „furchtbaren Typhus“? Oder ist er vielleicht selbst daran schuld, weil er im strömenden Regen weiterkomponiert hat, bis er völlig durchnässt gewesen ist, sich an einem heißen Sommertag der Zugluft ausgesetzt hat? Beethoven glaubt eine Zeitlang sogar, seine Taubheit sei
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durch einen Wutanfall verursacht worden. Ein ihn zur Weißglut treibender Sänger, ein Tenor, soll diesen ausgelöst haben: „Ich war noch nicht eine halbe Stunde bei der Arbeit, als ich ein Klopfen an meiner Tür hörte, welches ich sofort als das meines ersten Tenors wiedererkannte. Ich sprang vom Tische mit einer solchen Aufregung und Wut auf, dass, als der Mann ins Zimmer trat, ich mich auf den Boden warf … und auf meine Hände fiel. Als ich wieder aufstand, fand ich mich taub und bin es seitdem geblieben.“ Ob diese sonderbare Geschichte wirklich stimmt, ist nicht bekannt. Ganz sicher jedoch liegt hier nicht der Grund für Beethovens Taubheit, immerhin vermittelt sie uns aber einen guten Eindruck von seinem aufbrausenden Temperament. Die wahre Ursache wird seit dem Tod des Komponisten bis heute erforscht; und ganze Bücher sind darüber geschrieben worden. Es existieren die vielfältigsten medizinischen Ansichten, deren Erörterung an dieser Stelle den Rahmen ganz gewaltig sprengen würde. So viel sei gesagt: Schuld an der Ertaubung Beethovens sind nicht die Tuberkulose, der Alkoholkonsum oder die Syphilis, an der er – im Gegensatz zu etlichen anderen Künstlern seiner Zeit – nie erkrankt ist. Anhand einer Untersuchung von Knochenresten des Schädels ist mittlerweile festgestellt worden, dass aller Wahrscheinlichkeit nach eine sogenannte Otosklerose, eine Mittelohrverkalkung, als die tatsächliche Ursache angesehen werden darf. Es handelt sich hierbei um eine sehr selten auftretende (nur 1 % der weißen Bevölkerung betreffende) Erkrankung der knöchernen Kapsel des Ohrlabyrinths, die vermutlich durch Störungen des Knochenstoffwechsels ausgelöst wird. Heute könnte man dem Tauben mit größter Wahrscheinlichkeit helfen. Nicht nur in diesem Leiden liegt die Tragik des Lebens von Ludwig van Beethoven, sondern auch in der Liebe. Die Sehnsucht nach einer Frau an seiner Seite bleibt bis zu seinem Tod für ihn unerfüllt. Beethoven ist ein ewig Suchender, der letztendlich immer wieder in seiner Einsamkeit zurückbleibt.
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Frauen In dieser Hinsicht ist er jedoch beileibe kein Einzelfall. Die Liste der – aus den unterschiedlichsten Gründen – ledig gebliebenen Komponisten ist lang: Georg Friedrich Händel, Franz Schubert, Frédéric Chopin, Maurice Ravel … Auch zwei der größten Komponisten nach Beethoven, die ansonsten nur die Schwäche für Tabakwaren als Gemeinsamkeit haben, bleiben ihr Leben lang Junggesellen: Anton Bruckner und Johannes Brahms; der eine, weil er keine Frau findet, der andere, weil er keine will. Bruckner hat es schon insofern schwer, als er weder ein „Womanizer“ noch ein wirklich guter Gesellschafter ist und sich darüber hinaus im Umgang mit dem anderen Geschlecht, gelinde gesagt, ungeschickt anstellt. Wann immer er eine Frau trifft, auf die er Eindruck machen will, bietet er ihr als Erstes eine Prise aus seiner Schnupftabaksdose an und ist äußerst erstaunt, wenn dieses reizende Angebot ausgeschlagen wird. Auch seine großartige Idee, seiner Angebeteten zum Rendezvous ein Gebetbuch zum Geschenk zu machen, zeigt in Linz nicht die erhoffte Wirkung: Es fliegt die Treppe hinunter, Bruckner quasi hinterher. Das Herz einer Dame nur mit Worten zu gewinnen, ist auch nicht wirklich seine Stärke: Eine seiner – etwas älteren – Tischdamen geht einmal, nach einer halben Stunde stummer Nachbarschaft, frustriert zur Attacke über und sagt mit Hinweis auf ihr großzügig dekolletiertes Abendkleid: „Für Sie hab’ ich mich heut extra so schön angezogen.“ Bruckner will sich nicht lumpen lassen und entgegnet: „Gnä’ Frau, meinetwegen hätten S’ gar nix anziehen brauchen.“ Doch auch bei jüngeren Frauen – die eher noch jünger werden, je älter er selbst wird – weiß Bruckner seinen ganzen Charme zu versprühen. Als er einmal an seiner großen Orgel im Dom von Linz sitzt, entdeckt er zwei reizende Backfische, die sich offenbar für das Instrument zu interessieren scheinen. Bruckner bittet die Damen zu sich und gibt alles, um ihnen die Orgel und sich selbst näherzubringen. Nach ausführlichen Erläuterungen vertieft er sich mit Inbrunst in sein Spiel, um die Herzen der beiden Hübschen endgültig zu erobern. Nach einer knappen Stunde blickt Bruckner sich um, in Erwartung zweier strahlender Augenpaare. Niemand ist zu sehen, außer dem Küster, der ihn
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aufklärt: „Ja, Herr Professor, die zwo, die san gangen, grad als Sie aogfangen hom zu spiuln …“ Über 200 Frauen sind bekannt, die in Bruckners Leben eine Rolle gespielt haben – um sehr viele ihrer jungen bis sehr jungen Hände hat er geworben. Trotzdem klappt es mit der Ehe nicht. Zum einen wegen des häufig zu großen Altersunterschieds, zum anderen, weil sie ahnen, dass die einzig wahre Liebe dieses Mannes doch nur einer gilt: der Musik. Ganz anders sieht die Sache bei Johannes Brahms aus: Der – vor allem in seiner bartlosen Zeit – hinreißend aussehende Norddeutsche hat bei Frauen durchaus „einen Schlag“. Und die Liste der Damen, die sein Herz erobern, ist lang – wenn auch nicht so lang wie Bruckners. An erster Stelle natürlich die Frau und spätere Witwe von Robert Schumann, Clara. Trotz gegenseitiger Liebe finden sie ihr Leben lang nicht zueinander. Doch so lange seine über alles geliebte Mutter noch für ihn da ist, kommt Johannes ohnehin eine Ehe erst gar nicht in den Sinn. Die Zärtlichkeit einer anderen Frau braucht er nicht unbedingt. Erst nach ihrem Tod soll Brahms geäußert haben: „Ich habe jetzt keine Mutter mehr, ich muss heiraten.“ Dass er dann doch sein Leben lang ledig bleibt und vor der Liebe geradezu flüchtet, ist seine freie Entscheidung, die er bereits im Alter von vierzig Jahren trifft. Seine Abneigung gegen die Ehe ist unüberwindbar, ihren Anforderungen fühlt er sich nicht gewachsen. Brahms will und kann sich unmöglich langfristig an eine Frau binden. Sein Lebensmotto verbirgt sich fortan hinter drei Buchstaben: f. a. e. – „frei, aber einsam“. Und wer das nicht akzeptieren will und hartnäckig nachfragt, der muss – wie eine unbekannte Dame der Wiener Gesellschaft – mit einer typisch Brahms’schen Antwort wie dieser leben: „Mich hat noch keine gewollt, und wenn es eine gäbe, so würde ich sie ihres schlechten Geschmacks wegen nicht mögen.“ Die selbstgewählte Einsamkeit ist der Preis, den Johannes Brahms zahlen muss. Er nimmt sie in Kauf, weil er die Ruhe und Konzentration für das alles Entscheidende in seinem Leben braucht: sein Werk. Und auf die Frage, ob er verheiratet ist, pflegt er in späteren Jahren gern zu antworten: „Leider bin ich ledig – Gott sei Dank!“ Dieser Satz wäre Beethoven nie über die Lippen gekommen. Er
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bleibt gegen seinen Willen einsam. Ihm ergeht es eher wie Bruckner. Er sucht die Liebe seines Lebens und wird sie doch nie festhalten können – selbst die „Unsterbliche Geliebte“ nicht; die ein Geheimnis umgibt, das Beethoven für immer mit in sein Grab genommen hat.
„Wie soll man ihnen widerstehen?“, fragt sich Beethoven sicherlich häufiger, wenn er, über die Tasten gebeugt, die zarten Finger seiner hübschen Schülerinnen streift. „Wie soll man ihm widerstehen?“, fragen sich, trotz seines Äußeren, diese jungen Dinger aus dem Hochadel, die die Kunst des Klavierspielens bei dem Genie, dem „Titanen“, erlernen. Mit seinem Spiel bezaubert er sie, weckt in ihnen ungeahnte Sehnsüchte. Irgendwelche Liebesgeschichten hat er sein Leben lang, zahllos sind die Verhältnisse und Affären. In Wien kann er kaum an einem hübschen Mädchen vorbeigehen, ohne es anzulächeln. Und kaum eine lächelt nicht zurück, trotz oder wegen seines pockennarbigen Gesichts unter der wilden Mähne. Wie ein Magnet zieht Beethoven, der Frauentyp, das andere Geschlecht an. Sein Freund Wegeler weiß zu berichten: „In Wien war Beethoven, wenigstens solange ich da lebte, immer in Liebesverhältnissen und hatte mitunter Eroberungen gemacht, die manchem Adonis, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer geworden wären.“ Ob dieses Bild, in dem Beethoven auch heute noch oft gesehen wird, wirklich stimmt? Es ist zu bezweifeln. Fest scheint zu stehen, dass er – wie Ferdinand Ries bemerkt – „sehr häufig verliebt“ war, „aber meistens nur auf kurze Dauer“. Doch ob seine Gefühle auch immer erwidert werden? In jungen Jahren muss er ein sehr schüchterner Mann gewesen sein. Nicht umsonst wird er da noch sogar für Jüngere zur Zielscheibe ihres Spotts. Bei einem gemeinsamen Essen der Orchestermitglieder beispielsweise stacheln einige Jungs die Kellnerin dazu an, dem 21-Jährigen ihre „Reize“ zu präsentieren, wie auch immer man sich das vorstellen darf. Beethoven reagiert zunächst nur kühl und zurückweisend. Als die Fremde, von den anderen ermutigt, von ihm allerdings ganz und gar nicht ablassen will, setzt er dem Treiben schließlich mit einer Ohrfeige ein Ende. Er muss sich schon arg bedrängt gefühlt haben.
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Vielleicht liegt es auch an dem gestörten Mutter-Sohn-Verhältnis, dass Ludwig von Anfang an Schwierigkeiten hat, eine Liebesbeziehung zu einer Frau herzustellen. Hinzu kommt ein verhängnisvoller Zug in Beethovens Wesen, der feste Bindungen von vornherein erschwert: die Leidenschaft für das Unerreichbare. Er fühlt sich vor allem zu Frauen hingezogen, die bereits gebunden sind, nicht von seinem Stand – also adelig – sind oder auch von anderen umworben werden. Manchmal alles zusammen. Das kann nicht gut gehen …
… und ist bereits bei seinem ersten Mädchen der Fall, Jeanette von Honrath, einer schönen Blondine, um die zugleich auch sein Freund Stephan von Breuning und ein österreichischer Offizier werben, der letztlich auch den „Zuschlag“ erhält. Ganz hoffnungslos ist dann Beethovens Leidenschaft für seine adlige Schülerin Maria Anna von Westerholt, die später standesgemäß heiratet. Aus Wien sucht Beethoven Beistand bei der Suche nach der geeigneten Frau für die geplante Rückkehr nach Bonn. Er wendet sich Hilfe suchend sogar brieflich an seinen alten Horn-Lehrer Nikolaus Simrock: „Sind Ihre Töchter schon groß, erziehen Sie mir eine zur Braut; denn wenn ich ungeheiratet in Bonn bin, bleibe ich gewiss nicht lange da; – Sie müssen doch auch jetzt in Angst leben!“ Ganz abgesehen von der Frage, wie man ein Mädchen zur Braut erziehen kann, ist an dem leicht drohenden Unterton ersichtlich, wie ernst und wichtig Ludwig die Sache ist. In der Zwischenzeit jedoch wird er auch selbst aktiv und bändelt in Wien mit dem Bonner (!) Mädel Magdalena Willmann, einer Sängerin, an. Ohne von ihr dazu ermutigt worden zu sein, hält der Mittzwanziger unvermittelt um ihre Hand an – und erhält einen Korb. Geradezu demütigend lautet die so überlieferte Begründung: „Weil er so hässlich war und halb verrückt!“ Die „Liste“ der Frauen, mit denen sein Name mehr oder weniger überzeugend in Verbindung gebracht wird, ist für einen Mann in den Zwanzigern erschreckend dürftig: Josephine Gräfin Clary, Christine Gerhardi und Anna Luise Barbara Keglevich. Auch den vielen Verlockungen der Freudenmädchen Wiens muss Beethoven (noch) hartnäckig widerstanden haben. Jedenfalls warnt er seinen Bruder Niko-
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laus Johann eindringlich: „Nimm dich nur in Acht vor der ganzen Zunft der schlechten Weiber!“ Und Ignaz Schuppanzigh, sein wohlbeleibter Freund, darf sich wochenlang nicht mehr bei ihm sehen lassen, nachdem er ihn in ausgelassener Stimmung ,,zu einem Mädchen“ gebracht hat; obwohl der Dicke es sicher nur gut gemeint hat. Das kann man allerdings von einer Frau namens Giulietta Guicciardi nicht sagen. Sie treibt ein böses Spiel mit dem verliebten Beethoven – ihr Name wird dennoch unvergessen bleiben. Denn ihr widmet er eines seiner herrlichsten, romantischsten Werke …
Die „Mondscheinsonate“ Beethoven ist dreißig, Giulietta siebzehn Jahre alt; eine Italienerin, wie ihr Name unschwer verrät. Ein Medaillon mit dem Bildnis der schönen Komtesse wird in seinem Nachlass gefunden. Urteilt man danach, dann handelt es sich um „ein etwas kokettes, ausnehmend reizvolles Persönchen mit sieggewohnten Augen, einem wählerischen Mund und einer kecken, aufrechten Körperhaltung bei anmutigen weiblichen Formen“ – so jedenfalls sieht Romain Rolland sie. Da muss etwas dran sein, denn Giulietta macht nicht geringes Aufsehen, als sie 1801 in den Wiener Salons erstmals auftaucht. Ihr Spitzname: „die schöne Guicciardi“. Und auch Beethoven, dessen Klavierschülerin sie wird, ist ihr durchaus gewogen und zu dieser Zeit selbst eine elegante Erscheinung. Für die Stunden verlangt er kein Geld – ihre Anwesenheit scheint Entlohnung genug zu sein. Die Komtesse lässt sich jedoch nicht lumpen und schenkt ihrem Lehrer dafür ein Dutzend Hemden, die dieser jedoch erst annimmt, als sie ihm weismacht, sie selbst genäht zu haben. Im Gegenzug widmet Beethoven ihr die Klaviersonate cis-Moll op. 27/2, womit er sie und ihren Namen unsterblich machen wird. Klingt nett – bis hierhin. Sehr bedenklich ist jedoch, dass er in der gräflichen Familie nur als „der Musiklehrer“ bezeichnet wird, Giulietta sich längst dem Grafen Gallenberg zugewandt hat und Beethoven selbst in einer Zeichnung „verewigt“ hat: als verliebter Romeo, der zu ihrem Balkon aufblickt, während sie selbst hinter einem Vorhang hervorspäht. Die Komtesse genießt es ganz offensichtlich, Macht über den
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vor Liebe Blinden zu haben und ihre Spielchen mit ihm zu treiben. Als Gatte kommt er, der Mann aus dem gemeinen Volk, ohnehin nicht in Frage – Genie hin oder her. Er steht nun mal – wie auf der Zeichnung – ganz weit „unter ihr“. Für Beethoven jedoch ist die Sache ernst. Todunglücklich ist er zum Zeitpunkt der Begegnung mit Giulietta. Die Angst vor der Ertaubung quält ihn und treibt ihn von einem Arzt zum anderen. Die Liebe zu ihr hat Licht in das Dunkel seines Lebens gebracht, ihn aus seiner seelischen Niedergeschlagenheit befreit. An Freund Wegeler schreibt er: „Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich mehr unter Menschen gemacht … Diese Veränderung hat ein liebes, zauberisches Mädchen hervorgebracht, die mich liebt, und die ich liebe; es sind seit zwei Jahren wieder einige selige Augenblicke, und es ist das erste Mal, dass ich fühle, dass Heiraten glücklich machen könnte; leider ist sie nicht von meinem Stande.“ Was Beethoven für Giulietta empfunden haben muss, lässt sich erahnen, wenn man den ersten Satz der „Mondscheinsonate“ hört: So viel Süße und Zärtlichkeit, aber auch untröstliche Schwermut liegt in ihm. Mondschimmer über einem See, die Klagen sehnsüchtiger einsamer Liebe tönen geheimnisvoll von einer Ruine herab, fand Ludwig Rellstab. Eine klagende Geisterstimme aus weiter Ferne in der Nacht hörte Carl Czerny in dieser unsterblichen Musik. Als das Werk 1802 gedruckt wird, sind sich die Komtesse und Wenzel Robert Graf Gallenstein bereits einig; ein Jahr später wird standesgemäß geheiratet. Die Frischvermählten zieht es nach Neapel, wo sie es sich in warmen Gefilden gutgehen lassen (1856 leben noch eine Tochter und fünf Söhne aus dieser Ehe …). Beethoven jedoch bleibt zurück. Es ist sicher wenig tröstend für ihn, dass der Graf bald Hörner trägt, die Ehe als unglücklich gilt und das Leben der schönen Komtesse als „abenteuerlich“ beschrieben wird. Wer will es ihm verdenken, dass er nichts mehr von ihr wissen will, als sie ihn 20 Jahre später weinend aufsucht? Das „liebe, zauberische Mädchen“ ist mittlerweile die Mätresse eines Grafen Schulenburg und wird zudem von den Behörden Wiens der Spionage verdächtigt. Das Medaillon mit ihrem Bildnis jedoch behält Beethoven, dem sie zumindest „einige selige Augenblicke“ geschenkt hat, bis zu seinem Tod.
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Qualen des Verliebten Es dauert nicht lange, bis die nächste Frau, in die er sich verliebt, in Beethovens Leben tritt: Giuliettas Kusine Josephine von Brunsvik, Gräfin aus erster Ehe. Von ihrer Mutter ist sie gezwungen worden, den fast dreißig Jahre älteren Grafen Deym zu heiraten. Nach seinem Tod – kurz vor der Geburt des vierten Kindes – hat sie einen Nervenzusammenbruch erlitten, ist in einem Zustand, der Beethoven nicht unbekannt gewesen sein dürfte: „Sie hatte schreckliche Nervenzufälle, bald lachte, bald weinte sie, danach trat äußerste Mattigkeit ein.“ In diese Frau, „Pepi“ genannt, verliebt er sich. Vielleicht verdankt die Nachwelt der unglücklich endenden Liebe zu Josephine, ähnlich der „Mondscheinsonate“, die überwältigende Klaviersonate „Appassionata“; das Gipfelwerk entsteht zu dieser Zeit. In Noten gesetzte Tragik, die dem Tod entgegenzustürzen scheint. Ahnt Beethoven bereits, wie alles enden wird? In seinen 14 Liebesbriefen, die erst in den 1950er Jahren aufgetaucht sind, spricht er noch von „ewiger Treue“ zu seiner „einzigen Geliebten“. Eine ähnliche Leidenschaft findet sich nur in einem einzigen anderen Brief, den Beethoven an eine Frau geschrieben hat. Von ihm wird bald die Rede sein. Die Liaison zwischen dem Komponisten und Josephine erfüllt ihre beiden Schwestern mit Sorge. In einem Brief von Therese an Charlotte heißt es: „Aber sage mir, Pepi und Beethoven, was soll daraus werden? Sie soll auf der Hut sein! … Ihr Herz muss die Kraft haben nein zu sagen.“ Josephine hat diese Kraft grundsätzlich nicht – oder will sie gar nicht haben. Dass sie einem kleinen Tête-à-Tête nicht abgeneigt ist, ohne dabei von Gewissensbissen geplagt zu sein, geht aus einem Tagebucheintrag ihrer Schwester Therese eindeutig hervor. Auch heißt es in einem Jahre später erscheinenden Polizeibericht über sie, dass die Gräfin sich „keines guten Rufes“ erfreue und man sie nicht davon freisprechen könne, den „Grund für manchen Ehezwist“ geliefert zu haben. Bei Beethoven macht sie jedoch eine Ausnahme. Sie behauptet, nach dem Tod ihres Mannes ein Keuschheitsgelübde abgelegt zu haben. Ganz überzeugt davon scheint der sie Liebende und Begehrende jedoch nicht zu sein, denn er bleibt in diesem Punkt hartnäckig. Ohne Erfolg.
