"Die Wahrheit ist auf unserer Seite": Nation, Marxismus und Geschichte im Ostblock 9783412214029, 9783412207021


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German Pages [448] Year 2011

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"Die Wahrheit ist auf unserer Seite": Nation, Marxismus und Geschichte im Ostblock
 9783412214029, 9783412207021

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»Die Wahrheit ist auf unserer Seite«

Europäische Diktaturen und ihre Überwindung Schriften der Stiftung Ettersberg

Herausgegeben von Hans-Joachim Veen Volkhard Knigge Renate Müller-Krumbach in Verbindung mit Jorge Semprún Bernhard Vogel Hans-Peter Schwarz Eckhard Jesse Gilbert Merlio Ehrhart Neubert Lutz Niethammer Mária Schmidt Karl Schmitt Robert Traba

Maciej Górny

»Die Wahrheit ist auf unserer Seite« Nation, Marxismus und Geschichte im Ostblock Redaktion: Daniela Frölich Aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew, Bła żej Białkowski (Seiten 266–274) und Andreas Warnecke (Seiten 21–52)

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gefördert durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie die Stiftung Schloss Neuhardenberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Bronzefiguren von Karl Marx und Friedrich Engels in Berlin, im Hintergrund Abrissarbeiten am ehemaligen Palast der Republik (picture-alliance/dpa)

© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20702-1

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Inhalt

Geleitwort von Klaus Zernack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Themen und Forschungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Institutionen, Historiker und Entwicklungen der historischen Wissenschaften in Ostmitteleuropa zwischen 1945 und 1949 sowie ihre spätere Stalinisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Der Wiederaufbau der Historiographie nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Deutschland, Ungarn und die Slawenheit – ein Präludium zur Neuinterpretation der Nationalgeschichte . . . . . . . . . . . 30 Die Sowjetisierung der historischen Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Die Aufgaben der Geschichtswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Die Popularisierung der marxistischen Methodik. Die zentralen historischen Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Die wissenschaftliche Diskussionskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Die Treffpunkte: Konferenzen und Historikertage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Die marxistischen Synthesen der Nationalgeschichte – zur Verwirklichung der Idee kollektiver Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Die Synthese im Tauwetter – das Jahr 1956 und die Diskussion über die Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Das Lehrbuch der deutschen Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Die Geschichtsinstitute der Akademien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3 Die Marxisten und die historiographische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . Die Traditionen der nationalen Historiographien in Ostmitteleuropa . . . . . Die Dilemmata der polnischen Historiographie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die tschechische Historiographie im Schatten der nationalen Wiedergeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geschichte im Kampf um das Existenzrecht – die slowakische Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kontinuität der Motive in den nationalen Historiographien . . . . . . . . . Die marxistische Historiographie in Polen und die historiographischen Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adam Naruszewicz und die Historiographie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . Joachim Lelewel und die polnische Historiographie der Romantik . . . . . . . .

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6 Karol Boromeusz Hoffman und die beginnende Auseinandersetzung über die Rolle des Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Krakauer Schule: Michał Bobrzyński . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Warschauer Schule: Streit um die Kriterien von Fortschrittlichkeit und die Bewertung des Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Die polnische Historiographie des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kriterium der Fortschrittlichkeit in der Erforschung der Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die marxistische Historiographie in Tschechien und die historiographische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Historiker der Aufklärung, die nationale Wiedergeburt . . . . . . . . . . . . . František Palacký . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Pekař . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tomáš Garrigue Masaryk – Historiographie und Legende in den Augen der Marxisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alois Jirásek und Zdeněk Nejedlý . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die tschechoslowakische Historiographie der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . Die marxistische Historiographie in der Slowakei und die historiographischen Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Historiographie der Aufklärung. Die Anfänge der nationalen Wiedergeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »ältere« und die »jüngere« bürgerliche Geschichtsschreibung . . . . . . . . Die Rolle der Matica slovenská . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die neueste slowakische Historiographie – Suche nach einem marxistischen Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die ostdeutschen Marxisten und das Erbe der deutschen Historiographie . . Die Historiographie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Historiker im Kampf um die deutsche Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leopold von Ranke und der deutsche Historismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sybel – Droysen – Treitschke – Mommsen. Die borussische Schule . . . . . . . Die Historiographie vom Kaiserreich zum Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . Die bürgerliche und die marxistische Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die marxistischen Interpretationen der Nationalgeschichten. Problembezogene Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Beginn des Feudalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die antifeudale soziale Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Französischer Revolution und russischer Armee . . . . . . . . . . . . . Die Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Einfluss der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die Geschichte Ostmitteleuropas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt

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Inhalt

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5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 »Pessimismus« und »Optimismus« im marxistischen Geschichtsbild . . . . . 385 Der Platz der vier Historiographien im Kontext der Region . . . . . . . . . . . . 392 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

9 Klaus Zernack

Geleitwort In dieser höchst lesenswerten, gedankenreichen und urteilsfreien Dissertation aus dem Warschauer Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften sind zwei herausragende Interessen des Verfassers auszumachen. Sie zeigen sich zum einen in der komparativen Erkundung der europaeigenen nationalgeschichtlichen Horizonte, wie sie markant im östlichen Mitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg – besonders in Polen, Böhmen, der Slowakei und der DDR – in Auseinandersetzung mit dem Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung in Erscheinung getreten sind. Der zweite Interessenschwerpunkt des Verfassers betrifft die Frage nach der Tauglichkeit des Marxismus-Leninismus als universale Methodologie der Geschichtswissenschaft bzw. Geschichtsschreibung. Mit seinen systematisch-pragmatischen Erörterungen will der Verfasser zur Diskussion der Frage beitragen, ob und inwieweit (gegenüber der traditionell und aktuell in Ostmitteleuropa bewahrten bzw. erneuerten nationalemanzipativen Imprägnierung des historischen Sinns) überhaupt Chancen für eine (sowjet-)marxistische, geschichtspolitisch und weltanschaulich gemeinte Alternative bestanden. Górnys Studie ist nicht als Darstellung des Stalinismus als Geschichtsepoche zu verstehen; vielmehr soll eine vollere Perspektive marxistischer Geschichtswissenschaft in drei Volksrepubliken Ostmitteleuropas geboten werden. Welch eine Sisyphos-Arbeit das ist, davon gibt schon die geistvolle Einleitung zusammen mit dem ersten Abschnitt einen Eindruck. Górny öffnet hier den Blick für sein Thema in doppelter Optik, man möchte sagen: vor allem als umgreifende Epoche für die noch immer virulenten »Kleinen Völker« sowie als geschichtspolitische Periode, deren Strukturen die Welt nach kolonial-hegemonialem Muster erfassen und verändern sollten. Im zweiten Abschnitt werden – darin liegt seine Originalität – mit komparativem Blick die geschichtspolitischen Folgen des Zweiten Weltkriegs erörtert. Es wird also das beschrieben und diskutiert, was unter Sowjetisierung und Stalinismus zu verstehen war. Vor allem kommt deren Eindringen in die nationalen Diskurse der ostmitteleuropäischen Geschichtsschreibung ausgiebig zur Sprache. Aber auch unter dem Druck der universalen »Weltrevolution durch Weltgeschichte« (Klaus Mehnert) und unter den Verlockungen der Vorstellungen von der einen Welt schlugen die jeweiligen Traditionswirkungen aus den verschiedenen emanzipatorischen Strömungen und Erfolgen der älteren Nationsbildungsphasen stärker durch. Am schwierigsten war das in der DDR, die der Logik des Besatzungsrechts zu folgen

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Geleitwort

hatte und kaum an nennenswerte Traditionen zu ihrem Zweck anknüpfen konnte. Demgegenüber waren in den geschichtsphilosophischen und historiosophischen Reflexionen vor allem im polnischen Diskurs seit 1956 »revisionistisch«-marxistische Töne zu vernehmen. Aber der Historiographiehistoriker Górny bleibt demgegenüber skeptisch wie von Anfang an. War das, was da seit 1956 um sich griff in Ostmitteleuropa, wirklich schon ein methodologisch fundierter marxistisch-pluralistischer Wissenschaftsbegriff? Górny spricht in Bezug auf die Haltung der polnischen Historikerschaft lieber von einer »nichteinheitlichen Gruppe«, ähnlich der Krakauer oder auch der Preußischen Schule. Und die marxistisch-liberale Spielart habe sich in einer Etappe, nicht in der Geschichte des Marxismus überhaupt, bemerkbar gemacht. Wie immer man dies sehen mag: Es ist zu begrüßen, dass Górnys Versuch, die Möglichkeiten, Stadien und Realisierungschancen marxistisch geprägter Geschichtsschreibung in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg zu erkunden, ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Bereicherung der revisionistischen und der postsowjetischen Marxismus-Diskussion darf sich die internationale Geschichtswissenschaft nicht entgehen lassen. Berlin, im September 2010

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Danksagung

Dieses Buch hat eine ziemlich lange Vorgeschichte. Dementsprechend gibt es viele Personen und Institutionen, denen ich verpflichtet und dankbar bin. Die Grundlage der Publikation bildete meine am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften und am Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas (BKVGE) verfasste Dissertation, die 2007 auf Polnisch erschien. Für die deutsche Ausgabe habe ich den Text an mehreren Stellen überarbeitet und ergänzt. Während der Arbeit am Manuskript hatte ich das Privileg, meine Überlegungen mit Kollegen der Forschungsstelle »Geschichte der Polnischen Intelligenz« am Institut für Geschichte (unter der Leitung von Jerzy Jedlicki und später von Maciej Janowski) sowie im Rahmen eines Seminars von Marcin Kula, Włodzimierz Borodziej und Jerzy Kochanowski am Historischen Institut der Universität Warschau sowie am BKVGE zu diskutieren. Zahlreiche Anmerkungen, Informationen und Inspirationen verdanke ich u. a. Michal Kopeček, Balázs Trencsényi, Martin Nodl, Cristina und Dragoș Petrescu, Frank Hadler, Pavel Kolář, Rafał Stobiecki und Andrzej Wierzbicki. Die Entstehung dieser Arbeit wäre ohne die großzügiger Unterstützung der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Polska Akademia Nauk, PAN), der Stiftung für Polnische Wissenschaft (Fundacja na rzecz Nauki Polskiej, FNP) sowie der Hertie-Stiftung kaum vorstellbar gewesen. Die Übersetzung aus dem Polnischen wurde von der Stiftung Schloss Neuhardenberg finanziert. Weitere Kosten der deutschen Publikation wurden von der Stiftung Ettersberg zur vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen und ihrer Überwindung übernommen. Ohne die Zusammenarbeit zwischen Hans-Joachim Veen, Bernd Kauffmann, Robert Traba und Włodzimierz Borodziej wäre die deutsche Ausgabe wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Die endgültige Fassung des Textes ist im hohen Maße ein Werk des Übersetzers. Peter Oliver Loew hat auch die zuvor von Błażej Białkowski und Andreas Warnecke übersetzten Fragmente redigiert. Für sprachliche Korrekturen und vielseitige Hilfe danke ich Justyna Górny und Daniela Frölich. Warschau, im Februar 2011

Maciej Górny

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1 Themen und Forschungsmethoden

1986 entwickelte Jerzy Jedlicki in einem Gespräch mit Beata Chmiel den durchaus verbreiteten Gedanken, dass »Nationen, die in ihrer Geschichte vor allem Niederlagen und Erniedrigung erlebt haben, ja bis heute erleben, die immerfort das Gefühl unerfüllter individueller wie kollektiver Bestrebungen gehabt haben, dass solche Nationen in ihrer Geschichte weniger Wissen als Kompensation suchen«.1 Man könnte zumindest auf die Whig-Interpretation der Geschichte verweisen und anmerken, dass es keineswegs nur den von der Geschichte benachteiligten Nationen Ostmitteleuropas eigen ist, in der Geschichte etwas zu suchen, was die Stimmung ihrer heutigen Nutzer verbessern könnte, sondern auch den (scheinbar) absoluten Gewinnern. Auf Mythen fußten bereits die mittelalterlichen Vorstellungen von der Ethnogenese der europäischen Völker, die bis heute vielfach nichts von ihrer Beliebtheit verloren haben. Es genügt hier, die rumänischen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts zu erwähnen, die sich die Anhänger der »Lateinischen Schule«, für die die Rumänen Nachfahren der Römer waren, und diejenigen Historiker lieferten, die das dakische oder dako-romanische Erbe hervorhoben. Beide historiographische Strömungen teilten die Überzeugung, dass die Rumänen unabhängig davon, ob sie von den Römern oder den Dakern abstammen, in der Moldau, in der Walachei und in Siebenbürgen herrschten, nicht etwa die Ungarn oder die Slawen. Politische Mythen sind freilich ein Element des historiographischen Beiwerks.2 Sie sind eine ebenso wahrhaftige (gelegentlich sogar wahrhaftigere) Geschichte wie die sie umgebenden Fakten. Ein besonders dankbares Gebiet für die Erforschung nationaler Vorstellungen ist das 19. Jahrhundert, in dem nicht nur die »kleinen und jungen Nationen« entstehen, sondern auch die »großen und alten«. Die meisten »historischen Traditionen«, auf die man sich heute beruft, stammen aus diesem 19. Jahrhundert, und zwar ohne Rücksicht darauf, welche Tradition sie gerade betreffen. Lucian Boia hat dafür ein gutes Beispiel gebracht. Er weist darauf hin, dass Michael der Tapfere (Mihai Viteazul), der »Vereiniger der rumänischen Länder« (dem es allerdings nur zwischen 1599 und 1601 gelang, die Moldau, die Walachei und Siebenbürgen unter seiner Herrschaft zu vereinen), erst für Mihail Kogălniceanu und Nicolae Bălcescu zum Nationalhelden wurde, als sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts die

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Gorzki zawód historyka. Z Jerzym Jedlickim rozmawia Beata Chmiel, in: Jerzy Jedlicki: Źle urodzeni czyli o doświadczeniu historycznym. Scripta i postscripta, Londyn/Warszawa 1993, S. 166. Jörn Rüsen: Über die Ordnung der Geschichte. Die Geschichtswissenschaft in der Debatte über Moderne, Postmoderne und Erinnerung, in: Ulrich Borsdorf/Heinrich Theodor Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt am Main 1999, S. 86.

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Themen und Forschungsmethoden

Grundlagen des modernen Nationalbewusstseins schufen.3 Es ist schwer, einen Zeitraum zu finden, der stärker zum Entstehen von Mythen beigetragen hat als die »nationale Wiedergeburt«, das »Erwachen« oder die »Wiederauferstehung der Nation«. Zu den besterforschten gehört das klassische Beispiel der tschechischen nationalen Wiedergeburt. Sie ist so universal, dass sie als Beispiel zur Interpretation anderer Nationalbewegungen angeführt wird.4 Eine sehr stringente Interpretation der tschechischen nationalen Wiedergeburt als Konstruktionsprozess eines Mythos legte der tschechische Semiotiker Vladimír Macura vor. Er wies darauf hin, dass die Idee selbst, die Bemühungen der Nationalbewegung mit einem Erwachen zu vergleichen, für einen Mythos bezeichnend ist, der in den Kategorien der Zeit verstanden wird: »Die Vorstellung der Zeit als einer zyklischen Abfolge von Ereignissen, der Versuch, die Geschichte als natürlichen Kreislauf anzusehen, sind auch in der Kultur der tschechischen nationalen Wiedergeburt sichtbar. Die ›Wiederbelebung‹ der tschechischen Nation stellte man sich als die Erweckung eines mythischen Helden vor, die mit dem Beginn eines natürlichen Kreislaufs zu tun hatte […] die Zukunft wird in der Wiedergeburtskultur als Rückkehr der Vergangenheit verstanden, der Zeiten einstigen tschechischen Ruhms.«5

Macuras Arbeiten sind ein Katalog für die Möglichkeiten, mit denen die tschechische patriotische Gesellschaft eine nationale Vergangenheit »erfand«, indem sie bisweilen ganz neue nationale Traditionen schuf.6 Macura gehörte auch zu denjenigen Wissenschaftlern, die sich mit der Dauerhaftigkeit der Vorstellungen des 19. Jahrhunderts beschäftigten, da, wie er an anderer Stelle schreibt, »wir aus Illusionen, Mythen und Mystifikationen entstanden sind«.7 Und es sei keineswegs die Aufgabe des Wissenschaftlers, die Wirklichkeit im Namen einer Idee zu »entmystifizieren«, selbst wenn sie sehr zutreffend sei. Es gehe einzig darum, sich die Herkunft und Wirkmechanismen gesellschaftlicher bzw. nationaler Vergangenheitsvorstellungen bewusst zu machen.8 Die Ausbildung der Nationen im 19. Jahrhundert ist in den letzten Jahrzehnten eines der beliebtesten Themen der historischen Komparatistik. In einem theore-

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Lucian Boia: History and Myth in Romanian Consciousness, Budapest 2001, S. 39. Miroslav Hroch: Social Preconditions of National Revival in Europe, Cambridge 1985; ders.: Die Vorkämpfer der nationalen Bewegungen bei den kleinen Völkern Europas, Praha 1968; ders.: Na prahu národní existence. Touha a skutečnost, Praha 1999; ders.: Evropská národní hnutí v 19. století, Praha 1986. Vladimír Macura: Znamení zrodu. české národní obrození jako kulturní typ, Praha 1995, S. 79 f. Vgl. Vladimír Macura: Český sen, Praha 1998; Robert Burton Pynsent: Questions of Identity (Czech and Slovak Ideas of Nationality and Personality), Budapest 1994; ders.: Pátrání po identitě, Praha 1996. Vladimír Macura: Masarykovy boty a jiné semi(o)fejetony, Praha 1993, S. 16. Jiří Rak: Bývali Čechové … České historické mýty a stereotypy, Praha 1994, S. 7.

Themen und Forschungsmethoden

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tischen Text, der Einleitung zu einer Sammlung vergleichender historiographiegeschichtlicher Untersuchungen, machen Christoph Conrad und Sebastian Conrad darauf aufmerksam, dass diese Herangehensweise besonders gut in Gebieten funktioniert, die für gewöhnlich als in einem eng nationalen Sinn »unübersetzbar« angesehen werden. Mit anderen Worten: Eine der allgemeinsten und strukturell wiederholbarsten Vorstellungen sei jene von der nationalen Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit.9 Sie findet sich sowohl in der Historiographie wie auch in der breiter verstandenen Nationalkultur, etwa in Arbeiten zu nationalen Mythen oder zum kollektiven Gedächtnis. In seinen semiotischen Studien zur tschechischen Nationalkultur berührte Vladimír Macura auch das Thema der Mythen der kommunistischen Zeit.10 Zwischen der Ideologie des Kommunismus und jener der Wiedergeburt gibt es viele Unterschiede, ganz zuoberst ein grundsätzlich verschiedenes Zeitverständnis. Während sich die wiederentstehende tschechische Nation als Teil eines ewigen, ununterbrochenen, demnach keine deutlichen Grenzen besitzenden Kreislaufs sah, markierte die sozialistische Kultur einen deutlichen Neubeginn und basierte auf der Kategorie des Fortschritts hin zu einem genau bestimmten Ziel.11 Man kann somit begründete Zweifel an der Kontinuität der Entwicklung des Vergangenheitsdenkens vom nationsbildenden 19. Jahrhundert hin zur kommunistischen Zeit hegen. Um sie zu zerstreuen, sollen die theoretischen Erörterungen hier für eine Weile unterbrochen werden, um eine ganz konkrete Entwicklungsphase der sowjetischen Historiographie zu betrachten, die nach 1945 zum Muster für ganz Ostmitteleuropa werden sollte. Die grundlegenden Veränderungen in der russischen Historiographie setzten nicht unmittelbar nach der bolschewistischen Machtübernahme ein. Erst 1926 entstand eine Historikervereinigung der Marxisten; der Wandel der methodologischen Orientierung wurde offiziell während der Allunionsversammlung der Historiker an der Jahreswende 1928/1929 dekretiert. Die Neuinterpretation der Geschichte Russlands war in erster Linie ein Werk Michail N. Pokrovskijs. Seine Position erklärte sich daraus, dass er professioneller Historiker mit einem eigenen wissenschaftlichen Werk und Parteiaktivist zugleich war. Prokovskij brach radikal mit den bisherigen Erkenntnissen der russischen Historiker und verwarf vor allem sämtliche Vorstellungen über den außergewöhnlichen Charakter der Entwicklung Russlands. Seiner Meinung nach hatte sich das Land nicht auf eine besondere Weise, eine unverwechselbare Art entwickelt, sondern es war im Vergleich

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Christoph Conrad/Sebastian Conrad: Wie vergleicht man Historiographien?, in: dies. (Hg.): Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich, Göttingen 2002, S. 19 f. 10 Vladimír Macura: Š asný věk – Symboly, emblémy a mýty 1948–89, Praha 1992. 11 Vgl. Rafał Stobiecki: Bolszewizm a historia. Próba rekonstrukcji bolszewickiej filozofii dziejów, Łódż 1998, S. 65.

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Themen und Forschungsmethoden

zum Westen ganz einfach verspätet. Über Schlüsselmomente für die Vorstellungen von der russischen Vergangenheit, vor allem über die »Sammlung der russischen Erde« schrieb er, dass dies nicht auf den einen oder den anderen Zaren zurückzuführen sei, sondern auf die Entwicklung des Handelskapitals (ein »Speichellecker« dieses Kapitals sei z. B. Aleksandr Nevskij gewesen). Die Taufe Russlands nannte er einen »Zufall«, die Kriege gegen die Tataren hielt er für Auseinandersetzungen zweier Kulturen auf derselben Entwicklungsstufe. Pokrovskij beschuldigte die Zarenherrschaft des Imperialismus, sah in den Dimitriaden eine soziale Bewegung gegen die Selbstherrschaft und keinen Kampf gegen die polnische Aggression. Besonders interessant ist, dass er in Übereinstimmung mit den antirussischen volkskundlichen Theorien Franciszek Duchińskis aus dem 19. Jahrhundert der Meinung war, die Russen seien in überwiegendem Maße ein finnischstämmiges Volk.12 Das Ende dieser revolutionären Konzeption der russischen Geschichte kam sehr schnell. Pokrovskij starb 1932, und schon zwei Jahre später begann man ihn wegen der Abstraktheit seiner Ausführungen und der Verwendung soziologischer Schemata zu kritisieren und erklärte seine Werke als für den Geschichtsunterricht an Schulen unbrauchbar. Seine Schüler, führende sowjetische Historiker, die nach dem Krieg auch Einfluss auf Kollegen aus den anderen Ländern des Ostblocks hatten, distanzierten sich in ritueller Weise von ihm und unterstützten die offiziellen Vorwürfe, unter denen die Beschuldigung des »nationalen Nihilismus« hervorragte.13 Wie Josef Macůrek bemerkt hat, ging es den Kritikern vor allem darum, dass Pokrovskij die russischen nationalen Traditionen ohne viel Federlesens behandelt hatte.14 Bald schon wurden seine »soziologischen Schemata« durch das so genannte stalinistische Modell der Geschichtsschreibung ersetzt, das vielerorts an frühere Sichtweisen der Geschichte Russlands anknüpfte. Die neue Geschichte sollte von einem russischen und sowjetischen patriotischen Geist erfüllt sein, während man in methodischen Fragen auf die russischen Nachfahren des deutschen Historismus zurückgriff. So stellten die sowjetischen Historiker als Verteter der »borussischen Schule« den Staat ins Zentrum ihrer Forschungen. Die Bewertungen dieses Staates waren umso besser, je größer die Macht war, die er verkörperte. Im Übrigen wurde der Begriff »Historismus« selbst in der UdSSR als »marxistisch-leninistischer Historismus« übernommen und überdauerte sogar die nächste Krise der Historiographie nach 1945, als die Verwendung »westlicher«

12 Josef Macùrek: Dějepisectví evropského východu, Praha 1946, S. 259–264; А. Н. Сахаров: Дискуссии в советской историографии: убитая душа науки, in: Ю. Н. Афанасьев (Hg.): Советская историография, Москва 1996, S. 129–148. 13 Н. В. Иллерицкая: Становление советской историографической традиции: наука, не обретшая лица, ebd, S. 165–170. 14 Josef Macůrek: Dějepisectví, a. a. O., S. 260.

Themen und Forschungsmethoden

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Begriffe nicht hoch im Kurs stand.15 Ihren Höhepunkt hatte der Einfluss des russischen Nationalismus in der Historiographie während des Zweiten Weltkriegs. Direkt nach dessen Ende stellte Josef Macůrek fest, dass »überall Bemühungen sichtbar waren, die russische Vergangenheit nicht marxistisch, sondern patriotisch zu bewerten, als Geschichte der Unabhängigkeits- und Freiheitskämpfe gegen zahlreiche Plünderer und Aggressoren, vor allem ›gegen die germanischen Elemente‹; man beschrieb, wie das russische Volk unter großen Mühen seine Kräfte gesammelt, seine hervorragenden Kampfeigenschaften entwickelt habe, zugleich aber eine Nation gewesen sei, die um den Frieden kämpfe und der Kultur insgesamt viele neue Werte schenke. Dem allen ist der Beitrag der sowjetischen Wissenschaft dazu zu verdanken, dass die Russen die moralischen und geistigen Kräfte geschöpft hatten, um im Zweiten Weltkrieg erfolgreich kämpfen zu können; man kann sagen, dass sich die sowjetische Wissenschaft Verdienste um den großen historischen Sieg erworben hat, um die Verteidigung Russlands, der Zivilisation und der nationalen Existenz vieler von den Deutschen unterworfener Nationen.«16

Der Sieg der »nationalen Werte« über Pokrovskijs Interpretation kam nicht ohne Widerstände. Unter den marxistischen Historikern Russlands gab es nämlich auch solche, die sich ernstlich vor einem Rückfall in den Nationalismus fürchteten. Während der sowjetischen Offensive im Mai 1944 schickte Anna Pankratova dem ZK der KPdSU einen Brief, in dem sie den neuen Blick auf historische Personen wie Iwan den Schrecklichen, Peter den Großen oder Alexander I. kritisierte. Ihr zufolge hatten die sowjetischen Historiker (und die sowjetische Propaganda) die Tatsache aus den Augen verloren, dass nicht die Herrscher, sondern die Massen das Subjekt der Geschichte seien. Ende Mai, Anfang Juni 1944 trafen sich in Moskau die Vertreter der beiden sich als marxistisch betrachtenden Interpretationen der Nationalgeschichte. Zu einer eindeutigen Entscheidung kam es nicht, Pankratova wurde jedoch später für die Verbreitung von Materialien über dieses Treffen bestraft.17 Zu einer besonders interessanten Variante derselben Entwicklung kam es zeitgleich in der Ukraine. Die Lage der Historiker war dort noch unsicherer: Sie waren sich nicht nur darüber im Unklaren, ob die Geschichte der Ukraine eher in Kategorien der »Klasse« oder vielmehr der »Nation« zu interpretieren sei, sondern mussten zugleich die Rolle definieren, die Russland in ihr gespielt hatte. Pokrovskijs Pendant in der Ukraine war Matvij Javors’kyj, der in den 1920er Jahren und zu Beginn des folgenden Jahrzehnts gegen die dominierende Interpretation Mychajlo Hruševs’kyjs ankämpfte. Javors’kyj verwarf die Idee, dass die Nation die Geschichte organisiere, und ignorierte die großen Hetmane und Herrscher der 15 Vgl. Eduard Thaden: Marxist Historicism and the Crises of Soviet Historiography, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas (im Folgenden JfGO), Nr. 1/2003, S. 17–20. 16 Josef Macůrek: Dějepisectví, a. a. O., S. 264. 17 Maureen Perrie: The Cult of Ivan the Terrible in Stalin’s Russia, Houndmills 2001, S. 99–102.

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Kiever Rus. Dabei war er ganz und gar nicht prorussisch. In seiner Interpretation der Revolution in der Ukraine hob er deren spezifischen Charakter hervor, der sich von dem Russlands unterscheide. Javors’kyjs Erfolg – die offizielle Ablehnung von Hruševs’kyjs Sichtweise – kam nur wenig mehr als ein Jahr vor dem Beginn der Kampagne gegen den ukrainischen »Klein-Pokrovskij«. Javors’kyj wurde 1933 verhaftet, ein Jahr später starb der zum »Faschisten« abgestempelte Hruševs’kyj. Während des Kriegs tendierte die Politik gegenüber der ukrainischen Geschichte dazu, die nationalen Werte hervorzuheben, doch fehlte es immer noch an klaren Richtlinien darüber, wann der ukrainische Patriotismus zum Nationalismus wird. Die Ždanov-Kampagne, die sich für die Russen gegen »Okzidentalismus« und Liberalismus richtete, war für die Ukrainer auch ein Kampf gegen den »Nationalismus«. In ihrem Streit mit Andrej Ždanov vertrat Anna Pankratova auch die ukrainischen Wissenschaftler, die Angst vor der Dominanz des russischen Nationalismus in der Historiographie hatten.18 Schließlich kam es zum Kompromiss, demzufolge Hruševs’kyjs Interpretation über die Arbeiten der ukrainischen Marxisten siegte, wobei man natürlich an der Forderung nach einer »angemessenen« Anerkennung der Rolle des russischen Volkes in der Geschichte festhielt.19 In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre sollten die anderen, neu unterworfenen Nationen viele Lebensbereiche nach sowjetischem Vorbild umgestalten, darunter auch die historischen Wissenschaften. Der Marxismus, der bald zur einzigen erlaubten Methode werden sollte, wurde jedoch nicht mehr so verstanden wie im postrevolutionären bolschewistischen Russland. In der sowjetischen Ausführung besaß er viele Elemente der russischen historiographischen und nationalen Tradition. In den Versionen, die in den Satellitenstaaten der UdSSR entstanden, war ebenfalls nicht so sehr ein radikaler Bruch mit den bisherigen Traditionen zu erwarten, sondern vielmehr deren Revision und Neubewertung, auch was die Rolle Russlands in der Geschichte Ostmitteleuropas anging. Die vorliegende Arbeit verfolgt das hauptsächliche Ziel, auf die Frage zu antworten, in welcher Weise die marxistischen Historiker in Polen, der Tschechoslowakei und der DDR die nationalen historischen und historiographischen Traditionen nutzten. Der Leser wird rasch erkennen, dass sich die von mir vorgeschlagene Analyse der marxistisch-leninistischen Historiographie an einigen Stellen von den bisher vorherrschenden Interpretationen unterscheidet. Bei der Beschreibung der Kontakte zwischen einzelnen marxistisch-leninistischen Historikern betone ich eher (allerdings nicht ausnahmslos) die »horizontalen« Beziehungen (zwischen polnischen, tschechischen, slowakischen und DDR-Historikern)

18 Serhy Yekelchyk: Stalin’s Empire of Memory. Russian-Ukrainian Relations in the Soviet Historical Imagination, Toronto 2004, S. 15–57. 19 Наталия Яковенко: Нарис історії України, Київ 1997, S. 4.

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als die »vertikalen« Beziehungen (zwischen jeder einzelnen Historiographie und jener der UdSSR). Die inhaltliche Analyse der marxistischen Veröffentlichungen greift relativ selten auf Parteidokumente zurück (auch wenn Aussagen verschiedener Parteiführungen zu historischen Themen in dieser Arbeit in großer Zahl vertreten sind). Ich bemühe mich, sofern das ohne Vertuschung der Fakten möglich ist, auf der Ebene der historischen Veröffentlichungen zu bleiben, selbst wenn sie gelegentlich kein Niveau erreichen, das eine wissenschaftliche Arbeit auszeichnen sollte. Schließlich: Bei der Analyse der marxistischen Ansichten mache ich auf Kontinuitätselemente ebenso aufmerksam wie auf Bezüge zu nichtmarxistischen historiographischen Traditionen. Auf diese Weise suche ich, natürlich im Bewusstsein fehlender Kontinuität in vielen Bereichen des wissenschaftlichen Lebens, nach Kontinuitätselementen im historischen Denken. All diese Merkmale meiner Beschreibung sind ein bewusster Versuch, eine andere, meiner Ansicht nach vollständigere Perspektive der marxistischen historischen Wissenschaften in Ostmitteleuropa darzustellen. Es handelt sich somit eher um eine Einladung zur Diskussion als um einen Abschluss dieser Debatte. Keine besonders originellen Ideen stehen dagegen hinter den gewählten Zäsuren der Arbeit. Sie sind für jeden untersuchten Staat andere, da der Analyse die von den polnischen, tschechischen, slowakischen und deutschen Historikern am häufigsten verwendeten Daten zugrunde liegen. Im Fall Polens sind es die Jahre 1948/49–1956. Für die Tschechoslowakei geht man allgemein davon aus, dass die Jahre 1948–1963 Anfang und Ende des stalinistischen Zeitraums markieren. Unter Berücksichtigung des gelegentlich recht langen Publikationsprozesses wurde die Quellensuche bis 1965, in einigen Fällen sogar bis 1968 ausgedehnt. In der Geschichte der DDR-Wissenschaft wird in der Regel eine Anfangszäsur im Jahr 1949 gesetzt (als der Staat entstand) und die nächste Zäsur am Ende der 1960er Jahre, als eine weitere Zentralisierung der Wissenschaft einsetzte, eine neue Schulreform durchgeführt wurde und es in den wissenschaftlichen Milieus zu einem Generationenwandel kam. Am Ende dieser einleitenden Bemerkungen soll auf ein Problem eingegangen werden, das für einen großen Teil meiner Gesprächspartner (in Polen und Tschechien; die Deutschen bilden hier eine interessante Ausnahme) besondere Bedeutung hatte: War die Historiographie, über die ich schreibe, tatsächlich marxistisch? Bei der Verwendung dieser Bezeichnung stütze ich mich auf mehrere Thesen. Erstens weise ich die Bezeichnung »Marxisten« denjenigen zu, die ihren Marxismus selbst deklarierten. Ich denke nicht, dass ein Historiker heute das Recht hat, zu überprüfen, inwieweit der von einzelnen Wissenschaftlern behauptete Marxismus wahrhaftig war. Somit schreibe ich in dem Bewusstsein über marxistische (bzw. marxistisch-leninistische) Historiker und ihre Arbeiten, dass es sich bei ihnen um eine uneinheitliche Gruppe handelte (ebenso wie z. B. die Krakauer Schule oder die borussische Historiographie nicht einheitlich waren). Zweitens bin ich (mit

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Leszek Kołakowski und Jerzy Szacki) der Meinung, dass der Stalinismus eine bestimmte Etappe der Entwicklung der marxistischen Doktrin war und sich nicht aus der Geschichte des Marxismus herauspräparieren lässt. Im Übrigen tritt keine philosophische Doktrin in Reingestalt auf. Drittens geht aus der Analyse der von mir herangezogenen Veröffentlichungen hervor, dass gewisse Elemente des Marxismus-Leninismus tatsächlich eine wesentliche Rolle in den Arbeiten der zu jener Zeit veröffentlichenden Historiker gespielt haben, dass es sich also nicht nur und ausschließlich um eine schmale Schicht von »Klassiker«-Zitaten handelte, hinter denen sich die »wahre« Wissenschaft versteckte, doch bin ich nicht der Meinung, dass dies automatisch eine mangelnde Qualität dieser Arbeiten bedeutete.

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2 Institutionen, Historiker und Entwicklungen der historischen Wissenschaften in Ostmitteleuropa zwischen 1945 und 1949 sowie ihre spätere Stalinisierung

Der Wiederaufbau der Historiographie nach dem Krieg Die polnische Historiographie musste während des Zweiten Weltkriegs besonders starke Verluste hinnehmen. Es wurden Bestände aus Archiven, Universitäten, wissenschaftlichen Einrichtungen und Bibliotheken zerstört. Ein beträchtlicher Teil der Berufshistoriker starb.1 Das Ausmaß dieser Tragödie veranschaulichen die Inhalte der historischen Zeitschriften der Nachkriegszeit. Eine riesige Anzahl von Nachrufen steht dort neben Berichten über die Verluste von Bibliotheken und Archiven.2 Die Autoren dieser Artikel waren sich bewusst, dass die Katastrophe, die die polnische Kultur heimgesucht habe, nicht nur in der eigenen Geschichte ohnegleichen war, sondern auch vor dem Hintergrund der anderen kriegsbesetzten Länder. In der ersten Nachkriegsausgabe des »Kwartalnik Historyczny« wurde eine Liste der polnischen Verluste um die von Henryk Batowski zusammengestellten Angaben über die Verluste unter den tschechischen und jugoslawischen Historikern ergänzt, die ungleich geringer waren. Einen Teil der jugoslawischen Verluste erklärte Batowski übrigens damit, dass man Professoren, die sich durch die Zusammenarbeit mit den Regierungen Nedić oder Pavelić kompromittiert hatten, von den Universitäten entfernt hatte.3 Trotz der katastrophalen Zerstörungen wurde das wissenschaftliche Leben sehr schnell wiederbelebt. Die ersten Universitäten nahmen schon 1944 ihre Tätigkeit wieder auf (damals wurde auch die neue Maria-Skłodowska-Curie-Universität in Lublin eröffnet). Historische Zeitschriften begannen wieder zu erscheinen. Aber die führenden Historiker beschränkten sich nicht darauf, wissenschaftliche Einrichtungen zu reaktivieren, sondern bemühten sich auch um eine Reform der Geschichtswissenschaft. Tadeusz Manteuffel verlangte einen Ausbau des

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Berechnungen von Halina Winnicka: Środowisko historyków w latach wojny i okupacji (próba charakterystyki), in: Przegląd Humanistyczny, Nr. 8/1975. Adam Lewak: Polskie biblioteki naukowe zniszczone w 1939/44 r., in: Kwartalnik Historyczny (im Folgenden KH) 1939–1945; Witold Suchodolski: Straty archiwów warszawskich w czasie wojny i okupacji, ebd.; Stanisław Lorentz: Straty w dziełach sztuki i zabytkach przeszłości, ebd.; Władysław Tomkiewicz: W sprawie restytucji polskiego dorobku w dziedzinie kultury artystycznej, in: Przegląd Historyczny (im Folgenden PH) 1946. KH 1939–1945, S. 770.

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Historischen Instituts der Universität Warschau, das die Aufgaben einer Lehr- und Forschungseinrichtung in sich vereinigen sollte.4 Allgemein verspürte man die Notwendigkeit, die bisherige Geschichtsschreibung und Wissenschaftsorganisation zu revidieren. Die neue Zeit machte es nach Meinung vieler Historiker notwendig, neue Themen aufzugreifen: »Die gewaltigen Veränderungen auf der Weltkarte und in der Struktur der Großmächte, der Zerfall der kapitalistischen Wirtschaft […] das weltweit zunehmende soziale Problem und seine neue Lösung, deren Heimat die Sowjetunion ist – das sind Beispiele für Fragestellungen, die der zeitgenössische Mensch vertiefen und verstehen muss«,

dozierte Józef Feldman in der Krakauer Abteilung der Polnischen Historischen Gesellschaft.5 Die neuen Themen und die neue Herangehensweise an die wissenschaftliche Arbeit waren fundamentale Aufgaben der Nachkriegshistoriographie, wie auch die Redakteure des »Kwartalnik Historyczny« erkannten: »Unsere Pflicht ist es, die übergreifenden neuen Interessen zu den eigenen zu machen, neue Sichtweisen auszuprobieren, um so verschiedene Fakten und Gestalten unserer Geschichte neu zu bewerten. Anders würden wir zu Schreibtischwissenschaftlern, die nach dem Motto ›Kunst für die Kunst‹ eine ›Wissenschaft für die Wissenschaft‹ betrieben, während sich sowohl die eine als auch die andere, um nicht aufs Abstellgleis zu geraten, in den Dienst der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Wohls stellen muss.«6

Trotz der erklärten Bereitschaft zu Veränderungen betonten die Historiker, die am 26. Januar 1946 in Krakau an einer Konferenz über die Bedürfnisse der polnischen Wissenschaft teilnahmen, die Unabhängigkeit der Geschichte von der Politik, und zwar sowohl im Bereich der Forschung als auch der Lehre.7 Władysław Konopczyński griff dies in einem ein Jahr später veröffentlichten Artikel folgendermaßen auf: »Unsere Devise sei daher: wiederaufbauen, aber nur teilweise umbauen, auf alten Fundamenten, zum Teil mit altem Material. Korrekturen sind nützlich, sogar große, aber ohne Umbrüche und Verrenkungen.«8 Tatsächlich entwickelte sich die Wissenschaft im Laufe der ersten zwei bis drei Jahre nach der Befreiung in Einklang mit Konopczyńskis Forderungen. (Sie wurden übrigens während einer Konferenz der wissenschaftlichen Einrichtungen und

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Vgl. Tadeusz Manteuffel: Myśli o reformie uniwersyteckiego studium historii, in: PH 1946; Władysław Czapliński: Korelacja nauczania historii na uniwersytecie i w szkole średniej, in: Ebd. Józef Feldman: O reformę studiów historycznych na uniwersytetach (Vorlesung in der Krakauer Abteilung der Polnischen Historischen Gesellschaft (PTH) am 7.4.1945), in: PH 1946, S. 76. Słowo od redakcji, in: KH 1939–1945, S. 397. Józef Jasnowski: Analiza programów szkolnictwa wyższego i wytycznych prac naukowych w zakresie historii, in: Kultura 1952, Sonderausgabe Ramy życia w Polsce, Bd. II. Sowietyzacja kultury w Polsce, S. 62. So Władysław Konopczyński in: Nauka Polska 1947, Bd. XXV, S. 154–155, zit. nach Piotr Hübner: Polityka naukowa w Polsce w latach 1944–1953. Geneza systemu, Wrocław 1992, Bd. I, S. 65.

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Gesellschaften in Krakau am 26. und 27. September 1947 fast wörtlich wiederholt.9) Es ist nicht schwierig, zahlreiche Beispiele für die Fortsetzung der Wissenschaftsstruktur der Vorkriegszeit zu finden. Die polnischen Professoren der Universitäten Lemberg und Wilna fanden in Breslau und Thorn Arbeit. Der Staat unterstützte sie materiell und wies ihnen auch Wohnungen zu.10 Man bemühte sich außerdem darum, die in der Sowjetunion inhaftierten Kollegen nach Polen zu holen; dabei wandte man sich an den Bildungsminister, der dann das Außenministerium um Hilfe bat, da die Verhafteten »als wissenschaftliche Kräfte in den neuentstehenden höheren Lehranstalten unerlässlich« seien.11 Auf dem Titelblatt der ersten Nachkriegsausgabe des »Kwartalnik Historyczny« behielt man als Erscheinungsort neben Krakau Lemberg bei, und einige Artikel waren »Überbleibsel«, also Arbeiten, die vor Ausbruch des Krieges nicht mehr hatten erscheinen können.12 Wissenschaftliche Gesellschaften und Institute, die sich mit Regionalgeschichte befassten, nahmen ihre Tätigkeit wieder auf: In Zoppot wurde das Ostsee-Institut reaktiviert (das später nach Bromberg umzog), in Kattowitz das Schlesien-Institut, einige Einrichtungen wurden neu gegründet, allen voran das Westinstitut in Posen, dessen Leitung Zygmunt Wojciechowski übernahm. Außerdem entstand in Allenstein ein Masuren-Institut.13 Es ist im Übrigen nicht verwunderlich, dass sich das wissenschaftliche Leben nach Kriegsende an der Vorkriegszeit orientierte, denn andere Vorbilder gab es in den ersten Monaten nach dem Krieg ganz einfach nicht. Sowohl im Gebiet Tschechiens als auch der Slowakei hatte der Krieg einen völlig anderen Verlauf und völlig andere Folgen für die Wissenschaft als in Polen. Die tschechischen Universitäten waren zwar während der Besatzung geschlossen, aber die Historiker konnten forschen und veröffentlichen, die Tschechische Akademie der Wissenschaften und Künste (Česká akademie věd a umění, ČAVU) blieb bestehen.

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Nach Rafał Stobiecki »zeigte die Krakauer Konferenz im Kreis der Historiker die Dominanz der Anhänger der Idee der Autonomie […] von Lehre und Forschung«, Rafał Stobiecki: Historia pod nadzorem. Spory o nowy model historii w Polsce (II połowa lat czterdziestych – początek lat pięćdziesiątych), Łódź 1993, S. 43. Vgl. Maria Hirszowicz: Pułapki zaangażowania. Intelektualiści w służbie komunizmu, Warszawa 2001, S. 89 f. Archiwum Akt Nowych (im Folgenden AAN), Sign. 2903, Bildungsministerium. Brief des Bildungsministers an das Außenministerium vom 27.7.1945, ebd.: Brief des Direktors der 4. Abteilung des Ministeriums für öffentliche Bildung an Prof. Dr. Stanisław Arnold, an ihn gerichtet von der Gruppe der Professoren und Dozenten der ehem. Stefan-Báthory-Universität Wilna, Thorn 30.7.1945. Marceli Handelsman: Kryzys r. 1821 w Królestwie Polskim, in: KH 1939–1945. Michał Sczaniecki: Instytuty Ziem Zachodnich – ich działalność i miejsce w organizacji nauki polskiej, Przegląd Zachodni (im Folgenden PZ), Nr. 2/1995.

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Die personellen Verluste beschränkten sich auf ein gutes Dutzend in den Konzentrationslagern zu Tode Gequälter und Ermordeter.14 Paradoxerweise waren die Verluste unmittelbar vor Ausbruch und nach Beendigung des Krieges beträchtlicher. 1937 starb Josef Pekař, einer der bedeutendsten tschechischen Historiker; im selben Jahr starb auch sein Rivale im Kampf um die Deutung der tschechischen Geschichte, der erste Präsident der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, der zwar kein Historiker war, sich aber gern zu Fragen der tschechischen Geschichte zu Wort meldete und die Ansichten vieler tschechischer Wissenschaftler prägte. 1945 starb der aus Theresienstadt befreite Kamil Krofta, während Josef Šusta Selbstmord beging, weil übereifrige Patrioten ihn der Kollaboration mit den Deutschen bezichtigt hatten. So verloren die Historiker nicht nur Kollegen mit einem ansehnlichen Werk, sondern auch potentielle Leitfiguren, die wie in Polen Tadeusz Manteuffel oder Stanisław Lorentz, die Welt der Wissenschaft gegenüber den Behörden hätten repräsentieren können. Die historischen Fakultäten der Universitäten und die historischen Zeitschriften, allen voran der »Český Časopis Historický«, nahmen ihre Arbeit sehr schnell wieder auf.15 Bis Ende 1946 hatte die Zahl der von der Fachpresse veröffentlichten Titel wieder das Niveau der Vorkriegszeit erreicht.16 Zu den bereits bestehenden Universitäten kam eine neue in Olmütz hinzu. Den tschechischen Archivaren gelang es nicht nur, die meisten Archivbestände in den tschechischen Gebieten zu retten, sie konnten auch die Bestände deutscher Institutionen in jenen Gebieten übernehmen, aus denen die Deutschen ausgesiedelt worden waren. Auch mit den Bibliotheken war das Schicksal gnädig.17 Die Tschechoslowakische Historische

14 Josef Hanzal gibt nach František Kutnar und Jaroslav Werstadt die Namen dreier Erschossener und 14 in Konzentrationslagern Gestorbener an – Josef Hanzal: Cesty české historiografie 1945–1989, Praha 1999, S. 20. Der deutsche Historiker Peter Heumos nennt dagegen als Beispiele einen Erschossenen und 13 in Konzentrationslagern Umgekommene, aber seine Liste enthält sechs Namen, die Hanzal nicht erwähnt – Peter Heumos: Geschichtswissenschaft und Politik in der Tschechoslowakei, in: JfGO, Nr. 4/1978, S. 543. Nach dem oben zitierten Henryk Batowski überlebten 14 Geschichtsprofessoren und -dozenten den Krieg nicht, vgl. KH 1939–1945, S. 770, allerdings nennt Batowski keine Namen. Ursache für diese Schwierigkeiten sind die unklaren Kriterien bei der Berufszuordnung der Toten. Zum Beispiel war der bei Hanzal genannte Bedřich Václavek vor allem Literatur- und Folkloreforscher, aber kein Historiker. Ähnlich verfährt Hanzal, wenn er zu den ermordeten Historikern Josef Pata zählt, einen Philologen des Bulgarischen und Sorbischen, der wie sein Bruder František, ein Regionalhistoriker aus Leitomischl, von den Deutschen erschossen wurde. 15 1945/46 erschienen auch die ersten Nackriegshefte der Zeitschriften Časopis Matice Moravské, Časopis Národního musea, Byzantinoslavika und Slezský Sborník. Vgl. Jan Havránek: Stav a proměny vysokých škol 1945–1953, in: Blanka Zilynská/Petr Svobodný/Blanka Šachová (Hg.): Věda v Československu 1945–1953. Sborník z konference, Praha 1999, S. 15 f. 16 Peter Heumos: Geschichtswissenschaft, S. 543. 17 Josef Hanzal: Cesty české, S. 22 f.

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Gesellschaft (Československá historická společnost) nahm unter dem Vorsitz von Jaroslav Werstadt bzw. nach 1946 von Karel Stloukal ihre Tätigkeit auf; die führende Persönlichkeit unter den tschechischen Historikern war Václav Chaloupecký, der Herausgeber des »Český Časopis Historický«, der in der Zwischenkriegszeit als erster Dozent für die Geschichte der Tschechoslowakei an der ersten slowakischen Universität, der Johann Amos Comenius-Universiät in Pressburg, gelehrt hatte. Die tschechische Geschichtswissenschaft knüpfte nach 1945 an die Zeit der Ersten Republik an, und das sowohl formal, indem sie die vor 1938 existierenden Einrichtungen, Zeitschriften und Gesellschaften neu gründete, als auch ideell, indem sie auf die Leistungen von Historikern aus der positivistischen Schule Jaroslav Golls und die Philosophie Tomáš Masaryks zurückgriff (auch wenn zuweilen das eine das andere ausschloss). Zum geistigen Erbe der Zwischenkriegszeit gehörte auch die These von der Existenz eines tschechoslowakischen Volkes, die abgesehen von den Kommunisten, von den meisten politischen Kräften in den tschechischen Gebieten akzeptiert wurde, allen voran von Präsident Edvard Beneš.18 Dagegen hatten schon in der Zwischenkriegszeit die meisten Angehörigen der slowakischen intellektuellen Eliten den Enthusiasmus für den »Tschechoslowakismus« nicht geteilt, den in den historischen Wissenschaften Václav Chaloupecký am entschiedensten vertrat. Die Existenz des Slowakischen Staates, in dem sich wissenschaftliche und kulturelle Initiativen entwickelt hatten und in dem – anders als in den tschechischen Gebieten – die Tätigkeit der Hochschulen nie unterbunden worden war, der Slowakische Volksaufstand von 1944 und schließlich das so genannte Kaschauer Programm, das eine beträchtliche Ausweitung der slowakischen Eigenständigkeit versprochen hatte – all das verstärkte das Verlangen nach kultureller Unabhängigkeit. Während des Krieges kamen sowohl ausgebildete slowakische Historiker als auch wissenschaftliche Einrichtungen hinzu – 1942 wurde die Slowakische Akademie der Wissenschaften und Künste (Slovenská akadémia vied a umení, SAVU) gegründet, die unter anderem die Zeitschrift »Historica Slovaca« herausgab.19 Gegen Ende des Krieges zogen es Menschen, die sich im Slowakischen Staat besonders engagiert hatten, vielfach eher vor, zu emigrieren, als sich in der wiedererstandenen Tschechoslowakei auf ihre Verstrickung mit dem vergangenen System überprüfen zu lassen. Einige von jenen, die in der Slowakei blieben, wurden verhaftet; spektakulärstes Beispiel ist Jozef Cíger Hronský, der Leiter der ältesten nationalen wissenschaftlichen Institution, der Matica Slovenská.20 18 Vgl. Alexej Kusák: Kultura a politika v Československu 1945–1956, Praha 1998, S. 207 f. 19 Lýdia Kamencová: Slovenská akadémia vied a umení a jej vedecké programy, in: Blanka Zilynská/ Petr Svobodný/Blanka Šachová (Hg.): Věda v Československu, a. a. O., S. 199 f. 20 Elena Londáková: O kúčových obdobiach slovenského kultúrneho vývoja po roku 1945, in: Historické Štúdie (im Folgenden HŠ) 2000, S. 230 f.

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Auch die slowakischen Historiker brachten ihre Eigenart gegenüber ihren tschechischen Kollegen sehr deutlich zum Ausdruck. 1946 gründeten sie eine eigene, von den Tschechen getrennte Organisation: die Slowakische Historische Gesellschaft (Slovenská historická spoloćnost, SHS). Zu ihrem Vorsitzenden wurde Daniel Rapant gewählt, der bedeutendste slowakische Historiker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Gegner der von Chaloupecký vertretenen These von der Existenz eines tschechoslowakischen Volkes.21 Auf dem Gründungskongress der SHS übermittelte Karel Stloukal den Versammelten den Standpunkt der Tschechoslowakischen Historischen Gesellschaft, wonach von der Existenz zweier verschiedener Vertretungen der tschechoslowakischen Historiker auf den Kongressen des Internationalen Komitees der Historischen Wissenschaften nicht die Rede sein könne. Obwohl man – ähnlich wie in Polen – auf den Zusammenkünften tschechischer und slowakischer Wissenschaftler beständig wiederholte, dass in der Tschechoslowakei Forschungsfreiheit notwendig sei, war dieses Thema anscheinend nicht so drängend, denn man verstand sich einfach als Fortsetzung der demokratischen ČSR der Zwischenkriegszeit.22 Zugleich bestimmte der Konflikt zwischen tschechischen und slowakischen Historikern die Beziehungen innerhalb der Zunft bis zu dem Zeitpunkt, als beide Gruppen sich der neuen, von der kommunistischen Partei gelenkten Wissenschaftspolitik unterordnen mussten.23 Zu den wichtigsten Aufgaben im besetzten Deutschland gehörte es, die Wissenschaftler für ihre Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime zur Rechenschaft zu ziehen. Unmittelbar nach Kriegsende versuchten sich die deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen an einer »Selbstreinigung«, indem sie diejenigen NSDAP-Mitglieder ausschlossen, die nach allgemeinem Empfinden wissenschaftlich nicht qualifiziert waren. Das vorrangige Problem war aber nicht so sehr die Säuberung, sondern vielmehr die Instandsetzung und Wiedereröffnung der Lehrstätten und die Ergänzung des Personals und der Bibliotheksbestände.

21 Ivan Kamenec: Slovenské, české a československé dejiny: problém či pseudoproblém?, in: Československá historická ročenká 2000, S. 13 f.; Jan Rychlík: České, slovenské a československé dějiny – problém vzájemného vztahu v různých historických dobách, ebd., S. 20–22; Richard Marsina: Tvorca koncepcie slovenských dejín, in: Richard Marsina i kol. (Hg.): Historik Daniel Rapant – život a dielo (1897–1988–1997), Martin 1998, S. 22 f. 22 Diese Forderungen wurden etwa auf dem Kongress der Künstler und wissenschaftlichen Angestellten in Banská Bystrica im August 1945 erhoben (hier sprach unter anderem der Kommunist und Dichter Ladislav Novomeský, der schon bald darauf politischer Gefangener werden sollte, über die unpolitische Haltung der Kunst und Wissenschaft), auch beim 2. Kongress der slowakischen Künstler und Wissenschaftler in Pressburg im Oktober 1946 – vgl. Elena Londáková: O kúčových, S. 230–233. 23 Lýdia Kamencová: Vznik Slovenskej historickej spoločnosti a prvá etapa jej činnosti (1946–1950), in: Historický Časopis SAV (im Folgenden HČSAV), Nr. 2/1991, S. 184–188.

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Abgesandte der Lehranstalten reisten mit Genehmigung der Besatzungsbehörden durch das Land, um Professoren, die überall verstreut lebten, anzuwerben. Mit den Besatzern verhandelte man über die Freilassung verhafteter Wissenschaftler, die in den ersten Nachkriegsmonaten inhaftiert worden waren.24 Nach Meinung vieler Studenten und insbesondere derjenigen Dozenten, denen man im Nationalsozialismus die Lehrbefähigung aberkannt hatte, waren die von den Rektoren unternommenen Schritte zur Entnazifizierung der Lehranstalten nicht radikal genug. Bald darauf ergriffen in Personalfragen die Besatzungsbehörden die Initiative. Diese bemühten sich, die Entnazifizierung gründlich durchzuführen, was in der Sowjetischen Besatzungszone faktisch die personelle Kontinuität in den wissenschaftlichen Einrichtungen aufhob: Mehr als 80% der bis 1945 tätigen Professoren setzten ihre Arbeit nicht in ihrer bisherigen Funktion fort.25 Ein Streitpunkt zwischen Rektoren auf der einen, radikalen Studenten und den Besatzungsbehörden auf der anderen Seite war das Ausmaß der Verantwortlichkeit von Personen, die in den Nationalsozialismus verstrickt gewesen waren. Die Universitäten bemühten sich (häufig erfolglos) darum, Massenentlassungen von Angestellten zu vermeiden, die nicht der NSDAP beigetreten waren, sondern Unterorganisationen für Jugendliche, Studenten oder Frauen, in die man gerade während des Krieges automatisch aufgenommen wurde. Die heftigsten Kontroversen betrafen Mediziner, die in der Regel den Sanitätsdiensten der SA, SS, des SD oder der Wehrmacht angehört hatten. Im Leipziger Universitätsklinikum brachten die Entlassungen gegen Ende 1945 die Arbeit praktisch zum Erliegen, denn es fehlte nicht nur an Ärzten, sondern auch an Krankenschwestern.26 Aber die Entnazifizierung war nicht der einzige Grund für die personellen Verluste in der deutschen Wissenschaft, insbesondere im Osten. Eine besonders zahlreiche Gruppe geeigneter Spezialisten wurde einfach von den Truppen der Siegermächte mitgenommen: Als sich die Amerikaner nach Westen zurückzogen, befanden sich in ihrem Gefolge viele Professoren der Universitäten Jena, Halle und Leipzig. In die UdSSR wurden ungefähr 3.000 bis 3.500 Spezialisten deportiert, die erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zurückkehrten. Viele Wissenschaftler zogen es vor, die sowjetische Zone zu verlassen und rechtzeitig in den Westen zu ziehen. Wie Ralph Jessen feststellt, lässt sich daher die häufig anzutreffende 24 Eine umfangreiche Sammlung von Reisegenehmigungen, Korrespondenzen mit zuvor entlassenen oder aus anderen Gründen außerhalb der Universitäten stehenden Professoren befindet sich im Archiv der Universität Leipzig, Sign. R. 27, Bd. 1. Kopien der Briefe des Rektors der Universität Leipzig, Hans Georg Gadamer, über die Entlassung der Inhaftierten Universitätsprofessoren – UAL, Sign. R. 218, Bd. 1. 25 John Connelly: Captive University. The Sovietization of East German, Czech and Polish Higher Education 1945–1956, Chapel Hill-London 2000, S. 4. 26 UAL, Sign. 218, Bd. 2. Korrespondenz des Rektors, Briefe der Entlassenen sowie Interventionen der sächsischen CDU für die Universität.

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These, die Russen hätten die Entnazifizierung gründlicher durchgeführt als die westlichen Besatzungsmächte, nicht bestätigen. Wenn man den Prozentsatz der von den Entnazifizierungsmaßnahmen Betroffenen im Osten und Westen vergleicht, ergibt sich, dass er ähnlich hoch war und dass das besonders schmerzliche Ausbluten der ostdeutschen wissenschaftlichen Einrichtungen eine Folge der oben erwähnten Entwicklungen war.27 Trotz der Entnazifizierung und der strengen Kontrolle durch die sowjetische Militärverwaltung wurden auch im Osten Deutschlands schnell weitere Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen eröffnet. Alle wissenschaftspolitischen Entscheidungen fielen bei der sowjetischen Militärverwaltung, der man einen deutschen »Transmissionsriemen«, die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung, beistellte.28 Als erste nahm die Friedrich-Schiller-Universität in Jena ihre Tätigkeit auf (im Oktober 1945); im ersten Halbjahr 1946 wurden die Hochschulen in Berlin (Friedrich-Wilhelm-Universität, 1949 umbenannt in HumboldtUniversität), Halle, Leipzig (seit 1953 Karl-Marx-Universiät), Greifswald und Rostock eröffnet. 1946 beschlossen die sowjetische Militärverwaltung und die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung, anstelle der Preußischen Akademie der Wissenschaften eine Deutsche Akademie der Wissenschaften zu gründen.29 Sowohl im Osten als auch im Westen machten sich Wissenschaftler wie Hugo Preller, Friedrich Meinecke, Johannes Kühn, Fritz Hartung, Hans Hausherr, Eugen Meyer und Otto Hoetzsch wieder an die Arbeit. Letzterer versuchte in den letzten Monaten seines Lebens, ein neues Konzept der deutschen Ostforschung auszuarbeiten.30 27 Ralph Jessen: Akademische Elite und kommunistische Diktatur. Die ostdeutsche Hochschullehrerschaft in der Ulbricht-Ära, Göttingen 1999, S. 261–265. Die Halbherzigkeit der Entnazifizierungen hat auch Lutz Niethammer in seinem Bericht über die Entscheidungen aufgezeigt, die es ehemaligen HJ-Mitgliedern ermöglichten, der FDJ und NSDAP-Mitgliedern der SED beizutreten. 1948 wurde auf Parteiinitiative die National-Demokratische Partei als Sammelbecken für ehemalige Nazis gegründet. – Lutz Niethammer: Deutschland danach. Postfaschistische Gesellschaft und nationales Gedächtnis, Bonn 1999, S. 56 f. 28 Stefan Ebenfeld: Geschichte nach Plan? Die Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft in der DDR am Beispiel des Museums für Deutsche Geschichte in Berlin (1950 bis 1955), Marburg 2001, S. 30. In den ersten Nachkriegsjahren waren die Arbeitsbedingungen an den deutschen Universitäten auch auf Grund der ständigen und unvorhersehbaren sowjetischen Kontrollen recht untypisch. Im Leipziger Universitätsarchiv findet sich unter anderem die Beschreibung eines unerwarteten Besuchs durch einen sowjetischen Major. Der Autor des Dokuments berichtet mit höchstem Erstaunen von dessen Vorschlag, er selbst werde sofort entscheiden, welcher der wegen NSDAP-Zugehörigkeit entlassenen Angestellten an seinen Arbeitsplatz zurückkehren könne. – UAL Sign. R. 219, Bd. 2 [Mikrofilm Nr. 1101]. 29 Das Kalendarium der DDR-Wissenschaftspolitik, in: Manfred Hellman (Hg.): Osteuropa in der historischen Forschung der DDR, Bd. I, Düsseldorf 1972, S. 340–361. 30 Helmut Elsner: Die Geschichte des östlichen Europa in Forschung und Lehre im Rahmen der Wissenschafts- und Hochschulpolitik der DDR, ebd., S. 13.

Der Wiederaufbau der Historiographie nach dem Krieg

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Deutlich schwieriger war es für die geisteswissenschaftlichen Fakultäten und Institutionen, darunter auch die Geschichtswissenschaft, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, weil hier die Überprüfung besonders streng war, strenger als in Bereichen wie dem niederen Schulwesen, der Justiz und der Polizei.31 Dieses Phänomen, das den Westzonen und der sowjetischen Zone gemein war, fand allerdings im Osten seine Fortsetzung: Als man um 1947 ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder in die Ingenieurwissenschaften, die Naturwissenschaften und die Medizin zurückkehren ließ, setzte in der ostdeutschen Geisteswissenschaft eine weitere Säuberungswelle ein, diesmal allerdings nicht ausgelöst durch die Entnazifizierung, sondern durch die Stalinisierung. Während sich die östliche Besatzungszone unbequemer Geisteswissenschaftler entledigte, begann sie gleichzeitig, für die Industrie und Verteidigung geeignete Wissenschaftler zum Umzug vom Westen in den Osten zu bewegen. In der Praxis bedeutete dies, dass ehemalige Nazis die Grenze Richtung Osten überschritten und manchmal eine exponierte Stellung einnahmen (von 1954 bis 1960 hatten 60 % der Hochschulrektoren in der DDR eine nationalsozialistische Vergangenheit), während die »bourgeoisen« Wissenschaftler, die unmittelbar nach dem Krieg bei der Entnazifizierung entlastet worden waren, jetzt ihre Posten verloren und in den Westen ausreisten.32 In den ersten Nachkriegsjahren konzentrierten sich die polnischen, tschechischen, slowakischen und deutschen Historiker darauf, die wissenschaftlichen Einrichtungen wieder aufzubauen, Archiv- und Bibliotheksbestände zurückzuerhalten und das wissenschaftliche Leben an den Universitäten zu erneuern. In Polen und der Tschechoslowakei knüpfte man besonders deutlich an die Zwischenkriegszeit an und postulierte besonders die Freiheit der Wissenschaft. Allerdings fühlten sich die tschechischen Historiker wie auch die Mehrheit der Gesellschaft anscheinend nicht von der kommunistischen Partei bedroht (für die übrigens 1946 bei freien Wahlen 43 % der Wähler aus den tschechischen Gebieten stimmten). Alexej Kusák schreibt in diesem Zusammenhang von der Irrationalität der tschechischen Intelligenz, die den »Faschismus« im Verhalten des »Kleinbürgertums« aufgespürt habe, ohne seine Spuren im Etatismus, Kollektivismus und antideutschen Nationalismus der Kommunisten wahrzunehmen.33 Angesichts dessen konnten die tschechischen Historiker den Eindruck gewinnen, ihr größtes Problem sei ihr Verhältnis zu den slowakischen Kollegen. Die schwerer vom Schicksal geschlagenen Polen, die – was wichtig ist – am eigenen Leibe die Methoden der kommunistischen Machtübernahme erfahren haben, schätzten die Zukunft ihres Faches skeptischer ein. Die Situation in der Sowjetischen Besatzungszone in

31 John Connelly: Captive, S. 98. 32 Ebd., S. 126. 33 Alexej Kusák: Kultura a politika, S. 208.

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Deutschland beschränkte die Möglichkeiten wissenschaftlicher Selbstverwaltung. Programmatische und personelle Entscheidungen fällten die sowjetischen Behörden per Befehl.

Deutschland, Ungarn und die Slawenheit – ein Präludium zur Neuinterpretation der Nationalgeschichte Der Wiederaufbau der wissenschaftlichen Einrichtungen in Mitteleuropa fand natürlich nicht in einem politischen Vakuum statt. Die neuen kommunistischen Behörden in Polen, die kommunistische Partei in der Tschechoslowakei und auch die deutschen Kommunisten mischten sich zwar nicht besonders vehement in Fragen ein, die die gesamte Historikerschaft betrafen, doch manche propagandistischen Schachzüge und ideologischen Erklärungen hatten beträchtlichen Einfluss auf die Historiker. Einiges davon ergab sich im Übrigen nicht aus den Eigenarten der Nachkriegsregime, sondern aus gesamteuropäischen Tendenzen, die man dann nach 1989 mit dem Diktat des Totalitarismus gleichsetzte. Eine derartige Tendenz war etwa die Zentralisierung der Wissenschaft oder auch die allgemein verbreitete Überzeugung, man müsse die Wissenschaft dem »einfachen Volk« annähern. Diese Vorstellung von der besonderen gesellschaftlichen Verantwortung der Historiker als weltanschauliche Erzieher spielte eine herausragende Rolle in der Geschichte jenes Zweigs der Historiographie, der sich mit der Rolle der Deutschen in Ostmitteleuropa beschäftigte. Sowohl in Polen als auch in der Tschechoslowakei hatte der Krieg eine Welle des Nationalismus ausgelöst, der sehr häufig die Gestalt eines antideutschen Chauvinismus annahm. Die offensichtlichste Erscheinungsform war die Behandlung der Deutschen, die sich nach Kriegsende auf dem Gebiet der beiden Staaten befanden: In Polen herrschten »wilde« und organisierte Aussiedlung sowie Arbeitszwang für Deutsche, in der Tschechoslowakei gab es blutige Selbstjustiz und Aussiedlungen.34 Fast jede antideutsche Aktion der Behörden konnte mit dem

34 Aus der umfangreichen Literatur zur Aussiedlung der Deutschen aus Polen soll auf einen Zyklus von Materialien aus polnischen Archiven hingewiesen werden, der eingeleitet wurde von Włodzimierz Borodziej/Hans Lemberg (Hg.): »Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden …« Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950. Dokumente aus polnischen Archiven. Marburg 2000–2004 (polnische Ausgabe Warszawa 2000). Die Aussiedlungen der Deutschen aus der Tschechoslowakei werden im Allgemeinen im Rahmen breiter angelegter Arbeiten über die deutsch-tschechischen Beziehungen behandelt, insbesondere über die Besatzungszeit. Vgl. u. a. Tomáš Staněk: Odsun Němců z Československa, Praha 1991, ders.: Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei 1945–1948. Eine interessante Darstellung findet sich in einem Band für tschechische Lehrer: Zdeněk Beneš/Drahomír Jančík/Jan Kuklík, ml./Eduard Kubů/Václav Kural/Robert Kvaček/Václav Pavlíček/Jiří Pešek/

Präludium zur Neuinterpretation der Nationalgeschichte

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Beifall der über die Nazi-Verbrechen verbitterten Gesellschaften rechnen, und den Kommunisten in beiden Ländern gelang es, diese Stimmungen auszunutzen. An der Entwicklung antideutscher, aber auch antiungarischer und proslawischer Stimmungen beteiligten sich auch Historiker, und zwar nicht nur solche, die sich schon immer zur nationalistischen Ideologie bekannt hatten, sondern auch einige, die liberalen Überzeugungen nahe standen.35 Unter den nationalen Jahrestagen, die von der neuen Regierung in Polen gefeiert wurden, waren besonders jene wichtig, die einen Bezug zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen hatten. 1945 feierte man rauschend den 535. Jahrestag der Schlacht bei Tannenberg (Grunwald), die propagandistisch besonders gut auszuschlachten war, weil man die antideutsche mit einer prosowjetischen Haltung (Beteiligung von Litauern und Smolensker Regimentern) und mit Elementen des Panslawismus (Beteiligung böhmischer Abteilungen auf polnischer Seite) verbinden konnte.36 Hier überschnitt sich die Propaganda der kommunistischen Behörden mit dem Interesse zahlreicher Historiker, die sich nach 1945 mit der deutschen Problematik beschäftigten. Ein redaktioneller Kommentar in der ersten Nachkriegsausgabe des »Kwartalnik Historyczny« nennt unter den Themen, mit denen sich die polnische Historiographie aus eigenem Antrieb zu beschäftigen habe (um der Gefahr zu begegnen, »Wissenschaft für die Wissenschaft« zu betreiben): »Interesse für die Geschichte Schlesiens und Pommerns, das schon in der Zeit zwischen 1918 und 1939 lebhaft war« und »Revisionismus in unserem Verhältnis zu Deutschland«, ein Revisionismus, der – wie die Verfasser des Kommentars hinzufügen – »sich schon so grundlegend bemerkbar macht, dass man sich fragen muss, ob er einem gelassenen Objektivismus verpflichtet bleibt«.37

(Fortsetzung Fußnote 34) René Petráš/Zdeněk Radvanovský/Radovan Suchánek: Rozumět dějinám. Vývoj českoněmeckých vztahů na našem území v letech 1848–1948, Pardubice 2002. Das Problem der Aussiedlungen (oder auch »Vertreibung«, wie die Sudetendeutschen es selbst nennen) hängt eng mit dem politischen Leben in Tschechien zusammen und ist im Kontext der öffentlichen Debatte zu sehen. Der Anteil tschechischer Historiker an dieser Diskussion ist mehrfach zusammengefasst worden; vgl. Jaroslav Kučera: Česká historiografie a odsun Němců: Pokus o bilanci čtyř let, in: Soudobé dějiny (im Folgenden SD) 1994/1; Michal Kopeček/Miroslav Kunštát, »Sudetoněmecká otázka« v české akademické debatě po roce 1989, in: SD, Nr. 3/2002. Über die Aussiedlungen aus dem Gebiet der Slowakei schreibt Dušan Kováč: Evakuácia a vysídlenie Nemcov zo Slovenska, in: Michal Barnovský (Hg.): Od diktatúry k diktatúre. Slovensko v rokoch 1945–1953 (Zborník materiálov z vedeckej konferencie v Smoleniciach 6. –8. decembra 1994), Bratislava 1995. 35 Was Polen in der Nachkriegszeit zu ihren Aussagen über Deutsche motivierte, behandelt Edmund Dmitrów: Niemcy i okupacja hitlerowska w oczach Polaków. Poglądy i opinie z lat 1945–1948, Warszawa 1987. 36 Marcin Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm. Nacjonalistyczna legitymizacja władzy komunistycznej w Polsce, Warszawa 2001, S. 142. 37 Słowo od Redakcji, KH 1939–1945.

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Forschungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen wurden vor allem in den neu- oder wiedergegründeten wissenschaftlichen Instituten in den West- und Nordgebieten betrieben, die bisweilen mit äußerster Energie arbeiteten und viele Publikationen vorlegten.38 Besonders aktiv war auf diesem Gebiet das Westinstitut in Posen, das eine Reihe von Quellenpublikationen und die Zeitschrift »Przegląd Zachodni« veröffentlichte. Diese beschäftigte sich bis 1953 vornehmlich mit der Geschichte der »Wiedergewonnenen Gebiete«. Geplant und geschaffen wurde das Institut dank der Bemühungen einer Untergrundgruppe mit dem Namen »Ojczyzna« (Vaterland), in der Zygmunt Wojciechowski eine Schüsselrolle zukam. Er wurde geradezu zum Symbol des polnischen »Westgedankens«, insbesondere in der deutschsprachigen Literatur.39 Nach der formalen Genehmigung der neuen Institution im August 1945 vergrößerte sich die Mitarbeiterzahl des Westinstituts schnell, bis sie 1951–1954 147 Personen erreichte. Das Institut eröffnete bis zum Ende der 1940er Jahre Filialen im ganzen Land. Die finanzielle Grundlage für die Entwicklung des Westinstituts bot der Besitz eines 300 Hektar großen Gutes und eines ehemals deutschen Schlosses in Osieczna (Storchnest) sowie einer eigenen Druckerei.40 Repräsentativ für die politischen Ansichten der Gründer des Westinstituts war Zygmunt Wojciechowskis 1945 in zweiter, vom Verfasser korrigierter Auflage erschienenes Buch Polska – Niemcy. Dziesięć wieków zmagania [Polen – Deutschland. Zehn Jahrhunderte Ringen] (die erste Ausgabe war 1933 veröffentlicht worden). Der Autor verfolgt die polnisch- (bzw. slawisch-)deutschen Beziehungen seit ihren Anfängen: »Das Westslawentum entwickelte seine politische Existenz im beständigen, ununterbrochenen Zusammenprall mit seinem westlichen,

38 Obwohl das Ostsee-Institut an Größe und finanziellen Möglichkeiten dem Westinstitut in Posen nachstand, war es in der Lage, seine Beschäftigtenzahl binnen eines Jahres bei 61 Personen zu stabilisieren, mehrere Dutzend Werke zu veröffentlichen (u. a. Karol Górski: Państwo Krzyżackie w Prusach, 1946; Karol Maleczyński: Polska i Pomorze Zachodnie w walce z Niemcami w XIV i XV wieku, 1946; Kazimierz Piwarski: Dzieje Prus Wschodnich w czasach nowożytnych, 1946; Władysław Konopczyński: Kwestia bałtycka do XX wieku, 1946; Kazimierz Lepszy: Dzieje floty polskiej, 1946) sowie die Zweimonatsschrift Jantar herauszugeben. Vgl.: Instytut Bałtycki – szkic informacyjny, Gdańsk-Bydgoszcz-Szczecin 1947. 39 Der Autor der jüngsten Monographie über Wojciechowski hält ihn für eine Schlüsselfigur nicht nur des »Westgedankens«, sondern der gesamten polnischen Historiographie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt – vgl. Markus Krzoska: Für ein Polen an Oder und Ostsee. Zygmunt Wojciechowski (1900–1955) als Historiker und Publizist, Osnabrück 2003. Ähnlich wird Wojciechowskis Rolle bewertet in: Gregor Thum: Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin 2002, S. 275–284; Grzegorz Mazur: Antenaci. O politycznym rodowodzie Instytutu Zachodniego, Poznań 2002. Der Verfasser beendet seine Arbeit im Grunde mit dem Jahr 1944 und behandelt den uns interessierenden Zeitraum nur am Rande. 40 Henryk Olszewski: Instytut Zachodni 1944–1994, in: Romualda Zwierzycka (Hg.): Instytut Zachodni 50 lat, Poznań 1994.

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germanischen Nachbarn.«41 Nach seiner Meinung gab es keine Möglichkeit, friedlich mit den Deutschen zusammenzuleben, denn diese charakterisiere ein biologischer Hass gegen alles Slawische: »Die Geschichte des 10. Jahrhunderts auf Grundlage deutscher Quellen zu schreiben ist ungefähr so wie eine Geschichte des ›Generalgouvernements‹, gestützt auf die Besatzungszeitung Kurier Warszawski.«42 Wojciechowski sprach sowohl der deutschen Kulturexpansion (»Der deutsche Osten […] war den slawisch-polnischen Landen kulturell nicht voraus«; Deutschland strahlt kulturell nach Polen aus, aber es strahlt, gestützt auf Güter, die es selbst nicht geschaffen, sondern geerbt hat«)43 als auch dem Zustrom deutscher Kolonisten jeglichen Nutzen ab: »Wenn durch die Wanderung eine gewisse Menge deutschen Bluts nach Polen durchdrang, dann in jedem Fall um vieles weniger als die Menge slawischen Blutes, das westlich der Oder blieb oder – in späteren Zeiten – in den ursprünglich kernpolnischen Gebieten an der Oder germanisiert wurde.«, »Aus dem polnischen Blickwinkel waren die späteren Effekte der Kolonisation – vor allem in den alten polnischen Westgebieten – fatal, weil sie anfangs ohne politische Perspektiven durchgeführt und später zu einem rein politischen Instrument wurde, gegenwärtig verkörpert durch die Lieblinge ganz Europas, die so genannten Volksdeutschen«.44

Bei der Bewertung der polnischen Deutschlandpolitik sprach sich Wojciechowski eindeutig für das Programm Roman Dmowskis und gegen Józef Piłsudski aus.45 Die wesentlichste These in Wojciechowskis Buch ist wohl die von der Kontinuität der deutschen Politik gegenüber Polen und Slawen überhaupt, die in zehn Jahrhunderten keine qualitativen Unterschiede gehabt habe: »Das antipolnische Programm Adolf Hitlers ist eine Synthese der Taten aller seiner Vorgänger: von Heinrich II. bis zu Wilhelm II., und vor allem eine vollkommene Synthese der Aktivitäten Brandenburgs und der Kreuzritter.«46 Nach Meinung des Verfassers gibt es nur einen Weg, die unaufhörliche deutsche Expansion aufzuhalten: die enge Zusammenarbeit zwischen den slawischen Staaten Polen, Tschechoslowakei und Sowjetunion: »Anstelle des deutschen Drangs nach Osten setzt eine Epoche des erneuten slawischen Marsches nach Westen ein. Wer dieses Phänomen nicht versteht, begreift nicht die neue Epoche, nimmt nicht den Platz Polens in der das Land umgebenden Wirklichkeit wahr.«47

41 42 43 44 45 46 47

Zygmunt Wojciechowski: Polska – Niemcy. Dziesięć wieków zmagania, Poznań 1945, S. 7. Ebd., S. 22. Ebd., S. 18 f. Ebd., S. 67 u. 70. Ebd., S. 235 f. Ebd., S. 258. Ebd., S. 262.

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Bis zum Ende der 1940er Jahre ist für viele andere vom Westinstitut veröffentlichte Bücher und Artikel im »Przegląd Zachodni« ein antideutscher Chauvinismus charakteristisch, wobei sich fast keine Spuren der neuen, von den Behörden geförderten marxistischen Ideologie finden. Die Autoren der im »Przegląd Zachodni« veröffentlichten Artikel bewerteten alle Persönlichkeiten und historischen Ereignisse positiv, die die »Wiedergewonnenen Gebiete« dem Mutterland näherbrachten, einerlei, ob sie den Kampf masurischer oder schlesischer Bauern gegen die Germanisierung beschrieben oder die Verdienste der schlesischen Herzöge, »der verdientesten Kämpfer um die Bewahrung der politischen Grenzen und um die Bewahrung der Unversehrtheit Niederschlesiens« oder auch Pommerns.48 In der Zeitschrift fanden sich so originelle Thesen wie die von Jan Berger über die Rolle Heinrich von Kleists in der Geschichte der deutschen Kultur: »Kleist bewirkt eine Wende in der deutschen Psyche, ihr Idealismus verwandelt sich in die ursprüngliche, altgermanische Brutalität. Die Geschichte Hitlerdeutschlands weist darauf hin, dass […] Kleist nicht nur in einem Individuum wiedergeboren wurde, sondern auch im Volk.«49 Neben radikalen Äußerungen zur deutschen Frage sind im »Przegląd Zachodni« auch Bemühungen zu sehen, die positive Haltung des Westinstituts gegenüber den politischen Veränderungen in Polen aufzuzeigen. Im Allgemeinen erfüllten die Eingangsartikel von Zygmunt Wojciechowski selbst diese Rolle. So meinte etwa der Direktor des Westinstituts (IZ), die Vereinigung der Polnischen Arbeiterpartei (PPR) und der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) sei »Ausdruck der Konsolidierung jener Kräfte, die die Wiedergewinnung der Grenze Polens an Oder und Neiße und an der langen Ostseeküste ermöglichten und die als Wächter für eine dauerhafte und unverbrüchliche Verbindung dieser Lande mit Polen stehen«.50 Der von Zygmunt Wojciechowski und seinen Mitarbeitern vertretene »Westgedanke« bildete einen spiegelbildlichen Reflex der deutschen Ostforschung und war somit eine nationalistische Interpretation der Geschichte, die in höchstem Maße der Tagespolitik unterworfen war.51 Während der ersten Nachkriegsjahre

48 Krystyna Pieradzka: Historyczny rozwój zachodniej granicy Dolnego Śląska do początku czasów nowożytnych, in: PZ 1948, S. 71; Michał Sczaniecki: Kwestia narodowościowa i wyznaniowa w przeszłości Ziemi Lubuskiej, in: PZ 1948; Zdzisław Kaczmarczyk/Zbyszko Tuchołka/ Stanisława Zajchowska: Ziemia Lubuska organiczną częścią Wielkopolski, in: PZ 1948; Józef Kokot: Wrocław jako centrum Polszczyzny, in: PZ 1948; Kazimierz Ślaski: Dzieje polskości na Pomorzu Zachodnim, in: PZ 1948. 49 Jan Berger: Zwiastun grozy hitlerowskiej Henryk Kleist, in: PZ 1948, S. 420 f. 50 Zygmunt Wojciechowski: Zjednoczenie partyj robotniczych a Ziemie Odzyskane, in: PZ 1948, S. 610. 51 Ein Vergleich von Ost- und Westforschung in: Jan M. Piskorski/Jörg Hackmann/Marek Jaworski (Hg.): »Deutsche Ostforschung« und »polnische Westforschung« im Spannungsfeld von Wissen-

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kam eine derartige Ideologie nicht nur einem relevanten Teil der Gesellschaft entgegen, sondern auch den neuen kommunistischen Herrschern, die den Nationalismus als Legitimationsargument nutzten.52 In der tschechischen Politik und Kultur waren antideutsche Ideen seit dem 19. Jahrhundert mindestens genauso stark vertreten wie in Polen, aber es fehlte dort an charismatischen Vordenkern des »Westgedankens« wie Zygmunt Wojciechowski. Einerseits waren die Erscheinungsformen des Deutschenhasses in der Tschechoslowakei ähnlich. Während der ersten Nachkriegsmonate wurde die öffentliche Debatte von den Aussiedlungen dominiert, die man als Vergeltung für die Besatzung, aber auch als einzig wirksames Mittel zum Schutz der 1938 von ihren deutschen Bürgern so schmählich verratenen Republik betrachtete.53 Die Rolle des Westinstituts in Posen entsprach weitgehend der des Instituts für Internationale Politik (Institut pro mezinárodní politiku) in Prag.54 Schnell fanden sich öffentliche Äußerungen, die den Wert der deutschen Kultur in Frage stellten und ihre Verbindung zum Nationalsozialismus unterstrichen (»Zwischen uns und Mozart oder Beethoven steht der Nazismus«, schrieb bald nach dem Krieg

(Fortsetzung Fußnote 51) schaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, Osnabrück 2002. Scharfen Protest gegen den Vergleich der Ostforschung und der Leistungen der polnischen Historiographie der Westgebiete äußerte kürzlich Zbigniew Mazur in seiner Rezension des erwähnten Buches von Markus Krzoska: Für ein Polen an Oder und Ostsee. Zygmunt Wojciechowski (1900–1955) als Historiker und Publizist, Osnabrück 2003, in: PZ, Nr. 2/2004). Nach Meinung Mazurs ist der von Krzoska verwendete Begriff Westforschung ein »sprachliches Ungeheuer«, während es unzulässig sei, danach zu streben, »die Ostforschung durch die Schaffung eines polnischen Pendants (Westforschung) reinzuwaschen, nach dem Motto: Wir alle waren ein bisschen schuldig und ein bisschen unschuldig, zur Hälfte ›Opfer‹, zur Hälfte ›Täter‹«. Zbigniew Mazurs Vorwürfe gegen Krzoskas Buch sind allerdings unbegründet. Meiner Meinung nach sind die strukturellen Ähnlichkeiten der deutschen und polnischen Veröffentlichungen so deutlich, dass sie die Einführung des Begriffs »Westforschung« in deutschsprachigen Publikationen rechtfertigen. Dass die Anhänger des polnischen integralen Nationalismus nicht mitverantwortlich für die Verbrechen des Nationalsozialismus waren, ändert nichts an der Tatsache, dass ihre Arbeiten mehr mit denen der Ostforschung verbindet, als sie trennt. Etwas ausführlicher hierzu in meiner Rezension von Krzoskas Buch, in: KH, Nr. 1/2005. Krzoska selbst hat der Fragestellung einen eigenen Artikel gewidmet: Markus Krzoska: Deutsche Ostforschung – polnische Westforschung. Prolegomena zu einem Vergleich, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung (im Folgenden ZfO-F), Nr. 3/2003. 52 Eine detaillierte Beschreibung der nationalistischen Strategie während der Nachkriegszeit findet sich in: Marcin Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm. Nacjonalistyczna legitymizacja władzy komunistycznej w Polsce, Warszawa 2001, S. 135–174. 53 Dieter Schallner: Obraz Němců a Německa v letech 1945 a 1947. Vznik soudobého českého stereotypu Němce a Německa, in: Jan Křen/Eva Broklová (Hg.): Obraz Němců, Rakouská a Německá v české společnosti 19. a 20. století, Praha 1998, S. 239. 54 Helmut Elsner: Abteilung für Geschichte der imperialistischen Ostforschung, in: Manfred Hellman (Hg.): Osteuropa, a. a. O., S. 124.

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Ferdinand Beer).55 Politische Führer jeglicher Couleur übertrumpften sich in ihren Forderungen, das Problem der Deutschen radikal zu lösen, wobei sie die Stimmungen in der tschechischen Mehrheit gut erkannten. Den Ton gab Präsident Edvard Beneš an, der in diesem Kontext das außerordentlich drastische Wort »liquidieren« verwendete.56 Auch in tschechoslowakischen Publikationen berief man sich auf »tausendjährige Kämpfe« gegen das Deutschtum, und die Aussiedlungen beschrieb man als »Überwindung der Folgen der Politik der Přemysliden, die die böhmischen Lande mit Hilfe der Deutschen besiedelten.«57 Das Zusammenleben in einem Staat sei wegen der dauerhaften Züge des deutschen Charakters unmöglich: »Jeder Deutsche hat zwei Gesichter. In der Zeit von München war am besten zu sehen, wohin es ihr Herz zieht. Sie waren glücklich, dass sie wieder unter sich sind. Selbst wenn wir den Deutschen jetzt die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft geben, machen wir doch keine Tschechen aus ihnen, denn der Deutsche bleibt immer Deutscher, auch wenn er auf den ersten Blick vorgeben mag, er liebe unsere Republik, dies sei auch sein Vaterland usw.«58

Für die Deutschen als Volk sei ihre Aggressivität bezeichnend; der Nationalsozialismus sei von Anfang an integraler Bestandteil der deutschen Kultur.59 Andererseits gab es zwischen der polnischen und der tschechischen antideutschen Ideologie auch gewichtige Unterschiede. Die Tradition des »Westgedankens« reichte in Polen bis in die Zwischenkriegszeit zurück, als in Posen Mikołaj Rudnicki wirkte und in Thorn sowie Kattowitz Institute gegründet wurden, die sich mit der Geschichte der Westgebiete beschäftigten.60 Zwar lassen sich in früheren Zeiten gewisse Motive finden, die für die spätere Wissenschaft charakteristisch sind, man kann aber kaum von einer einheitlichen Ausrichtung der polnischen Historiographie sprechen. Dagegen gehörte für die Tschechen das »deutsche Problem« zu den Grundlagen ihrer nationalen Ideologie. Um Tschechen zu werden, mussten sich die tschechischen Erwecker zu Beginn des 19. Jahrhunderts in erster

55 Ferdinand Beer: Karanténa pro klasiky německé hudby, in: Svobodný zítřek, Nr. 7/1945, S. 6, zit. nach: Alexej Kusák: Kultura a politika, a. a. O., S. 525. Typische Arbeiten über die Verantwortlichkeit der deutschen Kultur für den Nationalsozialismus sind K. Koch: Pangermanismus, Praha 1946, und Pavel Reiman: O tradicích německého fašismu, in: Sborník pro hospodářské a sociální dějiny, Nr. 1/1946. Zu den Deutschen als Thema der tschechischen Nachkriegshistoriographie Jaroslav Valenta: Historiografia czeska lat 1945–1997 wobec historii ludności niemieckiej ziem czeskich, in: Jerzy Kłoczowski/Witold Matwiejczyk/Eduard Mühle (Hg.): Doświadczenia przeszłości. Niemcy w Europie Środkowo-Wschodniej w historiografii po 1945 roku, Lublin-Marburg 2000. 56 Dieter Schallner: Obraz Němců, S. 237 f. 57 Kommentar aus: Naše doba, Nr. 27/1946, zit. nach: ebd., S. 238. 58 Komentar aus: Kruh, Nr. 16/1946, zit. nach: ebd., S. 242. 59 Ebd., S. 249. 60 Vgl. Gregor Thum: Die fremde Stadt, a. a. O., S. 274.

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Linie von allem Deutschen abgrenzen und sich zum Beispiel bemühen, im gegenseitigen Umgang Tschechisch zu sprechen, auch wenn sie in der Regel besser Deutsch konnten. Weitere Unterschiede ergeben sich aus der Tatsache, dass es in der Tschechoslowakei nicht nötig war, das tschechische Anrecht auf die einst von Deutschen besiedelten Gebiete in besonderer Form zu begründen. Diese Gebiete hatten immer zur böhmischen Krone gehört. Obwohl die ČSR ähnlich wie Polen die östlichen Landesteile an die Sowjetunion verloren hatte, gab es keine Umsiedler aus der Karpatenukraine, mit der die von den Deutschen verlassenen Dörfer und Kleinstädte besiedelt werden konnten. Außerdem sei noch auf einen wesentlichen Unterschied hingewiesen, der besonderen Einfluss auf das Verhältnis der tschechischen Historiker zu den Aussiedlungen hatte. Im Unterschied zur Situation in Polen hatten tschechische Wissenschaftler im Laufe ihres Berufslebens vielfach Gelegenheit, deutsch-böhmischen Historikern zu begegnen, gegen ihre Ansichten zu polemisieren und deutsche Archive und Bibliotheken auf dem Gebiet der ČSR zu nutzen. Die Ausgesiedelten waren für sie nicht nur eine allein in der Architektur und materiellen Kultur fortlebende Erinnerung, anders etwa als für die polnischen Wissenschaftler, die die Universität Breslau wieder ins Leben riefen. Daher auch die zurückhaltenden Reaktionen der tschechischen Historiker, die mit geringerem Enthusiasmus die »Reinigung« des Landes von den Deutschen feierten und manchmal – allerdings immer mit gehöriger Verspätung – gegen die dabei verübten Grausamkeiten protestierten.61 Anders als in Polen waren die Deutschen nach 1945 nicht Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten. Sie tauchten eher als Hintergrund und negativer Bezugspunkt für die Geschichte des tschechischen Volkes auf. Wie Ferdinand Seibt feststellt, war die wissenschaftliche Frage, ob die deutsche Siedlung den Tschechen mehr Nutzen oder Schaden gebracht habe, auf dem Historikerkongress im Jahre 1947 kein Thema. Auch in den Arbeiten der 1950er Jahre traten Deutsche nur vereinzelt auf, im Allgemeinen in Forschungen zu den Anfängen der Arbeiterbewegung in den tschechischen Gebieten. So wurden sie zur großen Unbekannten in der tschechoslowakischen Geschichte, ähnlich wie im gesamten öffentlichen Leben.62 Das Kriegsende und die Vertreibung der Deutschen aus dem Land fiel in der Tschechoslowakei mit der Renaissance eines anderen Schlüsselmotivs für die tschechische und slowakische Nationalkultur zusammen: der slawischen Idee. Zwar findet sich auch in Polen in öffentlichen Äußerungen während der Besatzungszeit

61 Gegen die Grausamkeiten während der Aussiedlungen protestierte z. B. Jaroslav Werstadt, vgl. Josef Hanzal: Cesty, a. a. O., S. 22. 62 Ferdinand Seibt: Die Deutschen in der tschechischen Historiographie 1945–1990, in: Hans Lemberg/Jan Křen/Dušan Kováč (Hg.): Im geteilten Europa. Tschechen, Slowaken und Deutsche und ihre Staaten 1948–1989, München 1992.

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und nach 1945 das Motiv der slawischen Zusammenarbeit (so etwa in der von der Exilregierung verhandelten polnisch-tschechoslowakischen Konföderation), aber doch nicht in einem solchem Maße wie in der ČSR und zumeist nicht mit so authentisch prorussischen Sympathien befrachtet. Dagegen äußerten in der Tschechoslowakei fast alle, unabhängig von ihren politischen Ansichten, prorussische und proslawische Sympathien, angefangen vom Präsidenten Edvard Beneš, der vom »Volksslawentum« sprach, über die Vertreter der demokratischen Parteien bis hin zu den Kommunisten und auch anerkannten Historikern wie dem Initiator der Schule für Slawentumsforschung Josef Macůrek.63 Charakteristisch für die in der öffentlichen tschechischen Meinung weit verbreiteten Anschauungen ist ein Ausschnitt aus dem Eingangsartikel in der ersten Nachkriegsausgabe des »Český Časopis Historický« von Václav Chaloupecký: »Die slawische Idee in ihrem neuen russischen Verständnis gibt uns die Sicherheit, dass unser Vaterland nie wieder Teil Großdeutschlands werden wird und dass wir uns bei all unserem aufrichtigen Europäertum in unserer nationalen Unabhängigkeit verwirklichen können.«64

Eine nicht unbedeutende Rolle unter den slawophilen Kommunisten spielte der Schulminister und spätere erste Präsident der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften (Československá akademie věd) Zdeněk Nejedlý. Der ausgebildete Musikwissenschaftler und Amateurhistoriker verband in seinen Überzeugungen den wiedergeborenen Nationalismus mit dem Kommunismus (er war schon in der Zwischenkriegszeit der Partei beigetreten). Den Krieg verbrachte er in Moskau, wo er zum Vorsitzenden des von den Russen organisierten Forums für slawische Zusammenarbeit des Allslawischen Komitees ernannt wurde. Während der Feierlichkeiten anlässlich seines 70. Geburtstages Anfang 1948 gehörte zu den Festrednern neben tschechischen und ausländischen Politikern auch Jan Gallas, der die Hauptzüge der slawischen Idee in Bezug auf den Lebenslauf des Jubilars gekonnt zusammenfasste: »[Nejedlý] machte sich gleichzeitig bewusst, dass Hauptschöpfer dieser neuen Epoche in der Geschichte der Menschheit die Arbeiterklasse sein werde und dass für ihre Verwirklichung vor allem die slawischen Völker mit den Völkern der Sowjetunion an der Spitze berufen sind.«65

63 Alexej Kusák: Kultura a politika, a. a. O., S. 143–154. Kusák bemerkt z. B., dass in einem der proslawischen Verlage nebeneinander arbeiteten: Milada Horáková, eine Aktivistin der Nationalen Sozialisten, und Ladislav Kopřiva, der zukünftige kommunistische Minister für öffentliche Sicherheit, der 1950 die Entscheidung fällte, das Todesurteil an Horáková zu vollstrecken. 64 Václav Chaloupecký: Pozdrav nové svobodě, in: ČČH 1946, S. 2. 65 Jan Gallas: Zdeněk Nejedlý a SSSR, in: Václav Pekárek (Hg.): O Zdeňku Nejedlém. Stati a projevy k jeho sedmdesátinám, Praha 1948, S. 76.

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Wie bereits erwähnt, äußerte man nicht nur im kommunistischen Lager Sympathie für »die slawischen Völker mit den Völkern der Sowjetunion an der Spitze«. In dieser Hinsicht lohnt es sich, die wenige Monate vor der kommunistischen Machtübernahme veröffentlichte Synthese der tschechoslowakischen Geschichte anzuschauen, die Ladislav Hosák geschrieben hatte, ein mährischer Wissenschaftler, der nach 1945 an der neugeschaffenen Universität Olmütz lehrte.66 Das Werk ist durchaus typisch für die Auffassung der Zwischenkriegszeit: Der Verfasser konzentriert sich auf die tschechische Nationalgeschichte. Zwar finden sich im Text nationalistische Züge, aber im Allgemeinen verzichtet der Autor auf anachronistische Bewertungen. Nichtsdestoweniger wird das Wirken der Hussiten beschrieben als »Reinigung des Landes von den Feinden des Kelches und der tschechischen Sprache«, und das seinem Wesen nach auf demokratische Weise.67 Für wesentlich hält Hosák die Tatsache, dass das Tschechische während des 15. Jahrhunderts teilweise die Sprache der Diplomatie in Polen, in Litauen und – was er besonders betont – in Ungarn war: »Sogar der ungarische Nationalkönig Matthias Corvinus verfasste viele Briefe auf Tschechisch, aber nicht einen einzigen auf Ungarisch.«68Lajos Kossuth wird hier als entnationalisierter Slowake beschrieben.69 Nationalistische Akzente gewinnen immer mehr an Kraft, je mehr er sich der neuesten Zeit nähert. Der Versuch, böhmische Abgeordnete 1848 ins deutsche Parlament einzugliedern, bildet für Hosák eine wichtige Zäsur: »Seit den Frankfurter Wahlen beschritt die Politik der deutschen Minderheit den Weg der Feindschaft gegen alles Tschechische, einen Weg, der zu den separatistischen Versuchen führte, eine eigenständige Provinz Deutsch-Böhmen zu schaffen, zu München, zum Zweiten Weltkrieg und schließlich zur Aussiedlung der deutschen Minderheit aus den tschechischen Landen, weil ihr ›Frankfurter‹ Programm die Existenz des tschechoslowakischen Staates bedrohte.«70

Ähnlich eindeutig bewertete Hosák die neuen slawophilen Tendenzen in der tschechischen Kultur und Politik nach 1945. Im letzten Satz des Buches heißt es: »In der Kultur- und Außenpolitik hat eine slawische Orientierung eingesetzt, und die Freundschaft zum slawischen Russland gibt unserem Land Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.«71 Schwieriger war die Verwendung slawischer Motive in der Slowakei, die ja noch vor Kurzem im Kriegszustand mit der Sowjetunion gewesen war, sodass die Stimmung in der Gesellschaft Politiker und Kulturschaffende nicht dazu

66 67 68 69 70 71

Ladislav Hosák: Nové československé dějiny, Praha 1947. Ebd., S. 146 u. 172. Ebd., S. 183. Ebd., S. 421 Ebd., S. 415. Ebd., S. 560.

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ermutigte, so eindeutige prosowjetische Erklärungen abzugeben wie im tschechischen Gebiet. Paradoxerweise griff gerade die größte slowakische Kultur- und Wissenschaftseinrichtung, die Matica Slovenská, auf das Argument der slawischen Gemeinschaft zurück, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie die Erinnerung an Aktivitäten vor dem Krieg und während des Kriegs verwischen wollte. Das Kriegsende begrüßte die Institution im August 1945 mit der Erklärung, dass die Idee der slawischen Gegenseitigkeit, die sich bislang auf die Sphäre der Psychologie und der politischen Theorie beschränkt habe, endlich der Verwirklichung entgegenschreite, woran die Matica wie auch das gesamte slowakische Volk den größten Anteil zu haben wünsche.72 Ein Delegierter der Matica Slovenská nahm 1946 am Allslawischen Kongress in Belgrad teil, und die Führung dachte an die Schaffung eines Instituts für Slawenkunde in Turčianský Svätý Martin. Die Matica erklärte offiziell ihr Interesse an der marxistischen Methodologie, und zu ihrem neuen Präsidenten wurde der kommunistische Dichter Ladislav Novomeský gewählt.73 Vervollständigt wurde die positive Konnotation des Slawentums in den tschechischen Gebieten durch die Furcht vor den Deutschen. Die Slowaken hatten nicht allzu viel Veranlassung, um die Nachkriegsordnung wie Ladislav Hosák mit der vieljährigen deutschen Bedrohung zu legitimieren. Viel realer war ein anderer »traditioneller« Feind. In der 1946 veröffentlichten Geschichte der Slowakei von František Bokes, der wie Hosák ein gemäßigter Historiker und tschechoslowakischer Patriot war, findet sich ein Passus, der die deutsche, die slawische und die ungarische Frage verbindet: »Das zukünftige Schicksal der Slowaken«, schreibt Bokes, »wird bedingt sein von der Lage der Slowakei im Rahmen der Tschechoslowakei, in der Nachbarschaft Polens und der UdSSR. Sie werden eine Bastion der Slawen sein, so wie einst in der Frühzeit ihrer Geschichte, und darauf achten, dass sich das germanische Meer nicht in das ungarische Meer ergießt und Europa und die Welt mit einer neuen Kriegskatastrophe bedroht.«74

In den ersten Nachkriegsjahren fand der Deutschenhass polnischer und tschechischer Publizisten und Historiker eine ungewöhnlich interessante Entsprechung in Deutschland selbst, wo man über die tieferen Ursachen des Nationalsozialismus reflektierte. Viele deutsche Autoren neigten dazu, die Gründe dort zu suchen, wo sie auch ihre Kollegen am Westinstitut sahen: in der deutschen Kultur und Geschichte. Autoren wie Fritz Helling, Fritz Harzendorf oder Ernst Niekisch

72 Vgl. Tomáš Winkler: Matica slovenská v rokoch 1945–1954. Z problémov a dokumentov ústredia MS, Martin 1971, S. 19. 73 Vgl. Ebd., S. 20–25. 74 František Bokes: Dejiny Slovenska a Slovákov od najstarších čias po oslobodenie, Bratislava 1946, S. 13.

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suchten nach den Anfängen des deutschen Irrweges, sei es im Massaker Karls des Großen an den Sachsen, in der Expansion des Deutschen Ordens oder schließlich in der deutschen Reformation und in der Gestalt Martin Luthers.75 Weit verbreitet war Friedrich Meineckes These von der preußischen Tradition, die dem Nationalsozialismus zugrunde liege, auch wenn gegen diese Interpretation gewichtiger Widerspruch von Gerhard Ritter kam, der im deutschen Faschismus eine Abkehr von der Tradition und deren Verneinung sah, nicht etwa ihre Fortsetzung und Konsequenz. Seiner Meinung nach waren weder Luther noch Preußen und noch weniger das mittelalterliche Deutschland für den Nationalsozialismus verantwortlich, der eher aus dem Erbe der Französischen Revolution schöpfe, aus den seinerzeit eingeleiteten Demokratisierungsprozessen, der Säkularisierung und dem Verfall der moralischen Normen in der Gesellschaft.76 Ritters Deutschland und Europa wurde in der sowjetischen Besatzungszone nicht gut aufgenommen. Hier war ein überkritisches Bild der deutschen Vergangenheit verbindlich. Aktiv an dessen Schaffung beteiligt waren die Führer der kommunistischen Partei, die bei öffentlichen Auftritten die von den Deutschen während des Krieges insbesondere in der Sowjetunion begangenen Grausamkeiten schilderten. Die Anprangerung der deutschen Verfehlungen nahm manchmal geradezu parodistische Formen an, so etwa in den Reden Wilhelm Piecks, der nicht nur genau aufzählte, wie viele Schulen, Fabriken, Häuser, Kolchosen und Sowchosen die nationalsozialistischen Okkupanten zerstört hatten, sondern auch wie viele Rinder, Schweine und Hühner sie nach Deutschland verschleppt oder gegessen hatten.77 Die Ursachen für die Katastrophe des Krieges sah man in der

75 Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1993, S. 48 f. 76 Bernd Faulenbach: Die deutsche Geschichtsschreibung nach der Diktatur Hitlers, in: Gustavo Corni/Martin Sabrow: Die Mauern der Geschichte. Historiographie in Europa zwischen Diktatur und Demokratie, Leipzig 1996, S. 45–49. 77 »Die Pflicht zur Wiedergutmachung und zum Ersatz der den anderen Völkern zugefügten Schäden steht als eine sehr ernste Aufgabe vor unserem Volke. Wir bekommen einen Begriff von dem Umfang dieses Schadens, der besonders dem Sowjetvolk von der Hitlerarmee zugefügt wurde, aus dem jetzt veröffentlichten Bericht der Außerordentlichen Staatlichen Kommission zur Feststellung und Untersuchung der Schandtaten der faschistischen deutschen Landräuber über den materiellen Schaden, der den Bürgern, staatlichen Betrieben, Kollektivwirtschaften, öffentlichen Organisationen und Institutionen der Sowjetunion zugefügt wurde. Ich will nur einige Zahlen aus diesem Bericht hervorheben. Es wurden von der Hitlerarmee 1710 Städte und 70000 Dörfer, über 6 Millionen Gebäude zerstört oder niedergebrannt […] 98000 Kollektivwirtschaften, 1876 Sowjetgüter und 2890 Maschinen- und Traktorenstationen wurden ruiniert und ausgeplündert. Abgeschlachtet oder nach Deutschland verschleppt wurden 7 Millionen Pferde, 17 Millionen Rinder, 20 Millionen Schweine, 27 Millionen Schafe und Ziegen und 110 Millionen Stück Geflügel« – Die demokratische Bodenreform. Deutsche Aufbausproblem. Die Kraft der demokratischen Einheit (Rede in Berlin, 19.9.1945), in: Wilhelm Pieck: Reden und Aufsätze. Auswahl aus den Jahren 1908–1950, Bd. 2, Berlin 1950, S. 15 f.

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Nationalgeschichte, vor allem im preußischen Erbe. Um die Spuren des Preußentums zu beseitigen, versuchten die deutschen Kommunisten schon 1945, Schloss Sanssouci in die Luft zu jagen, was jedoch die Rote Armee nicht zuließ.78 Die Aufforderung, die Gründe für den Nationalsozialismus in der Geschichte Deutschlands zu suchen, fand sich 1946 in den ersten Lehrplänen für Grund- und Mittelschulen in der sowjetischen Zone.79 Ein Jahr später erschien in Berlin ein Buch, das versuchte, die nationale Tradition gerade hinsichtlich der Ursachen für den Nationalsozialismus neu zu interpretieren. Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte von Alexander Abusch, einem Kommunisten und ehemaligen Redakteur der »Roten Fahne«, war der erste komplexe Versuch, das Thema aus dem Blickwinkel der ostdeutschen Eliten zu bearbeiten.80 Das Buch war während des Krieges im mexikanischen Exil entstanden und dort 1945 (auf Deutsch) zum ersten Mal veröffentlicht worden. Abusch beginnt seine Suche nach dem Wendepunkt, an dem Deutschland den falschen Weg eingeschlagen habe, mit dem Staat der Franken und dem Feudalisierungsprozess, bei dem sich die Herzöge, Grafen und Bischöfe das Kleinrittertum und die Bauern unterordneten.81 Das fortschrittliche Element habe sich in Gestalt der Bauern am Klarsten während der Bauernkriege und in der Person Thomas Müntzers zu Wort gemeldet. Die revolutionäre Bewegung sei an der verräterischen und reaktionären Haltung Martin Luthers gescheitert, des Verbündeten der Fürsten. »Der Untergang der deutschen Freiheit während der Bauernkriege«, schreibt Abusch, »wurde zum sozialen und nationalen Unglück für Deutschland; für drei Jahrhunderte bedeckte das Dunkel der Reaktion die deutsche Geschichte.«82 Charakteristisch für diese Zeit sei der reaktionäre und verbrecherische Drang nach Osten gewesen, der sich gegen die Polen gerichtet habe. Lichtblicke seien dagegen die Befreiungskriege gewesen (vor allem wegen der deutsch-russischen Zusammenarbeit; nach Abusch waren während der Napoleonischen Kriege so wie 130 Jahre später in Russland und in Deutschland patriotische Organisationen entstanden).83 Ein weiterer Versuch, sich von der Reaktion loszureißen, sei die Revolution von 1848 gewesen, die genauso unvollendet geblieben sei wie die revolutionären Bauernkriege und der Versuch einer proletarischen Revolution im November 1918. 78 Jan Herman Brinks: Die DDR-Geschichtswissenschaft auf dem Weg zur deutschen Einheit. Luther, Friedrich II. und Bismarck als Paradigmen politischen Wandels, Frankfurt/M./New York 1992, S. 93. 79 Ebd., S. 94. 80 Alexander Abusch: Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin 1951. 81 Ebd., S. 15. 82 Ebd., S. 27. 83 Ebd., S. 67.

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»Dreihundert Jahre nach der Schaffung des brandenburgisch-preußischen Staates und fünfzig Jahre nach der Entstehung der deutschen Industriemonopole entschieden sich die Industriemagnaten und Junker, die Vertretung ihrer imperialistischen Interessen in die Hände eines Gangsters und einer von ihm geleiteten verbrecherischen Organisation abzugeben.«84

Zum Abschluss dieses Katalogs nationaler Katastrophen fasst Abusch zusammen: »Die Geschichte des deutschen Volkes ist die Geschichte eines Volkes, dessen Fortschritt durch Gewalt gebremst wurde.«85 Der polnische »Westgedanke«, die tschechische und slowakische »slawische Idee« und die deutsche Theorie vom »Irrweg der Nation« (die später von Kritikern als Miseretheorie bezeichnet wurde) prägten die ersten Nachkriegsjahre. In Polen und der Tschechoslowakei waren antideutsche und antiungarische Publikationen von Historikern und historiographischen Publizisten schlichtweg ein Reflex auf die Besatzungszeit, der recht geschickt von den kommunistischen Parteien ausgenutzt wurde. Sowohl die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa, KSČ) und die Kommunistische Partei der Slowakei (Komunistická Strana Slovenska, KSS) als auch die Polnische Arbeiterpartei (Polska Partia Robotnicza, PPR) brachen mit der kommunistischen Geschichtspolitik der 1920er und 1930er Jahre, als man die nationalen Traditionen kritisiert und in Frage gestellt hatte. An die Stelle der alten Politik trat die Zusammenarbeit mit Vertretern »bürgerlicher« politischer Strömungen: in der Tschechoslowakei mit Anhängern von Präsident Beneš und in Polen – unter etwas anderen Bedingungen und weniger spektakulär – mit Angehörigen der konservativen Nationaldemokratie (Endecja). Zugleich brachten die Jahre von 1945 bis 1948 in Polen eine blutige Auseinandersetzung mit dem nichtkommunistischen Untergrund, Schauprozesse und politische Morde, ein gefälschtes Referendum und gefälschte Wahlen sowie schließlich die Flucht Mikołajczyks und die Auflösung der letzten legalen Oppositionsgruppe. Im Juli 1946 wurde (gegen den Protest Stanisław Mikołajczyks) das Hauptamt für die Kontrolle von Presse, Publikationen und Schauspielen ins Leben gerufen (Główny Urząd Kontroli Prasy, Publikacji i Widowisk). Dies war nur eine juristische Bestätigung des faktischen Zustands, der übrigens im Widerspruch zur Märzverfassung stand, auf die sich die polnischen Kommunisten beriefen. Die Zensur war tatsächlich schon 1944 in den Strukturen des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN) wirksam.86 Mehr noch: Die Behörden revidierten 1947 die Lehr- und Lesebücher für 84 Ebd., S. 187. 85 Ebd., S. 232. 86 Aleksander Pawlicki: Kompletna szarość. Cenzura w latach 1965–1972. Instytucja i ludzie, Warszawa 2001, S. 30–34.

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die Schulen, 20.000 Lehrer durchliefen während der Ferien ideologische Kurse, und aus der Verwaltung der dem Bildungsministerium unterstehenden Einrichtungen wurden Anhänger der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) massenhaft entlassen.87 Unter den zu langjährigen Haftstrafen Verurteilten waren auch Historiker wie Karol Buczek (1902–1983, inhaftiert von 1946 bis 1954, Mitglied der PSL) oder Wacław Felczak (1916–1993, inhaftiert von 1948 bis 1956, der einen geheimen Transportpfad nach Ungarn geschaffen hatte).88 In der Slowakei scheiterte nach den Wahlen von 1946, bei denen die Kommunisten gegen die Demokratische Partei (Demokratická strana) verloren hatten, der Versuch, die Macht zu übernehmen.89 Die letzte Auseinandersetzung mit den nichtkommunistischen Parteien fand in der Tschechoslowakei allerdings erst 1948 nach dem »siegreichen Februar« statt. Sowohl in Polen als auch in der Tschechoslowakei und der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands »verschwanden« die politischen Gegner, und die Kommunisten besetzten die Schlüsselressorts. Um 1948 setzte in allen Ländern des östlichen Blocks eine Wende in Richtung »Stalinisierung« ein, deren Symbole in Polen der Kampf gegen die »rechts-nationalen Abweichler«, in der Tschechoslowakei der politische Umbruch und in der sowjetischen Besatzungszone 1949 schließlich die Gründung der DDR waren. Die Ausnutzung der nationalistischen Ideologie und der einheimischen Nationalisten zur Legitimierung der neuen Herrschaft bedeutete keineswegs eine Aufteilung der Macht im Staate. Sie waren lediglich ein Instrument, und schon wenige Jahre später unternahmen die herrschenden Kommunisten den Versuch, die Sprache der politischen Propaganda zu verändern. Ein Anzeichen für diesen Wandel war die Revision der bisherigen »politischen Geschichte«, insbesondere in Hinblick auf das deutsche Problem. Im Juli 1950 fand in Breslau eine »interdisziplinäre Konferenz« über das Verhältnis der polnischen Geschichtswissenschaft zu dieser Frage statt. Zygmunt Wojciechowski saß im Präsidium, neben Stanisław Arnold (1895–1973), dem Leiter der Abteilung für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Historische Geographie an der Universität Warschau und seit Ende der 1940er Jahre Professor für Geschichte Polens am Institut für die Ausbildung Wissenschaftlicher Kader. Arnold definierte die Aufga-

87 Andrzej Paczkowski: Pół wieku dziejów Polski 1939–1989, Warszawa 1996, S. 282. 88 Ausführliche Informationen zu Felczaks Schicksal im Krieg und danach in: Wojciech Frazik: Kamień rzucony na szaniec. Wacław Felczak 1916–1993 in: Antoni Cetnarowicz/Csaba Gyula Kiss/István Kovács (Hg.): Węgry – Polska w Europie Środkowej. Historia – literatura. Księga pamiątkowa ku czci Profesora Wacława Felczaka, Kraków 1997. Vgl. auch: Elżbieta Orman: Wacław Felczak (1916–1993), in: Julian Dybiec (Hg.): Uniwersytet Jagielloński – złota księga Wydziału Historycznego, Kraków 2000, S. 519 f. sowie Felczaks Nachruf von Michał Pułaski, in: KH 1994. 89 Jiří Kocian: Národní socialisté a slovenská otázka 1945–1948, in: Michal Barnovský (Hg.): Od diktatúry, S. 62.

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be der Konferenzteilnehmer folgendermaßen: »Wir meinen, dass man mit diesem Problem am leichtesten die Rückständigkeit der älteren Forschungsmethoden, der älteren Ideologie zeigen kann, die wir heute der Kritik unterwerfen möchten, um so entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.«90 Die nächste Rednerin, Professorin Ewa Maleczyńska (1900–1972), die ebenfalls Parteimitglied war, hielt ein ungewöhnlich kritisches Referat über die Errungenschaften der polnischen Historiographie in diesem Bereich. Demnach hätten die polnischen Historiker in der Zwischenkriegszeit die Denkweise ihrer deutschen Kollegen übernommen und »weiter dem deutschen Nationalismus den polnischen Nationalismus gegenübergestellt, dem deutschen Rassismus […] den polnischen Rassismus […] Wir müssen feststellen«, richtete sie sich an die Adresse Wojciechowskis, »dass sich zu Beginn der neuen Wirklichkeit […] die nationalistische Haltung sogar noch verstärkt hat.«91 Dann analysierte sie seine Publikation Polska – Niemcy. Dziesięć wieków zmagania, um festzustellen: »Wer nach meiner Meinung die Veränderungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt haben, so versteht, dass vorher sie uns …, aber jetzt wir sie …, wer nur einen Wechsel vom deutschen Drang nach Osten zum slawischen Drang nach Westen sieht, der versteht eben überhaupt nicht den Sinn der letzten Ereignisse.«92

Anscheinend wurde die Kritik richtig verstanden. Schon in der nächsten Ausgabe des »Przegląd Zachodni«, die der Universität Breslau anlässlich des fünften Jahrestages ihrer Gründung gewidmet war, fand sich Zdzisław Grots Artikel Tradycje rewolucyjne narodu niemieckiego [Die revolutionären Traditionen des deutschen Volkes]. Der Autor beschrieb ausführlich eine ganze Reihe fortschrittlicher Helden der deutschen Geschichte, von Thomas Müntzer bis Rosa Luxemburg.93 Selbst Wojciechowski formulierte 1952 in der Zeitschrift seine Interpretation der deutsch-polnischen Beziehungen um: »allzu vorschnell wurde manchmal das Wort ›deutsch‹ zur Hervorhebung einer Tendenz benutzt, die ihrem Wesen nach partikulare Quellen hatten. […] Man muss also noch einmal genau seine Aufmerksamkeit darauf richten, was Ausdruck der Interessen der Feudalschicht und später der kapitalistischen Schicht ist und was man nicht als Ausdruck der Bestrebungen der gesamten deutschen Gesellschaft betrachten darf.«94

90 Stanisław Arnold: Zagajenie obrad, in: Historiografia polska wobec problemu polsko – niemieckiego. Referaty i dyskusja na konferencji międzyśrodowiskowej we Wrocławiu 6 lipca 1950, Wrocław 1951, S. 2. 91 Ewa Maleczyńska: Problem polsko-niemiecki w dotychczasowej historiografii polskiej, ebd., S. 9, 13. 92 Ebd., S. 15. 93 Zdzisław Grot: Tradycje rewolucyjne narodu niemieckiego, in: PZ 1950. 94 Zygmunt Wojciechowski: Na nowym etapie, in: PZ 1952, S. 491.

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Den bisherigen programmatischen Deutschenhass ersetzte in den Ausführungen des Institutsleiters unversöhnliche Kritik an der Politik Bundeskanzler Konrad Adenauers und des westdeutschen Militarismus.95 Ein festes Element blieb es aber, das Polentum der Westgebiete mit Treueerklärungen an die Volksregierung zu verbinden. Dieser besondere Stil ist besonders deutlich im Nachruf auf Josef Stalin im »Przegląd Zachodni« zu bemerken: »Die Direktion und die Angestellten des Westinstituts, einer Einrichtung, die sich mit den Westgebieten Polens beschäftigt, vereinigt sich im Bewusstsein um die historischen Verdienste Josef Stalins für die Rückkehr dieser Gebiete zum Mutterland mit dem sowjetischen Volk und der gesamten fortschrittlichen Menschheit in tiefem Schmerz und tiefer Trauer nach dem Ableben Josef Stalins, des Erneuerers Polens an Oder und Ostsee.«96

Aus Sicht der Leitung des Westinstituts war die Kritik an den nationalistischen Tendenzen in den Posener Veröffentlichungen weit weniger gefährlich als die Einschränkung seiner Aufgabenbereiche, die mit der Zentralisierung der polnischen Wissenschaft einherging. Schon 1949 hatte man dem Institut seinen Besitz in Jeziorki entzogen. Dann verlor es seine Filialen in Breslau, Thorn, Allenstein und Krakau. In Posen selbst wurden die Sektion für die Geschichte Pommerns und des Westslawentums sowie die Sektion für die Geschichte Deutschlands geschlossen. Man nahm dem Institut die Redaktion des Słownik starożytności słowiańskich [Wörterbuch der slawischen Altertümer] und kürzte einen Teil des Budgets. Diese Kürzungen betrafen zugleich die übrigen wissenschaftlichen Institute außerhalb Warschaus, denen man insbesondere Forschungsmöglichkeiten zu den polnisch-deutschen und den polnisch-tschechoslowakischen Beziehungen entzog, mit denen sich jetzt das 1948 gegründete Polnische Institut für Internationale Fragen [Polski Instytut Spraw Międzynarodowych] beschäftigen sollte. Ähnliche Veränderungen fanden auch in der Tschechoslowakei statt, nur dadurch gemildert, dass es dort an Menschen und Einrichtungen fehlte, die – wie Zygmunt Wojciechowski und das Westinstitut – Symbole für eine antideutsche Geschichtsinterpretation hätten werden können. Nichtsdestotrotz kam es auch hier zu Veränderungen, und als Gelegenheit zur Umwertung der Beziehungen zu Deutschland erwies sich der 100. Jahrestag des Völkerfrühlings. Symbolische Bedeutung hatte das zwei Jahre später veröffentlichte Buch Němci a česká revoluce 1848 [Die Deutschen und die tschechische Revolution 1848] von Karel Kreibich, der übrigens ein »positiv überprüftes« deutsches Mitglied der KSČ war.97 Parallel dazu wurde ab 1949 in der Tschechoslowakei die antiungarische Propaganda ein-

95 Ders. Jedność ziem nad Wisłą i Odrą, in: PZ 1952, S. 10. 96 Der Nachruf wurde von Wojciechowski und dem Vizedirektor des Instituts Michał Pollak unterschrieben, in: PZ 1953, S. 5. 97 Karel Kreibich: Němci a česká revoluce 1848, Brno 1950.

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gestellt.98 Die Unterscheidung zwischen guten Deutschen – vor allem Marx und Engels selbst – und den bösen Junkern, Industriellen und anderen Reaktionären blieb in der tschechoslowakischen Historiographie bis zur Samtenen Revolution verbindlich.99 In Ostdeutschland wurde die »antideutsche« Miseretheorie höchst offiziell verworfen: Die Entscheidung fiel im Oktober 1951 im Politbüro (man verkündete, dass die falsche Theorie »besiegt« worden sei).100 Schon früher hatte man damit begonnen, nach positiven Bezugspunkten in der Geschichte Deutschlands zu suchen. Auch wenn der erste offiziell in der Sowjetischen Besatzungszone begangene Staatsfeiertag nicht an nationale Traditionen anknüpfte, sondern an die Traditionen der kommunistischen Bewegung (die so genannten LLL-Feiern zur Erinnerung an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Vladimir Il’ić Lenin 1948), hatten die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Revolution von 1848, das Goethejahr (1949), das Bachjahr (1950) und das Beethovenjahr (1952) schon nationalen Charakter.101 Der Lehrplan für Geschichte änderte sich seit 1951. Damals erschien auch der Text Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung des prominenten marxistischen Historikers Leo Stern, in dem zu den Aufgaben der historischen Wissenschaften gezählt wird: »aufzuzeigen, dass die Geschichte Deutschlands reich ist an großen und schönen Beispielen von Mut, Heldentum, Patriotismus und Hingabe an die große Sache, an das deutsche Volk«.102 1952 erschien ein Buch von Fritz Lange, in dem er unmittelbar Abuschs Thesen angriff und feststellte, dass die Miseretheorie, also die These vom Irrweg der Nation, es nicht erlaube, aus den fortschrittlichen Traditionen des deutschen Volkes zu schöpfen.103 Interessanterweise durchzog diese Kritik parallel, allerdings ohne Intervention der Herrschenden, auch die Arbeiten vieler westdeutscher Historiker.104 98 Zdeněk Jirásek/Andrzej Małkiewicz: Polska i Czechosłowacja w dobie stalinizmu (1948–1956). Studium porównawcze, Warszawa 2005, S. 326. 99 Ferdinand Seibt: Die Deutschen in der tschechischen Historiographie 1945–1990, in: Hans Lemberg/Jan Křen/Dušan Kováč: Im geteilten Europa, a. a. O., S. 251–253. 100 Ilko-Sascha Kowalczuk: Die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus in der Geschichtswissenschaft der DDR, in: Martin Sabrow/Peter Th. Walther (Hg.): Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995, S. 50 f. 101 Agnes Blänsdorf: Die deutsche Geschichte in der Sicht der DDR. Ein Vergleich mit der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich seit 1945, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1988/89, S. 269; Jan Herman Brinks: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 109. 102 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luter-Universität Halle-Wittenberg. Gesellschafts- und sprachwissenschafliche Reihe 1/3, S. 1–17, zit. nach: Jan Herman Brinks: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 122. 103 Fritz Lange: Die Volkserhebung von 1813, drei Aufsätze über die Notwendigkeit aus der eigenen Geschichte zu lernen, Berlin 1952, S. 7. 104 Winfried Schulze: German Historiography from the 1930s to the 1950s, in: Hartmut Lehmann/ James van Horn Melton (Hg.): Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994, S. 31.

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Die aus den Zerstörungen des Krieges neu erstehende Historiographie der Länder Ostmitteleuropas beschäftigte sich wieder mit einer Vielzahl von Themen und historischen Debatten, um etwa an den Streit über die richtige politische Orientierung der Rzeczpospolita (»piastisch« oder jagiellonisch«)105 oder auch an die Probleme des tschechisch-slowakischen Zusammenlebens zu erinnern. Die Anwendung marxistischer Forschungsmethoden in der Geschichtswissenschaft war noch kein Thema, das die Historiker berührte.106 Mit den erwähnten Problemen – der Rolle der Deutschen und Ungarn sowie der slawischen Zusammenarbeit – erschöpfte sich allerdings der Inhalt der Nachkriegsdiskussionen nicht. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass sich die Historiographie gerade in diesen Punkten entschieden der Nachkriegspolitik der kommunistischen Parteien annäherte, die sich in Polen und der Tschechoslowakei reichlich aus dem Schatzkästchen nationaler Symbole bedienten und das deutsche (oder ungarische) Schreckgespenst als ein Mittel zur Legitimierung ihrer bereits bestehenden oder näherrückenden Regime nutzten. Besonders in Polen spielte die deutsche Frage gemeinsam mit der Problematik der »Wiedergewonnenen Gebiete« eine wichtige Rolle bei der Annäherung der Historiker und der Regierungspartei. Ein Teil der Historikerschaft, die unmittelbar nach dem Krieg ihre unpolitische Haltung und ihren Rückgriff auf das Ethos des unparteiischen Wissenschaftlers erklärt hatte, zeigte sich geneigt, im Einklang mit den aktuellen propagandistischen Bedürfnissen der Herrschenden an der Gestaltung einer neuen historischen Sichtweise mitzuwirken. In den tschechischen Gebieten war diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Kommunisten ein allgemein verbreitetes Phänomen: Es betraf mehr oder weniger alle gesellschaftlichen Gruppen. Anders verhielt es sich in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Hier waren die ersten Versuche der deutschen Kommunisten, die Nationalgeschichte neu zu interpretieren, durch die kritische Suche nach den Vorläufern Hitlers in Preußen, in Luther oder auch bei den Kreuzrittern gekennzeichnet. Die SED baute ihre Herrschaftslegitimation anders als die PPR, KSČ und KSS auf. Wie Agnes Blänsdorf feststellt, begründete die Anerkennung der gesamtdeutschen Schuld die Radikalität der Veränderungen und die Abgrenzung der neuen Ordnung von den deutschen Traditionen. Außerdem eignete sich dieses Argument gut dafür, zu erklären, warum man für das an der Sowjetunion begangene Unrecht bezahlen musste, und zwar in Form von Reparationen, Abtransport von Industrieanlagen und anderen Gütern.107

105 Die Polemiken wurden erschöpfend beschrieben in: Rafał Stobiecki: Historia, S. 67–74, und auch in: Stanisław T. Bębenek: Myślenie o przeszłości, Warszawa 1981. 106 Jiří Vykoukal: Kdo ovládá minulost, ovládá i přítomnost? (Metodologické spory v polské historiografii let 1945–1948), in: Jiří Peśek/Oldřich Tůma (Hg.): O dějinách a politice. Janu Křenovi k sedmdesátinám, Ústí nad Labem 2001, S. 143–145. 107 Agnes Blänsdorf: Die deutsche Geschichte, S. 266.

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Dieses Problem sollte auch vor dem Hintergrund der nach 1989 in Polen geführten Diskussion über die Haltung der Intellektuellen zum Kommunismus betrachtet werden. Beide Seiten, sowohl die »Lustratoren« der polnischen Intelligenz als auch die Verteidiger der »engagierten Intellektuellen«, konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf Menschen, die sich für den Aufbau des kommunistischen Systems im Lande engagierten, wobei für beide Seiten diejenigen Personen am interessantesten waren, die wie Leszek Kołakowski eine Evolution vom »Janitscharen des Systems« über den Revisionismus zur Ablehnung und Anprangerung jeglichen Totalitarismus durchlebt hatten und im Verlauf dieser Entwicklungen zu Persönlichkeiten mit Wiedererkennungswert und Bedeutung für die polnische Kultur und Politik geworden waren. War aber diese Haltung in den intellektuellen Kreisen nach 1945 dominierend oder zumindest wichtig? Und spielte sie eine wichtige Rolle im Historikermilieu? Eher nein. Wenn man nach typischen Haltungen suchen will, sollte man sich eher auf all jene konzentrieren, die einen Modus Vivendi mit dem Kommunismus fanden und ihren methodologisch konservativen Arbeiten angepasste Vor- und Nachworte hinzufügten. Die nationalistische Welle bei den polnischen und tschechoslowakischen Veröffentlichungen ist vor diesem Hintergrund ein interessantes Phänomen. Autoren, denen man schwerlich Sympathie für den Kommunismus nachsagen konnte, schlossen ein mehr oder weniger formelles Bündnis mit der kommunistischen Herrschaft und wurden so chronologisch zu den ersten Mitläufern des Systems, zu »engagierten Intellektuellen«. Auch hier können als geeignete Beispiele die Nachkriegsveröffentlichungen von Zygmunt Wojciechowski, aber auch von Ladislav Hosák und František Bokes dienen, in denen antideutsche, antiungarische und slawophile Züge mit der damaligen Politik der kommunistischen Parteien zusammenspielen, während sie – im Falle der beiden letzteren Autoren – von einer traditionellen, liberalen Geschichtsinterpretation begleitet werden. Die Erfahrung einer gemeinsamen Haltung von nationalistisch geprägten Historikern und Kommunisten, die sich desselben Instrumentariums bedienten, erleichterte der Regierung später die Durchführung ihrer Wissenschaftspolitik, insbesondere dort, wo es nicht zu großen personellen Veränderungen kommen sollte. Dies war sozusagen das Feld, auf dem der erste Versuch der Nachkriegszeit unternommen wurde, ein homogenes Geschichtsbild im Einklang mit den Richtlinien der kommunistischen Parteiführung zu schaffen. Der Kontext der mitteleuropäischen Nachkriegshistoriographie beschränkte sich aber nicht nur auf politische Ereignisse, die allmähliche oder abrupte Machtübernahme durch die kommunistischen Parteien und deren Verhältnis zu den unterschiedlichsten Nationalisten. Die ständig wiederholten Beschuldigungen gegen die westdeutschen Revanchisten waren ja nicht völlig haltlos, und das Kalkül der slawischen Zusammenarbeit und des Schutzes der Westgrenze im Verbund mit der Sowjetunion fand seine Begründung in verschiedenen Aspekten der westdeutschen

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Wissenschaft und des dortigen öffentlichen Lebens. Unmittelbar nach Kriegsende erkannte keine deutsche Gruppe von Bedeutung die Grenze an Oder und Neiße an, auch nicht die Kommunisten.108 In Westdeutschland entstand erneut ein Netz von Einrichtungen der Ostforschung, das die Arbeit der Vorkriegszeit im Einklang mit Hermann Aubins Erklärung auf dem Deutschen Historikertag in München 1949 fortsetzte: »Wir brauchen uns nicht umzustellen. Im Weiteren geht es natürlich wie immer um die reine Wahrheit.«109 Die Ostforschung musste jetzt auch historische Argumente für die Rückkehr der Deutschen in die verlorenen Ostgebiete liefern. Dies war sicherlich einer der Gründe, warum die neu entstehenden staatlichen Strukturen der Bundesrepublik von Anfang an (oder sogar – wie Eduard Mühle meint – schon früher) diesen Zweig der deutschen Historiographie unterstützten.110 Aus etwas anderen Gründen erhielten die Wissenschaftler und Einrichtungen der Ostforschung auch die Unterstützung der Westalliierten, die im gerade einsetzenden Kalten Krieg Spezialisten aus dem europäischen Osten benötigten.111 Eine der wichtigsten Personen der Ostforschung in der Zwischen- und Nachkriegszeit war Hermann Aubin, der in vielerlei Hinsicht Zygmunt Wojciechowski ähnelte. Auch für polnische Historiker war er eine symbolische Gestalt, besonders als umtriebiger Organisator der deutschen Ostforschung. Als das Internationale Komitee der Geschichtswissenschaften (Comité International des Sciences Historiques, CISH) gegen Ende der 1940er Jahre den Pariser CISH-Kongress organisierte, entschieden sich die Gastgeber, bei der Frage nach der Zusammensetzung der deutschen Delegation die internationale Meinung einzuholen. In Polen formulierten zwei Kreise ihren Widerstand: die der Partei angehörenden Historiker (insbesondere die Abteilung für Wissenschaft des ZK der PZPR), die – mit den Worten Żanna Kormanowas – eine zahlreichere Beteiligung von deutschen Marxisten und die Streichung von politisch kompromittierten Personen anmahnten,112 und die Historiker im Umfeld des Westinstituts, die ebenfalls gegen die Teilnahme einiger deutscher Wissenschaftler am Kongress protestierten.113 Unter denje-

108 Eduard Mühle: »Utracony niemiecki Wschód« w pamięci kulturowej nowo powstałej Republiki Federalnej Niemiec, in: Zbigniew Mazur (Hg.): Wspólne dziedzictwo? Ze studiów nad stosunkiem do spuścizny kulturowej na Ziemiach Zachodnich i Północnych, Poznań 2000, S. 672. 109 Zit. nach ebd., S. 684. 110 Ebd., S. 678. 111 Ebd., S. 679. 112 Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Warschau (im Folgenden BUW), Nachlass Nina Assorodobraj, VII/2 – Protokoll der Sitzung der Parteigruppe der Historiker in der Abteilung für Wissenschaft des ZK der PZPR vom 7.1.1950. 113 Archiv der Polnischen Akademie der Wissenschaften (im Folgenden APAN), Sign. III 192, Materialien Tadeusz Manteuffel, j. 38 Akta Delegata PTH zu den internationalen Beziehungen – Brief des Sekretärs der Wissenschaftlichen Abteilung des Westinstituts Zdzisław Kaczmarczyk an Tadeusz Manteuffel vom 2.1.1950.

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nigen, deren Anwesenheit in Paris bei beiden – bald darauf übrigens heftig zerstrittenen – Seiten unerwünscht war, nahm Aubin einen Ehrenplatz ein. Aubins Ansichten unterschieden sich in der Nachkriegszeit nicht radikal von seinen früheren Urteilen und waren für polnische Historiker absolut nicht hinnehmbar. Freilich gehörten Aubins frühere Anknüpfung an die »Rassenkunde« oder sein Lob der nationalsozialistischen Ostpolitik schon der Vergangenheit an, aber die übrigen Veränderungen waren eher kosmetischer Natur. Die Ausbreitung der deutschen Kultur und die weit gefasste Kolonisation – zentrale Themen seines Schaffens – wurden uminterpretiert zur Überbringung der westlichen Kultur zu den slawischen Völkern. Die Deutschen – zuvor noch konkurrenzlose Schöpfer kultureller Werte – verwandelten sich in Mittler, die den aufgeklärten Okzident repräsentierten. Der »Westen« ersetzte an vielen Stellen das »Volk«. Die Zone, die das Bollwerk Europa, den Schutzwall gegen die »asiatische Flut« ausmachte, wurde ausgeweitet. In seinen Arbeiten der Vorkriegszeit zählte Aubin für gewöhnlich die Slawen (auch die Polen) zu den Völkern, deren primitive Aggressivität Europa bedrohte. Nach 1945 wurden die Westslawen den Deutschen beigesellt; sie würden einen ehrenvollen Dienst an den Grenzen des Kontinents erfüllen. Aubin übernahm sogar von Oskar Halecki das Konzept Ostmitteleuropas (zuvor hatte er nur von Osteuropa oder einfach vom Osten gesprochen). Weiterhin blieben die Ostslawen außerhalb der Sphäre europäischer kultureller Ausstrahlung.114 Kein Wunder also, dass das so umgemodelte Konzept des Historikers nicht nur von den polnischen Kommunisten, sondern auch vom Umfeld des »Westgedankens« abgelehnt wurde. Ein Paradigmenwechsel in der westdeutschen Ostforschung ließ noch mehrere Jahrzehnte auf sich warten; der entscheidende Faktor hierfür war – ähnlich wie bei der Kritik an »der nationalistischen Abweichung« in Polen und der tschechoslowakischen Historiographie zu Beginn der 1950er Jahre – staatlicher Druck, konkret die Drohung, staatliche Mittel zu entziehen. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner für all das, womit ich mich hier mehr oder weniger oberflächlich beschäftigt habe, sollte uns nicht zu weit führen. Das Material reicht nicht aus, um das weit reichende Problem der Verbindung zwischen Nationalismus und Historiographie bzw. Historiographie und Politik zufriedenstellend zu verstehen. Es steht außer Frage, dass sowohl der Deutschenhass der polnischen und tschechischen Historiographie als auch der Ungarnhass der slowakischen Geschichtswissenschaft sowie die westdeutsche Ostforschung der Nachkriegszeit und sogar die ostdeutsche Miseretheorie eine legitimierende Funktion gegenüber der Regierung und einzelnen politischen Gruppierungen erfüllten. Mir erscheint es charakteristisch, dass Historiker dieser Ausrichtungen 114 Eine detaillierte Analyse von Aubins Ansichten in seinen verschiedenen Schaffensperioden zuletzt in: Eduard Mühle: Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, Düsseldorf 2005, passim.

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in einigen Fällen versuchten, aktiv die Politik ihrer Staaten zu beeinflussen. Diese Ziele leiteten zweifellos die westdeutschen Forschungen, aber auch Zygmunt Wojciechowski, dessen Korrespondenz mit Vertretern der PZPR den dramatischen Versuch illustriert, eine unabhängige Politik in einer Situation zu betreiben, als darauf keinerlei Aussicht bestand. Natürlich lassen sich auch alle Aussagen über die »ewig« negative Rolle der Deutschen bzw. Ungarn in den polnischen, tschechischen und slowakischen Gebieten als Anpassung an die vollendeten politischen Tatsachen betrachten, aber auch als Versuch, diese zu beeinflussen. Gemeinsam war den polnischen und westdeutschen Erforschern der germanisch-slawischen Beziehungen das Bestreben, diesen Zweig der Historiographie zu institutionalisieren, was dazu führte, dass sich die Geschichte der Forschungseinrichtungen nicht von der Analyse der Nachkriegsgeschichtsschreibung trennen lässt. Ich möchte aber das Augenmerk auf einen anderen Aspekt der Nachkriegsgeschichte lenken, der mir im Lichte der obigen Analyse besonders augenfällig erscheint. Einige Jahre nach dem Ende des Krieges und vor der Stabilisierung der politischen Situation – sei es in Form der stalinistischen Diktatur oder auch einer jungen Demokratie – kam ein besonderer Augenblick: der Moment des Übergangs. Die banale Feststellung, dass damals noch vollkommen unklar war, in welche Richtung sich die Situation in Ostmitteleuropa entwickeln würde, ist natürlich richtig. Das Bild der Deutschen, Ungarn und Slawen in der jeweiligen polnischen, tschechischen oder slowakischen Interpretation hätte im Rahmen jeder dieser Historiographien vorherrschend werden können. Es hatte eine lange intellektuelle Tradition und bezog sich auf die romantische Historiographie, auf das Bild der friedlich gesinnten, ursprünglich demokratischen Slawen, die den aggressiven und primitiven germanischen Horden die Stirn boten. Sie war auch eine Antwort auf die nicht weniger verwurzelte historische deutsche Tradition, die Deutschen als Kulturträger im Osten zu sehen, wo es außer den Erzeugnissen des deutschen Geistes nichts Erwähnenswertes gegeben habe. Als besonders originell, damit aber auch als besonders schwach, erwies sich die ostdeutsche Variante der »pessimistischen« Geschichte Deutschlands, die für die deutschen Kommunisten eindeutig zu schwarzmalerisch war. Jede der hier analysierten Interpretationen hatte das Potential, in den neu entstehenden Interpretationen der jeweiligen Nationalgeschichte eine wesentliche Rolle zu spielen. Dass es anders kam, verdanken wir dem Aufeinandertreffen dieser Interpretationen und der Politik der kommunistischen Parteien, ähnlich wie bei der deutschen Ostforschung, wo die neue Sprache der bundesdeutschen Politik mit dem alten Paradigma des deutschen Ostens kollidierte. Die Unterschiede zwischen dem weiteren Schicksal der deutschen Ostforschung und den polnischen, tschechischen und slowakischen Reflexionen über die historische Rolle der Deutschen spiegeln die Verschiedenartigkeit der politischen Systeme wider, von denen eines an der nationalistischen Haltung festhielt und bis 1989 zur Stärkung seiner Legitimation nutzte.

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Die Sowjetisierung der historischen Wissenschaften In jedem der behandelten Fälle war die Staatsmacht bemüht, die Autonomie der Universitäten zu beseitigen und den Einfluss des Staates auf universitäre Karrieren zu vergrößern. Das Vermögen der Hochschulen wurde verstaatlicht. In Polen und der Tschechoslowakei wurde das sowjetische System der Kollektivlehrstühle eingeführt (die DDR folgte 1968), außerdem galt von nun an auch in der Wissenschaft das Prinzip der zentralen Planung. Die Planerfüllung wurde von den Parteizellen der Hochschulen kontrolliert, die wiederum den Abteilungen für Kultur und Wissenschaft im zuständigen Zentralkomitee der kommunistischen Partei unterstanden (in der ČSR waren diese Abteilungen Teil der lokalen Parteistrukturen). Man experimentierte mit zweistufigen Studiengängen (drei Jahre für alle und weitere zwei nur für die Begabtesten). Es wurden neue, an sowjetischen Vorbildern orientierte akademische Grade eingeführt – der Kandidat und der Doktor der Wissenschaften (sie entsprachen den bis dahin geltenden Graden des Dr. und Dr. habil.), aber auch der Aspirant (in der DDR ebenfalls erst gegen Ende der 1960er Jahre).115 Die Arbeit an den universitären Abteilungen für Geschichte und den zu Beginn der 1950er Jahre neu eingerichteten Historischen Instituten der Akademien der Wissenschaften sollte nicht nur durch die Festlegung ein und derselben Methode für alle, sondern auch durch »weltanschauliche« Maßnahmen wie Versammlungen und Schulungen ideologisiert werden. Das in Zusammenhang mit der Änderung der akademischen Grade eingeführte Examen für den Kandidaten der Wissenschaften erforderte die Kenntnis der Grundlagen des Marxismus. Die jüngeren Mitarbeiter mussten deshalb Vorlesungen besuchen, die sie auf dieses Examen vorbereiteten. Obwohl nur jüngere Mitarbeiter das Kandidatenexamen ablegen mussten, bereitete sich in der Regel der ganze Lehrkörper darauf vor. In der DDR fanden bis 1989 »marxistische Abendschulen« auch für Unversitätsdozenten statt.116 Die Wissenschaftler mussten selbstständig Aussagen der Klassiker des Marxismus-Leninismus sammeln, die sich auf die Epoche bezogen, mit der sie sich beschäftigten.117 Veränderungen der Liste der Pflichtveranstaltungen wurden

115 Vgl. John Connelly: Captive University, a. a. O., S. 58–69; Ralph Jessen: Akademische Elite, a. a. O., S. 52–64; Teresa Suleja: Uniwersytet Wrocławski, a. a. O., S. 19–24; Józef Klemens Szłapczyński: Zarząd szkołą wyższą w Polsce Ludowej, Warszawa 1968, Janusz Tymowski: Organizacja szkolnictwa wyższego w Polsce, Warszawa 1980; Bolesław Krasiewicz: Odbudowa szkolnictwa wyższego w Polsce Ludowej w latach 1944–1948, Wrocław 1976. 116 UAL, Sign. R. 369, Vorlage. Errichtung einer »Marxistischen Abendschule« für Hochschullehrer and der Karl-Marx Universität, Leipzig, 10.1.1969. 117 AIHPAN, Sign. 3/21, Eigenständige Sektion für Personalfragen. Ideologische und methodische Schulungen der Mitarbeiter des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften – Richtlinien, Berichte, Korrespondenz – Projekt für Richtlinien für einen Plan zur methodischen Selbstbildung der wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts für Geschichte der PAN.

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manchmal ziemlich schleppend übernommen. Einige Monate vor Stalins Tod beklagte der Vertreter der Universität Warschau bei einer Versammlung der ersten Hochschul-Parteigruppensekretäre die gleichgültige Haltung der Abteilungsleitung gegenüber dem neuen Lehrstuhl. Auch die Hörer zeigten keine Begeisterung für die neuen Pflichtveranstaltungen: »Die Jugend hat die Vorlesungen in Marxismus-Leninismus ungerne angenommen. Sie hält sie eher als notwendiges ›Übel‹, anfangs war der Besuch der Vorlesungen schwach und es gab Versuche der Geringschätzung, die sich darin ausdrückten, dass einige Studenten während der Vorlesungen Bücher lasen, Briefe schrieben oder strickten.«118

Eine Verbesserung konnte nur durch Drohungen herbeigeführt werden, denn an die Veranstaltungen in Marxismus-Leninismus wurden nicht dieselben Maßstäbe angesetzt wie an andere. Die kommunistischen Parteien verfolgten das an sich nicht verwerfliche Ziel, die Gesellschaften ihrer Länder gründlich zu »demokratisieren«. Eines der wichtigsten Mittel hierfür sollte die Zulassungspolitik an den Universitäten sein. Die Rahmenbedingungen dieser Politik waren in Polen, der DDR und der Tschechoslowakei zwar durchaus vergleichbar, die Effekte aber waren höchst unterschiedlich. Es wurde versucht, Arbeiter- und Bauernkindern den Weg zu einer höheren Bildung zu erleichtern, indem man Vorstudienanstalten und neue Zulassungsregeln schuf. Bis zirka Mitte der 1950er Jahre gelang es in Polen und der DDR, die Hochschulen auf diese Weise zu »proletarisieren«. Tatsächlich wurden viele junge Leute aus niedrigeren Gesellschaftsschichten zum Studium zugelassen. Anders sah die Situation in Tschechien aus. Hier stießen die Bemühungen, arme Arbeiter- und Bauernkinder zum Studium zu locken, auf einen stillen, aber heftigen Widerstand der Betroffenen. Wie John Connelly feststellte, wollten die Arbeiterkinder keine Universitätsbildung, die ihre gesellschaftliche Position eher geschwächt hätte. Ein gewisser Antiintellektualismus der KPČ trug auch dazu bei, dass sich die gesellschaftliche Zusammensetzung der Studierenden nur wenig von der Vorkriegszeit unterschied.119 Dagegen stammte in der DDR und in Polen Mitte der 1950er Jahre etwa die Hälfte der Studierenden aus dem Arbeiter- und Bauernmilieu. In der DDR verringerte sich deren Zahl seit den 1960er Jahren, als sich die Studierenden vornehmlich aus der »neuen Intelligenz« rekrutierten.120 Der polnische Erfolg dieser »Demokratisierung« an den Universitäten ist wohl vor allem dem Krieg zuzuschreiben, der zu einer unvergleichbaren sozialen Mobilität beigetragen hatte.

118 AAN, Sign. 237/XVI – 100, KC PZPR Abteilung für Wissenschaft und Hochschulwesen – Protokoll von dem am 26.1.1953 stattgefundenen Kollegium der Hochschulen. 119 John Connelly: Captive University, a. a. O., S. 255–271. 120 Ilko-Sascha Kowalczuk: Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 1997, S. 146.

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Die Arbeiter- und Bauernkinder wie auch die Sprößlinge anderer sozialer Schichten sollten möglichst massenhaft in die Partei eintreten oder sich zumindest mit der Politik der Partei identifizieren. Das gelang vor allem der SED.121 Auch die tschechischen und slowakischen Studierenden erfüllten die Erwartungen der Parteispitze. In Polen scheiterten dagegen die Versuche, Studierende massenhaft als Parteimitglieder zu gewinnen: Sie waren zwar »proletarisiert«, aber nicht »kommunisiert« worden.122 Die Anstrengungen der kommunistischen Parteien Mitteleuropas zur politischen und gesellschaftlichen Umgestaltung der Universitäten hatten somit unterschiedliche Folgen. Am konsequentesten ging man in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und später dann in der DDR vor. Hier kam es zur Umwandlung der Universitäten zu »proletarischen«, von der SED dominierten Einrichtungen. Schon die Haltung des Großteils der ostdeutschen Intelligenz gegenüber dem Berliner Arbeiteraufstand zeigte, welch wichtiges Ziel die Machthaber hierdurch erreicht hatten. Weder in der Tschechoslowakei noch in Polen war es gelungen, die Intelligenz zu einer so aufrichtigen Unterstützung der Regierenden zu bewegen. Im Gegenteil: Aus ihren Reihen sollten sich bis ins Jahr 1989 die Anführer sozialer Unruhen rekrutieren. Die Universitätspolitik der polnischen Kommunisten hatte nicht die erhofften Erfolge. Es gelang zwar, die gesellschaftliche Basis der Studierenden zu erweitern, doch ist das Verdienst der Politik von Partei und Regierung dabei diskutabel. Die polnischen Universitäten wurden nicht von personellen Säuberungen heimgesucht, und ihre Mitarbeiter traten nicht kollektiv der Partei bei. Letzteres geschah hingegen in der Tschechoslowakei, wo an den Universitäten zwar die Kommunisten das Sagen hatten, wo es aber nicht gelang, sie mit Vertretern des Stadt- und Landproletariats zu bevölkern. Die wissenschaftspolitischen Niederlagen und Erfolge der Staaten und kommunistischen Parteien waren auch für die Historikerschaft in den behandelten Ländern von prinzipieller Bedeutung. In der DDR entwickelte sich die Historikerzunft nach der Entnazifizierung und weiteren Wellen personeller Säuberungen am Ende der 1940er Jahre praktisch von Neuem. Das Übergewicht der kommunistischen Historiker über ihre »bürgerlichen« Kollegen wurde durch die Absolventen der »proletarisierten« Universitäten noch verstärkt. Auch in der Tschechoslowakei, wo die Säuberung nicht so gründlich war und erst seit 1948 erfolgte, gaben unter den Geschichtswissenschaftlern die Kommunisten den Ton an. Die Vertreter der »bürgerlichen« Wissenschaft gerieten ins Abseits, an

121 Wie Ilko-Sascha Kowalczuk festgestellt hat, waren 1950 ca. 50 % der Geschichtsstudenten in der SED; nach der sprunghaften Entwicklung der Hochschulen sank dieser Anteil zwar, was aber angesichts der Zahl der Studierenden nur als eine normale Erscheinung interpretiert werden kann. – Ilko-Sascha Kowalczuk: Legitimation, a. a. O., S. 160. 122 John Connelly: Captive University, a. a. O.

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Provinzuniversitäten und erhielten gelegentlich sogar Lehrverbot. In Polen spielten »bürgerliche« Historiker die führende Rolle, doch waren sie zu fortwährenden Verhandlungen mit der Staatsmacht gezwungen. Auf längere Sicht wurde ihre Position dadurch gestärkt, dass sie und nicht die PZPR die Kontrolle über die Ausbildung des Nachwuchses behielten.

Die Aufgaben der Geschichtswissenschaften Bei allen Unterschieden der professionellen Geschichtswissenschaft in Polen, der Tschechoslowakei und in der DDR in den 1950er Jahren stand die Staatsführung in allen diesen Ländern vor vergleichbaren Aufgaben. Sie wollte eine neue, marxistische Geschichtswissenschaft schaffen und sie in Zeitschriften sowie in Synthesen der Nationalgeschichte präsentieren. Der damaligen Unterstaatssekretärin im polnischen Hochschulministerium Eugenia Krassowska zufolge sollte die Historiographie »auf historische Quellen der neuen Entwicklungsrichtung Polens hinweisen, den heldenhaften Beitrag der Volksmassen – der eigentlichen Schöpfer der Geschichte – zu allen Errungenschaften der Vergangenheit präsentieren, die fortschrittlichen, revolutionären Traditionen unserer Geschichte dem Vergessen entreißen, sie im fortwährenden Prozess des Kampfes der fortschrittlichen Kräfte gegen die Reaktion darstellen und im Entwicklungsprozess der polnischen Nation die historische Garantie unseres siegreichen Marschs in die Zukunft, zum Sozialismus aufzeigen«.123

Diese Worte lassen sich auf jede der untersuchten Historiographien anwenden. Leo Stern betonte: »Schließlich gilt es, beim deutschen Volk das politische Minderwertigkeitsgefühl zu beseitigen, das ihm von den herrschenden Klassen durch Jahrhunderte eingeimpft wurde, indem die Historiker an Hand einer gründlichen Erschließung der geschichtlichen Vergangenheit aufzeigen, daß die deutsche Geschichte nicht eine Misere in Permanenz war, sondern leuchtende Epochen, Ereignisse und Persönlichkeiten aufweist, damit das deutsche Volk das stolze Selbstbewußtsein erlange, daß sein schöpferisches Genie nicht nur eine große Vergangenheit hatte, sondern daß ihm, auf neuen Wegen zu neuen Zielen schreitend, eine große und reiche Zukunft offensteht«.124

Der Stalinismus bedeutete in Polen, der DDR und in der Tschechoslowakei zweifellos eine Politisierung der meisten Gebiete von Wissenschaft und Kunst. Der sozialistische Realismus wurde überall zum einzig gültigen Stil. In den Geistes-

123 Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza Konferencja Metodologiczna Historyków Polskich. Przemówienia – referaty – dyskusja, Bd. 1, Warszawa 1953, S. 26. 124 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung, Berlin 1952, S. 54.

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wissenschaften sollte der Marxismus eine ähnliche Rolle spielen. Abweichungen von den geltenden Normen waren nicht gern gesehen, Individualismen wurden verurteilt. Diese Maßnahmen fanden in einer Atmosphäre der Angst statt, ein Ergebnis der Politik sowohl gegen die realen Systemgegner wie auch gegen die »objektiven« Feinde, die erst im Laufe des Strafverfolgungsverfahrens etwas über ihre Schuld erfuhren. Diese Ereignisse hatten gelegentlich ganz direkten Einfluss auf die Lage des Bildungswesens und der Wissenschaft. Die so genannte Kampagne gegen den bürgerlichen Nationalismus, die 1950 in der Slowakei begann, hatte ursprünglich nur das Ziel, tschechoslowakische »Parteigänger« Titos zu finden, doch als der Bildungsbevollmächtigte (der in der slowakischen Führung einem Minister entsprach) Ladislav Novomeský verhaftet wurde, verloren viele Lehrer – und auch Historiker – ihren Arbeitsplatz an der Schule.125 Trotz ganz offensichtlicher Belege für stalinistischen Terror in fast jedem der behandelten Staaten muss jedoch gefragt werden: Gibt ein Schwarz-Weiß-Bild der 1950er Jahre tatsächlich wider, was sich damals außerhalb der Gefängnismauern und Stacheldrahtzäune der Lager tat? War, um bei den Bildungseliten zu bleiben, die Diktatur der Staatsführung und der »treuen« Künstler und Wissenschaftler eine absolute? In den letzten Jahren sind die deutsche wie auch die polnische Geschichtswissenschaft zu ausgewogeneren Urteilen gekommen. Dariusz Jarosz stellt vorsichtig fest: »Es mag paradox klingen, aber auch damals waren die Beziehungen zwischen Regierten und Regierenden ein Prozess von gegenseitigem Druck, Nachgeben und Kompromissen, bei dem jede Seite ihre von der anderen berücksichtigten Argumente hatte.«126 Eine gewisse Neuinterpretation des Stalinismus steckt auch in den Forderungen, die Erforschung der neuesten Geschichtsschreibung in Deutschland zu »historisieren«.

Die Popularisierung der marxistischen Methodik. Die zentralen historischen Zeitschriften Ein Werkzeug zur Popularisierung der marxistischen Methodologie sollten die historischen Zeitschriften sein, die neu entstanden, sofern nicht bestehende umgestaltet wurden. In der Regel gab es einen relativ langen Vorlauf für die ersten Ausgaben. Dies galt für die Tschechoslowakische Historische Zeitschrift (Československý Časopis Historický, ČSČH), die Historische Zeitschrift der 125 Jan Uher: Kampaň proti tzv. burźoáznemu nacionalizmu, in: Michal Barnovský (Hg.): Od diktatúry k diktatúre, a. a. O., S. 105–113; Grzegorz Gąsior: Stalinowska Słowacja. Proces »burżuazyjnych nacjonalistów« w 1954 roku, Warszawa 2006. 126 Dariusz Jarosz: O polskim stalinizmie – polemicznie, in: Więź, Nr. 2/2002, S. 112.

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Slowakischen Akademie der Wissenschaften (Historický Časopis Slovenskej Akademii Vied, HČSAV) sowie für die deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG), aber auch für die »erneuerte« Historische Rundschau (Przegląd Historyczny, PH) und die Historische Vierteljahresschrift (Kwartalnik Historyczny, KH). Eine Ausnahme, die aber die Regel nur bestätigt, bildete die Übernahme der Redaktion der Tschechischen Historischen Zeitschrift (Český Časopis Historický, ČČH) im Frühjahr 1949 durch eine Gruppe von Marxisten, an deren Spitze František Graus stand. War es jedoch leicht gewesen, wenige Monate nach dem »siegreichen Februar« Václav Chaloupecký als Redakteur zu entfernen, so stellte sich heraus, dass die Herausgabe der Zeitschrift die Kräfte der jungen Marxisten überstieg. Die ČČH stellte ihr Erscheinen ganz ein, und es dauerte noch einige Jahre, ehe in der Tschechoslowakei eine marxistische geschichtswissenschaftliche Zeitschrift erscheinen sollte.127 Das Erscheinen eines neuartigen Zeitschriftentyps war keinesfalls etwas Spontanes. Die vorbereitenden Arbeiten, an denen sich Vertreter der Partei sowie marxistische Historiker beteiligten, gingen einher mit dem Entstehen akademischer Institute für Geschichte sowie marxistischer historischer Gesellschaften. ČSČH, HČSAV und ZfG erschienen erstmals 1953. Die ersten beiden unterstanden akademischen Instituten, während die deutsche Zeitschrift aus einer etwas früheren Vorbereitungsphase hervorging und zu Beginn Schwierigkeiten mit dem Verlag hatte (seit der dritten Nummer übernahm der Verlag Rütten & Loening die ZfG vom Deutschen Verlag für Wissenschaften). Anfangs bestand die Redaktion aus nur sieben Personen (die Sekretärin eingeschlossen) und hatte ihren Sitz im Gebäude des Museums für Deutsche Geschichte. Die ostdeutschen Historiker wussten die Bedeutung des neuen wissenschaftlichen Zentralorgans nicht gleich zu schätzen, weshalb die Redaktion noch eine Zeitlang Probleme hatte, geeignete Manuskripte zu erhalten.128 Sowohl die neu eingerichteten wie auch die »veränderten« Zeitschriften hoben sich sehr deutlich von den bisherigen Periodika ab. Ganz klar äußerten sich hierzu die Redakteure der HČSAV, die schrieben, dass »die HČSAV keine Fortsetzung der bürgerlichen historischen Schriften ist, die von der Matica Slovenská oder der SAVU herausgegeben wurden. Die HČSAV wird das Organ der slowakischen marxistischen Historiographie sein und sieht eine ihrer Hauptaufgaben darin, die reaktionären Ansichten der bürgerlichen slowakischen Historiographie zu bekämpfen.«129

127 Antonín Kostlán: František Graus ve světle několika dokumentů, in: Zdeněk Beneš/Bohumil Jiroušek/Antonín Kostlán: František Graus – člověk a historik. Sborník z pracovního semináře Výzkumného centra pro dějiny vědy konaného 10. prosince 2002, Praha 2004, S. 162–164. 128 Stefan Ebenfeld: Geschichte, a. a. O., S. 48. 129 HČSAV 1953, S. 6.