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Folgender Brief Josephines spricht Bände. Er muss unbedingt im Wortlaut wiedergegeben werden: „Dieser Vorzug, den Sie mir gewährten, das Vergnügen Ihres Umgangs, hätte der schöne Schmuck meines Lebens sein können, liebten Sie mich minder sinnlich – dass ich diese sinnliche Liebe nicht befriedigen kann – zürnen Sie auf mich – Ich müsste heilige Bande verletzen, gäbe ich Ihrem Verlangen Gehör. – Glauben Sie – dass ich, durch Erfüllung meiner Pflichten am meisten leide – und dass gewiss edle Beweggründe meine Handlungen leiteten.“ So blumig der Brief auch klingt – Beethoven weiß, woran er ist. Ihrem Wunsch entsprechend liebt er sie fortan „weniger sinnlich“, akzeptiert ihre Bedingungen für die Beziehung, so wie Josephine es in einem Briefentwurf formuliert: „Ich liebe Sie unaussprechlich – wie ein frommer Geist den andern.“ Vielleicht kommt ja dieser Brief über einen Entwurf nie hinaus, weil Josephine mit dem Ausdruck „frommer Geist“ dann doch etwas sehr dick aufträgt. Beethoven zweifelt nämlich an dem Keuschheitsgelübde, hat die fromme Gräfin in Verdacht, eine heimliche Affäre zu haben. Sein Misstrauen ist, zu Recht oder Unrecht, groß, und er quält sie und sich mit Vorwürfen. Die Rolle einer, die der Untreue verdächtigt wird, ist nichts Neues für Josephine. Auch Graf Deym, ihr um so vieles älterer Mann, hat sie diesbezüglich beargwöhnt. „Er hütete sie mit der größten Eifersucht vor jedem Umgang“, weiß Schwester Therese zu berichten. In der Folge werden Beethovens Briefe an Josephine immer kühler, er bittet um Rückgabe der Noten eines Liedes, das er für sie geschrieben hat und bezeichnenderweise den Titel „An die Hoffnung“ trägt. Keine sechs Monate später lässt sich die Gräfin von einem echten Grafen umwerben und kehrt Wien und Beethoven den schönen Rücken in Richtung Budapest. Als sie ein Jahr darauf zurückkehrt, versucht er sich ihr erneut freundschaftlich zu nähern, doch ihre Diener verwehren ihm den Zutritt. Beethoven muss erkennen, dass erneut eine große Liebe für ihn wenig glücklich endet. Sein letzter, äußerst zurückhaltender Brief klingt jedenfalls nach einem wehmütigen Ende: „Wie wehe tut’s mir, Sie nicht sehen zu können – doch besser ist’s für Ihre, für meine Ruhe, Sie nicht zu sehen … Ich danke Ihnen, dass Sie noch scheinen wollen, als wäre ich nicht ganz aus Ihrem Andenken verbannt.“ – Beethoven,
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zurückgewiesen vor der Tür einer geliebten Frau stehend. Nicht zum ersten, nicht zum letzten Mal …
Zunächst sitzen die Demütigungen durch Giulietta Guicciardi und Josephine von Brunsvik tief. So tief, dass Beethoven fast anderthalb Jahre lang weiteren schmerzhaften Liebesbeziehungen aus dem Weg geht. Dann jedoch scheint er sich, durch einen Rentenvertrag finanziell abgesichert, mit ernsthaften Heiratsabsichten zu tragen. Beethoven will eine Frau finden, die seinen „Harmonien zuweilen einen Seufzer“ schenkt. Sein enger Freund Ignaz Freiherr von Gleichenstein soll den Postillon d’Amour spielen. Zwei Kriterien muss die Auserwählte jedoch unbedingt erfüllen: Sie soll „keine Elise Bürger“ sein (die Gattin des Dichters Gottfried August Bürger hat sich nämlich nach zwei Jahren Ehe wieder scheiden lassen) und äußerlich ansprechend: „Schön muss sie aber sein, nichts nicht Schönes kann ich nicht lieben – sonst müsste ich mich selbst lieben“, formuliert Beethoven unnachahmlich. „Nun kannst du mir helfen eine Frau zu suchen; wenn du dort in F. eine schöne findest … so knüpf im Voraus an“, heißt es in dem Brief. Ob der ansonsten eher auf Hüte und Brennholz spezialisierte Freiherr etwas Geeignetes in „F.“ (= Freiburg) auftreiben und mit nach Wien hat bringen können, ist nicht bekannt. Ersatzweise führt er seinen Freund in eine Familie mit dem einprägsamen Namen Malfatti von Rohrenbach zu Dezza ein, mit deren Tochter Anna der Baron verlobt ist. Zufälligerweise hat diese eine schöne Schwester, Therese, die noch dazu gerade volljährig geworden ist. Beethoven findet rasch Gefallen an ihr und unterrichtet sie – seinem eigenen Wunsch entsprechend – am Klavier, wo man bekanntlich nebeneinander sitzen kann. Aller Wahrscheinlichkeit nach macht er der 18-Jährigen im Mai 1810 einen Heiratsantrag. (Am Rande: Ob es damals wohl schon Doppelnamen gab?) Und diesmal hat er sogar theoretisch Aussicht auf Erfolg, denn trotz des prägnanten Namens entstammt Therese keiner adligen Familie. Ihr Vater ist „nur“ Großhändler, der aufgrund seines Gutsbesitzes einige Jahre zuvor in den erbländischen Adelsstand erhoben worden ist. Ein überzeugendes Indiz dafür, dass der angesehene Komponist
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sich nicht geringe Chancen ausrechnet: Gleichenstein hat von ihm kurz vor dem Antrag die Order erhalten, für 300 Gulden Hemdenstoff und Halstücher zu besorgen. Doch der Aufwand ist vergebens: Beethoven wird zurückgewiesen. Die Gründe dafür liegen im Dunkeln. Therese hat sich jedenfalls dazu entschlossen, keinen „van“, sondern einen „von“ zu ehelichen: Baron von Droßdik heißt der Glückliche. Der Verschmähte ist tief getroffen, stürzt „aus den Regionen des höchsten Entzückens wieder tief hinab“, wie er Gleichenstein schreibt: „Ich kann also nur wieder in meinem eigenen Busen einen Anlehnungspunkt suchen, von außen gibt es also gar keinen für mich. – Nein, nichts als Wunden hat die Freundschaft und ihr ähnliche Gefühle für mich. So sei es denn, für dich, armer Beethoven, gibt es kein Glück von außen, du musst dir alles in dir selbst erschaffen, nur in der idealen Welt gibt es Freunde.“ Aufs Heiraten angesprochen, schüttelt Beethoven fortan verbittert den Kopf. Er wäre sehr glücklich, dass keine von „einigen Mädchen, welche er in früheren Zeiten zu besitzen als das größte Glück erachtet hätte“, seine Frau geworden sei. Der Name Therese Malfattis wurde dennoch unsterblich – durch ein ihr nicht gewidmetes, weltberühmtes Werk. Das erscheint auf den ersten Blick merkwürdig, ist aber so.
„Für Elise“ und „Für Lisa“ Es ist eine der populärsten Kompositionen Beethovens überhaupt, ein recht kurzes Klavierstück von annähernd drei Minuten Länge, eine sogenannte Bagatelle: „Für Elise“. Es galt als ziemlich sicher, dass Ludwig es für seine Schülerin und verhinderte Ehefrau Therese Malfatti geschrieben hat. Das macht Sinn. Die verwirrende Geschichte beginnt im Jahr 1865, als der Beethoven-Forscher Ludwig Nohl das Autograph des Stückes WoO 59 bei einem Fräulein Bredl in München entdeckt, die es aus dem Nachlass der Baronin Therese von Droßdik, geborene Malfatti, geschenkt bekommen hat. Da es der Verlag Breitkopf & Härtel in der BeethovenGesamtausgabe – vermutlich aufgrund von Zweifeln an der Echtheit – nicht aufnehmen will, veröffentlicht Nohl es selbst, zusammen mit einer Gruppe von Briefen des Komponisten an Gleichenstein. Als Widmung auf dem Autograph teilt Nohl mit: „Für Elise am 27. April zur
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Erinnerung von L. v. Bthvn“. Nach der Veröffentlichung verschwindet das Autograph – und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. „Wer ist Elise?“, fragt man sich zu Recht. Und schon 1923 kommt der Verdacht auf, dass Nohl sich schlicht verguckt haben muss – Beethovens Handschrift war nämlich nicht die leserlichste. Vieles spricht für Therese Malfatti als durch die Widmung Geehrte. Also: „Für Therese“ hat es eigentlich geheißen, das Stück. Dass dies die Wahrheit ist, hat man fast ein Jahrhundert lang geglaubt. In unzähligen Werken über Beethoven ist es so nachzulesen – (noch) ein Irrtum! Dem Musikwissenschaftler Klaus Martin Kopitz gebührt das Verdienst, ihn 2009 aufgedeckt zu haben. Schriftstücken aus dem Archiv des Wiener Stephansdoms hat er entnehmen können, dass es eine Bekannte Beethovens gab, eine Sängerin, die den schönen Namen Elisabeth Röckel trug, die sich aber zur Entstehungszeit des Stückes „Elise“ nannte – als einzige Frau im Umfeld des Komponisten, die ihm recht nah gestanden haben muss. Sie selbst berichtete von einem ausgelassenen Abend, an dem er „nicht nachgelassen habe sie zu stupfen und zu necken“ und aus lauter Zuneigung – man höre und staune – sogar in den Arm gekniffen habe … Leider gibt es kein Werk Ludwig van Beethovens, das den Titel „Für Lisa“ trägt oder „L. Flohberger“ gewidmet ist, denn mit diesem Namen ist eine der köstlichsten Liebesanekdoten verbunden.
Im Sommer 1804 wohnt Beethoven in Oberdöbling, einem ländlichen Vorort Wiens. Unweit seiner Wohnung steht das verwahrloste, dreckige Häuschen eines berüchtigten Säufers und Tagediebs, der dort alleine mit seiner Tochter lebt. Diese heißt Lisa Flohberger: jung, blond, drall und im Ort mindestens ebenso bekannt wie ihr Vater. Sie ist nämlich die „dörfliche Dirne“. Kaum hat Beethoven Lisa zum ersten Mal gesehen, ist er ihr schon mit Haut und Haar verfallen. Tag für Tag bleibt er vor dem Hoftor stehen, um sie mit schmachtenden Blicken zu verschlingen. Lisa kennt den Mann, der stumm und wie verhext draußen steht – selbstverständlich. Alle kennen ihn: den verrückten Musiker aus Wien. Dennoch zeigt sie ihm so lange die kalte Schulter, bis er mit kurzen, wütenden Schrit-
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ten davonstürmt – um am nächsten Tag wieder da zu stehen. Eines Abends gibt es gewaltigen Krach in Döbling. Vater Flohberger ist betrunken, verprügelt einige seiner Saufkumpane und zerschlägt Tische und Stühle in der Kneipe. Man nimmt den Rasenden fest und bringt ihn ins Gefängnis. Ob Beethoven, der dies erfährt, sich wohl an einen seiner sehr nahen Verwandten erinnert, als er am nächsten Morgen in seinem besten Anzug zum Gemeinderat marschiert? Oder will er nur auf Tochter Lisa Eindruck schinden, als er versucht, die Freilassung des Lumpen zu erwirken? Wie dem auch sei: Seine Einmischung in dörfliche Angelegenheiten bringt nur den Rat in Rage, der ihn nachdrücklich zum Verlassen des Amtsraums auffordert.So kann auch das Herz der schönen Lisa nicht gewonnen werden, die Beethoven, der im September Oberdöbling verlässt, nie mehr wiedersehen wird. Ob sich alles genau so zugetragen hat, weiß man nicht. Eines lässt sich jedoch in jedem Fall sagen: Lisa Flohberger ist ganz sicher nicht Ludwig van Beethovens „Unsterbliche Geliebte“ gewesen.
Größtes Geheimnis: die „Unsterbliche Geliebte“ Vier Männer durchsuchen die Wohnung des Toten. Sie finden Brillen und Hörrohre, zahlreiche Handschriften, Uhren, Statuetten und vieles mehr. Über 10.000 Gulden wird der Nachlass Ludwig van Beethovens bei der Versteigerung am 5. November 1827 schließlich erbringen. Stephan von Breuning, der Jugendfreund, durchsucht einen alten Sekretär – und stößt überraschend auf eine Geheimschublade. Ihr entnimmt er neben sieben Bankaktien und dem „Heiligenstädter Testament“ auch einen dreiteiligen, rätselhaften Brief. Lange Zeit wusste man weder, wann und wo genau er geschrieben worden ist, ob er je abgeschickt (und zurückgesandt) wurde und vor allem – an welche Frau er gerichtet ist: der berühmte Brief an die „Unsterbliche Geliebte“. Aus ihm geht eindeutig hervor, dass Ludwig van Beethoven in dieser Unbekannten zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben eine Frau gefunden hat, die seine Liebe aus ganzem Herzen erwidert. Hier die leicht gekürzte, „übersetzte“ Fassung des Briefs:
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„Am 6. Juli morgens Mein Engel, mein alles, mein Ich. Nur einige Worte heute, und zwar mit Bleistift (mit deinem) … Warum leidest du so, obwohl es doch nicht zu ändern ist? Unsere Liebe kann nur dadurch bestehen, dass wir Opfer bringen, nicht alles verlangen. Kannst du es ändern, dass du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin? … Die Liebe fordert alles und zu Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir – nur vergisst du so leicht, dass ich für mich und für dich leben muss. Wären wir ganz vereint, würdest du diesen Schmerz genauso wenig empfinden wie ich … Wir werden uns wohl bald sehen, heute kann ich dir nicht mitteilen, welche Gedanken ich mir in den letzten Tagen über mein Leben gemacht habe. Wären unsere Herzen immer dicht beieinander, bräuchte ich mir keine zu machen. d. g., mein Herz ist voll von dem, was ich dir sagen möchte. Ach – Es gibt Momente, wo ich finde, dass Worte nicht ausreichen. Sei fröhlich. Bleibe mein treuer, einziger Schatz, mein alles, so wie ich dir. Alles andere wissen die Götter, was für uns sein muss und sein soll. Dein treuer Ludwig Montag, 6. Juli abends Du leidest, du, mein teuerstes Wesen – Eben jetzt erst ist mir aufgefallen, dass die Briefe in aller Frühe aufgegeben werden müssen. Montags – donnerstags – die einzigen Tage, wo die Post von hier nach K. geht. Du leidest. Ach, wo ich bin, bist du mit mir, mit mir und dir rede ich. Mache, dass ich mit dir leben kann, welches Leben!!! … Ich weine, wenn ich denke, dass du erst wahrscheinlich am Sonnabend die erste Nachricht von mir erhältst. Wie du mich auch liebst, stärker liebe ich dich doch. Doch nie verberge dich vor mir! … Ach Gott – so nah! So weit! Ist unsere Liebe nicht ein Gebäude des Himmels? Aber auch so fest wie die Feste des Himmels.
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Guten Morgen am 7. Juli Schon im Bett drängen meine Gedanken zu dir, meine Unsterbliche Geliebte, mal freudig, mal traurig. Ob uns das Schicksal erhört? Leben kann ich entweder ganz mit dir oder gar nicht. Ja, ich habe beschlossen, in der Ferne so lange herumzuirren, bis ich in deine Arme fliegen und ganz nah bei dir bleiben kann, meine Seele von dir umgeben ins Reich der Geister schicke. Ja, leider muss es sein. Es wird leichter für dich zu ertragen sein, wenn du an meine Treue denkst. Nie kann eine andere mein Herz besitzen, nie – nie. O Gott, warum muss man sich von dem trennen, das man so liebt! Und doch ist mein Leben in Wien, so wie jetzt, ein kümmerliches Leben. Deine Liebe macht mich zum glücklichsten und zum unglücklichsten Menschen zugleich. In meinen Alter bräuchte ich eigentlich ein geregeltes Leben. Ist so etwas bei unserer Beziehung denkbar? Engel, eben jetzt erfahre ich, dass die Post jeden Tag abgeht. Und ich muss daher schließen, damit du den Brief gleich erhältst. Bleib ruhig, nur wenn wir unser Dasein in Ruhe betrachten, können wir unser Ziel, zusammenzuleben, erreichen. Bleib ruhig, liebe mich. Heute, gestern: Mit Tränen sehne ich mich nach dir – dir – dir. Mein Leben, mein Alles, leb wohl. O hör nicht auf, mich zu lieben. Verkenne nie das treueste Herz deines geliebten L. ewig dein ewig mein ewig uns“ Der Brief wurde im Jahr 1812 in Teplitz geschrieben an eine Frau, die sich zu dieser Zeit in dem zwei Tagesreisen entfernten Karlsbad („K.“) aufhielt. Unzählige Damen, darunter auch Giulietta Guicciardi und Josephine von Brunsvik, sind seit Entdeckung des Schreibens als Empfängerin verdächtigt worden. Mittlerweile gilt jedoch als sicher – eine Fülle von Indizien spricht dafür –, dass es Antonie Brentano gewesen sein muss. Was weiß man über diese Frau und die Liebe zwischen ihr und Ludwig van Beethoven?
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Antonie ist dreißig, als sie Beethoven begegnet. Sie ist die einzige Tochter einer adligen Familie, des österreichischen Staatsmanns und Gelehrten Edler von Birkenstock und seiner Frau Carolina Josefa von Hay. Nach dem frühen Verlust ihrer Mutter wird die Achtjährige in ein Ursulinenkloster geschickt, wo sie unter einer strengen Erziehung zu leiden hat. Fünfzehnjährig kehrt sie nach Wien zurück und führt drei Jahre lang ein behütetes Leben im Haus ihres Vaters, bis sie „als gehorsame Tochter“ sich „den Wünschen des Vaters fügt“ und einen Frankfurter Kaufmann heiratet. Die Ehe ist arrangiert worden. Die „wahre Herzensgeliebte“ des Bräutigams soll während der Trauung im Stephansdom hinter einem Pfeiler gestanden und „bittre Tränen“ vergossen haben. Kurz nach der Hochzeit schon heißt es, das geliebte Wien zu verlassen und mit dem Gatten nach Frankfurt zu gehen. „Gänzlich fremd“ sind ihr Stadt, Heim und Gatte, den sie erst nach langen Monaten mit „Du“ anreden kann. Dabei tut der Ehemann alles, um seine junge Frau glücklich zu machen. „Mein guter Franz“ nennt sie ihn, bringt ihm als dem „besten Mann“ aufrichtige Achtung entgegen, jedoch keine Liebe. Kein Wort ist davon in all ihren Briefen zu lesen. Nach dem frühen Tod des ersten Kindes bleiben drei weitere am Leben. Dennoch ist sie todunglücklich. „Wie ein Glas Wasser, das lang gestanden hat“: So wird sie von ihrem Schwager beschrieben. Die Trennung von ihrer geliebten Heimatstadt kann sie nicht verwinden. Frankfurt bleibt ihr fremd: „Der Schatten der Sandgasse bildet den düsteren Hintergrund zu meinem Lebensgemälde“, schreibt sie in einem Brief. Die Traurigkeit äußert sich in körperlichen Symptomen. Kopfund Brustschmerzen treten auf. In ihrem Inneren herrscht „Todesstille“, sagt sie. Als der Vater im Sterben liegt, kehrt sie schließlich im Oktober 1809 mit ihrem Mann und den Kindern für drei Jahre nach Wien zurück: „Wenn die Blätter herbstlich fallen, dann habe ich keinen Vater mehr und ehe er zur ewigen Ruhe kehrt, soll er noch in meinen Armen, ich noch an seinem Herzen ruhen.“ Ein halbes Jahr später wird sie Ludwig van Beethoven begegnen und seine „Unsterbliche Geliebte“ werden.
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„Seine besten Freunde in der Welt“ nennt der Komponist den Frankfurter Kaufmann und seine junge Frau bald. Im Mai 1810 hat er sie kennengelernt und ist häufig zu Gast in ihrem adligen Elternhaus, in dem die Familie jetzt lebt. Franz hat mittlerweile eine Zweigstelle seiner Firma in Wien gegründet, hält sich jedoch sonderbarerweise monatelang fern der Familie im heimischen Frankfurt auf. Obst und Blumen bringen die Kinder in Beethovens Wohnung und werden im Gegenzug mit Bonbons bedacht. Wenn die Mutter krank und bettlägerig ist, findet sie Trost bei ihm, in seinen Worten, seinen Melodien, die er am Klavier für sie spielt. Sie ist häufig leidend. Sie zieht sich dann für lange Zeit in ihr Zimmer zurück, und niemand darf zu ihr – niemand außer Ludwig van Beethoven. In diesem Sommer zieht es den Komponisten nicht – wie gewöhnlich – aufs Land. Er bleibt in Wien. Viel komponiert er nicht in den Jahren 1810 und 1811. Das Streichquartett op. 95 entsteht und das sogenannte „Erzherzog-Trio“ – eines seiner bedeutendsten Werke. Es wird in nur wenigen Tagen geschrieben. Vielleicht schweifen seine Gedanken dabei auch schon ab an die Frau, die ihn aus tiefstem Herzen verehrt. Niemand außer den beiden weiß, wann genau aus der Verehrung Liebe geworden ist. Aber als das Jahr 1811 zu Ende geht, haben sich zwei Menschen gefunden, die nicht zusammen sein dürfen. Für sie schreibt Beethoven eines seiner schönsten Lieder: „An die Geliebte“. Und dabei sieht er sie vor sich: die dunklen, mandelförmigen Augen, den schönen Mund mit den geschwungenen Lippen in ihrem blassen Gesicht; den langen weißen Hals, an dem ihr rotblondes, gelocktes Haar herabfällt.
Nach dem Tod des Vaters bringt Antonie ihren Mann dazu, noch drei weitere Jahre in ihrer geliebten Heimatstadt Wien – und bei Beethoven – zu bleiben. Sie tut alles, um die Rückkehr nach Frankfurt immer wieder hinauszuschieben. Viel Zeit lässt sich Antonie damit, die Kunstund Antiquitätensammlung ihres Vaters aufzulösen. Auch flüchtet sie sich in die Krankheit, verbringt mehrere Kuraufenthalte in Karlsbad.
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Nur nicht zurück nach Frankfurt, nur nicht den – selbst gewählten – Geliebten verlieren, der vielleicht auch ihr Retter sein kann. Denn irgendwann ist die Versteigerung der Kunstsammlung abgeschlossen, es gibt keinen triftigen Grund, noch länger in Wien zu bleiben. Auffällig ist, dass die Frau, die als größte Liebe Beethovens gilt, körperlich und seelisch leidend ist, wie Josephine, wie er selbst auch, und der Gedanke an Sterben und Tod sie in ähnlich jungen Jahren beschäftigt. Eine Reihe von Anhaltspunkten spricht dafür, dass auch Antonie Brentano ein hochsensibles Wesen besessen haben könnte. Spielt sie etwa selbst auf diese Gemeinsamkeit beider an, wenn sie in ihrem Tagebuch von einer „Wahlverwandtschaft“ spricht? Es würde erklären, warum die Liebe dieser beiden Menschen für sie so außergewöhnlich, so stark ist, dass sie bereit sind, sie gegen alle Widerstände durchzusetzen. Denn die Geliebte ist adlig von Geburt, noch dazu verheiratet und hat vier Kinder! Und ihr Mann ist außerdem ein enger Freund Beethovens. In Prag, vermutlich am 3. Juli 1812 oder kurz davor, muss Antonie Beethoven jedoch das ungeheure Angebot gemacht haben: Mann und Kinder zu verlassen und bei ihm in Wien zu bleiben. Endlich scheinen seine Träume, seine Sehnsüchte zum Greifen nah! Eine geliebte Frau heiraten, von der er sich verstanden fühlt wie bei keiner zuvor; Vater werden … Doch anscheinend trifft Beethoven dieses plötzliche Angebot völlig überraschend und bringt ihn ganz aus der Fassung. Verwirrt antwortet er, ausweichend. Unbeholfen wie jeder Mann in solch einer Situation, will Beethoven sie trösten und den Moment retten. Vergeblich. Dann geht man auseinander. Was soll er tun? Antonie ist ein Wunder für ihn. Die erste Frau, die ihn als Mann ganz akzeptiert, seine Liebe in gleichem Maße erwidert und bereit ist, alles für ihn aufzugeben. Auf der anderen Seite jedoch stehen das Bewusstsein, kein guter Ehemann für Antonie sein zu können, und die Vorstellung, Franz, einem engen Freund, die Frau zu nehmen. Und die kleinen Kinder, die ihm so oft Obst und Blumen gebracht haben? Ihr Familienglück würde zerstört. Von ihm! Denken wir an Beethovens eigene moralische Grundsätze, die er von anderen und sich selbst fordert. Darf er diese Menschen, die ihm so ans Herz gewachsen sind, trennen?