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Ähnlich verhielt sich die Redaktion der ČSČH. Die Redakteure der KH erklärten im Vorwort zum ersten Heft 1949 die Aufnahme »alten Materials mit den alten Positionen – neben Artikeln und Rezensionen, die von marxistischen Historikern geschrieben wurden«.130 Vor diesem Hintergrund hob sich wiederum die ZfG ab, deren Redaktion zwar beteuerte, dem Marxismus ergeben zu sein, die jedoch auch eine Diskussion mit bürgerlichen Historikern zuließ, auch mit westdeutschen. Die Zeitschrift wollte »an der Herstellung einer fruchtbaren Aussprache zwischen den Historikern ganz Deutschlands […] arbeiten«.131 Mehr noch, bei der Vorbereitung des ersten Hefts wurde vorgeschlagen, der DDR-Zeitschrift den Titel »Historische Zeitschrift« zu geben, um damit symbolisch die Führungsrolle für die gesamtdeutsche Historiographie zu übernehmen.132 Die Unterschiede zwischen dem geschichtswissenschaftlichen Zentralorgan der DDR und denjenigen der anderen Länder beschränkten sich in der stalinistischen Zeit allerdings auf die Einleitungen zu den ersten Jahrgängen. In der ZfG kam es zu keinem offenen Meinungsaustausch mit nicht-marxistischen Historikern. Die zunächst sechs, später acht Mal im Jahr erscheinende Zeitschrift (damit kam sie doppelt so häufig heraus wie die Periodika in den anderen uns interessierenden Ländern) veröffentlichte Parteiresolutionen, Analysen von Stalins Werken und der übrigen Klassiker, Berichte über Studienreisen in die UdSSR sowie Arbeiten zur Geschichte Deutschlands. Walter Ulbricht selbst legte Wert darauf, in der ZfG zu Wort zu kommen, schließlich unterstrich er oft sein besonderes historisches Interesse.133 Die Zeitschrift veröffentlichte auch Referate von Autoren, die einzelne Bände des Universitätslehrbuchs für die Geschichte Deutschlands schrieben. In den ersten Jahrgängen der ČSČH finden wir neben Texten über die Klassiker einen scharfen Angriff auf Tomáš Garrigue Masaryk.134 Klement Gottwald konnte zwar nicht in dem Maße in der zentralen historiographischen Zeitschrift publizieren wie Walter Ulbricht (der erste Jahrgang der ČSČH enthielt einen Doppelnekrolog mit Bildern Josef Stalins und des tschechoslowakischen Präsidenten). Dennoch widmete ihm Josef Kočí einen Gedenkartikel.135 Der Redakteur der Zeitschrift stellte einen Plan zur Periodisierung der Nationalgeschichte vor, der

130 Od redakcji, KH 1949, S. 1. 131 Vorwort, ZfG 1953, S. 3 f. 132 Martin Sabrow: Klio mit dem Januskopf. Die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, in: Matthias Middell (Hg.): Historische Zeitschriften im internationalen Vergleich, Leipzig 1999, S. 300. 133 Vgl. Walter Ulbricht: Brief an die Forschungsgemeinschaft »Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung«, in: ZfG 1953; Joachim Petzold: Politischer Auftrag und wissenschaftliche Verantwortung von Historikern in der DDR, in: Karl Heinrich Pohl (Hg.): Historiker in der DDR, Göttingen 1997, S. 98. 134 Karel Hrubý: První desetiletí Československého časopisu historického (1953–1962), in: ČČH 1994, S. 790–793. 135 Josef Kočí: Klement Gottwald naší historické vědě, in: ČSČH 1953.

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im Hinblick auf ein marxistisches Lehrbuch der tschechoslowakischen Geschichte entstanden war.136 Ein analoger Text über die Periodisierung der slowakischen Geschichte erschien in der HČSAV.137 Auch PH und KH widmeten den Schriften Stalins viel Platz; das erste Heft der KH von 1952 wurde mit einer Zusammenstellung von Bierut-Zitaten über die Geschichte Polens eingeleitet, die als allgemeine Richtlinien für die fortschrittlichen Traditionen der Nation dienen sollten.138 Verständlicherweise überwog die neue Methodologie in denjenigen Zeitschriften, die von Anfang an einen marxistischen Charakter hatten. PH und KH enthielten neben Texten, die der offiziellen Linie vollständig entsprachen, auch solche, die sich in den zentralen Zeitschriften der ČSSR und der DDR kaum fanden. So veröffentlichte die PH eine Rezension des ersten Bands einer Biographie, die Marceli Handelsman über Adam Jerzy Czartoryski geschrieben hatte, den führenden liberal-konservativen Politiker der polnischen Emigration im 19. Jahrhundert. Der Geistliche Mieczysław Żywczyński schätzte dieses Werk sehr und hielt es für »eine der besten Monographien, die die polnische Geschichtswissenschaft besitzt«.139 Schon während des ersten Kongresses der Polnischen Wissenschaft (Kongres Nauki Polskiej, KNP) hatte Żanna Kormanowa (1900–1988), die in den Kriegsjahren für die Bildungspolitik der polnischen Kommunisten in der UdSSR mitverantwortlich gewesen war, an der Universität Warschau und am IKKN, dem Institut für die Bildung des Wissenschaftlichen Kaders (Instytut Kształcenia Kadr Naukowych), lehrte sowie Redakteurin der historischen Abteilung des Nowe Drogi war, über dieses Buch gesagt: »… das aus idealistischen, nationalistischen und fideistischen Positionen geschriebene Buch des sein ganzes Leben lang fortschrittlichen, bedeutenden Gelehrten«.140 Analog verhielt es sich auch in lokalen wissenschaftlichen Zeitschriften mit langer Tradition wie der Zeitschrift der Mährischen Matica (Časopis Matice Moravské, ČMM) und dem Schlesischen Sammelband (Slezský Sborník, SSb) in der Tschechoslowakei, in denen neben anderen, voll und ganz »rechtgläubigen« Texten auch solche erschienen, die mit der offiziell geltenden Linie nicht übereinstimmten.141 136 František Graus: Pokus o periodisaci českých dějin, in: ČSČH 1953. Vgl. Adam Hudek: Vytváranie marxistickej periodizácie československých dejín v 50. rokoch 20. storočia, in: Bohumil Jiroušek (Hg.): Proměny diskursu české marxistické historiografie (Kapitoly z historiografie 20. století), České Budějovice 2008, S. 253–270. 137 udovít Holotík: K periodizácií slovenských dejín v období feudalizmu a kapitalizmu, HČSAV 1953. 138 Wybrane zagadnienia z dziejów narodu polskiego w świetle pism i wypowiedzi Bolesława Bieruta, in: KH 1952. 139 X. Mieczysław Żywczyński: (Rez.) Marceli Handelsman: Adam Czartoryski, Bd. 1, Warszawa 1948, in: PH 1950, S. 380. 140 Żanna Kormanowa: Referat podsekcji historii sekcji nauk społecznych i humanistycznych I KNP, in: KH 1951, S. 294. 141 Vgl. Maciej Górny: Między Marksem a Palackým. Historiografia w komunistycznej Czechosłowacji, Warszawa 2001, S. 46–49.

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Trotz aller Ähnlichkeiten beim Inhalt der zentralen historischen Zeitschriften beurteilten die Redaktionen den Beginn ihrer Tätigkeit unterschiedlich. Die Redakteure der ZfG stellten 1956 fest, dass – ungeachtet aller Errungenschaften – in ihrer Zeitschrift Texte zur Historiographiegeschichte fehlten, »obwohl es auf der Hand liegt, daß die marxistische Geschichtswissenschaft, um sich selbst zu entwickeln, dringend der Auseinandersetzung und Konfrontierung mit der traditionellen Geschichtswissenschaft bedarf«.142 Schlimmer noch, 1955 sei kein einziger Artikel erschienen, der dem Leben und Werk Friedrich Engels gewidmet war, wo es sich doch um das Jahr handelte, in dem der 135. Geburtstag und der 60. Todestag dieses Klassikers des Marxismus begangen wurde. Der größte Mangel sei jedoch der sehr schwache Rezensionsteil gewesen.143 Diese Selbstkritik stimmte mit der Auffassung der ČSČH-Redakteure überein, die in ihrer Zeitschrift ein Fehlen von Texten zur Zeitgeschichte (nach 1945) feststellten und meinten, sie habe insgesamt nicht das allerhöchste Niveau gehabt.144 Ein Jahr später schrieben sie, dass es immer noch an entschlossener Kritik der »Relikte des Sozialdemokratismus« und von »religiösem Aberglauben«, ja überhaupt an »Kampfgeist« fehle: »unsere Historiker schreiben höchst ungerne kritische Rezensionen über fehlerhafte oder schädliche Bücher, und wenn sie sie kritisieren, dann bemühen sie sich, ihre Kritik weitestgehend abzuschwächen«.145 Die Redakteure der zentralen historischen Zeitschriften der Slowakei und Polens übten weniger gerne Selbstkritik. Allerdings besaßen HČSAV, KH und PH ganz einfach auch nicht alle der oben genannten Mängel. Ein Beispiel: Die Historiographiegeschichte wurde in den polnischen Zeitschriften viel intensiver diskutiert als dies in der DDR der Fall war. Eine wahrhaft kritische Analyse des Inhalts der historischen Zeitschriften (sowie der Lage der Geschichtswissenschaft im Ganzen) unternahm erst 1956 Witold Kula (1916–1988). Es handelte sich jedoch um eine (Selbst-)Kritik ganz anderer Art. Kula verurteilte die Unzulänglichkeiten der marxistischen Historiographie in ihrer stalinistischen Ausführung und schrieb z. B., dass »sich die Wissenschaftspolitik bei uns zwischen 1949 und 1952 auf einen allgemeinen Stillstand und die Unterdrückung jeglicher größer angelegter Initiative beschränkte. […] Während andere geisteswissenschaftliche Zeitschriften vor sich hin vegetierten, da die alten, nicht-marxistischen Redaktionen nicht in der Lage waren, sie zu beleben, fristete der ›Kwartalnik Historyczny‹ ein kompromittierendes Dasein, obwohl er von einer marxistischen Redaktion geleitet wurde.«146

142 Vor neuen Aufgaben, in: ZfG 1956, S. 8. 143 Ebd., S. 8 f. 144 In: ČSČH 1954, S. 2 f. 145 Třetí ročńík ČSČH, in: ČSČH 1955, S. 3. 146 Witold Kula: W sprawie naszej polityki naukowej, in: KH 1956, S. 152.

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Obwohl die andere zentrale historische Zeitschrift Polens nicht auf vergleichbare Weise mit ihrer Vergangenheit abrechnete, waren Anzeichen des Tauwetters zu erkennen. 1956 war es bereits möglich, vorgebliche Wahrheiten und Urteile anzuzweifeln, die in den früheren Jahren unbestreitbar gewesen waren. Symptomatisch hierfür war eine Rezension des von Seweryn Żurawski herausgegebenen Buches Historia myśli ekonomicznej. Wykłady [Geschichte des ökonomischen Denkens. Vorlesungen]. Anna und Antoni Mączak stellten in ihrer Besprechung Formulierungen in Frage, die bis dahin als selbstverständlich galten: »Im methodologischen Kapitel rufen die Schlussbemerkungen prinzipielle Vorbehalte hervor: ›Es ist also unsere Aufgabe, zu belegen, dass Polen für das ökonomische Denken insgesamt von großer Bedeutung ist … Wir müssen belegen, dass die Ideen von Marx und Lenin in Polen nicht zufällig einen so großen Widerhall gefunden haben …‹ usw. […] größte Unruhe ruft die […] kategorische, postulative Form ihrer Formulierung hervor: ›wir müssen belegen‹; diese der wahren Wissenschaft fremde Formulierung sollte sich weder im Kopf eines Gelehrten noch in einer Monographie oder einem Lehrbuch finden.«147

Zugestandenermaßen ist dieses scharfe Urteil über den Inhalt einer zentralen historischen Zeitschrift im Stalinismus identisch mit der heutigen Auffassung der Wissenschaft. Über den »stalinistischen«, gewissermaßen Scham hervorrufenden Abschnitt in der Geschichte der KH hat 1989 Stefan Kieniewicz geschrieben.148 Sehr viel schärfer bewertete Karel Hrubý das erste Jahrzehnt der ČSČH.149 Die deutsche Forschung entwickelte anhand der ZfG eine allgemeine, sehr kritische Einschätzung der DDR-Historiographie. Anderen Auffassungen begegnete man in der Regel in Erinnerungstexten an bedeutende Historiker, die auch schon in der stalinistischen Zeit aktiv waren.150 Sowohl in Polen wie auch in der Tschechoslowakei veränderten sich die historischen Zeitschriften während des post-stalinistischen Tauwetters deutlich. In einem Abstand von einigen Jahren (zwischen Mitte der 1950er Jahre in Polen bis zur ersten Hälfte des folgenden Jahrzehnts in der ČSSR) erschienen hier Texte, die mehr oder weniger abrechnenden Charakter trugen. Parallel kam es gegen Ende der 1950er Jahre auch zu Änderungen in der Redaktion und im Inhalt der ZfG-Hefte, doch waren dies ganz anders geartete Änderungen, durch die das stalinistische Gepräge der Zeitschrift bewahrt wurde.151 147 Anna Mączakowa/Antoni Mączak: (Rez.) S. Żurawicki (Hg.): Historia myśli ekonomicznej. Wykłady, Warszawa 1955, in: PH 1956, S. 582. 148 Stefan Kieniewicz: Kwartalnik Historyczny w latach powojennych, in: KH 1989. 149 Karel Hrubý: První desetiletí, a. a. O., S. 780–795. 150 Maciej Górny: »Przełom metodologiczny« na łamach »Przeglądu Historycznego« na tle wybranych czasopism historycznych w Europie Środkowowschodniej, in: PH 2006. 151 Matthias Middell: Autoren und Inhalte: Die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1953–1989, in: Matthias Middell (Hg.): Historische Zeitschriften, a. a. O., S. 239–277.

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Karel Hrubý hat in seiner Zusammenfassung des ersten Jahrzehnts der ČSČH darauf hingewiesen, dass die Zeitschrift (unter anderem) das Ziel gehabt habe, die marxistische Methodologie zu popularisieren, in Wahrheit aber eher eine normative Rolle spielte, indem sie Hinweise auf das aktuell geltende Geschichtsbild und die Machtverhältnisse innerhalb der Historikerschaft lieferte.152 Diese Feststellung lässt sich gut auf jede andere zentrale historische Zeitschrift des Stalinismus ausweiten. Tatsächlich ging es hier nicht um Anregung, nicht darum, eine interessante theoretische Alternative aufzuzeigen oder wissenschaftliche Horizonte zu weiten. Es ging vielmehr um Kanonisierung, um die Festlegung eines einheitlichen Interpretationsmusters und um die Unterdrückung von Auseinandersetzungen, die dieses hätten in Frage stellen oder zumindest manifestieren können, dass im Rahmen des marxistischen Paradigmas Meinungsverschiedenheiten möglich waren. Umso aufmerksamer sollte man sich heute (wie man es gewiss auch damals tat) den wenigen historischen Diskussionen zuwenden, die in den 1950er Jahren in den wissenschaftlichen Periodika geführt wurden.

Die wissenschaftliche Diskussionskultur Offenbar war die einzige länger währende, heftige und vor allem von zwei Parteien geführte Diskussion in der polnischen marxistischen Historiographie der Meinungsaustausch zwischen Marian Henryk Serejski (1897–1975) auf der einen, Nina Assorodobraj und Celina Bobińska (1913–1997) auf der anderen Seite. Thema der Auseinandersetzung war das Urteil über die Fortschrittlichkeit der positivistischen und prä-positivistischen Historiker (konkret ging es um Karol Boromeusz Hoffman). 1953 stellte Nina Assorodobraj in der KH Serejskis Thesen in Frage, für den Hoffman ein fortschrittlicherer Wissenschaftler war als Joachim Lelewel, der Begründer der romantischen Konzeption der Geschichte Polens und demokratische Politiker.153 Bald darauf schaltete sich Celina Bobińska in die Debatte ein und kritisierte das positive Urteil über die Warschauer Schule, wie es Serejski in seiner Einleitung zur Neuauflage von Władysław Smoleńskis Szkoły historyczne w Polsce [Historische Schulen in Polen] geäußert hatte.154 Der Kritisierte antwortete beiden Wissenschaftlerinnen

152 Karel Hrubý: První desetiletí, a. a. O., S. 801. 153 Marian Henryk Serejski: Studia nad historiografią Polski. K. B. Hoffman, Łódź 1953; Nina Assorodobraj: W sprawie kryterium postępowości w historii historiografii (z powodu książki M. Serejskiego o K. Hoffmanie), in: KH 1953. 154 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Władysław Smoleński: Szkoły historyczne, a. a. O.; Celina Bobińska: Spór o ujęcie pozytywizmu i historyków pozytywistów. W związku ze wstępem do reedycji W. Smoleńskiego »Szkół historycznych«, in: KH 1954.

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1955 ebenfalls in der KH.155 Er wies ihre Argumente zurück und blieb bei seiner Meinung. Die Diskussion über das Schaffen von Karol Boromeusz Hoffman war in den 1950er Jahren praktisch der einzige wichtige geschichtswissenschaftliche Streit. So wie es die Tradition gebot, veröffentlichten die Gegner in dieser Auseinandersetzung polemische Texte, verwendeten wissenschaftliche Argumente und vermieden persönliche Angriffe. Dennoch meinte Marian Serejski auf der Sitzung des Wissenschaftlichen Rates des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk, IH PAN) im Juni 1956, Nina Assorodobrajs und Celina Bobińskas Kritik sei Ausdruck einer politischen Hetze, und »höhere Kräfte« hätten ihn daran gehindert, eine kritische Rezension des, wie er sich ausdrückte, »skandalösen« Buches von Adam Schaff Obiektywny charakter praw historii [Der objektive Charakter der Gesetze der Geschichte] zu schreiben.156 Eine weitere Sitzung des Rates über die aktuelle Lage fand im Dezember 1956 statt (in der Zwischenzeit hatte es eine Versammlung gegeben, bei der die Forschungspläne des Instituts bestätigt wurden). Natalia Gąsiorowska-Grabowska (1881–1964) verlas einen Brief der nicht anwesenden Nina Assorodobraj, die feststellte, dass ihre Polemik mit Serejski keinesfalls Teil einer politischen Hetze gewesen sei. Der Historiker beharrte zwar auf seinem Standpunkt, doch das letzte Wort gehörte Celina Bobińska, die an der Versammlung teilnahm und zugab, dass »der vergangene Zeitraum« voller Fehler gewesen sein und freies Denken insgesamt nicht begünstigt habe. »Die Diskussion mit Prof. Serejski gehörte jedoch zu den wenigen normalen und ehrlichen wissenschaftlichen Polemiken und besaß keine Merkmale einer politischen Hetzkampagne.«157 Wer die Texte von Assorodobraj und Bobińska liest, mag daran zweifeln, ob dieses Urteil richtig ist. Tatsächlich gilt Nina Assorodobrajs Angriff in der Fachliteratur als »klassisch dogmatisch«.158 Beide polemische Artikel sind in einem angriffslustigen Tonfall gehalten. Dennoch handelte es sich um eine Polemik unter Marxisten. Zwar meinte man, Bobińska habe sehr viel bessere politische Beziehungen als Serejski, doch ihre Position wurde zu Beginn der 1950er Jahre schwächer. Ihre sich abzeichnende hervorragende Karriere wurde durch einen dramatischen Zwischenfall an der Spitze der Macht gefährdet. Bobińskas Mann, Władysław

155 Marian Henryk Serejski: Miejsce pozytywistycznej szkoły warszawskiej w historiografii polskiej XIX stulecia, in: KH 1955. 156 AIHPAN, Sign. 5/26 Protokoły Rady Naukowej 1956–1959 – Protokół z posiedzenia Rady Naukowej IH PAN w dniu 25 czerwca 1956. 157 AIHPAN, Sign. 5/26 Protokoły Rady Naukowej 1956–1959 – Protokół nr 15 z posiedzenia Rady Naukowej IH PAN 15 XII 1956. 158 Rafał Stobiecki: Stalinowska mitologizacja idei postępu, in: Alina Barszczewska-Krupa (Hg.): Historia, mity, interpretacje, Łódź 1996, S. 145.

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Wolski (der eigentlich Antoni Piwowarczyk hieß), griff auf der IV. Vollversammlung des ZK der PZPR im Mai 1950 Roman Zambrowski, den Sekretär des ZK der PZPR, an »und warf ihm vor, gegen die Kandidatur eines Arbeiters zum Stadtpräsidenten von Krakau zu sein, Personen aus dem Regierungsapparat der Sanacja [des polnischen Regierungslagers der 1930er Jahre, M. G.] zu stark zu vertrauen und es an Wachsamkeit bei der Kaderpolitik fehlen zu lassen. Er griff auch die Verständigung mit der Kirche an, bei der er notabene eine der Hauptrollen gespielt hatte. Er rief dazu auf, den verdorbenen Liberalismus aufzugeben.«159 Die folgenden Redner griffen Wolski scharf an. Als er ein weiteres Mal das Wort ergriff, nahm man an, er würde seine Vorwürfe zurücknehmen. Doch Wolski ging noch weiter und sparte in seinen Angriffen selbst Bolesław Bierut nicht aus. Es ist nicht klar, von wem die Anregung zu seinen Äußerungen gekommen war. Als eine Hypothese nennt Andrzej Garlicki Lavrentij Berija als möglichen Inspirator. Wie dem auch sei, als Folge des unglücklichen Auftritts verlor Wolski seine staatlichen Funktionen und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Celina Bobińska wurde aufgrund des Verhaltens ihres Mannes nach Krakau beordert, wo sie Władysław Konopczyńskis Platz an der Jagiellonen-Universität einnahm. Dieser Schritt wird relativ einhellig als »Abschiebung« interpretiert.160 Bei der Lektüre des Wortwechsels zwischen Serejski, Assorodobraj und Bobińska darf auch der Kontext der Epoche nicht vergessen werden. Dieser Kontext soll hier anhand der in der ZfG ausgetragenen historischen Debatten erhellt werden. Die Auseinandersetzungen der DDR-Historiker konzentrierten sich vor allem auf die Politik der KPD. Dabei zeichneten sich drei Problemkomplexe ab: die Bewertung der Novemberrevolution von 1918, das Verhalten der KPD in Preußen zu Beginn der 1930er Jahre, als die Partei durch ihre Weigerung, mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, zum Sieg der Nationalsozialisten beigetragen hatte, aber auch die Beteiligung der Kommunisten an der antifaschistischen Bewegung in Deutschland und ihre Rolle dabei. Dieses letztgenannte Thema wurde in einem von Werner Plesse 1954 in der ZfG veröffentlichten Erinnerungstext angesprochen.161 Der Verfasser behauptete, dass die Opposition gegen Hitler nicht nur aus Kommunisten bestanden hätte. Für diese Sicht der Dinge wurden sowohl der Autor wie auch die für den Druck verantwortlichen Redakteure scharf kritisiert. Die führende, eigentlich monopolistische Rolle der Kommunisten unter den Feinden Hitlers gehörte zu den geistigen Fundamenten der DDR und durfte nicht in Zweifel gezogen werden.162

159 Andrzej Garlicki: Stalinizm, Warszawa 1993, S. 49. 160 Rafał Stobiecki: Historia, a. a. O., S. 107. 161 Werner Plesse: Zum antifaschistischen Widerstandskampf in Mitteldeutschland (1939–1945), in: ZfG 1954. 162 Martin Sabrow: Klio mit dem Januskopf, a. a. O., S. 310 f.

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Joachim Petzold erinnerte sich später daran, dass sein Artikel über die Politik der KPD in der Zwischenkriegszeit von Albert Schreiner (1892–1979), einem der führenden DDR-Historiographen, sehr negativ beurteilt worden sei und dass er seine Veröffentlichung nur dem damaligen Chefredakteur der ZfG zu verdanken habe.163 Dabei hatte es sich noch nicht einmal um eine grundsätzliche Kritik der KPD-Politik gehandelt, sondern nur um einen Hinweis auf einen taktischen Fehler.164 Schreiner reagierte sehr nervös auf alle Versuche, das Sektierertum der KPD zu kritisieren, vor allem wenn sie von einem seiner Assistenten kamen. Er selbst hatte früher eine Zeitlang »revisionistische« Thesen vertreten (er hatte der 1928 gegründeten »Kommunistischen Parteiopposition« KPD-O angehört, die sich unter anderem dadurch von der KPD unterschied, dass sie die sozialdemokratische Tradition viel positiver einschätzte. 1935 übte er Selbstkritik und kehrte zur KPD zurück) und war ganz offensichtlich darum bemüht, dies der Parteileitung nicht wieder in Erinnerung zu rufen.165 Es gab jedoch einen Bereich, in dem Albert Schreiner dem Diktat der Parteiführung nicht weichen wollte und wo er zumindest versuchte, Einfluss auf die geltende Interpretation der neuesten Geschichte zu nehmen. Bis zum XX. Parteitag der KPdSU war man, dem Kurzen Lehrgang der KPR (B) folgend, davon ausgegangen, dass die Novemberrevolution eine bürgerliche und keine sozialistische Revolution gewesen sei. 1956 wurde der Verfasser dieser Interpretation offiziell kritisiert, während Albert Schreiner zum Leiter der »Abteilung der Jahre 1918–1945« im neu gegründeten Institut für Gesellschaftswissenschaften der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW) berufen wurde. Es bot sich nun die Gelegenheit, Stalins These in Frage zu stellen und die deutsche Revolution fast mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution gleichzusetzen (mit dem Unterschied, dass nur die Oktoberrevolution Erfolg gehabt habe).166 Im November 1957 geriet Schreiner bei einer Sitzung der (ost)deutsch-sowjetischen Historikerkommission scharf mit seinen sowjetischen Kollegen aneinander, als er feststellte, dass die bisherige stalinistische Einschätzung der Novemberrevolution nicht gerecht werde.167 Bald darauf entbrannte in der ZfG eine Diskussion, die im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit ausführlicher beschrieben wird. Hier genügt es, darauf hinzuweisen, dass die eng mit der Parteipolitik verknüpfte Debatte mit dem Ein-

163 Joachim Petzold: Der Staatsstreich vom 20. Juli 1932 in Preußen, in: ZfG 1956. 164 Ders.: »Meinungsstreit« im Herrschaftsdiskurs, in: Martin Sabrow (Hg.): Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln 2000, S. 294–296. 165 Ebd., S. 290 u. 296. 166 Mario Kessler: Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR, Köln 2001, S. 190–196. 167 Ders.: Die Novemberrevolution und ihre Räte. Die DDR-Debatten des Jahres 1958 und die internationale Forschung, Berlin 2008, S. 17–20.

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greifen Walter Ulbrichts endete, der einen Kompromiss vorschlug, wobei er jedoch Stalins These vom bürgerlichen Charakter der Novemberrevolution aufrechterhielt.168 Schreiner sah sich gezwungen, einen Artikel vorzulegen, der alle Merkmale einer Selbstkritik im Sinne der Partei trug.169 Auf das Ergebnis dieser Diskussion hatte auch die Meinung der sowjetischen Historiker Einfluss, die Schreiner vorwarfen, in Sozialdemokratismus zu verfallen.170 Albert Schreiners Niederlage zog keine ernsten Konsequenzen nach sich, doch 1960 ging der »Berufsrevolutionär« in Ruhestand. Mario Keßler meint, dass der Konflikt zwischen Walter Ulbricht und Albert Schreiner auch wegen der relativ komplizierten Abhängigkeitsverhältnisse zwischen beiden so milde verlief (Lotte Ulbricht wollte bei Schreiner promovieren).171 Der Versuch, eine Diskussion über die Bewertung der Arbeiterbewegung zu eröffnen, wurde somit schon im Ansatz erstickt und endete mit der vollständigen Kapitulation einer Seite; dabei hatten sich im Hintergrund immer die weitreichenden Konsequenzen abgezeichnet, zu denen übermäßiger Widerstand aufmüpfiger Diskutanten führen konnte. Anders verhielt es sich mit dem wohl aufsehenerregendsten wissenschaftlichen Streit in der DDR, den in der ZfG (aber auch in anderen Zeitschriften und in öffentlichen Wortmeldungen) Jürgen Kuczynski gegen alle anderen Historiker und viele Parteileute führte. Jürgen Kuczynski hat seine Stellung in der DDR-Historiographie treffend als »linientreuer Dissident« beschrieben. Der aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammende Historiker war 1936 zunächst nach England und anschließend in die USA emigriert. Er kehrte in einer amerikanischen Uniform nach Deutschland zurück, was vermutlich der Grund dafür war, warum ihm die Übernahme des Finanzministeriums in der Sowjetischen Besatzungszone verwehrt wurde. Kuczynski lehrte an der Berliner Humboldt-Universität Wirtschaftsgeschichte. 1949 wurde er Direktor des neugegründeten Deutschen Wirtschaftsinstituts (später umbenannt in Institut für Politik und Wirtschaft), außerdem war er Präsident der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Das Jahr 1950 bedeutete einen zeitweiligen Karriereknick: Kuczynski wurde beschuldigt, Kontakte zu dem der Spionage verdächtigten Noel Field gehabt zu haben und verlor seine Ämter, doch zog man ihm gegenüber keine weiteren Konsequenzen. 1953 kehrte er in das Institut für Politik und Wirtschaft zurück. Für Kuczynski bedeuteten die Ereignisse des Jahres 1956 einen Wandel der Denkweise, was er in

168 Walter Ulbricht: Über den Charakter der Novemberrevolution. Rede in der Kommission zur Vorbereitung der Thesen über die Novemberrevolution, in: Neues Deutschland vom 18.6.1958. Dasselbe in: ZfG 1958. 169 Albert Schreiner: Auswirkungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf Deutschland vor und während der Novemberrevolution, in: ZfG 1958. 170 Martin Sabrow: Klio mit dem Januskopf, a. a.O., S. 312. 171 Mario Keßler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 195.

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mehreren Veröffentlichungen zum Ausdruck brachte, die mit der orthodoxen Parteilinie brachen. Im Artikel Parteilichkeit und Objektivität in Geschichte und Geschichtsschreibung stellte er die kühne These auf, dass auch bürgerliche Autoren erster Güte ein Vorbild für Marxisten sein können.172 Bald darauf rezensierte er in der ZfG eine Arbeit des westdeutschen Historikers Paul Kirn positiv.173 Ähnlich kühne Ideen finden sich in seinem Artikel Meinungsstreit, Dogmatismus und »liberale Kritik«174, aber auch in seinem Text Der Mensch, der Geschichte macht, der zum 100. Geburtstag Georgi W. Plechanovs erschien und von der Rolle des Individuums in der Geschichte handelt.175 Schließlich führte Kuczynski 1957 die Frage nach der Rolle von Masse und Individuum in dem Buch Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie. Chronik und Analyse aus.176 Seiner Meinung nach hatte nicht die Sozialdemokratie versagt, als sie 1914 in das Lager der Kriegsanhänger wechselte, sondern die Volksmassen hätten sich von den Kriegstreibern verführen lassen. Opportunismus sei somit nicht nur eine Sache der nichtkommunistischen Akteure der Arbeiterbewegung, sondern auch der Arbeiter selbst, vor allem ihrer reichsten Schicht.177 Alle diese Publikationen fanden – ebenso wie einige kleinere – großes Echo. Die Kritik an Kuczynski konzentrierte sich in der ZfG. Das dritte Heft des Jahrgangs 1957 wurde von einem Text der Redaktion eröffnet, in dem ihm eine nichtmarxistische Herangehensweise an das Problem der Rolle des Individuums in der Geschichte vorgeworfen und in dem Bedauern darüber ausgedrückt wurde, dass derartige Ansichten in dieser Zeitschrift überhaupt geäußert worden seien.178 Noch unheilvoller klangen die Schlussfolgerungen eines Textes von Fritz Köhler, der feststellte, dass Kuczynskis »Versuch einer Revision feststehender und immer wieder bestätigter Grunderkenntnisse des historischen Materialismus […] nicht dazu angetan [ist], die weitere Klärung unserer theoretischen und praktischen Probleme voranzubringen«.179 Die Frage, welchen Zweck dieser Text eigentlich ver172 Jürgen Kuczynski: Parteilichkeit und Objektivität in Geschichte und Geschichtsschreibung, in: ZfG 1956, dasselbe in: Beiträge zum neuen Geschichtsbild. Zum 60. Geburtstag von Alfred Meusel, Berlin 1956. Vgl. Fritz Klein: Erinnerungen an die ersten Jahre der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1953–1957, in: Matthias Middell (Hg.): Historische Zeitschriften, a. a. O., S. 347 f. 173 Jürgen Kuczynski: (Rez.) Paul Kirn: Das Bild des Menschen in der Geschichtsschreibung von Polybios bis Ranke, in: ZfG 1956. 174 Ders.: Meinungsstreit, Dogmatismus und »liberale Kritik«, in: Einheit 1957/5. 175 Ders.: Der Mensch, der Geschichte macht. Zum 100. Geburtstag von G. W. Plechanow am 11. Dezember 1956, in: ZfG 1957, S. 13. 176 Ders.: Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie. Chronik und Analyse, Berlin 1957. 177 Vgl. Mario Kessler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 134 f. 178 Gegenwartsaufgaben der Geschichtswissenschaft in der DDR, in: ZfG 1957, S. 454. 179 Fritz Köhler: Das werktätige Volk, der wahre Schöpfer der Geschichte. Entgegnung auf J. Kuczynski »Der Mensch, der Geschichte macht«, in: ZfG 1957, S. 469.

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folgte, hätte für den Historiker ernsthafte Folgen haben können. Kuczynski wollte diese offensichtlich vermeiden und lehnte es demonstrativ ab, während einer Sitzung des ZfG-Redaktionskollegiums über Köhlers Auslassungen zu diskutieren.180 Weitere in der ZfG veröffentlichte Texte waren eine Art »Abrechnung« mit Jürgen Kuczynski. Günther Heyden, Elisabeth Giersiepen und Waltraud Robbe warfen ihm Abkehr vom Marxismus vor.181 Rolf Dlubek und Klaus Gössler beschuldigten ihn eines primitiven Ökonomismus und des Idealismus.182 Diese gefährlichen Stimmen von Unzufriedenheit mit Jürgen Kuczynskis geistiger Haltung beendeten den Fall jedoch noch nicht. Die 30. Vollversammlung des ZK der SED sprach sich 1957 scharf gegen den Revisionismus aus. Die bis dahin publik gewordene Kritik an den Texten des Historikers hatte eindeutig darauf abgezielt, genau diesen Vorwurf zu begründen. Ab 1958 hatte die ZfG einen neuen Chefredakteur, und der Abgang des relativ liberalen Fritz Klein löste eine neue Kampagne gegen Kuczynski aus. Günter Benser, Xaver Streb und Gerhard Winkler schrieben gemeinsam: »Man muß fragen: Warum kommt Kuczynski in vielen Fällen zu Ansichten, die der historischen Wahrheit widersprechen? Wir sehen den Grund dafür in seiner fehlerhaften theoretischen Konzeption. Kuczynski muß zu falschen Schlußfolgerungen gelangen, da bereits sein Ausgangspunkt falsch ist, da seiner Konzeption fehlerhafte Auffassungen über die Rolle der Partei der Arbeiterklasse und ihrer Beziehungen zu den Massen zugrunde liegen.«183

In einem ähnlichen Ton gehalten war ein weiterer Artikel Josef Schleifsteins.184 Die nächsten Hefte der ZfG waren voller negativer Rezensionen von Kuczynskis letzten Arbeiten.185 Worte einer grundsätzlichen Kritik kamen auch von Kuczynskis gutem Bekannten Alfred Meusel, der den bisherigen Teilnehmern an dieser

180 Martin Sabrow: Klio mit dem Januskopf, a. a. O., S. 321. 181 Günther Heyden: Was heißt »Geschichte machen«?, in: ZfG 1957, S. 791–794; Elisabeth Giersiepen/ Waltraud Robbe: Zur Rolle der Volksmassen und der Persönlichkeit in der Geschichte, in: ZfG 1957. 182 Rolf Dlubek: Kritische Bemerkungen zur J. Kuczynskis Ausführungen über die Rolle der ökonomischen Tätigkeit des Menschen und über die »Funktion des Menschen als Produktivkraft« in der geschichtlichen Entwicklung, in: ZfG 1957, S. 1228; Klaus Gössler: Der historische Materialismus und der Mensch, der Geschichte macht, in: ZfG 1957; Alfred Meusel: Kritische Bemerkungen zu dem Artikel von Klaus Gößler: Der historische Materialismus und der Mensch, der Geschichte macht, in: ZfG 1957. 183 Günther Benser/Xaver Streb/Gerhard Winkler: Partei und Massen bei Ausbruch des ersten Weltkrieges. Zum Buche von Jürgen Kuczynski »Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie«, in: ZfG 1958, S. 185. 184 Josef Schleifstein: Die deutsche Sozialdemokratie bei Ausbruch des ersten Weltkrieges, in: ZfG 1958. 185 Werner Berthold: Bemerkungen zu den von J. Kuczynski und anderen Historikern aufgeworfenen Problemen des »Geschichtsmachens«, in: ZfG 1958; Heinz Fliegner: Zu dem Buch von Jürgen Kuczynski: »Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die Sozialdemokratie. – Chronik und Analyse«, in: ZfG 1958; Gerhard Schilfert: Einige Bemerkungen zu dem Artikel von J. Kuczynski:

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einseitigen Auseinandersetzung Recht gab und feststellte, dass Kuczynski in seinem Buch über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs die ganze Schuld den Massen, nicht aber den politischen Führern gegeben habe.186 Spätestens seit 1958 konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Kuczynski nicht an Diskussionen über die eine oder andere Interpretation der Vergangenheit teilnahm, sondern selbst Gegenstand einer Hetzjagd war. Angeführt wurde sie von Walter Ulbricht höchstpersönlich, der in dieser Frage das Wort ergriff.187 Die Gefahr war zum Greifen nahe, denn aus der Parteiführung wurde eine Gruppe von »Revisionisten« und Gegnern Ulbrichts entfernt, mit denen Kuczynski in Verbindung gebracht werden konnte.188 Der Historiker selbst tat jedoch ganz konsequent so, als nehme er an einer freien Diskussion teil. Die (als geschichtsphilosophische Abhandlung gefasste) Selbstkritik, die er bereits 1958 öffentlich ablegte, wurde allgemein als unzureichend gewertet.189 Dies hatte für ihn aber keine allzu weitreichenden Folgen: In seinem Fall endete die Kampagne gegen den »Revisionismus« damit, dass er seinen Sitz in der Volkskammer sowie in der DDR-sowjetischen Historikerkommission verlor. Anfangs waren schärfere Maßnahmen verordnet worden: Parteiausschluss, Vorlesungs- und Veröffentlichungsverbot konnten jedoch aufgrund der Unterstützung nicht durchgesetzt werden, die Kuczynski von marxistischen Historikern aus den Bruderländern erhielt. Die sowjetischen und chinesischen Wissenschaftler ignorierten ganz einfach die in der DDR geführte Hetze (gewiss nicht ohne Wissen der zuständigen Behörden).190 Kuczynski selbst erinnerte sich gerne an Arkadi S. Jerussalimskij, »einen guten und treuen Freund in ideologischer Not!«191 Martin Sabrow hat das Ende der Diskussion um Kuczynski treffend als »Erschöpfungs-Waffenstillstand« bezeichnet.192 Der Unterschied zwischen dem Stil, in dem die historischen Diskussionen im stalinistischen Polen und in der DDR geführt wurden, scheint auf der Hand zu

(Fortsetzung Fußnote 185) »Der Mensch, der Geschichte macht«, in: ZfG 1958; Joachim Höppner: Zur Kritik der Geschichtsauffassung von Jürgen Kuczynski in den Fragen des Klassenkampfes und der Parteilichkeit, in: ZfG 1958; Erwin Winkler/Heinz Fliegner: Zur Methode in J. Kuczynskis Buch: »Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie«, in: ZfG 1958. 186 Alfred Meusel: Der Ausbruch des ersten Weltkrieges und die deutsche Sozialdemokratie. Kritische Betrachtungen zu dem Buch von J. Kuczynski, in: ZfG 1958, S. 1059. 187 Martin Sabrow: Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969, München 2001, S. 352. 188 Ebd., S. 353 f. 189 Mario Kessler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 140. 190 Lothar Kieslich: Kommunisten gegen Kommunisten. Die Intellektuellenpolitik der SED im Umfeld des XX. Parteitags der KPdSU und des Ungarn-Aufstands, Gießen 1997, S. 138–140. 191 Jürgen Kuczynski: Dialog mit meinem Urenkel. Neunzehn Briefe und ein Tagebuch, Berlin/Weimar 1983, S. 120. 192 Martin Sabrow: Das Diktat, a. a. O., S. 363.

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liegen. Bei allen Ähnlichkeiten der beiden Systeme scheint es, als könne im Fall der DDR von Elementen eines Meinungsaustauschs keine Rede sein. Im Vergleich dazu, wie in der DDR alle Versuche unterdrückt wurden, die historischen Dogmen in Frage zu stellen, erscheint die Diskussion zwischen Marian Serejski, Nina Assorodobraj und Celina Bobińska relativ frei und ist wohl tatsächlich von zwei Seiten geführt worden (so betrachtet scheint Bobińskas Urteil vollauf verständlich). Hierfür lassen sich einige Gründe nennen. Kuczynski berührte nicht nur Fragen der Historiographiegeschichte, sondern auch Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die marxistische Methodologie (die Rolle von Masse und Individuum in der Geschichte). Zudem hatte er in seinem Buch die Haltung der deutschen Sozialdemokratie zum Krieg behandelt und damit das Gebiet der historia sacra betreten, der Geschichte der organisierten Arbeiterbewegung. Vor allem aber geht aus diesem Vergleich hervor, dass für die ostdeutschen Behörden wichtiger war, was über die Geschichte geschrieben wird, aber auch, dass unter den marxistischen Historikern eine einheitliche Meinung erhalten bleibt. Die Historiker und die Abteilung für Wissenschaft und Propaganda (seit 1957 Abteilung Wissenschaften) des ZK der SED arbeiteten besonders eng und vertraut zusammen; die Institutionen der Partei waren auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung nicht nur ein Kontrollfaktor, sondern spielten auch eine aktive Rolle.193

Die Treffpunkte: Konferenzen und Historikertage Treffpunkte und Orte des Meinungsaustauschs sind neben den historischen Zeitschriften auch die unterschiedlichen Versammlungen, Konferenzen und Kongresse. In den meisten Fällen kommt es hier nicht zu sehr vielen Konfrontationen verschiedener Standpunkte und die Teilnehmer beschränken sich darauf, ihre Arbeitsergebnisse zu präsentieren. Bisweilen aber können derartige Treffen auch eine ganz prinzipielle Rolle spielen, neue methodische und thematische Impulse geben und Wissenschaftlern aus verschiedenen Standorten die Möglichkeit zur Zusammenarbeit bieten. Sie haben auch den Vorteil, dass man sie (meistens) durch Tagungsbände, Tagungsberichte und -programme rekonstruieren kann. In den in diesem Buch behandelten Ländern und Jahren fehlte es natürlich nicht an den unterschiedlichsten Konferenzen. Um aber die Bedingungen besser kennenzulernen, unter denen die Historiker arbeiteten, gilt es, sich auf diejenigen wissenschaftlichen Veranstaltungen zu konzentrieren, die für die Ausprägung von Ansichten und Verhaltensformen eine besonders wichtige Rolle spielten. An 193 Ulrich Neuhäußer-Wespy: Der Parteiapparat als zentrale Lenkungsinstanz der Geschichtswissenschaft der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren, in: Martin Sabrow/Peter Th. Walther (Hg.): Historische Forschung, a. a. O., S. 149–169.

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einige dieser »besonderen« Tagungen erinnert man sich immer wieder, ja sie werden zu Symbolen und sind bis heute nicht vergessen. In Polen war dies sicherlich mit der Ersten Methodenkonferenz der Polnischen Historiker in Otwock an der Jahreswende 1951/1952 der Fall. Eine ähnliche Rolle spielten häufig die Versammlungen historischer Gesellschaften (die hierzu besonders prädestiniert waren) sowie auch internationale Historikerkongresse. Sie alle erlauben es, zu einem Teil die vorherrschenden intellektuellen Strömungen, die politische Lage und die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der jeweiligen organisierten Historikerschaft zu erfassen. Besonders interessant erscheinen mir diejenigen Konferenzen und Begegnungen, bei denen es zur Konfrontation zwischen Vertretern der »bürgerlichen« und der marxistischen Historiographie kam, daher bilden sie auch einen Schwerpunkt meiner Arbeit. Das letzte symbolische Zeichen institutioneller und personeller Kontinuität zwischen der tschechischen Historiographie der Vorkriegs- und der Nachkriegszeit war der Zweite Tschechoslowakische Historikertag 1947. Es handelte sich zugleich um einen der ersten Vorboten der näher rückenden radikalen Änderungen. Die von Karel Stloukal geführte ČSHS hatte als Organisatorin rund 800 Gäste eingeladen (die Slowaken waren allerdings nur schwach vertreten). Von den Leitthemen waren folgende am wichtigsten: das Problem des historischen Materialismus und andere methodische Neuerungen, die deutsche Frage, die slawische Zusammenarbeit sowie Probleme der tschechisch-slowakischen Beziehungen.194 Bereits vor Tagungsbeginn war es zu einem Konflikt zwischen den Organisatoren und einer Gruppe von Marxisten gekommen. Die Marxisten verlangten, dass nicht der für seine kritische Haltung gegenüber der UdSSR bekannte Jan Slavík das Referat über die Oktoberrevolution und die slawische Welt halten sollte, sondern Zdeněk Nejedlý. Nach Gesprächen mit der ČSHS-Führung war Slavík bereit, sein Thema an Nejedlý abzutreten, doch darf bezweifelt werden, ob dieses Nachgeben die Lage beruhigte. Wie Josef Hanzal festgestellt hat, beruhte das grundlegende Problem darauf, dass die meisten aktiven Anhänger des Marxismus in seiner sowjetischen Ausprägung vor dem Krieg enge Kontakte zu Slavík gehabt hatten, mit dem sie zusammen die Zeitschrift »Dějiny a přítomnost« gegründet hatten. Nach dem Krieg gehörten Václav Husa, Jaroslav Charvát, Václav Čejchan, Jan Pachta, Oldřich Říha und Jaroslav Vávra der KSČ an, während ihr »geistiger Vater« zu den »erklärten Feinden« des ersten Arbeiter- und Bauernstaats gehörte.195

194 Josef Hanzal: Čeští historici před únorem 1948, in: ČČH 1993, S. 279–281. Vgl. Antonín Kostlán: K vývoji českého dějepisectví v letech 1945–1948, in: ČČH 1994; Jaroslav Čechura/Jana Šetřilová: Josef Klik a II. sjezd československých historiků, in: ČČH 1994; Antonín Kostlán: Druhý sjezd československých historiků (5.–11. října 1947) a jeho místo ve vývoji českého dějepisectví v letech 1935–1948, Praha 1993. 195 Josef Hanzal: Čeští historici, a. a. O., S. 58–61.

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Die Tagung verlief reibungslos, bis der damalige Arbeits- und Sozialminister Zdeněk Nejedlý sein Referat halten sollte. In seinem Vortrag stellte er relativ oberflächlich die führende Rolle der Sowjetunion unter den slawischen Staaten und Nationen dar. Die Reaktion des versammelten Publikums war sehr zurückhaltend, ein Teil der Anwesenden hatte bereits erfahren, dass die Anwesenheit Nejedlýs den Organisatoren der Tagung aufgezwungen worden war. Als der Redner endete, meldete sich Jan Slavík zu Wort, der sein Zeitlimit überschritt und ein sehr kritisches Koreferat hielt, in dem er den Versammelten u. a. die Funktionsmechanismen der stalinistischen Diktatur erläuterte.196 Nejedlý ging auf die Polemik nicht ein, sondern verließ die Tagung beleidigt und sagte, dass die alte Generation ihn wohl noch nicht verstehen könne (tatsächlich war Slavík sieben Jahre jünger als Nejedlý).197 Nachdem er die Versammlung verlassen hatte, setzten die Teilnehmer die Tagung wie vorgesehen fort. Zu einer weiteren Auseinandersetzung zwischen der marxistischen Minderheit und den nichtmarxistischen Historikern Tschechiens kam es in der Diskussion, die auf Jaroslav Werstadts Referat über Josef Pekař folgte. In den Augen der KSČ-Mitglieder hatte der bedeutende Historiker (posthum, da er 1937 verstorben war) mit den Faschisten kollaboriert. Sowohl Werstadt wie auch andere Tagungsteilnehmer nahmen Pekař vor dieser Kritik in Schutz.198 Die Tagung endete mit einem Doppelbesuch an den Gräbern Josef Šustas und Tomáš Garrigue Masaryks. Josef Hanzal bemerkte zu Recht: »Heute verwundert uns, wenn wir die Protokolle lesen, sicherlich, dass vor der Februarkatastrophe gerade die Historiker so sorglos und ruhig sein konnten, dass sie die Anzeichen der heraufziehenden Gefahr nicht erkannten«.199 Auf der anderen Seite kündigte der Konflikt zwischen einer Gruppe von Marxisten, die sich auch als Vertreter der slowakischen Interessen ansah, und Karel Stloukal den sich nähernden Sturm an.200 Einige Monate nach dem Historikertag materialisierte sich die Gefahr bekanntlich in Form eines politischen Umsturzes, der für die tschechischen Historiker höchst dramatische Folgen haben sollte. Die Schritte, die die Machthaber in den Jahren darauf auf dem Gebiet der historischen Wissenschaften ergriffen, führten zu keiner offenen Konfrontation der marxistischen und nichtmarxistischen Historiker. Man wählte vielmehr administrative Maßnahmen; Diskussionen wurden ersetzt durch Säuberungen in den historischen Instituten. Die in der ersten Hälfte der 1960er Jahre einsetzende langsame Liberalisierung des Kulturlebens war ebenfalls kein Werk der »bürgerlichen« Wissenschaftler, sondern marxistischer

196 Ebd., S. 69. 197 Ebd., S. 281. 198 Ebd., S. 73 f. 199 Ebd.: S. 282. 200 Antonín Kostlán: Druhý sjezd, a. a. O., S. 276–278.

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Parteimitglieder, zu denen auch Persönlichkeiten gehörten, die, wie František Graus oder Josef Macek, in den 1950er Jahren wichtig gewesen waren. Folglich waren bis zu Beginn der 1960er Jahre Treffen, an denen tschechische Historiker teilnahmen, Demonstrationen der ideologischen Einheit der Zunft. Bereits 1948 fand die Versammlung der Nationalen Kultur statt, bei der Václav Kopecký, Zdeněk Nejedlý und Ladislav Štoll den Teilnehmern die Aufgaben der neuen Wissenschaft und Kunst präsentierten. Sie kündigten den sozialistischen Realismus und die Methode des Historischen Materialismus an, die von nun an auf fast jedem schöpferischen Gebiet zu gelten hatten.201 Für die Historiker hatten jetzt die in den Parteigremien gefällten Entscheidungen besondere Bedeutung. Das ZK der KSČ fasste zum Beispiel im Mai 1951 einen Beschluss, demzufolge in Arbeiten zur Geschichte Tschechiens der neuesten Geschichte mehr Bedeutung zu widmen sei. Laut Nejedlý sollten sich die Historiker nun nicht mehr für das Prag der Barockzeit, sondern für das Prag Lenins interessieren.202 Keine geringere Rolle spielte die Kritik des Kosmopolitismus, wie sie auf einer ideologischen Konferenz in Brünn im Februar 1952 von Václav Kopecký und Alexej Čepička vertreten wurde.203 Eine weitere derartige Konferenz unter Beteiligung von Historikern fand noch im selben Jahr statt.204 Die Redner konzentrierten sich darauf, die Rolle zu »entlarven«, die Masaryk und Pekař in der Nationalgeschichte gespielt hätten.205 Sehr schnell wurden diese Thesen auch von professionellen Historikern wiederholt, die an der Tagung teilnahmen. Doch vom Standpunkt der Beziehungen zwischen marxistischen Historikern und parteilosen Kollegen aus betrachtet, gewann keine dieser Tagungen eine solche Bedeutung wie die Konferenz von Otwock (oder auch der letzte tschechoslowakische Historikertag, von dem bereits die Rede war). Keine der ideologischen Konferenzen war ein eindeutiger Wendepunkt, ihre Ergebnisse waren von vornherein bekannt. Es ging vielmehr um den Transmissionsriemen für Entscheidungen, die bereits zuvor in engeren Kreisen getroffen worden waren. Man erwartete keine »massenhaften Bekehrungen«, da sie bereits von oben dekretiert worden waren; Personen, mit denen eine Zusammenarbeit nicht zu erwarten war, verloren ihre Möglichkeiten, Einfluss auf die Wissenschaft wie auch auf die Studenten zu nehmen. Ein Ereignis von umstürzender und symbolhafter Bedeutung für die tschechoslowakische Geschichtschreibung war erst die Beteiligung von 200 tschechischen und slowakischen Historikern am internationalen Kongress der Historischen

201 Alexej Kusák: Kultura a politika, a. a. O., S. 264–269. 202 Peter Heumos: Geschichtswissenschaft, a. a. O., S. 547 f. 203 Rudolf Urban: Die Organisation der Wissenschaft in der Tschechoslowakei, Marburg/Lahn 1957, S. 2–4. 204 Josef Macek et al.: Proti kosmopolitismu ve výkladu naśich národních dějin, Praha 1953. 205 Josef Hanzal: Čeští historici, a. a. O., S. 90.

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Wissenschaften in Wien 1965. Die Zeit des Tauwetters hatte bereits begonnen, die Kulturschaffenden lösten sich von den sozrealistischen Schemata, der Prager Frühling begann, und die bisherigen marxistischen »Hardliner« wie Graus oder Macek sagten sich von der orthodoxen Parteilinie los. Zu dem Historikerkongress begaben sie sich auf einem gecharterten Schiff. Sowohl in Wien wie auch bei einer ein Jahr später stattfindenden Konferenz über Nationalitätenprobleme in der Habsburgermonarchie stellten die westlichen Historiker mit Überraschung fest, dass sie es mit wirklichen Historikern und nicht etwa mit Parteifunktionären zu tun hatten.206 Die Einstellung der tschechoslowakischen Historiker dürfte in der Tat überrascht haben, da die Haltung der anderen Teilnehmer ihnen gegenüber sehr reserviert war. An der Tagung hatte auch Henryk Wereszycki teilnehmen sollen, der in der stalinistischen Zeit nicht hatte lehren dürfen, doch erhielt er keinen Pass. In einem Brief an Piotr Wandycz kommentierte Wereszycki relativ scharf den Unterschied zwischen sich selbst und anderen Ostblockhistorikern, denen die Teilnahme an der Konferenz erlaubt worden war: »Je kleineres Gepäck man hat«, schreibt er ironisch, »desto leichter reist man«.207 Die Situation in der Slowakei entwickelte sich in vielerlei Hinsicht ähnlich wie in den böhmischen Ländern. Während der ersten Generalversammlung der Slowakischen Historischen Gesellschaft (SHS) im April 1946 in Pieš any erkannten die Versammelten vor allem das Problem, ihre Beziehungen zu den tschechischen Kollegen zu normalisieren. Der neugebildete, von Daniel Rapant geleitete Slowakische Historikerverband genoss (auch finanziell) die Unterstützung der slowakischen Behörden. Während der Tagung sprachen auch der damalige Bevollmächtigte für Bildungsfragen, Ladislav Novomeský, sowie Alan J. P. Taylor aus Oxford.208 Die marxistische Minderheit meldete sich nicht zu Wort, schon deshalb, weil es sie noch gar nicht gab.209 Der zweite Slowakische Historikertag 1947 wurde abgesagt. Einige Wochen nach der geplanten Tagung wurde mit Vendelin Jankovič einer der SHS-Sekretäre unter dem Vorwurf einer staatsfeindlichen Verschwörung verhaftet.210 Mehrere Monate vor dem nächsten, für Oktober 1948 geplanten Historikertag kam es dann zum politischen Umsturz in der Tschechoslowakei.

206 Jiří Kořalka: Czechosłowacja, in: Jerzy Kłoczowski/Paweł Kras (Hg.): Historiografia krajów Europy Środkowo-Wschodniej, Lublin 1997, S. 51. 207 Piotr Wandycz: Między starymi a nowymi laty, in: Elżbieta Orman/Antoni Cetnarowicz (Hg.): Henryk Wereszycki (1898–1990). Historia w życiu historyka, Kraków 2001, S. 265. 208 Lýdia Kamencová: Vznik Slovenskej historickej spoločnosti a prvá etapa jej činnosti (1946–1950), in: HČSAV 1991, S. 183–188. 209 Marek Havrila: Slovenská historiografia v rokoch 1945–1968, Prešov 2004, Kap. Slovenská historická spoločnos v rokoch 1946–1968, S. 4. 210 Ebd.

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Die wichtigsten Veränderungen unter den slowakischen Historikern gab es, ähnlich wie in Tschechien, während der »Überprüfung« der Hochschulmitarbeiter.211 Die Säuberungen machten auch vor der SHS nicht halt. Eine symbolische Bedeutung hatte die Absetzung des SHS-Vorsitzenden Daniel Rapant (er musste auch die Universität Pressburg verlassen), der heute als wichtigster slowakischer Historiker gilt.212 Einige weitere Historiker verloren ebenfalls ihre Stellen, wobei bedrohliche Vorwürfe wegen staatsfeindlicher Betätigung geäußert wurden.213 Nach dem »siegreichen Februar« beteiligte sich die SHS an den offiziellen Unterstützungsadressen für die kommunistische Partei. Die dritte Hauptversammlung (im Oktober 1948) war eine der letzten Gelegenheiten, um Widerstand gegen die im Land und in der SHS vor sich gehenden Veränderungen zu äußern. Einen solchen Schritt wagte die Archivarin Maria Jeršová, die ihre Teilnahme absagte, weil sich ihr Mann, ein Held des Aufstands von 1944, in Haft befand.214 Lýdia Kamencová, die diese Ereignisse beschreibt, erwähnt nicht, dass Jeršovas Haltung irgendeinen Einfluss auf den Verlauf der Beratungen gehabt hätte. Die Leitung der SHS äußerte hingegen ihre Überzeugung, man müsse die marxistische Methodologie vor allem in wirtschaftshistorischen Forschungen übernehmen.215 Es handelte sich im Übrigen schon um die vorletzte Versammlung der SHS. Zwischen 1950 und 1957 hörte er praktisch auf zu bestehen. Für das slowakische Geschichtsbewusstsein nach dem Krieg hatte der gegen die Deutschen und die prodeutsche Regierung der Slowakei gerichtete Slowakische Nationalaufstand (Slovenské Národné Povstanie, SNP) eine besondere Bedeutung. Verschiedene Anzeichen der Stalinisierung, aber auch des anschließenden Tauwetters waren vor allem in der offiziellen Interpretation dieses Ereignisses zu erkennen. Das hing damit zusammen, dass die kommunistischen Anführer der Aufstandszeit, Gustav Husák und Ladislav Novomeský, als rechts-nationalistische Abweichler beschuldigt wurden und die gesamte stalinistische Zeit im Gefängnis verbrachten, wo sie auf die Vollstreckung ihrer Todesurteile warteten. In diesem Kontext kam den verschiedenen dem SNP gewidmeten Jubiläumskonferenzen eine symbolische Bedeutung zu: Sie zeigten mehr oder weniger, wo die slowakische Historiographie aktuell stand. Jozef Jablonický hat zwei derartige Konferenzen

211 Vladimír Michalička/Daniela Vaněková: Die Entwicklung des Hochschulwesens in den Jahren 1945–1989, in: Beata Blehova/Peter Bachmaier (Hg.): Die Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturpolitik in der Slowakei 1945–2004, Frankfurt/Main 2004, S. 81. 212 Ján Mlynárik: Diaspora historiografie. Štúdie, články a dokumenty k dejinám československej historiografie v rokoch 1969–1989, Praha 1998, S. 15. 213 Es waren L. Čulen, J. V. Gajdoś und V. Jankovič. Vgl.: Marek Havrila: Slovenská historiografia v rokoch 1945–1968, Preśov 2004, Kap. Slovenská historická spoločnos v rokoch 1946–1968, S. 5. 214 Lýdia Kamencová: Vznik Slovenskej, a. a. O., S. 191. 215 Marek Havrila: Slovenská historiografia, a. a. O., Kap. Slovenská historická spoločnos v rokoch 1946–1968, S. 6.

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miteinander verglichen. Die erste, 1953 vom Historischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften (Historický ústav slovenskej akadémie vied, HÚ SAV) organisierte, glich ihrem Charakter nach den tschechischen Konferenzen über den Kosmopolitismus. Das einzige Relikt einer Diskussion war die Forderung des HÚ-Direktors, dass die Referenten die geheimdienstlichen Verwicklungen der Aufstandsanführer mutiger »demaskieren« müssten, insbesondere ihre Kontakte zum Intelligence Service.216 Eine weitere Tagung fand im Juni 1964 bereits im radikal veränderten Klima des »Slowakischen Frühlings« statt.217 Der SNP war der offiziellen Erinnerung wieder einverleibt worden, und man hatte nicht nur die kommunistischen Führer des Aufstands rehabilitiert, sondern auch die mehrheitlich nichtkommunistische Beteiligung an ihm anerkannt.218 Das Tauwetter im kulturellen und politischen Leben der Slowakei begann ähnlich wie in Tschechien um 1963. Im Juni dieses Jahres hatte in Pressburg eine Hauptversammlung der SHS stattgefunden. Die Teilnehmer übten eine besondere Art von Selbstkritik, indem sie im eigenen Schaffen der letzten anderthalb Jahrzehnte Spuren von »Personenkult« suchten. Man kritisierte den Einfluss von Parteileuten, Schauprozesse und historische Fälschungen. Die Versammelten erörterten auch ein Problem allgemeinerer Natur, ob nämlich Historiker, die für all diese Missstände verantwortlich waren, überhaupt noch Historiker genannt werden dürften oder ob man sie nicht ganz einfach nur als Propagandisten bezeichnen müsse. Marek Havrila schreibt, dass der »erneuernde« Charakter dieser Versammlung besonders gut vor dem Hintergrund der beispiellosen Dynamik zu sehen ist, zu der es in den 1960er Jahren bei den historischen Forschungen kam.219 Seinen historiographischen Höhepunkt erreichte der »Slowakische Frühling« beim 6. Slowakischen Historikertag in Martin. Schon der Ort, an dem er stattfand, war bezeichnend – die Wiege der slowakischen Nationalbewegung und Sitz der Matica Slovenská (MS) war in den 1950er Jahren ein Symbol für den mit der HlinkaVolkspartei zusammenhängenden, klero-faschistischen Nationalismus der Slowakei gewesen.220 Besondere Bedeutung hatten die Wortmeldungen zum Stand der

216 Jozef Jablonický: Glosy o historiografii SNP. Zneu ivanie a falśovanie dejín SNP, Bratislava 1994, S. 32. 217 Agneša Kalinová: Z redakčného zákulisia Kultúrného života čiže príbeh o desiatich malých černośkoch, in: Kultúrny život a Slovenská jar 60. rokov, Bratislava 1998, S. 94. 218 Jozef Jablonický: Glosy, a. a. O., S. 54. Vgl. ubomír Lipták: Slovakia: History and Historiography, in: Elena Mannová/David Paul Daniel: A Guide to Historiography in Slovakia, Bratislava 1995, S. 13; Jozef Jablonický: Slovenské národné povstanie v historiografii v rokoch totality, in: SNP v pamäti národa. Materiály z vedeckej konferencie k 50. výročiu SNP, Donovaly 26.–28. apríla 1994, Bratislava 1994, S. 88–91. 219 Marek Havrila: Slovenská historiografia, a. a. O., Kap. Slovenská historická spoločnos v rokoch 1946–1968, S. 18 f. 220 VI. Zjazd slovenských historikov roku 1968, in: HČSAV 1990, S. 844.

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Historiographie in den letzten zwanzig Jahren. ubomír Lipták stellte fest, dass es an Auslandskontakten gefehlt habe, dass man versucht habe, mit der intergenerationellen Kontinuität der slowakischen Historiographie zu brechen und dass deren Status insgesamt niedrig sei.221 Noch schärfer äußerte sich Ján Mlynárik. Er hob die sinkende Qualität der Historikerausbildung nach 1948 hervor und forderte die Rehabilitierung des aus seinen öffentlichen Ämtern verdrängten Daniel Rapant. Dessen Rolle in der slowakischen Geschichtsschreibung verglich er mit derjenigen, die in Tschechien der Schöpfer der kritischen tschechischen Historiographie Jaroslav Goll gespielt habe.222 Von den auf der Tagung gehaltenen Referaten, in denen der »vergangene Zeitraum« zu streng beurteilt werde, distanzierte sich der damalige SHS-Vorsitzende und Direktor des HÚ SAV, udovít Holotík.223 Besonders bedeutsam für die Selbsteinschätzung der marxistischen Historiographie in der DDR war, dass sie sich in ständiger Auseinandersetzung mit der anderen deutschen Geschichtsschreibung befand. Auf der einen wie der anderen Seite der Grenze hing die Beziehung zu den Nachbarn und ideologischen Gegnern in hohem Maße von der politischen Großwetterlage ab, die mal eine beschränkte Zusammenarbeit begünstigte, mal eiskalt war. Eine gute Gelegenheit zur Begegnung von Marxisten und Vertretern der »bürgerlichen« Geschichtsschreibung waren die gemeinsamen gesamtdeutschen Historikertage, die bis 1958 unter Beteiligung von DDR-Historikern stattfanden. Vergleichbares konnten die ostdeutschen Konferenzen und wissenschaftlichen Sitzungen nicht leisten, da sie in der Regel kein Ort waren, an dem man verschiedene Meinungen austauschen oder Andersdenkende überzeugen konnte, sondern wo es wie in der stalinistischen Tschechoslowakei darum ging, eine bereits erreichte marxistische Einheit zu demonstrieren. Die ersten Nachkriegsversammlungen des Verbandes der Historiker Deutschlands (VHD) fanden fast ohne Beteiligung marxistischer Historiker statt. Einziger Vertreter der DDR war in der Regel Walter Markov, ein auch im Westen geschätzter Leipziger Marxist, der 1951 der Verfolgung von Tito-Anhängern in der DDR zum Opfer fiel.224 Bereits 1951 erhielten die von den Organisatoren eingeladenen ostdeutschen Historiker keine Pässe mehr und konnten am Historikertag in Marburg nicht teilnehmen.225 Zu einer Wende kam es 1953 in Bremen.

221 ubomír Lipták: Úloha a postavenie historiografie v našej spoločnosti, in: HČSAV 1969. 222 Ján Mlynárik: Vz ah politiky a historiografie, in: HČSAV 1990, S. 864 f. 223 VI. Zjazd slovenských historikov roku 1968, in: HČSAV 1990, S. 845. 224 Matthias Middell: Jenseits unserer Grenzen? Zur Trennung von deutscher und allgemeiner Geschichte in der Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur der DDR, in: Konrad Jarausch/ Matthias Middell (Hg.): Nach dem Erdbeben. (Re-)Konstruktion ostdeutscher Geschichte und Geschichtswissenschaft, Leipzig 1994, S. 101. 225 Martin Sabrow: Ökumene als Bedrohung. Die Haltung der DDR-Historiographie gegenüber den deutschen Historikertagen von 1949 bis 1962, in: Matthias Middell (Hg.): Historikertage, a. a. O., S. 178 f.

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Die ostdeutschen Behörden entschlossen sich, eine umfangreiche Delegation zu entsenden, darunter auch parteilose Fachleute. DDR-Historiker machten rund 10 % der insgesamt etwa 700 Teilnehmer aus, sie beteiligten sich aktiv an den Diskussionen und an informellen Gesprächen. Fritz Klein, der in der ZfG über die den Historikertag berichtete, stellte mit Genugtuung fest, dass nur wenige westdeutsche Historiker den Marxisten gegenüber feindselig aufgetreten seien (dann aber hätten sie dies auf besonders unsympathische Weise getan und ihnen gar das Recht abgesprochen, sich Historiker zu nennen).226 Insgesamt war der offizielle Eindruck also mehr oder weniger positiv.227 Andere Schlüsse ließen die aggressiven Äußerungen Heinz Kamnitzers und Joachim Streisands zu, die einigen westdeutschen Kollegen ihre nationalsozialistische Vergangenheit vorwarfen.228 Zu einer weiteren Konfrontation der nichtmarxistischen deutschen Historiographie kam es drei Jahre später während des VHD-Kongresses in Ulm. Die junge DDR-Geschichtsschreibung hatte bereits erste internationale Erfahrungen gesammelt, obschon es auf dem CISH-Kongress in Rom keiner Vertretung eines volksdemokratischen Landes gelungen war, das Bild von einer manipulierten, zentral gelenkten und politisierten Wissenschaft zu ändern.229 In Ulm wurde die DDR von einer parteitreuen Gruppe repräsentiert. Alle Diskussionsbeiträge waren im Vorhinein geplant. Der knappe redaktionelle Bericht, den die ZfG über den Historikertag veröffentlichte, lobte die sachlichen deutsch-deutschen Diskussionen und stellte erfreut fest, dass die Beteiligung von DDR-Historikern in Ulm deutlich wahrgenommen worden sei.230 In der Folgenummer der Zeitschrift schlug man noch optimistischere Töne an. Die DDR-Historiker schrieben, dass sich hauptsächlich die ältere Generation im Westen vom Marxismus abzugrenzen versuche, während die Jüngeren an den Erkenntnismöglichkeiten der bürgerlichen Geschichtsschreibung zweifelten und einer Zusammenarbeit mit der DDR gegenüber aufgeschlossener seien.231 Das Jahr 1956 bedeutete allerdings das Ende eines halbwegs friedlichen Meinungsaustauschs zwischen den beiden deutschen Historiographien. Der

226 Fritz Klein: Erinnerungen an die ersten Jahre der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1953–1957, in: Matthias Middell (Hg.): Historische Zeitschriften, a. a. O., S. 338. 227 Fritz Klein: Der Bremer Historikertag 1953, in: ZfG 1953, S. 906. 228 Heinz Kamnitzer: Zum Vortrag von Th. Schieder »Das Verhältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung und die Krise des bürgerlichen Liberalismus«, in: ZfG 1953; Joachim Streisand: Zum Vortrag von O. Brunner »Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte«, in: ZfG 1953; Alfred Meusel: Zum Vortrag von G. Ritter »Das Problem des ›Militarismus‹ in Deutschland«; E. Werner: Zum Vortrag von B. Spuler »Hellenismus und Islam«, beide in: ZfG 1953. 229 Karl Dietrich Erdmann: Die Ökumene der Historiker. Geschichte der Internationalen Historikerkongresse und des Comité International des Sciences Historiques, Göttingen 1987, S. 316–319. 230 23. Versammlung deutscher Historiker in Ulm, in: ZfG 1956, S. 1255 f. 231 23. Versammlung deutscher Historiker in Ulm, in: ZfG 1957, S. 125–127.

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20. Parteitag der KPdSU, der Ungarnaufstand, der Polnische Oktober und schließlich die antirevisionistische Kampagne in der DDR (in deren Zuge Jürgen Kuczynski unter Beschuss geriet sowie Fritz Klein und Joachim Streisand als Redakteure der ZfG entlassen wurden) veränderten die Sachlage radikal. Martin Sabrow zufolge kam die Parteiführung auch zu dem Schluss, dass bei der fortwährenden Diskussion mit Vertretern anderer Weltanschauungen die ideologische Reinheit nicht immer gewahrt werden könne. Wollte die marxistische Historiographie ihre dominierende Rolle behalten, so musste sie auf die offene Konfrontation mit anderen methodischen und politischen Strömungen verzichten.232 Im ideologischen Organ der SED, der »Einheit«, erschien eine grundlegende Kritik an der Politik des offenen Meinungsaustauschs: »Wissenschaftlicher Meinungsaustausch, fruchtbringende Auseinandersetzung und nationales Zusammenfinden zwischen deutschen Historikern aus Ost und West, all dies kann nur dann die Sache der fortschrittlichen Wissenschaft, des Friedens und der nationalen Verständigung voranbringen, wenn es auf der Grundlage des unversöhnlichen Kampfes gegen die imperialistische Geschichtsschreibung vor sich geht. Auf dieser Basis sind alle Kontakte mit westdeutschen Historikern fruchtbringend und erstrebenswert.«233

Der letzte gesamtdeutsche Historikertag fand im September 1958 in Trier statt. Die DDR-Delegation wurde diesmal von der einige Monate zuvor gegründeten Deutschen Historiker-Gesellschaft (DHG) unter Vorsitz von Ernst Engelberg zusammengestellt und von der Abteilung Wissenschaften des ZK der SED bestätigt. Der neue ostdeutsche Historikerverband hatte erklärtermaßen das Ziel, gegen Militarismus, Neofaschismus und für den Sieg des Sozialismus in ganz Deutschland zu kämpfen.234 Alfred Meusels Vorschlag, dass die DHG-Mitglieder auch dem VHD beitreten sollten, wurde verworfen, ja den Mitgliedern des ostdeutschen Verbands wurde es sogar verboten, sich dem VHD anzuschließen.235 Bereits vor dem Historikertag erschien in der ZfG ein Angriff auf einige westdeutsche Historiker, die als Imperialisten klassifiziert wurden.236 Zudem verstärkte sich in den Monaten vor der Versammlung die Flucht von DDR-Wissenschaftlern in den Westen deutlich. Der VHD protestierte gegen die Versuche der DDR-Behörden, diese Welle aufzuhalten. Öl ins Feuer goss auch der Fall Willy Flachs, eines Wissenschaftlers, der das drückende Klima in der DDR nicht mehr ertrug, in die Bundesrepublik floh und anschließend Selbstmord beging.237 Die DDR bestritt, dass Flachs’ Ent-

232 Martin Sabrow: Ökumene als Bedrohung, a. a. O., S. 189. 233 E. Hoffmann: Über Tendenzen, die den weiteren Fortschritt unserer Geschichtswissenschaft hemmen, in: Einheit, Nr. 12/1957, S. 1151, Zit. nach: ebd., S. 190. 234 Aufruf zur Gründung der »Deutschen Historiker-Gesellschaft« in der DDR, in: ZfG 1958, S. 217. 235 Martin Sabrow: Ökumene als Bedrohung, a. a. O., S. 191 f. 236 Heinz Heitzer: Über unsere Stellung zu den westdeutschen bürgerlichen Historikern, in: ZfG 1958. 237 Martin Sabrow: Ökumene als Bedrohung, a. a. O., S. 192 f.

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scheidung mit seinem Gefängnisaufenthalt und der Aberkennung seiner wissenschaftlichen Titel in Verbindung gestanden habe.238 Offiziell war der Abbruch der Beziehungen mit der westdeutschen Historiographie nur noch eine Formalität. In Trier reagierten die westdeutschen Historiker auf das organisierte Auftreten der Ostdeutschen, indem sie ihnen das Rederecht entzogen.239 Von nun an behandelten die ostdeutschen Wissenschaftler ihre Kollegen aus dem Westen nur mehr als ideologische Gegner, was sich in den immer zahlreicheren entlarvenden Artikeln in der ZfG abzeichnete.240 Von symbolischer Bedeutung war der Tod Alfred Meusels, der zuvor für eine relative Öffnung gegenüber der westlichen Wissenschaft plädiert hatte. Er starb kurz vor dem 11. CISH-Kongress in Stockholm. Die DDR entsandte eine selbstständige Repräsentation nach Stockholm, die sich mit »reaktionären Ausfälle[n] imperialistischer westdeutscher Historiker«, »Vertretern der amerikanischen und vatikanischen Geschichtsschreibung sowie mit entwurzelten Emigranten«, »revisionistischen« Jugoslawen und dem »grotesken« Oskar Halecki auseinandersetzen mussten.241 Die DDR-Historiker verzichteten auf alle Versuche, andere von ihren Ansichten zu überzeugen. Auf ihr eigenes Milieu beschränkt, hatten sie weder den Bedarf noch Möglichkeiten, den Vertretern anderer Weltanschauungen gegenüberzutreten. Im polnischen Fall dauerte die Zeit des stalinistischen »Sturm und Drang«, anders als in der Tschechoslowakei oder der DDR, nur relativ kurz. Vor 1956 gelang es nicht, eine vollständige ideologische und personelle Kontrolle herzustellen, sodass bereits vor dem Polnischen Oktober Kritik am stalinistischen Schematismus in der Historiographie aufkam. Die Stalinisierung der polnischen Geschichtsschreibung war somit ein unvollendeter Prozess, der deshalb aber besonders interessant ist. Hier nämlich erstreckte sich die Konfrontation zwischen Marxisten und »bürgerlichen« Historikern über viele Jahre. Meilensteine auf diesem Weg waren Versammlungen und Konferenzen von großem Gewicht und erheblicher Bedeutung für die Zunft. Aus diesem Grund waren diese Konferenzen, anders als in der Tschechoslowakei oder der DDR, nicht nur rein formeller Natur, auch wenn sie nicht dem freien und ungehinderten Gedankenaustausch dienten.

238 Zu den Zwecklügen des Herrn Thiedeck (Interview der Redaktion mit G. Schilfert und G. Pretsch), in: ZfG 1958, S. 1355. 239 Zu den Vorfällen auf der 24. Versammlung des westdeutschen Historiker-Verbandes in Trier, in: ZfG 1958, S. 1134. 240 Vgl. u. a. Felix-Heinrich Gentzen/J. Kalisch/G. Voigt/E. Wolfgramm: Die »Ostforschung« – ein Stoßtrupp des deutschen Imperialismus, in: ZfG 1958; Karl Obermann: Bemerkungen über die bürgerliche Metternich-Forschung, in: ZfG 1958; Manfred Unger: Bernhard von Clairvaux und der Slawenkreuzzug 1147. Bemerkungen zu einem Aufsatz von W. Schlesinger, in: ZfG 1959; Percy Stulz/Siegfried Thomas: Zur Entstehung und Entwicklung der CDU in Westdeutschland 1945–1949, in: ZfG 1959. 241 Rolf Rudolph: XI. Internationaler Historiker-Kongreß in Stockholm, in: ZfG 1960, S. 1790–1794. Vgl. Martin Sabrow: Das Diktat, a. a. O., S. 305–312.

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Erstmals trat eine geschlossene Gruppe polnischer marxistischer Historiker auf dem 7. Allgemeinen Polnischen Historikertag in Breslau auf, der vom 19. bis 22. September 1948 stattfand. Unter den Gästen befand sich eine Delegation sowjetischer Historiker (Pjotr Tret’jakov, Arkadij Sidorov und Ivan Udal’cov). Jeder von ihnen hielt ein Referat. Anwesend waren jedoch auch Charles Morazé als Vertreter des CISH sowie Josef Macůrek aus Brünn, einer der von der neuen, kommunistischen Führung der Tschechoslowakei wenig geschätzten Historiker. Als Referent war auch Henryk Wereszycki (1898–1990) tätig, der bald darauf zur persona non grata werden sollte (er sprach über den Einfluss der Außenpolitik von Preußen und Österreich auf die polnische Frage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1918) und der schon damals von einigen Tagungsteilnehmern des Kosmopolitismus und Nationalismus beschuldigt wurde.242 Die in der KH und PH veröffentlichten Tagungsberichte sprechen mit Anerkennung über die Forschungsperspektiven, die der Marxismus biete. Ohne Widerstand wurde ein von Wanda Moszczeńska vorgebrachter Antrag angenommen »über die Notwendigkeit, in das Universitätsstudium der Geschichte einen verpflichtenden Kurs zur Methodik der Geschichte und insbesondere des historischen Materialismus aufzunehmen«.243 Während des Historikertags bildete sich eine Gruppe marxistischer Historiker (sie nannte sich Marxistische Historikervereinigung, Marksistowskie Zrzeszenie Historyków, MZH), deren Ziel es war, künftige Maßnahmen zu koordinieren und die Qualifikationen der nicht besonders zahlreichen Anhänger der neuen Methodologie zu heben. Die Leistungen der Marxisten wurden bei der Versammlung kaum gewürdigt. Rafań Stobiecki führt die Meinung eines Exil-Kommentators an, demzufolge es sich um »eine Versammlung von landlosen Historikern oder Kleinlandbesitzern und mit minimaler Beteiligung von Kulaken« gehandelt habe; während der Beratungen sei »das Wunder der Bekehrung nicht eingetreten«.244 Mehr noch, das Auftreten der polnischen Marxisten fand in den Augen der sowjetischen Gäste keine Anerkennung. Auf der Grundlage ihrer Berichte formulierte J. Ždanov folgende Meinung: »In theoretischer Hinsicht ist diese Gruppe bislang nicht stark genug. Die meisten ihrer Mitglieder sind nicht höher gestiegen als bis zu einem primitiven ökonomischen Marxismus. Einige Mitglieder der Gruppe weisen eine ›linksradikale‹ Einstellung gegenüber der alten Professur auf.«245

242 Elżbieta Orman: Historyk i jego historia. Próba biografii Henryka Wereszyckiego, in: Dies./ Antoni Cetnarowicz (Hg.): Henryk Wereszycki, a. a. O., S. 56 f. 243 Relacja ze zjazdu – in: KH 1948, S. 580. Vgl. Tadeusz Paweł Rutkowski: Polskie Towarzystwo Historyczne w latach 1945–1958. Zarys dziejów, Toruń 2009, S. 31–41. 244 Wahrscheinlich durch Marian Kukiel, in: Teki Historyczne, Nr. 1–2/1949, S. 1–6, Zit. nach: Rafał Stobiecki: Historia, a. a. O., S. 97. 245 Zit. nach: Zbigniew Romek: Historycy radzieccy o historykach polskich. Uwagi o zjeździe wrocławskim i konferencji otwockiej (1951/1952), in: Polska 1944/45–1989. Studia i materiały, Bd. 4 (1999), S. 197.

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Zukunftshoffnungen verband man hauptsächlich mit dem Entstehen einer Gruppe, die sich der neuen Methoden annehmen wollte. Zu dieser Gruppe sollte sich die MZH entwickeln. Um erfolgreich sein zu können, so brauchte sie Vertrauen und musste von den Behörden gut behandelt werden. Doch zeigen bereits die Anfänge ihres Wirkens, dass der Einfluss der marxistischen Organisation auf die Entwicklung der polnischen Historiographie nur relativ gering war. Einige Monate lang bereiteten sich die Marxisten intensiv auf die Beteiligung am CISH-Kongress in Paris 1950 vor.246 Es sollte sich jedoch herausstellen, dass für die Beteiligung polnischer Delegierter auf dem Kongress die Zusammensetzung der deutschen Delegation zum größten Problem werden sollte. Bei einem Treffen in der Abteilung für Wissenschaften des ZK erklärte Żanna Kormanowa im Januar: »Es gibt dort [in der deutschen Delegation] nur drei Berliner, unter denen sich [Jürgen] Kuczynski nicht befindet. Die Organisatoren des Kongresses wollen offensichtlich imperialistische Historiker einschmuggeln. […] Polen soll offensichtlich als Schild dienen. Hierüber müssen die Parteistellen entscheiden.«247

Bald darauf übergab Żanna Kormanowa Tadeusz Manteuffel, dem für die internationale Zusammenarbeit zuständigen Delegierten der Polnischen Historischen Gesellschaft (Polskie Towarzystwo Historyczne, PTH), eine Liste von Vertretern »der deutschen demokratischen Geschichtswissenschaft«, die zum Pariser Kongress eingeladen werden sollten. Noch im selben Monat bereitete Manteuffel für das Bildungsministerium die Liste der polnischen Kongressteilnehmer vor, doch diesmal entschlossen sich die »Parteistellen« zum Boykott der Veranstaltung. Tadeusz Manteuffel wurde gezwungen, einen höflichen Absagebrief an die Organisatoren zu schreiben.248 Die Art und Weise, wie die Staatsmacht mit dem Problem einer Beteiligung der Polen am Pariser Kongress der Geschichtswissenschaften umging, illustriert nicht nur die Beziehung der Regierenden zu den Historikern insgesamt, sondern auch zu den Marxisten, die anscheinend wie die Übrigen bereits Referate vorbereitet und sogar – wie Żanna Kormanowa – einigen Aufwand in die Vorbereitung und ideologische Unterfütterung investiert hatten. Ob nun die Entscheidung aufgrund von Anweisungen aus Moskau erfolgte, ob die Zusammensetzung der deutschen Delegation oder aber die seit 1949 verschlechterten polnisch-französischen

246 Rps BUW, Spuścizna Niny Assorodobraj, VII/2, Protokół z posiedzenia partyjnej grupy historyków przy Wydziale Nauki KC PZPR z dnia 7 stycznia 1950 r. 247 Rps BUW, Spuścizna Niny Assorodobraj, VII/2 – Protokół z posiedzenia partyjnej grupy historyków przy Wydziale Nauki KC PZPR z dnia 7 stycznia 1950 r. 248 APAN, Sign. III 192, Materiały Tadeusza Manteuffla, j. 38 Akta Delegata PTH do stosunków międzynarodowych – Projekt listu z 7 VII 1950.

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Beziehungen ausschlaggebend waren (die französischen Behörden hatten Stanisław Arnold ein Einreisevisum verweigert, was die »Trybuna Ludu« zu heftigen Reaktionen veranlasst hatte) – offensichtlich setzte man sich sowohl über die parteilosen wie auch über die parteinahen Historiker hinweg. Zur gleichen Zeit, als über die Beteiligung einer polnischen Delegation am Kongress der Historischen Wissenschaften in Paris entschieden wurde, erhoben sich verstärkt Stimmen von Parteimitgliedern, die ernsthafte personelle und organisatorische Veränderungen in der Wissenschaft verlangten. Der Kongress sollte, den Überlegungen einer Parteistelle in der Abteilung für Wissenschaften des ZK zufolge, als Gelegenheit dienen, die inhaltlichen Qualifikationen und die Geschlossenheit der führenden polnischen Marxisten zu belegen. Außerdem erlegten die der PTH überreichten Empfehlungen zum Inhalt der Referate auch den parteilosen Teilnehmern die Pflicht auf, die Erkenntnisse der »fortschrittlichen« Wissenschaft zu nutzen, und sei es nur in den Fußnoten. Hätten diese Pläne Erfolg gehabt, so hätte dies die wissenschaftliche Autorität ihrer Urheber vergrößert. Als nun die Parisreise abgesagt wurde, glaubten die Marxisten die Historikerschaft am besten durch administrative Zwänge sowie durch ein »Schließen der Reihen« unter ihre Kontrolle bringen zu können. In diesem Klima wurden auch die Vorbereitungen zum I. Kongress der Polnischen Wissenschaften (Kongres Nauki Polskiej, KNP) beendet. Wie für die Referate zum Pariser Kongress bereitete die PTH auch vor dem I. KNP Empfehlungen für die Autoren vor, die den Vorgaben der PZPR-Historiker folgten. Es galt, in den Kongressbeiträgen eine »methodologische Analyse der bisherigen Forschung« durchzuführen, wobei Elemente wie Nationalismus, Kosmopolitismus (»vor allem heute in der Frage der Beziehung zur Wissenschaft des Imperialismus (des Westens) und des Sozialismus (UdSSR)«), des Klerikalismus und des Idealismus »aufgedeckt und hervorgehoben« werden sollten. Alle Redner wurden angewiesen, »die Lage im Bereich der untersuchten Frage aus dem Gesichtspunkt der führenden marxistischen Wissenschaft« zu bewerten.249 Dies war ein Anzeichen für einen langsamen Kurswechsel. Bereits 1949 war bei einer Sitzung des Exekutivorgans für den I. KNP im Bildungsministerium festgelegt worden, dass »man den Kongress nicht unter dem Oberbegriff der marxistischen polnischen Wissenschaft einberufen kann, da es hierfür noch zu früh ist, doch in einem allgemeinen Referat werden […] die ideologischen Richtlinien hervorzuheben sein, denen sich die polnische Wissenschaft zu widmen hat«.250

249 APAN, Sign. III – 192, Materiały Tadeusza Manteuffla, j. 47 I KNP – Instrukcja w sprawie opracowania referatów dla Podsekcji Historii i Prehistorii Pierwszego KNP, b. d., podp. Stanisław Arnold, przewodniczący podsekcji. 250 AAN, Sign. 1222, Ministerstwo Oświaty, Gabinet Ministra – Protokół posiedzenia Egzekutywy ds. KNP w dn. 16 III 1949.

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Den wahrscheinlich größten Eindruck auf die Teilnehmer an den Beratungen der Untersektion für Geschichte machte das die Diskussionen zusammenfassende Referat von Żanna Kormanowa. Diesen Text bezeichnete die Exilzeitschrift »Kultura« als »ziemlich ungewöhnlich, sowohl hinsichtlich des Inhalts wie auch der Form«.251 Kormanowa begann damit, dass sie die Rolle der Geschichte betonte, die eine der schärfsten und parteilichsten Sozialwissenschaften sei, derer sich bislang die besitzenden Klassen gerne bedient hätten. Auf eine kurze Zusammenfassung der polnischen Historiographie vor 1918 folgte ein ausführlicher Teil über die Zwischenkriegszeit. Neben vielen positiven Aspekten (die sie teilweise allerdings relativierte) fand sich in Kormanowas Text aber auch Platz für eine vernichtende Kritik der »Festung des Negativismus«, wie sie Władysław Konopczyński und Karol Górski nannte, ja sogar für eine unheilkündende Analyse der Zusammensetzung der Polska Akademia Umiejętności PAU, der, wie Komarnowa aufzählte, u. a. Marian Kukiel, Jan Kucharzewski, Oskar Halecki sowie eine Reihe ausländischer Mitglieder angehörten, deren »Namen […] zu nennen sich nicht lohnt, unter ihnen befinden sich alle Lichtgestalten der bürgerlichen Wissenschaft, die italienisch-faschistische und die sozialdemokratische Rechte eingeschlossen«. In dieser verdächtigen Gesellschaft stand der sowjetische Historiker Boris Grekov »auf dem letzten Platz«.252 Kormanowa stellte anschließend fest, dass die endgültige Eingliederung der Westgebiete in den Staat bereits erfolgt sei, weshalb das Westinstitut (Instytut Zachodni, IZ) ihrer Meinung nach keine Daseinsberechtigung mehr habe.253 Zu den Forderungen der Untersektion zählte die Referentin die Einrichtung von Kollektivlehrstühlen nach sowjetischem Vorbild, eine weitere Zentralisierung der Wissenschaftsverlage sowie die Gründung eines Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften.254 Kormanowas Auftritt machte bei den Zuhörern vor allem deshalb Eindruck, weil sie für die Bewertung der Arbeit weithin bekannter Historiker eine recht primitive Sprache verwendete (auch das bemerkten die Kommentatoren der »Kultura«). Was das Niveau künftiger marxistischer Arbeiten zur Historiographiegeschichte anging, ließ das nichts Gutes ahnen. Auf der inhaltlichen Ebene riefen die Ankündigung, das IZ aufzulösen, und die Kritik an der PAU Unruhe hervor. Die Gründung eines Historischen Instituts mit eigenen Forschungsaufgaben hatte zwar schon gleich nach Kriegsende Tadeusz Manteuffel vorgeschlagen, doch jetzt konnte man davon ausgehen, dass die Entstehung des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften (IH PAN) Element einer Politik

251 Józef Jasnowski: Analiza programów, a. a. O. 252 Żanna Kormanowa: Referat podsekcji historii sekcji nauk społecznych i humanistycznych I KNP, in: KH 1951, S. 317. 253 Ebd., S. 297. 254 Ebd., S. 325.

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sein würde, deren Ziel es war, bestehende Institutionen und Organisationen aufzulösen, die sich mit der Geschichte befassten. Den meisten Versammelten blieb unklar, wie die Kollektivlehrstühle arbeiten sollten. Wahrscheinlich schenkte man bei Kormanowas programmatischem Beitrag vor allem dem Stil Aufmerksamkeit, der insgesamt der auf dem I. KNP herrschenden Atmosphäre entsprach, sowie der – vorerst – relativ nebulösen Ankündigung einer Zentralisierung, die wahrscheinlich mit einer Überprüfung von Stellen einhergehen würde, also potentiell gefährlich werden konnte. Eine gewisse Vorstellung davon, was der I. KNP für parteilose Wissenschaftler bedeuten konnte, vermitteln die Sitzungsprotokolle der Untersektion für Philosophie. Hier kam es zu einer lehrreichen Diskussion, an der Philosophen teilnahmen, die eine ganz unterschiedliche Einstellung zur Staatsmacht hatten: Stanisław Ossowski, Tadeusz Kotarbiński, Adam Schaff sowie Józef Chałasiński. Ausgangspunkt dieses Streits war Kotarbińskis Bemerkung über die Notwendigkeit, in wissenschaftlichen Forschungen die Meinungsfreiheit aufrechtzuerhalten. Schaff entgegnete: »Die Forderung nach Diskussionsfreiheit, die von Prof. Kotarbiński vorgebracht wurde, ist ein weiteres Ergebnis eines asoziologischen, abstrakten Ansatzes. Man könnte ihn nur dann akzeptieren, wenn es keine fremde Spionage gäbe, keinen Klassenfeind, keine reaktionären Banden, und wenn es in der Realität die abstrakte Situation zahlenmäßig gleich starker bürgerlicher und marxistischer Gelehrter gäbe«.

Da es aber, so Schaff, keine derartige Gleichheit gebe, könne von Diskussionsfreiheit auch keine Rede sein. Kotarbińskis Auffassung wurde von Stanisław Ossowski unterstützt, der die Notwendigkeit hervorhob, zur Verwirklichung des Sechsjahrplans alle intellektuellen Kräfte zu mobilisieren. »Doch eine umfassende Mobilisierung der intellektuellen Kräfte ist ohne Diskussionsfreiheit nicht möglich«, hob er hervor. »Wer einen Apfelbaum fällt, um die Äpfel schneller pflücken zu können, handelt nicht in Übereinstimmung mit den Prinzipien rationaler Produktion.« Eine höchst erstaunliche (aber sicherlich nicht außergewöhnliche) Kompromisslösung schlug Józef Chałasiński vor, der »sich für die freie Diskussion im kleinen Kreis von Professoren« aussprach, »nicht aber unter den breiten Studentenmassen. Eine solche Diskussionsfreiheit wäre seiner Meinung nach ein Faktor, der die sozialen Kräfte der Jugend demobilisieren würde.«255 Man könnte vermuten, dass die Diskussionen auf dem I. KNP den parteilosen Historikern endgültig die Gefahr verdeutlichten, die ihnen persönlich wie auch

255 Rps BUW, Spuścizna Niny Assorodobraj, VI/5-a I KNP – Protokół z posiedzenia Podsekcji Filozofii i Nauk Społecznych Kongresu Nauki dnia 17 I 1951 o 17 w lokalu Zakładu Socjologii UW, protokołowała mgr D. Malewska.

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der gesamten Zunft drohte. Dies war keine Folge der »totalitären Struktur« (Piotr Hübner) der Kongressberatungen, sondern vielmehr der deutlichen Signale, die von den PZPR-Wissenschaftlern wie Adam Schaff oder, im Bereich der Geschichtswissenschaft, von Żanna Kormanowa formuliert wurden. In Gefahr waren die Stellen der parteilosen Professoren, die sich der neuen Politik nicht unterordnen wollten. In Gefahr waren auch die teilweise unabhängigen wissenschaftlichen Institutionen, die nach Meinung Kormanowas nun nicht mehr benötigt wurden, etwa die PAU oder das IZ. Man musste auch mit der Möglichkeit rechnen, dass die neu gebildeten, zentralisierten wissenschaftlichen Strukturen der Akademie der Wissenschaften solchen Historikern anvertraut wurden, die ihren Kollegen gegenüber die Position von Partei und Regierung vertraten, etwa Kormanowa. Dies war keine ermutigende Perspektive, insbesondere wenn man an eine Passage ihres Referats dachte, in dem sie gesagt hatte, dass »wir Historiker« im Kampf um die Erfüllung des Sechsjahresplans »nicht mit dem Bergmann, dem Metallarbeiter, dem Hüttenarbeiter oder dem Textilarbeiter mitgehalten haben«.256 Wie sich bald herausstellte, war sich ein Teil der Historiker der Lage bewusst und zog daraus Konsequenzen. Die nächste Gelegenheit für ein Treffen vieler marxistischer und so genannter »liberal-demokratischer« Historiker war die Erste Methodenkonferenz der Polnischen Historiker in Otwock vom 28. Dezember 1951 bis zum 12. Januar 1952. »Das Treffen in Otwock ist bis heute eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der polnischen Geisteswissenschaften nach dem Krieg, es ist ein unmissverständliches Beispiel für den seit Ende der 1940er Jahre voranschreitenden Prozess der zunehmenden Gängelung der polnischen Historiographie«, schreibt Rafał Stobiecki.257 Überhaupt wird die Otwocker Konferenz in Arbeiten über die stalinistische Zeit höchst negativ geschildert. So soll es ihr Ziel gewesen sein, die Überlegenheit der PZPR-Historiker über ihre parteilosen Kollegen zu belegen. Der Termin der Tagung wurde im Übrigen mehrfach verlegt, sodass sich die jungen Marxisten gut vorbereiten konnten.258 Formal waren die Organisationskommission der PAN, das PTH sowie das Ministerium für Hochschulwesen die Veranstalter. Eigentlich aber ging die Tagung auf eine Idee von Żanna Kormanowa zurück, die sie im Wesentlichen auch organisierte. An den Beratungen nahmen sehr viele Historiker aller größeren wissenschaftlichen Einrichtungen teil, auch die jüngste Wissenschaftlergeneration war zahlreich vertreten. Hingegen wurden u. a. Władysław Konopczyński oder auch Zygmunt Wojciechowski nicht eingeladen.

256 Żanna Kormanowa: Referat, a. a. O., S. 297. 257 Rafał Stobiecki: Pierwsza Konferencja Metodologiczna Historyków Polskich, in: Roman Bäcker/ Piotr Hübner (Hg.): Skryte oblicze systemu komunistycznego. U źródeł zła, Warszawa 1997, S. 194. 258 Ebd., S. 195–197.

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Die Teilnehmer sollten nicht nur von Vertretern des Partei- und Staatsapparat bewertet werden, sondern auch von einer Delegation sowjetischer Historiker – vom Direktor des Instituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Boris Grekov, Evgenij Kosminskij, Arkadij Sidorov und Pjotr Tret’jakov. Die Kommentatoren der Exilzeitschrift »Kultura« äußerten Zweifel daran, ob die Versammlung in Otwock überhaupt als Konferenz polnischer Historiker zu bezeichnen sei, da von vornherein klar gewesen sei, dass die Anweisungen von russischer Seite kommen würden.259 Es hat den Anschein, als sei diese Meinung ungerechtfertigt gewesen, doch zweifellos waren sich Beobachter wie Teilnehmer der Konferenz darüber im Klaren, dass ihre Bedeutung sich nicht allein auf den Austausch von Ansichten über wissenschaftliche Fragen beschränkte. Vieles deutet darauf hin, dass man nach den Erfahrungen des I. KNP meinte, Otwock könne eine Gelegenheit zur »Überprüfung der Kader« sein, um größer angelegte personelle und organisatorische Änderungen in die Wege zu leiten. Alarmierte Zuhörer konnten sich nach den ersten eröffnenden Vorträgen ein wenig ruhiger fühlen. Tadeusz Manteuffel äußerte nicht nur die bei offiziellen Anlässen routinemäßigen Ausdrücke höchster Verachtung für den amerikanischen und westdeutschen Imperialismus, sondern erwähnte auch, dass man auf »die positiven Errungenschaften der bisherigen polnischen Historiographie nicht verzichten darf. Schließlich soll die Kultur, die wir anstreben, sozialistisch im Inhalt, doch national in der Form sein.«260 Noch unmissverständlicher musste ZKSekretär Edward Ochabs (1906–1989) Aufruf klingen, eine Geschichte »der Westgebiete zu schreiben sowie des Kampfes der westlichen slawischen Bruderstämme, die von den kriegerischen deutschen Feudalherren mit Feuer und Schwert ausgerottet wurden«, zudem erinnerte er an den »heldenhaften, anderthalb Jahrhunderte dauernden Kampf der polnischen Nation gegen die preußischen, österreichischen und russischen Teilungsmächte und Kolonisatoren«.261 Weiter kritisierte Ochab die allzu große Linkslastigkeit einiger Historiker.262 Seine Worte konnten all jene ein wenig beruhigen, die Angst vor einer »bolschewistischen«, gewissermaßen antinationalen Herangehensweise an die Nationalgeschichte hatten, wie sie von Żanna Kormanowa vertreten wurde. Auch das Verhalten der sowjetischen Gäste konnte die parteilosen Historiker optimistisch stimmen. Sie unterstützten die Anhänger des Stalinismus nicht und ließen sich auch nicht von ihren polnischen Kollegen isolieren; sie äußerten sich kompetent und höflich, indem sie die hohen Qualifikationen ihrer Gastgeber un-

259 Vgl. Józef Jasnowski: Analiza, a. a. O., S. 85. 260 Pierwsza Konferencja, a. a. O., S. 16. 261 Ebd., S. 21. 262 Ebd., S. 23.

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terstrichen.263 Der Delegationsleiter Boris Grekov erwarb sich die Sympathien der polnischen Konferenzteilnehmer, als er die Organisatoren bat, ihn in ein Dorf in der Umgebung von Otwock zu fahren, wo er während seines Militärdienstes im Ersten Weltkrieg stationiert gewesen war. Es kam zu einer Begegnung mit dem betagten Hausherrn, der den damals bei ihm einquartierten Offizier ebenfalls in guter Erinnerung behalten haben soll.264 Nach dem Ende der Tagung wurden die sowjetischen Gäste von Bolesław Bierut empfangen, der großes Interesse am Verlauf der Tagung hatte, vor allem an dem Urteil über die polnischen Fachleute. Die Gäste stellten den parteilosen Historikern ein besonders positives Zeugnis aus, was laut Leonid Gorizontov negative Folgen für einen Teil der sowjetischen Delegation hatte (in der UdSSR wurden sie von Anna Michailovna Pankratova, die Mitglied der Akademie und mit Żanna Kormanowa befreundet war,265 beschuldigt, den Einflüssen der polnischen bürgerlichen Wissenschaft erlegen zu sein).266 Das Urteil der sowjetischen Gäste sollte die Entscheidung der Behörden über die Besetzung der Leitung des IH PAN beeinflussen.267 Tadeusz Manteuffel, der festgestellt hatte, dass »die parteilosen Historiker es verstehen, sich der marxistischen Methode zu bedienen und in ihrer Gelehrsamkeit die Kader des IKKN fraglos in den Schatten stellen«, konnte im Rahmen eines Empfangs bei Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz gelassen den Tagungsbeschluss über die Notwendigkeit der Einrichtung des Instituts wiederholen.268 Denn die Wahrscheinlichkeit, dass das Institut von einer Person vom Schlage einer Żanna Kormanowa geleitet werden würde, war gesunken. Ehe aber die endgültigen Entscheidungen zur Besetzung des IH PAN fielen, kam es auf der Otwocker Tagung zu Vorfällen, die das Selbstwertgefühl der parteilosen Wissenschaftler negativ beeinflussten. Konkret handelte es sich um Angriffe Roman Werfels, Tadeusz Daniszewskis und Józef Kowalskis auf Henryk Wereszycki, den Autor des von ihnen als schädlich beurteilten und aus den Buchhandlungen verbannten Buches Historia polityczna Polski w dobie popowstaniowej 1864–1918 [Politische Geschichte Polens in der Zeit nach dem Aufstand 1864–1918] (Warszawa 1948). Wereszycki wurde zur Selbstkritik aufgerufen und erklärte, dass er beim Verfassen des Buches die Prinzipien

263 Andrzej F. Grabski: Zarys historii historiografii polskiej, Poznań 2000, S. 205. 264 Auf der Grundlage eines Berichts von Prof. Janina Leskiewiczowa (in einem Gespräch im Februar 2002). 265 Żanna Kormanowa: Ludzie i życie, Warszawa 1982, S. 199. 266 Juliusz Bardach: Trudne początki, in: Stefan K. Kuczyński (Hg.): Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk 1953–1993, Warszawa 1993, S. 69. 267 Rafał Stobiecki: Historia, a. a. O., S. 109; Zbigniew Romek: Historycy radzieccy o historykach polskich. Uwagi o Zjeździe wrocławskim (1948) i konferencji otwockiej (1951/1952), in: Polska 1944/45–1989. Studia i materiały, Nr. 4/1999, S. 193. 268 Tadeusz Manteuffel: Historyk wobec historii. Rozprawy nieznane. Pisma drobne. Wspomnienia, Warszawa 1976, S. 358.

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des Marxismus-Leninismus noch nicht gekannt und angewandt habe. Die Angreifer bezeichneten diese Selbstkritik als ungenügend und erneuerten im Verlauf der Tagung ihre Vorwürfe. Die Atmosphäre war nicht nur für den Angegriffenen, sondern auch für andere Konferenzteilnehmer unangenehm. Wereszycki selbst rechnete sogar damit, noch während der Tagung verhaftet zu werden.269 Die Otwocker Tagung stand am Ende einer Reihe von Ereignissen, die nach Meinung der Zeitgenossen wie auch der modernen Forschung zur Stalinisierung der polnischen Historiographie führten. Worauf soll diese Stalinisierung beruht haben? Wenn man die Historikertagungen und wichtigen Konferenzen in den in dieser Arbeit untersuchten Ländern vergleicht, so erkennt man, dass es sich um eine Situation handelte, in der zunächst parteinahe Marxisten zu den jeweils führenden Historikern wurden, ehe es nach und nach zu einer kompletten Dominanz der Partei über die Historikerschaft kam. In der DDR gelang diese Entwicklung. Dabei behilflich waren hier sowohl die Entnazifizierung, in deren Zuge die geisteswissenschaftlichen Abteilungen der Universitäten gesäubert wurden, wie auch die Möglichkeit der Ausreise in den Westen, von der zahlreiche oppositionell eingestellte Historiker Gebrauch machten. In der Tschechoslowakei wurde dieser Zustand bis 1989 sogar zweimal erreicht: in den 1950er Jahren und anschließend noch einmal während der »Normalisierung« nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. In Polen wurde keines dieser Ziele verwirklicht. Die Marxisten waren nicht nur nicht in der Lage, ein zahlenmäßiges und qualitatives Übergewicht über die »bürgerlichen« Historiker zu gewinnen, sondern es fehlte auch an Persönlichkeiten, die zu marxistischen Führern der Zunft hätten werden und die polnische Historiographie nach außen hin hätten vertreten können. Infolgedessen sprachen z. B. die sowjetischen Gäste in Otwock Tadeusz Manteuffel oder Aleksander Gieysztor (1916–1999) ihre Anerkennung aus und nicht etwa Żanna Kormanowa oder Celina Bobińska. Wenn man die Form, den Charakter und den Verlauf der wichtigsten Konferenzen und Historikertage vergleicht, so zeigt sich, dass man in Polen anders als in den übrigen Ländern immer wieder versuchte, die neue Methodologie einzuführen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Bemühungen am Ende dauerhaften Erfolg hätten haben können, sodass die polnischen Historiker eine ähnliche Rolle wie die Universitätseliten der DDR eingenommen hätten. Doch da der Druck auf eine Vereinheitlichung der Historiographie in Polen schon vor 1956 deutlich nachließ, kam es nicht zu einer solchen Entwicklung, und die polnischen Historiker blieben vor einer Situation bewahrt, wie sie ihre Kollegen in der DDR und in der Tschechoslowakei jahrzehntelang ertragen mussten.

269 Jerzy W. Borejsza: Henryk Wereszycki czyli optymizm słusznych tez, in: Elżbieta Orman/Antoni Cetnarowicz (Hg.): Henryk Wereszycki, a. a. O., S. 210.

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Die marxistischen Synthesen der Nationalgeschichte – zur Verwirklichung der Idee kollektiver Arbeit Alle marxistischen Historiographien Mitteleuropas setzten sich das Ziel, erschöpfende und brauchbare Synthesen der jeweiligen Nationalgeschichte zu schaffen. Die neuen Lehrbücher sollten die alten »bürgerlichen« Darstellungen ersetzen und die Perspektive der Geschichtsschreibung diametral ändern: In der neuen Version sollten die Volksmassen als eigentlicher historischer Akteur in den Vordergrund treten. Die Entstehung einer neuen »Meistererzählung« sollte zudem beispielhaft eine neue Arbeitsweise verdeutlichen – die kollektive Arbeit. In den meisten hier zu behandelnden Ländern wurde die Ausarbeitung einer solchen Überblicksdarstellung den Historischen Instituten der neu gegründeten Akademien anvertraut. Die Struktur dieser Institute, die nach chronologischer Einteilung in Abteilungen unterteilt waren, entsprach mehr oder weniger der Struktur der Darstellungen. Die Quellen- und Literatursuche, die Schreibarbeit sowie die Redaktion der Bände wurden auf sehr viele Mitarbeiter verteilt, deren Beteiligung an den Arbeiten nicht immer auf den Titelseiten vermerkt wurde. Die Arbeiten an der endgültigen Gestalt der Bände dauerten lange und wurden im polnischen Fall nie beendet, sodass die Bücher nach ihrer Veröffentlichung nur selten und nur für kurze Zeit die ihnen zugedachte Rolle spielen konnten. Der investierte Aufwand erwies sich im Vergleich zum Ergebnis als unverhältnismäßig groß. Auch wenn die Notwendigkeit, marxistische Gesamtdarstellungen zu erstellen, sowohl in Polen wie auch in der DDR und der Tschechoslowakei offensichtlich schien, blieb die Reihenfolge der einzelnen Schritte zu ihrer Verwirklichung umstritten. Bisweilen waren sich selbst jene Historiker, die der Partei angehörten, nicht über das Konzept für dieses Handbuch einig, dessen rasches Erscheinen man anstrebte. In der Tschechoslowakei und in Polen entschied man sich dazu, zunächst weniger umfangreichen Werken den Vorrang zu geben, also solchen, die in den oberen Schulklassen und an Hochschulen verwendet werden konnten und demnach relativ rasch vorzubereiten und zu publizieren waren.270 Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Geschichte der Vorbereitungen zum polnischen Universitätslehrbuch. Während einer Sitzung des Wissenschaftlichen Rates des IH PAN im September 1953 kam es über die als erste zu veröffentlichenden Bücher zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Leon Grosfeld und Żanna Kormanowa. Grosfeld vertrat die Ansicht, am wichtigsten sei die Entwicklung eines Universitätshandbuches für die Geschichte Polens, des so genannten

270 Vgl. František Kavka/Josef Polišenský/František Kutnar: Přehled dějin ČSR v epoše feudalismu (1526–1781), Praha 1956, František Kutnar: Přehled dějin Československa v epoše kapitalismu, Praha 1957 u. a.

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UPHP (Uniwersytecki podręcznik historii Polski). Kormanowa hingegen sprach sich dafür aus, zunächst ein Lehrbuch für die oberen Klassen der weiterführenden Schulen vorzubereiten.271 In dieser Auseinandersetzung hatte Kormanowa von Anfang an die besseren Karten. Schulbücher für polnische Geschichte waren von der Staatsführung bereits einige Jahre vor Gründung des IH PAN als Priorität erkannt worden. 1951 erschien ein von Gryzelda Missalowa und Janina Schoenbrenner verfasstes Lehrwerk, als dessen Redakteurin niemand anderes als Kormanowa verantwortlich zeichnete.272 Dieses Werk enthielt eine ungemein kritische Auslegung der Nationalgeschichte, etwa indem eine Analogie zwischen dem (vom Adel) selbstverschuldeten Untergang der Ersten Republik und der Niederlage vom September 1939 hergestellt wurde. Bei einer Diskussion über dieses Schulbuch, zu der führende – auch parteilose – Historiker gebeten wurden, kamen wesentliche Mängel der Publikation zur Sprache, darunter die allzu kritische Darstellung der nationalen Traditionen.273 Sowohl Staat und Partei wie auch die führenden polnischen Historiker waren daran interessiert, die nächsten Schulbücher zur polnischen Geschichte inhaltlich niveauvoller und mit einer positiveren Sicht auf die polnische Geschichte zu gestalten. Bei der Lehre der allgemeinen Geschichte gab es diese Probleme nicht, denn man übersetzte hier einfach die sowjetischen Schulbücher.274 Vor der Veröffentlichung eines Lehrbuchs von besonders großer Bedeutung, das für die höchsten Klassen (9–11) der weiterführenden Schulen bestimmt war, beraumte man deshalb eine Reihe von Beratungen an, die auch nach den nächsten Neuauflagen wiederholt wurden. Schon bei der ersten Konferenz von Autoren, Redakteuren und Beratern des Lehrbuchs hob Henryk Jabłoński dessen Relevanz hervor: »wir wollen, dass dieses Schulbuch eine neue, marxistische Sicht unserer Geschichte erzeugen möge«, kündigte er an, und der ZK-Vertreter K. Mariański sekundierte ihm: »Die Partei erachtet es für notwendig, sich stärker mit dem Schulgeschichtsbuch zu beschäftigen«.275 Ergebnis der ersten Konsultationsgespräche war ein Projekt tez dla

271 AIHPAN, Sign. 5/27, Protokoły Rady Naukowej – Protokół nr 3 z posiedzenia Rady Naukowej IH PAN z 25 IX 1953. 272 Gryzelda Missalowa/Janina Schoenbrenner: Historia Polski, Warszawa 1951. 273 Vgl. Rps BUW, Spuścizna Witolda Kuli, p. 27, t.: Podręcznik – programy nauczania, zwłaszcza historii gospodarczej – T. Manteuffel, Materiał do recenzji pierwszych 50 lekcyj (str. 3–132) podręcznika »Historii Polski« G. Missalowej i J. Schoenbrenner; ebd.: B. Leśnodorski, Marksistowski zarys dziejów Polski; tamże: W. Kula, Tezy do dyskusji nad podręcznikiem G. Missalowej i J. Schoenbrenner »Historia Polski«, 11 II 1952. 274 Evgenij Kosminskij: Historia wieków średnich, Warszawa 1953. 275 Rps BUW, Spuścizna Witolda Kuli, p. 27, t.: Podręcznik – programy nauczania, zwłaszcza historii gospodarczej – Protokół z konferencji autorów, redaktorów i konsultantów podręcznika historii Polski dla klas IX–XI odbytej w Warszawie 18 II 1950.

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autorów podręcznika historii Polski [Projekt für Thesen für die Autoren des Schulbuchs zur Geschichte Polens]. Diesen Thesen zufolge sollten die Verfasser sowohl auf die »richtigen« Bezüge zu aktuellen politischen Themen achten wie auch auf den angemessenen Einsatz der marxistischen Methodologie, außerdem sollten sie »die Schönheit der fortschrittlichen polnischen Traditionen und der revolutionären Massenbewegungen als Quelle des rechtfertigten nationalen Stolzes herausarbeiten«.276 Das 1952 erschienene Lehrbuch für die Klassen 9–11 erfüllte nicht alle Wünsche.277 Einige Wochen nach einer Sitzung des Wissenschaftlichen Rats des IH PAN, bei dem es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen Kormanowa und Grosfeld gekommen war, fand eine Sitzung des Lehrstuhls für die Geschichte Polens des IKKN statt, die diesem Lehrbuch gewidmet war. Die Referentin Żanna Kormanowa übte in ihrem Namen und im Namen ihrer Koautoren Selbstkritik und stellte fest, dass die Quelle der Mängel »in unserer theoretischen Schwäche [liegt], in der Schwäche unserer Programme, unserer Schulbücher […]. Als Ausdruck und Folge dieser Schwächen wurden zahlreiche Beispiele von Vulgarisierungen, Vereinfachungen, opportunistischen Formulierungen, Verzerrungen, Soziologisierung aufgezeigt […], die Abkehr der Programme und Schulbücher von der Praxis, von den Schulen, von der Jugend, ihre Überladenheit, die Nichtberücksichtigung der kognitiven Möglichkeiten der Jugend, des Kindes.«278

Teilweise waren diese Mängel, so Kormanowa, paradoxerweise durch das Fehlen eines Universitätslehrbuchs verschuldet, auf das sich die Autoren der Gymnasialwerke hätten stützen können. Die Äußerungen der übrigen Teilnehmer an den Beratungen waren sehr kritisch. Ihrer Meinung nach war das Schulbuch nachlässig erstellt worden. Sylwester Zawadzki, ein Doktorand im IKKN, bemerkte: »Es schrieben einzelne Autoren, die anderen lasen nicht, was die übrigen geschrieben hatten, weshalb es im Buch eine gewaltige Zahl an Wiederholungen gibt, es wiederholen sich dieselben Zitate, dieselben Jahre, wobei die Zahlen nicht immer übereinstimmen […] ein Schulbuch sollte Sympathie hervorrufen, es sollte Liebe zur Arbeiterbewegung wecken. […] Doch da dieses Schulbuch in einer trockenen Sprache geschrieben ist, man könnte sogar sagen, dass es stellenweise in einer Art – wenn man sich so ausdrücken darf – marxistischem Jargon verfasst ist, regt es nicht an, weckt es keine Liebe.«

Zawadzki erläuterte, dass ihm »die Kritik an der PPS nicht gefällt. Der Hauptfehler besteht darin, dass die Autoren anscheinend die ganze Zeit über die PPS dafür

276 Ebd., Projekt tez dla autorów podręcznika historii Polski. 277 Żanna Kormanowa (Hg.): Historia Polski 1864–1945. Materiały do nauczania w klasie XI, Warszawa 1952. 278 Rps BUW, Spuścizna Witolda Kuli, p. 27, t.: Dyskusja nad podręcznikiem szkolnym 1864–1945 – Stenogram posiedzenia Katedry Historii Polski IKKN odbytego w Warszawie w dn. 3 XI 1953.

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kritisieren, dass sie einen unabhängigen polnischen Staat gewollt habe. Anstatt ihre antinationale Haltung hervorzuheben, gehen die Autoren in die andere Richtung.« Nach Auffassung des Redners »erinnert das Lehrbuch stellenweise an einen Parteibericht«; besonders irritierend sei die sektiererische Interpretation der Geschichte Polens, bei der gelte, »wenn es einen anständigen Menschen gibt, dann nur einen Kommunisten. […] Es gibt keine Polen außer Kommunisten […]. Es geht hier nicht um den Überbau […], sondern […] darum, dass hier Żeromski, Prus, Konopnicka, Orzeszkowa nicht vorkommen, auch Matejko nicht, unsere Maler und diejenigen, die protestierten«. Zawadzkis Argumente wurden von Zygmunt Modzelewski aufgegriffen, der den grundlegenden Mangel des Schulbuchs darin sah, »dass es den von ihm behandelten Gegenstand auf die Geschichte der Arbeiterbewegung eingeengt hat«. »Das Lehrbuch selbst«, folgerte er, »ist aber wohl ein Reflex der Schwäche unserer historischen Front. Wir haben gegenwärtig in Polen noch eine relativ schwache marxistische Historiographie, was sich natürlich in dem widerspiegelte, was wir geschrieben haben, darin, was wir erhalten haben. […] Das wichtigste Ziel eines Schulbuchs ist es, unsere Jugend in der Liebe zur polnischen Nation zu erziehen, in der Liebe zu den Massen, die die Geschichte Polens geschaffen haben und die hier vorkommen müssen. Doch es gibt sie hier nicht. Es ist hier gesagt worden, dass der Mensch verschwunden sei. In Bezug auf den Humanismus und die Zeit der Renaissance sprechen wir vom Menschen, doch scheint mir, als müsse man auch über die Nation sprechen – und vor diesem Hintergrund treten auch die Führer hervor. Vor allem anderen muss die Nation behandelt werden.«279

Die Erfahrung aus den Schulbuchdebatten sollte die Organisation der Arbeit am Universitätslehrbuch zur Geschichte Polens beeinflussen. Diese besonders prestigeträchtige Publikation sollte inhaltlich höchsten Ansprüchen genügen und endlich auch eine Interpretation der Nationalgeschichte bieten, die sich nicht nur auf die Geschichte der Arbeiterbewegung beschränkt. In diesen beiden Punkten stimmten die Forderungen mit den Bestrebungen der parteilosen Historiker überein, in erster Linie mit Tadeusz Manteuffel: das Lehrbuch sollte inhaltlich und methodisch ganz einfach gut sein. Die Arbeiten am polnischen, tschechoslowakischen sowie slowakischen Überblickswerk hatten so viele Gemeinsamkeiten, dass man versucht ist, sie anhand bestimmter Regeln aufzuzeigen, die für das Entstehen marxistischer Synthesen typisch sind. So stimmte man darin überein, dass diese Texte das Ergebnis einer möglichst breiten Diskussion vor Veröffentlichung der endgültigen Version sein sollten. Nach der Veröffentlichung der als kanonisch und normsetzend gedachten

279 Alle Zitate: Ebd.

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Texte sollten sie hingegen kein Gegenstand von Auseinandersetzungen mehr sein. Aus diesem Grund gingen den eigentlichen Bänden langwierige Diskussionen über Periodisierung, die Beurteilung bestimmter Phänomene oder auch einzelne Probeabschnitte voraus. Eine weitere wichtige Phase war die Veröffentlichung von »Thesen« und »Entwürfen« (im polnischen und tschechoslowakischen Fall) bzw. nur von »Thesen« (in der Slowakei) als Grundlage für Diskussionen sowohl mit inländischen wie auch mit ausländischen (vor allem sowjetischen) Historikern.280 Die zentralen historischen Zeitschriften informierten ausführlich über die einzelnen Phasen der Vorbereitungen. Die Arbeiten an den marxistischen Überblickswerken verliefen relativ langsam. Der Entwurf des ersten Bandes des Přehled československých dějin [Abriss der tschechoslowakischen Geschichte] erschien 1958.281 Der erste Band der polnischen »Entwürfe« wurde 1955 gedruckt (in zwei Teilen), während die Dejiny Slovenska [Geschichte der Slowakei] (hier verzichtete man auf Entwürfe) erst zu Beginn der 1960er Jahre zu erscheinen begannen.282 Das Vorhaben war zwar sehr ehrgeizig, doch das langsame Arbeitstempo hatte auch andere, prosaischere Gründe. Von der Notwendigkeit einer raschen Ausarbeitung eines marxistischen Handbuchs zur Geschichte der Slowakei war bereits 1949 aus Anlass einer Aktion die Rede, bei der nach der 9. Versammlung der KSČ Verpflichtungserklärungen abgegeben wurden: »Eine aus Sicht des historischen Materialismus geschriebene Geschichte der Slowakei ist zweifellos eine brennende Notwendigkeit unseres politischen und kulturellen Lebens. Diese Frage lässt sich nicht vom Standpunkt der bürgerlichen Historiographie beschreiben, die meint, dass man heute (d. h. von einem objektiven Standpunkt) noch keine Geschichte der Slowakei schreiben könne, dass hier angeblich erst monographische Arbeiten nötig seien.«283

Sehr schnell stellte sich aber heraus, dass selbst bei bestem Willen ohne die monographischen Arbeiten, von denen die »bürgerlichen« Historiker sprachen, tatsächlich keine Synthese mit gutem Niveau geschrieben werden konnte. »Entwürfe«

280 Rozmowa z Czesławem Madajczykiem (not. Zbigniew Romek), in: Zbigniew Romek (Hg.): Cenzura w PRL – relacje historyków, Warszawa 2000, S. 134; Marek Havrila: Slovenská historiografia, a. a. O., Kap. 3.3. Historický ústav SAV v rokoch 1953–1968, S. 3–7; Roman Ferstl: František Graus v počátcích Historického ústavu ČSAV in: František Graus: Pokus o periodisaci, a. a. O., S. 52 f.; Jiří Jílek: František Graus a »Maketa«, ebd., S. 57–68. 281 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled československých dęjin, Bd. 1, Praha 1958. 282 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia Polski, Bd. 1, Teil 1 (Hg. des Gesamtwerks: Tadeusz Manteuffel/Leon Grosfeld/Bogusław Leśnodorski), Warszawa 1955; Henryk Łowmiański (Hg.): Historia Polski, Bd. 1, Teil 2, Warszawa 1955; udovít Holotík: Dejiny Slovenska (tézy), Bratislava 1955; Ders./ Ján Tibenský (Hg.): Dejiny Slovenska, Bd. 1, Bratislava 1961. 283 Schreiben von J. Štolc an alle wissenschaftliche Einrichtungen der SAVU. Zit. nach: Marek Havrila: Slovenská historiografia, a. a. O., [ Kap. 3.] Hlavné pracoviská slovenskej historickej vedy, S. 35 f.

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wurden am schnellsten in Polen veröffentlicht, auch wenn gerade hier die Meinung geäußert wurde, dass der Herausgeber des Bandes, Tadeusz Manteuffel, die Arbeiten am Handbuch bewusst verlangsamt habe, vor allem am Teil zur neuesten Geschichte, der politischen Deformationen zwangsläufig am stärksten ausgesetzt war. Ich bin nicht in der Lage, diese Behauptung zu überprüfen, doch was die früheren Bände angeht, so musste Tadeusz Manteuffel derartige Bemühungen gar nicht unternehmen. Ganz im Gegenteil: er war dazu gezwungen, viel Energie aufzuwenden, um Autoren zur Ordnung zu rufen, die mit der Abgabe bestellter Texte in Verzug waren. Im Archiv des IH PAN findet sich eine ganze Reihe mehr oder weniger strenger Mahnungen, bis hin zu Depeschen, die kategorisch dazu aufforderten, die ausstehenden Arbeiten abzugeben.284 Ein erheblicher Teil dieser Korrespondenz betrifft im Übrigen einen der führenden marxistischen Historiker, das ehemalige PPS-Mitglied Henryk Jabłoński. Im Archiv des IH PAN sind mehrere Rechtfertigungen Jabłońskis erhalten, dass er verschiedenen Sitzungen des Wissenschaftlichen Rats aufgrund seiner Arbeit im Bildungsministerium fernbleiben musste (diese Entschuldigungen sind auf Briefpapier des Ministeriums geschrieben). Das ganze Unternehmen war teilweise von Pech verfolgt. Es gab z. B. Verspätungen, die mit dem Diebstahl gesammelter Materialien erklärt wurden.285 Jerzy Jedlicki verurteilte in einem Referat über die Situation in Abteilung II des IH PAN die für eine besondere Verzögerung ihrer Arbeit verantwortliche Gryzelda Missalowa.286 Mit dieser Historikerin verband sich auch das Problem der Autorschaft eines Abschnitts der Synthese über die polnische Kultur zwischen 1815 und 1830. Nach der Veröffentlichung der Entwürfe teilte Jerzy Rozental der Institutsleitung schriftlich mit, dass Missalowa sein Referat verwendet habe, ohne dies zu vermerken. Sie habe es als eigene Informationen und von Rozental eingeholte Meinungen ausgegeben. Stefan Kieniewicz entschied schließlich, dass Rozental als Autor der endgültigen Version des Werks mit aufgeführt werden sollte; die sich aus der Verwendung seines Textes ergebenden Kosten sollten von Missalowas Honorar abgezogen werden.287 Das Arbeitstempo wurde nicht zuletzt durch Diskussionen über zentrale Fragen der marxistischen Historiographie gebremst. Im polnischen Fall schien das Urteil über die Erkenntnisse der in- und ausländischen Historiographie am wichtigsten zu sein. Der für diesen Abschnitt verantwortliche Marian Henryk

284 Vgl. AIHPAN, Sign. 12/60, Podręcznik Historii Polski. Protokół z dyskusji, preliminarz, korespondencja. 285 Ebd., Pismo Wacława Urbana, Kraków, 24.1.1954. 286 Rps BUW, Spuścizna Witolda Kuli, p. 11, IH PAN – Raport o sytuacji w Dziale II IH PAN (Jerzy Jedlicki). 287 AIHPAN, Sign. 12/64, Podręcznik Historii Polski tom II 1764–1864, Konferencja nad makietą, artykuł, recenzje, korespondencja.

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Serejski wurde von sowjetischen Historikern kritisiert, weil sie vom Autor in der vorläufigen Version in demselben Paragraphen behandelt wurden wie die Historiker des Westens. Nach Meinung von Kazimierz Lepszy hatte Serejskis Referat »einen objektivistischen Charakter und zeigte den Kampf um Fortschritt in der Geschichtswissenschaft nicht auf. […] Außerdem müssen die klassenbezogenen Grundlagen einiger Autoren stark hervorgehoben werden, damit der Leser die Entwicklung der Historiographie gut verstehen kann.« Stanisław Śreniowski wiederum empörte sich über das allzu milde Urteil über die konservative Krakauer Schule. In seiner Antwort auf die Kritik stellte Serejski vorwurfsvoll fest: »Die Anforderungen an die Autoren hatten meist das Ziel, ein Allheilmittel zu fordern, das die ideologische Einstellung aller Historiker aufzeigen sollte, weshalb die Autoren selbst darauf verzichteten, sich kritisch mit der Historiographiegeschichte zu beschäftigen.«288 Josef Macek und František Graus, die im Februar 1959 die Beratungen zum ersten Band der tschechoslowakischen Entwürfe leiteten, widersetzten sich vor allem hunderten kleinen Bemerkungen und inhaltlichen Vorschlägen, indem sie mehrfach wiederholten, es sei nicht die Aufgabe einer Überblicksdarstellung, nicht existierende Monographien zu einzelnen Themen zu ersetzen.289 Wie unklar die Kriterien zur Beurteilung der »bürgerlichen« Geschichtswissenschaft waren, zeigt sich an einem Gedankenaustausch über die historiographischen Kapitel des nächsten Bands der polnischen Synthese, zu dem es im April 1955 kam. Diesmal kritisierte Serejski Celina Bobińskas Meinung, wonach sich die Historiker der Krakauer Schule, insbesondere Michał Bobrzyński, von anderen »imperialistischen« Historikern unterschieden hätten, weil sie »die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte erkannten«. Wenn der konservative Bobrzyński gemäßigt und relativ fortschrittlich gewesen sein soll, so Serejski, wie müsse man dann Wacław Tokarz, Bolesław Limanowski oder auch Marceli Handelsman einschätzen?290 Auf eine Fülle von Interpretationsproblemen, die nicht selten ganz prinzipiellen Charakter hatten, stießen auch die slowakischen Marxisten. Hier war das traditionelle, schon in den Arbeiten von Július Botta und František Sasinek diskutierte Problem die Frage nach dem Gegenstand der Geschichte (abgesehen von der selbstverständlichen, wenn auch wenig konkreten Grundannahme, dass der Gegenstand stets die Volksmassen sind). Sollte die marxistische Synthese also die Geschichte der ethnischen Gruppe der Slowaken oder die Geschichte eines

288 AIHPAN, Sign. 12/62, Podręcznik Historii Polski, tom I i II, teksty cz. 2 i 3 tomu I, protokół z dyskusji nad cz. 1 tomu II. Teksty przemówień wygłoszonych na sesji pomorskiej – Protokół z dyskusji nad częścią t. II uniwersyteckiego podręcznika historii Polski w IH PAN dn. 25 IV 1955 (Manuskript). 289 Jiří Jílek: František Graus a »Maketa«, in: Zdeněk Beneš/Bohumil Jiroušek/Antonín Kostlán: František Graus, a. a. O., S. 67. 290 Ebd.

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Territoriums sein? Wie sollte man sich zu den slowakisch-ungarischen oder slowakisch-tschechischen Beziehungen äußern? Das Autorenkollektiv bemühte sich, die nationale und die territoriale Perspektive zu verbinden, zog damit aber Kritik auf sich. František Bokes wies in seinen Kommentaren der »Thesen« darauf hin, dass es dort eher um eine »slowakische Geschichte« als um eine »Geschichte der Slowakei« gehe, was nicht zum Buchtitel passe.291 Dennoch wurden die Dejiny Slovenska in späteren Jahren von allen marxistischen Überblicksdarstellungen am höchsten eingeschätzt. Ursache hierfür war die Tatsache, dass dieses Buchprojekt auf keinen Vorarbeiten aufbaute, es also notwendig war, eine Reihe von Forschungen mit Pioniercharakter durchzuführen. Zudem konnte man, anders als dies beispielsweise die tschechischen Marxisten taten, nicht in großem Umfang von Abhandlungen und veröffentlichten Quellen Gebrauch machen, die von einheimischen Historikern im 19. Jahrhundert veröffentlicht worden waren.292

Die Synthese im Tauwetter – das Jahr 1956 und die Diskussion über die Entwürfe Sowohl die Arbeiten am Universitätslehrbuch zur Geschichte Polens wie auch die Rezeption der ersten veröffentlichten Entwurfsbände illustrieren die politischen Veränderungen der stalinistischen Zeit aufs Beste. Die ersten kritischen Stimmen zur bisherigen Politik gegenüber den Historikern wurden während der Hauptversammlung des PTH 1956 laut. Ein deutliches Signal der politischen Veränderungen war dort die spektakuläre Niederlage Natalia Gąsiorowskas bei der Wahl zum PTH-Vorsitzenden. Ende 1956 wurden bei den Kollegiumssitzungen des IH PAN (rasch erfüllte) Forderungen erhoben, die Zusammenfassungen in den wissenschaftlichen Zeitschriften und Veröffentlichungen nicht nur in russischer, sondern auch in einer westlichen Sprache zu publizieren. Zudem verlangte man Schritte, um Zugang zu den Archivalien der Geheimpolizei (Urząd Bezpieczeństwa Publicznego, UBP) sowie zu den in der Sowjetunion aufbewahrten polnischen Dokumenten zu erlangen. Es wurde beschlossen, die Herausgabe des Polnischen Biographischen Wörterbuchs (Polski Słownik Biograficzny) fortzusetzen, die in der stalinistischen Zeit aufgrund der ideologischen Aussage des Werks unterbrochen worden war (nicht das Individuum, sondern die Massen sollten die Geschichte prägen).293 Die ersten Entwurfsbände der Überblicksdarstellung zur Geschichte

291 Marek Havrila: Slovenská historiografia, a. a. O., [Kap. 3.3] Historický ústav SAV v rokoch 1953–1968, S. 5 f. 292 Helena Třísková: Synthesis, in: Elena Mannová/David Paul Daniel: A Guide, a. a. O., S. 40. 293 AIHPAN, Sign. 5/1, Protokoły z posiedzeń Kolegium IH PAN 1956–1957 – Protokół nr 2 z posiedzenia Kolegium Naukowego IH PAN 18 X 1956; Protokół nr 3 z posiedzenia Kolegium Naukowego IH PAN.

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Polens wurden parallel zu diesen sich beschleunigenden Veränderungen veröffentlicht. Die letzten Treffen vor der endgültigen Veröffentlichung, bei denen es um die Form der Entwürfe ging, riefen keine grundlegenden Debatten über die Form der marxistischen Interpretation der Nationalgeschichte mehr hervor. Während des Treffens im Dezember 1954 in Nieborów hoben die Diskutanten hervor, dass die neue (zweite) Redaktion des ersten Bandes besser sei als die erste. Sie erkannten jedoch weiterhin bestimmte Mängel: »So also wurde betont (J. Bardach, J. Baszkiewicz), dass stellenweise noch Formelhaftigkeit und Schematismus geblieben seien, auch werde eine marxistische Analyse des historischen Prozesses durch eine mechanische Zusammenstellung der Zitate ersetzt. Es wurde auch die Forderung vorgebracht, die Darstellung durch deutlichere, unzweideutige Urteile stärker zu politisieren. Hierbei handelt es sich um das Herstellen der ›Kampfbereitschaft‹ des Handbuchs und um die endgültige Tilgung objektivistischer Formulierungen und Sichtweisen.«294

Ganz anderslautende Anmerkungen hatten Karol Maleczyński und Leon Grosfeld, die auf den übertriebenen Dogmatismus der Darstellung hinwiesen, aber auch darauf, dass umstrittene Fragen als unbestreitbare Wahrheiten dargestellt würden.295 Umfassend wurden die Periodisierung sowie die pädagogischen Vorzüge des zum Druck vorbereiteten Werks erörtert. Eine weitere Diskussion über die umredigierte Version des ersten Bandes fand im März 1955 statt. Ihre Schlussfolgerungen wichen nur wenig von den einige Monate zuvor in Nieborów formulierten Gedanken ab. Ähnlich verhielt es sich mit den Debatten des Jahres 1955 über den nächsten Entwurfsband. Anfang 1956 wurde über den bereits erschienenen ersten Band diskutiert, während die Herausgabe des zweiten Bandes in Vorbereitung war. Das näher rückende politische Tauwetter ist sehr gut in einem in der Jahresmitte in der KH erschienenen Bericht über die Diskussion zum ersten Band zu erkennen.296 Die Autoren stellen darin optimistisch fest, dass »man sich in dieser Synthese bemüht hat […] – in den meisten Fällen von Erfolg gekrönt –, die Fehler des vorhergehenden Zeitraums zu vermeiden, in dem oft Schematismus als Richtschnur herhielt und einige in Dogmatismus und Konjunkturalismus verstrickte Historiker bestrebt waren, die Geschichte nach einem Idealmuster zu beschreiben, ›so wie sie aussehen müsse‹, nicht aber auf der Grundlage des ganzen Reichtums der erhaltenen Quellen«.297

294 Janusz Tazbir/Andrzej Wyczański: Sprawozdanie z dyskusji nad drugą redakcją pierwszego tomu historii Polski, in: KH 1955, S. 258. 295 Ebd., S. 259. 296 Ryszard Kiersnowski/Tadeusz Lalik/Janusz Tazbir/Andrzej Wyczański: Dyskusja nad makietą I tomu Historii Polski, in: KH 1956. 297 Ebd., S. 4.

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Etwas strenger urteilt Aleksander Gieysztor über das Buch. Er schildert die methodologischen Schwächen der Arbeit an einem Beispiel, der Darstellung Kasimirs des Großen. »Methodisch unzutreffend ist«, schreibt er, »ihn mit Hilfe zweier Zitate der Klassiker positiv zu bewerten, ohne die persönlichen Befähigungen dieses Königs konkret zu charakterisieren, ohne seine Mitarbeiter auch nur namentlich zu nennen, ohne die Urteile seiner Zeitgenossen wie der nachfolgenden Generationen anzuführen, schließlich auch ohne ihn mit analogen Persönlichkeiten zu vergleichen, die damals politisch tätig waren.«298

Ebenfalls im 1956er Jahrgang der KH erschien der bereits erwähnte abrechnende Artikel Witold Kulas W sprawie naszej polityki naukowej [Über unsere Wissenschaftspolitik], die Druckfassung eines Referats, das er auf einer Sitzung des Wissenschaftlichen Rates des IH PAN im Juni 1956 gehalten hatte. Kula urteilte hier über die Ergebnisse der polnischen Historiographie nach 1945. Für den ersten Zeitraum konstatierte er »ein Übermaß an Schund, oft durchtränkt von unverhohlenem Nationalismus«, wobei sich die Einflüsse der »Annales«-Schule langsam positiv ausgewirkt hätten. Der Breslauer Kongress war Kula zufolge nicht so sehr eine Niederlage der PZPR-Historiker, sondern vielmehr ihrer »fortschrittlichen« parteilosen Kollegen, die sowohl bei der »traditionellen« Historiographie als auch bei den Entscheidungsträgern auf Ablehnung gestoßen seien. Die Zeit zwischen 1949 und 1952 nannte er die Jahre der Regierungen »mit eiserner Hand«, die zu einem vollständigen Stillstand und einer Flucht der Geschichte in die Nachbardisziplinen Archäologie, Kunstgeschichte oder Wirtschaftswissenschaft geführt habe. Die einzigen positiven Aspekte dieser Periode seien aus Basisinitiativen von Historikern entstanden, insbesondere die Kołłątaj-Tagung des PTH, die Arbeit der »parteilosen« PH sowie die Anberaumung der Konferenz von Otwock. In Otwock hätten »die Vertreter der Partei- und Staatsführung gesehen, dass die meisten polnischen Historiker, ganz anders als von ihren Informanten behauptet, lebendige, denkende und fühlende Menschen waren, die für die vom Marxismus eröffneten gewaltigen wissenschaftlichen Perspektiven empfänglich waren sowie sinnvolle Dinge anstrebten und vermochten, auf die das Land wartet«.299

Das Jahrzehnt habe, so Kula, viele Enttäuschungen mit sich gebracht. Der Marxismus sei primitivisiert worden: »Es genügte, auf die ›sich fortwährend verschlechternde‹ Lage des Bauern hinzuweisen, es genügte, ein paar Worte über die ›antinationale Haltung der besitzenden Klassen‹ zu verlieren, es genügte, etwas Hässliches über die Beziehungen eines westlichen Staates in irgendeinem Jahrhundert gegenüber Polen zu sagen – um als Marxist zu gelten. Es genügte, mit dem Begriff ›objektive Fortschrittlichkeit‹ zu jonglieren – um als Dialektiker zu gelten.«300 298 Aleksander Gieysztor: Okres od połowy XII do połowy XV w. w makiecie, in: KH 1956, S. 33. 299 Witold Kula: W sprawie naszej polityki naukowej, in: KH 1956, S. 154. 300 Ebd., S. 156.

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Kula kritisierte den fatalen Zustand der Forschung zur Neuesten Geschichte, der sich aus der Verlogenheit der Parteivertreter erkläre: »Es ist an der Zeit, den Standpunkt der Partei als (gut gehütetes, den älteren Historikern aber aus Erinnerungen und den jüngeren aus den Dokumenten bekanntes) Geheimnis anzusehen. Dieser Standpunkt war seinerzeit entweder falsch, oder ist, wenn er damals richtig war, heute nicht mehr aktuell.«301 Der Artikel enthält auch Hinweise auf die Fälschung historischer Quellen, auf »eine Zensurhaltung gegenüber der Vergangenheit«, aber auch – ein für die weiteren Diskussionen in der Tauwetterperiode sehr wichtiges Motiv – auf einen gewissen »Pessimismus« der vom Marxismus beleuchteten Geschichte Polens. Dasselbe Problem wird in einem Bericht angesprochen, der unter dem Titel Z prac organizacji partyjnej w Instytucie Historii PAN [Aus der Arbeit der Parteiorganisation im Institut für Geschichte der PAN] im letzten (1956er) Heft der KH erschien und dessen Verfasser Krystyna Zienkowska und Jerzy Jedlicki waren.302 Paradoxerweise verband Witold Kula seine kritischen Bemerkungen mit einer generell positiven Einschätzung des Ertrags des vergangenen Jahrzehnts: »Im Bewusstsein voller Verantwortung kann man die These formulieren, dass in der Wissenschaftsgeschichte nur schwer ein Jahrzehnt zu finden ist, in dem es in der Wissenschaft einen solchen Fortschritt gegeben hat.«303 Dennoch waren dem Autor zufolge in der Wissenschaftspolitik bestimmte Veränderungen nötig. Von erstrangiger Bedeutung waren die Freiheit der wissenschaftlichen Diskussionen und die Ermöglichung von Forschungsaufenthalten im Ausland.304 Noch ehe Kulas Text in der KH veröffentlicht wurde, fand auf einer Sitzung des Wissenschaftlichen Rats des IH PAN eine hitzige Diskussion über ihn statt. Zunächst beteiligten sich daran Marian Małowist (1909–1988) und Leon Grosfeld, die den Ton von Kulas Ausführungen etwas abmilderten und auf »die Gefahr eines Dogmatismus in die andere Richtung« und einer unerwünschten Totalabkehr von der marxistischen Methodologie hinwiesen.305 Viel schärfer klang die Äußerung Aleksander Gieysztors, der sich für die schnellstmögliche Einberufung eines allgemeinen Historikertags aussprach. »Er sollte elementaren Charakter haben«, meinte er, »um gewissermaßen ein Misstrauensvotum auszusprechen.«306 Er fügte hinzu: »Man muss auch an das Schicksal der wissenschaftlichen Mitarbeiter denken, 301 Ebd., S. 158. 302 Krystyna Zienkowska/Jerzy Jedlicki: Z prac organizacji partyjnej w Instytucie Historii PAN, in: KH 1956, S. 530. 303 Ebd., S. 155. 304 Vgl. Stefan Żółkiewski: Uwagi o postępie metodologicznym nauki polskiej w minionym dziesięcioleciu, in: Studia z dziejów nauki polskiej, Nr. 3/1955, S. 13. 305 AIHPAN, Sign. 5/26, Protokoły Rady Naukowej 1956–1959 – Protokół z posiedzenia Rady Naukowej IH PAN w dniu 25 czerwca 1956 r. 306 Ebd.

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die Arbeit in den Archiven gefunden haben.« Małowists Ansicht, die Geschichtsschreibung sei im Vergleich zu anderen Wissenschaftsgebieten im Stalinismus keinesfalls so tief gesunken, kommentierte Gieysztor folgendermaßen: »dass es nicht am allerschlimmsten war, bedeutet nicht, dass es gut ist«. Gieysztors Äußerung löste eine lawinenhafte Kritik an der Wissenschaftspolitik der Kommunisten aus. Stefan Kieniewicz kam auf die Eingriffe der Zensur zu sprechen und auf den Balanceakt an der Grenze zur historischen Wahrheit: »Bisher mussten Arbeiten vielfach retuschiert werden, damit sie trotz der vielen oktroyierten Thesen erscheinen konnten. Man verwendete eifrig Material, das zu derartigen Thesen passte, was folgerichtig dazu führen musste, dass die Gesellschaft ihr Vertrauen in die Historiker verlor.«307

Juliusz Bardach machte auf die Verantwortlichkeit der Historiker selbst für den gegenwärtigen Zustand aufmerksam: »Die Partei erkannte die Bedeutung der Geschichtswissenschaft, es gab gewisse Missverständnisse von Seiten einiger Parteistellen, doch niemand wurde dazu gezwungen, zu drucken, was er für nicht richtig hielt. Es gab Fälle, in denen nicht gedruckt wurde, was jemand für richtig hielt. Viele Historiker passten auch ihre Wissenschaft an die letzten Zeitungsmeldungen an.«308

Eine Äußerung Marian Henryk Serejskis diente Witold Kula später wahrscheinlich dazu, die These von der uneinheitlichen, zwischen Kommunismus und Nationalismus schwankenden polnischen marxistischen Historiographie zu formulieren. Serejski erinnerte die Versammelten daran, dass im »vergangenen Zeitraum« die Art und Weise, nationale Fragestellungen zu behandeln, ganz besonderer Natur gewesen sei: »z. B. wurde gesagt, dass Suvorov ein russischer Patriot gewesen sei, während Báthory ein polnischer Reaktionär war«. Jahre später stellte Kula fest: »Die traditionellen Historiker beschuldigen die polnische Historiographie der Jahre 1948–1955 eines übermäßigen Revisionismus und einer Herabwürdigung der nationalen Traditionen. Dazu genügen ihnen einige Elemente wie ein kritisches Urteil über Bathory, die Darstellung der alten Adelsrepublik als Werkzeug klassenbedingter Unterdrückung oder die Hervorhebung des reaktionären Charakters der Czartoryskis u. ä. Historiker, die seit langem mit der fortschrittlichen Bewegung in Kontakt standen, wurden in diesen Jahren von einer umgekehrten Tendenz überrascht: von einem Druck in Richtung Apologetismus, von der Unangreifbarkeit der ›Nationalheiligen‹ und Hagiographismus.«309

307 Ebd. 308 Ebd. 309 Witold Kula: Wokół historii, Warszawa 1998, S. 101.

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Diese Meinungsverschiedenheit ist auch in heutigen Urteilen über die polnische Historiographie des Stalinismus zu erkennen. Die Welle des »Dogmatismus in die andere Richtung«, vor der Leon Grosfeld warnte, war keine frei erfundene Gefahr. Einige Reaktionen auf die immer deutlicheren Anzeichen des Tauwetters beunruhigten die PZPR-Historiker und riefen mit der Zeit auch bei einigen parteilosen Kollegen Unwillen hervor. Der an einer Beratung des Hochschulaktivs im März 1956 teilnehmende Vertreter der Basisparteiorganisation der Universität Lodz berichtete: »auf dem Gebiet meiner Universität gab es bei einer Gruppe wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät für Geschichte meiner Meinung nach Auswüchse, die wohl eine schreckliche Übertreibung sind. Es fielen dort Äußerungen, ohne das Wort Stalin zu gebrauchen, es wurde das Wort Verbrecher verwendet. Man verlangte, die Werke Stalins zu zerstören und zu verbrennen, weil dies die Methode Stalins gewesen sei, um die untersagten Bücher zu liquidieren. Dass gewisse Bücher den untersagten zuzurechnen seien und dem normalen Leser nicht zugänglich gemacht werden dürften, dass man dieselbe Methode verwenden und mit Stalins Werken ebenso vorgehen solle. Ich betone, es handelt sich um sporadische Vorfälle, dennoch ist es für uns ein sehr ernstzunehmendes Signal, wenn Parteimitglieder, verantwortungsvolle wissenschaftliche Mitarbeiter derartige Ansichten äußern und wenn diese Menschen die Zitate bedauern, die sie in ihre wissenschaftlichen Artikel oder Arbeiten aufgenommen haben und sich vor der Parteizelle dazu verpflichten, in den nächsten Tagen zu den Redaktionen zu gehen, damit die noch nicht veröffentlichten Zitate gestrichen werden.«310

Eine Veröffentlichung, die schon aufgrund ihrer Bedeutung von den Rezensenten sehr kritisch beurteilt wurde, war das marxistische Universitätshandbuch zur Geschichte Polens (UPHP), sowohl als Entwurf wie auch, nach manchen Veränderungen, in seiner endgültigen Gestalt. Eine vernichtende, wenn auch taktvolle Analyse des zweiten Bandes legte Henryk Wereszycki 1957 in der KH vor.311 Zu Beginn seines Textes lobte er die Autoren des Entwurfs für ihre sichtlichen Anstrengungen, eine Vulgarisierung der Geschichte zu vermeiden. Dann aber kam er auf den inhaltlich wichtigsten und prinzipiellen Aspekt des Werks zu sprechen – die dort präsentierte Sicht der Nationalgeschichte. »Nach der Lektüre dieser tausend und soundsoviel hundert Seiten zur Geschichte nach den Teilungen ergriff mich der unwiderstehliche Eindruck, dass wir eine pessimistische Einschätzung unserer Vergangenheit erhalten haben.«312 Mit dieser pessimistischen Sicht, diesem »Pessimismus des historischen Handwerkzeugs«, war Wereszycki nicht einverstanden:

310 AAN, Sign. 237/XVI – 209, KC PZPR Wydział Nauki – Narada w Wydziale Nauki i Kultury dn. 29 III 1956. 311 Henryk Wereszycki: Pesymizm błędnych tez, KH 1957. Ich verwende den Text nach: ders.: Niewygasła przeszłość, Kraków 1987. 312 Ebd., S. 250.

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»Die Autoren des Entwurfs haben sozusagen den Glauben an ihr eigenes Handwerk verloren. Als ich die Kapitel des ersten Teils des zweiten Bandes durchsah, fiel mir auf, dass in der Teilungszeit bestimmte, sehr wesentliche Probleme mehrfach in Anlehnung an die Autorität von Marx und Engels entschieden werden – von Gelehrten also, die ihre Ansichten über die Geschichte Polens vor hundert Jahren formuliert haben. Im Laufe dieser hundert Jahre hat die polnische Geschichtsschreibung aber eine gewaltige Arbeit vollbracht, gerade was die Teilungszeit anbelangt. Doch für die Verfasser dieses Handbuchs sind die Gelehrten von vor hundert Jahren die wichtigsten Autoritäten geblieben. Somit war die ganze Forschungsanstrengung, diese hundert Jahre Arbeit polnischer Historiker gewissermaßen umsonst. Das kann wohl den heute schreibenden polnischen Historiker, dessen Lehrer dieser hundertjährigen Zeit angehörten, aus deren Schulen er hervorgegangen ist und die er in seiner Jugend sehr schätzte, ja vielfach sogar bewunderte, das kann diesen Historiker wohl mit Pessimismus und Unglauben erfüllen.«313

Eine zweite Art von Pessimismus machte auf Wereszycki einen fast noch niederschmetternderen Eindruck als die erste. Geht man davon aus, dass das Handbuch nichts weniger als eine »Begründung« Volkspolens sein sollte, so musste es das Volk verherrlichen und die besitzenden Klassen verurteilen. Der Begründung dieser Annahmen dienten in der Synthese – nach Auffassung des Rezensenten – zwei Thesen. »Die erste These beruht darauf, dass alle antifeudalen Bewegungen eo ipso nationale Befreiungsbewegungen sind. Und die zweite These ist, dass jede konterrevolutionäre Konzeption, jede Konzeption, die den Feudalismus verteidigt, gleichzeitig antinational ist. Es sind diese Thesen, die in den tiefsten Pessimismus führen. Ein Bauer, der gegen die feudale Unterdrückung kämpft, ist Antriebskraft der Unabhängigkeitsbewegung. So lautet eine vielfach wiederholte Formulierung. Doch das Handbuch ist wissenschaftlich gründlich, weshalb einzelne Fakten in fortwährendem Widerspruch mit dieser prinzipiellen These stehen. Im Endergebnis war die größte antifeudale Bewegung Polens, die es in dieser Epoche gab, die galizische Bauernbewegung von 1846 [die sich gegen die polnischen Aufständischen richtete, M. G.]. Wenn dies eine Unabhängigkeitsbewegung sein soll, die größte ihrer Zeit zumal, dann ist diese Sicht der Dinge tatsächlich durch und durch pessimistisch.«314

Wereszycki belegte, dass für die polnische Kultur und die nationale Frage im 19. Jahrhundert zwangsläufig nur diejenigen Dinge größere Bedeutung haben konnten, die im Lehrbuch für die höheren Klassen übergangen wurden. Ein offensichtlicher Fehler sei die anachronistische Bewertung der Geschichte durch die Augen der aktuellen Politik. Die Verfasser sollten daran denken, dass sich ihr Werk vor allem an junge Leser richte. »Wenn also die Autoren die Jugend für ihre Konzeption gewinnen wollen, so müssen sie sie und ihre Gefühle auch berücksichtigen. Eine in ihren Gefühlen ver-

313 Ebd., S. 251. 314 Ebd., S. 252.

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letzte Jugend wird nämlich geneigt sein, alles abzulehnen, was ihr das Lehrbuch vermittelt.«315 Wereszyckis Aussage war nur eines von vielen kritischen Urteilen über den Entwurf. Im April 1957 gab es bei einer Diskussion über den zweiten Band so viele kritische Anmerkungen, dass der resignierte Witold Kula in seinen laufend verfassten Notizen schrieb: »Worüber ich nicht sprechen werde: 1) Wie dieselben dasselbe im Januar 1956 beurteilt haben; 2) Wie die Verpflichteten sich im Januar 1956 der Kritik entzogen.«316 Als er schließlich das Wort ergriff, gestand er ein, dass die marxistischen Historiker zwar viele historische Fehlurteile zurechtgerückt, selbst aber so viele neue geschaffen hätten, dass sie das Vertrauen des Lesers erschüttern könnten. Die Art und Weise, wie einige das Tauwetter in der Historiographie verstanden, war nach Kula unklug und näherte sich auch gefährlich dem Nationalismus. So dürfe sich die Reparatur der Fehler des Stalinismus nicht gestalten. Nun aber habe man nach 1956 immer häufiger die gesamte Arbeit des vorausgegangenen Jahrzehnts einfach verworfen, ohne sich darum zu bemühen, wertvolle von wertlosen Dingen zu scheiden. »Unlängst«, erzählte Kula, »war einer unserer Kollegen mit einem Vortrag über den Januaraufstand in einer Woiwodschaftshauptstadt. Viele Angehörige der örtlichen Intelligenz waren gekommen und fragten ihn, um welche sozialen Fragen es im Januaraufstand wohl gegangen sei. Die Nation habe gegen die Teilungsmacht gekämpft.«317 Im weiteren Verlauf seines Beitrags erklärte sich Witold Kula teilweise mit Henryk Wereszyckis Kritik einverstanden, um seinen Zuhörern am Ende folgende Überlegung mitzuteilen: »Als die Entwürfe in den Druck gingen, sagten wir, dass wir Schwierigkeiten bekommen werden, wenn sich die politische Situation schlecht entwickelt, aber auch, wenn sie in die andere Richtung geht. Hier gibt es keinen Ausweg. Doch wir sind nicht nur Historiker, sondern auch Bürger. Vielleicht ist es für uns schmerzhaft, wenn wir als Bürger eine berechtigte Kritik begangener Fehler vernehmen, doch sind wir glücklich, dass man unserem Lehrbuch auf diese Weise besondere Beachtung geschenkt hat.«318

Die Verfasser des Lehrbuchs bemühten sich, vor der Veröffentlichung seiner endgültigen Fassung alle nötigen (und möglichen) Korrekturen einzufügen. Die Last dieser Verbesserungen ruhte wieder in hohem Maße auf wenigen Personen, in erster Linie auf Witold Kula und Tadeusz Manteuffel, der 1956 zum einzigen Herausgeber des Gesamtwerks gewählt worden war (bis dahin war das Werk, den

315 Ebd., S. 276. 316 Rps BUW, Spuścizna Witolda Kuli, p. 9, t.: Udział w konferencjach – Dyskusja nad makietą II tomu UPHP, Sulejówek 14–17 IV 1957. 317 Ebd. 318 Ebd.

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Prinzipien der kollektiven Arbeit folgend, zumindest formal von einer aus mehreren Personen bestehenden Gruppe redigiert worden), aber auch auf Stefan Kieniewicz, der zum Beispiel die von Celina Bobińska verfassten Kapitel zum 19. Jahrhundert korrigierte.319 Trotz ihrer Anstrengungen waren die Reaktionen auf die letzten Bände nicht allzu positiv. Im Juni 1958 erschien in der Zeitschrift »Twórczość« ein Text von Paweł Jasienica, der kaum im Verdacht stand, viel Wert auf die marxistische Methodologie zu legen.320 Jasienica hatte gegenüber dem UPHP natürlich eine Reihe von Vorbehalten (die hauptsächlich die Wahl der Zäsuren betrafen), protestierte aber entschieden dagegen, wie seine Autoren von anderen Kritikern angefallen worden seien. »Die Arbeit an der Historia Polski [Geschichte Polens] begann im Herbst 1952«, schrieb er. »Die folgenden Jahre bedeuteten für das Land viele Änderungen zum Besseren. Dieser Umstand machte die Aufgabe der kollektiv agierenden Gruppe von Wissenschaftlern sehr viel schwerer. Die Positionen von ›Schematismus, Dogmatismus und einseitigen Entstellungen‹ konnten anfangs nur schwer geschwächt werden, fielen aber 1956 eine nach der anderen. Man lebte nun in einem verrückten Tempo, an das sich die schwerfällige und schon gut ins Laufen gekommene Maschine, die die Historia produzierte, anpassen musste.«321

Die am Handbuch arbeitende Gruppe habe getan, was sie konnte. Die einzige Möglichkeit, um nach dem Tauwetter alle mit der Historia Polski zufriedenzustellen, wäre es gewesen, »abzuwarten und zu hören, was los ist«. Eine solche Vorgehensweise wäre Jasienica zufolge dumm gewesen. In einigen Reaktionen auf das Buch erkannte Jasienica nichts anderes als bösen Willen: »Der Druck der Historia war im November 1957 beendet, doch das Buch wurde erst im Januar ausgeliefert. Aber schon am 17. Dezember brachte die ›Polityka‹ einen umfangreichen Artikel mit dem Titel Proza dla dorosłych [Prosa für Erwachsene]. Der Autor höhnt: ›In einem ernsthaften Werk, dem Ergebnis kollektiver Anstrengungen, das vielleicht etwas verfrüht angegangen wurde, seiner Absicht nach jedoch sehr ehrgeizig ist, in einer Synthese, die repräsentativen Charakter besitzt, ist zu lesen, das Władysław II. Wygnaniec (der Vertriebene) zum ›Agenten einer fremden Intervention‹ geworden sei. Gemeint ist ein Herzog aus dem zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts, der Sohn von Bolesław Krzywousty.‹ So hieß es wohl im Entwurf, doch in der Historia finden wir andere Worte: ›Władysław II., der später Wygnaniec genannt wurde, beschritt bald schon einen Weg, den viele enterbte Herrscher gingen, und setzte das Land einer fremden Intervention aus.‹ Ich verstehe nicht, warum man einem derartige Steine in den Weg

319 Vgl. Rps BUW, Spuścizna Witolda Kuli, p. 13, t.: Bieżące funkcjonowanie zawodowe – Brief von S. Kieniewicz an W. Kula vom 26.2.1958: »Ich gebe die letzten 3 Kapitel von Bobińska zurück […] die Historiographie erscheint mir jetzt erheblich besser.« 320 Paweł Jasienica: Tylko o historii, Warszawa 1992. 321 Ebd., S. 73.