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Vor diesem Hintergrund muss der Brief an die „Unsterbliche Geliebte“ gelesen werden: als Dokument des inneren Konflikts eines Mannes, der hin- und hergerissen ist zwischen Verlangen und Verzicht. Antonie Brentano wird verstanden haben, was genau gemeint ist, wenn sie den Brief denn überhaupt gelesen hat. Denn mit der Klärung der Adressatin sind längst nicht alle Rätsel gelöst, alle Fragen beantwortet. Manche werden es wohl auch nie werden.
Für den Rest seines Lebens erfahren wir von keiner anderen Liebesbeziehung Beethovens mehr. Er hat begreifen müssen, dass das Alleinsein sein Schicksal ist. In sein Tagebuch schreibt er: „Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für Andere …“ Dass er ohne die Liebe Antonies nicht leben kann, hat er in seinem Brief an sie jedoch deutlich gemacht. Er will sie nicht verlieren, obwohl er ihr Angebot, den Ehemann für ihn zu verlassen, nicht annehmen wird. In Karlsbad kommt es Ende Juli 1812 zu einem Wiedersehen mit Antonie und Franz Brentano. Am 7. oder 8. August reist man gemeinsam weiter nach Franzensbrunn, wo man – wie auch in Karlsbad – benachbarte Quartiere bezieht, nämlich in den „Zwei goldenen Löwen“. Vermutlich kommt es erst in der zweiten Septemberwoche, in der Beethoven aus dem Badeort abreist, zur Trennung. Was sich zwischen diesen drei Menschen in Karlsbad und Franzensbrunn abgespielt hat, ist ihr Geheimnis geblieben. Franz Brentano muss von dem Verhältnis gewusst und es stillschweigend geduldet haben. Vielleicht in dem Bewusstsein, eine junge Frau in eine mit Hilfe des Vaters arrangierte Ehe gedrängt zu haben – in der leidenschaftliche Liebe nebensächlich gewesen ist. Vermutlich im November 1812 verlassen die Brentanos Wien. Franz kündigt seinem Halbbruder Clemens die bevorstehende Rückkehr nach Frankfurt mit den Worten an, Toni und auch er seien „immer noch sehr leidend“. Ihn treibe es „gewaltig nach Hause“, sein „irrendes, unruhiges Leben“ dauere schon zu lange. Antonie Brentano ist nie mehr nach Wien zurückgekehrt. Ludwig van Beethoven hat keine Reise mehr angetreten, die ihn in ihre Nähe geführt hätte. Wie oft mag er jedoch den Brief gelesen haben, den er bis zu seinem Tod aufbewahrt
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hat? Hat Antonie ihn ungelesen zurückgeschickt? Oder hat der Hochsensible, für den Erinnerungsstücke (wie auch Lorchens „Silhouette“) so bedeutsam sind, nicht vielleicht eine Kopie für sich selbst geschrieben? Als ewige Erinnerung an einen Moment in seinem Leben, als er – wie in Heiligenstadt – am Scheideweg seiner Existenz stand. Ende März 1827 erhält Antonie Post von einem Herrn namens Moritz Trenck von Tonder. In diesem Brief steht eine ausführliche Beschreibung der letzten Leidenstage des Geliebten. Eine Kopie der Grabrede, Zeitungsausschnitte und Todesanzeigen sind beigefügt. Was die beiden Elfenbeinporträts anbelangt, die im Nachlass Beethoven gefunden wurden: Sie gingen nach seinem Tod in den Besitz der Familie Breuning über. Gerhard von Breuning konnte eine der beiden als Giulietta Guicciardi identifizieren, die andere war ihm unbekannt. Lange Zeit galt es als ein Bildnis der Gräfin Erdödy. Beide Annahmen sind wohl falsch. Bei einem eingehenden Vergleich der Porträts ist aufgefallen, dass unter anderem Farbe und Form der Augen, die Linie der Augenbrauen und der lange Hals übereinstimmen. Beiden Bildnissen könnte ein und dieselbe Frau Modell gestanden haben. Am Ende ihres langen Lebens wird die 89-jährige Antonie Brentano in den vergilbten Seiten eines Buches blättern, in das sie die Todesdaten der Menschen geschrieben hat, die ihr je etwas bedeutet haben. Das Datum hinter dem ersten Namen ist der 26. März 1827: der Tag, an dem ihre große Liebe starb.
Beethoven trauert um den Verlust. Er sucht Trost, zunächst bei Amalie Sebald. Sie besucht den die meiste Zeit im Bett Liegenden und Leidenden zweimal die Woche. Neben der mitgebrachten Hühnerbrühe genießt er auch ihre wohl nicht ganz selbstlose Zärtlichkeit, sie verschafft seiner gequälten Seele Linderung. Zu mehr ist er jedoch nicht fähig. Zu dieser Zeit beginnt er, sich mehr und mehr gehen zu lassen, nicht nur was sein Äußeres anbelangt, das als geradezu „schmutzig“ beschrieben wird. Häufig hält er sich nun in Wirtshäusern auf. Dort sieht ihn auch der Maler Blasius Höfel „in einer entfernten Ecke an einem Tische sitzen, welcher, obwohl er groß genug war, wegen der wenig
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einladenden Gewohnheiten, in die Beethoven verfallen war, von den übrigen Gästen gemieden wurde“. Nicht selten verlässt er das Gasthaus, ohne die Rechnung zu bezahlen. Sein körperlicher und seelischer Zustand um diese Zeit ist so schlecht, dass sein musikalisches Schaffen fast völlig zum Erliegen kommt. Kein einziges bedeutendes Werk entsteht im Jahr nach der Trennung von Antonie Brentano. Im Frühjahr oder Sommer 1813 sucht Beethoven Zuflucht auf Schloss Jedlersee bei seiner Freundin Maria Gräfin Erdödy – und verschwindet ohne ein Wort spurlos. Man glaubt ihn schon nach Wien zurückgekehrt, da macht der Musiklehrer der Gräfin drei Tage nach seinem Verschwinden eine seltsame Entdeckung: In einem entlegenen Teil des Schlossgartens findet er Beethoven wie leblos auf. Es besteht wenig Zweifel, dass es sich um einen Selbstmordversuch handelt. Tod durch Verhungern! Ist es die Trennung von Antonie, die er nie ganz verkraftet hat? Doch Beethoven überwindet auch diese ernste Lebenskrise durch seine Musik, mit der er schon bald wieder wahre Triumphe feiern kann. „Der Beifall stieg bis zur Entzückung“, heißt es beispielsweise in einer Zeitung über die begeistert aufgenommene Siebte Sinfonie, der bei ihrer Uraufführung ein heute weniger bekanntes Stück folgt: „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“. Das Publikum ist ganz aus dem Häuschen und traut seinen sanft betäubten Ohren nicht. Denn neben sehr großem Orchester schreibt der Komponist die Verwendung zusätzlicher Instrumente zwecks Steigerung des Effektes vor: unter anderem Ratschen zur Nachahmung von Gewehrsalven sowie zwei riesige Trommeln, die auf dem Theater üblicherweise für Donnerschläge benutzt werden … Sonderbar, dass dieses Werk ein wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint, ebenso wie die Kantate „Der glorreiche Augenblick“ op. 136 mit ihrem – gelinde gesagt – schwülstigen Text des Arztes und Hobby-Dichters Aloys Weißenbach. Zu Lebzeiten Beethovens jedenfalls sind es seine beiden beliebtesten Stücke; ob uns das heute gefällt oder nicht. Auch die Oper „Fidelio“ wird 1814 – endlich! – mit solchem Erfolg aufgeführt, dass in nur einem Jahr sechzehn (!) Wiederholungen stattfinden. „Keines meiner Geisteskinder“ habe ihm größeren Ärger
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gemacht als dieses Werk, resümiert der Komponist dennoch. Die ursprünglich als „Leonore“ geschriebene Oper hat nämlich einen zehnjährigen Leidensweg mit zwei Überarbeitungen und heftigen „Durchfällen“ hinter sich. Des Einen (Beethovens) Leid, des Anderen (unsere) Freud: Die Existenz von vier (!) Ouvertüren verdanken wir der schweren Geburt dieser Oper. Doch während die Popularität Beethovens ihren Gipfelpunkt erreicht hat, bahnt sich das nächste private Verhängnis schon an.
Drama um den Neffen Karl Am 15. November 1815 stirbt Beethovens Bruder Kaspar Karl den Tod der Mutter – Schwindsucht. Seine Witwe Johanna und der neunjährige Karl bleiben zurück. Zwei Jahre zuvor hat sich der schon Schwerkranke zu einer notariellen Erklärung überreden lassen, nach der im Todesfall die Vormundschaft über den Sohn auf Ludwig übergeht. Einen Tag vor seinem Tod setzt er jedoch testamentarisch fest, dass Frau und Bruder gemeinschaftlich als Vormund eingesetzt werden sollen. Der Grundstein für eine verhängnisvolle Entwicklung ist damit gelegt. Jahrelang werden sich Mutter und Onkel des Jungen um ihn streiten. Am Ende steht eine schreckliche Tragödie.
Obwohl Beethoven vorgibt, selbstloser Retter des Jungen zu sein („Ich brauche meinen Neffen nicht, aber er braucht mich“), wächst seine eigene Abhängigkeit von ihm. Er selbst geht auf die Fünfzig zu. Und er ist einsam. Karl ist so etwas wie die „Familie“ für ihn, nach der er sich immer gesehnt hat, und gibt ihm zumindest das Gefühl von stolzer Vaterschaft. Dass sein Verhalten dem Jungen gegenüber alles andere als „normal“ ist und an Besessenheit grenzende, krankhafte Züge annimmt, bleibt seiner Umwelt nicht verborgen. Johanna verbündet sich mit ihrem Schwager Nikolaus Johann, um Karl zu retten und ihn vor Schaden zu bewahren. Ihre gemeinsamen Bemühungen haben schließlich, nach langem Hin und Her, Erfolg. Und Beethoven tobt. Er verflucht und verdammt „das elende Menschengesindel“, noch bevor der Magistrat am 17. September 1819 seinen Beschluss verkündet hat.
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Der Mutter wird – zusammen mit einem städtischen Beamten – die Vormundschaft zugesprochen. Einen Augenblick lang verfolgt der verzweifelte Beethoven den wahnwitzigen Plan, Karl nach Salzburg zu entführen. Seinem Anwalt gelingt es händeringend, ihn gerade noch davon abzubringen. Beethoven lässt stattdessen seine Beziehungen zu höchsten adligen Kreisen spielen. Kein Geringerer als Erzherzog Rudolf hat – auf Bitte des großen Komponisten – seine Finger im Spiel, als Ende März 1820 Johanna die Vormundschaft entzogen und erneut auf Beethoven übertragen wird. Die verzweifelte Mutter scheut nicht davor zurück, sich sogar an den Kaiser zu wenden, um ihr Kind zurückzubekommen. Ohne Erfolg. Sie hat den Kampf, diesmal endgültig, verloren. Doch auch für Beethoven gibt es keinen Anlass zu frohlocken. Neffe Karl tritt nämlich so langsam, aber sicher ins Mannesalter ein und versucht, sich von Onkel Ludwig zu lösen. Die Sache gewinnt langsam an Dramatik.
Durchaus harmonisch ist das Verhältnis zwischen Onkel und Neffe drei Jahre lang, zwischen 1820 und 1823. Karl lebt in „Blöchingers Institut für Knaben“ und verbringt viele Wochenenden und die Sommer bei Beethoven. Das Blatt wendet sich jedoch, als Karl zur Universität wechselt und wieder bei dem Onkel einzieht. Ein alternder Komponist und ein zu Tränen neigender Jüngling wohnen unter einem Dach. Das kann nicht gut gehen. Und es geht auch nicht gut, wie die Konversationshefte aus jener Zeit belegen. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen, die schließlich sogar solche Ausmaße annehmen, dass die Hauswirtin sich zur Kündigung der Wiener Wohnung gezwungen sieht. Anlass der ständigen Streitereien ist häufig ein Thema, das Onkel Ludwig mit großer Sorge erfüllt: Sexualität. Beethoven fürchtet, der mittlerweile Achtzehnjährige könnte sexuelle Beziehungen haben – ohne die „Gefahren“ zu bedenken. Zu Zeiten der Syphilis nicht ganz unberechtigt. Mit aller Macht und allen Mitteln versucht er, den Neffen davor zu
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bewahren. Das Taschengeld wird auf ein Minimum gekürzt, sodass sich Karl Geld leihen und Schulden machen muss. Beethoven schreckt sogar nicht einmal davor zurück, dem Jungen nachzuspionieren, und fordert auch Matthias Schlemmer, den Hauswirt Karls, zu tätiger Mithilfe auf: „Es könnte den Verdacht erwecken, dass er vielleicht doch abends oder gar nachts sich erlustigte in gewiss nicht so guter Gesellschaft. Ich ersuche Sie, hierauf Acht zu haben und unter keinem Vorwande Karl nachts außer dem Hause zu lassen, wenn Sie von mir nichts Schriftliches durch Karl hierüber erhalten.“ – Ausgehverbot und Stubenarrest für einen Achtzehnjährigen! Jetzt ist Beethoven zu weit gegangen. Einen „alten Narren“ nennt Karl ihn in Briefen an seinen engen Freund Niemetz. Und dem Onkel droht er eine drastische Tat an. Der tragische Höhepunkt des Konfliktes ist somit näher gerückt.
Ende Juni 1826 flieht Karl aus Schlemmers Haus, das mehr und mehr zu einem Gefängnis für ihn geworden ist. Der Hauswirt macht eine erschreckende Entdeckung: Im Zimmer des jungen Mannes findet er eine geladene Pistole und berichtet dies umgehend. Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen: Die Drohung Karls ist kein leeres Gerede gewesen. Der Geiger Holz, ein Gehilfe Beethovens, wird mit der Suche nach dem Verschwundenen beauftragt. „Was nützt es Ihnen, wenn Sie mich noch halten, wenn ich heute nicht loskomme, so geschieht es doch ein andermal“, sagt Karl, als er gefunden wird. Er läuft Holz davon, versetzt seine Uhr und kauft zwei neue Pistolen. Ende Juli geht er nach Baden, von wo aus er in Briefen an Beethoven und Freund Niemetz den Selbstmord ankündigt. Ein Viehtreiber, der an den Ruinen der Festung Rauhenstein vorbeizieht, gerät ins Stolpern, als sein Fuß zufällig an ein Hindernis stößt. „Ich bin Karl von Beethoven. Bringen Sie mich zu meiner Mutter nach Hause“, flüstert der Mann in der Blutlache mit letzter Kraft, bevor er das Bewusstsein verliert. Die Finger seiner rechten Hand halten die Pistole noch immer umkrallt. Die Kugel, die er sich in den Kopf schießen wollte, hat den Schädel nur gestreift, das Herz des Onkels jedoch wird sie durchbohren.
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Beethoven muss unverzüglich unterrichtet worden sein, denn er schreibt sofort an den Arzt Dr. Karl von Smetana: „Ein großes Unglück ist geschehen, welches Karl zufällig selbst an sich verursacht hat, Rettung hoffe ich ist noch möglich, besonders von Ihnen, wenn Sie nur bald erscheinen. Karl hat eine Kugel im Kopfe, wie, werden Sie schon erfahren – nur schnell um Gottes willen schnell.“ Die für Selbstmordversuche zuständige Polizei bringt Karl am 7. August in das Allgemeine Krankenhaus Wiens, wo er bis Ende September behandelt wird. Als man ihn fragt, warum er sich das Leben nehmen wollte, sagt er, es sei „bloß Lebensüberdruss“ und „die Gefangenschaft“ gewesen. Und seine Aussage vor der Polizei lautet: „Ich bin schlechter geworden, weil mich mein Onkel besser haben wollte.“ Dass Geldsorgen und Spielschulden wohl auch eine Rolle spielen, lässt er unerwähnt. Ende Dezember 1826 trennen sich die Wege von Beethoven und seinem Neffen endgültig, der seinen Onkel nie mehr wiedersehen wird. Karl geht zunächst zum Militär und wird nach seiner Entlassung – wie sein leiblicher Vater – ein kleiner Beamter, führt ein bürgerliches Leben mit Frau und fünf Kindern; nach allem, was man weiß, ein zufriedenes ohne große Höhen und Tiefen. „Mein liebster Vater“ soll der Neffe Karl gelegentlich zu seinem Onkel gesagt haben; als solchen akzeptiert hat er ihn allerdings nie. Der alte Beethoven muss sich endgültig damit abfinden, dass ein weiterer Lebenswunsch nie in Erfüllung gehen wird: einen Sohn zu haben.
Eigensinn und Eigenart Als einen ziemlich exzentrischen Menschen kennen die Zeitgenossen Ludwig van Beethoven, schon seit er einst in Wien angekommen ist. Nun, nach dem Ende der Geschichte mit seinem Neffen, kann man sich sicher sein, dass er noch etwas mehr als „nicht ganz normal“ ist. Die ganze Stadt spricht darüber, wenn Beethoven mal wieder völlig außer Rand und Band ist. Er schimpft offen auf alles und jeden: den Adel, die Gerichte, den Kaiser persönlich, über den er unter Zeugen sagt, der „Schurke“ gehöre an den Galgen. Dass dies in einem Polizeistaat unangenehme Folgen haben könnte, schert ihn nicht weiter. Man lässt ihn trotz alldem in Ruhe, zum einen weil Beethoven nun einmal
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Beethoven ist und zum anderen weil er sich mittlerweile so etwas wie einen Narren-Status erworben hat. „Ist der Ruf erst ruiniert …“ Seine plötzlichen Wutanfälle und Unbeherrschtheiten, wachsende Geldbesessenheit, Verfolgungswahn und krankhaft wirkendes Misstrauen sind die Begleiter des großen Komponisten bis zu seinem Tod. Sie festigen den Glauben der Wiener daran, dass Genialität und Wahnsinn doch sehr eng beieinander liegen müssen. Dabei ist Beethoven – wen mag das verwundern – durch die vielen Enttäuschungen und Schicksalsschläge psychisch stark angeschlagen, von seiner Ertaubung, die ihn mehr und mehr isoliert hat, ganz zu schweigen. Zwangsvorstellungen haben von ihm Besitz ergriffen. Er fühlt sich von Freunden und Angestellten belauscht, beobachtet, belogen und betrogen. Als Folge inspiziert er beispielsweise die Kammern der Dienerschaft, lässt Lebensmittel zwecks Überwachung in einem Fach am Kopfende seines Bettes aufbewahren und schirmt sein Zimmer mit Schallisolierungen an Türen sowie Fensterläden ab. „Wie ein wildes Tier“ erscheint Beethoven seinen Mitmenschen manchmal, vor allem, wenn er gereizt wird. Man hat davon gehört, dass er vor Wut dem Klavierschüler Hirsch mal in die Schuler gebissen und einen Ober mit Suppe überschüttet hat. Auch verbal ist er äußerst wehrhaft. Eine kleine Auswahl aus dem großen Repertoire seiner Schimpfwörter: Gesindel, Pöbelgeschmeiß, alte Hexe, alte Bestie, Hurenfettlümmel, Bastard, Scheusal, Esel … „Er war wie ein Bär“, sagt Nanette Streicher, „launisch und mürrisch, sein Lachen klang wie ein Brüllen.“ Beethovens äußere Erscheinung in den letzten Jahren seines Lebens unterstreicht diesen Eindruck nachhaltig: „Sein Kopf ungewöhnlich groß, mit langem, struppigem, fast ganz grauem Haar bewachsen, das nicht selten vernachlässigt um seinen Kopf hing und ihm ein etwas verwildertes Aussehen gab, wenn noch dazu sein Bart eine übermäßige Länge erreicht hatte.“ In den Lokalen der Stadt hinterlässt der Komponist ohnehin einen sicher unvergesslichen Eindruck. Es wird über wenig appetitliche Marotten berichtet: Beethoven zieht ab und an ein buntes Schnupftuch aus der Tasche, räuspert sich, spuckt hinein und betrachtet befriedigt das kleine Werk, bevor er zuklappt. Auch kann es vorkommen, dass er einen Lampenputzer als Zahnstocher zweckentfremdet oder sich die
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Zähne mit der Serviette abputzt. Ein Fremder, der sich nichtsahnend an den Tisch des Komponisten gesetzt hat und offensichtlich unerwünscht ist, wird durch Fixieren, Ausspucken und unflätige Bemerkungen (siehe oben) vertrieben. Für überraschende Effekte sorgt Beethoven ganz sicher, wenn er um die Rechnung bittet, ohne etwas verzehrt zu haben, oder mit den Kellnern um den Preis jeder einzelnen Semmel feilscht. Er ist im Laufe der Jahre immer geiziger geworden, wie Ferdinand Ries bestätigt: „Beethoven kannte beinahe das Geld nicht, wodurch öfters unangenehme Auftritte entstanden, weil er, überhaupt misstrauisch, häufig sich betrogen glaubte, wo es nicht der Fall war. Schnell aufgeregt nannte er die Leute geradezu Betrüger, welches bei den Kellnern oft durch ein Trinkgeld gutgemacht werden musste.“ Beethoven verabscheut großspuriges Gebaren bei sich und anderen, tritt grundsätzlich bescheiden auf. Daher kann es – sicher zu seiner diebischen Freude – vorkommen, dass ihm ein Trinkgeld zugesteckt wird, weil er für einen Diener gehalten wird, wie 1826 in Gneixendorf tatsächlich geschehen. Die Sparsamkeit ist jedoch auch zwangsläufig. Ungewiss und ungesichert ist die Zukunft, immens hoch sind die Kosten, die seine diversen Krankheiten verursachen – ein Armutsrisiko zu seiner Zeit. Denn Beethoven ist seit drei Jahrzehnten Dauerpatient bei den verschiedensten Ärzten – ein gutes Dutzend von ihnen hat er konsultieren müssen. Mindestens. Allein anhand der erhaltenen Honorarquittungen aus seinen letzten Lebensmonaten lassen sich die ungeheuren Summen erahnen, die er immer wieder hat aufbringen müssen. Dem Arzt Johann Malfatti unterstellt Beethoven – zu Recht oder Unrecht – ein mehr finanzielles als hippokratisches Interesse an seiner Patientenschaft, und die Honorarforderung Johann Seiberts wird nach dem Tod des Komponisten sogar Gegenstand einer behördlichen Untersuchung; 90 Visiten will der Mediziner während seiner dreimonatigen Behandlungszeit am Krankenbett gemacht haben. Die ständigen finanziellen Sorgen spiegeln sich auch in Beethovens Briefen wider: In jedem zweiten geht es um Geld. Im Geschäftsleben ist er daher zu einem ausgekochten Schlitzohr geworden. So manches Werk verkauft er mit Erfolg – jedoch nicht nur einem, sondern bis zu fünf Verlegern gleichzeitig, was mindestens den Tatbestand der arglistigen Täuschung erfüllt, wenn nicht gar den des
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Betruges. Den gewieften Geschäftsmann und weltberühmten Komponisten erkennt man schwerlich, wenn man Beethoven in seinen letzten Lebensjahren auf den Straßen Wiens begegnet.
Man sieht ihn wild gestikulierend und laut lachend, bekleidet mit einem fast auf die Knöchel reichenden dunklen Überzieher und einem zerknüllten Schlapphut auf dem Kopf. Ein gefundenes Fressen für die Straßenjungen, deren Spott er sich vor allem dann aussetzt, wenn er von Zeit zu Zeit stehen bleibt, um vor sich hin summend oder brüllend sonderbare Zeichen in sein Notizbuch zu kritzeln. Er hält es nah vor sein Gesicht, denn er ist kurzsichtig. Eigentlich müsste er eine seiner Brillen tragen. Ist trotz seines sonderbaren Äußeren vielleicht doch ein Rest Eitelkeit übrig geblieben? Geht Beethoven in Begleitung eines Bekannten durch die Stadt, spricht er so lebhaft und laut, dass Passanten sich umwenden und das sonderbare Paar mustern. Andauernd hält es inne und bleibt stehen, dann kritzelt der andere etwas in das Buch des Schreihalses, der schon beim Lesen wieder aufs Neue zu brüllen und herumzufuchteln beginnt. Wer will es seinen Freunden verdenken, dass sie sich um das Zusammensein mit Beethoven in der Öffentlichkeit nicht gerade reißen? Auch Neffe Karl hat den gemeinschaftlichen Ausgang mit seinem Onkel wenig geschätzt, sich dafür geschämt, ihn seines „narrenhaften Aussehens wegen auf der Straße zu begleiten“. Dieses wird Beethoven sogar eines Tages zum Verhängnis. Weit verbreitet in Wien ist die Geschichte, wie er im Jahr 1821 versehentlich festgenommen wird. Der Maler Blasius Höfel hat sie so erzählt: Er sitzt mit einigen Kollegen und dem Kommissar gerade gemütlich beim Abendessen, als plötzlich der Polizeidiener hereinstürmt und aufgeregt die Verhaftung eines Landstreichers vermeldet. Dieser habe ohne Hut und Ausweis, dafür mit einem alten Mantel bekleidet in fremde Fenster geschaut und bei seiner Festsetzung obendrein behauptet, Ludwig van Beethoven zu sein! Dieses kleine Missverständnis kann leider erst am nächsten Morgen aufgeklärt werden. Man fährt den Komponisten im Magistrats-Staatswagen nach Hause, als kleine
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Wiedergutmachung für eine Nacht in Polizeigewahrsam und den unerhörten Verdacht, dem man ihn ausgesetzt hat. Dem Alkohol ist Beethoven, wie Vater und Großmutter, nicht abgeneigt. In die Fußstapfen Johanns oder gar die der Oma tritt er jedoch keinesfalls. Er ist kein Trunkenbold, sondern ein eher selten berauschter Wohlstandstrinker, der einen guten Tropfen zu schätzen weiß, wie ungarischen Tokaier oder „heimatlichen“ Rhein- und Moselwein. Erst seit seiner Bekanntschaft mit dem Geiger Karl Holz gegen 1824 steigt der Konsum zwischenzeitlich an, zur geringen Begeisterung seiner Ärzte, die ihm erstens verzweifelt und zweitens vergebens den Alkohol verbieten wollen. Beethoven will auf diese kleine Freude des Lebens nicht verzichten, und er kann durchaus einen ordentlichen Schluck vertragen. Doch als er und Holz eines Tages beschließen, einen echten Sir namens George Smart unter den Tisch zu saufen (Beethoven: „Wir wollen versuchen, wie viel dieser Engländer trinken kann“), zieht er im Länder-Vergleich deutlich den Kürzeren. Der Komponist trinkt am liebsten in Gesellschaft. Und sind daheim Gäste zu bewirten, wird auch mal Champagner kredenzt. So selten ist es nicht, dass Beethoven Besuch hat. Denn trotz seines schwierigen Charakters gibt es etliche Freunde, die ihm nach wie vor Zuneigung – und aufrichtiges Mitgefühl – entgegenbringen.
Viele Menschen, die Beethoven in jener Zeit besuchen wollen, haben Angst. Man hat sie vor seiner absonderlichen Art nachdrücklich gewarnt. Er versteht es nämlich vorzüglich, unerwünschte Gäste auf mancherlei Weise zu verschrecken – denken wir nur an den armen Fremden am Wirtshaustisch. Auch der Komponist Carl Maria von Weber – Schöpfer der Oper „Der Freischütz – zögert aus ähnlichen Gründen einen Besuch bei Beethoven lange hinaus. Am 6. Oktober 1823 kommt dann doch der aufregende Moment: Er ist bei Beethoven angemeldet. Webers Sohn Max erinnert sich: „Die drei Männer waren erregt, als sie in das öde, fast ärmliche Zimmer traten, das der große Ludwig bewohnte. Der Raum war in der größten Unordnung. Musik, Geld, Kleidungsstücke auf dem Fußboden, auf dem unsaubern Bette Wäsche gehäuft,
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der offen stehende Flügel mit dickem Staub bedeckt, zerbrochenes Kaffeegeschirr auf dem Tische. Beethoven trat ihnen entgegen … Das Haar dick, grau, in die Höhe stehend, hie und da ganz weiß, Stirne und Schädel wunderbar breit gewölbt und hoch, wie ein Tempel, die Nase viereckig, wie die eines Löwen, der Mund edel geformt und weich, das Kinn breit … und aus zwei Kinnbackenknochen gebildet, die dafür geschaffen schienen, die härtesten Nüsse knacken zu können. Über das breite, blatternarbige Gesicht war dunkle Röte verbreitet, unter den finster zusammengezogenen, buschigen Brauen blickten kleine, leuchtende Augen mild auf die Eintretenden, die zyklopisch viereckige Gestalt … war in einen schäbigen, an den Ärmeln zerrissenen Hausrock gekleidet.“ Webers Angst erweist sich als völlig unbegründet. Denn unerwartet herzlich ist die Begrüßung: „Beethoven erkannte Weber, ehe er ihm genannt war, schloss ihn in die Arme und rief: ‚Da bist du ja, du Kerl, du bist ein Teufelskerl! Grüß dich Gott!‘ Und nun reichte er ihm gleich jene berühmte Schreibtafel und es entspann sich ein Gespräch, während dessen Beethoven zunächst die Musikalien vom Sofa warf und dann sich ungeniert in Gegenwart seiner Gäste zum Ausgehen ankleidete.“ Weber selbst berichtet über seine weiteren Eindrücke während des gemeinsamen Mittagessens im Badener „Sauerhof“: „Wir brachten den Mittag miteinander zu, sehr fröhlich und vergnügt. Dieser raue, zurückstoßende Mensch machte mir ordentlich die Cour, bediente mich bei Tische mit einer Sorgfalt wie seine Dame. Kurz, dieser Tag wird mir immer denkwürdig bleiben, so wie allen, die dabei waren. Es gewährte mir eine eigne Erhebung, mich von diesem großen Geiste mit so liebevoller Achtung überschüttet zu sehen.“ Tief bewegt ist Carl Maria von Weber, als er Beethoven verlässt und von diesem zum Abschied mehrmals geküsst wird. Er ist nicht der Einzige, der den exzentrischen Sonderling von seiner liebenswerten Seite her kennenlernen darf. Ein Musikkritiker, der 1822 nach Wien kommt, schreibt über den Beethoven dieser Jahre: „Sein ganzes Reden und Tun war eine Kette von Eigenheiten, und zum Teil höchst wunderlichen. Aus allem leuchtete aber eine wahrhaft kindliche Gutmütigkeit, Sorglosigkeit, Zutraulichkeit gegen alle, die ihm nahekamen, hervor.“ Mit einem „liebenswürdigen Knaben“ vergleicht ihn sogar ein Journalist, und der Dichter Grillparzer äußert voller Mitgefühl: „Und
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doch lag bei all seinen Launen, die … oft an Widerwärtigkeiten grenzten, etwas so unaussprechlich Rührendes und Erhabenes in ihm, dass man ihn hochschätzen musste und sich an ihn gezogen fühlte.“ In Weinlokalen trifft man sich häufig, um über Gott und die Welt zu plaudern: Musik, Politik, Klatsch und Tratsch, Familiäres und Zukunftspläne. Ein Beobachter schildert, wie Beethoven im Wirtshaus sitzt: „Er schien wirklich froh zu sein … Es war nicht eigentlich ein Gespräch, das er führte, sondern er sprach allein, und meistens ziemlich anhaltend, wie auf gut Glück ins Blaue hinaus. Die ihn Umgebenden setzten wenig hinzu, lachten bloß oder nickten ihm Beifall zu. Er philosophierte, politisierte auch wohl, in seiner Art … Alles trug er vor in größter Sorglosigkeit und ohne den mindesten Rückhalt; alles auch gewürzt mit höchst originellen, naiven Urteilen oder possierlichen Einfällen. Er kam mir dabei vor wie ein Mann von reichem, vordringendem Geist, unbeschränkter, nimmer rastender Phantasie.“ Es sind jedoch nicht nur die ernsten Themen, die „diskutiert“ werden – die Gesprächspartner müssen für ihre Antworten die Konversationshefte benutzen. Gelegentlich gleitet man auch ins Zotige ab. So bemerkt Beethoven etwa, als er einer vorbeigehenden Frau nachschaut: „Ein prächtiger Popo seitwärts.“ Doch apropos Pos: Frauen sucht man vergeblich im Freundeskreis des alten Komponisten, obwohl er sie keineswegs meidet. Nur die Liebe – sie spielt keine Rolle mehr für ihn.
Haushälterinnen und Freunde sind der Verzweiflung nahe. Beethoven vergisst oft Mahlzeiten und Verabredungen, wird immer zerstreuter. Wenn er mal wieder seinen Hut irgendwo hat liegen lassen, sieht man den strömenden Regen aus seinen langen grauen Haaren triefen. Er beschränkt sich mehr und mehr auf die kleinen Freuden des Lebens: Spaziergänge, Speis und Trank, gelegentlich eine Pfeife. Besuch wird kaum noch empfangen. Alles ordnet er nun seiner Arbeit unter, ist wie besessen von seiner Kunst. Denn nur noch wenige Jahre bleiben ihm, um sein Lebenswerk zu vollenden. Er wird es geahnt haben. Ab 1822 steigert Beethoven sein Schaffen gewaltig. Seine letzten Meisterwerke entstehen: die Klaviersonate op. 111, die „Missa Solemnis“, die „Diabelli-Variationen“ und – für so manchen Musikfreund herausragend –
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die fünf späten Streichquartette (op. 127, 130, 131, 132, 135) sowie die „Große Fuge“ op. 133. Nicht zu vergessen natürlich: die Neunte Sinfonie, in die ein ganzes Komponistenleben eingegangen ist. Beethovens Popularität ist weiter gewachsen. Längst anerkannt wird sein Rang in den Ländern Europas, wie in England, wo die Programme der Londoner Philharmonischen Gesellschaft in den zwanziger Jahren 60 Aufführungen seiner Sinfonien und 29 seiner Ouvertüren enthalten. Allmählich dringt der Name Beethoven auch in fernere Länder. In der Heimat nähert sich inzwischen eine Sternstunde der Musikgeschichte: die Uraufführung der Neunten Sinfonie. Nachdem sie zum ersten Mal erklungen ist, kommt ein Gedanke auf, der sich mehr und mehr verfestigt und schwer auf fast allen Komponisten nach ihm lasten wird: Nach dieser Sinfonie kann keine weitere mehr geschrieben werden. „Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.“ Das sagt kein Geringerer als Johannes Brahms, der unter dem scheinbar übermächtigen Vorbild so leidet, dass er 14 Jahre braucht, um – mit bereits 43 Jahren – aus dem gigantischen Schatten des „Riesen“ herauszutreten und seine erste Sinfonie zu vollenden, die der Dirigent Hans von Bülow bezeichnenderweise die „Zehnte“ (Beethovens) nennt. Denn diese ist leider nie vollendet worden. Wie dankbar muss man sein, dass der Tod Ludwig van Beethoven nicht – wie später dem armen Anton Bruckner – die Feder aus der Hand nahm, bevor er die letzte Note der 9. Sinfonie d-Moll op. 125 setzen konnte. Einem Werk, das alle Dimensionen sprengt.
Letzter Triumph: die Neunte Sinfonie Ergriffenheit herrscht, wann immer die Neunte erklingt. Sie ist ein „Schrei universeller Menschenliebe“, wie Richard Wagner sagte, die Utopie einer besseren Welt. Die Sinfonie wird nicht umsonst zur Musik der deutschen Wiedervereinigung. Der jüdische Amerikaner Leonard Bernstein dirigiert sie 1989 im Berliner Konzerthaus anlässlich des Mauerfalls; mit einer Textänderung: Der Chor singt am Schluss statt der „Ode an die Freude“ die Ode an die „Freiheit“. Musiker aus den
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Ländern der Alliierten sitzen gemeinsam mit Ost- und Westdeutschen im Orchester. In fast 200 Jahren hat die Sinfonie nichts von ihrer ungeheuren Wirkung eingebüßt, berührt die Herzen der Menschen heute wie damals. Seit 1971 ist die „Freudenmelodie“ aus ihrem Finale (um genau zu sein: die Takte 140 bis 187) – im Jahr darauf von Herbert von Karajan arrangiert – die Hymne Europas. Am 5. Mai 1972, dem Europatag, stellt Eurovision sie erstmals vor, begleitet von einer Rede in dreizehn Sprachen. Fünfzig verschiedene Rundfunksender übertragen die Musik. Darf man die Neunte als das weltweit bekannteste Stück der klassischen Musik überhaupt bezeichnen, wie nicht wenige meinen? Vielleicht. In Japan jedenfalls ist sie das meistgespielte Werk der Klassik. In nur einem Monat, dem Dezember 2009, wird sie von den rund 300 Laienorchestern in Tokio 160 Mal aufgeführt, und in Osaka kommen in jedem Jahr 10.000 Sangesbegeisterte aus dem ganzen Land zusammen, um gemeinsam die „Ode an die Freude“ zu singen. „Alle Menschen werden Brüder“ … Dass so etwas wohl nie im Heimatland des Komponisten möglich sein wird, hängt vor allem mit dem Missbrauch des Werkes im Dritten Reich zusammen, wo man nicht einmal davor zurückschreckte, sie 1937 Hitler als „Geburtstagsständchen“ zu spielen. Im Jahr zuvor hatten fast 6.000 Schüler die „Ode an die Freude“ im Berliner Olympiastadion gesungen, zur Eröffnung der Olympischen Spiele. An Grausamkeit nicht zu überbieten: Im Herbst 1943 werden 5.000 Juden von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Dort lässt man ausgerechnet die Freudenbotschaft aus der Neunten auch von den 185 Kindern einüben; für ein Konzert, das nie stattfinden sollte. Denn alle Chormitglieder wurden am 7. Mai 1944 ermordet. Nur gut, dass Beethoven das alles nicht mehr erleben musste, ist man geneigt zu denken. Doch eins haben selbst die Nazis nicht schaffen können: den Menschen die Liebe zu seiner Musik zu nehmen. „Mein Beethoven ist nicht ihr Beethoven“, hatten schon Friedrich Nietzsche und Gustav Mahler gesagt. Unvergesslich bleibt dem berühmten deutschen Dirigenten Günter Wand eine legendäre Aufführung in der Nachkriegszeit. Er dirigierte die Neunte zum ersten Mal Anfang des Jahres 1947 in den Trümmern
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Kölns. Bis zum heutigen Tag ist dieses Ereignis für die älteren Bürger der Stadt, die in der Aula der Universität dabei waren, unvergesslich geblieben, und die Neunte eine Botschaft aus einer anderen Welt, gesandt den Menschen in den Ruinen. Wand erinnert sich: „Es war eigentlich zunächst mal ein Überleben von einem Tag auf den anderen. Man kann sich gar nicht vorstellen, welchen Hunger wir gelitten haben, wie wir gefroren haben … Die Fenster waren ja nicht dicht, die Flure der Universität, die Fenster alle offen, und diese zwei Winter, 1945/ 46 und 1946/47, die waren ja entsetzlich in ihrer Not. Einer der größten Eindrücke, die ich gehabt habe in diesem zweiten fürchterlichen Winter, war die Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie. Da waren die Leute nicht nur im Saal, die standen in den ganzen Gängen der Universität, in dem eiskalten Winter, ohne Fenster, und sie standen und froren, um diese Neunte Sinfonie zu hören.“ Unter den Frierenden ist auch ein britischer Unterhausabgeordneter. In Begleitung eines Offiziers besucht er den Dirigenten noch in derselben Nacht, unterhält sich lange mit ihm. Zurück in England, berichtet er von diesem Konzert, das er als eindrucksvolles Zeugnis des unbeugsamen Überlebenswillens der Menschen in der britischen Besatzungszone erlebt hat.
Die Uraufführung ist am 7. Mai 1824 im Kärntnertor-Theater Wien. Auf dem Programm stehen neben der Neunten die Ouvertüre op. 124, „Die Weihe des Hauses“, sowie Kyrie, Credo und Agnus Dei aus der „Missa Solemnis“. Das Orchester ist auf 24 Geigen, 10 Bratschen, 12 Kontrabässe und Celli erweitert worden. Die Bläser hat man verdoppelt. Die Bühne füllt sich mit mehr Mitwirkenden als je zuvor bei einer Sinfonie. Noch nie hat bei solch einem Anlass ein vierstimmiger gemischter Chor Aufstellung genommen. Die beiden bezauberndsten Frauenstimmen ihrer Zeit haben sich vereinigt, um das große Werk aus der Taufe zu heben: Die erst achtzehnjährige Henriette Sontag singt die Sopranpartie, die drei Jahre ältere Caroline Unger das Altsolo. Das Haus ist bis auf den letzten Platz besetzt. Der schwer unter Arthritis leidende Freund Zmeskall wird auf einer Sänfte zu seinem
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Stuhl getragen. Alle Anwesenden spüren, dass etwas nie Dagewesenes, Monumentales auf sie wartet, das alles andere in den Schatten stellen wird. Beethoven selbst scheint die Leitung des Ganzen übernehmen zu wollen. In Frack und schwarzseidenen Kniehosen steht er vor dem Orchester, blättert die Seiten seiner Partitur um und schlägt den Takt. Doch die Musiker sind eindringlich davor gewarnt worden, auf den tauben Komponisten zu achten, sondern sich nur nach dem Dirigenten Michael Umlauf zu richten, der, hinter dem Meister stehend, in Wahrheit die Aufführung leitet. Nie hat Beethoven packender, radikaler, gewagter geschrieben. Jeder der vier Sätze geht bis zum Äußersten. Als die Neunte endlich beginnt, öffnet ein Geisterreich seine Pforten: ein geheimnisvolles, mystisches Dämmern, aus dem Nichts geboren. Dämmerndes Zwielicht, sich lichtender Nebel, aus dem das gewaltige Hauptthema herauswächst. Es ist Beethovens mächtigster Sinfoniesatz, zusammengezwungen zu elementarer Gewalt erscheinen die Kopfsätze der Dritten und Fünften. Das Adagio: von überirdischer Schönheit, innig wie ein langes, stummes Gebet; und am Schluss die unsterbliche „Ode an die Freude“ nach einem Gedicht von Friedrich Schiller. Sie ist Beethovens Schwanengesang, seine letzte Umarmung der Menschheit: „Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt! Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen!“ Der letzte Ton ist verhallt. Noch traut keine Hand sich zu rühren. Dann bricht der Jubel los. Donnernder Applaus von beispielloser Stärke, der nicht enden will. Nach fünf Ovationen muss die Polizei einschreiten, um die Menge zu beruhigen. Selbst die Musiker, Sänger und der Chor beteiligen sich an dem Beifallssturm. Doch der, dem er gilt, bemerkt ihn nicht einmal. In diesem unvergesslichen Augenblick tritt die Sängerin Caroline Unger auf Beethoven zu und dreht ihn geradezu liebevoll zum Publikum herum, damit er die Begeisterung wenigstens sehen kann. Er blickt eine Sekunde lang auf die Menschenmenge, dann verbeugt er sich tief und verlässt das Podium.
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Krankheit und Sterben Wortlaut des Sektionsprotokolls vom 27. März 1827: „Der Leichnam war, insbesondere an den Gliedmaßen, sehr abgezehrt und mit schwarzen Petechien übersät, der Unterleib ungemein wassersüchtig aufgetrieben und gespannt … Die Antlitznerven waren von bedeutender Dicke; die Hörnerven lagen zusammengeschrumpft und marklos … Die Windungen des sonst viel weicheren und wasserhältigen Gehirns erschienen noch mal so tief und (geräumiger) zahlreicher als gewöhnlich. Das Schädelgewölbe zeigte durchgehends große Dichtheit und gegen einen halben Zoll betragende Dicke. Die Brusthöhle zeigte, so wie ihre Eingeweide, die normgemäße Beschaffenheit. In der Bauchhöhle waren vier Maß graulich-brauner trüber Flüssigkeit verbreitet. Die Leber erschien auf die Hälfte ihres Volumens zusammengeschrumpft, lederartig fest, grünlichblau gefärbt und an ihrer höckerigen Oberfläche, sowie an ihrer Substanz mit bohnengroßen Knoten durchwebt; deren sämtliche Gefäße waren sehr eng, verdickt und blutleer. Die Gallenblase enthielt eine dunkelbraune Flüssigkeit nebst häufigem, griesähnlichem Bodensatz. Die Milz traf man mehr als doppelt so groß, schwarz gefärbt, derb; auf gleicher Weise erschien auch die Bauchspeicheldrüse größer und fester … Der Magen war samt den Gedärmen sehr stark von Luft aufgetrieben …“ Der Sektionsbericht stellt keine klare Diagnose. Alle modernen Forscher sind sich mittlerweile jedoch einig bezüglich der Frage, woran Ludwig van Beethoven gestorben ist: Ohne Zweifel handelt es sich bei der zum Tode führenden Krankheit um eine Schrumpfleber (Leberzirrhose) in Verbindung mit Bauchwassersucht (Aszites).