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legt und jemandem öffentlich Fehler des Projekts vorwirft, die doch k o r r i g i e r t worden sind! Ich würde keine Lanze über irgendeinen billigen Artikel brechen, würde man von Menschen, die die Historia nicht gesehen und nicht gelesen haben, bisweilen nicht bissige Bemerkungen über sie hören. Ein solches Vertrauensdefizit – das zwangsläufig durch die Angriffe verschiedener Herren genährt wird – tut Personen Unrecht, die eine schwere, notwendige und nützliche Arbeit vollbracht haben. Sie ist nicht frei von Fehlern und Schwächen, doch bezweifle ich, dass man dieses Werk unter den komplizierten Bedingungen der letzten paar Jahre viel besser hätte ausführen können. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Endergebnis der Anstrengungen, die die Verfasser der Historia auf sich nahmen, nicht weit von dem erreichbaren Maximum entfernt ist.«322

Die Autoren der Synthese nahmen sich die Kritik zu Herzen, die die Leser der Entwürfe geäußert hatten. Ein gutes Beispiel dafür, wie ernst sie die zitierten Äußerungen nahmen, ist die Einleitung zum 1958 veröffentlichten (von Stefan Kieniewicz und Witold Kula herausgegebenen) ersten Teilband des zweiten Bands.323 Die Herausgeber informierten ihre Leser, dass infolge der Diskussion über die Entwürfe und auch des Artikels von Henryk Wereszycki »einige Kapitel, könnte man sagen, ganz neu geschrieben wurden«.324 Detailliert ging man auf die kontrovers diskutierte Frage der Periodisierung des gesamten Bandes ein: 1764 und 1864 statt der für gewöhnlich gewählten Daten der Dritten Teilung und – beispielsweise – des Aufstands von 1863 (Zweifel an diesen Zäsuren hatten Wereszycki und Jasienica angemeldet). Die Autoren des Vorworts machten deutlich: »Die Prinzipien der Periodisierung […] wurden […] in den Jahren 1953–1954 beschlossen und sind von uns größtenteils ohne Änderung aufrechterhalten worden. Diese Prinzipien sind von Anfang an diskutabel.«325 Der von den Verfassern des Bandes gewählte Zeitraum umfasst die Krise des Feudalismus, doch kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass man 1958 die »marxistischen« Zäsuren wohl schon verworfen hatte und zur Tradition zurückkehrte. So ist ein im Vorwort enthaltener Hinweis zu verstehen: »Der erste Teil von Band II stellt gemeinsam mit den beiden Teilen von Band I eine dreibändige Geschichte des unabhängigen Polen dar, während der zweite und dritte Teil von Band II den Anfang einer vierbändigen Geschichte Polens nach den Teilungen bilden.«326

322 Ebd., S. 74. 323 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia Polski, Bd. 2, 1764–1864, T. 1, 1764–1795, Warszawa 1958. 324 Ebd., S. 4. 325 Ebd., S. 1. 326 Ebd., S. 3.

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Das Lehrbuch der deutschen Geschichte Vor dem Hintergrund der Überblicksdarstellungen zur Nationalgeschichte, die in Polen und der Tschechoslowakei erschienen, hebt sich das DDR-Lehrbuch bereits durch sein Äußeres ab. Sowohl die Entwürfe wie auch die endgültigen Versionen der polnischen bzw. tschechoslowakischen Werke waren in der Regel umfangreiche Bände, geschmückt mit den Namen mehrerer Herausgeber und einem guten Dutzend, teilweise sogar viel mehr Mitarbeitern, Koautoren einzelner Abschnitte und Autoren von Abhandlungen, auf die sich die Verfasser der Texte stützten. Im Fall des DDR-Lehrbuchs handelt es sich um relativ schlanke Bücher kleineren Formats, in denen jeweils nur ein oder zwei Autoren deutlich gekennzeichnet sind. Das mit den vorbereitenden Arbeiten betraute Kollektiv blieb im Schatten der Koryphäen der DDR-Historiographie, wodurch die ansonsten allgemein geltenden egalitaristischen theoretischen und organisatorischen Prinzipien außer Kraft gesetzt wurden. Die Entscheidung über die Herausgabe einer marxistischen Synthese der Geschichte Deutschlands, die bis 1953 abgeschlossen werden sollte, fiel im Oktober 1951 im ZK der SED. Den Vorsitz im Herausgebergremium erhielt Alfred Meusel, der einzige der Partei angehörende Historiker, der seinen Professorentitel bereits in der Vorkriegszeit erworben hatte. Meusel lehrte, nachdem er 1946 aus dem britischen Exil zurückgekehrt war, an der Berliner Humboldt-Universität, wo er auch zum Dekan der Philosophischen Fakultät gewählt wurde. 1947 wurde er als erster Marxist zum ordentlichen Professor ernannt, anschließend wurde er Direktor des Museums für Deutsche Geschichte. Die Verfasser der einzelnen Bände des marxistischen Lehrbuchs konnten auf eine breite Unterstützung bauen – auf die Mitarbeiter des Museums für Deutsche Geschichte sowie des Instituts für die Geschichte des deutschen Volkes an der Humboldt-Universität. Zu den Autoren gehörten die Größen der DDR-Geschichtsschreibung, u. a. Ernst Engelberg, Gerhard Schilfert, Heinz Kamnitzer, Karl Obermann und Albert Schreiner. Probeversionen einzelner Kapitel wurden auf Treffen des Redaktionskomitees besprochen und auch in der ZfG veröffentlicht.327 Das ehrgeizige Unterfangen stieß auf diverse Hindernisse, sowohl auf solche, die jenen der polnischen Entwürfe ähnelten, wie auch auf ganz spezifische. Der Kreis der Autoren veränderte sich ständig. Hier genügt der Hinweis, dass von der ursprünglichen Liste sieben Personen wegfielen. Obwohl Walter Ulbricht immer wieder drängte, zogen sich die Arbeiten am Lehrbuch hin, sodass das Projektende immer wieder verschoben werden musste. Nach 1956 brach in der Redaktion ein offener Streit aus. Zunächst wurde Alfred Meusels Stellung durch die Ausein-

327 Mario Kessler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 85 f.

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andersetzung mit seinem engen Bekannten Jürgen Kuczynski geschwächt. Dann wurde nach einer Diskussion über den Charakter der Novemberrevolution Albert Schreiner aus dem Redaktionskomitee entfernt. Die größten Folgen hatte jedoch der persönliche und von individuellem Ehrgeiz geprägte Konflikt zwischen Meusel und Ernst Engelberg. Bei diesem Konflikt spielte auch die Interpretation der Nationalgeschichte eine gewisse Rolle. Albert Meusel, ein konsequenter Verfechter der deutschen Einheit, hielt die Einigung von oben und die Gründung des Kaiserreiches 1871 bei allen Vorbehalten für fortschrittlich. Engelberg, der später als Bismarck-Biograph und Mitverantwortlicher der »Preußenrenaissance« in der DDR hervortreten sollte, stand diesem Teil der nationalen Traditionen damals sehr kritisch gegenüber und lehnte Meusels Interpretation entschieden ab. Diese Auseinandersetzung wurde jedoch nicht in Fachzeitschriften oder in der Presse ausgetragen, sondern mittels interner Rezensionen, Denkschriften an die zuständigen Regierungsstellen und Gesprächen mit den Mitarbeitern der Abteilung Wissenschaften des ZK der SED. Meusel, der von Anfang an eine etwas bevorzugte Stellung hatte, da er als Herausgeber Engelbergs Text beurteilte, erlaubte sich sehr bösartige Kommentare über den Stil seines Widersachers und behauptete, Professoren sollten von ihren Studenten nicht verlangen, gutes Deutsch zu schreiben, wenn sie es selbst nicht verstünden.328 Zu der Zeit, als die Redaktionsarbeiten (und damit auch der Streit zwischen Engelberg und Meusel) an Intensität zunahmen, gehörte Alfred Meusel zu den führenden DDR-Historikern. So wurde er auch von den Parteistellen gesehen, was sich schon darin ausdrückte, dass man ihm die Herausgabe dieses Schlüsselwerks anvertraut hatte. Engelberg war ein Marxist, der sich eine Existenz aufbaute, der darum kämpfte, eigene Interpretationen durchsetzen zu können, und der nach einer Stellung strebte, die seinen Ambitionen entsprach. Er war im Dritten Reich verurteilt und inhaftiert worden, ehe er in die Schweiz ausgewandert war. Als die schweizerischen Behörden nach Kriegsausbruch damit begannen, die Antifaschisten zu schikanieren, nahm er ein Angebot an, an der Universität Istanbul Deutsch zu unterrichten. Nach seiner Rückkehr nach Leipzig 1948 lehrte Engelberg an der dortigen Universität deutsche Geschichte und wurde später Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte. Obwohl er verdächtigt wurde, Kontakte mit Rudolf Slánský zu unterhalten, machte der Historiker weiter Karriere. Das Schicksal meinte es offensichtlich gut mit ihm, denn Meusel verlor in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre deutlich an Einfluss. Das endgültige Ende der Einheit unter der deutschen Historikerschaft wie auch die Kampagne gegen die Revisionisten kamen Engelberg zugute.

328 Ebd., S. 242.

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Meusels Stellung litt auch unter einer Affäre, die das Bild der DDR-Historiographie im Ausland schädigte. Meusel hatte einen jüngeren Kollegen unterstützt, den Emigranten Heinz Kamnitzer (1917–2001). Nach seiner Rückkehr aus England trat Kamnitzer der SED bei und lehrte seit 1947 an der Humboldt-Universität. Von 1952 bis 1954 war er Direktor des dortigen Instituts für Geschichte des Deutschen Volkes sowie Dekan der Universität, von 1953 bis 1955 war er Mitherausgeber der ZfG. 1952 erschien Meusels Monographie Thomas Müntzer und seine Zeit. Kamnitzer war für eine parallel erschienene Quellensammlung zu diesem Buch verantwortlich. In der Einleitung versicherte er, es handele sich um absolut neue Texte, die den Historikern bislang nicht zugänglich gewesen seien. Doch bald stellte sich heraus, dass es sich um eine Auswahl allgemein zugänglicher, bereits gedruckter und in Fachkreisen bekannter Texte handelte. Der Fall war umso kompromittierender, als Kamnitzer als Kommunist und Jude nur zu gern die westdeutschen Historiker ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit bezichtigte. Nun konnten sich diese prächtig an ihrem moralisierenden Kollegen rächen. In späteren Jahren gab Kamnitzer die Geschichtswissenschaft auf und war literarisch tätig. Meusel und Engelberg führten ihren Kampf um die Macht mit Hilfe von Briefen an die Partei. Engelberg ignorierte das Prinzip der kollektiven Arbeit (wie auch verschiedene andere Prinzipien) und wandte sich im Februar 1958 direkt an die Abteilung Wissenschaft beim ZK der SED, um den von ihm vorbereiteten Band Deutschland von 1849 bis 1871 herauszugeben.329 Er beklagte sich, dass er auf Veranlassung Meusels in der Redaktion ordinär angegriffen worden sei und schlug deshalb vor, dieses Gremium zu umgehen. Engelberg selbst teilte die Vorbehalte gegenüber seiner Arbeit nicht. Die Entscheidungsträger stimmten ihm zu, sodass schon ein Jahr darauf der Band über die Jahre 1849–1871 erschien, als erster der geplanten Serie, auch wenn es sich, chronologisch gesehen, um den siebten handelte. Damit nicht genug: Engelberg, der ein entschiedener Gegner jeglicher Zusammenarbeit mit der westdeutschen Geschichtswissenschaft war, wurde zum Vorsitzenden der neugegründeten DDR-Historikervereinigung DHG gewählt. Damit fanden die Angriffe Engelbergs auf seinen älteren Kollegen noch kein Ende. In weiteren Briefen an das ZK der SED forderte Engelberg die Absetzung Meusels als Vorsitzender des Autorenkollektivs. Er warf ihm liberale Ansichten vor, kritisierte seine Interpretation der Geschichte und unterstellte ihm, von der geltenden Methodologie abzuweichen. Außerdem stellte er fest, dass es sich bei ihrem Streit »um einen solchen zwischen einem kämpferischen Marxismus und einem ebenso kämpferischen und bewußten Nicht-Marxismus« handele.330 Für die Arbeiten an der marxistischen Synthese noch wichtiger war, dass Engelberg

329 Ernst Engelberg: Deutschland von 1849 bis 1871, Berlin 1959. 330 Zit. nach: Mario Kessler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 243.

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davon überzeugt war, Meusel würde dem Autorenkollektiv durch sein Wirken jegliche künftigen Handlungsperspektiven nehmen. Darum müsse dieses Kollektiv aufgelöst werden, um mit den Autoren der einzelnen Bände individuelle Verträge abschließen zu können.331 Der gnadenlose Kampf um die Kontrolle über das zentrale geschichtswissenschaftliche Vorhaben der DDR endete erst mit Alfred Meusels Tod 1960. Im Endeffekt tauchte der Name dieser seinerzeit für die ostdeutsche Historiographie zentralen Persönlichkeit, wie Martin Sabrow ironisch feststellt, auf keinem Titelblatt des Lehrbuchs auf.332 Auch Meusels Absicht, ähnlich wie in den anderen Volksdemokratien zunächst Entwürfe drucken zu lassen, auf deren Grundlage man weiter diskutieren konnte, setzte sich nicht durch. Das Lehrbuch erschien zwar, doch ist es kaum als Ergebnis einer kollektiven Arbeit anzuerkennen. Diese Form der DDR-Synthese gibt den Charakter der ostdeutschen SED-Historiker gut wieder, deren führender und repräsentativer Vertreter der erfolgreiche Taktiker und erfahrene politische Akteur (aber auch Historiker) Ernst Engelberg war.

Die Geschichtsinstitute der Akademien In allen Ländern, um die es in diesem Buch geht, hatten die geschichtswissenschaftlichen Vereine, Wissenschaftsakademien und berufsständischen Verbände eine lange Geschichte und reiche Tradition. Die Tatsache, dass sich die kommunistischen Machthaber zu weitreichenden organisatorischen Änderungen entschlossen und darauf verzichteten, die wissenschaftlichen Traditionen zu wahren, war jedoch kein Ausdruck eines gedankenlosen Vandalismus, sondern Ergebnis eines (vom Standpunkt der Regierenden) recht vernünftigen Kalküls. Es gab natürlich schon der Partei unterstehende Historische Institute, die sich mit der Geschichte der einheimischen organisierten Arbeiterbewegung beschäftigten und mit verdienten Parteimitgliedern besetzt worden waren. Nun aber handelte es sich darum, Institutionen einzurichten und zu kontrollieren, die eine für die ganze Geschichtswissenschaft führende Rolle spielen und das Vertrauen der Gesellschaft ebenso wie das der Zunft genießen sollten. Die Gründung von Akademien, die nur Forschungsaufgaben besaßen und repräsentativ tätig waren, vereinfachte die Kontrolle der Historiker und ließ viele sehr begehrte Stellen für die führenden

331 Ebd., S. 244. 332 Martin Sabrow: Auf der Suche nach dem materialistischen Meisterton. Bauformen einer nationalen Gegenerzählung in der DDR, in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 55.

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parteinahen Historiker entstehen, die sich hier abseits von allen Lehrverpflichtungen auf das Schreiben konzentrieren konnten. Außerdem konnte man einer von Grund auf neugeschaffenen Organisationsstruktur von Anfang an die erwünschte Form geben und die politische Kontrolle sicherstellen. Bei bereits bestehenden Einrichtungen bedurfte es einiger Mühe, um diesen Effekt zu erreichen: Es war wie im Fall des polnischen Westinstituts (IZ) nötig, zunächst eine Parteizelle zu gründen und ihr dabei zu helfen, die Kontrolle über das Ganze zu übernehmen. Allerdings war die politische Situation in den meisten polnischen, tschechischen und slowakischen Wissenschaftsgesellschaften aus Sicht von Staatsmacht und Partei schlecht. So stellte die Wissenschaftsabteilung beim ZK der PZPR im Entwurf einer Beschlussvorlage 1951 fest, dass die PAU »heute […] eine Art Asyl für reaktionäre und konservative Elemente ist. Die Veröffentlichungen der PAU repräsentieren vor allem auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften insgesamt eine falsche, idealistische Methodologie.«333 Die anstelle der bisherigen Gesellschaften gegründete Polnische Akademie der Wissenschaften (PAN) »wird […] ein notwendiges und wichtiges Instrument in den Händen von Partei und Regierung sein, um 1) auf allen Wissensgebieten eine ideologische und methodologische Wende herbeizuführen; 2) die Beteiligung von Wissenschaft und Wissenschaftlern an der Umsetzung der vom Sechsjahrplan und weiteren nationalen Plänen gesetzten Aufgaben zu beschleunigen. […] Die PAN soll nicht nur eine Institution für Wissenschaft und Forschung sein, sondern auch eine zentrale Instanz für Planung, Organisation, Koordination und wissenschaftliche Kontrolle von Wissenschaft und Forschung in Polen.«334

Schließlich wurden die beiden wissenschaftlichen Gesellschaften PAU und Towarzystwo Naukowe Warszawskie [Warschauer Wissenschaftliche Gesellschaft] aufgelöst; ihre Präsidenten übergaben der PAN während des I. Kongresses der Polnischen Wissenschaft (KNP) offiziell das Vermögen und das wissenschaftliche Werk der beiden Einrichtungen.335 Die slowakischen wissenschaftlichen Einrichtungen boten ein noch komplizierteres Bild. Es soll nur daran erinnert werden, dass der Matica Slovenská,(MS) die die längste Tradition besaß, eine enge Zusammenarbeit mit dem »klero-faschistischen Regime« vorgeworfen wurde. Die ersten Schritte der neuen Machthaber auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Organisationen beschränkten somit die Tätigkeit der MS stark, die einen Teil ihrer Forschungseinrichtungen und Mitarbeiter an die Slowakische Akademie der Wissenschaften und Künste (Slovenská

333 AAN, Sign. 237/XVI – 27, KC PZPR Wydział Nauki i Szkolnictwa Wyższego – Uchwała BP KC PZPR w sprawie PAN. Tajne. Projekt, 1951. 334 Ebd. 335 Vgl. Waldemar Rolbiecki: Polskie towarzystwa naukowe ogólne w latach 1944–1964 jako forma organizacji działalności naukowej, Wrocław/Warszawa/Kraków 1966, S. 91 f.

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Akademia Vied a Umeni, SAVU) abgeben musste, was umso einfacher war, als es sich in vielen Fällen um auswärtige Mitglieder handelte. Diese Maßnahmen führten zu einem großen Durcheinander, Institute wurden gegründet und verschwanden wieder, die zudem manchmal sinnlos zwischen MS und SAVU aufgeteilt wurden (z. B. kam die praktische Pädagogik nach Pressburg, während die Geschichte der Pädagogik in Martin blieb).336 Ehe die Forschungsstellen endgültig aufgeteilt waren, fiel der Beschluss, der MS sämtliche wissenschaftlichen Aufgaben zu entziehen und sie nur als Einrichtung für die Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse fortbestehen zu lassen.337 Die 1953 neugegründete Slowakische Akademie der Wissenschaften (Slovenská akademia vied, SAV) entstand somit in einem Augenblick, in dem die slowakischen wissenschaftlichen Gesellschaften in erheblichem Maße zentralisiert waren und war Nachfolgerin der SAVU.338 Die Zentralisierung der wissenschaftlichen Gesellschaften stieß überall auf den Widerstand der Historikerschaft. Dies bedeutete allerdings nicht die vollständige und prinzipielle Ablehnung der Zentralisierungspolitik, sondern es ging eher um die Gestalt der unausweichlichen Reformen. Die Mitglieder einiger tschechischer wissenschaftlicher Gesellschaften verhandelten mit den Behörden und hegten die Hoffnung, dass die geplante Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften (Československá akademie věd, ČSAV) nur eine Art »Schirm« für die übrigen Organisationen werden würde, das formelle Zentrum einer Föderation selbstständiger Einrichtungen. Diese Hoffnung trog: Zdeněk Nejedlý, der viele Funktionen ausübte und auch Präsident der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Česká akademie věd a umění, ČAVU) war, lehnte derartige Überlegungen entschieden ab und sagte: »Wir planen und müssen dementsprechend arbeiten, darum geht es, und nicht darum, ob das jemandem gefällt oder nicht. Hätten wir bei der Verstaatlichung der Industrie die Industriellen gefragt, was sie von der Verstaatlichung halten oder was sie vorschlagen, so wären wir nicht weit gekommen. […] anstelle einer gewöhnlichen, repräsentativen Gesellschaft, die wir nicht brauchen, wird eine aktive, arbeitende Akademie gegründet, in der die wissenschaftlichen Mitarbeiter Bedingungen haben werden, von denen sie kaum zu träumen wagten. Das bietet ihnen der Staat an, das ist aber nicht alles, der Staat ist kein Altersheim, der Staat erwartet, dass die Akademie Antworten auf die vom Leben gestellten Fragen liefert.«339

336 Lýdia Kamencová: Slovenská akadémia, a. a. O. , S. 199–204. 337 Tomáś Winkler: Matica, a. a. O., S. 42–44. 338 Lýdia Kamencová: Slovenská akademia, a. a. O., S. 204. 339 Zit. nach: Magdalena Pokorná: Sjednocením proti jednotě. Spor o budoucí podobu akademie věd, in: Blanka Zilynská/Petr Svobodný/Blanka Šachová (Hg.): Věda v Československu, a. a. O., S. 116.

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Dennoch sprach sich Nejedlý zugleich dafür aus, die ČSAV zur rechtlichen Nachfolgerin zumindest einiger der aufgelösten wissenschaftlichen Gesellschaften zu machen.340 Von Anfang an sollten sowohl die polnische wie auch die übrigen Akademien zwei Zielen dienen, die widersprüchlich erscheinen mögen. Auf der einen Seite sollten sie eine neue Methodologie einführen und Vorbild für die Wissenschaftler des ganzen Landes sein. Auf der anderen Seite galt, wie die Verfasser des bereits zitierten polnischen Dokuments schrieben: »Aus politischen Gründen ist es nötig, dass von der PAU sowie von anderen Gesellschaften insgesamt hervorragende Wissenschaftler zur PAN wechseln, die derzeit nicht wissenschaftlich tätig und uns ideologisch oft fremd sind, jedoch große und anerkannte Verdienste um die polnische Wissenschaft besitzen.«341

Somit sollte die PAN sowohl eine marxistische Institution wie auch ein Asyl werden, in dem Wissenschaftler eine Arbeit fanden, deren Einfluss auf die in der Ausbildung befindliche Jugend nach Meinung der Behörden schädlich war. Dieses Merkmal prägte auch das Institut für Geschichte der PAN.342 Folglich verlief die Besetzung der traditionellen wissenschaftlichen Gesellschaften und neugegründeten Akademien der Wissenschaft nach sowjetischem Vorbild in allen betrachteten Ländern ähnlich. Selbst diejenigen Vertreter von Gesellschaften, die – wie in Tschechien – Gespräche mit den Behörden führten und nicht vom Sinn der Zentralisierungspolitik überzeugt waren, traten in der Regel der ČSAV bei.343 In der neuen Akademie fanden auch solche Wissenschaftler einen Platz, gegen die nicht nur die Parteizellen, sondern auch ihre eigenen Universitätsfakultäten Vorbehalte angemeldet hatten.344 Somit halfen die Akademien zum Teil denjenigen Wissenschaftlern zu »überwintern«, die ihre Lehrbefugnis verloren hatten. Im polnischen Fall kam es im Übrigen nicht zu einer vollständigen Tren340 Jiří Beran: Perspektivy a dobová i dějinná omezení Československé akademie věd v období jejího vzniku, in: ebd., S. 125. Daniela Brádlerová/Nataša Kmochová: Likvidačńí komise ČSAV, ebd., S. 139–148; Stanley B. Winters: Science and Politics: The Rise and Dall of the Czechoslovak Academy of Sciences, in: Bohemia, Nr. 2/1994, S. 276 f. 341 AAN, Sign. 237/XVI – 27, KC PZPR Wydział Nauki i Szkolnictwa Wyższego – Uchwała BP KC PZPR w sprawie PAN. Tajne. Projekt, 1951. 342 Stefan Kieniewicz: Kilka słów o Instytucie Historycznym, in: Stefan K. Kuczyński (Hg.): Instytut Historii, a. a. O., S. 74; Frank Hadler: Geschichtsinstitute an ostmitteleuropäischen Wissenschaftsakademien. Budapest, Prag und Warschau im Vergleich, in: Matthias Middell/Gabriele Lingelbach/ Frank Hadler (Hg.): Historische Institute im internationalen Vergleich, Leipzig 2001, S. 302 f. 343 Magdalena Pokorná: Sjednocením, a. a. O., S. 120. 344 Alena Míšková: ČAVU a ČSAV: Otázky kontinuity a diskontinuity II. (Vytvoření sboru členů ČSAV a jeho vztah k členské základně ČAVU a KČSN), in: Jiří Pokorný/Jan Novotný (Hg.): Česká akademie věd a umění 1891–1991. Sborník příspěvků k 100. výročí zahájení činnosti, Praha 1993, S. 107.

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nung dieser beiden Bereiche: Die Mitarbeiter des IH PAN waren in der Regel gleichzeitig in der Akademie und an der Universität beschäftigt. Diese Ausübung zweier Funktionen wurde erst 1968 zum Teil abgeschafft.345 Meist herrschte in den Akademieinstituten eine bessere Atmosphäre als an den Universitäten, und die Einstellung gegenüber »bürgerlichen« Forschern war toleranter.346 Zur gleichen Zeit gewann in Tschechien wie auch in der Slowakei eine relativ große Gruppe junger Wissenschaftler an Bedeutung, die die staatliche Politik ganz entschieden unterstützten und meist auch der Partei angehörten. Lýdia Kamencová schreibt von Sektionen der SAV, in denen es neben den von der kommunistischen Ideologie überzeugten »Jungen« auch »Alte« gab, die sich oft opportunistisch an die Lage anpassten.347 Zwischen diesen Gruppen kam es gelegentlich zu Konflikten. Magdaléna Pokorná schildert eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Akademiemitglied Václav Vojtíšek und František Graus über die Aufnahme eines Buches von Graus in den Veröffentlichungsplan des ČSAV-Verlags für 1956. Vojtíšek hielt dieses Werk (zu Recht) für unwissenschaftlich und nachlässig geschrieben, während Graus, der viel bessere Kontakte hatte, seine Meinung durchsetzte und die Veröffentlichung mit Hilfe Josef Maceks in die Wege leitete, ohne dass dies Konsequenzen für Vojtíšek gehabt hätte.348 Graus, der Häftling deutscher Konzentrationslager gewesen war und nach seiner Emigration nach Deutschland 1969 Mitherausgeber der »Historischen Zeitschrift« wurde, war für seinen unbekümmerten Umgang mit der tschechischen Historikerschaft bekannt. Erst das Jahr 1958 ließ die Atmosphäre in den Akademien eisiger werden, als es sowohl in der ČSAV wie auch in der SAV zu »Säuberungen« kam, in deren Folge ein Teil der Mitarbeiter in Provinzabteilungen versetzt wurde.349 Für die Mitglieder der slowakischen Akademie war dies die Ouvertüre zu einer weiteren Zentralisierungswelle: 1963 ging die SAV am Vorabend des Prager (und Slowakischen) Frühlings in einer einheitlichen tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften auf. Die Struktur der 1952 und 1953 eingerichteten polnischen, tschechischen und slowakischen Akademieinstitute für Geschichte ähnelte sich, ihre Aufgaben waren identisch. Die Forschungseinheiten wurden chronologisch aufgeteilt, wobei

345 Vgl. Rps BUW, Spuścizna Witolda Kuli, p. 13, Bieżące funkcjonowanie zawodowe. 346 Jindřich Schwippel: ČAVU a ČSAV: otázky kontinuity a diskontinuity I., in: Jiří Pokorný/Jan Novotný (Hg.): Česká akademie, a. a. O., S. 95. 347 Lýdia Kamencová: Rozvoj spoločenských vied na Slovensku v rokoch 1953–1963 v materiáloch Ústredného archívu SAV, in: Hana Barvíková/Marek Ďurčanský/Pavel Kodera (Hg.): Věda v Československu v letech 1953–1963. Sborník z konference (Praha 23. –24. listopadu 1999), Praha 2000, S. 325. 348 Magdaléna Pokorná: Ediční činnost ČSAV v létech 1953–1961, in: Hana Barvíková/Marek Ďurčanský/Pavel Kodera (Hg.): Věda v Československu, a. a. O., S. 137. 349 Vgl. Jindřich Schwippel: ČAVU a ČSAV, a. a. O., S. 95; Lýdia Kamencová: Rozvoj, a. a. O., S. 326.

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die Abteilungen in der Tschechoslowakei in Anlehnung an die Formationstheorie, in Polen hingegen anhand der Zäsuren großer Epochen bezeichnet wurden. Nachdem sich die Belegschaft stabilisiert hatte, verfügte das IH PAN zu Beginn der 1960er Jahre, über mehr als 180 Mitarbeiter, seine tschechische Schwestereinrichtung beschäftigte am Ende der 1950er Jahre über 70 Personen.350 In seinem Gründungsjahr hatte das HÚ SAV 16 Mitarbeiter, später wuchs diese Zahl systematisch.351 Ein besonderes Merkmal des IH PAN, das es von den übrigen Instituten unterschied, war seine Dezentralisierung: Fast die Hälfte der Institutsmitarbeiter arbeiteten in Filialen (das Prager Institut besaß zwei Filialen; im HÚ SAV dachte man erst in den 1960er Jahren daran, Außenabteilungen zu gründen). Zu den Aufgaben der Institute gehörten die Vorbereitung von Monographien, die Popularisierung der marxistischen Methodologie durch die Herausgabe zentraler historischer Zeitschriften, die Arbeit an marxistischen Überblicksdarstellungen zur Nationalgeschichte, dokumentarische Tätigkeiten, Bibliographien sowie die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Auf organisatorischem Gebiet galt es, kollektive Arbeitsmethoden zu entwickeln (Vorzeigebeispiel für kollektives Arbeiten waren die Universitätshandbücher zur Geschichte Polens, der Tschechoslowakei und der Slowakei). Die Mitarbeiter, größere Arbeitsgruppen wie auch die Institute selbst mussten Jahrespläne vorbereiten, über deren Umsetzung sie anschließend Bericht zu erstatten hatten.352 In der Praxis führte die Planerstellung zu vielen Problemen, vor allem in den ersten Jahren. Ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten, die die neue Arbeitsorganisation heraufbeschwor, ist die Diskussion über den institutsübergreifenden Plan des IH PAN, den Witold Kula auf der dritten Sitzung des Wissenschaftlichen Rats im November 1953 vorstellte. Das Projekt wurde von den Versammelten kritisiert, weil es einige Fragen nicht enthielt, die für manche Mitglieder des Wissenschaftlichen Rats wichtig waren, oder aber weil die Arbeit der von ihnen geführten regionalen Abteilungen nicht ausreichend berücksichtigt worden war. Celina Bobińska protestierte dagegen, dass die Arbeiten der von ihr geleiteten Krakauer Arbeitsgruppe zur Geschichte des Klassenkampfes in Kleinpolen nicht in den Arbeitsplan aufgenommen worden waren. Sie hob die politische Rolle des Plans hervor, der in seiner gegenwärtigen Form »dem einzigen kämpferischen, marxistischen, unter schwierigen Bedingun-

350 Frank Hadler: Geschichtsinstitute an ostmitteleuropäischen Wissenschaftsakademien. Budapest, Prag und Warschau im Vergleich, in: Matthias Middell/Gabriele Lingelbach/Frank Hadler (Hg.): Historische Institute, a. a. O., S. 307. 351 Milan Repaš/Vojtech Filkorn/Ján Gouda/Vojtech Kellö/Miroslav Murín/Alexander Ujváry (Hg.): Slovenská akadémia vied 1953–1973, Bratislava 1974, S. 73. 352 Frank Hadler: Geschichtsinstitute an ostmitteleuropäischen Wissenschaftsakademien. Budapest, Prag und Warschau im Vergleich, in: Matthias Middell/Gabriele Lingelbach/Frank Hadler (Hg.): Historische Institute, a. a. O., S. 295 f.

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gen arbeitenden Lehrstuhl jegliche Unterstützung versagt«.353 Fast alle Teilnehmer der Sitzung meinten, der Plan sei chaotisch und berücksichtige viele wichtige Fragen nicht. Der Institutsdirektor war dazu gezwungen, den Versammelten zu erläutern, worauf Pläne in der Wissenschaft beruhen: »Planen ist nicht leicht«, sagte er, »und wir lernen diesbezüglich ständig von denen, die mehr Erfahrung als wir haben. So ist in der Sowjetunion, wo es schon seit über 20 Jahren wissenschaftliche Pläne gibt, von einem gesamtstaatlichen Wissenschaftsplan noch nicht die Rede. Jede Arbeitsstelle hat ihren eigenen Plan, doch einen gesamtstaatlichen Plan gibt es nicht. Daraus müssen wir Schlüsse ziehen. Es ist daran zu erinnern, dass auch die PAN und das Historische Institut Produktionsbetriebe sind, die ihre Produktion planen und für sie verantwortlich sind. Wenn man Dinge plant, so ist man dafür verantwortlich, die Nichterfüllung eines Plans zieht sehr weitreichende Folgen nach sich. Diese Richtlinien dienen als Orientierung dafür, ob bestimmte Arbeiten finanziert werden oder nicht. Die Diskussion gleitet, abgesehen von positiven Bemerkungen, nun aber auf einen gefährlichen Weg ab. Man kann nicht den ganzen Plan disqualifizieren, das ist fehl am Platze.«354

Die marxistischen Forschungszentren sollten neue Fragen aufgreifen und neue Interpretationen entwickeln, die den Erkenntnissen der »bürgerlichen« Geschichtsschreibung gegenübergestellt werden sollten. Die Auswahl dieser Fragen wurde in aller Regel auf hoher Ebene bestätigt. Während der ersten Sitzung des Wissenschaftlichen Rats forderte Stanisław Okęcki, sich nur mit »Schlüsselproblemen der Geschichte« zu beschäftigen und nicht etwa über »pflanzliche Nahrung und den Stand des landwirtschaftlichen Wissens« zu schreiben.355 Die wissenschaftliche Planung sollte einem Teil der Institutsangehörigen zufolge zur Auswahl wichtiger Themen führen, zum Aufdecken »fortschrittlicher Traditionen«, aber auch zur marxistischen Bewertung der neuesten Geschichte. Während einer Sitzung des Rats im Januar 1954 forderte Stanisław Arnold, dass junge wissenschaftliche Mitarbeiter angewiesen werden sollten, sich ausschließlich mit der neuesten Geschichte zu beschäftigen. Er wurde von Stanisław Okęcki unterstützt, der konkreter auf die wichtigsten Themen hinwies: »die Notwendigkeit einer ›historischen‹ Antwort auf die Propaganda des AdenauerRevisionismus. […] AK und NSZ werden verherrlicht. ›[Radio] Freies Europa‹ hat in den letzten beiden Monaten 85 Sendungen zur Geschichte Polens gebracht. Bei uns gibt es keine entsprechende Gegenaktion. Dieses Problem muss seinen Platz in unserer Presse finden, in unseren historischen Publikationen. Der Bekämpfung der feindlichen Ideologie ist mehr Aufmerksamkeit zu widmen.«356

353 AIHPAN, Sign. 5/27 Protokoły Rady Naukowej – Protokół nr 3 z posiedzenia Rady Naukowej IH PAN, 25 IX 1953. 354 Ebd. 355 AIHPAN, Sign. 5/27, Protokoły Rady Naukowej – Protokół nr 1 z posiedzenia Rady Naukowej Instytutu Historii z 31 I 1953. 356 Ebd. – Posiedzenie Rady Naukowej 26 I 1954 r.

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Bei allen Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Instituten gab es auch bestimmte Unterschiede, sowohl bei der Organisation wie auch im politischen und personellen Bereich. Ich werde im Folgenden das etwas anders gestaltete DDR-System behandeln, um anschließend auf die wichtige Frage der Besetzung der Institutsleitungen einzugehen, eine Frage, bei der deutlich wird, wie außergewöhnlich das IH PAN im Vergleich zu seinen Schwestereinrichtungen in den anderen Volksdemokratien war. Bis zu Beginn der 1950er Jahre wurden alle Entscheidungen über das wissenschaftliche Leben in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands von der Militärverwaltung der Roten Armee und ihrer deutschen Hilfsorganisation DZfV getroffen. Der drastische Schwund wissenschaftlicher Mitarbeiter, die im Zuge der Entnazifizierung ihre Stellen verloren, zwang die Behörden dazu, viele »bürgerliche« Wissenschaftler zu dulden, ohne die die Universitäten nicht funktioniert hätten. Gegen Ende der 1940er Jahre verschärfte sich die Wissenschaftspolitik. Im Rahmen des 1951 verkündeten Programms »Sturm auf die Festung Wissenschaft« wurden die historischen Abteilungen an der Hälfte der DDR-Universitäten geschlossen. Bis eine ausreichende Zahl marxistischer Kader ausgebildet sein würde, sollten nur die »Institute für die Geschichte des deutschen Volkes« in Berlin, Leipzig und Halle fortbestehen.357 Im Oktober 1951 entschloss sich das ZK der SED, ein Museum für deutsche Geschichte zu gründen, bald darauf auch ein Institut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften.358 Das Museum, das anfangs der Geschichte der deutschen Revolutionsbewegung gewidmet sein sollte, erhielt schließlich die neutralere Bezeichnung »Museum für Deutsche Geschichte«. Die Arbeiten dazu wurden 1950 aufgenommen. Als Wilhelm Pieck seine Aufgaben skizzierte, sagte er: »In den Museen unserer Deutschen Demokratischen Republik finden aber irgendwelche Winkelfürsten noch immer viel Raum und Beachtung. Ich denke, daß man damit Schluß machen muß und dem wirklichen deutschen Volk, den Arbeitern und Bauern, den freiheitlichen Denkern und Dichtern den Platz einräumen muß, der ihnen in der Geschichte gebührt.«359

Das Museum sollte die fortschrittlichen Traditionen der deutschen Nation aufdecken und an sie erinnern, vom Großen Bauernkrieg bis zu Ernst Thälmann.360 Zu den Mitarbeitern gehörten sowohl »bürgerliche« Historiker (»mit Namen«) wie auch Parteimitglieder, intensiv wurden zudem fähige Absolventen der Historischen Institute gesucht. Denn das Museum sollte auch zu einem zentralen

357 Martin Sabrow: Das Diktat, a. a. O., S. 40 f. 358 Stefan Ebenfeld: Geschichte, a. a. O., S. 41 f. 359 Zit. nach: Mario Kessler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 79. 360 Stefan Ebenfeld: Geschichte, a. a. O., S. 63.

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ostdeutschen Forschungszentrum werden, zu einem Gegenstück zum Akademieinstitut für Geschichte. Die Rekrutierung von Mitarbeitern für die neue Einrichtung erwies sich als schwierig. Die an den Universitäten oder auch am MELS-Institut (Marx-EngelsLenin-Stalin-Institut) beim ZK der SED arbeitenden Historiker gaben ihre Stellen nicht gerne auf. Der als Museumsleiter vorgesehene Alfred Meusel war von seiner Nominierung auch nicht begeistert (in der ersten, fast zwei Jahre währenden Vorbereitungsphase war Eduard Ullmann, ein Mitarbeiter des Marx-Engels-LeninInstituts, provisorischer Direktor).361 Diese Wahl war auf den Wunsch zurückzuführen, dass das Museum nicht mit der Partei, sondern mit der einheitlichen deutschen Nation in Verbindung gebracht werden möge, ganz im Einklang mit den Ansichten Meusels, eines unerschütterlichen Kämpfers für ein vereinigtes sozialistisches Deutschland. Das Museum sollte zugleich eine Rolle wie das polnische Institut für die Bildung wissenschaftlicher Kader (Instytut Kształcenia Kadr Naukowych, IKKN) oder die tschechoslowakische Hochschule für Politik- und Wirtschaftswissenschaften (Vysoká škola politických a hospodářských věd, VŠPHV) übernehmen, also den jungen marxistischen Nachwuchs schulen. Damit diese Ausbildung aber auf entsprechendem Niveau stattfinden konnte, musste ein beträchtlicher Anteil »bürgerlicher« Wissenschaftler beschäftigt werden. Deren Beschäftigung in einer Einrichtung, deren Aufgabe auch die visuelle und gedruckte Propaganda war, rief Konflikte hervor und führte zu unfreiwilligen Zerwürfnissen. Zu Konflikten kam es im Übrigen nicht nur zwischen Parteimitgliedern und Parteilosen.362 Der Museumsalltag bereitete der Leitung nicht wenig Kummer. Aufgrund des Personalmangels fehlte es an Wissenschaftlern im mittleren Alter, während jüngere Universitätsabsolventen und fortgeschrittene Studenten zahlreich vertreten waren. Fast niemand hatte Erfahrungen mit der Museumsarbeit (auch nicht der Direktor), und ein erheblicher Teil der Mitarbeiter schnupperte überhaupt erstmals wissenschaftliche Luft. Die ersten Ausstellungen sollten am 1. Mai 1952 eröffnet werden, faktisch aber verspätete man sich um mehr als zwei Monate. Das Museum arbeitete unter der ständigen und sehr strengen Kontrolle des Zentralkomitees, das die Ausstellungsdrehbücher prüfte und ihre Umsetzung beurteilte. Stefan Ebenfeld führt beispielhaft einige Interventionen des ZK der SED über die Ausstellungen zum Zeitraum 1918–1945 an: »Bei der Darstellung des faschistischen Terrors ist das Gedicht von J. R. Becher Kinderschule zu bringen«363,

361 Ebd., S. 91–96. 362 Karen Pfundt: Die Gründung des Museums für Deutsche Geschichte, in: Martin Sabrow/Peter Th. Walther (Hg.): Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995, S. 101 f. 363 Zur Rolle von Becher: Manfred Jäger: Kultur und Politik in der DDR. Ein historischer Abriß, Köln 1982, S. 1–9.

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hingegen sei ein Bild Fritz Heckerts zu übermalen, da die dort dargestellten Politbüromitglieder »zu schmal gezeichnet« seien.364 Die Arbeiten des Museums wurden durch die internen Konflikte zwischen dem Direktor und Albert Schreiner nicht einfacher. Schreiner, ein Veteran der Novemberrevolution und Partei-Apparatschik, zeichnete in der ihm anvertrauten Abteilung für den Zeitraum von 1918 bis 1945 ein ganz der Parteilinie folgendes Bild der Geschichte, wobei er die Novemberrevolution besonders hervorhob, die er bekanntlich für eine proletarische Revolution hielt. Meusel lehnte diese Sicht ab. »Das vorliegende Drehbuch ist eine Geschichte der deutschen Misere, dargestellt oder besser gesagt exemplifiziert am Schicksal der KPD; eine Geschichte der Guten, die immer recht haben, aber leider immer verlieren, während die Schlechten, die immer unrecht haben, leider immer gewinnen. Wenn das Drehbuch nicht mit dem Sieg der sozialistischen Sowjetunion im 2. Weltkrieg und mit dem Potsdamer Abkommen enden würde, würde ich es für eine der traurigsten Geschichten halten, die ich je gelesen habe.«365

Was den allgemeinen Charakter der Ausstellung betraf, so wurde Schreiner von den Parteistellen unterstützt, während die Einschätzung der Novemberrevolution gemäß den Vorgaben des Kurzen Lehrgangs modifiziert wurde.366 Die vielgestaltige Rolle des Museums beruhte u. a. auch darauf, dass die Mitarbeiter nicht nur didaktische und museale Aufgaben hatten, sondern auch damit betraut wurden, ein marxistisches Handbuch zur Geschichte Deutschlands vorzubereiten. Dass Alfred Meusel zum Gesamtherausgeber der neuen Synthese ernannt wurde, war kein Zufall: Die Arbeit am Handbuch sollte sich auf die wissenschaftlichen Kader des Museums stützen; die Leiter der einzelnen Abteilungen sollten die Autoren der Einzelbände sein (wozu es teilweise auch kam). Die ZfG war ihrerseits zwar formell nicht in das Museum integriert, doch ging man gemeinhin davon aus, dass die zentrale geschichtswissenschaftliche Zeitschrift der DDR eine weitere Initiative des Museums für Deutsche Geschichte sei.367 Die Existenz des Museums sowie von Historischen Instituten an einigen ostdeutschen Universitäten erschwerte paradoxerweise die Arbeiten zur Gründung des Instituts für Geschichte der Deutsche Akademie der Wissenschaften (IfG DAW). All diese Institute hatten Leiter, die der Partei angehörten und über gute Beziehungen verfügten. Durch dieses System wurde eine Zentralisierung erschwert, da diese oftmals den Verlust vieler Privilegien bedeutete, sich die Wissenschaftler einem anderen führenden Historiker unterstellen mussten und damit einen Teil ihrer Eigenständigkeit einbüßten. Der erste Direktor des IfG DAW war ein Kom364 Stefan Ebenfeld: Geschichte, a. a. O., S. 120 f. 365 Zit. nach: ebd., S. 142. Vgl. Karen Pfundt: Die Gründung, a. a. O., S. 109. 366 Mario Kessler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 81. 367 Stefan Ebenfeld: Geschichte, a. a. O., S. 144–148.

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promisskandidat: Karl Obermann gehörte zwar zu den kommunistischen Rückwanderern, war aber keine so zentrale Persönlichkeit wie Leo Stern, Alfred Meusel oder Jürgen Kuczynski (und kein so durchsetzungsfähiger Mann wie Ernst Engelberg). Er war hingegen einer der ersten Wissenschaftler, die über die Arbeiterbewegung und die Arbeitergeschichte des 19. Jahrhunderts geforscht hatten. Dieser personelle Kompromiss sollte jedoch nicht von langer Dauer sein. Das im März 1956 gegründete IfG DAW übernahm eine wichtige Aufgabe des Museums für Deutsche Geschichte: die Vorbereitung einer marxistischen Überblicksdarstellung der Geschichte Deutschlands. Im Institut fanden sich auch zahlreiche Museumsmitarbeiter wieder, darunter die bekanntesten, dem Wissenschaftlichen Rat des Museums angehörenden Historiker. Im ersten Jahr seines Bestehens wurden über 60 Personen in fünf chronologisch gegliederten Abteilungen eingestellt.368 Zwar hatte das Institut seinen Sitz in Berlin, doch verlegten die Leiter der einzelnen Abteilungen ihre Arbeiten in diejenigen Städte, in denen sie als Professoren tätig waren und administrative Verantwortung hatten. Das IfG DAW war also ähnlich dezentralisiert wie das IH PAN, allerdings mit dem Unterschied, dass diese Dezentralisierung auf den Machtkampf unter den DDRMarxisten zurückzuführen war und keinen Versuch darstellte, die Wissenschaft in der Provinz zu stärken. Im Vergleich zu den Akademieinstituten in anderen volksdemokratischen Ländern zeichnete sich das IfG DAW – wie Martin Sabrow schildert – durch seine große, geradezu organische Politisierung aus: »Die historische Wissenschaft, die in der DDR zur alleinigen Norm erklärt worden war, läßt sich nicht als entweder parteilich oder professionell beschreiben und auch nicht ›zwischen Parteilichkeit und Professionalität‹ ansiedeln, sondern forderte Professionalität in der Parteilichkeit.«369

Das IfG DAW sollte die führende Institution dieser neuen Wissenschaft sein. Ein Jahr nach seiner offiziellen Eröffnung verurteilten sowohl das Institut wie auch das Museum für Deutsche Geschichte offiziell Jürgen Kuczynski, der revisionistischer Sympathien verdächtigt wurde. Dies bedeutete eine große Zäsur in der Geschichte des Instituts: Die Institutsleitung und ein Teil der parteinahen Historiker kritisierten die ihrer Meinung nach zu starke Rolle der »bürgerlichen« Kollegen. Heinrich Scheel rief dazu auf, aus dem Institut ein streng der Partei untergeordnetes Forschungszentrum zu machen.370 Im September 1958 wurde Direktor Obermann von Rolf Dlubek angegriffen. Dlubek erkannte in den von Obermann

368 Martin Sabrow: Das Diktat, a. a. O., S. 55–71. 369 Ders.: Parteiliches Wissenschaftsideal und historische Forschungspraxis. Überlegungen zum Akademie – Institut für Geschichte (1956–1989), in: ders./Peter Th. Walther (Hg.): Historische Forschung, a. a. O., S. 202. 370 Ebd., S. 81 f.

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vorbereiteten Teilen des Lehrbuchs Reste von Positivismus und »Faktologie«, »archivalischem Fetischismus« und Objektivismus.371 Gegen Obermann sprachen sich auch die prominenten Leiter einiger Abteilungen des IfG DAW aus: Ernst Engelberg, Albert Schreiner, Leo Stern und Jürgen Kuczynski. Untereinander zerstritten, waren sie sich in ihrer Einschätzung des Direktors einig. Auch die Parteiführung kam zu dem Schluss, dass Obermanns politische Qualifikationen nicht genügten, um eine so herausgehobene Position auszuüben.372 Unter seinen Kritikern bestand jedoch keine Einigkeit daüber, wer sein Nachfolger werden sollte. Die Parteiorganisation des Instituts sah Leo Stern als neuen Direktor, den Leiter der Abteilung für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs. War Obermann den Parteiaktivisten zufolge aufgrund seines ungenügenden politischen Engagements unhaltbar, so lasteten auf Stern noch schwerwiegendere Vorwürfe. Stern (eigentlich Jonas Leib) stammte aus Österreich. Als einziger ostdeutscher emigrierter Historiker hatte er den Zweiten Weltkrieg auf sowjetischer Seite miterlebt (er kämpfte u. a. in Stalingrad). 1945 lehrte er an der Universität Wien, doch seine Karriere in Österreich endete durch einen folgenschweren Zwischenfall. Von der KPÖ zum 1. Mai-Umzug ins provinzielle Kleinpöchlarn abbeordert, wurde er von einigen Betrunkenen angegriffen und verletzt. Zu Hilfe gerufene Sowjetsoldaten erschossen einige – zufällig kommunistische – Teilnehmer des Umzuges, und Stern geriet in den Ruch, dem NKVD anzugehören. Vor diesem Hintergrund nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Neue Geschichte an der Universität Halle an. Seit 1950 war er Professor und drei Jahre später bereits Rektor dieser Universität. Er leitete die Arbeitsgruppe »Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung«. Dieser Gruppe gehörten überwiegend »bürgerliche« Historiker an, die zum Teil sogar eine nationalsozialistische Vergangenheit hatten. Deshalb war Stern politisch angreifbar. Zum ersten Angriff kam es 1954, als einer von Sterns Mitarbeitern, Werner Frauendienst, der Verherrlichung Preußens beschuldigt wurde. Richtigstellungen, die der Redaktion des »Neuen Deutschland« zugesandt wurden, hatten wenig Erfolg, sodass Frauendienst nach Westdeutschland zog, ohne den weiteren Verlauf der Ereignisse abzuwarten.373 Vier Jahre später wurde die Universität Halle von einer Fluchtwelle nach Westen ergriffen. Auch Ernst Klein, ein weiterer Assistent Sterns, verließ die DDR, und Stern musste dem Verlag Rütten & Loening erklären, dass die geplante Dokumentensammlung zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution nicht rechtzeitig erscheinen würde, da ein Teil der Mitarbeiter das Land auf Dauer verlassen habe.374 371 Mario Kessler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 215. 372 Ebd., S. 215. 373 Ebd., S. 271–273. 374 Martin Sabrow: Das Diktat, a. a. O., S. 101.

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Ernst Engelberg, der mit Stern um den Posten des Direktors des IfG DAW konkurrierte, konnte alle Fehltritte seines Wettbewerbers geschickt ausnutzen. Engelberg war ein Vertreter der jüngeren Generation der DDR-Historiker und ein ausgemachter Gegner jeglicher Zusammenarbeit mit »bürgerlichen« Forschern. Als er die Leitung der Deutschen Historiker-Gesellschaft (DHG) übernahm, Alfred Meusel als Herausgeber der marxistischen Überblicksdarstellung der Geschichte Deutschlands absetzte und Direktor des IfG DAW wurde, begann ein neuer Zeitabschnitt der DDR-Historiographie. Wie Sabrow schildert, ging damit die Anfangsphase zu Ende. »Engelbergs Berufung stand für das Ende der gesamtdeutschen Illusionen einer zweiten deutschen Geschichtswissenschaft, die die Teilung des Faches bislang noch als ein mehr oder minder transitorisches Phänomen angesehen hatte; sie stand für das Ende der ›Erbhöfe‹ und Forschungsnischen, die das Bild des Akademie-Instituts in den ersten Jahren geprägt hatten.«375

Ernst Engelberg war der letzte »Große« der DDR-Historiographie. Niemand nach ihm spielte je wieder eine so entscheidende Rolle: Das neue Ausbildungssystem, an dessen Einführung Engelberg ebenso wie seine Konkurrenten beteiligt war, kam der Etablierung bedeutender Persönlichkeiten nicht entgegen. In den anderen Ländern, um die es in diesem Buch geht, gab es keine vergleichbaren Auseinandersetzungen um einen Direktorenposten wie am Institut für Geschichte der ostdeutschen Akademie der Wissenschaften. Im tschechischen Fall endete die Konkurrenz in dem Augenblick, als der junge Mediävist Josef Macek (1922–1991) das Direktorenamt übernahm. Bohumil Jiroušek zufolge kam diese Entscheidung überraschend, denn die Strukturen des Historischen Instituts der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften (HÚ ČSAV) waren nicht von Macek, sondern von Václav Husa geplant worden. Maceks letztlicher Sieg sollte von nun an zu kühlen Beziehungen zwischen der Akademie und der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität (FF UK) führen, wo Husa den Lehrstuhl für die Geschichte der Tschechoslowakei leitete.376 Dies war ein weiterer Karriereschritt für den ehemaligen Schüler von Zdeňek Kalista, der weit nach oben führte. Macek war nicht nur Direktor des HÚ ČSAV, sondern auch Abgeordneter der Nationalversammlung und sogar Mitglied des ZK der KSČ.377 Gleich nach der Ernennung zum Institutsdirektor wurde er auch ordentliches Mitglied der ČSAV – mit gerade einmal 31 Jahren!378 Am Anfang dieser beachtlichen Karriere stand der

375 Ebd., S. 112. 376 Bohumil Jiroušek: Josef Macek. Mezi historií a politikou, Praha 2004, S. 38–40. 377 Ebd.; Josef Hanzal: Cesty, a. a. O., S. 104 f.; Miloslav Polívka/František Šmahel (Hg.): In memoriam Josefa Macka (1922–1991), Praha 1996. 378 Frank Hadler: Geschichtsinstitute, a. a. O., S. 293 f.

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Staatspreis, der dem jungen Historiker 1952 für seine Arbeit Husitské revoluční hnutí [Die hussitische Revolutionsbewegung] verliehen worden war. Was war für einen so raschen Aufstieg entscheidend? Petr Čornej, der mit Macek über die Umstände der Preisübergabe gesprochen hatte, weiß Folgendes zu berichten: »Gleich nach 1948 [damals legte Macek sein Magisterexamen ab, M. G.] widmete er sich in seinem umfangreichen Werk Tábor v husitském revolučním hnutí [Der Tábor in der hussitischen Revolutionsbewegung] dem Anfang des Tábor. Allerdings wollte niemand das Buch herausbringen; alle Verlage verwiesen auf den sehr speziellen Charakter des Buches und schlugen dem Autor vor, ein Manuskript einzureichen, das dem ›arbeitenden Volk‹ die marxistische Sicht auf die Rolle des Hussitismus in der böhmischen und europäischen Geschichte erläutern sollte. So entstand Husitské revoluční hnutí, dessen Veröffentlichung dem 30-jährigen Macek den Weg in die höchsten Ämter und zu einer starken politischen Stellung bahnten. Es ist klar, dass diese glänzende Karriere ohne persönlichen Ehrgeiz und gute Kontakte zu der kommunistischen Führung nicht möglich gewesen wäre. Das Schicksal wollte es, dass in der Zeit, als Maceks Geschichte des Hussitismus veröffentlicht wurde, ein einflussreicher kommunistischer Funktionär im Krankenhaus lag, der die Entstehung der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften überwachte. Er hieß Ladislav Štoll (1902–1981). Seine Zeit vertrieb er sich mit der Lektüre von Neuerscheinungen. So fiel ihm auch Maceks Husitské revoluční hnutí in die Hände, das ihn faszinierte. Auf Štolls Betreiben setzte sich ein Karussell in Bewegung, das dem Historiker schließlich den Staatspreis einbringen sollte.«379

Macek, der ehrgeizig und intelligent war und die Unterstützung der Parteiführung genoss, erinnerte ein wenig an den 13 Jahre älteren Ernst Engelberg. Doch sein weiterer Lebensweg sollte deutlich anders verlaufen. Macek beteiligte sich aktiv an der Beseitigung von Resten des tschechoslowakischen Stalinismus. Für seinen Anteil an der Dokumentation des Einmarschs der Warschauer Pakt-Truppen 1968 wurde er vom Husák-Regime seiner Ämter enthoben und erhielt Publikationsverbot. Das hinderte ihn nicht daran, zu einem weltbekannten Renaissance-Fachmann zu werden und sehr viele Texte im Ausland zu veröffentlichen. Auch in der Slowakei gab es keinen erbitterten Kampf um den Posten des Institutsdirektors. Hier hatten die Kommunisten gar keine Kandidaten mit dem erwünschten wissenschaftlichen Niveau, die zugleich garantiert hätten, politisch linientreu zu denken. Noch in der Besatzungszeit hatte man an Alexander Markuš gedacht, der jedoch früh verstarb.380 Am Ende der 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre war unter anderem der marxistische Kunsthistoriker (und frühere surrealistische Dichter) Jaroslav Dubnický (1916–1979, eigentlich Jaroslav Honza) Direktor des HÚ SAVU, ein Beamter beim Bevollmächtigten für Fragen des

379 Petr Čornej: Lipanské ozvěny, Praha 1995, S. 168. 380 Anton Špiesz: K problematike starších dejín Slovenska, in: HČSAV 1990, S. 683.

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Schulwesens und der Kultur (ein »Bevollmächtigter« war die Entsprechung eines Prager Ministers und hatte die Aufgabe, die Zentralgewalt in der Slowakei zu repräsentieren). Als Direktor waren Dubnický in kurzer Zeit drei »bürgerliche« Historiker vorausgegangen: František Bokes, Alexander Húšćava (1906–1969) und Branislav Varsik (1904–1994). Gleichzeitig übernahm Dubnický von dem in Ungnade gefallenen Daniel Rapant die Vorlesungen zur Geschichte der Slowakei für die Studenten der Comenius-Universität Pressburg (1950–1951 war er Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität). Als einer der wenigen slowakischen Geisteswissenschaftler war er mit der marxistischen Methodologie vertraut, weshalb er die schwierige Pflicht hatte, die den übrigen slowakischen Historikern zu vermitteln.381 Mit der KSČ hatte er schon vor dem Krieg Kontakte gehabt, doch formell trat er erst 1945 der Partei bei; drei Jahre später überwachte er die Säuberungen in der Slowakischen Historischen Gesellschaft (Slovenská Historická Spoloćnost, SHS).382 Vielleicht führte das Übermaß der auf Dubnický lastenden Pflichten dazu, dass nicht er Direktor des neu gegründeten HÚ SAV wurde, sondern udovít Holotík (1923–1985, der schon seit 1951 Direktor des Historischen Instituts der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Historický Ústav Slovenskej Akadémie Vied, HÚ SAVU) gewesen war). Holotík war Absolvent der Prager Hochschule für Politik und Gesellschaft (Vysoká škola politická a sociální). Nach Ende seiner Ausbildung hatte er an dieser Hochschule als Assistent gearbeitet, zugleich aber an der Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität Veranstaltungen zum Marxismus-Leninismus angeboten. Nach seiner Rückkehr in die Slowakei war er Chefredakteur der Historischen Zeitschrift der Slowakischen Akademie der Wissenschaften (HČSAV) und redigierte die marxistische Überblicksdarstellung der Nationalgeschichte. Trotz seiner so herausragenden Position sieht Ján Mlynárik, der die Hauptvertreter der slowakischen Historiographie beschreibt, in Holotík eine tragische Figur. Zu intelligent, um das Vertrauen des slowakischen Parteiapparats zu gewinnen, diente Holotík als »Puffer«. Gegenüber der Historikerschaft (sowie der lesenden Öffentlichkeit) repräsentierte er die Stalinisierung der historischen Wissenschaften, er schwärzte die Helden des Slowakischen Nationalaufstandes (Slovenské Národné Povstanie, SNP) an und verurteilte tatsächliche oder vorgebliche Fehltritte der tschechoslowakischen Zwischenkriegsrepublik. Es fehlte ihm dabei offensichtlich an politischem Gespür. Sein Buch, das die Person Milan Rastislav Štefániks »entlarvte«, veröffentlichte er erst 1958, lange nach dem XX. Parteitag der KPdSU, als derartige Veröffentlichungen längst nicht mehr en 381 Marek Havrila: Slovenská historiografia, a. a. O., [Kap. 3.] Hlavné pracoviská slovenskej historickej vedy, S. 40 und 43. 382 Zu Dubnický siehe: Vladimír Mináč et al. (Hg.): Slovenský historický slovník (od roku 833 do roku 1990), Bd. 1, Martin 1986.

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vogue waren. 1968 wurde dieses Werk zu einem Symbol für die Stalinisierung der Wissenschaft in der Slowakei und wurde als solches von den Studenten demonstrativ verbrannt. Ein Jahr darauf veröffentlichte Holotík einen Text, in dem er die ephemere Slowakische Räterepublik (SRR) nicht als Ausdruck des proletarischen Internationalismus sah, sondern als ungarischen Versuch, die territoriale Integrität der Tschechoslowakei zu verletzen. Unter den parteinahen Historikern herrschte damals jedoch die Auffassung vor, dass die SRR zu den »fortschrittlichen Traditionen der slowakischen Nation« gehöre. Diese interpretatorischen Fehler, sein fehlendes politisches Gespür und ein Mangel an einflussreichen Freunden führten dazu, dass Holotík als Direktor des HÚ SAV und Chefredakteur der zentralen historischen Zeitschrift sowie der Überblicksdarstellung weder zum Vollmitglied der SAV noch der ČSAV wurde. 1968 spülte ihn die Entstalinisierungswelle aus all diesen Ämtern (aus dem Direktorenamt auf Dauer, aus den Redaktionsfunktionen vorübergehend). Die Gruppe marxistischer Historiker, die für die Entwicklung der slowakischen Nachkriegshistoriographie bedeutsam waren, war jedoch viel größer, sodass man kaum sagen kann, Holotík sei ihr wichtigster Vertreter gewesen. Eine vielleicht noch zentralere Rolle bei der Umformung der slowakischen Historiographie spielte ein anderer Absolvent der Hochschule für Politik und Gesellschaft beim ZK der KSČ, Miloš Gosiorovský (eigentlich Miloš Gonćarovský, 1920–1978). Für den aus einer polnischen Familie stammenden Wissenschaftler war die Karriere eines Professors gleichbedeutend mit einer Degradierung: Er war zuvor Sekretär im ZK der Komunistischen Partei der Slowakei (KSS) gewesen und anschließend Direktor der Parteischule in Pressburg, bevor er letztlich dort als ordentlicher Professor tätig war. Gosiorovský war ein ausgebildeter Eisenbahnarbeiter, und als er zum Professor ernannt wurde, hatte er noch nicht einmal das Abitur.383 Er wurde Mitglied des Wissenschaftlichen Rats der HÚ SAV und der Redaktion der HČSAV; zwischen 1966 und 1970 leitete er die SHS. Seine wissenschaftlichen Interessen konzentrierten sich auf die Geschichte der slowakischen Arbeiterklasse. Anzumerken ist, dass nicht Holotík, sondern Ján Tibenský (geboren 1923) an der prestigeträchtigen Aufgabe beteiligt war, ein Universitätslehrbuch zur Geschichte der Tschechoslowakei zu schreiben. Zum HÚ SAV kam Tibenský von der Matica Slovenská, um nach wenigen Monaten stellvertretender Institutsdirektor zu werden (er beaufsichtigte u. a. die Herausgabe einiger Bände des von seinem Lehrer Rapant begonnenen monumentalen Werks Slovenské povstanie v roku 1848–49 [Der slowakische Aufstand der Jahre 1848–49]). Stellvertretender Direktor des HÚ SAV war auch Miroslav Kropilák (1918–1985), der bis 1948 als Gymnasiallehrer gearbeitet hatte und sich später als »Normalisator« der tschechoslowakischen Historiographie »verdient« machte (er war seit 1970

383 Ján Mlynárik: Diaspora, a. a. O., S. 27 f.

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Direktor des HÚ SAV).384 Der Historiker und Slawist Vladimír Matula (geboren 1928), der, wie noch gezeigt werden wird, bei der Diskussion über die marxistische Bewertung der slowakischen nationalen Traditionen eine entscheidende Rolle spielen sollte, war Absolvent der Abteilung für Geschichte an der Moskauer Lomonosov-Universität. Nach seiner Rückkehr in die Slowakei arbeitete er kurz an der Pressburger Universität, ehe er von 1958 bis 1962 Direktor des Slowakischen Nationalmuseums (Slovenské národné múzeum) in Martin war. Während dieser Zeit war er zugleich auch Mitarbeiter des HÚ SAV. Zu den jüngsten marxistischen Wissenschaftlern zählte Viliam Plevza (geboren 1934), ein Absolvent der Karlsuniversität. Der junge Historiker war neben Gosiorovský führend in der marxistischen Forschung zur der Geschichte der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Partei. Eine besondere Rolle für die slowakische Historiographie sollte der Mediävist Peter Ratkoš (1921–1987) spielen. Während des Krieges hatte er sein Studium an der Philosophischen Fakultät der Pressburger Universität beendet, um dort anschließend als Assistent zu arbeiten. Zu Beginn der 1950er Jahre war er im HÚ SAVU (und anschließend im HÚ SAV) beschäftigt. Er hatte eine Funktion, die der von Josef Macek und František Graus im tschechischen Landesteil ähnelte: die marxistische Sicht auf die Rolle des Hussitismus in der Nationalgeschichte darzustellen sowie die einheimischen fortschrittlichen Traditionen in der Zeit des Feudalismus aufzudecken. Wie Anton Špiesz nach vielen Jahren anmerkte, spielte Ratkoš – ein gläubiger und praktizierender Katholik – »seine Rolle so genau und überzeugend, dass der Leser seiner Texte mit Sicherheit zu der Überzeugung gelangt, es habe sich bei ihm um einen absolut überzeugten und gläubigen Marxisten gehandelt, dass er seine Probleme ausschließlich vom Standpunkt des Klassenkampfes darstellte und löste und dass er fest an die kommunistische These von der Geschichte als Geschichte der Klassenkämpfe geglaubt habe«.385 udovít Holotík war die Symbolfigur der Gruppe der aktiven und gut vernetzten Marxisten in der Slowakei. Sein Leben endete tragisch: 1985, auf dem Höhepunkt von Husáks Normalisierungspolitik, beging er Selbstmord.386 Das IH PAN unterschied sich von den anderen Akademieinstituten stark, was einige Fachleute mit den Ergebnissen der Konferenz von Otwock in Verbindung bringen.387 Stanisław Trawkowski führt die selbstkritische Meinung Stefan Kieniewiczs an, der die Ergebnisse der Konferenz mit dem Bonmot »wir haben einen Ochsen für einen Truthahn verkauft« zusammenfasste. Dies wird meist so gedeutet, dass ein größerer Wert (wissenschaftliche Freiheit, Gewissen) gegen

384 Ebd., S. 30; Josef Hanzal: Cesty, a. a. O., S. 180 f. 385 Anton Špiesz: K problematike starších dejín Slovenska, in: HČSAV 1990, S. 683. 386 Ján Mlynárik: Diaspora, a. a. O., S. 18–28. 387 Vgl. Rps BUW, Spuścizna Niny Assorodobraj, VII/2 – Protokół konferencji organizacyjnej MZH …; Rafał Stobiecki: Pierwsza Konferencja Metodologiczna, a. a. O., S. 208.

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einen kleineren (Schutz der polnischen Historiographie vor der Zerstörung) eingetauscht worden sei.388 Wenn nun aber der Verlauf der Konferenz über die Besetzung des IH PAN entschied, so war auch der Truthahn von stattlicher Größe. Die endgültige Entscheidung darüber, die Direktorenstelle dem nichtkommunistischen und im In- wie Ausland geschätzten Tadeusz Manteuffel anzuvertrauen, fiel tatsächlich erst nach Otwock. Im Archiv der Neuen Akten (Archiwum Akt Nowych, AAN) finden sich mehrere Gedankenspiele zur Besetzung der Institutsleitung, die 1951 und 1952 in der Wissenschaftsabteilung des ZK der PZPR entstanden. Keine von ihnen sah vor, den Posten mit Tadeusz Manteuffel zu besetzen. Direktor sollte Henryk Jabłoński werden, als seine Stellvertreter waren Żanna Kormanowa, Nina Assorodobraj, Stanisław Arnold und Roman Heck vorgesehen. Auch die Institutssektionen sollten aufgrund eines »Parteischlüssels« besetzt werden. Der Plan ließ offen, wem die Sektion für die Geschichte Polens zwischen 1795 und 1917 anvertraut werden sollte (Celina Bobińska oder Stefan Kieniewicz), wobei neben dem Namen Kieniewicz vermerkt wurde, dass er Katholik sei.389 Ein weiterer, diesem Beschlussvorschlag zur Regelung der Aufgaben im IH PAN beigefügter Entwurf sah vor, dass Henryk Jabłoński Direktor werden sollte, Stanisław Arnold bzw. Natalia Gąsiorowska-Grabowska Stellvertreter und Żanna Kormanowa Wissenschaftliche Sekretärin. Auch Manteuffel sollte einer der Stellvertreter des Direktors werden.390 Es kam somit zu ersten Korrekturen, in deren Folge der Anteil parteiloser Historiker in der Institutsleitung vergrößert wurde. Die Resultate der Otwocker Konferenz wurden von einer eigens hierzu berufenen Kommission des Politbüro-Sekretariats geprüft. Das Ergebnis ihrer Tätigkeit war ein Beschluss des Sekretariats, in dem nicht nur dazu aufgerufen wurde, die Anstrengungen zu vergrößern, um das Institut für Geschichte zu organisieren und die marxistische Methodologie einzuführen, sondern der auch den besonders wichtigen Schluss zog, »auf die Führungsstellen mutige parteilose Historiker zu berufen, die sich durch eine ausreichende Beherrschung der marxistisch-leninistischen Methode auszeichnen und deren Treue zu Volkspolen keinem Zweifel unterliegt«.391 Der diesem Text beigefügte Plan zur personellen Besetzung des IH PAN sah vor, Natalia Gąsiorowska-Grabowska zur Direktorin zu berufen. Manteuffel sollte zu ihrem ersten Stellvertreter werden, Henryk Łowmiański und Bogusław Leśnodorski (1914–1985) zu weiteren Stellvertretern, als Wissenschaft-

388 Stanisław Trawkowski: O warunkach powstania i działalności Instytutu Historii za dyrekcji Tadeusza Manteuffla, in: Stefan K. Kuczyński (Hg.): Instytut Historii, a. a. O., S. 48. 389 AAN, sygn 237/XVI – 43 Wydział Nauki i Szkolnictwa Wyższego – Projekt obsady personalnej. 390 Ebd. – Projekt obsady personalnej IH. 391 Ebd. – Uchwała Sekretariatu BP KC PZPR w sprawie nauk historycznych.

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licher Sekretär waren Witold Kula oder Juliusz Bardach vorgesehen.392 Dieser Plan wurde zur Begutachtung auch Tadeusz Manteuffel zugeschickt. Ehe Manteuffels Vorschläge zur Besetzung des Instituts zur Sprache kommen, möchte ich noch auf die von den Diskussionen in der Wissenschaftsabteilung des ZK unabhängigen Bemühungen der parteilosen Historiker eingehen, Einfluss auf die Personalpolitik im IH PAN zu nehmen. Aleksander Gieysztor erinnerte sich folgendermaßen: »Angesichts der drückenden Atmosphäre, der nur zu begründeten personellen Befürchtungen und von Verlogenheit musste man zu ungewöhnlichen Mitteln greifen, etwa dazu, Bolesław Bierut einen Brief mit den Unterschriften Tadeusz Manteuffels, Marian Małowists und des Verfassers dieser Worte zu schicken, in dem das Risiko und die Kurzsichtigkeit der damals von einem Teil des ideologischen Apparats beabsichtigten Bruchs mit der Kontinuität der historischen Wissenschaft dargelegt wurden. Die Vernunft überwog.«393

An dasselbe Ereignis erinnerte sich viele Jahre später auch Marian Małowist. Aleksander Gieysztor soll demnach gemeinsam mit Tadeusz Manteuffel die Vermittlung einer in der Kanzlei des Staatsrats beschäftigten, verdienten Kommunistin genutzt haben, der mit Manteuffel verwandten Maria Fuksowa, um Bierut eine Denkschrift mit Postulaten der Historiker zuzuleiten. Das weitere Schicksal dieses Dokuments ist nicht bekannt.394 Glücklicherweise finden sich im Nachlass Manteuffel im Archiv des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Archiwum Instytutu Historii Polskiej Akademii Nauk, APAN) sowohl der Plan zur Besetzung des Instituts, wie ihn die Wissenschaftsabteilung weitergeleitet hatte, als auch eine höchstwahrscheinlich von Manteuffel selbst verfasste Kritik daran. Der Plan sah nicht nur vor, als Direktorin Natalia Gąsiorowska-Grabowska einzusetzen sowie drei Vizedirektorenstellen zu schaffen, die Manteuffel (für allgemeine Fragen), Henryk Łowmiański (für wissenschaftliche Angelegenheiten) sowie Bogusław Leśnodorski (für organisatorische Angelegenheiten) bekleiden sollten, sondern auch drei zusätzliche Direktionsmitglieder »ohne Portefeuille«: Stanisław Arnold, Żanna Kormanowa sowie Leon Grosfeld. Zum Wissenschaftlichen Sekretär sollte Witold Kula werden. Tadeusz Manteuffel unterzog das Projekt einer prinzipiellen Kritik. Er bemängelte die große Zahl von Direktionsstellen und die sich daraus ergebende Aufteilung der Verantwortlichkeiten. Personell kritisierte er Gąsiorowska, Kormanowa und Arnold:

392 Ebd. – projekt obsady IH PAN, b. d. 393 Zit. nach: Robert Jarocki: Opowieść o Aleksandrze Gieysztorze, Warszawa 2001, S. 200. 394 Marian Małowist: Kilka uwag do artykułu Piotra Hübnera, in: PH 1987, S. 488.

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»Die 71 Jahre alte Kandidatin hat zwar einen großen wissenschaftlichen Ruf, besitzt aber keine genügenden organisatorischen Fähigkeiten sowie das Vermögen zu einer harmonischen Zusammenarbeit mit den Kollegen. Sollte ihr das Direktorenamt anvertraut werden, so besteht die Gefahr, dass die Arbeiten des Instituts aufgrund kleinlicher Kompetenzstreitigkeiten und Reibereien innerhalb der Direktion behindert werden.« Manteuffel äußerte seinen »Zweifel an der Sinnhaftigkeit, Personen in die Institutsleitung aufzunehmen, die bislang in der Partei für bestimmte historische Abschnitte verantwortlich waren (Prof. Kormanowa und Prof. Arnold). Ihre Haltung erinnert an das System Arakčeev395, für die wissenschaftlichen Mitarbeiter insgesamt bedeutet das, dass sie, auch durch ihre ungenügende Beteiligung an Forschung und Lehre, an notwendiger Autorität einbüßen.«396

Es ist schwer zu entscheiden, wie weit Manteuffels Bewertungen die Wissenschaftspolitik der Behörden beeinflusst haben. Wichtiger scheint eine Information, die indirekt aus einer seiner Einschätzungen herauszulesen ist. Manteuffel schrieb: »Wir erkennen die Notwendigkeit, das Direktorenamt einem Parteimitglied anzuvertrauen, voll und ganz an und sehen zwei Möglichkeiten, um dieses Postulat zu verwirklichen – a) indem das Direktorenamt einem von seinem Alter her jüngeren und tatsächlich aktiven Kandidaten anvertraut wird, b) indem das Direktorenamt einem älteren Kandidaten anvertraut wird, der eine starke politische Stellung besitzt, die Richtung der Institutsarbeiten aber nur ganz allgemein vorgeben wird und in der alltäglichen Arbeit von einem Vizedirektor vertreten wird.«397

Bekanntlich sahen die Entscheidungsträger letztendlich davon ab, zur möglichen Zusammensetzung der Leitung des IH PAN Tadeusz Manteuffel zu konsultieren und beriefen ihn selbst zum Direktor. Manteuffel unterschied sich stark von den offiziellen Anführern der marxistischen Historiographie in den anderen Ländern, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Er gehörte nicht der Partei an und hatte im Westen studiert. Einen Namen hatte er sich schon vor dem Krieg gemacht, vor allem als Organisator des CISH-Kongresses in Warschau 1933. Während der Besatzung hatte er an der Schaffung des geheimen Unterrichtswesens mitgewirkt, um nach dem Krieg das Institut für Geschichte der Universität Warschau wiederaufzubauen. Die Position des Institutsdirektors basierte auf seiner wissenschaftlichen und organisatorischen Autorität. 1950 war er zum Vorsitzenden der Polnischen Historischen Gesellschaft PTH gewählt worden, ein Beweis für das Vertrauen, das er innerhalb der Historikerschaft genoss. Die Art und Weise, wie Manteuffel mit den

395 Aleksej Arakčeev symbolisierte die konservative Wende in der Politik Alexanders I., vor allem die Einführung der strengen »Disziplin des Stocks«. 396 APAN, Sign. III – 192, Materiały Tadeusza Manteuffla, j. 53 Komisja Programowa i Komisja Organizacyjna IH oraz IH 1951–60 – Krytyka sugestii Wydziału Nauki KC PZPR, Warszawa 12 IV 1952. 397 Ebd.

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Neigungen der Staatsmacht zurechtkam, in die Arbeit der Historiker einzugreifen, war auch eine Folge seiner besonderen Persönlichkeit, die von vielen Menschen, die Kontakt zu ihm hatten, bestätigt wird. Er besaß ein ganz natürliches Charisma, weckte Vertrauen, rief aber auch Furcht hervor.398 In Parteikreisen wurde er wegen seines Verhaltens auch »der hölzerne Prinz« genannt.399 Von seiner Autorität mag eine von Henryk Samsonowicz angeführte Anekdote zeugen. Während der Wahl des neuen PTH-Vorstands 1956 fiel die einzige vom Staatsapparat aufgestellte und unterstützte Kandidatin, Natalia Gąsiorowska-Grabowska, durch. Sie hatte sich schon früh für die Linke engagiert (seit 1904 gehörte sie der Pariser Sektion der Polnischen Sozialisten Partei PPS an, nach der Parteispaltung entschied sie sich für die Linke, in der Zweiten Republik war sie bis 1922 Mitglied der Kommunistischen Arbeiterpartei Polens KPRP), doch nach 1922 zog sie sich diesbezüglich zurück, sie trat weder der Kommunistischen Partei Polens KPP bei noch war sie Mitglied der Polnischen Arbeiterpartei PPR. In die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei PZPR trat sie 1949 ein. Partei und Staat sahen in ihr vorübergehend eine mögliche Redakteurin der Historischen Vierteljahresschrift KH, aber auch die Direktorin des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften IH PAN; später war sie Vorsitzende des Wissenschaftlichen Rats des Instituts, war Präsidiumsmitglied der PAN sowie Vorsitzende des PTH.400 Gąsiorowska-Grabowskas Niederlage bei den Wahlen rief beim gesamten Vorstand Bestürzung und Panik hervor. Man entschloss sich, Manteuffel anzurufen, der krankheitsbedingt nicht zur PTH-Versammlung erschienen war. Manteuffel hörte sich den Bericht an und fragte dann ruhig: »Na und? « Seine Reaktion veranlasste den Vorstand dazu, die Wahlen fortzusetzen, an denen keine von vornherein zum Erfolg verurteilten Kandidaten mehr teilnahmen.401 Zu Tadeusz Manteuffels Vertretern im IH PAN wurden Bogusław Leśnodorski und Leon Grosfeld ernannt. Wissenschaftlicher Sekretär wurde Witold Kula, Vorsitzende des Wissenschaftlichen Rats Natalia Gąsiorowska-Grabowska; diesem Rat gehörten weiterhin an: Stanisław Arnold, Juliusz Bardach, Celina Bobińska, Tadeusz Daniszewski, Stanisław Herbst, Henryk Jabłoński, Żanna Kormanowa, Kazimierz Lepszy, Ewa Maleczyńska, Stanisław Okęcki, Marian Henryk Serejski

398 Robert Jarocki: Opowieść o Aleksandrze Gieysztorze, a. a. O., S. 233; auch in einer mündlichen Erinnerung Marcin Kulas. 399 Erinnerung von Stanisław Trawkowski während der Feiern zum 100. Geburtstag Tadeusz Manteuffels im IH PAN am 5.3.2002. 400 Vgl. Ireneusz Ihnatowicz: Natalia Gąsiorowska (1881–1964), in: Aleksander Gieysztor/Jerzy Maternicki/Henryk Samsonowicz (Hg.): Historycy warszawscy ostatnich dwóch stuleci, Warszawa 1986, S. 252–256. 401 Erinnerung von Henryk Samsonowicz während der Feiern zum 100. Geburtstag Tadeusz Manteuffels im IH PAN am 5.3.2002.

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Institutionen, Historiker und Entwicklungen zwischen 1945 und 1949

und Zygmunt Wojciechowski.402 Es handelte sich um eine Mischung von Marxisten (sowohl Parteimitglieder als auch Parteilose) und »bürgerlichen« Historikern. In dieser Hinsicht mochte die Zusammensetzung an die Anfänge des Museums für Deutsche Geschichte erinnern. Die Entwicklung beider Institutionen nahm jedoch eine ganz unterschiedliche Richtung. Während in der DDR langsam die Nichtkommunisten verdrängt wurden (sie flohen zum Großteil selbst in den Westen), gaben in Polen die Nichtkommunisten unter den Historikern den Ton an, sie waren die besten Lehrer und die am meisten geschätzten Spezialisten. Dazu trug weitgehend eine andere, weniger dogmatische Politik der kommunistischen Machthaber bei, aber auch die Tatsache, dass die Zeit des Stalinismus in Polen außergewöhnlich kurz war. Eine wichtige Rolle muss aber auch die Zusammensetzung und der Charakter der Historikerschaft gespielt haben. Eine intensive Analyse der kommunistischen Wissenschaftspolitik und ihres Einflusses auf die Historiker würde viel mehr Platz beanspruchen, als hier zur Verfügung steht. Die in den bisherigen Abschnitten dargestellte Übersicht der wichtigsten Problemfelder soll als Einleitung zum eigentlichen Gegenstand des Buches dienen. Es soll im Folgenden darum gehen, die Haltung der marxistischen Historiographien zu den nationalen Traditionen und zu den Traditionen der jeweiligen einheimischen Geschichtsschreibung zu analysieren. Diese Einleitung hat gezeigt, unter welchen Bedingungen die im weiteren Verlauf der Arbeit zitierten Werke entstanden sind, zwischen welchen Historikern die zu zeigenden wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen entbrannten. Wie sich herausstellen wird, hatten die Merkmale bestimmter historischer Wissenschaften, die in diesem Kapitel dargestellt wurden, Einfluss auf die Form und den Charakter der historischen Veröffentlichungen. Wenn man die höchst komplizierte Situation maximal vereinfacht, kann man sagen, dass die marxistische Historiographien in Tschechien und der Slowakei stärker zentralisiert und vereinheitlicht wurden als in Polen und in der DDR. Es stellt sich somit die Frage, ob diese Vereinheitlichung (oder ihr Fehlen) auch in den Veröffentlichungen der 1950er Jahre sichtbar ist und z. B. die Vielfalt der geäußerten marxistischen Meinungen beeinflusste. Bedenkt man, wo die meisten politisch, intellektuell und für die Historikerschaft wichtigsten Marxisten arbeiteten, kann man davon ausgehen, dass die Überlegenheit der DDR-Historiographie diesbezüglich zu einer größeren methodischen Reife ihrer Publikationen geführt hat. Mit anderen Worten: Der Marxismus dürfte für sie bedeutsamer gewesen sein als für die anderen Historiographien. Es gibt jedoch bestimmte Ähnlichkeiten, die man sich bewusst machen muss, um den Mechanismus zu verstehen, durch den marxistische Interpretationen der

402 AIHPAN, Sign. 5/27, Protokoły Rady Naukowej – Protokół Nr 1 z posiedzenia Rady Naukowej Instytutu Historii z 31 I 1953.

Die Sowjetisierung der historischen Wissenschaften

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Geschichte entstanden sind. Die Art und Weise, wie wissenschaftliche Auseinandersetzungen ausgetragen wurden, unterschied sich selbstverständlich in den einzelnen Ländern (es genügt hierbei, an die Unterschiede zwischen Polen und der DDR zu erinnern). Dennoch sind einige Merkmale fast überall zu finden. Die marxistischen Historiker waren in allen uns interessierenden Ländern nicht so sehr bestrebt, ihre Gegner bzw. Leser zu überzeugen oder ihre Auffassungen gekonnt darzustellen, sondern wollten vielmehr einen bestimmten Bereich der geltenden Geschichtsauffassung dominieren und monopolisieren. Denn es durfte nur eine Interpretation geben, nur eine Auslegung der Gedanken der Klassiker konnte richtig sein. Hätte es mehrere Interpretationen gegeben, so hätte dies von der Schwäche und Disziplinlosigkeit der Marxisten gezeugt, was man natürlich nicht zulassen durfte. Die folgenden Kapitel zeigen unter anderem, wie die ihr Metier besser oder schlechter ausübenden Historiker versuchten, diese engen Rahmen zu sprengen.

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3 Die Marxisten und die historiographische Tradition

Die Traditionen der nationalen Historiographien in Ostmitteleuropa Die Aufgaben und Ambitionen der historischen Reflexion erschöpfen sich nicht im Sammeln von Fakten und in ihrer Interpretation. Seit Jahrhunderten strebt die Tätigkeit von Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern danach, allgemeine und umfassende Sichtweisen zu schaffen, die die versammelten Informationen strukturieren, sie übergreifenden Annahmen unterordnen und den Fakten dadurch einen Inhalt verleihen. Solche synthetischen Ansätze sind sehr häufig nicht nur eine Methode, um die Vergangenheit abzubilden, sondern auch (nicht selten vor allem) ein Beitrag zu aktuellen politischen Debatten. Gelegentlich sind sie ein »Argument aus der Geschichte«, das konkrete Handlungen unterstützt und sie wissenschaftlich fundiert.1 In Einzelfällen (die relativ häufig sind) können sie dazu dienen, verschiedene nationale oder politische Gruppen bzw. Klassen zu legitimieren. Eine solche Rolle spielten die in Europa besonders beliebten Genealogien einzelner Nationen, sowohl biblische Genealogien als auch solche, die auf die römische Antike zurückgingen und gelegentlich beide Motive gekonnt miteinander verbanden. Heute sind etwa die Anstrengungen kroatischer Historiker zu sehen, die nichtslawische (antike) Herkunft ihrer Nation zu belegen, um die Geschichte der Kroaten dadurch auf immer von der Geschichte der Serben zu trennen. Nichtslawische, antike Ahnen suchen auch einige ukrainische Historiker, die im antiken Italien fündig geworden sind.2 Eine ähnliche Art von Legitimation der eigenen Herkunft ist, wie Jacek Banaszkiewicz schreibt, für die ersten nationalen historischen Werke typisch, die Chroniken: »Die märchenhafte Zeit unterstützt die Zukunft der Reiche und bezeugt, dass man in einer Reihe mit den benachbarten Gemeinschaften und Weltmächten steht und vor niemand Respekt haben muss. Wir sind auch niemandem etwas schuldig.«3 Banaszkiewicz vergleicht die Anfangsgeschichte mit einer Schatzkammer, in der ein Kollektiv alles sammelt, was es für wertvoll hält. Seine eigene Arbeit ist der Interpretationsversuch eines solchen Sammelplatzes, das

1

2 3

Andrzej Wierzbicki: Argument z polityki w historii, in: Jerzy Maternicki (Hg.): Metodologiczne problemy badań nad dziejami myśli historycznej. Materiały konferencji naukowej w Krynicy w 1988 r., Warszawa 1990, S. 92 f. Krzysztof Wrocławski: Croatian, Macedonian and Ukrainian National Ideas of their Ethnogeny, in: Jolanta Sujecka (Hg.): The National Idea as a Research Problem, Warszawa 2002, S. 141–154. Jacek Banaszkiewicz: Polskie dzieje bajeczne Mistrza Wincentego Kadłubka, Wrocław 1998, S. 276.

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Die Marxisten und die historiographische Tradition

Bestreben, einigen bereits vergessenen Exponaten einen Sinn zu verleihen, den sie in der Vergangenheit gehabt haben könnten.4 Die Historiker können mit ihrer Nationalgeschichte mehr oder weniger respektvoll, ehrlich und vorsichtig umgehen. Witold Kula, dem sich ein ähnlicher Vergleich aufdrängte, wirft der polnischen Historiographie der 1950er Jahre vor, respektlos mit den Traditionen umgegangen zu sein: »Diese nicht enden wollenden Sammlungen«, schrieb er, »unter denen ägyptische, griechische, germanische oder persische Heiligtümer zu sehen sind, Waffen aller Nationen, Wohnhäuser aller Länder … So ist ihre Beziehung zur Geschichte. Ein Lamus, wo man zu geringem Preis die einen oder anderen Details erwerben kann, die notabene meist nur zur Verzierung benötigt werden. Sie gefallen dem Plebs oder seinen Kaplänen nicht, ähnlich wie der Plebs den Profanen nicht gefällt – man kann sie jederzeit durch andere ersetzen. Mächtig und reich ist dieser Lamus.«5

Wenn man Exponate aus dieser Schatzkammer (bzw. dem Lamus) hervorholt, gilt es, bestimmte Regeln einzuhalten. In den angeführten mittelalterlichen und modernen Fällen der Abstammungstheorie ist dies eine strikt politische Regel, die auf den konkreten Gebrauch und den jeweiligen »Hof« abhebt. Sie gibt auf sehr einfache Weise Antwort auf die grundlegenden Bedürfnisse einer ethnischen Gemeinschaft: sich einer edlen Herkunft und der historischen Rechte ihrer Existenz zu versichern. Dadurch lässt sie einen Mythos entstehen. Wie Lucian Boia schreibt, »wird das Ordnungsprinzip in die Geschichte eingeführt, das den Bedürfnissen und Idealen einer bestimmten Gemeinschaft entspricht«.6 Die tschechische oder slowakische nationale Wiedergeburt war von genau dieser Selbstbestätigung gekennzeichnet, von der Suche nach einer Begründung für die Notwendigkeit der eigenen Existenz. Diese Kennzeichen sind auch beim Wiederaufbau des unabhängigen Polen oder bei der Vereinigung Deutschlands zu erkennen (aber zum Beispiel auch bei der panslawistischen Idee). »Die faktische Geschichte braucht den Mythos«, wie Leszek Kołakowski sagt.7 Wenn man der Geschichte Sinn verleihen möchte, so muss man über sie hinausgreifen, auch in den Bereich der Mythen. Diese These ist nicht nur in Bezug auf die nationalen Ideen des 19. Jahrhunderts oder die Historiographie des Stalinismus richtig, sondern auch in Bezug auf bekannte und anerkannte wissenschaftlich arbeitende Historiker. Sie betrifft aber auch die folgende Einführung in die Traditionen der polnischen, slowakischen und tschechischen Historiographie wie auch jeden anderen Versuch, die Verschiedenheit wissenschaftlicher Haltungen, methodologischer Optionen, lite-

4 5 6 7

Ebd., S. 5. Siehe auch Dušan Třeštík: Mýty kmene Čechů (7.–10. století). Tři studie ke »Starým pověstem českým«, Praha 2003, S. 14–19. Witold Kula: Wokół, a. a. O., S. 386. Lucian Boia: Rumuni. Świadomość, mity, historia, Kraków 2003, S. 45. Leszek Kołakowski: Obecność mitu, Warszawa 2003, S. 40.

Die Traditionen der nationalen Historiographien in Ostmitteleuropa

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rarischer Stile und individueller Charaktere der Historiker zu ordnen. Reduziert man Historiker nur darauf, eine Vielzahl von Ansichten über Themen zu verbreiten, die für die Nachwelt besonders interessant sind, so verliert man oft etwas Zentrales aus den Augen: die Individualität der Historiker selbst. In den folgenden Kapiteln werde ich mich in der Regel an den allgemein anerkannten Interpretationen der jeweiligen Nationalhistoriographien orientieren. Ich werde auch auf diejenigen Ansichten der Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts hinweisen, die meiner Ansicht nach für die marxistischen Historiographien in Ostmitteleuropa besonders große Bedeutung hatten.8

Die Dilemmata der polnischen Historiographie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Die Historiker der Länder Ostmitteleuropas bezogen sich im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf die deutsche Historiographie dieser Zeit und entlehnten ihr viele Elemente. Gewiss, man griff auch auf andere Quellen zurück, die romantische Geschichtsschreibung nicht selten auf Frankreich, die Positivisten auf Frankreich und England, doch für sehr viele tschechische, slowakische und polnische (aber auch westeuropäische) Historiker blieb Deutschland der wichtigste Bezugspunkt. Von den in dieser Arbeit untersuchten Historiographien lässt sich nur die deutsche nicht mit der Formel erklären, die Josef Macůrek für die mittelund osteuropäischen historischen Wissenschaften vorgeschlagen hat. Ihm zufolge war der einzige Unterschied zwischen den Historiographien im Westen und im Osten Europas die Rückständigkeit der letzteren.9 Die deutsche Historiographie gehörte stets zu den weltweit führenden. Die Prinzipien der geschichtswissenschaftlichen Arbeit und die Quellenkritik wurden aus Deutschland übernommen, von wo auch das Modell der Historischen Seminare stammte. Große Bedeutung hatten persönliche Beziehungen: Nicht wenige ostmitteleuropäische Historiker hatten in Deutschland studiert.10 Die deutsche Geschichtsschreibung war für viele

8

Da dieses Kapitel einen vor allem informativen Charakter hat, habe ich mich dazu entschlossen, hier auf eine Charakteristik der deutschen Historiographie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu verzichten. In der polnischen Ausgabe meines Buches gehe ich auf sie ein: Przede wszystkim ma być naród. Marksistowskie historiografie w Europie Środkowo-Wschodniej, Warszawa 2007, S. 164–175. 9 Josef Macůrek: Úvahy o mé vědecké činnosti a vědeckých pracích, Brno 1998, S. 91. 10 Dieses Thema müsste noch eingehend untersucht werden. Maciej Janowski schreibt vom Einfluss Georg Waitz’ oder Robert Mohls auf Michał Bobrzyński und Waitz’ auf Josef Pekař – vgl.: Maciej Janowski: Three historians, in: CEU History Department Yearbook 2001–2002, S. 222–224. Pekař schreibt über Palacký, das Preßburger Gymnasium, das er besucht habe, sei die Außenstelle einer deutschen protestantischen Universität gewesen – vgl. Richard Georg Plaschka: Von Palacký bis Pekař. Geschichtswissenschaft und Nationalbewußtsein bei den Tschechen, Graz 1955, S. 11. Die tschechischen und slowakischen nationalen Erwecker (Ján Kollár, Pavol Jozef Šafarík) hatten die

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Die Marxisten und die historiographische Tradition

zugleich aber auch in publizistischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen ein Gegner. Wenn man die methodischen Konzepte verfolgt, die an deutschen Beispielen erarbeitet worden waren (oder dieselben Quellen wie die deutschen hatten), muss man berücksichtigen, dass die Rezeption der Geschichtswissenschaft kein einfacher und einheitlicher Prozess ist. Selbst wenn man Selbstverständlichkeiten außer Acht lässt, etwa dass jede Lektüre unterschiedlich begriffen werden kann, lassen sich nicht ohne weiteres einfache Beziehungen zwischen dem westlichen Methodengerüst und seinen mitteleuropäischen Entsprechungen konstruieren. Die in jedem Fall andersartigen politischen, gesellschaftlichen und historischen Verhältnisse verleihen den wissenschaftlichen Konzepten jeweils eine etwas andere Bedeutung. Dabei unterliegt kaum ein Historiker nur einem einheitlichen methodologischen Einfluss und lässt sich etwa zweifelsfrei als »Positivist« bezeichnen. Im Allgemeinen schöpft ein Wissenschaftler aus unterschiedlichen Quellen, so gefällt ihm zum Beispiel Rankes Fortschrittskonzeption (oder auch ihr Fehlen), doch stimmt er auch mit einigen Annahmen Lamprechts überein (das ist, wie mir scheint, in Ostmitteleuropa eine recht häufige Kombination). Ich werde nun ausführlicher als bisher verschiedene Sichtweisen der Nationalgeschichte sowie den politischen Kontext der polnischen, tschechischen und slowakischen Historiographie berücksichtigen, weniger ausführlich hingegen die methodologischen Konzepte (hier werde ich mich auf Bezüge zur deutschen Historiographie beschränken). Die polnischen Historiker der Aufklärung, vor allem der am höchsten geschätzte Adam Naruszewicz, waren Anhänger einer starken und aufgeklärten Zentralgewalt; ihre Geschichte schrieben sie aus der Perspektive des Staates, nicht des Adels. Deshalb waren für Naruszewicz die »absoluten« Regierungen der Piasten besonders interessant und wertvoll, während er in der Selbstherrlichkeit des Adels und der Magnaten eher einer Ursache für das Unglück der Rzeczpospolita (Adelsrepublik) sowie eine ernste Gefahr für ihr künftiges Schicksal sah. Schon 1778 warnte der Historiker in dem später oft zitierten Gedicht Głos umarłych (Die Stimme der Verstorbenen): »Worüber beklagst Du Dich zu Unrecht, o Nation, Und gibst fremdem Druck die Schuld an Deinem Schicksal? Suche das Unglück in Deiner eigenen Freiheit Und beweine ihren bedauernswerten Gewinn. Kein Land hat eine fremde Macht angelockt, Das sich nicht selbst zuerst geschwächt hat.«11

(Fortsetzung Fußnote 10) Universität Jena besucht. Man könnte noch viele weitere derartige Beispiele anführen, und es wäre eine faszinierende Aufgabe, eine Karte der wissenschaftlichen Einflüsse einzelner deutscher historischer Schulen in Ostmitteleuropa über die Staats- und Nationsgrenzen hin zu zeichnen. 11 Zit. nach: Marian Henryk Serejski: Naród a państwo w polskiej myśli historycznej, Warszawa 1973, S. 71.

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In Naruszewiczs Hauptwerk, der zwischen 1780 und 1786 in sechs Bänden erschienenen Historia narodu polskiego [Geschichte der polnischen Nation], erkannte man nicht nur eine professionelle, auf gründliche Quellenkenntnis gestützte Sicht des Problems, sondern auch ein politisches, monarchistisches Programm, das die Rzeczpospolita vor dem ihr drohenden Untergang bewahren sollte. Naruszewicz brach so wie eine ganze Reihe aufgeklärter Denker und Politiker mit einer Nationsidee, die sich auf den Adel beschränkte und als »Nation« im politischen Sinne im Grunde nur die besitzende Klasse verstand. Es handelte sich nicht um die radikalste Revision des Nationsbegriffs, der von einigen Autoren des 18. Jahrhunderts höchst modern verstanden wurde: »Die Nation – das ist eine Ansammlung von Menschen mit einer Sprache, mit denselben, in einer allgemeinen Gesetzgebung enthaltenen Sitten und Gebräuchen«12, schrieb Franciszek Salezy Jezierski, der zudem der Meinung war, dass es Grundbedingung für das Wohlergehen der Rzeczpospolita sei, dem Volk seine einst abgenommene Freiheit wiederzugeben.13 Diese Definition kommt im weiteren Verlauf auf ein anderes, bereits erwähntes Merkmal der Weltanschauung der Aufklärung zu sprechen: »Die Nation und die Regierung der Nation sind unterschiedliche Dinge, denn es scheint, als könne die Nation nicht ohne Land sein, das heißt nicht ohne seinen Sitz, und als könne wiederum das Land nicht ohne Regierung sein.«14 Selbst wenn Jezierski am Beispiel der Italiener später feststellt, dass die Existenz einer Nation ohne einheitlichen Staat möglich sei, so blieb der Staat neben der Nation dennoch Gegenstand der historischen Vorstellungskraft der polnischen Aufklärer. Die Historiker gingen am Ende des 18. Jahrhunderts davon aus, dass man mit einer streng politischen Geschichte brechen müsse, die sich lediglich auf einen Katalog der Regierenden und der von ihnen geführten Kriege beschränkte. Das Interesse am Nationsbegriff und seine Neudefinition wurden zunehmend wichtiger. Naruszewicz interessierte sich demnach auch für Gesetzgebung, Wirtschaft und die Entwicklung der Wissenschaften – also für Faktoren, die das Feld der historischen Reflexion grundlegend erweiterten. Aus dieser neuen Perspektive war die zivilisatorische Verspätung Polens deutlicher sichtbar, dessen Potential (auch die in der »Nation«, wie auch immer man sie definierte, schlummernden Kräfte) von den rückständigen staatlichen Strukturen nicht habe genutzt werden können. Erst eine Reform, eine Rückkehr auf den Entwicklungspfad, auf dem Europa sich seit langem bewege, könne den polnischen Staat retten. Diese These stand in größtem Gegensatz zu den früher beliebten Perspektiven auf die Geschichte der Rzeczpospolita, die ihre positiv verstandene Unvergleichlichkeit

12 Franciszek Salezy Jezierski: Wybór pism, Warszawa 1952, S. 217. 13 Vgl. Marian Henryk Serejski: Naród, a. a. O., S. 54. 14 Franciszek Salezy Jezierski: Wybór pism, a. a. O., S. 217.

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nachwiesen und sie nicht negativ wie Stanisław Staszic oder Naruszewicz verstanden. Die kühnen, kassandrischen Thesen Naruszewiczs wurden rasch höchst aktuell. Seine Vorhersage, dass die Rzeczpospolita unter der Last des eigenen Unvermögens untergehen würde, bewahrheitete sich mit schmerzlicher Genauigkeit. Auch wenn gleich im Anschluss an die zweite Teilung die Autoren des kleinen Büchleins O ustanowieniu i upadku Konstytucji polskiej 3 Maja 1791 [Von der Einführung und dem Fall der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791] der Theorie vom selbstverschuldeten Untergang die These von der fast ausschließlichen Schuld der habgierigen Teilungsmächte (verbunden mit einer sehr negativen Beurteilung von König Stanisław August Poniatowski) entgegenstellten, so wurde die von Naruszewicz so deutlich gestellte Frage nach der Verantwortung für die Niederlage für viele Jahre zur grundlegenden Frage der polnischen Historiographie. Die erwähnte Tendenz, in der Geschichte Schuldige für die Niederlage zu suchen, stand in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Charakter der aufgeklärten Geschichtsschreibung, die in der Geschichte vor allem erzieherisches Material sah, um gute und schlechte historische Entwicklungspfade aufzuzeigen. Im 1807 gegründeten Herzogtum Warschau sah die Königliche Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften (Towarzystwo Królewskie Przyjaciół Nauk, TKPN) darin eine der Hauptaufgaben einer künftigen Geschichte der polnischen Nation: »Das Geschichtswerk, über dessen Herausgabe die Gesellschaft nachdenkt, soll nicht nur eine möglichst vollständige Sammlung der Geschichte enthalten, sondern auch ein hervorragendes Bild vom Nationalcharakter aufzeigen, um in ihm die Ursachen des Aufstiegs, der Macht und des Untergangs der Nation zu suchen. Als Charakter der Nation bezeichnen wir Gegenstände und Mängel, also eher gute und eher schlechte Gewohnheiten, die ihn, so wie der Wind ein Schiff lenkt, im weiten Raum der Jahrhunderte neigen und entweder auf den Gipfel des Ruhms erheben oder in den Abgrund stürzen.«15

Ähnliche Aufgaben der Nationalgeschichte sah Stanisław Staszic. In der Geschichte erkannte er »entschlossene Taten«, die Einfluss auf die Zukunft der Nation haben und mit deren Suche sich die Historiographie beschäftigen solle. In demselben Jahr, in dem das TKPN seinen Aufruf veröffentlichte, schrieb er über seinen Versuch, diesen für die Geschichte Polens entscheidenden Ursachen nachzuforschen. Bezeichnend dabei ist, dass er sich nicht auf die Suche nach den Ursachen der Wiedergeburt Polens unter napoleonischem Protektorat konzentrierte, sondern auf die Frage seines vorherigen Untergangs:

15 Odezwa Towarzystwa Królewskiego Przyjaciół Nauk w sprawie prospektu historii narodu polskiego (1809), zit. nach: Marian H. Serejski (Hg.): Historycy o historii, Bd. 1, Warszawa 1963, S. 62.

Die Traditionen der nationalen Historiographien in Ostmitteleuropa

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»Die weitere Schwächung und der Niedergang der monarchischen Gewalt und die ständig wachsende Herrschaft einiger weniger (możnowładztwo), die Vergrößerung der Adelsprivilegien, die Verweigerung von Bürgerrechten und Landbesitz für das Volk waren ein Übel, das sich seit Ludwig [von Anjou, König in den Jahren 1370–1382] bis zum Tod Sigismund Augusts [König in den Jahren 1548–1572] fortwährend vergrößerte. Es sollte sich zeigen, dass auch der Glanz dieser Herrschaft der alten Sigismunde nur ein fortdauernder äußerer Schein war, der noch unter dem alten Ruhm und den riesigen Ausmaßen der Nation erstrahlte. Im Innern war der politische Körper schon in dieser Zeit ganz verdorben.«16

Die Suche nach Gründen für den Untergang der Rzeczpospolita war natürlich nicht alles, wofür sich die Historiker der polnischen Aufklärung interessierten. Mit diesen Überlegungen gingen unter den Bedingungen einer beschränkten Souveränität bzw. ihres völligen Fehlens Bemühungen einher, nationale Erinnerungsstücke zu sammeln und die Tradition des Staates aufrechtzuerhalten, der schließlich in Zukunft wieder neu entstehen sollte. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den von Naruszewicz formulierten Ansichten unternahm erst Joachim Lelewel, der das demokratische, romantische polnische Geschichtsbild entwarf. Der erzieherische Charakter der Geschichte blieb weiterhin in Kraft, während sich die Ansichten darüber änderten, was die Ursache der polnischen Niederlage war und was zu einer Wiedergeburt führen könnte. Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Lelewels Interpretation und den Feststellungen seiner Vorgänger war die Herangehensweise an die Frage der Staates. »Der Lelewel’schen Konzeption der Geschichte Polens lag die Überzeugung zugrunde, dass die republikanische Regierungsform für die Polen ein notwendiges, zugleich aber auch ›natürliches‹ Muster einer richtigen Entwicklung sei.«17 Lelewel, im politischen Leben ein überzeugter Republikaner, hielt die Volksregierung (gminowładztwo) für das ursprüngliche und einheimische Regierungssystem der Slawen (diese Überzeugung teilte er im Übrigen mit dem ebenfalls bedeutenden tschechischen Historiker der Romantik, František Palacký). Mehr noch, dieses System beschränke sich nicht nur auf die Zeit der ursprünglichen Slawenheit, sondern sei auch Grundlage der Adelsdemokratie. Daraus ergab sich ein weiterer Unterschied zwischen Lelewel und den Thesen Naruszewiczs: Die einheimische polnische und allgemeinslawische Demokratie war kein Ausdruck einer Verspätung in Bezug auf die übrigen Staaten des Kontinents, sondern im Gegenteil ein Beweis dafür, dass »Polen in Hinblick auf sein System ganz Europa voraus war«.18 Dieses in Bezug auf sein politisches System rückständige Europa habe leider die Rzeczpospolita beeinflusst, 16 Stanisław Staszic: Jak powinna być pisana historia Polski (1809), zit. nach: Marian H. Serejski (Hg.): Historycy o historii, a. a. O., Bd. 1, S. 75. 17 Andrzej Wierzbicki: Historiografia polska doby romantyzmu, Wrocław 1999, S. 310. 18 Ebd., S. 313.

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eine Abkehr vom richtigen Entwicklungspfad verursacht und ihr die falschen, ja sogar verbrecherischen Regeln des Feudalismus aufgezwungen. Diese Konzeption der Nationalgeschichte ging an vielen Stellen von Urteilen aus, die den von den Historikern der Aufklärung verkündeten direkt widersprachen. Die starken Regierungen der Piasten bedeuteten für Lelewel die Abkehr von den Idealen des gminowładztwo, die Rzeczpospolita hätte nicht aus den Erfahrungen des Westens, sondern aus der eigenen politischen Tradition schöpfen müssen. Die Schuld für den Niedergang des Staates trugen demzufolge größtenteils die Teilungsmächte, nicht aber die Polen selbst. Lelewels Interpretation der Nationalgeschichte hatte große politische Bedeutung, sowohl für die innerpolnischen Auseinandersetzungen wie auch auf europäischer Ebene. Sie war eine Sammlung von Argumenten für die demokratische Weltanschauung der polnischen Romantik und unterstützte die patriotischen Gefühle der ihres eigenen Staats verlustig gegangenen Polen. Zugleich war sie das Ergebnis eines besonderen Zeitabschnitts, in dem sich die polnischen Emigranten zuweilen wie Lehrer und Führer Europas vorkamen, sei es als leidgeprüftes und deshalb politisch reiferes Volk, sei es, wie in Mickiewiczs Schriften, als mystischer Erlöser der Menschheit, der für die Sünden aller leide. Lelewels Schaffen gehört auch einer Zeit an, in der die Polen zu den Helden der demokratischen europäischen Öffentlichkeit wurden, die zu einem nicht geringen Teil die Auffassung des polnischen Historikers teilte: »Alle Nationen bilden eine unteilbare Familie; in dieser Familie gibt es keine Ausländer, alle sind Brüder.«19 Die Niederlage des antirussischen Aufstands von 1863/1864 bedeutete eine Wende für das polnische Geistesleben, leitete mit dem Positivismus eine neue literarische Epoche ein und inspirierte neue Interpretationen der Nationalgeschichte. Der Schock des verlorenen Aufstandes wurde bald darauf durch die beispiellose Niederlage Frankreichs noch verstärkt, einer Macht, mit der die Polen Hoffnungen auf die politische Wiedergeburt eines unabhängigen Staates verbanden. Da das besiegte Frankreich um die Gunst Russlands werben musste – als Schutz vor einer möglichen Aggression von Bismarck-Deutschland –, verlor es seinen Status als wohlgesonnener Aufenthaltsort für die politischen Flüchtlinge aus Polen. Gleichzeitig führte die Einführung der konstitutionellen Monarchie in Österreich und der Autonomie in Galizien mit seinen zwei polnischen Universitäten dazu, dass selbst die gemäßigten polnischen Emigranten in Frankreich vor Sedan geneigt waren, ihre Hoffnungen auf eine wenn auch nur partielle Wiedererlangung der Unabhängigkeit auf die Habsburger zu setzen. In Galizien selbst entstand in dieser Zeit eine Lelewel gegenüber oppositionelle (wenn auch gewiss nicht einheitliche) historiographische Strömung, die als Krakauer Schule bekannt wurde.

19 Joachim Lelewel: Polska; dzieje i rzeczy jej, Bd. 20, Poznań 1864, S. 421. Zit. nach: Andrzej Wierzbicki: Lelewel i Ojczyzna, in: W kręgu historii, historiografii i polityki, Łódź 1997, S. 48.

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Walerian Kalinka und Józef Szujski, die (neben Stanisław Smolka und Michał Bobrzyński) am häufigsten zu den Schöpfern der neuen Schule gerechnet werden, knüpften an das Werk der polnischen Aufklärung an, indem sie den engen Zusammenhang der Geschichte Polens mit der allgemeinen Geschichte betonten. Viel kritischer war ihre Einstellung gegenüber den romantischen Historikern. Die Geschichtsschreibung Lelewels und seiner Nachfolger war Szujski zufolge unprofessionell und zugleich allzu tendenziös: »Es gibt nichts, was man häufiger täte, als sich der Geschichte zu bedienen, vor allem bei uns. […] Sie dient als tägliche, gewöhnliche Waffe und ist zusammengesetzt aus großen Phrasen und vermeintlich unfehlbaren Dogmen. Ein allgemeiner Begriff ist auch die Nationalgeschichte, vor allem etwas, was vom allgemeinen Strom der Geschichte abgetrennt ist, etwas, was unseren heutigen Bestrebungen dient, eine eifrige Dienerin politischer Anschauungen und eine Lieferantin einer Unmenge hochtrabender Worte.«20

Die Historiker der Krakauer Schule näherten sich in ihren Antworten auf die Frage, warum die Rzeczpospolita untergegangen sei, den von Naruszewicz oder Staszic formulierten Thesen an. Walerian Kalinka schrieb 1868 im Vorwort zu seinem Buch Ostatnie lata panowania Stanisława Augusta. Dokumenta do historii drugiego i trzeciego podziału [Die letzten Herrschaftsjahre Stanisław Augusts. Dokumente zur Geschichte der zweiten und dritten Teilung]: »Quelle unserer politischen Schwäche und somit auch wichtigste, wenn nicht sogar einzige Ursache für den Niedergang waren […] jene sehr zahlreichen Unzulänglichkeiten des Nationalcharakters, die eigentlich der ganzen damaligen Regierungsklasse eigen waren, sie fanden ihren vollendeten Typus in so vielen bekannt gewordenen arroganten Kerlen, angefangen bei Zborowski und Zebrzydowski bis hin zu den letzten Hetmanen der Rzeczpospolita.«21

Die Kritik, die Szujski oder Kalinka an Lelewel und seinen Epigonen äußerten, betraf nur in geringem Maße, jedenfalls anders, als wir uns das heute vorstellen, die methodologischen Grundlagen der Geschichtsschreibung. Anschuldigungen, mit Hilfe der Geschichte zu manipulieren, indem man sie in politische oder philosophische Rahmen einpasste, bedeuteten jedoch nicht, dass in den Werken der älteren Vertreter der Krakauer Schule keine deutlichen Spuren ihrer Weltanschauung zu finden wären. Diese Kritik stellte nicht eine ideologisierte und eine objektive Geschichte gegenüber, sondern man verurteilte vielmehr die falsche Ideologie, die durch eine andere geschichtsphilosophische Konstruktion ersetzt werden müsse. Für Szujski war in sehr viel größerem Maße als für Leopold von

20 Józef Szujski: Wstępna prelekcja otwierająca kurs historii polskiej (1869), zit. nach: Marian H. Serejski (Hg.): Historycy o historii, a. a. O., Bd. I, S. 143. 21 Walerian Kalinka: Ostatnie lata panowania Stanisława Augusta. Dokumenta do historii drugiego i trzeciego podziału [Przedmowa] (1868), zit. nach: Marian H. Serejski (Hg.): Historycy o historii, a. a. O., Bd. 1, S. 339.

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Ranke das Ereignis, das Einfluss auf alle historischen Prozesse genommen habe, die Entstehung des Christentums. Das Christentum habe die Idee der Menschheit und die Idee des Nationalen entstehen lassen (weshalb, Szujski zufolge, die Griechen und die Römer noch keine Nationen gewesen seien). Es sei eine historische Gesetzmäßigkeit gewesen, dass sich die Nationen zu Staaten formten. Polen sei von diesem normalen Entwicklungspfad abgewichen: »Im Westen sterben Nationen und entstehen Staaten, in Polen aber geht ein Staatsorganismus in einer immer eigenständigeren Nation unter.«22 Wenn man jedoch die Geschichtsidee im Christentum verankerte, konnte man dieselbe Hoffnung hegen wie seinerzeit die Romantiker, nämlich die Hoffnung auf Wiedererlangung der Unabhängigkeit. Szujski hielt einen starken Staat zwar für einen wichtigen und erstrebenswerten Faktor, meinte aber nicht, dass sein Fehlen ein Verschwinden der Nation bedeute: »Nur christliche Nationen besitzen eine unendliche Entwicklung und die Unsterblichkeit«, schreibt er, »nur christliche Nationen besitzen das Privileg, immer wiedergeboren zu werden: Denn diese ihnen garantierte Wiedergeburt ist eine Idee, die nicht in ihnen besteht, sondern ihnen zugrundeliegt, eine Idee, die nicht altert und immer wieder ein neues Element hervorbringt, eine Idee der vereinigten Menschheit.«23

Die Slawen und insbesondere die Polen seien durch die Bekehrung zum Christentum zu aktiven Faktoren der Weltgeschichte geworden. In Bezug auf die Taufe verwendete Szujski die Bezeichnung »piastische Revolution«, wobei er an die Verwandlung eines lockeren Verbands der von den normannischen Lechiten regierten Länder in einen Staat von slawischem Charakter dachte.24 Europäisch gesehen habe sich der Piastenstaat zu Recht mit dem Papsttum gegen das barbarische deutsche Kaiserreich verbündet, aber auch gegen die byzantinische Zivilisation (deren Spuren Szujski auch in der mittelalterlichen Geschichte Deutschlands fand). Seit den ersten Wahlkönigen sei die Geschichte Polens eine »wahre Sintflut, ein Chaos von Kräften und Bestrebungen, die sich selbst verzehrten, ein Sturm der Elemente, die nicht zu Harmonie gelangen konnten.«25 Polen sei mit der Übernahme des Christentums entstanden und unglücklicherweise von der richtigen Entwicklungslinie abgewichen, habe aber instinktiv Wege der Erneuerung gesucht. Szujski lobt die Reformanstrengungen des Großen Reichstags (1788–1792) und sogar die polnische Beteiligung an den napoleonischen Unternehmungen:

22 Józef Szujski: O fałszywej historii jako mistrzyni fałszywej polityki. Rozprawy i artykuły, Warszawa 1991, S. 43. 23 Ebd., S. 25. 24 Ebd., S. 27. 25 Ebd., S. 48.

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»Napoleon schien dazu vorbestimmt zu sein, anstelle aller mittelalterlichen Trümmer ein neues Nationalitätenrecht einzuführen, dessen Macht ihn hob und großmächtig werden ließ. Dieses war die Ursache des beseelten Instinkts, der es den Polen auferlegte, in den Legionen zu kämpfen und im Eis der Beresina zu sterben. Doch jede große Idee muss zunächst reifen, um wahr werden zu können. Napoleon stürzte und verstand sie erst auf der einsamen Insel im Atlantik genau.«26

Die Lage habe sich, so Szujski, erst mit der Niederlage des Januaraufstands gewandelt: »Heute, nach der beendeten Bauernbefreiung, ist es dazu gekommen, dass die Konspiration im absoluten Unrecht ist und die Partei der normalen organischen Arbeit im absoluten Recht!«27 Szujski hebt die historische Analogie der Auswüchse der Adelsdemokratie auf der einen Seite und der unaufhörlichen Irredenta, des liberum conspiro und des liberum veto auf der anderen Seite hervor: »Wenn das liberum veto nach der Verfassung vom 3. Mai mit der Konföderation von Targowica gleichbedeutend war, so wäre es das liberum conspiro nach der Bauernbefreiung, nur in schrecklicherer Form. Das ist keine Freiheit – das ist Sozialismus, das ist keine Unabhängigkeit – das ist Gefressenwerden durch Moskau!«28

Weder politischer Konservativismus noch methodologischer Positivismus sind Begriffe, die die Krakauer Schule insgesamt beschreiben. Die positivistischen Methoden historiographischer Arbeit, sei es im Sinne einer modernen historischen Ausbildung und eines objektiveren Umgangs mit dem Material, sei es als Übernahme der philosophischen Annahmen des Positivismus, passen am ehesten auf den jüngsten Vertreter der Schule Michał Bobrzyński. Bobrzyński basierte in seiner Interpretation der Geschichte Polens nicht ausschließlich auf einem konservativ-katholischen Weltbild, sondern auch auf soziologischen und politologischen Analogien zwischen dem Westen und Polen. Ihm zufolge »muss sich ein Historiker, der uns das Bild der historischen Entwicklung der Menschheit aus einzelnen Fakten, also aus Ausprägungen dieses Lebens rekonstruieren soll, bei der Beurteilung und Erforschung dieser Ausprägungen auf eine sachkundige wissenschaftliche Grundlage stützen und das gesellige Leben des Menschen erforschen, Bedingungen und Rechte feststellen, denen es unterliegt, d. h. auf die Sozial- und Politikwissenschaften«.29

Die Anpassung von Fakten an wertlose philosophische Ansichten hielt Bobrzyński für ebenso schädlich wie die Forderung, auf jede Geschichtsphilosophie zu verzichten und seine Ansichten ausschließlich auf der Grundlage der ermittelten

26 27 28 29

Ebd., S. 66. Ebd., S. 200. Ebd. Michał Bobrzyński: W imię prawdy dziejowej (Warszawa 1879), zit. nach: Michał Bobrzyński: Dzieje Polski w zarysie, Warszawa 1977, S. 416.

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Fakten zu bilden. Ganz dem Zeitgeist folgend, hierin Karl Lamprecht ähnelnd, erläuterte er seine Ansichten am Beispiel der Naturwissenschaften: »Wir können jeden Historiker mit einem Paläontologen vergleichen, der irgendwo die Reste einiger vorsintflutlicher Tiere ausgegraben hat. Er hat Knochen gefunden, aber natürlich nicht ganz vollständig, es gab auch Spuren von Haut und Fell. Aus diesen Resten muss der Paläontologe nun die vorsintflutlichen Tiere zusammensetzen und für uns ein Bild eines jeden von ihnen schaffen. Wenn er sich mit einer bestimmten Vorstellung an seine Aufgabe macht, ganz egal mit welcher, zum Beispiel, dass die Tiere damals zur Hälfte den Körperbau eines Fisches und zur Hälfte den eines Vogels hatten, so wird er uns jedenfalls aus den Überresten von Fischen und Vögeln, die er in der Ausgrabung findet, Vogelfische zusammensetzen, die es nie gegeben hat; wenn er nachweisen will, dass alle Tiere aufrecht gegangen sind, so wird er alle gefundenen Beinknochen unten, also unterhalb der Lendenwirbel anordnen, ganz wie ein Historiker, der nachweist, dass die slawischen Völker einst nur durch Liebe und Tugend regiert wurden und Recht oder Strafe nicht brauchten, und der uns aus den von diesen Völkern erhaltenen historischen Spuren irgendwelche gekünstelten und lebensunfähigen Merkwürdigkeiten zusammenfügt. Wenn sich aber jener gelehrte Naturforscher bemühen wird, die Knochen in ihrem ursprünglichen Zusammenhang alleine auf der Grundlage ihrer genauen Erforschung anzuordnen, aber ohne jede Leitidee, so wird er seine Arbeit rasch aufgeben. Denn kein Knochen passt so genau zu einem zweiten Knochen, dass er genau hier liegen muss, schließlich sind zwischen diesen Knochen Sehnen und Fleisch verschwunden und manchmal fehlen sogar die Knochen selbst. Es bleibt ihm also nichts anderes als jeden Knochen einzeln zu reinigen, zu beschreiben, in eine eigene Schachtel zu legen und einen Schrank damit zu füllen. Welchen Nutzen hat die Wissenschaft davon?«30

Bobrzyński befürwortete es, von den Sozialwissenschaften aufgestellte Regeln auf die Erforschung einheitlicher Entitäten anzuwenden, als welche er vor allem Nation und Staat ansah. Die Analogien zu den methodologischen Konzeptionen Lamprechts lassen den Schluss zu, dass Bobrzyński seine positiven Resultate, insbesondere die Periodisierung der Geschichte auf stabilere Grundlagen stellte (auf Epochen der Entwicklung des politischen Systems).31 Offensichtlich erklärt sich dieser Unterschied zwischen dem polnischen und deutschen Positivisten (denn in den Augen der Zeitgenossen wie auch späterer Kommentatoren gehören Lamprecht, Bobrzyński, aber auch Josef Pekař zu dieser Gruppe) teilweise daraus, gegen wen sich ihre Kritik richtete. Lamprecht griff Ranke an, und bei seinem Versuch, eine dem Historismus gegenüber alternative Geschichtsphilosophie zu entwickeln, hob er die Rolle der allumfassenden Theorien hervor, die es erlauben, die Zeit in notwendigerweise aufeinander (fortschreitend) folgende Epochen zu untergliedern. Bobrzyński, dessen Gegner die Epigonen der polnischen Romantik waren, kritisierte ihren Idealismus, die Loslösung Polens von den historischen

30 Ebd., S. 415. 31 Vgl. Maciej Janowski: Three Historians, a. a. O., S. 203–206.

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Prozessen des Westens und eine allzu große Bereitschaft, philosophische Gebäude der Geschichte zu entwickeln. Ein Teil seiner Ansichten ließ sich bestens mit Ranke und seinen Nachfolgern vereinen, nicht aber mit Lamprecht. Bobrzyński gehört somit zu jenen Historikern Ostmitteleuropas, die diverse im Westen entstehende methodologische Konzepte innovativ übernahmen, umformten und ihnen neue Kontexte gaben. Die Anwendung der methodologischen Konzeptionen Bobrzyńskis führte in seinem Hauptwerk Dzieje Polski w zarysie [Geschichte Polens im Abriss] somit zu einer ganz anderen Interpretation der Geschichte als es bei den Romantikern der Fall war. Sie unterschied sich aber auch von den älteren Vertretern der Krakauer Schule. Schon die Kapitelüberschriften zeigen die Einstellung des Historikers den beschriebenen Ereignissen gegenüber: »Die schwache und kurzsichtige Politik Sigismunds I. verdirbt die historische Sendung der Nation und lässt Anarchie entstehen«, »Die Reformation. Der Adel verliert in seinem Kampf um eine Besserung der Rzeczpospolita gegen die Anarchie«, »Rückkehr zum Katholizismus. Sigismund III. vergeudet die Früchte von Stefan Báthorys großer Arbeit«. Die Anarchie der großen Herren sowie die schwachen Regierungen hätten zum Niedergang der Rzeczpospolita geführt. Bobrzyński lehnte die Idee ab, die Slawen hätten bei der Entwicklung der Demokratie die Vorreiterrolle gespielt, wusste aber alles zu schätzen, was Polen in die westliche Kultur einband. Sogar die moralisierenden Bemerkungen des Historikers waren nicht so von Religiosität durchtränkt wie bei den älteren Vertretern der Krakauer Schule.32 Die Theorie des selbstverschuldeten Untergangs wurde durch die kritische Autorität der Objektivismus anstrebenden positivistischen Wissenschaft unterstützt, durch den Konservatismus und den offenen Katholizismus der Krakauer Schule (diese Merkmale treten bei den einzelnen Autoren in unterschiedlicher Intensität auf). Sie rief scharfe Reaktionen all jener hervor, die nicht in den Genuss der galizischen Autonomie kamen, sowie bei Menschen mit einem weniger selbstkritischen Blick auf die Nationalgeschichte. Eine der bekannteren, allerdings nicht wissenschaftlich interessanten kritischen Reaktionen war Adam Asnyks bekanntes Gedicht Historyczna nowa szkoła [Die neue historische Schule]: »Die neue historische Schule verbreitet ihre Methode genauer Forschungen die en gros aus Deutschland eingeführt wurde an der Weichsel und misst, nachdem sie einen frischen Blick erworben hat, die Geschichte mit neuer Elle.

32 Ebd., S. 206 f.

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Sie will nicht die alten Fehler begehen messianistische, nebulöse Hirngespinste neben polnischen Steifnacken hat sie ihren Strick gedreht um die wilde Lust zu brechen vor der Logik der historischen Gesetze. Die Abfolge vollzogener Fakten ehrend und die schlauen Wappen der Sieger, hat sie nicht erkannt, dass der Kult der Macht sie zu weit geführt hat, und dass aus ihren Händen die Teilung Polens die Taufe der apostolischen Mission erhalten hat. Im hellen Licht ihrer Erkenntnisse leuchtet der Despotismus unter hellem Stern und oft tritt ans Tageslicht der Patriotismus von Targowica … Kościuszko war doch ein Verrückter, der das Proletariat aufhetzte! Und so weiter … und so weiter Immer kühnere Schlüsse ersinnt sie und, die alten Meinungen negierend, hält sie ihren Lauf nicht an bis sie nachweist, dass König Herodes ein Wohltäter für die Waisen war.«33

Die Empörung über die kritische Analyse der nationalen Vergangenheit, das Werk der Krakauer Historiker, zeigte sich sehr deutlich in der so genannten Warschauer Schule, die sich in den 1870er und 1880er Jahren entwickelte. Ihre Mitglieder, darunter Tadeusz Korzon und Władysław Smoleński, teilten Michał Bobrzyńskis Ansicht, dass die Geschichte von Gesetzen geleitet werde, die man mit Hilfe der Sozialwissenschaften aufdecken könne, sprachen Bobrzyński aber zugleich ab, in seinem Streben nach historischer Wahrheit objektiv vorzugehen. Smoleński schrieb: »Bobrzyński ist so wie Szujski doktrinär – nur in einem anderen Stil. Szujski würde gerne eine absolute Monarchie mit einer katholischen Exklusivität, mit scholastischem Mittelalter und Askese verbinden. Bobrzyński schließt aus der Politik moralische und religiöse Prinzipien aus und ist mit allen Mitteln einverstanden, um die Selbständigkeit der Nation zu unterdrücken und nach byzantinischen Vorbildern eine starke Regierung zu errichten.«34

33 Zit. nach: Andrzej F. Grabski: Perspektywy przeszłości. Studia i szkice historiograficzne, Lublin 1983, S. 352. 34 Władysław Smoleński: Szkoły historyczne w Polsce (Główne kierunki poglądów na przeszłość), Wrocław 1952, S. 128.

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Die Warschauer Historiker stellten der Theorie des selbstverschuldeten Niedergangs die These entgegen, dass Polen kurz vor dem endgültigen Untergang mit einer radikalen Modernisierung begonnen und eine Renaissance erlebt habe, die die Rzeczpospolita zu neuer Blüte geführt hätte, wäre nicht die brutale Gewalt der Teilungsmächte Russland, Österreich und Preußen gewesen. Dennoch kehre Polen seit der Aufklärung auf seinen richtigen historischen Weg zurück und werde früher oder später den ihm gebührenden Platz unter den europäischen Staaten einnehmen (diese letzte Schlussfolgerung wurde aufgrund der Zensurerfordernisse nicht offen formuliert).35 Augenscheinlich war der Konflikt zwischen der Warschauer und der Krakauer Schule, vor allem mit Bobrzyński, mehr auf weltanschauliche denn auf methodologische Unterschiede zurückzuführen. Auf beiden Seiten der Barrikaden verwendeten die Historiker dieselben Methoden von Analyse und Quellenkritik, auch hingen sie ähnlichen philosophischen Ansichten an. Smoleński schien in seiner Kritik Bobrzyńskis diese Ähnlichkeiten allerdings nicht zu bemerken, jedenfalls hielt er sie für weniger belangreich als die Tatsache, dass Bobrzyński ein Konservativer, Katholik und hoher österreichischer Beamter war. An der Jahrhundertwende wurde dieser Meinungsaustausch zwischen den konservativen Historikern in Krakau und den liberalen in Warschau durch einen viel heftigeren weltanschaulichen Streit ersetzt, und die Beziehung zwischen Historiographie und Politik wurde, wenn man die in den diesbezüglichen Arbeiten verwendeten Kategorien übernimmt, noch deutlicher als bisher. Die Historiker der polnischen Historiographie scheuten nicht davor zurück, Bezeichnungen wie »nationaldemokratische Strömung«, »konservative« und »sozialistische Strömung« zu verwenden.36 In neueren Arbeiten werden die Lager der polnischen Historiker in der Regel in drei Richtungen unterteilt: in eine traditionelle, konservative, die die Historiographie der Krakauer Schule fortsetzte, in eine auf die Unabhängigkeit hinarbeitende, deren bedeutendster Vertreter Szymon Askenazy war, sowie in eine nationale, der u. a. Wacław Sobieski und Władysław Konopczyński angehörten.37 Die Tatsache, dass sich diese Unterteilungen nur in höchst geringem Maße auf die wissenschaftlichen Ansichten der Historiker beziehen, spiegelt ein gewisses Defizit der polnischen Historiographiegeschichte wider. Im Übrigen vermochten es auch die marxistischen Wissenschaftler in ihrer Umschau über die »bürgerliche« Geschichtsschreibung zumindest seit den 1870er Jahren nicht, eine andere als die weltanschauliche Perspektive einzunehmen (vielleicht wollten sie auch gar nichts anderes).

35 Vgl. Andrzej Feliks Grabski: Zarys, a. a. O., S. 139. 36 Vgl. Jerzy Maternicki: Historiografia polska XX wieku, część I lata 1900–1918, Wrocław 1982, S. 59. 37 Por. Andrzej Feliks Grabski: Zarys, a. a. O., S. 147–150; Jerzy Maternicki: Historiografia polska, a. a. O., Bd. 1: 1900–1918, S. 59 f.

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Wacław Sobieski, einer der bedeutendsten Vertreter dieser Gruppe, stellte die These von den beiden gegenläufigen Tendenzen der polnischen Historiographie auf, einer optimistischen und einer pessimistischen. Der pessimistischen gehörten Sobieski zufolge Kalinka, Szujski und Bobrzyński an, sie habe sich aber am deutlichsten in den Arbeiten des jüngsten Krakauer Historikers gezeigt: »Prof. Bobrzyńskis strenges Urteil über unsere Vergangenheit«, merkte Sobieski an, »hätte, so schmerzlich es ist, keinen solchen Eindruck gemacht, wäre es nicht eilfertig von russischen Historikern aufgegriffen und auf ihre Weise erläutert worden.«38 Noch kritischer sah Władysław Konopczyński die Beziehung der jungen Historikergeneration zur Arbeit Bobrzyńskis: »Ich erinnere mich, wie wir uns in den kühnen Ausführungen des Autors über die erlösende Rolle der großen Despoten, der Ludwige, Heinriche, Ferdinande und Iwane, festlasen, wie wir über die Klugheit der hochadligen Hierarchie lasen, die in Polen zur Zeit von Grunwald vorgeherrscht habe, über die Kleinheit der grundgütigen Könige und der Könige vom Typ ›was du heute kannst besorgen, das verschiebe ruhig auf morgen‹ … Das Geschichtsbuch war für uns etwas zu klug – und zu fremd. Teils deshalb ist die Wissenschaft auf den Holzweg geraten. Wir verleideten uns die polnische Geschichte nicht in dem Maße, wie es der Fall gewesen wäre, hätten wir aus den Dzieje Polski die ganze Verbitterung und Verachtung über die traditionellen Nationalheiligtümer gesogen, um alle die vergifteten Lehren zu bestätigen, mit denen uns der amtliche Gymnasialpädagoge vom Katheder tränkte.«39

Die Bobrzyński und die anderen Vertreter der Krakauer Schule kritisierenden Historiker äußerten die Überzeugung, dass es Aufgabe der Geschichte sei, nicht nur die Wahrheit zu erkennen, sondern der Nation auch gut belegte Gründe für den Stolz auf die eigene Geschichte zu liefern. Die kritischen Arbeiten der galizischen Professoren seien nolens volens zur Waffe der verhassten russifizierten Schule geworden. Schließlich galt, wie Konopczyński in seinem bereits zitierten Text feststellt: »Die Nationen müssen sich vor fremder Verachtung und eigenem Zweifel schützen.«40 Und so rief schon im Jahre 1890, beim zweiten Polnischen Historikertag (II Zjazd Historyków Polskich) Tadeusz Korzon dazu auf, dass die polnischen Historiker insgesamt die Krakauer Schule missbilligen mögen. Obwohl es schließlich nicht zu einer vollständigen Exkommunizierung der konservativen Historiographie kam, bedeuteten die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine klare Rückkehr zur »optimistischen« Sicht der Geschichte. Höhepunkt dieser Welle von »Bekehrungen« waren die Jahre des Ersten Weltkriegs, als die Erforschung der Vergangenheit Polens oft das Ziel hatte, die Notwendigkeit seiner Exis-

38 Wacław Sobieski: Optymizm i pesymizm w historiografii polskiej (1908), zit. nach: Marian H. Serejski (Hg.): Historycy o historii, a. a. O., Bd. 1, S. 572. 39 Władysław Konopczyński: O wartości naszej spuścizny dziejowej (1918), zit. nach: ebd., S. 596 f. 40 Ebd., S. 597.

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tenz zu belegen. Wie Andrzej F. Grabski feststellt, lassen sich ähnliche Tendenzen in eigentlich allen europäischen Historiographien dieses Zeitraums erkennen.41 Die Arbeiten von Historikern, die anders als etwa Sobieski nicht dem nationalen Lager angehörten, waren ähnlich stark politisch engagiert. Die neuen ideologischen Gräben unter den polnischen Historikern entsprachen dem gesamtnationalen Konflikt zwischen den stärksten politischen Lagern – den Piłsudski-Anhängern und den Nationaldemokraten. Jedes dieser Lager war in sich naturgemäß sehr heterogen, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch ideologisch gesehen (wenn man Piłsudski-Anhänger war, konnte man fast jede politische Richtung vertreten; was das Lager zusammenhielt, war vor allem der Marschall selbst). Auch die Intensität, mit der man sich in den Dienst der öffentlichen Sache stellte, war unterschiedlich: Der dem Piłsudski-Lager zuzurechnende Marceli Handelsman warf etwa Askenazy vor, nationale Hagiographie zu betreiben.42 Es ist eine wichtige Aufgabe der polnischen Historiographiegeschichte, andere Perspektiven als diese politische Dichotomie aufzuzeigen. In den Arbeiten polnischer Historiker des 20. Jahrhunderts finden sich auch die von deutschen Historikern aufgeworfenen methodologischen Dilemmata. Stanisław Zakrzewski übertrug zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Ideen der borussischen Schule über die Rolle der »großen Männer« in der Geschichte nach Polen, nahm aber eine kritische Stellung gegenüber Lamprechts Innovationen auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte oder der historischen Hilfswissenschaften ein.43 Die Kulturgeschichte wurde von vielen polnischen Historikern als diejenige Richtung angesehen, in die sich die polnische Historiographie wahrscheinlich entwickeln werde. Marceli Handelsman schrieb zudem über die Frage von Möglichkeit und Notwendigkeit im historischen Prozess, die auch deutsche Historiker beschäftigte.44 Stefan Czarnowski hingegen äußerte die Überzeugung, dass es »für den Historiker eine Bedingung zur Erfüllung seiner Aufgabe ist, Soziologe zu sein«.45 Zu den weltanschaulichen Auseinandersetzungen und politischen Neigungen der Wissenschaftler gesellten sich vielfältige weitere methodologische Anregungen, die nicht weniger vielfältig waren als in anderen europäischen Ländern im 20. Jahrhundert. Die Tradition der weltanschaulichen Auseinandersetzungen unter den polnischen Historikern gewann somit im 20. Jahrhundert eine neue Dimension. Auch der Streitgegenstand veränderte sich. Es war nun nicht mehr die Frage nach dem

41 Andrzej Feliks Grabski: Zarys, a. a. O., S. 153. 42 Józef Dutkiewicz/Krystyna Śreniowska: Zarys historii historiografii polskiej, Bd. 3, Łódź 1959, S. 134. 43 Stanisław Zakrzewski: Kultura historyczna (1906), zit. nach: Marian H. Serejski (Hg.): Historycy o historii, a. a. O., Bd. I, S. 526–531. 44 Vgl. Marceli Handelsman: Możliwości i konieczności w procesie historycznym (1931), zit. Nach ebd., Bd. 2. 45 Stefan Czarnowski: Metoda socjologiczna a historyczna (1939), zit. nach: ebd., S. 193.

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Untergang der Rzeczpospolita selbst, die das Interesse der Forscher hervorrief. Andrzej F. Grabski hat zwei miteinander konkurrierende historische Orientierungen der Zwischenkriegszeit herausgearbeitet: eine westliche und eine östliche, mit anderen Worten – eine piastische und eine jagiellonische. In der westlich-piastischen gaben die Anhänger der nationalen Ideologie den Ton an. Neben älteren Historikern, die sich schon an den Auseinandersetzungen der Jahrhunderthälfte beteiligt hatten, gehörten dieser Strömung auch jüngere Historiker wie Zygmunt Wojciechowski an (der daneben auch ein hervorragender Kenner der mittelalterlichen Rechtsgeschichte war). Die dieser Gruppierung zugehörenden Historiker beschäftigten sich gern mit dem Anfang des polnischen Staates und dem Kampf gegen Deutschland, und sie bekämpften einige Ansichten deutscher Historiker (etwa diejenige von der deutschen Kulturmission im Osten). Zygmunt Wojciechowski entwarf das Konzept der »Mutterlande Polens«, die ihm zufolge mit dem Staatsgebiet der ersten Piasten übereingestimmt haben sollen. Die Vorstellungen der dieser Strömung zuzurechnenden Historiker, vor allem die Forderung nach der Wiederherstellung »natürlicher« Grenzen im Westen, dominierten die Vorstellungen der polnischen Politiker während der NS-Besatzung.46 Sie spielten auch in der Historiographie und politischen Propaganda Polens nach dem Krieg eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur »piastischen« Doktrin gab es in der Zwischenkriegszeit eine starke »jagiellonische« Strömung, für die sich etwa Oskar Halecki oder auch Ludwik Kolankowski aussprachen. Diese beiden Historiker vertraten unterschiedliche Schattierungen ein und derselben historischen Schule. Während den historischen Vorstellungen Haleckis die Idee einer freiwilligen Zusammenarbeit Polens und Litauens als Föderation zugrundelag, vertrat Kolankowski diejenigen Historiker, die die Rolle der Polen als »Kulturträger« gegenüber Litauern, Ukrainern und Belarussen hervorhoben. Somit gab es innerhalb dieser historiographischen Strömung der Zwischenkriegszeit einen Unterschied zwischen Wissenschaftlern, die die Rzeczpospolita als Form einer Zusammenarbeit zwischen freien Nationen interpretierten, und solchen, die sie vor allem als Ergebnis der politischen Expansion des polnischen Staates und der polnischen Nation sahen. Damit unterstützten sie entweder die Anhänger eines historischen Föderationsprogramms oder die Befürworter eines Inkorporationsprogramms.47 Die Zwischenkriegszeit bedeutete nicht nur eine Veränderung wichtiger Streitpunkte in der Geschichte Polens, sondern auch eine grundlegende Veränderung der wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen. Es gab keine Beschränkungen von Seiten der Teilungsmächte und keinen Druck der russischen Zensur mehr, auch

46 Włodzimierz Borodziej: Wstęp in: Włodzimierz Borodziej/Hans Lemberg (Hg.): Niemcy w Polsce 1945–1950. Wybór dokumentów, Bd. 1, Warszawa 2000, S. 46–49. 47 Vgl. Andrzej Feliks Grabski: Zarys, a. a. O., S. 177–179.

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wenn Wissenschaftler wie Wacław Sobieski entlassen wurden, wenn ihre Ansichten der Ideologie des Regierungslagers nicht entsprachen. Die Arbeitsbedingungen verbesserten sich am stärksten im ehemaligen russischen Teilungsgebiet. Die autonomen Universitäten der Zweiten Republik schufen Arbeitsmöglichkeiten für hervorragende Wissenschaftler, um die sich Schüler scharten, die nicht so sehr von einer ähnlichen Weltanschauung ihrer Lehrer, sondern von einer ihnen entsprechenden historischen Methode angezogen wurden. Schulbildend waren in dieser Zeit Marceli Handelsman, Wacław Tokarz und Franciszek Bujak, auch Władysław Konopczyński und Wacław Sobieski. Handelsman und Tokarz bildeten eine Reihe von Historikern aus, die das Bild der polnischen Historiographie in der Nachkriegszeit prägen sollten: Tadeusz Manteuffel, Marian Henryk Serejski, Stanisław Arnold, Marian Małowist, Wanda Moszczeńska, Aleksander Gieysztor oder auch Henryk Jabłoński. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich auch die wirtschaftsgeschichtliche Forschung, die von Franciszek Bujak, Jan Rutkowski, Arnold und Natalia Gąsiorowska-Grabowska betrieben wurde. Die polnischen Historiker erhielten endlich Arbeitsbedingungen, die jenen ähnelten, die in glücklicheren Ländern seit einem Jahrhundert herrschten und holten rasch die methodologische Rückständigkeit aus der Zeit der Unfreiheit auf. In dieser Hinsicht hatte der 1933 stattfindende Warschauer CISH-Kongress eine symbolische Bedeutung.

Die tschechische Historiographie im Schatten der nationalen Wiedergeburt Die tschechische Historiographie der Aufklärung spielte für das Nachdenken über den Zustand von Staat und Nation eine ebenso bedeutende Rolle wie die Arbeiten von Naruszewicz oder Staszic. Da sie sich in einer anderen Lage befand, war die politische Aussage der von den tschechischen Aufklärern verfassten Texte eine völlig andere als in Polen. Während der josephinischen Reformen setzten sich die Historiker für die Verteidigung der ständischen Rechte des Adels der böhmischen Länder ein, sprachen sich also gegen eine starke zentralisierte Regierung aus. Die Wiener Zentralisierung bedeutete nämlich die Einschränkung der historischen Rechte des Königreichs Böhmen. Gleichzeitig führte die Verteidigung dieser Gesetze wie etwa in Mikuláš Adaukt Voigts Über den Geist der böhmischen Gesetze (1788) zu einer Ausgestaltung der tschechischen Nationalgeschichte, die sich von der anderer Völker der Habsburgermonarchie unterschied.48 Welche nationale Wiedergeburtsbewegung des 19. Jahrhunderts man auch immer beschreibt, es ist immer daran zu erinnern, dass der Blick des Wissenschaftlers zwangsläufig ahistorisch

48 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné dějiny čéského a slovenského dějepisectví. Od počátku národní kultury a do sklonku let třicátých 20. století, Praha 1997, S. 152–155.

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ist. Denn es war gar nicht ausgemacht, dass die Bücher über die Geschichte der böhmischen Länder dazu beitragen würden, dass die Nation so entstehen würde, wie dies im 19. Jahrhundert geschah. Das Bündnis der Aristokratie, deren Haltung zur tschechischen Nationalidee meist gleichgültig war, mit den Wissenschaftlern, die zur nationalen Wiedergeburt beitrugen, hielt fast das gesamte 19. Jahrhundert über an.49 Doch schon im Jahrhundert der Aufklärung beschäftigten sich die tschechischen Historiker mit dem Hussitismus, der hauptsächlich als Widerstand gegen die Verdorbenheit der Kirche verstanden wurde. František Kutnar und Jaroslav Marek machten darauf aufmerksam, dass Aufklärer wie Josef Dobrovský noch keine solche politische Rolle spielten, wie dies später die Historiker der romantischen Schule tun würden. Dobrovský selbst zögerte beispielsweise nicht, sich der »patriotischen Meinung« entgegenzustellen und 1825 festzustellen, dass die so genannte Grünberger Handschrift (rukopis zelenohorský) eine Fälschung sei, die die Politik der tschechischen Nationalbewegung unterstützen sollte. Seine persönlichen (sehr pessimistischen) Überzeugungen von der Zukunft der tschechischen Nationalität und Sprache passten ebenfalls nicht zum Programm der entstehenden Nationalbewegung. Doch eine neue Generation von Historikern mit František Palacký an der Spitze verstand die Geschichte als eine Wissenschaft, die enger mit der nationalen Frage zusammenhing und ihr gelegentlich unterzuordnen war.50 František Palackýs Bedeutung beschränkt sich längst nicht nur auf seine Rolle als Historiker. Der »Vater der Nation« war auch Politiker – zunächst gemäßigt liberal, später konservativ – und Anführer der tschechischen Nationalbewegung. Als er in den 1820er Jahren begann, sich politisch und wissenschaftlich zu betätigen, hatte sich diese Bewegung noch kaum entfaltet; als er 1876 starb, wurden die Tschechen schon überall (zumindest in Ostmitteleuropa) als Beispiel für eine Nation bewundert, die sich selbst unter die wichtigen europäischen Nationen gebracht hatte. Seine Beerdigung wurde zum Vorbild aller tschechischen staatlichen Trauerfeiern, obwohl es damals noch keinen tschechischen Staat gab.51 Als Wissenschaftler schuf er eine überzeugende Konzeption der Geschichte Tschechiens, die in vielerlei Hinsicht nach wie vor aktuell ist. Für spätere Historiker war Palacký ein wichtiger Bezugspunkt.

49 Jiří Štaif: Czech Historiography in the 30’s to 60’s of the 19th Century, in: Jaroslav Purš (Hg.): Jan Evangelista Purkyně in Science and Culture. Scientific Conference, Prague, August 26–30, 1987, Praha 1988, S. 123–126; Miroslav Hroch: Na prahu národní existence. Touha a skutečnost, Praha 1999, S. 75–78. 50 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné, a. a. O., S. 165. 51 Vladimír Macura: Poslední slova Františka Palackého, in: František Šmahel/Eva Doležalová (Hg.): František Palacký 1798/1998. Dějiny a dnešek. Sborník z jubilejní konference, Praha 1999, S. 529 f.

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Der Schöpfer der modernen tschechischen Historiographie schreckte nicht davor zurück, den tschechischen Nationalcharakter zu beurteilen und suchte hartnäckig nach dem tieferen Sinn der tschechischen Geschichte, der historischen Vorbestimmung der Tschechen und ihnen eigenen allgemein-menschlichen Werten. Ähnlich wie bei Lelewel führten ihn seine Überlegungen zu der These, dass die Existenz der Nation möglich und notwendig sei. Im Geiste der zeitgenössischen romantischen Historiographie suchte Palacký in der Nationalgeschichte den Geist der Freiheit. Dieser zeige sich besonders stark in zwei historischen Momenten: in der ursprünglichen Demokratie der Slawen (hier griff er auf die Arbeiten polnischer Historiker zurück, auf Maciejowski und Lelewel)52 sowie in der hussitischen Revolution. Dem Hussitismus widmete Palacký sehr viel mehr Aufmerksamkeit als jeder anderen Epoche der tschechischen Geschichte. Er gab eine gewaltige Zahl von Quellen zur Geschichte des 15. Jahrhunderts heraus. Der Hussitismus war ihm zufolge die einzige Phase der Geschichte, als Böhmen Europa bei der geistigen Entwicklung voraus war, als es historischen Fortschritt verkörperte. Palacký war dennoch ein Feind von jeglichem religiösem Fanatismus und verurteilte die Grausamkeit der Hussitenkriege überaus scharf. Seine Ansichten über die hussitische Periode veränderten sich im Laufe der Zeit ein wenig (in den 1860er Jahren hob er die slawischen Motive der hussitischen Ideologie stärker hervor), doch diese prinzipiellen Urteile blieben davon unberührt.53 Palacký versuchte als erster tschechischer Historiker eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn der tschechischen Geschichte zu geben. Er sah ihn in der Konfrontation mit Deutschland, analog zum gesamten Zeitraum der Geschichte, die er dialektisch als Konflikt einander gegenüberstehender Begriffe sah (Körper und Geist, Demokratie und Feudalismus usw.).54 Diese Konfrontation habe sich nur selten zu einem offenen Konflikt entwickelt, sei im Großen und Ganzen auf die intellektuelle Ebene beschränkt geblieben und würde eine friedliche Koexistenz beider Nationen nicht ausschließen, von der Palacký meinte, sie sei dauerhaft und ließe sich nicht beseitigen.55 In politischer Hinsicht formulierte Palacký, der Verfasser eines bekannt gewordenen Briefes an das Frankfurter Paulskirchenparlament,

52 Josef Pekař: Ke sporu o zádruhu staroslovanskou, in: ČČH 1900, S. 243–265. 53 Vgl. Petr Čornej: Ke genezi Palackého pojetí husitství, in: František Šmahel/Eva Doležalová (Hg.): František Palacký, a. a. O., S. 123–135. 54 Karel Štefek hebt hervor, dass diese Dialektik Palackýs keine Wiederholung von Hegels Thesen und der Historiker selbst kein Hegelianer gewesen sei. Es ist bezeichnend, dass die Unterschiede zwischen ihnen die Frage des freien Willens betrafen und die Handlungsmöglichkeiten der Menschen, die, Palacký zufolge, nicht den ausnahmslosen Gesetzen der Geschichte unterworfen seien. Diesbezüglich stimmte Palacký mit Rankes Bemerkungen überein. Karel Štefek: Palacký a Hegel, in: František Šmahel/Eva Doležalová (Hg.): František Palacký, a. a. O., S. 43–52. 55 Richard Georg Plaschka: Von Palacký bis Pekař. Geschichtswissenschaft und Nationalbewusstsein bei den Tschechen, Graz 1955, S. 17.

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sehr klar den fundamentalen Unterschied zwischen Böhmen und Deutschland. Der Unterschied zwischen dem tschechischen Historiker und den zahlreichen idealistischen und liberalen deutschen Autoren war auch daran zu sehen, wie er die idealistische deutsche Geschichtsphilosophie interpretierte. Für Palacký bestand die Logik der Geschichte im Streben nach Freiheit. Doch zur Verwirklichung dieser Freiheit würde es weder in der preußischen Geschichte kommen noch nach der Umsetzung der Forderungen der deutschen Nationalbewegung. Die Deutschen realisierten eine feudale Idee, während man die Freiheit in der Geschichte und Vorherbestimmung der tschechischen Slawen suchen müsse.56 In der Schlüsselepoche der böhmischen Geschichte, dem Hussitismus, erkannte Palacký einen Kampf um Gewissensfreiheit, aber auch ein Element des ewigen tschechisch-deutschen (und demokratisch-feudalen) Konfliktes. Palackýs Beitrag zur Ausprägung der tschechischen Nationalkultur ist umso wichtiger, als in der Zeit, in der er seine Werke zu schreiben begann, die Existenz der Tschechen keinesfalls so selbstverständlich war wie die Existenz der Polen. Seine bedeutende Arbeit veröffentlichte er 1836 zunächst auf Deutsch (unter dem Titel Geschichte von Böhmen, größtentheils nach Urkunden und Handschriften). Zu einer tschechischen Ausgabe entschloss er sich erst zwölf Jahre später. Angesichts der politischen Lage schien es nicht nur für Palacký, sondern auch für viele spätere tschechische Denker auf der Hand zu liegen, die »tschechische Frage« mit universellen Werten zu verknüpfen.57 Palackýs Arbeiten prägten die tschechische Historiographie und die kollektiven Vorstellungen von der Vergangenheit nachhaltig. Doch bereits im 19. Jahrhundert bekam er sowohl politisch wie auch methodologisch Konkurrenz. 1854 erschien Václav Vladivoj Tomeks Artikel O synchronické methodě při dějepise rakouském [Über die synchrone Methode in der österreichischen Geschichtschreibung]. Ihr Autor, ein ehemaliger Demokrat und Bewunderer Palackýs, war nach den Vorfällen von 1848 zu einem politischen Konservativen geworden. Der Droysen-Schüler Tomek forderte eine Geschichte der österreichischen Monarchie, die auch die Nationalgeschichten ihrer Landesteile enthalten müsse. Es sei die Aufgabe der österreichischen (also auch der tschechischen) Historiker, zu erforschen, wie der Staat, in dem sie lebten, entstanden sei. Diese übernationale Sichtweise erlaubte es Tomek, Přemysl Ottokar II. als ersten Herrscher anzusehen, der versucht habe, die Länder der späteren Monarchie zu vereinen, also Elemente in die historischen Traditionen aufzunehmen, die in den Traditionen der Herrscherdynastie nicht vorkamen.58 In der für das tschechische National56 Karel Štefek: Palacký, a. a. O., S. 49. 57 Vgl. Piotr Wandycz: Odrodzenie narodowe i nacjonalizm (XIX–XX wiek), in: Jerzy Kłoczowski (Hg.): Historia Europy Środkowo-Wschodniej, Bd. 2., Lublin 2000, S. 158. 58 Richard Georg Plaschka: Palacký, a. a. O., S. 30 f.

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bewusstsein wichtigen Frage nach der Rolle der katholischen Kirche äußerte sich Tomek anders als die liberal-nationale Mehrheit und bewertete ihre Rolle für das Zusammenwachsen der tschechischen Gesellschaft positiv. Mehr noch – die Hussitenbewegung hielt er für eine folgenschwere historische Anomalie und schrieb, dass »Hus […] von dem Weg abgewichen ist, auf dem wir bis zu seiner Zeit voranschritten«.59 Tomek war der Meinung, dass der Hussitismus die starke Königsmacht geschwächt habe, die sich bis dahin in Böhmen ordnungsgemäß entwickelt habe. Ein Anhänger starker Zentralgewalt und Kritiker der Adelsoligarchie war auch Antonín Rezek.60 Von einer etwas anderen Position kritisierte Josef Kalousek Palackýs Ansichten. Kalousek war ein gläubiger Katholik und Nationalliberaler, der sich dafür einsetzte, die Authentizität der Grünberger und der Königinhofer Handschrift nachzuweisen. Kalousek hielt Hus für einen Katholiken und verwarf alle (auch Palackýs) Thesen von seiner Vorreiterrolle für die reformatorische Bewegung.61 Mit einer anderen Herausforderung konfrontierte Jaroslav Goll (der sich 1875, ein Jahr vor Palackýs Tod, an der Universität Prag habilitiert hatte) die tschechische romantische Geschichtsschreibung. Goll hatte nicht den Ehrgeiz, die gesamte Nationalgeschichte geschichtsphilosophisch zu interpretieren. Er teilte auch nicht die Überzeugung, dass es die Pflicht des Historikers sei, dem öffentlichen Leben den Ton vorzugeben. Er unterstützte unzweideutig die legale Regierungsgewalt und engagierte sich im Ersten Weltkrieg auf Seiten der österreichisch-ungarischen Behörden (weshalb er nach 1918 von der Historikerzunft boykottiert wurde). Goll führte die neuen deutschen Grundlagen der Quellenkritik ein und legte Wert auf die sorgfältige Bearbeitung der Quellen, was ebenfalls ein Grund dafür war, warum er nicht in der Lage war, eine eigene Synthese der Nationalgeschichte vorzulegen. Diese Aufgabe nahmen Golls Schüler – von denen er viele hatte – auf sich, die die tschechische Historiographie bis 1945 dominieren sollten.62 Goll gilt für gewöhnlich als Positivist, auch seine Schule wird so bezeichnet. Der Positivismus zeichnet sich in diesem Fall jedoch nicht durch eine philosophische Haltung aus, sondern vielmehr durch eine »positivistische«, kritische Arbeitsweise, die Goll während seines Studiums in Göttingen kennengelernt hatte. Was seine Einstellung als Forscher angeht, so griff Goll auf den deutschen

59 Wáclav Wladivoj Tomek: O stavovských nepokojích v zemích mocnářství rakouského za panování Rudolfa II. a Matyáše (mezi léta 1594 a 1614), in: Časopis Českého Musea 1854, S. 240, zit. nach: Zdeněk Kalista: Josef Pekař, Praha 1994, S. 174. 60 Richard Georg Plaschka: Palacký, a. a. O., S. 51–55. 61 Ebd., S. 46–50. 62 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné, a. a. O., S. 384–399. Zu Golls Schülern zählten u. a.: Josef Pekař, Václav Novotný, Josef Šusta, Jaroslav Bidlo, Gustav Friedrich, Kamil Krofta, Julius Glücklich, Rudolf Urbánek und auch Zdeněk Nejedlý.

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Historismus zurück, vor allem auf Ranke selbst, dessen Verständnis von den Aufgaben des Historikers er übernahm.63 Der tschechische Historiker lehnte die Vorstellung von einem linearen Fortschritt ab (der für die Philosophie des Positivismus eigentlich zentral war), sprach sich dagegen aus, Elemente der Soziologie in die Geschichte aufzunehmen und war sehr skeptisch, was die Unterordnung der Geschichte unter eine bestimmte Philosophie anging.64 Wie etwa Michał Bobrzyński ging auch er davon aus, dass »ethische Werte und historische Werte oft voneinander getrennt sind. Wen das stört, der möge in der Geschichte keine Linderung suchen. Wir erfahren aus ihr, dass der beste Plan oft nicht umgesetzt wird, dass Tugend höchst selten vergolten wird. Dass sich die Welt nicht zum Besseren wendet, scheint ziemlich unpädagogisch zu sein, weshalb sich die Geschichte nicht ad usum delphini eignet. Die Geschichte selbst führt nicht zum Optimismus, aber sie ist auch nicht pessimistisch. Da die ethischen Prinzipien ihrerseits jedermann betreffen, sind sie auch für den Historiker bei seiner Arbeit verpflichtend.«65

Seine Überzeugungen von den ethischen Pflichten des Historikers geboten es Goll, sich an der Auseinandersetzung über die Echtheit der gefälschten Grünberger und Königinhofer Handschriften zu beteiligen, die angeblich 1816–1818 von Josef Linda und Václav Hanka entdeckt worden waren. Tatsächlich waren sie gefälscht worden, wahrscheinlich von Hanka selbst (an ihrer Echtheit hatte im Übrigen schon Josef Dobrovský gezweifelt).66 Die Stellungnahme Golls und einiger anderer tschechischer Geisteswissenschaftler war von großer Bedeutung, da die Handschriften zu grundlegenden Texten der tschechischen Literatur geworden waren, zu einem Beleg für die Existenz einer hochentwickelten tschechischen Poesie, die der deutschen bei der Verwendung vieler literarischer Motive vorausgegangen sei.67 Goll beschrieb in seinen in der »Revue Historique« veröffentlichten Artikeln über den Zustand der tschechischen Historiographie die Lage derjenigen, die die Handschriften kritisierten: »Die öffentliche Meinung betrachtet sie wie Ketzer. […] Die politischen Tageszeitungen schicken sie ins Ausland und die Nation wird aufgerufen, möglichst zahlreich zum auto da fé zu

63 Zdeněk Kalista: Josef Pekař, a. a. O., S. 139. 64 Ebd., S. 140. 65 Jaroslav Goll: Historický rozbor básní rukopisu Královedvorského (1886), zit. nach: Richard Georg Plaschka: Palacký, a. a. O., S. 61. 66 Vladimír Macura: Znamení zrodu, Praha 1995, S. 151–160. 67 Ähnliches gab es, wenn auch in viel geringeren Ausmaßen, in der polnischen Historiographie. Ein besonders aktiver Fälscher historischer Quellen war Konstanty Majeranowski (1787–1851), »der sich darin spezialisierte, falsche Sittenberichte herzustellen und zu veröffentlichen, die im Druck meist den Zusatz ›authentisch‹, ›wahr‹ oder ›original‹ erhielten«. Henryk Rzewuski wiederum schrieb eigenhändig die Erinnerungen von Bartłomiej Michałowski. Vgl. Andrzej Wierzbicki: Historiografia, a. a. O., S. 180.

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kommen.«.68 Den endgültigen Sieg in dieser Auseinandersetzung trugen schließlich die Kritiker der Handschriften davon. Jaroslav Golls Lieblingsschüler war Josef Pekař, ein Historiker mit deutlichen Meinungen, der die kanonischen Thesen Palackýs neu interpretierte. Pekař war auch ein bedeutender Wirtschaftshistoriker, der es verstand, politische Ereignisse, Veränderungen des Rechtssystems und Berichte über das Alltagsleben der Bauern im 17. Jahrhundert zu verbinden, um ein »Lamprecht’sches«, umfassendes Bild der Geschichte des tschechischen Gutes Kost entstehen zu lassen.69 Er war zudem der entschiedendste Verteidiger der »Reinheit« von Golls Schule vor der neuen geschichtsphilosophischen Konzeption Tomáš Garrigue Masaryks. Doch auch Pekař selbst war nicht in allem ein treuer Schüler seines Meisters. Als tschechischer Kommentator der Auseinandersetzungen zwischen den Neurankisten und Lamprecht verwarf er Lamprechts Ansichten keineswegs, obwohl dieser weder historische Gesetzmäßigkeiten noch historische Notwendigkeiten akzeptierte. Sowohl in seinen Wortmeldungen wie auch in seinen wissenschaftlichen Arbeiten verwendete er Elemente von Wirtschaftsgeschichte und Soziologie.70 Zdeněk Kalista hat die Ansichten Lamprechts und Pekařs verglichen und meint, die »historischen Gesetzmäßigkeiten« hätten für Pekař keine ursächliche, sondern erklärende Bedeutung gehabt. Es habe keineswegs so kommen müssen, wie es gekommen sei, doch die für eine jeweilige Epoche charakteristischen kulturellen und zivilisatorischen Merkmale hätten den Ausschlag gegeben und das Bild dieser Welt geprägt. Man könnte sagen, Pekař übernahm in seiner Periodisierung, die sich an die Epochen der Kunstgeschichte anlehnte, ebenso viel von Lamprecht und den Positivisten wie von Ranke. Für Ranke sprach die These des tschechischen Historikers, dass die einzelnen Epochen als verschiedene Kulturen zu behandeln seien, die unterschiedlichen (oder besser gesagt, unterschiedlich verstandenen) Werten unterliegen und eine andere Luft atmen. Diese Epochen fügten sich jedoch, anders als bei Lamprecht, nicht in eine notwendige Abfolge.71 In der Auseinandersetzung mit Tomáš Garrigue Masaryk erwies sich diese Verschiedenartigkeit jeder Epoche als der entscheidende Unterschied zwischen dem Philosophen und dem Historiker. Masaryks 1895 erschienenes Werk Česká otázka [Die tschechische Frage] markiert den Beginn einer viele Jahre währenden tschechischen Debatte, die als Streit über den Sinn der tschechischen Geschichte bekannt geworden ist.72 Masaryk

68 Jaroslav Goll: Posledních padesát let české práce dějepisné, Praha 1926, S. 50. 69 Jaroslav Čechura: Josef Pekař a Karl Lamprecht, in: Lubomír Slezák/Radomír Vlček (Hg.): K poctě Jaroslava Marka. Sborník prací k 70. narozeninám prof. dr. Jaroslava Marka, Praha 1996, S. 82. 70 Zdeněk Kalista: Josef Pekař, a. a. O., S. 151. 71 Ebd., S. 150–153. 72 Vgl. Miloš Havelka (Hg.): Spor o smysl českých dějin 1895–1938, Praha 1995.

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leitete die öffentliche Diskussion als bekannte Persönlichkeit ein, da er sich an der Auseinandersetzung um die Echtheit der Handschriften beteiligt und sich auf die Seite Golls gestellt hatte (auch der junge Pekař hatte eine kritische Analyse der Handschriften veröffentlicht, die sich auf anachronistische Details über seine nordböhmische Heimat bezog). Masaryk war der Meinung, dass »die Geschichte der Nationen nicht zufällig ist, sondern es gibt in ihr einen bestimmten Plan der Vorsehung, weshalb es die Aufgabe der Historiker und Philosophen, die Aufgabe einer jeden Nation ist, diesen Plan zu erfüllen, seinen Platz in ihm zu erkennen, zu bestimmen und in Übereinstimmung hiermit […] bei jeder Arbeit vorzugehen, auch bei der politischen Arbeit«.73

Seine Sicht der tschechischen Geschichte stützte sich auf die Ansichten Palackýs. Für das wichtigste Ereignis in der Geschichte Böhmens hielt Masaryk die hussitische Epoche: Die Niederlage der böhmischen Stände 1620 rührte ihm zufolge daher, dass die hussitischen Ideale abgestorben waren. Während der Auseinandersetzung um den Sinn der tschechischen Geschichte stellte Masaryk eine Theorie auf, nach der die Religion der wichtigste Faktor dieser Geschichte gewesen sei. Die großen, allgemeinmenschlichen Werte, denen die Hussiten gehuldigt hätten, seien dank der nationalen Erwecker im 19. Jahrhundert wieder in die tschechische Geschichte zurückgekehrt.74 In seinen Ausführungen unterliefen Masaryk faktographische Fehler, die ebenso wie logische Inkonsequenzen zum Hauptkritikpunkt der Historiker aus der Schule Jaroslav Golls wurden, vor allem von Seiten Josef Pekařs. Er machte darauf aufmerksam, dass es keine enge Verbindung zwischen der Hussitenbewegung des 15. und der nationalen Wiedergeburt des 19. Jahrhunderts gebe und dass die tschechischen nationalen Erneuerer eher unter dem Einfluss der deutschen Philosophie als der böhmischen Brüder gestanden hätten. In Masaryks Theorien fand Pekař viele Stellen, an denen die Fakten weniger wichtig waren als die in sich geschlossene geschichtsphilosophische Konzeption.75 Pekař selbst sprach sich für das Nationalitätenkonzept als »Leitmotiv« der tschechischen Geschichte aus. Wie er selbst hervorhob, war auch dies eine Fortsetzung von Palackýs Vorstellungen, der meinte, die tschechische Geschichte sei das Schlachtfeld des slawischen und des deutschen Prinzips. Pekař ging von einer Kontinuität der nationalen Identität in den böhmischen Ländern aus. Sein Nationalismus, zu dem er sich bekannte, war jedoch ganz besonderer Natur. Die politischen Ideen des Historikers basierten auf seinen Vorstellungen von den 73 Vorwort zur ersten Auflage in: Tomáš Garrigue Masaryk: Česká otázka, Praha 1990. 74 Vgl. Jarosław Kilias: Naród a idea narodowa. Nacjonalizm T. G. Masaryka, Warszawa 1998, Kap. Filozofia dziejów. 75 Vgl. Miloš Havelka: Spor o smysl českých dějin 1895–1938, in: Miloš Havelka (Hg.): Spor, a. a. O., S. 25 f.

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historischen Rechten der böhmischen Krone, nicht auf ethnischen Prinzipien. Er war somit auch an der Slowakei nicht besonders interessiert, sondern strebte eine Verbesserung der Beziehungen zu den Deutschen in Böhmen an.76 Bis 1918 vertrat er das Programm einer Föderalisierung der Habsburgermonarchie. Seiner Absicht nach sollte der Erste Weltkrieg den Tschechen die Erfüllung ihrer politischen Forderungen bringen, so wie der preußisch-österreichische Krieg die Erfüllung der ungarischen Wünsche bedeutet habe.77 Derweil leitete Masaryk das tschechische Recht auf Unabhängigkeit aus dem angeborenen Recht der Nationen ab. Kalista schreibt von einem »schöpferischen Konservatismus« Pekařs.78 »Schöpferisch« deshalb, weil Pekař sowohl in seinen politischen Ansichten wie in seinen historischen Arbeiten verbinden und nicht spalten wollte, er wollte allen Bestandteilen der nationalen Tradition Gerechtigkeit angedeihen lassen und nicht einen Teil davon im Namen eines »wahren Patriotismus« eliminieren. Pekař verteidigte sich im Übrigen gegen den Vorwurf, ein Nationalist zu sein, indem er darauf hinwies, dass es Masaryks Überzeugung gewesen sei, die zur Grundlage für den tschechischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit wurde, auch wenn sie vorgeblich die religiösen über die nationalen Elemente stelle.79 Pekařs Widersacher wiederum ließen sich nicht von seinem vermuteten Nationalismus abschrecken, sondern von der Rehabilitation der Zeit nach dem Weißen Berg, des Barock, die er in seinen historischen Arbeiten vornahm. Während Masaryk und seine Anhänger im Barock eher eine Unterbrechung der Nationalgeschichte sahen, schätzte Pekař nicht nur die Kunst des Barock, sondern auch die tschechische Volkskultur des 17. und 18. Jahrhunderts. Mehr noch, in ihr suchte er nach den Quellen der nationalen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert. Die tschechische Historiographie illustriert besonders gut, was auch in den anderen Ländern in geringerem oder größerem Maße geschah. In Böhmen hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Schüler Jaroslav Golls sowie Josef Pekařs eine fast absolute Vorherrschaft erlangt, doch die öffentlichen Geschichtsvorstellungen wurden weiter von Epigonen der romantischen Sicht der Nationalgeschichte geprägt, sei es in Palackýs Originalversion, sei es in Masaryks »enthistorisierter« Variante. Dies führte dazu, dass die marxistische Neudefinition der historiographischen Traditionen gewissermaßen auf zwei Feldern stattfinden konnte. Die neue Historiographie konnte den romantischen Klischees den Kampf ansagen, und sich sozusagen der Kritik anschließen, mit der bereits die Goll’sche Schule hervorgetreten war (oder auch die Krakauer Schule in Polen). Sie konnte sich aber auch für

76 77 78 79

Zdeněk Kalista: Josef Pekař, a. a. O., S. 71. Vgl. Josef Pekař: Na cestě k samostatnosti, Praha 1993. Ebd., S. 74. Miloš Havelka: Spor o smysl českých dějin 1895–1938, in: Miloš Havelka (Hg.): Spor o smysl, a. a. O., S. 57.

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das romantische Geschichtsverständnis aussprechen, das seiner generationellen Zugehörigkeit und seiner Weltanschauung nach gewisse Berührungspunkte mit Marx und Engels hatte (zum Beispiel den Begriff des geschichtlichen Fortschritts). Schließlich konnte sie sich auch darum bemühen, im Gegensatz zur gesamten früheren Historiographie zu einer neuen Qualität zu gelangen.

Die Geschichte im Kampf um das Existenzrecht – die slowakische Historiographie Bislang war in den Ausführungen zur tschechischen Historiographie von einem wesentlichen Aspekt ihrer Entwicklung, von der Entwicklung der gesamten tschechischen Kultur, noch keine Rede. Gemeint ist die slawische Idee. Sie fand in den Arbeiten zweier Slowaken ihren Ausdruck, die ihre Karriere in Böhmen machten: Pavol Jozef Šafarík (oder in tschechischer Schreibung Pavel Josef Šafařík) sowie Ján Kollár (Jan Kollár). Beide gehörten gleichzeitig der slowakischen Kultur an, standen mit ihren Ansichten jedoch der Tradition der slawophilen und panslawistischen Denker nahe. Ihren geschichtsphilosophischen Überlegungen lag die Annahme zugrunde, dass die Slawen eine Nation bilden und eine Sprache sprechen (die, wie Šafarík schrieb, in verschiedene Mundarten unterteilt seien). In der großen slawischen Familie (die tschechisch-slowakischen Autoren und eine ganze Schar späterer Anhänger der »slawischen Idee« betonten stets die Zahlenstärke dieser Familie, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rund 80 Millionen Menschen) bildeten Tschechen und Slowaken einen gemeinsamen Ast. Wie Robert Pynsent schreibt, führten die beiden Absolventen der Universität Jena nicht nur Herders marginale Gedanken aus den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit aus, sondern übertrugen auch Forderungen der deutschen Nationalbewegung, die unter dem Einfluss der Napoleonischen Kriege entstanden waren, auf die Slawenheit.80 Der charakteristische kulturelle und sprachliche Vergleich der Einheit Deutschlands mit der »künstlich« in kleine Teile aufgeteilten Slawenheit gehörte überhaupt zu denjenigen Gedanken, die bei den slawischen nationalen Erweckern immer wiederkehrten.81 In Šafaríks und Kollárs Geschichtsphilosophie fielen den Slawen die wichtigsten Verdienste in der Entwicklung der Menschheit zu. Die außergewöhnlichen Merkmale der Slawen, ihre Sanftheit, aber auch ihre Fähigkeit, Kulturgüter zu schaffen, stellte sie über die gewalttätigen und primitiven Germanen. Slawen sah Kollár im Übrigen im antiken Italien und bezeichnete Latein als einen altslawischen Dialekt.82 Die Slowaken seien zu einer Art »Slawen en miniature« geworden, da 80 Robert B. Pynsent: Pátrání po identitě, Praha 1996, S. 76–80. 81 Vgl. Josef Jungmann: Zápisky, Praha 1998, S. 78 f. 82 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné, a. a. O., S. 251 f.

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man in Oberungarn einen großen Reichtum slawischer Dialekte gefunden habe. So wie die Slawen insgesamt unter den Überfällen aggressiver Nachbarn gelitten hätten, so würden die Slowaken von den Ungarn unterdrückt. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer viele Millionen Menschen zählenden Menge machte Hoffnung auf die Rettung der nationalen Existenz, und so poetisch veranlagten Persönlichkeiten wie Kollár verlieh es auch ein Gefühl von Macht. Im Übrigen machte den slowakischen Propheten der Slawenidee auch Herders berühmter Satz über die fehlenden Entwicklungsperspektiven der ungarischen Nation Mut.83 Pavol Jozef Šafarík und Ján Kollár nehmen in der Geschichte der slowakischen Geschichtsschreibung einen besonderen Platz ein. Ihre Vorgänger, nicht besonders zahlreiche Amateure, hatten in der Regel regionale Themen aufgegriffen und lateinische Lokalgeschichten geschrieben, sich um die Verteidigung der Sprache der slowakischen Einwohner Oberungarns bemüht oder Visionen vom vergangenen Glanz des Großmährischen Reichs ausgebreitet. Die Erfinder der Idee von der slawischen Gegenseitigkeit sahen die Slowaken im sehr breiten Kontext einer idealen Slawenheit und hoben sie zugleich aus dem konkreten und realen lokalen Kontext heraus. Die Geschichte aber stand keineswegs im Zentrum der slowakischen Kultur, denn das größte Problem war die Sprache. Die historiographischen Thesen wurden gewissermaßen zu einer Funktion linguistischer Entscheidungen, die wiederum für die slowakische nationale Wiedergeburt die Rolle politischer Programme spielten. Kollár und Šafarík waren Vertreter der slowakischen Protestanten, die das Tschechische als slowakische Literatursprache ansahen und es in der Liturgie ihrer Kirchen gebrauchten. Getrennt hiervon entwickelte sich die kulturelle Bewegung der slowakischen Katholiken, die meist eine von Anton Bernolák kodifizierte Form des Slowakischen verwendeten. Zu einem Umbruch in dieser Frage kam es erst durch den Protestanten udovít Štúr zu Beginn der 1840er Jahre. Obwohl Štúr kein Historiker war (auch Kollár und Šafarík waren keine ausgebildeten Historiker), so ist doch sein Einfluss auf die slowakische Historiographie kaum zu überschätzen. Auf der einen Seite brach er mit der These seiner Vorgänger von der slowakisch-tschechischen Einheit und stellte ihnen eine slowakische nationale Eigenart gegenüber, deren Grundlage eine eigene Sprache war. Der Erfolg seines Nationskonzeptes führte dazu, dass er in späteren Jahren nicht nur als »Vater der Nation« in dem Sinne angesehen wurde, wie man Palacký begriff, sondern auch als faktischer »Erfinder« der Slowaken (in meiner Arbeit werden zahlreiche Beispiele dafür genannt, dass Štúrs historische Rolle so verstanden wurde). Štúr legte seine Ansichten zur Geschichte der Slowaken in seinem essayistischen Text Starý a nový vek Slovákov [Das alte und neue Zeitalter der Slowaken]

83 Vgl. Robert Pynsent: Pátrání, a. a. O., S. 85–90.

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nieder (das Manuskript stammt von 1841). Er stimmte gänzlich mit seinen Vorgängern überein, die von der Macht und kulturellen Kraft des Großmährischen Reichs geschrieben hatten. Die Existenz dieses Staates sei jedoch ständig durch eine fränkische Invasion gefährdet gewesen, und mehrere großmährische Herrscher seien hinterrücks von Franken ermordet worden. Auch das Auftauchen der Ungarn erklärte Štúr mit einer fränkischen Intrige. Die Magyaren hätten anfangs die friedlich eingestellten Slowaken ausgenutzt, die versucht hätten, ihren neuen wilden Nachbarn zumindest in Ansätzen den Geist der christlichen Zivilisation zu vermitteln. Schließlich sei es ihnen mit Hilfe des hl. Adalbert und von Missionaren, die aus den böhmischen Ländern gekommen waren, gelungen, die Magyaren von der Übernahme des Christentums zu überzeugen. »Von nun an lebten in diesem Vaterland in Eintracht Magyaren und Slowaken und waren ihm treu ergeben. Sie wählten verschiedene Könige, damit sie das Land verwalteten, und erwiesen ihnen Folgsamkeit und unverbrüchliche Treue. Sie lebten gerne dort, da das Land durch die Eintracht seiner Bürger zu einer Macht heranwuchs.«84

Die Slowaken hätten sich weiterhin durch ihre Fähigkeiten, ihre Offenherzigkeit und Intelligenz ausgezeichnet. Štúr verwendete einen Teil seiner Ausführungen für den Nachweis, dass praktisch alle ungarischen Untertanen, die bis in das 19. Jahrhundert hinein etwas Wichtiges vollbracht hatten, eigentlich Slowaken waren. Der slowakische Vorrang auf allen Gebieten des Lebens habe zu Neid geführt: »Der Vorrang der Slowaken über die Magyaren und der durch ihre Mühen erworbene größere Reichtum riefen die Eifersucht der Magyaren hervor, die böse darüber waren, dass sie den Slowaken weder mit ihrem Verstand noch mit ihrem Wohlstand gleichkamen.«85

Aus diesem Ärger sei, so Štúr, der Plan entstanden, den Slowaken ihre alten Rechte zu nehmen, ihnen das Recht auf ihre Sprache abzusprechen und sie zu unterdrücken. Das alte und das neue Zeitalter der Slowaken war nicht die einzige geschichtsphilosophische Äußerung des slowakischen Erweckers. Štúrs großes Werk Das Slawentum und die Welt der Zukunft (geschrieben nach der Niederlage der Revolution von 1848 und veröffentlicht posthum 1867 auf Russisch) führte die von Kollár übernommenen Ideen ins Extreme. Maria Bobrownicka, die Štúrs Thesen sehr eingehend (und durchaus kritisch) untersucht hat, macht darauf aufmerksam, dass sich hier panslawistische Ideen mit der Ablehnung einer anderen als der folkloristischen Kultur verbinden:

84 udovít Štúr: Wybór pism, Wrocław 1983, S. 34. 85 Ebd., S. 35.

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»Die Folklore ist ahistorisch«, schreibt Bobrownicka, »[…] daher führte die Propagierung und Verankerung des Štúr’schen Kulturmodells in der Slowakei dazu, die alte Literatur aus Renaissance, Barock und Klassizismus aus der einheimischen Tradition zu streichen, eine Literatur, die sich dank der Zugehörigkeit zum lateinischsprachigen Königreich Ungarn und durch die Philosophie und Ästhetik des europäischen universums ausgebildet hatte. Selbst wenn sie nicht völlig gestrichen wurde, so wurde sie doch nicht anerkannt, so als würde sich [die slowakische Literatur] lediglich darauf beschränken, immergleiche Formen lokaler Folklore zu konservieren und ihre Elemente nachzuahmen.«86

Das Buch des nationalen Erweckers war zudem ein Manifest des Panslawismus. Sicherlich enttäuscht über die Niederlage der slowakischen politischen Bewegung der Jahre 1848/1849, setzte er seine Hoffnung auf Russland, das seiner Meinung nach die Untertänigkeit der Bauern aufheben sollte, um das mir-System auf weitere, nicht-landwirtschaftliche Aspekte des Wirtschaftslebens auszudehnen. Einem solchen Russland sollten sich dann alle Slawen anschließen; sie sollten auf ihre Eigenarten verzichten, die russische Sprache und den orthodoxen Glauben übernehmen.87 Štúr ließ prophetische Töne anklingen, wenn er schrieb, dass »Revolutionen auf Revolutionen folgen werden, und nach jeder von ihnen wird es den Nationen des Westens schlechter ergehen als zuvor. Die Generationen werden immer verrückter und immer schlimmer erscheinen.«88 In diesem recht typischen panslawistischen Manifest, das eher aus einer russischen und konservativen denn aus einer slowakischen Perspektive geschrieben war, wurden auch die Polen kritisiert, die »aufgrund ihrer unaufhörlichen, leichtsinnigen und zu keinem Erfolg führenden Aufstände, aufgrund ihrer unaufhörlichen Beziehungen zu ihnen schadenden Fremdstämmigen das Vertrauen ihrer Stammesgenossen verloren haben. Ihre ganze Geschichte zeigt deutlich, dass sie keine Führungsrolle über andere slawische Nationen haben können.«89

Diese Führungsrolle stehe den edlen und bescheidenen russischen Zaren zu.90 Auch wenn Štúrs »letztes Wort« viel panslawistischer war als die Gedanken Šafaríks oder Kollárs, blieb er der Patron derjenigen, die sich für die nationale und kulturelle Sonderrolle der Slowaken aussprachen. Auf historiographischem Feld war er lange Zeit konkurrenzlos, zumal die slowakische nationale Wiedergeburtsbewegung sich mit der Unterdrückung durch die weiterhin herrschende ungarische Nation abplagte und sich darauf konzentrierte, Sprache und Kultur zu

86 Maria Bobrownicka: Narkotyk mitu. Szkice o świadomości narodowej i kulturowej Słowian zachodnich i południowych, Kraków 1995, S. 79. 87 Ebd., S. 40. 88 udovít Štúr: Wybór, a. a. O., S. 110. 89 Ebd., S. 107. 90 Ebd., S. 113.

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erhalten. Die historiographische Entwicklung wurde auch durch das Fehlen einheimischer Universitäten und wissenschaftlicher Gesellschaften erschwert (die wissenschaftlich und kulturell arbeitende Matica slovenská wurde 1875 durch die Regierung Kálmán Tisza verboten). Mit den administrativen Entscheidungen ging ein ungarischer »wissenschaftlicher Imperialismus« einher, der sich in historischen Publikationen äußerte, denen zufolge den Slowaken die Bezeichnung »Nation« überhaupt nicht zustand.91 Es handele sich lediglich um ein ethnisches Konglomerat, meist um Abkömmlinge tschechischer Kolonisten, hussitischer »Brüder« und verschiedener kleinerer slawischer Gruppen. Die Frage, wer als erstes in der Slowakei lebte, wurde für die slowakische Historiographie im Laufe der Zeit zu einem fundamentalen Problem. Entschieden gegen die ungarischen Theorien sprach sich der bedeutendste Historiker der Matica-Zeit, Franko Ví azoslav Sasinek, aus. Den Thesen der ungarischen Historiker stellte er seine eigene Theorie gegenüber, derzufolge die Slowaken seit undenklichen Zeiten in der Slowakei lebten; die Besetzung des Landes durch die Ungarn sei keine Unterwerfung, sondern ein freiwilliger Gastaufenthalt, der ihnen als Zuwanderer von den zivilisierten Slowaken gewährt worden sei: »Die Slowaken halten sich seit Urväter Zeiten pausenlos in dem Gebiet auf, in dem sie bis heute sind. Sie waren hier unter den Namen Sarmaten und Quaden, vor den Vandalen und nach den Vandalen, vor den Goten und nach den Goten. Sie waren hier vor den Hunnen und nach Attilas Tod. Die verwaisten slawischen Scharen der Rugier unterwarfen sie, rotteten die slowakische Bevölkerung aber nicht aus. Nach ihrem Abzug übernachteten die Langobarden sozusagen nur in der Slowakei, und nach ihnen gab es bis ins 9. Jahrhundert niemanden, der die Ruhe der Slowaken am Fuß der Karpaten gestört hätte.«92

Diejenigen Wissenschaftler, denen die moderne slowakische Historiographie ihr Entstehen verdankt (und die auch die gesellschaftlichen Geschichtsvorstellungen erheblich beeinflussten), waren erst im 20. Jahrhundert aktiv. Nun entwickelten sich letztlich auch die vorherrschenden Tendenzen in der slowakischen Politik und im nationalen Leben. Henryk Batowski, der die slowakischen Verhältnisse in der Zwischenkriegszeit analysiert hat, unterscheidet vier Fraktionen (darunter eine, der nur eine Person angehörte), aus denen die politische Landschaft der Slowakei am Vorabend von Sarajevo bestanden habe. Milan Hodža, bis 1914 ein enger Mitarbeiter von Erzherzog Franz Ferdinand und Anhänger einer föderalisierten Habsburgermonarchie, schloss sich nach Kriegsausbruch dem Lager der »Hlasisten

91 Ján Hučko: Problematika národnoobranného boja v dielach významných slovenských historikov v rokoch 1895–1918, in: Milan Podrimavsky/Dušan Kováč (Hg.): Slovensko na zčiatku 20. storočia (Spoločnos , štát a národ v súradnicach doby), Bratislava 1999, S. 233. 92 Franko Ví azoslav Sasinek: Slovensko v pradobe, in: Slovenský letopis 1882, S. 129, zit. nach: ebd., S. 236.

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an, die sich um die Zeitschrift »Hlas« scharten. Sie waren Anhänger der tschechoslowakistischen Ideologie. 1920 interpretierte Hodža in seiner Arbeit Československý rozkol [Die tschechoslowakische Spaltung] die slowakische nationale Wiedergeburt um. Seiner Meinung nach hatte der Erfolg von Štúrs sprachlicher Kodifizierung den organisierten Prozess der Erweckung des schlummernden Bewusstseins nicht beendet, sondern er war ein politischer Akt, der Versuch, die Nation vor einer Magyiarisierung zu bewahren. Der Preis hierfür sei die Ablehnung der tschechoslowakischen Einheit gewesen und die Bildung einer eigenständigen, dem ungarischen Staat gegenüber loyalen Nation.93 Der Ideologie der »Hlasisten« stellten sich die Panslavisten wie Svetozár Hurban Vajanský entgegen, der vielleicht unbewusst an die von den ukrainischen nationalen Vorkämpfern gebrauchte Wortwahl anknüpfte und sagte, er zöge es vor, dass die Slowaken »im russischen Meer ertrinken und nicht im tschechischen Sumpf«.94 Batowski erwähnt schließlich das nationale Lager, das in der Tschechoslowakei von Geistlichen beider Bekenntnisse dominiert war. Zu den Stammvätern dieses Lagers müsste man die eifrigen Historiker Július Botto und Jozef Škultéty zählen, die Verfasser umfassender Interpretationen der nationalen Entwicklung der Slowaken.95 Die Auseinandersetzungen der mit den einzelnen politischen Lagern verbundenen Historiker spielten sich zwangsläufig nicht in Büchern mit großer Auflage ab, sondern mit Hilfe von Zeitungsartikeln. Das Jahr 1918 hatte für die slowakische Kultur umwälzende Bedeutung. Wie ubomír Lipták schreibt, waren bei der Gründung der Tschechoslowakei die letzten Slowaken, die ein slowakisches Gymnasium hatten besuchen können, rund 60 Jahre alt. Ein großes Problem war die weitverbreitete Unkenntnis der slowakischen Orthographie.96 Die slowakische kulturelle Identität entstand unter Schmerzen. Die Entfernung ungarischer Denkmäler ging häufiger auf eine Entscheidung von Zuwanderern aus Prag als auf den Wunsch von Ortsansässigen zurück und die neu eingeführten Jan-Hus-Feiern stießen auf die Ablehnung des katholischen Teils der slowakischen Gesellschaft, der in Hus lediglich einen Häretiker sah.97 Paradoxerweise hatte dieser einschneidende politische Wandel nur geringen Einfluss auf die Ansichten der bedeutendsten älteren slowakischen Historiker.

93 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné, a. a. O., S. 936 f. 94 Rudolf Chmel: Kwestia słowacka w XX wieku, in: ders. (Hg.): Kwestia słowacka w XX wieku, Gliwice 2002, S. 12. 95 Henryk Batowski: Zarys dziejów Słowacji w ostatnim dwudziestoleciu (1918–1937), in: Władysław Semkowicz (Hg.): Słowacja i Słowacy. Praca zbiorowa, Kraków 1938, S. 122–124. 96 ubomír Lipták: Changes of Changes. Society and Politics in Slovakia in the 20th Century, Bratislava 2002, S. 35. 97 Ebd., S. 32.

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Július Botto (1848–1926) zeigte in seinen Arbeiten, vor allem in Slováci, vývin ich národného povedomia [Die Slowaken, die Entwicklung ihres nationalen Bewusstseins] (1906–1910) den Kampf der Nationalbewegung, die Magyarisierung sowie die Unterdrückung eines Volkes auf, das unter der Intelligenz keine Verteidiger fand. Diese Sicht der slowakischen Geschichte war antiungarisch, aber auch antideutsch und antijüdisch, da Botto alle diese Nationen beschuldigte, den slowakischen Bauern auszubeuten. Dieser Bauer habe während der ungarischen, gegen Habsburg gerichteten Aufstände am meisten gelitten. Die Slowaken hätten auch für die aggressive Politik Matthias Corvinus’ gezahlt. Schließlich interpretierte Botto die Revolution von 1848 in Ungarn als weiteres Beispiel einer gegen die Slowaken gerichteten Unternehmung.98 Die im Licht ihrer Leiden geschild erte Geschichte der eigenen Nation drückte der slowakischen Historiographie auch nach 1989 noch ihren Stempel auf.99 Auf Botto ging die populäre These von einer jahrhundertelangen Unterbrechung der slowakischen Geschichte zurück. Seiner Meinung nach hätten die Slowaken eine »echte« Geschichte im 10. Jahrhundert gehabt und dann erst wieder mit dem Einsetzen der nationalen Wiedergeburt. In der Zwischenzeit könne man eigentlich nicht von einer slowakischen Geschichte sprechen. Es ist paradox, aber diese These war keineswegs eine pessimistische Interpretation der Nationalgeschichte. Botto erkannte dieselbe Diskontinuität in der Geschichte der Ungarn und anderer europäischer Nationen: »Genauso wie die Slowaken haben die Ungarn zwischen 1000 und 1848 keine Geschichte. Denn seit dem Entstehen des Feudalstaats bestand die politische Nation Ungarn lediglich aus dem Landadel.«100 Jozef Škultéty (1853–1948) teilte die meisten von Bottos Ansichten. Vor 1918 hatte er sich Polemiken mit ungarischen Wissenschaftlern geliefert. Dabei hatte er sich auf die Ideen Herders, aber auch auf Person Štúrs und dessen Aussagen bezogen.101 Im tschechoslowakischen Staat polemisierte er gegen die Tschechoslowakisten in Person Hodžas sowie gegen eine Gruppe tschechischer Professoren an der neu gegründeten Jan Ámos Komenský-Universität in Pressburg. Er wies darauf hin, dass die in der tschechischen Wissenschaft beliebte These, Slowaken und Tschechen hätten eine gemeinsame ethnische Herkunft, nichts anderes als die Wiederholung ungarischer Propagandasprüche sei. Vor 1918 habe man damit nachweisen wollen, dass die Slowaken nicht auf Dauer in Oberungarn ansässig waren, nach der Gründung der Tschechoslowakei wollten die Tschechen so die

98 Ján Hučko: Problematika národnoobranného, a. a. O., S. 237–239. 99 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné, a. a. O., S. 647 f. 100 Július Botto: Slováci. Vývin ich národného povedomia, Bratislava 1971, S. 26. 101 Ján Hučko: Problematika národnoobranného, a. a. O., S. 240. Vgl. Jozef Škultéty: Slovanská vzájomnos v publicistike Jozefa Škultétyho (výber), Martin 1998, S. 22 f.

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Fiktion der »tschechoslowakischen Nation« belegen.102 Er wies auch den ethnisch slowakischen Charakter des Großmährischen Reiches nach. Škultéty zufolge hätten Slowaken und Tschechen zu viele Unterschiede, als dass sie jemals zusammenwachsen könnten. Im Gegensatz zu Václav Chaloupecký, einem tschechischen Dozenten der Universität Pressburg, war er der Meinung, die slowakische Wiedergeburt habe keinerlei Zusammenhang mit protestantischen Traditionen in den böhmischen Ländern, sondern sie gehe auf die Bestrebungen der ersten Generationen von Erweckern zurück, etwa auf Anton Bernolák.103 Chaloupecký vertrat die offizielle Staatsideologie der »tschechoslowakischen Nation«, der er historische und sprachwissenschaftliche Argumente lieferte. In seiner Arbeit Staré Slovensko [Die alte Slowakei] (die in Pressburg in tschechischer Sprache erschien) schrieb er, die alte Slowakei sei von Tschechen bewohnt gewesen. Die tschechische Sprache sei später von anderen sprachlichen und kulturellen Einflüssen überlagert worden, die jedoch den tschechischen Kern der Slowakei nicht verändert hätten: »In diesen alten Zeiten gehörte die Slowakei geographisch mit Böhmen zum Westen und bildete mit Mähren eine politische Einheit, auch in nationaler und sprachlicher Hinsicht bewahrte sie ihre Verbundenheit mit den westlichen böhmischen Ländern. Ich will damit nicht sagen, dass die im Westen der Slowakei verwendete Sprache nicht ihre besondere Färbung besaß, doch das ganze Mittelalter hindurch, auch später, wurde sie trotz aller ihrer Nuancen als Tschechisch angesehen; das Volk, das diese Sprache sprach, galt als tschechisches Volk.«104

In der von Henryk Batowski aufgestellten Typologie der politischen Einstellungen in der Slowakei fehlt eine intellektuelle Strömung, die die nationale Zukunft der Slowakei in Ungarn gesehen hätte. Tatsächlich verschwand diese Haltung nach 1918 aus dem innenpolitischen Leben des Landes. Die Anhänger einer Autonomie innerhalb Ungarns in den alten Grenzen zogen dorthin und beteiligten sich an den Bestrebungen der revisionistischen Propaganda.105 Der wichtigste Vertreter dieser Strömung vor 1914 war Samuel Czambel gewesen. Er hatte die ungarischen Behörden dazu aufgerufen, dem tschechischen Einfluss in der Slowakei durch die Unterstützung der nationalen Entwicklung der Slowaken entgegenzutreten. Seiner philologischen Theorie zufolge müsse man die Slowaken zu den Südslawen zählen, da sie aus dem Süden gekommen seien und bis dahin von polnischen Stämmen bevölkerte Gebiete besiedelt hätten. In seinem Konzept war eine tschechisch-slowakische Verwandtschaft nicht vorgesehen. Angesichts der 102 Jozef Škultéty: Za slovenský život, Martin 1998, S. 22. 103 Ján Hučko: Problematika národnoobranného, a. a. O., S. 652–654. 104 Václav Chaloupecký: Staré Slovensko, Bratislava 1923, S. 273. 105 Henryk Batowski: Zarys dziejów Słowacji w ostatnim dwudziestoleciu (1918–1937), in: Władysław Semkowicz (Hg.): Słowacja i Słowacy, a. a. O., S. 162.

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Nationalitätenpolitik Ungarns vor Trianon war kaum damit zu rechnen, dass die Slowaken tatsächlich ein Zugehörigkeitsgefühl zu den Ländern der Stefanskrone entwickeln würden.106 Die schwierigen Bedingungen, unter denen sich die slowakische Historiographie entwickelte, waren auch dafür verantwortlich, dass der Einfluss moderner Methoden, der sich in Tschechien mit der Tätigkeit Jaroslav Golls verbindet, hier erst nach 1918 wirksam wurde. In der Zwischenkriegszeit nahm Daniel Rapant seine wissenschaftliche Tätigkeit auf, eine Persönlichkeit, deren Vorherrschaft über die slowakischen historischen Wissenschaften selbst in den 1950er Jahren nicht endete, als er aufgrund seiner Ablehnung, sich der marxistischen Methodologie und der kommunistischen Politik zu unterwerfen, aufs Abstellgleis geriet. Rapant verwarf die Idee der tschechoslowakischen Nation und wies nach, dass Tschechen und Slowaken »seit jeher« unterschiedliche Nationen gewesen seien. Zum Lebenswerk des Historikers wurde die monumentale Arbeit Slovenské povstanie roku 1848–1849. Dejiny a dokumenty [Der slowakische Aufstand von 1848–1849. Geschichte und Dokumente] (1935–1972), um das herum sich kürzere Monographien, wissenschaftliche und publizistische Artikel scharten. Rapant skizzierte auf reicher und gut bearbeiteter Quellengrundlage (was ihn deutlich von den meisten seiner Vorgänger unterschied) ein Bild des slowakischen Aufstands, der alle Merkmale eines gerechten Freiheitskampfes gehabt habe, auch wenn er Arm in Arm mit der habsburgischen Armee geführt worden sei. Diese positive Einschätzung des Aufstands ergab sich mittelbar aus der Interpretation der ungarischen Revolution, die in Bezug auf die Slowaken keine demokratische Revolution gewesen sei, sondern versucht habe, die feudalen Verhältnisse und die nationale Unterdrückung aufrechtzuerhalten.107 Gleichzeitig lehnte der Historiker die von Botta formulierte Leidensversion der Nationalgeschichte ab. Rapant ging davon aus, dass die Slowaken ihr staatsbildendes Talent nicht nur durch ihre Beteiligung am Großmährischen Reich bewiesen hätten, sondern auch, indem sie die Grundlagen des mittelalterlichen Königreichs Ungarn gelegt hätten.108 Von Rapants wissenschaftlicher Qualifikation zeugt auch sein spätes, 1952 veröffentlichtes Buch über den Bauernaufstand von 1831.109 Der Autor wurde von marxistischen Wissenschaftlern dafür kritisiert, die sozialen Anlässe des Aufstands nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Doch Rapant wahrte auch Abstand von der These, dass die Bauernunruhen einen slowakischen nationalen Hintergrund

106 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné, a. a. O., S. 650 f. 107 Vgl. Daniel Rapant: Madziaryzacja, Trianon, rewizja i demokracja (1930), in: Rudolf Chmel (Hg.): Kwestia, a. a. O., S. 98–103. 108 Vgl. Daniel Rapant: Słowacy w historii. Retrospektywa i perspektywy (Przyczynek do filozofii i sensu słowackiej historii) (1967), in: ebd., S. 407 f. 109 Ders.: Sedliacke povstanie na východnom Slovensku r. 1831, Bd. 1–2, Bratislava 1952.

Die Kontinuität der Motive in den nationalen Historiographien

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gehabt hätten, selbst wenn dies als Argument für die Existenz eines starken Nationalgefühls in der Slowakei hätte dienen können.110 Der Historiker war vor allem bestrebt, seinen Beruf professionell auszuüben; für seine Vorgänger hatte dies nicht immer an erster Stelle gestanden.

Die Kontinuität der Motive in den nationalen Historiographien Selbst ein so knapper Überblick über die Traditionen, auf denen die polnischen, tschechischen und slowakischen Historiker aufbauten, als sie in den 1950er Jahren versuchten, eine neue Interpretation der Nationalgeschichte zu entwickeln, zeigt deutlich, welch verschiedene Möglichkeiten von Kontinuität, Bezugnahme und Auseinandersetzungen den Schöpfern der marxistischen Historiographie zur Verfügung standen. Dabei hat sich diese Einleitung nur auf die wichtigsten Strömungen beschränkt und sich auf die Interpretation der gesamten Nationalgeschichte konzentriert, während eine ganze Reihe nicht weniger wichtiger Spezialprobleme, die zwischen dem Ende des 18. und der Mitte des 20. Jahrhunderts aufgegriffen wurden, nicht zur Sprache gekommen sind. Nun meinen Spezialisten für die stalinistischen Historiographien in Ostmitteleuropa gelegentlich, die 1950er Jahre hätten eine Unterbrechung der »natürlichen« Entwicklung der einheimischen Wissenschaft markiert.111 Diese Behauptungen basieren auf der Politisierung der Geschichtswissenschaft, darauf, dass sie einer von oben vorgegebenen marxistischen oder als marxistisch geltenden Ideologie unterworfen wurde, dass die Behörden in die Tätigkeit der Historiker eingriffen, aber auch auf dem Aufbau einer Philosophie der Nationalgeschichte, die sich grundlegend von der bisherigen unterschieden habe: »Es war ein Bild, das in einem globalen Sinn den bisherigen Sinn der Geschichte Polens – ich zögere nicht dieses Wort zu verwenden – aushebelte, paradoxerweise entgegen den von seinen Urhebern angenommenen Zielen«, schreibt Rafał Stobiecki. »Die erwähnte neue Sicht auf die Geschichte Polens brach mit elementaren Grundsätzen des sozialen Lebens, die sich in dem Bedürfnis ausdrückten, die historische Kontinuität von Staat und Nation zu wahren.«112

Nach Piotr Hübner sei das Ziel der kommunistischen Behörden in Polen die »Enthauptung« gewesen – »die Zerstörung der intellektuellen Elite«.113 Mit besonderer Verbissenheit sollen die Behörden die Geisteswissenschaften bekämpft haben, also auch die Geschichtswissenschaft: 110 Ladislav Tajták: Prínos D. Rapanta vo výskume vychodoslovenského sedliackeho povstania v roku 1831, in: Richard Marsina i kol. (Hg.): Historik Daniel Rapant, a. a. O., S. 171. 111 Andrew Rossos: Czech Historiography, in: Canadian Slavonic Papers, Nr. 4/1982, S. 348. 112 Rafał Stobiecki: Historia, a. a. O., S. 182.

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Die Marxisten und die historiographische Tradition

»Die Geisteswissenschaften sollten also langsam aufgelöst werden, je nach den sich ergebenden technischen Möglichkeiten – dennoch wurden sie schon von Anfang an abgelehnt, da sie ein dem Ego-System widersprechendes Element waren.«114 Um darzustellen, wie der Autor diese Abneigung der Kommunisten gegenüber den Geisteswissenschaften begründete, muss ein längerer Abschnitt aus Hübners Arbeit zitiert werden: »Die Abneigung der Naturwissenschaftler gegenüber den Geisteswissenschaften hatte offiziell innerwissenschaftliche Bezüge. Die Geisteswissenschaften waren angeblich keine Wissenschaft, sie hatten angeblich zu schwache methodische Grundlagen, sie behandelten nicht die Erde, sondern betrieben Traumtänzerei – sie stünden der Kunst näher als der Wissenschaft. Dass die von ihr geschaffenen Grundlagen des Wertesystems die Grundlage des sozialen Bewusstseins darstellten, störte nur. Die Geisteswissenschaften waren von Natur aus apolitisch – sie lehnten das Politisieren ab und sahen darin nur eine Methode, um ein falsches Bewusstsein zu formen. […] Die Geisteswissenschaften verkündeten […] eine Ethik der Wahrheit – gerade in elementaren sozialen Fragen. Die Anhänger der ›neuen Wissenschaft‹ riefen eine Ethik der Lüge aus – die angeblich im Interesse der unterdrückten Klassen war.«115

Letztere Behauptung muss schon alleine deshalb richtiggestellt werden, weil zweifelhaft ist, ob die Geisteswissenschaften im Stalinismus tatsächlich so besonders »privilegiert« waren. Sowohl in seiner mitteleuropäischen wie auch in seiner ursprünglichen sowjetischen Variante war der Stalinismus anderen Gebieten der Wissenschaft gegenüber mindestens ebenso destruktiv. Leszek Kołakowski zum Beispiel hielt die Naturwissenschaften für stärker geschädigt als die Geisteswissenschaften, wobei er vor der Geschichte die theoretische Physik, Kosmologie, Chemie, Genetik, Medizin, Psychologie, Kybernetik und auch eine andere Geisteswissenschaft nannte, seine eigene Disziplin – die Philosophie.116 Wenn man die Traditionen der Nationalhistoriographien der in dieser Arbeit untersuchten Länder betrachtet, ist festzustellen, dass die meisten Fragen, mit denen sich die vormarxistischen Historiker konfrontiert gesehen hatten, in der stalinistischen Zeit nichts von ihrer Aktualität einbüßten. Das nächste Kapitel widmet sich solchen Themen, etwa der Bewertung der Art und Weise, wie Polen seine Unabhängigkeit gewann, der piastischen Idee, dem Hussitismus und seinem Einfluss auf die moderne tschechische Nation, der Rolle Großmährens in der Geschichte von Slowaken und Tschechen, dem Urteil über die Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts oder der Idee der deutschen Einigung. Wenn trotz Einführung einer neuen

113 Piotr Hübner: Stalinowskie »czystki« w nauce polskiej, in: Roman Bäcker/Piotr Hübner (Hg.): Skryte, a. a. O., S. 220. 114 Piotr Hübner: Nauki społeczne i humanistyka – mechanizmy zniewolenia, in: Barbara Otwinowska/ Jan Żaryn (Hg.): Polacy wobec przemocy 1944–56, Warszawa 1996, S. 281. 115 Ebd, S. 283. 116 Leszek Kołakowski: Główne nurty marksizmu, Bd. 3 Rozkład, Poznań 2000, S. 158 f.

Die Kontinuität in den nationalen Historiographien

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Methodologie und der mehr oder weniger starken Unterordnung der Historiker unter die Erfordernisse der Propaganda der Katalog der ihnen von der Geschichte gestellten Fragen demjenigen ähnelt, der sich in der nationalen Tradition ausgebildet hatte, so kann man wohl kaum von einem prinzipiellen Umbruch und einer unterbrochenen Kontinuität sprechen. Eher im Gegenteil: Die Neuinterpretation der Geschichte in den 1950er Jahren war einer von mehreren Versuchen, die polnische, tschechische, slowakische und deutsche Historiker zumindest seit dem Ende des 18. Jahrhunderts unternahmen. Im besonderen Fall der slowakischen Historiographie veränderte selbst die Kampagne gegen den »bourgeoisen Nationalismus« nicht die kommunistische Politik, die als Fortsetzung des nationalen Erweckungsprozesses definiert wurde und das Nationalbewusstsein um bislang übergangene Motive aus der Zeit zwischen dem 10. und dem ausgehenden 18. Jahrhundert bereicherte.117 Ich will damit nicht sagen, dass die marxistische Historiographie sich nicht von ihren Vorgängerinnen unterschieden habe, auch möchte ich die obigen Ausführungen nicht als Werturteile verstanden wissen. Es ist jedoch unbestritten, dass zumindest ein Teil der historischen Produktion dieses Zeitraumes rasch inaktuell wurde und dass dieser Teil wahrscheinlich viel größer ist als bei der älteren Historiographie. Man darf auch nicht die enorme Abhängigkeit der marxistischleninistischen Historiographie von den aktuellen Entscheidungen der Partei- und Staatsführung vergessen. Auf die Historiographie hatte auch der bereits beschriebene Stil wissenschaftlicher Diskussionen einen Einfluss, der zur Schematisierung jeder offiziell übernommenen Ansicht führte, dazu, dass sie in eine Formel gepresst wurde. Die marxistisch-leninistische Historiographie setzte auch die bisherigen Schulen nicht in einer Weise fort, die sich logisch aus ihnen ergab. Schließlich – hätte die Sowjetunion nicht die Kontrolle über unsere Region Europas erlangt, so wäre wohl kaum aus eigenen Stücken eine derartige Historiographie entstanden, und selbst wenn, so hätte sie keine Monopolstellung eingenommen. Wenn aber etwas mehr über die marxistische Historiographie gesagt werden soll als nur, dass sie sich einer wenig angenehmen Politik andiente und sich qualitativ von ihren Vorgängerinnen unterschied, so muss man sich bemühen, ihre Beziehung zu den nationalen historiographischen Traditionen aufzuzeigen. Nur so erhält man ein dynamisches Bild von den Versuchen, ein ideologisches Angebot zu schaffen, das diesen Traditionen mehr oder weniger erfolgreich die Stirn bieten konnte. Dadurch lässt sich auch etwas belegen, das zwar auf der Hand liegt, aber nicht überall gleichermaßen anerkannt ist: dass nämlich die marxistischen Historiographien der Länder Ostmitteleuropas nur in dem Maße Einfluss auf die

117 Ivan Kamenec: Hadanie a blúdenie v dejinách. Úvahy, štúdie a polemiky, Bratislava 2000, S. 15 und 22.

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Die Marxisten und die historiographische Tradition

kollektiven Geschichtsvorstellungen erlangen konnten, in dem sie auf Fragen antworteten, die Polen, Deutsche, Tschechen und Slowaken interessierten, nicht aber auf Fragen, mit denen sich die sowjetischen Historiker beschäftigten. Im Übrigen ergab sich die Tatsache, dass es den Marxisten eben darum gehen würde, eine neue Interpretation der Nationalgeschichte vorzulegen und nicht den Gegenstand historischer Forschungen völlig zu verändern, auch aus der Übernahme sowjetischer Vorbilder, die sich in den 1950er Jahren bereits recht weit von Pokrovskij entfernt hatten, während sie den Traditionen der russischen Historiographie des 19. Jahrhunderts immer näher kamen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein Umsturz, ein Bruch oder eine Diskontinuität (alle diese Bezeichnungen wurden dazu verwendet, um die marxistisch-leninistische Historiographie zu beschreiben) in sehr vielen Aspekten der geschichtswissenschaftlichen Arbeit zu erkennen ist. Die neue Wissenschaftspolitik, Zentralisierung, Planung, politische Säuberungen, strenge ideologische Kontrolle, das Wiederholen von Formeln der marxistischen Klassiker, die Nichterforschung bestimmter Themen, das verstärkte Interesse für gelegentlich künstlich kreierte Anzeichen historischer Klassenkonflikte – alle diese Merkmale unterschieden die Situation in den 1950er Jahren von der Zeit zuvor. Der Geschichte wurde eine sehr politische Rolle zugewiesen, man sprach von ihrer Parteilichkeit, während der Objektivismus in offiziellen Stellungnahmen in der ironischen Formulierung »professoraler Objektivismus« auftauchte, der von der neuen Wissenschaft bewusst abgelehnt werde (hierin ist im Übrigen eine gewisse Ähnlichkeit zur Kritik einiger Historiker der borussischen Schule an Rankes »professoralem Objektivismus« zu erkennen). Doch all diese Veränderungen bedeuteten keine vollständige Zurückweisung der nationalhistoriographischen Traditionen. Für die polnische, tschechische, slowakische oder deutsche Historiographie wäre das Fehlen dieser stalinistischen Periode nicht sehr bedeutsam gewesen. Die marxistische Historiographie wiederum hätte ohne den fortwährenden Rückgriff auf die Tradition nicht in der Form existiert, in der wir sie kennen, und hätte sich vielleicht tatsächlich zu dem entwickelt, was Piotr Hübner oder Rafał Stobiecki beschrieben haben.

Die marxistische Historiographie in Polen und die historiographischen Traditionen Die marxistische Historiographie in Polen sollte in der Absicht ihrer Schöpfer einen weiteren Schritt zur Entwicklung der nationalen Geschichtsschreibung darstellen. Sie griff nicht nur Fragen auf, die in der Vergangenheit das größte Interesse der Historiker geweckt hatten, sondern erweiterte auch die Forschungshorizonte der Historiographie des 19. Jahrhunderts, indem sie breit angelegte Studien zur

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Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Angriff nahm, versuchte, die Geschichte von Bauern und Arbeitern zu schreiben und sich schließlich auch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung beschäftigte. In der Historiographiegeschichte wird häufig darauf hingewiesen, dass bestimmte Generationen an das Werk ihrer Vorgänger anknüpfen, wobei es sich meist nicht um die direkten Vorhänger handelt. Naruszewiczs prophetische Idee, seine Warnung vor einem Zusammenbruch der Rzeczpospolita unter der Last ihrer eigenen Schwäche (auch wenn es eine Prophezeiung der nahen Zukunft war), wurde von den Historikern der Krakauer Schule schöpferisch weiterentwickelt. Die Gegner Szujskis, Kalinkas oder Bobrzyńskis wiederum bezogen sich auf Joachim Lelewel, den sie den pessimistischen Ausführungen der Krakauer Konservativen gegenüberstellten. Derartige Deklarationen hießen nie, dass man sich voll und ganz mit den Ansichten der Vorgänger identifizierte, sondern es handelte sich vielmehr um eine Art Selbstidentifikation, darum, dass man sich bewusst in eine bestimmte historiographische Traditionslinie stellte. Etwas anders wurde diese Frage von den marxistischen Historikern Polens behandelt. Wie die nationale Vergangenheit im Allgemeinen, so sollte auch die Historiographie eine Quelle fortschrittlicher Traditionen sein. Witold Kula beklagte sich in privaten Notizen von 1953: »Gelegentlich scheint es, als sei die Suche nach ihnen [den fortschrittlichen Traditionen, M. G.] die einzige Daseinsberechtigung aller historischer Wissenschaften.«118 Diese fortschrittlichen Traditionen seien bislang verborgen geblieben, wissenschaftlich überhaupt noch nicht erforscht oder von der Wissenschaft verfälscht worden. Man müsste sie erst einmal aufdecken, was sofort den Wert der Ergebnisse der bisherigen polnischen Historiographie in Frage stellte, da sie nicht in der Lage gewesen sei, sie zu entdecken. Wenn man die Sache so darstellte, bedeutete das implizit ein relativ kritisches Urteil über die Vorgänger und die Annahme, dass erst die marxistische Historiographie voll und ganz die Bezeichnung Wissenschaft verdiene. In Veröffentlichungen der 1950er Jahre wird oft die Überzeugung geäußert, dass nur die marxistische Methodologie in der Lage sei, diese oder jene Frage vollständig zu klären.119 Auf der anderen Seite musste die Annahme noch unentdeckter fortschrittlicher Traditionen nicht im Geringsten ausschließen, dass man sie auch in der einheimischen historiographischen Tradition finden konnte. Schließlich konnte man auch Historiker verschweigen und fälschen. Es war also durchaus wahrscheinlich, dass man fortschrittliche Traditionen in den Arbeiten einiger »bürgerlicher« Wissenschaftler entdecken könnte, die sich dem Fortschritt verschrieben hatten, noch ehe

118 Witold Kula: Rozdziałki, Warszawa 1996, S. 17. 119 Vgl. Benedykt Zientara: Z zagadnień spornych tzw. »wtórnego poddaństwa« w Europie Środkowej, in: PH 1956, S. 47.

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es in Polen zu einer methodologischen Wende gekommen war. Die Bedeutung von Forschungen zur polnischen Historiographiegeschichte war umso größer, als der Doktrin zufolge galt: »Die Geschichte ist eine der strengsten parteilichen Sozialwissenschaften.«120 Die Parteilichkeit der Geschichte, ihr politischer Charakter, beruhte nach Meinung der marxistischen Wissenschaftler nicht so sehr auf unterschiedlichen politischen Ansichten der Historiker, die ihre wissenschaftliche Arbeit beeinflussten, sondern vielmehr auf der Klassenzugehörigkeit der Autoren. Die »objektive« Bedeutung der sozialen Herkunft führte dazu, dass man meinte, die Historiker würden das Interesse der Klasse vertreten, der sie angehörten. Naturgemäß gehörten die zwischen der Mitte des 18. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts tätigen Historiker nicht den proletarischen Schichten an, sondern vertraten die besitzenden Klassen. Żanna Kormanowa hob in ihrer Zusammenfassung der Sitzungen der am I. KNP teilnehmenden Historiker hervor, dass sich »die besitzenden Klassen der Geschichte bedienen […]. Die Historiker nutzten als Vertreter des Adels, des reichen Bürgertums und anschließend der Großbourgeoisie die patriotischen Bestrebungen der Volksmassen aus, ihren Kampf um nationale Befreiung, sie vergifteten ihr Bewusstsein mit Nationalismus und Klerikalismus.«121

Daraus sollten sich ihr zufolge eine kritische Einstellung und erhöhte Vorsicht gegenüber dem Erbe der Vergangenheit ergeben. Während der Konferenz von Otwock bezeichnete Wanda Moszczeńska die Einstellung der Marxisten zur historiographischen Tradition eine »dialektische Negation«, »die nicht gleichbedeutend mit der Auslöschung dessen ist, was negiert wird, sondern als Grundlage dazu dient, aus etwas Negiertem etwas Neues und Fortschrittliches zu machen«.122 Die »Parteilichkeit« der Geschichte wurde zu einer magischen Formel, zu einer Beschwörung, die auf verschiedene Weise verstanden werden konnte, manchmal auch sehr primitiv, wenn sie die Zugehörigkeit von Historikern zur Partei meinte. Andrzej Wierzbicki hierzu: »Die Unterordnung der Geschichte unter die Ideologie war nicht gleichbedeutend damit, auf die Forderung zu verzichten, nach ›objektiver Wahrheit‹ zu suchen. Ganz im Gegenteil, die Suche nach dieser Wahrheit hielt man für eine der Pflichten des Historikers. Das Problem liegt jedoch darin, dass man versuchte, zum Prüfstein für die Wahrheit nicht so sehr die die historische Erkenntnis leitende Theorie zu machen, sondern

120 Żanna Kormanowa: Referat podsekcji historii sekcji nauk społecznych i humanistycznych I KNP, in: KH 1951, S. 255. 121 Ebd., S. 256 f. 122 Wanda Moszczeńska: Stosunek do dorobku dawnej historiografii polskiej, in: Stanisław Herbst/ Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza Konferencja, a. a. O., Bd. 1, S. 91.

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die offizielle Ideologie und Politik, die als ›logische‹ Konkretisierungen einer wissenschaftlichen Weltanschauung angesehen wurden. Man ließ dabei die Möglichkeit nicht zu, dass die ›wahrhaft‹ wissenschaftliche Weltanschauung verschiedene ideologische Systeme und verschiedene politische Optionen tolerieren könne.«123

Die wissenschaftlichen Anstrengungen der Marxisten zielten somit darauf ab, in der Historiographiegeschichte Autoren zu finden, die sich – ohne davon zu wissen – von einer positiv verstandenen »Parteilichkeit« hatten leiten lassen, und solche zu verurteilen, die dieses Kriterium nicht erfüllten. Aus denselben ganz allgemeinen Bemerkungen über die Rolle der historiographischen Tradition für die moderne Wissenschaft geht hervor, dass dieses Thema nicht nur wichtig, sondern auch schwierig war. Wissenschaftler, die sich daran versuchten, konnten sich nicht von eindeutigen Hinweisen politischer Entscheidungsträger oder marxistischen wissenschaftlichen Autoritäten leiten lassen, da sie einen allzu speziellen Stoff untersuchten, mit dem sich ihre Vorgesetzten nicht abgaben. Die Historiker mussten ihren Untersuchungsgegenstand, der Quelle fortschrittlicher Traditionen und Objekt von Kritik zugleich sein sollte, selbst beurteilen. Es gab keine marxistische Geschichte der polnischen Historiographie, auf die man hätte zurückgreifen können. Dafür gab es unter der Elite der polnischen Marxisten ein lebhaftes Interesse für diese Fragen. Sie wurden (in umfangreichen Arbeiten) von Żanna Kormanowa, Celina Bobińska und Adam Schaff aufgegriffen, doch praktisch alle, die an der Entstehung einer marxistischen Sicht der polnischen Geschichte beteiligt waren, äußerten sich hierzu.

Adam Naruszewicz und die Historiographie der Aufklärung Die Aufklärung erschien den marxistischen Wissenschaftlern Polens als eine an fortschrittlichen Traditionen besonders reiche Epoche. Stanisław Staszic, Hugo Kołłątaj und andere, weniger bekannte, doch nun »aus dem Dunkel der Geschichte beförderte« politische Denker dieser Epoche wurden vielfach als aufgeklärte und fortschrittliche Vorläufer der herrschenden Ordnung bemüht. In seiner Broschüre O Konstytucji Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej [Über die Verfassung der Volksrepublik Polen] rechnete Bolesław Bierut Hugo Kołłątaj oder auch Franciszek Salezy Jezierski jener Gruppe von Autoren zu, aus deren Werken die Volkspolen Inspiration zum Aufbau des Sozialismus schöpfen sollten, und so zählte er sie zu »allem, was in der Geschichte Polens edel und fortschrittlich

123 Andrzej Wierzbicki: Argument z polityki w historii, in: Jerzy Maternicki (Hg.): Metodologiczne problemy syntezy historii historiografii polskiej, Rzeszów 1998, S. 95.

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war«.124 Ähnlich äußerte sich während der feierlichen Eröffnung der Kołłątaj-Tagung der Hochschul- und Wissenschaftsminister Adam Rapacki: »Die polnische Nation […] nimmt alle diejenigen und alles dasjenige für immer in ihre große, fortschrittliche, lebendige, kämpferische Tradition auf, was zu ihren heutigen und künftigen Siegen geführt hat: den Kampf des internationalen Proletariats; […] das siegreiche sozialistische Bauwesen in der Sowjetunion und das sozialistische Bauwesen in Polen; Marx, Engels, Lenin, Stalin und Waryński, Kościuszko, Staszic, Kołłątaj, Frycz-Modrzewski und Kopernikus.«125

Die Nennung von Kołłątaj und Staszic in dieser Gesellschaft nobilitierte das politische und historische Denken der polnischen Aufklärung als Forschungsgegenstand. Praktische Folge dieser Deklarationen war die Herausgabe der Schriften der aufklärerischen Denker in den Jahren des Stalinismus.126 Dieses Interesse an der Aufklärung kam auch der Veröffentlichung von Władysław Smoleńskis Buch Kuźnica Kołłątajowska. Studium historyczne [Kołłątajs Schmiede. Historische Studien] (1949) zugute.127 Żanna Kormanowa, die das Vorwort zu dieser Neuauflage geschrieben hatte, hob die fortschrittliche Rolle der »Schmiede des polnischen Jakobinismus« hervor, indirekt auch von Smoleńskis Buch: »Aus dem kunstvoll und mit viel Mühe gemalten Bild können wir mit voller Hand authentische Quellenbelege für die Richtigkeit der Sache schöpfen, die wir verteidigen, die Generation der Erbauer Volkspolens, Belege für die Richtigkeit des Urteils, mit dem wir, die Erben der trefflichsten Bestandteile des adligen Radikalismus und des bürgerlichen Fortschritts, heute Glanz und Schatten unserer nationalen Vergangenheit messen.«128

Trotz der allgemeinen Erklärungen zur Fortschrittlichkeit der Aufklärung galt: Wenn die marxistischen Wissenschaftler die Ebene sehr allgemeiner Deklarationen ihrer engen Beziehung zu fortschrittlichen Traditionen verließen und sich auf die Ebene detaillierter Beschreibungen der ganzen Epoche und einzelner Persönlichkeiten begaben, stießen sie auf eine ganze Reihe unterschiedlichster Einschränkungen, die ein vollauf positives Bild verhinderten. Bogusław Leśnodorski, der von allen marxistischen Historikern dieses Zeitraums sicherlich am meisten

124 Bolesław Bierut: O Konstytucji Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej. Konstytucja Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej, Warszawa 1954, S. 37. 125 Adam Rapacki: [ohne Titel], in: PH 1951, S. 3. 126 Vgl. Bogusław Leśnodorski (Hg.): Kuźnica Kołłątajowska, Wrocław 1949; Bogusław Leśnodorski (Hg.): Hugo Kołłątaj: Wybór pism politycznych, Wrocław 1952; Bogusław Leśnodorski/Helena Wereszycka (Hg.): Hugo Kołłątaj: Listy Anonima i prawo polityczne narodu polskiego, Kraków 1954; Kazimierz Opałek (Hg.): Józef Wybicki: Listy patriotyczne, Wrocław 1955; Stefan Czarnowski/Bogusław Leśnodorski (Hg.): Stanisław Staszic: Uwagi nad życiem Jana Zamoyskiego, Wrocław 1952. 127 Władysław Smoleński: Kuźnica Kołłątajowska. Studium historyczne, Warszawa 1949. 128 Żanna Kormanowa: Przedmowa, in: ebd., S. 11.

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geleistet hat (sowohl quantitativ wie auch intellektuell), stellte fest, dass »das breit verstandene Fortschrittslager in Hinsicht auf seinen Klassencharakter nicht einheitlich war, ebenso wie die polnische Aufklärung«.129 Diese Uneinheitlichkeit habe zu einem ungenügenden Radikalismus der polnischen Aufklärungsideologen geführt, denen zufolge »dem fortschrittlichen Teil des Adels […] die Rolle des Hegemons einer ›sanften Revolution‹ zufallen sollte, der andere Gesellschaftsgruppen in ihrem Kampf gegen den auf alten Positionen verharrenden Feind mit sich zu ziehen habe. In Kołłątajs Ideologie sehen wir eine Verallgemeinerung dieser Bestrebungen, wobei wir ein aufs andere Mal – was von Vornherein zu erwarten ist – auf Widersprüche stoßen, die aus […] der Annahme herrühren, dass man die Elemente der bürgerlich-demokratischen Revolution in einen vor Antagonismen sprudelnden Kessel des Feudalismus stecken kann.«130

Im zweiten Band der »Entwürfe« bewertete Celina Bobińska sowohl die »weltliche« Aufklärung wie auch die aufgeklärte Historiographie positiv. Kołłątaj und Staszic hätten »gegen die theologische Geschichte gekämpft«, und die historischen Arbeiten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hätten den Übergang zu einer neuen Epoche unterstützt: »Der ›Historismus‹ feierte in dem sich ausbildenden Bewusstsein der bourgeoisen Nation Triumphe, die in den fortschrittlichen Traditionen der Vergangenheit, vor allem in der polnischen Renaissance, die Bestätigung ihres antifeudalen Kampfes suchte.«131 Der »Meister« dieses fortschrittlichen Historismus war nach Bobińska Adam Naruszewicz: »ein großer Historiker und Praktiker wurde geboren, ein Gelehrter im besten Sinne dieses Wortes.«132 Auch Jan Baszkiewicz beurteilte die Rolle der aufgeklärten Historiographie positiv und hob ihren Praxisbezug hervor, ihre patriotische und – zugleich – fortschrittliche Tendenz, die es ihr erlaubt hätten u. a. die Fortschrittlichkeit der Bemühungen um die Vereinigung des polnischen Staates im 13. und 14. Jahrhundert richtig darzustellen.133 Die marxistischen Wissenschaftler bemerkten, dass die Historiographie der Aufklärung weltlich war, »befreit von theologischen Bindungen«.134 Nicht nur

129 Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały do nauki historii Polski. Historia Polski od wspólnoty pierwotnej do drugiej połowy XVIII wieku (Stenogramy wykładów wygłoszonych na Wieczorowym Uniwersytecie Marksizmu-Leninizmu przy Domu Wojska Polskiego w Warszawie), Warszawa 1953, S. 139. 130 Bogusław Leśnodorski/Kazimierz Opałek: Nauka polskiego Oświecenia w walce o postęp, Warszawa 1951, S. 92. 131 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia Polski. Makieta, Warszawa 1958, Bd. 2, S. 303. 132 Ebd. 133 Jan Baszkiewicz: Powstanie zjednoczonego państwa polskiego na przełomie XIII i XIV wieku, Warszawa 1954, S. 6 f. 134 Vgl. Marian Henryk Serejski: Zarys historii historiografii polskiej, T. I (od poł. XVIII w. do roku ok. 1860), Łódź 1954, S. 14.

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Staszic oder Kołłątaj, sondern auch Naruszewicz »sprach sich entschieden gegen die theokratischen Anmaßungen Roms aus«.135 Mit der Verweltlichung der Geschichte seien Versuche einhergegangen, den sozialen Gegenstand der Geschichte zu verändern. Die über die Aufklärung forschenden Wissenschaftler betonten, man habe damals damit begonnen, die Geschichte der Nation zu schreiben, die als Gemeinschaft verschiedener gesellschaftlicher Klassen verstanden worden sei, »nicht nur als Adel, Könige, Hof und Krieger«.136 Eine fortschrittliche Bedeutung hatten nach Meinung der marxistischen Historiker auch die Theorien über eine Invasion, die dem Beginn des polnischen Staates zugrundeliegen sollte. Celina Bobińska dachte diese These auf sehr interessante Weise weiter, indem sie ihre Quellengrundlagen und die Einschätzung ihrer Wahrscheinlichkeit von der politischen Bedeutung unterschied, die sie positiv einschätzte: »Besonders oft hat man im politischen Kampf die Invasionstheorie im Munde geführt […]. Um zu belegen, dass die Privilegien des Adels und die Ausbeutung der Bauern auf Gewalttaten und Ungerechtigkeit basieren, verteidigten diese Schriftsteller [Naruszewicz, Kołłątaj, Jezierski, M. G.] die Konzeption, dass der Adel und die Magnaten Nachfahren der Usurpatoren und Eroberer seien, die einst in die polnischen Lande eingefallen seien und die autochthone Landbevölkerung unterworfen hätten.«137

Bobińskas Einschätzung stimmt voll und ganz mit Marian Serejskis Thesen in seinem 1954 veröffentlichten Buch Zarys historii historiografii polskiej [Abriss der Geschichte der polnischen Historiographie] überein.138 Eine so entschiedene Unterstützung der »objektiv fortschrittlichen« Rolle der Invasionstheorie war für die marxistische Historiographie höchst untypisch. Das Lob Adam Naruszewiczs für den geschickten Gebrauch eines historischen Arguments (mit dessen Richtigkeit man sich nicht weiter beschäftigte) im Kampf um soziale Gleichheit hatte noch ein anderes, recht großes Hindernis zu bewältigen. Naruszewicz nämlich hatte, da er sich der Quellenbasis des über die älteste Geschichte (also auch über die Invasion) berichtenden Teils seiner Darstellung nicht sicher war, die Veröffentlichung des ersten Bands herausgezögert. Das Buch erschien erst posthum, in den 1820er Jahren, sein Einfluss auf die politischen Debatten der polnischen Aufklärung konnte also nicht groß gewesen sein.139 Das positive Urteil über Naruszewiczs Ansichten beinhaltete auch Sympathien für den aufgeklärten Absolutismus. Es hat jedoch den Anschein, dass weniger wichtig war, was Naruszewicz unterstützte, sondern vielmehr, wem er dieses Etwas entgegenstellte. Marian Serejski schrieb, dass die aufgeklärten Historiker

135 Ebd., S. 33. 136 Ebd., S. 28. 137 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, Bd. 2, a. a. O., S. 303. 138 Marian Henryk Serejski: Zarys, a. a. O., S. 28. 139 Andrzej Feliks Grabski: Zarys, a. a. O., S. 74.

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»in einer starken Monarchie ein Bollwerk gegen die Machenschaften der Magnaten sahen […] und einen Bündnispartner im Kampf um soziale Reformen«.140 Ein übergeordneter Wert war also der Widerstand der Aufklärer gegen das bestehende politische und gesellschaftliche System der Rzeczpospolita. Die aufgeklärten Monarchen insgesamt erfreuten sich jedoch nicht der Anerkennung durch die polnischen Marxisten. Władysław Rusiński schrieb in den »Entwürfen«, dass den aufgeklärten Reformen »das Bestreben zugrundelag, den Zerfall der Monarchie zu bremsen […]. Es handelte sich zugleich darum, die wachsende Unruhe der bäuerlichen Massen zu entladen«, weshalb »die absolute Monarchie danach strebte, die ihrem Untergang entgegengehende Feudalordnung aufrechtzuerhalten, die Klasseninteressen der Feudalherren zu sichern«.141

Trotz aller positiven Aspekte, die man im Schaffen der Aufklärer erkannte, und obwohl all jene ihrer Ansichten ignoriert wurden, die das Urteil Naruszewiczs, Staszic’ oder Kołłątajs negativ hätten beeinflussen können, war das endgültige Urteil der marxistischen Historiographie in dieser Angelegenheit zweideutig. Naruszewicz »verstand [zwar] den Reformbedarf und war teilweise von neuen Ideen durchdrungen, brach aber nicht mit der feudalen Tradition und knüpfte als Historiograph an sie an, […] denn er dachte nicht an eine grundlegende soziale Umgestaltung des feudalen Polen«.142 Daher rühre seine »ideologische Dualität«.143 Marian Serejski, der in seinem Zarys historii historiografii polskiej die Ansichten der behandelten Historiker analysierte, fügte hinzu, Naruszewicz sei kein Anhänger der religiösen Toleranz gewesen und habe trotz seiner Kritik an den sozialen Verhältnissen Ständeunterschiede für begründet gehalten.144 Kritisch fiel auch Serejskis Bewertung der am häufigsten genannten und höchstgeschätzten Ideologen der polnischen Aufklärung, Stanisław Staszic und Hugo Kołłątaj, aus. Beide »griffen aus der Position des fortschrittlichen adlig-bürgerlichen Lagers die ständische Exklusivität, die Benachteiligung des Bürgertums und die Unterdrückung der Bauern an, wobei sie der Magnatenoligarchie und ihrer verräterischen und egoistischen Politik besonders scharf vorwarfen, das Land in den Abgrund zu führen«.145

Gleichzeitig aber galt:

140 Marian Henryk Serejski: Zarys, a. a. O., S. 29. 141 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 279 und 283. 142 Marian Henryk Serejski: Zarys, a. a. O., S. 32. 143 Ebd. 144 Ebd., S. 34 und 36. 145 Ebd, S. 43.

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»Trotz seiner fortschrittlichen methodologischen Basis, materialistischen Tendenzen und vieler zutreffender Bemerkungen wich Kołłątaj, wenn es um die Betrachtung einzelner konkreter historischer Fakten ging, von seinen theoretischen Postulaten ab und errichtete viele seiner Hypothesen auf völlig willkürlichen Grundlagen.«146

Daraus ist zu entnehmen, dass die fortschrittliche Theorie in der wissenschaftlichen Arbeitspraxis der polnischen aufgeklärten Historiker nicht immer zur Geltung kam. Zwischen den Ansichten verschiedener marxistischer Wissenschaftler über die Rolle der polnischen Historiographie der Aufklärung sind unschwer erhebliche Unterschiede zu erkennen. Während Marian Serejski nicht nur in den Arbeiten Naruszewiczs, sondern auch Staszic’ und Kołłątajs eine Reihe gravierender Fehler ideologischer und wissenschaftlicher Natur fand, sprach Celina Bobińska fast durchweg mit Begeisterung über sie. Die meisten marxistischen Einleitungen zu den in den 1950er Jahren veröffentlichten Werken der Aufklärungsideologen machten so wie Serejskis Arbeit auf die Unzulänglichkeiten der Denker des 18. Jahrhunderts aufmerksam. Die polnischen Reformatoren, Denker und Politiker »konnten die Grenzen nicht verlassen, die ihnen ihre eigene Epoche gesetzt hatte«, stellte Bogusław Leśnodorski fest.147 Kazimierz Opałek sekundierte ihm, indem er schrieb, dass beispielsweise »die ökonomischen Konzepte [Józef] Wybickis unter den polnischen Bedingungen eine klar fortschrittliche Aussage haben, während sie in einigen Ländern des entwickelten Kapitalismus schon damals veraltet gewesen waren«.148 Bobińska schien diese »Einschränkungen« nicht zu sehen oder sie bagatellisierte sie. Eine Ursache dieser Meinungsverschiedenheiten liegt wohl in dem unterschiedlichen geschichtswissenschaftlichen Gewicht der Arbeiten. Serejski, Opałek oder Leśnodorski führten eine Textanalysen durch und waren schon deshalb den behandelten Denkern gegenüber kritischer eingestellt. Bobińska vertiefte sich hingegen inhaltlich nicht allzu sehr in die Ausführungen jener Persönlichkeiten, die sie als fortschrittliches Erbe der polnischen Nation betrachtete. Auf der anderen Seite aber konnte eine solche Ansicht die Historikerin selbst in ein schlechtes Licht rücken. Schon 1950 veröffentlichte Bobińska in der Historischen Rundschau PH den Artikel St. Staszic i A. Radiszczew wobec kwestii społeczno – gospodarczych (próba porównania historycznego) [St. Staszic und A. Radiščev über soziale und wirtschaftliche Fragen (Versuch eines historischen Vergleichs)], in dem sie die Ansichten Staszic’ und des russischen Denkers Aleksandr Nikolaevič Radiščev verglich. Die Autorin konstatierte bei beiden denselben aufgeklärten Kritizismus und bescheinigte ihren Büchern – Путешествие

146 Ebd., S. 44. 147 Bogusław Leśnodorski: Wstęp, in: Hugo Kołłątaj: Listy, a. a. O., S. 11. 148 Kazimierz Opałek: Wstęp, in: Józef Wybicki: Listy, a. a. O., S. IX.

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из Петербурга в Москву [Eine Reise von Petersburg nach Moskau] von Radiščev und Przestrogi dla Polski [Warnungen an Polen] von Staszic – sie stellten »politische Propaganda im besten Sinne des Wortes dar«, »beide Bücher zeichnet ein Patriotismus in der ganzen fortschrittlichen Bedeutung dieses Wortes aus«149), doch Staszic falle in der Radikalität, mit der er die sozialen Konflikte dargestellt habe, hinter Radiščev zurück: »Wenn Staszic die bösen Herren den guten Reformatoren gegenüberstellt […] so klagt Radiščev die ganze russische Adelsklasse an.«150 Anders als der Pole führe Radiščev »das Recht der revolutionären Vergeltung […] konsequent bis zur Verkündung einer bäuerlichen Revolution«.151 Die Schlussfolgerung des Artikels ist weit von einer Apotheose der polnischen Aufklärung entfernt: »Unsere adlig-liberale Reformbewegung […] war auf dem Boden der unreifen Klassenverhältnisse in Polen fortschrittlich. Gleichzeitig war sie aber selbst Ergebnis und Reflex dieser unreifen Verhältnisse.«152 Die Tatsache, dass Bobińska die polnische Aufklärung positiver bewertete als andere Forscher, ist auf die von ihr übernommene übergreifende Annahme zurückzuführen, dass kleinere Vorbehalte gegenüber der Fortschrittlichkeit von Naruszewicz, Kołłątaj oder Staszic an Bedeutung verlören. Diese übergreifende These scheint in der Behauptung auf, dass die Aufklärung »der einzige Zeitraum unserer Geschichte ist, in dem die polnische Bourgeoisie ein fortschrittlicher Faktor für die Entwicklung der Nation ist und in dem sie versucht, sie zu leiten, was im 19. und 20. Jahrhundert nicht mehr zu erkennen ist«.153 Die Lücken der Historiographie oder auch das politische Denken der polnischen Aufklärung verblassten angesichts der Annahme, dass Naruszewicz, selbst wenn er sehr große Distanz zum Radikalismus gehabt und »lediglich« angestrebt habe, die feudalen Relikte zu stärken und die Lage der Bürger zu verbessern, er »objektiv« zugunsten der Nation, also auch im Interesse des arbeitenden Volkes gehandelt habe. Bobińskas Stellung innerhalb der Historikerschaft verhinderte eine scharfe Kritik ihrer riskanten Thesen, dennoch wurden in ihrer Anwesenheit auch entgegengesetzte Ansichten geäußert. Während der Kołłątaj-Tagung machte Witold Zakrzewski darauf aufmerksam, dass es

149 Celina Bobińska: St. Staszic i A. Radiszczew wobec kwestii społeczno – gospodarczych (próba porównania historycznego), in: PH 1950, S. 207. 150 Ebd., S. 220. 151 Ebd., S. 225. 152 Ebd., S. 232. 153 Celina Bobińska: Periodyzacja epoki kapitalizmu (r. 1740). Charakter patriotyzmu burżuazyjnego w czasach stanisławowskich. Rewolucja a walki narodowo-wyzwoleńcze, in: Stanisław Herbst/ Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 102.

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»in unserer spezifischen Lage ein Fehler wäre, davon auszugehen, dass Fortschritt bis zum Sieg des Kapitalismus das ist, was dem Kapitalismus dient und dass jeder Angriff der unterdrückten Massen auf die Bourgeoisie reaktionär ist, weil er die Entwicklung des Überbaus hemmt, der der neuen kapitalistischen Basis dient. […] Reformismus im kapitalistischen System«, fügte er hinzu, »dient der Verstetigung des Kapitalismus«.154

Bobińska reagierte auf diese Kritik und stellte die »Schwäche, Unreife unseres Jakobinismus« fest. Sie gab jedoch zu, es habe in der Zeit des Kościuszko-Aufstands keinen »reifen revolutionären Gedanken, keine Theorie einer selbständigen revolutionären Rolle der Volksmassen in der Geschichte der Nation« gegeben.155

Joachim Lelewel und die polnische Historiographie der Romantik Die meisten marxistischen Arbeiten über Leben und Werk Joachim Lelewels behandelten sowohl sein politisches wie auch sein wissenschaftliches Wirken. Marian Serejski betonte: »Wenn man die politischen und sozialen Ansichten Lelewels erörtert, kann man sie nicht von seiner Geschichtsphilosophie lösen, mit der sie eng verbunden waren.«156 Zu Beginn der Nachkriegszeit herrschte in marxistischen Veröffentlichungen ein schmeichelhafter Ton über den polnischen Demokraten vor. In der zweiten Auflage der Broschüre Joachim Lelewel fragte Żanna Kormanowa 1946: »Nimmt es also Wunder, dass wir heute, wo wir in einer Stunde der historischen Gefahr wieder eine Bilanz der polnischen Errungenschaften aufstellen, wo wir Ansporn und Trost, Kampfkraft und Glauben an den Sieg suchen, den ehrwürdigen Namen Joachim Lelewels auf den Pfad unserer Vergangenheit stellen, in eine Reihe mit den großen polnischen Namen. Was Wunder, dass wir seine Arbeit und sein Leben einer großen Zahl von Polen in Erinnerung rufen wollen, als Vorbild, das in vielerlei Hinsicht nachahmenswert ist, als Vorbild eines Staatsbürgers und Demokraten, eines Gelehrten, Menschen und Polen, dessen wir uns in jeder Hinsicht rühmen können?«157

Mit den positiven Urteilen über den Historiker gingen Wiederauflagen seiner Schriften einher. Eine Auswahl von Lelewels politischen Abhandlungen erschien 1954, und zur selben Zeit wurde am Institut für Geschichte der PAN auch mit den Vorbereitungen für die Herausgabe seiner gesammelten Werke begonnen (die 1961 zum 100. Todestag des Historikers erscheinen sollten). Die Forschergruppe, der u. a. Żanna Kormanowa, Nina Assorodobraj, Tadeusz Manteuffel, Stefan Kieniewicz

154 Witold Zakrzewski: [ohne Titel], in: PH 1951, S. 234. 155 Celina Bobińska: [ohne Titel], in: PH 1951, S. 272 f. 156 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Joachim Lelewel: Wybór pism politycznych, Warszawa 1954, S. XL. 157 Żanna Kormanowa: Joachim Lelewel, Warszawa 1946, S. 6.

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und Marian Serejski angehörten, wurde im Oktober 1954 von Stanisław Sieradzki darüber informiert, dass »die politischen Stellen positiv zu einer Herausgabe von Lelewels Werken eingestellt sind«.158 Die Begeisterung mancher Teilnehmer an der Sitzung war so groß, dass man sogar vorschlug, einen Teil von Lelewels Werken in anderen Sprachen zu veröffentlichen. Żanna Kormanowa meinte, dadurch würde »Lelewel das polnische Denken und das polnische wissenschaftliche Wort in alle Länder des fortschrittlichen Lagers tragen«.159 Joachim Lelewel war auch einer der Helden des Mickiewicz-Jahres (1955). Für die geladenen Teilnehmer der aus diesem Anlass stattfindenden wissenschaftlichen Tagung wurde Nina Assorodobrajs Arbeit Założenia teoretyczne historiografii Lelewela [Die theoretischen Grundlagen von Lelewels Historiographie] vervielfältigt.160 In den letzten Worten ihrer Arbeit unternimmt die Autorin einen sehr interessanten Versuch, den Historiker in die Abfolge der fortschrittlichen Traditionen einzuordnen: »Nachdem Lelewel seine erste Geschichtstheorie geschrieben hat, die ›Historyka‹, bringt er die Handschrift seines Frühwerks dem bereits bettlägerigen Kołłątaj und wartet gespannt auf seine Meinung. Edward Dembowski schaut auf einer politischen Auslandsreise für einen Tag in Brüssel vorbei, um mit dem ›betagten Greis‹ Lelewel ein langes Gespräch zu führen […]. Diese Fakten werden zu einem Symbol für die Kontinuität der Entwicklungsetappen der revolutionären Ideologie und der theoretischen Kontinuität der Bemühungen«.161

Lelewel wurde als »kämpferischer« Historiker dargestellt: »Ein aufrichtiger Demokrat und Republikaner, ein führender Ideologe des antifeudalen Lagers und Theoretiker des polnischen nationalen Befreiungskampfes«162, der »die Idee von der ewigen Dauer der privaten Produktionsmittel ablehnt, […] die Neutralität gegenüber dem Leben leugnet, er nimmt ihm gegenüber eine kämpferische, patriotische und internationalistische Haltung ein«.163

Die Ablehnung der ewigen Dauer der privaten Produktionsmittel, also die These von dem ursprünglichen, demokratischen, slawischen gminowładztwo (Volksregierung), wurde so, analog zu Naruszewiczs Theorie von der normannischen Unterwerfung, aus den gesamten Ansichten des Historikers herausgelöst und als objektiv« fortschrittlich anerkannt. (In Parenthese gesagt – Marian Serejski 158 Rps BUW, Spuścizna Niny Assorodobraj, V/2, Protokół z zebrania dnia 14 X 1954 r. w IH poświęconego omówieniu zbiorowego wydania dzieł Lelewela (protokołowała Halina Winnicka). 159 Ebd. 160 Nina Assorodobraj: Założenia teoretyczne historiografii Lelewela, Warszawa – Dezember 1955. 161 Ebd., S. 23 f. 162 [Witold Łukaszewicz] in: Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia Polski. Makieta, Bd. 2, T. II, S. 324. 163 Marian Henryk Serejski: Tradycje historiografii polskiej, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/ Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 124.

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zufolge war einer der Vorzüge von Lelewels geschichtsphilosophischem Konzept die Ablehnung der Unterwerfungstheorie, wodurch er zur »Festigung der Theorie vom autochthonen Charakter der Slawen in polnischen Landen« beigetragen habe.164) Witold Łukaszewicz drückte diesen Gedanken unmissverständlicher aus: »Die Theorie des ursprünglichen gminowładztwo […] ergab sich aus einer fehlerhaften Analyse des Zerfalls der ursprünglichen Gemeinschaft und des Entstehens der Klassen […] dennoch war sie ein wichtiger Faktor im Kampf um die demokratische Umwandlung Polens«.165 Diese geschichtsphilosophische Theorie sei auf Lelewels Interesse für die Bauernfrage zurückzuführen. Besonders stark hob das Gewicht seiner diesbezüglichen Ansichten Żanna Kormanowa in der bereits zitierten Broschüre von 1946 hervor: »An Lelewels Grab fehlte nur die Stimme des polnischen Bauern. Seiner Rechte und seines Eigentums beraubt, konnte er noch nicht dem Mann danken, der im Laufe seines ganzen langen Lebens dafür gekämpft hatte, die jahrhundertealte Benachteiligung des Landmanns zu beseitigen. […] Das moderne demokratische Denken in Polen, das von der Notwendigkeit eines Umbaus des Agrarsystems überzeugt ist, hat im Julimanifest des PKWN [von 1944, M. G.] eine Landreform gefordert und in tiefem Glauben Lelewel zitiert: ›Ohne [diese Reform, M. G.] wird Polen nicht auferstehen‹.«166

Die Marxisten rühmten besonders den Internationalismus in Lelewels Schaffen. Er »verstand die revolutionäre Bedeutung der internationalen Völkersolidarität bestens«.167 Der Historiker habe keinerlei Vorbehalte gegenüber anderen Nationen gehabt. »Was Deutschland angeht, so zog Lelewel eine strikte Grenze zwischen den Bestrebungen der Nation und der Regierungspolitik sowie den Machenschaften der Dynastien.«168 Von dieser Feststellung weicht die Meinung ein wenig ab, die Ewa Maleczyńska über Lelewels Ansichten zu den deutsch-polnischen Beziehungen formulierte. Lelewel sei zwar insgesamt sehr fortschrittlich gewesen, doch konnte er eine Verzerrung der Sichtweise auf die deutsch-polnischen Beziehungen nicht vermeiden«.169 Dennoch »blieb sein Standpunkt […] viel fortschrittlicher als der, auf dem die polnische Historiographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beharrte – zur Zeit der Blüte des Kapitalismus«.170 Besonders nahe hätten ihm aber die slawischen Nationen gestanden. Kormanowa

164 Marian Henryk Serejski: Joachim Lelewel. Z dziejów postępowej myśli historycznej, Warszawa 1953, S. 86. 165 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 341. 166 Żanna Kormanowa: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 89 und 91. 167 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 195. 168 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Joachim Lelewel: Wybór, a. a. O., S. XXXV. 169 Ewa Maleczyńska: Problem polsko-niemiecki w dotychczasowej historiografii polskiej, in: Historiografia polska, a. a. O., S. 5. 170 Ebd., S. 6.

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machte in diesem Kontext auf Lelewels Kontakte zu russischen Revolutionären, insbesondere zu Bakunin, aufmerksam.171 Je intensiver man Lelewels Ansichten jedoch analysierte, desto weniger enthusiastisch wurden die Auffassungen der marxistischen Historiographie über ihn. Marian Serejski wusste zwar Lelewels Kritik der Aristokratie zu schätzen, ebenso wie die seiner Ansicht nach prinzipiell richtige Unterteilung der Feudalklasse in die reaktionären höheren Klassen sowie den milder beurteilten Kleinadel, doch konnte er die Thesen des Historikers über die Urwüchsigkeit der polnischen Demokratie nicht ignorieren. Diese These sei, so Serejski, »das Ergebnis eines idealistischen Verständnisses des historischen Prozesses«.172 Die »Adelsdemokratie« war in Lelewels Geschichtsphilosophie aber die logische Konsequenz aus der demokratischen Genese der Slawenheit. Der Zusammenhang, der zwischen slawischem gminowładztwo und adligem gminowładztwo bestand, führte Marian Serejski, der Lelewels Nachlass gründlich erforschte, zu einer analogen Einschätzung der »objektiven« Rolle beider Phänomene. So wie im Fall der ersten These habe nicht sie selbst fortschrittliche Bedeutung gehabt, sondern die indirekte Ablehnung des Gedankens von der ewigen Dauer der privaten Produktionsmittel, so wie bei der Adelsdemokratie Lelewels Gedanke »in der damaligen Phase den antifeudalen, fortschrittlichen Bestrebungen« gedient habe.173 Hier aber sei die Fortschrittlichkeit dieser Idee durch den Widerspruch zu den übergeordneten Ideen stark beeinträchtigt worden. Wie Serejski an anderer Stelle zugibt: »Von der ›Adelsdemokratie‹ angeregt, vermochte Lelewel nicht, ihren tatsächlichen gesellschaftlichen Gehalt zu erkennen. […] Er verschloss die Augen vor der Habgier der polnischen Feudalherren, vor der Rolle der Großgrundbesitzer und der Unterdrückung der breiten Massen, und er rühmte ›freiwillige Bündnisse der Nationen‹ und die historische ›Sendung‹ Polens, freiheitliche Ideale im Osten zu verbreiten.«174

Unverzeihlich schienen die Ansichten des Historikers in der ukrainischen Frage, die in den Augen der marxistischen Historiographen die Thesen vom adligen gminowładztwo herabwürdigten. »Durch seine Verherrlichung des adligen ›gminowładztwo‹ glitt Lelewel bei der Bewertung der Union [Polens mit Litauen, M. G.] auf einen Standpunkt ab, der weit von der objektiven Wahrheit entfernt war«,175 schreibt Marian Serejski, um an anderer Stelle präziser zu urteilen, dass Lelewel »nicht verstand, dass nur die Anerkennung der Rechte von Ukrainern und Weißrussen eine eigenständige nationale Entwicklung der polnischen

171 Żanna Kormanowa: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 78. 172 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Joachim Lelewel: Wybór, a. a. O., S. XXXIII und XLII f. 173 Ebd., S. XLIII. 174 Ders.: Zarys, a. a. O., S. 85. 175 Ders.: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 97.

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Revolutionsbewegung und die volle Unterstützung von Seiten der revolutionären Bewegungen Russlands, der Ukraine und Weißrusslands hätte einbringen können«.176 Ein ähnliches Unverständnis legte Lelewel nach Auffassung der marxistischen Historiker in seinem Urteil über die galizische Bauernrevolte (rabacja) an den Tag, also über die pro-habsburgische Bauernbewegung gegen den aufständischen galizischen Adel.177 Diese Feststellung führte wiederum dazu, dass man die Fortschrittlichkeit seiner Ansichten in der Bauernfrage in Zweifel zog. Als Witold Łukaszewicz die Ideen und das Schicksal von Tadeusz Krępowiecki beschrieb, eines Politikers, dessen Ansichten radikaler waren als diejenigen Lelewels, war er Lelewel gegenüber bezeichnenderweise viel strenger als die Autoren, die sich auf die Geschichte der polnischen Historiographie konzentrierten: »In Lelewels Programm eines nationalen Befreiungskampfes […] überwog das ständische Interesse des Adels deutlich das des gemeinen Volkes, auch wenn es sich hinter einer attraktiven Propaganda durch Broschüren, Presse und verbale Äußerungen verbarg«.178 Auf der anderen Seite unterstrich Marian Serejski, Lelewel sei »der Sänger des Landvolkes«, was ihm jedoch den Vorwurf einbrachte, er habe die fortschrittliche Rolle der Städte nicht gewürdigt.179 Für die marxistische Analyse historischer Persönlichkeiten war weiterhin sehr wichtig, wie sich andere Personen und politische Gruppierungen ihnen gegenüber geäußert hatten, die von der neueren Historiographie bereits beurteilt worden waren. Joachim Lelewel bildete hierbei keine Ausnahme. Häufig bagatellisierte man in Texten der 1950er Jahre die Meinungsverschiedenheiten und Konflikte zwischen Lelewel und den radikalen Emigrationsorganisationen wie etwa der Polnischen Demokratischen Gesellschaft (Polskie Towarzystwo Demokratyczne, TDP) oder den Scharen des Polnischen Volkes (Gromady Ludu Polskiego). Marian Serejski hob hervor, beide Strömungen der polnischen demokratischen Bewegung hätten gemeinsame Gegner gehabt: »Gruppierungen, die in ihren Programmen ›liberale‹ Sozialreformen von oben forderten und mit den westeuropäischen Höfen zusammenarbeiteten, wie auch die extrem reaktionäre magnatisch-feudale Gruppierung, die zu Kompromissen mit den Regierungen der Teilungsmächten bereit waren«.180 Die Legitimation des Historikers stieg oftmals schon dadurch, dass man daran erinnerte, wie positiv Karl Marx und Friedrich Engels ihm gegenüber eingestellt waren. Lelewel soll eine ideologische Evolution durchgemacht haben,

176 Ders.: Wstęp, in: Joachim Lelewel, Wybór, a. a. O., S. XXVIII. 177 Ebd., S. XXIX. 178 Witold Łukaszewicz: Tadeusz Krępowiecki. Żołnierz rewolucjonista, Warszawa 1954, S. 37. 179 Marian Henryk Serejski: Próba charakterystyki ideologicznej postawy J. Lelewela jako historyka, in: PH 1950, S. 61 f. 180 Ders.: Wstęp, in: Joachim Lelewel: Wybór, a. a. O., S. XXII.

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die »diesen bedeutenden Ideologen 1848 zur Zusammenarbeit mit Marx und Engels führte«, schreibt Witold Łukaszewicz.181 Sowohl Marx als auch Engels hätten den polnischen Historiker aus verschiedenen Gründen geschätzt. Nach Łukaszewicz gefiel Marx, dass ihn die Arbeiten des Historikers an seine eigenen geschichtsphilosophischen Konzeptionen erinnert hätten: »Lelewel erkannte als erster polnischer Historiker den Klassenkampf als Schlüssel zum Verständnis des historischen Prozesses.«182 Dennoch galt, wie Marian Serejski hinzufügt: »Auch wenn Lelewel direkten Kontakt mit Marx und Engels hatte, übernahm er von ihnen weder die materialistische Philosophie noch die Lehre von der Gesetzmäßigkeit der sozialen Entwicklung der Menschheit«.183 Serejski erläuterte die Frage der Theorie des Klassenkampfes in Lelewels Werken genauer und machte auf ihre idealistischen Fundamente und ihre nur partielle Ähnlichkeit zu den Grundannahmen der Doktrin des Historischen Materialismus aufmerksam.184 Nicht weniger wichtig als das Lob von Marx und Engels war für die Einschätzung Lelewels die Kritik, die der Historiker von Seiten der Vertreter der Krakauer Schule erntete. Die Krakauer Schule wurde in der Regel schlecht beurteilt, weshalb ihre Angriffe auf Lelewel indirekt dafür sprachen, ihn als fortschrittlich anzuerkennen. Lelewel stand »als Fahnenträger der Linken unter dem Beschuss aller rücksständigen Kräfte«.185 Laut Adam Schaff war Lelewel in den Augen der Konservativen wie auch der Warschauer Positivisten als »Demokrat und Revolutionär« ein ernstzunehmender Gegner.186 Bobrzyński oder Szujski beabsichtigten eine »Abrechnung mit der Lelewel’schen Richtung, insbesondere mit seinem Republikanismus, Liberalismus und revolutionären Patriotismus«.187 Zwar war der Liberalismus kein Wert, der von der marxistischen Historiographie propagiert wurde, doch war die Bezeichnung »revolutionärer Patriotismus« bereits ein entschiedenes Lob für Lelewels Ideologie. Marian Serejski führte seine Gedanken über die Beziehungen zwischen der Krakauer Schule und dem romantischen Historiker weiter aus und griff sogar zu einer rhetorischen Formulierung, die aus Lelewel eine erstrangige Quelle fortschrittlicher Traditionen machte: »Man könnte die Behauptung riskieren, dass die Haltung späterer Historiker zu dieser Tradition gewissermaßen ein Kriterium ihrer Fortschrittlichkeit darstellte.«188

181 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 341. 182 Witold Łukaszewicz: Tadeusz Krępowiecki, a. a. O., S. 36. 183 Marian Henryk Serejski: Zarys, a. a. O., S. 78. 184 Ebd., S. 79. Vgl. auch ders.: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 11 f. 185 Ders.: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 32. 186 Adam Schaff: Obiektywny charakter praw historii. Z zagadnień marksistowskiej metodologii historiografii, Warszawa 1955, S. 228. 187 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Władysław Smoleński: Szkoły, a. a. O., S. LXXXIX. 188 Ders.: Tradycje historiografii polskiej, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 125.

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Der Großteil der marxistischen Arbeiten über Joachim Lelewels Werk kopiert dieses uneinheitliche Bild des Historikers, der zweifellos fortschrittlich, dabei aber zugleich ideologisch beschränkt war. Trotz anfänglicher Beteuerungen, man könne das historische Schaffen und das politische Wirken Lelewels nicht voneinander trennen, ist eine solche Zweiteilung in einen fortschrittlicheren Historiker und Denker einerseits und einen weniger fortschrittlichen Politiker andererseits in marxistischen Arbeiten fast überall anzutreffen. Während die geschichtsphilosophischen Ansichten Lelewels in eine politische Sprache übertragen wurden (wie im Fall der »fortschrittlichen Rolle«, die die Theorie vom ursprünglichen slawischen gminowładztwo gespielt habe), ließen sich konkrete Entscheidungen des demokratischen Politikers nicht mehr auf ähnliche Weise als Ausdruck geschichtsphilosophischer Theorien uminterpretieren. Während des Novemberaufstands schwankte Lelewel. Józef Dutkiewicz hob dessen Abneigung hervor, das revolutionäre Aufbegehren des Volkes zu unterstützen, und schilderte seine freiwillig übernommene Rolle eines Vermittlers zwischen Sejm und Plebs. Seiner Meinung nach habe Lelewel sich darauf konzentriert, die gesellschaftlichen Stimmungen zu »beruhigen« und die Möglichkeit zum Ausbruch einer »richtigen« Revolution beizulegen.189 Eine ähnlich kritische Einschätzung Lelewels findet sich in Celina Bobińskas Buch Marks i Engels a sprawy polskie do osiemdziesiątych lat XIX wieku [Marx, Engels und die polnische Frage bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts].190 Sie schreibt: »Der als politischer Praktiker unentschlossene Lelewel, der, mit liberalem Opportunismus belastet, in den Fragen des Klassenkampfes zum Verschleiern der Gegensätze neigte, wich hier dem Denker und Theoretiker Lelewel.«191 Entgegen der in diesem Satz enthaltenen Anspielung ist das Urteil über das theoretische Werk des Historikers in diesem Buch gar nicht positiver als das Urteil über sein politisches Handeln. Bobińska zufolge verdient Lelewel nur deshalb Lob, weil sich »durch dessen Werke […] die soziale Frage, und zwar die Bauernfrage, wie ein roter Faden hindurchzieht«.192 Die Konzeption des gminowładztwo ist nach Auffassung der Wissenschaftlerin von Idealismus befleckt, die Theorie des adligen Republikanismus sei ahistorisch.193 Celina Bobińska geht in ihrer Kritik an Lelewel so weit, dass sie die Autorität der Klassiker bestreitet, 189 Józef Dutkiewicz: Ewolucja lewicy w powstaniu listopadowym, in: Stefan Kieniewicz/Izabela Bieżuńska-Małowist/Antoni Mączak (Hg.): Z epoki Mickiewicza. Zeszyt specjalny »Przeglądu Historycznego« w rocznicę śmierci Adama Mickiewicza 1855–1955, Wrocław 1956, S. 58. 190 Celina Bobińska: Marks i Engels a sprawy polskie do osiemdziesiątych lat XIX wieku, Warszawa 1954. Die deutsche Übersetzung von Rudolf Pabel erschien unter dem Titel »Marx und Engels über polnische Probleme« (Berlin 1958). 191 Ebd., S. 41. 192 Ebd., S. 40. 193 Ebd.

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denn sie fühlt sich dazu verpflichtet, ihren Lesern zu erläutern, wie es möglich sei, dass Marx und Engels Lelewel geschätzt hätten, obwohl er ihre Wertschätzung und Freundschaft nicht verdient habe. In ihrem Kommentar zu einem Lob des Polens aus einer Engels-Rede schreibt Bobińska: »Der enthusiastische Ton dieses Lobes, das mit unserem heutigen, genaueren Urteil über die Wankelmütigkeit Lelewels während des Aufstandes und unserem Wissen um andere, manchmal entschlossenere, radikalere Menschen dieser Richtung nicht übereinstimmt, braucht uns nicht zu wundern.«194

»Die beiden großen Freunde«, erklärt die Forscherin, hätten über Lelewel einfach nicht so viel gewusst wie die heutigen polnischen Marxisten. Am Beispiel Lelewel ist das grundlegende Merkmal des marxistischen Geschichtsbilds der 1950er Jahre besonders deutlich zu erkennen. Die Erforschung der Historiographie führte stärker als andere Gebiete der historischen Wissenschaften nicht so sehr zu wissenschaftlichen Arbeiten, sondern zu einem Urteil über das Beschriebene, das auf einer Achse fortschrittlich-rückschrittlich eingeordnet wurde. Fast jede Bemerkung über Lelewels geschichtsphilosophische oder politische Ideen enthielt eine Bewertung ihrer ideologischen Bedeutung. Je tiefer die Analyse des Materials reichte, desto notwendiger wurden Einzelurteile über bestimmte Aspekte seines reichen Lebens und Schaffens. Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, die Autoren der marxistischen historiographiegeschichtlichen Arbeiten sahen einen der wichtigsten Mängel Lelewels darin, dass er kein Vertreter der marxistischen Historiographie war. Marian Serejski meinte: »Lelewel, der keine marxistische Fortschrittsperspektive in Richtung einer klassenlosen Gesellschaft als Antithese der kapitalistischen Gesellschaft vor sich sah, da die Klasse, die er vertrat, eine solche Perspektive nicht besaß, der ihren Totengräber, das Proletariat, nicht sah, kleidete seine Ideologie in ein historisches Gewand, blickte zurück, in die Urgeschichte der eigenen Nation, und suchte dort nach Vorbildern und ewigen Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.«195

Ähnlich grotesk mutet Stanisław Śreniowskis Bemerkung an, dass »Lelewel, der Rationalist und Humanist, auch für die romantische ideologische Strömung empfänglich war«.196 Man könnte fragen: Was wäre für den Schöpfer und größten Vertreter der romantischen Historiographie Polens natürlicher, als sich von der »romantischen ideologischen Strömung« beeinflussen zu lassen? Doch die Diskussion über Joachim Lelewels Erbe lief nicht völlig ohne theoretischen Rahmen ab. Wie bei Naruszewicz und der Geschichtsschreibung der 194 Ebd., S. 52. 195 Marian Henryk Serejski: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 79. 196 Stanisław Śreniowski: Węzłowa problematyka historii Polski XVII wieku – postawa historiografii burżuazyjnej, in: PH 1953, S. 38.

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polnischen Aufklärung war Lelewel als Historiker ein Vertreter der Bourgeoisie, ein Ideologe dieser gesellschaftlichen Klasse. Diejenigen Wissenschaftler, die Celina Bobińskas Ansicht von der umwälzenden Bedeutung der Aufklärung für die Veränderung der sozioökonomischen Umstände vom Feudalismus zum Kapitalismus teilten, zogen aus dieser These vermutlich wichtige Schlüsse für die Einschätzung Lelewels. Denn in einer Situation, in der die Bourgeoisie bereits eine ausgeprägte Klasse war, konnte selbst einer ihrer radikalsten Ideologen nur die Relikte des vorherigen Systems bekämpfen. Um wahrhaft fortschrittlich zu werden, hätte er sich um eine weitere »qualitative« Veränderung bemühen, also für den Anbruch des Sozialismus kämpfen müssen. Diese Bedingung erfüllte Lelewel nicht. Auf der anderen Seite aber schufen die positiven Meinungen von Marx und Engels über Lelewel die Möglichkeit, ihn für die fortschrittlichen Traditionen der polnischen Nation in Anspruch zu nehmen. So kam es zu gewissen Inkonsequenzen bei der Beurteilung Lelewels nicht nur in der marxistischen Historiographiegeschichte insgesamt, sondern auch in den Arbeiten einzelner Historiker. Celina Bobińska schreibt in der Einleitung zu dem Buch Wybór pism Władysława Smoleńskiego [Auswahl der Schriften Władysław Smoleńskis], das im selben Jahr (1954) wie Marks i Engels a sprawy polskie erschien: »Die Geschichte diente in Lelewels Zeit dem Werk, Polen auf dem Weg einer Volksrevolution zu befreien. Es war ein Zeitraum, als sich historische Ideen und Ansichten als theoretischer Ausdruck fortschrittlicher Bestrebungen nicht nur kleinbürgerlicher und kleinadliger Elemente, sondern auch der ihrem Wesen nach revolutionären Bauernmassen herauskristallisierten. Und so spiegelten diese Ideen, wenn auch nicht konsequent, die revolutionäre Entwicklungstendenz in der vergangenen und laufenden Geschichte Polens wider.«197

Diese These Bobińskas scheint im Widerspruch zu ihrer früheren Behauptung zu stehen, dass die Aufklärung der einzige Augenblick gewesen sei, in dem die Bourgeoisie fortschrittlich war. Ich bin nicht in der Lage, die Gründe für diesen Widerspruch zu erklären, doch muss festgestellt werden, dass dieses eindeutige Lob Lelewels in Bobińskas Schaffen eher eine Ausnahme darstellt. Während Staszic oder Kołłątaj in historischen Arbeiten zu oft erwähnten fortschrittlichen Ideologen und zu Ikonen der Propaganda wurden, auf die man sich bei staatlichen Feierlichkeiten gern berief; wurden Lelewel solche offiziellen Ehren kaum zuteil. Die bereits mehrfach zitierte Broschüre Żanna Kormanowas von 1946 ist ein hervorragendes, wenn auch vereinzeltes Beispiel für den Versuch, Lelewel eindeutig in die polnischen fortschrittlichen Traditionen aufzunehmen. Kormanowa stellte fest, dass in der polnischen Politik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die einzige Alternative zu den demokratischen Ideen Lelewels der vom Hôtel

197 Celina Bobińska: Wstęp, in: Wybór pism Władysława Smoleńskiego, Warszawa 1954, S. VI.

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Lambert (dem liberal-konservativen Lager der Emigration) vertretene »Aristokratismus« gewesen sei. Diese Vereinfachung der historischen Landschaft erlaubte es ihr, eine rhetorische Frage zu stellen: »Das Lager des Hôtel Lambert […] wählte den ersten Weg [den aristokratischen, M. G.]. Das Lager der Demokratie, das Lager Lelewels, beschritt ohne zu zögern den zweiten. Heute lautet die Frage kürzer: Mit Faschismus und Reaktion oder mit Fortschritt und Demokratie?«198 Die polnischen Historiker der 1950er Jahre (darunter auch Kormanowa selbst) waren bei der Zusammenstellung des Katalogs von Beispielen historischer Fortschrittlichkeit nicht mehr so kühn. Nur ein Bruchteil des Interesses, dessen sich Joachim Lelewel in der Wissenschaft erfreute, galt anderen, unter seinem Einfluss stehenden Historikern. Eine Ausnahme bildete der zur Lelewel’schen Schule zählende Historiker Zorian Dołęga Chodakowski, dem Andrzej Poppe 1955 einen ausführlichen Artikel widmete.199 Poppe hob die Bedeutung der slawischen Interessen sowie prorussischen Sympathien des Historikers hervor, der sich sowohl um die polnische wie um die russische Historiographie verdient gemacht habe. Er fand in Chodakowskis Schaffen und Korrespondenz »einen leidenschaftlichen Antifeudalismus und Antiklerikalismus, eine Verdammung der feudalen Ausbeutung des Bauern« und stellte fest, dass »Chodakowskis Ansichten eng mit dem fortschrittlichen Erbe der Aufklärung und der sich damals neu herausbildenden Strömung des adligen Revolutionismus in der Historiographie zusammenhängen«.200 Interessant ist, wie der Autor dieses Artikels seine Einschätzung begründete, Chodakowski habe zu den Historikern gezählt, auf die Lelewel den größten Einfluss gehabt habe. Interessant deshalb, weil Dołęga Chodakowski älter war als Lelewel und in der Zeit, als Lelewel seine bekanntesten Werke veröffentlichte, sein vermeintlicher Schüler gar nicht mehr lebte (er starb 1825). Mehr noch, Andrzej Poppe zufolge bestehe Chodakowskis Wert darin, dass er und Joachim Lelewel ähnliche Ansichten gehabt hätten: »So wie er setzte auch Chodakowski die fortschrittlichsten Traditionen der polnischen Aufklärung fort. Chodakowskis Ansichten richteten sich so wie diejenigen Lelewels gegen den Feudalismus. Ähnlich wie Lelewel war er ein entschiedener Gegner des Papsttums, von jeglichem Obskurantismus, vor allem der Jesuiten, in denen er die Hauptschuldigen am Niedergang Polens sah. Unter den Ursachen, die zu Polens Untergang geführt hätten, erkannte Chodakowski ähnlich wie Lelewel (wenn er es auch nicht so unmissverständlich sagte wie er) die Unterdrückung der Bauernschaft und die Tatsache, dass sie aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, ihres Einflusses auf die Nationalkultur beraubt wurden. Ähnlich wie Lelewel stufte er die Übernahme des

198 Żanna Kormanowa: Joachim Lelewel, S. 93. 199 Andrzej Poppe: U źródeł postępowej historiografii szlacheckiego rewolucjonizmu: Zorian Dołęga Chodakowski (1784–1825), in: KH 1955. 200 Ebd., S. 26.

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Christentums durch Polen negativ ein, da er darin die Heiligung der neuen Ordnung sah, die zur Vernichtung der ›Nationalität‹ und zur Unterdrückung der Landbevölkerung führen würde, ihres dauerhaftesten Rückhalts. Das kosmopolitische Wirken der römischen Kirche sah er als Hauptursache dafür, dass die Entwicklung der Nationalkultur für längere Zeit gehemmt wurde. Schließlich sehen wir auch bei Chodakowski – so wie bei Lelewel – einen neuen Blick auf die Geschichte als einer Geschichte des Volkes, besonders bemerkenswert ist die in einer originellen Gestalt vorgetragene Ansicht über die ursprüngliche Gleichheit. Alle diese Momente lassen Z. D. Chodakowski einen bedeutenden Platz in der polnischen Historiographie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zukommen.«201

Dem Autor zufolge führte die Ähnlichkeit in den Ansichten des Slawophilen Chodakowski und des Demokraten Lelewel dazu, dass Chodakowski in den Kreis der polnischen fortschrittlichen Traditionen aufgenommen werden sollte: »In dem Kampf gegen verschiedene reaktionäre Ansichten, gegen sich ausbreitenden Obskurantismus und Ignoranz, die Unglauben an die Kräfte der eigenen Nation verbreiten, sollte die polnische Wissenschaft, die von der Tradition unseres fortschrittlichen historischen Denkens zehrt, auf das dauerhafte Werk des großen Patrioten und Erforschers der Slawenheit zurückgreifen.«202 Angesichts so eindeutig positiver Urteile konnte man die höchst kritischen Bemerkungen übersehen, in denen es ganz allgemein hieß, dass Chodakowski »nicht frei war von diversen Widersprüchen […], die unweigerlich aus den idealistischen Grundlagen der ›Lelewel’schen‹ Historiographie hervorgehen«.203

Andrzej Poppes Text ist ein für polnische Verhältnisse recht außergewöhnliches Beispiel dafür, wie ein »bürgerlicher« Historiker ganz entschieden dem Katalog der fortschrittlichen Traditionen zugerechnet wird. Wenn man diesen Artikel mit den zahlreichen Arbeiten über Lelewel vergleicht, so wird deutlich, wie groß die Urteilsfreiheit der marxistischen Historiker sein konnte. Chodakowski wird positiver beurteilt als Lelewel, obwohl fast alle Vorzüge Chodakowskis ein Reflex Lelewels waren. Es genügte ein kleiner stilistischer Trick, damit der Leser dieses Textes die vom Verfasser vorgeschlagene Sichtweise übernahm: Chodakowski ist fortschrittlich, da er aus dem fortschrittlichen Werk Lelewels schöpft. Alle Unzulänglichkeiten seines Schaffens ergeben sich hingegen aus fehlerhaften methodologischen Annahmen, die für Lelewel und seine Nachahmer typisch sind. Die Verdienste bleiben dem Helden des Artikels vorbehalten, während alle Mängel auf Lelewels Konto gehen. Poppes Artikel rief keine größere historiographische Diskussion hervor. Dafür sind meiner Meinung nach zwei Ursachen anzuführen. Erstens konnte die 1955

201 Ebd., S. 34 f. 202 Ebd., S. 35. 203 Ebd.

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veröffentlichte Arbeit nicht mehr im polnischen Stalinismus diskutiert werden, und als sie erschien, war die Kritik nicht mehr so »prinzipiell« wie zu Beginn der 1950er Jahre. Zweitens besaß Dołęga Chodakowski neben all den positiven Merkmalen, die er mit Lelewel teilte, auch einen wesentlichen Vorzug: Er vertrat die im polnischen historischen Denken sehr schmale slawophile Strömung. Dadurch hatte sein Schaffen nicht den Makel der antirussischen Einstellung, der die meisten mehr oder weniger demokratischen Ideologen Polens auszeichnete.

Karol Boromeusz Hoffman und die beginnende Auseinandersetzung über die Rolle des Positivismus Die Diskussion über Person und Werk von Karol Boromeusz Hoffman wurde von Marian Serejski eröffnet. 1953 erschien seine Arbeit über den Emigrationshistoriker, die eine der lebhaftesten historischen Debatten der 1950er Jahre auslöste.204 Serejski behandelt Hoffman als nach Lelewel nächste höhere Etappe in der Entwicklung der polnischen Historiographie. Hoffman habe den Gedanken der historischen Aufklärung fortgesetzt und sei zugleich ein Vorreiter der positivistischen Historiographie gewesen. Beide Merkmale führten dazu, dass er in der Auffassung Marian Serejskis zu einem relativ fortschrittlichen Ideologen wurde. Der unweigerliche Vergleich Hoffmans und Lelewels führte zu dem Schluss, dass Lelewel zwar »die Ideologie der fortschrittlichen Intelligenz und des kleinen sowie mittleren Adels ausdrückte, die im Unabhängigkeitskampf die Unterstützung der Bauern suchte« und Hoffman »die Ideologie der ›organischen Arbeit‹ vorausgesehen und sich vom revolutionären Weg beim nationalen Befreiungskampf losgesagt« habe, doch: »Trotzdem nahm er in der Zeit, als sich noch in der Emigration die liberal-bürgerliche Entwicklung herausbildete, bestimmte realistische Elemente in die polnische Historiographie auf, die die Erkenntnis und das Verständnis einiger Seiten des polnischen historischen Prozesses nach vorne brachten«.205

Hoffman war nach Meinung Serejskis ein besserer Historiker als Lelewel, wobei er eine weitere, höhere Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung vertreten habe: »Der Gegensatz der historischen Konzeptionen Lelewels und Hoffmans zeigte sich an unterschiedlichen ideologischen Positionen und unterschiedlichen Entwicklungsphasen Polens: Diejenigen Lelewels war noch auf unreifem Grund entstanden, unter den halbfeudalen Verhältnissen und der heraufziehenden Agrarrevolution nach 1830, sie drückten eine bürgerlich-demokratische Ideologie aus, die auf Kleinproduzenten und 204 Marian Henryk Serejski: Studia nad historiografią Polski, Bd. 1, K. B. Hoffman, Łódź 1953. 205 Ebd., S. 45.

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Kleinbesitzern, den Bauern und der kleinadligen Masse basierte; diejenigen Hoffmans entwickelten sich vor dem Hintergrund eines möglichen adlig-bürgerlichen Kompromisses, sie kündigten den letztlichen Sieg des auf ihm fußenden Kapitalismus in Polen an.«206

So wie Celina Bobińska bei den Ideologen der Aufklärung beurteilte auch Marian Serejski bei Hoffman Fortschrittlichkeit auf eine besondere Art und Weise. Da die geschichtsphilosophischen Ansichten Hoffmans eine höhere Entwicklungsstufe repräsentieren, werden sie fortschrittlich, auch wenn – wie Serejski vielfach zugibt – der Held seines Buches weit von jeder ideologischen Revolution entfernt war. Der Vergleich ausgewählter Elemente der Geschichtsphilosophie Hoffmans und Lelewels bestätigte den Buchautor in seiner Überzeugung, dass der romantische Historiker seinem die neue Ordnung ankündigenden Kollegen eindeutig unterlegen war. Hoffman »hat sich mit dem adligen Mythos von Freiheit und ›Demokratie‹ der alten Rzeczpospolita auseinandergesetzt, mit dem mythisch-romantischen Begriff des ›Geists der Nation‹ und mit denjenigen Absplitterungen des Lelewelismus, in denen, nach der Lossagung von den tatsächlich demokratischen Inhalten der Lelewel’schen Konzeption, eine reine Apologie von Adeligkeit und Sarmatismus übrigblieben. Indem er gewissermaßen eine Aufgabe erfüllte, die derjenigen ähnelte, die die bürgerlichliberale Historiographie des Westens in der Zeit der Restauration und der OrléanMonarchie übernommen hatte, betonte er die fortschrittliche Rolle in der Geschichte von Städten, Handel und Industrie, propagierte er ein System, das auf der rechtlichen Angleichung der Staatsbürger basierte, auf neuen bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen.«207

Trotz der mehrfach geäußerten Überzeugung, Hoffman sei Lelewel überlegen, behauptete er, dass Hoffmans Arbeiten sich »hauptsächlich […] gegen die historische Ideologie des demokratisch-republikanischen Lagers richteten […], auch wenn sie versuchten, mit ihren Ausführungen einen Keil zwischen das Volk und den ärmeren Adel zu treiben, objektiv aber den positivistischen, bürgerlich-liberalen Ansichten den Weg bahnten und es unter anderem auf die altadlig-konservative Ideologie abgesehen hatten«.208

Serejski gab zu, dass Hoffmans Nachfolger u. a. die »reaktionären« Vertreter der Krakauer Schule gewesen seien, stellte aber fest, dass die Ansichten des Historikers in ihren Interpretationen schief und jeder Fortschrittlichkeit beraubt schienen.209

206 Ebd. 207 Ebd., S. 71. 208 Ebd., S. 35. 209 Ebd., S. 72.

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»[Auch] der letztendliche Sieg des Kapitalismus und der Einzug des Proletariats auf die Bühne der Geschichte führten dazu, dass sich die wichtigsten und wesentlichsten Elemente von Hoffmans historischer Ideologie gegen den Fortschritt und seine Befürworter richteten, gegen die revolutionären Bestrebungen der Arbeiterklasse«.210

Eine positive Einschätzung des Werks von Karol Boromeusz Hoffman findet sich auch in anderen Arbeiten Marian Serejskis. In seiner bereits zitierten Studie über Lelewels »fortschrittliches historisches Denken« ist zu lesen, dass »Hoffman zweifellos auf einige schwache Seiten der historischen Ideologie Lelewels hingewiesen habe«.211 Sowohl in den »Entwürfen« wie auch in der endgültigen Fassung des ersten Teils von Band 1 der Historia Polski findet sich ein relativ positives Urteil über Hoffman (auch hier war Serejski der Autor): »Aus der liberalen Position des bürgerlich-adligen Lagers griff Hoffman den revolutionären Romantismus und die Agrardemokratie der Lelewelisten an. Gleichzeitig kritisierte er die altadligen feudal-messianistischen Konzeptionen und die kritiklose Apologie der Vergangenheit, aber u. a. auch die Fiktion der Adelsdemokratie. Mit seinen Methoden und seiner Synthese bahnte Hoffman dem so genannten historischen Revisionismus den Weg, den neuen Ansichten, die sich in der polnischen Historiographie der Zeit des Kapitalismus entwickelten.«212

Marian Serejskis Interpretation der Ansichten und der Rolle Karol Hoffmans führte zu einer sehr heftigen Reaktion Nina Assorodobrajs, die sich damals mit der Geschichtsphilosophie Lelewels beschäftigte. Ausgangspunkt ihrer kritischen Besprechung von Serejskis Buch war die Einschätzung Lelewels. Ihrer Meinung nach charakterisiere Serejski »Lelewels Ansichten auf eine, man könnte sagen, grotesk vereinfachte Weise, indem er sich Abkürzungen und Symbolen bedient, die eine im Verständnis ihres Autors pejorative Aussage haben und ein von Grund auf falsches Bild von Lelewel entstehen lassen«.213 Wie Assorodobraj meinte, ignorierte Serejski praktisch die Tatsache, dass Hoffman ein Ideologe des Lagers Czartoryski war, d. h. dass seine Ansichten das Heraufziehen des Sozialismus nicht nur »objektiv« nicht voranbrachten, sondern ganz einfach und unzweifelhaft reaktionär waren. »In der Sicht Prof. Serejskis«, schrieb die Rezensentin, »sind die ›antifeudalen‹ und ›bürgerlichen‹ historischen Konzeptionen Hoffmans so lange ›fortschrittlich‹, so lange nicht als deus ex machina die Arbeiterbewegung auftaucht. Erst dann erhält Hoffmans Geschichtsphilosophie gleichsam reaktionäre Züge. Das ist eine reine Spiegelfechterei und Spekulation, die sich an keinerlei wissenschaftliche Erfordernisse hält. Ein typischer

210 Ebd. 211 Marian Henryk Serejski: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 118 f. 212 Henryk Łowniański (Hg.): Historia Polski. Makieta, Warszawa 1955, Bd. 1, T. I, S. 57. 213 Nina Assorodobraj: W sprawie kryterium postępowości w historii historiografii (z powodu książki M. Serejskiego o K. Hoffmanie), in: KH 1953, S. 155.

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Soziologismus. Für den reaktionären Charakter Hoffmans als Ideologe und Historiker war nicht die Existenz der Arbeiterbewegung entscheidend, da sie in einen späteren Zeitraum fällt, sondern die zeitgleich zu Hoffman anwachsende revolutionäre Bewegung der Bauern und die revolutionär-demokratische Ideologie, die eine bürgerlichdemokratische Revolution in Form der Agrarrevolution anstrebte.«214

Nina Assorodobraj stellte in ihrem Text ein völlig gegensätzliches Verständnis von »objektiver Fortschrittlichkeit« dar, als es in Serejskis Arbeiten zu finden ist. »Prof. Serejski vergisst«, schrieb sie, »dass nicht alles, was einem neuen Ausbeutungssystem den Weg bahnt, fortschrittlich ist und dass nicht jeder von einem zu einem anderen System führende Weg fortschrittlich ist. So wie wir kein Recht haben, einem Großgrundbesitzer ein Denkmal zu setzen, der kapitalistische Produktionsmethoden einführt, einem Manufakturbesitzer oder einem Neureichen, so dürfen wir auch ihre geistigen Vertreter nicht eo ipso als fortschrittlich ansehen.«215

Diese grundlegende Kritik an Serejskis Schlussfolgerungen ging einher mit einigen nicht minder kritischen Einzelbemerkungen über die geschichtswissenschaftliche Arbeitsweise Hoffmans wie auch Serejskis selbst. Assorodobraj wies etwa auf die Quellenarmut des besprochenen Buches hin. Sie stimmte nicht mit dem Urteil überein, dass Hoffman als Historiker auf Lelewel folge und dessen Ansichten in Frage gestellt oder ausgebaut habe. Ihrer Meinung war Hoffman nicht nur im Hinblick auf sein Geburtsjahr (1798), sondern auch geistig kein Nachfolger, sondern ein ideologischer Gegner Lelewels. Die Historikerin zog auch in Zweifel, ob Hoffmans Annahmen mit der Ideologie der polnischen Aufklärung vergleichbar waren: »Um eine solche Denkweise ernst nehmen zu können, muss man davon ausgehen, dass sich im Laufe dieser sechzig bis achtzig Jahre, die seit dem ersten Kampf darum vergangen sind, Breschen in das morsche Gebälk der polnischen Feudalverfassung am Ende des 18. Jahrhunderts zu schlagen, vor dem Hintergrund der kaum aufkeimenden Anfänge des Kapitalismus nichts Neues vollzogen hat.«216

Nina Assorodobrajs Artikel endete mit einem eindeutigen Urteil: »Hoffmans Historiographie und die Geschichtsschreibung der Lelewel’schen Schule sind zwei gegenläufige Strömungen derselben Epoche der polnischen Historiographie. […] Volkspolen knüpft an die fortschrittlichen Traditionen der polnischen Nation an. Auf Hoffman bezieht es sich nicht.«217 Karol Boromeusz Hoffman eröffnet die Liste derjenigen polnischen Historiker, deren eindeutige Bewertung vom marxistischen Standpunkt aus viel schwieriger war als die Einschätzung der aufgeklärten oder romantischen Autoren, schon 214 Ebd., S. 159. 215 Ebd., S. 185. 216 Ebd., S. 170. 217 Ebd., S. 186.

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allein deshalb, weil das Schaffen der Positivisten nicht nur als weitere Etappe in der Entwicklung der einheimischen Historiographie angesehen werden konnte. Die Arbeiten der Mitglieder der Krakauer oder der Warschauer Schule waren nicht nur Vorläufer der marxistischen Historiographie, sondern unter Umständen auch ihre Konkurrenten.

Die Krakauer Schule: Michał Bobrzyński Die marxistischen Historiker waren der Krakauer historischen Schule gegenüber sehr kritisch eingestellt. Józef Szujski und Walerian Kalinka wurden des Klerikalismus bezichtigt, was Jan Baszkiewicz mit der in ihren Arbeiten präsenten »Apologie der Ostexpansion« in Verbindung brachte.218 Witold Łukaszewicz stellte fest, dass »feudal-theologische Relikte […] die Arbeiten der Historiker der Krakauer Schule kontaminierten« und führte dies auf die schädlichen Einflüsse des Vatikans zurück: »Der Vatikan und die Spitze der römisch-katholischen Kirche in den polnischen Gebieten verbanden sich immer enger mit dem Kapitalismus, je schneller sein Totengräber wuchs und kräftiger wurde – die Arbeiterklasse.«219 Auch Celina Bobińska sah in den Krakauer Historikern Vertreter dieser Entwicklungsetappe der Bourgeoisie, in der sie alle fortschrittlichen Merkmale verliert: »In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach der Niederlage der nationalen Befreiungsbewegungen begeben sich die besitzenden Klassen […], voller Angst vor der revolutionären Gefahr der Aufstände, auf den Weg des Loyalismus […] In der historischen Wissenschaft drückte sich das durch die so genannte Krakauer Schule aus. […] Diese Historiker wiesen nach, dass die polnische Nation zu einem unabhängigen Dasein nicht fähig war und ist.«220

Klerikalismus und fehlender Glaube an die Möglichkeit, selbstständig die Unabhängigkeit zu erlangen, führten nach Ewa Maleczyńska dazu, dass »unserer konservativen Wissenschaft die wortwörtliche Übernahme der These der reaktionären deutschen Wissenschaft von der Überlegenheit der germanischen Rasse drohte«.221 Das Werk Kalinkas und Szujskis, der am intensivsten behandelten Vertreter dieser Schule, sei antinational, klerikal und ganz einfach hinterwäldlerisch.222 Zudem hätten sie sich der Lüge und Manipulation bedient. Oft wurden sie anderen

218 Jan Baszkiewicz: Powstanie, a. a. O., S. 14. 219 Witold Łukaszewicz: Targowica i powstanie kościuszkowskie. Ze studiów nad historią Polski XVIII wieku, Warszawa 1952, S. 10. 220 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 24. 221 Ewa Maleczyńska: Problem, a. a. O., S. 7. 222 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Władysław Smoleński: Szkoły, a. a. O., S. XXXII.

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historischen Schulen gegenübergestellt, die zwar vom Standpunkt der marxistischleninistischen Historiographie aus auch nicht ohne Mängel waren, aber entschieden fortschrittlich erschienen, wenn sie mit der »offenen Reaktion« verglichen wurden. Am häufigsten wurde in den Arbeiten über die Krakauer Schule die Person Lelewels angeführt, als ein Denker, dessen hochfliegende Ideen von den Konservativen abgelehnt worden seien. Marian Serejski stellte fest, dass sowohl Bobrzyński wie auch Szujski es als Hauptaufgabe ihrer Übersicht über die polnische Historiographie erachteten, sich mit Lelewel »auseinanderzusetzen«, der ein republikanischer, liberaler und »von revolutionärem Patriotismus durchtränkter« Historiker gewesen sei. Die Kritik an Lelewels Ansichten wiederum »löschte alle Bestrebungen nach Befreiung, Freiheit, Fortschritt und ihre Traditionen in der polnischen Geschichtsschreibung«.223 Das Gesamturteil über die Krakauer Schule war somit alles andere als zustimmend, noch nicht einmal – wie im Fall von Lelewel oder den Historikern der Aufklärung – zustimmend mit zahlreichen Vorbehalten. In den Abhandlungen tauchten meist Vorwürfe von Klerikalismus, Idealismus, Fideismus und Kosmopolitismus auf.224 Interessanterweise vermochten einige marxistische Wissenschaftler dennoch bestimmte positive Elemente selbst in diesem scheinbar so undankbaren Teil des polnischen historiographischen Erbes zu entdecken. Während des I. KNP stellte Celina Bobińska die These auf: »Mann kann die paradoxe Behauptung wagen, dass die deutlich reaktionären Schulen […], wie die Krakauer Schule, vielleicht weniger kritische Beschäftigung mit diesem Nachlass erfordern, mit diesem Erbe, als die bürgerlich-liberalen Schulen, deren Traditionen in den Nachkriegsarbeiten fortleben und schwieriger zu erkennen sind.«225

Was den jüngsten Vertreter der Krakauer Schule betrifft, Michał Bobrzyński, so war das Zeugnis, das ihm die marxistischen Historiker ausstellten, noch weniger eindeutig. Auf der einen Seite wurde er oft gemeinsam mit Szujski und Kalinka genannt, und man bezog die kritischen Bemerkungen zur ganzen Schule auch auf ihn. Einzelne seiner Thesen wurden verworfen, wie zum Beispiel die positive Einschätzung der Přemyslidenherrschaft in Polen.226 Auf der anderen Seite wurden die Vorwürfe des sowjetischen Wissenschaftlers J. Rubinštejn nicht wiederholt, der Bobrzyński wie auch Władysław Studnicki als bürgerliche Historiker charakterisierte, »voller untertäniger Gefühle für die preußisch-deutsche Teilungsmacht, die mit allen Mitteln die Politik des deutschen Imperialismus gegenüber den polnischen Westgebieten schönredeten und die Situation der polnischen Volksmassen 223 Ebd., S. LXXIX. 224 Witold Łukaszewicz: Targowica, a. a. O., S. 15. 225 Celina Bobińska: [ohne Titel], in: KH 1951, S. 404. 226 Jan Baszkiewicz: Powstanie, a. a. O., S. 215.

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in diesen Gebieten falsch beleuchteten«.227 Mehr noch: In den Äußerungen der marxistischen Historiker Polens über Bobrzyński klang sehr oft Bewunderung für sein Fachwissen an. Stefan Kieniewicz schrieb im zweiten Band der »Entwürfe«: »Die ihrem Wesen nach rückwärtsgewandte, doch relativ elastische Haltung des Autors [von Dzieje Polski w zarysie, M. G.] erlaubte es ihm, einige Fragen sehr offen darzustellen, z. B. die Klassenbedingtheit der Kompromissbereitschaft des polnischen Adels oder auch das Engagement dieses Adels in den nationalen Aufständen – aus Angst vor einer sozialen Revolution.«228

Ähnlich sprach sich Kieniewicz 1951 in einem Artikel über Bobrzyński aus, der dem Klassenkampf auf dem polnischen Dorf im Licht der bisherigen Historiographie gewidmet war. Obwohl es schwer war, den Statthalter Galiziens als Verteidiger der Bauern anzuerkennen, wurden sein Talent und seine wissenschaftlichen Fähigkeiten auch hier sehr hoch eingeschätzt: »Bobrzyński war der schlauste Kopf des konservativen Lagers in den Jahren nach dem Aufstand […]. Er schrieb mit Temperament, mit Leidenschaft, ohne sich um ›Objektivismus‹ zu bemühen. […] Der Autor findet keine genügend scharfen Worte, um die Kurzsichtigkeit des Adels zu verurteilen, der nicht rechtzeitig nachzugeben verstand. […] Mit Bobrzyńskis Urteil muss jeder Historiker, vor allem der galizischen Verhältnisse, rechnen.«229

In seiner positiven Bewertung der wissenschaftlichen Qualifikationen Bobrzyńskis stimmte Kieniewicz völlig mit Celina Bobińska überein. Ihrer Meinung nach erkannte der Historiker bei allen notwendigen Vorbehalten (»Idealismus«, »reaktionäre Bewertung der Fakten«) »die Existenz von Entwicklungsgesetzen« an, stand also gewissermaßen der marxistischen Historiographie recht nahe.230 In der vorläufigen Version von Bobińskas Text findet sich ein Passus, in dem das Werk der Mitglieder der Krakauer Schule und der Historiker der Zwischenkriegszeit verglichen werden. Nach Meinung der Verfasserin fiel der Vergleich eindeutig zugunsten der Krakauer Konservativen aus, was Marian Serejskis Widerspruch hervorrief. Er war bereit, Bobrzyńskis historische Gesetzmäßigkeiten anzuerkennen, opponierte aber dagegen, auch Józef Szujski so positiv zu bewerten. Bobińska räumte in ihrer Antwort ein, dass sie lediglich an Bobrzyński gedacht habe.231

227 J. Rubinsztejn: Polityka kolonizacyjna wilhelmowskich Niemiec na zachodnich ziemiach polskich (1900–1914), in: Stefan Gwich (Hg.): Historycy radzieccy o Polsce, Warszawa 1953, S. 134 f. 228 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2., S. 402 f. 229 Stefan Kieniewicz: Walka klasowa chłopów polskich w XIX i XX wieku w oświetleniu historiografii polskiej, in: KH 1951, S. 47. 230 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 25. 231 AIHPAN, Sign. 12/62 Podręcznik Historii Polski, tom I i II, teksty cz. 2 i 3 tomu I, protokół z dyskusji nad cz. 1 tomu II. Teksty przemówień wygłoszonych na sesji pomorskiej – Protokół z dyskusji nad częścią t. II uniwersyteckiego podręcznika historii Polski (1764–95) w IH PAN dn. 25 IV 1955.

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Die häufige Hervorhebung der fortschrittlichen Aspekte im Schaffen dieses Krakauer Historikers rief gelegentlich kritische Reaktionen hervor. Während einer Diskussion über das Universitätslehrbuch für Geschichte bemerkte Stanisław Śreniowski, dass Bobrzyński zwar »die Unterdrückung des Bauern empörte, doch kann dies kein Kriterium für seine zutiefst reaktionäre Haltung sein«.232

Die Warschauer Schule: Streit um die Kriterien von Fortschrittlichkeit und die Bewertung des Positivismus Die Krakauer Historiker, vor allem Michał Bobrzyński, wurden oft mit den führenden Vertretern der Warschauer Schule verglichen – mit Tadeusz Korzon und Władysław Smoleński. Die marxistischen Historiker, die vor der Notwendigkeit standen, beide Schulen miteinander zu vergleichen, waren in einem Zwiespalt gefangen. Auf der einen Seite bestand kein Zweifel daran, dass sowohl die Konservativen wie auch die Positivisten die bürgerliche Geschichtswissenschaft vertraten. Dies war jedoch eine so allgemeine Feststellung, dass sie nichts darüber aussagte, welche historische Schule höher und welche niedriger eingestuft werden sollte. Im zweiten Band der »Entwürfe« bezeichnete Celina Bobińska die Rolle der Warschauer Schule als nicht allzu positiv, »denn sie war beschränkt durch den Standpunkt ihrer Klasse, der sich versöhnlich gegenüber den nach der Reform von 1864 übriggebliebenen Resten des Feudalismus verhielt [gemeint ist die Aufhebung der Fronarbeit im russischen Teilungsgebiet Polens durch den Zaren, M. G.], die Revolution und nationale Aufstände fürchtete, sich langsam auf einen Kompromiss mit der Teilungsmacht hinbewegte, aber der Arbeiterbewegung gegenüber bewusst und entschieden feindlich war«.233

Anfänglich habe man bei Korzon oder Smoleński noch Elemente von Fortschrittlichkeit finden können; eine Schlüsselrolle hierbei spielte die Tatsache, dass beide Historiker sich mit der polnischen Aufklärung beschäftigt hatten.234 Doch es gab immer wieder sehr kritische Urteile über die Vertreter der Warschauer Schule. Diese hingen mit der häufigen Grundannahme zusammen, dass sie als Vertreter der Bourgeoisie und zudem mit dem Unglück behaftet, ihre wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit in der Zeit des Imperialismus entfaltet zu haben, zweifellos den Interessen der Reaktion gedient hätten. Einem derartigen Verständnis verlieh Witold Łukaszewicz in seiner Bewertung Tadeusz Korzons Ausdruck:

232 AIHPAN, Sign. 12/60 Podręcznik Historii Polski. Protokół z dyskusji, preliminarz, korespondencja – Dyskusja nad referatem M. H. Serejskiego Syntezy mediewistyczne w polskiej historiografii burżuazyjnej (1954). 233 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 26. 234 Ebd.

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»Das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung der bisherigen gesellschaftlichen Position der Bourgeoisie war es, den Patriotismus der um die Unabhängigkeit kämpfenden Volksmassen auszunutzen, ihnen Nationalismus und Klerikalismus einzuimpfen und die Losung der nationalen Solidarität im Kampf gegen die Teilungsmächte auszugeben, um dadurch den durch die größer werdende soziale Ungleichheit der kapitalistischen Gesellschaft und die stärker werdende Arbeiterbewegung anschwellenden Klassenkampf zu schwächen. Vor einer solchen Aufgabe stand die bürgerliche Historiographie im Zeitalter des Imperialismus. Diesen Zwecken diente das wissenschaftliche Schaffen Tadeusz Korzons auf dem Gebiet der Geschichte.«235

Häufig erkannten die marxistischen Forscher im Schaffen und in der politischen Einstellung der Warschauer Historiker eine Evolution, die sie von gemäßigt fortschrittlichen zu eindeutig rückschrittlichen Positionen geführt habe (wiederum in Analogie zur Entwicklung der Ideologie der Bourgeoisie im selben Zeitraum). Celina Bobińska stellte fest: »Mit der Zeit wichen, vor allem im Zeitalter des Imperialismus, die fortschrittlichen Merkmale im Schaffen dieser Historiker der nationalistischen Fälschung der sozialen Konflikte im Namen der ›nationalen Einheit‹«.236 Selbst der in seinen Urteilen vorsichtigste marxistische Erforscher von Smoleńskis Werken schrieb über ihn: »Wenn er die feudalen Überreste in Polen bekämpfte, das adlige Kastendenken, Obskurantismus, Klerikalismus, wenn er in der Geschichte Gesetzmäßigkeiten suchte oder sich auch der Aussöhnung mit den Teilungsmächten entgegenstellte – so drückte er die fortschrittlichen und patriotischen Bestrebungen seiner Generation aus. Wenn sein Denken jedoch auf halbem Weg stehenblieb und der Wissenschaftler nicht in der Lage war, die motorischen Kräfte im historischen Prozess zu erkennen, wenn er blind war […] für die wachsenden Widersprüche im kapitalistischen System und es nicht verstand, gedanklich über die Ideen der Aufklärung herauszugehen […] über die solidaristische Konzeption der klassenübergreifenden nationalen Einheit – so stand er auf konservativen Positionen, sein Horizont verengte sich, seine Gedanken wurden ärmer und verloren ihren dauerhaften Wert. Diese Entwicklung vollzog sich in dem Maße […] in dem sich die Antagonismen in der kapitalistischen Welt immer weiter verstärkten.«237

Die Zäsur, die das frühe, relativ fortschrittliche Werk Korzons und Smoleńskis von ihren späteren Arbeiten abgrenzen sollte, war die Revolution des Jahres 1905. Jan Baszkiewicz, der zuvor in den Arbeiten der Warschauer Historiker »beschränkte und inkonsequente Elemente von Fortschritt« erkannt hatte, meinte nun entschieden, dass »die positivistischen Historiker nach der Revolution von 1905 immer klarer rückständige Positionen einnehmen«.238 Die Bedeutung dieses Datums für 235 Witold Łukaszewicz: Targowica, a. a. O., S. 20. 236 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 26. 237 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Władysław Smoleński: Szkoły, a. a. O., S. IV; Jerzy Włodarczyk: Tadeusz Korzon. Główne koncepcje historyczne i historiozoficzne, Łódź 1958, S. 109. 238 Jan Baszkiewicz: Powstanie, a. a. O., S. 15.

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die Bewertung der politischen Einstellung der polnischen Historiker hob Marian Żychowski in seinem Referat auf der Konferenz von Otwock deutlich hervor: »Wenn wir bis 1905 den Standpunkt einzelner Historiker nicht klar bestimmen können, so endet diese Verschleierung nach 1905.«239 Dieser frühe, gemäßigt positive Zeitraum im Schaffen der Historiker muss vor allem in Zusammenhang mit der relativ wohlwollenden Aufnahme gesehen werden, die die Neuauflage von Smoleńskis Büchern Przewrót umysłowy w Polsce wieku XVIII [Die geistige Wende in Polen im 18. Jahrhundert] sowie Kuźnica Kołłątajowska [Die Kołłątaj-Schmiede] erlebten (1948).240 Adam Korta gestand Smoleński in einem Artikel über das erste der beiden Bücher den Vorzug relativer Fortschrittlichkeit zu, natürlich im Rahmen der bürgerlichen Historiographie.241 In ihrem Lob noch weiter ging die Rezensentin von ND, Zofia Cybulska, die schrieb, dass »Smoleńskis Standpunkt […] noch eine Bestätigung der Ansicht ist, dass alle ehrlichen Menschen der Wissenschaft, selbst wenn ihnen die wissenschaftliche Methode des Marxismus fremd ist, mit dieser bei der Bewertung unserer Vergangenheit auf denselben Positionen stehen müssen, auch bei den daraus zu ziehenden Schlüssen, dass die Souveränität Polens unzertrennlich mit seinem staatlichen System verbunden ist, in dem die politische Macht dem arbeitenden Volk gehört.«

Der Rezensentin zufolge war Smoleńskis Buch ein Beweis für die These, dass das »demokratische Lager« seit jeher den Unabhängigkeitskampf mit dem Kampf für gesellschaftliche Veränderungen verbunden habe.242 Das uneindeutige Bild der Warschauer historischen Schule, das sich in den Arbeiten der marxistischen Wissenschaftler abzeichnete, führte zu großen Schwierigkeiten bei der geforderten eindeutigen Bewertung ihres Werks. Hier konnte es nun hilfreich sein, sie mit der Krakauer Schule zu vergleichen, die sich durch so eindeutige Merkmale wie Klerikalismus oder Idealismus auszeichnete. In diesem Punkt aber unterschieden sich die Aussagen der einzelnen marxistischen Historiographiegeschichtler relativ stark voneinander. Celina Bobińska, die Smoleński und Korzon insgesamt kritischer sah als die übrigen Marxisten, wusste immerhin die fortschrittliche Bedeutung des aufgeklärten Antiklerikalismus zu schätzen, wie er sich in Smoleńskis Arbeiten abzeichnete.243 Auf der anderen Seite war Witold Łukaszewicz bereit, »feudal-theologische Relikte« nicht nur im Schaffen Kalinkas, Szujskis und

239 Marian Żychowski: Wpływ rewolucji r. 1905 na polską historiografię burżuazyjną, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel: Pierwsza Konferencja, a. a. O., Bd. 1, S. 132. 240 Vgl. Władysław Smoleński: Przewrót umysłowy w Polsce w XVIII w., Warszawa 1948; ders.: Kuźnica Kołłątajowska, Warszawa 1948. 241 Vgl. Adam Korta: O postępowych tradycjach i antynarodowych mitach, Warszawa 1955, S. 91. 242 Zofia Cybulska: Kuźnica Kołłątajowska, in: ND, Nr. 3/1949, S. 286. 243 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 26.

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Bobrzyńskis zu sehen, sondern auch der »führenden Vertreter der positivistischen Schule«.244 Die fehlende eindeutige marxistische Sicht auf die Rolle der Warschauer Schule war eine Ursache dafür, warum sich der an der Person Karol Boromeusz Hoffmans entbrannte historiographische Streit verlängerte. Ähnlich wie dort wurde die Diskussion hier von Marian Serejski eröffnet, der in seiner Einleitung zur Neuauflage von Szkoły historyczne w Polsce Władysław Smoleński als fortschrittlichen Wissenschaftler darstellte. Er betrachtete das Werk der Warschauer Historiker als wichtigen Schritt nach vorne, vor allem im Vergleich zu den »engen und hinterwäldlerischen, rückwärtsgewandten Ansichten der Krakauer Kollegen«.245 Seiner Meinung nach war Smoleński ein antiklerikaler, optimistischer Historiker, der ideologisch Joachim Lelewel nahestand, methodologisch aber viel besser als dieser war.246 Dieses Lob an die Adresse des Warschauer Historikers war natürlich von zahlreichen Vorbehalten umgeben, und die zugestandene Fortschrittlichkeit war lediglich »relativ« und »beschränkt«. Dieses stilistische Manöver schützte Serejski nicht vor Kritik von Seiten Celina Bobińskas. 1954 erschien in der KH ein Artikel der marxistischen Wissenschaftlerin unter dem Titel Spór o ujęcie pozytywizmu i historyków pozytywistów [Der Streit um die Auffassung des Positivismus und der positivistischen Historiker]. Die Verfasserin beginnt ihren kritischen Text mit grundlegenden methodologischen Vorbehalten: »Die Arbeiten von Prof. Serejski«, schreibt Bobińska, »zeichnen sich durch das aus, was wir für gewöhnlich auf den Objektivismus beschränken, d. h. durch einen bestimmten wissenschaftlichen Schreibstil, der sich durch leidenschaftslose Berichterstattung auszeichnet und ausschließt, dass der Autor einen Standpunkt einnimmt. Diese Manie ist bei dem Autor so weit entwickelt, dass er über seine wirkliche Haltung zu dem beschriebenen Gegenstand vielfach in die Irre führt.«247

Dieser Sachverhalt führe nach Meinung der Autorin zu überraschend unzutreffenden Urteilen. Im Übrigen sei dies schon bei Karol B. Hoffman ähnlich gewesen, der »sich aus einem reaktionären Ideologen in eine Lichtgestalt verwandelt, ›der seiner Klasse beim Verständnis des notwendigen Entwicklungsweges voraus war‹ und ein Fortschrittlicher war, da er ›früher als andere verstand, dass sich die Entwicklung Polens auf einen – adlig-bürgerlichen Kompromiss stützen muss‹ [Hervorhebung von C. Bobińska, M. G.].«248

244 Witold Łukaszewicz: Targowica, a. a. O., S. 10. 245 Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Władysław Smoleński: Szkoły, a. a. O., S. XXXII. 246 Ebd., S. LIV–LVI und LXXX. 247 Celina Bobińska: Spór o ujęcie pozytywizmu i historyków pozytywistów. W związku ze wstępem do reedycji W. Smoleńskiego »Szkół historycznych«, in: KH 1954, S. 180. 248 Ebd., S. 181.

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Bobińska behauptete, ähnlich wie Nina Assorodobraj, ein solches Verständnis von Fortschritt, wie Serejski es präsentiere, sei überhaupt nicht marxistisch: »In einem so dargestellten historischen Prozess ist kein Platz für Brüche, Rückschritte und Niederlagen, für vorübergehende Siege rückschrittlicher Strömungen über fortschrittliche Richtungen.«249 Der Positivismus war für Bobińska nicht ex definitione fortschrittlich, wie Serejski dies habe darstellen wollen: »Der Positivismus […] griff die Relikte an – doch er attackierte nicht die Festungen der Feudalklasse, und sein Kampf mit den Relikten hatte bei der Wahl der Kampfmittel nicht den demokratischen Impetus, wie er seinerzeit die westeuropäische Bourgeoisie auszeichnete.«250

In der Einleitung zu Szkoły historycze erkennt Bobińska ein »Streben danach, Smoleński eine fortschrittliche politische Biographie zu verpassen«, obwohl: »Im Grunde sind die Volksmassen für Smoleński ähnlich wie für Korzon nur Hintergrund und Gegenstand der Aktivität der aufgeklärten Schichten, ihrer Philanthropie.251 Sowohl in dem zitierten Artikel wie auch in dem zwei Jahre später veröffentlichten Band der »Entwürfe« des marxistischen Universitätshandbuches UPHP stellte Bobińska fest, dass die Warschauer Schule ihrem Wesen nach genauso gegen Lelewel eingestellt gewesen sei wie die Krakauer Schule.252 Ihre Meinung wurde voll und ganz von Adam Schaff unterstützt, der in seinem 1955 veröffentlichten Werk Obiektywny charakter praw historii [Der objektive Charakter der Rechte der Geschichte] noch einmal Serejski kritisierte und sagte, dass »der Warschauer Positivismus, so wie auch die Krakauer Schule, die Interessen der besitzenden Klassen verteidigt«.253 Blieb die Kritik, die Serejski von Nina Assorodobraj zuteil wurde, ohne ausführliche Antwort, so veröffentlichte der angegriffene Wissenschaftler diesmal in der KH eine umfangreiche Polemik mit Celina Bobińska. Serejski zufolge habe Bobińska nicht bemerkt, dass die Bourgeoisie keine einheitliche Klasse sei und dass daher nicht alle ihre Vertreter gleich behandelt werden könnten.254 Seiner Meinung nach hätten sich die Kriterien für Fortschrittlichkeit verändert, seit Lelewel seine historiographischen Thesen formulierte: »Der Autorin ist offenbar der Nachweis nicht gelungen, dass die Spannung des Klassenkampfes auf dem Land nach der Reform von 1864 und nach der Niederlage des Aufstands weiterhin revolutionäre Züge hatte, dass die bürgerliche Revolution in Polen in 249 Ebd. 250 Ebd, S. 187. 251 Ebd., S. 197 und 201. 252 Ebd., S. 204; Vgl. Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 27. 253 Adam Schaff: Obiektywny, a. a. O., S. 233. 254 Marian Henryk Serejski: Miejsce pozytywistycznej szkoły warszawskiej w historiografii polskiej XIX stulecia, in: KH 1955, S. 66.

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ihrem doppelten – nationalen und agrarischen – Aspekt weiterhin das zentrale Problem war, das die ideologischen Positionen determinierte, und dass daher die Einstellung ihr gegenüber damals das wichtigste oder gar einzige Kriterium für Fortschrittlichkeit war, vor allem bei der Bewertung kultureller Phänomene.«255

Zur Ergänzung seines Arguments zählte Serejski noch einmal alle Merkmale der Vertreter der Warschauer Schule auf, die die marxistischen Wissenschaftler als positiv ansahen, vor allem den Antiklerikalismus und die kritische Haltung gegenüber der Krakauer Schule.256 In seinem Text findet sich auch ein Zitat aus einer sowjetischen Überblicksdarstellung zur Geschichte Polens: »Es ist auch kein Zufall«, schreibt Serejski, »dass die Herausgeber der Istorja Pol’ši, wenn sie im Vorwort feststellen, dass ihnen eine nihilistische Einstellung gegenüber dem bürgerlichen wissenschaftlichen Erbe fremd ist, die Arbeiten von Historikern wie Wł. Smoleński, T. Korzon, W. Kętrzyński und anderen nennen, die ›auf Positionen der bürgerlichen Methodologie verharrten, sich aber negativ über die bürgerlich-nationalistische Praxis der Falsifikation äußerten und danach strebten, jeweils redlich der Wissenschaft zu dienen‹.«257

Marian Serejski dachte dieses Model zum Nachweis seiner Behauptungen weiter und stellt eine polnisch-russische Analogie her: Der sowjetische Wissenschaftler Michail Alpatov habe eine Gruppe liberaler russischer Historiker, die zwischen 1870 und 1890 tätig waren, als gemäßigt fortschrittlich bezeichnet. Analog solle man deshalb auch die Warschauer Schule beurteilen.258 In seiner Zusammenfassung stellte der Pole fest, dass die Historiker der Warschauer Schule bei allen ideologischen Beschränkungen fortschrittlich gewesen seien. Als solche wiederum hätten sie an die älteren fortschrittlichen Vertreter der heimischen Historiographie angeknüpft: »Während sie ihre wissenschaftliche Arbeitsweise vervollkommneten und neue Ansichten über den Gegenstand und die Aufgaben der Wissenschaft übernahmen, kehrten sich die Warschauer Historiker damals nicht von den fortschrittlichen Traditionen der Aufklärung und Lelewels ab. Auch wenn sie teilweise in Anlehnung an sie das Wissen über die nationale Vergangenheit erheblich erweiterten.«259

Der Konflikt zwischen den Mitgliedern der Marxistischen Historikervereinigung MZH hatte eine Fortsetzung. 1958 erschien Marian Serejskis Buch Koncepcja historii powszechnej Joachima Lelewela [Joachim Lelewels Konzeption der allgemeinen Geschichte].260 Nina Assorodobraj fand in dieser Veröffentlichung eine

255 Ebd., S. 67. 256 Ebd., S. 81 f. 257 Ebd., S. 71. 258 Ebd., S. 78. 259 Ebd., S. 97. 260 Marian Henryk Serejski: Koncepcja historii powszechnej Joachima Lelewela, Warszawa 1958.

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Reihe von Feststellungen, die jene Erkenntnisse unterstützten, die sie in ihrem für die Teilnehmer an den Feiern zum Mickiewicz-Jahr gedruckten Text Założenia teoretyczne historiografii Lelewela [Die theoretischen Grundannahmen von Lelewels Historiographie] veröffentlicht hatte. Zudem hatte Marian Serejski in einer Anmerkung geschrieben, er habe Assorodobrajs Publikation erst kennengelernt, nachdem er sein Buch geschrieben hatte. Die unangenehm berührte Historikerin drückte ihre Verwunderung darüber aus, dass er seine Meinung in so vielen Fragen verändert habe und praktisch ihren Argumenten Recht gab, die sie in der Auseinandersetzung um Karol B. Hoffman angeführt hatte.261 Ohne darauf einzugehen, wer in dieser Auseinandersetzung richtig lag, ist festzustellen, dass die Meinungsverschiedenheiten bei der Neuinterpretation der polnischen Historiographie auch diejenigen Wissenschaftler betraf, die dem marxistischen Lager angehörten. Denn wie bereits erwähnt, war diese Historikergruppe untereinander zerstritten. Persönliche Animositäten oder Sympathien waren gelegentlich wichtiger als ideologische Ähnlichkeiten und Unterschiede, was die Lage der polnischen Historiker insgesamt erschwerte. Die Unterteilung in Historiker, die der Partei angehörten, und parteilose Kollegen beschrieb die polnische wissenschaftliche Welt nicht genau genug. Die Auseinandersetzung über den Wert der positivistischen Historiographie ist eines der wenigen Beispiele, an dem man sowohl einen theoretischen Konflikt über die marxistische Methodologie wie auch ein Aufeinanderprallen zweier unterschiedlicher Interpretationen der Geschichte des historischen Denkens in Polen beobachten kann. Diese Konflikte um Hoffman und Lelewel veranschaulichen die Logik und den Mechanismus, die das Entstehen eines Katalogs fortschrittlicher historiographischer Traditionen bestimmten. Sowohl Nina Assorodobraj als auch Marian Serejski waren marxistische Wissenschaftler, und anders als Serejski meinte, war der Streit zwischen ihnen nicht von vornherein entschieden. Denn beide Interpretationen standen jeweils für einen Teil der polnischen historiographischen Tradition. Somit prallten zwei miteinander konkurrierende Konzepte aufeinander, die versuchten, Geltungskraft zu erlangen. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung war offen. Einerseits ging es um wissenschaftliche Befriedigung (um die offizielle Anerkennung »meines Lieblingshistorikers«), andererseits um die persönliche berufliche Stellung (wer würde der Urheber der dominierenden, amtlichen Interpretation werden?).