Die Leidensgeschichte Ludwig van Beethovens beginnt mehr als zwei Jahre vor seinem Tod. Acht Monate nach der triumphalen Uraufführung seiner Neunten erkrankt er so schwer an Gelbsucht, dass er eine Reise nach London absagen muss. Am 18. April 1825 schreibt er an Dr. Anton Braunhofer: „Ich befinde mich übel und hoffe, Sie werden mir Ihre Hilfe nicht versagen, da ich große Schmerzen leide.“ Der Arzt rät Beethoven eindringlich, auf Alkohol zu verzichten und stattdessen „natürliche Milch“ auf dem Land zu genießen. Der Kranke begibt sich
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daraufhin nach Baden, wo er bis Mitte Oktober bleibt. Sein Gesundheitszustand jedoch bleibt bedenklich. Und auch seelisch leidet Beethoven, wie sein Brief an den Neffen vom 9. Juni verdeutlicht: „Das beständige Alleinsein schwächt mich nur noch mehr, denn wirklich grenzt meine Schwäche oft an Ohnmacht. O kränke nicht mehr, der Sensenmann wird ohnehin keine lange Frist mehr geben … Es wird bald ein Ende haben mit deinem treuen Vater.“ Seinem Arzt berichtet Beethoven: „Ich speie ziemlich viel Blut aus, wahrscheinlich nur aus der Luftröhre … Bloß durch sich selbst, soviel ich meine Natur kenne, dürften meine Kräfte schwerlich wieder ersetzt werden … Doktor sperrt das Tor dem Tod: Note hilft auch aus der Not.“ Krankheit, Verzweiflung, Tod. Wie damals in Heiligenstadt. Und wieder hofft Beethoven, dass seine Kunst ihn retten wird. Und wieder scheint das der Fall zu sein. Er vollendet das Streichquartett a-Moll op. 132; das Adagio molto, den ergreifenden langsamen Satz, überschreibt er mit den Worten „Heiliger Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit“. Zu Beginn der Coda fordert er „Mit innigster Empfindung“ von jeder Stimme. Sein Zustand bessert sich noch einmal, über das Alkoholverbot des Arztes setzt er sich einfach hinweg. Besucher dieser Zeit erleben einen Beethoven in bester Stimmung. Am 15. Oktober zieht er in den Alsergrund Nr. 200, das „Alte Schwarzspanierhaus“ – es wird sein letzter Umzug sein.
Bei seiner letzten Bleibe handelt es sich um eine ehemalige Klosteranlage der Benediktiner von Montserrat, die nach der Vertreibung der Mönche im Jahr 1781 zum Wohnhaus umgebaut wurde. Ihre schwarze Gewandung hat dem Haus seinen Namen gegeben. Beethoven ist in eine der ehemaligen Prälatenwohnungen im zweiten Stock gezogen. Sein Leben lang hat er bei der Wahl seiner Wohnungen auf eine schöne Aussicht Wert gelegt und höher gelegene Zimmer bevorzugt. Ist es das Kind in ihm, das vom Dachboden aus einsam mit seinem Fernrohr in die Weite blickt, wenn ein alter Mann am Fenster steht? Über keine andere Bleibe des Komponisten ist man so gut infor-
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miert wie über seine letzte im Schwarzspanierhaus. Über das Treppenhaus kommen die letzten Besucher Beethovens zunächst in ein unmöbliertes Vorzimmer, auf dessen Boden Notenmanuskripte aufgehäuft sind. Von dort führt der Weg des Gastes in ein Eintrittskabinett und sein Blick fällt auf das Porträt des Großvaters, das rechts neben der Tür hängt. Durch diese gelangt er dann in das Schlafzimmer des Kranken. Zur Linken befindet sich zwischen den beiden Fenstern ein Bücherregal, das fast bis zur Decke reicht, zur Rechten steht ein großer Tisch. Inmitten des Raumes stehen eng beieinander, quasi „Bauch an Bauch“, zwei Flügel. Dahinter ist ein lederner Schlafsessel aufgestellt, in dem Beethoven seine letzten Besucher empfangen wird. In der rechten Ecke des Raumes sorgt ein Ofen für Wärme, in der gegenüberliegenden erblickt man das Bett des Kranken. Das Kopfende des Bettes befindet sich an der Wand, sodass sein Blick auf die Fensterseite und das Glacis gerichtet ist. Wenn er ihn nach links wendet, sieht er dem eintretenden Besucher ins Gesicht.
„Das fast durchweg graue Haar erhob sich buschig, ungeordnet auf seinem Scheitel, nicht glatt, nicht kraus, nicht starr, ein Gemisch aus allem. Die Züge erschienen auf den ersten Blick wenig bedeutend; das Gesicht war viel kleiner, als ich es mir nach dem in eine gewaltsam geniale Wildheit gezwängten Bildnisse vorgestellt hatte … Seine Farbe war bräunlich, doch nicht jenes gesunde Braun, das sich der Jäger erwirbt, sondern mit einem gelblich kränkelnden Ton versetzt. Die Nase schmal, scharf, der Mund wohlwollend, das Auge klein, blassgrau, doch sprechend. Wehmut, Leiden, Güte las ich auf seinem Angesicht; doch, ich wiederhole es, nicht ein Zug der Härte, nicht einer der mächtigsten Kühnheit, die den Schwung seines Geistes bezeichnet, war auch nur vorübergehend zu bemerken. Ich will hier den Leser nicht durch eine Dichtung täuschen, sondern die Wahrheit geben, ein treuer Spiegel seines teuren Bildnisses sein. Er büßte, trotz allem eben Gesagten, nichts von der geheimnisvoll anziehenden Kraft ein, die uns so unwiderstehlich an das Äußre großer Menschen fesselt. Denn das Leiden, der stumme, schwere Schmerz, der sich darin ausdrückte, war nicht die Folge des augenblicklichen Unwohlseins, da ich diesen Ausdruck auch nach Wochen, wo sich Beethoven viel gesünder fühlte, immer wieder
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fand, – sondern das Ergebnis seines ganzen, einzigen Lebensgeschicks, das die höchste Gewähr der Bestätigung mit der grausamsten Prüfung des Versagens verschmolz … Deshalb ergriff der Anblick dieses stillen tiefen Grams, der auf seiner wehmutsvollen Stirn, in seinen milden Augen lag, mit namenloser Rührung. Es gehörte starke Kraft der Selbstüberwindung dazu, ihm gegenüberzusitzen und die hervordrängende Träne zurückzuhalten.“ So beschreibt der Schriftsteller Ludwig Rellstab die äußere Erscheinung des Komponisten am Ende seines Lebens, der vor nichts mehr Angst zu haben scheint als vor Armut, Einsamkeit – und dem Tod.
Die Freundschaft zu Stephan von Breuning hat sich erneuert, Beethoven ist in seine Nähe gezogen, versucht zum letzten Mal in seinem Leben, in eine warmherzige und liebevolle Familie aufgenommen zu werden. Er ist oft bei ihnen, spricht noch einmal davon, wie sehr er sich nach häuslichem Glück sehnt; und bedauert es schließlich doch, nie geheiratet zu haben. Schon Anfang Dezember beginnt es mit seinem Gesundheitszustand bergab zu gehen. Auf einer Rückfahrt nach Wien hat er sich eine Lungenentzündung zugezogen. Im offenen Wagen ist er gereist, hat noch dazu in einem ungeheizten Zimmer ohne Winterfenster übernachtet. Gegen Mitternacht sind die ersten Symptome aufgetreten: „Fieberfrost“, trockener Husten, Seitenstechen. Am 5. Dezember wird Dr. Ignaz Andreas Wawruch in das Schwarzspanierhaus gerufen: „Sein Gesicht glühte, er spuckte Blut, die Respiration drohte mit Erstickungsgefahr und der schmerzliche Seitenstich gestattete nur eine quälende Rückenlage. Ein streng entzündungswidriges Heilverfahren schaffte bald die erwünschte Linderung; seine Natur siegte und befreite ihn durch eine glückliche Krise von der augenscheinlichen Todesgefahr, so dass er am fünften Tage sitzend im Stande war, mir sein bisher erlittenes Ungemach mit tiefer Rührung zu schildern.“ Doch trotz der Besserung: Das Krankenlager ist bereits Beethovens Totenbett.
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„Zitternd und bebend krümmte er sich vor Schmerzen, die in der Leber und den Gedärmen wüteten, und seine bisher nur mäßig aufgedunsenen Füße waren mächtig geschwollen. Von diesem Zeitpunkt an entwickelte sich die Wassersucht; die Aussonderung wurde sparsamer, die Leber bot deutliche Spuren von harten Knoten, die Gelbsucht stieg.“ Zur Linderung der Atemnot sind drei Punktionen erforderlich, die der Chirurg Johann Seibert durchführt. Bei der ersten werden nahezu acht, bei der zweiten 14 Liter Bauchwasser entnommen. Bis in die Mitte des Raumes soll es bei der dritten und letzten geflossen sein. Die Eingriffe bleiben nahezu wirkungslos. Mit einem traurigen Lächeln bemerkt der Komponist, der immer wieder versucht, an seiner Zehnten Sinfonie zu arbeiten: „Lieber Wasser aus meinem Körper als aus meiner Feder.“ Und dass er seinen galligen Humor noch nicht verloren hat, zeigt auch sein Vergleich Seiberts mit Moses, der – ähnlich wie der Chirurg – das Wasser mit dem Stab aus einem Felsen schlägt. Über seinen Zustand gibt Beethoven sich jedoch keinen Illusionen hin. Dr. Wawruch berichtet: „Kein Trost vermochte ihn mehr aufzurichten, und als ich ihm mit der herannahenden Frühlingswitterung Linderung seiner Leiden tröstend verhieß, entgegnete er mir lächelnd: ‚Mein Tagwerk ist vollbracht; wenn hier noch ein Arzt helfen könnte, his name shall be called wonderful!‘“ Der Kranke irrt nicht. Am 11. Januar sind mehrere Ärzte zu einer Beratung zusammengekommen. Man ist einer Meinung: Es gibt für Beethoven keine Hoffnung mehr. Zur Linderung der Schmerzen und der Melancholie, die ihn befallen hat, verabreicht man ein gekühltes alkoholisches Getränk, zunächst nur täglich. Nach zwei weiteren Eingriffen jedoch spielt das Quantum keine Rolle mehr. Die durch ein Leberleiden hervorgerufene Wassersucht ist nicht zu stoppen. Beethoven darf nun so viel trinken, wie er will. Menschliche Wärme gibt in dieser Zeit vor allem der zwölfjährige Gerhard von Breuning, der Sohn des Jugendfreundes Stephan. Jede freie Stunde verbringt „Ariel“ im Krankenzimmer. So nennt Beethoven den Jungen, seit er ihn wie den Luftgeist aus Shakespeares „Sturm“ hat laufen sehen, als er mit der Familie spazieren gegangen ist. Wenn Ariel bei ihm ist, gibt es auch heitere Momente. Laut lachen muss Beethoven manchmal, wenn er liest, was Gerhard in kindlicher Ahnungslosigkeit in ein Konversationsheft schreibt. Und ganz sicher denkt ein alter,
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kranker Mann oft an die eigene Kindheit zurück, weil der Jugendfreund aus alten Tagen direkt vor ihm zu stehen scheint – denn Gerhard ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Mit schwärmerischer Liebe umsorgt Ariel den Kranken, den so berühmten Komponisten, der schon zu Lebzeiten eine Legende geworden ist. In einem Konversationsheft stehen die folgenden Sätze des Zwölfjährigen: „Ich habe heute sagen hören, dass du so unter den Wanzen zu leiden hast, dass du, wenn du ruhst, alle Augenblicke aus dem Schlaf aufwachst. Da dir der Schlaf gut tut, werde ich dir etwas bringen, um die Wanzen zu verjagen.“ Auch Anton Schindler kümmert sich aufopferungsvoll um den Patienten, hat sich in einem Hinterzimmer einquartiert. Er wacht an seinem Bett, bringt ihm das Essen, wäscht ihn, ist Pfleger, Koch und Sekretär in einer Person. Die Nachricht, dass Ludwig van Beethoven im Sterben liegt, verbreitet sich in Windeseile. Nach und nach kommen die alten Freunde in das Schwarzspanierhaus, um Abschied zu nehmen.
Johann Nepomuk Hummel besucht ihn in Begleitung seines Schülers Ferdinand Hiller und dessen Frau Elisabeth. Der Kranke ist zu diesem Zeitpunkt bereits bis zum Skelett abgemagert. Über dem von Wasser aufgedunsenen Bauch jedoch wölbt sich die Bettdecke. Ein grauenhafter Anblick. „Ich werde wohl bald nach oben machen“, sagt Beethoven zu Hummel, dem alten Freund. Er hat starke Schmerzen, unter denen er laut stöhnen muss, der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Da nimmt Elisabeth Hiller ihr Taschentuch, um ihn sanft abzutupfen. Ihr Mann zu diesem Augenblick: „Nie werde ich den dankbaren Blick vergessen, mit welchem sein gebrochenes Auge dann zu ihr hinaufsah.“ Auch zwei junge Sänger, die den Komponisten über alles verehren, kommen eines Tages: Ludwig Cramolini und seine Braut Nanette Schechtner. Der Kranke bittet ihn, ihm etwas vorzusingen, aber der junge Mann ist so überwältigt, dass er keinen Ton herausbringt. Als Schindler dies Beethoven erklärt hat, lacht er schallend und sagt: „Singen Sie nur, lieber Louis, ich höre ja leider nichts, ich will Sie nur singen sehen.“ Obwohl er ganz genau weiß, wie ernst es um ihn steht, hat ihm
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das Totenbett seinen Humor nicht nehmen können – auch nicht seinen Glauben. Am 14. März diktiert er Schindler einen Brief an Ignaz Moscheles: „Wahrlich, ein hartes Los hat mich getroffen! Doch ergebe ich mich in den Willen des Schicksals und bitte Gott nur stets, er möge es in seinem göttlichen Willen so fügen, dass ich, solange ich noch hier den Tod im Leben erleiden muss, vor Mangel geschützt werde. Dies wird mir so viel Kraft geben, mein Los, so hart und schrecklich es immer sein möge, mit Ergebenheit in den Willen des Allerhöchsten zu ertragen.“ Beethovens Gebete werden erhört. Ihm wird es an so gut wie nichts mehr mangeln in den letzten Tagen seines Lebens. Aus London, wo man bestürzt von dem Zustand des hoch geschätzten Komponisten erfahren hat, schickt die Philharmonische Gesellschaft eine Ehrengabe von 100 Pfund. Geschenke und Gaben erhält der Kranke von nah und fern. Sein früherer Hauswirt Baron Pasqualati lässt ihm Wiener Nachspeisen zukommen, der Harfenbauer Stumpff beschenkt ihn mit einer Prachtausgabe der Werke Händels und der Verleger Diabelli macht Beethoven „eine kindische Freude“, als er ein Bild von Haydns Geburtshaus vorbeibringt. Die Ärzte gestatten dem Patienten den Genuss von Punscheis, was diesen geradezu euphorisch stimmt. Überhaupt sucht er Trost in Speis und Trank, schreibt an Pasqualati: „Meinen Dank für Ihre mir gestern übermachte Speise. Wie ein Kind begehrt ein Kranker nach so etwas, ich bitte daher heute um das Pfirsichkompott.“ Wie ein Kind, das ein halbes Jahrhundert zuvor in der Backstube von Meister Fischer naschen durfte … Die Gedanken des im Sterben Liegenden müssen in seine Heimat zurückgewandert sein, denn aus dem Rheinland bittet er brieflich um Wein, der ihm „Erquickung, Stärke und Gesundheit“ verschaffen soll. Tatsächlich schickt man aus Mainz zwölf Flaschen Rüdesheimer Berg, Jahrgang 1806. Die Gesundheit jedoch werden auch die Tropfen ihm nicht mehr zurückgeben können. „Da liege ich nun schon vier Monate“, ruft er aus. „Man verliert zuletzt die Geduld.“ Doch Beethoven muss sein nahes Ende gespürt haben. Zum letzten Mal ergreift er die Feder und schreibt mit zitternder Hand einen Zusatz zu seinem Testament, den Breuning aufgesetzt hat. Die Feder gehorcht ihm nicht mehr, die Worte kann er nur noch unklar formen, er
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fügt überflüssige Buchstaben ein, lässt in der Unterschrift andere aus. Hier der Original-Wortlaut: „Mein Nefffe Karle Soll alleini-Erbe seyn, das Kapital meines Nachlasses soll jedoch Seinen natürlichen oder testamentarischen Erben zufallen. Luwig van Beethoen.“ Es ist die vielleicht wichtigste Versöhnung seines Lebens. Trotz der Proteste der anwesenden Zeugen weigert sich Beethoven, diesen Zusatz wieder abzuändern, nach dem (im Falle des Todes Karls) Johanna seine Alleinerbin würde. Mit den Worten: „Da! Nun schreibe ich nichts mehr!“, legt er die Feder nieder und macht endlich den Frieden mit seiner Schwägerin. Am 23. März reicht man die Sterbesakramente. Nachdem der Priester gegangen ist, soll sich Beethoven an die um sein Lager Versammelten mit einem lateinischen Zitat gewendet haben: „plaudite, amici, comoedia finita est.“ Klatscht Beifall, Freunde, die Komödie ist zu Ende.
Am Tag darauf sitzt Anton Schindler an seinem Schreibtisch und verfasst folgenden Brief an Ignaz Moscheles: „Wenn Sie diese Zeilen lesen, wandelt unser Freund nicht mehr unter den Lebenden. Seine Auflösung geht mit Riesenschritten voran, und es ist nur ein Wunsch unser aller, ihn bald von diesem schrecklichen Leiden erlöst zu sehen. Nichts anderes bleibt mehr übrig. Seit acht Tagen liegt er beinahe schon wie tot, nur manchen Augenblick rafft er seine letzten Kräfte zusammen und fragt auch etwas oder verlangt etwas. Er befindet sich fortwährend in einem dumpfen Dahinbrüten, hängt den Kopf auf die Brust und sieht starr stundenlang auf einen Fleck, kennt die besten Bekannten selten, ausgenommen, man sagt ihm, wer vor ihm steht. Kurz, es ist schauderhaft, wenn man dieses sieht.“ Gegen Mittag des 24. März 1827 spricht Beethoven seine letzten Worte. Der ersehnte Wein aus der Heimat ist geliefert worden und Schindler stellt ihm zwei Flaschen auf den Nachttisch. Der Sterbende betrachtet sie kurz und flüstert bedauernd: „Schade, schade, zu spät.“ Dann sagt er nichts mehr. Der Todeskampf jedoch wird noch zwei ganze Tage dauern.
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Eine Pendeluhr steht auf dem Tisch im Sterbezimmer. Sie hat die Form einer umgekehrten Pyramide. Darauf ein Frauenkopf in Alabaster, der stumm auf Beethoven blickt. Um halb 5 am Nachmittag des 26. März 1827 schlägt die Uhr noch einmal, dann bleibt sie stehen. Denn ein Unwetter nähert sich Wien. Beethoven wird in der Todesstunde nicht alleine sein. An der Wand hängt das Ölporträt des geliebten Großvaters, die Lithographie des Geburtshauses von „Papa“ Haydn steht an seinem Bett. Sie geben ihm Trost. Nur zwei Menschen sind bei ihm, ein Mann und eine Frau. Der Freund Anselm Hüttenbrenner ist um drei Uhr gekommen, hat den Sterbenden ohne Bewusstsein vorgefunden. Die dürren Arme sind lang ausgestreckt auf der Bettdecke, der ganze Körper ist übersät von schwarzen Flecken. Seine Augen sind geschlossen, kalter Schweiß steht auf der Stirn. Sein fürchterliches Röcheln erfüllt das Zimmer, dringt hinaus bis auf den Gehweg, der schon dicht mit Schnee bedeckt ist. Denn das schwere Wintergewitter tobt jetzt über Wien, als ob eine aufgewühlte, wütende Natur gemeinsam mit ihm gegen ein unbarmherziges Schicksal ankämpft. Jetzt ist das Unwetter genau über dem Alten Schwarzspanierhaus. Erschrocken zucken die beiden Menschen zusammen. Ein furchtbarer Donnerschlag. Ein furchtbarer Donnerstag, vielleicht wie jener aus einer Januarnacht, fünfzig Jahre zuvor … – dann ein Blitz, der den Raum erleuchtet. In seinem grellen weißen Licht der Sterbende, für den Bruchteil einer Sekunde nur erblicken sie ihn, sehen entsetzt, wie er die Augen öffnet, die rechte Hand hebt und zur Faust ballt. Als sie kraftlos zurückfällt, lebt Beethoven nicht mehr. Es ist kurz nach fünf. Hüttenbrenner drückt ihm die halb geöffneten Augen zu. Die Frau schneidet eine Locke vom Kopf des Toten und überreicht sie dem Freund „zum heiligen Angedenken“. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die letzte Frau, die Ludwig van Beethoven berührt hat, seine Schwägerin Johanna gewesen.
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Sie hat den Moment verewigt, in dem der Tod Ludwig van Beethoven erlöst hat: die Totenmaske von Josef Danhauser. Am frühen Morgen des folgenden Tages sucht der Künstler das Sterbezimmer im Schwarzspanierhaus auf, um das Gesicht des Komponisten in Gips abzuformen und verschiedene Skizzen anzufertigen. Zuvor muss der stark gewachsene Bart abrasiert werden. Zwei Ölstudien Danhausers zeigen das Antlitz, eine dritte die Hände des Toten. Später entsteht eine Lithographie mit der Darstellung des aufgebahrten Leichnams. Einen Tag nach dem Tod erfolgt die Sektion. Sie wird in Beethovens Wohnung von Johann Wagner, einem Assistenten des Pathologischen Institutes, im Beisein Doktor Wawruchs ausgeführt. Aufgrund des Sektionsberichtes ist es erstaunlich, dass der Kranke das für seine Verhältnisse hohe Alter von 56 Jahren überhaupt erreicht hat. Seinen zahlreichen Ärzten kann daher kein Vorwurf gemacht werden – alle haben versucht, das Leben ihres berühmten Patienten entsprechend dem damaligen Stand des Wissens so erträglich wie nur möglich zu gestalten. Nach der Obduktion wird der Leichnam zunächst mit einem weißen Leinentuch bedeckt auf seinem Bett und nach der Einsargung am folgenden Tag in einem offenen, mit weißer Seide ausgeschlagenen Eichensarg in seinem Sterbezimmer aufgebahrt. Acht Kerzen sind daneben aufgestellt und zwei Totenwächter beigeordnet. Den Kopf schmückt eine Rosengirlande, zu beiden Seiten des Körpers hat man je eine Lilie gelegt. Eine dritte sowie ein Wachskreuz hält der Tote in den Händen. Gerhard von Breuning erinnert sich später, dass, als er gemeinsam mit seinem Vater gegen Ende der Aufbahrungszeit eine Locke des Verstorbenen als Andenken abschneiden will, bereits sämtliche Haare – trotz der beiden Totenwächter – entfernt worden sind. Die Bezeichnung „Wächter“ haben sie jedenfalls nicht verdient.