261 Rps BUW, Spuścizna Niny Assorodobraj, Sign. VII/3 Okazjonalne/zawodowe – pismo do Aleksandra Gieysztora.

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Die polnische Historiographie des 20. Jahrhunderts Die Beziehung der marxistischen Historiographie zum Schaffen jener polnischen Historiker, die nicht allzu viel früher beruflich aktiv gewesen waren, war zwangsläufig noch uneindeutiger als die Beurteilung Lelewels oder Naruszewiczs. Viele marxistischen Wissenschaftler waren Schüler Marceli Handelsmans, Wacław Tokarzs oder Władysław Konopczyńskis, der im Übrigen die »Methodenwende« in der polnischen Historiographie noch erlebte. Die persönliche Bekanntschaft mit Historikern, deren Werk nun in Übereinstimmung mit der marxistischen Geschichtswissenschaft bewertet werden musste, konnte sowohl eine Verschärfung wie auch eine Abmilderung der Urteile herbeiführen. Auf jeden Fall erschwerte der geringe zeitliche Abstand zwischen den Urteilenden und den Beurteilten eher die Ausarbeitung eines einheitlichen Standpunkts zur neuesten historiographischen Tradition. Zudem waren bei Askenazy, Handelsman, Tokarz, Konopczyński oder Wojciechowski deren politische Sympathien ganz klar, ob sie nun Sozialisten, Piłsudski-Anhänger oder Nationalisten gewesen waren. Keine dieser ideologischen Richtungen fand in den 1950er Jahren Gnade, was das Urteil der mit den einzelnen politischen Lagern sympathisierenden Historiker ebenfalls beeinflusste. Es stellte sich als am verhältnismäßig einfachsten heraus, diejenigen Forscher zu beurteilen, die der Nationaldemokratie zugerechnet wurden. Während einer Breslauer Konferenz zu den deutsch-polnischen Beziehungen bewertete Ewa Maleczyńska 1951 die polnische Historiographie der Jahrhundertwende als eindeutig nationalistisch, wobei sie diese Anklage auch auf Vertreter der so genannten Westorientierung in der Zwischenkriegszeit ausdehnte, in erster Linie auf Zygmunt Wojciechowski (der nota bene Mitglied des Präsidiums dieser Konferenz war).262 Ähnlich schätzte Jan Baszkiewicz Wojciechowski selbst wie auch die von ihm vertretene Richtung ein.263 Der sowjetische Wissenschaftler J. Rubinštejn schmähte nicht nur Bobrzyński und Studnicki, die »voller untertäniger Gefühle für die preußisch-deutsche Teilungsmacht« gewesen seien, sondern auch namentlich nicht genannte polnische Historiker, die »den Klassencharakter der politischen Unterdrückung, Kolonisierung und Germanisierung verwischten […] und sie oftmals lediglich als Ausdruck eines ›Rassenkampfes‹ zwischen Deutschen und Polen darstellten«.264 Der Historiker, über dessen Kopf sich in den 1950er Jahren mit Abstand die dunkelsten Wolken zusammenzogen, war Władysław Konopczyński. Man griff sowohl seine historischen wie auch seine methodologischen und organisatorischen

262 Ewa Maleczyńska: Problem, a. a. O., S. 7–15. 263 Jan Baszkiewicz: Powstanie, a. a. O., S. 21. 264 J. Rubinsztejn: Polityka kolonizacyjna, a. a. O., S. 135.

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Ansichten an; auch personelle Fragen wurden nicht ausgespart. Während der Otwocker Konferenz erinnerte Józef Gutt an Äußerungen Konopczyńskis aus der Nachkriegszeit, als er seine Abneigung gegenüber radikalen Brüchen in der polnischen Historiographie kundgetan und zum ruhigen Wiederaufbau ihres Besitzstands von vor dem Krieg aufgerufen hatte. Gutt »dechiffrierte« Konopczyńskis Haltung auf einfache Weise. Seiner Meinung nach habe der Historiker Veränderungen gescheut, da er die reaktionärsten Kreise der polnischen nationalistischen Bourgeoisie vertreten habe. Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass er den Fortschritt gefürchtet habe.265 In ihrer programmatischen Rede auf dem I. KNP stellte Żanna Kormanowa Konopczyński kurz und knapp als Chauvinisten dar.266 Adam Schaff rechnete ihn (gemeinsam mit Askenazy und Handelsman) zu den von Idealismus, Idiographismus und »Heroismus« »verseuchten« Historikern.267 Nach Meinung von Celina Bobińska sollte »der besonders kämpferische Nationalismus« Konopczyńskis die Tatsache nicht verstellen, dass »er im Grunde die reaktionären Merkmale der Krakauer Schule fortsetzte«.268 Die Kritik einzelner Arbeiten und historiographischer Thesen Konopczyńskis war nicht weniger scharf als die generalisierenden Urteile. Oft kamen die marxistischen Forscher »vom Speziellen zum Allgemeinen«, d. h. von einer Kritik an einzelnen seiner Erkenntnisse zu einer umgreifenden Bewertung seiner ideologischen und methodologischen Haltung. Neben dem unterstellten Nationalismus und Antigermanismus in Konopczyńskis Texten war die Rolle der Konföderation von Bar ein solches Detail, das zu allgemeineren Betrachtungen führte. Die Konföderation war eine katholische und konservative Bewegung der zweiten Hälfte des 18. Jahhunderts, die sich gleichzeitig gegen die russische Dominanz wie auch gegen religiöse Toleranz und die Modernisierung des Landes richtete. Konopczyński hatte sie positiv bewertet, wogegen sich Witold Łukaszewicz entschieden wendete: »Das eben ist der Punkt«, schrieb er 1952, »dass die Konföderation von Bar das ›verendende Vaterland‹ nicht rettete, sondern ihm dem Todesstoß versetzte, indem sie die Reformen der Familia [der politischen Gruppierung um Familie Czartoryski, M. G.] und des Königs verhinderte, die es vor dem Ableben hätten retten können«.269 Diese Meinungsverschiedenheiten über die Schädlichkeit oder den erlösenden Nutzen der Konföderation waren in der polnischen Historiographie schon lange ausge-

265 Vgl. Józef Gutt: Niektóre zagadnienia poznania historycznego w świetle materializmu dialektycznego i historycznego, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 42. 266 Żanna Kormanowa: Referat podsekcji historii sekcji nauk społecznych i humanistycznych I KNP, in: KH 1951, S. 286. 267 Vgl. Adam Schaff: Obiektywny, a. a. O., S. 165. 268 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 29. 269 Witold Łukaszewicz: Targowica, a. a. O., S. 48.

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tragen worden und die Äußerung des marxistischen Wissenschaftlers hätten völlig zu den traditionellen Diskussionen über die Nationalgeschichte gepasst, wäre da nicht eine umfangreiche Passage gewesen, die direkt auf den zitierten Satz folgte: »Prof. Konopczyński, fixiert auf das Hirngespinst einer ›russischen Flut‹, schrieb sein Werk nicht für die arbeitenden Massen. Polen ist unter anderem deshalb zu einem Polen geworden, das frei ist von sozialer und nationaler Unterdrückung, zu einem wahrhaft souveränen, dem Volk gehörenden Polen, da das geistige Erbe von Bar und Targowica entlarvt und ein für alle Mal aus unserer Geschichte getilgt wurde. Doch das wollte Prof. Konopczyński noch nicht einmal dann erkennen und verstehen, als er von einem Universitätskatheder Volkspolens aus sprach.«270

Die Einschätzung des Historikers war aber nicht für alle Marxisten so einfach und eindeutig wie für den zitierten Autor. Trotz einer generell kritischen Haltung gegenüber Konopczyński gab es Versuche einen Wendepunkt auszumachen, an dem er erwiesenermaßen in reaktionäre und nationalistische Bahnen abgeglitten sei. Allein dass man danach suchte, implizierte die Vermutung, Władysław Konopczyński sei zu Beginn seiner Karriere noch kein eindeutig rückwärtsgewandter Historiker gewesen. Bogusław Leśnodorski wandte während einer Diskussion auf der Kołłątaj-Tagung ein, Konopczyński habe sich »seit jeher« zu seinen nationalistischen Ansichten bekannt. »Doch bis 1939«, fügte er hinzu, »stand dieser Gelehrte Bigotterie und klerikalen Sichtweisen fern.«271 Marian Żychowski zählte ihn zu denjenigen polnischen Historikern, die unter Einfluss der revolutionären Ereignisse von 1905 »zu rückwärtsgewandten Positionen übergegangen« seien.272 Man bedenke: Konopczyński war 1905 gerade 25 Jahre alt. Die Zeit, in der er keine reaktionären Ansichten vertrat, war somit nicht allzu lang, wenn es sie denn überhaupt je gab. Weniger eindeutig war das marxistische Urteil über diejenigen Historiker der Zwischenkriegszeit, die mit der sozialistischen Bewegung oder mit Piłsudski sympathisiert hatten. Szymon Askenazy wurde in Kormanowas Referat in einem Atemzug mit Konopczyński genannt, doch nicht minder bündig als »Imperalist« charakterisiert.273 Diese Bezeichnung rührte nur teilweise aus einer Analyse der Ansichten des Historikers her. Ebenso wesentlich war die Tatsache, dass sein Wirken wohl oder übel in die Zeit des Imperialismus fiel. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs »war Askenazy mit derjenigen Abspaltung der Bourgeoisie verbunden, die […] auf den imperialistischen deutschen Block setzte«, schrieb Witold Łukaszewicz

270 Ebd., S. 49. 271 Bogusław Leśnodorski: [ohne Titel], in: PH 1951, S. 165. 272 Marian Żychowski: Wpływ rewolucji r. 1905 na polską historiografię burżuazyjną, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 133. 273 Żanna Kormanowa: Referat, a. a. O., S. 286.

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und fügte hinzu, dass »Askenazy schon damals klammheimlich in die PiłsudskiRichtung schielte«.274 Die Unterstützung der Mittelmächte sowohl durch das Piłsudski-Lager wie auch durch die Krakauer Konservativen führte dazu, dass, wie Krystyna Śreniowska schrieb, Bobrzyński sowie dem Protagonisten ihres Artikels, Stanisław Zakrzewski, »ihr gemeinsamer Dienst bei den Mittelmächten gemein war, das Konzept zur Errichtung eines trotz seiner sozialen und auf Unabhängigkeit orientierten Phraseologie aristokratisch-bürgerlichen Kleinstaats, eines Vasallen gegenüber dem einen oder anderen westlichen Staat«.275 Askenazy war nach Auffassung von Józef Dutkiewicz ein hochgebildeter Historiker. Dies veränderte jedoch sein Urteil über dessen ideologische Haltung nicht. Askenazy sei, obwohl er »seinem subjektiven Gefühl nach weder Chauvinist noch Nationalist« war, in der Praxis ein solcher gewesen, da »seine Einschätzung der europäischen und der polnischen Revolutionsbewegung darauf abzielte, mit der traditionellen Bindung unseres nationalen Befreiungskampfes, mit den in der jeweiligen Zeit führenden Bestrebungen des europäischen Fortschritts- und Revolutionslagers zu brechen«.276 Askenazys Aufsehen erregender Auftritt gegen die Krakauer Schule auf dem Historikertag von 1900 wurde sehr viel schlechter beurteilt als Tadeusz Korzons ähnliche Äußerung zehn Jahre zuvor. Bei Celina Bobińska heißt es, dass »Askenazy, der vermeintlich Korzons Standpunkt von vor zehn Jahren fortsetzte, die Krakauer Schule aus nationalistischen und epigonalen Positionen angriff und sich faktisch gegen jede Kritik der polnischen besitzenden Klassen in der Vergangenheit aussprach«.277 Auch Roman Werfel glaubte nicht an die Aufrichtigkeit der Absichten Askenazys und seiner Nachfolger. Werfel schrieb in seiner in der ND veröffentlichten Zusammenfassung der Konferenz von Otwock, dass »die Historiker des Piłsudski-Lagers und der rechten PPS oft versuchen, sich in die Tradition progressiver Strömungen der Vergangenheit zu stellen, um ihren Inhalt zu verzerren und dadurch den polnischen Fortschritt unserer Tage zu bekämpfen«.278 Am schärfsten äußerte sich hierzu Stefan Żółkiewski, der »als Literaturhistoriker« bei Askenazy »die bewusste, bösartige Diffamierung aller fortschrittlichen Bewegungen und Persönlichkeiten« konstatierte.279 Ähnliche Beschuldigungen, die fortschrittlichen Ideen der Vergangenheit im Interesse der einen oder der anderen Gruppe der polnischen Bourgeoisie zu mani-

274 Witold Łukaszewicz: Targowica, a. a. O., S. 34. 275 Krystyna Śreniowska: Stanisława Zakrzewskiego poglądy na powstanie państwa i narodu polskiego, in: KH 1954, S. 111. 276 Józef Dutkiewicz: Szymona Askenazego poglądy na ruchy rewolucyjne, in: KH 1956, S. 380. 277 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 28. 278 Roman Werfel: Początek zasadniczego zwrotu (Na marginesie konferencji historyków polskich w Otwocku), in: ND, Nr. 1–2/1952, S. 45. 279 Stefan Żółkiewski: [ohne Titel], in: PH 1951, S. 171.

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pulieren, wurden an die Adresse von Wacław Tokarz und Marceli Handelsman gerichtet. Stefan Kieniewicz schrieb in den »Entwürfen« des UPHP über die historiographische Strömung, die »beabsichtigte, in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Bourgeoisie die in der Nation lebendigen Unabhängigkeitstraditionen für ihre Zwecke zu nutzen«.280 Auch die progressiven Phänomene wurden somit ihrer Fortschrittlichkeit beraubt. Tokarz habe folglich das linke Lager bei den polnischen Aufständen positiv bewertet, »obwohl er es vor seinen Lesern rechtfertigte und dabei auf seinen allzu gemäßigten Radikalismus hinwies«.281 Im selben Handbuch beurteilte Celina Bobińska diese Aspekte von Tokarzs Arbeiten etwas besser: »Die liberale Richtung der Historiographie«, schreibt sie, »die stets von externem Radikalismus sprach, eine Richtung, die gelegentlich dem Piłsudski’schen Pseudoradikalismus verwandt war, besaß gewisse fortschrittliche Merkmale«.282 Die Beurteilung Marceli Handelsmans bereitete der marxistischen Historiographie die größten Schwierigkeiten. Sein Einfluss auf die Entwicklung der wissenschaftlichen Ansichten der in den 1950er Jahren aktiven marxistischen Historiker ist schwer zu überschätzen; sein tragischer Tod in einem deutschen Konzentrationslager war zudem allen noch sehr präsent. 1948 begann Stefan Kieniewicz mit der Herausgabe des letzten Werks seines Lehrers, der großen, während der deutschen Besatzung geschriebenen Adam-Czartoryski-Biographie.283 Der erste, in einer Auflage von 1.100 Exemplaren gedruckte Band enthielt ein Vorwort Kieniewiczs, in dem Handelsman als »überzeugter Fortschrittlicher und Demokrat« charakterisiert wird. Der Autor der Einleitung hebt hervor, dass »Handelsman von Czartoryskis Ideologie eher weit entfernt war, doch meinte, dass die genaue Kenntnis der Geschichte des konservativen Lagers in Polen ein unabdinglicher Teil unserer Forschungen zur Zeit nach den Teilungen sein müsse«.284 Relativ rasch zeigte sich, dass ein so positives Urteil über Handelsman in der marxistischen Historiographie nicht haltbar war. Bereits 1950 erschien in der PH Mieczysław Żywczyńskis ungemein positive Rezension des ersten Bandes von Adama Czartoryskiego.285 Während des I. KNP beschrieb Żanna Kormanowa dasselbe Werk als: »… das aus einer idealistischen, nationalistischen und fideistischen Position geschriebene Buch des sein ganzes Leben über fortschrittlichen, bedeutenden Gelehrten«.286 In seinem Kongressbericht resümierte Kazimierz Petrusewicz:

280 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 400. 281 Ebd. 282 Ebd., S. 30. 283 Marceli Handelsman: Adam Czartoryski, Bd. 1–3, Warszawa 1948–1950. 284 Stefan Kieniewicz: Wstęp, in: ebd., Bd. 1, S. IX. 285 X. Marian Żywczyński: (Rez.) Marceli Handelsman: Adam Czartoryski, Bd. 1, in: PH 1950, S. 380. 286 Żanna Kormanowa: Referat, a. a. O., S. 294.

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»Hauptthema der ideologischen Auseinandersetzung war die Bewertung der liberalbürgerlichen, sozialdemokratischen und dann offen Piłsudski-freundlichen Lager. Die unter diesem Aspekt geführte Diskussion über die Historyka und Handelsmans Czartoryski zeigte deutliche Unterschiede auf. Die Kritik der eindeutig nationaldemokratischen Strömungen wies solche […] Differenzen nicht auf.«287

Eine ähnliche Beobachtung teilte Stefan Żółkiewski den Teilnehmern an der Kołłątaj-Tagung mit, als er darauf aufmerksam machte, dass sich die marxistischen Historiographiegeschichtler ihrem Gegenstand nicht kritisch genug genähert hätten: »Nach der großen Gestalt des bürgerlichen, doch fortschrittlichen Historikers Smoleński kommt es zu einer deutlichen Dekadenz. Wir sollten offen sagen, welch klassenhaften, politischen Charakter die Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts hat. […] So kann Konopczyński mit seinem nationaldemokratischen Nationalismus nicht der einzige Sündenbock sein.«288

Die seit 1950 wachsende Kritik an Handelsman beeinflusste auch die Form der weiteren Bände von Adam Czartoryski. Vom zweiten, 1949 erschienenen Band wurden noch ebenso viele Exemplare gedruckt wie vom ersten. Der zweiteilige dritte Band erschien 1951 nur noch in einer Auflage von 600 Exemplaren. Der zweite Teil des letzten Bandes enthielt ein von Stefan Kieniewicz verfasstes Nachwort des Herausgebers. Es war der letzte Versuch, Handelsman vor der größer werdenden Kritik der marxistischen Historiographie zu schützen. Kieniewicz bemerkte, dass der Autor aus auf der Hand liegenden Gründen beim Schreiben seines Buches keine nach 1939 erschienene Literatur verwenden konnte und dass er auch einen nur beschränkten Zugang zu Arbeiten sowjetischer Autoren gehabt habe. »Dennoch darf angenommen werden«, schreibt er, »dass er, wäre er unter uns geblieben, heute mit etwas anderen Augen auf sein Werk über Czartoryski geblickt und es revidiert hätte – sowohl inhaltlich wie auch methodologisch«.289 Kieniewicz räumte zwar ein, Handelsman habe den »Wert der Klassiker des Marxismus als Interpretatoren der Geschichte« nicht gekannt, er äußerte dennoch die Hoffnung, dass »die nächste Generation polnischer Historiker, die in einem anderen Klima aufwachsen und mit anderen Forschungsmethoden gewappnet sein werden, auch dieses Werk über Czartoryski mit Nutzen für die Wissenschaft werden verwenden können. Sie werden hier einen ungeheueren Reichtum an Quellenmaterial finden, ein umfassendes Wissen über Menschen und Ereignisse, schließlich auch eine umfangreiche Argumen-

287 Kazimierz Petrusewicz: Pierwszy KNP, in: ND, Nr. 3/1951. 288 Stefan Żółkiewski: (ohne Titel), in: PH 1951, S. 171. 289 Vgl. Stefan Kieniewicz: Posłowie wydawcy, in: Marceli Handelsman: Adam Czartoryski, Bd. 3, T. II, Warszawa 1950, S. 719 f.

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tation, die die tatsächlichen Absichten der Westmächte gegenüber Polen entlarven. All dies wird in einer neuen, schöpferischen Synthese verwendet werden können. Ein weiteres Mal wird Volkspolen das aus dem Erbe der Vergangenheit übernehmen und verarbeiten, was in ihm dauerhaft und fruchtbar war.«290

Derweil setzten die Teilnehmer der Konferenz von Otwock die während den Beratungen des I. KNP begonnene Kritik an Handelsman fort. Natalia GąsiorowskaGrabowska sprach seinen Idealismus an.291 Roman Werfel widmete in seinem zusammenfassenden Artikel über die Otwocker Gespräche dem Historiker einen ganzen Absatz: »Die polnische Geschichtswissenschaft muss diese reaktionären historischen Schulen entlarven, die die Verteidigung der Interessen der Ausbeuter in der besonders gefährlichen Form eines vermeintlich leidenschaftslosen ›Objektivismus‹ einschmuggeln – sie muss z. B. aufzeigen, dass das posthum – ganz offensichtlich unverdientermaßen – erschienene Buch von Prof. Handelsman über Czartoryski […] keineswegs ein Einzelfall ist, es ist nicht das Ergebnis des nicht möglichen Zugangs zu den Quellen in der Zeit der Okkupation, sondern dieses Buch erklärt sich konsequent aus der Weltanschauung und der wissenschaftlichen Methodologie dieses Gelehrten.«292

Kieniewiczs Nachwort schützte Handelsman auch nicht vor einer anderen strengen Kritik, diesmal in Adam Schaffs Abhandlung Obiektywny charakter praw historii. Schaff sah in Handelsmans Büchern Idealismus, Idiographismus und Heroismus – ähnlich wie bei Askenazy und Konopczyński –, doch seine Beispiele für diese methodologischen Fehler suchte er vor allem in Adam Czartoryski, ohne Arbeiten der beiden übrigen Historiker zu untersuchen. »Handelsman will den wissenschaftlichen Charakter der Historiographie nicht klar und deutlich bestreiten«, schreibt der marxistische Kritiker, »doch strebt er eine Negation der objektiven Gesetze der Geschichte an. Infolgedessen gelangt er von der Theologie [vielleicht sollte es hier Teleologie heißen, M. G.] zu einem formal betrachteten Determinismus und ruft beim Leser ein totales gedankliches Chaos hervor.«293

Schaffs weitere Vorbehalte betreffen die These, die häufig in den Aussagen derjenigen Wissenschaftler auftauchte, die Handelsmans Werk verteidigten. Sehr deutlich formulierte sie etwas später Celina Bobińska, derzufolge Marceli Handelsman ein

290 Ebd., S. 721 f. 291 Vgl. Natalia Gąsiorowska-Grabowska: Proces formowania się narodu burżuazyjnego w ramach kształtowania się stosunków kapitalistycznych w Polsce, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/ Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 14. 292 Roman Werfel: Początek zasadniczego zwrotu (Na marginesie konferencji historyków polskich w Otwocku), in: ND, Nr. 1–2/1952, S. 47. 293 Adam Schaff: Obiektywny, a. a. O., S. 166.

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»wohl krasses […] Beispiel für diesen ›Bruch‹ ist, da ein und derselbe Mensch auf dem Gebiet der historischen Erkenntnistheorie ein Subjektivist ist, zugleich aber in seiner historischen Praxis der Urheber präziser empirischer und realistischer Forschungen. […] Letztlich obsiegt […] der Wissenschaftler über den Methodologen, wo er bewährtes historisches Handwerkszeug einsetzt, um die objektiven Merkmale des gesellschaftlichen Lebens zu rekonstruieren, seine tatsächlichen Unterteilungen, wo er sich gelegentlich sogar des Klassenkriteriums bedient.«294

Adam Schaff lehnte derartige Versuche ab, nachzuweisen, dass Handelsman etwas anderes gedacht, »objektiv« aber fast marxistisch geschrieben habe: »Wir wollen zeigen, dass die historiographische Theorie und Praxis Handelsmans eng miteinander zusammenhängen und nachweisen, dass der Idiographismus eine reale Gefahr ist, die unserer Geschichtsschreibung droht, unter anderem aufgrund der noch lebendigen Einflüsse der Schule Handelsmans. […] Eine falsche Methodologie – vor allem Idiographismus – muss den Historiker in die Irre führen und die Effektivität seiner Forschungsarbeit verringern, wenn sie sie nicht gar zunichtemacht.«295

Die Kritik an Handelsmans Arbeit beschränkte sich nicht nur auf Fragen der Methodologie. Ebenso viel Aufmerksamkeit schenkte Adam Schaff Fragen der Faktographie. Der antirussische Standpunkt, den er in Adam Czartoryski entdeckte, war seiner Meinung nach »Ausdruck nicht nur von Nationalismus, sondern er hatte gleichzeitig auch eine eindeutig soziale Aussage: Er war Ausdruck einer Furcht vor dem revolutionären Kampf. Im Endeffekt verschweigt Handelsmans Arbeit vollkommen die Existenz des anderen Russland, er will nichts vom revolutionären Kampf um die Unabhängigkeit Polens wissen und sieht den im Dienst des Zaren tätigen Czartoryski als ausschließlichen Vertreter des polnischen Patriotismus. Die offensichtliche und extreme Verzerrung der historischen Wahrheit ist das unweigerliche Ergebnis der bourgeoisen Parteilichkeit des Autors.«296

Der Heroismus, den Schaff Handelsman vorwarf, bezog sich vor allem auf die Art und Weise, wie dieser den Einfluss von Fürst Adam Czartoryski auf den Fortgang der polnischen Frage dargestellt habe. Zugleich aber fehle es Handelsmans Arbeiten in einigen Fällen an Heroismus, nämlich an progressivem Heroismus. So stellte Schaff fest, dass es in der ganzen Czartoryski-Biographie nur zwei Hinweise auf den Revolutionär Edward Dembowski gebe.297 Einen besonderen Platz unter den kritisierten Vorgängern der marxistischen Schule nahmen Historiker ein, die im Land lebten und geblieben waren. Von Władysław Konopczyński war bereits die Rede, dem Lieblingsgegenstand der wissenschaft294 Celina Bobińska: Historyk, fakt, metoda, Warszawa 1964, S. 56 f. 295 Adam Schaff: Obiektywny, a. a. O., S. 170 f. und 173. 296 Ebd., S. 181. 297 Ebd., S. 177.

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lichen Kritik der 1950er Jahre. In einer ähnlichen Rolle trat gelegentlich Henryk Wereszycki auf, der auf der Otwocker Konferenz angegriffen und dazu gezwungen wurde, Selbstkritik zu üben (die im Übrigen als ungenügend bemängelt wurde), aber auch Karol Górski, der von Adam Schaff kritisiert wurde.298 Keiner von ihnen wurde jedoch zum Gegenstand so detaillierter Studien wie die älteren Historiker. Bei der Wahl ihrer Themen aus dem Gebiet der polnischen Historiographiegeschichte blieben die marxistischen Autoren im Grunde Traditionalisten.

Das Kriterium der Fortschrittlichkeit in der Erforschung der Historiographie Die sich in den 1950er Jahren verstärkende Erforschung der heimischen historiographischen Tradition veranlasste einige marxistischen Historiker zu allgemeinen Reflexionen über dieses Gebiet der Geschichte. 1954 und 1955 kam es in der KH zu einem besonders interessanten Gedankenaustausch hierzu zwischen Stefan Kieniewicz und Wanda Moszczeńska. Kieniewicz sprach sich dafür aus, die Beurteilung eines historischen Werks zumindest teilweise von der Beurteilung der politischen Haltung seines Autors zu unterscheiden. Er machte verschiedene Einschränkungen und hob die Bedeutung gesellschaftlicher Faktoren im wissenschaftlichen Schaffen hervor, war jedoch der Auffassung, dass die historiographische Tradition und die in den Arbeiten zum Ausdruck kommenden konkreten Ansichten der grundlegende Ausgangspunkt derartiger Forschungen sein müssten. Kieniewiczs Äußerung bezog sich sowohl auf die Kritik an Handelsmans posthum erschienenen Adam Czartoryski wie auch auf die Diskussion zwischen Marian Serejski auf der einen, Nina Assorodobraj und Celina Bobińska auf der anderen Seite.299 Eine solche Herangehensweise an die Historiographiegeschichte rief den Widerspruch Wanda Moszczeńskas hervor. Ihr polemischer Artikel war der Versuch, die wichtigsten methodologischen Probleme zu systematisieren, mit denen die marxistische Historiographiegeschichte zu tun hatte. Kieniewiczs Konzeption lehnte sie ab, da ihre Übernahme »die Rückkehr zur bürgerlichen Konzeption der Historiographiegeschichte« bedeutet hätte.300 Dieses Forschungsgebiet hänge aber, so Moszczeńska, mit der Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung zusammen, von der man nicht abstrahieren dürfe.

298 Ebd., S. 184. Vgl. Zenon Hubert Nowak: Karol Górski – koleje życia, in: Zenon Hubert Nowak (Hg.): Karol Górski – człowiek i uczony, Bd. 1, Toruń 1999, S. 7–30. 299 Vgl. Stefan Kieniewicz: Jeszcze na temat zadań historii historiografii, in: KH 1954. 300 Wanda Moszczeńska: Czy historia historiografii jest wąską specjalnością?, in: KH 1955, S. 170.

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»Der Gebrauch, vielmehr die Überstrapazierung der Formulierung ›relative Fortschrittlichkeit‹ in den historiographischen Forschungen birgt«, so die Autorin, »eine ernste Gefahr, die nicht nur darauf beruht, dass Progressivität bisweilen nicht progressiven Fakten zugeschrieben wird, sondern vor allem darauf, dass diese Bezeichnung in einer nicht konkretisierten, ganz allgemeinen Form gebraucht wird, was dazu führt, dass die Formulierung den Charakter einer Wendung salvavi animam meam erhält. Die Hervorhebung einer relativen Fortschrittlichkeit konnte nur in früheren Phasen unserer historiographischen Forschungen nützlich und begründet sein, während sie heute lediglich in einigen Fällen die Bedeutung eines Signals haben kann, das auf die Notwendigkeit einer eindringlichen, vertieften Erforschung des betreffenden Phänomens hinweist. In der gegenwärtigen Phase kann und muss man den Schwerpunkt auf die Frage nach den Kriterien der Fortschrittlichkeit lenken sowie darauf, für sie einen vergleichenden Maßstab zu bestimmen.«301

Man muss sagen, dass die Verfasserin dieses Artikels keine klaren Richtlinien über die Kriterien bot, derer sich die marxistischen Historiographiegeschichtler in ihren Urteilen zu bedienen hätten. In der Zusammenfassung ihres Textes charakterisierte sie den Klassenkampf im Bereich der Historiographie auf eine Weise, wie dies bereits bewusst oder intuitiv die von ihr wegen mangelnder Urteilskraft kritisierten Forscher getan hatten: »progressive Tendenzen als Ergebnis des Eintritts neuer progressiver gesellschaftlicher Kräfte auf die Bühne der Geschichte führen zwangsläufig zu Thesen, die der wissenschaftlichen Wahrheit näher stehen, sie führen also zu positiven und dauerhaften Errungenschaften; auf der anderen Seite aber bleiben wissenschaftlich richtige Ansichten, genauer Beobachtungen, wahre Aussagen, zwangsläufig in Übereinstimmung mit den progressiven Tendenzen, führen in die von ihnen vorgegebene Richtung und lassen sich nicht mit reaktionären Tendenzen vereinbaren«.302

Mit anderen Worten – Wanda Moszczeńska ließ den marxistischen Autoren freie Hand dabei, herauszufinden, welcher bürgerliche Historiker einen (wohl nur beschränkten) Fortschritt vertrete. In die von ihr gesteckten Grenzen passten sowohl Karol Boromeusz Hoffman, der – nach Auffassung Marian Serejskis – ein höheres Niveau gesellschaftlicher Entwicklung repräsentierte als der ansonsten ebenfalls recht fortschrittliche Joachim Lelewel, wie auch Michał Bobrzyński, dessen schriftstellerischen Stil und methodologische Leistungen Celina Bobińska zu schätzen wusste. Die unklaren Progressivitätskriterien stellten sich als großes Problem für die Art von Geschichte heraus, wie sie von den marxistischen Historiographiegeschichtlern geschrieben wurde. Das Element des Werturteils war hier stets präsent und nicht selten wichtiger als die Darstellung der Ansichten einzelner Historiker; ge-

301 Ebd., S. 162. 302 Ebd., S. 169.

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legentlich ersetzte es überhaupt konkrete Informationen. Bei allen Bemühungen wurden keine klaren und einheitlichen Methoden vorgelegt, mit deren Hilfe man ein solches Urteil hätte fällen können. Deshalb gelang es in den 1950er Jahren nicht, eine einheitliche Interpretation der polnischen Historiographie auszuarbeiten. Unter den Marxisten kam es in vielen Fragen immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten, etwa über die Einschätzung Lelewels, der Krakauer Schule, der Warschauer Schule oder der Historiographie der Zwischenkriegszeit. Man fand jedoch in vielen Fällen zumindest bescheidene Elemente von »Fortschrittlichkeit«. Diese Meinungsverschiedenheiten waren zu einem gewissen Grad auch ein Reflex der Unterschiedlichkeit und der – trotz der verflossenen Zeit – nach wie vor bestehenden Aktualität der polnischen historiographischen Tradition. Es war nicht leicht, sich auf einem so divergenten und weitläufigen Gelände sicher zu bewegen. Die Lage verlangte Vorsicht, die Zeit war keineswegs reif für eine offene Diskussion historischer Themen, und trotzdem kam es auf dem Feld der Historiographiegeschichte in der stalinistischen Zeit zu erregten Auseinandersetzungen.

Die marxistische Historiographie in Tschechien und die historiographische Tradition Während in der polnischen Historiographie das Verhältnis der Marxisten zur Tradition der Disziplin oft und eindeutig thematisiert wurde, während es hier zu Auseinandersetzungen kam, wie sie in anderen Gebieten der Geschichtswissenschaft kaum möglich waren, nahm diese Frage unter den sich mit der Geschichte Tschechiens beschäftigenden Historikern einen weniger exponierten Platz ein. Man könnte sagen, dass Bemerkungen über die Historiographiegeschichte eher am Rande von Arbeiten zu anderen Themen auftauchten, aber auch im Universitätshandbuch zur Geschichte der Tschechoslowakei. Das Fehlen umfangreicherer Abhandlungen zu historiographischen Themen wurde jedoch gewissermaßen kompensiert. Die marxistischen Historiker beschäftigten sich relativ ausführlich mit dem politischen Wirken einiger Personen, die vollständig, überwiegend bzw. nur am Rande Historiker waren. František Palacký wurde in den Vorworten zu Arbeiten über den Hussitismus fast durchweg genannt, und auch seine politische Tätigkeit wurde gerne beschrieben. Alois Jirásek und Zdeněk Nejedlý waren eigentlich keine Historiker, galten aber als solche und wurden Josef Pekař, einem weiteren Thema historischer Arbeiten der 1950er und 1960er Jahre, gegenübergestellt. Pekař verkörperte alle »Sünden« der böhmischen Historiographie und wurde von den marxistischen Autoren gelegentlich regelrecht beschimpft. Die Erforschung ausschließlich politischer Aspekte der Arbeit von Historikern und das Fehlen historiographiegeschichtlichen Interesses führten dazu, dass eine ernstzunehmende Synthese des Themas in der Tschechoslowakei erst in den

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1970er Jahren erschien. Wie sich paradoxerweise herausstellte, war auch dies noch zu früh. Das hervorragende Buch František Kutnars und Jaroslav Mareks (letzterer wurde auf der Titelseite nicht genannt) führte nämlich zu ungewöhnlich scharfen negativen Reaktionen der Entscheidungsträger.303 Die in sehr geringer Auflage gedruckte Arbeit wurde aus den Buchhandlungen und Bibliotheken zurückgerufen, und die ČSČH veröffentlichte eine gehässige Rezension des marxistischen Historiographiehistorikers Josef Haubelt. Haubelt warf Kutnar vermeintliche Wissenslücken vor, forderte aber vor allem, dass der Autor einen klaren Standpunkt einnehmen und beurteilen müsse, welcher der behandelten Historiker progressiv war und welcher nicht.304 Kutnar, der als Schüler und Anhänger Pekařs »entlarvt« wurde, habe eine voll und ganz antimarxistische Konzeption der Historiographiegeschichte vorgelegt. Seine Arbeit sei »ein unglaublich verspäteter Epilog zu Pekařs Fälschung der Nationalgeschichte«.305 Haubelt, der 1978 beauftragt wurde, Zdeněk Nejedlýs 100. Geburtstag in der ČSČH zu würdigen, stellte entsetzt fest, dass Kutnar den ersten Präsidenten der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften als »Masaryker« bezeichnet hatte.306 In der marxistischen Historiographie der tschechischen Länder spielte die Bewertung der heimischen historiographischen Tradition keine so große Rolle wie in Polen. Es fehlte an Wissenschaftlern, die sich für dieses Thema interessierten, so wie in Polen etwa Marian Serejski oder Celina Bobińska. Josef Haubelt, dessen Rezension von Kutnars Buch wohl auch Ausdruck eigener verletzter Ambitionen war, beschäftigte sich erst relativ spät mit Historiographiegeschichte.307 In den 1960er Jahren, als er seine wissenschaftliche Karriere (und seine Parteilaufbahn) begonnen hatte, widmete er sich noch der Geschichte der Naturwissenschaften.308 Doch das Problem beruhte nicht nur auf dem Fehlen geeigneter Wissenschaftler. Wenn man die offiziellen Äußerungen, die Einleitungsartikel in der ČSČH und Konferenzmaterialien liest, so hat man den Eindruck, als sei die Bewertung der historiographischen Tradition keineswegs eine erstrangige Aufgabe gewesen. Anders als in Polen betonte man viel stärker die marxistische Interpretation von

303 Die Arbeit Přehledné dějiny českého a slovenského dějepisectví erschien in zwei Bänden. Der erste trug den Untertitel Od počátků národní kultury a po vyznění obrodného úkolu dějepisectví v druhé polovině 19. století (Praha 1973), der zweite: Od počátků pozitivistického dějepisectví na práh historiografie marxistické (Praha 1977). Über das Schicksal dieses Buchs schreibt in der letzten Auflage Jaroslav Marek – vgl. František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné, a. a. O., S. 981–989. 304 Josef Haubelt: O výkladu dějin českého a slovenského dějepisectví Františka Kutnara, in: ČSČH 1979, S. 907–909. 305 Ebd., S. 915. 306 Ebd., S. 913. Vgl. Josef Haubelt: Pocta Zdeňku Nejedlému, in: ČSČH 1978. 307 Josef Haubelt: Počátky historiografické práce Gelasia Dobnera (příspěvek k dějinám československé historiografie), in: ČSČH 1974; ders.: Seminarium politicum a Gelasius Dobner, in: ČSČH 1979. 308 Josef Hanzal: Cesty, a. a. O., S. 119.

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Themen, die für das Nationalbewusstsein grundlegend waren, wie der Hussitismus oder die nationale Wiedergeburt, als die Beurteilung früherer historischer Schulen. Eigentlich schien alles geklärt: Josef Pekař galt als ideologischer Gegner, mit dem man abzurechnen hatte, und auch die anderen Rollen waren weitgehend vergeben.

Die Historiker der Aufklärung, die nationale Wiedergeburt Das wohl schwierigste Problem, das sich der marxistischen Interpretation der Anfänge der tschechischen Historiographie in den letzten Jahrzehnten des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte, war ihre organisatorische und finanzielle Abhängigkeit von einigen Vertretern des Adels und der Aristokratie der böhmischen Länder. Der Adel unterstützte wissenschaftliche Initiativen, um die politische Sonderstellung Böhmens aufzuzeigen und dadurch Argumente gegen die zentralistischen Praktiken des Josephinismus zu erhalten. Die beste Möglichkeit zur Vermeidung dieses Problems war, die Rolle der adlig geborenen Mäzene der Aufklärung zu bestreiten oder zu bagatellisieren: »Der Adel hat angeblich das Böhmische Museum gegründet, der Adel soll die neuen wissenschaftlichen Zentren eingerichtet haben. Ganz so, als sei es nur darum gegangen, als habe ein Museum die Nation wiederbeleben können.«309 Die Schöpfer der Aufklärung seien vor allem einfache Menschen gewesen, das tschechische Volk. Mit diesem Standpunkt Zdeněk Nejedlýs hat sich die spätere tschechische Historiographie unbarmherzig auseinandergesetzt und sich in den letzten Jahrzehnten viele Gedanken über die Entstehung nationaler Gemeinschaften und gerade über Einrichtungen wie das Museum gemacht. Der aus dem Volk stammende Charakter der Aufklärung sei darauf zurückzuführen, dass die meisten Erwecker nicht zur Aristokratie gezählt werden könnten. Nejedlý meinte: »Der große Dobrovský war der Sohn eines böhmischen Soldaten, eines Sohnes des Volkes, und er war so proletarischer Herkunft, dass er nicht nicht einmal richtig wusste, wo er geboren worden war.«310 Ähnliche Beobachtungen betrafen auch Josef Jungmann, František Palacký und andere »Erwecker«. Die Akteure der Nationalbewegung hätten nicht deshalb eine progressive Rolle gespielt, weil sie selbst »die Nation von den Toten auferstehen ließen«, sondern weil sie zu einem Prozess der Wiedergeburt ›von unten‹ beigetragen hätten. Die Verteidigung der tschechischen Sprache wurde als Mittel im Kampf um die Nationalkultur bezeichnet. Die aufgeklärten Historiker seien »Verteidiger der Hussiten«

309 Zdeněk Nejedlý: O smyslu českých dějin, Praha 1953, S. 224. 310 Ebd., S. 227.

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vor den von der katholischen Reaktion gestreuten Verleumdungen gewesen.311 Josef Dobrovský wurde als »Gründer der fortschrittlichen Russophilie in der Geschichte unserer Nation« geschätzt, der sich zugleich des Klassencharakters der Zarenherrschaft bewusst gewesen sei.312 Die kritische Haltung Dobrovskýs, aber auch Gelasius Dobners und František Martin Pelcls gegenüber der traditionellen, katholischen und amateurhaften Darstellung der Geschichte Böhmens (Gegenstand ihrer Kritik war die populäre Chronik des Václav Hájek z Libočan gewesen) wurde von den Marxisten gerühmt, allerdings nicht ohne Vorbehalte.313 Dobner, dessen wissenschaftliche Leidenschaft es gewesen sei, Hájeks Thesen zu verifizieren, habe ihn nur wegen seiner Kritiklosigkeit und seiner Abkehr von der Wahrheit kritisiert; die politische Bedeutung der katholischen Chronik habe er völlig ignoriert.314 Sowohl Dobrovský wie auch die anderen Aufklärer hätten die Bedeutung der Hussitenbewegung nicht angemessen begriffen (d. h. sie hätten sie als religiöse, nicht aber als soziale Bewegung verstanden).315 Die böhmische Aufklärung hatte auch einen Aspekt, der von den marxistischen Historikern zweifelsfrei als fortschrittlich bezeichnet werden konnte: Sie beschäftigte sich umfassend mit slawistischen Forschungen, die – selbst wenn dies nicht auf den ersten Blick sichtbar war – große nationale Bedeutung hatten. Vor allem Dobrovský, in dessen Arbeiten die Landsleute »etwas zutiefst Tschechisches« sahen, »das zur Nation sprach und schrie, selbst wenn Dobrovský sie nicht direkt ansprach«.316

František Palacký Kein vor ihm tätiger tschechischer Historiker hatte die nationale Sicht der Geschichte so stark beeinflusst wie František Palacký. Die marxistischen Historiker betonten vor allem seine positive Rolle für die Interpretation der hussitischen Revolution. Negativer hingegen wurde die Tatsache beurteilt, dass Palacký keine Unterschiede im hussitischen Lager sah, dass er die Bewegung nicht in linken Flügel, Mitte und rechten Flügel unterteilt habe, dass er nach Meinung der Marxisten die religiösen Fragen überbetont und trotz seiner generell positiven Bewertung der 311 Josef Macek: Husitské revoluční hnutí, Praha 1952, S. 177. 312 Ebd., S. 632 f. Vgl. Maciej Górny: Między Marksem a Palackým. Historiografia w komunistycznej Czechosłowacji, Warszawa 2001. 313 Vgl. Vít Vlnas: Jan Nepomucký, česká legenda, Praha 1993, S. 6–9. 314 Josef Kočí: Naše národní obrození, Praha 1960, S. 84. 315 Ebd., S. 86 f. 316 Bohuslav Havránek: Josef Dobrovský a pokrokovost jeho slovanství, in: Václav Husa/Bohuslav Havránek/Jan Kořan/Karol Rosenbaum/Otakar Zich (Hg.): Zdeňku Nejedlému Československá akademie věd. Sborník prací k sedmdesátým pátým narozeninám, Praha 1953, S. 405.

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Bewegung selbst die Verluste hervorgehoben habe, die das Königreich durch sie erlitten habe.317 In der Einleitung zu Tábor v husitském revolučním hnutí [Tabor in der hussitischen Revolutionsbewegung] konfrontierte Josef Macek seinen Reformismus mit den radikalen Formulierungen der tschechischen Demokraten Emanuel Arnold und Karel Sabina.318 Palacký war seiner Meinung nach ein Vertreter der Bourgeoisie im letzten Augenblick, in dem sie noch eine verhältnismäßig fortschrittliche Rolle gespielt habe. Auf der einen Seite habe sie feudale Relikte bekämpft, auf der anderen Seite aber schon versucht, die Aufmerksamkeit der Massen von der klassenbedingten Unterdrückung abzulenken. Diesem Zweck habe bei Palacký die Betonung des nationalen Charakters der Hussitenkriege gedient.319 Die marxistische Interpretation Palackýs als Politiker wird weiter unten behandelt werden; Vorerst ist hierzu nur so viel zu sagen, dass sein Wirken sowohl 1848 wie auch später nicht anders als reaktionär interpretiert werden konnte. Eine unzweifelhafte Meinung hierzu hatten übrigens auch schon Marx und Engels geäußert.320 Doch fanden die marxistischen Historiker Tschechiens bei Palacký sehr viel mehr Vorzüge als Nachteile. Es zeigte sich, dass in seinem Fall die positive Einschätzung des Hussitismus wichtiger war als dessen »richtige«, klassenbezogene Interpretation. Macek bemerkte, dass die böhmische Bourgeoisie in der Person Palackýs, »auch wenn sie sich nicht mit der Revolutionsidee identifizierte, auch noch keine direkte Bedrohung sah. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war sie noch eine fortschrittliche Klasse, die in der Lage war, die fortschrittlichen Seiten unserer Geschichte zu mehren. Die Arbeiterklasse war damals noch schwach, kaum entwickelt und politisch noch nicht formiert, und ihr revolutionärer Kampf darum, die Ketten des Kapitalismus zu zerreißen, hatte erst begonnen. Deshalb kann man laut von revolutionären Traditionen sprechen und ihnen sogar Achtung entgegenbringen«.321

Die konservative, katholische und relativ wohlhabende böhmische Bauernschaft stellte ebenfalls keine Konkurrenz um die Führungsrolle in der nationalen Befreiungsbewegung dar. Darum spielte das Motiv der Agrarrevolution, das in der marxistischen Interpretation der Geschichte Polens nach den Teilungen wichtig war, im tschechischen Fall keine Rolle. Die Bourgeoisie wurde erst nach 1848 grundlegend anders bewertet. Nun konnte die revolutionäre hussitische Tradition nur 317 Josef Macek: Tábor v husitském revolučním hnutí, Bd. 1, Praha 1956, S. 14–17. Mehr: Maciej Górny: Między, a. a. O. 318 Ebd., S. 14. Vgl. Josef Macek: Husitské, a. a. O., S. 178. 319 Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1, S. 15 f. Vgl. Josef Macek, Husitské, a. a. O., S. 186. 320 Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 6, (Ost-)Berlin 1959, S. 282 (»Der demokratische Panslawismus«). 321 Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1, S. 16; Václav Husa: Zdeněk Nejedlý a pokrokové tradice českého dějepisectví, in: Ders./Bohuslav Havránek/Jan Kořan/Karol Rosenbaum/Otakar Zich (Hg.): Zdeňku Nejedlému, a. a. O., S. 249 f.

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mehr der Arbeiterklasse dienen, weshalb die bürgerliche Geschichtsschreibung aus verständlichen Gründen alles getan habe, um sie »zu fälschen und zu beschuldigen«.322 Zdeněk Nejedlý sah in Palacký einen der größten Historiker der Geschichte und verstand seine eigenen Arbeiten als Fortführung von Palackýs Werk.323 Diese Überzeugung einer engen Verbindungen zu dem Schöpfer der modernen tschechischen Historiographie war langsam gereift. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts hatte er noch die Auffassung vertreten, dass Palacký Hussitismus und Protestantismus zu Unrecht miteinander in Zusammenhang bringe; Jaroslav Golls Schule, vor allem aber Josef Pekař seien viel glaubhaftere Informationsquellen.324 In den 1920er Jahren stellte der der Kommunistischen Partei immer näherstehende Wissenschaftler dann schon fest, dass Palacký Masaryk auf dem Gebiet der nationalen Philosophie durch den kämpferischen Geist seiner Konzeption überrage, die sich auf den ständigen Kampf zweier konträrer Elemente gestützt habe: des slawischen und des germanischen.325 Auf dem Kongress der Nationalen Kultur (Sjezd národní kultury) von 1948 hielt Nejedlý eine Rede, in der er Surrealismus, Formalismus und Naturalismus brandmarkte. Diesen Strömungen stellte er die »gesunde« nationale Kunst von Božena Němcova und Alois Jirásek gegenüber, dem unermüdlichen Anwalt von Palackýs Werk.326 Nejedlý verteidigte den »Vater der Nation« auch vor Kritik aus dem Ausland. Als der sowjetische Historiker und Diplomat Ivan Ivanovič Udal’cov forderte, alle Hinweise auf Palacký aus dem Museum für Nationale Literatur (Památník národního písemnictví) zu entfernen, leistete ihm der damalige Bildungsminister der ČSR erfolgreich Widerstand.327 Offenbar war Palackýs Position als Historiker nicht durch eine ernsthafte marxistische Kritik gefährdet. Der Kontrast zur marxistischen Bewertung Joachim Lelewels ist frappierend. Der Grund für diese gravierenden Unterschiede in der Einschätzung der beiden bedeutenden Historiker lag in den verschiedenen Einstellungen zu den nationalen Traditionen in beiden Ländern, doch soll dieses für die vorliegende Arbeit zentrale Problem erst weiter unten aufgegriffen werden. Es ist an dieser Stelle noch auf einen weiteren Unterschied zwischen der marxistischen Historiographiegeschichte in Polen und in der Tschechoslowakei hinzuweisen. Wie bereits erwähnt, analysierten die polnischen Marxisten die heimische historiographische Tradition eingehend und interpretierten die Geschichte ihrer

322 Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1, S. 16. Vgl. Joseph Frederick Zacek: Palacký. The Historian as Scholar and Nationalist, The Hague 1970, S. 108. 323 Jiří Křes an: Pojetí české otázky v díle Zdeňka Nejedlého, Praha 1996, passim. 324 Zdeněk Nejedlý: O smyslu, a. a. O., S. 51. 325 Ebd., S. 175. 326 Alexej Kusák: Kultura a politika, a. a. O., S. 266. 327 Josef Hanzal: Čeští, a. a. O., S. 283.

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Disziplin mit größerem Nachdruck neu. Ihre kritische Einstellung gegenüber Lelewel, der Krakauer oder der Warschauer Schule stützte sich auf eine relativ gute Kenntnis der Literatur. Derweil blieben die Kommentare der tschechischen Marxisten, die sich in der Regel in Vor- und Nachworten zu Abhandlungen über andere Themen versteckten, oberflächlich und vertieften sich nur sehr selten in Palackýs Ansichten. Vor diesem Hintergrund konnten Zdeněk Nejedlýs Ansichten von entscheidender Bedeutung sein.

Josef Pekař Josef Pekař war neben František Palacký derjenige Historiker, dem die tschechischen Marxisten die größte Aufmerksamkeit schenkten. Er nahm jedoch eine ganz andere Position als Palacký ein und wurde aller möglichen Verfehlungen gegen Fortschritt, Nation und Arbeiterklasse beschuldigt.328 Pekař sei Vertreter der sich in einer neuen Phase ihrer Entwicklung befindenden Bourgeoisie gewesen. Josef Macek warf ihm vor, er habe versucht, die Arbeiterklasse davon zu überzeugen, ihre Gedanken an eine Revolution fallenzulassen, da sie genauso beklagenswerte Folgen haben würde wie diejenige der Hussiten. Sein zwischen 1927 und 1933 veröffentlichtes Buch Žižka a jeho doba [Žižka und seine Zeit] sei eine Waffe der Reaktion, die sich vor einer durch die Weltwirtschaftskrise ausgelösten Revolution fürchte: »der eigentliche Sinn dieses Buches war es, die revolutionären Traditionen zu entwurzeln, die Revolution zu entehren«. Pekařs Interpretation sei schlicht und einfach nationalsozialistisch, Palackýs Interpretation hingegen patriotisch und demokratisch.329 Macek erkannte in Pekařs Arbeiten Idealismus, doch fehlte es an einer Beschreibung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Begleitumstände der hussitischen Revolution. Bei Pekař sei sogar schon die Anführung der Quellen von Grund auf fehlerhaft, da diejenigen, die von den Taboriten sprachen, in der Regel Klassengegner waren.330 Der Historiker habe entgegen den Fakten festgestellt, dass sich die wirtschaftliche Lage am Vorabend der Revolution verbessert habe (was allerdings einer anderen These Maceks widersprach, dass Pekař in seiner Arbeit die Wirtschaftsgeschichte nicht berücksichtige). Da Pekař die klassenbedingte Unruhe auf dem tschechischen Land nicht bemerkt habe, habe er die Ursachen für die Revolution in den intellektuellen Gärungsprozessen an der Prager Universität gesucht. Dies sei Ausdruck seiner Verachtung und seines Hasses gegenüber 328 Über die Beziehung der tschechischen marxistischen Historiographie zu Josef Pekař ausführlicher in meinem Buch: Maciej Górny: Między Marksem, a. a. O. 329 Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1, S. 18. 330 Ebd., S. 20.

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den Volksmassen. Besonders irritiert war Macek von der Behauptung, dass die hussitische Häresie zu Beginn nichts spezifisch Tschechisches gehabt habe, was sie von vielen anderen Ketzerbewegungen unterschieden habe. »Nur ein Historiker, der keinerlei Berührung zu seinem eigenen Volk hat und die Interessen der mit dem internationalen Kapital verbundenen Bourgeoisie vertritt, nur ein Ideologe der Konterrevolution konnte diese Worte schreiben, die die Geschichte des Hussitismus in ein Sammelsurium aus dem Ausland importierter Ideen verwandeln sollte. In dieser Frage zeigt sich ein tiefer Abgrund im Verständnis des Hussitismus bei Palacký und Pekař. František Palacký verwendete, als sich die Bourgeoisie entwickelte, ein historisches Beispiel im Interesse der an die Macht strebenden Bourgeoisie. Schließlich trat in den Reihen der Gotteskrieger erstmals in unserer Geschichte das ganze tschechische Volk zum Kampf gegen Kirche und König Sigismund an. Die junge Bourgeoisie, die versuchte, die revolutionäre Leidenschaft der Massen aufzugreifen und für ihre Zwecke zu nutzen, konnte dies nicht übersehen. Dafür wollte die sich zersetzende Bourgeoisie in den 1930er Jahren unseres Jahrhunderts nichts mehr vom revolutionären élan des Volkes hören. Die Nation war für sie nur ein Schlagwort, um die Massen zu belügen. Die wahrhaft nationalen, also volkstümlichen und fortschrittlichen Seiten unserer Geschichte waren ihnen verhasst, ja man musste sie ausrotten. Und Josef Pekař versuchte das zu tun.«331

Jan Pachta, der eine ausführliche Schmähschrift über Pekař schrieb, hielt ihn für einen besonders gefährlichen geistigen Gegner. Er habe Hus vorgeblich zwar geschätzt, jedoch behauptet, dass es abgesehen von historischen Begebenheiten keine Hindernisse dafür gebe, dass die katholische Kirche den Ketzer heiligspreche.332 Pekař habe den Rationalismus abgelehnt und irrationale Faktoren »gerühmt«: Glaube, Tradition und Vorurteil.333 Die Interpretation der hussitischen Revolution war nicht das einzige Motiv aus Pekařs Schaffen, das die Marxisten für schädlich hielten. Wichtiger als die »Anschwärzung« des Hussitimus scheinen Pekařs Ansichten über eine andere Epoche der tschechischen Geschichte gewesen zu sein: den Barock. Zdeněk Nejedlý verurteilte seine »reaktionäre« Sympathie für die Barockkultur und die Volksreligiosität: »Es stimmt nicht, dass der Johanniskult [gemeint ist die Verehrung des Hl. Johannes Nepomuk, M. G.] seinem Geiste nach der großen Barockkultur angehörte, ganz im Gegenteil, er war von einem ganz und gar unbarocken, kleinen Geist erfüllt […]. Der typische Johannisaltar besitzt keine großartigen Säulen und Barockwölkchen, die sich bis zum Himmel strecken, sondern es handelt sich um eine Holzkiste mit einer unförmigen Figur, die in einer Menge von Papierröschen, Sträußen, Scherenschnitten und Kerzen versinkt.«334

Nejedlý lehnte diese Art von Kultur ab: 331 Ebd., S. 22; Jan Pachta: Pekař a pekařovština v českém dějepisectví, Brno 1950, S. 75. 332 Ebd., S. 9. 333 Ebd., S. 19. 334 Zdeněk Nejedlý: Z české kultury, Praha 1951, S. 18.

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»Es bedurfte der völligen Verdummung des Volkes, dass es in niedrigen Formen der Verehrung Annehmlichkeit fand, und es bedurfte der völligen Ablehnung der alten Tradition böhmischer Kraft und des Strebens nach Höherem, dass selbst gebildete Menschen in dieser Kleingeistigkeit etwas Schönes zu sehen begannen.«335

In den 1930er Jahren setzte Nejedlý seine Kampagne gegen das »künstlich« aufgeblasene Interesse an der »Finsternis« fort, wie er das 17. und 18. Jahrhundert in Anlehnung an den Titel eines Romans von Alois Jirásek nannte. Er protestierte gegen die »Ehrung« des beinahe zum böhmischen König gekrönten Führers der habsburgischen Armee im Dreißigjährigen Krieg, des moralisch zweifelhaften Wallensteins. (Pekař hatte 1895 seine Doktorarbeit über dessen Biographie verfasst: Dějiny valdštejnského spiknutí [Die Geschichte der Wallenstein-Verschwörung]). Interessanterweise beurteilte Pekař Wallenstein sehr kritisch, weshalb man den Verdacht haben kann, dass Nejedlý seine Bücher nicht gelesen hat oder sich an ihren Inhalt nicht mehr erinnern konnte.336 Die jüngeren Marxisten übernahmen diesen Tonfall und beschuldigten Pekař, das Bild der tragischsten Periode der tschechischen Geschichte verfälscht zu haben. Ähnlich wie im Fall des Hussitismus habe Pekař seine Fälschung gewissermaßen auf Geheiß der Bourgeoisie vorgenommen, der »die regierenden Klassen des Barock imponierten, ihr kosmopolitischer Charakter und ihre Ausbeutung der Volksmassen«.337 Die wichtigste Botschaft aus dieser Zeit waren den Marxisten zufolge die Bauernaufstände. Ein Vorwurf, der Pekař von Josef Kočí zuteilwurde, lautete: »Nicht die Rebellen, die Teilnehmer an den ungezählten Bauernaufständen im Zeitraum der ›Temno‹, Ulický, Kozina, Ondráš, Chvojka, Nývlt oder Koliska, sondern Vavák wurde für Pekař zum Vertreter der Interessen und Bestrebungen des tschechischen Volkes.«338 Josef Pekař negierte eine direkte Verbindung zwischen der Epoche des Hussitismus und der nationalen Wiedergeburt. Provokativ hob er hingegen die Beziehungen zwischen der Wiedergeburt und der Barockkultur hervor. Damit verwarf er nicht nur zur Gänze die traditionelle liberal-nationalistische Interpretation der Geschichte, sondern vollzog – in den Augen der Marxisten – auch eine unzulässige Manipulation. Schließlich wurde die »Finsternis« des 17. und 18. Jahrhunderts von vielen Tschechen beinahe wortwörtlich verstanden, so wie dies Zdeněk Nejedlý formulierte: »Finsternis, wahrhafte Finsternis umhüllte damals das tschechische Land und sein unglückliches Volk.«339

335 Ebd., S. 20. 336 Zdeněk Nejedlý: O smyslu, a. a. O., S. 199. 337 Josef Kočí: Naše národní obrození, Praha 1960, S. 9. 338 Ebd., S. 10. 339 Zdeněk Nejedlý: Z české, a. a. O., S. 21.

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Die ständige Präsenz Pekařs in den Arbeiten der marxistischen Historiker spiegelt seine Bedeutung für die Entwicklung der tschechischen Historiographie gut wider. Sie erlaubt es auch, gewisse innenpolitische Veränderungen in der Tschechoslowakei zu erkennen. 1950 widmete Jan Pachta noch einen Teil seines Buches Überlegungen zu Pekařs Antisemitismus,340 nach dem Slánský-Prozess verlor dieses Thema aber eindeutig an Popularität. Dabei drängt sich die Bemerkung auf, dass man – anders als im Fall Michał Bobrzyńskis – nicht versuchte, den tschechischen Historiker zu »retten« und zu belegen, dass ein Teil seines Schaffens vielleicht doch fortschrittlich war. Kein tschechischer Marxist versuchte sich so wie Celina Bobińska an der Feststellung, dass die Methodologie des gesellschaftlich und politisch reaktionären Historikers den Marxisten näher stand als beispielsweise die geschichtswissenschaftliche Methode František Palackýs.

Tomáš Garrigue Masaryk – Historiographie und Legende in den Augen der Marxisten Masaryks Präsenz in einem Kapitel, das die marxistische Interpretation der Geschichtsschreibung beschreibt, mag unbegründet erscheinen, da er kein Historiker war. Er war jedoch ein Geschichtsphilosoph, der František Palackýs Thesen neu las und umformulierte. Bis zum Beginn der 1950er Jahre basierte die Haltung der Marxisten gegenüber Masaryk zu großen Teilen auf der Autorität Zdeněk Nejedlýs. Der damalige Bildungsminister hielt sich selbst für einen Anhänger der humanistischen Tradition des ersten Präsidenten der ČSR. Seine vielbändige Masaryk-Biographie enthielt ausgewogene Urteile. Der Autor schätzte Masaryk, auch wenn er klar aufzeigte, dass er kein Sozialist und überhaupt ein Feind jeglicher Revolution gewesen sei und nichts mit dem Marxismus gemein gehabt habe. Die kommunistische Propaganda der direkten Nachkriegszeit führte den Nachweis, dass es zwischen Masaryks Ideen und seinem politischen Wirken einen Widerspruch gegeben habe. Angesichts dessen hielten sich die Kommunisten für Erben seiner Ideen, auch wenn sie mit vielen politischen Schritten des tschechoslowakischen Präsidenten nicht einverstanden waren. Zu Beginn der 1950er Jahre unterbrach Nejedlý den Druck weiterer Bände, aus den historischen Zeitschriften verschwanden wohlwollende Erwähnungen Masaryks, und Jan Pachta, der Autor der Schmähschrift auf Josef Pekař, machte sich nun daran, seinen einstigen Gegner in der Auseinandersetzung um den Sinn der tschechischen Geschichte zu verunglimpfen.341 Er stürzte den Mythos von der

340 Jan Pachta: Pekař, a. a. O., S. 39–50. 341 Vgl. Jan Pachta: Dokumenty o protilidové a protinárodní politice T. G. Masaryka, in: ČSČH 1953.

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philosophischen Unparteilichkeit Masaryks, nannte ihn einen Kriegstreiber und beschuldigte ihn sogar, einen Schergen gedungen zu haben, der Lenin hinterrücks ermorden sollte.342 Zu einem wichtigen Motiv der marxistischen Historiographie wurde es, Masaryk und anderen tschechischen Politikern jedweden positiven Einfluss auf die Erlangung der Unabhängigkeit 1918 abzusprechen. Auch die marxistische Bewertung der geschichtsphilosophischen Ansichten Masaryks veränderte sich zu Beginn der 1950er Jahre. Nach Josef Kočí habe Masaryk »unsere progressiven historischen Traditionen ausgenutzt, um seine konterrevolutionäre, den Interessen der Bourgeoisie dienende politische Ideologie auszuarbeiten«.343 Die Marxisten konnten nicht akzeptieren, dass Masaryk den Sinn der tschechischen Geschichte in der religiösen Frage suchte. Josef Macek beschuldigte Masaryk der Fälschung der hussitischen Tradition. Offiziell habe man Hus in der Zwischenkriegszeit »in einen Frack kleiden« wollen, um ihn von jeder revolutionären Tätigkeit zu reinigen.344 Wie Ján Mlynárik bemerkte, wurde die Sprache, in der man sich in den 1950er Jahren über Masaryk äußerte, von zwei Autoren geprägt – Václav Kopecký und Václav Král.345 Vor allem Král habe Anschuldigungen in Umlauf gebracht, dass Masaryk politische Morde und andere »Verbrechen« angeregt und organisiert habe.346 Seine Beteiligung am Streit um die Echtheit der Handschriften von Grünberg und Königinhof wurde zu einem Beleg für Masaryks angeblichen Kosmopolitismus. Da die Rolle der gefälschten Denkmäler der tschechischen Literatur positiv beurteilt wurde (dass es Fälschungen waren, schien angesichts ihrer objektiven, patriotischen Bedeutung nicht so wichtig zu sein), wurde ihr Kritiker beschuldigt, er habe beabsichtigt, die Tschechen in einer einheitlichen österreichischen Kultur und Gesellschaft aufgehen zu lassen. Seine Ansichten, die damals fortschrittlicher als die anderer tschechischer Politiker gewesen seien, hätten demnach dasselbe Ziel gehabt: die arbeitenden Massen auszunutzen. Da Masaryk einen aufgeklärteren Eindruck als seine Vorläufer und politischen Konkurrenten machte, wurde er objektiv auch zu einem gefährlicheren Gegner der Arbeiterbewegung.347

342 Ebd., S. 48. 343 Josef Kočí: Naše, a. a. O., S. 13. 344 Josef Macek: Jan Hus, Praha 1963, S. 145. 345 Václav Kopecký: Tridsa rokov ČSR. T. G. Masaryk a komunisti, Bratislava 1950; Václav Král: O Masarykově a Benešově kontrarevoluční protisovětské politice, Praha 1953. 346 Ján Mlynárik: Diaspora, a. a. O., S. 206 f. 347 Vgl. Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled československých dějin (Maketa), Bd. 2, S. 673.

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Alois Jirásek und Zdeněk Nejedlý So wie Masaryk zählen auch die beiden nächsten Autoren nicht zu den professionellen Historikern. Alois Jirásek war Schriftsteller und verfasste viele Romane zur tschechischen Geschichte. Zdeněk Nejedlý war, bevor er zum wichtigsten kommunistischen Entscheidungsträger in Fragen von Wissenschaft und Bildung wurde, Musikwissenschaftler und hatte sich hauptsächlich mit Leben und Werk Bedřich Smetanas beschäftigt. Beide wurden jedoch gewissermaßen »zu Historikern geschlagen« und stellten sich Forschern wie Josef Pekař oder Zdeněk Kalista entgegen. Nejedlýs historischer Lieblingsschriftsteller vertrat nach Meinung der marxistischen Historiker eine »kämpferische Linie« der tschechischen Literatur. »In seinem umfangreichen Werk hat er meisterlich, künstlerisch und historisch-wissenschaftlich die tschechische Geschichte gezeigt und dabei ihre fortschrittlichsten Traditionen akzentuiert«.348 Die erste dieser Traditionen war die hussitische.349 Es hieß, einzig Jirásek führe das historische Werk František Palackýs wahrhaft fort.350 Dies war eine schöpferische Nachfolge: Jirásek übernahm nur das, was bei Palacký fortschrittlich gewesen war.351 Der Geschichtsphilosophie Nejedlýs verdankte Jirásek sehr viel, vor allem die Art und Weise, wie er einzelne historische Personen und Zeiträume bewertete: »Mit Jirásek verbindet ihn nicht nur eine gemeinsame schöpferische Konstruktion, die wissenschaftliche und künstlerische Bestandteile vereint, sondern vor allem dieselbe Konzeption der Geschichte.«352 Die jüngeren Historiker übernahmen diese Einschätzung Jiráseks als Historiker. Milan Machovec äußerte die Überzeugung, dass Jiráseks Urteil über Jan Žižka wertvoller sei als alles, was zuvor über den Hussitenführer geschrieben worden sei.353 Zdeněk Nejedlý stellte die These auf, dass die tschechische Kultur per definitionem demokratisch sei und dass alle Nationen dieser Region die Tschechen um diese Werte nur beneiden könnten. Seiner Meinung nach habe niemand diesen Charakter der tschechischen Kultur besser wiedergegeben als Jirásek, da er Bücher über das Volk und für das Volk geschrieben sowie Helden aus den unteren Gesellschaftsklassen besungen habe.354 Der Jirásek-Kult wurde vor allem von Nejedlý

348 Ebd., S. 744 und 735. 349 Josef Macek: Husitské, a. a. O., S. 179 f. 350 Václav Husa: Zdeněk Nejedlý a pokrokové tradice českého dějepisectví, in: ders./Bohuslav Havránek/Jan Kořan/Karol Rosenbaum/Otakar Zich (Hg.): Zdeňku Nejedlému, a. a. O., S. 251. 351 Jan Pachta: Jiráskovo pojetí našich dějin, in: Václav Husa et al. (Hg.): Zdeňku Nejedlému, a. a. O., S. 660. 352 A. J. Pacáková: Velký syn velké doby, in: Václav Pekárek (Hg.): O Zdeňku Nejedlém. Stati a projevy k jeho sedmdesátinám, Praha 1948, S. 173. 353 Milan Machovec: Husovo učení a význam v tradici českého národa, Praha 1953, S. 323. 354 Ebd., S. 236 f.

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unterstützt, der schon zu Lebzeiten für die marxistischen Historiker zu einer fast legendären Person geworden war. Bis zu seinem Tod 1962 wurden mehrfach Festschriften zu seinen Ehren aufgelegt, und fast jede historische Arbeit zitierte ihn neben den Klassikern des Marxismus-Leninismus. In seinem Fall war der Gipfel des Personenkults wohl die Einrichtung eines eigenen »Kabinetts«, einer selbstständigen (wenn auch kleinen) Arbeitsstelle der ČSAV, die sich mit der Veröffentlichung der Werke des Akademiepräsidenten, mit der Erforschung seines Lebens und seines Werks sowie mit seiner Bibliographie beschäftigte. Dieses »Kabinett« war ein Geschenk zu Nejedlýs 75. Geburtstag 1953.355 Nejedlý hatte angeblich schon seit seiner Jugend den fortschrittlichen Zweig der Intelligenz vertreten. Unter seinen Lehrern finden sich Jaroslav Goll, Otakar Hostinský, Tomáš Garrigue Masaryk und Jan Gebauer. Zu seinen ersten Lektüren zählten die Werke Palackýs. Ladislav Štoll merkte an: »Unter seinen Lehrern finden sich nicht die Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus, Marx und Engels. Was Nejedlýs Einstellung zu Masaryk angeht, so könnte man sagen, dass Nejedlý Masaryk bewunderte – als Kämpfer gegen das Mittelalter. Nejedlý wurde jedoch nie zu einem unkritischen Anhänger Masaryks, […] wovon sein großes biographisches Werk über Masaryk zeugt. Nejedlý erkannte sehr schnell, dass Masaryk die soziale Krise verkörperte, die Krise der Klasse, deren Vertreter Masaryk war.«356

Der Kreis jener Personen, die Einfluss auf die intellektuelle Entwicklung Nejedlýs hatten, verkleinerte sich langsam. In dem am 10.2.1948 veröffentlichten Sammelband O Zdeňku Nejedlém. Stati a projevy k jeho sedmdesátinám [Über Zdeněk Nejedlý. Abhandlungen und Äußerungen zu seinem siebzigsten Geburtstag] befand sich unter ihnen noch Josef Pekař. Später wird Pekař nur noch sein geistiger Gegner genannt. In der erwähnten Festschrift ist auch zu sehen, wie sich die Haltung der Kommunisten gegenüber Masaryk veränderte.357 Der slowakische »Aktivist der Wissenschaftsfront« Július Ďuriš sagte hier sogar: »[Nejedlý] war für uns ein Lehrer, so wie es für die ältere Generation T. G. Masaryk war«.358 Je nach den aktuellen Bedürfnissen veränderten sich nicht nur die Lehrer des jungen Nejedlýs. Es wurden auch Veränderungen in seinem Werk vorgenommen, das nach dem Krieg als Gesammelte Schriften neu aufgelegt wurde. Die stalinistische Sicht von Nejedlýs Platz in der tschechischen Historiographie hatte sich schließlich einige Jahre nach Veröffentlichung der erwähnten Festschrift gefestigt. Václav Husa, der sich aus Anlass des 75. Geburtstags des ČSAVPräsidenten hierüber ausließ, nannte unter den Wissenschaftlern, die Nejedlý 355 Jiří Křes an: Zdeněk Nejedlý v posledních letech života: dotyky s vědou (1953–1962), in: Hana Barvíková/Marek Ďurčanský/Pavel Kodera (Hg.): Věda, a. a. O., S. 476 f. 356 Ladislav Štoll: Strážce čistého ohně, in: Zdeněk Nejedlý: O smyslu, a. a. O., S. 9. 357 Bohumil Markalous-John: Vzpomínka, in: Václav Pekárek (Hg.): O Zdeňku Nejedlém, a. a. O. 358 Július Ďuriš: Radostný pozdrav, ebd., S. 28.

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angeregt hätten, nur zwei: Palacký und Jirásek.359 Nicht nur Masaryk und Pekař, sondern auch Jaroslav Goll, dem Vertreter der »wissenschaftlichen l’art pour l’art«, wurde diese Ehre nicht mehr zuteil.360 Überhaupt hieß es über Golls Schule: »Weit entfernt vom arbeitenden Volk und seinen Bedürfnissen, verspürte sie keinerlei Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Nation für ihr Werk, verfiel in einen positivistischen Mangel an Ideen, in Eklektizismus, Objektivismus und Kosmopolitismus, sie verweigerte sich dem Kampf für den Fortschritt und diente, je später desto offener, den Klasseninteressen der bürgerlich-klerikalen Reaktion.«361

Nejedlýs fundiertes Wissen und seine in zahlreichen Publikationen belegten wissenschaftlichen Leistungen waren allgemein anerkannt. Seine Monographie über Bedřich Smetana wurde von den Autoren des Přehled československých dějin [Überblick über die tschechoslowakische Geschichte] sehr gelobt: »gegen die bürgerliche liberale Oberflächlichkeit und die geistige sowie moralische Gleichgültigkeit führte er in das tschechische musikalische Leben moralische Authentizität und Prinzipien sowie Hochachtung für die gesunden Ideale unserer Renaissancetraditionen ein«.362 Auch seine Lenin-Biographie, die Jan Slavík scharf kritisiert hatte, war erfolgreich: »Genosse Nejedlý, ein Tscheche, hat eine Lenin-Biographie geschrieben, wie es sie noch nirgendwo gibt.«363 Während des Kriegs hatte sich Nejedlý in Moskau aufgehalten: »Er war sich dabei bewusst geworden, dass der wichtigste Schöpfer und Faktor dieser neuen Epoche der menschlichen Geschichte die Arbeiter sein werden und dass zu ihrer Verwirklichung vor allem die slawischen Nationen, an der Spitze die Nationen der Sowjetunion, berufen sind.«364 Sein Sohn Vít Nejedlý, Mitglied der in der UdSSR gebildeten tschechoslowakischen Armee, starb im Kampf.365 Nejedlý war jedoch zur Versöhnung bereit. Paul Wandel erinnerte sich an sein erstes Treffen mit Nejedlý, als dieser, dem deutschen Gesprächspartner gegenüber anfangs misstrauisch und unwillig, nach und nach auftaute und einen Beweis für sein »herausragendes Deutsch« ablieferte.366

359 Václav Husa: Zdeněk Nejedlý a pokrokové tradice, a. a. O., S. 248. 360 Ebd., S. 257. 361 Ebd. 362 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled československých dějin (Maketa), Bd. 2, S. 1057. 363 Arnošt Kolman: Politiku, vědci, umělci, především však člověku, in: K. Pekárek (Hg.): O Zdeňku Nejedlém, a. a. O., S. 88. 364 Jan Gallas: Zdeněk Nejedlý a SSSR, ebd., S. 76. 365 Ludvík Svoboda: Vzpomínky na prof. dr Zdeňka Nejedlého, ebd., S. 27. 366 Paul Wandel: Život pro lid, in: Václav Husa/Bohuslav Havránek/Jan Kořan/Karol Rosenbaum/ Otakar Zich (Hg.): Zdeňku Nejedlému, a. a. O., S. 25.

Die marxistische Historiographie in Tschechien

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Die tschechoslowakische Historiographie der Zwischenkriegszeit Die marxistischen Historiker der Nachkriegszeit griffen Josef Pekař und Zdeňek Kalista wegen ihrer »antinationalen« Apotheose der Barockzeit an. Man schrieb von einem »gefälschten Bild der Epoche« in ihren Arbeiten, die sich »der katholischen Kirche und dem Vatikan andienten«. Besonders starken Widerstand rief die Behauptung von den barocken Wurzeln der nationalen Wiedergeburt hervor: »Diese Bewunderung für den antinationalen, fremden, kosmopolitischen Adel nach der Schlacht am Weißen Berg führte dazu, dass Pekař sie zum wichtigsten Anführer und eigentlichen Organisator der tschechischen Wiedergeburt erhob […]. Wie konnte der Adel als Klasse, die mit dem alten Gesellschaftssystem verbunden war, an der Spitze eines revolutionären Prozesses stehen, dessen Ziel es war, genau dieses System zu beenden?«367

Doch Jaroslav Goll und seine Schüler hätten sich nicht nur dem Vatikan, sondern auch Deutschland und überhaupt dem Westen angedient. Jan Pachta zufolge »entwickelte Golls Schule insbesondere so genannte vergleichende Studien, die ihr Hauptziel darin sahen, für jedes Ereignis unserer Geschichte ein Vorbild oder Abhängigkeiten von fremden Einflüssen zu suchen«.368 Laut Jan Pachta seien die Leute um Pekař anschließend zu Verbündeten der deutschen Faschisten geworden.369 Unter den in der Zwischenkriegszeit aktiven Historikern, denen die Marxisten umfangreichere kritische Aussagen widmeten, befand sich auch Václav Chaloupecký. Chaloupecký war Professor an der Pressburger Comenius-Universität und einer der Theoretiker der tschechoslowakischen Nation. Die KSČ, zu deren Programm es gehörte, die Eigenständigkeit und Gleichberechtigung der Slowaken anzuerkennen, war schon aus diesem Grund ihm gegenüber kritisch eingestellt. Zudem war Chaloupecký ein Schüler Pekařs (ähnlich wie die meisten führenden tschechischen Historiker im Jahr 1945).370 Chaloupecký, der nach dem Krieg an die Prager Karlsuniversität kam, verlor im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen dank einer Intervention Zdeněk Nejedlýs seinen Lehrstuhl nicht.371 1951 starb er und erlebte deshalb die prinzipielle marxistische Kritik nicht mehr, die in den 1950er Jahren an seinen Arbeiten geäußert wurde. In seinem Überblick über die bürgerlichen Ansichten zur hussitischen Zeit bemerkte Josef Macek, es sei Chaloupecký gewesen, der Pekař pseudowissenschaftliche Belege zur Unterstützung der These geliefert habe, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem böhmischen

367 Josef Kočí: Naše, a. a. O., S. 9. 368 Jan Pachta: Pekař, a. a. O., S. 91. 369 Ebd., S. 49–55. 370 Ebd., S. 59. 371 Josef Hanzal: Čeští, a. a. O., S. 282.

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Land vor dem Ausbruch der hussitischen Revolution nicht verschlechtert, sondern verbessert hätten.372 Chaloupecký habe mit Pekařs Interpretation des Hussitismus voll und ganz übereingestimmt, so wie er als sein Lehrer auch zahlreiche Analogien zwischen den sich ausbreitenden (und folgenschweren) mittelalterlichen Häresien und dem zeitgenössischen sowjetischen Kommunismus gesehen habe.373 In der Zusammenfassung seiner Ausführungen stellte Macek fest, Václav Chaloupecký habe bestätigt, »dass sein historisches Werk mit den Interessen der tschechischen Bourgeoisie in der Epoche ihres Zerfalls zusammenhängt«.374

Die marxistische Historiographie in der Slowakei und die historiographischen Traditionen Die slowakische Historiographie hatte keine allzu reiche Tradition, deren Bewertung und Interpretation eine ernste Aufgabe für die marxistischen Historiker hätte sein können. Es fehlte hier nicht nur an positiven Beispielen, sondern auch an negativen, da in der Slowakei niemand ausfindig gemacht werden konnte, der in den 1950er Jahren so oft und so engagiert hätte beschrieben werden können wie etwa Josef Pekař. Wie gezeigt werden wird, berief man sich in der Slowakei noch häufiger als in den anderen Ostblockländern auf allgemeine Begriffe und Kollektivurteile und schrieb eher über die Matica Slovenská oder die slowakische, tschechische und ungarische bürgerliche Historiographie als über einzelne bedeutende Historiker. Diese Arbeitsweise hing unter anderem damit zusammen, dass den slowakischen Marxisten nicht genügend ältere Arbeiten zu Verfügung standen, auf die sie ihre Neuinterpretation hätten stützen können.375 Sehr aufschlussreich ist in dieser Hinsicht ein programmatischer Artikel in der ersten Nummer der HČSAV, dessen Autor, udovít Holotík, Direktor des Historischen Instituts der Slowakischen Akademie der Wissenschaften (HÚ SAV) war. Er stellte darin die bürgerliche slowakische, »positivistische und kosmopolitische, zugleich aber mehr oder weniger chauvinistische« Historiographie dem Werk Zdeněk Nejedlýs gegenüber, der gerade seinen 75. Geburtstag feierte.376 Der slowakische Leser erfuhr aus diesem Text etwas über die historische und geistige Kontinuität zwischen Palacký, Jirásek und Nejedlý, aber auch darüber, dass man in den Arbeiten des Bildungsministers eine unendliche Fülle historischer Beispiele für die tschechisch-

372 Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1, S. 22. 373 Ebd., S. 24. 374 Ebd., S. 25. 375 Richard Marsina: Slovenská historiografia 1945–1990, in: HČSAV 1991, S. 372. 376 udovít Holotík: K sedmdesiatym piatym narodeninám akademika Zdeňka Nejedlého, in: HČSAV 1953.

Die marxistische Historiographie in der Slowakei

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slowakische Zusammenarbeit und Bruderschaft finden könne.377 Einige Jahre später wurde in derselben Zeitschrift Nejedlý als nachahmenswertes Beispiel dargestellt: »In unserer Arbeit ist uns Dein ganzes Verständnis für die Bedeutung der Geschichte und der fortschrittlichen Traditionen im nationalen Leben ein Vorbild. Die Geschichte soll, wie Du stets gesagt hast, den progressiven Kräften der Nation eine Waffe in die Hand geben, der den Kommunismus aufbauenden Arbeiterklasse. Sie soll eine der Hauptquellen der Wissenschaften und der Orientierung in den politischen Ereignissen der Gegenwart sein, eine Quelle des nationalen Stolzes und des konstruktiven Patriotismus.«378

Gab es aber keine einheimischen Kandidaten, die als Quelle wissenschaftlicher Inspiration hätten dienen können, keine kommunistischen Autoritäten? Es gab sie, doch waren sie – wie bereits erwähnt – der Kampagne gegen den bürgerlichen Nationalismus zum Opfer gefallen und sollten im ganzen hier zu beschreibenden Zeitraum ohne größeren Einfluss auf die Entwicklung der offiziellen Geschichtsvorstellungen bleiben. Ihre Abwesenheit soll in diesem Kapitel beschrieben werden. Ehe die einzelnen Motive der marxistischen Historiographiegeschichte in der Slowakei zur Sprache kommen, möchte ich noch auf eine tschechisch-slowakische Analogie auf diesem Gebiet hinweisen. So wie František Palacký trotz all seiner Beschränkungen, seines reaktionären Charakters in der Politik usw. das Fundament für die marxistische Interpretation der Geschichte Tschechiens gewesen war, so war dies für die Geschichte der Slowakei udovít Štúr. Die Person dieses »nationalen Erweckers« und die Diskussionen über ihn sollen im nächsten Kapitel behandelt werden, da er kaum als Historiker zu bezeichnen ist (und auch von den Marxisten nicht als solcher dargestellt wurde). Die Auseinandersetzungen, die über ihn in der slowakischen Historiographie entbrannten, betrafen die Grundsätze zur Ausarbeitung eines Katalogs der nationalen fortschrittlichen Traditionen, nicht aber die historiographischen Traditionen.

Die Historiographie der Aufklärung. Die Anfänge der nationalen Wiedergeburt Die Verdienste der slowakischen Historiographie der Nachkriegszeit (die zu großen Teilen marxistisch war) für die Erforschung der nationalen Wiedergeburt sind kaum zu überschätzen. Zuvor hatte dieses Gebiet zu den am stärksten ideologisierten gehört, da sich hier die protestantische (und später die tschechoslowa-

377 Ebd., S. 22. 378 List SHS akademikovi Zdeňkovi Nejedlému, in: HČSAV 1959, S. 500.

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kistische) und die katholische Interpretation in die Quere kamen. Es mag paradox erscheinen, dass gerade die Marxisten den Anfang der nationalen Wiedergeburt um einige Jahrzehnte »vorzogen«, indem sie die slowakischen Katholiken und Anhänger der von Priester Anton Bernolák angestrebten sprachlichen Kodifizierung rehabilitierten.379 Gleichzeitig verloren die positiven Urteile über das slawische Denken Ján Kollárs nichts von ihrer Bedeutung; man schrieb der Idee einer gemeinsamen tschechisch-slowakischen Nation bis zum Auftreten udovít Štúrs einen positiven Wert zu.380 Kollár selbst war ein »kämpferischer Dichter, ein Kritiker der feudalen gesellschaftlichen Verhältnisse«.381 Auch wenn die slawische Idee in den Augen der Marxisten gewisse Mängel aufwies (und sei es auch nur ihre Zusammenarbeit mit der europäischen Reaktion), so überwogen doch ihre Vorzüge bei Weitem.382 Am wichtigsten war wohl »das Bewusstsein der sprachlichen und kulturellen Verwandtschaft mit der großen slawischen Welt, vor allem mit der mächtigen russischen Nation«.383 Insbesondere der junge Kollár fand die Anerkennung der marxistischen Wissenschaftler. Karol Rosenbaum meinte, dass man »diese kämpferische Sympathie zur russischen Nation, auch dieses Streben nach der Freiheit der slawischen Völker im Geist der gegenseitigen Hilfe nicht mit dem reaktionären Austroslawismus und Panslawismus einssetzen darf, ebensowenig wie man den Ideen Ján Kollárs die Fortschrittlichkeit nicht absprechen kann, nur weil er in seinen späteren Jahren den revolutionären Inhalt seines dichterischen Schaffens aus den Jugendjahren nicht ausgebaut hat«.384

Nach Meinung Rosenbaums habe Kollárs Patriotismus noch nicht einmal dann seine Progressivität eingebüßt, als der Dichter sich auf die Grundlage von Legitimismus und Konservativismus stellte. Selbst dann sei er nämlich ein kritischer Beobachter seiner Zeit geblieben.385 Die Erforschung der Anfänge der slowakischen nationalen Wiedergeburt wurde in der Regel um allgemeinere Bemerkungen über den Charakter der damaligen Historiographie ergänzt. Wie anderenorts auch ließen sich die Aufklärer vom Rationalismus leiten, was ihnen die Anerkennung der Marxisten einbrachte. Peter Ratkoš vertrat die Ansicht, die slowakischen aufgeklärten Historiker hätten (wie

379 Vgl. udovít Haraksim: Úlohy Slovenskej historickej spoločnosti pri spracovaní novších dejín, in: HČSAV 1990, S. 686. 380 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 635. 381 Karol Rosenbaum: Koncepcia slovanskej vzájomnosti v období P. J. Šafárika a J. Kollára, in: HČSAV 1960, S. 228. 382 Ebd., S. 226–237. 383 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 573 und 745. 384 Karol Rosenbaum: Vlastenectvo Jána Kollára, in: Václav Husa/Bohuslav Havránek/Jan Kořan/ Karol Rosenbaum/Otakar Zich (Hg.): Zdeňku Nejedlému, a. a. O., S. 430. 385 Ebd., S. 436.

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auch Naruszewicz) keine traditionelle Geschichte von Königen und Kriegen geschrieben, obwohl »es ihnen noch nicht darum gehen konnte, die Geschichte des Volkes zu erforschen, es ging ihnen vor allem darum, zu zeigen, dass die Geschichte nicht nur von Herrscherfamilien gemacht wird, sondern dass Adel, Geistlichkeit und gebildete Menschen ihren Anteil an ihr haben«.386 Die positive Einstellung der Marxisten gegenüber der heimischen Historiographie der Aufklärung zeigte sich auch an der Leichtigkeit, mit der man bei Gelehrten aus dem 18. Jahrhundert, die in der Regel auf Latein oder Deutsch schrieben, ein slowakisches Nationalbewusstsein erkannte. Die Autoren des Universitätslehrbuchs zur Geschichte der Tschechoslowakei gestanden ein, dass man die slowakische Identität von Autoren wie dem »vom ungarischen Adel gehassten« František Adam Kollár oder Jan Severini zwischen den Zeilen lesen müsse. Sie habe sich oft in ihrem Widerstand gegen die ungarische Unterwerfungstheorie geäußert.

Die »ältere« und die »jüngere« bürgerliche Geschichtsschreibung Die nicht allzu zahlreichen bürgerlichen slowakischen Historiker unterlagen denselben allgemeinen Regeln wie ihre tschechischen Kollegen. Meist wurden ihre Arbeiten nicht verlegt, selbst wenn die marxistischen Meinungen über sie nicht eindeutig negativ waren.387 Ihre Fortschrittlichkeit hinge von den Entwicklungsphasen ab, in denen sich die slowakische Bourgeoisie zum jeweiligen Zeitpunkt befand. Die »älteren« Historiker wie Július Botto, František V. Sasinek oder Pavol Križko »betonten allzu einseitig die religiösen oder nationalen Aspekte, obwohl ihre Einschätzung der revolutionären Hussitenbewegung und vor allem der Präsenz böhmischer Truppen in der Slowakei positiv ausfiel«.388 Ihre Arbeiten über die spätere Geschichte hätten ebenfalls manchen Mangel (die bürgerlichen Historiker seien nämlich in der Regel nicht in der Lage, die Prinzipien zu erläutern, von denen die historischen Prozesse geleitet werden), doch wurden sie trotzdem positiv beurteilt.389 Ein Beispiel für die richtige Bewertung der Hussitenbewegung in der Slowakei sollte für die slowakischen Historiker Alois Jirásek sein, der diesem Problem seinen Roman Bratstvo [Bruderschaft] gewidmet hatte. Der Charakter der slowakischen Historiographie habe sich, ähnlich wie der Charakter der Bourgeoisie, im 20. Jahrhundert verändert. Je größer die ungarische Unterdrückung gewesen sei, desto weniger erfolgreich war der Widerstand, den

386 Peter Ratkoš: Povstanie baníkov na Slovensku roku 1525–1526, Bratislava 1963, S. 6. 387 Vgl. Jozef Markuš: Jozef Škutéty, in: Jozef Škultéty: Za slovenský żivot, Martin 1998, S. 8. 388 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 252. Vgl. Peter Ratkoš: Husitské revolučné hnutie a Slovensko, in: HČSAV 1953, S. 27. 389 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 13.

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ihm die slowakische Bourgeoisie entgegengesetzt habe. »Im Gegenteil. In der Zeit der vergrößerten Unterdrückung zeichnete sich die slowakische Bourgeoisie durch ihre Nachgiebigkeit aus und die konservativen Elemente ihrer Politik rückten in den Vordergrund.«390 Die »jüngere« Historiographie habe die ungarischen Forschungen zu den Hussitenzügen verwendet, um zu belegen, dass sie vor allem Zerstörung gebracht hätten. Der für dieses Konzept verantwortliche Pfarrer Mikuláš Mišík habe »objektiv« den nationalistischen Teil der Bourgeoisie unterstützt.391 Jozef Špirko, ein anderer »jüngerer« bürgerlicher Historiker, habe zwar den Einfluss der Hussiten auf die Entwicklung der slowakischen Nationalität anerkannt, jedoch ihren sozialen und geistigen Auswirkungen widersprochen.392 Die bürgerlichen Historiker des imperialistischen Zeitalters seien auch nicht in der Lage gewesen, den Prozess der nationalen Wiedergeburt richtig zu bewerten. Daran hätte sie »der positivistische Idealismus« gehindert.393 Wer die Bemerkungen über die bürgerliche Historiographie las, die sich in einzelnen, wie Richard Marsina schrieb, »auf dem Marsch« geschriebenen Artikeln und Monographien fanden, dem konnten gewisse Zweifel an der Ausgewogenheit der von den Marxisten eingeführten Einteilung kommen. In der Regel nämlich zogen die Behauptungen über eine fortschrittlichere »ältere« und eine weniger fortschrittliche »jüngere« Historiographie keine tiefere Analyse der wissenschaftlichen Ansichten nach sich. Die Historiker schenkten ihre Aufmerksamkeit kaum den Themen, die für die Marxisten eine Schlüsselbedeutung besaßen, etwa dem Hussitismus. Dabei blieben die wichtigsten Fakten überhaupt außen vor: die Ansichten über die nationale Wiedergeburt und die Haltung udovít Štúrs während der Revolution von 1848. Es ist unschwer zu erkennen, dass gerade in diesen Fragen Übereinstimmung zwischen den slowakischen Marxisten und ihren bürgerlichen Gegnern herrschte. Vlatimír Matula versuchte sie in einem kontroversen Artikel über die slowakische Nationalbewegung in den 1840er Jahren zu zerstören, der 1954 in der HČSAV erschien.394 Seine Ansichten über udovít Štúr sollen noch getrennt behandelt werden, hier konzentriere ich mich auf seine Einschätzung der slowakischen Historiographie zur Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts. Matula unterschied nicht zwischen mehr oder weniger progressiven bürgerlichen Wissenschaftlern. Seinen Forschungsüberblick begann er mit der Feststellung, dass

390 Ebd., Bd. 2, T. II, S. 1019. 391 Peter Ratkoš: Husitské, a. a. O., S. 27. 392 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 252. 393 Jozef Butvin: Slovenské národno-zjednocovacie hnutie (1780–1848). (K otázke formovania novodobého slovenského buržoázneho národa), Bratislava 1965, S. 14. 394 Vladimír Matula: K niektorým otázkam slovenského národného hnutia štyridsiatych rokov XIX. stor., in: HČSAV 1954.

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»die bürgerlichen Historiker, deren Konzeptionen auf nichtwissenschaftlichen Grundlagen basierten, weder in der Lage waren, das Problem der slowakischen Nationalbewegung objektiv noch meist auch in Übereinstimmung mit der Wahrheit darzustellen. Ihre Arbeiten sind eine (mehr oder weniger erfolgreich maskierte) Fälschung der Geschichte der slowakischen Nation.«395

Die bürgerlichen Historiker hätten versucht, die reaktionäre Bewegung in der Slowakei im Jahre 1848 als nationalen Aufstand darzustellen, was Matula ablehnte. Interessanterweise schnitten bei ihm auch die im Jubiläumsjahr 1948 veröffentlichten marxistischen Arbeiten nicht besser ab. Laut Matula hätten sowohl Karol Goláň, der sich für einen Marxisten halte, wie auch der »Hlasist« Štefan Janšák oder František Bokes versucht, die slowakische Geschichte reinzuwaschen und seien dabei selbst vor Lügen nicht zurückgeschreckt. Bezugnehmend auf die aufsehenerregende Abhandlung über den »bürgerlichen Nationalismus« in der Slowakei setzte er die Publikationen der genannten Historiker in Bezug zu den ideologischen Fehlern Gustáv Husáks und Ladislav Novomeskýs.396 Am schärfsten aber griff er Záviš Kalandra an, einen marxistischen tschechischen Historiker, der vier Jahre zuvor nach einem Schauprozess hingerichtet worden war.397 Kalandra habe es nicht bei Versuchen zur Uminterpretation der Hussitenbewegung belassen, sondern unter dem Pseudonym Juraj Pokorný 1948 auch das Buch Zvon slobody [Die Freiheitsglocke] veröffentlicht, in dem er versucht habe, die slowakische Nationalbewegung mit der marxistischen Weltanschauung in Übereinstimmung zu bringen. Matula war der Meinung, dass Kalandra ein besonders gefährlicher ideologischer Feind gewesen sei, da er seine Thesen »maskiert und raffiniert« dargestellt habe. Der Leser Pokornýs solle sich jedoch nicht verführen lassen: »Er tut das alles nicht deshalb, um die gesamte Nationalbewegung auf marxistische Weise zu bewerten, sondern um den Anschein einer marxistischen Konzeption zu erwecken, damit Vertrauen zu erwerben und anschließend alles mit seinen antimarxistischen, nationalistischen Schlussfolgerungen auf den Kopf zu stellen. Und so rechtfertigt er in der Zusammenfassung seiner Arbeit den konterrevolutionären Kampf der Anführer der slowakischen Nationalbewegung und gibt die ganze Schuld Kossuth, auf ganz perfide Weise sogar Marx und Engels.«398

Im Weiteren soll beschrieben werden, wie Matula von seinen radikalen Thesen zum reaktionären Charakter der slowakischen Nationalbewegung abrückte und sich der Hauptströmung der marxistischen Historiographie in der Slowakei anschloss. Von seiner Kritik der gesamten bisherigen nationalen Geschichtsschreibung blieb nicht viel mehr übrig als die Verurteilung Záviš Kalandras, doch in 395 Ebd., S. 375. 396 Ebd., S. 386. 397 Karel Kaplan: Největší politický proces »M. Horaková a spol.«, Brno 1995. 398 Ebd.

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dessen Fall war seine antisowjetische Haltung entscheidend, nicht diese oder jene Ansicht über die tschechische oder slowakische Geschichte. In einer 1961 veröffentlichten, prestigeträchtigen Publikation über die Aufgaben der marxistischen Historiographie der Slowakei werden zahlreiche positive Aspekte nicht mehr nur in den Arbeiten Bottas oder Škultetýs, sondern sogar Milan Hodžas sowie Daniel Rapants genannt.399

Die Rolle der Matica slovenská Die zwischen 1863 und 1875 aktive Matica slovenská war nicht nur eine wissenschaftliche und in die Breite wirkende Organisation, sondern (nach 1848) ein neuer Versuch, die slowakische Frage vor einem breiteren Publikum zu diskutieren. Die marxistischen Historiker sahen einen engen Zusammenhang zwischen dem Programm und der politischen Tätigkeit udovít Štúrs und der Matica, sodass die positive Bewertung der Nationalbewegung der 1840er Jahre bis zu einem gewissen Grad auch auf die späteren Jahre ausstrahlte. Schon die Gründung der Matica sei ein Erfolg der Nationalbewegung gewesen und habe eine deutliche wissenschaftliche und kulturelle Belebung gebracht: »Die kulturelle Betätigung, die Literatur und überhaupt die gesamte Publizistik schlossen sich der Nationalbewegung an und wurden zu ihrem aktivsten, zugleich auch zu ihrem fortschrittlichsten Bestandteil«.400 Die Matica habe zur weiteren Entwicklung der slowakischen Nationalbewegung beigetragen, obwohl sie nicht alle Hoffnungen ihrer Schöpfer erfüllt habe.401 Die marxistischen Wissenschaftler verloren jedoch auch die Tatsache nicht aus den Augen, dass es sich um eine bürgerliche Organisation handelte, in der zudem der slowakische Klerus eine wichtige Rolle gespielt habe. »Der slowakische nationale Organismus litt«, wie Andrej Mráz schreibt, »in den Jahren des Bestehens der Matica nicht nur unter der fremden grausamen Unterdrückung, sondern auch unter seiner eigenen Schwäche, der fehlenden Entwicklung und anderen Mängeln, deren Ursache darin lag, dass die in unserer Nation führende Schicht es in diesen Jahren nicht verstand, ihre Anstrengungen mit den dominierenden Bedürfnissen breiter Volksmassen und fortschrittlichen Entwicklungsperspektiven zu verbinden.«402

399 Jaroslav Dubnický: Stav a úlohy historického bádania v období slovenského národného obrodenia (od konca 18 stor. po rok 1848–1849), in: udovít Holotík (Hg.): Úlohy slovenskej historickej vedy v období socialistickej výstavby, Bratislava 1961, S. 80–83. 400 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 287. 401 Jozef Butvin: Snahy o založenie Matice slovenskej (K otázce úlohy organizacií v slovenskom národnom hnutí), in: HČSAV 1963, S. 192. 402 Andrej Mráz: Vznik Matice slovenskej a jej význam v období zvýšeného národného útlaku, in: Július Mésároš/Miroslav Kropilák (Hg.): Matica slovenská v našich dejinách. Sborník statí, Bratislava 1963, S. 48.

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Mráz führte aus, die Matica habe an derselben Krankheit gelitten, die auch die ganze slowakische Bourgeoisie dahingerafft habe (aber auch den polnischen Adel und die polnische Bourgeoisie). Man habe unnützerweise an Hilfe von außen geglaubt, aus dem Osten oder dem Westen, ja sogar an göttliches Eingreifen, man hätte jedoch vielmehr der Weisheit des Volkes vertrauen müssen, das die slowakischen Intellektuellen in ihrem Schaffen gerühmt, das sie aber nicht verstanden hätten.403 Bald nachdem die Matica ihre Arbeit aufgenommen hatte, stellte sich das Problem, wie sie sich zum polnischen Januaraufstand (1863–1864) verhalten sollte. Die marxistische Geschichtsschreibung bewertete diejenigen nationalen Aktivisten positiv, die die Polen in ihrem Kampf gegen die Zarenherrschaft unterstützt hätten. Viktor Borodovčák schrieb über die slowakischen Teilnehmer am Aufstand und kritisierte auch die prorussischen Konservativen. Er meinte, dass »die Angriffe der slowakischen Konservativen gegen den polnischen Aufstand und die Pläne der mit diesem Aufstand zusammenarbeitenden Kossuth-Leute nicht nur aus slawophilen Positionen herrührten, sondern zugleich auch aus konterrevolutionären, reaktionären«.404 Obwohl die Matica diese prorussischen Slowaken repräsentierte, blieb ihr das strenge Urteil über deren politische Haltungen weitgehend erspart. udovít Haraksim behauptete, dass die Kritiker der prorussischen Politik der slowakischen Nationalbewegung »die Tatsache nicht berücksichtigten, dass angesichts der immer schlechter werdenden slowakischen Verhältnisse eine Lossagung von Russland bedeutet hätte, sich von der stärksten Kraft in der ›slawischen Welt‹ loszusagen, einer Kraft, die den Slowaken, und sei es auch nur inoffiziell, helfen konnte und half«.405

Die neueste slowakische Historiographie – Suche nach einem marxistischen Bezugspunkt Ein Urteil über die slowakische historiographische Tradition war umso schwieriger, je näher die Vergangenheit lag, mit der man sich beschäftigte. Die führenden Historiker der Zwischenkriegszeit hatten nicht nur großen wissenschaftlichen Einfluss auf die marxistischen Forscher gehabt, sondern sie waren ihnen in der Regel auch persönlich bekannt. In der Zwischenkriegszeit wurde der alte Streit zwischen

403 Ebd., S. 49. 404 Viktor Borodovčák: Ohlas poského povstania roku 1863 na Slovensku. Slovenskí polonofili a spolupráca demokratických síl Rakúska v boji proti petrohradskému a viedenskému absolutizmu, Bratislava 1960, S. 74. 405 udovít Haraksim: Matica slovenská a Slovania, in: Július Mésároš/Miroslav Kropilák (Hg.): Matica, a. a. O., S. 156.

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den Tschechoslowakisten und den slowakischen Nationalisten in der Historiographie von zwei bedeutenden Historikern verkörpert: Václav Chaloupecký und Daniel Rapant. Ein fester Bezugspunkt der slowakischen Wissenschaft war auch die ungarische Historiographie. Die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten beschrieb 1963 udovít Holotík. Er bemerkte, dass die Marxisten sich nicht nur über slowakische, sondern auch über die tschechische bürgerliche Historiographie sowie über die ungarische marxistische Historiographie äußern müssten.406 In einer ähnlichen Äußerung hatte er im Jahr zuvor daran erinnert, dass es vor 1945 keine einzige Geschichte der Tschechoslowakei gegeben hätte, in der die Geschichte der Slowakei gleichberechtigt behandelt worden wäre. Die einzige Ausnahme sei, paradoxerweise, das von Josef Pekař verfasste Handbuch zur Geschichte der ČSR gewesen.407 Unter den slowakischen Historikern ragte Daniel Rapant hervor, der sich mit der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts beschäftigte und schon in der Zwischenkriegszeit international anerkannt war und als führender slowakischer Historiker galt. Rapant lehnte es ab, sich der marxistischen Methodologie zu unterwerfen, und verlor daraufhin seine Lehrbefugnis.408 Vladimír Matula hielt Rapants Sicht der slowakischen nationalen Wiedergeburt für den wichtigsten ideologischen Gegenentwurf zur jungen marxistischen Historiographie der Slowakei.409 Im Universitätshandbuch der tschechoslowakischen Geschichte billigte man ihm zwar Verdienste zu, Quellen zur Geschichte des Aufstands von 1848–1849 gefunden und veröffentlicht zu haben, doch warf man ihm vor, sich zu sehr auf die politische Geschichte konzentriert und wirtschaftliche Prozesse ignoriert zu haben.410 Die marxistische Interpretation der Nationalgeschichte entwickelte sich jedoch so, dass gerade Rapants Konzeption, vielmehr ihre vereinfachte und »nationalisierte« populäre Version obsiegte, während jede Kritik an der patriotischen Geschichtsschreibung als stalinistische Verzerrung verurteilt wurde. Zumindest auf den ersten Blick mag es als Paradox erscheinen, dass gerade in einem Land mit relativ bescheidenen historiographischen Traditionen das politi-

406 udovít Holotík: Desa rokov Historického ústavu Slovenskej akadémie vied, in: HČSAV 1963, S. 601. 407 udovít Holotík: Rozvoj slovenskej historickej vedy a československá historiografia, in: HČSAV 1962, S. 493. 408 Vgl. Anton Špiesz: K problematike starších dejín Slovenska, in: HČSAV 1990, S. 683. Während der Tagung des SHS 1968 verlangte Ján Mlynárik die Wiedereinsetzung Rapants in sein Amt und verglich seine Bedeutung für die slowakische Historiographie mit derjenigen Jaroslav Golls in Tschechien – Ján Mlynárik: Vz ah politiky a historiografie, in: HČSAV 1990, S. 865. 409 Vladimír Matula: K niektorým otázkam sloveského národného hnutia štyridsiatych rokov XIX stor., in: HČSAV 1954, S. 377. 410 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 14.

Die marxistische Historiographie in der Slowakei

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sche Tauwetter direkt mit der Interpretation eines historischen Ereignisses und eines hierüber geschriebenen Buches zusammenhing. Gustáv Husáks Svedectvo o Slovenskom národnom povstaniu [Zeugnis vom Slowakischen Nationalaufstand] wurde zum Symbol des Kampfes um die wahre Geschichte und vergrößerte noch die Autorität, die sich der Autor aufgrund seiner Haltung während der Strafverfolgung und im Gefängnis erworben hatte. Husáks Popularität resultierte auch daraus, dass er als Vertreter vieler anderer, auch der nichtkommunistischen Teilnehmer am Slowakischen Nationalaufstand (SNP) wahrgenommen wurde. Dazu kam es, obwohl sich seine Version der Ereignisse auch deutlich von den Erinnerungen der nichtkommunistischen Aufstandsteilnehmer unterschied.411 Die ersten Nachkriegsjahre hatten eine Vielzahl spontaner Initiativen hervorgebracht, deren Ziel es war, an den SNP zu erinnern. Bis 1948 errichteten zahlreiche Gemeinden Denkmäler, die zumeist den Helden des Aufstands zeigten – einen slowakischen Soldaten. Die Betroffenen selbst – Offiziere der slowakischen Armee – ergriffen ebenfalls das Wort und hoben mehrfach hervor, dass sie bei den Kämpfen gegen die Deutschen eine wichtigere Rolle gespielt hätten als die slowakischen oder sowjetischen Partisanen.412 Die Machtübernahme der Kommunisten bedeutete nicht nur für viele Teilnehmer an den Kämpfen eine persönliche Tragödie, die nun als Verräter und westliche Agenten behandelt wurden. Es veränderte sich auch die Symbollandschaft: Auf den Denkmälern wurde der Soldat vom Partisanen verdrängt – wobei klar war, dass es sich um einen kommunistischen Partisanen handelte.413 Die Denkmäler wanderten von den Schauplätzen des Kampfes und den Soldatenfriedhöfen auf die Plätze und Straßen der Städte. Die politische Entscheidung zur Suche nach Elementen von bürgerlichem Nationalismus gerade unter den slowakischen Kommunisten hatte großen Einfluss auf die in den 1950er Jahren geltende Interpretation des Aufstands. Sie war geprägt von zahlreichen Beschuldigungen stalinistischen Typs: Man suchte unter den führenden Köpfen des Aufstandes englische und amerikanische Spione, man warf den Aufständischen Zusammenarbeit mit den Deutschen und Ablehnung der UdSSR vor. Höhepunkt der ersten Welle der SNP-Interpretation war eine vom HÚ SAV im Dezember 1953 organisierte Konferenz.414 Der Aufstand wurde als Volksbewegung interpretiert, die von der UdSSR unterstützt und von der von

411 Jozef Jablonický: Slovenské národné povstanie v historiografii v rokoch totality, in: SNP, a. a. O., S. 89. 412 Vgl. Július Nosko: Vojaci v Slovenskom národnom povstaní, Turčianský Sv. Martin [ohne Jahr], S. 52 f. 413 ubomír Lipták: Pamätníky a pamä povstania roku 1944 na Slovensku, in: HČSAV 1995, S. 364 f.; Jörg K. Hoensch: Studia Slovaca. Studien zur Geschichte der Slowaken und der Slowakei, München 2000, S. 305. 414 udovít Holotík (Hg.): Slovenské národné povstanie. Sborník prác k 10. výročiu, Bratislava 1954.

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Geheimdiensten infiltrierten Führung verraten worden sei.415 Dem Lager der Verräter wurden nicht nur slowakische Offiziere, bürgerliche Politiker, aber auch Kommunisten wie Husák oder Novomeský zugerechnet.416 Husák war, wie man anmerkte, zudem Verfasser einer nationalistischen Interpretation des Aufstands, derzufolge es sich um eine unabhängige Aktion der slowakischen Widerstandsbewegung gehandelt habe, nicht um ein von der Moskauer Führung der KSČ organisiertes Element eines gemeinsamen, tschechisch-slowakischen Befreiungskampfes.417 Wie Jozef Jablonický meint, verbesserte der Beginn der 1960er Jahre die Situation keineswegs, da damals zwei Veröffentlichungen erschienen, die das Bild vom SNP gründlich fälschten: Václav Kopeckýs ČSR a KSČ [Die ČSR und die KSČ] (Praha 1960) sowie Václav Králs Pravda o okupaci [Die Wahrheit über die Okkupation] (Praha 1962). Erst seit 1963 begann die langsame Rehabilitation der Teilnehmer des Aufstandes. In einer programmatischen Rede zum zehnjährigen Bestehen des HÚ SAV kritisierte udovít Holotík die stalinistische Interpretation des SNP, die er selbst mitgeschaffen hatte, und auch die Kampagne gegen den bürgerlichen Nationalismus.418 Dieser Prozess endete jedoch mit der Niederschlagung des Prager Frühlings. Gustáv Husák zog, ähnlich wie Władysław Gomułka, aus der eigenen Lage keine Schlüsse, die ihn zu einer Reform des Systems bewegt hätten. In der Zeit der Normalisierung kehrte die Interpretation des Aufstands zu den alten Mustern der 1950er Jahre zurück.419 Nach 1989 führten die steten ideologischen Verrenkungen zu einer Situation, in der eine einheitliche Interpretation des SNP äußerst schwierig war. Das vergangene System ließ seine These vom kommunistischen Charakter des Aufstands zurück. Wissenschaftler, die sich dieser These entgegenstellten, sahen sich nun noch einem weiteren Gegner ausgesetzt – den ins Land zurückkehrenden ehemaligen Josef Tiso-Anhängern, denen zufolge der SNP gar kein Aufstand war, sondern eine Erhebung gegen die rechtmäßige, nationale Regierung. Eine Zeitlang schien sogar der Nationalfeiertag am 29. August in Gefahr, der an den Ausbruch der Kampfhandlungen erinnert.420

415 Vgl. Bohuslav Graca: Slovenské národné povstanie – vyvrcholenie národnooslobodzovacieho boja slovenského udu, in: ebd.; Jozef Hrozienčik: Pomoc Sovietskeho sväzu Slovenskému národnému povstaniu, in: ebd. 416 Miro Hysko: Zradcovská úloha buržoázie a zápaných imperialistov v Slovenskom národnom povstaní, in: ebd. 417 Bohuslav Graca: Stav a úlohy výskumu o Slovenskom národnom povstaní, in: udovít Holotík (Hg.): Úlohy, a. a. O., S. 153. 418 udovít Holotík: Desa rokov Historického ústavu Slovenskej akadémie vied, in: HČSAV 1963, S. 602–604. 419 Josef Jablonický: Glosy, a. a. O. 420 Ebd., S. 150 f.

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Die ostdeutschen Marxisten und das Erbe der deutschen Historiographie Auch wenn die Bewertung der historiographischen Tradition zu den wichtigsten Aufgaben der marxistischen Historiographie zählte, wurde dieses Thema in der DDR lange nur zögerlich in Angriff genommen. Wer die ersten Jahrgänge der ZfG liest, könnte den Eindruck gewinnen, Marx und Engels seien die einzigen deutschen Historiker gewesen. Neben Jubiläumstexten finden sich dort Philippiken gegen die angeblichen Geschichtsfälschungen westdeutscher Historiker sowie Berichte über den aktuellen Stand der Geschichtswissenschaften in anderen volksdemokratischen Ländern. Der einzige Text über die Geschichte der deutschen Historiographie war ein Auszug aus Leo Sterns ein Jahr zuvor veröffentlichter Broschüre Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung.421 Stern bezog sich dort relativ oberflächlich auf die wissenschaftliche Tradition und konzentrierte sich auf eine prinzipielle Gegenüberstellung: »die grundlegende Differenz zwischen der bürgerlichen und marxistisch-leninistischen Geschichtsforschung […]: dort Agnostizismus, Pessimismus und Resignation, hier Optimismus, Zukunftsfreundlichkeit, aufgebaut auf der klaren Einsicht in die objektiven Gesetze der geschichtlichen Entwicklung.«422 In der ersten Hälfte der 1950er Jahre repräsentierten die spezifischen Ansichten dieses Historikers am ehesten die DDR-Forschungen in ihrer Gänze. Genauere Untersuchungen wurden erst im folgenden Jahrzehnt unternommen. Der folgende Abschnitt über die Haltungen der DDR-Historiographie gegenüber der Tradition der Disziplin übergeht zwei Herren, die nicht nur nach Meinung der deutschen Marxisten nicht übergangen werden durften: Karl Marx und Friedrich Engels. Sie waren unerreichbare Vorbilder, mit denen alle anderen Wissenschaftler verglichen wurden, wobei ihnen ein kleineres oder größeres Maß an Fortschrittlichkeit zugebilligt wurde.

Die Historiographie der Aufklärung Leo Stern vertrat ungemein kritische Ansichten zur deutschen Historiographie, dennoch gestand den aufgeklärten Historikern (aber auch Autoren, die wir heute nicht als Historiker bezeichnen würden) eine gewisses Maß an Progressivität zu. Die Aufklärung als solche, interpretiert als materialistische und antireligiöse Epoche, wurde von den Marxisten geschätzt, was sich zum Beispiel in den in Polen

421 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung, Berlin 1952; ders.: Zur geistigen Situation der bürgerlichen Geschichtswissenschaft der Gegenwart, in: ZfG 1953. 422 Ders: Zur geistigen, a. a. O., S. 837.

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organisierten Aufklärungs-Feierlichkeiten widerspiegelte. In der DDR erinnerte man vor allem an diejenigen Deutschen, die in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn wie auch immer Kontakt mit Russland gehabt hatten. Ein gutes Beispiel hierfür ist etwa Leonhard Eule, ein schweizerischer Mathematiker, über den es heißt: »Dem genialen Lomonosov war er auf das herzlichste verbunden.«423 Bei Stern traten die Aufklärer (wie zu zeigen sein wird, war nicht allzu klar, nach welchen Prinzipien jemand dieser Gruppe zuzurechnen war) nicht so sehr als Wert an sich auf, sondern in einer Gegenüberstellung. Er schrieb: »Die verheißungsvollen Anfänge einer weltaufgeschlossenen, fortschrittlichen, zutiefst humanistischen und zugleich zutiefst nationalen deutschen Geschichtsschreibung, der ein Leibniz, Möser, Lessing, Winckelmann, Goethe, Herder und Schlözer die Wege bereitet hatten, waren infolge der reaktionären Entwicklungsrichtung, die Deutschland nach den Befreiungskriegen genommen hatte, sehr bald abgeknickt worden, um nur noch außerhalb der offiziellen akademischen Geschichtsforschung, und von dieser bekämpft und perhorresziert, in den genialen Arbeiten von Marx und Engels fortgeführt zu werden.«424

Der Leser dieser Broschüre erfuhr aus ihr nichts über die in dem Zitat genannten Wissenschaftler, konnte aber an einigen weiteren Stellen auf ein fast gleichlautendes Fragment stoßen. Stern zufolge sollte es die Aufgabe der DDR-Geschichtsschreibung sein, »sich von den falschen und verhängnisvollen Positionen des traditionellen akademischen deutschen Historismus loszusagen und sich eindeutig auf die Positionen der fortschrittlichen, humanistischen, zutiefst nationalen und weltaufgeschlossenen Geschichtswissenschaft zu stellen, die von Leibniz, Möser, Lessing, Goethe, Schiller, Winckelmann, Herder, Schlözer ihren Ausgang nahm und die erst von den größten Söhnen des deutschen Volkes, Marx und Engels, durch die revolutionäre Theorie des historischen und dialektischen Materialismus zum Range einer echten Wissenschaft erhoben wurde«.425

Die Auffassungen über die Historiker der Aufklärung scheinen relativ stabil geblieben zu sein: Sie unterlagen nicht den dramatischen Veränderungen, die etwa Hegel in der offiziellen DDR-Interpretation durchmachen musste, und auch nicht den Problemen, die man hatte, wenn die Fortschrittlichkeit der Romantiker beurteilt wurde. Joachim Streisand dachte Sterns These enigmatisch weiter, indem er auf den Antiklerikalismus der Aufklärer hinwies. Streisand hob die Rolle von For-

423 Eduard Winter: Das Wirken Leonhard Eules in der Berliner Akademie der Wissenschaften 1741–1766 und seine Bedeutung für die deutsche und russische Aufklärung. Zur Wiederkehr seines 250. Geburtstages, in: ZfG 1957, S. 533. 424 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben, a. a. O., S. 11. 425 Ebd., S. 50.

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schern hervor, die von der bürgerlichen Wissenschaft unterschätzt worden seien, und zwar gerade wegen ihrer Fortschrittlichkeit: Isaak Iselin und Friedrich Karl von Moser.426 Sie waren seiner Meinung nach jedoch im Vergleich zur geistigen Entwicklung in Frankreich immer noch deutlich verspätet.427 Wie Gerhard Schilfert bemerkte, habe sich Schlözer zwar ehrlich über die Kunde von der Französischen Revolution gefreut, doch habe es in seiner politischen Vorstellungskraft keinen Platz für die vollständige Gleichberechtigung der niedrigeren Volksklassen gegeben.428 Die Information über die Hinrichtung des Königs habe ihn besorgt, doch bedeutete das nicht, dass Schlözer Reaktionär gewesen sei. Im Gegenteil: »Die Momente […] die nach unserer heutigen Auffassung die wichtigsten sind, um den Wissenschaftscharakter der Geschichte zu beweisen, die Anerkennung des Fortschritts und seiner Gesetze in der Geschichte sowie das Suchen nach den geschichtlichen Zusammenhängen und den typischen Erscheinungen; alles dies ist bei Schlözer schon mehr oder weniger ausgebildet vorhanden.«429

Zu den deutschen Historikern der Aufklärung rechnete man in der DDR auch klassische Literaten, vor allem Goethe und Lessing, aber auch Philosophen wie Kant oder Herder. Goethe beispielsweise habe Interesse »für das Volk und […] die nationale Vergangenheit und ihre revolutionären Traditionen« gehabt.430 In seinem Fall sei das Interesse für die Geschichte Ausdruck reinster patriotischer Empfindungen gewesen (und nicht, wie im nächsten Kapitel am Beispiel der deutschen Romantiker zu sehen sein wird, ein Beleg für die Sympathie gegenüber feudalen Relikten). Lessing habe die Ausbeutung scharf verurteilt und soziale Konflikte aufgezeigt.431 Immanuel Kant, der führende Vertreter des Idealismus, wurde im selben Geist beurteilt, in dem dies die stalinistischen Geschichtsphilosophen der Sowjetunion taten. Es handelte sich demnach um einen reaktionären Philosophen, der jedoch in seinen Ansichten den Idealismus mit Elementen des fortschrittlichen Materialismus vereint habe. Eine vollends reaktionäre Bedeutung hätten erst die Ansichten der Anhänger und Nachfolger Kants erlangt: »Renegaten und Verräter der Arbeiterklasse aus dem Reformlager, die sich auf Kants Philosophie stützen und den Sozialismus in ein unerreichbares, abstraktes Ideal umwandeln, in ein ›Ding an sich‹, an das man nur zu glauben hatte – und damit Schluss.

426 Ebd., S. 55 und 65. 427 Joachim Streisand: Geschichtliches Denken von der deutschen Frühaufklärung bis zur Klassik, Berlin 1964, S. 29 und 55. 428 Gerhard Schilfert: August Ludwig von Schlözer, in: Joachim Streisand (Hg.): Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Reichseinigung von oben, Berlin 1963, S. 88. 429 Ebd., S. 92. 430 Joachim Streisand: Geschichtliches, a. a. O., S. 77. 431 Ebd., S. 85 f.

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Mit Hilfe der Kant’schen Philosophie versuchen sie, die revolutionäre Klinge des Marxismus abzustumpfen, aus ihm ein Werkzeug der ›Klasseneintracht‹ zu machen, ein Werkzeug des Kampfes gegen den Sturz des Kapitalismus auf revolutionärem Wege.«432

Vor diesem Hintergrund hob sich Herder positiv ab (im zitierten sowjetischen Kurzen philosophischen Wörterbuch fehlt er komplett). Er habe eine höhere Entwicklungsphase der Bourgeoisie vertreten. Man schätzte seine Idee des Friedens zwischen den Nationen, war aber vor allem von der Slawophilie seiner philosophischen Theorie angetan.433

Die Historiker im Kampf um die deutsche Einheit Als Leo Stern seine bahnbrechende Studie veröffentlichte, wich sein Urteil über Johann Gottlieb Fichte oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel nicht von dem Urteil Leopold von Rankes ab. Stern war in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Sowjetwissenschaft vom Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre der Meinung, dass alle diese Wissenschaftler »die Apologie des Krieges und des Machtgedankens ganz im Geiste der friderizianisch-preußischen Tradition auf den ersten Plan gestellt« hätten.434 Dieses Urteil hielt sich nicht lange: Seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre legten die Historiker immer größeren Wert auf nationale (sogar preußische) Werte und milderten ihre Bewunderung für den Humanismus der Aufklärer ein wenig ab. Karl Obermann schrieb 1957 über eine enge Verbindung zwischen der patriotischen Bewegung und der deutschen Historiographie vom Anfang des 19. Jahrhunderts: »Führende Männer dieser Bewegung betrachteten die Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung als eine politische Notwendigkeit. Sie sahen in der Förderung der Geschichtswissenschaft das beste Mittel zur Entwicklung eines deutschen Nationalbewußtseins.«435 Joachim Streisand zufolge wurde Fichte, der klar die Einigung Deutschlands angestrebt und die Französische Revolution positiv beurteilt habe, wegen seiner Sympathie für die Ideen Rousseaus von der feudalen und klerikalen Reaktion angegriffen.436 Fichtes relative Fortschrittlichkeit rühre vor allem daher, dass er der

432 Mark M. Rozental, Pavel F. Judin (Hg.): Krótki słownik filozoficzny, Warszawa 1955, S. 272. Vgl. Joachim Streisand: Geschichtliches, a. a. O., S. 88. 433 Ebd., S. 87. 434 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben, a. a. O., S. 16. 435 Karl Obermann: Über die Entwicklung der deutschen Geschichtsschreibung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: ZfG 1957, S. 713. 436 Joachim Streisand: Johann Gottlieb Fichte und die deutsche Geschichte, in: ders. (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 34–42.

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Kategorie des geschichtlichen Fortschritts angehangen habe.437 Hegel, dessen Beurteilung sich in der Mitte der 1950er Jahre ebenfalls grundlegend änderte (hierzu das nächste Kapitel), habe die weitere Entwicklung der Bourgeoisie verkörpert. Auch wenn er ebenfalls an den Fortschritt der Menschheit geglaubt habe, habe er die bürgerliche Revolution als Form der Verwirklichung dieses Fortschritts abgelehnt.438 Zwischen dem Idealismus seiner Philosophie und der von ihm eingeführten dialektischen Methode bestand nach Meinung der Marxisten ein Widerspruch. Schließlich habe Hegel die napoleonischen Reformen unterstützt, die nach der spektakulären Niederlage Preußens 1806 eingeführt wurden, auch wenn er nie aufgehört habe, Patriot zu sein.439 Neben Personen wie Fichte oder Hegel gab es auch Historiker und wissenschaftliche Initiativen, deren Anerkennung keinen größeren Wandel erfuhr. Die von Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom Stein mit aus der Taufe gehobenen Monumenta Germaniae Historica seien von der preußischen Reaktion deshalb bekämpft worden, weil die Historiker als solche zu Beginn des 19. Jahrhunderts die deutsche Einheit und die Beseitigung der feudalen Reste angestrebt hätten.440 Diese Sichtweise habe bis 1848 angehalten.441 Für die Ausprägung der öffentlichen Meinung vor der Märzrevolution seien einige als bürgerlich-liberal bezeichnete Historiker wichtig gewesen: Carl von Rotteck, Ernst Moritz Arndt, Heinrich Luden, Georg Gottfried Gervinus, Karl Hagen, Wilhelm Zimmermann und auch Friedrich Christoph Schlosser. Diesen Historikern widmete man viel Aufmerksamkeit und ließ einander ähnelnde Porträts der fortschrittlichen Gelehrten entstehen. So war zum Beispiel Heinrich Luden »ein echter Sohn des deutschen Volkes […] als Sohn eines einfachen Bauern geboren«.442 Während der französischen Besatzung habe er unter Jugendlichen patriotische Ideale verbreitet und sei von reaktionären Kreisen verfolgt worden. Der Historiker habe an die Wirkmacht des Volkes geglaubt und sich der dialektischen Methode bedient.443 Für ihn hätten auch seine positiven Äußerungen über seinen Schüler František Palacký gesprochen.444

437 Ders.: Progressive Traditionen und reaktionäre Anachronismen in der deutschen Geschichtswissenschaft, in: ZfG 1961, S. 1780. 438 Ders.: Georg Wilhelm Friedrich Hegel und das Problem des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus in Deutschland, in: ders. (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 64. 439 Ebd., S. 68. 440 Karl Obermann: Die Begründung der Monumenta Germaniae Historica und ihre Bedeutung, in: Joachim Sreisand (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 113–120. 441 Gottfried Koch: Die mittelalterliche Kaiserpolitik im Spiegel der bürgerlichen deutschen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: ZfG 1962, S. 1840. 442 Karl Obermann: Heinrich Luden, in: Joachim Streisand (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 93. 443 Karl Obermann: Über die Entwicklung der deutschen Geschichtsschreibung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: ZfG 1957, S. 725 f. 444 Ders.: Heinrich Luden, a. a. O., S. 97 und 104.

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Der etwas jüngere Wilhelm Zimmermann habe seine Liebe zum Volk der eigenen Herkunft zu verdanken (wie Gerhard Schilfert schrieb, sei sein Vater ein einfacher Koch am Hof des Herzogs von Württemberg gewesen).445 Als Abgeordneter im Frankfurter Parlament habe er lange gegen die preußische Reaktion gekämpft, sei aber leider auf seine alten Tage zu einem Bewunderer Bismarcks geworden. Dennoch habe Engels seine historischen Arbeiten geschätzt.446 Auch Ernst Moritz Arndt sei dem Volk eng verbunden gewesen; seine »Geschichtsschreibung erwies sich damals als wirksam, weil sie vom Volk ausging und das Volk ansprach. Das Volk war bei Arndt die geschichtliche Kraft, auf die letzten Endes alle Schöpfungen und Ereignisse zurückgeführt wurden.«447 Von diesem Modell wich Georg Gottfried Gervinus ein wenig ab, der bis 1848 eher konservative Standpunkte eingenommen habe, um nach der Märzrevolution das reaktionäre Preußentum sowie den Militarismus zu kritisieren.448 Die erwähnten Historiker würden, wie die DDR-Forschung schrieb, im Westen nicht beschrieben oder man fälsche ihre tatsächlichen Ansichten. Bei Gervinus zum Beispiel konzentriere man sich auf eine frühere, reaktionäre Phase und ignoriere seine späteren fortschrittlichen Leistungen.449 Allen gemäßigt fortschrittlichen bürgerlich-liberalen deutschen Historikern war ein Merkmal gemein, das ihre Fortschrittlichkeit auf grundsätzliche Weise einschränkte. Die im 19. Jahrhundert Lebenden konnten bereits die Werke von Marx und Engels kennen bzw. kannten sie teilweise sogar schon. Dennoch wurden sie nicht zu Marxisten, was die DDR-Geschichtsschreibung zu Bemerkungen wie der folgenden veranlasste: »Allerdings sah Luden noch nicht im Kampf der Klassen […] den entscheidenden Entwicklungsgang der Geschichte.«450 Unter den bürgerlich-liberalen Historikern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat besonders Friedrich Christoph Schlosser hervor. Schon vor der Märzrevolution habe er zu den »bedeutendsten politischen Erziehern seines Volkes« gehört.451 Die Französische Revolution habe diesen aufrichtigen Demokraten fast in Euphorie versetzt, dann aber habe er sich »mit aller Schärfe […] gegen die reaktionären beziehungsweise antirevolutionären Strömungen in Deutschland und Europa« gewandt.452 Die positive Beurteilung des Historikers wurde nicht im geringsten von seiner Auffassung gestört (die im Übrigen später auch Treitschke 445 Gerhard Schilfert: Wilhelm Zimmermann (1807–1877), in: ebd., S. 170. 446 Ebd., S. 171–178. 447 Karl Obermann: Über die Entwicklung, a. a. O., S. 720. 448 Gerhard Schilfert/Hans Schleier: Georg Gottfried Gervinus als Historiker, in: Joachim Streisand (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 169. 449 Ebd., S. 149. 450 Karl Obermann: Heinrich Luden, a. a. O., S. 104. 451 Gerhard Schilfert: Friedrich Christoph Schlosser, in: ebd., S. 136. 452 Ebd., S. 139.

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teilte), dass der wahre Gegenstand der Geschichte die großen Männer seien. Wie Gerhard Schilfert schrieb, habe Schlosser stets einen engen Zusammenhang zwischen diesen Männern und den Volksmassen gesehen.453 Natürlich habe auch dieser Wissenschaftler die historischen Gesetzmäßigkeiten nicht auf marxistische Weise erkannt. Und dies sei der Grund, warum Schlosser und andere bürgerlich-liberale Forscher im ideologischen Streit mit Leopold Ranke eine Niederlage erlitten hätten. Wären sie Marxisten gewesen, folgert Schilfert, hätte man ihnen keine methodologische Unreife, fehlende Methoden und übermäßige Tendenziösität vorwerfen können. Wären sie Marxisten gewesen, so hätte vielleicht nicht der Historismus, sondern der Marxismus die deutsche Geschichtswissenschaft dominiert.454 Den Mangel an Konsequenz bei durchaus vielversprechenden liberalen Historikern brachte Karl Obermann gut auf den Punkt, als er schrieb, dass sie zwar um die deutsche Einheit gekämpft hätten, man aber in ihren Arbeiten viele fortschrittliche Aspekte erkennen könne. »Aber angesichts der immer stärker werdenden Bewegung der Volksmassen, angesichts der Revolution, blieb die liberale Geschichtswissenschaft stehen, ja, entsetzt über ihre eigene Kühnheit, begann sie zurückzuweichen. In dieser Zeit entdeckten Marx und Engels die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung und schufen mit der dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung die Grundlage für die weitere Entwicklung der Geschichtswissenschaft.«455

Leopold von Ranke und der deutsche Historismus In Leo Sterns bereits vielfach zitierter Arbeit Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung trägt ein Kapitel den Titel Ranke und der Niedergang der deutschen Historiographie. Der Autor unterzog darin in erster Linie die Ansicht vom so genannten Objektivismus der Ranke’schen Schule einer überaus strengen Kritik, »denn die romantisch-idealistische, monarchisch-konservative Grundkonzeption der Ranke-Schule, die nationalistische Deformierung des deutschen Nationalbewußtseins und die einseitige Überspitzung des Machtgedankens in spezifisch preußischer Ausprägung ließen schon ihrer Natur nach eine Darstellung der objektiven geschichtlichen Wahrheit einfach nicht zu«.456

Stern analysierte Rankes Ansichten überraschend eingehend. Seinen »Objektivismus« verstand er nicht auf polarisierende, wörtliche Weise (was bei anderen DDRHistorikern nicht selten vorkam), sondern als Streben nach der Analyse historischer

453 Ebd., S. 140. 454 Ebd., S. 142. 455 Karl Obermann: Die deutschen Geschichtsvereine des Vormärz, in: Joachim Streisand (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 199. 456 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben, a. a. O., S. 20.

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Ereignisse im Kontext und in den Kategorien der Zeit, in der sie sich zutrugen. Sterns Widerstand riefen die moralischen Folgen einer Einstellung hervor, denen im Bestreben nach Verständnis oft die Rechtfertigung künftiger Schuftigkeiten folgten. Doch welch Wunder, der Marxist warf Ranke keine offen reaktionären Einstellungen vor, und sein Streben nach objektiver Erkenntnis hielt er für bare Münze. Er war hingegen der Meinung, dass Indifferenz, Neutralität und das Fehlen einer klar definierten geistigen Grundlage die Ursache dafür war, warum die deutsche Historiographie sowohl 1918 wie auch 1945 versagt habe.457 Einen ganz anderen Standpunkt über den bekanntesten deutschen Historiker legte in mehreren nach dem XX. Parteitag der KPdSU veröffentlichten Artikeln Jürgen Kuczynski dar. Der des Revisionismus bezichtigte Historiker stellte fest, dass Ranke das Handwerk des Historikers auf ein höheres Niveau gehoben habe: »Natürlich benutzt Ranke das neue Instrument im Interesse der herrschenden Klassen […]. Aber wieviel näher sind wir durch ihn technisch der Erfassung der vergangenen Wirklichkeit gekommen! […] Jedes Mittel […], das uns hilft, die Wirklichkeit besser, das heißt klarer zu erkennen, ist von Bedeutung für den gesellschaftlichen Fortschritt, ist darum objektiv eine Hilfe an das Neue in der Gesellschaft, den Sieg über das Alte zu erringen.«458

Dieses Urteil gab neben anderen Thesen Kuczynskis den Anlass für die massive Kritik des Historikers. Es wundert deshalb nicht, dass sich seine Neuinterpretation von Ranke in der DDR-Historiographie nicht durchsetzen konnte. Das in den 1960er Jahren verfestigte Bild vom Historismus war sehr viel weniger komplex als in Sterns kritischen Analysen oder in Kuczynskis Bemerkungen. Nach Joachim Streisand war Ranke nichts anderes als die rückwärtsgewandte Reaktion auf die progressive deutsche Aufklärung.459 Gerhard Schilfert meinte, der reaktionäre Charakter des Historikers habe sich schon in seiner Jugend gezeigt. Der Pastorensohn habe wenig von der patriotischen Burschenschaftsbewegung der 1820er Jahre gehalten. 1830 habe er mit Begeisterung die deutsche und europäische Reaktion unterstützt und während der Revolution von 1848 die preußische Regierung beraten.460 »Schon seit seiner Leipziger Studienzeit befand er sich in einer ständigen Auseinandersetzung mit den fortschrittlichen Auffassungen der Aufklärer und so stand er auch zu den führenden Historikern des fortschrittlichen Bürgertums, wie Schlosser, Gervinus, Rotteck, Zimmermann, in scharfem Gegensatz.«461 Nachdem sich das Urteil über Hegel geändert hatte,

457 Ebd., S. 24 f. 458 Jürgen Kuczynski: Parteilichkeit und Objektivität in Geschichte und Geschichtsschreibung, in: ZfG 1956, S. 887. 459 Joachim Streisand: Progressive Traditionen, a. a. O., S. 1783. 460 Gerhard Schilfert: Leopold von Ranke, in: Joachim Streisand (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 242 f. 461 Ebd., S. 253.

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wurde Ranke zu Beginn der 1860er Jahre auch deshalb zu den reaktionären Denkern gezählt, weil er Hegel kritisiert hatte. Dies habe er zudem nicht von einem marxistischen, sondern von einem »rechten« Standpunkt aus getan, wobei er den fortschrittlichen Kern von Hegels Ansichten in Zweifel gezogen habe – die dialektische Methode. Er habe nicht nur Hegels Geschichtsphilosophie abgelehnt, sondern in der Geschichte überhaupt keine universellen Mechanismen erkennen wollen (abgesehen von allgemeinen Verweisen auf die göttliche Vorsehung).462 Ranke wurde für die DDR-Wissenschaft zum führenden reaktionären Historiker. Seinem Vorbild folgend hätten auch viele andere Geschichtswissenschaftler die Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung negiert, dem preußischen Regime und den herrschenden Klassen allgemein ihre höchste Ehrerbietung erwiesen und die Rolle der Außenpolitik überschätzt. In den Worten Ernst Engelbergs: »Kurz: Ranke eignet sich sehr wohl zur ideologischen Begründung der imperialistischen Aggression nach außen und zur Unterdrückung der Arbeiterbewegung im Innern.«463 Diese Rolle des Historikers war von Dauer, da Ranke zum Schirmherrn der westdeutschen »NATO-Historiographie« geworden sei und damit die aggressive Politik der Bundesrepublik mit rechtfertige.464

Sybel – Droysen – Treitschke – Mommsen. Die borussische Schule Während die »Entdeckung« von Leopold von Rankes reaktionärem Charakter für die Historiographiegeschichte der DDR eine gewisse Anstrengung erforderte, hätte das Schaffen einiger seiner Schüler im Grunde keine Zweifel aufkommen lassen dürfen. Leo Stern zufolge waren die Anhänger des Historismus direkte Vorgänger der NS-Historiker, ein Bindeglied zwischen ihnen und Ranke (dies drückte auch Hans Schleier aus, als er schrieb, dass »nach 1933 eine TreitschkeKonjunktur erblühte, versteht sich«).465 Als reaktionärste Historikergruppe galt die »kleindeutsche Schule« mit Johann Gustav Droysen, Heinrich von Sybel, Heinrich von Treitschke und Theodor Mommsen. »In ihren Arbeiten«, schreibt Gottfried Koch, »fand der Kompromiß zwischen der Großbourgeoisie und der preußischen feudalabsolutistischen Reaktion seinen ideologischen Ausdruck«.466 462 Ebd., S. 256. 463 Ernst Engelberg: Politik und Geschichtsschreibung. Die historische Stellung und Aufgabe der Geschichtswissenschaft in der DDR, in: ZfG 1958, S. 482. 464 Gerhard Schilfert: Leopold von Ranke, a. a. O., S. 269. 465 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben, a. a. O., S. 29; Hans Schleier: Sybel und Treitschke. Antidemokratismus und Militarismus im historisch-politischen Denken großbourgeoiser Geschichtsideologen, Berlin 1965, S. 161. 466 Gottfried Koch: Die mittelalterliche Kaiserpolitik im Spiegel der bürgerlichen deutschen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: ZfG 1962, S. 1842.

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Ähnlich wie zum Beispiel in Tschechien ergab sich der reaktionäre Charakter dieser Historiker in erheblichem Maße aus den Merkmalen der damaligen Bourgeoisie als Klasse. »Mit ihrer Kapitulation vor den reaktionären Feudalmächten verrieten die Liberalen die Interessen der Nation; sie unterwarfen sich dem Hegemoniestreben der preußischen Juncker und unterstützten deren Ziel: die Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates auf dem reaktionären Wege von oben unter Preußens Führung, durch Unterwerfung der Klein- und Mittelstaaten.«467 Wie Hans Schleier bemerkte, war das wichtigste Kennzeichen der borussischen Schule ihre Demokratie- und Revolutionsfeindlichkeit. Die Historiker seien preußische Chauvinisten und Militaristen gewesen, sie hätten sich vor der Sozialdemokratie gefürchtet und sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. Im Laufe der Zeit, insbesondere seit dem Ende der 1870er Jahre, hätten die meisten von ihnen bereitwillig Bismarcks Innenpolitik unterstützt. Vor allem Heinrich Treitschke habe sich durch seinen Antisemitismus, seine Unterstützung des Kolonialismus und seinen Rassismus ausgezeichnet.468 In theoretischen Fragen sei die borussische Schule vom liberalen Programm ausgegangen, habe aber auch die reaktionären Aspekte der deutschen Romantik übernommen (vor allem ihre Sympathie für den Feudalismus).469 Ablehnend habe sie sich gegenüber dem fortschrittlichen Erbe der Aufklärung verhalten und vor allem zur Französischen Revolution (Hans Schleier schrieb erneut vom Hass, den Sybel und Treitschke dieser Revolution entgegengebracht hätten).470 Widersprüchlich sei auch ihre Einstellung zur deutschen Klassik gewesen. Selbst wenn viele den Klassikern großen Respekt entgegengebracht hätten, seien die Klassiker selbst einhellig fortschrittlich gewesen. Über die Mitglieder der borussischen Schule hieß es hingegen, sie hätten »gerade einzelne reaktionäre Tendenzen herausgegriffen, fortgeführt und damit den Gesamtcharakter der Klassik verfälscht«.471 467 Werner Mägdefrau: Heinrich von Treitschke und die imperialistische »Ostforschung«, in: ZfG 1963, S. 1445. 468 Hans Schleier: Die kleindeutsche Schule (Droysen, Sybel, Treitschke), in: Joachim Streisand (Hg.): Die deutsche, a. a. O., S. 271–301. Dieter Fricke zitierte dabei Friedrich Engels: »Treitschke dokumentiert in besonderem Maße den Verfall der bürgerlichen Geschichtsschreibung in Deutschland. Die gesamte historische Wissenschaft war hier so tief gesunken, wie Friedrich Engels am 13. November 1885 an Danielson schrieb, ›daß sie kaum mehr tiefer sinken kann … Hegel würde sagen: Ironie der Weltgeschichte, daß die deutsche historische Wissenschaft durch die Erhebung Deutschlands zur ersten europäischen Macht wieder auf den gleichen jämmerlichen Stand reduziert werden sollte, auf den sie durch die tiefste politische Erniedrigung Deutschlands nach dem Dreißigjährigen Kriege gebracht wurde. Aber es ist so‹.« – Dieter Fricke: Zur Militarisierung des deutschen Geisteslebens im wilhelminischen Kaiserreich. Der Fall Leo Arons, in: ZfG 1960, S. 1078. 469 Gottfried Koch: Die mittelalterliche, a. a. O., S. 1841. 470 Hans Schleier: Sybel, a. a. O., S. 61. 471 Ders.: Die kleindeutsche Schule, a. a. O., S. 304.

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Trotz dieser Kritik am Schaffen von Sybel, Treitschke, Droysen und anderen Vertretern der borussischen Schule erkannte die DDR-Wissenschaft in ihnen auch fortschrittliche Werte, zumindest bis zur Gründung des Kaiserreichs. Gottfried Koch bemerkte in seinem Text über die Haltung der deutschen bürgerlichen Historiographie zur Italienpolitik der Kaiser, dass gerade die »kleindeutschen« Historiker eine richtige Einstellung im politisch-historischen Streit mit den Anhängern einer großdeutschen Lösung eingenommen hätten. Nach Koch war die deutsche Einigung fortschrittlich, obwohl sie »von oben« erfolgt sei und nicht durch eine Revolution. Die Bismarck unterstützenden Vertreter der borussischen Schule hätten somit auf der richtigen Seite gestanden. Im Gegensatz zu ihnen waren, so Koch, die Ziele der großdeutschen Historiker »reaktionär und dienten keiner progressiven Lösung der Hauptaufgabe der Periode von 1849 bis 1871. Auch war ihre Klassengrundlage weitaus schmaler und uneinheitlicher als die der Kleindeutschen«.472 Die Streitigkeiten zwischen den Kleindeutschen und Historikern wie etwa Julius Ficker betrafen die Kosten-Nutzen-Bewertung des deutschen Engagements in Italien. Sybel, Treitschke und Droysen seien der Meinung gewesen, dies habe an den Kräften des Staates gezehrt, die anderweitig nötiger gewesen wären; und dadurch sei die Zentralgewalt in Deutschland geschwächt worden. Mit der Zeit aber hätten sich die anfangs unterschiedlichen Standpunkte beider Schulen aneinander angenähert. Die imperialistische Historiographie nach 1918 habe die Ostexpansion betont, wodurch sie, wie Koch anmerkte, ihren Hass auf die UdSSR ausgedrückt habe.473 Streisand machte zudem auf Theodor Mommsen aufmerksam, der sich im Unterschied zu den übrigen Historikern der borussischen Schule nach 1871 kritisch über Militarismus, Chauvinismus und Antisemitismus geäußert habe (allerdings war – was Streisand nicht erwähnte – auch Droysen ein Kritiker des Antisemitismus).474 Mommsen sei jedoch noch nicht reif dafür gewesen, die Arbeiterbewegung zu unterstützen, das einzige wahre Gegengewicht gegen die Bismarck’sche Politik.475 In seinen Arbeiten habe er »auf einer subjektiven, idealistischen Einstellung zu den Fragen der Geschichte« verharrt.476 Angesichts dieser Bemerkungen scheint es besonders interessant, nach den Unterschieden zwischen der marxistischen Interpretation Rankes und seiner Schüler

472 Gottfried Koch: Die mittelalterliche, a. a. O., S. 1842. 473 Ebd., S. 1860. Vgl. dazu auch Joachim Streisand: Progressive Traditionen, a. a. O. 474 Ebd., S. 1784. 475 Rigobert Günther: Theodor Mommsen, in: Joachim Streisand (Hg.): Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung von der Reichseinigung von oben bis zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus, Berlin 1965, S. 24. 476 Rigobert Günther: (Rez.) A. Wiecker: Theodor Mommsen. Geschichtsschreibung und Politik, Göttingen 1956, in: ZfG 1959, S. 202.

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zu fragen. Es hat den Anschein, als sei die borussische Schule besser beurteilt worden als der Schöpfer des Historismus. Hans Schleier erklärte das auf eine Weise, die an die polnischen Auseinandersetzungen um Karol Boromeusz Hoffman erinnert: »Die politischen Historiker als Vertreter des großbürgerlich-junkerlichen Klassenbündnisses und der nationalstaatlichen Einigung Deutschlands repräsentieren gegenüber dem konservativen, in der Romantik wurzelnden Ranke eine neue, fortschrittlichere Schule der Historiographie.«477 Interessanterweise konnte man Ranke Nationalismus zwar nur in viel geringerem Maße vorwerfen als seinen jüngeren Kollegen, dennoch belastete dieses weltanschauliche Charakteristikum der borussischen Schule auch ihn selbst, da, wie Schleier hervorhob, »von dem konservativen Ranke zu den preußisch-deutschen Historikern weitaus engere politische und methodologische Verbindungsfäden laufen, als diese zum Teil selbst und auch die spätere bürgerliche Historiographiegeschichte glauben machen wollen«.478 Eine Kernfrage für dieses Urteil über Sybel, Treitschke oder Droysen war ihre Haltung zur deutschen Einigung. Wie wir bereits wissen, fiel die Antwort darauf, ob die Gründung des Kaiserreichs ein Fortschritt für die deutsche Geschichte gewesen sei, für die DDR-Historiker keineswegs eindeutig aus. In den Veröffentlichungen zur Historiographiegeschichte ist gut zu verfolgen, wie schon bald nach Alfred Meusels Tod dessen Ansichten zur Fortschrittlichkeit der Einigung »von oben« langsam von der DDR-Geschichtswissenschaft aufgenommen wurden, um ihren Höhepunkt viel später in der Bismarck-Biographie Ernst Engelbergs zu finden, der damals noch radikal andere Standpunkte vertreten hatte. Man könnte die Behauptung wagen, dass die Gründung eines Nationalstaates (die, man mochte es drehen und wenden, wie man wollte, das Ziel aller deutschen fortschrittlichen Bewegungen war) ein so großes Potential für die Nationalgeschichte hatte, dass die Reichsgründung ohne Rücksicht auf ihren Charakter schließlich als Teil der progressiven deutschen Traditionen »entdeckt« werden musste. Damit einher ging die Tatsache, dass die entschiedenen Anhänger dieser Einigung wie Mommsen, Treitschke, Sybel oder Droysen den DDR-Historikern näher standen als der Konservative Ranke, der sich sehr reserviert über alle Veränderungen auf der politischen Landkarte Europas äußerte.

Die Historiographie vom Kaiserreich zum Dritten Reich Das marxistische Urteil über die deutsche Historiographie nach 1871 war nicht allzu divergent. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Historikern hatten ei477 Hans Schleier: Sybel, a. a. O., S. 228. 478 Ebd., S. 230.

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ne geringere Bedeutung als die Tatsache, dass sie in der Epoche des Imperialismus gewirkt hatten. Selbst wer sich der borussischen Schule entgegenstellte, die in der deutschen Historiographie vorherrschte, wurde nicht viel besser als die Angehörigen dieser Schule bewertet. Joachim Streisand schrieb über Eberhard Gothein und andere Anhänger der Kulturgeschichte: »Ihre kosmopolitischen Auffassungen konnten aber kein Gegengewicht gegen den Nationalismus der herrschenden Strömungen bilden, sondern stellen lediglich eine andere Spielart der bürgerlichen Ideologie dar.«479 Nicht anders stellten sich die Ansichten der ostdeutschen Forschung über Jackob Burckhardt dar (der ganz offensichtlich zu den deutschen Historikern gezählt wurde). Für Johannes Wenzel »war eigentliche Ursache seines Pessimismus die Angst vor dem siegreichen Proletariat«.480 Als Anhänger von Despotismus, Gegner jeglichen Fortschritts und Feind des Kapitalismus (allerdings aus reaktionären Positionen) sei Burckhardt ein Vorgänger Nietzsches und gewissermaßen ebenfalls ein Vorreiter des deutschen Faschismus gewesen.481 Die Kulturgeschichte stellte einige Axiome des deutschen Historismus in Frage: Den Primat der politischen Geschichte, der Außenpolitik und bedeutender geschichtsbildender Persönlichkeiten (der »großen Männer«, wie Treitschke geschrieben hatte). Doch die dominierende Richtung der deutschen Geschichtswissenschaft nach Gründung des Kaiserreichs war der Historismus. Neorankianer wie Erich Marcks, Max Lenz oder Hermann Onken »übertrugen die reaktionären Auffassungen Rankes aus dem Zeitalter der vormärzlichen Restauration und der Reaktionsperiode der 50er Jahre mit entsprechenden Abwandlungen auf die imperialistische Zeit«.482 Der meistangeführte »Neorankianer« war Friedrich Meinecke, »ein Stammvater der NATO-Historiker in Westdeutschland«.483 Er soll sich nach Gerhard Lozek durch seinen fanatischen Antikommunismus ausgezeichnet haben, während sein Widerstand gegen die Hitlerdiktatur zu wenig entschlossen gewesen sei, als dass man ihn für einen wahren Antifaschisten halten könne.484 Erst die westdeutsche Propaganda habe versucht, ihn als Gegner Hitlers darzustellen.485 Der spektakulärste Versuch, die im Lande vorherrschende Methodologie aufzubrechen, stammte von Karl Lamprecht. Für diesen Historiker sprach vor allem die Tatsache, dass er von Seiten der »Neorankianer« abgelehnt worden sei.486

479 Joachim Streisand: Progressive Traditionen, a. a. O., S. 1784. 480 Johannes Wenzel: Jacob Burckhardt, in: Joachim Streisand (Hg.): Die bürgerliche, a. a. O., S. 42. 481 Ebd., S. 48 f. 482 Hans Schleier: Die Ranke-Renaissance, in: Joachim Streisand (Hg.): Die bürgerliche, a. a. O., S. 103. 483 Gerhard Lozek: Friedrich Meinecke – ein Stammvater der NATO – Historiker in Westdeutschland, in: ZfG 1962 (zweiteilig). 484 Gerhard Lozek: Friedrich Meinecke, in: Joachim Streisand (Hg.): Die bürgerliche, a. a. O., S. 316 f. 485 Gerhard Lozek: Westdeutsche NATO – Historiker zum 100. Geburtstag Friedrich Meineckes, in: ZfG 1963, S. 764–768. 486 Joachim Streisand: Progressive Traditionen, a. a. O., S. 1785; Hans Schleier: Sybel, a. a. O., S. 254 f.

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Tatsächlich beschränkte sich das Interesse an Lamprecht in der DDR auf diese Auseinandersetzung, obwohl Lamprechts Leipziger Institut für Kultur- und Universalgeschichte innerhalb der DDR lag und seine Forschungen teilweise von Walter Markov fortgesetzt wurden.487 Ernst Engelberg zufolge war Lamprecht selbst kein wahrer Reformer der Geschichtswissenschaft, er sei noch nicht einmal ein Demokrat gewesen und sein einziges Verdienst sei es, sich an der Auseinandersetzung mit den reaktionärsten deutschen Historikern seiner Zeit beteiligt zu haben.488 Andere Geschichtstheoretiker (Wilhelm Dilthey oder Heinrich Rickert) wurden noch negativer beurteilt als Lamprecht. Ihre Skepsis gegenüber Marxismus und Positivismus habe dazu geführt, dass sie – wie Frank Fiedler schrieb – überhaupt die Existenz von Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung abgelehnt hätten.489 Paradoxerweise sei das einzige, was ihren Ansichten einen rationalen Charakter verliehen habe, die Schwäche und Unwissenschaftlichkeit des Positivismus gewesen.490 Abgesehen davon hätten die Unterschiede zwischen den einzelnen Denkern keine größere Bedeutung angesichts der Tatsache, dass keiner von ihnen den Marxismus geschätzt habe. »Die geschichtsmethodologischen Untersuchungen von Dilthey, Windelband und Rickert gehören nicht zu dem geistig-kulturellen Erbe, das die deutsche Arbeiterklasse anzutreten hat, haben jene doch zu ihrer Zeit unser wirkliches Erbe bekämpft, die Ansätze einer wissenschaftlichen Erklärung der Geschichte.«491

Die Kritik der Marxisten verschonte keine bedeutende Persönlichkeit der Geisteswissenschaften. Wie Joachim Streisand meinte, habe Max Weber den deutschen Imperialismus unterstützt, und obwohl er kein erklärter Anhänger des Faschismus gewesen sei, hätten seine Ansichten die Destruktion des parlamentarischen Systems begünstigt.492 Zu den wenigen etwas besser beurteilten Historikern gehörten Max Lehmann und Veit Valentin. Valentin hatte sich mit der Revolution von 1848 beschäftigt und vertrat linksliberale Ansichten. Nach Meinung der ostdeutschen Wissenschaft hatte er (unter den bürgerlichen Historikern) die größten

487 Michael Zenske: Materialien zu einer Geschichte des »Instituts für Kultur- und Universalgeschichte« seit 1949, sowie ein Anhang zum Sinn von Universalgeschichte, in: Gerald Diesener (Hg.): Karl Lamprecht weiterdenken. Universal- und Kulturgeschichte heute, Leipzig 1993, S. 99–122. 488 Ernst Engelberg: Zum Methodenstreit um Karl Lamprecht, in: Joachim Streisand (Hg.): Die bürgerliche, a. a. O., S. 136–146. 489 Frank Fiedler: Methodologische Auseinandersetzungen in der Zeit des Übergangs zum Imperialismus (Dilthey, Windelband, Rickert), in: ebd., S. 157. 490 Ebd. 491 Ebd., S. 178. 492 Joachim Streisand: Max Weber: Politik, Soziologie und Geschichtsschreibung, in: ebd., S. 189.

Die ostdeutschen Marxisten

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Verdienste um die Erforschung dieses Themas.493 Lehman war zwar RankeSchüler, habe aber den preußischen Imperialismus kritisiert und einen bürgerlichprogressiven Standpunkt vertreten. Auch wenn er die Rolle der Massen nicht erkannt und sich auf bedeutende Reformer Preußens in der napoleonischen Zeit beschränkt habe, seien seine Arbeiten doch überaus national, also auch fortschrittlich.494 Deshalb sei er von den Konservativen angegriffen worden, habe die Redaktion der HZ verlassen und wurde somit nach Meinung der Marxisten neben Franz Mehring zum bedeutendsten deutschen Historiker dieses Zeitraums. Für Lehmann sprachen auch Bemerkungen, wie sie Günther Vogler in einer Rezension über ein Buch Mehrings äußerte: »Der Autor ist und bleibt Fanatiker, aber sein guter Wille und seine Ehrlichkeit machen immer wieder Eindruck.«495 Lehmann sei gewissermaßen eine tragische Gestalt gewesen: ein Intellektueller ohne Verbindung zum Volk, der sich dessen Bedeutung im entsprechenden Moment nicht bewusst gewesen sei, er habe die Novemberrevolution nicht unterstützt und sei außerhalb des historischen Hauptstroms ein Einzelgänger geblieben.496 Unter den deutschen Historikern nahm der Marxist Franz Mehring eine Sonderstellung ein. Er habe als erster (nach Marx und Engels) ein Bild von der Nationalgeschichte der deutschen Arbeiterklasse entstehen lassen, das im Kampf gegen die reaktionäre und antinationale Politik der herrschenden Klassen und der akademischen Historiographie nötig gewesen sei.497 Dennoch schenkte ihm die Historiographiegeschichte nicht allzu viel Aufmerksamkeit und beließ es bei ganz allgemeinen Feststellungen. Eine Ausnahme waren die von Ernst Engelberg betreuten Dissertationen Thomas Höhles und Josef Schleifsteins. Beide erschienen nach 1956 und hatten ganz offensichtlich einen politischen Kontext: Sie übten heftige Kritik an dem des Revisionismus beschuldigten György Lukács. Thomas Höhle schrieb, Lukács mache »den Fehler der Negierung von Mehrings Erbe und legt eine undialektische, unkritische und mechanische, einseitig negative Auffassung an den Tag«.498 Mehring sei »ein Beispiel für die Entwicklung der besten deutschen Intellektuellen«, die – so wie er – der Sozialdemokratischen Partei beigetreten seien.499 Der Historiker habe sich auch darum verdient gemacht, den fortschrittlichen

493 Helmut Bleiber: Literatur zur Geschichte der Revolution von 1848/49, in: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte. Zum XI. Internationalen Historikerkongreß in Stockholm, August 1960, Berlin 1960, S. 213. Vgl. Hans Schleier: Veit Valentin, in: Joachim Streisand (Hg.): Die bürgerliche, a. a. O., S. 324–326. 494 Günther Vogler: Max Lehmann, in: ebd., S. 65. 495 Ebd., S. 91. 496 Ebd., S. 93. 497 Hans Schleier: Sybel, a. a. O., S. 272. Vgl. Joachim Streisand: Progressive Traditionen, a. a. O., S. 1785. 498 Thomas Höhle: Franz Mehring. Sein Weg zum Marxismus 1869–1891, Berlin 1956. 499 Ebd., S. 290.