Beerdigungen Der Sarg Ludwig van Beethovens ist im Innenhof des Schwarzspanierhauses aufgebahrt. Man hat die Aussegnung des Toten wegen des zu
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erwartenden Andrangs dorthin verlegt. Eine weise Entscheidung, wie sich bald zeigen wird. Denn eine gewaltige Menschenmenge strömt am Nachmittag des 29. März 1827 zusammen. An die 30.000 Personen mögen es sein, darunter sind viele Kinder. Die Schulen haben geschlossen an diesem Tag. Soldaten aus der nahe gelegenen Kaserne sollen die öffentliche Ordnung sichern, was sonst nur bei Staatsbegräbnissen üblich ist. Bald ist der Andrang so groß, dass man die Tore schließen muss. Gegen halb fünf beginnen die Sargträger den „Choral der barmherzigen Brüder“ zu singen („Rasch tritt der Tod den Menschen an“). Langsam setzt sich der Trauerzug in Bewegung. Es sind nur knapp 200 Meter bis zu der Dreifaltigkeitskirche in der Alsergasse, doch mehr als eineinhalb Stunden dauert es bis zur Ankunft dort. Dicht gedrängt wogen die zurückgedrängten Massen, durch die sich der Zug seinen schmalen Weg bahnt. Musik erfüllt die Straßen: Beethovens eigener Totenmarsch aus der Sonate op. 26 begleitet ihn auf dem Weg zu seinem Grab, dargeboten von vier Posaunisten und einem sechzehnköpfigen Männerchor. Die in der Menge eng stehenden und sich ungeduldig reckenden Menschen sehen, wie sich von weitem leicht schwankend das Kreuz der Kirchengemeinde nähert. Eine Gruppe Geistlicher geht dem Sarg voran. Elf Persönlichkeiten Wiens wechseln sich ab, tragen zu acht die sterblichen Überreste Beethovens, das Grabtuch halten acht Kapellmeister in ihren Händen. Der Sarg ist mit einem Trauerflor verhüllt, darauf ein Kranz aus weißen Rosen. Zu beiden Seiten schreiten 36 Fackelträger. Es folgen die Angehörigen und engsten Freunde des Toten. Sowohl der Kirchvorplatz als auch die Kirche sind derart überfüllt, dass zahlreiche Ohnmächtige abtransportiert werden müssen. Nach der Messe begleiten die Wiener den Leichenwagen noch bis vor die Pforte des Friedhofs in Währing, wo Beethoven seine letzte Ruhe finden soll – aber nicht finden wird. Für lange Zeit nicht …
Einer der 36 Männer ist auffallend klein, dazu noch leicht dicklich. Mit seinen kurzen Fingern der fleischigen rechten Hand hält er die Fackel umklammert. Auf seinem runden Kopf sitzt ein schwarzer Zylinder. Seine Freunde nennen ihn „das Schwammerl“ – der Pilz.
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Das leicht aufgedunsene Gesicht ist nicht wirklich schön zu nennen, Stirn und Kinn sind stark ausgeprägt. Jetzt ist es noch blasser als sonst. Und hinter runden Brillengläsern füllen sich kurzsichtige, dunkle Augen mehr und mehr mit Tränen. Langsam setzt er die kleinen Füße voreinander. Es ist Franz Schubert, ein junger österreichischer Komponist, zu diesem Zeitpunkt außerhalb Wiens so gut wie unbekannt. Später, viel später erst, wird er weltberühmt werden. Er verehrt Beethoven über alles, vergöttert ihn geradezu. Sein Leben lang hat er mit ihm in ein und derselben Stadt gewohnt, zeitweise nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Wie oft ist er seinem Idol zufällig begegnet? Wie oft hat er die Straßen Wiens nach ihm durchsucht? Und wie oft hat ihn doch in letzter Sekunde erst der Mut verlassen, ihn anzusprechen. Schubert ist schon glücklich, wenn er nur in der Nähe Beethovens sein darf, im selben Geschäft, im selben Gasthof, immer dann, wenn er ihn sehen darf. Er selbst wird nie erfahren, wie eng sein eigenes Schicksal nach seinem Tod mit dem Beethovens verknüpft sein wird. Wie nah er ihm sein wird. Auf geradezu schaurige Art und Weise.
Am Friedhofstor – auf dem Friedhof selbst darf nämlich nicht gesprochen werden – hört Schubert ergriffen der Grabrede seines Landsmanns zu, des Dichters Franz Grillparzer. Der Schauspieler Heinrich Anschütz trägt sie mit lauter Stimme vor. Zum ersten Mal wird der tote Beethoven in seiner Größe gewürdigt; doch auch als ein einsamer Mensch voller Liebe, der viel hat leiden müssen und von seiner Umgebung wegen seiner Menschenscheu oft missverstanden worden ist. „Ein Künstler war er, aber auch ein Mensch, im höchsten Sinn. Weil er von der Welt sich abschloss, nannten sie ihn feindselig, und weil er der Empfindung aus dem Weg ging, gefühllos. Ach, wer sich hart weiß, der flieht nicht! … Wenn er die Welt floh, so war’s, weil er in den Tiefen seines liebenden Gemütes keine Waffe fand, sich ihr zu widersetzen; wenn er sich den Menschen entzog, so geschah’s, nachdem er ihnen alles gegeben und nichts zurückempfangen hatte. Er blieb einsam, weil er kein Zweites fand!
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Aber bis an sein Grab bewahrte er ein menschliches Herz allen Menschen, ein väterliches den Seinen, Gut und Blut der ganzen Welt. So war er, so starb er, so wird er leben für alle Zeiten. … Nicht verloren habt ihr ihn, ihr habt ihn gewonnen. Kein Lebendiger tritt in die Hallen der Unsterblichkeit ein. Der Leib muss fallen, dann erst öffnen sich die Pforten. Den ihr betrauert, er steht von nun an unter den Großen aller Zeiten, unantastbar für immer. Und wenn euch je im Leben … die Gewalt seiner Schöpfungen übermannt … so erinnert euch dieser Stunde und denkt: Wir waren dabei, als sie ihn begruben, und als er starb, haben wir geweint.“ Im Gasthaus gegenüber wird später das Leichenmahl eingenommen. Auf einmal geschieht etwas Sonderbares: Franz Schubert springt plötzlich auf, erhebt sein Bierglas und ruft: „Wir leeren dieses Glas auf den in unserer Mitte, der dem Verstorbenen folgen wird.“ Ahnt der erst Dreißigjährige in diesem Moment, dass er derjenige sein wird? Dass die tödliche Krankheit in ihm schlummert? Man weiß es bis heute nicht. Wird es wohl auch nie wissen. Hört man jedoch die Werke seines letzten Lebensjahres, ihre stellenweise unverhohlene Todessehnsucht und -nähe, kann, ja muss man es fast glauben. Robert Schumann wird später über ihn sagen, dass um seine „Lippen immer ein Zug vom nahen Tode spielt“. Schubert folgt Beethoven nur ein Jahr später. Er stirbt – vermutlich – an Typhus. Ferdinand Schubert, der Bruder, glaubt, dass es ein Stück Fisch in einem Gasthaus namens „Zum roten Kreuz“ gewesen ist, das die tödlichen Erreger an einem Abend Ende Oktober 1828 übertragen hat. Er ist Zeuge, wie Franz nach dem ersten Bissen das Besteck niederlegt und sagt, dass es ihn gewaltig davor ekelt, als hätte er gerade Gift geschluckt. Von da an isst und trinkt er kaum noch, nimmt stattdessen Unmengen an Medikamenten ein. Sein Körper ist ohnehin schon seit langem zermürbt – von einem ungeregelten, armseligen Leben voller Arbeit, geschwächt seit einer schweren Krankheit, mit der er sich fünf Jahre zuvor – wahrscheinlich bei einer Prostituierten – infiziert hat: der Syphilis, der schwersten aller Geschlechtskrankheiten. Sie wird seinen Körper nie verlassen. Der Typhus stößt auf so gut wie keinen Widerstand mehr. Am 17. November 1828 bricht er mit voller Heftigkeit aus. Schubert verliert das Bewusstsein, phantasiert. Am Vorabend
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seines Todes tritt der dunkle Schatten Beethovens ein letztes Mal in die Fieberfantasien des Sterbenden. Schubert ruft seinen Bruder zu sich, flüstert ihm ins Ohr. Unheimliches glaubt Ferdinand zu hören: „Nein, ist nicht wahr; hier liegt Beethoven nicht!“ Ob er sich schon im Grab sieht? Nur mit Mühe gelingt es, ihn im Bett zu halten. Als der Arzt erscheint, sieht Schubert ihm starr in die Augen, greift an die Wand und flüstert seine letzten Worte: „Hier ist mein Ende!“ Franz Schubert stirbt am 19. November 1828, gegen 3 Uhr nachmittags. Ferdinand ist sich sicher, aus den Fantasien auch einen letzten, großen Wunsch herausgehört zu haben. Er wird ihm erfüllt: Man bestattet Schubert an der Seite Beethovens, nur zwei Grabnummern trennen sie. Keine 40 Jahre jedoch dauert die „ewige Ruhe“ der beiden großen Komponisten.
Im Jahre 1863 entschließt man sich, die Leichen der Genies zu exhumieren und in Zinksärgen vor der endgültigen Verwesung zu bewahren. Sogar an eine Ausstellung der beiden Schädel hinter Glas in einem Museum wird ernsthaft nachgedacht. Noch immer macht allerdings ein unfassbares Gerücht die Runde: Beethovens Kopf soll gar nicht beerdigt, sondern vor der Schließung des Sargdeckels entfernt worden sein! Die Wahrheit kommt erst bei der Ausgrabung am 13. Oktober – im wahrsten Sinne des Wortes – ans Licht. Der Schädel ist doch noch an Ort und Stelle, allerdings wirft er neue Rätsel auf: Man stößt nämlich auf kleinere und größere Trümmer der Hirnschale, ein Stück aus der Scheitelgegend bleibt unauffindbar. Wie ist das zu erklären? Beethoven ist doch nicht das Opfer eines Gewaltverbrechens geworden!? Keineswegs. Die Ursache für die teilweise Zerstörung des Schädels jedoch ist nicht viel weniger erschütternd: Kurz nach dem Tod ist im Allgemeinen Krankenhaus Wiens die Hirnschale zersägt und das Gehirn entnommen worden. Wissenschaftliche Untersuchungen erfolgen, auf der Suche nach dem sogenannten „Sitz des Genies“. Das Gehirn wird konserviert. Augenzeugen, die die Leiche anschließend zu Gesicht bekommen, berichten, dass der Kopf auffallend entstellt und „verschoben“ ausgesehen hat. Nach der Ausgrabung setzt man die
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neun Teile des Schädels wieder zusammen und füllt ihn dabei mit Lehm, um diesen zu vermessen. Die Leiche Franz Schuberts ist im Gegensatz zu Beethovens nicht seziert worden. Sein unverletztes Haupt ist schwarzbraun verfärbt, die Hirnschale von einer dichten Hülle umschlossen: einer Mischung aus Haaren, feuchter Erde, Hobelspänen und Hunderten von Insektenlarven. Man reiht die Skelettteile der beiden Toten auf dem Boden der Zinksärge aneinander, verschließt, verlötet und versiegelt diese. In einer kleinen Friedhofskapelle werden sie nebeneinander am Altar aufgestellt und strengstens bewacht. Die Schädel Beethovens und Schuberts vermisst, zeichnet, fotografiert man und formt sie schließlich in Gips ab. Bis heute unerklärlich ist, wie trotz höchster Sicherheitsvorkehrungen etwas so Skandalöses und Makabres geschehen sein kann: Beethovens Schädel verschwindet nun tatsächlich spurlos! Ein diebischer Wiener Arzt bemächtigt sich seiner um ihn gewinnbringend zu veräußern. Vergeblich versucht er jedoch einen Käufer zu finden und behält das Haupt des Komponisten schließlich selbst bis zu seinem Tod. Aus seinem Nachlass geht dieses ein Jahrhundert später in den Besitz des Urgroßneffen – eines kalifornischen Kaufmanns – über, der nicht schlecht staunt, als er die Reliquie in einer ordinären Schachtel mit der Aufschrift „Beethoven“ findet. Bis heute hat der glückliche Erbe allerdings den Schädel – dessen Echtheit DNA-Analysen belegt haben – nicht an den Mann bringen können. Selbst das Auktionshaus „Sotheby’s“ hat dankend abgelehnt … Immerhin ist Franz Schuberts Haupt diese Odyssee erspart geblieben. Es wird mit dem Körper wiedervereinigt, als man am 23. Oktober 1863 die Särge erneut öffnet. Reste der Kleidung werden in verschlossenen und verlöteten Zinkbüchsen zwischen den Schien- und Wadenbeinen der Toten beigesetzt. Um 5 nach 9 schließt sich an diesem Morgen der Sargdeckel über der Leiche Ludwig van Beethovens, 15 Minuten später über der von Franz Schubert.
25 Jahre später wird der neue Zentralfriedhof an der Simmeringer Hauptstraße fertiggestellt. Auf einem Ehrenhain sollen nun alle toten
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Berühmtheiten Wiens ihre letzte Ruhe finden. Die Leichen der großen Komponisten müssen folglich erneut ausgegraben werden, sehr zur Freude eines etwas merkwürdigen Mannes. Am frühen Nachmittag des 21. Juni 1888 zieht Anton Bruckner seine schwärzesten Sachen an, setzt den Zylinder auf und macht sich auf den Weg, um in der Friedhofskapelle seinem großen Idol zu begegnen. Bis zu seinem eigenen Tod hat er tatsächlich gedacht, den Schädel Beethovens berührt zu haben, es wohl unzählige Male mit Tränen in den Augen erzählt. Er hat die Unwahrheit gesagt, ohne es zu wissen.
Nachwort: Die Wahrheit über Ludwig van Beethoven Um ehrlich zu sein: Auch am Anfang dieses Buches stand nicht unbedingt die Wahrheit. Vielleicht. „Es ist eine kalte Dezembernacht, als die kleinen, pechschwarzen Augen sich zum ersten Mal öffnen …“ – allein dieser Satz enthält gleich zwei Vermutungen. Denn ob es wirklich frostig war am Tag der Geburt im Dezember 1770, ist unbekannt. Man weiß nicht einmal, ob das Kind in der Nacht oder am Tag geboren wurde. Immerhin: Der Monat darf als gesichert gelten. Dem Taufregister Sankt Remigius sei Dank. Das andere wird wohl für immer im Dunkeln bleiben, wie so vieles im Leben Ludwig van Beethovens. Der Komponist hat bedauerlicherweise keine Autobiographie geschrieben – wie beispielsweise Wagner nach oder Goethe kurz vor ihm. Und lägen uns seine Memoiren denn doch vor: Hätte er selbst gewusst oder wissen wollen, ob er als Neugeborener viel oder wenig Tageslicht erblickte? Wohl kaum. Und all das wirklich Bedeutende, an das er sich hätte zurückerinnern müssen, Jahrzehnte später zum Teil: Hätte Beethoven nur die „Wahrheit“ zu Papier bringen können bzw. wollen? Von Wagner weiß man ja, dass „Mein Leben“ – er diktierte es seiner zweiten Frau Cosima – (schon aus diesem Grund …) nachweislich „Falsches“ oder zumindest Geschöntes in nicht geringem Maße enthielt. Und Goethe bezeichnete seine eigenen Lebenserinnerungen nicht umsonst mit dem Titel „Dichtung und Wahrheit“. Man muss sich stets vor Augen führen und wohl auch damit abfinden, dass ein Buch über das Leben eines Menschen – sei es von diesem selbst oder einem Dritten verfasst – immer „Unwahres“ enthalten wird. Eine Biographie kann nur den Versuch machen, sich einer Persönlichkeit, so gut es eben geht, anzunähern. Dies ist bei dem Ihnen vorliegenden Buch beherzigt worden. Dem Ziel, Ludwig van Beethoven als Mensch darzustellen, musste einiges geopfert worden, womöglich selbst die Wahrheit.
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Nachwort
Wenn es sie überhaupt gibt. „Truth is multiple“, sagte einmal Oscar Wilde. Gerade in Beethovens Fall ist es nämlich außerordentlich schwierig, „Dichtung“ und „Wahrheit“ sauber voneinander zu trennen. Dies liegt vor allem daran, dass der Komponist schon zu Lebzeiten zur Legende, ja zum Mythos wurde, woran Beethoven – bewusst oder unbewusst – selbst mitwirkte. Denn viele der von namhaften Künstlern auf Leinwand gebrachten oder aus Stein gehauenen Bildnisse des Komponisten zeigen nicht den unter seinem Schicksal leidenden Menschen, sondern das romantisch verklärte, idealisierte, über allem thronende Genie. Geradezu wohltuend hebt sich hier von Kloebers Bleistiftzeichnung ab. Rasch rankte sich eine Fülle von Anekdoten um den „Titanen“, und eine wahre Flut ergoss sich nach Beethovens Tod. Fast jeder, der ihn gut gekannt oder auch mal nur von weitem gesehen hatte, meinte etwas über ihn erzählen zu können. Nahezu jeder Schnipsel, der einen Eindruck von dem Komponisten vermitteln konnte, wurde in Zeitungen veröffentlicht. Die frühen Biographen Beethovens – wollten sie denn eine plastische Lebensbeschreibung liefern – sahen sich genötigt, auf diese subjektiven Erinnerungen von Zeitzeugen zurückzugreifen. Die ihnen vorliegenden Dokumente allein konnten nicht ausreichen. Diese „zuverlässigen“ Quellen sind vor allem Beethovens Briefe (darunter das „Heiligenstädter Testament“ und das Schreiben an die „Unsterbliche Geliebte“), das sporadisch geführte Tagebuch sowie die Konversationshefte. Doch enthalten selbst diese Schriften die Wahrheit, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Diese Frage könnte nur der Komponist selbst beantworten. Möglicherweise. Denn welcher Mensch macht nicht anderen und sogar sich selbst ab und zu etwas vor? Das vorliegende Buch hat all das herangezogen, was geeignet schien, ein lebensnahes Porträt Beethovens und seiner Zeit zu schaffen, darunter eben auch Anekdotisches, dessen Wahrheitsgehalt kaum mehr überprüfbar ist. Eine große Hilfe war das frisch erschienene Beethoven-Lexikon, das bei der Suche nach historisch Verbürgtem häufig konsultiert wurde, die vorzügliche Biographie von Maynard Solomon sowie die „Geschichte der Stadt Bonn“. In ihr spürte ich der Kindheit Beethovens
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nach, über die bekanntlich nur sehr spärliche Informationen vorliegen. Auch ein heute kaum mehr bekannter Roman wurde herangezogen, um – wenn nötig – der eigenen Fantasie auf die Sprünge zu helfen, nämlich Felix Huchs „Beethoven“ aus dem Jahr 1932. Neben den genannten Gründen für mögliche „Fehler“ in dieser Lebensbeschreibung muss auf einen weiteren hingewiesen werden, der das entstandene Porträt des Komponisten möglicherweise „verfälscht“ hat. Er ist rein subjektiver Natur, und ich bitte, ihn mir nachzusehen: meine große Liebe zu Ludwig van Beethoven.