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Die Marxisten und die historiographische Tradition

Charakter der deutschen Klassik aufzuzeigen: »Für Mehring«, schreibt Josef Schleifstein, »war die klassische Literatur in Deutschland stets ein Ausdruck des beginnenden Emanzipationskampfes des Bürgertums und der Volksmassen gegen den Feudalismus und Lessing, Herder, Goethe und Schiller die geistigen Bahnbrecher und Wortführer dieses Kampfes.«500 Was die jungen ostdeutschen Marxisten an Mehring am meisten schätzten war seine Einschätzung von Klassik und Romantik. Mehring habe die Romantik für eine rückständige Reaktion auf das fortschrittliche Programm der Französischen Revolution gehalten. Selbst wenn er, wie Schleifstein anmerkte, gelegentlich allzu weit gegangen sei in seiner Verurteilung der preußischen Politik und in seinem Lob der Franzosen, so habe Mehring doch zu einer kleinen Gruppe deutscher Marxisten gehört, zu den Erben von Marx und Engels – Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Wilhelm Pieck.501 So wie diese habe er in seinen Arbeiten diverse theoretische und taktische Fehler begangen, doch insgesamt gebühre ihm Erinnerung und Hochachtung.502

Die bürgerliche und die marxistische Historiographie Die gesamte Historiographiegeschichte Polens, Tschechiens, der Slowakei und Deutschlands wurde generalisierend als »bürgerliche Historiographie« bezeichnet. Neben den Äußerungen von Marxisten, die einzelne Autoren beurteilten, findet man auch eine ganze Reihe allgemeiner, meist wertender Einschätzungen der bürgerlichen Historiographie an sich. Eine schematische Aufstellung ihrer Charakterzüge hatte von der Grundannahme auszugehen, dass die Wissenschaft Ausdruck des jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungsstadiums ist, dass also ihre Bewertung in hohem Maße von der Bewertung der Epoche abhängt, in dem der jeweilige Historiker tätig war. Praktische Errungenschaften hatten angesichts dieser übergeordneten These eine nur geringe Bedeutung. Deshalb sagte beispielsweise 1954 Kazimierz Lepszy: »Im Gegensatz zur Lelewel’schen Schule schwenkte die polnische bürgerliche Historiographie des 19. Jahrhunderts trotz vieler wertvoller Leistungen bei Quellenstudium und Faktendarstellung [Hervorhebung M. G.] […] zu reaktionären Positionen«.503 Josef Macek oder Hans Schleier verbanden ihr

500 Josef Schleifstein: Franz Mehring. Sein marxistisches Schaffen 1891–1919, Berlin 1959, S. 136. 501 Ebd., S. 184. 502 Ebd., S. 9. 503 Kazimierz Lepszy: Walka o zjednoczenie Pomorza z całością ziem polskich (Od 1454 r. do połowy XVII w.), in: Bogusław Leśnodorski/Stefan Kieniewicz/Łukasz Kurdybacha/Bronisław Krauze/ Gerard Labuda/Maria Bogucka (Hg.): Konferencja pomorska 1954, Warszawa 1956, S. 39; Vgl. auch Jan Baszkiewicz: Powstanie, a. a. O., S. 11.

Die bürgerliche und die marxistische Historiographie

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Urteil über die Historiographie mit der Phase, in der sich die Bourgeoisie aus ihrer Sicht jeweils befand. Zu den meistgenannten Merkmalen der bürgerlichen Geschichtsschreibung, die sich aus den Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung ergäben, gehörte die Tendenz zur Fälschung der Geschichte. Stefan Kieniewicz beschrieb die Abhängigkeit, wenn die bürgerliche »Historiographie den Interessen der Klasse dient, die gegen das arbeitende Volk kämpft und für diesen Kampf das Wohl der Nation opfert. Dies hat die bürgerlichen Historiker zu einer unbewussten Verwischung oder gar zu einer bewussten Fälschung des Bilds von der Vergangenheit veranlasst.«504 Dieser problematische Aspekt der bürgerlichen Geschichtsschreibung habe sich im Laufe der Zeit verstärkt. Nach Meinung von Leon Grosfeld sei er in der Zwischenkriegszeit am intensivsten gewesen: »Die Einwirkung der geschichtsphilosophischen Konzepte von Bourgeoisie und Großgrundbesitzern, ihre Verlogenheit, ihre klassenbedingte Verstellung ist die stärkste in diesem Abschnitt unserer Geschichte«, sagte er während der Konferenz von Otwock.505 In der Tschechoslowakei erkannte man den Augenblick des tiefsten Falls der bürgerlichen Historiographie während der deutschen Besatzung, als, wie Josef Kočí schrieb, »einige Historiker im Sumpf des Verrats an unserer Nation und unserem Staat endeten«.506 Die DDR-Spezialisten für die Geschichte der Geschichtswissenschaft schenkten weniger den Veröffentlichungen NS-treuer Historiker Aufmerksamkeit als der Suche nach Zusammenhängen zwischen dem völlig kompromittierten Nationalsozialismus und der in der Bundesrepublik fortgesetzten Tradition der deutschen Historiographie. Als konkrete Beispiele historischer Fälschungen wurden meist Urteile über einzelne historische Gestalten angeführt, die von den Marxisten viel höher geschätzt wurden als von ihren bürgerlichen Vorgängern, und umgekehrt solche, deren Aktien infolge des Systemwechsels deutlich gefallen waren. Adam Korta beklagte, man habe vor 1945 versucht, »einigen, wie z. B. Kościuszko und Mickiewicz, jede revolutionäre Röte zu nehmen. Andere – wie Jasiński oder Sułkowski – wollte man mit den Spinnweben des Vergessens bedecken. Wiederum andere wurden bespuckt und verunglimpft.«507 Die tschechischen Marxisten brandmarkten diejenigen Historiker, die die hussitische Revolution nicht zu schätzen gewusst und die Zeit der Finsternis überschätzt hätten. Die slowakischen Wissenschaftler brachten jede Veränderung der politischen Situation mit der Diskussion über udovít Štúrs Rolle bei der nationalen Wiedergeburt in Verbindung (wobei meist alle Versuche verurteilt wurden, seine Verdienste zu schmälern).

504 Stefan Kieniewicz: Historiografia polska wobec powstania styczniowego, in: PH 1953, S. 33. 505 Leon Grosfeld: Prawidłowość i specyfika polskiego imperializmu, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 263. 506 Josef Kočí: Naše, a. a. O., S. 12. 507 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 18.

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Die Marxisten und die historiographische Tradition

In einigen Fällen ließen es die marxistischen Autoren dabei bewenden, keine Fälschungen, sondern kleinere Verdrehungen, das Verschweigen oder Übertreiben bestimmter historischer Phänomene anzuprangern. So habe die bürgerliche Geschichtsschreibung etwa die Bedeutung der Krakauer Revolution von 1846 heruntergespielt.508 Sehr oft habe sie dabei wissenschaftlichen Objektivismus vorgespiegelt.509 Zu anderen, oft erwähnten Merkmalen dieser Wissenschaft hätten auch antirussische, antisowjetische oder im deutschen Fall antislawische Ansichten gezählt. Sie seien vielfach mit einer versöhnlerischen Haltung gegenüber Teilungsmächten oder dem Nationalismus verknüpft gewesen, mit dem bereits vielfach erwähnten Idealismus und Idiographismus, aber auch (im polnischen und tschechischen Fall) mit einer langsamen Abkehr von der slawischen Idee zugunsten eines Okzidentalismus, der wiederum zu Kosmopolitismus geführt habe.510 Paradoxerweise sei für die bürgerliche Historiographie auch ihre ideologische Uneinheitlichkeit kennzeichnend gewesen, sogar in der Zwischenkriegszeit, als, wie Witold Łukaszewicz schrieb, ein Kampf entbrannte »zwischen der reaktionären Richtung – ihrer Herkunft nach sowohl nationaldemokratisch wie auch mit dem Piłsudski-Lager verbunden – und der fortschrittlichen Richtung, deren bedeutendsten Vertreter oft unbewusst den Weg des Marxismus beschritten oder sich bewusst auf die Seite des Proletariats begeben hätten, wobei sie in ihren Forschungen die marxistische Methode verwendeten, wenn auch nicht immer konsequent«.511

Bei den tschechischen Historikern, die sich mit dem Hussitenproblem beschäftigten, unterschied Josef Macek ganz deutlich die reaktionären Vertreter wie Pekař oder Chaloupecký von den zwar idealistischen und bürgerlichen, doch immer noch recht positiv bewerteten wie Kamil Krofta und František Michálek Bartoš.512 Das Paradox beruhte hier auf einem Kontrast zwischen der relativ einheitlichen kritischen Bewertung der bürgerlichen Geschichtswissenschaft insgesamt und der Feststellung, dass sie sehr heterogen war, dass es in ihr mehr oder weniger reaktionäre Strömungen gegeben habe. In der DDR-Historiographie kam es erst nach dem Zeitraum, mit dem ich mich in meiner Arbeit beschäftige, zu Versuchen, einige Historiker positiver zu beurteilen (vor allem Karl Lamprecht). Bis zum Ende der 1960er Jahre herrschte ein sehr kritisches Bild von der Vergangenheit der Disziplin vor.

508 Vgl. Henryk Jabłoński: Międzynarodowe znaczenie polskich walk narodowo-wyzwoleńczych XVIII i XIX w., Warszawa 1955, S. 8 f. 509 Vgl. Marian Henryk Serejski: Wstęp, in: Władysław Smoleński: Szkoły, a. a. O., S. XX. 510 Vgl. Marian Henryk Serejski: Pojęcie narodu w historiografii polskiej XVIII i XIX wieku, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 55; und Kazimierz Piwarski: Kryzys historiografii burżuazyjnej a materializm historyczny, in: KH 1949, S. 38–41. 511 Witold łukaszewicz: Targowica, a. a. O., S. 43. 512 Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1, S. 28 f.

Die bürgerliche und die marxistische Historiographie

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Die Beschreibung der Leistungen und Aufgaben, die die marxistische Historiographie zu lösen hatte, stand in Zusammenhang mit der kritischen Analyse der Leistungen ihrer Vorgänger. Im Gegensatz zur bürgerlichen Geschichtsschreibung griffen die Marxisten sehr stark auf die Errungenschaften der sowjetischen Wissenschaft zurück. In ihrem programmatischen Referat auf dem I. KNP sprach Żanna Kormanowa über die Rezensionen sowjetischer Arbeiten, die nun endlich in größerer Zahl in polnischen Periodika erschienen. »Diese Rezensionen, die alle positiv sind, einige sogar enthusiastisch, zeigen, wie unsere Geschichtswissenschaft in einem Prozess der ernsten und tiefgreifenden Aneignung der sowjetischen Errungenschaften methodologisch reift.«513 In anderen Äußerungen wurde die marxistische Methodologie oft als die solidere, aufrichtigere Form historischer Forschungen dargestellt. So verstand dies Ewa Maleczyńska, als sie 1949 in der Zeitschrift »Sobótka« feststellte, dass wir in der Geschichte Schlesiens »in einen neuen Zeitraum eintreten, in einen Zeitraum systematischer, gründlicher Forschungen«.514 Es muss auch gesagt werden, dass derartige Bekundungen der marxistischen Wissenschaftler auf vielen Gebieten begründet waren. Die wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschung entwickelte sich nach 1945 rasch. Eine methodologische Neuerung des Marxismus war auch die veränderte Forschungsperspektive. Die Herausgeber der »Entwürfe« des UPHP erläutern im Vorwort zum zweiten Band, dass es das wichtigste Merkmal der marxistischen Synthese sei, die Geschichte vom Standpunkt der Volksmassen aus zu analysieren.515 Die stete Betonung der Innovationskraft und Frische des Marxismus war auch durch die schmale heimische Tradition begründet, auf die sich die Marxisten beziehen wollten. Von den wenigen polnisch-kommunistischen Historikern der Vorkriegszeit wurden in den Arbeiten (allerdings ohne umfangreiche Zitate aus ihren Werken oder genauere Analysen ihrer Ansichten) Hipolit Grynwaser und Maksymilian Meloch genannt. Beide hatten den Krieg nicht überlebt und nicht sehr viele Schriften hinterlassen, auf die man sich hätte beziehen können. Ihre neu aufgelegten Werke erhielten recht trockene Vorworte ohne politischen Schwung (geschrieben von Natalia Gąsiorowska-Grabowska, Nina Assorodobraj, Rafał Gerber oder Henryk Jabłoński), bei der Wiederauflage von Grynwasers Sprawa włościańska w Królestwie Polskim w latach 1861–62 w świetle źródeł archiwalnych [Die Bauernfrage im Königreich Polen in den Jahren 1861–62 im

513 Żanna Kormanowa: Referat podsekcji historii sekcji nauk społecznych i humanistycznych I KNP, in: KH 1951, S. 277. 514 Ewa Maleczyńska: Organizacja i dorobek pracy nad historią Śląska w okresie 1945–1948, in: Sobótka 1949, S. 5. 515 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 6.

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Die Marxisten und die historiographische Tradition

Licht archivalischer Quellen] wurde Ludwik Krzywickis Einleitung von vor dem Krieg abgedruckt.516 Unter den tschechischen Historikern waren heimische Autoritäten eigentlich nur Alois Jirásek (wobei man seine Romane eher nicht als wissenschaftliche Arbeiten betrachten sollte) sowie Zdeněk Nejedlý. Letzterer wurde auch von den marxistischen Historikern der Slowakei als positiver Bezugspunkt gesehen. In der DDR erreichte kein Historiker, vielleicht mit Ausnahme von Franz Mehring, auch nur annähernd das Ideal von Marx und Engels. Deshalb war es viel leichter, in den Arbeiten und verstreuten Bemerkungen zur Historiographiegeschichte Beispiele zu finden, die mehr oder weniger schlecht zur Nachahmung geeignet waren als positive und fortschrittliche.

516 Hipolit Grynwaser: Sprawa włościańska w Królestwie Polskim w latach 1861–62 w świetle źródeł archiwalnych, Wrocław 1951; vgl. Maksymilian Meloch: Sprawa włościańska w powstaniu listopadowym, Warszawa 1953; ders.: Studia historyczne, Warszawa 1958; Hipolit Grynwaser: Kwestia agrarna i ruch włościan w Królestwie Polskim w pierwszej połowie XIX wieku (1807–1860). Studium archiwalne. Przywódcy i »burzyciele« włościan, Wrocław 1951.

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4 Die marxistischen Interpretationen der Nationalgeschichten. Problembezogene Perspektiven

In der marxistischen Auffassung der Nationalgeschichte wurde bestimmten Momenten eine besondere Bedeutung zugemessen, die man faktisch oder auch nur potentiell in den Katalog der nationalen »fortschrittlichen Traditionen« aufnehmen konnte. Aus Sicht dieser Methodologie waren sämtliche sozialen und politischen Umbrüche bzw. Umbruchsversuche Schlüsselereignisse. Ein solcher Umbruch konnte den Übergang zu einer höheren Entwicklungsstufe im Sinne der Formationstheorie bedeuten. Diese Themen wurden von der Historiographie in den 1950er Jahren, aber auch schon früher, häufig aufgegriffen. Nicht selten nämlich waren die revolutionären Bewegungen bereits vor den Nationalbewegungen untersucht worden (wie im Fall des Hussitismus). Der Anfang des Feudalismus hing seinerseits mit den Ursprüngen der staatlichen Organisation zusammen, die ebenfalls zu den Interessengebieten der »bürgerlichen« Geschichtsschreibung gehörte. Zudem hatten in der Geschichte jedes in dieser Arbeit behandelten Landes die Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts für die Entwicklung von Kultur, Nation und Vergangenheitsvorstellungen eine besondere Rolle gespielt. In solchen Fällen nahm die marxistische Historiographie den Dialog mit der vorgefundenen und verfestigten historischen Tradition auf. Es war keineswegs ein Prinzip, dass die neue »stalinistische« Interpretation der Nationalgeschichte grundsätzlich von älteren Interpretationen abweichen musste. In der folgenden Analyse der wichtigsten Motive weise ich noch auf einen weiteren Kontinuitätsaspekt hin –die Bezugnahme auf die historistische Methodologie, wie sie vor allem in Einschätzungen staatlicher Strukturen zu erkennen ist. Schließlich soll auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen denjenigen historischen Phänomenen hingewiesen werden, die schon vor 1945 oder auch 1948 den Weg in fachwissenschaftliche Arbeiten und das populäre Wissen über die Geschichte gefunden hatten, und denen, die dort gewissermaßen deshalb auftauchten, weil ein Äquivalent für die »fortschrittlichen Traditionen« der Nachbarn im eigenen Land fehlte. Kaum jemand hatte nämlich von einer starken polnischen Hussitenbewegung gesprochen (oder gehört), ehe Ewa Maleczyńska sie in die wissenschaftliche Literatur einführte. Eine ähnlich demiurgische Rolle spielte Peter Ratkoš, der für die Geschichte der Slowakei den großen Bergarbeiteraufstand der Jahre 1525–1526 »entdeckte«. Die Interaktionen zwischen derartig neu »erfundenen« Traditionen und dem tradierten Bild vom Hussitismus in Tschechien oder vom Großen Bauernkrieg in Deutschland sagt viel darüber aus, wie die marxistischen Historiker über die Geschichte dachten.

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Die marxistischen Interpretationen der Nationalgeschichten

Zu Beginn des Feudalismus Zu den ersten »revolutionären« Ereignissen in der Geschichte Polens, Deutschlands, Böhmens und der Slowakei gehörte die Entstehung der mittelalterlichen Staatlichkeit. Die Tatsache, dass sich für dieses Phänomen auch ältere, vormarxistische Historiker interessiert hatten, eröffnete ein weites Feld für Bezugnahmen und Anleihen, sowohl bei interpretatorischen Details als auch bei geschichtsphilosophischen Thesen. Die Entstehung des Feudalstaates war nach den methodischen Grundannahmen des Marxismus von der Entwicklungsstufe der Basis abhängig.1 Die vereinfachte Gebrauchsversion dieser Auffassung bestand in der These: Der Staat sei entstanden, weil er notwendig gewesen sei: »Die Entstehung des polnischen frühfeudalen Staates war ein notwendiger Faktor der fortschrittlichen Entwicklung unseres Landes. Diese Entstehung ermöglichte eine erfolgreiche Verteidigung polnischer Gebiete vor fremder Aggression, insbesondere von Seiten des feudalen Deutschland, und sicherte die politische Unabhängigkeit dieser Gebiete.«2

Auch dem Großmährischen Reich wurde angesichts der Bedrohung durch die Franken eine ähnliche Rolle zugeschrieben.3 Etwas anders erklärte man die Entstehungsumstände des deutschen Staates, der selbstredend von der Gefahr einer germanischen Eroberung frei gewesen war. Hier wurde die Rolle der Klassenkonflikte zwischen freiem Bauerntum einerseits, Rittertum und Aristokratie andererseits betont. Die Entstehung des frühfeudalen Staates sei Folge der Furcht der besitzenden Klassen vor einem jederzeit drohenden Ausbruch von Unzufriedenheit unterdrückter Schichten gewesen.4 Wenn das Niveau der sozioökonomischen Entwicklung so weit heranreifte, das eine politische Organisation entstünde, seien die im Sinne der Stalin’schen Schriften notwendigen Bedingungen erfüllt, damit sich eine Nation im Anfangsstadium herausbilden könne, mit anderen Worten: eine Nationalität.5 Die Staatsbildung war damit sowohl Folge der sich beschleunigenden Phänomene der Nationsbildung als auch unmittelbare Konsequenz ihrer Entwicklung.6 Polnische Historiker waren sich in diesem Punkt mit den Autoren der История Польши [Geschichte Polens] einig, die die Anfänge der polnischen Nation auf den Zeitraum

1 2 3 4 5 6

Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 20. Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. I, S. 133. Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 46–48. Leo Stern/Hans-Joachim Bartmuß: Deutschland in der Feudalepoche von der Wende des 5./6. Jh. bis zur Mitte des 11. Jh., Berlin 1963, S. 132. Józef Stalin: Marksizm a kwestia narodowa. Kwestia narodowa a leninizm, Warszawa 1949, S. 5–13. Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. I, S. 147.

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der Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert datierten.7 Für tschechische Historiker stand außer Zweifel, dass die Gebiete der Heiligen Wenzelskrone identisch mit dem Staat der Tschechen waren. Sie lehnten die These ab, der Staat der Přemysliden sei eine simple Fortsetzung des Großmährischen Reichs gewesen.8 Vor diesem Hintergrund waren die Erklärungen der DDR-Historiker sehr aufschlussreich. Den ganzen Forschungsbereich der Entstehung der deutschen Nation behandelten sie mit großer Vorsicht, zumal hier der Nationalismusvorwurf noch schneller erhoben wurde als anderswo. Man schrieb eher über die Staatsgeschichte als über den Nationsbildungsprozess. Nach den Anfängen der deutschen Nation wurde nicht in allzu früher Epoche gesucht, sondern man datierte sie auf die Zeit, als die Herrschaft der sächsischen Dynastie begann.9 Oft aber war der Unterschied zwischen polnischen und tschechischen Historikern einerseits, die nach den Anfängen ihrer Nation bereits vor dem Entstehen der mittelalterlichen Staaten suchten, und den DDR-Historikern andererseits rein stilistischer Natur. So schrieben Leo Stern und Hans-Joachim Bartmuß, der Zusammenschluss diverser germanischer Stämme in der Frankenzeit sei Voraussetzung für die spätere Entstehung des deutschen Staates gewesen. Sie dachten dabei höchstwahrscheinlich auch an die Anfänge der deutschen Nation, obwohl sie diese Formulierung nicht benutzten.10 In ihrem ersten Band des Lehrbuchs der deutschen Geschichte finden sich ferner frappierende Überlegungen zum Staatsbildungspotential der Sachsen, die brutal durch Karl den Großen unterworfen worden seien. Stern und Bartmuß stellten fest, die Sachsen hätten die feudale Ordnung gekannt und sich bereits vor der fränkischen Eroberung im Stadium der Schaffung eines Feudalstaates befunden.11 Die Sachsen hätten demnach auf die Entstehung eines feudalen deutschen Staates hingewirkt, als dieser durch die Franken zerstört wurde. Die sächsische Aristokratie hätte jedoch ihr Volk verraten und sich mit den Franken in der Hoffnung verbunden, ihren Machtbereich über den Rest der eigenen Gesellschaft zu erweitern. »Nur die sächsischen Bauern verteidigten noch ihre Freiheit gegen das Joch der feudalen fränkischen Eroberer und deren sächsische Bundesgenossen.«12 Gerade diese Bauern hätten demnach die deutschen fortschrittlichen Traditionen repräsentiert. Stand für polnische und tschechische Historiker der nationale Charakter des mittelalterlichen Staates außer Zweifel, konnten slowakische Forscher eine ana7

Vgl. Stanisław Piekarczyk: Kilka uwag w sprawie kształtowania się i rozwoju narodowości polskiej, in: KH 1955, S. 107–111. Siehe Vladimir D. Koroljuk/Ilija S. Miller/Pavel N. Tretjakov: Istorija Pol’ši, Bd. 1, Moskva 1954, S. 9. 8 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 72. 9 Andreas Dorpalen: Die Geschichtswissenschaft der DDR, in: Bernd Faulenbach (Hg.): Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 125 f. 10 Leo Stern/Hans-Joachim Bartmuß: Deutschland in der Feudalepoche, a. a. O., S. 71. 11 Ebd., S. 95. 12 Ebd., S. 99.

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Die marxistischen Interpretationen der Nationalgeschichten

loge These für die eigene Geschichte nicht von vornherein als bewiesen annehmen. Dies war keine neue Situation. Die Geschichte Böhmens wurde als Geschichte Österreichs bzw. später der Tschechoslowakei gelehrt.13 In jeder Phase behandelte man die Nationalgeschichte aus der Sicht der staatlich-territorialen Kontinuität: Das Großmährische Reich bildete den Ursprung eines tschechischen Staates, der zwar seit 1620 unter nachhaltigem Druck der Habsburger litt, nach 1918 aber wiedererrichtet wurde. Eine ähnliche Interpretation der slowakischen Geschichte schien viel schwieriger, denn hier gab es keine Kontinuität. In der Historiographie des Tiso-Staates entstand eine (in vielen Punkten bis heute populäre) Konzeption vom slowakischen Charakter aller frühmittelalterlichen Staatsgebilde auf slowakischem Boden, also des so genannten Reichs des Samo, des Pribina-Fürstentums und Großmährens.14 Slowakische Marxisten konnten diese Konzeption schon deshalb nicht übernehmen, weil ihre tschechischen Kollegen das Großmährische Reich als ihren eigenen Staat betrachteten.15 In den tschechoslowakischen Publikationen wurde Großmähren als »erster gemeinsamer Staat der Tschechen und Slowaken« bezeichnet.16 Im universitären Geschichtslehrbuch fand sich die Behauptung, die slowakische Nationalität habe sich erst nach dem Zerfall Großmährens, also im mittelalterlichen Königreich Ungarn herausgebildet.17 Großmähren fiel einem ungarischen Überfall zum Opfer, und die weitere Geschichte der Slowaken war tausend Jahre lang mit Ungarn verbunden. Historiker, die die Institutionen des Nationalstaates für das Wichtigste hielten, standen vor Problemen, denn es fehlte an Quellen, die eine spezifische slowakische Politikgeschichte hätten stützen können. Diese Lücke versuchte man durch die Beschäftigung mit der Kulturgeschichte, vor allem mit der Geschichte des einfachen Volkes zu schließen.18 Im Rahmen des ungarischen Staates hätten demnach die Slowaken per definitionem das bäuerliche Element repräsentiert.19 In einer Situation, in der marxistische Historiker der Frage der eigenen Staatsund Nationsbildung ein so großes Gewicht beimaßen, wuchs auch die Bedeutung der Zuordnung früherer Staatsgebilde zur entsprechenden Gruppe. Wichtig war

13 Jan Rychlík: České, slovenské a československé dějiny – problem vzájemného vztahu v různých historických dobách, in: Česko-slovenská historická ročenka 2000, S. 21 f. 14 Dušan Kováč: Slovensko-české vz ahy v historickom vedomí slovenskej spoločnosti, in: ebd., S. 57 f. 15 Siehe Maciej Górny: Między Marksem, a. a. O., S. 67. Ähnliche Behauptungen kann man u. a. auch finden in: Ludovít Holotík (Hg.): Dejiny Slovenska (tézy), Bratislava 1955, S. 35; Peter Ratkoš: Počiatky feudalizmu na Slovensku (K problematike raného feudalizmu v našich krajinách), in: HČSAV 1954, S. 253. 16 udovít Holotík (Hg.): Dejiny, a. a. O., S. 16. 17 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 102. 18 Ebd., S. 104 f. 19 udovít Holotík: Z výsledkov kongresu maarských historikov, in: HČSAV 1953, S. 137.

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auch die Antwort darauf, ob ein neu entstandener Staat als voll entwickelt oder nur als frühfeudal gelten konnte. Der anfängliche Periodisierungsvorschlag des polnischen Historikers Stanisław Arnold, der den Staat der ersten Piasten als vorfeudales Gebilde ansah, wurde von sowjetischen Forschern kritisiert und letztlich abgelehnt.20 Im Übrigen war dies eine allgemeine Tendenz: Ähnlich kritisierte man Jürgen Kuczynski, der gegen eine allzu schnelle Definition neuer Epochen protestierte.21 Nicht ohne Einfluss auf die Stellungnahmen polnischer Forscher waren auch die Formulierungen von Mediävisten aus den Nachbarländern. Karol Maleczyński wies mehrmals darauf hin, dass František Graus »im 10. Jahrhundert ein voll entwickeltes Feudalsystem wahrnahm, obwohl der böhmische Feudalstaat noch nicht komplett organisiert war«. Nun habe aber Ibrahim Ibn Jakub in der Beschreibung seiner Reise durch unseren Teil Europas den Staat Mieszkos I. als den mächtigsten in der Region geschildert, und somit für mächtiger gehalten als den böhmischen Staat dieser Zeit. Aus diesen vergleichenden Überlegungen ging hervor, dass im 10. Jahrhundert auf polnischem Gebiet bereits ein entwickelter Feudalstaat existierte.22 In den Diskussionen polnischer, sowjetischer, tschechischer und slowakischer Historiker über die Periodisierung der Feudalepoche wurden besondere Ambitionen deutlich. Karol Maleczyński brachte dies auf den Punkt: Es gehöre sich einfach nicht, dass die Lehnsverhältnisse in Polen weniger entwickelt gewesen sein sollten als in Böhmen zur selben Zeit.23 Es unterlag keinem Zweifel, dass das feudale bzw. frühfeudale Polen genau wie Böhmen seit frühesten Zeiten vor allem der deutschen Aggression die Stirn bieten musste. Die These von der grundsätzlichen und ewigen deutsch-polnischen Feindschaft stand den Ideen von Zygmunt Wojciechowski sehr nahe, die er in seiner Arbeit Polska – Niemcy. Dziesięć wieków zmagania [Polen – Deutschland. Zehn Jahrhunderte des Ringens] formuliert hatte. Die Tatsache, dass Wojciechowski selbst wegen seines Nationalismus negativ beurteilt wurde, führte keineswegs zu einer Milderung des feudalen Deutschlandbilds. Die Kriege gegen Deutschland betrachtete man polnischerseits als »gerechte Kriege, die zum Schutz des eigenen Staates und der Westslaven geführt wurden, beide bedroht durch die völlige

20 Stanisław Arnold: Niektóre problemy periodyzacji dziejów Polski, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 168–174. 21 Kuczynski stellte fest: »Weder eine einzelne Schwalbe noch ein ausgegangener Ofen sind Merkmale des Frühlings, was nicht ausschließt, daß sie ihn ankündigen können.« Vgl. Jürgen Kuczynski: Zum Aufsatz von Johannes Nichtweiß über die zweite Leibeigenschaft, in: ZfG 1954, S. 471. Die Antwort des Kritisierten: Johannes Nichtweiß: Antwort an Jürgen Kuczynski, in: ZfG 1954, S. 673–678. 22 Karol Maleczyński: Zróżnicowanie społeczne i powstanie państwa polskiego w IX w., in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 259. 23 Ebd.

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Die marxistischen Interpretationen der Nationalgeschichten

Vernichtung seitens deutscher Feudalherren«.24 Ziel des Kampfes gegen die deutsche Aggression war demnach die Verteidigung der natürlichen Staatsgrenzen. Diese Grenzen seien von Anfang an mit der Verteilung der Nationalitäten deckungsgleich gewesen.25 Volle Unterstützung für die historische Berechtigung der polnischen Westgrenzen kommt auch in den Stellungnahmen der DDRHistoriker jener Zeit zum Ausdruck.26 Die deutsche Expansionspolitik gehörte zu den wichtigsten Themen der DDR-Mediävisten. Diese Historiker sahen darin keine positiven Elemente, sondern betonten den Zusammenhang zwischen brutaler Unterwerfung der Elbslawen und dem verbrecherischen Charakter des preußischen Staates.27 Gleichzeitig stellte man eine Verbindung zur ebenso abstoßenden Außenpolitik Adenauers her.28 Es kam sogar vor, dass die DDR-Historiker polnischen Forschern vorwarfen, sie unterschätzten die politische Bedeutung dieses Phänomens.29 Die Argumentation erinnerte an die Beschreibung der Sachsenkriege Karls des Großen. Die slawischen besitzenden Klassen hätten mit den deutschen Aggressoren kollaboriert und sich dabei allmählich germanisiert. Die breiten Volksmassen hingegen hätten heftigen Widerstand geleistet, der mit beispielloser Brutalität niedergeschlagen worden sei.30 Und obwohl die deutsche Expansion im Mittelalter auch einen friedlichen Charakter gehabt habe, habe selbst die Siedlung nach deutschem Recht den Staaten Ostmitteleuropas mehr Schaden als Nutzen gebracht.31 Die militärische und wirtschaftliche Ostexpansion habe dazu geführt, dass »die deutsch-slawischen Beziehungen für ganze Jahrhunderte, d. h. bis in die Gegenwart vergiftet worden seien und die Bonner Revanchisten auch weiterhin Ressentiments gegen Polen, Tschechen und Russen schüren wollten, entweder ganz offen oder unter dem Deckmantel des Antikommunismus, weil sie die Hoffnung hegen, dass sie damit die Massen für ihre verbrecherischen Ziele gewinnen können«.32

24 Juliusz Bardach/Aleksander Gieysztor/Henryk Łowmiański/Ewa Maleczyńska: Historia Polski do r. 1466, Warszawa 1953, S. 53. 25 Vgl. Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, S. 98. 26 Vgl. Felix-Heinrich Gentzen: Polskie Ziemie Zachodnie – historyczne ziemie polskie, in: ND 1952, S. 71. 27 Leo Stern: Disposition des Hochschullehrbuches der Geschichte des deutschen Volkes (1. Bd.), in: ZfG 1953, S. 643. 28 Ingrid Hegemann: Die mittelalterliche deutsche Ostexpansion und die Adenauersche Außenpolitik, in: ZfG 1958, S. 814–816. 29 Hegemann warf dies Gerard Labuda vor – ebd., S. 816. 30 Leo Stern/Hans Gericke: Deutschland in der Feudalepoche von der Mitte des 11. Jh. Bis zur Mitte des 13. Jh., Berlin 1964, S. 171–180; Leo Stern/Hans-Joachim Bartmuß: Deutschland in der Feudalepoche, a. a. O., S. 191. 31 Leo Stern/Hans Gericke: Deutschland, a. a. O., S. 205. 32 Ebd., S. 206.

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Die DDR-Historiker betonten gegenüber den Landsleuten aus dem Westen die Traditionen deutsch-slawischer Zusammenarbeit, wie zum Beispiel die deutschpolnische Waffenbruderschaft im Kampf gegen die Tataren bei Liegnitz im Jahre 1241.33 Pikanterweise wurde diese These von den polnischen Kollegen vernichtend kritisiert, da sie die Schlacht bei Liegnitz als eine rein polnische Niederlage bewahren wollten.34 In den Arbeiten tschechischer Autoren – übrigens nicht nur der marxistischen – waren die Deutschen ständiger Bezugspunkt. Die Franken bedrohten demnach unaufhörlich Großmähren sowohl in militärischer als auch in propagandistischer Hinsicht, d. h. durch die katholische Kirche. Kyrill und Method spielten in der marxistischen Historiographie die Rolle derer, die den Staat vor der Infiltration des deutschen Klerus schützten.35 Böhmische Machthaber wurden danach beurteilt, ob sie in der Lage gewesen waren, die politische und geistige Unabhängigkeit vom Kaisertum aufrechtzuerhalten. Selbst die letzten Vertreter der Přemysliden, die in der Blütezeit des mittelalterlichen Böhmen herrschten, wurden negativ bewertet, weil sie und ihr Hof der kulturellen Germanisierung unterlegen waren.36 Interessant ist, dass auch in der deutschen Geschichte ein Moment zu finden ist, in dem sich zersplitterte Kräfte der Expansion des Westens erfolgreich widersetzten. Dies geschah allerdings lange vor der Entstehung frühfeudaler Staatsorganismen. Zu Beginn des letzten Jahrtausends überschritten die Römer die Rheingrenze, was – wie Karl-Heinz Otto feststellte – den Charakter des Kampfes gegen die Germanen grundlegend verändert habe. Von nun an sei es ein Befreiungskrieg der Germanen gewesen – übrigens nicht anders als 1813.37 Gleichzeitig sei das römische Sklavensystem in eine Krise geraten, die sich in zahlreichen Sklavenaufständen geäußert habe, dessen größter von Spartakus angeführt worden sei, an dem – wie Otto hinzufügte – auch Sklaven germanischer Herkunft beteiligt waren.38 Angesichts dessen habe im römisch-germanischen Konflikt keine Seite ein höheres Stadium gesellschaftlicher Entwicklung repräsentiert, die moralischen Gründe sprächen aber für die Germanen.39 Eine solche Interpretation des römisch-germanischen Konfliktes wurde von polnischen Historikern kritisiert. Kazimierz Tymieniecki bemerkte, die Kollegen

33 34 35 36 37

Leo Stern: Disposition, a. a. O., S. 641. Vgl. Leo Stern: Erste Zwischenbilanz einer wissenschaftlichen Kritik (III), in: ZfG 1955, S. 221. Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 46 f. Ebd., S. 118. Karl-Heinz Otto: Deutschland in der Epoche der Urgesellschaft (500.000 vor unserer Zeit bis zum 5./6. Jh. unserer Zeit), Berlin 1961, S. 114. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 119.

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aus der DDR überschätzten die Schlacht im Teutoburger Wald und näherten sich damit den traditionellen, populären und nationalistischen Auffassungen zur Nationalgeschichte an. Die Antwort Leo Sterns ließ keinen Zweifel an diesem Element deutscher fortschrittlicher Traditionen: »Die Schlacht im Teutoburger Wald war, wie Engels festgestellt hat, ein Wendepunkt in der Geschichte, und die Tatsache, dass sich die populäre Literatur ähnlich äußert, darf uns nicht täuschen. […] Die deutsche Arbeiterklasse muss all ihre Freiheitstraditionen entgegenstellen, um den nationalen Widerstandswillen des deutschen Volkes gegen den amerikanischen Imperialismus und seine das Nationalbewusstsein zerstörende ›europäische Idee‹ zu stärken, aber auch gegen die westdeutsche Bourgeoisie, welche die ›europäische Integration‹ vertritt. In diesem Sinne äußerte sich auf dem 2. Parteitag der SED Walter Ulbricht: ›Unsere Geschichtsprofessoren schweigen über die Schlacht im Teutoburger Wald, wo – wie Engels in seinem Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats ausführt – die Römer geschlagen wurden, weil die Germanen freie Menschen waren, deren persönlicher Mut und Ordnungssinn höher waren als bei den römischen Streitkräften. Sie kämpften für die Freiheit ihres Landes‹.«40

Tymienieckis Kritik an dieser Interpretation war vernichtend. Es ist leicht zu erkennen, dass die marxistische Mediävistik großen Wert auf das Entstehen und Funktionieren des Staates legte. Die Synthesen der Nationalgeschichte begannen gerade mit den Fragen, warum ein Staat entstand, welche Etappen erreicht wurden und wie sich das auf die Entstehung der Nationalität auswirkte. Wichtig war, dass den Anfängen politischer Geschichte entsprechende autochthone Produktivkräfte zugrunde lagen, nicht etwa fremde Eroberung oder einzelne Persönlichkeiten. Der Staat habe gegen die deutsche Aggression (bzw. im deutschen Falle: staatsbildende Sachsen gegen eroberungssüchtige Franken) Widerstand leisten müssen. Die DDR-Historiker begründeten ihre Kritik an der deutschen Ostexpansion nicht nur moralisch, sondern auch mit innenpolitischen Argumenten. Ähnlich wie die Feldzüge nach Italien die Zentralgewalt objektiv geschwächt hätten, sei die Macht der Feudalherren gewachsen, was zur feudalen Zersplitterung geführt hätte.41 Dies wiederum hätte fatale Folgen für das einfache Volk und für den Staat gehabt. Aus diesen Gründen seien vor allem die Volksmassen an der deutschen Einigung interessiert gewesen.42 Weitere Zyklen von Schwächung und Stärkung der Zentralgewalt bilden die Achse, um die sich die Argumentation der mittelalterlichen deutschen Geschichte im Lehrbuch der deutschen Geschichte dreht. In den marxistischen Arbeiten wurde die deutsche Sonderwegs-Theorie revitalisiert: Der Sieg der Feudalherren im Kampf gegen die Zentralgewalt habe dazu geführt, dass das Kaisertum nicht zum Kristallisations-

40 Leo Stern: Erste Zwischenbilanz einer wissenschaftlichen Kritik (II), in: ZfG 1955, S. 55 und 64. 41 Leo Stern/Hans-Joachim Bartmuß: Deutschland in der Feudalepoche, a. a. O., S. 187 und 200. 42 Erik Hühns: Die politische Ohnmacht des Reiches 1250–1500 (II), in: ZfG 1954, S. 238.

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punkt der deutschen Nation geworden ist, also anders als etwa in Frankreich oder England.43 In dieser Geschichtskonzeption finden sich auch Argumentationen der borussischen Schule: das Absolutsetzen des Staates als höchstes Gut, denn gerade der Staat sei berufen, die Idee der nationalen Freiheit der Deutschen zu realisieren. Interessant ist dabei, dass sich die DDR-Historiker im Urteil über die feudalen Dezentralisationsprozesse von den sowjetischen und polnischen Kollegen unterschieden, die dieses Problem in der Geschichte Polens und der Kiewer Rus anders lösten. Sie gingen von der These aus, es habe sich dabei um ein natürliches Phänomen gehandelt, das in einem bestimmten historischen Entwicklungsstadium als fortschrittlich anzusehen sei. Andererseits interpretierten einige slowakische Autoren die Unterschiede zwischen Rostislav und Svatopluk, zweier Herrscher des Großmährischen Reichs, als einen Konflikt der fortschrittlichen Zentralisationspolitik mit den reaktionären feudalen Tendenzen.44 Nach einer Periode rigoristischer Dominanz marxistischer Geschichtskonzeptionen à la Michail Pokrovskij wurde Mitte der 1930er Jahre in der Sowjetunion erneut eine frühere Interpretation bevorzugt. Hier wurde dem zaristischen Staat – anders als bei Pokrovskij – ein übergeordneter Stellenwert eingeräumt. Die Stärke dieses Staates, seine territoriale und innere Entwicklung sowie seine militärischen Siege wurden mit nicht weniger Ehrfurcht zelebriert als die Erfolge der bolschewistischen Macht. Historiker, die wegen ihres Nationalismus, ihres Idiographismus und anderer Sünden gegen die marxistische Methodologie verurteilt worden waren, konnten nun ins Berufsleben zurückkehren und erneut zu wissenschaftlichen Ehren kommen (wenn sie – anders als z. B. der ukrainische Forscher Mychailo Hruševs‘kyj – die schweren Zeiten überlebt hatten). Ihre historische Werkstatt war in der Tradition der deutschen Historiographie verwurzelt. Gerade die Vertreter der borussischen Schule wie Heinrich von Sybel, Heinrich von Treitschke oder Hermann Baumgartner hatten eine nationale Geschichtskonzeption formuliert, in der das Freiheitspostulat nicht nur nicht im Gegensatz zum starken Staat stand, sondern sogar als im preußischen Staat verkörpert angesehen wurde. Der Staat hatte nicht nur eine politische, sondern – so wiederholten sie nach Hegel – auch eine ethische Rolle zu erfüllen.45 Diese spezifisch deutsche Variante des Liberalismus, vermittelt durch die Historiker des Zarenreichs, erwies sich als ein dem Marxismus ebenbürtiges ideologisches Instrument bei der Interpretation der mittelalterlichen Geschichte, obwohl die marxistischen Forscher die borussischen Historiker eindeutig verurteilten. Vielleicht bestand die Verbindung zwischen

43 Leo Stern/Hans Gericke: Deutschland, a. a. O., S. 119. 44 Stefan Albrecht: Geschichte der Großmährenforschung in den Tschechischen Ländern und in der Slowakei, Praha 2003, S. 226. 45 Georg G. Iggers: The German Conception of History. The National Tradition of Historical Thought from Herder to the Present, Middletown 1968, S. 91–93.

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diesen methodologischen Trends darin, dass beide das Individuum einem höheren Recht unterordneten, im deutschen Historismus dem Staat, im Marxismus den geschichtlichen Prozessen. Deswegen mussten sich die marxistischen Historiker nicht direkt auf die borussischen Historiker beziehen. Eine Vermittlerrolle konnte hier nicht zuletzt Karl Marx spielen, dessen Weltanschauung sich in der gleichen Zeit und Situation entwickelt hatte wie etwa die Johann Gustav Droysens. In dem Moment, als marxistische Mediävisten ihr Forschungsinteresse von den Volksmassen auf die staatlichen Strukturen verlagerten, näherten sie sich Sybel oder Treitschke an. Andererseits stand die Art und Weise, in der man die feudale (bzw. im Falle der Römer die auf die Sklaverei ausgerichtete) Aggression aus dem Westen beschrieb, den Ansichten romantischer Historiker nahe, die die Ideen Johann Gottfried Herders weiterentwickelt hatten. Joachim Lelewel oder auch František Palacký sahen im Slawentum ein freiheitliches Element, das selbst mehr oder weniger demokratisch der germanischen Aggression ausgeliefert gewesen sei. Marxistische Forscher knüpften an dieselben Motive der nationalen Historiographien an, betonten die staatsbildenden Fähigkeiten der Slawen (oder der Sachsen) und verzichteten auf die These einer kulturellen Höherrangigkeit des Slawentums gegenüber dem Westen. Anstelle dieser letzten These betonten sie die kulturelle und zivilisatorische Ebenbürtigkeit mit dem Westen, blieben aber bei ihrer Überzeugung von der moralischen Überlegenheit der eigenen Vorfahren über die Aggressoren. Die Anfänge der Staatlichkeit und Nationsbildungsprozesse waren zweifellos wichtige Themen der marxistischen Geschichtsschreibung. Die These aber, dass sie besonders schwierig zu interpretieren gewesen seien, ist eindeutig falsch. Liest man die Lehrbücher, Monographien und Zeitschriften aus Polen, der DDR und der Tschechoslowakei, findet man genug schwierigere Themen: die frühbürgerliche Revolution etwa oder die nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, ganz zu schweigen von der neueren und neuesten Geschichte. In längerer Perspektive zeichnete sich in allen Ländern die Tendenz ab, die nationale Komponente der Geschichte zu stärken. Sogar in den 1950er Jahren mangelte es nicht an nationalen Deutungen, auch wenn sie sich manchmal unter dem Deckmantel marxistischen Vokabulars versteckten. Nichtsdestotrotz hatte man nach der Periode des Stalinismus die Sphäre der offiziell zugelassenen Traditionen erweitert, indem man – wie in der ostdeutschen Debatte über Erbe und Tradition – feststellte, dass »das Erbe des Sozialismus die Gesamtheit der historischen Hinterlassenschaft umfasst«.46

46 Helmut Meier/Walter Schmidt: Einleitung, in: Helmut Meier/Walter Schmidt (Hg.): Erbe und Tradition in der DDR. Die Diskussion der Historiker, Köln 1989, S. 11.

Die antifeudale soziale Revolution

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Die antifeudale soziale Revolution Der Feudalismus war, als er in Ostmitteleuropa auftauchte, fortschrittlich. Wie jedoch bereits gezeigt werden konnte, hatte er schon zuvor gewisse Schattenseiten deutlich werden lassen, wie zum Beispiel, dass er mit Gewalt und mit Hilfe der Kirche eingeführt worden war. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die marxistischen Historiker schon früh nach Anzeichen für den Zerfall des Feudalismus suchten. Zu einer so genannten Krise des Feudalismus soll es in Böhmen im 14. und 15. Jahrhundert gekommen sein, also noch vor den Hussitenkriegen. Interessanterweise sei diese Krise sogar unter der Herrschaft Karls IV. noch größer geworden, der, wie es hieß, lediglich den Anschein einer wirtschaftlichen Prosperität geschaffen habe, was den Klassenkonflikt verbarg.47 Zur selben Zeit fanden nicht nur polnische Historiker analoge Entwicklungen48, sondern auch ihre DDR-Kollegen (in diesem Fall sei die Krise dem Ausbruch des Großen Bauernkrieges vorausgegangen).49 In Übereinstimmung mit Stalins These vom revolutionären Charakter der Übergänge zwischen den Formationen nach einer solchen Krise und vor dem Aufkommen der nächsten kapitalistischen Formation sollte es nun zu einer Revolution kommen. Erst nun hätte sie eine fortschrittliche Bedeutung und könnte das Aufkommen der neuen Formation beschleunigen. Deshalb hätten frühere Revolten und Volksaufstände keine fortschrittliche Rolle spielen können, da sie in die Zeit der Blüte des Feudalismus fielen, als dieser immer noch zur historischen Entwicklung beigetragen habe und sie nicht verlangsamte. Für Historiker, die es als ihre wichtigste Aufgabe ansahen, die Geschichte des Kampfes der Volksmassen gegen die Ausbeutung der besitzenden Klasse zu beschreiben,

47 Josef Macek: Husitské, a. a. O., S. 18 f.; ders.: Ktož jsú boží bojovníci, Praha 1951, S. 9; František Graus: Die erste Krise des Feudalismus, in: ZfG 1955; Adolf Laube: Gründungskonferenz der Sektion Mediävistik der Deutschen Historiker-Gesellschaft, in: ZfG 1960. 48 Kazimierz Tymieniecki: Kryzys feudalizmu w zachodniej Europie w świetle dziejów rzemiosła i kwestia źródeł odrębnej problematyki polskiej, in: PH 1955. 49 Jürgen Kuczynski: Kryzys feudalizmu w Niemczech. Próba teoretycznego ujęcia na tle stosunków niemieckich, oparta przede wszystkim na pracach Fryderyka Engelsa, in: PH 1955. Josef Polišenský hält in seinen Erinnerungen fest, dass die tschechoslowakischen Marxisten die Idee von der allgemeinen Krise des Feudalismus im 14. Jahrhundert von dem englischen Historiker Rodney Hilton übernommen hatten, der hierzu auf dem CISH-Kongress in Paris 1950 ein Referat vorgertragen hatte (das war derselbe Kongress, zu dem die polnischen Vertreter letztlich nicht reisten; die Tschechoslowakei wurde von Václav Husa vertreten). Der Text des Referats gelangte zu Polišenský, dem er so lustig und unsinnig vorkam, dass er ihn als Kuriosum František Graus gab. Einige Monate später sei die Konzeption von der Krise des Feudalismus in Arbeiten von Graus und Josef Macek aufgetaucht. – Vgl. Josef Polišenský: Historik v měnícím se světě, Praha 2001. Auch wenn das eine unterhaltsame Anekdote ist, so erklärt sie nicht, warum in jeder der untersuchten Historiographien analoge Konzeptionen auftauchten. Es ist also davon auszugehen, dass Polišenský die Folgen seines Scherzes etwas überschätzte.

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war dies schmerzlich, da die Sympathien der Marxisten in der Regel bei den Schwächeren und Ärmeren lagen. Die ostdeutschen und tschechoslowakischen Historiker äußerten sich auch kritisch über die frühfeudalen Bauernrevolten. 1965 fand in der ZfG eine Diskussion zwischen Siegfried Hoyer und Hans Mottek über die Bauernaufstände der Jahre 1336–1339 statt. Mottek kritisierte Hoyer scharf für seine allzu positive Einschätzung der Revolten und stellte fest, dass es sich hier keineswegs um Volksaufstände gehandelt habe, sondern um von den Feudalherren angeregte antijüdische Unruhen.50 Ähnliche Meinungsverschiedenheiten hatten die polnischen marxistischen Historiker, die sich mit der so genannten heidnischen Reaktion befassten. Die tschechischen Historiker ihrerseits meinten, dass die frühfeudale heidnische Reaktion für die vorhergehende Formation typisch gewesen sei, also keine fortschrittliche Rolle habe spielen können. Eine solche Rolle konnte erst die »reifere« Ketzerbewegung spielen, insbesondere die revolutionäre Hussitenbewegung.51 Wie noch zu zeigen sein wird, spielte der Hussitismus in der marxistischen Historiographie der Tschechoslowakei eine herausragende Rolle (was daraus herrührte, dass die Historiker schon zuvor hier die wichtigste Epoche der tschechischen Geschichte ausgemacht hatten).52 Nicht ohne Bedeutung blieb die Tatsache, dass sich die beiden führenden jungen marxistischen Historiker Tschechiens der 1950er Jahre – Josef Macek und František Graus – für diese Frage interessierten. Die neue marxistische Interpretation der Hussitenzeit folgte einer von Graus vorgeschlagenen Periodisierung, die drei Zeiträume umfasste: Übergewicht der armen Schichten, Übergewicht der Bürger sowie als letzte Phase und zugleich Höhepunkt die Schlacht bei Lipany und der Sieg des Adels.53 Wer aber die zahlreichen Arbeiten von Josef Macek und anderen marxistischen Mediävisten liest, hat oft den Eindruck, dass gar nicht der Prozess der Transformation religiöser Bewegungen in eine Revolution im Zentrum der Darstellung steht, weshalb auch die Periodisierung der Revolution kein besonders wichtiges Problem ist. Sehr viel belangreicher schienen die Urteile über individuelle und kollektive Akteure der Geschehnisse. Der Grund hierfür liegt darin, dass wir es bei der Bewertung des Hussitismus nicht nur und nicht hauptsächlich mit historischem Material zu tun haben, sondern mit einem Mythos. Auf der einen Seite handelt es sich um einen nationalen Mythos, der seit langem in der tschechischen Kultur präsent ist. Auf der anderen Seite wurde der Hussitismus in den 1950er Jahren zu einem besonders

50 Siegfried Hoyer: Die Armlederbewegung – ein Bauernaufstand 1336/1339, in: ZfG 1965; Hans Mottek (Brief an die Redaktion der ZfG), in: ZfG 1965, S. 695–697. 51 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 71. 52 Vgl. František Šmahel: Idea národa v husitských Čechách, Praha 2000, und Petr Čornej: Lipanské ozvěny, Praha 1995. 53 František Graus: Pokus o periodisaci českých dějin, in ČSČH 1953, S. 202–213.

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wichtigen, nämlich dem ersten Kettenglied der »fortschrittlichen Traditionen«, sodass ihn die marxistische Historiographie bis zu einem gewissen Grad alternativ zum traditionellen Verständnis des Mythos aufbaute. Entgegen den marxistischen Forderungen nach einer »Entheroisierung« der Geschichtsschreibung spielten in der tschechischen Interpretation der hussitischen Revolution zwei Helden dieser Zeit eine Schlüsselrolle: Jan Hus und Jan Žižka. Die älteren Geschichtsschreiber hatten nicht selten den einen dem anderen gegenübergestellt und mal die religiösen Vorzüge des Reformators (etwa František Palacký), mal den genialen Führer (so Václav Vladivoj Tomek) hervorgehoben. In den Arbeiten aus den 1950er Jahren wurde Hus als konsequenter Internationalist dargestellt, dem aller nationalistischer Eifer fremd gewesen sei. In diesem Bild spielte seine Einstellung zu den Deutschen eine besondere Rolle. Hus’ Internationalismus ging dabei nicht so weit, dass er in Kosmopolitismus umschlug. Im Gegenteil, er sei ein eifriger Patriot gewesen, offen für Aufforderungen zu slawischer Zusammenarbeit.54 Darum sei er auch heute »ein Lehrer des Patriotismus, und zwar eines Patriotismus, der unverbrüchlich mit dem Gefühl internationaler Solidarität verbunden ist. Um wie viele Jahrhunderte war Hus seiner Zeit voraus! Er hatte keine Scheuklappen, kein wütender Chauvinismus versperrte ihm den Blick. […] Unser sozialistischer Patriotismus und der proletarische Internationalismus haben in Hus ein lebendiges Modell und Vorbild.«55

Hus’ soziale Herkunft wurde ebenfalls sehr positiv beurteilt. Er entstammte einer armen Familie und habe die Stellung eines Magisters durch Arbeit und Talent erreicht. Die marxistischen Historiker der Tschechoslowakei hatten jedoch ein großes interpretatorisches Problem zu lösen. Hus war nämlich nicht nur Prediger – seine Äußerungen waren also nur schwer in die Sprache politischer Programme und der sozialen Revolution zu übersetzen –, sondern seine Lehre enthielt zudem auch keine revolutionären Elemente, allenfalls Aufforderungen zu einer Rückkehr zum wahren Glauben, zu Reinheit und zur Beseitigung der Fehler der Kirche. Dieser Probleme war man sich bewusst.56 Man löste sie durch die Feststellung, seine gemäßigte Ideologie habe im Kontext seines eigenen Schicksals revolutionäre Züge angenommen.57 Nicht nur die Tatsache, dass Hus den Märtyrertod erlitten hatte und zum nationalen wie religiösen Symbol geworden war, verlieh seiner Gestalt revolutionären Charakter. Noch zu Lebzeiten soll der Prediger eine Evolution vollzogen haben. Josef Macek zufolge sei es zu einer »dialektischen Verkoppelung« der bedeutenden Persönlichkeit mit dem revolutionär aufgebrachten 54 55 56 57

Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 176. Josef Macek: Jan Hus, Praha 1963, S. 142. Vgl. ders.: Ktož jsú, a. a. O., S. 14; ders.: Husitské, a. a. O., S. 50. Ders.: Ktož jsú, a. a. O., S. 14.

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Volk gekommen. Seine Lehre habe einen »optimistischen«, fortschrittlichen Charakter erhalten.58 Die Übersetzung der religiösen reformatorischen Forderung in die Sprache politischer Programme betraf nicht nur Hus selbst, sondern auch diejenigen Prediger, die seine Lehre verbreiteten. Sie sollen die Rolle politischer Tribune gespielt haben: »Den geistigen Kampf gegen die Kirche konnten nur Menschen führen, die durch ihre Ausbildung hierfür entsprechend gewappnet waren – dabei handelte es sich überwiegend um kleine, arme Pfarrer und Prediger. Doch den Kampf konnten sie nur in der Form führen, mit der die Kirche ihre klassenbezogenen Ansichten maskierte. […] Die Volksprediger konnten das Volk von den Kanzeln zum Kampf aufrufen.«59

Nach Meinung der marxistischen Forscher wurden die Hussiten nicht von der Liebe zu Gott oder dem Streben nach Erlösung zu ihren Taten angetrieben, sondern vom Humanismus, Antiklerikalismus und dem Glauben an den Fortschritt der Menschlichkeit, also von Werten, die auch für viel spätere fortschrittliche Bewegungen charakteristisch gewesen seien.60 Gemeinsam und überzeitlich sei auch der Wille gewesen, die Reaktion, die Ausbeuter und das ganze Feudalsystem zu zerstören.61 Die Interpretation Jan Žižkas war, wie sich herausstellte, für die marxistische Historiographie nicht weniger schwierig als für die Historiker des 19. Jahrhunderts. Seine adlige Herkunft sowie seine bewegte Lebensgeschichte (in seiner Jugend soll er sich als Räuber betätigt haben) wurden entweder ganz verschwiegen, oder man behauptete, dies seien Erfindungen bürgerlicher Historiker.62 Das Problem der adligen Geburt bagatellisierte Josef Macek, indem er sagte, »der Herr von Trocnov unterschied sich nicht allzu sehr von reicheren Bauern«.63 Žižka wurde von den marxistischen Forschern geschätzt. Ähnlich wie Hus habe er dank seiner Geradlinigkeit die Unterstützung der »fortschrittlichen Armut« erlangt.64 Und auch er habe sich unter dem Einfluss einfacher, revolutionär bewegter Menschen, die unter ihm dienten, verändert.65 Das positive Zeugnis, das man dem hussitischen Anführer ausstellte, rührte wohl vor allem aus seinen überdurchschnittlichen militärischen Talenten her. Den marxistischen Historikern zufolge sei Žižka viel nationaler gewesen als Hus:

58 59 60 61 62 63 64 65

Ders.: Husitské, a. a. O., S. 49 f. Ders./František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 171. Timoteus Čestmír Zelinka: Husitskou Prahou, Praha 1955, S. 10. Vgl. Josef Macek: Husitské, a. a. O., S. 11 und 79. Ders.: Tábor, a. a. O., Bd. 2, S. 34. Ebd., S. 32. Jan Durdík: Husitské vojenstvi, Praha 1954, S. 12. Vgl. Pavel Choc: Boje o Prahu za feudalismu, Praha 1957, S. 335.

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»In Žižkas Konzeption ergänzten sich Appelle zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit Aufrufen zum Kampf um die Verteidigung des Vaterlandes. Ein soziales Programm und nationale Forderungen wurden vor allem in der Zeit eins, als Horden von Fremden nach Böhmen einfielen, Kreuzritter, größtenteils aus den benachbarten deutschen Ländern.«

Noch weiter ging der Philosoph Milan Machovec, für den Žižka der »Erbe von Hus’ Fackel« gewesen sei. Aus diesem Grund sei er der »Liebling der tschechischen Nation«.66 Ein Ereignis, das in den Augen der Kommunisten einen Schatten auf Žižka warf, war sein rücksichtsloser Umgang mit den hussitischen Sektierern, den Adamiten. Anders als die früheren, historisch »unreifen« Ketzer seien die Adamiten »keine religiösen Verrückten [gewesen], sondern Kämpfer für die Rechte und den Sieg der Armen. […] Ihr gesunder Menschenverstand, ihre sinnliche Erfahrung und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen hatten es auf die mittelalterliche Finsternis abgesehen und trugen die Anfänge des Atheismus in sich.«67 Aussicht auf die Verwirklichung eines so radikalen Programms habe es jedoch nicht gegeben. Die tschechischen Historiker, die bei der Beurteilung des Heidenaufstands vor einem ähnlichen Problem standen, wie es sich für den Piastenstaat stellte, hatten weniger Sympathie für die Volksbewegung, die keine Chance gehabt habe, den Beginn der nächsten Formation zu beschleunigen.68 Am Beispiel Žižkas und der Adamiten ist besonders gut zu sehen, wie sich die national-liberale patriotische Tradition und die Bemühungen um die Entstehung einer marxistischen Historiographie gegenseitig durchdringen. Dabei können die Akzente jedoch unterschiedlich verteilt sein. Milan Machovec schien eher dem nationalen Marxismus anzuhängen als Macek. Über die Adamiten schrieb er schlicht: »Hätten bei der hussitischen Revolution unter den Volksmassen ähnliche Irrwege und das Vertrauen auf Hilfe von oben vorgeherrscht, so hätte die zur Entwaffnung des Volkes geführt, das anschließend nicht mehr an die Dreschflegel, sondern an Christus geglaubt hätte.«69 Auch die polnische Historikerin Ewa Maleczyńska warf Macek eine zu positive Sicht auf die Adamiten vor. Sie schrieb, die Adamiten hätten keine so wichtige Rolle gespielt, wie man sie ihnen zuschriebe, zeigte aber Verständnis dafür, dass sich »ein marxistischer Historiker emotional auf die Seite der stärker Unterdrückten und Verfolgten stellt«.70 Interessanterweise wird in dem 1957 veröffentlichten Universitätslehrbuch zur Geschichte Polens, das von

66 67 68 69 70

Beide Zitaten: Milan Machovec: Husovo učení a význam v tradici, Praha 1953, S. 250. Ebd., S.202. Josef Macek: Husitské, a. a. O., S. 98. Milan Machovec: Husovo, a. a. O., S. 250. Ewa Maleczyńska: (Rez.) Josef Macek: Tábor v husitském revolučním hnutí, Praha 1955–1956, in: KH 1958.

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Maleczyńska mitverfasst worden war, auf sehr ähnliche Weise eine andere, einige Jahrhunderte jüngere radikale Gruppe beurteilt – die Polnischen Brüder. Ihre Ideologie »war in gesellschaftlicher Hinsicht das fortschrittlichste Programm der polnischen Aufklärung, auch wenn es unter den damaligen Verhältnissen utopisch war«. Wie bei den Adamiten habe es sich um die »nicht organisierte und nicht als Klasse formierte Armut« gehandelt. »Ihre Apologie des Handwerks und die Verehrung der eigenen Handarbeit begünstigten die Entwicklung der Waren- und Geldwirtschaft. […] Die linken Arianer propagierten einen utopischen Kommunismus, der fast allen Programmen der niedrigen Volksschichten eigen und den damaligen sozioökonomischen Verhältnissen weit voraus war.«

Der Verfasser dieser Zeilen, Kazimierz Lepszy, sah eigentlich nur zwei ernstzunehmende Schwächen der arianischen Ideologie: Der arianische Adel habe die Bauern ebenfalls unterdrückt, und der Pazifismus der Polnischen Brüder sei in einigen Fällen sogar schädlich gewesen: »Die Haltung der Polnischen Brüder, die Angriffs- und Verteidigungskriege insgesamt verurteilten, ist verständlich. Doch im edlen Standpunkt der Arianer gegenüber Kriegen lag auch eine ernste Gefahr. Auf der einen Seite führte er dazu, dass sie sich an keinem Krieg beteiligten, selbst wenn er geführt wurde, um die Unabhängigkeit des Vaterlandes zu verteidigen. Auf der anderen Seite bedeutete der Verzicht auf den Waffengebrauch, dass man auf den mit der Waffe in der Hand zu führenden Kampf um soziale Gerechtigkeit verzichtete.«71

Das Urteil über die häretischen Bewegungen konnte somit unterschiedlich ausfallen. Man konnte wie Josef Macek ihrer Theologie den Charakter einer fortschrittlichen politischen Ideologie verleihen und die unter der religiösen Phraseologie verborgenen gesellschaftlichen Inhalte zu Tage fördern. Oder man erkannt den religiösen Charakter der häretischen Bewegungen zwar an, bewertete ihn aber als Fehler, als Abkehr von der richtigen revolutionären Ideologie. In beiden Fällen knüpften vor allem die tschechischen Marxisten an die traditionelle Interpretation der Nationalgeschichte an, derzufolge der Hussitismus an sich viel wichtiger gewesen sei als die Häretikerbewegung und theologische Fragen seinen Charakter nicht beeinflusst hätten. Ähnlich wie bei der Frage nach den Anfängen des mittelalterlichen Staates legte man auch bei der Geschichte des Hussitismus großen Wert auf die Analyse verschiedener Einflüsse. Man erörterte sowohl mögliche fremde Einflüsse auf die Revolution wie auch (mit viel größerer Begeisterung) hussitische Einflüsse auf andere Länder. Josef Macek schrieb:

71 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia Polski, Bd. 1, T. II, S. 288 f.

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»Die revolutionäre Ideologie des Volksketzertums war also nicht dazu verurteilt, ›Ideen‹ von Sekte zu Sekte, von Land zu Land zu tragen, sondern konnte unter der einheimischen Bevölkerung, aus der tiefen Erniedrigung, Unterdrückung und Ausbeutung unseres Volkes erwachsen. Und wenn so viele Fehler der Ketzer einander ähneln, so rührt das aus einer (qualitativ) vergleichbaren Ausbeutung des Landvolkes her wie bei uns oder in Südfrankreich, in Österreich oder England, sowie aus der Tatsache, dass man mit der ausbeuterischen Kirche einen identischen Feind hatte.«72

Einen anderen Blick auf dieses Problem hatte Robert Kalivoda, dessen Arbeit auch von Mediävisten im Westen geschätzt wurde. Er ging von ähnlichen marxistischen Annahmen aus und zeigte ebenfalls den Einfluss der europäischen Häresien auf die Hussitenbewegung auf.73 Unter den radikalen Kämpfern unterschied er z. B. einen hussitischen und einen waldensischen Flügel, womit er der These von der Einheit und vom Klassenbewusstsein der Linken entgegentrat. Der Vergleich dieser beiden Ansichten liefert noch ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Veränderungen, die es im wissenschaftlichen Leben der Tschechoslowakei zwischen der Mitte der 1950er Jahre, als Macek sich mit dem Thema beschäftigt hatte, und dem Beginn der 1960er Jahre, als Kalivoda seine Arbeit veröffentlichte, gegeben hatte.74 Der Einfluss der Hussiten zeigte sich am spektakulärsten in ihren Kriegszügen. Sie wurden in der Historiographie vor allem als Propagandaaktionen dargestellt. Die Reaktionen des Westens, der sich vor den Hussiten gefürchtet und sie dämonisiert habe, erinnerten die marxistischen Wissenschaftler an die antibolschewistische Propaganda der Zwischenkriegszeit.75 Für die tschechischen Historiker stellte sich die Rezeption des Hussitismus als sehr einfach heraus. In der Regel ging man davon aus, dass die Volksmassen der Nachbarländer den Hussiten gegenüber freundschaftlich eingestellt gewesen seien, während die Feudalherren sie gehasst hätten.76 Das ist nicht verwunderlich, da man meinte, die Hussiten hätten nur den Besitz der Feudalherren geplündert.77 Andererseits hob man hervor, wie erfolgreich die militärischen Handlungen der Hussiten gewesen seien und welche Angst sie in der Gegend verbreitet hätten, auch wenn diese beiden Feststellungen nicht selten in größtem Widerspruch zueinander standen.78 Verständlicherweise interessierten sich auch die marxistischen Historiographien der Nachbarländer für die Rezeption des Hussitismus. Leser der ostdeutschen

72 73 74 75 76

Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1, S. 153. Robert Kalivoda: Husitská ideologie, Praha 1961. Ferdinand Seibt: Hussitica. Zur Struktur einer Revolution, Köln 1965, S. 8–10. Jan Durdík: Husitské, a. a. O., S. 19. Wystawa Rewolucyjny ruch husycki (Muzeum Narodowe w Pradze – Muzeum Historyczne Miasta Stołecznego Warszawy. Listopad – Grudzień 1959), Warszawa 1959, S. 6. 77 Pavel Choc: Boje, a. a. O., S. 341. 78 Josef Macek: Husité na Baltu a ve Velkopolsku, Praha 1952, S. 17.

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historischen Literatur hatten die Gelegenheit, sich mit Hilfe von Übersetzungen, die sowohl in der DDR wie auch in der Tschechoslowakei veröffentlicht wurden, mit der tschechischen marxistischen Interpretation der Hussitenbewegung vertraut zu machen.79 DDR-Wissenschaftler referierten meist die Erkenntnisse ihrer tschechischen Kollegen, wobei sie gelegentlich die begeisterten Meinungen über Hus ein wenig zurücknahmen.80 Sie stimmten dagegen vollauf der These von der lebhaften Reaktion zu, die der Hussitismus in Deutschland gefunden habe. Man ging davon aus, dass an der böhmischen Revolution viele Deutsche teilgenommen hätten, unter ihnen der »deutsche Hussit« Friedrich Reiser.81 Für die deutschen Wissenschaftler war jedoch der hussitische Einfluss auf die Teilnehmer und Anführer des Großen Bauernkrieges am wichtigsten, vor allem auf Thomas Müntzer.82 Dieser Einfluss war weder einfach nachzuweisen noch unumstritten. Schon 1955 bestritt Rosemarie Müller in einer ungewöhnlich kritischen Rezension von Heinz Kamnitzers Buch über die Anfänge des Bauernkrieges eines der Axiome der tschechischen Historiographie, als sie schrieb, dass sowohl der Hussitismus wie auch die antifeudalen Bewegungen in Deutschland vom Beispiel der Bauernaufstände in Frankreich und England profitiert hätten. Damit kritisierte sie die These vom übermächtigen Einfluss des böhmischen Hussitismus auf Deutschland. Mehr noch, sie war auch mit der Einschätzung Müntzers nicht einverstanden, der ihrer Meinung nach längst nicht so genial war wie Kamnitzer dies dargestellt habe.83 Zu Beginn der 1960er Jahre polemisierte Bernhard Töpfer in der ZfG gegen Václav Husa und betonte, dieser habe den Einfluss überschätzt, den Müntzers Aufenthalt in Böhmen auf die Entwicklung seiner revolutionären Weltanschauung gehabt habe.84 Dennoch wurde in der Regel die These übernommen, dass die hussitische Revolution den Großen Bauernkrieg und Hus Müntzer beeinflusst hätte. Die Forschungen zum Widerhall des Hussitismus spielten in der marxistischen Historiographie der Slowakei eine besonders wichtige Rolle. Wie in Böhmen sol-

79 Vgl. Alois Míka: Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der revolutionären Hussitenbewegung in den ländlichen Gebieten Böhmens, in: ZfG 1959; Josef Macek: Die Hussitenbewegung in Böhmen, Praha 1958. 80 Vgl. Horst Köpstein: »Es wäre falsch zu sagen, daß Jan Hus direkt und bewußt das unterdrückte böhmische Volk zur revolutionären Tat angerufen und Auffasungen von der völligen Umwälzung der Feudalordnung vertreten hätte« – Ders.: »Die revolutionäre Hussitenbewegung« – eine Ausstellung des tschechoslowakischen Nationalmuseums in Berlin, in: ZfG 1958, S. 1127. 81 Ders.: Über den deutschen Hussiten Friedrich Reiser, in: ZfG 1959, S. 1069 f. 82 Ebd., S. 1079; Horst Köpstein: »Die revolutionäre Hussitenbewegung«, a. a. O., S. 1133; 83 Rosemarie Müller: (Rez.) Heinz Kamnitzer: Zur Vorgeschichte des Deutschen Bauernkrieges, Berlin 1953, in: ZfG 1955, S. 133–135. 84 Bernhard Töpfer: (Rez.) Václav Husa: Tomáš Müntzer a Čechy, Praha 1959, in: ZfG 1960, S. 1690.

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len die Hussiten hier eine der wichtigsten fortschrittlichen Traditionen verkörpert haben. Bereits am Anfang des ersten Heftes der HČSAV zählte udovít Holotík zu den Aufgaben, vor denen die marxistische Geschichtswissenschaft der Slowakei stünde, die Erforschung der Einflüsse des Hussitismus, ein Problem, das bislang von der bürgerlichen Wissenschaft tendenziös verschwiegen worden sei.85 Eine genauere Analyse der bisherigen Ansichten slowakischer Historiker über den Hussitismus legte Peter Ratkoš vor. Seiner Meinung nach hätten sie zwar generell negative Standpunkte eingenommen (so beispielsweise durch die Schilderung der Hussitenzüge als Raubzüge), doch habe es in der Slowakei eine vitale hussitische Tradition gegeben, die im 19. Jahrhundert der slowakischen Nationalbewegung zugrunde gelegen hätte.86 Der Hussitismus in der Slowakei war nach Meinung der marxistischen Wissenschaftler sowohl ein Import wie auch eine einheimische antifeudale Bewegung. Die Böhmen hätten Züge nach Oberungarn unternommen, wo mit der Zeit Basen entstanden seien, in denen die so genannten »Brüder« unter Führung von Jan Jiskra z Brandýsa (Johann Giskra von Brandeis) und Petr Aksamit das Sagen hatten. Ratkoš zufolge hatte die Brüder-Bewegung bereits einen slowakischnationalen Charakter.87 Übrigens habe schon alleine die Tatsache, dass im benachbarten Böhmen und Mähren eine hussitische Revolution ausgebrochen sei, die slowakischen Bürger deutlich in ihrer Konfrontation mit dem deutschen Patriziat gestärkt und ihr Verwandtschaftsgefühl zu den Tschechen vergrößert, wodurch die Grundlagen für die moderne slowakische Nation gelegt worden seien.88 Dies habe aber nicht bedeutet, dass sich die Slowaken in großer Zahl den Hussiten angeschlossen hätten. Im Gegenteil – der starke Adel und das Patriziat hätten einen Aufstand der städtischen Unterschichten verhindern können. Angesichts dessen hieß es lediglich, dass die Kunde aus dem Westen in den slowakischen Städten und Dörfern eine allgemeine Verschärfung der Klassenkämpfe ausgelöst habe.89 Die einhellig positive Einschätzung des Schlüsselelements der fortschrittlichen Traditionen Tschechiens stand nicht selten im Widerspruch zur Quellenbasis, auf die die slowakischen Mediävisten angewiesen waren. So beschrieb die sehr gründlich verfasste, ausführlich aus den Quellen zitierende Arbeit Branislav Varsiks von 1965 praktisch ausschließlich die Zerstörungen, die die Hussiten bei ihren Zügen verursachten (konkret handelte es sich um die geschätzte Zahl der

85 udovít Holotík: K sedemdesiatym piatym narodeninám akademika Zdeňka Nejedlého, in: HČSAV 1953, S. 23. 86 Peter Ratkoš: Husitské revolučné hnutie a Slovensko, in: HČSAV 1953, S. 28. 87 Ebd., S. 39. 88 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 223. 89 Ebd., S. 240; Alžbeta Gácsová: K problematike mestskej chudoby v Bratislave v prvej polovici XV. stor., in: HČSAV 1953, S. 217.

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niedergebrannten Gebäude). Auch wenn Varsik anmerkte, dass es »heute keinen Zweifel mehr daran gibt, dass die hussitische Zeit nach dem Untergang des Großmährischen Reichs in der Slowakei der einzige Moment war, in dem sich der bewölkte Himmel unserer Vergangenheit etwas auflockerte«, so hat der Leser seines Buches nur geringe Chancen, diese Auflockerungen durch den Rauch der niedergebrannten Vorstädte von Pressburg zu erkennen.90 Varsiks Buch basierte zwar auf seiner schon 1928 verteidigten Dissertation, doch hatte der Autor genügend Zeit und Gelegenheit gehabt, um das Bild der Hussiteneinfälle in die Slowakei ein wenig zu retuschieren.91 Ähnlich und recht allgemein gehalten schrieb man über die fortschrittliche Rolle der tschechischen kulturellen Einflüsse, von Sprache, Musik usw.92 Einige tschechische Wissenschaftler erkannten einen Einfluss der fortschrittlichen hussitischen Tradition auf andere, zeitlich und räumlich recht abgelegene Revolutionsbewegungen, etwa auf den Chmelnyzkyj-Aufstand in Polen.93 Ein Sonderfall für die Rezeption der marxistischen Interpretation der Hussitenbewegung sind die Arbeiten der polnischen Mediävistin Ewa Maleczyńska, die das Breslauer Forschungszentrum zu den Hussiten in Polen gegründet hatte. Wojciech Iwańczak zufolge hatte dieses Thema stets zu den stark ideologisierten gehört, doch selbst vor dem Hintergrund der teils sehr einseitigen Perspektiven der Arbeiten des 19. Jahrhunderts hätten sich Maleczyńskas Arbeiten durch die Leichtigkeit ausgezeichnet, mit der sie historische Thesen aufgestellt habe.94 Dass die Hussiten zu einem der wichtigsten Interessengegenstände der schlesischen Mediävisten würden, hing auch mit der aktuellen politischen Situation zusammen. Ewa Maleczyńska und Karol Maleczyński hatten so wie auch andere Breslauer Wissenschaftler erkannt, dass die Geschichte der Region reich war an deutsch-polnischen und polnisch-böhmischen Konflikten. Maleczyńska, die von der PPS zur PZPR gekommen war, hatte vielleicht Angst davor, dass ihr Interesse für Fragen, die so wenig mit dem proletarischen Internationalismus zu tun hatten, den Vorwurf rechts-nationalistischer Abweichung nach sich ziehen könnte. Der Hussitismus als Ebene der polnisch-tschechischen Zusammenarbeit

90 Branislav Varsik: Husitské revolučné hnutie a Slovensko, Bratislava 1965, S. 5 und passim. 91 Ján Tibenský: Profesor Daniel Rapant ako vychovávatel vedeckého dorastu, in: Richard Marsina (Hg.): Historik Daniel Rapant, a. a. O., S. 86. 92 Vgl. Peter Ratkoš: K husitskej piesni na Slovensku, in: HČSAV 1958. 93 Vgl. Maciej Górny: »Husitské revoluční hnutí« v české historiografii stalinského období, in: Doubravka Olšáková/Zdeněk Vybíral (Hg.): »Husitský Tábor« supplementum II – Husitský tábor a jeho postavení v české historiografii v 70. a 80. letech 20. století, Tábor 2004, S. 140–142. 94 Wojciech Iwańczak: Polskie badania nad wpływami husyckimi w Polsce, in: Stanisław Bylina/ Ryszard Gładkiewicz (Hg.): Polskie echa husytyzmu. Materiały z konferencji naukowej, Kłodzko, 27–28 września 1996, Warszawa 1999, S. 25 f. und 31; ders.: Rewolucja husycka w historiografii polskiej XIX w., in: Sobótka 1996.

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erlaubte es ihr, die mittelalterliche Geschichte ohne derartige Ängste erforschen zu können.95 Die Breslauer Mediävisten maßen der Erforschung des polnischen Anteils an der Hussitenbewegung das größte Gewicht zu. Besonders Schlesien sei von der fortschrittlichen hussitischen Ideologie beeinflusst worden. »In Schlesien schlossen sich heimische Bauern den hussitischen Abteilungen an. In einigen Burgen […] richteten sich hussitische Anführer ein, überwiegend Polen.«96 Die Hussitenbewegung sei unter den polnischen Einwohnern Breslaus besonders stark gewesen.97 Sie hätten wiederum ihre Hände dem deutschen gemeinen Stadtvolk und den deutschen Bauern entgegengestreckt.98 Weniger deutlich als in Schlesien, jedoch nach wie vor wichtig sei der Einfluss der hussitischen Revolution in Böhmen auf andere Teile Polens gewesen.99 Wie ein Teilnehmer einer Konferenz, die 1954 vom IH PAN organisiert wurde, sagte: »Die Ausbreitung der hussitischen Einflüsse in Pommerellen hatte erheblichen Einfluss auf die Entstehung der Bewegung und des Einigungsprogramms des Preußischen Bundes, darauf, das Nationalbewusstsein unter den preußischen Ständen und unter den Volksmassen Pommerellens zu wecken«.100 Man hob hervor, dass während des Konzils von Konstanz die polnische Delegation den der Häresie bezichtigten Jan Hus verteidigt habe; unter seinem Einfluss seien in Polen »laute Parolen der slawischen Verbundenheit erklungen«.101 Besonders große Resonanz hätten die Hussiten in den ukrainischen Gebieten gehabt, wo sogar »die Inquisition damit begann, die hussitischen Agitatoren zu verfolgen«.102 Die Hussitenbewegung in den polnischen Gebieten sei also (ähnlich wie in den böhmischen Ländern) revolutionär gewesen. Doch im 15. Jahrhundert habe es an geeigneten Bedingungen für einen Sieg der sozialen Revolution gefehlt. Während der Otwocker Konferenz erläuterte dies Evgenij Kosminskij den Versammelten:

95 Vgl. Marek Cetwiński/Lech Tyszkiewicz: Prawda historii i racja stanu (mediewiści wrocławscy o średniowiecznym Śląsku. Pół wieku badań), in: Sobótka 1999. 96 Juliusz Bardach/Aleksander Gieysztor/Henryk Łowmiański/Ewa Maleczyńska (Hg.): Historia, a. a. O., S. 236. 97 Vgl. Zbigniew Kwaśny/Józef Leszczyński/Mieczysław Pater/Anna Skowrońska/Józef Gierowski/J. Leszczyński (Hg.): Teksty źródłowe do dziejów chłopa śląskiego, Bd. 1 do 1945 roku, Wrocław 1956, s. XIII; Karol Maleczyński/Jan Reiter/Ewa Maleczyńska (Hg.): Teksty źródłowe do historii Wrocławia, Bd. 1. Do końca XVIII w., Wrocław 1951, S. 45. 98 Vgl. Ewa Maleczyńska: Ruch husycki na ziemiach polskich i jego znaczenie społeczne, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 448. 99 Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 73. 100 Czesław Pilichowski: (Diskussionsbeitrag), in: Bogusław Leśnodorski/Stefan Kieniewicz/Łukasz Kurdybacha/Bronisław Krauze/Gerard Labuda (Hg.): Konferencja, a. a. O., S. 127. 101 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, S. 528 und 533. 102 Ebd., S. 539.

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»Warum hat die Bauernbewegung nicht gesiegt? Weil sie nicht siegen konnte. Wir wissen gut, dass eine Bauernbewegung […] nicht siegen kann, wenn an ihrer Spitze kein Klassenhegemon steht. […] Ein solcher Hegemon konnte das Bürgertum damals nicht sein. Es konnte erst in der Epoche der bürgerlichen Revolution dazu werden, damals aber war es noch nicht reif dazu.«103

Es sei deshalb nicht verwunderlich, dass die polnischen hussitischen Revolutionäre gelegentlich Zuflucht im Ausland suchen mussten. Das natürliche Ziel ihrer Reisen sei das von der Flamme der Revolution ergriffene Böhmen gewesen. Deshalb »gab es in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zahlreiche Fälle, in denen Bauern nach Böhmen fliehen, wo sich die Hussitenbewegung verbreitete«.104 Das Entlaufen von Bauern habe nach 1424 noch zugenommen, »als bei uns starke Repressionen gegenüber der Hussitenbewegung einsetzen«.105 Die Bewegung sei angewachsen, um ihre größten Ausmaße in den 1430er Jahren zu erreichen.106 Durch diesen Ortswechsel sei ein erheblicher Anteil von Polen an der böhmischen Hussitenbewegung beteiligt gewesen, vor allem in ihrem radikalen Flügel.107 Die Niederlage dieser Strömung des tschechischen Hussitismus in der Schlacht bei Lipany habe zu einem verstärkten Zustrom von Flüchtlingen nach Polen sowie zu einem neuerlichen Anwachsen der radikalen Ideologie geführt. Die Folge sei die so genannte Konföderation des Spytko von Melsztyn gewesen, die Ewa Maleczyńska als »offenen hussitischen Aufstand in Polen« interpretierte.108 Ihre These wurde von den polnischen marxistischen Mediävisten übernommen, die der Meinung waren, dass tatsächlich »im Kampf mit den Machthabern das adlige Lager in dieser Zeit die Ideologie des rechten, gemäßigten Flügels der böhmischen Hussiten« übernommen habe, während die Konföderation des Spytko die »volkstümliche, antifeudale Bewegung der städtischen Unterschichten und der Bauernschaft« vertreten habe, »für die das Anwachsen des linken Flügels der böhmischen Hussiten ein Beispiel war«.109 Ähnlich wie in Böhmen sei ihre Niederlage, durch

103 Eugeniusz Kosminski: Postępowość i wsteczność folwarku pańszczyźnianego. O przezwyciężenie okcydentalizmu. Historyczne znaczenie Słowian, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 521. 104 Juliusz Bardach/Aleksander Gieysztor/Henryk Łowmiański/Ewa Maleczyńska: Historia, a. a. O., S. 206. 105 Vgl. Ewa Maleczyńska: Ruch husycki na ziemiach polskich i jego znaczenie społeczne, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 447. 106 Juliusz Bardach/Aleksander Gieysztor/Henryk Łowmiański/Ewa Maleczyńska: Historia, a. a. O., S. 242. 107 Vgl. Ewa Maleczyńska: Ruch husycki na ziemiach polskich i jego znaczenie społeczne, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 447. 108 Juliusz Bardach/Aleksander Gieysztor/Henryk Łowmiański/Ewa Maleczyńska: Historia, a. a. O., S. 243. 109 Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 74.

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den »Klassen«-Verrat eines Teils des Adels verursacht worden, der, »da er der […] radikalen plebejischen Strömung des Hussitismus Auge in Auge gegenübertrat«, die Fronten gewechselt habe: »So wie der Verrat der Utraquisten zu Lipany führt, so verlässt in Polen die Mehrzahl der adligen Teilnehmer an der Konföderation des Spytko das Lager bei Grotniki am Vorabend der Schlacht.«110 Die polnischen Mediävisten bahnten eine Zusammenarbeit mit ihren tschechoslowakischen Kollegen an. Sie führte u. a. zu Josef Maceks Buch Husyci na Pomorzu i w Wielkopolsce [Die Hussiten in Pommerellen und Großpolen] (Originalausgabe 1952, Warszawa 1955), des wichtigsten tschechischen Spezialisten für diesen Zeitraum. In dieser Abhandlung beschrieb er die Beteiligung böhmischer, im Dienst des polnischen Königs stehender Söldner an den Kämpfen gegen den Deutschen Orden, thematisierte aber auch die polnisch-böhmische Zusammenarbeit so genannter radikaler Elemente. Mit der Zeit aber, vor allem nach der Veröffentlichung von Ewa Maleczyńskas Buch Ruch husycki w Czechach i w Polsce [Die Hussitenbewegung in Böhmen und Polen], stieß die wissenschaftliche Zusammenarbeit auf inhaltliche Hindernisse, und die tschechischen Mediävisten beurteilten die polnischen Versuche, ihre fortschrittliche Tradition dem Katalog der polnischen Nationalgeschichte einzufügen, langsam kritischer. Maleczyńskas Thesen stießen in der Tschechoslowakei auf immer schärfere Kritik. Man warf ihr die unbegründete Übertreibung des polnischen Hussitismus vor; sie habe versucht, ihn als stärkere und radikalere Bewegung als den tschechischen Hussitismus darzustellen.111 Ähnliche Vorbehalte hinsichtlich der »sensationellen Neuigkeiten« über die Stärke des polnischen Hussitismus äußerten auch polnische Mediävisten (selbst wenn ihre Motive vermutlich andere waren als die der tschechoslowakischen Marxisten). In der Rezension einer frühen Veröffentlichung der Marxistin stellte Karol Górski u. a. fest, dass Maleczyńska »die bedeutende Reichweite des Hussitismus auch in Polen aufzuzeigen versucht, wobei sie auch mit den von fremden Predigern erhobenen Vorwürfen argumentiert, ohne ihren Wahrheitsgehalt zu analysieren«.112 Für den Historiker war völlig klar, dass die Hussitismus-Spezialistin die Forschungsergebnisse der tschechischen Mediävisten ohne ausreichende Quellengrundlage auf polnischen Boden verpflanzt habe. Noch 1968 veröffentlichte

110 Ewa Maleczyńska: Ruch husycki na ziemiach polskich i jego znaczenie społeczne, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 450; Henryk Łowmiański (Hg.): Historia Polski. Makieta, Bd. 1, T. I, S. 533. 111 Vgl. Ewa Maleczyńska: Ruch husycki w Czechach i w Polsce, Warszawa 1959. Vgl. dazu Maciej Górny: Między Marksem, a. a. O., S. 90–95. 112 Karol Górski: (Rez.) Ewa Maleczyńska: Społeczeństwo polskie pierwszej połowy XV wieku wobec zagadnień zachodnich. Studia nad dynastyczną polityką Jagiellonów, Wrocław 1947, in: PH 1948, S. 458.

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Maleczyńska in der KH einen Text, in dem sie ihr Verständnis von historischer Wahrheit klar und deutlich definierte. Die Verfasserin hielt es demnach für notwendig, »Sicherheit zu gewinnen, dass ein Historiker, der besonders schwieriges Quellenmaterial in die Hände bekommt, moralisch vollständig auf Seiten der Erbauer des Sozialismus engagiert ist; dass er, wenn ihm das Quellenmaterial kritische Schlussfolgerungen nahelegt, diese nicht zu dem Ziel und nicht so formulieren möge, um diese Realität anzugreifen, sondern um sie zu verbessern, um einen Weg aufzuzeigen, der zu dieser Verbesserung führt«.113

Die Art und Weise, wie die Autorin dieser Gedanken ihre historischen Forschungsgegenstände in Angriff nahm, zeigt bestens ihre ehrliche Überzeugung von der dienstbaren Rolle der Geschichte gegenüber dem herrschenden System. Dieser Logik zufolge war der polnische Hussitismus auf zweifache Weise propagandistisch nützlich: als einheimische fortschrittliche Tradition sowie als Ausdruck der polnischen antifeudalen Bewegung, die eng mit den »Wiedergewonnenen Gebieten« zusammenhing, vor allem mit Schlesien. Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Stellung dieser der Partei angehörenden Historikerin auch in den 1960er Jahren noch unangreifbar war. Jerzy Serczyk, der die Bedeutung des polnischen Hussitismus anders einschätzte, erinnerte sich, welche Schwierigkeiten er (selbst nach 1956) hatte, Texte zu veröffentlichen, in denen er Maleczyńskas Thesen nicht teilte.114 Die Forschung zur Rezeption des Hussitismus in den Nachbarländern war sich über die fortschrittliche Rolle dieser Bewegung einig. Die tschechischen Historiker waren außerdem davon überzeugt, dass sich diese Rolle mit keinem anderen historischen Phänomen vergleichen lasse.115 Ein sorgfältiger Leser slowakischer und ostdeutscher wissenschaftlicher Veröffentlichungen hätte sicherlich bemerkt, dass diese Auffassung nicht ganz der Wahrheit entsprach. Denn sowohl die DDR-Historiker wie auch die slowakischen Marxisten erforschten einheimische antifeudale Revolutionen und legten dadurch eigene Kataloge der fortschrittlichen Traditionen an. Die tschechischen Marxisten ignorierten vor allem den Großen Bauernkrieg, dessen Bedeutung für die Geschichte Deutschlands bereits Friedrich Engels beschrieben hatte. Für die DDR-Historiographie war dies eine zentrale Tradition. Schon in Alexander Abuschs Der Irrweg einer Nation nahm die »deutsche Misere« ihren Anfang in der Niederlage des Volksaufstandes.116 Abusch beschrieb

113 Ewa Maleczyńska: O społecznej użyteczności historii, in: KH 1968, S. 669 f., zit. nach Stanisław Bylina: Dorobek czterdziestolecia, in: Stefan K. Kuczyński (Hg.): Instytut Historii, a. a. O., S. 12. 114 Vgl. Jerzy Serczyk: Kilka uwag w sprawie cenzury w PRL, in: Zbigniew Romek (Hg.): Cenzura, a. a. O., S. 185. 115 Maciej Górny: »Husitské revoluční hnutí«, a. a. O., S. 139. 116 Alexander Abusch: Der Irrweg, a. a. O., S. 27.

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den Bauernkrieg aus der Perspektive zweier bedeutender Persönlichkeiten, Vertreter einander feindlich gegenüberstehender gesellschaftlicher und politischer Lager – Thomas Müntzer und Martin Luther. Müntzer war seiner Meinung nach »die gewaltigste revolutionäre Persönlichkeit seiner Zeit [...] Thomas Müntzer war in seiner Art eine einzige Gestalt: ein prophetisch drohender Rebell, ein rebellischglühender Prophet, ein politischer Führer mit plebejischem Instinkt, ein wortgewaltiger Pamphletist der deutschen Sprache – und der erste Stratege des Volkskrieges in Deutschland.«117

Die Revolution sei jedoch gescheitert. Den Schuld hierfür trage, so Abusch, Luther. Er habe das Entstehen eines dauerhaften Bündnisses zwischen Bürgertum und Bauernschaft nicht zugelassen, und seine Lehre habe sich darauf beschränkt, das Volk in Abhängigkeit von den Feudalherren zu lassen.118 Der Große Bauernkrieg sei »der erste Akt der europäischen bürgerlichen Revolution« gewesen.119 Genauer gesagt habe es sich um eine Etappe der frühbürgerlichen Revolution gehandelt.120 Max Steinmetz, der 1960 einen Definitionsversuch unternahm, war der Meinung, dass die Zäsuren der Revolution von den Jahren 1476 und 1535 gebildet würden. Zu Beginn der Bewegung habe es Einflüsse des Hussitismus, der Ideologie des ungarischen Aufstands von György Dózsa, aber auch der beginnenden Reformation gegeben.121 Letztere habe die Rolle eines Katalysators für die gesellschaftliche Erhebung gespielt, allerdings gewissermaßen gegen den Willen ihrer Urheber. Leo Stern schrieb, »daß die drei großen Gestalten der religiösen Reformation: John Wycliff, Jan Hus und Martin Luther gegen ihren Willen in die politischen und sozialen Kämpfe ihrer Zeit, namentlich in die revolutionären bäuerlichen Erhebungen gegen die bestehende Feudalordnung hineingezogen wurden«.122 Zwischen den marxistischen Urteilen über Hus und Luther gab es jedoch erhebliche Unterschiede. Während die tschechoslowakische Wissenschaft die Fortschrittlichkeit des einheimischen Reformators voll und ganz anerkannte, blieb Luther jahrzehntelang ein Symbol für die »deutsche Misere«. Abusch stellte fest: 117 Ebd., S. 20. 118 Ebd., S. 21. 119 Gerhard Schilfert: (Rez.) Wilhelm Zimmermann: Der Große deutsche Bauernkrieg, Berlin 1952, in: ZfG 1953, S. 152. 120 Alfred Meusel: Disposition des Hochschullehrbuches der Geschichte des deutschen Volkes (1400–1648), in: ZfG 1953. 121 Max Steinmetz: Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland (1476–1535). Thesen zur Vorbereitung der wissenschaftlichen Konferenz in Wernigerode vom 20. bis 24. Januar 1960, in: ZfG 1960, S. 113–116. 122 Leo Stern: Martin Luther und Philipp Melanchthon – ihre ideologische Herkunft und geschichtliche Leistung. Eine Studie der materiellen und geistigen Triebkräfte und Auswirkungen der deutschen Reformation, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, Nr. 6/53/1952, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, S. 32.

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»Die wesentlichste Schuld an der Niederlage der Bauern und daran, daß kein großes Volksbündnis von Stadt und Land für ein gemeinsames Freiheitsprogramm zustande kommen konnte, trägt die deutsche Reformation […] Martin Luther wurde zur größten geistigen Figur der deutschen Gegenrevolution für Jahrhunderte.«123

Als man sich in den 1950er Jahren in der DDR von einer hyperkritischen Interpretation der Nationalgeschichte abwendete, veränderte sich auch die Einschätzung der Reformation als solcher, nicht aber das Urteil über ihren Initiator. Man gestand ihm nun lediglich zu, dass seine Ansichten bis 1521 den erhofften (in diesem Fall negativen) Einfluss auf die Einstellung der Deutschen zum Papsttum gehabt hätten.124 In der 1952 erschienenen Arbeit Alfred Meusels Thomas Müntzer und seine Zeit zitierte der Autor Friedrich Engels, der die Reformation für einen Teil der frühbürgerlichen Revolution gehalten habe. Ein anderer Teil desselben Phänomens sei der Große Bauernkrieg gewesen.125 Vielfach wurde hervorgehoben, die Reformation dürfe nicht als religiöses oder kulturelles Phänomen behandelt werden, sondern vor allem als Phase und Effekt des Klassenkampfes.126 Anfangs bewertete man die schweizerische »progressiv-bürgerliche« Reformation positiv und stellte sie der deutschen »feudal-absolutistischen« Reformation gegenüber.127 Auch wenn Meusels Luther-Interpretation schon in den 1950er Jahren die Kritik einiger Kollegen hervorrief, kam es erst im folgenden Jahrzehnt zu weitergehenden Veränderungen seiner Beurteilung. So etwa nach dem Vortrag von Max Steinmetz auf einer Konferenz in Wernigerode, als das Interesse der DDRHistoriographie an der Reformation merklich anstieg.128 Das immer positivere Bild des Reformators hing auch mit den politischen Veränderungen zusammen, mit dem Verzicht auf die Forderung nach deutscher Einheit und dem Entstehen der Idee einer ostdeutschen Nation. Schließlich hieß es, wie Josef Foschepoth

123 Alexander Abusch: Der Irrweg, a. a. O., S. 21. 124 Thomas Vogtherr: »Reformator« oder »frühbürgerlicher Revolutionär«? Martin Luther im Geschichtsbild der DDR, in: GWU, Nr. 39/1988, S. 596. 125 Vgl. Josef Foschepoth: Reformation, a. a. O., S. 33. 126 Max Steinmetz: (Rez.) Alfred Meusel: Thomas Müntzer und seine Zeit. Berlin 1952, in: ZfG 1953, S. 971. Vgl. die These von Leo Stern: »Der kardinale Unterschied der marxistischen Analyse zu der herkömmlichen protestantischen wie katholischen Reformationsgeschichtsschreibung besteht vor allem darin, daß die religiösen und politischen Theorien der damaligen Zeit nicht als Ursachen, sondern als Resultate der beim Übergang von der feudalen zur kapitalistischen Gesellschaftsformation erreichten sozialökonomischen, politischen und kulturellen Entwicklungsstufe aufgezeigt und nachgewiesen werden.« – Leo Stern: Martin Luther, a. a. O. 127 Hanna Köditz: Die gesellschaftlichen Ursachen des Scheiterns des Marburger Religionsgesprächs vom 1. bis 4. Oktober 1529, in: ZfG 1954, S. 70. 128 Thomas A. Brady Jr.: The Protestant Reformation in German History, Washington 1998, S. 19 f. Vgl. Laurenz Müller: Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des »Dritten Reiches« und der DDR, Stuttgart 2004, S. 186–190.

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bemerkte, Thomas Mützer sei ohne den Wittenberger Reformator nicht möglich gewesen.129 Zu Beginn der 1980er Jahre war Luther bereits vollgültiger Teil des Katalogs der fortschrittlichen Traditionen in der DDR, sodass man 1983, als in Westdeutschland das Luther-Jubiläum gefeiert wurde, im Osten eine Konkurrenzveranstaltung aufzog.130 Thomas Müntzer bereitete der DDR-Historiographie keine solchen Interpretationsschwierigkeiten wie Luther. In der deutschen historiographischen Tradition hatten sich zwei gegenläufige Interpretationen dieser Persönlichkeit ausgeprägt. Georg Satorius oder auch Leopold Ranke sahen in Müntzer den Zerstörer der alten Sozialordnung, eine für den Staat gefährliche Gestalt. Aus denselben Gründen wurde er von liberal-demokratischen Historikern wiederum geschätzt, von Karl Hammerdörfer oder – nach der Revolution von 1848 – von Wilhelm Zimmermann.131 In der DDR-Historiographie stellte Müntzer bis Mitte der 1960er Jahre schlicht den fortschrittlichen Gegenpart Luthers dar: So wie die tschechoslowakischen Autoren eine Verbindung zwischen den Feinden des radikalen Hussitismus und der »Reaktion« im 20. Jahrhundert sahen, konstruierten die ostdeutschen Historiker zwei historische Linien: von Müntzer zur SED und von der »antinationalen Beziehung Luthers zu den Fürsten« bis zu der ähnlich antinationalen Politik der westdeutschen Bourgeoisie.132 Das Müntzer-Bild erinnerte vielfach an die Charakterisierung von Hus, wobei die ostdeutschen Wissenschaftler dem religiösen Charakter seiner Ansichten eine noch geringere Bedeutung beimaßen. Der deutsche Revolutionär sei als Hus’ Erbe bezeichnet worden,133 doch habe er nicht nur das Programm der in Böhmen entstandenen sozialen Revolution ausgeführt. Der deutsche Rezensent von Václav Husas Buch Tomáš Müntzer a Čechy [Thomas Müntzer und Böhmen] hob hervor, dass entgegen den Feststellungen Husas Müntzers Aufenthalt in Prag keineswegs der Grund war, warum er sich vom Luthertum lossagte; diese Entscheidung sei bereits zuvor gefallen, und der böhmische Einfluss hierzu sei nicht nötig gewesen.134 Ähnlich wie Hus habe Müntzer eine Entwicklung von einem gemäßigten

129 Josef Foschepoth: Reformation, a. a. O., S. 110. 130 Jan Herman Brinks: Die DDR-Geschichtswissenschaft, a. a. O., S. 12. 131 Günther J. Trittel: »Thomas Müntzer mit dem Schwerte Gedeonis« – Metamorphosen einer »historischen Metapher«, in: GWU 1991, S. 551–559. 132 Josef Foschepoth: Reformation, a. a. O., S. 109. Vgl. Manfred Bensing: Thomas Müntzer und Nordhausen (Harz) 1522. Eine Studie über Müntzers Leben und Wirken zwischen Prag und Allstedt, in: ZfG 1962, S. 1105. 133 Horst Köpstein: »Die revolutionäre Hussitenbewegung« – eine Ausstellung des tschechoslowakischen Nationalmuseums in Berlin, in: ZfG 1958, S. 1133. 134 Bernhard Töpfer: (Rez.) Václav Husa: Tomáš Müntzer a Čechy, Praha 1957, in: ZfG 1960, S. 1690. Husa hob die Beziehung zwischen Müntzers Ansichten und dem Radikalismus der Taboriten hervor. Vgl. Václav Husa: Tomáš Müntzer a Čechy, Praha 1957, S. 2.

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Reformator zu einem Revolutionär durchgemacht.135 Müntzer sei vor allem ein Propagandist und Agitator der frühbürgerlichen Revolution gewesen.136 Als konsequenter« Revolutionär stehe er also eigentlich noch über Hus. Ernst Werner verglich ihn mit dem radikalsten Hussitenprediger Želivský. »Die Lehre Müntzers«, schrieb er, »war eine geniale Antizipation zukünftiger Geschichte, Vorausahnung einer zukünftigen Klasse gewesen, die von keiner der im 16. Jahrhundert vorhandenen Schichten ausging, weder von den Bauern noch von den Plebejern. Sie fand aber in den untersten Schichten in der Stadt und auf dem Lande ihre soziale Stütze. Sie revolutionierte und organisierte die Bewegung, schuf ein Bündnis von Stadt- und Landarmut, der sie das Ziel eines künftigen allgemeinen Umsturzes gab.«137

Das Urteil über den Revolutionär fiel umso besser aus, als er »nur dunkel ahnen [konnte], was Marx und Engels wußten, daß die am meisten ausgebeutete Klasse einst eine welthistorische Mission zu erfüllen haben würde«.138 Es sei deshalb kaum verwunderlich, dass Müntzer von der Reaktion gehasst und beschuldigt werde: »und es wäre anrüchig, würden die imperialistischen Historiker der Gegenwart anders handeln. Müntzer gehört dem Volke, den Erben alles Revolutionären, Fortschrittlichen, Progressiven in unserer Geschichte«.139 Das zu Beginn der 1950er Jahre ausgebildete Bild Müntzers als flammender Revolutionär galt nicht nur in der DDR-Historiographie.140 Anfang der 1960er Jahre ähnelte Müntzer in der Auffassung der ostdeutschen Historiker immer weniger Hus oder Želivský, sondern eher Žižka, dem Praktiker, dem erfahrenen Revolutionspolitiker, der weit von jeglichen, auch edel gedachten Utopien entfernt war. Zu den oft gebrauchten Phrasen der ostdeutschen Propaganda gehörte das Schlagwort »Verwirklichen wir die Ideen Thomas Müntzers«, wobei gewiss nicht seine religiösen Ideen gemeint waren.142 Trotz dieses hohen Lobes für ihren Anführer war die frühbürgerliche Revolution in Deutschland (wie auch in anderen Ländern) gescheitert. Die Antwort auf die Frage nach den Ursachen dieser Niederlage erinnerte an jene der tschechoslo-

135 Josef Foschepoth: Reformation, a. a. O., S. 90. 136 Ebd., S. 86. Vgl. Manfred Kobuch: Thomas Müntzers Weggang aus Allstedt. Zum Datierungsproblem eines Müntzerbriefs, in: ZfG 1960. 137 Ernst Werner: Messianische Bewegungen im Mittelalter, Teil 2, in: ZfG 1962, S. 615. 138 Ebd., S. 616. 139 Manfred Bensing: Thomas Müntzer, a. a. O., S. 1096. 140 In demselben Jahr (1952), in dem Albert Meusel: Thomas Müntzer und seine Zeit, veröffentlicht wurde (mit einer von Heinz Kamnitzer vorbereiteten Auswahl »zuvor unbekannter« Quellen), erschien auf Russisch und Deutsch M. M. Smirin: Die Volksreformation des Thomas Müntzer und der große Bauernkrieg, Berlin 1952. 141 Josef Foschepoth: Reformation, a. a. O., S. 110 f. 142 Ebd., S. 151.

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wakischen Marxisten bei ihrer Analyse der Niederlage des radikalen Hussitismus. Auch wenn die Revolution im Interesse der noch nicht existieren Bourgeoisie gewesen sei, habe die ihr am nächsten stehende Klasse, das Bürgertum, nicht nur die Bauernbewegung nicht unterstützt, sondern sei auch gegen sie aktiv geworden. Josef Foschepoth wies auf zwei Möglichkeiten hin, wie dieses Problem zu interpretieren sei: Man könne davon ausgehen, dass die Volksmassen objektiv im Interesse des Bürgertums gehandelt hätten, das sich in diesem historischen Moment der Konterrevolution angeschlossen, also gegen seine eigenen Interessen gehandelt habe, oder man könne das Bürgertum in einen bewusst oder unbewusst fortschrittlichen, zugunsten der Revolution agierenden Teil und einen reaktionären Teil untergliedern.143 Die ostdeutsche Historiographie verwendete beide Erklärungen, und beide ließen sich wie im Fall der Urteile über die hussitischen Radikalen auf eine einfache Feststellung reduzieren: Diese Revolution sei einige Jahrhunderte zu früh ausgebrochen. Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen den marxistischen Interpretationen des Großen Bauernkriegs und der Hussitenbewegung sind kein Zufall, sondern ergeben sich aus der Ähnlichkeit der Funktion, die sie im Schema der Geschichte zu erfüllen hatten. Im einen wie im anderen Fall handelte es sich um Traditionen, die bereits vor 1945 bzw. 1948/1949 existiert hatten. Die marxistische Historiographie interpretierte sie neu, musste sie aber nicht neu »erfinden« – über den Bauernkrieg hatte bereits Engels, über die Hussiten Palacký geschrieben. Die antifeudale Stoßrichtung der Häretikerbewegungen hatten die liberalen Historiker am Vorabend der Revolution von 1848 erkannt, aber auch die Konservativen, für die es Beispiele dafür waren, dass das gesellschaftliche Gleichgewicht gestört war und die im einfachen Volk schlummernden destruktiven Kräfte entfacht wurden. Ein mehr oder weniger vergleichbarer, in der nationalen Tradition der Ukraine und Polens verankerter Fall war der Chmelnyzkyj-Aufstand (der allerdings von der Sowjethistoriographie vor allem als Bewegung interpretiert wurde, deren Ziel es gewesen sei, die Ukraine an Russland anzugliedern).144 Die von den Breslauer Mediävisten unternommenen Versuche, die fortschrittliche Tradition der Hussiten zu »übernehmen« und sie an die Geschichte Polens anzupassen, war Folge der (begründeten oder unbegründeten) Überzeugung, es gebe keine analogen einheimischen Traditionen. Ewa Maleczyńskas Arbeiten bestätigten die These von der »Überlegenheit« der Geschichte Tschechiens über die der Nachbarn. Doch handelte es sich keineswegs um die einzige Möglichkeit, eigene antifeudale Revolutionen aufzuspüren. Man konnte auch versuchen, solche sozusagen aus dem Nichts zu schaffen. Das machten die slowakischen Historiker vor. 143 Ebd., S. 72. 144 Emilián Stavrovský: Rešenie otázky vz ahu dejín Ukrajiny k dejinám SSSR v Istorii URSR, zv. I., in: HČSAV 1955, S. 281 f.

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Im Universitätslehrbuch zur Geschichte der Tschechoslowakei nimmt die Beschreibung der mächtigsten antifeudalen Bewegung der Slowakei einen Ehrenplatz ein – der Bergarbeiteraufstand von Banská Bystrica in den Jahren 1525–1526 gegen die Bergwerksbesitzer Fugger und Thurz. Der Aufstand habe mit einem Streik der Bergarbeiter begonnen, denen man für ihre Arbeit real weniger gezahlt habe als zuvor. Der Ausbruch sei durch eine Auseinandersetzung um die von ihnen gegründete religiöse »Heilig-Geist-Bruderschaft« beschleunigt worden. Dann jedoch »verwandelte sich der Bergarbeiteraufstand von einem Kampf um alltägliche Lohnforderungen zu einem revolutionären Kampf mit dem nebulösen Ziel einer klassenlosen Gesellschaft«.145 Der Übergang von einem konfessionellen Streit und einer Lohnauseinandersetzung zu einer Revolution wurde auf verschiedene Weise erläutert. Die Bruderschaft habe radikale Reformationsforderungen rezipiert, u. a. von Thomas Müntzer, dessen Aufenthalt in Böhmen von den tschechoslowakischen Historikern sehr ernst genommen wurde und als Versuch galt, die taboritischen Postulate mit Leben zu erfüllen und eine weitere Revolution auszulösen.146 Der Aufstand sei auch Ausdruck einer Krise des Feudalismus gewesen, die in den slowakischen Ländern auf die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert gefallen sei.147 Die Lohnforderungen, auf die sich die Bergleute in Wahrheit beschränkt hatten, sollten nicht allzu wörtlich genommen werden, wie Peter Ratkoš schreibt: »es wäre ein Fehler, den Inhalt ihrer Aufrufe als endgültige Forderungen eines revolutionären Kampfes zu interpretieren. Die schriftlichen Aufrufe und Forderungen sind nur ihr gemäßigterer Reflex. Das eigentliche Programm dieses antifeudalen Kampfes wie auch den Bergarbeiteraufstand […] muss der Historiker auf der Grundlage bewaffneter Kämpfe und von Gerichtsakten rekonstruieren, er muss die Lohnfragen sowie auch die Lebenshaltungskosten, ideologischen Strömungen und politischen Ereignisse erkennen, um auf ihrer Grundlage die richtigen Schlüsse zu ziehen.«148

Das revolutionäre Programm der Aufständischen sei unter der Oberfläche wirtschaftlicher und religiöser Fragen verborgen und habe sich am besten in dem übergreifenden Gedanken ausgedrückt, dass man »alle Herren ausrotten muss«.149 Ein anderes interessantes Interpretationsproblem war die Nationalitätenfrage im Aufstand. In der ersten Hälfte der 1950er Jahre, als die slowakischen Historiker diesen Teil der heimischen Geschichte »entdeckten«, wurde oft die fortschritt-

145 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 311. 146 Ebd., S. 291. 147 udovít Holotík: K periodizácií slovenských dejín v období feudalizmu a kapitalizmu, in: HČSAV 1953, S. 54. 148 Peter Ratkoš: Povstanie, a. a. O., S. 11. 149 Ders.: Predohra baníckeho povstania v našich banských mestách v rokoch 1525/1526, in: HČSAV 1953, S. 353.

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liche, internationalistische Aussage des Aufstands hervorgehoben. Es lohnt sich hier, ein Zitat aus einem 1954 veröffentlichten Artikel Gustáv Hackenasts anzuführen, der bei dem Versuch, den Internationalismus der Bergleute hervorzuheben, wohl am weitesten ging: »Das heldenhafte Erbe des Aufstands der slowakischen und deutschen Bergleute von Banská Bystrica leitet würdig das ein Jahrhundert währende Ringen der ungarischen Bergleute um menschliche Arbeitsbedingungen, um Freiheit ein. Es erfüllt uns mit Stolz und regt uns zu noch leidenschaftlicherer Arbeit und noch heldenhafteren Haltungen an, die den Erben dieser Tradition würdig sind – den slowakischen und ungarischen Bergleuten, die mit Erfolg den Sozialismus aufbauen, die ungarische und slowakische Arbeiterklasse sowie das ungarische und tschechoslowakische Volk, die einander auf ewig durch brüderliche Bande verbunden sind.«150

Wenige Jahre später gingen die marxistischen Autoren nicht nur von dieser Konzeption ab, derzufolge die aufständischen Bergarbeiter des 16. Jahrhunderts ein Vorbild für die Bestarbeiter der 1950er Jahre sein sollten, sondern sie beseitigten auch alle Hinweise auf die Ungarn und stellten den Anteil von Deutschen am Aufstand auf den Prüfstand. In der 1963 veröffentlichten, für dieses Thema grundlegenden Arbeit von Peter Ratkoš Povstanie baníkov na Slovensku roku 1525–1526 [Der Bergarbeiteraufstand in der Slowakei 1525–1526] spielte die Nationalitätenfrage eine Hauptrolle. Der Autor stellte fest, dass die deutschen Bergleute wahrscheinlich geistig aufgeklärter gewesen seien, da durch ihre Vermittlung die Schlagworte des Großen Bauernkrieges in die Slowakei gelangt seien.151 Doch gleichzeitig fügte er an: »die Tatsache, dass die Aufrufe des Aufstandslagers der Bergleute auf Deutsch abgefasst waren, belegt überhaupt nicht, dass der Bergarbeiteraufstand lediglich eine Aktion des deutschen Bevölkerungsteils war«.152 Ratkoš ergänzte, dass der Gegner der Bergleute das deutsche Patriziat gewesen sei, aber auch die gemäßigte deutsche Reformation.153 Ohne größere Änderungen blieb hingegen die Behauptung, das politische Programm des Bergarbeiteraufstands sei eine Ausweitung der Forderungen des Großen Bauernkriegs sowie des Dózsa-Aufstands in Ungarn.154 Der Bergarbeiteraufstand von Banská Bystrica hatte faktisch zwar stattgefunden, doch niemand hatte ihm vor den 1950er Jahren Bedeutung zugemessen. Dieses Thema ist aufs Engste mit Peter Ratkoš verbunden, der in der slowakischen Mediävistik eine ähnliche Rolle spielen sollte wie Josef Macek im tschechischen

150 Gustáv Hackenast: Banskobystrické banícké povstanie (1525–1526), in: HČSAV 1954, S. 104. 151 Peter Ratkoš: Povstanie, a. a. O., S. 271. 152 Ebd., S. 10. 153 Ebd., S. 273. 154 udovít Holotík (Hg.): Dejiny Slovenska, a. a. O., S. 55.

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Landesteil.155 Anfangs hatte Ratkoš versucht, den Einfluss der tschechischen Hussiten auf die Slowakei in einem positiven Licht zu zeigen, was schwierig war, da sowohl die Schriftquellen wie auch die ältere slowakische und ungarische Historiographie die Hussitenzüge für brutale Raubzüge hielten. Der Bergarbeiteraufstand war weniger kontrovers und vor allem eine hausgemachte, slowakische Quelle fortschrittlicher Traditionen, selbst wenn Ratkoš, wie die slowakische Geschichtswissenschaft heute meint, seinen Aufstand nicht nur erheblich überschätzt, sondern auch den Verlauf der von ihm beschriebenen Vorfälle retuschiert hat.156 Die neu entdeckten fortschrittlichen Traditionen ließen sich nicht immer als Schlüssel und Quelle nationalen Stolzes in die Geschichte einfügen, wie dies Peter Ratkoš mit den Bergleuten des 16. Jahrhunderts getan hatte. Viel einfacher ist es, Beispiele antifeudaler Bewegungen aufzuzeigen, die trotz der Anstrengung einiger marxistischer Forscher marginal blieben und keine solche Anerkennung erfuhren wie die Hussitenbewegung oder der Große Bauernkrieg. Ein solches Beispiel waren die Räuber der Karpaten, die in der slowakischen Tradition vor allem mit dem auch außerhalb der Tschechoslowakei bekannten Juraj Jánošík in Verbindung gebracht wurden. Jánošík [poln.: Janosik] war als Symbol des Kampfes gegen Monarchie und Adel schon für die Ideologie des tschechoslowakischen Staates der Zwischenkriegszeit genutzt worden. Doch erst nach dem Krieg wurden die Räuber zu Helden – nicht nur in Geschichten für die unteren Schulklassen sowie in populärhistorischen Arbeiten, sondern auch in der tschechoslowakischen Historiographie.157 In seinen Jánošík gewidmeten Arbeiten Jánošíkovská tradícia na Slovensku [Die JánošíkTradition in der Slowakei] sowie Juraj Jánošík. Hrdina protifeudalního odboje slovenského lidu [Juraj Jánošík. Ein Held der antifeudalen Auflehnung des slowakischen Volkes] gab Andrej Melicherčík einen allgemeinen Überblick über die Räuberei. Seiner Meinung nach handelte es sich um eine erfolgreiche Form des Kampfes gegen den Feudalismus. Das Phänomen der Räuber sei nicht mit dem Charakter der Bergbevölkerung oder den natürlichen Lebensumständen zu erklären, wie die älteren Historiker vermutet hätten, sondern hänge mit den Klassenverhältnissen zusammen. Melicherčík erkannte zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen den polnischen, ukrainischen, slowakischen und ungarischen Räubern. Ihmzufolge waren die großen Bauernaufstände des 16. und 17. Jahrhunderts, die in der Regel kein politisches Programm gehabt und keine Unterstützung durch das Bürgertum erfahren hätten, zum Scheitern verurteilt gewesen. Im Unterschied zu ihnen sei das Räuberwesen eine erfolgreiche Methode gewesen, um dem

155 Anton Špiesz: K problematike, a. a. O., S. 683. 156 Ebd., S. 684. 157 Horst Gassl: Die slowakische Geschichtswissenschaft nach 1945, Wiesbaden 1971, S. 93.

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Klassenfeind zuzusetzen.158 Jánošík sei zudem im 19. Jahrhundert als Legende im slowakischen Landvolk präsent geblieben, während die Räuber mit dem wachsenden Gesellschaftsbewusstsein der Arbeiterklasse verschwunden seien.159 Die Erinnerung an die Räuberhauptmänner [poln. Harnasie] sei Melicherčik zufolge eine Art von Räuber-Messianismus gewesen, der sich am Beispiel des legendären ukrainischen Räubers Oleksa Dovbuš gut darstellen lasse: »Schließlich hatte das ukrainische Volk in der Vergangenheit fest daran geglaubt, dass ein neuer Dovbuš kommen würde. In diesem Glauben wurde es von der Legende bestärkt, dass Oleksa Dovbuš vor seinem Tod seine Flinte tief vergraben habe, die nun Jahr für Jahr der Erdoberfläche näher rücke, und wenn sie ganz zum Vorschein käme, käme ein neuer Dovbuš. Diese Hoffnung des ukrainischen Volkes, die sich im literarischen Schaffen mit dem Namen Oleksa Dovbuš verbindet, ist bereits eingetreten.«160

Das Góralenräuberwesen betraf zu einem großen Teil auch die Geschichte Polens, und die marxistische Historiographie Polens widmete ihm vergleichsweise viel Aufmerksamkeit. Die Autoren der »Entwürfe« des Universitätslehrbuches zur Geschichte Polens schrieben: »Die bedeutendsten Räuberhauptmänner […] umgab schon zu Lebzeiten der Nimbus von Volkslegenden. Die Góralenräuber spielten die Rolle eines Unruheherds, der den Spannungszustand des Klassenkampfes aufrechterhielt, zugleich aber waren sie eine Schule der Kriegskunst und der Partisanentaktik für die Bauernschaft.«161

Die Räuber-Geschichte kompensierte in gewissem Sinne das Fehlen einer einheimischen frühbürgerlichen Revolution, da es, wie Bohdan Baranowski klagte, »in den polnischen Gebieten keine so großen antifeudalen Bauernaufstände gab wie in einigen anderen Ländern Europas […]. Es fand hier kein so starkes und dramatisches Ringen statt wie zum Beispiel in Deutschland, England oder Russland.«162 Für die Mehrzahl der marxistischen Wissenschaftler Polens waren die Räuber jedoch ein viel heiklerer Bezugspunkt als für ihre slowakischen Kollegen. Die Verfasser der »Entwürfe« gaben zu bedenken, dass »ihr Wirken zwar bis zu einem gewissen Maße den Charakter eines Klassenkampfes gegen die sie unterdrückenden Feudalherren hatte, doch sehr oft nahm es ganz andere Formen an und beruhte auf ganz gewöhnlichem Raub nicht nur in den Adelsgütern, sondern auch in den Bauernhütten.«163 Zu Beginn der 1950er Jahre erschienen einige Arbeiten

158 Andrej Melicherčík: Juraj Jánošík. Hrdina protifeudálního odboje slovenského lidu, Praha 1956, S. 78. 159 Jozef Butvin: Slovenské národno-zjdenocovacie hnutie (1780–1848) (K otázke formovania novodobého slovenského buržoázneho národa), Bratislava 1965, S. 281. 160 Andrej Melicherčík: Juraj Jánošík, a. a. O., S. 41. 161 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia Polski. Makieta, Bd. 1, T. II, S. 530. 162 Bohdan Baranowski: Powstanie Kostki Napierskiego w 1651 r., Warszawa 1951, S. 8. 163 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia Polski. Makieta, Bd. 1, T. II, S. 362.

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(meist Quellensammlungen) über die Góralenräuber.164 Einige dieser Arbeiten schilderten sie auf fast märchenhafte Weise. Wie Baranowski schrieb: »Die Räuber jener Zeit zeichnete eine besondere Ethik aus. Überfallen und ausrauben konnte man nur Adelshöfe oder die Gehöfte der Dorfreichen, die wohlhabend geworden waren, indem sie anderen Leid zufügten. Doch ein Räuber, der etwas auf sich hielt, nahm den Armen nichts fort und verteilte sogar die beim Reichen geraubten Dinge unter ihnen.«165

Derartige Thesen dienten zwar einer »guten Sache«, stießen aber doch auf eine kritische Reaktion der Rezensenten der Fachzeitschriften. Janina Bieniarzówna kritisierte in der PH »die Idealisierung der Räuberbewegung, in der neben dem zweifellos vorhandenen Klassenstandpunkt Momente ganz gewöhnlichen Raubs nicht zu bestreiten sind«.166 Noch kritischer äußerte sich Juliusz Bardach über die Góralenräuber: »Das Räuberwesen darf nicht mit einem Aufstand gleichgesetzt werden. […] Stalin stellt fest, dass die Bauernaufstände in Russland […] der Reflex […] auf einen elementaren Aufstand der Bauernschaft gegen die feudale Unterdrückung waren. […] Bei den Räubern dieser Ausrichtung fehlte der Kampf gegen die Feudalherren oft.« Bardach machte auch auf »die Verrenkung der Klassenlinie im Räuberwesen« aufmerksam.167

Eine besondere Art des Räuberwesens habe sich in den ukrainischen Gebieten der Rzeczpospolita entwickelt. In dieser Gegend sei der Klassenkonflikt von einem religiösen und nationalen Konflikt überlagert worden. Er habe keinen so beschränkten Charakter gehabt wir die Betätigung der polnischen Góralenräuber. »Der Hajdamakenaufstand war eigentlich ein vieljähriger Aufstandskampf.«168 Er habe somit die von Stalin festgelegten Kriterien für Fortschrittlichkeit erfüllt. Mehr noch, das Wirken der rebellischen Kosaken, der so genannten Hajdamaken, habe sich positiv auf die Bauernschaft ausgewirkt. Eine führende Rolle bei dieser Volksbewegung hätten die Zaporoger Kosaken gespielt; ihr wichtigster Ausdruck sei der Chmelnyzkyj-Aufstand gewesen. Die Kosakenaufstände waren derjenige Teil der Geschichte der Rzeczpospolita, der nach 1945 am gründlichsten neuinterpretiert wurde. Bereits die Vertreter der Krakauer Schule hatten in ihren Analysen des Chmelnyzkyj-Aufstands den pol-

164 Vgl. Adam Przyboś (Hg.): Materiały do powstania Kostki Napierskiego, Wrocław 1951; W. Ochmański: Zbójnictwo góralskie. Z dziejów walki klasowej na wsi góralskiej, Kraków 1950. 165 Bohdan Baranowski: Powstanie, a. a. O., S. 56. 166 Janina Bieniarzówna: (Rez.) Adam Przyboś (Hg.): Materiały do powstania Kostki Napierskiego, Wrocław 1951, in: PH 1953, S. 217. 167 Juliusz Bardach: (Rez.) W. Ochmański: Zbójnictwo góralskie. Z dziejów walki klasowej na wsi góralskiej, Kraków 1950, in: PH 1952, S. 154 f. 168 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia Polski. Makieta, Bd. 1, T. II, S. 530.

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nischen Adel kritischer bewertet als die Aufständischen.169 Dennoch beherrschte das von Henryk Sienkiewicz geprägte Bild vom Krieg in der Ukraine die Vorstellungen über die Ereignisse. Das Problem musste ganz offensichtlich geklärt werden. Auch ein Leser der ND, Jan Micigolski, verspürte offenbar dieses Bedürfnis, da er in einem Brief an die Redaktion fragte: »Im Gymnasium habe ich über die so genannten Rebellion des Bohdan Chmelnyzkyi in der Ukraine gelernt. 1946 las ich H. Sienkiewiczs Mit Feuer und Schwert. Ich fühle, dass mein bisheriger Begriff von den Bauernaufständen in der Ukraine nicht richtig ist. Mein Aufenthalt in der Parteischule in Kielce 1949 und 1950 hat mir, was diese Angelegenheit angeht, nur wenig erläutert. Ich fahre oft durch die Woiwodschaft Kielce und sehe, dass diese Frage vielen Menschen nicht klar ist, vor allem denjenigen nicht, die die Schule vor dem Krieg besucht haben. Ich bitte somit darum, diese Frage in den ›Nowe Drogi‹ zu klären.«170

Die Erläuterungen der Redaktion sowie die Neuinterpretation des ChmelnyzkyjAufstands, die sich in den marxistischen Abhandlungen fand, stellten sowohl die Kosaken wie auch Chmelnyzkyj selbst sehr positiv dar. Der Aufstandsführer »verspürte das Unglück der Kosaken und die Leiden der ukrainischen Nation, zumal er selbst Opfer der Selbstherrlichkeit der polnischen Feudalherren und ihrer Lakaien gewesen war.«171 Der komplizierte Charakter des Aufstandes, in dem sich soziale, nationale und religiöse Motive verflochten, habe zu seiner sehr breiten gesellschaftlichen Basis geführt: »Unter Chmelnyzkyjs Banner sammelten sich nicht nur Bauern, sondern auch ukrainische Bürger und ebenfalls ein Teil des ukrainischen Adels sowie der orthodoxen Geistlichkeit; dadurch entstand ein gemeinsamer Block der gesellschaftlichen und nationalen Kräfte der Ukraine gegen die polnische Magnatenherrschaft.«172

Nikita Chruščëv, der auf dem II. Parteitag der PZPR im März 1954 zu Gast war, stellte in seiner Ansprache die kühne These vom erheblichen Anteil polnischer Bauern in den Reihen der Aufstandsarmee auf.173 Einige Wissenschaftler wiesen darauf hin, wie gefährlich es sei, die Rolle des Individuums, selbst eines so bedeutenden wie Chmelnyzkyj, auf Kosten der Bedeutung der Volksmassen zu überschätzen.

169 Vgl. Andrzej Stępnik: Historia a literatura. Kontrowersje wokół powstania Chmielnickiego na przełomie XIX i XX w., in: Barbara Jakubowska (Hg.): Historia poznanie i przekaz, Rzeszów 2000, S. 152–163. 170 Listy do redakcji, in: ND, Nr. 7/1952. 171 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. II, S. 557. 172 Ebd. 173 Przemówienie powitalne I Sekretarza KC KPZR towarzysza N. S. Chruszczowa, in: ND, Nr. 3/1954, S. 85.

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Der ukrainische Aufstand habe selbstlose Hilfe von Russland erhalten. Ganz andere Beweggründe hätten die übrigen Nachbarn der ukrainischen Gebiete geleitet. Über die Türkei als Chmelnyzkyjs Verbündeten wurde in den »Entwürfen« des UPHP in Anführungszeichen geschrieben. Ähnlich wurden die Tataren bewertet.174 Die Rzeczpospolita habe die Interessen der Magnaten vertreten, die das ukrainische Volk weiter hätten unterdrücken wollen. Aus diesem Grund seien alle späteren Versuche, die Konfliktparteien miteinander zu versöhnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen: »Der Vertrag von Hadjatsch, gleichbedeutend mit einem Bruch mit Russland, hatte unter den ukrainischen Volksmassen keinerlei Unterstützung […]. Besonders das ukrainische Volk wollte nicht unter das Joch der polnischen Magnaten zurückkehren.«175 Das bedeutete, derjenige Teil der Kosaken-Ältesten, der sich für eine Übereinkunft mit Polen ausgesprochen hatte, habe die eigene Nation verraten.176 Ganz anders wurde der Vertrag von Perejaslav beurteilt, der die Übernahme eines Teils der ukrainischen Gebiete durch Russland besiegelte. In der Sowjetukraine wurde sein 300. Jahrestag als Feiertag der »unverletzten« Einheit zweier Brudervölker begangen, wobei die ethnische und kulturelle Nähe von Ukrainern und Russen hervorgehoben wurde.177 In der Interpretation der marxistischen Historiographie Polens wurde die Tatsache, dass ein Teil der Ukraine dem russischen Staat angeschlossen worden war, als positiv für die ukrainische Eigenständigkeit eingeschätzt: »Innerhalb des russischen Staats fand die Ukraine die Möglichkeit einer viel freieren Entwicklung als unter den Bedingungen von Ausbeutung und Unterdrückung von Seiten der polnischen Magnaten. […] Also hatte der Vertrag von Perejaslav für die weitere Entwicklung der ukrainischen Identität eine große fortschrittliche Bedeutung.«178

Eine noch viel radikalere These stellten die Verfasser der »Entwürfe« auf, wo es heißt: »Seit langem tendierten die breiten ukrainischen Volksmassen nach Russland, mit dem sie die historische Tradition verband.« Ihrer Meinung nach habe in der Adelsrepublik »der ukrainischen Nationalität selbst unter diesen Bedingungen der Untergang gedroht, vor dem die einzige Rettung die Verbindung mit Russland war«.179 Dank der Verbindung mit dem Brudervolk »vermied die entstehende ukrainische Nation […] fremdes Joch und sicherte sich die Möglichkeit einer wirtschaftlichen wie kulturellen Entwicklung. Für die Zukunft erhielt sie in der rus-

174 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd 1, T. II, S. 561. 175 Ebd., S. 567. 176 Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 113. 177 Vgl. Ivan L. Rudnytsky: Essays in modern Ukrainian history, Cambridge/Mass. 1987, S. 124. 178 Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 112 f. 179 Ebd., S. 567.

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sischen Nation einen mächtigen Bündnispartner – im Kampf um die gesellschaftliche und nationale Befreiung.«180 Perejaslav habe zur Verbesserung des bäuerlichen Elends beigetragen. Zbigniew Wójcik beschrieb, wie aufgrund der Vertreibung der polnischen Landbesitzer »eine neue Methode des Landbesitzes geboren wurde – eine kollektive, gemeinschaftliche, die in hohem Maße zu einer teilweisen Beschränkung der Fronausbeutung beigetragen hat«.181 Nicht minder fortschrittlich als die glückliche Entwicklung der ukrainischen Nationalität sei die Stärkung des russischen Staates durch die Angliederung neuer Gebiete gewesen.182 Aus verständlichen Gründen seien Polen, das Krimkhanat oder auch die Türkei dem, wie Wójcik formulierte, »Werk von Perejaslav« wenig gewogen gewesen.183 »Die feudale Rzeczpospolita versuchte mit allen Kräften die Verbindung der Ukraine mit Russland zu zerreißen, die der räuberischen Politik der polnischen besitzenden Klassen Einhalt gebot.«184 Wie gut die Interessen Moskaus und der Ukraine zusammenpassten, wird in den vom ZK der KPdSU bestätigten Thesen in Zusammenhang mit dem 300. Jahrestag der Vereinigung der Ukraine mit Russland sehr klar ausgeführt: »Es ist das historische Verdienst Bohdan Chmelnyzkyjs, die uralten Sehnsüchte und Bestrebungen der ukrainischen Nation nach einem engen Bündnis mit der russischen Nation ausgedrückt und den Entstehungsprozess des ukrainischen Staates geleitet zu haben, dessen Aufgaben und Perspektiven er richtig verstand, er sah, dass die ukrainische Nation nicht ohne Vereinigung mit der großen russischen Nation existieren könne und strebte mit aller Kraft eine Vereinigung der Ukraine mit Russland an.«185

Der Chmelnyzkyj-Aufstand sowie die Angliederung eines Teils der Ukraine an Russland hätten sich auf Polen sehr positiv ausgewirkt. Alleine die Tatsache des territorialen Verlusts hätte die Stellung der Magnaten geschwächt.186 Außerdem hätte der Aufstand in der Ukraine die Entwicklung antifeudaler Bewegungen in polnischen Landen begünstigt: »indem die Hauptkräfte der feudalen Rzeczpospolita bei Beresteczko zusammengezogen wurden, wurde der Ausbruch des Aufstands polnischer Bauern in Podhale und Großpolen stark erleichtert«.187 Der Chmelnyzkyj-Aufstand habe zudem eine ganze Lawine von Aufständen ausgelöst: 180 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. II, S. 562. 181 Zbigniew Wójcik: Rywalizacja polsko-tatarska o Ukrainę na przełomie lat 1660–1661, in: PH 1954, S. 610. 182 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. II, S. 562. 183 Vgl. Zbigniew Wójcik: Rywalizacja polsko-tatarska, a. a. O., S. 609. 184 Zbigniew Wójcik: Feudalna Rzeczpospolita wobec umowy w Perejasławiu, in: KH 1954, S. 109. 185 Zit. nach Bohdan Baranowski: Narodowo – wyzwoleńcza walka ludu ukraińskiego w XVII wieku, in: ND 1954, S. 37. 186 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. II, S. 113. 187 Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 113.

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»das Aufbegehren der Hüttenarbeiter und Bergleute im Kostka Napierski-Aufstand, die Rückeroberung Warschaus 1656, die adelsfeindliche bürgerliche Bewegung in Lublin 1656 unter Führung von Wojciech Reklowski, deren Motto lautete: ›Bis hierher, meine Herren Adeligen, reichten eure Freiheiten‹, schließlich hie und da aufkommende positive Meinungen über die Vorkommnisse der englischen Revolution und die massenhafte Beteiligung des Bürgertums, vor allem des Kleinbürgertums und der Armut, im Kampf gegen die Schweden«.188

Obwohl der Chmelnyzkyj-Aufstand in den Arbeiten polnischer Marxisten einen wichtigen Platz einnahm, war er kein Teil der heimischen Geschichte, sondern Teil der fortschrittlichen Traditionen der Sowjetukraine. Aus verständlichen Gründen konnte er auch nicht »polonisiert« werden, wie dies Ewa Maleczyńska mit dem Hussitismus versuchte. Man konnte dagegen versuchen, andere Ereignisse in den polnischen Gebieten mit dem Kosakenaufstand in Verbindung zu bringen und nach polnischen Verbündeten zu fahnden. In den marxistischen Arbeiten wurde der (eigentlich unbedeutende) Kostka-Napierski-Aufstand sowohl durch Analogien mit der ukrainischen Bewegung wie auch durch deren Einfluss auf die polnischen Revolutionäre interpretiert. Dass Kostka Napierski gerade in der Region Podhale tätig war, sei damit zu erklären, dass die Lage der dortigen Bauern und der ukrainischen Landleute ähnlich gewesen sei.189 Zudem habe er enge Kontakte zu Chmelnyzkyj gehabt, aber auch – wie Władysław Czapliński meinte – zu dem siebenbürgischen Fürsten Georg II. Rákóczi, der 1657 die Rzeczpospolita angriff (Rákóczi habe als Gegner der reaktionären und katholischen Habsburger eine fortschrittliche Rolle gespielt).190 Józef Leszczyński stellte fest: »Kostka Napierski, dessen Zusammenarbeit mit Chmelnyzkyj heute nicht zu bezweifeln ist, wartete in Czorsztyn auf das Eintreffen von Truppen, die für ihn in Schlesien ausgehoben worden waren. Es scheint, als habe der wahrscheinlich von Agenten Chmelnyzkyjs organisierte großpolnische Aufstand in Schlesien eine gewisse Resonanz gefunden.«191

Die Autoren der »Entwürfe« wiederum schrieben über die Verschwörung der Warschauer Armut, »deren Teilnehmer sich beim Näherrücken von Chmelnyzkyjs Armee an der Vorbereitung eines Aufstands beteiligen sollten«.192 Angesichts so weitreichender Einflüsse des Aufstands in der Ukraine auf die polnischen Gebiete

188 Zofia Libiszowska: Ruchy plebejskie w Polsce w XVII w., in: Stanisław Herbst/Witold Kula/ Tadeusz Manteuffel: Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 83. 189 Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 103. 190 Vgl. Władysław Czapliński: Ruchy ludowe w roku 1651 (Wyniki badań, poprawki i uzupełnienia), in: PH 1953, S. 66. 191 Józef Leszczyński: Agenci Bohdana Chmielnickiego i Jerzego II Rakoczego na Morawach i na Śląsku, in: Sobótka 1955, S. 678. 192 Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. II, S. 563.

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war Czaplińskis Meinung nicht übertrieben, dass »der Boden damals fast in ganz Polen unter den Füßen des Adels bebte«.193 Die polnischen marxistischen Historiker nutzten das »Potential« Kostka Napierskis nur in geringem Maße als Element ihrer fortschrittlichen Traditionen. Hinderlich war u. a. das verschwindend geringe Wissen über diese Person: »Dieser Bauern- oder Bürgersohn spürte gewiss tief das Unrecht und das Leid, das seinen Mitbrüdern zugefügt wurde, und muss die brutalen Versuche, den ukrainischen Aufstand zu unterdrücken, mit unverhohlener Abneigung betrachtet haben«, spekulierte Bohdan Baranowski und gestand zugleich ein, dass man heute nicht genau wisse, ob Kostka Napierski geplant habe, den Aufstand auf das ganze Land auszudehnen und wie er sich konkret mit den ukrainischen Aufständischen verständigt habe.194 Die schwache Bauernbewegung, die von einer Person mit ungeklärter Herkunft und unsicherer Biographie angeführt wurde, hielt einem Vergleich mit den antifeudalen Aufständen in den Nachbarländern tatsächlich nicht stand. Die Tradition des Aufstands von 1651 sei dennoch die Grundlage für die folgende Entwicklung der bäuerlichen politischen Bewegungen gewesen, und sie war in den Augen der marxistischen Historiker ebenfalls eine der klar fortschrittlichen nationalen Traditionen der Polen.195 Juliusz Bardach zufolge »zeichnete sich im Bauernaufstand von 1651 deutlich eine gemeinsame Front der polnischen Bauern und des ukrainischen Volkes ab, das die fortschrittlichen Kräfte der sozialen und nationalen Befreiung repräsentierte und sich gegen die Hauptkraft der Reaktion wendete – die polnischen Feudalherren. […] Die ukrainischen Bauern waren die kämpferische Avantgarde der Bauernmassen der ganzen Rzeczpospolita, die ihrem Beispiel folgend, vielleicht auch in Verbindung mit ihnen den Kampf gegen feudale Unterdrückung und Ausbeutung antraten.«196

In der marxistischen Interpretation des Chmelnyzkyj-Aufstands frappiert der Versuch, die gegen die Rzeczpospolita gerichtete Bewegung als objektiv den polnischen Interessen entsprechend darzustellen. Um diese These wahrscheinlicher zu machen, musste man einen möglichst beträchtlichen Teil der polnischen Gesellschaft ausfindig machen, der diese Fortschrittlichkeit Chmelnyzkyjs richtig verstanden und gemeinsam mit den Kosaken versucht hatte, den Feudalismus in Polen zu stürzen. Die antifeudalen Bauernbewegungen, der Kostka NapierskiAufstand, Chmelnyzkyjs und Rákóczis Agenten sollten auf diese Weise die

193 Władysław Czapliński: Ruchy ludowe, a. a. O., S. 70. 194 Bohdan Baranowski: Powstanie chłopskie Kostki Napierskiego. Odczyt, Warszawa 1950, S. 27 f. 195 Vgl. Henryk Łowmiański (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 1, T. II, S. 565; Jan Baszkiewicz/Bogusław Leśnodorski: Materiały, a. a. O., S. 115. 196 Juliusz Bardach: W 300-ną rocznicę powstania chłopskiego pod wodzą Kostki-Napierskiego, in: ND, Nr. 3/1951, S. 109.

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Tatsache überdecken, dass der Chmelnyzkyj-Aufstand gegen Polen gerichtet war. Die slowakischen Historiker, die sich mit den antifeudalen Bewegungen im 17. Jahrhundert befassten, konnten sich nicht auf den Chmelnyzkyj-Aufstand als direkte Anregung der heimischen Revolutionäre berufen. In ihrem Fall gab es viel näher liegende, zugleich aber auch heiklere Bezüge zwischen den Klassenkämpfen in der Slowakei und den ungarischen, gegen die Habsburger gerichteten Aufständen von István Bocskay, Imre Thököly und Franz II. Rákóczi, aber auch die gegen Österreich gerichtete Beteiligung Siebenbürgens am Dreißigjährigen Krieg. Die Beziehung der slowakischen zur ungarischen Aufstandshistoriographie leitete sich von der Bewertung der Revolution von 1848 ab (von der noch die Rede sein wird). Sowohl im volkstümlichen Geschichtsbild Ungarns wie auch nach Meinung vieler ungarischer Marxisten hatten sich die Freiheitsbewegungen kettenförmig entwickelt und wurde von der Revolution der Jahre 1848/1849 gekrönt, die als Augenblick des größten Ruhms und des tiefsten Falls Ungarns zugleich interpretiert wurde. In den ersten Jahren nach Einführung der neuen Methodologie konnte es den Anschein haben, dass, Marx folgend, die slowakischen Historiker Bocskay, Thököly und Rákóczi rühmen würden. Im ersten Jahrgang der HČSAV schrieb udovít Holotík über das Bündnis zwischen dem ungarischen und dem slowakischen Volk, die gemeinsam gegen die fremde und einheimische Reaktion gekämpft hätten.197 Zwei Jahre später hieß es in den Thesen zur Geschichte der Slowakei, der Rákóczi-Aufstand habe zu Beginn den Charakter eines sozialen Kampfes der slowakischen und ukrainischen Landwirte gehabt. Erst später sei diese Basisbewegung für die Zwecke eines ständischen Aufstandes gegen die Habsburger ausgenutzt worden, wodurch dieser seinen klassenkämpferischen Charakter verloren habe.198 Nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands von 1956 wurde der Ton der tschechoslowakischen Historiographie schärfer. In den Entwürfen des Universitätshandbuches der Geschichte von 1958 machte man darauf aufmerksam, dass vor allem slowakische Zivilisten Opfer der Kämpfe zwischen Ungarn und den Habsburgern gewesen seien, dass die Aufstände einen adligen Charakter gehabt hatten und dass »man ihnen den Charakter nationaler Befreiungskämpfe nicht zuschreiben kann, wie dies die bürgerliche Geschichtsschreibung Ungarns getan hat. […] Die ständischen Aufstände […] sind aus der Perspektive des slowakischen Volkes als Kampf zweier herrschender Klassen um das Recht zu seiner Unterdrückung anzusehen.«199

197 udovít Holotík: Z výsledkov kongresu maarských historikov, in: HČSAV 1953, S. 317. 198 Ders. (Hg.): Dejiny, a. a. O., S. 68. 199 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 456–460.

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Außerdem hätten, wie Jozef Vlachovič bemerkte, die Ungarn in einem Bündnis mit der reaktionärsten Macht Europas gestanden, der Türkei.200 Das immer kritischere Urteil über die antihabsburgischen Aufstände musste schließlich auch eine neue Einschätzung der Habsburger zur Folge haben. Dies erkannte Vlachovič in seinem bereits zitierten Artikel von 1960, wo er schreibt, dass »die gute Bewertung des Bethlen-Aufstands durch ungarischen Historiker nicht akzeptabel ist. Revidiert werden muss auch ihre eindeutige Verurteilung der Habsburgermonarchie in diesem Zeitraum.«201 Ein Jahr später kritisierten die Herausgeber der HČSAV die Teilnehmer an der Stockholmer CISH-Konferenz für die Idealisierung der siebenbürgischen Politik und die Dämonisierung der Habsburger.202 Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang das Urteil über die Herrschaft von Kaiser Joseph II., der »viel wollte, doch nur wenig davon verwirklichen konnte«. Die slowakischen Ko-Autoren des Přehled československých dějin [Überblick über die tschechoslowakische Geschichte] sprachen sich nicht nur sehr positiv über ihn aus, sondern stellten explizit fest, dass die fortschrittlichen Pläne des Kaisers vom reaktionären ungarischen Adel torpediert worden seien.203 Wenn man davon abstrahiert, ob diese Einschätzung richtig war oder nicht, ist nur schwer zu verkennen, dass sie dem Kaiser einer reaktionären Großmacht zumindest fortschrittliche Absichten unterstellte. Alle oben beschriebenen Phänomene spielten in der Geschichte der einzelnen Länder mit geringerem oder größerem Erfolg die Rolle »frühbürgerlicher Revolutionen«. Ich habe bereits Erhebungen erwähnt, die nur indirekt die Nationalgeschichten betrafen (der Chmelnyzkyj-Aufstand oder die Kämpfe der Ungarn gegen die Habsburger). Wenn man zur Kenntnis nimmt, dass sie in der Auslegung der Nationalgeschichte und im Katalog der fortschrittlichen Traditionen einen ähnlichen Platz einnahmen, so ist zu untersuchen, welche Unterschiede es zwischen ihnen gab. Man könnte davon ausgehen, dass die deutsche Reformation und der Große Bauernkrieg dem Begriff »frühbürgerliche Revolution« am besten entsprechen. So hatte sie schon Friedrich Engels genannt.204 Dennoch zeigt die Lektüre der marxistischen Studien, dass nicht die Geschichte Deutschlands zur Bezugsebene für die fortschrittlichen Traditionen anderer Länder wurde. Die Reformation und insbesondere Martin Luther wurden lange höchst kritisch gesehen. Die Begeisterung, mit der Thomas Müntzer beschrieben wurde, konnte nicht verbergen, dass

200 Jozef Vlachovič: Stredoslovenské banské mestá a protihabsburské povstania v prvej tretine 17. stor. (Prispevok k problematike dejín pätnás ročnej a tridsa ročnej vojny na Slovensku), in: HČSAV 1960, S. 526. 201 Ebd., S. 556. 202 XI. Medzinárodný Kongres Historikov v Štokholme, in: HČSAV 1961, S. 528–534. 203 Josef Macek/Franstišek Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 593. 204 Vgl. Josef Foschepoth: Reformation, a. a. O., S. 33.

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man die Chancen der Bauernaufstände gering bewertete. Als die am besten beurteilte, am wenigsten umstrittene und »modernste« frühbürgerliche Revolution stellte sich die revolutionäre Hussitenbewegung heraus. Den tschechischen Marxisten gelang die schwierige Aufgabe, eine durch und durch religiöse Bewegung als mächtige soziale und antiklerikale Revolution darzustellen. Dieser »Erfolg« war umso größer, als diese Bewertung der Hussitenbewegung auch von ausländischen Marxisten übernommen wurde, die umfangreiche Untersuchungen über das Echo des Hussitismus anstellten und manchmal sogar versuchten, ihre eigenen Rechte auf ihn zu belegen. Im Vergleich zum Hussitismus kamen teilweise fortschrittliche Bewegungen wie der Heidenaufstand, der Kostka-Napierski-Aufstand oder die Góralenräuber in der polnischen Historiographie schlechter weg: Entweder fehlte es ihnen an ideologischen Grundlagen oder an mit der Hussitenbewegung vergleichbaren Ausmaßen. Eigentlich wurde nur der Bergarbeiteraufstand von Banská Bystrica, auch wenn er höchstwahrscheinlich zu einem großen Teil eine Erfindung von Peter Ratkoš war, ähnlich gesehen – als unumstrittene, fortschrittliche, nationale und internationalistische Revolutionsbewegung, wenn auch von viel geringerem Ausmaß. Dieser »Erfolg« des Hussitismus rührte vor allem daher, dass die marxistische Historiographie Tschechiens in hohem Maße das nationalliberale Geschichtsbild übernahm und ihm marxistisches Vokabular sowie Analogien zur neuesten Geschichte hinzufügte. Die Hussiten hatten schon bei Palacký eine Sonderrolle gespielt, und die Historiker, die in den 1950er Jahren ihre Geschichte beschrieben, machten zwangsläufig häufiger beim »Vater der Nation« Anlehnungen als bei Marx oder Engels.205 Weder die polnischen noch die deutschen Wissenschaftler konnten sich auf eine so naheliegende und gesellschaftlich akzeptierte Interpretation der Nationalgeschichte berufen. Die Unterschiede in der Beschreibung der einzelnen frühbürgerlichen Revolutionen verdeutlichen die Rolle, die die einheimische historische Tradition in den marxistischen Historiographien spielte. Denn in diesem Punkt (wie auch in vielen anderen) verstellten die Ähnlichkeiten, die sich aus einer gemeinsamen Methodologie und ähnlichen politischen Verwicklungen ergaben, nicht den Blick auf die Differenzen, die sich aus unterschiedlichen Erkenntnissen der Geschichtsschreibung der ostmitteleuropäischen Länder ergaben. Es war die relative Schwäche der historiographischen Tradition in der Slowakei, die das Entstehen neuer Interpretationen erleichterte, die sich hervorragend für die aktuellen Bedürfnisse des marxistischen Geschichtsbildes eigneten. Im slowakischen Fall wurde nicht nur der Bergarbeiteraufstand in den Katalog der »fortschrittlichen Traditionen« aufge-

205 Vgl. Maciej Górny: Między Marksem, a. a. O., passim.

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nommen, sondern auch Jánošík, den die polnischen Historiker allerdings nicht als relevantes wissenschaftliches Thema ansahen. Die Interpretation von Aufständen, Revolten und Revolutionen liefert auch besonders farbige Beispiele für eine Interaktion zwischen den einzelnen marxistischen Historiographien. Alle Volksbewegungen wurden wie ein System angesehen, in welches sich der revolutionäre élan »ergießt«. Bisweilen zog die »Aufwertung« der einheimischen »fortschrittlichen Tradition« die Abwertung der Traditionen der Nachbarn mit sich. Deshalb wurde die Geschichte der Slowaken in den Augen der slowakischen Historiker umso fortschrittlicher, je weniger fortschrittlich sich die Geschichte Ungarns darstellte. Die von den tschechischen Historikern hervorgehobenen Kontakte Müntzers zum Prager Volk sollten ebenfalls etwas vom Glanz des größten deutschen Revolutionärs vor Marx »abzwacken«. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Funktionsweise dieses Systems sind die Arbeiten Ewa Maleczyńskas, deren hohe Einschätzung des polnischen Hussitismus eine kritische Relativierung des Hussitismus in Böhmen erzwang. Unantastbar blieben lediglich die fortschrittlichen Traditionen der Völker der Sowjetunion, sodass man in polnischen, tschechoslowakischen oder ostdeutschen marxistischen Studien vergeblich nach Versuchen sucht, ihren Bestand zu dezimieren. Die evidenten Interaktionen zwischen den einzelnen marxistischen Historiographien belegen auch, dass man sich, wenn man ihre Leistungen genauer erforschen will, nicht nur darauf beschränken kann, die Sowjethistoriographie mit einer anderen Historiographie und die Historiographie einer ausgewählten Volksdemokratie mit der einer anderen zu vergleichen. Dieses Modell basiert auf methodologischen Grundannahmen, allgemeinen Behauptungen und nicht allzu vielen historischen Analogien. Dagegen liefert ein erweitertes Verständnis der ostmitteleuropäischen (aber auch der südosteuropäischen) Geschichte eine unerschöpfliche Menge an konkretem Vergleichsmaterial. Wie gezeigt werden konnte, wurde die böhmische Hussitenbewegung zum Modell für die Beschreibung einer frühbürgerlichen Revolution; die interpretatorischen Ideen der ostdeutschen Historiker wurden von ihren polnischen Kollegen kritisch analysiert; die slowakischen Historiker wiederum nahmen fortwährend an einem Meinungsaustausch mit ihren ungarischen Kollegen teil. Bei dem Versuch, bestimmte Ausdrucksformen seiner eigenen Geschichte auf neue, marxistische Weise zu beschreiben, bediente man sich am Erfahrungsschatz der Nachbarn, las man ihre Arbeiten und ging höchstwahrscheinlich davon aus, dass viele dieser Ausdrucksformen enge Analogien in der Region hatten. Die marxistischen Historiker erkannten diese Analogien wohl deutlicher als die Forscher heute. Im Übrigen veranlasste die schematische marxistische Sichtweise die Historiker zur Suche nach Analogien: Da sich die historischen Entwicklungsgesetze überall und unter allen Bedingungen wiederholen sollten, mussten die Thesen von nationaler Eigenart,

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Unübersetzbarkeit und Außergewöhnlichkeit einer besonderen Art von Komparatistik Platz machen.

Zwischen Französischer Revolution und russischer Armee Die Französische Revolution nimmt nicht nur im marxistischen Geschichtsschema einen besonderen Platz ein. Sie bildet den Interpretationsrahmen für jede andere Revolution. Angefangen bei dem Vokabular (um nur an solche »Jakobiner« wie Ignác Martinovics oder Hugo Kołłątaj zu erinnern oder auch an die verschiedenen Robespierres und Saint-Justs der missglückten mitteleuropäischen Revolten) über die Einteilung der politischen Bühne in links und rechts bis hin zu solch nützlichen Begriffen wie »Revolutionsterror«, »Konterrevolution« oder »Reaktion«. In der Rangliste nahm diese Revolution den Spitzenplatz ein, sie war die »Mutter aller bürgerlichen Revolutionen« und in einem gewissen Sinn auch die Mutter der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Die Französische Revolution sollte auf dem böhmischen und slowakischen Land für Unruhe sorgen.206 Die Bauern erwarteten die Befreiung von der Leibeigenschaft, weshalb sie nach Meinung von Jan Novotný ihre Hoffnung auch mit Napoleon verbanden, »von dem sie zu Unrecht die Fortsetzung der Revolution erwarteten«.207 Für die Autoren eines marxistischen Geschichtslehrbuches (Josef Kočí) bewirkten die profranzösischen Sympathien der tschechischen Bauernschaft »eine Verschärfung des Klassenkampfes«.208 Wie gewohnt fasste Zdeněk Nejedlý dies literarisch: »Es genügte die Nachricht, dass sich die französische Armee der böhmischen Grenze näherte, und schon begehrten unsere Bauern auf […] und waren bereit, sich mit der revolutionären französischen Armee als ihrer Befreierin zu vereinen.«209 Ähnlich lebhafte Reaktionen rief die Französische Revolution in Deutschland hervor. 1790 brach ein Bauernaufstand in Sachsen aus. Er war zwar eine Folge von sozialem Druck und einer Missernte, doch der direkte Funke sprang aus Frankreich über.210 Der Aufstand konnte keinen Erfolg haben, da es nicht gelang, ein Bündnis zwischen Bauern und Bürgertum herbeizuführen. Der Autor einer Dissertation über diese Frage erwähnte nur am Rande, dass bei den Kämpfen auf Seiten der Aufständischen lediglich rund 500 Menschen teilgenommen hätten. Eine bessere Erklärung für seinen Misserfolg

206 Josef Kočí: Naše národní obrození, Praha 1960, S. 121. 207 Jan Novotný: Příspěvek k otázce úlohy některých lidových buditelů v počátcích českého národního obrození, ČSČH 1954, S. 627. 208 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 639. 209 Zdeněk Nejedlý: O smyslu, a. a. O., S. 226. 210 Percy Stulz: Der sächsische Bauernaufstand 1790, in: ZfG 1953, S. 20–38.

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hätte es kaum geben können.211 In der ersten Hälfte der 1950er Jahre kamen zu Percy Schulz’ bahnbrechenden Arbeiten weitere Studien über die Unruhen auf dem deutschen Lande zu Beginn der 1790er Jahre hinzu.212 Die deutschen Historiker machten auch auf das positive Echo aufmerksam, das die Revolution in literarischen und wissenschaftlichen Kreisen hatte. Joachim Streisand, der Verfasser eines einschlägigen akademischen Handbuches zur Geschichte Deutschlands, hob hervor, dass die deutschen Bildungsbürger ähnlich wie das niedere Volk eine unterdrückte Schicht gewesen seien. Um überleben zu können, mussten sie der evangelischen Kirche dienen oder »den vielen Fürstenhöfen ihres Vaterlandes […] Glanz geben«, doch im Grunde seien ihnen die Schlagworte der Französischen Revolution nahe gewesen.213 »Weil in der Begeisterung für die Französische Revolution die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft des deutschen Volkes und aller anderen Völker zum Ausdruck kamen, gehört sie zu den freiheitlichen und fortschrittlichen Traditionen unserer Nation.«214 Die Revolution habe auch der bedeutendste Deutsche bewundert, Goethe, auch wenn er »die plebejischen Methoden der Weiterführung und Sicherung der Revolution […] ab[lehnte], so sehr er sie auch als notwendige Antwort auf die Willkürherrschaft des Adels begriff«.215 Ähnlicher Meinung seien Hegel, Lessing, Kant, Schiller und sogar die deutsche Klassik als Ganzes gewesen.216 Dagegen hätten die Romantiker (die Brüder Schlegel, Tieck, Novalis, Schelling und Schleiermacher) nach anfänglicher Begeisterung für die Revolution einen kritischen Standpunkt gegenüber dem gesellschaftlichen Fortschritt eingenommen und die Überbleibsel des Feudalismus unterstützt.217 Obwohl die Reaktionen des Volkes auf die Kunde aus Frankreich den marxistischen Historikern zufolge in den verschiedenen Ländern Ostmitteleuropas ähnlich waren, besaß nur Deutschland eine »Schwesterrepublik« in Mainz, die faktisch französisch besetzt war. Dieses ephemere Staatswesen wurde als die »erste demokratische Republik auf deutschem Boden« beschrieben und positiv beurteilt.

211 Percy Stulz: Der sächsische Bauernaufstand 1790 (II), in: ZfG 1953, S. 404 f. 212 Vgl. Heinz Kamnitzer: Disposition des Hochschullehrbuches der Geschichte des deutschen Volkes (1789–1815), in: ZfG 1954, S. 258–260, auch: Joachim Streisand: Aus dem Entwurf zum Lehrbuch der Geschichte Deutschlands (1789–1805), in: ZfG 1956, S. 66; Joachim Streisand behauptet, die Tatsache, dass an vielen Stellen in Deutschland Bauernaufstände ausgebrochen seien, belege das Vorhandensein ähnlicher Klassengegensätze wie in Frankreich. – Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815 (Von der Französischen Revolution bis zu den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongreß), Berlin 1959, S. 12–14. 213 Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815, a. a. O., S. 12–14. 214 Ebd., S. 20. 215 Ders.: Aus dem Entwurf zum Lehrbuch der Geschichte Deutschlands (1789–1805), in: ZfG 1956, S. 67. 216 Ders.: Deutschland von 1789 bis 1815, a. a. O., S. 100–108. 217 Ebd., S. 109.