„Den hochempfindlichen Schädel des toten Beethoven berühren will dieser Mann?“, hieß es ebenfalls gegen Anfang dieses Buches, als wir Anton Bruckner auf seinem Weg zu den sterblichen Überresten seines Idols begleiteten. Dass diese Eigenschaft, diese vermeintliche Schwäche des Hauptes auch auf den lebenden Komponisten zutraf, davon bin ich fest überzeugt: „Denn eigensinnig ist er ganz sicher gewesen, Ludwig van Beethoven, ein hochsensibler Mensch …“ Diese Überzeugung ist in das Buch eingeflossen, sei es in Nebensätzen, sei es in längeren Passagen. Es handelt sich hierbei um eine Theorie, die in keiner mir bekannten Monographie über den Komponisten bislang aufgestellt worden ist. Kurz zusammengefasst ist zu sagen: Beethoven war ganz sicher kein einfacher Mensch. Und seine Ertaubung, die ihn vollends zu einem einsamen Mann machte, hat alles nur verschlimmert – all das jedoch, was vorher schon längst in ihm vorhanden war. All die vermeintlich exzentrischen Absonderlichkeiten und Widersprüche, die seine Mitmenschen so irritierten und bis heute das Beethoven-Bild entscheidend prägen. Dieses Buch soll somit auch helfen, den Menschen Ludwig van Beethoven besser verstehen zu können. Es soll dazu beitragen, das Bild von diesem genialen Komponisten zu korrigieren, ihm vielleicht sogar eine späte, sehr späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Denn diese großartige Persönlichkeit muss meiner Auffassung nach deutlich differenzierter betrachtet und bewertet werden, als dies bislang geschehen ist. Ich bin überzeugt davon, dass Ludwig van Beethoven diese ganz besondere Persönlichkeit besaß, die etwa jeder zehnte Mensch – zu-
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Nachwort
mindest im Ansatz – mit ihm teilt. Das Pionierwerk über das Phänomen der Hochsensibilität stammt von der amerikanischen Professorin und Psychotherapeutin Elaine Aron, die im Jahre 1996 ihre Forschungen auf diesem Gebiet in dem Buch „The Highly Sensitive Person“ (dt. Übers. 2005) zusammenfasste. Eine Vielzahl der in diesem Werk genannten „Symptome“ der Hochsensibilität treffen auf den Komponisten zu: seine künstlerische Hochbegabung, die extremen Stimmungsschwankungen, die innige Naturverbundenheit, seine große Empfindsamkeit, sein – vor der Ertaubung – außergewöhnlich guter Hörsinn (worauf Beethoven in seinem „Heiligenstädter Testament“ selbst anspielt), womöglich sogar einige seiner chronischen Erkrankungen. Schon Beethovens Arzt Aloys Weißenbach – mit dem Komponisten auch durch das gemeinsame Leid des Gehörverlustes verbunden – diagnostizierte wohl treffend (zu einer Zeit, als die Hochsensibilität noch nicht erforscht wurde), dass ein tiefgreifender Widerspruch zwischen der „Rüstigkeit und Derbheit“ seiner äußeren Erscheinung und seiner psychischen Verfassung vorliege. Sein „Nervensystem“, so Weißenbach, „ist reizbar im höchsten Grade und kränkelnd sogar“. Beethoven selbst schrieb in seinem „Heiligenstädter Testament“ die berühmten Zeilen: „O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet … wie Unrecht tut ihr mir, ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem …“ Hätte der Verfasser die Gelegenheit dazu, würde er ihm gern wie folgt entgegnen: Sehr verehrter Herr van Beethoven, Sie selbst glaubten, diese geheime Ursache sei Ihre Ertaubung. Doch sie war es nicht allein. Sie taten sich selbst Unrecht, Ihr Leben lang – immer dann, wenn Sie sich nicht verstanden und von quälenden Gedanken über Ihr eigentümliches Wesen erfüllt waren. Denn Sie wussten nicht, dass Sie ein hochsensibler Mensch sind. Vielleicht ist das ja die Wahrheit. Dezember 2010
Hans-Georg Klemm
Epilog: Beethovens Musik – Trost und Heiterkeit Wie viele Bedenken es auch geben mag hinsichtlich des „wahren“ Ludwig van Beethoven: Unzweifelhaft ist die Größe seines Werkes, die Bedeutung dieses kostbaren Vermächtnisses für die Menschheit. Ein Geschenk von unschätzbarem Wert, das leider besonders in der heutigen Zeit von zu vielen nicht angenommen wird. Ein Jammer. Denn wie viel Trost, wie viel Geborgenheit und Glück gerade Beethovens Musik den Menschen zu spenden vermag, verdeutlicht wohl niemand besser als der französische Dichter Romain Rolland: „O Beethoven! … du bist der größte und beste Freund der Leidenden, der Kämpfenden. Wenn das Elend der ganzen Welt uns überwältigt, dann nahst du dich uns, wie du dich einer trauernden Mutter nahtest, dich wortlos ans Klavier setztest und der Weinenden Trost reichtest …“
Im Jahr 1846 erweist der „Freund der Leidenden“ einem der größten Komponisten nach ihm seinen Dienst: Richard Wagner. Der (nicht nur) zu diesem Zeitpunkt von Existenzangst Geplagte will in Dresden die Neunte dirigieren, wo sie seit einer jämmerlichen Aufführung unter Kapellmeister Reißiger als „verrufen“ angesehen wird. Wagner, der sich ohnehin bestens in Beethovens Seele einzufühlen weiß, kennt die Sinfonie wie kaum ein anderer. Hat er doch in seiner Jugend ganze Nächte damit verbracht, die Partitur eigenhändig abzuschreiben. Das Konzert wird zu einem Meilenstein werden. Ein Augen- und vor allem Ohrenzeuge, der norwegische Komponist Niels Glade, soll gesagt haben, dass er „gern den doppelten Eintrittspreis bezahlt“ hätte, „um das Rezitativ der Bässe noch einmal zu hören …“ In seiner Autobiographie „Mein Leben“ denkt Wagner an die „Begegnung“ mit „Freund Beethoven“ zurück: „Eine große Sehnsucht erfasste mich zur Neunten Symphonie … Wie
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ward mir nun aber, als ich seit meinen frühesten Jünglingsjahren … jetzt zum ersten Male die geheimnisvollen Seiten derselben, deren Anblick mich einst in so mystische Schwärmereien versetzt hatte, mir wieder zu Gesicht brachte … Diese Verzweiflung, über die ich meine Freunde zu täuschen versuchte, schlug nun dieser wunderbaren Neunten Symphonie gegenüber in helle Begeisterung aus. Es ist nicht möglich, dass je das Werk eines Meisters mit solch verzückender Gewalt das Herz des Schülers einnahm, als das meinige vom ersten Satze dieser Symphonie erfasst wurde. Wer mich vor der aufgeschlagenen Partitur … überrascht, mein tobendes Schluchzen und Weinen wahrgenommen hätte, würde allerdings verwunderungsvoll haben fragen können, ob dies das Benehmen eines Königlich Sächsischen Kapellmeisters sei. Glücklicherweise blieb ich bei solcher Gelegenheit von Besuchern … verschont.“ Es sind weder die ersten noch die letzten Tränen gewesen, die Richard Wagner wegen Beethovens Musik vergossen hat. Seine Frau Cosima notiert fast dreißig Jahre später, im Mai 1875, in ihrem Tagebuch: „Am 7ten traf in einem Hof R. eine Gesellschaft armer Blinder, welche so wundervoll das Andante aus der 2ten Symphonie spielten, dass er sich von ihnen gar nicht trennen konnte und mit Tränen davon erzählte. – So erst empfände man die Macht der Musik! Der Violinspieler habe rein wie Gold gespielt!“
Besonders in den düstersten aller Stunden haben Menschen Trost und Beistand in der Musik Beethovens gesucht und gefunden. Am 8. Januar 1943 lässt Generalfeldmarschall Paulus auf Befehl Hitlers ein Ultimatum zur Kapitulation in Stalingrad verstreichen, werden 100 Wiener Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt deportiert. Vier Tage zuvor hat Propaganda-Minister Joseph Goebbels das deutsche Volk noch einmal eindringlich zur Mobilisierung „aller Kräfte für den Einsatz“ aufgehetzt. In München holt am frühen Nachmittag dieses Tages ein junger Mann seine Schwester am Bahnhof ab. „Rucksack und Köfferchen“ trägt sie bei sich. Dieses Gepäck nimmt sie auch mit, als die beiden ins Konzert gehen. Die 21-Jährige hat sich schon die ganze Fahrt über darauf gefreut. Denn mit ihrem Bruder teilt sie nicht nur die Liebe zu
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der Welt der Dichter; die Kunst überhaupt hat in ihrem Leben eine zentrale Bedeutung. Sie selbst zeichnet und spielt leidenschaftlich Klavier. Über ihr „Lebenselixier“ schreibt sie in einem Brief: „Ich habe mir aus dem Radio eine schöne alte Musik hergeholt, eine Musik, die die Sinne beruhigt, die mit ordnender Hand durch das verwirrte Herz geht.“ Nach dem Konzert sitzt man noch lange mit Freunden zusammen und bespricht die Pläne. Denn die Zeit des Redens ist nun vorbei. Das nächste Flugblatt soll bald versandfertig sein, soll in tausendfacher Ausführung die Menschen in ganz Süddeutschland und Österreich aufrütteln. Doch nur sechs Wochen, nachdem der Pianist Edwin Fischer die Musik Beethovens auch für die Geschwister Scholl gespielt hat, werden Hans und Sophie verhaftet. Für einige wenige Stunden wird er an jenem 8. Januar ganz sicher ihre verwirrten Herzen beruhigt haben. Auch wenn uns das heute nicht trösten kann.
In seiner Autobiographie „Mein Leben“ erinnert sich Marcel Reich-Ranicki an die Zeit im Warschauer Ghetto und Konzerte, die von jüdischen Musikern in einem 800 Plätze bietenden Kino veranstaltet wurden: „Die Juden im Warschauer Ghetto wurden gemartert. Ihnen ist Grauenhaftes widerfahren. Aber bisweilen auch Schönes und Wunderbares. Sie haben gelitten. Aber sie haben auch geliebt. Nur war die Liebe damals von besonderer Art … Auf der Liebe im Ghetto lastete an jedem Tag und in jeder Stunde die Frage, ob wir morgen noch das Leben hatten. Unruhig war sie und schnell, ungeduldig und hastig. Es war die Liebe in den Zeiten des Hungers und des Fleckfiebers, in den Zeiten der schrecklichsten Angst und der tiefsten Demütigung … Die Konzerte waren immer gut besucht, die Symphoniekonzerte meist überfüllt. Der Not zum Trotz? Nein, nicht die Not trieb die Hungernden, die Elenden in die Konzertsäle, sondern die Sehnsucht nach Trost und Erbauung – und so verbraucht diese Vokabeln auch sein mögen, hier sind sie am Platz. Die unentwegt um ihr Leben Bangenden, die auf Abruf Vegetierenden waren auf der Suche nach Schutz und Zuflucht für eine Stunde oder
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zwei, auf der Suche nach dem, was man Geborgenheit nennt, vielleicht sogar nach Glück. Sicher ist: Sie waren auf eine Gegenwelt angewiesen. So ist es kein Zufall, dass zu den beliebtesten Werken Beethovens neben der ,Eroica‘, der Fünften und Siebten die ,Pastorale‘ gehörte: Wo es keine Wiesen gab und keine Wälder, keine Bäche und keine Büsche, lauschten viele, die sonst wenig für Beethovens Programmmusik übrig hatten, dankbar dem ,Erwachen heiterer Gefühle auf dem Lande‘ und anderen idyllischen Szenen – und sie waren dankbar nicht obwohl, sondern gerade weil diese Idyllen nichts mit ihrer Umgebung gemein hatten …“ Marcel Reich-Ranicki und seine spätere Frau Teofila, genannt Tosia, sind kaum zwanzig Jahre alt, als sie sich im Ghetto ihr noch junges Leben erzählen, Poesie lesen und sich schließlich ihre Liebe gestehen. Sie wird ihnen Schutz geben, wird „das Narkotikum“ sein, mit dem sie ihre „Furcht betäubten“, und die Verse der Gedichte lassen sie zumindest zeitweise vergessen, was ihnen „inmitten der grausamsten Barbarei stündlich bevorstehen“ kann … „Aber da gab es etwas, was auf uns noch stärker und noch tiefer wirkte als die Poesie, was uns bis ins Innerste aufwühlte, was uns berauschte. Es war die Musik … Es waren, so schien es mir damals, die Verlassenen und die Einsamen, die sich in die Konzerte drängten, und vor allem die Liebenden: Die zueinander gefunden hatten, fühlten sich durch die Musik bestätigt. Und sie zitierten Shakespeare: ,Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist …‘ Eines Tages, nach einem besonders schönen Konzert, bat ich Tosia, mir zu versprechen, dass sie, sollte sie überleben und ich nicht, immer beim Allegretto aus Beethovens Siebter an mich denken werde …“ Glücklicherweise hat Teofila dieses Versprechen nie halten müssen. Für ihren Mann Marcel ist jedoch ein anderes Stück Ludwig van Beethovens untrennbar mit tieftraurigen Erinnerungen verbunden geblieben: „Auch Kammermusik, vor allem Quartette und Quintette, ließ Pullmann von seinem virtuosen Streichorchester spielen, und es spielte wunderbar: Beethovens Große Fuge op. 133, das Adagio aus Bruckners Quintett oder das Quartett von Verdi … Es lässt sich kaum vorstellen, mit welcher Hingabe damals geprobt, mit welcher Begeisterung musiziert wurde. Als wir 1988 im Zweiten Deutschen Fernsehen das ,Literarische Quartett‘ vor-
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bereiteten, fragte man mich, welche Musik ich mir für den Vorspann und den Abspann wünsche. Ich bat um die ersten Takte des Allegro molto aus Beethovens Quartett opus 59, Nr. 3, C-Dur, das im Ghetto vom Streichorchester besonders oft und besonders gut aufgeführt wurde. Wann immer ich beim ,Literarischen Quartett‘ diese Takte von Beethoven höre, denke ich an die Musiker, die sie im Ghetto gespielt haben. Sie wurden alle vergast …“ Einer von ihnen ist ein Geiger, dessen letztes Bild Tosia und Marcel besonders in Erinnerung bleiben soll. Zu ihrem stummen Abschied spielt er diese Klänge auf seinem Instrument. Reich-Ranicki erinnert sich: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich außerhalb des Ghettos rasch umkommen würde, betrage, glaubte ich, 99 Prozent. Im Ghetto aber stand mir der Tod bevor, und zwar mit hundertprozentiger Sicherheit. Ich musste diese minimale Chance wahrnehmen, wir mussten sie wahrnehmen. Zwischen Tosia und mir gab es in dieser Angelegenheit keinen Meinungsunterschied. Ein Musiker, ein ausgezeichneter Geiger, gab uns die Adresse einer polnischen proletarischen Familie, der es schlecht ging und die bereit war, natürlich gegen eine angemessene Bezahlung, Juden zu beherbergen. Er selber wollte später ebenfalls aus dem Ghetto fliehen. Er ist in Treblinka umgekommen. Als wir uns verabschiedeten, sah er uns traurig an, aber er sagte kein Wort. Als wir schon an der Tür standen, nahm er seine auf einer Kommode liegende Geige in die Hand. Er spielte, wohl etwas langsamer und elegischer als sonst, die ersten Takte des Allegro molto aus Beethovens Quartett opus 59 …“ Wenig später bricht im Ghetto der Aufstand aus. Tosia und Marcel gelingt die Flucht.
Vier Tage, bevor die Wehrmacht in Warschau die Rebellion auf brutalste Weise niederschlägt, sitzt der jüdische Romanist Victor Klemperer, ein Vetter des Dirigenten Otto Klemperer, in Dresden über seinem Tagebuch. Fast zehn Jahre zuvor hat man ihm seine Professur an der Technischen Hochschule entzogen. An wissenschaftliches Arbeiten ist längst nicht mehr zu denken, seit den Juden der Zugang zu Bibliothe-
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ken verboten worden ist. Klemperer muss inzwischen Zwangsarbeit leisten. Zu dieser Zeit, als er täglich damit rechnen muss, wie viele vor ihm auch von der Gestapo verhaftet zu werden und die „Angst lähmend“ ist, schreibt er in sein Tagebuch, das unter dem Titel „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ veröffentlicht und berühmt wurde: „12. Mai, Mittwoch früh Einer mahnt den andern; bei jedem lauteren Wort, selbst harmlosesten Inhalts, heißt es: Auf dem Hof höre man jeden Ton durch offene Fenster. Das Radio ist tabu. Aber nach acht kam eine Arbeiterin, die brennende Zigarette in der Hand, und fingerte daran herum, bis ihr Strelzyn, der Graveur, beim Einrichten half. Da gab es für den Rest der Zeit Musik. Es kam mir wie ein Bild der Moderne vor: die Fabrikarbeiterin mit der brennenden Zigarette, das Radio sachgemäß behandelnd. Die armen Juden daneben, denen das Radio sowohl wie die brennende Zigarette den Tod, buchstäblich den Tod einbringen könnte. Das Radio spielte etwas Klassisches, mir Unbekanntes. Der Mann mit der viertel Sehkraft und der halben Lunge und der viertel Hörstärke und der flüsternden Stimme, die Ruine Freymann neben mir, flüsterte: ,Beethoven ist doch das Schönste.‘ Ich stimmte ihm bei. Nach ein paar Minuten kam ein mir bekanntes Thema der Symphonie, und ich hatte wirklich Freude.“ Victor Klemperer erlebt und überlebt die Luftangriffe auf Dresden. Knapp entgeht er der Deportation.
Anfang April 1945: Berlin ist von der Roten Armee eingekesselt, ihre Panzer stehen bereits wenige hundert Meter vor dem Bunker der Reichskanzlei. Der Krieg ist verloren. Dennoch sollen auf Befehl von Joseph Goebbels nun auch die Mitglieder des Berliner Philharmonischen Orchesters „als letztes Aufgebot“ zur Verteidigung der Reichshauptstadt eingesetzt werden. Albert Speer will es – laut seinen Erinnerungen – gelungen sein, die Papiere der Musiker in den Wehrmeldeämtern zu vernichten. So können die Philharmoniker ihr vorerst letztes Konzert spielen. Es ist der 12. April 1945. Wer auch immer irgendwie von diesem Ereignis gehört hat, drängt sich in der überfüllten, ungeheizten Philharmonie. Auf dem Programm steht – neben
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dem Finale aus Wagners „Götterdämmerung“ und Bruckners Vierter – das Violinkonzert von Beethoven.
Doch auch bei den heiteren Momenten des Lebens ist Beethoven – oft natürlich ungewollt – der richtige Begleiter. Obwohl der kanadische Star-Pianist Glenn Gould es ganz sicher nicht sonderlich lustig fand, als er sich vor tausend Konzertbesuchern blamierte. Folgendes war passiert: Der Exzentriker Gould stand noch am Anfang seiner Weltkarriere, die mit mitreißenden, unvergessenen Auftritten begann (später zog er sich vollständig aus dem Konzertleben zurück, was jedoch nichts mit diesem Vorfall zu tun hat). Der blutjunge Pianist, der Tiere, vor allem Hunde, über alles liebte, besaß einen schwarz-weißen englischen Setter. Dieser hieß Sir Nickolson of Garelocheed, genannt Nicky. Im Mittelpunkt eines seiner ersten großen Auftritte stand ein Klavierkonzert Beethovens. Gould machte sich entsprechend fein, wie es von einem angehenden Konzertpianisten erwartet wurde: schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Fliege. Vater Bert warnt ihn noch, nachdem Glenn sich umgezogen hat: „Und denk dran: Spiel jetzt nicht mehr mit Nicky!“ Dem Sohn jedoch scheint sich der Zusammenhang zwischen schwarz-weißem Hund, gutem Anzug und Beethoven nicht auf Anhieb zu erschließen, denn er ignoriert den väterlichen Rat. Und das wird Folgen haben … Als er nämlich am Anfang des Konzerts, während eines Orchesterteils, gerade „Pause“ hat, findet er die Zeit, seine Kleidung auf den Zustand ihrer Ordnung hin zu überprüfen. Er blickt an sich herunter, auf seine blank geputzten schwarzen Schuhe – und bleibt entsetzt bei seinen Hosenbeinen hängen: Nickys weißes Fell hat dort – mindestens auch für die ersten Zuschauerreihen – unübersehbar seine Spuren hinterlassen …
Glenn Gould ist es auch, auf den die Musik Beethovens einen im wahrsten Sinne des Wortes „umwerfenden“ Eindruck hinterlassen hat.
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Bei einer der ersten Live-Übertragungen des kanadischen Fernsehens am 8. September 1952 steht Gould hinter der Bühne. Er hat soeben mit dem Orchester einen Satz eines Beethoven-Klavierkonzerts gespielt und verfolgt die nächste Darbietung, ein Blechbläsersextett. Unglücklicherweise hat man als Dekoration eine „falsche“ Marmorsäule aufgestellt, an die Gould sich anlehnen will. Die Säule gerät so gefährlich ins Wanken, dass es ihm nur mit äußerster Mühe und im letzten Moment gelingt, das Umkippen zu verhindern. Die Blechbläser auf der Bühne jedoch bringen es nicht fertig, sich das Lachen gänzlich zu verkneifen. „Höchst unprofessionell, um es gelinde zu sagen“, soll der Dirigent geknurrt haben.
Deutlich unangenehmer noch erging es dem amerikanischen Pianisten Arthur Rubinstein während eines Konzerts in Eindhoven. Keiner der Anwesenden wird die Szene sein Leben lang vergessen haben: Der gebürtige Pole spielte Beethovens Klaviersonate op. 57, die sogenannte „Appassionata“, als plötzlich der Stuhl unter ihm zusammenbrach. Halb im Stehen musste er das Stück zu Ende spielen.
Weniger unbequem, dafür umso schmerzhafter war ein Erlebnis, an das sich Rubinstein in seiner Autobiographie „Die frühen Jahre“ erinnert: „Die Eintönigkeit der Konzertreise unterbrachen hin und wieder erheiternde oder auch weniger erheiternde Zwischenfälle. In Columbus, Ohio, klemmte ich gleich zu Beginn einer Beethoven-Sonate einen Fingernagel so unglücklich zwischen zwei Tasten, dass der Nagel abgerissen wurde und das Blut in Strömen über die Tastatur floss, doch spielte ich weiter, trotz des Blutes ganz in meinen Vortrag vertieft. Erst nach dem ersten Satz tat der Finger unerträglich weh, und ich musste ihn verbinden lassen. Als ich in den Saal zurückkehrte, um auf der gereinigten Klaviatur weiterzuspielen, überschütteten mich die Zuhörer mit Beifall. Beim Anblick des vielen Blutes hatten sie nämlich daran gezweifelt, dass ich mein Programm beendigen würde. In den Morgenzeitungen widmeten die Kritiker mehr Zeilen meiner spartanischen Haltung als meinem Spiel.“
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Artur Schnabel war einer der bedeutendsten Beethoven-Interpreten aller Zeiten, der den Komponisten und seine Musik ganz sicher sehr ernst nahm. Doch selbst ihm ging es zu weit, als der Dirigent Heinz Unger bei den Proben zur Aufführung des 5. Klavierkonzertes so in das Stück vertieft war, dass er offensichtlich die Mittagspause vergaß. Da – von Unger offenbar abgesehen – alle Beteiligten einschließlich Schnabel sie jedoch sehr nötig hatten, rief der für seine Wortspiele bekannte Pianist während einer Unterbrechung in die Stille des Konzertsaales hinein: „Mein lieber Heinz Unger, man hat um eins Hunger!“
Ähnliche Gefühle dürften die Besucher einer Aufführung der Neunten in Meiningen unter dem Dirigenten Hans von Bülow gehabt haben, der das – zur damaligen Zeit keineswegs „heimische“ – Werk aufgrund seiner eigenen hohen Wertschätzung zweimal hintereinander zu Gehör brachte; natürlich unangekündigt. Etwaigen Fluchtgedanken der Zuhörerschaft begegnete er von vornherein mit dem Hinweis, die Saaltüren seien verschlossen, eine Flucht also zwecklos.
Den Schweizer Pianisten Edwin Fischer, der Ludwig van Beethoven nicht nur meisterhaft spielte, sondern ihm auch äußerlich sehr nahe kam, brachte ein kleines Mädchen in die größte nur denkbare Verlegenheit. Als Fischer auf dem Weg zur Bühne das Künstlerzimmer verließ, kam es auf ihn zu, machte brav einen Knicks und übergab mit lieben Grüßen von der Frau Mama ein kleines Päckchen. Dankend steckte der Pianist es ein und betrat eilig das Podium. Er gab die „Mondscheinsonate“, deren erster Satz bekanntermaßen ruhig gespielt werden muss. Plötzlich kamen seltsame Geräusche aus seiner Tasche … und Fischer war gezwungen, entgegen jeder Anweisung Beethovens auf die Tasten
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zu hämmern, um das Rasseln des kleinen Reiseweckers so gut es ging zu übertönen.