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Man hielt es anscheinend für besonders wichtig, seine Bodenständigkeit und relative Unabhängigkeit von den französischen Behörden zu belegen. Streisand beschrieb ausführlich die Initiativen des Mainzer Bürgertums, das schon in der Mitte der achtziger Jahre revolutionäre Propaganda [sic! M. G.] verbreitet habe. 218 Personen wie Andreas Joseph Hofmann, ein Professor für Philosophie und Geschichte, Schriftsteller und Bibliothekar, oder der Naturkundler Georg Forster, jedoch auch andere, namentlich nicht genannte deutsche Jakobiner seien radikaler als die französischen Besatzungstruppen in Mainz gewesen.219 Es wurde auch betont, dass zwar die rheinischen Bauern den Franzosen für die Aufhebung des Feudalismus dankbar gewesen seien, dies aber nicht bedeutet habe, dass sie sich als Franzosen fühlten: »Die Liebe des Volkes zu seiner Heimat war so stark, daß weder politische und militärische Drohungen noch materielle Lockungen imstande waren, den deutschen Charakter dieser Gebiete auszulöschen.«220 Ihren deutschen Patriotismus hätten die rheinischen Bauern mehr als zehn Jahre später belegt, als die Deutschen den Kampf gegen das napoleonische Frankreich aufnahmen.221 Genau darum ging es: Da sich Frankreich in so kurzer Zeit von einer fortschrittlichen zu einer reaktionären Macht entwickelt habe, gegen die die deutschen Bauern kämpften, galt es einen Augenblick des Wandels auszumachen, einen Punkt, der diesen Umschwung kennzeichnete. Es stellte sich jedoch als schwierig heraus, einen solchen Punkt aufzuzeigen. Unter den deutschen Historikern gab es Anhänger von zwei Optionen. Die erste, vorgeschlagen von Heinrich Scheel, sah in Frankreich nur bis zu jenem Moment ein fortschrittliches Element, in dem die innere Konterrevolution nieder- und die ausländischen Interventionen zurückgeschlagen waren, also zwischen 1794 und 1795. Die meisten Teilnehmer einer internationalen Diskussion (unter Beteiligung polnischer und tschechoslowakischer Wissenschaftler), die das IfG DAW im November 1956 veranstaltete, neigten hingegen der These zu, dass Frankreich bis zu jenem Augenblick fortschrittlich war, als es das reaktionäre Österreich bei Austerlitz und Preußen bei Jena und Auerstedt schlug. Polnische Historiker (wie Stefan Kieniewicz) waren für diese Debatte keinesfalls unbedeutend, da sie sich dafür aussprachen, die Gründung des Herzogtums Warschau positiv zu bewerten.222 Diesen Feststellungen entsprechend wurde das Datum in einem akademischen Handbuch auf

218 Ebd., S. 36. 219 Ebd. 220 Ebd, S. 72. 221 Joachim Streisand: Aus dem Entwurf zum Lehrbuch der Geschichte Deutschlands (1789–1805), in: ZfG 1956, S. 108. 222 Arbeitstagung des Instituts für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in: ZfG 1957, S. 364.

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das Jahr 1807 gelegt, als die französische Bourgeoisie die dominierende Position in Europa eingenommen habe und es in Deutschland zu ersten Anzeichen von Widerstand gekommen sei.223 Einige Jahre später änderte Heinrich Scheel seine Meinung grundlegend und war nun der Ansicht, die Franzosen hätten das Aufkommen des Kapitalismus beschleunigt, weshalb ihre fortschrittliche Rolle diesbezüglich auch 1807 nicht endete, wie Streisand argumentiert habe.224 Damit griff Scheel in einen anderen Streit ein, den Alfred Meusel und Ernst Engelberg ausgelöst hatten und der im »Sonntag« ausgefochten wurde, der DDR-Wochenzeitung für Kultur. Meusel war voll und ganz mit den polnischen Historikern einverstanden, während Engelberg rhetorisch fragte, ob Napoleon als Wohltäter des deutschen Volkes anzusehen sei. Wie auch im Falle anderer Auseinandersetzungen zwischen den beiden Wissenschaftlern endete dieser Streit mit recht brutaler gegenseitiger Schelte in Form von Briefen an das ZK der SED.225 Die Bewertung der Fortschrittlichkeit Frankreichs war auch für die polnischen Historiker ein Problem. Wie in der DDR kam es auch hier zu Konfrontationen bei der Einschätzung der Französischen Revolution und einheimischer fortschrittlicher Traditionen, insbesondere des Kościuszko-Aufstandes. Eine große Errungenschaften des Aufstandes sei es gewesen, so die Interpretation, der ersten bürgerlichen Revolution zu Hilfe zu kommen, indem die Interventionstruppen abgelenkt wurden. Darum war man, trotz aller Auseinandersetzungen über den Grad von Fortschrittlichkeit der gesamten Bewegung und ihrer einzelnen Anführer, der Meinung, dass sie für ganz Europa eine eindeutig positive Rolle gespielt habe.226 Auf die Verbindung beider Revolutionen hatten schon die Klassiker des Marxismus hingewiesen: »Wenn sie von der Maiverfassung [also der Verfassung vom 3. Mai 1791, M. G.] sprechen, betonen Marx und Engels die (bei allen adligen Beschränkungen bestehende) objektive Fortschrittlichkeit dieser Vorfälle, da sie zur Umwandlung der Feudalgesellschaft in eine bürgerliche Gesellschaft geführt und die elementaren Interessen einer lebensfähigen Nation verteidigt haben. Mit ganzer Kraft und Konsequenz verdeutlichen sie die revolutionäre, internationale Rolle der damaligen polnischen Bewegungen. Sie waren ein Arm der Französischen Revolution im Osten Europas.«227

Während jedoch Kościuszko Frankreich half, so ließ sich das von den Führern der Französischen Revolution nicht sagen, die alle Aufforderungen zur Hilfe für Polen ignorierten. An der Bewertung dieser Tatsache schieden sich die Geister der polnischen Marxisten. Stanisław Herbst, der Autor des entsprechenden Kapitels

223 Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815, a. a. O., S. 132. 224 Heinrich Scheel: Zur Problematik des deutschen Befreiungskrieges 1813, in: ZfG 1963, S. 1281. 225 Mario Keßler: Exilerfahrung, a. a. O., S. 87 f. 226 Vgl. Henryk Jabłoński: Międzynarodowe znaczenie, a. a. O., S. 21. 227 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia Polski. Makieta, Bd. 2, a. a. O., S. 371.

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für das akademische »Modell«-Lehrbuch, ist der Meinung, dass der Wohlfahrtsausschuss »ungenügenden Scharfsinn gezeigt hat und nicht verstand, dass sich das Schicksal der Revolution teilweise an der Weichsel entscheidet, dass Hilfe für die Aufständischen nicht nur die Polen feindlich gegenüberstehenden feudal-absolutistischen Staaten schwächen würden, sondern auch von Bedeutung für die Festigung der jakobinischen Diktatur sein würde«.228

Viel strenger bewertete Witold Łukasiewicz die französische Politik. Seiner Interpretation zufolge seien die polnischen Emigrationspolitiker der verlogenen Propaganda der »Matadoren der Gironde« erlegen: »Die Polen wussten nicht, dass diese ganze lärmende Dekret-Propaganda der Konvention, diese donnernden Appelle an geknebelte Völker und die Parolen von der revolutionären Waffenbrüderschaft, dass all das im Grunde nur eine geschickt durchdachte politische Taktik war, die darauf abzielte, die antifranzösische Koalition zu erschrecken, dass die Worte, mit denen die Völker zum Kampf gegen Tyrannen und Könige aufgerufen wurden, von den Rednerpulten des Parlaments anders klangen als in den abgeschiedenen Ministerbüros des allgewaltigen Wohlfahrtsausschusses […]. Die Polen wussten nicht, dass man sich in einem Augenblick, in dem Kościuszko in Paris im Außenministerium erschien, darauf vorbereitete, die zweite Teilung Polens anzuerkennen und dies mit einem perfiden Plan zur Befriedung der europäischen Verhältnisse verband.«229

Nach einer so dramatischen Beschreibung merkte Łukasiewicz an, dass er generell eine positive Beziehung zur Französischen Revolution habe, man aber anerkennen müsse, »dass hier Hilfe für den Aufstand nicht nur deshalb abgelehnt wurde, weil ihn der Adel anführte, sondern in hohem Maße auch deshalb, um sich nicht mit der polnischen Insurrektion zu verbinden und damit die Friedensverhandlungen mit Preußen leichter beenden zu können, wodurch die Frankreich umgebende Koalition zu durchbrechen war«.230

Das Argument, das Łukasiewicz energisch bestritt, verwendete Celina Bobińska in der zwei Jahre nach seinem Buch veröffentlichten Arbeit Marks i Engels a sprawy polskie do osiemdziesiątych lat XIX wieku [Titel der dt. Ausgabe: Marx und Engels über polnische Probleme]. Die Verfasserin vertrat die Ansicht, dass die positive Bewertung der Insurrektion und der Verfassung vom 3. Mai durch die Klassiker in erheblichem Maße vorbestimmt war. Zur nicht gewährten französischen Hilfe stellte sie fest, dass die Jakobiner eine »unversöhnliche Klassenlinie und revolutionäre Wachsamkeit gegenüber dem Aufstand [an den Tag legten], 228 Ebd., S. 347. 229 Witold Łukaszewicz: Targowica i powstanie kościuszkowskie. Ze studiów nad historią Polski XVIII wieku, Warszawa 1952, S. 174. 230 Ebd., S. 195.

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einem Aufstand, der seinem Wesen nach Klassencharakter trug und gegenüber dem Feudalismus in seiner Politik kompromisshaft war«.231 Mehr noch – ihrer Meinung nach war die »Anschwärzung der Jakobiner« und die Anschuldigung, sie hätten aus Berechnung gehandelt, typisch für die polnische bürgerliche Geschichtsschreibung mit nationalistischen Tendenzen. Offensichtlich war die Einstellung der marxistischen Historiker zur ersten bürgerlichen Revolution generell zwar positiv, doch auf unterschiedliche Weise begrenzt. Sowohl im deutschen wie auch im polnischen Fall kollidierte die Französische Revolution mehr oder weniger deutlich mit der Nationalgeschichte und wurde schon deshalb relativiert. Doch Zweifel an der positiven Rolle der Revolution rührten nicht nur von der positiven Bewertung Kościuszkos oder der deutschen »Befreiungskriege« her, sondern auch daher, dass sich unter jenen Mächten, die das revolutionäre und später dann napoleonische Frankreich unterdrücken wollten, auch Russland befand. Dem bereits zitierten Zdeněk Nejedlý gelang es, zwei sich ansonsten gegenüberstehende fortschrittliche Elemente miteinander zu verbinden, die das tschechische Volk begeistert aufgenommen habe. Die Bauern hätten damals nämlich nicht nur mit Ungeduld darauf gewartet, dass die Französische Revolution auch in ihrem Land ausbricht, sondern auch die slawische Idee »verstanden« und die russischen Truppen unter Suvorovs Führung mit offenen Armen empfangen. »Und mit dieser ihrer innigen Freundschaft zu den neuentdeckten slawischen Brüdern ließ es [das Volk] bei uns ein neues, slawisches Bewusstsein entstehen, das später bei unserer nationalen Wiedergeburt eine so wichtige Rolle spielen sollte.«232 Nejedlýs Idee, die Anwesenheit der Russen in Mähren 1799 mit der nationalen Wiedergeburt zu verbinden, wurde von anderen marxistischen Historikern in unterschiedlichem Maße aufgegriffen. Josef Kočí war der Ansicht, die Russen hätten eine große Stärkung der slawischen Ideologie bewirkt, die zu Beginn der Wiedergeburt wichtig gewesen sei, sie hätten den Tschechen also indirekt geholfen. Außerdem »haben die tschechischen Menschen mit eigenen Augen die positiven Charakterzüge kennengelernt, die für die russischen Soldaten typisch waren, ihre Bescheidenheit […], Sicherheit, Herzlichkeit, Freigebigkeit und ihre Opferbereitschaft. Gefallen fanden ihre herzliche Beziehung zu den Kindern, ihr Mut und ihre Kraft. Mit Freude lauschten sie ihren Gesängen.«233

In diesem Geiste äußerte sich überaus entschieden Čestmír Amort in einer Artikelreihe, die auch in Buchform erschien (Ruská vojska u nás 1798–1800 [Die

231 Celina Bobińska: Marks i Engels, a. a. O., S. 41. 232 Ebd. 233 Josef Kočí: Naše národní, a. a. O., S. 125.

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russische Armee bei uns 1798–1800], Praha 1954). Er behauptete, dass die Durchmärsche der Russen für die nationale Wiedergeburt unabdinglich gewesen seien, dass sie die Nation von den Toten haben auferstehen lassen. Derselbe Autor sprach auch positiv über die Anwesenheit der Russen in der Slowakei, wohin sie sich von Austerlitz aus zurückgezogen hätten. Er hob nicht nur die moralischen Vorzüge der einfachen Soldaten hervor, sondern auch das Genie und die väterliche Güte ihres Anführers Michail Kutusov: »Die zeitgenössischen Dokumente – sowohl die bekannten wie auch neu entdeckte – spiegeln Kutusovs Persönlichkeit treu wider, die Persönlichkeit eines herausragenden Militärführers, der nicht nur ein hervorragender Stratege und strenger Vorgesetzter war, sondern auch ein fürsorglicher Vater all seiner Soldaten. Er war gerecht; wenn sich einer seiner Untergebenen etwas hatte zuschulden kommen lassen, zog er gegenüber jedem die Konsequenzen, selbst wenn dieser ›blaues Blut‹ in den Adern hatte. Er kümmerte sich nicht nur um seine Soldaten, um ihre Ernährung, ihr Quartier, ihre Kleidung usw., sondern auch darum, dass die Zivilbevölkerung während des Durchmarschs nicht leiden musste. Viele Befehle, Anweisungen und Briefe zeigen seine Charakterzüge.«234

Amorts Arbeiten wurden in Fachzeitschriften scharf kritisiert, in der ČSČH zunächst von Milan Švankmajer, dann von Jan Novotný, und in der HČSAV von Zdeňek Konečný. Švankmajer warf ihm vor allem starke Übertreibung vor. Nicht die Anwesenheit der Russen, sondern die Entwicklung des Kapitalismus sei wichtigster Antrieb der Wiedergeburt gewesen. Daher auch Švankmajers schärfste Beschuldigung: Amorts Ansichten seien nicht marxistisch, sondern geradezu antimarxistisch.235 Novotný warf Amort dagegen eine unkritische Behandlung der Quellen vor. Er machte darauf aufmerksam, dass er aus städtischen Umfeldern stammende Dokumente zur Illustration der Lage auf dem mährischen Land benutze. Zugleich aber gab er ihm hinsichtlich der Bewertung jener Mitglieder der Nationalbewegung recht, die die Russen als Werkzeug der weltweiten Reaktion gesehen hätten. Sie hätten sich geirrt, da sie den Einfluss der Russen auf die Entwicklung des tschechischen nationalen Lebens nicht gewürdigt hätten.236 Konečný beschränkte sich auf die Feststellung, dass Amorts Buch erschreckend wenig solide sei, und zeigte Stellen auf, an denen er an den Tatsachen vorbeigeschrieben habe.237

234 Čestmír Amort: Michail Kutuzov na Slovensku v rokoch 1805–1806, in: Jozef Hrozienčik (Hg.): Z dejín československo-slovanských vz ahov, Bratislava 1959, S. 437. 235 Milan Švankmajer (Rez.): Čestmír Amort, Ruská vojska u nás v letech 1798–1800, Praha 1954, in: ČSČH 1953. 236 Jan Novotný, Nová práce o bratrských stycích československého a ruského lidu v našem národním obrození, in: ČSČH 1954. 237 Zdeněk Konečný (Rez.): Čestmír Amort, Ruská vojska u nás 1798–1800, Praha 1954, in: HČSAV 1955, S. 245.

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Die Diskussion über Amorts zweifelhafte Thesen hielt auch während einer Konferenz über die Rolle der UdSSR für die Befreiung und Entwicklung von Tschechen und Slowaken seit dem Ende des 18. Jahrhunderts [sic!] noch an. Jaroslav Vávra unternahm den Versuch, die Französische Revolution und Alexander Suvorov durch eine detaillierte Differenzierung miteinander in Einklang zu bringen: Russland und Österreich seien reaktionär gewesen, als sie versuchten, das revolutionäre Frankreich zu zerstören, und Napoleon angriffen, doch fortschrittlich, als sie sich gegen die Franzosen verteidigten. Später, als Napoleons Niederlagen einsetzten, seien beide Mächte wiederum reaktionär geworden.238 Vávra bewertete Russland am Ende des 18. Jahrhunderts als europäischen Gendarmen und Unterdrücker aller fortschrittlichen Ideen. Zugleich aber bestätigte er Amorts Thesen nicht, nach denen die Tschechen angesichts der Notwendigkeit, die über den Winter in Quartier liegende russische Armee zu unterhalten, besonders erfreut gewesen seien. Mehr noch, ihm zufolge stieß die reaktionäre Rolle Russlands die tschechischen nationalen Erwecker nicht nur vor den Kopf, sondern ließ sie befürchten, dass die Ideen der Französischen Revolution in ihrem Vaterland nicht übernommen werden würden. Es gebe keine Materialien, mit denen man die Behauptung belegen könne, dass die österreichischen Behörden die Russlandfreundschaft in dieser Zeit auf irgendeine Weise bekämpft hätten.239 Ähnlich äußerte sich auf der erwähnten Konferenz Milan Švankmajer. Auch er kritisierte Amorts Arbeit und bestritt, dass die 1798/99 entstandene Russlandfreundschaft beim Volk ein wesentlicher Bestandteil der gegenwärtigen Beziehung von Tschechen und Slowaken zur UdSSR sei. Dieses Gefühl, stellte Švankmajer fest, habe heute viel stärkere Grundlagen. Er verwarf ebenfalls Vávras Behauptung, dass der Dekabristenaufstand im tschechischen Volk ein positives Echo gefunden habe.240 In der Diskussion gerieten Amort und Švankmajer direkt aneinander. Amort stellte fest, dass die russischen Soldaten, selbst wenn ihre Ziele extrem reaktionär gewesen seien, objektiv gesehen eine positive Rolle gespielt und einen »progressiven« Einfluss auf das tschechische Volk gehabt hätten. Švankmajer warf ihm Idealisierung und Vereinfachung vor. Zur Festlegung eines gemeinsamen Standpunkts kam es nicht. Indirekt nahm auch der Redakteur des Konferenzbandes, Jaroslav Vávra, an der Diskussion teil, der in einer redaktionellen Notiz klar darlegte, dass er und nicht Švankmajer in der Frage des Widerhalls des Dekabristenaufstandes recht habe.241

238 Jaroslav Vávra: Česko-ruské vztahy v první etapě národního obrození (1775–1830), in: Jaroslav Vávra (Hg.): Z bojů za svobodu a socialismus. Úloha SSSR v osvobozeneckých bojích a budovatelském úsilí českého a slovenského lidu, Praha 1961, S. 42. 239 Ebd., S. 43–45. 240 Milan Švankmajer: K některým otázkám studia česko-ruských vztahů v době obrozenské, ebd., S. 113. 241 Z diskuse, ebd., S. 128–131.

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Es hat den Anschein, als sei Amorts These vom prinzipiellen Einfluss der Russen auf die nationale Wiedergeburt in der slowakischen Historiographie übernommen worden. In einem 1964 posthum veröffentlichten Band mit Arbeiten von Karol Goláň kann man lesen, dass das Gefühl der Zugehörigkeit zur slawischen Welt, das für die slowakische nationale Wiedergeburt von entscheidender Bedeutung war, eben im Jahre 1805 entstanden sei, als Kutusov mit der russischen Armee, der stärksten der Welt, durch die Slowakei zog.242 Abseits des historiographischen Mainstreams nahm sich Mojmír Švabenský der Frage des Aufenthalts der Russen in Mähren an. 1950 veröffentlichte er in der ČMM einen Artikel, in dem er feststellte, dass man auf Grundlage der von ihm untersuchten Dokumente nicht von einem Einfluss der russischen Truppen auf das Nationalbewusstsein des mährischen Volkes sprechen könne.243 Als einziger der hier genannten Historiker beschäftigte er sich mit den Versorgungsschwierigkeiten der Russen.244 Wahrscheinlich spielte Švabenský wegen der Sachlichkeit, mit der er seinen Forschungsgegenstand anging, in den historischen Diskussionen der 1950er Jahre keine Rolle. Während der Aufenthalt der Russen in Mähren und der Slowakei selbst aus Sicht Čestmír Amorts nur mittelbar Einfluss auf die tschechische und slowakische nationale Wiedergeburt gehabt habe, habe der Anteil Russlands am Krieg gegen Napoleon in Deutschland eine Schlüsselrolle gespielt. Die Russen hätten sowohl am Feldzug von 1806/1807 teilgenommen, der zur vernichtenden Niederlage Preußens führte, als auch am Feldzug von 1813, bei dem die Franzosen aus allen deutschen Staaten verdrängt worden seien. Russland habe nicht zuletzt preußischen Patrioten Schutz geboten, die Pläne zur Befreiung des Vaterlandes von der französischen Herrschaft ausarbeiteten. Preußens Niederlage habe den Anstoß für politische und militärische Reformen gegeben, die sich mit den Namen Heinrich Friedrich Karl Freiherr von und zum Stein, General August Neithardt Gneisenau, General Gerhard Johann von Scharnhorst, General Karl von Grolman und General Hermann von Boyen verbanden. Die Reformen seien zwar von oben erfolgt, wurden aber positiv bewertet, da sie den Anfang einer neuen, kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung darstellten. Die wichtigste Rolle dabei habe das Bürgertum gespielt, da sich der Adel durch die Niederlage im Krieg gegen Frankreich kompromittiert habe.245 Stein selbst stammte zwar aus dem reichen Adel, vertrat aber so sehr die fortschrittliche Ideologie, dass er zu Beginn der 1950er Jahre zu einer der Hauptfiguren der marxistischen Interpretation der Geschichte Deutschlands wurde. 242 Karol Goláň: Štúrovské pokolenie (Výber z diela), bearb. v. František Bokes, Bratislava 1964, S. 370. 243 Mojmír Švabenský: Ruské vojsko na Moravě r. 1798–1800, in: ČMM 1950, S. 237. 244 Ebd., S. 222. 245 Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815, a. a. O., S. 143.

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Bedeutsam war hierbei, dass er als königlicher Minister zum Rücktritt gezwungen worden war und sich daraufhin nach Russland begeben hatte, um als Berater von Zar Alexander deutsche Interessen zu vertreten. Alexander Abusch verglich Steins Tätigkeit mit der des kommunistischen Nationalkomitees Freies Deutschland in Moskau.246 Heinz Kamnitzer schrieb mit Emphase über das Wirken Steins und anderer Patrioten: »Wie schwer hatten es doch diese Männer! Wieviel besser ist es um uns heute bestellt! Die deutschen Patrioten von 1812/13 mußten sich auf die spontane Erhebung des Volkes stützen. Ihr offizieller Bundesgenosse war das zaristische Rußland, das zwar damals der Sammelpunkt des Widerstandes gegen den französischen Eroberer war, aber doch gleichzeitig dynastische Ziele verfolgte. Heute weiß jeder deutsche Patriot, daß das Volk seine Parteien und Organisationen besitzt und in einem Teil unserer Heimat seine Regierung die Befreiung des ganzen Vaterlandes auf ihre Fahnen geschrieben hat. Ihre starke und zuverlässige Rückendeckung ist das sozialistische Rußland, das heute das Bollwerk des Widerstandes gegen die amerikanischen Eroberer ist und das Ziel verfolgt, die Einheit und Unabhängigkeit jeder Nation zu unterstützen, damit der Friede gesichert werde.«247

Indes habe das Volk in deutschen Landen die französische Besetzung schmerzlich zu spüren bekommen, zugleich aber sei es von patriotischer Propaganda erreicht worden. Der erste antifranzösische Aufstand sei in Tirol ausgebrochen, doch die Bauernbewegung habe keinen Kontakt zum Bürgertum gehabt, und die regierenden Klassen Österreichs hätten die Tiroler verraten, indem sie sich mit Napoleon verständigten. Diese Ereignisse hätten Österreich deutlich von Deutschland entfernt.248 Eine weitere Welle von Volksaufständen habe Deutschland im Jahre 1813 durchzogen, als deutsche Patrioten gemeinsam mit der russischen Armee ins Vaterland zurückgekehrt seien.249 Die Russen seien als Befreier begrüßt worden, umso mehr, als sie von einer deutschen Legion begleitet worden seien.250 Die Art und Weise, wie das russische Volk Napoleon besiegt habe, sei Vorbild für die Deutschen gewesen.251 Das Heldentum der russischen Soldaten und Offiziere (aber auch der deutschen Patrioten) kontrastierte jedoch mit dem vorsichtigen, reservierten Vorgehen des preußischen Hofes, der sich vor einem wirklichen Volksaufstand gefürchtet habe. Nach der Schlacht bei Leipzig, als die »volksnahen« russischen und deutschen Offiziere die Fortsetzung der Offensive über die Elbe hinüber 246 Alexander Abusch: Der Irrweg, a. a. O., S. 67. 247 Heinz Kamnitzer: Stein und das »Deutsche Comité« in Rußland 1812/13, in: ZfG 1953, S. 92. 248 Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815, a. a. O., S. 170–173. 249 Gerhard Loh: Königsberg im Jahre 1813. Untersuchungen zum Falle Gröben-Pleusen, in: ZfG 1957, S. 117. 250 Heinz Kamnitzer: Stein und das »Deutsche Comité« in Rußland 1812/13, in: ZfG 1953, S. 51. 251 Ders.: Disposition des Hochschullehrbuches der Geschichte des deutschen Volkes (1789–1815), in: ZfG 1954, S. 279. Vgl. auch: Alexej L. Naročnickij: Völker und Regierungen zu Beginn des Befreiungskrieges 1813, in: ZfG 1964, S. 60.

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gefordert hätten, hielten »reaktionäre Kreise« in Preußen den siegreichen Vormarsch der Koalition auf.252 Überhaupt realisierte in der Einschätzung der ostdeutschen Marxisten die zaristische Armee die Interessen Deutschlands viel besser als die preußischen Regierungskreise. Wie bei den früheren Durchmärschen durch Mähren und die Slowakei hätten die Russen auch in Deutschland außergewöhnliche Güte, Internationalismus und Disziplin bewiesen: »Sie waren von dem Geist des Volkskrieges durchdrungen, der zur Zerschlagung der napoleonischen Armee geführt hatte. Sie hatten die opfermutige Unterstützung durch das ganze Volk kennengelernt. Obwohl die russische Armee 1812–1813 nach wie vor ihren feudalistischen Klassencharakter behielt, kann man sie angesichts der allseitigen Beeinflussung durch den Volkskrieg doch nicht schlechtweg als blindes Werkzeug des Zarismus betrachten.«253

Sie hätte sich durch ihre hohe Moral ausgezeichnet, und selbst die ihr ablehnend gegenüberstehenden und kleinkrämerischen preußischen Regierungsstellen hätten keinen Grund gehabt, sich während des Durchmarschs der verbündeten Armee zu beklagen.254 Die Rolle, welche die russischen Soldaten in der Auffassung der marxistischen Historiker aus der DDR und der Tschechoslowakei spielen sollten, blieb bis 1989 unverändert und selbstverständlich. Viel weniger stabil war dagegen das positive Bild der deutschen Reformatoren in den überwiegend zum Jubiläumsjahr 1953 erschienenen Arbeiten. Die Parteirichtlinien für Historiker, die zwei Jahre später unter dem Titel Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik veröffentlicht wurden, wiesen unter anderem auf die Notwendigkeit hin, die Rolle der Massen während der »Befreiungskriege« herauszustellen.255 In einem akademischen Lehrbuch zur Geschichte Deutschlands hieß es, dass die Anführer der nationalen Befreiungsbewegung dem bürgerlich-liberalen politischen Programm verbunden geblieben seien und ganz einfach Angst gehabt hätten, dass sich ein Aufstand gegen Frankreich in eine soziale Revolution verwandeln könnte. Joachim Streisand erinnerte sogar daran, dass bei dem von Gneisenau geplanten Aufstand besondere Mittel vorgesehen gewesen seien, um »hitzige Worte« zu verhindern, die zum Kampf gegen den Adel hätten aufwiegeln können.256 Während des nächsten Jubiläums im Jahre 1963 wurden die Veröffentlichungen von vor zehn Jahren kritisch bewertet. Es

252 Heinrich Gemkow: (Rez.) Gerhard Thiele: Die Völkerschlacht bei Leipzig, in: ZfG 1953, S. 867. 253 Fritz Staube: Russische Armee und deutsches Volk im Frühjahr 1813, in: ZfG 1962, S. 1139. 254 Ebd., S. 1129. 255 Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik, in: ZfG 1955, S. 511. 256 Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815, a. a. O., S. 194 f.

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hieß nun, dass die Rolle der Reformatoren hier stark übertrieben worden sei und man die Bestrebungen und Errungenschaften des deutschen Volkes nicht erkannt habe.257 Heinrich Scheel sprach sich sogar dafür aus, auch solche Volksbewegungen in den nationalen Befreiungskampf aufzunehmen, die sich überhaupt nicht gegen die Franzosen gestellt hätten. Seiner Meinung nach hätten zumindest die ländlichen Unruhen in Sachsen und Schlesien eine fortschrittliche und patriotische Bedeutung gehabt, da die Bauern die Frondienste verweigert hätten, nachdem die Nachricht von der Niederlage Preußens zu ihnen vorgedrungen sei. Der Autor war sich dabei des Paradoxes bewusst, dass diese Bauern den Franzosen gegenüber überaus wohlwollend eingestellt waren.258 Die Bedeutung des napoleonischen Frankreich und der russischen Armee für die polnische Geschichte lässt sich nicht analog auf die Situation in der DDR oder der Tschechoslowakei übertragen. Selbst in den frühen 1950er Jahren war es in Polen nicht denkbar, über die Menschenliebe Suvorovs, des »Henkers von Praga«, und seiner Untergebenen zu schreiben. Weder eine polnisch-russische Waffenbrüderschaft noch ein positiver Einfluss der Russen auf die polnische Nationalkultur ließen sich belegen – auch nicht ihre Unterstützung für die radikalen sozialen Bewegungen, da diese am Kościuszko-Aufstand gegen Russland teilnahmen. Es kam demnach zu keiner Überprüfung dieses Motivs, und Arbeiten wie jene von Čestmír Amort entstanden in Polen nicht. Dagegen kam es zu einer kritischen Umwertung der Rolle Napoleons, der Bedeutung der Legionen und auch des Herzogtums Warschau in der Geschichte Polens. Bonaparte gehörte zu denjenigen historischen Gestalten, die im Laufe der Zeit in den Augen der marxistischen Wissenschaftler an Fortschrittlichkeit verloren. Der junge General im Dienste des revolutionären Frankreichs, der die Armee mit Erfolg gegen eine der Teilungsmächte Polens führende Italiener, war eine sehr positiv eingeschätzte Person. Napoleon, der erste Konsul, und später vor allem Kaiser Napoleon I., wurde bereits als reaktionärer Herrscher betrachtet. Reaktionär war für die Marxisten auch die napoleonische Legende, vor allem jener Teil, der Polen betraf: die Legende von Napoleon als »Vater der Polen« oder »Erwecker des Vaterlandes«.259 »Sie weckte die Überzeugung«, bemerkte Adam Korta, »dass Polen die Unabhängigkeit aus den Händen fremder Staaten erlangen könnte, von Staaten, deren prinzipielle Eigenschaft ihr räuberischer Charakter war […]. Diese Staaten wurden später zu

257 Heinrich Scheel: Zur Problematik des deutschen Befreiungskrieges 1813, in: ZfG 1963, S. 1287. Eine ähnliche Feststellung findet sich in einem für den CISH-Kongress in Stockholm vorbereiteten Band: Ernst Engelberg/Rolf Rudolph: Zur Geschichtswissenschaft der DDR, in: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte, Berlin 1960, S. 8. 258 Heinrich Scheel: Zur Problematik des deutschen Befreiungskrieges 1813, in: ZfG 1963, S. 1284. 259 Vgl. Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 140.

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entwickelten kapitalistischen und imperialistischen Staaten. Ihr räuberischer Charakter, ihre Gier, die Tatsache, dass sie alles dem Interesse der Großkapitalisten unterordneten, wurden immer sichtbarer. […] Die napoleonische Legende […] ist von der polnischen Bourgeoisie […] zur Verbreitung und Vertiefung antisowjetischer Stimmungen in unserer Bevölkerung genutzt worden.«260

Hauptschuldiger dieser Manipulationen sei Józef Piłsudski gewesen, der alles getan habe, um »den Hass, welchen in der polnischen Bevölkerung die Zarenherrschaft geweckt hatte, auf die Sowjetunion zu übertragen«.261 Nicht nur Napoleon selbst konnte demnach sowohl Fortschritt als auch Reaktion repräsentieren, auch seine Untergebenen, besonders die in französischen Diensten stehenden polnischen Truppen sowie die Armee des Herzogtums Warschau, verfolgten verschiedene Ziele. Einige orientierten sich an der Idee eines gerechten Krieges, andere Ziele waren zweifellos falsch. Allein die Tatsache, dass die Hingabe und der Mut der polnischen Soldaten ohne Rücksicht auf den Charakter des geführten Krieges vergleichbar waren, bewog manche Wissenschaftler zu harscher Kritik. Adam Korta stellte fest, dass in der napoleonischen Zeit »die Romantik der prächtigen Kavallerieattacken oder der heldenhaften Bajonettangriffe entsteht, mit wehenden Fahnen unter Trommelwirbeln, die gewissermaßen gezielt die Gedanken an Sinn und Zweck des Kampfes übertönen, daran, ob das für Polen wirklich nützlich ist«. Gewisse positive Werte erkannten die Marxisten in der demokratischen Ordnung der Legionen. Während der Konferenz in Otwock erinnerte Władysław Bortnowski daran, dass die polnischen Truppen nicht nur demokratisch gewesen seien, sondern in vielerlei Hinsicht auch radikaler und jakobinischer als die Franzosen selbst. Ähnlich positive Merkmale habe es auch in der Armee des Herzogtums Warschau gegeben, »selbst wenn sie den Eroberungszielen von Napoleons Politik und des bourgeoisen Frankreichs diente«. Da die soziale Zusammensetzung der meisten Einheiten überwiegend bäuerlich war, sei die ideologische und erzieherische Rolle der Legionen umso wichtiger gewesen.262 Der radikalen Linken in der Emigration sei der Kontrast zwischen der gelegentlich reaktionären Rolle, die die Legionäre zu spielen hatten, und dem bodenständigen Charakter dieser Armee »ins Auge gestochen«. Dieser bodenständige Charakter habe bei Weitem überwogen, weshalb »viele […] polnische Radikale in die Legionen eintraten, um sich in einer Reihe mit dem Bauern-

260 Ebd., S. 141. 261 Ebd., S. 132 f. 262 Vgl. Władysław Bortnowski: Armia narodowa jako czynnik kształtowania się polskiego narodu burżuazyjnego. Wpływ środowiska rosyjskiego na kształtowanie się patriotyzmu polskiego, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza Konferencja, a. a. O., Bd. 2, S. 186 f.

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soldaten für Polen zu schlagen«.263 Unter dem Einfluss der Zusammenarbeit von radikalen und bäuerlichen Soldaten seien in den Legionen Verschwörungen »gegen die Diktatur Bonapartes« entstanden.264 Die Tatsache, dass in der polnischen Armee hauptsächlich Bauern dienten, sei folgenreich gewesen, da sie später zu den »›Aufwieglern‹ der Dörfer, zu ihren Anführern im Klassenkampf« geworden seien.265 Zugleich aber wurde den Legionen, wie bereits erwähnt, bisweilen eine wenig rühmliche Rolle zugewiesen. Schon der Anfang ihrer Existenz als Gendarmerieeinheiten, die sozusagen Napoleons unsicheren italienischen Verbündeten überwachen sollten, wurde zwiespältig gesehen.266 Besonders abscheulich und folgenschwer sei die Beteiligung der Polen an der Niederschlagung des Aufstandes auf San Domingo gewesen. Wie die Verfasser des »Entwurfs« der Geschichte Polens meinten, lag der Grund dafür, die Polen in die Karibik zu senden, in den unter den Soldaten an Boden gewinnenden republikanischen Verschwörungen. Einen besonders bitteren Beigeschmack habe die Tatsache gehabt, dass »den Kämpfern für Polens Freiheit befohlen wurde, die nach Freiheit begehrenden Neger niederzuschlagen«. Die Soldaten hätten an dieser Expedition nicht teilnehmen wollen: »Der polnische Bauer kämpfte, von seiner Herkunft her Bauer, ungerne in diesem Krieg, und sein Herz war auf der Seite der Negerbauern.«267 Das Geflecht positiver und negativer Aspekte der polnischen Legionen war so verwoben, dass ihre letztendliche Bewertung nicht eindeutig ausfiel: Auf der einen Seite »bewahrten sie […] im Verborgenen die Glut des demokratischen Gedankens«, auf der anderen aber »trugen sie […] dazu bei, dass in Polen Hoffnungen auf fremde Hilfe bestehen blieben, dass die für Polen schädliche antinapoleonische Legende entstand«.268 Diese Legende wiederum sei vom polnischen Exil in London während des Zweiten Weltkriegs verwendet worden: »Die Kämpfe um Tobruk beschworen Analogien zu Napoleons Ägyptenfeldzug herauf. Die Kämpfe in Italien erinnerten an die genannten Kämpfe der Legionen. Es kam dazu, dass reaktionäre Gruppen versuchten, [Władysław] Anders zu einem neuen Henryk Dąbrowski oder Karol Kniaziewicz zu küren.«269

263 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 457 f. Ähnlich stellte diese Frage Stefan Kieniewicz dar, der dem Republikanismus der Legionen Fortschrittlichkeit zubilligte, zugleich aber bemerkte: »Vergessen wir etwas ganz Einfaches nicht, dass die Legionen auf italienischem Boden der französischen Eroberungspolitik dienten, dass in ihren Kreisen die für Polen schädliche napoleonische Legende keimte.« Stefan Kieniewicz: Z postępowych tradycji polskich ruchów narodowo-wyzwoleńczych, in: KH 1953, S. 187. 264 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 462. 265 Ebd., S. 513. 266 Ebd., S. 457. 267 Ebd., S. 464. 268 Ebd. 269 Adam Korta: O postępowych tradycjach i antynarodowych mitach, Warszawa 1955, S. 132 f.

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Der Militärdienst an der Seite der Franzosen und im französischen Interesse habe die Gefahr des Söldnertums mit sich gebracht. In erster Linie habe dies die höheren Offiziere betroffen: »Karrieristen wie die Generäle Sokolnicki oder Rożniecki […] waren für eine Beförderung bereit, sich Frankreich anzudienen, und sei es auf Kosten des polnischen Soldaten.«270 Das Herzogtum Warschau, das sich »trotz seiner nationalen Fassade […] unter fremder Herrschaft befand«, habe seine Einheiten auf den abenteuerlichen Feldzug Napoleons gegen Russland geschickt. »Gelockt durch die Vorspiegelung, die Unabhängigkeit wiederzuerlangen, starben sie in einem ungerechten Eroberungskrieg gegen das russische Volk.«271 Die Beteiligung der polnischen Armeen an den napoleonischen Kriegen habe aber auch positive Folgen gehabt. 1806 sei bei der Kunde vom Herannahen der Franzosen im preußischen Teilungsgebiet »der reichere Landadel passiv geblieben; die Bauern aber, vor allem das Vorwerksgesinde, trat den Preußen gerne entgegen. […] Im Kreis Łęczyca verhaftete die Dorfgemeinschaft selbstherrlich den deutschen Grundbesitzer als Feind der Franzosen.«272 Große Bedeutung habe die Beteiligung der Polen an der Belagerung Danzigs gehabt: »Die Armee war sich bewusst, dass sie urpolnische Gebiete wiedererlangt, die bei der Ersten Teilung verlorengegangen waren. Dies stieß auch auf das Wohlwollen der Kaschuben. Die ärmere Bevölkerung Danzigs hielt Verbindung zu den die Stadt belagernden Polen, gab ihnen heimlich Hinweise und leistete Hilfe.«273

Auch auf einem anderen »urpolnischen« Territorium, in Schlesien, hätten die Einheimischen die Soldaten des Herzogtums freudig begrüßt.274 Eine positive Bedeutung habe auch der Verteidigungskrieg gegen Österreich von 1809 mit seinem Charakter eines nationalen Befreiungskrieges gehabt. Besonders interessant war, wie das taktische Vorgehen des polnischen Oberbefehlshabers, Fürst Józef Poniatowski, interpretiert wurde. Als er gleich nach der Schlacht bei Raszyn Waffen an die Warschauer verteilen ließ, habe er zaghaft versucht, den Widerstand der unteren Volksschichten anzustacheln. Nach dem Rückzug der polnischen Truppen aus Warschau und ihrem Übertritt nach Galizien, in den Rücken der österreichischen Armee, sei Erzherzog Ferdinand dazu gezwungen gewesen, Gespräche mit Poniatowski aufzunehmen – aus Angst vor einem »möglichen Widerstand der für ihre revolutionären Traditionen bekannten Stadt«. Zugleich sei dieses Vorgehen durch Poniatowskis Furcht vor einem weitreichenden Volksaufstand verursacht worden. Als er die Stadt den Österreichern übergab, habe sich Poniatowski

270 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 462. 271 Ebd., S. 553. 272 Ebd., S. 473. 273 Ebd., S. 477. 274 Ebd., S. 527.

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»in politischer Hinsicht vom Druck der revolutionären Hauptstadt befreit und die Jakobiner daran gehindert, das Warschauer Volk zu agitieren. Dieses Volk nahm die Kunde von der Kapitulation mit Empörung auf, und die Warschauer Marktfrauen bewarfen den die Stadt verlassenden Heerführer mit Schlamm.«275

Mit anderen Worten: Poniatowski habe den Österreichern Warschau aus Angst vor einem revolutionären Aufbegehren der Volksmassen übergeben, und die Österreicher hätten aus Angst vor dieser revolutionären Bewegung Verhandlungen mit den Polen aufgenommen. Wenn man den Zugang der untersuchten Historiographien zur Französischen Revolution, zu Napoleon und seinen russischen Gegnern vergleicht, wird ein interessantes methodisches Problem deutlich: Wie können allgemein anerkannte fortschrittliche Traditionen auf die eigene Nationalgeschichte bezogen werden? In den stalinistischen Versionen der marxistischen Geschichtsschreibung waren die Französische Revolution und in noch größerem Maße die russische Armee Träger des geschichtlichen Fortschritts. Die ostmitteleuropäischen Wissenschaftler bemühten sich nach Kräften zu belegen, dass ihre Nationen, zumindest aber die niederen Volksschichten, dem revolutionären Frankreich und den heldenhaften zaristischen Soldaten gegenüber positiv eingestellt waren. Die Dinge wurden dann kompliziert, wenn diese beiden fortschrittlichen Momente auf verschiedenen Seiten der Barrikaden auftraten. In diesem Aufeinandertreffen zweier positiver Ideen obsiegte in der Regel Suvorov, während die Französische Revolution immer neue Unzulänglichkeiten aufwies, um schließlich zur reaktionären napoleonischen Macht zu werden. Schwer zu übersehen ist dabei, dass in ostdeutschen Arbeiten Napoleon in viel dunkleren Farben gemalt wird als in polnischen. Die polnischen wie auch die deutschen Autoren bewahrten sich wesentliche Fragmente der nationalen Traditionen, die ihre positive Bedeutung trotz des geänderten Bezugssystems behalten hatten. Auf diese Weise wurde Freiherr von Stein, der Reformator des preußischen Staates, eher mit den Freiheitskämpfen des deutschen Volkes in Verbindung gebracht als mit der reaktionären Monarchie (oder besser den beiden Monarchien), denen er diente. Die polnischen Legionen hingegen bewahrten ihren fortschrittlichen, bodenständigen Charakter selbst dann, wenn sie der Unterdrückung anderer Nationen dienten. Es lohnt sich, noch auf ein Merkmal der weiter oben beschriebenen historischen Motive hinzuweisen. Wie Karl Heinz Schäfer bemerkte, stellte die marxistische Interpretation der »Befreiungskriege« das Volk in ein gutes Licht und warf einen dunklen Schatten auf die herrschenden Klassen.276 Diese Feststellung, die

275 Ebd., S. 519 f. 276 Karl Hainz Schäfer: 1813 – Die Freiheitskriege in der Sicht der marxistischen Geschichtsschreibung der DDR, in: GWU, Nr. 21/1971, S. 19.

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natürlich auf der Hand liegt, lässt einen interessanten Aspekt des beschriebenen Phänomens unberücksichtigt. Denn die Tatsache, dass die Volksmassen fast immer eine fortschrittliche Rolle spielten, diente als Begründung dafür, die herrschenden Klassen noch schärfer zu kritisieren. Gelegentlich wurden Ereignisse, die für die Nationalgeschichte wesentlich waren, mit dem Argument gegen marxistische Kritiker verteidigt, dass die Volksmassen daran teilgenommen hätten. Die »Befreiungskriege«, aber auch die polnischen Legionen in Italien sind hervorragende Beispiele dafür. Der bodenständige Charakter glich gewissermaßen die Tatsache aus, dass die Führung in den Händen der privilegierten Klassen blieb und die politischen Programme weit von den revolutionären entfernt waren. Auf diese Weise konnte das Aufeinandertreffen von Marxismus und nationalen Traditionen halbwegs schmerzlos vonstatten gehen.

Die Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts Im letzten Kapitel habe ich nachgewiesen, wie wichtig die Beziehungen der marxistischen Historiographie zu den einheimischen historiographischen Traditionen blieben, die sich größtenteils im 19. Jahrhundert herausgebildet hatten. Doch entstanden diese Nationalhistoriographien natürlich nicht im luftleeren Raum. Im Gegenteil: Sie waren Teil breiterer Nationalbewegungen, durch die sich die Nationalkulturen im östlichen Teil Europas in erheblichem Maße konstituierten. Die Einschätzung dieser Bewegungen erschien als die wichtigste und oft auch schwierigste Aufgabe, vor der die marxistischen Wissenschaftler standen. Meine Übersicht über die Interpretation dieser Traditionen beginne ich mit einem klassischen Beispiel nationaler Wiedergeburt. Die marxistischen Historiker Tschechiens und der Slowakei wiederholten beharrlich, dass die nationale Wiedergeburt das größte Geschehen in der Geschichte ihrer Nationen sei.277 Urheber dieser Widergeburt seien das tschechische und das slowakische Volk. Gleichzeitig vergaßen die marxistischen Historiker nicht die Rolle einzelner nationaler Erwecker, die schließlich nicht selten aus dem Volk stammten.278 Oft erinnerte man an Lenins Auffassung, dass die Intelligenz keine Gesellschaftsklasse sei, sondern lediglich eine Schicht und als solche verschiedenen Klassen diene. Während der nationalen Wiedergeburt habe sie dem tschechischen Volk gedient.279 Doch die wichtigsten Akteure der Wiedergeburt, die »Priester-Erwecker«, seien nicht in der Lage gewesen, die Rolle gesellschaftlicher

277 Jiří Jirásek: (Rez.) Josef Kočí: Naše národní obrození, in: SSb 1961, S. 398. 278 Zdeněk Nejedlý: O smyslu, a. a. O., S. 217. 279 Josef Kočí: Naše, a. a. O., S. 201.

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Reformatoren zu spielen, da sie zu sehr mit dem Feudalsystem verbunden gewesen seien.280 Dennoch wurden die nationalen Erwecker sehr positiv beurteilt. Josef Dobrovský sei ein tapferer Pionier und Kämpfer für den Fortschritt der Menschheit, der Schöpfer der Theorie von der slawischen Gegenseitigkeit, Jan Kollár, sei von fortschrittlichem Humanismus und demokratischen Überzeugungen erfüllt gewesen. Ihre Fehler beruhten lediglich auf ihrer (verständlichen) Unkenntnis des marxistischen Denkens. Dobrovský zum Beispiel habe als Vertreter der Aufklärung »die revolutionären Grundlagen der Hussitenbewegung noch nicht endgültig verstehen können«,281 und Kollár sei mit seinem Panslawismus in dem Augenblick objektiv reaktionär geworden, als die slowakischen Nationalisten unter Führung von udovít Štúr aktiv geworden seien.282 Die nationale Wiedergeburt sei auch für eine gemeinsame Zukunft von Tschechen und Slowaken in einem Staat wichtig.283 Der Gedanke einer Zusammenarbeit der Slawen habe seine Quelle in der Epoche der nationalen Wiedergeburt.284 »Darum weiß unsere sozialistische Gesellschaft nicht zufällig mit lebhaftem, von Liebe erfülltem Interesse die Größe unserer nationalen Erwecker zu schätzen. Dabei verfällt sie nicht in eine kritiklose Verehrung dieser großen Menschen, weil sie die historischen Bedingungen ihrer Anstrengungen und Kämpfe versteht.«285

Die eigenständigen slowakischen Forschungen über die nationale Wiedergeburt erinnerten in vielerlei Hinsicht an die Erkenntnisse der tschechischen Marxisten. Auch hier ging man davon aus, dass die Massen, der Zerfall der Feudalbeziehungen sowie die Anfänge des neuen kapitalistischen Systems für die nationale Wiedergeburt von zentraler Bedeutung waren.286 Ganz ähnlich schätzte man wichtige Persönlichkeiten – die nationalen Erwecker – ein. Die Historiographie der 1950er Jahre konnte sich auf letzterem Feld großer Errungenschaften rühmen, da nicht nur udovít Štúr neue Aufmerksamkeit geschenkt wurde, sondern auch seinen Vorgängern, vor allem Anton Bernolák. Vor diesem Hintergrund kam es im Übrigen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen tschechischen und slowakischen Wissenschaftlern. Der tschechische Slawist Frank Wollman bewertete in seiner Arbeit Slovanství v jazykově literárním obrození u Slovanů [Das Slawentum 280 Ebd. 281 Ebd., S. 86 f. 282 Ebd., S. 169. 283 Jan Novotný: O bratrské družbě Čechů a Slováků za národního obrození. Kapitoly z dějin vzájemných vztahů Čechů a Slováků v národním hnutí do roku 1848, Praha 1959, S. 6. 284 Arnošt Klíma: Rok 1848 w Czechach. Początki ruchu robotniczego w Czechach, Warszawa 1951, S. 91. 285 Josef Kočí: Naše, a. a. O., S. 15. 286 Ján Tibenský: Počiatky slovenského národného obrodenia, in: HČSAV 1954, S. 526.

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in der Literatursprache der Wiedergeburt bei den Slawen] (Praha 1958) die von Bernolák 1787 vorgeschlagene und von der katholischen Intelligenz der Slowakei übernommene Kodifizierung der slowakischen Schriftsprache kritisch. Wollman sympathisierte wie andere tschechische Kenner der Materie eher mit der zweiten Strömung der slowakischen Kultur am Ende des 18. Jahrhunderts, die das Tschechische als die Schriftsprache der Slowaken ansah. Die slowakischen Marxisten hatten für Bernolák und seine Anhänger viel mehr Verständnis und gestanden ihnen nicht nur Verdienste um die Entwicklung der nationalen Sprache, sondern auch ein fortschrittliches politisches Programm zu.287 Eine solche positive Einschätzung Bernoláks findet sich etwa im Universitätslehrbuch zur Geschichte der Tschechoslowakei.288 Positiv bewertet wurden auch diejenigen Slowaken, die die Grundlagen für die tschechische nationale Wiedergeburt gelegt hatten. Pavol Jozef Šafárik, der eine ganz eigene Theorie über den autochthonen Charakter der Slawen in Europa entwickelt hatte, »hat unwiderlegbar dargelegt, dass die Slawen schon seit ältester Zeit aktive Teilnehmer an der europäischen Geschichte waren und auch gezeigt, dass die Slawen aktiven Anteil an der Entwicklung der europäischen Kultur hatten. […] Ziel seines Werks war es, das Vorurteil von der Verspätung der Slawen zu stürzen und zu zeigen, dass die Slawen ebenfalls eine antike Kultur schufen und dass sie außerdem keinen geringen Anteil an der Entstehung der europäischen Kultur im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung hatten.«289

Ján Kollár, der »schon seit der Kindheit mit den Russen sympathisierte«,290 sei ebenfalls eine Quelle der fortschrittlichen Traditionen in der Slowakei.291 In slowakischen Veröffentlichungen wurde oft das Thema der tschechischslowakischen Beziehungen in der Zeit der nationalen Wiedergeburt aufgegriffen. Man tat dies jedoch in einem etwas anderen Ton als in Tschechien. Die slowakischen Fachleute für das 19. Jahrhundert verglichen die beiden Nationalbewegungen häufiger und kamen in der Regel zum Schluss, dass die slowakische fortschrittlicher gewesen sei. Besonders sichtbar sei dies während der Revolution von 1848 gewesen. Jarmila Tkadlečková machte darauf aufmerksam, dass die tschechische Bourgeoisie versucht habe, die junge slowakische Nationalbewegung

287 Ján Tibenský: K problému hodnotenia bernoláčtiny a bernolákovského hnutia, in: HČSAV 1959, S. 557–576. 288 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 634. 289 Jozef Kudláček: P. J. Šafárik a jeho koncepcia pôvodu Slovanov, in: HČSAV 1957, S. 78. Vgl. N. A. Kondrašov: Význam diela P. J. Šafárika pre ruský vedu, in: Jozef Hrozienčik (Hg.): Z dejín československo – slovanských vz ahov, Bratislava 1959. 290 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 749. 291 udovít Bakoš: Úvod, in: Ján Kollár: Pamäti z mladších rokov života, Bratislava 1950, S. 7.

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zu beherrschen, um sie anschließend in eine reaktionäre Richtung zu lenken.292 Obwohl letztendlich weder die tschechischen noch die slowakischen nationalen Akteure den Weg ins Lager der Revolution gefunden hätten, seien die slowakischen länger fortschrittlich gewesen, vor allem deshalb, weil sie anfangs die Möglichkeit zugelassen hätten, die slowakische Frage in einem multinationalen und demokratischen Ungarn zu lösen.293 Die nationalen Erwecker seien in der Regel Anhänger der slawischen Idee gewesen. Maria Bobrownicka zählte in ihren vergleichenden Forschungen zum kulturellen Bewusstsein der West- und Südslawen Tschechen und Slowaken zu denjenigen Nationen, bei denen der »Slawenmythos« die größten Zerstörungen hervorgerufen habe. Die Übernahme dieses Mythos durch die Nationalkulturen habe nämlich den freiwilligen Verzicht auf die eigene existierende Tradition bedeutet, die diese Nationen mit dem europäischen Westen verbanden. Anstatt danach zu streben, sich in der Kultur des Westens stärker bemerkbar zu machen (was Bobrownicka als »natürliche« Entwicklungsrichtung bezeichnete), hätten sich die slawischen Erwecker davon abgewandt: »Die vom Slawenmythos erzeugten kulturellen separatistischen Tendenzen, die Eliminierung einiger struktureller Bestandteile der eigenen Nationalkultur, ihr Herabbrechen auf das ›Volk‹ und das Bemühen, sie auf einen Mythos anstatt auf eine Geschichte zu stützen, führten dazu, dass sie immer ahistorischer wurde, in der Geschichte Europas nicht mehr vorkam, was von den Slawen jetzt als unaufhörliche Gefahr für ihren einheimischen Charakter wahrgenommen wurde.«294

Es ist fraglich, ob die tschechische und slowakische nationale Wiedergeburt tatsächlich einen so einheitlich antieuropäischen Kurs vertrat, wie ihr dies Maria Bobrownicka unterstellte, doch ist schwerlich zu übersehen, dass ihre Interpretation viel mit dem populären Verständnis des »Slawenmythos« zu tun hat, wie er sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Böhmen, Mähren und der Slowakei verbreitet hatte. Wobei die panslawistischen nationalen Akteure dies gerade anders deuteten als Maria Bobrownicka. Der »Antiokzidentalismus« der nationalen Wiedergeburt war auch ein wesentliches Motiv ihrer marxistischen Analyse und wurde oft von marxistischen Historikern gerühmt. Eine Schlüsselbedeutung hatte hier, wie es scheint, die politische Dimension des Slawenmythos. Die nationale Wiedergeburt habe nämlich mit dem Entstehen einer Idee der Kooperation slawischer Staaten und Nationen unter

292 Jarmila Tkadlečková: Názory a činnos Karla Havlíčka Borovského z hadiska vývoja československých vz ahov, in: HČSAV 1958, S. 38–47. Vgl. Jan Novotný: Otázky obrozenských vztahů Čechů a Slováků v dosavadní historiografii, in: HČSAV 1958, S. 269. 293 Jan Novotný: Příspěvek k vzájemným vztahům Čechů a Slováků v první etapě revoluce roku 1848, in: HČSAV 1963, S. 366–387. 294 Maria Bobrownicka: Narkotyk, a. a. O., S. 39.

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russischer Führung zusammengehangen. Für die marxistischen Historiker war klar, dass sich in der Zusammenarbeit mit der UdSSR eine wahrhaftige slawische Gegenseitigkeit verwirkliche.295 Im Januar 1948 stellte Zdeněk Nejedlý eine vielsagende Parallele zum Panslawismus des 19. Jahrhunderts her: »Wir kämpfen um die von Stalin repräsentierte slawische Orientierung. So verstehen wir heute die slawische Politik. Wir sehen aber, dass sich die Bourgeoisie vollauf bewusst ist, was dies für sie bedeutet. Und auch sie wendet sich der Geschichte zu: Sie weist nach, dass wir schon immer eine westliche Nation gewesen seien und nie etwas Gemeinsames mit dem Osten gehabt hätten.«296

Die slawische Idee habe die Unabhängigkeitsbestrebungen der slawischen Völker beflügelt. Die unterschiedlichen Meinungen der polnischen Wissenschaftler wurden von den tschechoslowakischen Marxisten kritisiert.297 Aus tschechischer Perspektive handelte es sich um eine fortschrittliche Idee, wenn auch mit einigen wichtigen Ausnahmen. Während man die Russophilen vom Anfang des 19. Jahrhunderts kaum kritisierte, wurden die späteren schlechter beurteilt. Die kapitalistische Gesellschaft habe zwei Arten von Russophilie entwickelt: Die eine, reaktionäre, die ihre Hoffnungen mit der Zarenherrschaft verband, sei typisch für die Bourgeoisie gewesen; die zweite, fortschrittliche und revolutionäre, habe die Arbeiterklasse ausgezeichnet.298 Die slawische Idee habe aufgrund der Politik des zaristischen Russlands an Bedeutung verloren. Insbesondere die Niederschlagung der beiden polnischen Aufstände von 1830 und 1863 beeinflusste das Bild Russlands in der marxistischen Historiographie der Tschechoslowakei negativ. In diesen beiden historischen Situationen seien in der tschechischen und slowakischen Gesellschaft diejenigen Elemente fortschrittlich gewesen, die sich gegen die Zarenherrschaft und für die Revolution ausgesprochen hätten.299 Zugleich aber wurde stets betont, dass »das russische Volk nichts mit dieser Aktion des zaristischen Despotismus zu tun hat«.300 Nach der Niederlage des Januaraufstandes sei die tschechische Russophilie zu einer eindeutig fortschrittlichen kulturellen Bewegung geworden, die bestrebt war, die fortschrittlichen und dauerhaften Werte der reichen russischen Kultur aufzuzeigen.301 In den Arbeiten zur slowakischen nationalen Wiedergeburt war udovít Štúr die Schlüsselfigur (übrigens nicht nur in der marxistischen Historiographie). 295 Josef Kočí: Naše, a. a. O., S. 252. 296 Zdeněk Nejedlý: O smyslu, a. a. O., S. 207. 297 Milan Kudělka: Význam slovanské myšlenky pro národní obrození ve Slezsku, in: SSb 1960. 298 Vgl. Zdeněk Konečný: Revoluční hnutí v Československu a jeho vztahy k SSSR. Morava a Slezskodokumenty 1879–1938, Praha 1960, S. 11. 299 Ebd., S. 14 f. 300 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 89. 301 Oldřich Říha: Úloha SSSR v osvobozenských bojích českého a slovenského lidu, in: Jaroslav Vávra (Hg.): Z bojů, a. a. O., S. 15.

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Wobei ihm genau das als Verdienst angerechnet wurde, was Maria Bobrownicka als freiwillige Provinzialisierung der Nationalkultur anprangerte: »Der plebejische Akzent der slowakischen Politik, das ist unser Beitrag zur Geschichte Mitteleuropas; das ist der Zauberstab, aus dem die Nationalbewegung ihre Kräfte bezog; das ist unser ruhmreiches Erbe.«302 Vladimír Mináč stilisiert Štúr zu einem Demiurgen, wenn er 1965 in einem bereits zitierten Text schreibt: »Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Štúr. […] Also war am Anfang Štúr.«303 Karol Goláň schrieb (die Worte Zdeněk Nejedlýs über die tschechische nationale Wiedergeburt paraphrasierend): »Schon seine [Štúrs, M. G.] Zeitgenossen, die auf der Seite des Fortschritts standen, sahen in ihm einen Kämpfer für die gesellschaftliche und politische Entwicklung der eigenen Nation, für die Entwicklung ihrer Kultur, für die Zukunft des slowakischen Volkes. Wie hätten wir heute, wo wir eine neue Republik von den Grundlagen an aufbauen, nicht an all dies anknüpfen können, was bei udovít Štúr und seinen Genossen mit dem Interesse des Volkes und des weltweiten Fortschritts übereinstimmte?«304

Auch wenn Štúr mit den Anhängern der tschechisch-slowakischen Sprachgemeinschaft im Streit gelegen hatte, so wurde doch hervorgehoben, dass er niemals aufgehört habe, für die Tschechen Sympathie zu hegen.305 Im Übrigen habe ihn sein Internationalismus ausgezeichnet: Er habe allen Nationen nur Gutes gewünscht und sei durch seine eigene Haltung ein Vorbild für Moralität in der Politik gewesen.306 Der größte Slowake des 19. Jahrhunderts sei langsam auch ideologisch gereift, sodass er sich zu einem bürgerlich-demokratischen Revolutionär entwickelt habe.307 Schon zuvor, als er um die kulturellen und sprachlichen Rechte der Slowaken gekämpft, also im Namen der schmalen einheimischen Bourgeoisie gehandelt habe, habe er objektiv den Bruch mit den Resten des Feudalsystems begrüßt und somit eine fortschrittliche Rolle gespielt.308 Die nationale Frage sei unauflöslich mit der sozialen Frage verbunden gewesen, und Štúrs Genius habe darauf beruht, diese Verbindung (anders als zum Beispiel die Organisatoren der polnischen Aufstände) zu erkennen.309 Štúr sei zudem ein bedeutender Ökonom, Sprachwissenschaftler, Erzieher, Publizist, Dichter und Politiker gewesen. Er habe auch gewisse prophetische Fähigkeiten besessen, da er den Niedergang des Kapitalismus in der 302 Vladimír Mináč: Tu żyje naród (1965), in: Rudolf Chmel (Hg.): Kwestia, a. a. O., S. 384. 303 Ebd., S. 376. 304 Karol Goláň: Štúrovské pokolenie, a. a. O., S. 367. 305 Ebd., S. 371. 306 Elena Várossová: Svetonázor udovíta Štúra, in: udovít Štúr, a. a. O., S. 115. 307 Július Mésároš: Štúrov boj za oslobodenie slovenského roníctva spod jarma feudalizmu, in: ebd., S. 152 f. 308 Július Mésároš: Boj udevíta Štúra proti feudalizmu, in: HČSAV 1956, S. 6. 309 Ebd., S. 12. Vgl. Jozef Butvin: Slovenské národno-zjednocovacie hnutie (1780–1848). K otázke formovania novodobého slovenského buržoázneho národa), Bratislava 1965, S. 13.

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Slowakei vorausgesehen habe.310 In seinen letzten Lebensjahren habe Štúr als Panslawist den Zaren unterstützt und u. a. allen Slawen empfohlen, die russische Sprache als die eigene zu übernehmen. Diese Tatsache verringerte seine Fortschrittlichkeit nach Meinung der marxistischen Historiker nicht im Geringsten, vielmehr müsse man alle Kräfte anstrengen, um die reaktionäre bürgerliche Interpretation Štúrs zu überwinden und zu belegen, dass er der Arbeiterklasse angehört habe.311 Die slowakischen Veröffentlichungen seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zeichnen ein Bild udovít Štúrs als eines halb mythischen Vaters der Nation, eines Mannes, der die Slowaken fast allein »erfunden« und dabei die Grundlagen für die slowakische Kultur und Wissenschaft gelegt habe. Es gab jedoch einen Aspekt seines Wirkens, der einen Schatten auf dieses Bild werfen konnte, nämlich die Einstellung der slowakischen Nationalbewegung und insbesondere Štúrs zur ungarischen Revolution des Jahres 1848. In Konfrontation mit den fortschrittlichen Traditionen Ungarns, die zudem von der Autorität der Klassiker des Kommunismus unterstützt wurden, waren die slowakischen Traditionen mit gewissen Mängeln behaftet, auf die 1954 Vladimír Matula hinwies. Seiner Meinung nach sei das bisherige Bild der slowakischen Nationalbewegung zu stark idealisiert gewesen. Die Historiker versuchten nachzuweisen, dass die slowakischen Truppen, die den Österreichern bei der Niederschlagung der ungarischen Revolution halfen, eigentlich Kämpfer für Freiheit und Fortschritt gewesen seien. Dabei sei, so Matula, die wahre Revolution damals von Kossuth und seinen Genossen ausgegangen, während sich die Slowaken mit Štúr an der Spitze ohne Frage im Lager der Reaktion befunden hätten. Er räumte ein, dass die slowakischen Akteure der Nationalbewegung ein lebhaftes Interesse am einfachen Volk gehabt hätten, doch reiche dies allein nicht aus, um sie als fortschrittlich zu klassifizieren. Als fortschrittlich bezeichnete Matula nur die radikalsten Akteure, die – wie Janko Kra oder Jan Francisci – die Forderungen der Revolution unterstützt hätten. Die Hauptrichtung mit Štúr nannte er aufgeklärt-liberal sowie bürgerlich. In seinem Fall beendete das Jahr 1848 jene Phase, in der man ihm eine gewisse Fortschrittlichkeit zubilligen konnte: »Die aufgeklärten Liberalen unterstützten durch ihr vor 1848 fortschrittliches Programm und ihren Kampf die nationale und politische Bewusstwerdung des slowakischen Volkes. Doch der Augenblick, in dem dieses Volk tatsächlich erwachte, seine weitreichenden revolutionären Forderungen und der Klassenkampf, die weit über die kühnsten Forderungen der aufgeklärten Liberalen hinausreichten, bedeutete das Ende seiner Fortschrittlichkeit.«312

310 Vgl. Karol Goláň: Štúrovské pokolenie, a. a. O., S. 376. 311 Veke jubileum, in: HČSAV 1956, S. 4. 312 Vladimír Matula: K niektorým otázkam slovenského národného hnutia štyridsiatych rokov XIX stor., in: HČSAV 1954, S. 375–405.

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Matulas kühne These schockierte die slowakischen Historiker, obwohl sie auf der marxistischen Methodologie basierte. Freilich, eine allgemein gehaltene Kritik der slawischen Akteure aus der Zeit von 1848 hatten sie schon aus dem Munde Ivan I. Udal’covs vernehmen können, der Pressburg fast am Vorabend des »siegreichen Februars« besuchte, doch bezog der sowjetische Wissenschaftler seine Bemerkungen eher auf Palacký und andere tschechische Anführer als auf die Slowaken.313 Schnell erschienen erste Polemiken, zunächst in einer vorsichtigen Tonlage. Karol Goláň gab zu, dass die slowakischen nationalen Akteure mit Wien zusammengearbeitet hätten, machte jedoch darauf aufmerksam, dass sie dort Unterstützung gegen die Unterdrückung durch die ungarische herrschende Klasse gesucht hätten. Štúr habe Wien und nicht Pest gewählt, da es »bei dem nationalen Chauvinismus der ungarischen Bewegung […] schwer gewesen war, einen anderen Ausweg zu finden«.314 Ende Januar, Anfang Februar 1955 kam es bei einer im HÚ SAV veranstalteten Tagung zu einem Meinungsaustausch zwischen Matula und seinen Widersachern. Gegen Matula sprachen sich nicht nur Goláň, sondern auch Andrej Mráz und Július Mésároš aus.315 In den im selben Jahr veröffentlichten Thesen zur Geschichte der Slowakei wurde eine etwas abgemilderte Interpretation Matulas übernommen: Štúr habe einen Fehler begangen, als er mit Wien paktierte, da die Forderungen der ungarischen Revolution im Interesse aller in Ungarn lebenden Nationalitäten gelegen hätten. Dennoch »wollte die führende Kraft der Revolution, die ungarische liberale Opposition, infolge ihrer feudalen Beschränkungen den Wandel auf der Grundlage der feudal-historischen Rechte verwirklichen« (was hieß, dass sie die Rechte der Slowaken auf ein eigenständiges Dasein nicht anerkennen wollte).316 Damit endete die erste Phase des Streits um die marxistische Bewertung der führenden Akteure der slowakischen Nationalbewegung. 1956 wurde der 100. Todestag von udovít Štúr gefeiert. Das Jubiläumsheft der HČSAV, das mit einem kleinen Porträt des nationalen Erweckers versehen war, enthielt eine umfangreiche Einleitung, in der unter anderem die letzten Interpretationen der Nationalbewegung erwähnt wurden. Nach Meinung des Verfassers der Einleitung habe man nach dem Jubiläumsjahr 1948 nicht selten zwischen zwei Extremen geschwankt: dem bürgerlichen Nationalismus und dem nationalen Nihilismus.317 Ein weiterer Text von Július Mésároš unter dem vielsagenden Titel 313 Ivan. I. Udal’cov: Slovanské národy rakúskej ríše v revolučnom hnutí roku 1848 vo výskmoch sovietskych historikov, in: udovít Holotík (Hg.): Revolučné dedičstvo rokov 1848–1849. Sborník článkov, Bratislava 1951, S. 76–78. 314 Karol Goláň: udovít Štúr a slovenské národné hnutie v štyridsiatych rokoch XIX. storočia, in: HČSAV 1955, S. 91. 315 JT [Ján Tibenský]: Konferencia slovenských historikov o tézach slovenských dejín, in: HČSAV 1955, S. 300 f. 316 udovít Holotík (Hg.): Dejiny, a. a. O., S. 115. 317 Veke jubileum, in: HČSAV 1956, S. 4.

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Boj udovíta Štúra proti feudalizmu [Der Kampf udovít Štúrs gegen den Feudalismus] machte darauf aufmerksam, dass die slowakischen nationalen Akteure aus dem Volk gestammt, während die ungarischen Liberalen dem Adel angehört hätten. Diese Tatsache habe Einfluss auf den Grad von Radikalismus auf beiden Seiten des zukünftigen Konflikts gehabt. Für Štúr und andere Slowaken sei die ungarische Revolution einfach zu wenig fortschrittlich gewesen: »Der bürgerliche Wandel in Ungarn war in der Form, die ihm der liberale Adel im März 1848 verlieh, nur ein Schatten dessen, worum Štúr kämpfte. Die Bauernbefreiung, die Aufhebung der feudalen Produktionsverhältnisse und der politischen Privilegien des Adels vollzogen sich unzureichend, halbherzig.«318

Während einer Štúr gewidmeten Jubiläumskonferenz im Januar 1956 in Moskau beurteilten ihn die anwesenden sowjetischen Wissenschaftler sehr positiv.319 Einige Wochen zuvor hatte in Pressburg eine große Jubiläumskonferenz stattgefunden. Die Teilnehmer ignorierten die Kritik an der Nationalbewegung völlig und kreierten das Bild Štúrs so, wie es sich in der slowakischen Historiographie der folgenden Jahre festigen sollte. Matula selbst hielt ein Referat über die Idee der Slawenheit bei Štúr, in dem er sich positiv auf den »gesunden Kern« der Ansichten des Panslawisten bezog.320 Die bilderstürmerischen Thesen des slowakischen Marxisten wurden somit zurückgenommen. Innerhalb kurzer Zeit war es zu einer völligen Abkehr von Matulas Interpretation gekommen. Anscheinend spielten dabei die Vorfälle des Jahres 1956 in Ungarn eine wesentliche Rolle. Nach der Niederschlagung einer weiteren ungarischen Revolution verschärfte sich der Ton der slowakischen Arbeiten über 1848 deutlich, während die slowakische Nationalbewegung sozusagen an Fortschrittlichkeit gewann. 1957 veröffentlichte Matula eine knappe Biographie Štúrs, in der er seiner Argumentation deutlich die Schärfe nahm. Er räumte ein, dass sowohl die deutschen wie auch die ungarischen Revolutionäre keine Lösung für die Nationalitätenprobleme gefunden hätten, dass schließlich »zu dieser tragischen Ausartung des nationalen Befreiungskampfes der Anführer der bürgerlich-demokratischen slowakischen Bewegung die inkonsequente ungarische Revolution beigetragen hat, die erfolglose und undemokratische Nationalitätenpolitik der ungarischen Revolutionsregierung und Kossuths selbst«.321 Trotzdem lehnte Július Mésároš in einer kritischen Rezension die grundlegenden Thesen dieses Buches ab. Der Rezensent war der Meinung, die Radikalen Kra und Francisci seien keine Alternative zu Štúr, dem einzigen Verfasser des fortschrittlichen, antifeudalen Programms 318 Július Mésároš: Boj udovíta Štúra proti feudalizmu, in: HČSAV 1956, S. 6–19. 319 Vedecké zasednutie v Moskve venované stému výročiu smrti udovíta Štúra, in: HČSAV 1956. 320 Vladimír Matula: Štúr a slovanstvo, in: udovít Štúr, a. a. O., S. 386 f. 321 Ders.: udovít Štúr (1815–1856), Bratislava 1956, S. 57.

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der slowakischen Nationalbewegung.322 Matula verteidigte in einer Antwort seine Thesen und wiederholte, Štúr sei in Wirklichkeit ein gemäßigter Liberaler und kein Revolutionär gewesen.323 Dennoch war das Urteil der nationalen Akteure im Universitätslehrbuch der tschechoslowakischen Geschichte (das 1959 veröffentlicht wurde) bereits sehr weit von seiner Interpretation entfernt. Štúr wurde hier als Quelle der fortschrittlichen slowakischen Traditionen angesehen, die die Bürger in ihren Anstrengungen zum Aufbau des Sozialismus unterstützten.324 Matula selbst versuchte zumindest einen Teil seiner früheren Thesen während einer 1959 veranstalteten Konferenz über die Idee der slawischen Gegenseitigkeit zu verteidigen. Auf durchaus halsbrecherische Weise führte er den Nachweis, Štúr habe, als er gegen Lebensende sein panslawistisches Manifest schrieb, im Grunde denselben Standpunkt gegenüber der herrschenden Sozialordnung eingenommen wie die revolutionären Demokraten Kra und Francisci, »natürlich mit Ausnahme ihrer revolutionären Taktik«.325 Je fortschrittlicher die slowakische Nationalbewegung wurde, desto größere Missstände und Mängel fand man in der ungarischen Revolution. Man machte auf das Fehlen einer Verständigung zwischen den Ungarn und den nicht-magyarischen Nationalitäten des Landes aufmerksam326 und stellte die Fortschrittlichkeit Kossuths und seiner Genossen grundsätzlich in Frage. Vladimír Mináč schrieb: »Diese Revolution, gegen die wir uns aussprachen, war von Anfang an seltsam: drôle de la revolution. Es verschoben sich die Spielsteine: anstelle des Wiener Hofs das Casino in Pest; anstelle des Kaisers fünf ungarische Familien. Bezeichnend für diese merkwürdige Revolution ist, dass es keiner Gegenbewegung bedurfte, keiner Reaktion, keiner Restauration, um sich ihr entgegenzustellen. Widerstand, Reaktion, Restauration, all dies trug die Revolution von Anfang an in sich – eine Revolution mit einem siegreichen Samen der Reaktion.«327

Dabei handelte es sich aber noch nicht einmal um den letzten Aufzug im Niedergang von Vladimír Matulas Konzeption. An seinen Artikel von 1954 wurde nämlich während des politischen und kulturellen Tauwetters der 1960er Jahre mehrmals erinnert. Der Versuch einer marxistischen »Entzauberung« des Nationalhelden

322 Július Mésároš: Dve vedecko-populárne publikácie o udovítovi Štúrovi, in: HČSAV 1957, S. 117. 323 Vladimír Matula: Snahy o prehbenie demokratickej línie Slovenských národných novín a formulovanie revolučného programu slovenského národného hnutia (1845–1848), in: HČSAV 1958, S. 222. 324 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, S. 769. 325 Vladimír Matula: Vyvrcholenie štúrovskej koncepcie myšlienky slovanskej vzájomnosti v štúrovom diele »Slovanstvo a svet budúcnosti«, in: HČSAV 1960, S. 376. 326 udovít Haraksim: Národnostná otázka a slovenské národné hnutie v revolúcii 1848–1849, in: Slováci a ich národný vývin (Sborník materialóv z V. sjazdu slovenských v Banskej Bystrici), Bratislava 1966, S. 180. 327 Vladimír Mináč: Tu żyje naród (1965), in: Rudolf Chmel (Hg.): Kwestia, a. a. O., S. 383.

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galt nun als Ausdruck für die Stalinisierung der slowakischen Historiographie. In einem Text udovít Holotíks von 1963, der die Tauwetterstimmung wiedergibt, ist zu lesen, dass »der ideologische Kampf gegen den Nationalismus bei uns einseitig geführt wurde, nur in der Slowakei unter den Bedingungen eines Systems des Verdachts, des Unglaubens und der Einschüchterung. Unter diesen Bedingungen verstand man die Suche nach fortschrittlichen slowakischen Traditionen oft falsch und schrieb ihnen nationalistische Motive zu (zum Beispiel in Zusammenhang mit der Einschätzung der Person udovít Štúrs usw.).«328

Dies war eine offensichtliche Anspielung auf Matulas Text, ähnlich wie Karol Rebros Auftritt auf dem slowakischen Historikertag. Der Redner verallgemeinerte: »Mit Sicherheit sollte sich keine Nation und auch nicht ihre führenden gesellschaftlichen Klassen bei der Beurteilung ihrer historischen Taten oder der historischen Taten der führenden Klassen und ihrer Vertreter selbst belügen. Doch genauso sollte man die Selbstkritik nicht bis zur psychischen Depression treiben und muss sich zurückhalten, um aus der Selbstzüchtigung nicht eine tägliche Praxis werden zu lassen. Diese Wahrheiten gelten auch in der Historiographie nicht nur deshalb, weil sie eine erzieherische Berufung und Funktion hat, sondern vor allem, weil sie in diesem Fall nicht aufdeckt, sondern die historische Wahrheit und den richtigen Blick auf die historischen Fakten verdreht und durchkreuzt.«329

Štúrs »Renaissance« in der marxistischen Historiographie beunruhigte schließlich die ungarischen Historiker, die die Revolution von 1848/1849 für eines der fortschrittlichsten Elemente der Geschichte Ungarns hielten. Erzsébet Andics warf den Slowaken vor, sie würden auf ungerechtfertigte Weise die Ansichten von Marx und Engels revidieren, die schließlich ohne jeden Zweifel die Sache Ungarns unterstützt und ebenso entschlossen festgestellt hätten, dass sowohl die slowakische wie auch die tschechische Nationalbewegung 1848 eine reaktionäre Rolle gespielt hätten. Diese Diskussion, an der sich von slowakischer Seite Július Mésároš beteiligte, hielt bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre an.330 Die Interpretation, derzufolge die Stalinisatoren der slowakischen Historiographie die erhabensten nationalen Traditionen hätten zerstören wollen, überstand im Übrigen die Wende von 1989. Während der Tagung der Slowakischen Historischen Gesellschaft (SHS) 1991 erwähnte Ivan Chalupecký, die ungarischen Historiker hätten versucht, ihre Interpretation der ungarischen Aufstände nicht durch wissenschaftliche Diskussion, sondern durch Druck auf das ZK der KSČ in Prag

328 udovít Holotík: Desa rokov Historického ústavu Slovenskej akadémie vied, in: HČSAV 1963, S. 601. 329 Karol Rebro: Štátoprávne požiadavky Slovákov v rokoch 1848–1849, in: Slováci, a. a. O., S. 211 f. 330 Július Mésároš: Zložité hadanie pravdy o slovenských dejinách. Výber štúdií, odborných polemík a člankov z polstoročnej výskumnej a publikačnej činnosti, Bratislava 2004, S. 259–267.

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durchzusetzen.331 Richard Marsina hingegen stellte allen Ernstes fest, im kommunistischen System habe man das Label des Nationalismus lediglich Vertretern kleiner und unterdrückter Nationalitäten angeheftet, die nur versucht hätten, sich gegen die Repression durch die »großen« Nationen zu verteidigen.332 Ein Leser der tschechoslowakischen Veröffentlichungen über Štúr und seine Anhänger hätte nur schwerlich eine Bestätigung dieser in der Historiographie verfestigten Thesen gefunden. Die Ähnlichkeiten zwischen der marxistischen Interpretation der slowakischen und der tschechischen nationalen Wiedergeburt beschränken sich längst nicht nur auf die bisher skizzierten Parallelen. Im Grunde besteht der einzige wesentliche Unterschied darin, dass die tschechischen Historiker den Bezugspunkt für ihre Nationalbewegung in der deutschen Revolution von 1848 fanden, während die ungarische Revolution eine wichtige, jedoch keine erstrangige Rolle spielte. Wie bereits erwähnt, war der bedeutende Historiker František Palacký der »Vater der Nation«. Bei allen Vorbehalten gegenüber seiner Weltanschauung war man dennoch der Meinung, er sei ein Vertreter des »Entwicklungsstadiums« der Bourgeoisie gewesen. Dabei habe es sich um ein Stadium des Wachstums gehandelt, in dem die Bourgeoisie bestrebt gewesen sei, die Überreste des Feudalismus zu beseitigen, in dem sie also eine fortschrittliche Rolle gespielt habe. Josef Macek erklärt die wissenschaftlichen Ansichten Palackýs folglich mit der politischen Situation seiner Klasse: »Wenn wir uns nur bewusst machen, dass die um die Macht im Staat kämpfende tschechische Bourgeoisie nicht nur in den Reihen der Feudalherren, sondern auch in der deutschen Bourgeoisie Feinde hatte und dass sie die nationale Frage dazu benutzte, die Aufmerksamkeit der Volksmassen vom Klassenkampf abzulenken, verstehen wir den starken nationalen Ton, der in Palackýs Worten mitklingt.«333

Derartige Versuche einer marxistischen Bewertung Palackýs führten zur Konfrontation von mehr oder weniger »nationalen« Meinungen. Eine eindeutige Kritik Palackýs sowie der gesamten tschechischen Nationalbewegung legte der sowjetische Historiker Ivan Ivanovič Udal’cov vor. Während des polnischen Historikertags in Breslau 1948 geriet er mit dem Brünner Ostmitteleuropahistoriker Josef Macůrek aneinander. Udal’cov hatte, wie sich Macůrek erinnerte, »für Palacký vor allem deshalb kein Mitleid, weil dieser der Meinung gewesen sei, dass man Österreich, hätte es nicht existiert, hätte erfinden müssen«.334 In seiner Monographie der tschechischen Nationalbewegung schrieb der Sowjethistoriker, dass 331 Ivan Chalupecký: Stav a úlohy vyskumu novověku, in: HČSAV 1991, S. 399. 332 Richard Marsina: Slovenská historiografia 1945–1990, in: HČSAV 1991, S. 372. 333 Josef Macek: Tábor, a. a. O., Bd. 1., S. 15. 334 Josef Macůrek: Úvahy, a. a. O., S. 79.

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»die von Palacký vorgebrachten Schlagworte und Forderungen unter diesen Bedingungen […] nicht nur Ausdruck des Konkurrenzkampfes mit der deutschen Bourgeoisie waren, sondern auch eine Reaktion der liberalen Bourgeoisie auf die wachsende Stärke der demokratischen Bewegung im Land selbst. Diese Schlagworte und Forderungen hatten das Ziel, die antidemokratische, reaktionäre österreichische Monarchie zu erhalten und zu retten und gleichzeitig die Volksmassen vom Klassenkampf abzubringen. Sie verfolgten das Ziel, eine Propaganda des Nationalismus unter diese Massen zu bringen und durch das Streben, die ausbeutenden und ausgebeuteten Klassen in den böhmischen Ländern unter dem nationalistischen Banner zu einen, die letzteren den ersteren unterzuordnen und die Entwicklung der revolutionären Bewegung aufzuhalten.«335

Udal’cov nannte den Austroslawismus eine rückwärtsgewandte Ideologie; Palacký war ihm zufolge ein tschechischer Nationalist, der zum Nachteil seines eigenen Volkes gehandelt habe.336 Die vom Standpunkt der tschechischen Historiographie aus kontroversen Feststellungen Udal’covs stießen mit Ausnahme Macůreks nicht auf entschiedenen Widerstand der tschechoslowakischen Wissenschaft. Sicherlich nicht ohne Bedeutung war die Tatsache, dass dieses Urteil von einem sowjetischen Wissenschaftler geäußert wurde (und nicht, wie im Fall der Kritik an Štúr, von einem jungen einheimischen Marxisten). Im Universitätslehrbuch der Geschichte wurde Udal’cov unter den besten Spezialisten für die Ereignisse des Völkerfrühlings von 1848 genannt, während eine frühere Arbeit Klímas, in der er Palacký milder beurteilt hatte, als »nicht völlig gelungen« bezeichnet wurde.337 Josef Kočí, der Udal’covs Arbeit in der ČSČH rezensierte, nannte sie »eine wichtige Hilfe der brüderlichen sowjetischen Wissenschaft für unsere Historiographie«.338 Obwohl Kočí Udal’covs Fachwissen schätzte, war er mit ihm in einem Punkt nicht einer Meinung. Er machte darauf aufmerksam, dass der sowjetische Autor die kulturelle Tätigkeit einiger Vertreter der liberalen tschechischen Bourgeoisie nicht positiv genug würdigte, vor allem eben Placký.339 In einem ähnlichen Ton äußerte sich Bedřich Šindelář, der einerseits darin übereinstimmte, dass die bisherige Historiographie die politischen Leistungen Palackýs überschätzt habe, sich andererseits aber dafür aussprach, seine wissenschaftlichen Leistungen höher zu bewerten. Er stellte auch die anscheinend von den meisten marxistischen Historikern geteilte Forderung auf, »den Historiker Palacký vom Politiker Palacký zu unterscheiden«.340

335 Iwan Iwanowicz Udalcow: Studia z dziejów walk narodowych i politycznych w Czechach w r. 1848, Warszawa 1953, S. 53. 336 Ebd., S. 132 und 155. 337 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 10 f. 338 Josef Kočí: Revoluce v Čechách roku 1848, in: ČSČH 1954, S. 511. 339 Ebd., S. 512. 340 Bedřich Šindelář: František Palacký a dělnická třída, in: ČMM 1952, S. 35.

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Die Ereignisse des Jahres 1848 wurden von der marxistischen Historiographie gerne aufgegriffen. Positiv bewertete man vor allem die Radikalen und den misslungenen Prager Aufstand. Man hob hervor, dass Marx und Engels ihm gegenüber einen wohlwollenden Standpunkt eingenommen hätten.341 Wichtig war für die marxistischen Wissenschaftler auch, dass der Standpunkt verschiedener Gruppen dem Aufstand gegenüber es erlaubte, reaktionäre Richtungen (die den Aufstand nicht unterstützten) und fortschrittliche Richtungen (die sich an ihm beteiligten) zu unterscheiden.342 Wichtigste Gestalt in den Arbeiten über die Ereignisse von 1848 war Josef Václav Frič, der Anführer der Aufständischen. Im Hinblick auf die Einschätzung der Lage habe er als Anhänger eines revolutionären Aufbegehrens und nicht der gemäßigte Palacký Recht gehabt.343 Am extremsten hatte Udal’cov den Anführer der Nationalbewegung und die tschechischen Demokraten gegenübergestellt. Über Palacký und seine Mitarbeiter schrieb er: »Sie triumphierten, als der Aufstand von der österreichischen Soldateska niedergeschlagen wurde – und hegten die Hoffnung, dass die bei diesem Aufstand zerschlagenen Volksmassen so eingeschüchtert worden waren, dass sie in Zukunft revolutionären Kampfmethoden abschwören würden.«344 Die tschechischen Forscher machten darauf aufmerksam, dass 1848 nicht nur die tschechischen Liberalen, sondern auch die Ungarn und Deutschen reaktionäre Standpunkte eingenommen hätten. Die Prager Deutschen hätten das Vorgehen der tschechischen Demokraten von Anfang an sabotiert.345 Sogar die deutschen Demokraten hätten das Wesen der Ereignisse nicht verstanden und »das tschechische nationale Interesse nicht in einem gemeinsamen revolutionären Kampf gegen den Feudalismus und das kaiserliche Wien« unterstützt.346 Durch diesen Fehler habe die tschechische Bourgeoisie mit ihrem Programm eines Kampfes für die nationale Gleichberechtigung auf den Plan treten können, um das Volk auf ihre Seite zu ziehen. Nur das Proletariat habe sich von der nationalistischen Propaganda nicht überzeugen lassen.347 Die tschechischen marxistischen Historiker hoben für gewöhnlich hervor, dass an der Niederschlagung des Aufstandes deutsche und ungarische Truppenteile beteiligt gewesen seien.348 Der Slawenkongress war neben der Person František Palackýs ein weiterer Punkt, dessen Bewertung durch die tschechischen Historiker sich von den Ansichten Udal’covs unterschied (aber auch von der Meinung polnischer oder 341 Der Prager Aufstand, in: Neue Rheinische Zeitung, Nr. 18 vom 18. Juni 1848, in: Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, Bd. 5, Berlin 1971, S. 80–82. 342 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 62. 343 Arnošt Klíma: Rok 1848, a. a. O., S. 131. 344 Iwan Iwanowicz Udalcow: Studia, a. a. O., S. 119. 345 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 37. 346 Ebd., S. 42. 347 Ebd., S. 44. 348 Vgl. Arnošt Klíma: Rok 1848, a. a. O., S. 112 und 129 f.

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ungarischer Historiker). Udal’cov hielt die Polen für das einzige fortschrittliche Element des Kongresses.349 Viel besser schnitt der Kongress bei den Verfassern des Universitätslehrbuches zur Geschichte der Tschechoslowakei ab.350 Das Jahr 1848 habe, den tschechischen Historikern zufolge, auch einen positiven Einfluss auf die Entstehung eines tschechisch-slowakischen Gemeinschaftsgefühls gehabt. Beide Nationen seien vom deutschen und ungarischen Nationalismus zu einer engeren Zusammenarbeit gezwungen worden.351 Eine für die tschechischen Historiker recht heikle Frage betraf das Verhältnis von Marx und Engels zur tschechischen Nationalbewegung. Es war kein Thema, dessen man sich im Übermaß annahm. Insgesamt ließ man es bei Hinweisen auf ihre positive Reaktion bewenden, als sie vom Ausbruch des Prager Aufstandes hörten.352 In tschechoslowakischen Publikationen wurde Engels Meinung über die Tschechen nicht zitiert, der gesagt hatte, sie besäßen keine Geschichte und seien dazu verurteilt, sich im deutschen Meer aufzulösen.353 Anders verhielt sich Udal’cov, der schon im Vorwort zu seinem Buch feststellte: »Marx und Engels verurteilten die tschechische nationalistische Bewegung der Jahre 1848–1849 in einer Reihe von Arbeiten scharf wegen ihres konterrevolutionären Standpunkts in Beziehung zur europäischen Revolution.«354 Im Schlusskapitel bestätigte er die Auffassung der Klassiker: »In Zusammenhang hiermit ist offensichtlich, dass die Rolle, die die tschechische Nationalbewegung in den Jahren 1848–1849 spielte, als konterrevolutionär eingeschätzt werden sollte, während der Standpunkt der tschechischen Nation in der zweiten Phase der Bewegung, also in dem für die gesamtösterreichische Revolution entscheidenden Zeitraum, als reaktionär einzustufen ist.«355

Die ungarische Revolution von 1848/1849 war ein wesentlicher Teil jener »europäischen Revolution«, über die Udal’cov geschrieben hatte. Die tschechische Nationalbewegung habe in diesem europäischen Konflikt auf der Seite der Herrschenden gestanden, also einen »reaktionären« Standpunkt eingenommen. Die tschechischen marxistischen Historiker versuchten, wie bereits gezeigt werden

349 Iwan Iwanowicz Udalcow: Studia, a. a. O., S. 54–60. 350 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 54 f. 351 Jan Novotný: O bratrské, a. a. O., S. 247. 352 Vgl. Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 59 und Arnošt Klíma: Rok 1848, a. a. O., S. 129. 353 Friedrich Engels: Der demokratische Panslawismus, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 6, Berlin 1959, S. 270–286. 354 Iwan Iwanowicz Udalcow: Studia, a. a. O., S. 3. 355 Ebd., S. 155. Józef Chlebowczyk hielt Udal’covs Arbeit für ein hervorragendes Beispiel einer »oberflächlichen und unkritischen Exegese« der Klassiker. Udal’cov habe keinen Versuch unternommen, die Ursachen für Engels so scharfes Urteil über die tschechische Nationalbewegung zu erklären. – J. Chlebowczyk: O prawie do bytu małych i młodych narodów, Warszawa/Kraków 1973, S. 170.

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konnte, ihre nationale Tradition gegen diese Anschuldigungen zu verteidigen. Dabei wagten sie sich aber nicht so weit vor wie ihre slowakischen Kollegen und negierten nicht den fortschrittlichen Charakter der Revolution, da sie ansonsten nicht nur in Konflikt mit den Ansichten von Marx und Engels, sondern auch (weitaus wichtiger) mit denen der von Udal’cov repräsentierten sowjetischen Historiographie geraten wären. Man hob hingegen hervor, dass nur die tschechische Bourgeoisie nicht mit der ungarischen Revolution sympathisiert habe und dass Udal’cov Recht habe, wenn er ihre Rolle als reaktionär bezeichne. Anders hätten sich die niedrigeren Klassen verhalten: Im einfachen Volk habe es viele pro-ungarische Neigungen gegeben.356 Die tschechischen Historiker wiesen nicht nur auf die Sympathie des Volkes mit den kämpfenden Ungarn hin. Man versuchte außerdem, wenn auch indirekt, die nationalen Anführer zu verteidigen, die von Udal’cov so scharf kritisiert worden waren. Dabei griffen sie eine von den slowakischen Historikern verwendete Strategie auf, so etwa Arnošt Klíma: »Es besteht kein Zweifel, dass die Ungarn ähnlich wie die Deutschen selbst zum Teil Schuld daran hatten, dass sich die Slawen 1848 gegen ihren revolutionären Kampf aussprachen.«357 Im Universitätshandbuch zur Geschichte der Tschechoslowakei findet sich hingegen ein erschütternder Absatz, der die beiden ungarischen Revolutionen von 1848 und 1956 vergleicht und die reaktionären Merkmale beider hervorhebt.358 Die marxistischen Interpretationen der tschechischen und der slowakischen nationalen Wiedergeburt sind ein hervorragendes Beispiel für eine Situation, in der die Autorität der Klassiker hinter einer verfestigten nationalen Tradition das Nachsehen hatte. In der modernen Historiographiegeschichte ist sehr oft die These anzutreffen, die zum Beispiel von den Teilnehmern an der Konferenz des SHS 1991 geäußert wurde, dass die Stalinisierung der Geschichtswissenschaften im Grunde auf der brutalen Bekämpfung dieser Traditionen beruht habe. Diejenigen Historiker, die entschlossen waren, sie zu verteidigen, rechneten es sich als Verdienst an, Štúr oder Palacký »gerettet« zu haben. Wenn man die Streitigkeiten und Debatten über diese Themen aber genauer betrachtet, erkennt man, dass die »Stalinisatoren« keineswegs in der Mehrzahl waren, dass sie zum Schweigen gebracht wurden (wie dies Vladimír Matula widerfuhr) oder bewusst falsch verstanden wurden (Ivan Udal’cov). Um die Würde der Schöpfer der nationalen Wiedergeburt zu verteidigen, polemisierte man nicht nur mit den Klassikern, sondern sogar mit den sowjetischen Wissenschaftlern. Woher rührte die argumentative Stärke der marxistischen »Traditionalisten« in ihrer Auseinandersetzung mit den

356 Ebd., S. 76. 357 Arnoš Klíma: Rok 1848, a. a. O., S. 142. 358 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. I, S. 127.

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»Stalinisatoren«? Um auf diese Frage antworten zu können, sollen die beiden übrigen Historiographien betrachtet werden, ohne zu vergessen, dass Marx und Engels die polnische und die deutsche Nationalbewegung fraglos viel besser beurteilt hatten als die tschechische und die slowakische, dass sie die polnischen Aufstände unterstützt hatten und selbst Akteure der Revolution von 1848 in Deutschland gewesen waren. Ich habe bereits erwähnt, dass der Kościuszko-Aufstand für die marxistische Historiographie Polens ein Problem darstellte. Dieselben Zweifel, ob die Beschränkungen der polnischen Freiheitsbewegungen nicht schwerer wogen als ihre Fortschrittlichkeit, betrafen auch die folgenden Unruhen. Eine zweifellos positive Rolle hierbei spielte lediglich das Volk. Nur durch seine Unterstützung und Anregung habe der Novemberaufstand von 1830/1831 überhaupt ausbrechen können. In Arbeiten der 1950er Jahre wurde die Unterstützung hervorgehoben, die das Warschauer Volk der von den Fähnrichen begonnenen Bewegung habe zuteil werden lassen. Die Verschwörer selbst, »die adlig-intelligenzlerische Jugend, die potentiell eine Reserve der Linken war, hätten von aristokratischen Kreisen als vorzügliche Wächter der Gegenrevolution eingesetzt werden können«. So wäre es unweigerlich gekommen, hätten sich die Warschauer nicht erhoben und wäre vor allem das Arsenal nicht erobert worden. Also »entschieden Bauern und Plebejer darüber, dass eine militärische Revolte sich in eine große Bewegung verwandelte, in einen fast ein Jahr währenden Kampf gegen die Macht des Zarismus«, und seit dem Ausbruch des Aufstandes in einer Novembernacht »bewachte das Volk Warschaus den Sieg des Aufstandes«.359 Es habe die »konservativen Spähren« beunruhigt, dass die städtischen Volksmassen die Initiative ergriffen hätten: »die Vertreter der Magnatenschaft und des Vorwerksadels sowie des reichen Bürgertums, aber auch die eng mit dem Zarentum verbundenen höheren Offiziere waren gegen einen nationalen Aufstand, da sie sich vor einer plebejischen Massenbewegung des Volkes fürchteten, die leicht zu einer sozialen Revolution ausarten konnte«.360 Sie hätten (mit Erfolg) versucht, die Kontrolle über diese Rebellion zu gewinnen, um ihr den revolutionären Charakter zu nehmen. Es mag paradox erscheinen, dass in den marxistischen Arbeiten diese Vertreter der extremen Reaktion für eine Angliederung der weißrussischen und ukrainischen Gebiete an das Königreich plädiert haben sollen (also indirekt für eine Ausbreitung des Unruhen). Sie hätten sich dabei vom Wunsch leiten lassen, ihre Herrschaft über die weißrussischen und ukrainischen Bauern zurück-

359 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 170 und 177. Vgl. Tadeusz Łepkowski: Początki, a. a. O., S. 341. 360 Witold Łukaszewicz: Tadeusz Krępowiecki, a. a. O., S. 21; vgl. Marian Henryk Serejski: Zarys, a. a. O., S. 69.

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zugewinnen.361 Zu Werkzeugen in den Händen der Reaktion seien die einander folgenden »Diktatoren des Aufstandes« geworden. Chłopicki, Skrzynecki und Krukowiecki hätten sich voller Hass über die Idee eines nationalen Befreiungskampfes geäußert.362 Unter den politischen Strömungen des Aufstandes habe sich die linke Patriotische Gesellschaft (Towarzystwo Patriotyczne) als einzige um eine Verbesserung der Lage der Bauernschaft bemüht, doch »wurde das revolutionäre Schlagwort der Bauernbefreiung nicht formuliert; vor allem deshalb konnte es nicht zu einem Sieg des Aufstandes kommen«.363 Obwohl sich die Gesellschaft während der Unruhen radikalisiert habe, sei ihre klassenspezifische Zusammensetzung entscheidend dafür gewesen, dass man keine Volksrevolution habe herbeiführen können: »sie bestand aus einer zu geringen Menge von Bürgern, um zu einer revolutionären Fraktion in des Wortes wahrer Bedeutung zu werden und die Massen des einfachen Volkes mit sich zu reißen, und sei es auch nur des Stadtvolkes«.364 Die Tatsache, dass gerade dieser linke Flügel der Aufständischen einen vollkommenen Bruch mit Russland anstrebte, wurde in den Arbeiten der 1950er Jahre nicht weiter ausgeführt. Joachim Lelewel, einer der Anführer des linken Flügels der Aufständischen, wurde von den Marxisten ähnlich beurteilt wie sein politisches Lager. Der bedeutende Historiker sei ein wankelmütiger Politiker gewesen, der »seine Fraktion als Vermittler zwischen Volk und Reichstag belassen wollte, als Vermittler, der die Radikalität der Angriffe des gemeinen Volkes auf die Regierung neutralisiert und schwächt«.365 Żanna Kormanowa hob den Kontrast und die Schwierigkeiten hervor, auf die der Vorsitzende der einzigen revolutionären Fraktion und gleichzeitig Mitglied der zaudernden Regierung gestoßen sei: »Man hätte aus der Kompromissregierung austreten sollen«, meinte sie, »und unter dem Motto der Agrarreform um die Macht für den linken Flügel der Bewegung kämpfen müssen. Man hätte den Boden für die bewaffnete Abrechnung vorbereiten müssen oder für einen Staatsstreich.« Doch Lelewel war, wie die Historikerin anmerkte, »kein Mensch der Tat – er war ein Gelehrter«.366 Die fehlerhafte, wankelmütige, unentschlossene und gelegentlich sogar reaktionäre Politik der Aufstandsführung habe sich sehr deutlich auf dem Gebiet der Diplomatie abgezeichnet. Adam Jerzy Czartoryski habe nicht erkennen wollen,

361 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 203. 362 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 146–150. 363 Ebd., S. 230. 364 Józef Dutkiewicz: Ewolucja lewicy w powstaniu listopadowym, in: Stefan Kieniewicz/Izabela Bieżuńska-Małowist/Antoni Mączak (Hg.): Z epoki, a. a. O., S. 66. 365 Ebd., S. 58. 366 Żanna Kormanowa: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 42 f.

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dass die westeuropäischen Eliten den Polen gegenüber feindlich eingestellt waren und nur die Volksschichten für sie gewesen seien. Besonders begeistert hätten sich die Franzosen über die Polen geäußert, zumal sie sich wahrscheinlich darüber im Klaren gewesen seien, dass der Ausbruch des Novemberaufstandes sie und die Belgier vor einer zaristischen Intervention bewahrt habe.367 Selbst in Böhmen, wo die panslawistische Ideologie stark gewesen sei, »haben die Volksmassen […] und ein erheblicher Teil des Bürgertums den polnischen Kampf gegen den Zarismus unterstützt«. Die internationale Bedeutung des Aufstandes sei auch im litauischen Schamaiten-Gebiet sichtbar gewesen, wo er bäuerlichen Charakter gehabt habe. Sowohl hier wie auch im Königreich Polen seien russische Soldaten auf die polnische Seite übergelaufen.368 Angesichts der unfähigen (oder verräterischen) Haltung der höheren Klassen habe die Hauptlast des Kampfes auf dem Volk gelastet. Es habe sich das Bewusstsein von einem »Verrat der Eliten« verbreitet, das sich u. a. in volkstümlichen Liedern sowie in einem wachsenden »revolutionären Gären« auf dem polnischen Land ausgedrückt habe.369 Weitere konterrevolutionäre Schritte der Behörden hätten schließlich zum Ausbruch von Unzufriedenheit in der Warschauer Bevölkerung geführt. Am 15. August 1831 hätte die Menge an Verhafteten Selbstjustiz geübt und energische Kampfhandlungen gefordert. Auch wenn diese Ereignisse von der Patriotischen Gesellschaft initiiert worden seien, sei keiner ihrer Anführer an die Spitze der Demonstranten getreten. Die Vorfälle vom 15. August hätten zwar nicht zur Machtübernahme durch die Linken geführt, seien aber in diese Richtung gegangen, was nach der Niederschlagung des Aufstandes ernste Folgen gehabt hätte: »Es ist sehr bezeichnend«, stellte Tadeusz Łepkowski fest, »dass die zaristischen Behörden die ›Schuldigen‹ der Nacht des 15. Augusts rücksichtslos verfolgten und bestraften, wobei man zugleich einigen Vertretern der aufständischen ›Spitze‹ gegenüber viel Verständnis zeigte.«370 Wenn man alle Faktoren berücksichtigt, die Einfluss auf die Kritik an den einzelnen politischen Gruppierungen und Politikern des Novemberaufstandes hatten, könnte man erwarten, dass seine allgemeine Einschätzung durch die marxistische Historiographie nicht die beste war. Doch die Tatsache, dass bei den Kämpfen die radikalen Akteure aktiv geworden waren, führte dazu, dass man den Aufstand – zumindest partiell – als bürgerlich-demokratische Revolution anerkannte. Engels zufolge war der Aufstand eine »konservative Revolution«, doch dürfe man – wie Józef Dutkiewicz feststellte – »in der Wendung ›konservative Revolution‹ nicht zu viel Nachdruck auf das Adjektiv ›konservativ‹ legen, sondern 367 Witold Łukaszewicz: Tadeusz Krępowiecki, a. a. O., S. 32. 368 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 207 f. 369 Ebd., S. 201 und 211. 370 Tadeusz Łepkowski: Początki, a. a. O., S. 361.

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muss im Gegenteil ausreichend klar und stark hervorheben, dass der Aufstand unter den damaligen Bedingungen und nach dem damaligen Verständnis eine Revolution war.«371 Wenn man es in einer längeren Perspektive betrachte, so habe die Niederlage des Aufstandes eine Kompromittierung der Aristokratie bedeutet, wodurch eine zukünftige Revolution nähergerückt sei.372 Zur wichtigsten Errungenschaft dieser Unruhen wurde in der marxistischen Interpretation die Herausbildung der polnischen politischen Bühne und die klare Definition eines fortschrittlichen Volkslagers und eines adlig-aristokratischen Lagers der Reaktion. In den mir bekannten Abhandlungen wurde die Frage nicht aufgegriffen, ob die nationsumgreifende Aufwallung und der blutige polnisch-russische Krieg notwendig waren, um vor Augen zu führen, wer in der polnischen Gesellschaft den Fortschritt und wer die Reaktion repräsentiere. Die Frage nach dem Sinn des Aufstandes, die direkt nach dem Krieg (und dem niedergeschlagenen Warschauer Aufstand von 1944) so aktuell war, tauchte erst in späteren Jahren wieder auf. Nach der Niederschlagung der Rebellion suchten ihre aktiven Teilnehmer Schutz in der Emigration. Die politischen Gruppierungen der Emigration waren für die marxistischen Forscher Polens ein sehr interessantes Thema, auch wegen der zahlreichen Beziehungen, die die Emigranten mit den Schöpfern der marxistischen Philosophie verbanden. Dies hieß jedoch nicht, dass in den Arbeiten der 1950er Jahre das Bild der Großen Emigration einhellig positiv war. Der für die marxistische Interpretation der Geschichte Polens typische Kritizismus drückte sich besonders deutlich darin aus, wie der Charakter und die Errungenschaften des Hôtel Lambert beschrieben wurde. Stefan Kieniewicz schrieb am Ende der 1940er Jahre, die Politik von Fürst Adam Jerzy Czartoryski habe der anderer, radikalerer Gruppierungen der Emigration geähnelt. Sie alle »setzen fast einhellig auf die Karte der Revolution«, alle hätten auch die Bauernbefreiung angestrebt.373 Auf der anderen Seite konnte man in einem 1946 erschienenen Büchlein Żanna Kormanowas über Lelewel lesen, dass Czartoryski der Vertreter des aristokratischen und reaktionären Lagers gewesen sei.374 Die »methodologische Wende« in der polnischen Historiographie führte dazu, dass den Historikern Kormanowas Auffassung näher stand. In etwas späteren Arbeiten wurde über die so genannte czartoryszczyzna geschrieben, das reaktionäre politische Programm der politischen Rechten der Großen Emigration. Witold Łukaszewicz bezeichnete diese Gruppe als Anhänger »Polens mit einer patriarchalisch-feudalen Agrarordnung,

371 Józef Dutkiewicz: Ewolucja lewicy, a. a. O., S. 89. 372 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 385. 373 Vgl. Stefan Kieniewicz: Oblicze ideowe Wiosny Ludów, Warszawa 1948, S. 55; ders.: Czyn polski w dobie Wiosny Ludów, Warszawa 1948, S. 7–9 und 149. 374 Vgl. Żanna Kormanowa: Joachim Lelewel, a. a. O., S. 92 f.

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mit nicht verkleinerten Vorwerken und Latifundien«.375 Die programmatischen Ziele der czartoryszczyzna hätten Einfluss auf die Art und Weise gehabt, wie Politik betrieben wurde: »Das konservative Lager, die Großagrarier um den Fürsten Czartoryski, strebte eine Lösung der polnischen Frage auf reaktionärem Wege, also ›von oben‹, an. Diese Gruppe passte sich den unabwendbaren kapitalistischen ökonomischen Veränderungen an und wollte diese auf ähnlichem Wege einschmuggeln. Sie wollte das revolutionäre und patriotische Streben der Massen umgehen und das Geschick Polens ausschließlich von internationalen Verhandlungen und von Entscheidungen abhängig machen, die in den Vorzimmern der Diplomaten gefällt wurden, ohne die revolutionären Klassen im Lande und der europäischen Revolution mit hinzuzuziehen. Dieser Partei ging es darum, einer Koppelung der Unabhängigkeitsfrage mit den für sie gefährlichen gesellschaftlichen Bestrebungen aus dem Wege zu gehen.«376

Dieser letzte Aspekt der Innenpolitik des Hôtel Lambert wurde in den Arbeiten der 1950er Jahre besonders hervorgehoben. »Die czartoryszczyzna spricht ohne Pause von der Unabhängigkeit«, schrieb Bronisław Baczko, »doch trennt sie den nationalen Befreiungskampf vom Kampf der Volksmassen für antifeudale Veränderungen.« Das Lager der Reaktion habe sich von der Angst vor den Massen leiten lassen. Aus diesem Grund seien die liberalen Gruppierungen der Emigration für die Befreiung der unterdrückten Klassen gefährlicher gewesen als die offen reaktionären Politiker. Baczko stellte das Hôtel Lambert den nationalen Renegaten wie etwa Henryk Rzewuski gegenüber, um festzustellen, dass »nicht das Rzewuski-Lager […] der gefährlichste Gegner des demokratischen Lagers war – vor allem deshalb, weil das nationale Renegatentum, offener Obskurantismus und Reaktion hier wie auf dem Präsentierteller auftraten. Viel gefährlicher war im politischen und ideologischen Kampf eine andere Abspaltung des reaktionären Lagers, in der sich ein reaktionärer gesellschaftlicher und politischer Inhalt mit liberalen Schlagworten verband.«377

Das »aristokratisch-feudale Lager« der Emigration habe den für die polnische Sache schädlichen Okzidentalismus propagiert. Die Agenten des Fürsten »im Dienst der Dynasten […] waren zum Schaden der Emigration tätig und lenkten ihre Aufmerksamkeit vom eigenen Land ab«.378 Sie hätten auch eine antirussische Propaganda betrieben, um zu versuchen, eine Zusammenarbeit polnischer und

375 Witold Łukaszewicz: Stanisław Gabriel Worcell, Warszawa 1951, S. 27. 376 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 61. 377 Bronisław Baczko: Wstęp, in: Bronisław Baczko (Hg.): Towarzystwo Demokratyczne Polskie. Dokumenty i pisma, Warszawa 1954, S. IX–XI. 378 Gryzelda Missalowa: Francuski socjalizm utopijny i jego wpływ na polską myśl rewolucyjną w latach 1830–1848, in: Natalia Gąsiorowska-Grabowska (Hg.): W stulecie Wiosny Ludów 1848–1949, T. II Wiosna Ludów w Europie. Zagadnienia ideologiczne, Warszawa 1951, S. 173.

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russischer Revolutionäre zu verhindern.379 Zu einem sehr interessanten Meinungsaustausch über die Diplomatie des Fürsten Adam Jerzy Czartoryski kam es während der Konferenz von Otwock. Roman Werfel kritisierte in seinem allgemeinen Referat die Balkanpolitik des Hôtel Lambert als antirussisch. Schließlich war, wie er meinte, »die Politik Russlands gegen das Osmanische Reich gerichtet, war also, objektiv gesehen, eine fortschrittliche Politik, unabhängig von allen Absichten der raubgierigen zaristischen Generäle«.380 Mit ihm polemisierte Henryk Batowski: »Ich stelle mit Nachdruck fest«, sagte er, »dass ich Czartoryskis Politik nicht gelobt habe und nicht lobe, dass ich die Tatsache seines zweifellos reaktionären Charakters anerkenne. Dennoch muss ich anmerken, dass dieser Fall, wenn es um die 1840er Jahre geht, korrigiert werden sollte, da meiner Meinung nach kein Zweifel daran besteht, dass Czartoryskis Politik, die darauf abzielte, den Balkanslawen innerhalb der türkischen Grenzen Autonomie zu verleihen, im Vergleich zur damaligen Politik des Zarismus gewisse fortschrittliche Züge trug.«381

Grund für die sehr gehässige Kritik an Adam Czartoryski war ein Plan, ihn als ungekrönten polnischen König anzuerkennen. Die marxistischen Historiker schrieben dem Fürst Machtwillen und die Geringschätzung der Landesinteressen zu: »Und als die Diplomatie des ›Herrn Fürsten‹ Czartoryski versagte, forderte er zwischen 1833 und 1839 zur monarchistischen Insurrektion auf, zu einem hochherrschaftlichen Aufstand in polnischen Landen unter der Leitidee einer Rückkehr zur Verfassung vom 3. Mai 1791 und sah sich selbst als de facto-König.«382

Die marxistischen Historiker warfen Czartoryskis Politik auch Klerikalismus vor. Erst 1848 habe der Fürst, zur Abberufung seines Agenten aus Rom gezwungen, das Fiasko seiner bisherigen Politik eingestanden.383 Dem reaktionären Lager Czartoryskis wurden die linksgerichteten Organisationen der Emigration gegenübergestellt – die Demokratische Polnische Gesellschaft TDP (Towarzystwo Demokratyczne Polskie) sowie die Scharen des Polnischen

379 Irena Koberdowa: Walka czartoryszczyzny przeciwko sojuszowi polskich i rosyjskich rewolucjonistów w czasie powstania styczniowego, in: Stefan Kieniewicz/Izabela Bieżuńska-Małowist/ Antoni Mączak (Hg.): Z epoki, a. a. O., S. 222. 380 Roman Werfel: Stosunek pojęć: patriotyzm – nacjonalizm i kosmopolityzm – internacjonalizm, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 166. 381 Henryk Batowski: Zaborczość i nietolerancyjność burżuazyjnego narodu polskiego. Bałkańska polityka »Hotelu Lambert«, in: ebd., S. 249. 382 Witold Łukaszewicz: Stanisław Gabriel Worcell, a. a. O., S. 27; vgl. ders.: Wpływ masonerii, karbonaryzmu i Józefa Mazziniego na polską myśl rewolucyjną w latach poprzedzających Wiosnę Ludów, in: Natalia Gąsiorowska-Grabowska (Hg.): W stulecie, a. a. O., T. II, S. 172. 383 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 522.

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Volkes (Gromady Ludu Polskiego). Potentiell hätten dies sehr »ergiebige« Elemente des fortschrittlichen Erbes der polnischen Nation sein können. Beide Gruppierungen strebten ihren Programmen nach eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse an und verbanden sie mit nationalen Forderungen. Zu den unzweifelhaften Vorzügen der TDP gehörte die Abneigung ihrer Mitglieder gegenüber dem Czartoryski-Lager. Dem Klerikalismus des Hôtel Lambert stellte sie einen fortschrittlicheren Standpunkt entgegen. Doch selbst Antiklerikalismus und Rationalismus genügten nicht, damit dieses Element der TDP-Ideologie als vollauf fortschrittlich hätte anerkannt werden können. Bronisław Baczko merkte an, dass »der aufgeklärte Hohn in den TDP-Veröffentlichungen gelegentlich ihre weltanschauliche Schwäche verdeckt – das Fehlen eines klaren materialistischen Standpunkts«.384 Das nicht ausreichend radikale gesellschaftliche Programm der TDP habe seine Ursachen in der klassenbezogenen, adligen Zusammensetzung der Organisation. Celina Bobińska warf der Gesellschaft vor, sie »wollte die soziale Revolution mit dem Adel und durch den Adel umsetzen; ihr Programm war halbherzig, es berücksichtigte die Interessen der Großgrundbesitzer«. Die TDP-Mitglieder waren nach Meinung der Historikerin typische Vertreter des adligen Revolutionismus: »Aufrührerisch und oppositionell gegen die Klasse gestimmt, die sie so stiefmütterlich behandelte, waren sie jedoch über viele Fäden mit ihr verbunden.«385 Alles dies habe dazu geführt, dass die Demokratische Gesellschaft nicht genügend fortschrittlich gewesen sei.386 Ein Teil der TDP-Mitglieder sei sich der klassenspezifischen Beschränkungen ihres politischen Programms bewusst gewesen. Sie hätten die von Zauderern und »Liberalen« dominierte Gesellschaft verlassen, um für eine revolutionäre Umgestaltung des Landes zu kämpfen. Nach Baczko hätten die Gründer der Gromady Ludu Polskiego endlich die Barriere des adligen Revolutionsgetues überwunden und seien zu wahren Revolutionären geworden.387 Den Anführern dieser Gruppierung waren zwei Biographien von Witold Łukaszewicz gewidmet, was an sich schon die Anerkennung der marxistischen Historiographie für ihr Wirken bezeugte. Łukaszewicz, ein Wissenschaftler, der die heimische Geschichte besonders kritisch beschrieb, konnte sich sogar für die ideologische Reife Tadeusz Krępowieckis begeistern. Seine Schriften verblüfften durch »die Fähigkeit des dialektischen Herangehens an so komplizierte Probleme wie die Entstehung und Rolle des Absolutismus, die feudale Ausbeutung, die nationale und konfessionelle Unterdrückung; es frappiert die Sicht der Bauernaufstände in der Ukraine, der

384 Ebd., S. XXXVIII. 385 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 63. 386 Witold Łukaszewicz: Stanisław Gabriel Worcell, a. a. O., S. 29. 387 Bronisław Baczko: Wstęp, in: Bronisław Baczko (Hg.): Towarzystwo, a. a. O., S. XV; vgl. Gryzelda Missalowa: Francuski socjalizm, a. a. O., S. 279.

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Rolle der Massen bei der Nationalstaatsbildung, der Volksdiktatur, des Eigentums und der Arbeit«.388

Die Verdienste des zweiten Anführers der Gromady wurden von den marxistischen Historikern als besonders bedeutsam angesehen. Celina Bobińska hierzu: »Bekanntlich war vor allem das ruhmvolle Blatt in der Geschichte der ›Zentralisation‹, wie die Annäherung an [Alexander, M. G.] Herzen und die Zusammenarbeit mit ihm, […] die Bündnispolitik mit der heranreifenden russischen Revolution, ein Verdienst Worcells, der die nahe Geburt und die Entwicklung der russischen Revolution voraussah und in dieser Periode voll und ganz bejahte, obwohl diese Bestätigungen und Zustimmungserklärungen in eine naiv-utopische Phraseologie gehüllt waren.«389

Władysław Bortnowski hob hervor, dass Stanisław Worcell die nationalistischen Vorurteile durchbrochen und den fundamentalen Unterschied vollauf verstanden habe, der zwischen dem reaktionären Zarismus und dem fortschrittlichen russischen Volk bestanden habe. Der Leser seines Textes konnte unter anderem erfahren, dass das Motto »für unsere und eure Freiheit« ein »gemeinsames Schlagwort polnischer und russischer Revolutionäre« sei.390 Ein Bündnis mit Russland erwähnte auch Bolesław Bierut als Teil des Programms der Gromada Humań.391 Die Tatsache, dass die Linke diese Zusammenarbeit habe in die Wege leiten können, habe die reaktionären polnischen Kreise entsetzt, vor allem die czartoryszczyzna.392 Das polnisch-russische Bündnis war jedoch kein Bündnis zweier gleicher Partner. In ideologischer Hinsicht hätten die russischen Emigranten selbst die radikalsten Polen übertroffen. Um ein besonders unerreichbares Vorbild eines wahren Revolutionärs habe es sich bei Alexander Herzen gehandelt. Dessen revolutionärdemokratisches politisches Programm sei radikaler als alles gewesen, was die polnischen Revolutionäre in der Emigration oder auch in Polen selbst entwickelt hätten.393 Schon vor 1863 habe er in seinen Ansichten unbewusst mit Marx übereingestimmt, obwohl er (im Unterschied zu den polnischen Emigranten) damals noch keinen Kontakt zu ihm gehabt habe. »Um so mehr muß man die Übereinstimmung der Konzeptionen, Voraussagen, Forderungen und taktischen Pläne in Bezug auf den Aufstand bei Marx und Engels auf der einen Seite und dem Lager 388 Witold Łukaszewicz: Tadeusz Krępowiecki, a. a. O., S. 92. 389 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 164 f. 390 Vgl. Władysław Bortnowski: Przedmowa, in: Witold Łukaszewicz: Stanisław Gabriel Worcell, a. a. O., S. 5; und Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 339. 391 Bolesław Bierut: O Konstytucji Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej. Konstytucja Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej, Warszawa 1954, S. 41. 392 Vgl. Irena Koberdowa: Walka czartoryszczyzny przeciwko sojuszowi polskich i rosyjskich rewolucjonistów w czasie powstania styczniowego, in: Stefan Kieniewicz/Izabela BieżuńskaMałowist/Antoni Mączak (Hg.): Z epoki, a. a. O., S. 215 und 225. 393 Vgl. Witold Łukaszewicz: Stanisław Gabriel Worcell, a. a. O., S. 47.

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Herzen-Ogarjow auf der anderen bewundern.«394 Im Vergleich zwischen den Mitgliedern der Gromady Ludu Polskiego und den russischen Revolutionären verloren die ersteren gewisse Vorzüge, die sie noch besaßen, als sie mit den Mitgliedern des TDP verglichen worden waren. Vom TDP hätten sie sich davon unterschieden, dass die Demokratische Gesellschaft aus adligen Revolutionären bestanden hätte, während die Gromady revolutionäre Demokraten vereint hätten. Doch im Vergleich mit Herzen waren die Mitglieder der Gromady nach wie vor adlige Revolutionäre; die Bezeichnung »revolutionäre Demokraten« verdienten nur die Russen.395 Trotz ihrer – für Polen – fraglosen Fortschrittlichkeit wurden die Gromady Ludu Polskiego und einzelne politische Anführer in marxistischen Abhandlungen kritisiert, weil sie sich im Vergleich mit den russischen Revolutionären nicht gut genug präsentierten und »objektive Mängel« hätten. Stanisław Worcell etwa habe, so Łukaszewicz, die feudalen Relikte in seinem Bewusstsein nicht überwunden, was den revolutionären Charakter seiner Ideologie beschränkt habe.396 Ein noch schwerer ins Gewicht fallender Fehler der polnischen Radikalen war, dass sie zwar zweifellos Anhänger des Sozialismus waren, aber nicht eines wissenschaftlichen, marxistischen, sondern eines utopischen Sozialismus. Władysław Bortnowski beklagte: »Worcell konnte bis zum Ende seines aktiven Lebens nicht den richtigen Weg des Kampfes finden, er konnte nicht mit der Utopie brechen, er fand keinen Weg zum wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engels.«397 Schlimmer noch, die geistige Entwicklung der Gromady habe in Richtung eines sozialistischen Messianismus tendiert: »In den programmatischen Aufrufen der Gromady Ludu Polskiego zeigten sich Einflüsse des Saint-Simonismus, des Bakunismus und des christlichen Sozialismus mit seinen mystisch-religiösen Anflügen, die die revolutionäre Sprache der Gromada-Mitglieder verdunkelten. Der Mystizismus verzerrt nach 1840 die ideologische Linie der Gromady und verändert sie in eine Art religiöser Sekte.«398

Die »methodologische Wende« in der polnischen Historiographie fiel mit dem 100. Jahrestag der Revolution von 1848 zusammen. Ähnlich wie später bei den Arbeiten zum Jahr der Renaissance oder zum Jahr der Aufklärung sollten auch hier die Historiker eine wichtige Rolle spielen. Im Laufe des Jahres 1948 erschien eine ganze Reihe historischer Publikationen über Fragen, die mit dem Jahrestag zusammenhingen, an ihrer Spitze eine von Natalia Gąsiorowska-Grabowska herausgegebene Aufsatzsammlung mit dem Titel W stulecie Wiosny Ludów 1848–1948

394 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 199. 395 Vgl. Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 551. 396 Vgl. Witold Łukaszewicz: Stanisław Gabriel Worcell, a. a. O., S. 30. 397 Władysław Bortnowski: Przedmowa, in: ebd., S. 6. 398 Ebd., S. 40.

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[Zum hundertsten Jahrestag des Völkerfrühlings 1848–1948]. Im ersten Band dieses Werkes erklärte die Herausgeberin, »Volkspolen sucht seine Entstehung in der Zeit vor hundert Jahren, es findet seine Quellen und den Anfang seines Bestehens in der Zeit des Völkerfrühlings.«399 Eine solche Grundannahme setzte von vornherein voraus, dass das Urteil über die Revolution positiv ausfallen würde, und so verhielt es sich auch in den meisten Veröffentlichungen von 1948. Im genannten Sammelband schrieb Stefan Kieniewicz über den heldenhaften Sensenschwinger der Schlacht von Miłosław, der das polnische Volk von der Schmach der galizischen Bauernrevolte (rabacja) von 1846 reingewaschen habe. Zugleich hob er die Einheit der Nation im Unabhängigkeitskampf hervor: »In Polen setzen alle ihrer Ziele bewussten gesellschaftlichen Schichten und alle politischen Lager von Czartoryski bis zu den Demokraten fast einhellig auf die revolutionäre Karte. Der ›kaiserliche‹ Loyalismus der polnischen Landleute in Galizien ist hier keine Ausnahme, da er aus Ungebildetheit und fehlendem Bewusstsein herrührt, nicht aus einem wahren Interessengegensatz.«400

Das Bild der nationalen, klassenübergreifenden Solidarität wurde in dem Buch Oblicze ideowe Wiosny Ludów [Das geistige Antlitz des Völkerfrühlings] sogar noch schärfer. Kieniewicz schrieb hier: »Die sozialen Programme und Schlagworte, die im Inland und in der Emigration verkündet wurden – Bauernbefreiung, Volksregierung durch das Volk –, sind für die meisten Patrioten Mittel, die zum nationalen Ziel führen. […] In den oberen Schichten der Nation kann man diejenigen Personen an den Fingern abzählen, die freiwillig auf ein staatliches Dasein verzichtet hätten, selbst um den Preis, die kulturelle Eigenheit aufrechtzuerhalten.«401

Deshalb hieß es folgerichtig: »Für die nächsten Generationen wurde das Jahr 1848 zur letzten bewaffneten Anstrengung in diesem [preußischen] Teilungsgebiet, zu einer Erinnerung an die Verbrüderung aller Gesellschaftsschichten im Kampf um eine heilige Sache, noch ein Beweis für die Vitalität der polnischen Nation.«402 Charakteristisch für das von den polnischen Wissenschaftlern in den Jubiläumsschriften gezeichnete Bild der Ereignisse von 1848 war die Kritik an allen Ausprägungen von Panslawismus, der insbesondere in den Beschreibungen des

399 Natalia Gąsiorowska-Grabowska: Sytuacja gospodarczo-społeczna na zachodzie i wschodzie Europy w połowie XIX stulecia, in: Natalia Gąsiorowska-Grabowska (Hg.): W stulecie Wiosny Ludów 1848–1948, Bd. 1: Wiosna Ludów na ziemiach polskich, Warszawa 1948, S. 42; Stefan Kieniewicz: Polski dorobek naukowy stulecia Wiosny Ludów; Marian Tyrowicz: Tematyka dziejów 1848/9 r. w jubileuszowej historiografii obcej und Henryk Batowski: Z pokłosia Wiosny Ludów w dziejopisarstwie słowiańskim (alle in: KH 1949). 400 Stefan Kieniewicz: Czyn polski, a. a. O., S. 149. 401 Ders.: Oblicze ideowe, a. a. O., S. 17. 402 Ders.: Wielkopolska i Prusy Zachodnie w latach 1846–1848, in: Natalia Gąsiorowska-Grabowska (Hg.): W stulecie, a. a. O., Bd. 1, S. 164.

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Prager Slawenkongresses zur Sprache kam. Henryk Batowski stellte die Organisatoren des Kongresses sehr kritisch dar, obwohl er einräumte, dass ihr Panslawismus noch nicht mit der entarteten Variante verglichen werden könne, die in den 1860er und 1870er Jahren vorgeherrscht habe. Dennoch sei selbst diese Form eine inakzeptable Ideologie, vor allem da sie »ausschließlich mit nationalistischen Kriterien operierte […] und allgemeine menschliche Werte in keinster Weise berücksichtigte […]. Die Revolution«, fügte Batowski hinzu, »das Recht des arbeitenden Volkes, die klassenspezifische Bewegung des Proletariats – das alles waren für die Panslawisten und Austroslawisten Fremdwörter, ja sogar feindliche Worte.«403

Eine detaillierte Darstellung des Kongresses, die Kieniewicz verfasste, enthält kritische Bemerkungen an die Adresse der Tschechen, die »die Polen am liebsten ganz von den Verhandlungen ausgeschlossen hätten, damit sie in Prag keine Revolution anstiften. Da sie sie nicht umgehen konnten, behielten sie sich vor, dass nur österreichische Untertanen aktiven Anteil am Kongress nehmen könnten. Die Autorität des polnischen Namens war aber trotzdem so groß, dass niemand diese Vorschrift beachtete.«404

Die Thesen Stefan Kieniewiczs waren eine Weiterentwicklung seiner Erkenntnisse aus der Vorkriegszeit. Ihr Autor hielt die polnische Frage in der Zeit des Völkerfrühlings für gleichbedeutend mit der Frage der Revolution, wobei er sich im Übrigen auf die Aussagen der Klassiker des Marxismus stützen konnte. Die »methodologische Wende« veränderte die Einschätzung dieser Ereignisse jedoch stark. In Kieniewiczs Veröffentlichungen von 1948 findet sich zum Beispiel die Behauptung, der Zarismus habe der russischen nationalen Expansion gedient.405 Die späteren Veröffentlichungen enthielten in der Regel die Versicherung, dass es zwischen Zar und Nation – dem russischen Volk – keinerlei Interessengemeinschaft gegeben habe (und nicht habe geben können). Selbst die reaktionärste Politik des zaristischen Russlands beeinflusste die Einschätzung der »nationalen Expansion« nicht. Auch eine scharfe Kritik des tschechischen Panslawismus und – insbesondere – des Slawenkongresses hätte nach 1948 im Widerspruch zur geltenden Auslegung der Geschichte gestanden und nicht mit den Grundannahmen der tschechoslowakischen Historiographie übereingestimmt. Die seit 1949 erscheinenden Veröffentlichungen, in denen der Verlauf der Revolution von 1848/1849 in den polnischen Gebieten sowie ihre internationalen Hintergründe beschrieben wurden, enthielten ganz andere Urteile. Angeblich ha-

403 Henryk Batowski: Zagadnienia roku 1848 w Słowiańszczyźnie (Fakty, literatura, uwagi metodyczne, materiał dyskusyjny), in: PH 1948, S. 50 f. 404 Stefan Kieniewicz: Czyn polski, a. a. O., S. 107. 405 Vgl. ders.: Oblicze ideowe, a. a. O., S. 18.

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be sich das Volk wie in den Jahren 1794 und 1830 massenhaft am nationalen Befreiungskampf beteiligt. Die Einstellung zum großpolnischen Aufstand habe vom gesellschaftlichen Status abgehangen: »Die Landarmut ergriff in diesen ersten Tagen mehr Initiative als die Hofbesitzer.«406 Noch schlimmer als die Hofbesitzer hätten sich die Vertreter der privilegierten Klassen sowie die demokratischen Verschwörer selbst verhalten. Stefan Kieniewicz verwarf in den von ihm verfassten Kapiteln der »Entwürfe« die These vom solidarischen Aufbegehren der Polen gänzlich: »Die Schlacht von Miłosław zeigte ganz deutlich, dass sich die Bauern für Polen schlagen wollten, der Adel aber nicht.« Am Ende »führte die Klasse des Landadels eine Kapitulation herbei, indem sie die Wankelmütigkeit des demokratischen Lagers nutzte, die dessen Angst vor einer Agrarrevolution geschuldet war«.407 Die marxistischen Historiker Polens betonten nicht nur die negative Rolle, die Russland und die Russen im Völkerfrühling gespielt hätten: »Die Kunde von der Revolution im Westen fiel in ganz Russland mit einer verstärkten Welle von Bauernaufständen zusammen«, bemerkte Kieniewicz. Und außerdem: »Unter den aus dem Königreich eintreffenden Freiwilligen für die polnischen Reihen befanden sich auch Russen – Soldaten der Zarenarmee.«408 Celina Bobińska wiederum hob das gemeinsame Interesse der polnischen und deutschen Demokraten hervor, indem sie feststellte: »In Posen besiegte die preußische Reaktion nicht nur das Posener Volk, sondern auch die deutsche Revolution.«409 In den Veröffentlichungen von vor 1948 war festgestellt worden: »Der Radikalismus der sozialen Postulate der polnischen Seite in der großpolnischen Revolution steht in krassem Gegensatz zum Sozialprogramm der deutschen Einwohner Großpolens, die von Liebe für die alte Ordnung erfüllt waren, Anhänger des bürokratischen und militärischen Despotismus waren, Liebhaber der Tyrannei und der sklavenhaften Untertänigkeit.«410

406 Ders./Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 469. 407 Ebd., S. 470 f., 475 und 478. Ähnlich äußerte sich bei der Konferenz von Otwock Natalia Gąsiorowska-Grabowska. In ihrer Interpretation seien die Schlacht von Miłosław und der spätere Verrat der besitzenden Klassen »zum Knotenpunkt im Formierungsprozess der bürgerlichen polnischen Nation geworden. An dieser Schlacht und anschließend an den Partisanenkämpfen beteiligten sich die bäuerliche Armut und dörfliche Vollbauern, die nach dem Verrat von Adel und Bourgeoisie, nach ihrer Fahnenflucht vom Kampfplatz unverbrüchlich bis zur Erschöpfung das Vaterland gegen die Teilungsmacht verteidigten.« – Natalia Gąsiorowska-Grabowska: Proces formowania się narodu burżuazyjnego w ramach kształtowania się stosunków kapitalistycznych w Polsce, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 38. 408 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 473. 409 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 104. 410 Tadeusz Cieślak: Program społeczny wielkopolskiego ruchu rewolucyjnego 1848 r., in: PZ 1948, S. 270.

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Vor allem im ›Przegląd Zachodni‹ wurden die großpolnischen Ereignisse als ein neues Kapitel des ewigen deutsch-polnischen Kampfes gesehen.411 Etwas mehr Aufmerksamkeit widmete man der internationalen Bedeutung der polnischen Ereignisse. Dass die polnische Frage mit der europäischen Revolution zusammenhing, wurde nach 1948 nicht in Frage gestellt. Die These der Klassiker des Marxismus wurde also in den polnischen Arbeiten vielfach wiederholt. Henryk Jabłoński war sogar bereit, den adligen Revolutionsbewegungen eine solche fortschrittliche Bedeutung zuzuerkennen: »Unter derartigen Bedingungen hatte selbst die adlige polnische Befreiungsbewegung, deren Macht die reaktionären Hauptkräfte hätte erschüttern können, vom Standpunkt der demokratischen Bewegungen in ganz Europa eine erstrangige Bedeutung.«412

Die Polen beteiligten sich an den Kämpfen des europäischen Völkerfrühlings, vor allem am ungarischen Aufstand, doch auch an den Kämpfen auf den Pariser Barrikaden, denen Witold Łukaszewicz ein Buch widmete.413 Die Ereignisse von 1848/1849 in den polnischen Ländern belegten nach Meinung der marxistischen Autoren, dass die »polnischen Revolutionäre noch nicht stark mit dem Volk verbunden waren« und dass »das Gros der Demokraten sich relativ leicht durch das konkurrierende liberale Lager von den Bauern spalten ließ«. Ein Teil der polnischen besitzenden Klassen sei vor der realen Perspektive einer Agrarrevolution in Furcht geraten und habe von nun an Tendenzen an den Tag gelegt, mit den Teilungsmächten zusammenzuarbeiten. Die Revolutionäre sollten lernen, dass das Schicksal Polens ausschließlich vom Volk abhänge, das – auch wenn es sich dessen nicht bewusst gewesen sei – als einzige gesellschaftliche Klasse die Prüfung des Jahres 1848 bestanden habe.414 Gelegentlich wurden noch weitergehende Meinungen formuliert. In einem 1948 im PZ veröffentlichten Artikel versuchte Wisława Knapowska nachzuweisen, dass die Polen 1848 nicht nur auf die Hilfe fremder Regierungen, sondern sogar »revolutionärer Völker« hätten bauen müssen. Der Aufstand hätte realistischerweise lediglich die Energie der heimischen Volksmassen freisetzen können.415 Der letzte der großen Nationalaufstände von 1863/1864 wurde in ein ähnliches Interpretationsschema eingefügt, angefangen bei der Spitze der gesellschaftlichen Leiter:

411 Vgl. Bożena Osmólska-Piskorska: »Wiosna Ludów« na Pomorzu, in: PZ 1948; Tadeusz Grygier: Powstanie wielkopolskie a plany wyzwolenia reszty ziem zachodniej Polski, in: PZ 1948. 412 Henryk Jabłoński: Międzynarodowe znaczenie, a. a. O., S. 17. 413 Witold Łukaszewicz: Barykady paryskie (1827–1848), Łódź 1949. 414 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 540 f. 415 Vgl. Wisława Knapowska: Z problematyki dziejów roku 1848 w Poznańskiem, in: PZ 1948, S. 247.

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»Großgrundbesitzer und Großbourgeoisie, die die Agrarrevolution fürchteten wie der Teufel das Weihwasser, waren einem bewaffneten Unabhängigkeitskampf gegenüber in dem Maße negativ eingestellt, in dem dessen Erfolg nur durch die Beteiligung der breiten Volksmassen, vor allem der Bauern, hätte sichergestellt werden können.«416

Der mittlere Adel und die Bourgeoisie seien nicht so offen gegen einen bewaffneten Unabhängigkeitskampf gewesen, hätten ihre Hoffnung auf Hilfe jedoch zu Unrecht auf die Westmächte gesetzt. Außerdem »strebten Großgrundbesitzer und Bourgeoisie die Schaffung eines Polens an, dem neben dem Königreich auch die so genannten Fortgenommenen Gebiete angehören sollten, also die Länder Litauens, Weißrusslands und der Ukraine rechts des Dnjepr in den Grenzen von 1772. Dagegen sollten die urpolnischen Regionen des preußischen und österreichischen Teilungsgebiets einem polnischen Staat nicht angehören.«417

Diesen gesellschaftlichen und politischen Lagern stellten die Marxisten die Radikalen der »plebejisch-volkstümlichen Bewegung« entgegen, zu der Studenten, ein Teil der Intelligenz, Handwerker und die plebejischen Massen gehört hätten, vor allem in Warschau.418 Einen positiven Einfluss auf die Vertreter dieser Gruppe hätten die Kontakte mit russischen Revolutionären gehabt. Während also Jarosław Dąbrowski, Zygmunt Sierakowski oder Zygmunt Padlewski zu Unrecht auf die Beteiligung von Grundbesitzern an dem künftigen Aufstand gebaut hätten, so »verstanden sie doch die Notwendigkeit einer Kooperation mit der russischen Revolutionsbewegung. Dies stellte sie auf die linke Seite des künftigen Lagers der Roten; die Verbindung mit den Russen zwang auch die Polen zu einer radikaleren Lösung der Bauernfrage.«419

Die massive Beeinflussung der Polen durch russische Propaganda wurde gelegentlich auf höchst merkwürdige Weise belegt. Zum Beispiel hieß es in einer Abhandlung über die polnisch-russische revolutionäre Zusammenarbeit: »Davon, welch großen Einfluss und welch große Popularität ›Kolokol‹ im Königreich hatte, und davon, wie sehr der polnische Leser im Lande von einer engen Zusammenarbeit des ›Demokrata Polski‹ mit dem ›Kolokol‹ überzeugt war, zeugt eine an die Redaktion des ›Demokrata…‹ eingesandte Korrespondenz aus Warschau, deren Autor an Herzen appelliert, er möge in seiner Zeitschrift öffentlich die unmenschlichen Methoden anprangern, die die zaristische Polizei gegenüber den Gefangenen in der [Warschauer, M. G.] Zitadelle angewandt habe«.420 416 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 159. 417 Ebd., S. 160 f. 418 Vgl. Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 158. 419 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 635 f. 420 Andrzej Ślisz: Współpraca polskich i rosyjskich sił postępowych w polskiej prasie emigracyjnej i konspiracyjnej lat 1859–1864, in: Ludwik Bazylow/Helena Brodowska/Krzysztof DuninWąsowicz (Hg.): Z dziejów współpracy rewolucyjnej Polaków i Rosjan w drugiej połowie XIX wieku, Wrocław 1956, S. 29.

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Schließlich hätten im Frühjahr 1861 die aktiven Linken den reaktionären Charakter der bisherigen polnischen Politik erkannt und mit der Agitation auf dem Land begonnen. Bei dieser schwierigen Aufgabe, die misstrauischen sozialen Schichten zu erreichen, hätten sie die Hilfe einfacher russischer Soldaten erhalten. Anschließend hätten die Roten versucht, die Führung der radikalisierten patriotischen Bewegung zu übernehmen. Um die Möglichkeiten eines Kompromisses mit dem Zarismus zu beschränken, hätten sie patriotischen Demonstrationen ihre Parole von der Rückgabe der Fortgenommenen Gebiete (heute: Weißrussland und Ukraine) aufgezwungen. Dies wurde in den Arbeiten der 1950er Jahre negativ beurteilt: »Die gemeinsamen Demonstrationen waren von Seiten der Roten ein politischer Fehler. Anstatt den nationalen Befreiungsbestrebungen der litauischen, weißrussischen und ukrainischen Bauern entgegenzukommen, knüpfte man hier an die schlechten adligen Traditionen der polnischen Herrschaft über diese Lande an.«421

Die von einem Teil der Roten aufgeworfene Frage der Fortgenommenen Gebiete war dafür entscheidend, sie dem rechten Flügel dieser Strömung zuzurechnen, ganz nach dem von Andrzej Ślisz formulierten Prinzip, dass »alle diejenigen, die den Anschluss der Ostgebiete der alten, feudalen Rzeczpospolita an Polen verlangten, zugleich danach strebten, ein Übergewicht des Adels im Land zu erhalten«.422 Eine wichtige Feststellung über die Anstrengungen sowohl der Weißen wie auch der Roten war, dass eigentlich nicht die patriotischen Demonstrationen, sondern der bäuerliche Widerstand gegen die Leibeigenschaft zum Aufstand geführt habe.423 Wie in den Monaten der patriotischen Erregung, so nahmen auch nach dem Ausbruch des Aufstandes die einzelnen Gruppen der polnischen Gesellschaft unterschiedliche Standpunkte ihm gegenüber ein. Adam Korta beurteilte die Effektivität der aufständischen Maßnahmen vom militärischen Gesichtspunkt aus und meinte, die besten Ergebnisse hätten diejenigen »Parteien« erzielt, die aus Bauern oder armen Handwerkern oder Proletariat bestanden hätten. Allein die Tatsache, dass der Aufstand so lange gedauert habe, sei eine Folge der aktiven Unterstützung durch die Volksmassen.424 Emanuel Halicz schrieb, dass die verstärkte revolutionäre Bewegung auf dem polnischen Land geradezu Züge einer bürgerlich-

421 Ebd., S. 657. 422 Andrzej Ślisz: Współpraca, a. a. O., S. 10. An anderer Stelle schrieb Ślisz über den rechten Flügel der Roten: »zielbewusst lehnten sie die Hilfe der russischen Revolutionäre ab. […] Die von den reaktionären Elementen ständig und systematisch genährte antirussische Propaganda setzte es sich zum Ziel, Hass auf die ganze russische Nation zu erzeugen. Bei dieser Treibjagd schwadronierte man mit besonderer Heimtücke über die angeblichen Rechte Polens auf die Ukraine und Litauen, man stellte die aggressiven Bestrebungen der polnischen Großgrundbesitzer als gesamtnationales Interesse dar und verbreitete in der Gestalt patriotischer Schlagwörter ganz gemeinen Nationalismus.« – ebd., S. 15. 423 Vgl. Ebd., S. 692. 424 Ebd., S. 177 f.

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demokratischen Revolution getragen habe.425 Die Bauern, die sich an der Aufstandsbewegung beteiligten, »strebten danach, ihr einen Massen- und wahrhaftigen Volkscharakter zu verleihen«.426 Letztendlich habe sich die Beteiligung der Volksmassen am Aufstand leider nicht in eine Revolution verwandelt, und zwar aufgrund des Fehlens einer Arbeiterklasse – eines Hegemons, der die Nation zum Kampf hätte führen können. Dennoch hätten die Kämpfe eine Schlüsselbedeutung dafür, dass sich der Entstehungsprozess der polnischen Nation beschleunigt habe.427 Das Volk kommentierte das Bauernbefreiungsprogramm der Nationalregierung mit verhaltener Zustimmung. Dennoch war die offiziell akzeptierte marxistische Zäsur das Jahr 1864, als der Zar die Aufhebung der Leibeigenschaft verkündete, und nicht 1863, als dies die Aufständischen getan hatten. Die Beteiligung der Bauern am Aufstand hätte sich nicht nur im Kampf gegen die zaristische Armee ausgedrückt, sondern – vielleicht sogar in erster Linie – »durch die Beteiligung an einem antifeudalen Kampf gegen die Gutshöfe«.428 Die Tatsache, dass die Bauern die Aufständischen nicht unterstützten, sei vorwiegend auf die Betätigung der besitzenden Klassen zurückzuführen, die sich bemüht hätten, die radikalen Agitatoren von den Bauern fernzuhalten.429 Die Vertreter der Reaktion in der Aufstandsführung hätten danach gestrebt, die Kontrolle über die Bewegung zu gewinnen. Im Verhältnis zur russischen Nation hätten sie »eine klar nationalistische Linie« verfolgt.430 Die Suche des Adels nach ausländischer Unterstützung für den Aufstand wurde als Anwerbung von Bündnispartnern für den Kampf gegen das einheimische fortschrittliche Lager interpretiert.431 Eine sehr zweideutige Rolle hätten im Aufstand die Vertreter der niedrigeren Geistlichkeit gespielt, die sich nicht so sehr aus eigener Überzeugung den Befehlen der Aufstandsführung gebeugt hätten, sondern um einer übermäßigen Radikalisierung entgegenzuwirken.432 Ein gewaltiger Fehler des linken Flügels der Roten sei es gewesen, einen Kompromiss mit den Akteuren des rechten Flügels anzustreben. »Die Konzeption der nationalen Front, von Einheit und Koexistenz mit den Großgrundbesitzern« habe nicht dazu führen können, die Bauernmassen zu bewegen.433

425 Emanuel Halicz: Ruchy chłopskie a powstanie styczniowe, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/ Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 155. 426 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 705. 427 Ebd., S. 736. 428 Vgl. Emanuel Halicz: Ruchy, a. a. O., S. 157. 429 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 155. 430 Ebd., S. 176. 431 Vgl. Witold Kula: Karol Marks – przyjaciel i obrońca Polski, in: ND, Nr. 4/1953, S. 61. 432 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 674. 433 Natalia Gąsiorowska-Grabowska: Proces formowania się narodu burżuazyjnego w ramach kształtowania się stosunków kapitalistycznych w Polsce, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/ Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 42.

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Neben versteckten inneren Feinden habe die Aufstandsbewegung auch mächtige äußere Feinde gehabt (sowie nicht minder schädliche falsche Freunde), unter denen der Zarismus nicht der perfideste gewesen sei. »Pius IX. war bereit, den Wiederaufbau eines konservativen und katholischen Polen durch die Mächte zu segnen. Doch […] er sprach den Polen das Recht ab, sich aus eigenen Kräften zu befreien, auf dem Weg einer Revolution.«434 Adam Korta zählte nicht nur Alexander III., Bismarck oder Wielopolski zum »Lager der Aufstandsfeinde«, sondern auch Pius IX., Napoleon III. und den Anführer der liberal-konservativen Emigration, Władysław Czartoryski. Die Politik Englands und Frankreichs habe dem Aufstand ablehnend gegenübergestanden, obwohl sie sich den Anschein von Sympathie gegeben habe, »verbarg sich hinter den Phrasen über die Freundschaft zur polnischen Nation doch ein klar antipolnischer Standpunkt«.435 Eigentlich hätten die Polen ausschließlich auf die Unterstützung der Volksmassen und der revolutionären Kreise Westeuropas setzen müssen.436 Schließlich habe auch die zaristische Propaganda gegen den Aufstand gearbeitet, die sich »des perfiden Arguments bediente, dass es eine aristokratische, rückschrittliche Bewegung sei, die die Privilegien des Adels und der Kirche verteidige«.437 Der Aufstand habe jedoch auf die Unterstützung bewährter Bündnispartner bauen können, des russischen Volkes sowie Marx’ und Engels, »zweier Menschen, die mit ihrem Genius der ganzen Menschheit neue Wege aufzeigten«.438 In den Abhandlungen über den Januaraufstand war die gängige Bezeichnung der Klassiker des Marxismus »erprobte Freunde der polnischen Nation«. Während des Vereinigungsparteitages von PPS und PPR rief Bolesław Bierut: »Wie groß war die Bedeutung der Tatsache, dass Marx und Engels […] den Sieg von Freiheit und Demokratie in Europa mit dem Kampf um ein neues, ein freies Volkspolen so eng verbanden.«439 In vielen Arbeiten wurde ein Bild reproduziert, das Karl Marx mit seiner Tochter darstellt, an deren Hals ein stilisiertes Aufstandskreuz hängt. Celina Bobińska, die der Beziehung der Klassiker zu Polen ein ganzes Buch widmete, hob hervor, dass diese die Lage der Polen höchst nüchtern betrachtet hätten:

434 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 717. 435 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 181; Stefan Kieniewicz schreibt über die Entstehung dieser Strömung in der Emigration: »Polen kam man im Fortschrittslager ehrlich entgegen; so konnte die ›gemäßigte‹ Propaganda des Hôtel Lambert hier eher die Sympathien abkühlen« – Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, S. 718. 436 Ebd., S. 721. 437 Ebd., S. 735. 438 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 156; vgl. Celina Bobińska: Marks i Engels wobec powstania styczniowego, in: KH 1953. 439 Podstawy ideologiczne PZPR. Referat tow. Bolesława Bieruta wygłoszony w dniu 15 XII 1948 r. Koreferat tow. Józefa Cyrankiewicza wygłoszony w dn. 16 XII 1948 na Kongresie Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej. Deklaracja ideowa PZPR, Warszawa 1952, S. 40.

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»Mit besonderer Beunruhigung beobachteten beide Freunde den zunehmenden bonapartistischen Einfluß und seine Umtriebe im Lager der Roten. Mierosławski behandelten sie – wie wir wissen – seit langem als Bonapartisten.«440 Nach der Niederschlagung des Aufstandes äußerte Engels einen Satz, der in verschiedenen Formen und ohne Quellenangabe in vielen polnischen marxistischen Arbeiten wiederholt wurde: »Die Unabhängigkeit Polens und die Revolution in Russland hängen voneinander ab«. »Diese geniale Richtschnur«, schreibt Andrzej Ślisz, »die der polnischen Befreiungsbewegung vorgegeben wurde, war mit einer anderen, unvergleichlich wichtigeren Feststellung verbunden, dass sich nämlich das Zentrum der internationalen revolutionären Kräfte von West nach Ost verlagere«.441 Für die marxistischen Historiker bestand kein Zweifel daran, dass die russischen Revolutionäre für die Polen viel Sympathie hegten, die gelegentlich auch durch ihre persönliche Beteiligung am Aufstand bestätigt worden sei. Sie hätten die Beziehung zwischen der russischen Revolution, die sie anstrebten, und der polnischen nationalen Befreiungsbewegung erkannt. Die Russen hätten auch versucht, die Polen über die wahre Natur des Freiheitskampfes zu unterrichten: »Nur die Agrarrevolution bot der polnischen Unabhängigkeitsbewegung die Garantie, dass sich breiteste Massen an ihr beteiligen. Der linke Flügel der Roten, dessen Anführer in der Mehrheit unter dem Einfluss der großen revolutionären russischen Demokraten großgeworden waren, verstand diese Frage. Darum war sein engster Bündnispartner die antizaristische Bewegung in Russland, die eine Bauernrevolution verlangte. Dagegen hatte die polnische Reaktion der Großgrundbesitzer, von ständig ausbrechenden Bauernrevolten bedroht, Angst vor der revolutionären russischen Bewegung, da sie einen radikalisierenden Einfluss auf die polnischen Verhältnisse hatte. […] Vor einem Bündnis mit den russischen Revolutionären fürchtete sich auch der liberal-bürgerliche rechte Flügel der Roten, der zu einer Verständigung mit dem Feudalherren bereit war, der sich zu einem kapitalistischen Großgrundbesitzer wandelte.«442

An die Spitze der Liste russischer Verbündeter des Aufstandes schoben sich Emigranten wie Herzen und Černyševskij, die im Übrigen auch nach dessen Niederschlagung weiterhin Einfluss auf die fortschrittlichen Polen gehabt hätten: »Auch hinter den Gittern des zaristischen Gefängnisses übte Černyševskij großen Einfluss auf die polnischen Verbannten aus, indem er darum kämpfte, sie aus dem Einfluss von Landbesitzern und Klerus zu befreien und sie in einem revolutionär-demokratischen Geist zu erziehen.«443

440 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 214. 441 Andrzej Ślisz: Współpraca, a. a. O., S. 19. 442 Ebd., S. 10. 443 Józef Kowalski: Hercen i Czernyszewski – wielcy nauczyciele polskich działaczy demokratycznych lat sześćdziesiątych XIX w., in: ND, Nr. 2/1950, S. 251.

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Wie bereits erwähnt, hätten sich die russischen Soldaten lebhaft für das Schicksal des polnischen Bauernstands interessiert. Mehr noch: »Auch unter den Offizieren, die nicht auf die Seite des Aufstandes übergegangen waren, hatte er seine Sympathisanten, die verborgen zu seinen Gunsten agierten. Zu ihnen gehörte u. a. der Vater von Nadežda Krupskaja.«444 Die marxistische Historiographie Polens beurteilte den Aufstand als Ganzes in der Regel positiv, hegte jedoch eine Reihe von Vorbehalten gegen die Diktatoren, die Anführer einzelner Truppenteile, Politiker der Weißen, Roten und der Emigration sowie gegen weitere gesellschaftliche Gruppen Polens. Der Januaraufstand wurde höher eingeschätzt als der Novemberaufstand, vor allem aufgrund der von der Nationalregierung gefassten Entscheidung über die Bauernbefreiung. Ein zweiter Grund für diese Haltung zum Januaraufstand lag darin, dass die Beteiligung von Russen auf polnischer Seite am Aufstand es erlaubte, den Katalog der polnisch-russischen Freundschaftsgeschichte zu erweitern. Der Novemberaufstand bot kaum derartige Gelegenheiten. Adam Korta zufolge war der Aufstand »eine der heldenhaftesten und opfermutigsten Anstrengungen im Kampf für die Befreiung vom Joch der Teilungsmächte und für die Beseitigung der Leibeigenschaft. […] Der Januaraufstand wurde von den besten Söhnen Polens begonnen und durchgeführt, in brüderlicher Verbundenheit mit der ganzen revolutionären Demokratie Europas, vor allem Russlands. Dies hat die große Anerkennung und herzliche Unterstützung von Karl Marx und Friedrich Engels gefunden.«445

Sozusagen ein Postskriptum zur Beschreibung des Aufstandsgeschehens war in den Abhandlungen der 1950er Jahre die Erwähnung, dass »es kein Zufall ist, dass die ersten vom Zarismus nach 1864 in Warschau aufgestellten Galgen diejenigen waren, an denen die Aktivisten des Großen Proletariats [der 1882 gegründeten ersten Arbeiterpartei Polens – M. G.] aufgeknüpft wurden«.446 Der Januaraufstand beendete den vom Kościuszko-Aufstand eingeleiteten Zeitraum der nationalen Befreiungskämpfe. Aufschlussreich ist ein Blick auf die marxistischen Versuche, die gesamten polnischen Bemühungen zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit, also das Programm der polnischen Nationalbewegung, zu interpretieren. Alle wurden an demselben universellen Kriterium der Fortschrittlichkeit und zugleich auch der Effektivität gemessen – um die Unabhängigkeit zu erreichen, musste man den nationalen Befreiungskampf mit der sozialen Frage verbinden und eine Agrarrevolution durchführen. Auf der einen Seite hieß es gelegentlich, dass es eine solche Verknüpfung tatsächlich gegeben habe. So gin-

444 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia Polski. Makieta, a. a. O. Bd. 2, S. 719. 445 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 155. 446 Ebd., S. 183; vgl. auch Żanna Kormanowa: Gospodarczo – społeczne przesłanki ukształtowania się pierwszej partii polskiej klasy robotniczej (w 70-lecie powstania partii »Proletariat«), in: PH 1952, S. 417.

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gen zum Beispiel Józef Cyrankiewicz in seiner Rede auf dem Vereinigungsparteitag oder auch Witold Kula bei der Konferenz von Otwock vor.447 Häufiger aber machte man darauf aufmerksam, dass sich der Klassencharakter des polnischen Unabhängigkeitskampfes eher in seiner allgemeineuropäischen als in der innerpolnischen Dimension gezeigt habe. Celina Bobińska räumte zwar ein, dass im Westen »die misstrauischen und ihren redegewaltigen bürgerlich-liberalen Politikern gegenüber argwöhnischen Massen ihre Treue gegenüber den revolutionären Prinzipien an der Beziehung zu Polen gemessen haben«, erinnerte aber zugleich daran, dass nicht nur der Kościuszko-Aufstand, sondern alle polnischen Aufstände eine sehr viel fortschrittlichere Rolle nach außen als nach innen gespielt hätten. Dadurch sei es zu einem gewissen »Abschluss« der Geschichte gekommen: So wie die Verfassung von 1952 die Unzulänglichkeiten der Verfassung vom 3. Mai 1791 behebe, so »wird die Agrarrevolution schließlich erst 1944 und 1945 von Volkspolen durchgeführt, als der arbeitende Bauer im Industrieproletariat einen Verbündeten und Hegemon erhält«.448 Eine ungenutzte Chance der polnischen Aufstände sei den marxistischen Forschern zufolge die Zusammenarbeit mit den russischen Revolutionären gewesen. Diese These wurde bei der Analyse fast jeder patriotischen Erhebung wiederholt, aber auch in Bezug auf die Aufstände als einheitlichem Prozess. So heißt es bei Zygmunt Modzelewski: »Die besondere Bedeutung der polnisch-russischen Zusammenarbeit für das Erreichen des Sieges verstanden die fortschrittlichen Elemente aller Aufstandsbewegungen, schon seit dem Kościuszko-Aufstand.«449 Allgemein wurden die polnischen nationalen Aufstände jedoch nur als gemäßigt fortschrittlich eingestuft. Pavel Tret’jakov bestätigte die Teilnehmer der Otwocker Konferenz darin schon am ersten Tag der Verhandlungen, als er sagte, dass »niemand daran zweifeln kann, dass die polnische nationale Befreiungsbewegung im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine fortschrittliche Bewegung war. […] Ein ganz anderes Urteil ist über die Bewegung zu fällen, die gegen das zaristische Russland im 19. Jahrhundert zum Beispiel in Kasachstan gerichtet war, an deren Spitze die einheimischen Feudalherren standen.«450

Die polnischen Wissenschaftler der 1950er Jahre erkannten im Jahr 1864 nicht nur den Beginn des Kapitalismus auf polnischem Boden, sondern auch das Ende

447 Vgl. Podstawy ideologiczne, a. a. O., S. 84; Witold Kula: Narastanie elementów kapitalizmu w Polsce XVIII w. Splatanie się walki klasowej z narodowo-wyzwoleńczą. Stosunek historiografii polskiej do procesu tworzenia się narodu burżuazyjnego, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/ Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 126 f. 448 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 95 f. 449 Zygmunt Modzelewski: Komuna Paryska i polski ruch rewolucyjny, in: KH 1954, S. 57. 450 Paweł Tretiakow: Znaczenie prac Józefa Stalina o zagadnieniach językoznawstwa dla nauki historii, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 1, S. 75 f.