Wenig Vertrauen zu Beethoven und Edwin Fischers pianistischen Fähigkeiten hatte offensichtlich der Beleuchtungsmeister eines Kinos, in dem der Schweizer einen Klavierabend gab. Als Fischer sich auf die Bühne begeben wollte, wandte sich der Herr der Lichter an ihn um Weisungen für die erwünschten Effekte zu erhalten. Er sei gewohnt, bei Bühnenschauen die musikalische Wirkung durch Farbeffekte zu erhöhen. Fischer bat darum, die „Appassionata“ ohne bunte Lichter spielen zu dürfen. Darauf meinte der wohl zu Recht etwas pikierte Meister: „Gut, wenn Sie sich unbedingt um einen Erfolg bringen wollen!“
Arturo Toscanini, der große italienische Dirigent, wurde von den Orchestermusikern und Sängern nach der ersten Probe zu Beethovens Neunter in New York mit frenetischem Beifall überschüttet. Da stampfte Toscanini aufgebracht mit dem Fuß, fuchtelte mit seinem Taktstock in der Luft herum und schrie: „Nein, nein nein! Das bin nicht ich – Beethoven! Das ist Beethoven!“
Toscanini war es auch, der einen gemütlichen Abend zu Hause verbringen wollte. Er machte es sich in einem Lehnstuhl in der Nähe des Ofens bequem und drehte an seinem Radio herum. Plötzlich hörte er ein Stück aus Beethovens Fünfter Sinfonie. „Nicht schlecht“, dachte er, „gar nicht schlecht!“ und stellte Vermutungen an, wer der Dirigent sein könnte: „Koussevitzky kann es nicht sein, vielleicht Walter? Nein – es ist zu leidenschaftlich für ihn … Kleiber? … Rodzinsky? … Monteux? Wer zum Teufel ist es?“ Nach Ende des Stückes half der Ansager schließlich bei der Lösung des Rätsels: „Sie hörten soeben eine Aufführung von Beethovens Fünfter Sinfonie, gespielt vom NBC-Sinfonieorchester unter der Leitung von Arturo Toscanini.“
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Unter allen seinen berühmten Dirigentenkollegen hasste Toscanini den Russen Serge Koussevitzky am meisten – was dieser ebenso erwiderte. Ihre Feindschaft hatte ihren Anfang genommen, als sie noch Mitglieder desselben Orchesters waren: er als Cellist, Koussevitzky als Bassist. Als Toscanini eines Abends wieder einmal am Radio saß, hörte er mit wachsendem Missfallen eine Aufführung von Beethovens Sechster Sinfonie, der sogenannten „Pastorale“. Diesmal war er sich sicher, dass er selbst unmöglich der Dirigent sein konnte, und hielt bis zum Ende durch, begierig zu erfahren, wer diese herrliche Musik so misshandelte. Endlich kam die Ansage: „Meine Damen und Herren! Sie hörten soeben eine Aufführung von Beethovens Sechster Sinfonie, gespielt vom Sinfonieorchester Boston unter Leitung ihres Dirigenten, Professor …“ Wütend drehte Toscanini das Radio ab und sagte mit abgrundtiefem Ekel in der Stimme: „Der Bassist!“
Eine der berühmtesten Musiker-Anekdoten wird fälschlicherweise Toscanini zugeschrieben. Das wirkliche Opfer in einer geradezu haarsträubenden Geschichte war jedoch der englische Dirigent Sir Thomas Beecham. Zum besseren Verständnis erscheint vorab die Klärung eines Begriffs erforderlich, nämlich „Suffragetten“. Dabei handelt es sich um eine Protestbewegung in England, die am Anfang des 20. Jahrhunderts durch spektakuläre öffentliche Aktionen ihre Ziele verwirklichen wollte, vor allem ein Stimmrecht für Frauen. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern und der Polizei. Beecham befand sich um 1910, als die Suffragetten-Unruhen ihren Höhepunkt erreicht hatten, auf einer Tournee durch Mittelengland. So kam man auch in das beschauliche Huddersfield. Auf dem Programm stand unter anderem Beethovens „Leonore“ op. 72a. Ziemlich genau in der Mitte der berühmten Ouvertüre hat der Komponist
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zwei außerordentlich markante Trompetenstöße vorgeschrieben. Als besonderer Effekt sollten diese von einem hinter der Bühne stehenden Musiker abgegeben werden, was auf der Tournee bislang mehrfach problemlos funktioniert hatte. In Huddersfield jedoch erwartete das Orchester, vor allem den Dirigenten, eine unangenehme Überraschung: Auf das entsprechende Stichwort hin ertönte der Trompetenstoß diesmal nicht. Trotz verzweifelter Zeichen und Gebärden Beechams blieb auch der zweite Einsatz aus. Kaum war der letzte Akkord verklungen, da warf der Dirigent seinen Taktstock hin und eilte hinter die Bühne, um den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Wie er dort jedoch ankam, fand er zu seiner großen Überraschung den Trompeter im Faustkampf mit einem Polizisten verwickelt. Dieser hatte die Trompete des armen Kerls beschlagnahmt und schrie in einem fort auf ihn ein: „Nein, du Kerl, mit deiner verfluchten Suffragettenwirtschaft kommst du mir hier nicht herein, und dieses verdammte Ding wirst du hier jetzt nicht blasen! Nicht während Herrn Beechams Konzert!“
Weniger heiter, aber dennoch bemerkens- und wissenwert: Der weltberühmte russische Schriftsteller Leo Tolstoi war von der „Kreutzersonate“ so beeindruckt, dass er im Jahre 1889 eine gleichnamige Erzählung schrieb. Sein Gedanke: Musik, die so leidenschaftlich, so seelenerschütternd ist, kann geradewegs zum Mord führen … Auf einer Bahnreise erzählt ein Mann etwas Unglaubliches, ungeheuer Erschütterndes: Er hat die eigene Frau ermordet, weil sie mit dem Musiklehrer fremdgegangen ist. Die beiden sind in flagranti von dem Eifersüchtigen erwischt worden; allerdings nicht im Bett, sondern am Klavier, wo sie gemeinsam die „Kreutzersonate“ gespielt haben. Dieses Erlebnis ist Auslöser des Mordes … „Kennen Sie das erste Presto? Sie kennen es?“, fragt der Mörder seinen Zuhörer im Abteil und fährt fort: „Huhuhu! Ein furchtbares Werk ist diese Sonate! Und gerade dieser Teil.“ Und erklärend fügt er hinzu, dass ihn die Musik in die gleiche Seelenverfassung versetzt habe wie die, die Beethoven beim Komponieren gehabt habe. Doch anders als für den Komponisten, bei
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dem dieser Zustand durch die Musik ausgelöst worden sei, habe sie ihn nur aufgestachelt: „Auf mich wirkte dieses Werk entsetzlich; es taten sich vor mir scheinbar ganz neue Empfindungen auf … Alle anwesenden Personen, darunter auch meine Frau und er, erschienen mir in anderem Lichte.“
Diese Geschichte hätte ganz sicher auch dem von Mord und Totschlag ungemein faszinierten Anton Bruckner gefallen, der uns ja ganz am Anfang in der Friedhofskapelle des Währinger Friedhofs begegnet ist (wo er übrigens drei Monate später wieder ungebeten auftaucht: Diesmal werden nämlich Franz Schuberts Gebeine ausgegraben …). Ein Bekannter des liebenswerten Genies schildert, wie beide nach einer Aufführung der Dritten Sinfonie, der sogenannten „Eroica“, ins Wirthaus gingen. Wie nach jeder Beethoven-Sinfonie war Bruckner heftig erregt. So völlig aus dem Häuschen wie an diesem Abend hatte der Bekannte ihn jedoch noch nie erlebt, sollte er ihn nie wieder erleben. Da brach es aus Bruckner heraus: „I’ glaub, wenn da Beethoven lebat und i’ gingat zu ihm und zoagat ihm mei letzte Symphonie und sagat zu ihm: ‚Net wahr, Herr von Beethoven, sie is net so schlecht, wia s’ die gewissen Herr machen wollen, die mi an Noarrn um an andern hoaßn‘, da glaub i’ möcht mi da Beethoven bei der Hand nemma und sagen: ‚Mei liaba Bruckner, machen S’ Ihna nix draus, mir is’ aa net bessa ganga … ‘“ Wir erinnern uns noch gut, dass Anton Bruckner ja sogar „Angesicht zu Angesicht“ ein Zwiegespräch mit Beethovens Totenschädel geführt hat, bevor der Sarg sich zum letzten Mal über den Gebeinen schließt. Ein anderer Bekannter, der ihn auf dem Nachhauseweg begleitet, erinnert sich, dass Bruckner sehr ernst wirkt und kaum mit ihm spricht, bis er feststellt, dass aus seinem Zwicker ein Glas fehlt. Freudig gerührt ruft er aus: „I’ glaub, das is mir in’ Sarg von Beethoven einigfalln, wia-ri mi so stark vor’beugt hab.“ Bruckner ist glücklich. Kann er doch sicher sein, dass auf Ewigkeit etwas von ihm bei dem so Bewunderten verbleiben wird. Es heißt im Übrigen, er habe Beethoven um eine Antwort auf eine Frage gebeten, die ihm wohl wie Blei auf der Seele lastete: Ob er –
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Bruckner – auch neun Sinfonien schreiben dürfe … Die Zahl Neun ist seit Beethoven nämlich geradezu magisch, wird von Komponisten panisch gefürchtet, da sie glauben, dass danach der Tod wartet. Tatsächlich ergeht es neben Beethoven auch den Sinfonikern Louis Spohr, Antonín Dvorˇ´ak, Ralph Vaughan Williams und Franz Schubert so. Der Österreicher Gustav Mahler, der besonders abergläubisch ist, versucht sich zunächst geschickt um diese Zahl zu „drücken“: Er nennt die eigentliche Neunte einfach „Lied von der Erde“, kommt dann aber nicht darum herum, seine nächste Sinfonie zu beziffern; seine letzte … Von den bedeutenden Komponisten gelingt es erst Dmitri Schostakowitsch Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, die magische Zahl Neun zu durchbrechen und eine zehnte Sinfonie zu schreiben. Beethoven muss Bruckners Frage jedenfalls – nur für diesen hörbar – bejaht haben, denn er setzt die Arbeit an seiner Neunten fort … und wird sie nicht mehr beenden können. Er hat sie „dem lieben Gott“ gewidmet und in den letzten Monaten seines Lebens – schon todkrank – wieder und wieder um Kraft für die Vollendung gebetet. Am Sonntagmorgen des 11. Oktober 1896 fühlt sich der 72-Jährige wohl wie lange nicht. Er sitzt am Klavier über den Skizzen zum Finale, dem letzten Satz der Sinfonie; der einzige, der ihm noch fehlt. Doch der Tod nimmt ihm unbarmherzig am Nachmittag den Stift aus der Hand. Das grausame Schicksal gönnt ihm nicht die Vollendung seiner Abschiedssinfonie – im Gegensatz zu Beethoven … Alle vier Sätze seine Neunten erklingen Tag für Tag in Konzertsälen, Wohnzimmern, Kopfhörern … Machen Sie es dem Franzosen vom Anfang nach, der Amerikanerin: Hören Sie Beethoven! Am besten jedoch, Sie nehmen sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Hunderte Chinesen zum Vorbild: Gehen Sie in Konzerthäuser und genießen Sie es, wenn ein Orchester die Neunte, ein Quartett die „Große Fuge“, ein Pianist die „Mondscheinsonate“ spielt; dann werden Sie Beethoven kennenlernen. Und lieben.
Literaturverzeichnis Aron, Elaine N.: The Highly Sensitive Person – How to Thrive When the World Overwhelms You. 1996 (dt.: Sind Sie hochsensibel? München 2005). Bazzana, Kevin: Glenn Gould. Die Biografie. Mainz 2003. Beuys, Barbara: Sophie Scholl. Biographie. München 2010. Bekh, Wolfgang J.: Anton Bruckner. Bergisch Gladbach 2001. Buch, Esteban: Beethovens Neunte. Berlin 2000. Feiler, Paul: Con Spirito. Musikeranekdoten aus dem 20. Jahrhundert. Kassel 1991. Fiebig, Paul (Hrsg.): Über Beethoven. Von Musikern, Dichtern und Liebhabern – Eine Anthologie. Stuttgart 1993. Floros, Constantin: Johannes Brahms. Hamburg 1997. Grun, Bernard: Bernard Grun’s beste Musiker-Anekdoten. München 1989. Herborn, Wolfgang: „Die altersspezifische Sterblichkeit in Bonn am Ende der kurfürstlichen Zeit“. In: Van Rey, M./Schlossmacher, N. (Hrsg.): Bonn und das Rheinland. Bonn 1992. Herttrich, Ernst: Ludwig van Beethoven. Eine Biographie in Bildern. Bonn 2000. Höroldt, Dietrich.: Geschichte der Stadt Bonn. Band 3: Bonn als kurkölnische Haupt- und Residenzstadt 1597–1794. Bonn 1989. Huch, Felix: Beethoven. Roman. Ebenhausen 1958. Kerner, Dieter: Große Musiker. Leben und Leiden. Wiesbaden 2006. Klemperer, Victor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942–1945. Berlin 1995. Kühn, Hellmut: Die großen Komponisten der klassischen Musik. München 2007. Küster, Konrad: Beethoven. Stuttgart 1994. Loesch, Heinz von und Raab, Claudia (Hrsg.): Das Beethoven-Lexikon. Laaber 2008. Paumgartner, Bernhard: Schubert. Zürich 1989. Reich-Ranicki, Marcel: Mein Leben. Stuttgart 1999.
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Rubinstein, Arthur: Erinnerungen. Die frühen Jahre. Frankfurt am Main 1973. Seifert, Wolfgang: Günter Wand: So und nicht anders. Gedanken und Erinnerungen. Mainz 2007. Solomon, Maynard: Beethoven. Biographie. München 1979. Solomon, Maynard: Beethovens Tagebuch 1812–1818. Bonn 2005. Valentin, Erich (Hrsg.): Ludwig van Beethoven. Briefe. Zürich 1999. Wagner, Cosima: Tagebücher. München 2005. Wagner, Richard: Mein Leben. München 1994.
Register Albrechtsberger, Johann Georg 49 Amenda, Karl Ferdinand 63, 71 Anschütz, Heinrich 125 Arnim, Bettina von 53 Aron, Elaine 134 Bach, Johann Sebastian 35, 46, 70 Beecham, Sir Thomas 145 f. Beethoven, Johann Peter Anton van (Vater) 14, 25 ff., 32, 37 f., 40, Beethoven, Johanna van (Schwägerin) 100 f., 121, 123 Beethoven, Karl van (Neffe) 100 ff., 106 f., 121 Beethoven, Kaspar Karl van (Bruder) 64, 100 Beethoven, Ludwig Maria van (Bruder) 24, 33 f. Beethoven, Ludwig van (Großvater) 16 ff., 22, 24, 27, 30, 34 Beethoven, Maria Josepha van (Großmutter) 25 Beethoven, Maria Magdalena van (Mutter) 14, 25, 27, 30 ff., 36 f., 40, 83, 102 Beethoven, Maria Margaretha (Schwester) 37 f. Beethoven, Nikolaus Johann van (Bruder) 37 f., 60, 64, 83 f., 100 Berghes, Madame de 20 Bernstein, Leonard 110 Birkenstock, Edler von 94 Blöchinger, Joseph 101
Brahms, Johannes 56, 69, 80 f., 110 Braunhofer, Anton 114 Brentano, Antonie (geb. v. Birkenstock) 93 ff. Brentano, Bettina 3 Arnim, Bettina von Brentano, Franz 96 f., Breuning, Eleonore von 38 f., 40, 46 Breuning, Emanuel Joseph von 22, 38 Breuning, Gerhard von 98, 118, Breuning, Helene von 22, 35 f. 38 f., 55 Breuning, Stephan von 35 f., 38 f., 55, 83, 91, 117 f., 120, 123 Brion, Mechthild 20 Bruckner, Anton 6 ff., 80 ff., 110, 129, 133, 138, 141, 147 f. Brunsvik, Charlotte 86 Brunsvik, Franz 63 Brunsvik, Josephine 86 ff., 93 Brunsvik, Therese von 58, 88 Bülow, Hans von 110, 143 Bürger, Elise 88 Bürger, Gottfried August 88 Chopin, Frédéric 80 Clary, Josephine Gräfin 83 Clemens August, Kurfürst und Erzbischof von Köln 17 Clementi, Muzio 46 Cler, de, Bonner Stadtkommandant 20
152
Register
Cramer, Carl Friedrich 35 Cramer, Johann Baptist 48 Cramolini, Ludwig 119 Czerny, Carl 45, 85 Danhauser, Josef Daniel 123 Deym, Josephine Gräfin 3 Brunsvik, Josephine Deym von Stritetz, Joseph Graf 86 f. Diabelli, Anton 70, 109, 120 Doldt, Carl 7 Droßdik, Johann Wilhelm von 89 Droßdik, Therese von 3 Malfatti, Therese Dürer, Albrecht 58 Dvorˇák, Antonín 148 Erdödy, Anna Maria Gräfin 63, 98 f. Ertmann, Dorothea Baronin von 63 Fauré, Gabriel 69 Fischer, Cäcilia 27, 31, 33 Fischer, Edwin 137, 143 f. Fischer, Gottfried 27, 29, 120 Flohberger, Lisa 90 Föller, von, Geheimrat 20 Frank, Johann Peter 72 Friedrich der Große 32 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 32, 47 Fries, Graf Moritz von 47 Gallenberg, Wenzel Robert Graf 84 f. Gelinek, Abbé Joseph 46 Gerhardi, Christine 83 Glade, Niels 135 Gleichenstein, Ignaz Freiherr von 63, 88 f.
Goebbels, Joseph 136, 140 Goethe, Johann Wolfgang von 52 ff., 61, 131 Gould, Glenn 141 f. Grillparzer, Franz 54, 108, 125 Guicciardi, Giulietta von 84 ff., 93, 98 Halm, Anton 60 Halm, Maria 60 Händel, Georg Friedrich 46, 80, 120 Hay, Carolina Josefa von 94 Haydn, Joseph 40, 48 ff., 61, 120 f. Hiller, Elisabeth 119 Hiller, Ferdinand 119 Hitler, Adolf 111, 136 Höfel, Blasius 98, 106 Holz, Karl 102, 107 Homer 55, 61 Honrath, Jeanette von 83 Huch, Felix 133 Hummel, Johann Nepomuk 119 Hüttenbrenner, Anselm 122 f. Joseph II., Kaiser von Österreich 42, 50, 53, 101, 103 Karajan, Herbert von 111 Keglevich, Anna Luise Barbara 83 Kleiber, Erich 144 Klein, Franz 56 Klemperer, Otto 139 Klemperer, Victor 139 f. Kloeber, August von 75, 132 Kopitz, Klaus Martin 90 Koussevitzky, Serge 144 f. Kügelgen, von 20
Register
Lapp, Beamtenfamilie 20 Lichnowsky, Karl Fürst 46, 50 ff. Liszt, Franz 9 Lobkowitz, Joseph Franz Maximilian Fürst 50 Löltgen, Geheimrätin 20 Mahler, Gustav 15, 111, 148 Malfatti, Johann 105 Malfatti von Rohrenbach zu Dezza, Therese 88 ff. Mälzel, Johann Nepomuk 75 Marchand, Louis 46 Maximilian Franz, Kurfürst von Köln 15, 17, 35 f. Metternich zu Gracht, Adolf Wolff von 19 Monteux, Pierre 144 Moscheles, Ignaz 120 f. Mozart, Wolfgang Amadeus 26 ff., 35 ff., 39 f., 43, Napoleon I., Kaiser von Frankreich 53 Neefe, Christian Gottlob 35 f. Nesselrode-Reichenstein, Hofratspräsident Graf von 20 Niemetz, Joseph 102 f. Nietzsche, Friedrich 111 Nohl, Ludwig 89 Pasqualati, Johann Baron von 66, 120 Paulus, Friedrich 136 Pfeiffer, Tobias 29 f. Pullman, Simon 138 Rasumowsky, André Graf 50 Ravel, Maurice 80
153
Reich-Ranicki, Marcel 137 ff. Reich-Ranicki, Teofila 137 ff. Reißiger, Carl Gottfried 135 Rellstab, Ludwig 85, 117 Ries, Ferdinand 54, 58, 72, 74, 82, 105 Röckel, Elisabeth 90 Rodzinsky, Artur 144 Rolland, Romain 84, 135 Rubinstein, Arthur 142 f. Rudolf, Erzherzog von Österreich 53, 101 Salieri, Antonio 49 Scarlatti, Domenico 46 Schechtner, Nanette 119 Schenk, Johann 49 Schiller, Friedrich von 61 f., 113 Schindler, Anton 78, 119 ff. Schlemmer, Matthias 102 Schnabel, Artur 143 Schönfeld (Jahrbuch) 45 Scholl, Hans 137 f. Scholl, Sophie 137 f. Schostakowitsch, Dmitri 148 Schubert, Ferdinand 126 Schubert, Franz 80, 125 ff., 148 Schumann, Clara 81 Schumann, Robert 81, 126 Schuppanzigh, Ignaz 60, 78, 84 Sebald, Amalie 98 Seibert, Johann 59, 105, 118 Seyfried, Ignaz von 77 Shakespeare, William 55, 61, 138 Simrock, Nikolaus 83 Smart, Sir George 107 Smetana, Bedrich 69 f., 73 Smetana, Karl von 103 Solomon, Maynard 132
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Register
Sontag, Henriette 112 Speer, Albert 140 Spohr, Louis 74 ff., 148 Steibelt, Daniel 47 Streicher, Anna 63, 104 Stumpff, Johann Andreas 120 Thun, Wilhelmine Gräfin von 51 Tolstoi, Leo 146 Tonder, Moritz Trenck von 98 Toscanini, Arturo 144 f. Umlauf, Michael 113 Unger, Caroline 112 f. Unger, Heinz 143 Verdi, Giuseppe 138 Verita, Graf von 20 Wagner, Cosima 131, 136 Wagner, Johann 123 Wagner, Richard 55, 110, 131, 135 f., 141
Waldstein, Ferdinand Graf von 35, 39 f., 43 Walter, Bruno 144 Wand, Günter 111 f. Wawruch, Andreas 117 f., 123 Weber, Carl Maria von 107 ff. Weber, Max von 107 Wegeler, Franz Gerhard 47, 72, 82, 85 Weißenbach, Aloys 99, 134 Wellington, Arthur Wellesley Herzog von 99 Westerholt, Maria Anna von 83 Wilde, Oscar 132 Williams, Ralph Vaughan 148 Willmann, Magdalena 83 Wolffsohn, Sigmund 75 Wölffl, Joseph 47 Zmeskall von Domanovecz, Nikolaus 112 Zola, Emile 54
»O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet: Wie Unrecht tut ihr mir! Ihr kennt nicht die geheime Ursache von dem …« Ludwig van Beethoven, Heiligenstädter Testament
Um die Person Ludwig van Beethovens ranken sich viele Anekdoten und Legenden. Bereits zu Lebzeiten wurde er zum Mythos. So tragisch war sein Leben, so aufregend, so rätselhaft, so einzigartig, ein geradezu atemberaubender Roman. Hans-Georg Klemm hat deshalb den Mut, das Leben Beethovens einmal etwas weniger nüchtern anzugehen. In literarischer Anmutung beschreibt er das Leben des von vielen Schicksalsschlägen heimgesuchten Komponisten. Dies macht seine Biographie zu einem höchst reizvollen Werk, das sich eindeutig und wohltuend von den bisherigen, zumeist sehr sachlichen Beethoven-Biographien unterscheidet.
ISBN 978-3-89678-771-2
www.primusverlag.de