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einer Phase, in der die polnische Frage das Kriterium für Fortschrittlichkeit in ganz Europa war, als die Klassiker des Marxismus den Polen mehr oder weniger zu Recht viel Aufmerksamkeit schenkten und ihre Unabhängigkeitsbestrebungen mit Sympathie bedachten. Von da an sollten nun die russischen Revolutionäre das »Staffelholz« übernehmen. Henryk Jabłoński stellte fest: »Solange, um mit Lenins Worten zu sprechen, die Volksmassen in Russland noch im Tiefschlaf lagen, verlor die polnische Frage trotz aller Niederlagen nichts von ihrer Aktualität für die weltweite Revolutionsbewegung.«451 Ausführlich äußerte sich hierüber Celina Bobińska: »Wenn früher die Losung eines Krieges mit Rußland um die Unabhängigkeit Polens der Vertiefung der europäischen Revolution diente und tatsächlich der Schlüssel zur Lösung der polnischen Frage war, so brachte diese Losung im 20. Jahrhundert, wie Lenin bewies, die polnische Frage in direkten Widerspruch zur russischen Revolution.«452

Celina Bobińska meinte hier ebenso wie bei der Bewertung der Fortschrittlichkeit von Lelewel oder dem Kościuszko-Aufstand, Marx habe einen gedanklichen Fehler begangen, indem er seine Hoffnungen allzu lange auf eine Revolution in Polen gesetzt und nicht erkannt habe, dass dessen Platz langsam, seit 1864 aber immer deutlicher von Russland besetzt wurde.453 Es wird deutlich, dass keiner der polnischen Aufstände vollauf den Anforderungen genügte, die man an die fortschrittlichen nationalen Traditionen stellte. Keiner erhielt so gute Noten wie sie die tschechischen und slowakischen Historiker ihrer nationalen Wiedergeburt verliehen. Die Nationalbewegungen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, Kultur, Literatur und politische Vertretung für die unterdrückten Slawen zu schaffen, hatten einen Erfolg erzielt, der allein dadurch belegt wurde, dass sie einhundert Jahre später auf Tschechisch und Slowakisch beschrieben wurden. Ihre Fortschrittlichkeit kannte keine größeren Einschränkungen, und die Versuche, die Bedeutung udovít Štúrs oder František Palackýs zu schmälern, wurden von der einhelligen Mehrheit der inländischen Wissenschaftler rasch marginalisiert. Die polnischen Aufstände hingegen hatten mit Niederlagen geendet. Selbst wenn sie Erfolg gehabt hätten, ist daran zu zweifeln, ob dies ihre Beurteilung durch die Marxisten verbessert hätte. Denn hätte man einen siegreichen Krieg gegen Russland rühmen können, selbst wenn es das zaristische Russland gewesen war? In diesem Zusammenhang war ein konservativer Panslawist wie Palacký, waren sowohl Kollár als auch Štúr weniger kontrovers als ein antirussischer Demokrat, als Kościuszko oder Lelewel.

451 Henryk Jabłoński: Międzynarodowe znaczenie, a. a. O., S. 51. 452 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 32. 453 Ebd., S. 226.

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Das Bewertungsproblem, wie fortschrittlich die polnischen Aufstände waren, wird noch deutlicher, wenn man die marxistische Interpretation eines Phänomens betrachtet, das als nationale Konterrevolution bezeichnet werden kann. Es gab in der Geschichte Polens wenige Ereignisse, die von den Nachgeborenen so eindeutig negativ beurteilt worden wären wie die galizische Bauernrevolte (rabacja). Mit Ausnahme des kommunistischen Dichters Bruno Jasieński verwendeten die meisten Künstler dieses Motiv, wenn überhaupt, als Warnung und Erinnerung an ein abscheuliches Verbrechen. Es genügt daran zu erinnern, dass in Stanisław Wyspiańskis Drama Hochzeit die Erinnerung an die Bauernrevolte wie ein nationales Trauma erscheint, das die Atmosphäre der ständeübergreifenden Verbrüderung zerstört. Die fruchtlosen Bemühungen der Organisatoren des Krakauer Aufstands von 1846 wurden in dieser Perspektive zu einer weiteren tragischen Episode des Gemetzels. Eine abweichende Interpretation der Ereignisse von 1846 legte Karl Marx vor. Seiner Ansicht nach sei der Krakauer Aufstand bereits eine Revolution gewesen, ein zwar erfolgloser, doch rühmlicher Versuch, den nationalen Befreiungskampf mit einem Kampf um die gesellschaftliche Befreiung zu verbinden: »Die Krakauer Revolution wollte weder das alte Polen wiederherstellen noch wollte sie erhalten, was die fremden Regierungen an alten polnischen Einrichtungen hatten bestehen lassen; sie war weder reaktionär noch konservativ. Nein, noch feindlicher als den fremdländischen Unterdrückern stand sie Polen gegenüber: dem alten, barbarischen, feudalen und aristokratischen Polen, das aufgebaut war auf der Knechtschaft der Mehrheit des Volkes. Weit entfernt, dieses alte Polen wiederherzustellen, wollte sie es von Grund auf umstürzen und auf seinen Trümmern mit einer ganz neuen Klasse, mit der Mehrheit des Volkes, ein neues, modernes, zivilisiertes und demokratisches Polen errichten«.454

Dieses Urteil des Klassikers war Ausgangspunkt für eine Neuinterpretation des Krakauer Aufstands und der galizischen Bauernrevolte. Die Wissenschaftler der 1950er Jahre hoben hervor, die Krakauer Revolution habe den Revolutionszeitraum in ganz Europa eingeleitet. Die galizischen Ereignisse hätten 1848 gewissermaßen antizipiert.455 Dass die Bemühungen der polnischen Revolutionäre vergebens waren, änderte nichts an dieser hohen Meinung: »Was machte es schon aus«, fragte Celina Bobińska rhetorisch, »daß der Aufstand ein lokaler war, […] daß er bei den breiten Massen der Bauern auf Verständnislosigkeit stieß? […] Wesentlich und wichtig war, dass in diesem Aufstand auf die Bauern gezählt, dass ihnen die Agrarrevolution verheißen und den Großgrundbesitzern mit dieser Revolution gedroht wurde.«456 454 Karl Marx/Friedrich Engels: Reden auf der Gedenkfeier in Brüssel am 22. Februar 1848 zum 2. Jahrestag des Krakauer Aufstandes von 1846, in: dies.: Werke, Band 4, Berlin 1972, S. 523 f. 455 Vgl. Celina Bobińska: Marks i Engels, a. a. O., S. 72; Stefan Kieniewicz: Legion Mickiewicza 1848–1849, Warszawa 1955, S. 31. 456 Celina Bobińska: Marx und Engels, a. a. O., S. 86.

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Trotz des positiven Urteils der Historiker blieb die Erfolglosigkeit des Krakauer Aufstandes ein Faktum. Eine »objektive« Ursache dieser Niederlage sahen die Marxisten in der besonderen wirtschaftlichen Rückständigkeit Galiziens. Zudem habe der örtliche »Besitzadel« alles getan, um das Einsickern radikaler Propaganda auf dem Land zu verhindern. Eine Teilschuld am Misserfolg der Revolution hätten jedoch die Revolutionäre selbst zu tragen. Roman Werfel etwa warf ihnen allzu große Mäßigung und Inkonsequenz vor.457 Den Autoren der »Entwürfe« zufolge hätte der rechte Flügel der Revolutionäre die Niederlage zu verantworten, der »Kompromisse mit den besitzenden Klassen eingegangen war«.458 Sehr kritisch wurde auch der Aufstandsdiktator Jan Tyssowski beurteilt, »ein typischer Vertreter des adligen Liberalismus«, der »dem Lager der Konterrevolution Handlungsfreiheit ließ«.459 Eine wirkliche Herausforderung für die marxistische Historiographie Polens war die Beurteilung der Bauernrevolte. Auch die Jubiläumspublikationen zur 100. Jahrestag des Völkerfrühlings sprachen meist kritisch über die Bauernbewegung. Stefan Kieniewicz schrieb 1948 über den »von der Hand polnischer Bauern im Blut ertränkten« Aufstand; der Posener Aufstand zwei Jahre darauf habe die Schande der rabacja ausgemerzt.460 Den Verlauf der Ereignisse vom Februar 1846 stellte er relativ traditionell dar: »Die Bauern verstanden die Propaganda der Emissäre völlig falsch: Aufgerufen zum Freiheitskampf, wendeten sie sich gegen die Herren und die Aufständischen. Die stets perfide, nun aber auch vor Angst zitternde österreichische Verwaltung hatte die Bauern dazu aufgerufen, den Aufstand selbst niederzuschlagen, und damit die Katastrophe herbeigeführt. Es fand sich ein ›Volksführer‹, Jakub Szela, der die Bauern zu den Gutshäusern führte, um sich blindlings für altes Unrecht am Volk zu rächen.«461

Etwas früher hatte Henryk Barycz über »das gespenstische, von der reaktionärsten Regierung des damaligen Europas aus gesellschaftlichen Gründen angeregte galizische Gemetzel« geschrieben.462 Die teils dramatischen Anstrengungen zur Uminterpretation der Nationalgeschichte spiegeln sich in den Abschnitten der »Entwürfe« wider, deren Autor Stefan Kieniewicz war. Die Haltung des Historikers zu seinem Untersuchungsgegenstand wandelte sich radikal. In seinem 1952 mit einem Staatspreis geehrten

457 Stefan Kieniewicz: Walka klasowa chłopów polskich w XIX i XX wieku w oświetleniu historiografii polskiej, in: KH 1951, S. 53. 458 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 438. 459 Ebd., S. 430. 460 Vgl. Stefan Kieniewicz: Oblicze ideowe, a. a. O., S. 56; ders.: Wielkopolska i Prusy Zachodnie w latach 1846–1848, in: Natalia Gąsiorowska-Grabowska (Hg.): W stulecie, a. a. O., T. I, S. 164. 461 Stefan Kieniewicz: Czyn polski, a. a. O., S. 22 f. 462 Henryk Barycz: W przededniu ruchu rewolucyjnego w Krakowie w r. 1846, in: PH 1946, S. 124.

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Buch Ruch chłopski w Galicji w 1846 roku [Die Bauernbewegung in Galizien im Jahre 1846] (Wrocław 1951) waren die Veränderungen bei seiner Sicht der rabacja nach Meinung von Natalia Gąsiorowska-Grabowska, ungenügend: »Hier ist das Hauptkapitel noch mit ›Das Gemetzel‹ betitelt, Jakub Szela wird nicht im Licht der tatsächlichen historischen Wahrheit dargestellt, die Probleme des sozialen und nationalen Kampfes werden nicht richtig gelöst, die Krakauer Revolution mit dem urwüchsigen Bauernaufstand und die diversive Rolle der österreichischen Behörden werden nicht zutreffend beurteilt.«463

Im 1956 erschienenen Band der »Entwürfe« stellte Kieniewicz nun fest, dass nicht die ungebildeten Bauern oder Intrigen der österreichischen Verwaltung für die Bauernrevolte verantwortlich gewesen seien: »Die adlige Meinung hatte sich bemüht, diese Bewegung abscheulich darzustellen und ihren Charakter zu verzerren«, und dann: »Die Feinde des polnischen Volkes warfen den Bauern mehrere Jahrzehnte lang ihre Sünde des ›Brudermords‹ von 1846 vor.«464 In der neuen marxistisch-leninistischen Interpretation war die rabacja eine fortschrittliche Bauernbewegung. Kieniewicz hierzu: »Der damalige Bauernaufstand versetzte der Feudalordnung einen mächtigen Stoß, […] es war der Versuch, vom preußischen Entwicklungsweg des Kapitalismus auf den revolutionären Weg zurückzukehren und er […] eröffnete die Aussicht auf die Befreiung des Landes durch eine Agrarrevolution. Die antifeudale Bewegung der Bauernmassen war trotz der begangenen Fehler ihrem Wesen nach eine nationale Befreiungsbewegung, und obwohl sie nicht siegreich war, erschütterte sie das Untertanensystem zutiefst.«465

Die Bauern hätten sich nicht von niedrigen Gewinnabsichten leiten lassen. Zwar habe die österreichische Verwaltung »für jeden adligen Kopf« gezahlt, »doch ist es offensichtlich, dass ein Bauer nicht für ein paar rheinische Taler die Hand gegen seinen Peiniger erhob«.466 Neu interpretiert wurde auch die Person Jakub Szelas. Die ironische Bezeichnung »Volksführer« verlor ihre Anführungsstriche. Schon 1948 hatte Natalia Gąsiorowska-Grabowska bemerkt, dass »die blutige Aktion des Bauernführers Jakub Szela aus Smarzowa die bäuerlich-adligen Beziehungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts zwar verspätet, jedoch stärker erhellte als die langjährige Propaganda der adligen Demokratie-Ideologen«.467 Noch in

463 APAN, Sign. III – 152, Materiały Natalii Gąsiorowskiej-Grabowskiej, j. 68 Opinie o dorobku naukowym pracowników nauki. 464 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 438 und 447. 465 Ebd., S. 447. 466 Ebd., S. 440. 467 Natalia Gąsiorowska-Grabowska: Sytuacja gospodarczo-społeczna na zachodzie i wschodzie Europy w połowie XIX stulecia, in: Natalia Gąsiorowska-Grabowska (Hg.): W stulecie, a. a. O., T. I, S. 31 f.

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einer Rezension der preisgekrönten Arbeit Kieniewiczs vertrat Józef Buszko die Ansicht, dass Szela ein Beispiel dafür sei, wie eine unreife soziale Bewegung zu einem Werkzeug in den Händen der Reaktion werden könne.468 In den »Entwürfen« konnte man dann schon lesen, dass »Szela in seinem Kampf gegen den Adel nicht die Maske eines kaiserlichen Dieners aufsetzte, sondern offen im Namen der bäuerlichen Interessen auftrat«. Allerdings galt es mit Bedauern festzustellen: »Er herrschte nicht in dem Maße über die Bauernschar, dass er diese Widerstandsbewegung erfolgreich hätte steuern können.«469 »Angesichts dieser Situation«, schrieb Kieniewicz, »erwartete ihn ein Konflikt mit der österreichischen Regierung. Der feudal-absolutistische Staat unterdrückte die polnische Revolutionsbewegung, während sich zur gleichen Zeit ein Bauernsturm erhob, der die Grundlagen des Feudalsystems bedrohte.«470 Die marxistischen Forscher gingen in ihrer Betonung der politischen Rolle des Krakauer Aufstandes und der Bauernrevolte weiter. Sie seien nicht nur eine ähnlich große Gefahr für die österreichische Herrschaft in Galizien gewesen. In den Arbeiten aus den 1950er Jahren werden die Aufständischen und die Bauern von Tarnów sogar gleichgesetzt: »Nur in zwei polnischen Gebieten brach der revolutionäre Aufstand nicht sofort wieder zusammen, sondern wuchs und verstärkte sich nach dem 22. Februar: In Krakau begann der Aufstand gegen die Teilungsmächte. Im Tarnówer Land breitete sich die Bauernbewegung gegen den Adel aus. Ihrem Wesen nach waren beide Bewegungen antifeudal und zielten auf die nationale Befreiung ab. Sie hätten nur siegen können, wenn sie sich zu einer gesamtpolnischen Agrarrevolution verbunden hätten. Diesem Ziel standen jedoch auf der einen Seite die österreichische Verwaltung, auf der anderen die Gegenmaßnahmen der polnischen konterrevolutionären Stellen entgegen.«471

Es sei zwar nicht zu einer Vereinigung beider Befreiungsbewegungen gekommen, doch hätten sie teilweise zusammengearbeitet: »Der heraufziehende Ausbruch bäuerlichen Zorns wurde, wie wir wissen, für die Verschwörer von Tarnów zum Anlass, den Aufstand zu beschleunigen. Der Angriff der Aufständischen auf Tarnów gab den Bauernmassen wiederum die Gelegenheit, den Kampf aufzunehmen.«472 Natalia Gąsiorowska-Grabowska sprach während der Konferenz von Otwock über die gemeinsamen Ziele von Aufständischen und Bauern und hob die Fort-

468 Józef Buszko: (Rez.) Stefan Kieniewicz: Ruch chłopski w Galicji w 1846 roku, Wrocław 1951, in: PH 1953, S. 250. 469 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 444 f. 470 Ebd., S. 445. 471 Ebd., S. 428; vgl. Stefan Kieniewicz: Problem rewolucji agrarnej w Polsce w okresie kształtowania się układu kapitalistycznego, in: Stefan Kieniewicz/Izabela Bieżuńska-Małowist/Antoni Mączak (Hg.): Z epoki, a. a. O., S. 11. 472 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 439.

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schrittlichkeit der rabacja hervor.473 Bester Beweis dafür, dass eine enge Zusammenarbeit der demokratischen Verschwörer und der galizischen Bauern möglich gewesen wäre, sei der Aufstand von Chochołów gewesen. Um dies zu erreichen, habe man jedoch ohne Rücksicht auf den Adel mit »entsprechender Propaganda« zum Volk vordringen müssen.474 Die Einbindung der galizischen Bauernrevolte in die fortschrittlichen Traditionen der polnischen Nation kontrastiert stark mit der Herangehensweise der tschechoslowakischen Historiker an die heimische Geschichte. Die polnischen Wissenschaftler bemühten sich anders als Slowaken und Tschechen nicht um den Nachweis, dass die Nationalbewegung an sich eine Volksbewegung gewesen sei, selbst wenn ihre Repräsentanten keine Bauern waren. Vielleicht war hierfür die Überzeugung verantwortlich, dass die Geschichte Polens von Natur aus reaktionär und antirussisch sei und dass es sich um eine Geschichte des Adels und nicht der Massen handele. Dieselbe Überzeugung konnte dazu führen, dass man Zusammenhänge zwischen der revolutionären Hussitenbewegung und dem Aufstand des Spytko von Melsztyn suchte, oder auch zwischen dem Chmelnyzkyj- und dem Kostka-Napierski-Aufstand. Deshalb suchte man bei diesen Aufständen nicht nach Aspekten immanenter Fortschrittlichkeit, sondern eher nach Motiven der Zusammenarbeit mit den russischen Revolutionären; das Urteil über die Aufständischen fiel viel weniger positiv aus als das über die polnischen Bauern, die auf Betreiben der österreichischen Verwaltung die polnischen Adligen ermordet hatten. Wollte man in der Geschichte Deutschlands einen derartigen historischen Moment ausfindig machen, der eine analoge Funktion zur tschechischen und slowakischen nationalen Wiedergeburt oder zu den polnischen Aufständen spielte, müsste man sicherlich bei den Beschreibungen der Befreiungskriege ansetzen. Dieses Thema ist im letzten Kapitel bereits ausführlich beschrieben worden. An dieser Stelle möchte ich mich lediglich damit beschäftigen, was die marxistisch-leninistische Historiographie der DDR als Fortsetzung der fortschrittlichen Bemühungen um die deutsche Einigung ansah. In der marxistischen Interpretation von Vormärz und 1848 in Deutschland finden sich Motive, die den bei der Beschreibung der polnischen Aufstände gebrauchten sehr ähneln. Die Hundertjahrfeier der Revolution war eine Gelegenheit zu staatlichen Feiern in der Sowjetischen Besatzungszone.475 Wie Claudia Klemm meint, war »Hauptinterpretament […] der 473 Vgl. Natalia Gąsiorowska-Grabowska: Proces formowania się narodu burżuazyjnego w ramach kształtowania się stosunków kapitalistycznych w Polsce, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/ Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 37. 474 Stefan Kieniewicz/Witold Kula (Hg.): Historia, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 441. 475 Günther Heydemann: Die deutsche Revolution von 1848/49 als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR, in: Rainer Eckert/Wolfgang Küttler/Gustav Seeber (Hg.): Krise – Umbruch – Neubeginn. Eine kritische und selbstkritische Dokumentation der DDR-Geschichtswissenschaft 1989/90, Stuttgart 1992, S. 310.

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Topos vom Verrat des Bürgertums, auf dem alle weiteren Aussagen zum Umgang mit der Revolution von 1848 beruhten«.476 Zumindest bis zu Beginn der 1960er Jahre, als in der deutschen Geschichte vor allem das Streben nach deutscher Einheit hervorgehoben wurde, schrieb man über Arbeiter und Bauern, die für ein geeintes Deutschland gekämpft hätten. (Die absolute Dominanz der Arbeiterklasse unter den Akteuren von 1848 hieß aber nicht, dass man ihrer Beteiligung an der Revolution besonders viele Veröffentlichungen gewidmet hätte.) Karl Obermann schrieb: »In den Kämpfen um die Lösung der Grundfrage der Nation zeigte sich bereits ein unterschiedliches Verhalten der einzelnen Klassen und Schichten zu den Gesamtinteressen der Nation. Von Anfang an wurde das Verhältnis der Bourgeoisie zur Nation von ihren Interessen als Ausbeuterklasse bestimmt. […] Sie zog es vor, Veränderungen nicht auf dem Wege der Revolution, sondern auf dem der Reform, der Kompromisse mit der feudalen und militaristischen Reaktion, zu erreichen. Die Bourgeoisie trat bereits in dieser Zeit den demokratischen Kräften entgegen und verhinderte damit die Herstellung der nationalen Einheit auf demokratischer Grundlage. Sie stellte ihr Klasseninteresse über die Interessen des deutschen Volkes und beschritt damit objektiv den Weg des nationalen Verrats.«477

Dieses Urteil über die Bourgeoisie, das in der DDR-Historiographie spätestens seit 1952 auftaucht, als Gerhard Schilferts Buch Sieg und Niederlage des demokratischen Wahlrechts in der deutschen Revolution 1848/49 erschien, ließ keine Differenzierung innerhalb des einheitlichen Lagers der Bourgeoisie zu, sodass es für die marxistischen Historiker im Grunde keinen Unterschied machte, ob sie Liberale oder Konservative beschrieben (ähnlich wie ihre polnischen Kollegen schienen sie es nicht für sinnvoll zu halten, das Lager von Fürst Adam Czartoryski als fortschrittlicher zu bezeichnen als die konservativen »nationalen Apostaten« à la Henryk Rzewuski).478 Etwas positiver beurteilte man das Kleinbürgertum. Sein Vorgehen sei jedoch von fehlender Konsequenz und der Angst vor entschlossenem Handeln geprägt gewesen.479 Auch wenn die Bourgeoisie als Ganzes keine Einigung angestrebt habe, erhielten einige Vertreter dennoch gute Beurteilungen von marxistischen Historikern. Die Auswahl der positiv bewerteten Personen war überraschend. Karl Obermann, der den »Kampf der Industriebourgeoisie um die deutsche Einheit« 476 Claudia Klemm: Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen 2007, S. 407. 477 Karl Obermann: Deutschland von 1815 bis 1849 (Von der Gründung des Deutschen Bundes bis zur bürgerlich-demokratischen Revolution), Berlin 1963, S. XIII. 478 Vgl. Günther Heydemann: Die deutsche Revolution, a. a. O., S. 315. 479 Ebd. Vgl. Walter Ulbricht/Horst Bartel/Lothar Berthold/Ernst Diehl/Friedrich Ebert/Ernst Engelberg/Dieter Fricke/Fritz Globig/Kurt Hager/Werner Horn/Bernard Koenen/Wolhelm Koenen/ Albert Schreiner/Hanna Wolf: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1, Von den Anfängen der deutschen Arbeiterbewegung bis zum Ausgang des 19. Jahrhundert, Berlin 1966, S. 91.

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beschrieb, rühmte die Bemühungen Friedrich Lists um die Aufhebung der Zölle und die Errichtung eines gemeinsamen deutschen Marktes. Die Tatsache, dass derselbe List Vater der deutschen Mitteleuropa-Konzeption war, sprach Obermann gar nicht an.480 Ein anderer Held der Einigungsbestrebungen sei der liberale Politiker und Arzt Rudolf Virchow gewesen, aus dem »die bürgerliche Wissenschaft einen preußischen Patrioten und Nationalisten machen wollte«.481 Nach Meinung Kurt Winters war Virchow eigentlich ein Progressiver, ein aufrichtiger Anhänger der Demokratie, der mit dem polnischen Volk sympathisiert habe, doch auch ein wohlmeinender Kommentator der Revolution von 1848 in Frankreich, Österreich und Ungarn.482 Wer Winters Artikel las, erfuhr nicht, dass dieser Virchow ein großer Anhänger der Annexion Schleswigs und Holsteins 1864 war. Etwas schwieriger war die Beurteilung Hegels. In der seit 1953 erscheinenden »Deutschen Zeitschrift für Philosophie« versuchten sich die Autoren (u. a. György Lukács und Wolfgang Harich) an einer positiven, marxistischen Interpretation des Philosophen. Nach sowjetischer Auslegung aber sei Hegel ein »objektiver Idealist« gewesen, der »die Interessen der Junker und der Bourgeoisie [verteidigte], […] den geschichtlichen Prozeß« mystifiziert sowie die preußische Monarchie idealisiert habe.483 Kurz darauf kam es zum ideologischen Konflikt: In der »Deutschen Zeitschrift für Philosophie« veröffentlichte Rugard Otto Gropps unter Berufung auf Stalins Schriften eine fundamentale Kritik an Hegel. Die Diskussion wurde dadurch abrupt unterbrochen. Im November 1956 kam der Chefredakteur der Zeitschrift, Wolfgang Harich, ins Gefängnis; seine Zeitschrift konnte erst nach längerer Pause und mit neuer Redaktion wieder erscheinen. Die marxistischen Philosophen, die sich mit Hegel befassten, galten als Revisionisten, die potentiell so gefährlich waren wie die ungarischen Revisionisten (Lukács’ Herkunft erleichterte diese logische Konstruktion sehr). Damit endeten die stürmischen Veränderungen in der Einschätzung Hegels durch DDR-Historiker aber nicht. Denn gerade als es den Anschein hatte, dass sowohl der Philosoph als auch jene Wissenschaftler, die sich mit ihm beschäftigten, endgültig verurteilt werden würden, kam es in der UdSSR zu einer Kursänderung. Im Rahmen des Tauwetters auf verschiedenen Gebieten des Geisteslebens verwarfen die sowjetischen Philosophen endlich die stalinistischen Ansichten und erkannten Hegel als direkten Vorläufer von Marx an.484

480 Karl Obermann: Disposition des Hochschullehrbuches der Geschichte des deutschen Volkes (1815–1849), in: ZfG 1954, S. 114. 481 Kurt Winter: Rudolf Virchow und die Revolution von 1848, in: ZfG 1954, S. 844. 482 Ebd., S. 848–855. 483 Zit. nach: Große Sowjet-Enzyklopädie, Reihe: Länder der Erde, Deutschland, Berlin 1953, S. 282 f., in: Hegel-Institut Berlin: Skizze zur Geschichte der Hegel-Literatur in der SBZ/DDR, www.hegel-institut.de/Diskussion/DDR/ddr.html [10.12.2010]. 484 Ebd.

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Aufgrund dieses Hin und Her der marxistischen Interpretation blieb Hegel eine uneindeutige Person. Zwar habe er positiv auf den Ausbruch der Französischen Revolution reagiert, sich aber vor den Massen gefürchtet und seine Hoffnungen in die Bourgeoisie gesetzt.485 Eindeutig positiv wurden die fortschrittlichen Schüler des Philosophen bewertet, die sich »der fortschrittlichen Seite der Hegelschen Philosophie, seiner dialektischen Methode« bedient hätten und sie benutzten, »um den Kampf gegen die feudale reaktionäre Gesellschaftsordnung zu führen«: David Friedrich Strauß, Bruno und Edgar Bauer sowie Max Stirner.486 Die Bestrebungen zur Vereinigung Deutschlands seien somit (bis zu einer bestimmten Zeit) fortschrittlich gewesen und verdienten sogar dann Lob, wenn mit ihnen keine demokratische Ideologie einherging.487 Das Verhältnis der Wissenschaft ihnen gegenüber veränderte sich in dem Moment, in dem die organisierte Arbeiterklasse den Schauplatz der Geschichte betrat. Von da an verlor der Konflikt zwischen Bourgeoisie und den feudalen Überresten an Bedeutung, während sich der Kampf zwischen Proletariat und Kapitalismus entwickelte.488 Diese Interpretation der Ereignisse von 1848 war bereits in Der Irrweg einer Nation präsent und veränderte sich danach kaum mehr.489 Die ersten Arbeitervereine wie der »Bund der Gerechten« und die ersten Aktionen der organisierten Arbeiterklasse, wie der Aufstand der schlesischen Weber, hätten ein neues Kapitel der fortschrittlichen Traditionen eingeleitet. Dies seien keine nationalen Traditionen mehr, sondern jene der deutschen Kommunistischen Partei.490 Während der Revolution von 1848 sei die Arbeiterklasse noch nicht so organisiert gewesen, um das Ruder der Revolution in ihre Hände nehmen zu können. Dieser Aufgabe sei hingegen die kleinbürgerliche Bildungsschicht gewachsen gewesen. Nach Karl Obermann wetteiferten zwei antagonistische Klassen, die Arbeiter und die Bourgeoisie, darum, das Kleinbürgertum auf ihre Seite zu ziehen. Da das Bildungsbürgertum die Revolution anführte, habe es den deutschen Revolutionären an Entschlossenheit gefehlt, sie hätten »schöne Resolutionen« verabschiedet anstatt zu handeln.491 Ein symbolkräftiges Beispiel dafür sei der Be-

485 Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815 (Von der Französischen Revolution bis zu den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongreß), Berlin 1959, S. 100. 486 Karl Obermann: Deutschland von 1815 bis 1849 (Von der Gründung des Deutschen Reiches bis zur bürgerlich-demokratischen Revolution), Berlin 1963, S. 128. 487 Ebd, S. 189. 488 Ebd., S. 145. 489 Vgl. Alexander Abusch: Der Irrweg, a. a. O., S. 96. 490 Walter Ulbricht/Horst Bartel/Lothar Berthold/Ernst Diehl/Friedrich Ebert/Ernst Engelberg/ Dieter Fricke/Fritz Globig/Kurt Hager/Werner Horn/Bernard Koenen/Wolhelm Koenen/Albert Schreiner/Hanna Wolf: Geschichte, a. a. O., Bd. 1, S. 36. 491 Karl Obermann: Die deutschen Arbeiter in der Revolution von 1848, Berlin 1953, S. 121 und 134.

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fehl, des Frankfurter Parlaments gewesen, organisierte Arbeiterversammlungen in der Stadt zu zerschlagen.492 Die Darstellung der Revolutionsteilnehmer von 1848 führte somit zu pessimistischen Schlussfolgerungen. Die Bourgeoisie habe die Nationalbewegung verraten, indem sie offen reaktionäre Positionen übernommen habe. Das Kleinbürgertum und das Bildungsbürgertum hätten sich nach manchem Zögern demselben Lager angeschlossen. Auf dem Kampfplatz um den Fortschritt sei also lediglich die Arbeiterklasse verblieben, die jedoch keinen »Hegemon« besessen habe, also keine eigene politische Partei. Ob ein solcher Hegemon eine notwendige Bedingung für den Erfolg der Revolution war, konnte nicht festgestellt werden. Die Aussagen der ostdeutschen Historiker hierzu waren widersprüchlich, da den Massen oft ein Bewusstsein zugeschrieben wurde, das selbstständige revolutionäre Taten ermöglichte, ohne dass eine organisierte Führung nötig gewesen wäre.493 Doch sogar im Vorgehen der deutschen Arbeiterklasse erkannten die Marxisten eine Reihe von Unzulänglichkeiten, vor allem ein fehlendes Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern. Das deutsche Proletariat habe in der ersten Reihe aller Kämpfe der Jahre 1848/1849 gestanden und konsequent für die Demokratie gekämpft. Doch sei es nicht stark genug gewesen, um Bauern und Kleinbürgertum anzuführen, weshalb die deutsche Bourgeoisie die Revolution der Reaktion habe verkaufen können.494 Ähnlich wie das Bild Luthers und der Reformation erhielt auch das Bild der deutschen Bourgeoisie während des Völkerfrühlings im Laufe der Zeit positive Merkmale. 1962 nahm in Jena unter Leitung Dieter Frickes eine Gruppe von Experten für die Geschichte der bürgerlichen Parteien die Arbeit auf. Ihre Aufgabe war es, die Thesen von den »zwei historischen Entwicklungslinien« Deutschlands wissenschaftlich zu überprüfen. Es ging sowohl darum, den »Klassenfeind« genauer schildern zu können, der 1848 die fortschrittliche Vereinigung Deutschlands verhindert habe, als auch darum, unter den bürgerlichen Politikern solche zu finden, die man in den Katalog der ostdeutschen fortschrittlichen Traditionen aufnehmen konnte.495 Was diese zweite Absicht anbelangt, so war mit spektakulären Erfolgen kaum zu rechnen. Niemand konnte mit Marx und Engels wetteifern, die nicht nur Kommentatoren, sondern auch Akteure der Ereignisse von 1848 gewesen waren. Mitentscheidend für die Sichtweise der Revolutionsakteure war die Tatsache, dass der Misserfolg der Revolution gewissermaßen das Präludium zur

492 Ebd., S. 260–262. 493 Helmut Rumpler: Revolutionsgeschichtsforschung in der DDR, in: GWU, Nr. 31/1980, S. 183. 494 Karl Obermann: Die deutschen Arbeiter, a. a. O., S. 332. 495 Johannes Schradi: Die DDR-Geschichtswissenschaft und das bürgerliche Erbe. Das deutsche Bürgertum und die Revolution von 1848 im sozialistischen Geschichtsverständnis, Frankfurt am Main 1984, S. 130–154.

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deutschen Einigung von oben war. Diese Einigung wurde bis ca. 1980 sehr kritisch bewertet, als eine neue, positive Einschätzung Bismarcks und des preußischen Erbes dazu führte, dass man auch die bürgerlichen deutschen Politiker von 1848 gnädiger betrachtete. Das Verhältnis der marxistischen Historiographie Polens und der DDR zu den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts weist somit viele Analogien auf. Die polnischen Aufstände wie auch die deutschen Einigungsbestrebungen »von unten« wurden als Ausdruck einer stark begrenzten Fortschrittlichkeit interpretiert. Es habe ihnen an Verständnis für die sozialen Fragen sowie die Unterstützung der Bauern- und Arbeitermassen gefehlt. Andrzej Walicki machte darauf aufmerksam, dass die Agrarrevolution, die von den polnischen Marxisten als einzige Grundvoraussetzung für den Erfolg der polnischen nationalen Befreiungsbewegung angesehen wurde, ihren Ursprung in Lenins Schriften hatte, der sie als politische Forderung für seine eigene Partei ansah. Wenn man diese Messlatte an die polnischen politischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts anlegte, so ließ sich das nicht mit den Kategorien des Marxismus begründen, was zu einer höchst kritischen Einstellung führen musste. Die polnischen Marxisten verlangten von der Nationalbewegung viel mehr Radikalismus als die Klassiker des Marxismus (aber auch die Klassiker des Marxismus-Leninismus).496 Ähnlich ungerecht war es, Walicki zufolge, aus der Sicht des Marxismus gewesen, die polnischen Demokraten zu beschuldigen, sie hätten die nationalen Bestrebungen von Litauern, Ukrainern und Weißrussen nicht verstanden. Wenn sie ihnen das Recht absprachen, eigenständige Nationen zu sein, so habe das vollauf mit dem damaligen Standpunkt von Marx und Engels übereingestimmt.497 Analoge Meinungen marxistischer Wissenschaftler lassen sich in der DDR erkennen. Wie und warum hätten sich die Vertreter der deutschen Arbeiterklasse (anders als Marx und Engels) die Notwendigkeit vor Augen führen können, dass die Errichtung eines Bündnisses von Arbeitern und Bauern die Bedingung für den Erfolg der Revolution sei? Im Übrigen – hätte dieses Bündnis (und im polnischen Fall die Agrarrevolution) tatsächlich zum Sieg der Revolution geführt? Man könnte fragen, ob die tschechische und die slowakische Nationalbewegung nicht dieselben Mängel hatten, zumal sie nach Auffassung der Klassiker des Marxismus Verbündete der europäischen Reaktion waren? Anscheinend schon. Dennoch war das von der tschechoslowakischen Historiographie gezeichnete Bild der nationalen Wiedergeburt viel positiver als die Interpretation der Auseinandersetzungen zwischen polnischer und deutscher Bewegung sowie der euro496 Andrzej Walicki: Marks i Engels o sprawie polskiej. Uwagi metodologiczne, in: Jerzy Skowronek/ Maria Żmigrodzka (Hg.): Powstanie listopadowe 1830–1831. Geneza – uwarunkowania – bilans – porównania, Wrocław 1983, S. 314. 497 Ebd., S. 310.

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päischen Reaktion. Es ist schwer zu entscheiden, welche der möglichen Ursachen hierfür die wichtigste war. Vielleicht lag es daran, dass sich im 19. Jahrhundert die Bewegungen der »historischen« Nationen gegen den Fels von Heiliger Allianz bzw. Russland richteten, während die slawische nationale Wiedergeburt in der Regel einen slawophilen, bisweilen geradezu panslawistischen Charakter hatte? Vielleicht lag es daran, dass in der Tschechoslowakei die nationalliberale Interpretation der Geschichte in Zdeněk Nejedlý einen mächtigen Protektor hatte, während es weder in Polen noch in der DDR eine bedeutende Wissenschaftlerpersönlichkeit gab, die sich darum bemüht hätte, gültige historische Interpretationslinien herauszuarbeiten? Vielleicht lag es auch daran, dass die kompensatorische Funktion, die die Geschichte für den Werdegang einer Nation hat, in höherem Maße auf Tschechen und Slowaken zutrifft als auf Polen und Deutsche? Polnische oder deutsche Marxisten, die sich auf die nationalen Traditionen bezogen, hatten es mit einer reicheren Tradition politischer Bewegungen sowie mit einer reicheren Tradition ihrer Interpretation zu tun. Die Beurteilung der Nationalbewegungen als Ganzes war von eben jenen Merkmalen geprägt, die ich bei der Beschreibung der marxistischen Herangehensweise an die historiographischen Traditionen herausgearbeitet habe. Die im polnischen, vor allem aber im deutschen Fall reichere Tradition der nationalen Historiographie und das viel größere Erbe an nationalen und radikalen Bewegungen im 19. Jahrhundert erschwerte die Interpretation mehr als sie sie erleichterte. Die tschechische oder auch die slowakische Nationalbewegung, die als Ganzes behandelt wurden und ein Fundament der Nationalkultur darstellten, schienen einer Kritik von Seiten des historischen Materialismus besser standzuhalten, zumal er in stalinistischer Ausführung nicht mehr Marx’ Überzeugung von der Existenz »historischer« und »ahistorischer« Nationen aufgriff. Da man Tschechen oder Slowaken nicht als direkt reaktionäre Nationen bezeichnen konnte, musste man diese Nationalbewegungen zu den »fortschrittlichen Traditionen« rechnen.

Der Einfluss der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die Geschichte Ostmitteleuropas Ein Schlüsselereignis in den marxistischen Geschichtsinterpretationen aller volksdemokratischen Länder war die Große Sozialistische Oktoberrevolution. Überall dort wurde die These zum Axiom, dass diese Revolution den größten Einfluss auf die wichtigsten einheimischen gesellschaftlichen und politischen Prozesse gehabt habe. Im Fall Polens sei die Oktoberrevolution, um aus einem Lehrbuch für die 11. Klasse zu zitieren, »die entscheidende Voraussetzung für den Wiederaufbau des polnischen Staates« gewesen. Dieser Zusammenhang wurde von dem sowjetischen Historiker J. Rubinštejn ausführlich erläutert:

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»Der Sieg der sozialistischen Revolution und die Errichtung einer Diktatur des Proletariats in Russland ermöglichten die Wiedergeburt des polnischen Staates und die Vereinigung aller polnischen Länder, die Westgebiete eingeschlossen. Doch die regierenden Klassen des bürgerlich-adligen Polens verrieten die Interessen der polnischen Nation. Der größte Teil der polnischen Westgebiete, ein erheblicher Teil Schlesiens, Pommerns, Ermlands und Masurens sowie die Weichselmündung mit Danzig wurden in den Händen Deutschlands belassen. Mit Unterstützung der englischen, französischen und amerikanischen Imperialisten zettelten die Piłsudski-Anhänger und die Nationaldemokraten den verbrecherischen Krieg gegen die Sowjetunion an, mit dem Ziel, die ukrainischen und weißrussischen Gebiete an sich zu reißen.«498

Besondere Aufmerksamkeit schenkten die marxistischen Wissenschaftler der Tätigkeit Józef Piłsudskis, des führenden polnischen Revolutionsfeindes. »Piłsudski und seine Gefährten«, schrieb Tadeusz Daniszewski, »zeichnete stets ein extremer Chauvinismus und ein tiefer nationalistischer Hass gegen die russischen Revolutionäre aus.«499 Dieser Hass habe zu seiner Beteiligung an den gemeinsamen konterrevolutionären Plänen von »russischen monarchistischen Generälen, von Kosakenanführern, dem Großteil des Klerus, Sozialrevolutionären und Menschewiken mit dem Generalstab der Entente und der Achsenmächte« geführt.500 Krönung der antisowjetischen Tätigkeit Piłsudskis sei der polnisch-bolschewistische Krieg gewesen. Adam Korta widmete diesem Problem einen umfangreichen Artikel mit dem bezeichnenden Titel Legenda awantury [Legende eines Abenteuers]. Er wiederholte hier die bereits angeführte Feststellung sowjetischer Historiker, dass der Krieg im Osten Polens Chancen auf die Eroberung der Westgebiete vereitelt hätte. Die Sowjetunion habe eine friedliche Politik betrieben, und »die Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder blickte mit wachsender Zuneigung auf den weltweit ersten Staat der befreiten Arbeiter und Bauern«, während »Bourgeoisie und Großgrundbesitzer, die von den verlorenen ukrainischen Vorwerken und Fabriken des Donbas träumten […] vom ersten Augenblick an zum räuberischen Krieg drängten«.501

Der mit Piłsudski verbündete Symon Petljura war, Korta zufolge, »eine halb kriminelle Person, ein schwarzer Reaktionär, ein ukrainischer Chauvinist, ein erbitterter Polenfresser«.502

498 J. Rubinsztein: Polityka kolonizacyjna wilhelmowskich Niemiec na zachodnich ziemiach polskich (1900–1914), in: Stefan Gwich (Hg.): Historycy radzieccy, a. a. O., S. 218 f.; vgl. Walentyna Najdus: Lenin o prawie narodu polskiego do niepodległości, in: KH 1953; M. Wągrowski: Rewolucja Październikowa a Polska, in: ND, Nr. 11/1952; M. Wągrowski: Rewolucja Październikowa a Polska (T. II), in: ND, Nr. 1/1953. 499 Żanna Kormanowa (Hg.): Historia Polski 1864–1945. Materiały do nauczania w klasie XI, Warszawa 1952, S. 175. 500 Ebd., S. 296. 501 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 187–189. 502 Ebd., S. 195.

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Die marxistischen Wissenschaftler hoben hervor, dass die politischen Unterschiede zwischen dem Lager Piłsudskis und den Nationalisten um Roman Dmowski angesichts ihrer gemeinsamen Feindschaft zu Sowjetrussland zweitrangig gewesen seien.503 »Piłsudskismus und Dmowskismus kämpften auf gleicher Höhe gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung, sie hegten gleichen Hass gegenüber der UdSSR.«504 Es habe sich um die Fortsetzung des faktischen Bündnisses zwischen der PPS und den Nationaldemokraten gehandelt, das die marxistischen Forscher bereits für die Zeit der Revolution von 1905 festzustellen glaubten. Adam Korta versuchte auch, den Verlauf des polnisch-bolschewistischen Krieges zu »entmythisieren«. Er stellte fest, dass die Auseinandersetzungen um den eigentlichen Urheber des polnischen Sieges bei Warschau nebensächlich seien; die Zuerkennung dieses »Verdienstes« an Piłsudski habe »das angebliche ›Genie‹ des Führers aufzeigen sollen, ein wichtiges Element jeder faschistischen Ideologie«.505 Die Bedeutung dieses Streits war im Übrigen nicht groß, da Korta an anderer Stelle meinte, das »Wunder an der Weichsel« sei nur ein »angeblicher« Sieg der Polen gewesen. Eigentlich sei das ganze Bild dieses Krieges umgedeutet worden: Polen sei die dominierende und angreifende Seite gewesen, die die Vernichtung des Gegners beabsichtigt habe, Russland dagegen habe lediglich Verteidigungsanstrengungen unternommen. Das Schlüsselereignis sei nicht die Schlacht bei Warschau, sondern die sowjetische Gegenoffensive gewesen, »die sich in einen großen nationalen Krieg gegen die polnischen Großgrundbesitzer verwandelte und mit der Vertreibung der polnischen Truppen aus der Ukraine endete«.506 Derweil habe hinter den polnischen Linien ein lebhafter Klassenkampf getobt, da sich das Volk darüber im Klaren gewesen sei, dass – wie Korta schrieb – »die Rote Armee als Befreiungsarmee nach Polen kam, als Verbündete der polnischen arbeitenden Massen«.507 Der reaktionäre Charakter der »Legende eines Abenteuers« beschränkte sich, so Korta, im Übrigen nicht nur auf den Mythos vom militärischen »Genie« Piłsudskis. Vom Standpunkt des polnischen Militärs aus habe der Feldzug von 1920 strategischen Vorbildcharakter gehabt und auch die Entwicklung der Armee im Polen der Zwischenkriegszeit beeinflusst, mit anderen Worten: »den Feldzug von 1920 nutzte die Sanacja zur Faschisierung der Armee«. Schließlich hätten sich die Erfahrungen aus dem polnisch-bolschewistischen Krieg auch 1939 ausgewirkt:

503 Leon Grosfeld: Prawidłowość i specyfika polskiego imperializmu, in: Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza, a. a. O., Bd. 2, S. 282. 504 O wzajemnych powiązaniach endecji z piłsudczyzną, in: ND, Nr. 5/1954, S. 127. 505 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 186. 506 Ebd., S. 196 f. 507 Ebd., S. 197; vgl. Franciszek Ryszka: Radykalizm społeczny ludności Górnego Śląska na przełomie lat 1918/19, in: PZ 1950.

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»Im Septemberfeldzug sahen wir Kavallerieangriffe mit Säbeln auf Panzer. […] Und über allem erhob sich der antisowjetische Ruß des Großmachtgehabes.«508 Doch nicht alle Polen seien der russischen Revolution gegenüber so negativ eingestellt gewesen wie Dmowski oder Piłsudski. Die marxistischen Wissenschaftler hoben oft hervor, dass die Mitglieder der Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauen (Socjaldemokracja Królestwa Polskiego i Litwy, SDKPiL) die Oktoberrevolution voll und ganz unterstützt hätten.509 In den Vordergrund habe sich unter ihnen der um den revolutionären Sicherheitsapparat verdiente Feliks Dzierżyński geschoben: »Seine Ergebenheit der Sache des Volkes gegenüber spiegelte sich in dem Hass, den ihm die Bourgeoisie weltweit entgegenbrachte und bis heute entgegenbringt. […] Dzierżyński setzte sich stets für die Angelegenheiten des Volkes ein, ihn kennzeichneten revolutionärer Eifer, grenzenlose Ergebenheit gegenüber der Partei, tiefer Patriotismus und ein unverbrüchlicher proletarischer Internationalismus.«510

An Dzierżyńskis Seite hätten für die Revolution Julian Marchlewski, Rosa Luxemburg [Róża Luksemburg] oder auch Bronisław Wesołowski gekämpft, zudem hätten sich »an fast allen Fronten des Bürgerkrieges polnische revolutionäre Militäreinheiten heldenhaft«511 geschlagen. Auch die tschechoslowakische Historiographie war der Meinung, dass der Grund für den Zerfall der Habsburgermonarchie die Oktoberrevolution gewesen sei. Das grundlegende Buch, das diese These belegt, stammt von Jurij Křížek und Oldřich Říha und trägt den eindeutigen Titel Bez Velké říjnové socialistické revoluce by nebylo Československa [Ohne die Große Sozialistische Oktoberrevolution würde es die Tschechoslowakei nicht geben] (Praha 1951). Der Kampf des tschechischen und slowakischen Volkes für Unabhängigkeit und Sozialismus sei bereits durch die Kunde von der Februarrevolution ausgelöst worden. Die Oktoberrevolution habe diese Bewegung angefacht: »Die Arbeiterklasse bemühte sich zwar, wie wir noch sehen werden, den siegreichen Weg der russischen Arbeiter nachzuahmen, doch war sie sich damals noch nicht aller notwendigen Voraussetzungen für ihren Sieg bewusst, vor allem kannte sie den Leninismus nicht und hatte ihn sich nicht angeeignet.«512

508 Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 203 f. 509 Walentyna Najdus: Polacy w Rewolucji Październikowej (w XXXV rocznicę Rewolucji Październikowej), in: PH 1952, S. 437. 510 Bronisław Baczko: Wstęp, in: Adam Korta: O postępowych, a. a. O., S. 21 f.; vgl. Edward Ochab: Największy polski rewolucjonista und J. Kole: Feliks Dzierżyński Budowniczy Gospodarki Socjalistycznej, beide in: ND, Nr. 3/1951. 511 Żanna Kormanowa (Hg.): Historia, a. a. O., S. 299; vgl. Zygmunt Modzelewski: Julian Marchlewski (1866–1925), in: ND, Nr. 1/1950. 512 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 1222.

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Darum habe sie einen nur halbherzigen Erfolg erzielt – sie habe die Monarchie zerschlagen, aber in Tschechien keinen Sozialismus aufgebaut.513 So wie die polnischen Marxisten erkannten auch ihre tschechischen Kollegen keinen grundlegenden Unterschied zwischen den verschiedenen bürgerlichen Gruppierungen, in diesem Fall zwischen den Anhängern und den Gegnern der Monarchie: »zwischen beiden Programmen gab es gar keinen so großen Unterschied, wie dies später die bürgerliche Publizistik und Historiographie darzustellen versuchte. Es ging nur darum, welches imperiale Joch vom nationalen und klassenspezifischen Standpunkt aus im jeweiligen Moment für die tschechische Bourgeoisie bequemer wäre.«514

Die »feige pro-österreichische Linie der tschechischen bürgerlichen Kriegspolitik« habe jedoch überwogen.515 Mehr noch, die Bourgeoisie habe mit Masaryk objektiv gegen die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei agiert. Diese sei dank der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution erzielt worden, während die von Masaryk politisch geführten tschechischen Legionen gegen diese Revolution eingeschritten seien und die Unabhängigkeitsbestrebungen dadurch behindert hätten.516 Die Gründung der Tschechoslowakei habe bei den Arbeitern nationalistische Illusionen« hervorrufen sollen, um sie dazu zu bewegen, den Kampf für die soziale Befreiung aufzugeben.517 Eine analoge Rolle zu den Legionen Piłsudskis und der »Legende eines Abenteuers« spielten in der tschechoslowakischen Historiographie die tschechoslowakischen Legionen in Russland, die sich aus Kriegsgefangenen und Deserteuren der österreichisch-ungarischen Armee zusammensetzten. Diese Einheiten hätten sich an den Kämpfen gegen die Deutschen beteiligt; ähnliche Truppen seien auch in Italien, Frankreich und Serbien aufgestellt worden. Die größten russischen Legionen hätten gegen die Bolschewiken gekämpft und sogar die Transsibirische Eisenbahn sowie große Teile Sibiriens besetzt. In der Zwischenkriegszeit seien die tschechoslowakischen Legionäre, ganz so wie die polnischen, eine privilegierte Gruppe gewesen. Diese Interpretation änderte sich jedoch in den 1950er Jahren. Über die Aktivitäten der Legionen im Osten schrieb man nun ähnlich wie über den polnisch-sowjetischen Krieg: »Die antisowjetische Intervention der tschechoslowakischen Legionen zwischen 1918 und 1920 ist für jeden Ehrenmenschen in unseren Nationen ein schmerzhafter Punkt für die

513 Vgl. Oldřích Říha: O národním hnutí a národnostní otázce 1848–1918, in: ČSČH 1954, S. 68. 514 Juraj Křížek: Česká buržoasní politika a »česká otázka« v letech 1900–1914, in: ČSČH 1958, S. 660. 515 Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 1, T. II, S. 1154. 516 Karel Herman: Hlavní rysy česko-ruských vztahů v letech 1870–1917, in: Jaroslav Vávra (Hg.): Z bojů, a. a. O., S. 95. 517 Ebd.

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tschechoslowakisch-sowjetische Freundschaft, selbst wenn diese jetzt felsenfest und unantastbar ist.«518 Der Konflikt sei nicht die Schuld der Soldaten, sondern der internationalen Reaktion gewesen, die die Sowjetunion habe vernichten wollen. Der slowakische Autor Ján Kvasnička kommentierte, dass in den Militäreinheiten selbst subjektiv fortschrittliche, einfache tschechische und slowakische Soldaten unter den Einfluss zaristischer und tschechischer Offiziere geraten seien, »die mit erheblicher Hilfe der rechten Anführer der Sozialdemokratie die Soldaten von den revolutionären russischen Kreisen isolierten«.519 Der internationalen Reaktion habe Masaryk geholfen, der sein Leben Tschechen und Slowaken gewidmet habe, um sich bei seinen »Vorgesetzten« beliebt zu machen.520 Trotz des persönlichen Heldenmuts der Legionäre seien sie nur ein Werkzeug gewesen. Vlastimil Vávra fasste es so: »Die Logik sagt, dass diejenigen, die ums Leben kamen, ihr Leben einer fremden Sache opferten.«521 So wie ihr politischer Anführer hätten die Legionäre objektiv gegen die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei agiert.522 Der Grund, warum sich die tschechischen und slowakischen Soldaten für die Legionen hätten anwerben lassen, sei ihr fehlendes politisches Verständnis gewesen. Dies habe die Führung der Sozialdemokratie verschuldet, die sie mit »zahnlosen revisionistischen Theorien« gefüttert habe. Darum seien nur wenige, »die vor allem vom Klasseninstinkt geführt wurden«, der Roten Armee beigetreten.523 Die tschechischen Rotarmisten, deren Zahl sich laut Vávra auf 10.000 belaufen habe, »retteten die Ehre des tschechischen und slowakischen Proletariers«.524 Sie seien der Grausamkeit ihrer Landsleute in besonderem Maße ausgesetzt gewesen.525 Dabei habe sich die sowjetische Führung, wie die marxistischen Historiker hervorhoben, den Legionären gegenüber freundschaftlich verhalten: »Die tschechoslowakischen Legionen kämpften bewaffnet gegen die Sowjetmacht, obwohl ihnen diese unter der Bedingung aufrichtiger Neutralität auf Anordnung Stalins den freien und sicheren Abzug aus der Sowjetunion angeboten hatte, womit sie im wortwörtlichen Sinne ihre Politik umsetzte, die nationalen Befreiungsanstrengungen der unterdrückten Völker zu unterstützen.«526

518 Vlastimil Vávra: Klamná cesta. Příprava a vznik protisovětského vystoupení československých legií, Praha 1958, S. 5. 519 Ján Kvasnička: Československé légie v Rusku 1917–1920, Bratislava 1963, S. 323. 520 Vlastimil Vávra: Klamná cesta, a. a. O., S. 5 und 23. Vgl. Václav Král: O Masarykově a Benešově kontrarevolucí proti sovětské politice, Praha 1953. 521 Vlastimil Vávra: Klamná cesta, a. a. O., S. 28. 522 Ebd., S. 61. 523 Ebd., S. 50. 524 Ebd., S. 130. 525 Vgl. Josef Macek/František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled, a. a. O., Bd. 2, T. II, S. 1265. 526 Ebd., S. 1265.

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Die slowakischen Historiker kopierten das von ihren tschechischen Kollegen ausgearbeitete historische Schema in vielen Punkten. Sie schrieben über die spontane Reaktion des Volkes auf die Kunde vom Ausbruch der Oktoberrevolution, über die Streikwelle und die Forderungen nach einer sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen. Große Bedeutung habe allein schon das Schlagwort von der Selbstbestimmung der Nationen gehabt, das von den russischen Revolutionären ausgegeben worden war.527 Die slowakische (und ungarische) Bourgeoisie habe ihrerseits eine dem russischen Proletariat gegenüber ablehnende Position eingenommen.528 Die Entstehung des tschechoslowakischen Staates sei eine (zufällige) Folge des Befreiungskampfes gewesen, den das Volk unter Einfluss der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution aufgenommen habe.529 Denn der Hauptakteur dieser Ereignisse, die Arbeiterklasse, habe die Errichtung dieses Staates gar nicht angestrebt. Leider habe die Bourgeoisie im entscheidenden Moment die Führung über die nationalen Befreiungsanstrengungen übernommen und die Entstehung der ČSR herbeigeführt. Die bürgerlich-demokratische Revolution sei zu keiner proletarischen Revolution geworden.530 Das hieß nicht, dass es auf dem Gebiet der Slowakei nicht zu Versuchen gekommen wäre, eine Räteherrschaft einzuführen. Der Einmarsch der bolschewistischen Truppen Ungarns wurde überraschend gut beurteilt. In der Regel versuchte man nicht, die Fortschrittlichkeit der Slowakischen Räterepublik zu schmälern, sodass man einen Artikel udovít Holotíks von 1959 zu diesem Thema als einen Angriff auf diese Tradition ansah, auch wenn Holotík die tschechoslowakische Bourgeoisie beschuldigte, als Handlanger der französischen Regierung bei der Niederschlagung der ungarischen Revolution gedient zu haben. Der Revolution selbst gab er sehr gute Noten und lobte alle Slowaken, die an ihr teilgenommen hatten, für ihren uneigennützigen Internationalismus.531 Doch es stellte sich heraus, dass dieses Urteil noch zu wenig positiv war, sodass es Holotíks 527 udovít Holotík: Októbrová revolúcia a národooslobodzovacie hnutie na Slovensku v rokoch 1917–1918, Bratislava 1958, S. 121. 528 udovít Holotík (Hg.): Dejiny, a. a. O., S. 187–189. 529 Vgl. Michal Dzvoník (Hg.): Slovenská republika rád. Výsledky bádania a spomienky súčasníkov prednesené na vedeckej konferencii v Prešove 8. a 9. Júna 1959, ilina 1959; Michal Dzvoník: Ohlas Vekej októbrovej socialistickej revolucie na Slovensku (1918–1919), Bratislava 1957. Ján Mlynárik schätzt die letztgenannte Untersuchung und überhaupt alle Veröffentlichungen Dzvoníks hoch ein, sie seien außergewöhnlich sachlich und enthielten keine Fälschungen – Ján Mlynárik: Diaspora, a. a. O., S. 90. 530 udovít Holotík: Ohlas Vekej Otóbrovej Socialistickej Revolucie na Slovensku od konca roku 1917 do vzniku ČSR, in: HČSAV 1957, S. 448. Vgl. ders.: Októbrová revolucia a národnooslobodzovacie hnutie na Slovesku v rokoch 1917–1918, Bratislava 1958; ders.: Vznik Československa a jeho význam pre slovenský národ, in: HČSAV 1958, S. 495. 531 Ders.: O Slovenskej republike rád roku 1919, in: HČSAV 1959, S. 174. Vgl. Martin Vietor: K tridsiatemu piatemu výročiu Slovenskej Republiky Rád, in: HČSAV 1954.

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Karriere bremste.532 Wer aber die slowakischen historischen Veröffentlichungen und die einzelnen Jahrgänge der HČSAV liest, dem fällt auf, dass man nur selten über die Slowakische Räterepubik (SRR) schrieb, meist aus Anlass runder Jahrestage. Die reaktionäre Legende Piłsudskis und der tschechischen Legionen hatte in der Slowakei seine Entsprechung in einem Mitgründer des Staates, Milan Rostislav Štefánik. Der tragisch ums Leben gekommene Flieger wurde zu einer tschechoslowakischen Ikone und bestätigte die These, dass der Staat aufgrund der Aktivitäten der tschechischen und slowakischen Bourgeoisie entstanden sei. Damit hätten die Regierungskreise der ČSR den Einfluss der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf dieses Ereignis bestreiten wollen. Die Nationalisten hingegen versuchten sich an dem Nachweis, dass Štefánik die Unabhängigkeit der Slowakei angestrebt habe.533 udovít Holotík, der dieses Thema aufgriff, war der Meinung, Štefánik habe eigentlich antinational gewirkt, so wie Masaryk und Beneš. Dabei handelte es sich nicht um die so genannte objektive historische Rolle, sondern darum, dass die Gründer der Tschechoslowakei ganz einfach und kompromisslos als französische Agenten gesehen wurden.534 Der Einfluss der Oktoberrevolution war für die Experten der Geschichte Deutschlands viel uneindeutiger. Die Behauptung, dass die Weimarer Republik aufgrund der Ereignisse von 1917 in Petrograd entstanden sei, war reiner Unsinn, zumal der deutsche Staat auch zuvor in durchaus stattlicher Form existiert hatte. Das Problem bestand auch darin, dass die russische Revolution in der Geschichte Deutschlands eine Konkurrentin besaß, die Novemberrevolution von 1918, die zwar misslungen, doch zweifellos ideologisch verwandt war. Alexander Abusch interpretierte die Novemberrevolution als ersten Akt eines Prozesses, dessen Finale im April 1946 stattfand, als die kommunistische Partei und der linke Flügel der Sozialdemokratie die gemeinsame SED gegründet hätten. Hätte es 1918 eine solche vereinigte Partei der Arbeiterklasse gegeben, wäre die Revolution gelungen, stellte er fest.535 Trotz einiger Unterschiede zu anderen Ostblockstaaten hob auch die DDRHistoriographie den entscheidenden Einfluss der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die deutsche Arbeiterklasse hervor. Wie Albert Schreiner in einem Jubiläumsreferat bemerkte: »Die Auswirkungen der Großen Oktoberrevolution auf Deutschland vor und während der Novemberrevolution können in einem zweistündigen Vortrag nicht erschöpfend behandelt werden.«536 Im ersten Heft

532 Ján Mlynárik: Diaspora, a. a. O., S. 20. 533 udovít Holotík: Štefánikovská legenda a vznik ČSR, Bratislava 1958, S. 6, 9 und 326 f. 534 Vgl. Ján Mlynárik: Diaspora, a. a. O., S. 220–243. 535 Alexander Abusch: Der Irrweg, a. a. O., S. 282. 536 Albert Schreiner: Auswirkungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf Deutschland vor und während der Novemberrevolution, in: ZfG 1958, S. 7.

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der ZfG nannte Heinz Kamnitzer diesen Einfluss eine von zwei Entdeckungen, die die Marxisten nach intensivem Quellenstudium gemacht hätten (die zweite war die Feststellung, dass sich die deutsche Regierungsklasse während des Krieges vor niemand anderem als vor den deutschen Arbeitern gefürchtet habe).537 Unter Einfluss der Nachrichten aus Russland sei u. a. die Bayerische Räterepublik entstanden.538 Die Offiziere an der Ostfront seien nicht in der Lage gewesen, die einfachen Soldaten davon abzuhalten, sich mit den Russen zu verbrüdern.539 Auch wenn die bürgerliche Geschichtsschreibung versuche, dies anders zu erklären, hätten die Arbeiter gerade unter dem Einfluss der russischen Revolution ihre Arbeit niedergelegt und Massenstreiks organisiert.540 Nicht zu überschätzen sei auch der Anteil ehemaliger deutscher Kriegsgefangener an der Revolution auf Seiten der Bolschewiken.541 Größere Aufmerksamkeit widmete man jedoch der Novemberrevolution. Auch wenn sich die marxistischen Wissenschaftler beim Urteil über Personen wie Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg einig waren, erwies sich die Definition der Revolution an sich als verwickeltes Problem. In den ersten Nachkriegsveröffentlichungen hielt man sie für eine proletarische Revolution.542 Albert Schreiner antwortete den Zuhörern seines oben erwähnten Referats, dass er sich selbst lange über den Charakter der Revolution im Irrtum befunden habe. Erst die Lektüre des Kurzen Lehrgangs der KPR(B) habe ihn davon überzeugt, dass es sich in Wirklichkeit um eine bürgerliche Revolution gehandelt habe.543 Doch 1958, als Schreiner seinen Zuhörern diese Geschichte vortrug, war der Kurze Lehrgang nicht mehr die einzige und unbestreitbare Wissensquelle über die Welt. Ein viel wahrscheinlicheres Motiv für die Veränderung seiner Interpretation war die direkte Kritik, die Schreiner 1958 von Seiten sowjetischer Forscher zuteil wurde. Ihre Intervention beschränkte die Möglichkeiten weiterer Diskussionen stark.544 Ehe es aber

537 Heinz Kamnitzer/Klaus Mammach: Aus Dokumenten zur Vorgeschichte der deutschen Novemberrevolution, in: ZfG 1953, S. 810. Vgl. Karl Obermann: Bemerkungen über die Entwicklung der Arbeiterbewegung in Berlin 1916/1917 und ihr Verhältnis zur russischen Februarrevolution und zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, in: ZfG 1957; Wolfgang Ruge: Zur Taktik der deutschen Monopolbourgeoisie im Frühjahr und Sommer 1919, in: ZfG 1963, S. 1088. 538 Hans Beyer: Die bayerische Räterepublik 1919, in: ZfG 1954, S. 175. 539 Walter Bartel: Die Wirkungen der russischen Revolution, in: ZfG 1957, S. 923. 540 Klaus Mammach: Das erste Echo der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in der deutschen Arbeiterklasse im November 1917, in: ZfG 1957, S. 1033. 541 Vgl. Sonja Striegnitz: Die aktive Teilnahme ehemaliger deutscher Kriegsgefangener an der Oktoberrevolution 1917 und an den Kämpfen des Bürgerkrieges 1918–1922, in: ZfG 1960. 542 Vgl. Lutz Winckler: Die Novemberrevolution in der Geschichtsschreibung der DDR, in: GWU, Nr. 21/1970, S. 218. 543 Albert Schreiner: Auswirkungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf Deutschland vor und während der Novemberrevolution, in: ZfG 1958, S. 29. 544 Mario Kessler: Die Novemberrevolution und ihre Räte. Die DDR-Debatten des Jahres 1958 und die internationale Forschung, Berlin 2008, S. 17 f.

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dazu kam, hatte unter Einfluss des Tauwetters schon im Jahrgang 1957 der ZfG eine lebhafte Diskussion eingesetzt, die sich auf zwei Probleme konzentrierte: auf den Charakter der Revolution und das Urteil über die Fortschrittlichkeit der Arbeiter- und Bauernräte (die Umstände dieses Meinungsaustausches sind bereits im zweiten Kapitel dieser Arbeit geschildert worden). Die Historiker gingen langsam von dem positiven Bild der Revolution ab und erkannten in ihr immer zahlreichere Unzulänglichkeiten. Peter Hintze meinte, die Räte hätten ihren revolutionären Charakter schon im Dezember 1918 verloren.545 Roland Bauer war der Ansicht, dass die anfangs proletarische Revolution nicht richtig beendet worden sei, weshalb sie schnell zu einer bürgerlichen Revolution habe werden können.546 Etwas anders erklärte Walter Mimtz diesen Wandel. Er vertrat die Auffassung, dass man, um in Deutschland eine proletarische Revolution durchführen zu können, zunächst die bürgerliche Revolution hätte beenden müssen (was 1848 bekanntlich nicht gelungen war). Die Novemberrevolution sei also sozusagen von vornherein beschränkt gewesen, auch wenn die Tatsache zu beachten sei, dass der Spartakusbund und die junge KPD noch nicht in der Lage gewesen seien, die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen.547 Die Diskussion wurde von Walter Ulbricht beendet, der die bisherigen Ausführungen der Historiker auf eine Kompromissformel brachte: »Zusammenfassend muß man die Novemberrevolution ihrem Charakter nach als eine bürgerlich-demkokratische Revolution, die in gewissem Umfang mit proletarischen Mitteln und Methoden durchgeführt wurde, bezeichnen.«548 Der Vergleich der marxistischen Arbeiten über die Ereignisse der Jahre 1917–1920 in Polen, Deutschland, Tschechien und der Slowakei zeigt die Art und Weise, wie man Abschnitte der eigenen Nationalgeschichte in Bezug zur über-

545 Peter Hintze: Zur Frage des Charakters der Arbeiter und Soldatenräte in der Novemberrevolution 1918, dargestellt am Beispiel der Räte in Mecklenburg, in: ZfG 1957, S. 264. 546 Roland Bauer: Zur Einschätzung des Charakters der deutschen Novemberrevolution 1918–1919, in: ZfG 1958, S. 162 f. 547 Walter Mimtz: Über den Charakter der Novemberrevolution von 1918/1919 in Deutschland, in: ZfG 1958, S. 706 und 712. 548 Walter Ulbricht: Über den Charakter der Novemberrevolution. Rede in der Kommission zur Vorbereitung der Thesen über die Novemberrevolution, in: ZfG 1958, S. 729. Ernst Engelberg und Rolf Rudolph kommentierten die Debatte folgendermaßen: »Nach 1956 wurde die schon 1933 vertretene und im Jubiläumsjahr 1948 bekräftigte These, die Novemberrevolution von 1918 sei eine unvollendete bürgerlich-demokratische Revolution gewesen, angezweifelt. Von den Opponenten wurde die Meinung vertreten, die Novemberrevolution sei eine proletarische Revolution gewesen, die mit einer Niederlage endete. Walter Ulbricht hat zu dem Meinungsstreit Stellung genommen und dabei einen entscheidenden methodischen Gesichtspunkt hervorgehoben: die dialektische Methode erfordert, daß die objektiven und subjektiven Bedingungen einer Revolution nicht schematisch voneinander getrennt werden.« – Ernst Engelberg/Rolf Rudolph: Zur Geschichtswissenschaft der DDR, in: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte. Zum XI. Internationalen Historikerkongreß in Stockholm, August 1960, Berlin 1960, S. 19.

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geordneten revolutionären Tradition setzte, der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Für die in den 1950er Jahren aktiven Historiker bestand kein Zweifel daran, dass die russische Revolution ein besonderes Ereignis und am fortschrittlichsten gewesen war. Natürlich war es nicht nur ihre »Überlegenheit« über die Staatsschöpfer der Nachkriegszeit, sondern ebenso ihr Einfluss auf alle möglichen Ereignisse, auch in anderen Gegenden der Welt. Das sich in den Beschreibungen der Geschichte Polens, Tschechiens und der Slowakei wiederholende Schema (Einfluss der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die Erlangung der Unabhängigkeit, reaktionäre Intervention in Russland, Dominanz der reaktionären besitzenden Klassen, ruhmreiche Beteiligung von Polen, Tschechen und Slowaken an den Kämpfen auf Seiten der Roten Armee) wird jedoch aufgebrochen, wenn man sich die neueste Geschichte Deutschlands ansieht. Die deutsche Novemberrevolution konnte ein einheimischer Bezugspunkt und eine Messlatte für Fortschrittlichkeit sein. Sie hatte ihren Mythos, ihre Märtyrer und – wie oft hervorgehoben wurde – ihre Fortsetzung in Gestalt der DDR. Dieses potentielle Konkurrenzverhältnis von Novemberrevolution und Oktoberrevolution führte dazu, dass man in der ostdeutschen Historiographie, dem Kurzen Lehrgang der KPR(B) folgend, davon ausging, es habe sich nicht um eine proletarische, sondern um eine bürgerlich-demokratische Revolution gehandelt. Bemerkenswert ist, dass man sie solcherart mit Ereignissen wie der Gründung der ČRS oder der Revolution von 1848 in Deutschland und Ungarn verglich. Die Revolution Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts wurde damit zu einem Bindeglied zwischen der frühbürgerlichen Revolution (Hussitenbewegung, Großer Bauernkrieg, slowakischer Bergarbeiteraufstand, Chmelnyzkyj-Aufstand) und der »wahren« Revolution, nämlich der Oktoberrevolution. Es mag bezweifelt werden, ob die Spartakianer sich selbst an dieser Stelle gesehen hätten. Dass sie dorthin gestellt wurden, ist ein gutes Beispiel dafür, dass die marxistisch-leninistischen Interpretationen der Geschichte Deutschlands, Polens, Tschechiens und der Slowakei keine einfache Fortsetzung einer marxistischen Strömung waren, sondern vielmehr der Versuch, die Traditionen der nationalen Historiographien neu zu interpretieren.

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Alle in dieser Arbeit behandelten marxistischen Interpretationen der Nationalgeschichte weisen einige gemeinsame Züge auf, die sich mal daraus erklären, dass dieselben methodologischen Annahmen zugrunde gelegt wurden, mal aus den vergleichbaren historischen Erfahrungen in Ostmitteleuropa, mal schließlich aus einer in vielerlei Hinsicht analogen Situation der Historiker selbst. Natürlich ergab sich die strukturelle Ähnlichkeit aus der Übernahme der Formationstheorie und der (durch Diskussionen mit Historikern aus der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten) aufeinander abgestimmten Periodisierung. Weitgehende Analogien gab es aber auch im Hinblick auf wichtige Einzelaspekte, bei Urteilen über bestimmte historische Geschehnisse, nicht nur über ganze Epochen. Diese Analogien hatten ihren Ursprung nicht allein im Marxismus, sondern auch in anderen Konzeptionen, die sich in der Kultur des 19. Jahrhunderts ausgebildet hatten. Eine sehr wichtige Anregung für die marxistische Historiographie war das Werk der deutschen Vertreter des Historismus. Das heißt natürlich nicht, dass die Marxisten so wie Ranke daran geglaubt hätten, dass sich in der Geschichte eine göttliche Vorsehung verwirklicht. Doch schon die geschichtsphilosophische Konzeption Droysens, derzufolge es Preußens Bestimmung gewesen sei, Deutschland aus der reaktionären Herrschaft zu befreien, weist gewisse Analogien zum historischen Materialismus stalinistischer Prägung auf. Preußen habe Deutschland die Freiheit gebracht, jedoch nicht individualistisch verstanden, sondern kollektiv: eine Freiheit, die sich im Staat verwirkliche. Dieser Gedanke, dass für Freiheit und Glück der Nation eine zentralisierte, starke Gewalt nötig ist, ist auch bei vielen polnischen und tschechischen Historikern zu finden. Stanisław Smolka zählte zu den positiven Aspekten der polnischen Geschichte den »strengen Despotismus der Bolesławe«, einschließlich der »von ihnen verübten Gewalttaten«, da sich durch diese Gewalt Staat und Nation ausgebildet hätten.1 Die Geschichte Ostmitteleuropas hatte sich so entwickelt, dass für die meisten hier lebenden Nationen ein eigener Staat lange nur ein Wunsch blieb, der durch die vollständige Umsetzung der Programme der Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert verwirklicht werden sollte. Dies führte dazu, dass für die Marxisten ein zentralisierter und starker Staat einen noch größeren Wert zu besitzen schien. Aus marxistischer Sicht traten die Vorteile einer starken, am besten nationalen Macht in vielen historischen Momenten zutage: Man erkannte sie in der

1

Stanisław Smolka: Wstępny wykład przy objęciu katedry historii polskiej na Uniwersytecie Jagiellońskim, in: Marian Henryk Serejski (Hg.): Historycy, a. a. O., Bd. 2, S. 320.

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mittelalterlichen Monarchie, aber auch in den Gestalten der großen Führer (etwa Žižka). Im Sonderfall der Slowaken, die besonders lange Teil einer fremden Monarchie waren, deutete man sogar einzelne Aspekte der Habsburgerherrschaft positiv und stellte sie dem anarchischen und reaktionären ungarischen Adel entgegen (im Geiste stand man damit dem Konservatismus der Krakauer Schule nahe, insbesondere Michał Bobrzyński). Schließlich hätten die Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts ihre Fortschrittlichkeit nicht nur der Tatsache zu verdanken, dass sie für die soziale Befreiung kämpften, sondern auch ihrer Forderung nach Schaffung eines starken Staates. In dieser Hinsicht konnten sich die marxistischen Historiker auf entsprechende Zitate berufen, die die Anerkennung der nationalen Frage sowohl durch Marx wie auch durch Lenin dokumentierten. Ein wichtiger Bestandteil des marxistischen Geschichtsbildes war seine ganz eigene Rezeption der romantischen, idealistischen Historiographie demokratischer Färbung. Da alle Anzeichen für ein Aufbegehren der unterdrückten Klassen gegen die Staatsmacht positiv bewertet wurden, entsprachen die geschichtsphilosophischen Konzeptionen Lelewels, Arndts oder teilweise auch Palackýs der allgemeinen Absicht der marxistischen Geschichte. Einige Merkmale des wissenschaftlichen Schaffens der 1950er Jahre waren nicht notwendigerweise mit dem Marxismus verbunden wie die Abneigung gegenüber dem Barock, den Jesuiten, den Deutschen, dem Westen, dem Bürgertum (sofern es nicht die revolutionäre Rolle spielte, die ihm durch die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte zukam), aber auch die Sympathie für dem Bauernstand. In den 1950er Jahren ignorierten die Historiker jene Marx’schen Äußerungen, in denen er behauptete, das Proletariat werde seine historischen Aufgaben durch die schlimmste Erniedrigung, ja fast durch Entmenschlichung erreichen. Derweil wurde das Bild dieser niedrigsten, unterjochten Klassen in den Arbeiten der Marxisten idealisiert. Meist hätten sich die Bauern und der Plebs nicht nur durch einen »gesunden Klasseninstinkt«, sondern auch durch politische Weisheit ausgezeichnet, die den höheren Klassen der Nation gefehlt habe. Diese Idealisierung stützte sich oftmals eher auf die nationalen Historiographien der Romantik als auf die Klassiker des Marxismus. Zwischen diesen beiden Quellen der Inspiration – der Anknüpfung an den Historismus bzw. die mitteleuropäischen Positivisten und der Sympathie für das romantische, demokratische Geschichtsbild – kam es nicht selten zu Spannungen. Es war nicht klar, welche historiographische Tradition besser zur marxistischen Methodologie passte, welche die »objektiv« fortschrittlichere Rolle gespielt hatte. Diese Spannung wurde besonders deutlich im polnischen Streit um die Beurteilung der historischen Schulen. Die marxistischen Historiker waren sich über dieses Problem im Klaren, doch ist nur schwer zu sagen, in welchem Maße andere Wissenschaftler bewusst oder unbewusst darauf zurückgriffen. Den marxistischen Geschichtsbildern in Polen, Ostdeutschland, Tschechien und der Slowakei war vor allem gemein, dass sie der nationalen Sichtweise unter-

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geordnet waren – am deutlichsten in Tschechien und der Slowakei, wo die Marxisten stark die Denkweise der nationalen Erwecker übernahmen. Das Schema, demzufolge das »nationale« Mittelalter einer im Grunde wenig interessanten Frühen Neuzeit vorausging, die wiederum zu einer weiteren »nationalen« Epoche führte, dem 19. Jahrhundert, war auch in den Arbeiten polnischer und ostdeutscher Historiker zugegen. Die Frühe Neuzeit wurde meist als allzu kosmopolitisch und nicht-national gesehen, als dass sie eine wichtige Quelle fortschrittlicher Traditionen hätte werden können. Eine Ausnahme stellten die frühbürgerlichen Revolutionen dar, die im 16. bis 18. Jahrhundert stattfanden (wie der Große Bauernkrieg oder der Chmelnyzkyj-Aufstand), doch veränderten diese Ausnahmen nicht die Art und Weise, wie die Geschichte interpretiert wurde, sondern verlängerten lediglich den Zeitraum des »nationalen« Mittelalters. Der Übergang zu der (aus marxistischer Sicht) wenig belangreichen Neuzeit folgte direkt nach dem Erlöschen der jeweiligen Revolution.

»Pessimismus« und »Optimismus« im marxistischen Geschichtsbild Trotz großer Ähnlichkeiten der einzelnen marxistischen Historiographien kann man zahlreiche Stellen aufzeigen, an denen sich die Urteile über das nationale Erbe relativ stark voneinander unterschieden. Verallgemeinernd lassen sich zwei Rezeptionstraditionen erkennen. Zur ersten sind die tschechischen und slowakischen Marxisten zu zählen. Dieses Modell war hochgradig vereinheitlicht. Zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Marxisten kam es selten, und wenn, dann werden sie sehr schnell zum Schweigen gebracht (wie dies bei den unorthodoxen Ansichten über die historische Rolle udovít Štúrs der Fall war). Die Interpretationsweise der einheimischen Geschichte war in vielen Aspekten von vornherein vorgegeben, nicht so sehr durch die Aussagen der Klassiker oder sowjetischer Wissenschaftler, sondern durch die Interpretationen von Zdeněk Nejedlý und durch die von den slowakischen Theoretikern vorgenommene Übertragung seiner Ansichten auf die Slowakei. Dieses Geschichtsbild abstrahierte von den Traditionen der einheimischen Sozialdemokratie (und der kommunistischen Bewegung) und war weit entfernt von jedem »Bolschewismus« (verstanden als Antithese des Nationalismus). Zur grundlegenden marxistischen Interpretation wurde die liberalnationalistische Tradition der tschechischen und slowakischen Bourgeoisie, der Hauptströmung der nationalen Wiedergeburt. Die Darstellung Alois Jiráseks als eines der bedeutendsten Historiker illustriert diese Situation zur Genüge. Im Ergebnis teilte die marxistische Interpretation der Geschichte mit der liberalnationalistischen nicht nur die Konzeption des wichtigsten historischen Subjekts (also der Nation), sondern auch eine Reihe von Einzelurteilen (wie die Interpretation der Hussitenbewegung oder die kritischen slowakischen Aussagen über die

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ungarischen besitzenden Klassen). In Anknüpfung an eine Äußerung Henryk Wereszyckis über die in den »Entwürfen« des UPHP vorgestellte Konzeption der Geschichte Polens könnte man sagen, dass die marxistische Interpretation der Geschichte Tschechiens und der Slowakei insofern »optimistisch« war, als sie in vielen Punkten mit der in der »bürgerlichen« Geschichtsschreibung vorherrschenden Strömung übereinstimmte. Paradoxerweise führte somit die Tatsache, dass ein Teil der nichtmarxistischen Tradition dem Marxismus zugerechnet wurde, dazu, dass historische Konzeptionen und historische Phänomene, die sich [może dodać: wahrlich aber unorthodox auf Marx bezogen, ebenso wenig möglich waren wie offen »reaktionäre« Sichtweisen. Mit anderen Worten: Vom Standpunkt der in der Tschechoslowakei geltenden Version des historischen Materialismus waren Zavíš Kalandra oder Jan Slavík ebenso reaktionär wie Josef Pekař oder Zdeněk Kalista. Eine besonders interessante Ausnahme dieser Regel scheint das Urteil über die Slowakische Räterepublik zu sein. Der sie kritisierende udovít Holotík verletzte keineswegs die Logik der marxistischen Geschichtsinterpretation, als er zu dem Ergebnis kam, es habe sich um ein von Grund auf fehlerhaftes Staatswesen gehandelt – unproletarisch und antinational. Sein Gesichtspunkt entsprach zudem der generellen Tendenz der slowakischen marxistischen Historiographie, die in (fast) allen Konflikten mit Beteiligung Ungarns nationale Faktoren sah, keine Klassenfaktoren (somit schwenkte sie zu einem Denkstil über, der demjenigen entsprach, den in Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen Zygmunt Wojciechowski entwarf). Es ist im Übrigen nicht ausgeschlossen, dass die Ursache für Holotíks (vorübergehende) Niederlage in diesem Punkt in persönlichen Animositäten begründet war, von denen Ján Mlynárik sprach. Während das oben dargestellte tschechisch-slowakische marxistische Interpretationsmodell als relativ »optimistisch« beschrieben werden kann, so lässt sich diese Bezeichnung nicht für die DDR oder Polen verwenden. Der Hauptgrund hierfür liegt in der Uneinheitlichkeit der dortigen marxistischen Interpretationen, in der erheblich größeren Zahl von Kontroversen zwischen Interpretationen, die als marxistisch gelten wollten und nach einer monopolistischen Position strebten. Der »Pessimismus«, von dem im polnischen Kontext Wereszycki sprach, war keineswegs das einzige Antlitz des Marxismus in Polen und der DDR. In den Aussagen Adam Kortas oder Roman Werfels finden sich viele Elemente, die enger mit dem tschechisch-slowakischen Modell verwandt sind: Zustimmung zu den nationalen Werten, Kontinuität umfassender, traditioneller Sichtweisen der Geschichte bei scharfer Kritik einzelner »Auswüchse«. Als Beispiel mag hier das Urteil über die polnischen Legionen dienen oder, im deutschen Fall, die anfängliche Bewertung Steins oder der Befreiungskriege. Ähnlich wie im tschechischen und slowakischen Fall bezogen sich die polnischen und deutschen Marxisten nicht auf die Tradition des einheimischen marxistischen Denkens, auch wenn die potentiellen Möglichkeiten solcher Bezüge fürwahr riesig waren. Wie im gesamten Ostblock

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wurde die einzig zulässige stalinistische Interpretation übernommen, die vor allem, stärker noch als die offen »reaktionären« Sichtweisen, jegliche Konkurrenzinterpretation des historischen Materialismus ausschloss. Die verschiedenen marxistischen Interpretationen und die im Vergleich zu Tschechien und der Slowakei lebhafteren Auseinandersetzungen der Marxisten untereinander führten dazu, dass eigentlich antinationale Ansichten stärker zu Wort kamen, wenn auch selten in einer spezifisch marxistischen Bedeutung; sie waren zumeist einfach pro-sowjetisch. Bezeichnend sind in dieser Hinsicht die Bemerkungen Celina Bobińskas über die Fehler, die Marx und Engels bei der Einschätzung der polnischen Unabhängigkeitsbewegung begangen hätten, oder auch über das an sich richtige Misstrauen der Jakobiner gegenüber Kościuszko. Wie hätte eine marxistische Interpretation der Geschichte Polens ausgesehen, wenn die Freundschaft zur Sowjetunion nicht das wichtigste geltende Dogma gewesen wäre? Sicherlich wäre sie von den Schriften der Mitglieder und Sympathisanten der PPS nicht weit entfernt gewesen. Beispielsweise teilte eine populäre Darstellung der Geschichte Polens vom Anfang des 20. Jahrhunderts Lelewels Meinung über den demokratischen Charakter des ursprünglichen Staatssystems Polens.2 Der Adel habe einstmals freie Menschen zu Sklaven gemacht. Die Reformationsbewegung und die Verfassung vom 3. Mai wurden als historische Momente bezeichnet, in denen die »besseren« Adligen zur Besinnung gekommen seien. Die »schlechteren« hätten aber Polen verraten, als sie der Konföderation von Targowica beitraten. Von dieser Zeit an habe das Volk weitere Aufstände organisiert, die von den »bösen Herren« immer wieder verraten worden seien.3 In dieser Konzeption zeichnete sich neben dem Konflikt zwischen Volk und Adel jedoch ein noch wichtigerer ab: der Kampf gegen Moskau. Die »bösen Herren« einigen sich mit Moskau, der »gute« Kościuszko führt das Volk gegen Moskau usw. Nach der Entfernung dieses Schlüsselelements blieb tatsächlich nur ein recht düsteres Bild übrig: ein vom Volk ersehntes Polen, das die besitzenden Klassen aber nicht wollten, was im Grunde genügte, um die Unabhängigkeitsbewegung des Volkes scheitern zu lassen. Im deutschen Fall waren Interpretationen, die sich auf den Nationalismus bezogen (also u. a. den Wert des preußischen Erbes betonten), undenkbar. Erste Versuche, die deutsche Einigung positiv zu beurteilen oder Freiherr vom Stein zum Nationalhelden zu stilisieren, wurden torpediert. Die langfristige Entwicklungstendenz der ostdeutschen marxistischen Geschichtsschreibung führte jedoch zu immer positiveren Urteilen über einzelne Elemente der nationalen Traditionen, bis dahin, dass (allerdings nach dem uns interessierenden Zeitraum) Preußen, Luther,

2 3

Jan Wierzba: Opowiadanie z dziejów Polski dla Braci Włościan, London 1901. Ebd, S. 9–40.

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aber auch Bismarck dem akzeptierten Erbe eingepasst werden konnten. Dieser Prozess wich nicht grundlegend davon ab, was in anderen Volksdemokratien geschah, doch die Tatsache, dass eine nationalistische Geschichtsinterpretation gerade in der DDR wiederentstand, hatte einen besonderen Beigeschmack. Man könnte sagen, dass die ostdeutschen Historiker die nationalen Werte umso wohlwollender betrachteten, je weniger nationalistische Lesarten sie in den westdeutschen Veröffentlichungen fanden. Eine andere Ursache für die größere Diversität der Einstellungen polnischer und deutscher Historiker war der relativ große Reichtum der historiographischen Traditionen. Im Vergleich mit der tschechischen, vor allem aber mit der slowakischen Historiographie sahen sich die polnischen (ganz zu schweigen von den deutschen) Wissenschaftler nicht nur mit einer größeren Zahl von Vorgängern konfrontiert, sondern auch mit einer reicheren Tradition der Interpretation der Nationalgeschichte. Es genügt daran zu erinnern, dass die Absicht, Michał Bobrzyński oder Leopold von Ranke positiv als Vorgänger der Marxisten zu interpretieren, in der Tschechoslowakei keine Entsprechung hatte – kein tschechischer Marxist vertrat die Ansicht, Josef Pekař sei methodisch fortschrittlicher gewesen als František Palacký. Die beiden Modelle der marxistischen Historiographie lassen sich auf den von Lutz Raphael beobachteten und für den Marxismus sowjetischer Ausprägung typischen Kampf zwischen »linken« und »rechten« Interpretationen zurückführen. »Die einen«, schreibt Raphael, »betonten für alle Epochen den Primat der Klassenkämpfe und sahen nur in den unterdrückten Klassen wie Bauern oder Arbeitern und deren Revolten und Aufständen die positiven – ›fortschrittlichen‹ – Seiten einer neuen national-populistischen Geschichte. Die Verfechter einer ›gemäßigten‹ Version rückten die Kontinuitäten einer Fortschrittsentwicklung in der eigenen Nationalgeschichte bis hin zum Höhepunkt nationaler Unabhängigkeit unter volksdemokratischen Vorzeichen in den Vordergrund und ordneten dabei auch Fürsten, Adlige und Bürger als ›fortschrittliche‹ Kräfte unter positivem Vorzeichen in die Nationalgeschichte ein.«4 Wenn man diese Erkenntnis auf das konkrete Material bezieht, so wird das Bild komplizierter. Weder »rechte« noch »linke« Interpretationen treten nämlich irgendwo (im Untersuchungszeitraum) in Reinform auf. Würde man diese Unterteilung einerseits auf das tschechisch-slowakische, anderseits auf das polnisch-ostdeutsche Modell anwenden, so müsste man eine Binnenuntergliederung einzelner Bestandteile der marxistischen Historiographie einführen (wobei daran zu erinnern ist, dass auch für die Marxisten die Nation ein Schlüsselbegriff blieb):

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Lutz Raphael: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 58 f.

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1. Der offensichtlichste und erste Bestandteil aller hier analysierten Historiographien war die Übernahme der methodischen Postulate des Marxismus in seiner verknöcherten stalinistischen Version. Es handelte sich dabei bekanntlich nicht mehr um den Marxismus-Leninismus der Zwischenkriegszeit, sondern um eine Version, die in erheblichem Maße durch russischen Nationalismus sowie den Kult großer Persönlichkeiten in der Geschichte Russlands angereichert wurde, die man – wie Iwan den Schrecklichen – mit Stalin in Verbindung bringen konnte. Die Geschichte machte so wie auch die anderen Wissenschaften und Künste den enthüllenden Prozess der Stalinisierung durch, zu dessen Symbol der ZK-Sekretär der KPdSU Andrej Ždanov wurde. Von nun an sollte es ein noch teleologischeres Projekt als bisher werden (da es trotz Widerstand von Seiten der Reaktion klar und einfach auf einen Sieg des Arbeiter- und Bauernbündnisses zugestrebt hatte, der soeben erzielt worden war). In der UdSSR verschwanden offene wissenschaftliche Diskussionen fast völlig, da Texte vor ihrer Veröffentlichung oftmals kollektiv verbessert und vereinheitlicht wurden. Dieses Modell war auch in den anderen Volksdemokratien bekannt und wurde angewendet, obwohl ihm dort die sowjetische Konsequenz fehlte.5 Der Marxismus-Leninismus wiederholte in vulgarisierter Form die Ideen von Marx’ Historischem Materialismus. Es galt deshalb ganz allgemein, dass das Sein das Bewusstsein präge, dass wachsende Widersprüche der Motor der Geschichte seien, dass quantitative Veränderungen in einer geeigneten Phase radikal zu qualitativen Veränderungen führen. Diese Veränderungen brachte man mit der Abfolge weiterer notwendiger und unveränderlicher Entwicklungsphasen der Menschheit in Verbindung, die sich aus dem Zustand der Produktionsverhältnisse ergeben. Zur Formationstheorie gehörten Stammesgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus und Sozialismus. Stalins Beitrag zu diesem Schema war nicht nur dessen Verengung (Marx hatte nicht gesagt, dass alle Formationen einander auf unabänderliche und voneinander unabhängige Weise folgen müssten; so ließ er zum Beispiel den Einfluss spezifischer geografischer Bedingungen auf die Entstehung der asiatischen Gesellschaft zu), sondern auch das Dekret, die Übergänge zwischen den einzelnen Formationen hätten auf revolutionärem Wege zu erfolgen. Deshalb mussten die Historiker Revolutionen gleichsam suchen (z. B. eine Sklavenrevolution), die dem Übergang zur nächsten Formation vorauszugehen hatten. Jede der hier beschriebenen Historiographien lieferte denn auch genügend Material, um sowohl den revolutionären Charakter der Übergänge zwischen den

5

Leszek Kołakowski: Główne nurty marksizmu, Bd. 3, Poznań 2000, S. 155 f.

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Formationen wie auch die diesen Revolutionen vorausgehende Krise der vorigen Formation zu belegen. 2. Die Aufnahme der marxistischen Vorgaben in die Forschungs- (und Verlags-)Praxis hatte nicht nur Einfluss auf die methodologischen Deklarationen, sondern auch auf die Themenwahl. Diese Fragen hingen im Übrigen ganz augenscheinlich zusammen. Wenn die marxistischen Historiker davon ausgingen, dass das Sein das Bewusstsein prägt, mussten sie sich auf die Erforschung der Produktionsverhältnisse konzentrieren. In allen untersuchten Ländern widmete man demnach gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Phänomenen sowie der Geschichte der Klassenkämpfe (Bauernaufstände, Ausbeutung, Lage der Arbeiter, Geschichte der Arbeiterbewegung) mehr Aufmerksamkeit als zuvor. Zwar waren in Deutschland wie in Polen schon lange Elemente der Soziologie wie auch der Ökonomie in die Geschichtswissenschaften eingeführt worden, dennoch verstärkte sich dieser Trend nach dem Krieg stark. In dieser Hinsicht gab es also keine größeren Unterschiede zwischen den hier behandelten Historiographien. 3. Die nächste Ebene der marxistischen Historiographie überprüfte die bereits akzeptierten methodologischen Grundannahmen. Denn theoretisch (und deklarativ) musste sich die Art und Weise verändern, wie Historiker Geschichte betrachteten. Sie sollten sich auf die Geschichte der Klassenkämpfe, der unteren Volksschichten und der sozioökonomischen Prozesse konzentrieren, die den Übergang zur nächsten Formation beschleunigen sollten. Auf dieser Ebene der marxistischen Geschichtsinterpretation gab es eine relativ große Vielfalt an Einstellungen, und so finden sich hier auch die besten Beispiele für die von Raphael vorgeschlagene Unterteilung in »linke« und »rechte« Interpretationen. Zweifellos war die DDR-Interpretation des Großen Bauernkrieges demnach »links« (sie basierte übrigens auf einer Arbeit von Engels zu diesem Thema). Doch schon die Darstellung dieser Bewegung als Versuch zur Einigung der deutschen Länder wäre als »rechts« einzustufen. Eine »linke« Interpretation der deutschen Einigung setzte Ernst Engelberg gegen die »rechte« Interpretation Alfred Meusels durch. Eine »linke« Kritik an Štúr kam von Vladimír Matula. Das wohl spektakulärste Beispiel bleibt hierbei jedoch die marxistische Interpretation der polnischen Nationalaufstände (auch wenn man daran erinnern muss, dass die kritische Haltung der Historiker ihnen gegenüber größtenteils daraus zu erklären ist, dass die Aufstände antirussisch waren). All diese »linken« Elemente der Sicht auf die Nationalgeschichte standen in offenem Gegensatz zu den bis dahin verbreiteten Auslegungen, die den Staat oder die Nation ins Zentrum des forscherischen Interesses gestellt hatten (selbst wenn man berücksichtigt, dass die polnischen Aufstände für die Marxisten ein Zeugnis des Kampfes für die soziale und die nationale Befreiung wa-

»Pessimismus« und »Optimismus« im marxistischen Geschichtsbild

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ren). Traditioneller blieb diesbezüglich die Sicht auf die mittelalterliche Geschichte, innerhalb derer man sich auf die staatlichen Institutionen sowie auf die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrierte, die die nationale Gemeinschaft zementierten. Dabei sind die richtigen Proportionen zu wahren: Die polnische und die ostdeutsche marxistische Geschichtsschreibung waren nicht vollständig »links«, noch nicht einmal größtenteils. Sie besaßen durchaus Elemente von »Linkslastigkeit«, die umso deutlicher waren, als insgesamt (sowohl unter Historikern wie auch unter Laien) eine traditionellere Sichtweise auf die Geschichte überwog. Die Präsenz dieser »Linkslastigkeit« im polnischen und im ostdeutschen Fall veranlasste einige externe Beobachter (aber auch einen Teil der gegenwärtigen Historiographiegeschichtler) dazu, die jeweils zugehörige marxistische Historiographie konsequenterweise als »pessimistisch« zu bezeichnen. Im slowakischen und tschechischen Fall verwarfen die Autoren marxistischer Abhandlungen entgegen eigener Deklarationen ganz und gar nicht die traditionelle Sichtweise auf die Geschichte in Bezug auf die »nationale Frage«, den Klassenkonflikt oder die Entwicklung der Produktionsverhältnisse. Die marxistischen Interpretationen kopierten ein im 19. Jahrhundert entstandenes Schema – die Geburt der Nation, ihren zwischenzeitlichen Schlaf und die Erweckung daraus im Zeitalter der nationalen Wiedergeburt. Sowohl »linke« als auch »rechte« Interpretationen waren zulässig (abgesehen von außergewöhnlichen Fällen einer allzu kühnen Neuinterpretation der Geschichte). Die Anerkennung der einen wie auch der anderen wurde dadurch erleichtert, dass die Veröffentlichungen einander in Wortwahl, Satzbau oder ganzen Phrasen ähnelten. Die Erstarrung der Sprache, der Gebrauch fester Formeln ohne logischen Wert führte dazu, dass man fast jeden Inhalt »auf marxistische Art« darstellen und begründen konnte. Es gibt keinen Anlass zu behaupten, die »linken« Interpretationen seien für die Historiographie schädlicher gewesen als die »rechten«. Wie bereits deutlich wurde, als es um den Stil der wissenschaftlichen Diskussionen im Stalinismus ging, stritten sich die Marxisten nicht über die Forschungsfreiheit, sondern über die Dominanz der einen oder der anderen Interpretation. Das herrschende System beruhte nämlich darauf, dass es zwei miteinander konkurrierende Interpretationen eigentlich nicht geben durfte: Eine musste als richtig und verpflichtend anerkannt werden. Es ist zu bemerken, dass die Einstellung der Marxisten zu den Traditionen der Nationalhistoriographien nichts zu tun hatte mit dem Verhältnis der Staatsmacht zu den Historikern selbst. Wie gezeigt, waren in Polen, wo die Wissenschaftspolitik aus verschiedenen Gründen weniger repressiv war, die Interpretationen der Nationalgeschichte oft viel kontroverser als in Tschechien, das von einer Säuberungswelle heimgesucht wurde. In der Slowakei wiederum, wo die Historiker

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meist ihre Arbeitsplätze behalten hatten, fußte das marxistische Geschichtsbild besonders stark auf den Traditionen des 19. Jahrhunderts. Am umfassendsten gelang es den deutschen Kommunisten, beginnend mit der Personalpolitik, eine vollständige Dienstbarkeit der Historiographie zu erreichen, die je nach den aktuellen ideologischen Bedürfnissen zwischen Internationalismus und Nationalismus schwankte. Die Möglichkeiten und Bedürfnisse, spontan Debatten über historische Themen zu anzustoßen, schrumpften dabei in der DDR systematisch. Die Personalpolitik gegenüber den Historikern hatte keineswegs das Ziel, sie zu zwingen, eine festgelegte Geschichtsinterpretation zu übernehmen. Gewiss, es galt, die methodologischen Grundannahmen zu akzeptieren und bestehende Bündnisse zu respektieren (was beispielsweise für das Urteil über Báthory, Piłsudski oder die tschechischen Legionen entscheidend war), doch selbst der geschichtsinteressierte Walter Ulbricht äußerte sich fast ausschließlich zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Es war die Aufgabe der Historiker (sowie der als solche fungierenden Staatsbeamten), eine zusammenhängende Interpretation der Geschichte vorzulegen. Wie Witold Kula bemerkte: »Man erwartet heute von uns nicht mehr das Zerstören von Mythen, sondern wir sollen neue Mythen schaffen!«6

Der Platz der vier Historiographien im Kontext der Region Alle in dieser Arbeit beschriebenen Merkmale der marxistischen Historiographien können in unterschiedlichem Maße auch auf andere Ostblockländer übertragen werden. Am offensichtlichsten sind die strukturellen und organisatorischen Ähnlichkeiten, auf die Rafał Stobiecki hingewiesen hat.7 Überall in Ostmittel- und Osteuropa wurden in der Nachkriegszeit Bildungseinrichtungen der Partei geschaffen, um die zukünftigen marxistischen Wissenschaftskader auszubilden. Ein Teil der alten Institutionen wurde geschlossen, und es entstanden an ihrer Stelle neue mit marxistischem Charakter. Dieselbe methodologische Ausgangsbasis führte nicht selten zu analogen Schlussfolgerungen. Überall schließlich setzte sich die stalinistische Geschichtsschreibung »das Ziel, alle anderen, ihr in Konkurrenz gegenüberstehenden Arten der historischen Forschung zu beseitigen«.8 All diese Merkmale belegen aufs Beste die These von der Ähnlichkeit der stalinistischen Historiographien. Weniger überzeugend scheint es zu sein, die Zentralisierungsbestrebungen mit dem stalinistischen System in Zusammenhang zu bringen, nicht weil es keine derartigen Absichten verfolgt hätte, sondern weil solche Entwick6 7 8

Witold Kula: Wokół, a. a. O., S. 386. Rafał Stobiecki: Stalinizm w historiografii. Między radzieckim oryginałem a narodowymi kopiami, in: Zeszyty Wiejskie 2002. Ebd., S. 238.

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lungen in der Nachkriegswelt die Grenzen der politischen Blöcke überschritten. Die Zentralisierung war auch nach Auffassung nichtkommunistischer Wissenschaftler der Nachkriegszeit der richtige Weg für die weitere Entwicklung der (Geschichts-)Wissenschaft.9 Zu reflektieren ist auch über Rafał Stobieckis These, dass für jede stalinistische Historiographie Rückwanderer aus der UdSSR eine Schlüsselrolle gespielt hätten.10 Unter den von ihm Genannten befinden sich nämlich Personen mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen und Einflüssen. Beispielsweise konnte Lucreţiu Pătrășcanu die rumänische Historiographie des Stalinismus nur in geringem Maße prägen, da seine Parteikarriere bereits 1948 abbrach.11 Auch Václav Husa ist eher das Beispiel eines Rückkehrers, dessen Karriere einen unerwarteten Knick erlitt. Den Posten eines Direktors des HÚ ČSAV, der wahrscheinlich ursprünglich ihm zugedacht gewesen war, bekam Josef Macek, der zu diesem Zeitpunkt lediglich eine »Wanderung« aus seinem Heimatdorf nach Prag hinter sich hatte. Józef Kowalski und Tadeusz Daniszewski beeinflussten die polnische Historiographie eher durch administrative Entscheidungen, die sie trafen (oder von denen sie Abstand nahmen), als durch ihr wissenschaftliches Werk. Ganz anders verhielt es sich mit dem ebenfalls von Stobiecki genannten Zdeněk Nejedlý, dem Verfasser kanonischer Texte für die tschechische marxistische Geschichtsschreibung. Die Kriegsemigranten hatten einen unterschiedlichen biografischen Hintergrund. Nicht alle waren langjährige Parteiaktivisten. Schließlich kamen nicht alle Rückwanderer, die in der Nachkriegszeit wichtig waren, aus der UdSSR. In der DDR war dies, wie gezeigt, eher die Ausnahme als die Regel. Der prinzipiell zutreffenden These, dass für die Entwicklung der marxistischen Historiographien Kommunisten eine wichtige Rolle spielten, die eine Zeit ihres Lebens zuvor in der Sowjetunion verbracht hatten, stehen somit Vorbehalte entgegen, die so groß sind, dass man daran zweifeln kann, ob diese These überhaupt noch etwas Wichtiges aussagt. Neben diesen allgemeinen Charakteristika, die in verschiedenen kommunistischen Ländern ähnlich waren, kann man auf einige spezifischere hinweisen, die nicht nur die Struktur, sondern auch den Inhalt historischer Arbeiten betreffen. Der Beginn des Stalinismus bedeutete eine in der Regel nicht lange währende Dominanz marxistischer Interpretationen der Nationalgeschichte, die dieser gegenüber höchst kritisch eingestellt waren. Die 1947 erstmals veröffentlichte Geschichte Rumäniens von Mihail Roller verwarf die Nation als Thema historischer Forschungen und beschäftigte sich mit der Geschichte des rumänischen Staatsgebietes der Nachkriegszeit. Anstatt das Werk der Herrscher Moldawiens,

9 Ebd., S. 243. 10 Ebd., S. 249. 11 Lucian Boia: Rumuni, a. a. O., S. 268.

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der Walachei und Siebenbürgens zu beschreiben, ging es um die Geschichte der Klassenkämpfe von Bauern aller möglichen Nationalitäten, wobei die Bezüge zu den Völkern und zur Kultur der Slawen besonders hervorgehoben wurden. »Die nationale Vereinigung«, schrieb Lucian Boia, »ist nicht mehr ein natürliches Ergebnis der Geschichte und das unbestrittene Recht der rumänischen Nation, sondern wird als Teil einer Expansion imperialistischen Typs erklärt.«12 Die Entstehung »Großrumäniens« 1918 ignorierte Roller vollkommen. In keinem anderen mir bekannten Fall ging der Rückfall in den »Internationalismus« der Zwischenkriegszeit in der Historiographie so weit wie im Rumänien der 1950er Jahre. Die bulgarischen Marxisten begannen sehr schnell damit, die nationale Wiedergeburt zu den fortschrittlichen Traditionen zu rechnen, was Rumen Daskalov damit erklärt, dass sie sich eine staatliche, keine klassenbezogene Brille aufgesetzt hätten.13 Auch in Ungarn kristallisierte sich sehr schnell eine Gruppe historischer Persönlichkeiten heraus, die als fortschrittlich galten. Dazu gehörten sowohl der »klassenkämpferische« György Dózsa als auch der »nationale« Fürst Rákóczy sowie Lajos Kossuth.14 Nicht von ungefähr war für Gyula Szekfű, einen konservativen Historiker, der sich zum Marxismus »bekehrt« hatte und zwischen 1945 und 1948 sogar ungarischer Botschafter in Moskau war, die Überzeugung, dass der Kommunismus nicht im Widerspruch zu ihm nahe stehenden nationalen Werten stehe, eine Voraussetzung seines ideologischen Wandels.15 Abgesehen von Rumänien trat nationaler »Nihilismus« in der marxistischen Historiographie (der im Übrigen von zeitgenössischen rumänischen Wissenschaftlern relativiert wurde)16 nur kurz und/oder schwach auf. Einen anderen Aspekt aus Rollers Interpretation kann man hingegen auf die meisten kommunistischen Länder übertragen, nämlich die Bedeutung der Slawen, insbesondere der Ostslawen, für die Geschichte dieser Länder. Mihail Roller vernachlässigte die für die älteren (und auch jüngeren) rumänischen Historiker auf der Hand liegenden sprachlichen Einflüsse des Lateinischen, und er stellte ihnen auch keine dakischen Traditionen gegenüber (was ebenfalls zu den traditionellen rumänischen Debatten gepasst hätte). Dagegen hob er den Einfluss der Kiewer Rus hervor, durch den

12 Ebd., S. 94. 13 Roumen Daskalov: The Making of a Nation in the Balkans. Historiography of the Bulgarian Revival, Budapest 2004, S. 245 f. 14 István Deák: Węgry, in: Jerzy Kłoczowski/Paweł Kras (Hg.): Historiografia krajów Europy Środkowo-Wschodniej, Lublin 1997, S. 97 f. 15 Irene Raab Epstein: Gyula Szekfű. A Study in the Political Basis of Hungarian Historiography, New York 1987, S. 305. 16 So etwa Cristina Petrescu in ihrem Beitrag auf der Konferenz Die historische Nationalismusforschung im geteilten Europa, 1945–1989: Politische Kontexte, institutionelle Bedingungen, intellektuelle Transfers am 28. März 2008 in Prag.

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die Geschichte der rumänisch-russischen Freundschaft begonnen habe.17 Die bulgarischen Marxisten warfen ihren »bürgerlichen« Vorläufern vor, die bulgarischrussischen Beziehungen vernachlässigt, ja sogar den slawischen Charakter der bulgarischen Nation und Kultur negiert zu haben.18 Die marxistischen Historiographien litten an ähnlichen organisatorischen Schwächen, die sich aus den objektiven Schwierigkeiten ergaben, die eine großangelegte kollektive Arbeit mit sich bringt. Verspätungen bei der Herausgabe der marxistischen Überblicksdarstellungen zur Nationalgeschichte waren aus diesem Grund eher die Regel als die Ausnahme. Wollte man quantitativ und qualitativ befriedigende wissenschaftliche Forschungen erreichen, so musste man mit nichtmarxistischen Historikern zusammenarbeiten. Charakteristisch waren Appelle der Kommunisten an die Adresse ihrer »bürgerlichen« Kollegen. 1949 trat die ungarische Marxistin Erzsébet Andics mit einem derartigen Appell hervor und betonte, dass die »Schlacht um den Fünfjahresplan« ohne Hilfe der nichtmarxistischen Wissenschaftler nicht zu gewinnen sei.19 Zu ähnlichen Schlüssen gelangten die bulgarischen Parteibürokraten, als sich herausstellte, dass die erste Version der marxistischen »Entwürfe« des Universitätslehrbuches so schwach war, dass man dieses Werk ohne parteilose Historiker nicht erstellen könne.20 Auch hier war die Lage der rumänischen Historiographie eine ganz andere: Mihail Roller stellte nicht nur die traditionellen Interpretationen von Landes- und Nationalgeschichte in Frage, sondern monopolisierte auch den Buchmarkt in den 1950er Jahren fast völlig. Dies war ein Einzelfall in der Historiographie »bolschewistischen« Typs, in dem tatsächlich »nationale« Werte zugunsten einer Geschichte der Klassen und des Internationalismus aufgegeben wurden. Die ideologischen Veränderungen der Geschichtswissenschaft waren nach dem Krieg mit einer (abgesehen von der UdSSR) beispiellosen Säuberung unter den rumänischen Historikern verbunden.21 In den anderen mir bekannten Fällen vereinten die Historiker in ihren Interpretationen ältere Elemente aus den Traditionen der Nationalhistoriographien mit einem mehr oder weniger großen Einfluss des MarxismusLeininismus sowie prorussischen Deklarationen.

17 Lucian Boia: Rumuni, a. a. O., S. 141. 18 Marin Pundeff: Bulgarian Historiography 1942–1958, in: The American Historical Review, Nr. 3/1961, S. 683. 19 Balázs Németh: Nationalism and Socialist Patriotism in the Hungarian Historiography between 1948 and 1956, and Its Influence on the Post-1956 Era, Magisterarbeit, die 1995 am Institut für Geschichte der CEU Budapest verteidigt wurde (im Besitz der Bibliothek der CEU), S. 8. 20 Marin Pundeff: Bulgarian Historiography, a. a. O., S. 683. 21 Alexandru Zub: Romanian historiography under communism, in: Culture and the Politics of Identity in Modern Romania, May 27–30, 1998 Bucharest (Typoskript von Referaten im Besitz der Bibliothek der CEU in Budapest), S. 2 f.

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Zusammenfassung

Trotz des verkündeten Wandels und der innovativen Absichten verharrten die marxistischen Konzeptionen der Nationalgeschichte, ganz gleich ob sie nun »optimistisch« oder »pessimistisch« waren, auf dem Boden der traditionellen historischen Reflexion. Das neue Paradigma setzte sich letztlich nicht durch. Eeine »Bolschewisierung« der Historiographie fand nicht statt, obwohl es in vielen Fällen zu ihrer Trivialisierung kam. Ursprung für die negativen Veränderungen war jedoch eher der Stil der Beschäftigung mit Geschichte, das Streben nach einer einzigen, kanonisierten Sicht auf jedes historische Problem, als konkrete Sympathien oder Antipathien gegenüber verschiedenen Elementen der Geschichte Polens, Deutschlands, der Slowakei oder Tschechiens. Mit anderen Worten: Es war der Versuch, andere zu einer aktiven Beteiligung an der Erschaffung eines Mythos zu zwingen. Doch sollte sich zeigen, dass die marxistischen Historiographien sehr oft die traditionellen Interpretationen »konservierten«, sie als marxistisch einstuften und ihre »Reinheit« vor jeder Kritik in Schutz nahmen. Der Vergleich dieser vier marxistischen Historiographien bzgl. ihres Verhältnisses zu den nationalen Traditionen gibt Anlass, bisher geltende Thesen zu modifizieren oder gar zu verwerfen. Ich möchte mit Polen beginnen: Die These von der antinationalen stalinistischen Historiographie ist im Lichte des Dargetellten aus meiner Sicht nicht aufrechtzuerhalten. Innerhalb der polnischen marxistischen Historiographie wetteiferten mehr oder weniger »nationale« Interpretationen, während ein von vornherein festgelegtes »antinationales« Muster fehlte (natürlich außer denjenigen Elementen der polnischen Tradition, die mit den russischen kollidiert hätten). Der Schematismus beruhte nicht darauf, eine vorbereitete Interpretation zu oktroyieren, sondern vielmehr darauf, für jede diskutierte Frage nur eine einzige gültige Ansicht zuzulassen. Ob diese Ansicht eher »national« oder »antinational« war, war eine sekundäre, keinesfalls vorbestimmte Frage. Man kann natürlich einwenden, dass ein solches Modell geschichtswissenschaftlicher Betätigung der polnischen historiographischen Tradition widersprach (was weitgehend zutreffend sein dürfte), doch galt dieses Modell in allen volksdemokratischen Ländern, auch dort, wo das Verhältnis zu »nationalen« Werten besser schien als in Polen. Ähnliche Thesen über die antinationalen Absichten des Marxismus in der Geschichtswissenschaft stellen heute slowakische Historiker auf, selbst wenn man von einem antislowakischen Charakter der dortigen marxistischen Historiographie nun wirklich kaum sprechen kann. Ich vertrete auch die Ansicht, dass dieser Schematismus für die genannten Historiographien ein viel größerer Schaden war als eine potentiell »antinationale« Uminterpretation der Geschichte Polens oder der Slowakei, da er die Entstehung von Konkurrenzinterpretationen gleich welcher Art – nationaler oder antinationaler – beschränkte. Den Thesen vom Wandel und der unterbrochenen Kontinuität der polnischen und slowakischen Historiographie stelle ich das hier beschriebene Modell entgegen, in dem die Formationstheorie, das Bündnis mit der Sowjetunion sowie die

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Abneigung gegenüber der Kirche ein Gerüst bilden, mit dessen Hilfe die Historiker neue, marxistische Interpretationen der Nationalgeschichte errichteten. Die Lücken in diesem Gerüst wurden in erheblichem Umfang durch ältere, traditionelle Interpretationen geschlossen, die dadurch nolens volens zu marxistischen Interpretationen wurden. Ihr Inhalt, das Urteil über einzelne Elemente der Nationalgeschichten, blieb oft schwankend, das heißt, es fehlte an detaillierten Richtlinien dafür, was »fortschrittliche Traditionen« waren und was nicht. Einige tschechische Historiker neigen dazu, die Vorteile der dortigen marxistischen Historiographie in ihrer relativ positiven Haltung zu den nationalen Traditionen zu sehen. So finden sich anerkennende Worte über die Verdienste einzelner Marxisten (vor allem Zdeněk Nejedlýs selbst) bei der »Verteidigung« Palackýs oder Havlíček-Borovskýs, aber auch bestimmter Aspekte der angeblich durch die »Stalinisierung« bedrohten nationalen Tradition. Ich erkenne keine derartigen Vorzüge in einer schematischen, verknöcherten Historiographie, in der alle Ansätze einer alternativen Lesart der Tradition im Keim erstickt wurden, gleichgültig ob sie von »rechts« oder »links« kamen. Wie im polnischen und slowakischen Fall war die größere »Nationalisierung« oder »Bolschewisierung« der marxistischen Historiographie Tschechiens lediglich ein sekundäres (und nicht unbedingt endgültiges) Produkt eines besonderen Wissenschaftsmodells. Zu einer veränderten Beurteilung eines nationalen Helden, eines Aufstandes, einer Nationalbewegung usw. konnte es kommen, ohne dass die Grundlagen und Mechanismen der marxistischen Historiographie verletzt wurden, also im Rahmen ihrer eigenen Logik. Ein Vergleich dieser wenigen Beispiele führt zu dem Schluss, dass nicht wie auch immer definierte nationale Werte bedroht waren, sondern die Qualität des Denkens über die Geschichte, eine Qualität, die meiner Überzeugung nach nicht zu den nationalen Werten gehört. Der vorliegende Vergleich einiger marxistischer Historiographien in Ostmitteleuropa stellt meines Erachtens auch die Art und Weise in Frage, wie in Deutschland die DDR-Historiographie vielfach erforscht wird, nämlich unter ständiger Bezugnahme auf die bundesdeutsche Historiographie und Politik. Offenbar werden viele Aspekte der DDR-Sicht auf die Geschichte erst dann verständlich, wenn man sie mit anderen Ostblockländern vergleicht, während sie sich nur nachrangig auf die westdeutsche Geschichtsschreibung beziehen. Die strukturellen Ähnlichkeiten, die durch den Vergleich der Historiographien Polens, Tschechiens und der Slowakei deutlich werden, erklären sich daraus, dass diese Historiographien (und Geschichten) Ostmitteleuropas füreinander eben ein höchst naturgemäßer Kontext waren: Sie waren miteinander verbunden durch Traditionen des Schreibens über Geschichte (wobei die deutschen historischen Wissenschaften als Schöpfer und Vermittler methodologischer Ideen von enormer Bedeutung waren) sowie durch die geopolitische Situation nach 1945 und unterlagen dadurch den gleichen politischen Zwängen. Der Vergleich zeigt längst nicht alle Vorteile auf, die sich

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daraus ergeben, dass man die DDR in Bezug zu ihren östlichen Nachbarn setzt. Zu bedenken sind auch intensive Interaktionen zwischen den ostdeutschen, polnischen, tschechischen und slowakischen Historikern, die nicht selten versuchten, marxistische Interpretationen derselben Ereignisse und Personen zu konstruieren. Die DDR-Historiker führten in ihren Arbeiten Dialoge mit ihren Kollegen aus Polen, der UdSSR oder der Tschechoslowakei, während ihre wissenschaftlichen Kontakte mit Westdeutschland lange Dürreperioden erlebten, in denen sich beide Seiten nicht allzuviel zu sagen hatten. 1991 schrieb Konrad Jarausch, die Eingebundenheit der DDR-Historiker in osteuropäische Diskussionen könnte »die gesamtdeutsche Disziplin wesentlich bereichern«.22 Dass dieser Weg einer möglichen Bereicherung tatsächlich beschritten wurde, darf inzwischen bezweifelt werden. Verfestigt hat sich eher das vereinfachte Bild einer DDR-Geschichtswissenschaft, die den Befehlen aus Moskau folgend einen deutsch-deutschen Kampf führte. Das ist zwar keine ganz falsche, aber doch eine viel zu einseitige Feststellung. Zusammenfassend möchte ich wiederholen: Die Schlussfolgerung meiner Arbeit bildet ganz allgemein die These von der vielstimmigen Kontinuität von Inhalt und Form, und zwar vor und nach der so genannten methodologischen Wende. Diese Kontinuität war zugleich verbunden mit institutionellen Veränderungen und einem besonders katastrophalen Wandel in der Art und Weise, wie wissenschaftliche Diskussionen geführt wurden. Die früheren, vormarxistischen Konzeptionen verschwanden nicht vollständig, sondern wurden von der marxistischen Historiographie aufgesogen. Viele ihrer Elemente tauchten anschließend – meist inkognito – in den marxistischen Interpretationen wieder auf. Die marxistischen Historiographien der stalinistischen Zeit standen bei ihren Vorgängern sehr viel stärker in der Schuld, als dies nach einer Lektüre der Manifeste der »methodologischen Wende« auf den ersten Blick scheinen mag.

22 Konrad Jarausch: Vom Zusammenbruch zur Erneuerung: Überlegungen zur Krise der ostdeutschen Geschichtswissenschaft, in: ders. (Hg.): Zwischen Parteilichkeit und Professionalität. Bilanz der Geschichtswissenschaft der DDR, Berlin 1991, S. 32.

399

Abkürzungen

AAN ABF AIHPAN AK APAN BBC CISH ČAVU ČČH ČMM ČSAV ČSČH ČSHS ČSR ČSSR DAW DHG DHI DN DZfV FFUK GWU HČSAV HÚ ČSAV HÚ SAV IfG DAW

Archiwum Akt Nowych (Archiv der Neuen Akten) Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Archiwum Instytutu Historii Polskiej Akademii Nauk (Archiv des Instituts für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften) Armia Krajowa (Heimatarmee) Archiwum Polskiej Akademii Nauk (Archiv der Polnischen Akademie der Wissenschaften) British Broadcasting Corporation Comité International des Sciences Historiques (Internationales Komitee der Geschichtswissenschaften) Česká Akadémie Věd a Umění (Tschechische Akademie der Wissenschaften und Künste) Český Časopis Historický (Tschechische Historische Zeitschrift) Časopis Matice Moravské (Zeitschrift der Mährischen Matica) Československá Akademie Věd (Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften) Československý Časopis Historický (Tschechoslowakische Historische Zeitschrift) Československá Historická Společnost (Tschechoslowakische Historische Gesellschaft) Československá Republika Československá Socialistická Republika Deutsche Akademie der Wissenschaften Deutsche Historiker-Gesellschaft Deutsches Historisches Institut Dzieje Najnowsze (Neueste Geschichte [Zeitschrift]) Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung Philosophische Fakultät der Karls-Universität Prag Geschichte in Wissenschaft und Unterricht [Zeitschrift] Historický Časopis Slovenskej Akademii Vied (Historische Zeitschrift der Slowakischen Akademie der Wissenschaften) Historický Ústav Československé Akademie Věd (Historisches Institut der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften) Historický Ústav Slovenskej Akadémie Vied (Historisches Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften) Institut für Geschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften

400 IH PAN IKKN IZ JfGO KC PZPR KH KNP KPD KPD-O KPP KPR(B) KPRP KSČ KSS MS MZH ND NSDAP NSZ PAU PH PKWN PPR PPS PRL PSL PTH PZ Rps BUW SA SAVU

Abkürzungen

Instytut Historii PAN (Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften) Instytut Kształcenia Kadr Naukowych (Institut für die Bildung des Wissenschaftlichen Kaders) Instytut Zachodni (Westinstitut) Jahrbücher für Geschichte Osteuropas Komitet Centralny Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej (Zentralkomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei) Kwartalnik Historyczny (Historische Vierteljahresschrift) Kongres Nauki Polskiej (Kongress der Polnischen Wissenschaft) Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei-Opposition Komunistyczna Partia Polski (Kommunistische Partei Polens) Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) Komunistyczna Partia Robotnicza Polski (Kommunistische Arbeiterpartei Polens) Komunistická Strana Československa (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) Komunistická Strana Slovenska (Komunistische Partei der Slowakei) Matica Slovenská (Slowakische Matica) Marksistowskie Zrzeszenie Historyków (Marxistische Historikervereinigung) Nowe Drogi (Neue Wege [Zeitschrift]) Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Narodowe Siły Zbrojne (Nationale Streitkräfte) Polska Akademia Umiejętności (Polnische Akademie der Kenntnisse) Przegląd Historyczny (Historische Rundschau) Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego (Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung) Polska Partia Robotnicza (Polnische Arbeiterpartei) Polska Partia Socjalistyczna (Polnische Sozialistische Partei) Polska Rzeczpospolita Ludowa (Volksrepublik Polen) Polskie Stronnictwo Ludowe (Polnische Bauernpartei) Polskie Towarzystwo Historyczne (Polnische Historische Gesellschaft) Przegląd Zachodni (Westliche Rundschau) Dział Rękopisów Biblioteki Uniwersytetu Warszawskiego (Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Warschau) Sturmabteilung Slovenská Akademia Vied a Umeni (Slowakische Akademie der Wissenschaften und Künste)

Abkürzungen

SD SD SDKPiL

401

Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS Soudobé Dějiny (Moderne Geschichte [Zeitschrift]) Socjaldemokracja Królestwa Polskiego i Litwy (Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauen) SHS Slovenská Historická Spoločnost (Slowakische Historische Gesellschaft) SNP Slovenské Národné Povstanie (Slowakischer Nationalaufstand) SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel der NSDAP SSb Slezský Sborník (Schlesischer Sammelband) SRR Slovenská Republika Rad (Slowakische Räterepublik) TDP Towarzystwo Demokratyczne Polskie (Polnische Demokratische Gesellschaft) TKPN Towarzystwo Królewskie Przyjaciół Nauk (Königliche Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften) UBP Urząd Bezpieczeństwa Publicznego (Amt für Öffentliche Sicherheit) UPHP Uniwersytecki podręcznik historii Polski (Universitätshandbuch für die Geschichte Polens) ÚV KSČ Ústřední Výbor Komunistické Strany Československa (Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei) VHD Verband der Historiker Deutschlands ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZfO Zeitschrift für Ostforschung ZfO-F Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung ZK der SED Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands

403

Auswahlbibliographie Archiwum Akt Nowych KC PZPR Wydział Nauki i Szkolnictwa Wyższego Komisja Oświaty i Nauki Wydział Nauki Ministerstwo Oświaty Gabinet Ministra Zygmunt Modzelewski. Archiwum Osobiste Tadeusz Daniszewski. Spuścizna Universitätsarchiv Leipzig Rektorat Arbeiter- und Bauernfakultät Nachlass Max Steinmetz Archiwum Polskiej Akademii Nauk Materiały Tadeusza Manteuffla Polskie Towarzystwo Historyczne Materiały Bogusława Leśnodorskiego Wydział I PAN Materiały Natalii Gąsiorowskiej-Grabowskiej Archiwum Instytutu Historii PAN Zakład Historii Historiografii. Łódź Zebrania ogólne pracowników Nagrody naukowe – wnioski, korespondencja 1953–70 Protokoły Rady Naukowej Samodzielna Sekcja d/s Osobowych Podręcznik Historii Polski Komisja wydawnictw źródłowych do historii klasy robotniczej Protokoły z posiedzeń Kolegium IHPAN Popularyzacja wiedzy historycznej Kwartalnik Historyczny Organizacja IHPAN Privatarchiv Jerzy Jedlicki Przeciw fałszerstwom Wydziału Historii Partii (materiały z lat 1955–56) Dział Rękopisów BUW Fond Nina Assorodobraj Fond Witold Kula

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Auswahlbibliographie

Publizierte Quellen/Erinnerungen Karlheinz Blaschke: Als bürgerlicher Historiker am Rande der DDR. Erlebnisse, Beobachtungen und Überlegungen eines Nonkonformisten, in: Karl Heinrich Pohl (Hg.): Historiker in der DDR, Göttingen 1997 Helena Brodowska-Kubicz: Z chłopskiej łąki. Wspomnienia, Łódź 1994 Maria Dąbrowska: Dzienniki powojenne 1950–1954, Bd. 2, Warszawa 1996 Karol Górski, Autobiografia naukowa, Hg. Wiesław Sieradzan, Toruń 2003 Kurt Hager: Erinnerungen, Leipzig 1996 Sabine Hering/Hans-Georg Lützenkirschen (Hg.): »Anders werden«. Die Anfänge der politischen Erwachsenenbildung in der DDR. Gespräche mit Hans Mahle, Paul Wandel, Kurt Hager, Alice Zadek, Wolfgang Harich, Heinrich Scheel, Helmut Bock, Erwin Hinz, Rosemarie Walther, Werner Hecht, Heinz Fleischer und Norbert Podewin, Berlin 1995 Paweł Jasienica: Pamiętnik, Kraków 1990 Kartki z historii (historyków), in: Newsletter IH UW, März/April 2002 František Kavka: Ohlédnutí za padesáti lety ve slu bě Českému dějepisectví, Praha 2002 Fritz Klein: Drinnen und draußen. Ein Historiker in der DDR. Erinnerungen, Frankfurt/Main 2000 Aleksander Kochański/Galina P. Muraszko/Albina F. Noskowa/Andrzej Paczkowski/ Krzysztof Persak (Hg.): Polska w dokumentach z archiwów rosyjskich 1949–1953, Warszawa 2000 Żanna Kormanowa: Ludzie i życie, Warszawa 1982 Jürgen Kuczynski: Memoiren. Die Erziehung des J. K. zum Kommunisten und Wissenschaftler, Berlin/Weimar 1975 Ders.: Ein Leben in der Wissenschaft der DDR, Münster 1994 Ders.: Frost nach dem Tauwetter. Mein Historikerstreit, Berlin 1993 Ders.: Dialog mit meinen Urenkel. Neunzehn Briefe und ein Tagebuch, Berlin/ Weimar 1983 Marcin Kula: Śpij spokojnie – rząd myśli, partia czuwa … A co robią jej członkowie? Kilka dokumentów z historii życia naukowego w czasach PRL, in: Przegląd Humanistyczny 2005 Witold Kula: Wokół historii, Warszawa 1988 Ders.: Rozdziałki, Hg. Marcin Kula, Warszawa 1996 Gespräch mit Prof. Janina Leskiewiczowa (Februar 2002) Antonín J. Liehm: Generace, Praha 1990 Josef Macůrek: Úvahy o mé vědecké činnosti a vědeckých pracích, Brno 1998 Antoni Mączak/Wojciech Tygielski: Latem w Tocznabieli, Warszawa 2000 Joachim Petzold: »Meinungsstreit« im Herrschaftsdiskurs, in: Geschichte als Herrschaftdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln 2000 Ders.: Politischer Auftrag und wissenschaftliche Verantwortung von Historikern in der DDR, in: Karl Heinrich Pohl (Hg.): Historiker in der DDR, Göttingen 1997 Josef Polišenský: Historik v měnícím se světě, Praha 2001

Auswahlbibliographie

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Pozbawienie profesora Władysława Tatarkiewicza prawa nauczania, in: Przegląd Filozoficzny 1995 Adam Schaff: Notatki Kłopotnika, Warszawa 1995 Ders.: Moje spotkania z nauką polską, Warszawa 1997 Stefan Żółkiewiski: Przepowiednie i wspomnienia, Warszawa 1963

Zeitschriften Časopis Matice Moravské, 1948–1963 (ohne 1949) Československý Časopis historický, 1953–1963 und ausgewählte spätere Hefte Český Časopis Historický 1946 Einheit, ausgewählte Nummern Historia Slovaca, ausgewählte Nummern Historický Časopis Slovenskej Akadémie Vied 1953–1965 Historie a vojenství, ausgewählte Nummern Jantar, 1946 Kwartalnik Historii Kultury Materialnej, 1953–1956 Kwartalnik Historyczny, 1939/45–1958 Nowe Drogi 1947–1956 Przegląd Historyczny, 1946–1956 Przegląd Zachodni, 1948–1953 Slezský sborník, 1948–1963 Sobótka, 1949–1956 Věstník ČSAV, ausgewählte Nummern Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ausgewählte Nummern Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1953–1968

Quellen Alexander Abusch: Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin 1951 Jan Adamus: O monarchii Gallowej, Warszawa 1952 Robert Alt: Pokrokový charakter Komenského pedagogiky, Praha 1955 Čestmír Amort: Ruská vojská u nás v letech 1798–1800, Praha 1954 Ernst Moritz Arndt: Schriften für und an seine lieben Deutschen, Leipzig 1845 Ders.: Volk und Staat. Seine Schriften in Auswahl, Stuttgart 1940 Bronisław Baczko (Hg.): Towarzystwo Demokratyczne Polskie. Dokumenty i pisma, Warszawa 1954 Bohdan Baranowski: Powstanie Kostki Napierskiego w 1651 r., Warszawa 1951 Ders.: Powstanie chłopskie Kostki Napierskiego. Odczyt, Warszawa 1950 Juliusz Bardach/Aleksander Gieysztor/Henryk Łowmiański/Ewa Maleczyńska: Historia Polski do r. 1466, Warszawa 1953

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František Michálek Bartoš: Dvě studie o husitských postilách, Praha 1955 Jan Baszkiewicz: Powstanie zjednoczonego państwa polskiego na przełomie XIII i XIV wieku, Warszawa 1954 Ders./Bogusław Leśnodorski: Materiały do nauki historii Polski. Historia Polski od wspólnoty pierwotnej do drugiej połowy XVIII wieku, Warszawa 1953 Ludwik Bazylow/Helena Brodowska/Krzysztof Dunin-Wąsowicz (Hg.): Z dziejów współpracy rewolucyjnej Polaków i Rosjan w drugiej połowie XIX wieku, Wrocław 1956 Rudolf Beckmann: K diplomatickému pozadí Mnichova. Kapitoly o britské mnichovské politice, Praha 1954 Jan Beránek: Rakouský militarismus a boj proti němu v Čechách, Praha 1955 Bolesław Bierut: O konstytucji Polskiej Rzecypospolitej Ludowej, Warszawa 1954 Celina Bobińska: Historyk, fakt, metoda, Warszawa 1964 Dies.: Marks i Engels a sprawy polskie do osiemdziesiątych lat XIX wieku, Warszawa 1954 Dies.: Marx und Engels über polnische Probleme, Berlin 1958 František Bokes: Dejiny Slovenska a Slovákov od najstarších čias po oslobodenie, Bratislava 1946 Viktor Borodovčák: Ohlas poského povstania roku 1863 na Slovensku. Slovenskí polonofili a spolupráca demokratických síl Rakúska v boji proti petrohradskému a viedenskému absolutizmu, Bratislava 1960 Július Botto: Slováci. Vývin ich národního povedomia, Bratislava 1971 Jiří Brabenec: Po stopách starých pověsti českých, Praha 1959 Jozef Butvin: Slovenské národno-zjednocovacie hnutie (1780–1848). K otázke formovania novodobého slovenského bur oázneho národa, Bratislava 1965 Václav Chaloupecký: Staré Slovensko, Bratislava 1923 Pavel Choc: Boje o Prahu za feudalismu, Praha 1957 Josef Dobiáš: Z dějin sociálních bojů v Čechách v 16. a 17. století, Praha 1953 Julius Dolanský: Masaryk a Rusko předrevoluční, Praha 1959 Johann Gustav Droysen: Friedrich I. König von Preußen, Berlin 2001 Ders.: Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte, Hg. Rudolf Hübner, München 1960 Krzysztof Dunin-Wąsowicz: Dzieje Stronnictwa Ludowego w Galicji, Warszawa 1956 Jan Durdík: Husitské vojenství, Praha 1954 Michal Dzvoník: Ohlas Vekej októbrovej socialistickej revolucie na Slovensku (1918–1919), Bratislava 1957 Ernst Engelberg: Deutschland von 1871 bis 1897 (Deutschland in der Übergangsperiode zum Imperialismus), Berlin 1965 Jan Fajkus: Husitské revoluční hnutí, Praha 1956 Natalia Gąsiorowska-Grabowska: Kapitalizm w rozwoju dziejowym, Warszawa 1946 Dies./Stefan Kieniewicz/Anna Minkowska/Irena Pietrzak-Pawłowska/Leon Przemyski/Mieczysław Tobiasz (Hg.): Wiosna Ludów na ziemiach polskich, Warszawa 1948

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Dies. (Hg.): Wiosna Ludów w Europie, Bd. 2: Zagadnienia ideologiczne, Warszawa 1951 Józef Gierowski/Józef Leszczyński (Hg.): Teksty źródłowe do dziejów chłopa śląskiego, Bd. 1, Wrocław 1956 Georg Gottfried Gervinus: Kleine historische Schriften, Karlsruhe 1838 Karol Goláń: Štúrovské pokolenie (Výber z diela), Bratislava 1964 Jaroslav Goll: Posledních padesát let české práce dějepisné, Praha 1926 Miloš Gosiorovský: Dejiny slovenského robotníckeho hnutia (1848–1918), Bratislava 1958 Weronika Gostyńska/Emil Adler/Józef Siwek/Kazimierz Owoc/Aleksander Berler (Hg.): Program podstaw marksizmu-leninizmu dla wszystkich Szkół Wyższych za wyjątkiem Technicznych i Rolnych, Warszawa 1952 Klement Gottwald: Kupředu, zpátky ni krok! (únor 1948), Praha 1951 František Graus: Městská chudina v době předhusitské, Praha 1948 Ders.: Dějiny venkovského lidu v Čechách v době předhusitské, 2 Bde., Praha 1951–1957 Krzysztof Groniowski: Problem rewolucji agrarnej w ideologii obozów politycznych w latach 1846–1870, Warszawa 1957 Leon Grosfeld: Polskie reakcyjne formacje wojskowe w Rosji (1917–1919), Warszawa 1955 Hipolit Grynwaser: Sprawa włościańska w Królestwie Polskim w latach 1861–62 w świetle źródeł archiwalnych, Wrocław 1951 Ders.: Kwestia agrarna i ruch włościan w Królestwie Polskim w pierwszej połowie XIX wieku (1807–1860). Studium archiwalne. Przywódcy i »burzyciele« włościan, Wrocław 1951 Stefan Gwich (Hg.): Historycy radzieccy o Polsce. Wybór prac, Warszawa 1953 Marceli Handelsmann: Adam Czartoryski, 3 Bde., Warszawa 1948–1950 Bohuslav Havránek/Josef Hrabák/Jiří Daňhelka u. A. (Hg.): Výbor z české literatury doby husitské, 2 Bde., Praha 1963–1964 Stanisław Herbst/Witold Kula/Tadeusz Manteuffel (Hg.): Pierwsza Konferencja Metodologiczna Historyków Polskich. Przemówienia, referaty, dyskusja, 2 Bde., Warszawa 1953 Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte. Zum XI. Internationalen Historikerkongreß in Stockholm, August 1960, Berlin 1960 Historiografia polska wobec problemu polsko-niemieckiego. Referaty i dyskusja na konferencji międzyśrodowiskowej we Wrocławiu 6 lipca 1950, Wrocław 1951 Ladislav Hoffmann: Bratříci – slavní protifeudální bojovníci 15. století, Praha 1959 udovít Holotík: Štefánikovská legenda a vznik ČSR, Bratislava 1958 Ders.: Októbrová revolúcia a národnooslobodzovacie hnutie na Slovensku v rokoch 1917–1918, Bratislava 1958 Ders./Anton Vantuch (Hg.): Humanizmus a renesancia na Slovensku v 15.–16. storočí, Bratislava 1967 Ders. (Hg.): Revolučné dedičstvo rokov 1848–1849. Sborník článkov, Bratislava 1951 Ders. (Hg.): Dejiny Slovenska (tézy). Príloha Historického časopisu, Bratislava 1955

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Auswahlbibliographie

Ders. (Hg.): Slovenské Národné Povstanie. Sborník prác k 10. výročiu, Bratislava 1954 Ders. (Hg.): Úlohy slovenskej historickej vedy v období socialistickej výstavby, Bratislava 1961 Ján Horárik: Boj s hierarchiou a cirkvou v rokoch 1841–45, Bratislava 1953 Ladislav Hosák: Nové československé dějiny, Praha 1947 Thomas Höhle: Franz Mehring. Sein Weg zum Marxismus 1869–1891, Berlin 1956 Jozef Hrozienčik (Hg.): Z dejín československo-slovanských vz ahov, Bratislava 1959 Václav Husa: Historia Czechosłowacji, Praga 1967 Ders.: Tomáš Müntzer a Čechy, Praha 1957 Ders./Bohuslav Havránek/Jan Kořan/Karol Rosenbaum/Otakar Zich (Hg.): Zdeňku Nejedlému Československá Akademie Věd. Sborník prací k sedmdesátým pátým narozeninám, Praha 1953 Instytut Bałtycki – szkic informacyjny, Gdańsk-Bydgoszcz-Szczecin 1947 Henryk Jabłoński: Międzynarodowe znaczenie polskich walk narodowowyzwoleńczych XVIII i XIX w., Warszawa 1955 Stanisław Kalabiński: Antynarodowa polityka endecji w rewolucji 1905–1907, Warszawa 1955 Ders.: Carat i klasy posiadające w walce z rewolucją 1905–1907 w Królestwie Polskim, Warszawa 1956 Robert Kalivoda: Husitská ideologie, Praha 1961 Heinz Kamnitzer: Zur Vorgeschichte des Deutschen Bauernkrieges, Berlin 1953 František Kavka: Z dějin českého národa, Bd. 1. Staré pověstí české, Praha 1955 Stefan Kieniewicz: Ruch chłopski w Galicji w 1846 roku, Wrocław 1951 Ders.: Konspiracje galicyjskie (1831–1845), Warszawa 1950 Ders.: Oblicze ideowe Wiosny Ludów, Warszawa 1948 Ders.: Legion Mickiewicza 1848–1849, Warszawa 1955 Ders.: Czyn polski w dobie Wiosny Ludów, Warszawa 1948 Ders./Witold Kula (Hg.): Historia Polski (Makieta), Bd. 2, T. I–II, Warszawa 1956 Ders./Witold Kula (Hg.): Historia Polski, Bd. 2, T. I–II, Warszawa 1958 Ders. (Hg.): Rewolucja polska 1846 roku. Wybór źródeł, Wrocław 1949 Ders./Izabela Bieżuńska-Małowist/Antoni Mączak (Hg.): Z epoki Mickiewicza. Zeszyt specjalny »Przeglądu Historycznego« w rocznicę śmierci Adama Mickiewicza 1855–1955, Wrocław 1956 Arnošt Klíma: Čechy v období temna, Praha 1958 Ders.: Rok 1848 w Czechach. Początki ruchu robotniczego w Czechach, Warszawa 1951 Josef Kočí: Naše národní obrození, Praha 1960 Ders.: Boje venkovského lidu v období temna, Praha 1953 Ders.: Selské bouře a české národní obrození, Praha 1963 Ján Kollár: Pamäti z mladších rokov života, Bratislava 1950 Ders.: Wybór pism, Wrocław 1954 Hugo Kołłątaj: Wybór pism politycznych, Wrocław 1952

Auswahlbibliographie

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Ders.: Listy anonima i prawo polityczne narodu polskiego, Kraków 1954 Zdeněk Konečný: Revoluční hnutí v Československu a jeho vztahy k SSSR. Morava a Slezsko-dokumenty 1879–1938, Praha 1960 Jan Stanisław Kopczewski (Hg.): Tadeusz Kościuszko w historii i tradycji, Warszawa 1968 Václav Kopecký: Osvětu a kulturu do slu eb socialismu! Výklad ministra informací a osvěty Václava Kopeckého v kulturním výboru Národního shromá dění dne 20. března 1950, Praha 1950 Ders.: ČSR a KSČ. Pamětní výpisy k historii Československé republiky a k boji KSČ za socialistické Československo, Praha 1960 Żanna Kormanowa: Joachim Lelewel, Warszawa 1946 Dies./Walentyna Najdus (Hg.): Historia Polski, Bd. 3, T. I–II, Warszawa 1968 Dies. (Hg.): Historia Polski 1864–1945. Materiały do nauczania w klasie XI, Warszawa 1952 Dies./Irena Pietrzak-Pawłowska (Hg.): Historia Polski (Makieta), Bd. 3, T. I–II, Warszawa 1960 В. Д. Королюк И. С. Третяков (Hg.): История Польши Bd. 1, Москва 1954 Adam Korta: O postępowych tradycjach i antynarodowych mitach, Warszawa 1955 Paweł Korzec: Walki rewolucyjne w Łodzi i okręgu łódzkim w latach 1905–1907, Warszawa 1956 Józef Kozłowski: »Międzynarodówka« – wielka pieśń rewolucji, Warszawa 1952 Václav Král: O Masarykově a Benešově kontrarevolucí proti sovětské politice, Praha 1953 Ders. (Hg.): Vznik a vývoj lidově demokratického Československa. Sborník statí, Praha 1961 Zdeněk Konečný: Revoluční hnutí v Československu a jeho vztahy k SSSR, Praha 1960 Jewgienij Kosminski: Historia wieków średnich, Warszawa 1953 Łukasz Kurdybacha: Kuria rzymska wobec Komisji Edukacji Narodowej w latach 1773–1783, Kraków 1949 Alexej Kusák (Hg.): Gottwald je s námi. Náš první dělnický president v zrcadle české a slovenské poesie a prózy, Praha 1953 Ján Kvasnička: Československé légie v Rusku 1917–1920, Bratislava 1963 Karl Lamprecht: Alternative zu Ranke. Schriften zur Geschichtstheorie, Leipzig 1988 Ders.: Ausgewählte Schriften zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte und zur Theorie der Geschichtswissenschaft, Aalen 1974 Joachim Lelewel: Wybór pism politycznych, Warszawa 1954 Max Lenz: Kleine historische Schriften, München/Berlin 1910 Kazimierz Lepszy: Andrzej Frycz Modrzewski, Warszawa 1953 Bogusław Leśnodorski: Dzieło Sejmu Czteroletniego (1788–1792). Studium historyczno-prawne, Wrocław 1951 Ders./Kazimierz Opałek: Nauka polskiego Oświecenia w walce o postęp, Warszawa 1951

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Auswahlbibliographie

Ders. (Hg.): Kuźnica Kołłątajowska, Wrocław 1949 Ders./Stefan Kieniewicz/Łukasz Kurdybacha/Bronisław Krauze/Gerard Labuda/ Maria Bogucka (Hg.): Konferencja pomorska 1954, Warszawa 1956 Tadeusz Łepkowski: Początki klasy robotniczej Warszawy, Warszawa 1956 Róża Luksemburg: Rok 1905 (wybór artykułów), Warszawa 1951 Henryk Łowmiański: Zagadnienie roli Normanów w genezie państw słowiańskich, Warszawa 1957 Ders. (Hg.): Historia Polski (Makieta), Bd. 1, T. I–II, Warszawa 1955 Ders. (Hg.): Historia Polski, Bd. 1, T. I–II, Warszawa 1957 Witold Łukaszewicz: Szymon Konarski (1808–1839), Warszawa 1948 Ders.: Targowica i powstanie kościuszkowskie. Ze studiów nad historią Polski XVIII wieku, Warszawa 1952 Ders.: Barykady paryskie (1827–1848), Łódź 1949 Ders.: Tadeusz Krępowiecki. Żołnierz rewolucjonista, Warszawa 1954 Ders.: Stanisław Gabriel Worcell, Warszawa 1951 Josef Macek: Husité na Baltu a ve Velkopolsku, Praha 1952 Ders.: Husitské revoluční hnutí, Praha 1952 Ders.: Ktož jsú bo í bojovníci, Praha 1951 Ders.: Jan Hus, Praha 1963 Ders.: Husyci na Pomorzu i w Wielkopolsce, Warszawa 1955 Ders.: Husitství – živý zdroj národních tradic, Praha 1952 Ders.: Tábor v husitském revolučním hnutí, Praha 1956 Ders.: Z dějin českého národa. Mezi proudy, Bd. 2, Praha 1955 Ders.: Z dějin českého národa. Proti všem, Praha 1955 Ders.: Die Hussitenbewegung in Böhmen, Praha 1958 Ders.: The Hussite Movement in Bohemia, Praha 1958 Ders./František Graus/Ján Tibenský (Hg.): Přehled československých dějin (Maketa), 2 Bde., Praha 1958–1960 Milan Machovec: Husovo učení a význam v tradici, Praha 1953 Josef Macůrek/Miloš Rejnuš: České země a Slovensko ve století před Bílou horou, Praha 1958 Ewa Maleczyńska: Ruch husycki w Czechach i w Polsce, Warszawa 1959 Karol Maleczyński (Hg.): Teksty źródłowe do historii Wrocławia, cz. II do końca XIX wieku, Wrocław 1955 Karol Marks/Fryderyk Engels: Dzieła, Bd. 6, Warszawa 1963 Władimir W. Mawrodin: Walka z »teorią normańską« w rosyjskiej nauce historycznej, Warszawa 1951 Милослав Матоушек: Зденек Неедлы-великий деяшель чехословацой культуры, Прага 1953 Vladimír Matula: udovít Štúr (1815–1856), Bratislava 1956 Květa Mejdřická: Z dějin českého národa, Bd. 7, F. L. Věk, Praha 1955 Andrej Melicherčík: Juraj Jánošík. Hrdina protifeudálního odboje slovenského lidu, Praha 1956 Ders.: Jánošíkovská tradícia na Slovensku, Bratislava 1953

Auswahlbibliographie

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Maksymilian Meloch: Studia historyczne, Warszawa 1958 Ders.: Sprawa włościańska w powstaniu listopadowym, Warszawa 1953 Július Mésároš (Hg.): Dejiny Slovenska II. Od roku 1848 do roku 1900, Bratislava 1968 Ders./Miroslav Kropilák (Hg.): Matica slovenská v našich dejinách. Sborník statí, Bratislava 1963 Alfred Meusel: Thomas Müntzer und seine Zeit, Berlin 1952 Karel Michl: Husitství na Hradecku, Hradec Kralové 1955 Andrej Mráz: Zo slovenskej literárnej minulosti, Bratislava 1953 Zdeněk Nejedlý: O smyslu českých dějin, Praha 1953 Ders.: T. G. Masaryk, kniha první: Masarykovo mládí, 1850–1876, Praha 1949 Ders.: Staré pověsti české jako historický pramen, Praha 1953 Ders.: Dějiny husitského zpěvu, Praha 1954 Ders.: Dějiny národa českého II. Raný středověk, Praha 1955 Ders.: Alois Jirásek Studie historická, Praha 1949 Ders.: Z české kultury, Praha 1951 Jan Novotný: O bratrské družbě Čechů a Slováků za národního obrození, Praha 1959 Lubomír Nový: Filosofie T. G. Masaryka, Praha 1962 Tadeusz Nowak/Adam Korta (Hg.): Polska sztuka wojenna w czasach Odrodzenia, Warszawa 1955 Andrzej Nowicki: Papieże przeciw Polsce. Doświadczenia dziesięciu stuleci naszych dziejów, Warszawa 1949 Karl Obermann: Deutschland von 1815 bis 1849 (Von der Gründung des Deutschen Reiches bis zur bürgerlich-demokratischen Revolution), Berlin 1963 Ders.: Die deutschen Arbeiter in der Revolution von 1848, Berlin 1953 Wiesław Ochmański: Zbójnictwo góralskie. Z dziejów walki klasowej na wsi góralskiej, Kraków 1950 Karl-Heinz Otto: Deutschland in der Epoche der Urgesellschaft (500.000 v. u. Z. bis zum 5./6. Jh. u. Z)., Berlin 1961 Jan Pachta: Pekař a pekařovština v českém dějepisectví, Brno 1950 Josef Petráň: Poddaný lid v Čechách na prahu třicetilete války, Praha 1964 Wilhelm Pieck: Reden und Aufsätze. Auswahl aus den Jahren 1908–1950, Berlin 1950 Kazimierz Piwarski: Kuria rzymska a polski ruch narodowo-wyzwoleńczy 1794–1863, Warszawa 1955 Podstawy ideologiczne PZPR. Referat tow. Bolesława Bieruta wygłoszony w dniu 15 XII 1948 r. Koreferat tow. Józefa Cyrankiewicza wygłoszony w dn. 16 XII 1948 r. na Kongresie Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej. Deklaracja ideowa PZPR, Warszawa 1952 Karel Pomaizl: Vznik ČSR 1918. Problém marxistické vědecké interpretace, Praha 1965 Adam Przyboś (Hg.): Materiały do powstania Kostki Napierskiego, Wrocław 1951 Jaroslav Purš: Dělnické hnutí v českých zemích 1849–1867, Praha 1961 Leopold von Ranke: Historische Meisterwerke, Hamburg o. J. Peter Ratkoš: Povstanie baníkov na Slovensku roku 1525–1526, Bratislava 1963

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Ders. (Hg.): O počiatkoch slovenských dejín. Sborník materiálov, Bratislava 1965 Pavel Reiman: Dělnické hnutí v českých zemích v letech 1889–1917, Praha 1955 František Roubík: Revoluční rok 1848 a rolnictvo, Praha 1955 Mark M. Rozental, Pavel F. Judin (Hg.): Krótki słownik filozoficzny, Warszawa 1955 Adam Schaff: Obiektywny charakter praw historii. Z zagadnień marksistowskiej metodologii historiografii, Warszawa 1955 Ders.: Pogadanki o materializmie historycznym, Warszawa 1949 Gerhard Schilfert: Deutschland von 1648 bis 1789, Berlin 1962 Hans Schleier: Sybel und Treitschke. Antidemokratismus und Militarismus im historisch-politischen Denken großbourgeoiser Geschichtsideologen, Berlin 1965 Josef Schleifstein: Franz Mehring. Sein marxistisches Schaffen 1891–1919, Berlin 1959 Friedrich Christoph Schlosser: Weltgeschichte für das deutsche Volk, Bd. 1, Frankfurt/Main 1844 Marian Henryk Serejski: Joachim Lelewel. Z dziejów postępowej myśli historycznej w Polsce, Warszawa 1953 Ders.: Studia nad historiografią Polski, T. I, K. B. Hoffman, Łódź 1953 Ders.: Zarys historii historiografii polskiej, T. I (od poł. XVIII w. do roku ok. 1860), Łódź 1954 Ders. (Hg.): Historycy o historii 1918–1939, 2 Bde., Warszawa 1963–1966 Sesja naukowa w trzechsetną rocznicę zjednoczenia Ukrainy z Rosją 1654–1954, Warszawa 1954 Jaroslav Slavík: Husité na Chebsku, Cheb 1955 Slováci a ich národný vývin (Sborník materiálov z V. sjazdu slovenských historikov v Banskej Bystrici), Bratislava 1966 Władysław Smoleński: Szkoły historyczne w Polsce. (Główne kierunki poglądów na przeszłość), Wrocław 1952 Ders.: Kuźnica Kołłątajowska. Studium historyczne, Warszawa 1949 Józef Stalin: Marksizm a kwestia narodowa. Kwestia narodowa a leninizm, Warszawa 1949 Stanisław Staszic: Uwagi nad życiem Jana Zamoyskiego, Wrocław 1952 Max Steinmetz: Deutschland von 1476 bis 1648, Berlin 1967 Leo Stern: Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung, Berlin 1952 Ders./Horst Gericke: Deutschland in der Feudalepoche von der Mitte des 11. Jh. bis zur Mitte des 13. Jh., Berlin 1964 Ders./Hans-Joachim Bartmuß: Deutschland in der Feudalepoche von der Wende des 5./6. Jh. zur Mitte des 11. Jh., Berlin 1963 Ders.: Deutschland in der Feudalepoche von der Mitte des 13. Jh. bis zum ausgehenden 15. Jh., Berlin 1965 Joachim Streisand: Deutschland von 1789 bis 1815 (Von der Französischen Revolution bis zu den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongreß), Berlin 1959 Ders. (Hg.): Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Reichseinigung von oben, Berlin 1963 Ders. (Hg.): Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung von der Reichseinigung von oben bis zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus, Berlin 1965

Auswahlbibliographie

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Timoteus Čestmír Zelinka: Husitskou Prahou, Praha 1955 Stefan Żółkiewski: Stare i nowe literaturoznawstwo. Szkice krytyczno-naukowe, Wrocław 1950

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Auswahlbibliographie

Dušan Kováč: Slovensko-české vz ahy v historickom vedomí slovenskej spoločnosti, in: Česko-slovenská historická ročenka 2000 Ders.: Dejiny Slovenska, Praha 2000 Ders.: Slovenská historiografia desa rokov po. Zámery a ich realizácia, in: HČSAV 2002 Ilko-Sascha Kowalczuk: Die Historiker der DDR und der 17. Juni 1953, in: GWU 1993 Ders.: Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 1997 Markus Krzoska: Für ein Polen an Oder und Ostsee. Zygmunt Wojciechowski (1900–1955) als Historiker und Publizist, Osnabrück 2003 Ders./Hans-Christian Maner (Hg.): Beruf und Berufung. Geschichtswissenschaft und Nationsbildung in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert, Münster 2005 Jan Křen: Bílá místa v našich dějinách, Praha 1990 Ders./Eva Broklová (Hg.): Obraz Němců, Rakouská a Německá v české společnosti 19. a 20. století, Praha 1998 Jiří Křes an: Pojetí české otázky v díle Zdeňka Nejedlého, Praha 1996 Stefan K. Kuczyński (Hg.): Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk 1953–1993, Warszawa 1993 Ders. (Hg.): Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk 1953–2003, Warszawa 2003 Marcin Kula: Polska: narzucona i odrzucona komunistyczna wizja dziejów, in: Borussia 2003 Alexej Kusák: Kultura a politika v československu 1945–1956, Praha 1998 František Kutnar/Jaroslav Marek: Přehledné dějiny českého a slovenského dějepisectví. Od počátku národní kultury a do sklonku let třicátých 20. století, Praha 1997 Hans Lades: Zum Verhältnis der Geschichtswissenschaften in beiden deutschen Staaten, in: GWU 1980 Ulrich Langer: Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Düsseldorf 1998 Magdalena Lechowska: Węgrzy patrzą na swą historię (1945–2003), Warszawa 2004 Hartmut Lehmann/James van Horn Melton (Hg.): Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994 Ders. (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000 Hans Lemberg/Jan Křen/Dušan Kováč (Hg.): Im geteilten Europa. Tschechen, Slowaken und Deutsche und ihre Staaten 1948–1989, Essen 1998 Ders./Gotthold Rhode (Hg.): Das deutsch-tschechische Verhältnis seit 1918, Stuttgart 1969 Richard D. Lewis: Marxist historiography and the history profession in Poland 1944–55, in: John Morisonn (Hg.): Eastern Europe and the West. Selected papers from the Fourth World Congress for Soviet and East European Studies, Harrogate, 1990, New York 1992 ubomír Lipták: Poznámky o historiografii novších dejín, in: HČSAV 1990

Auswahlbibliographie

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Ders.: Über den Ort der slowakischen Historiographie und der historischen Erfahrung, in: Bohemia 2003 Ders.: Slovensko v 20. storočí, Bratislava 2000 Ders.: Changes of Changes. Society and Politics in Slovakia in the 20th Century, Bratislava 2002 Ders.: Pamätníky a pamä povstania roku 1944 na Slovensku, in: HČSAV 1995 Ders.: Slovenská historiografia obdobia po roku 1945, in: HČSAV 1991 Ders.: Storočie dlhšie ako sto rokov. O dejinách a historiografii, Bratislava 1999 Elena Londáková: O kúčových obdobiach slovenského kultúrneho vývoja po roku 1945, in: HŠ 2000 Franciszek Longchamps (Hg.): Uniwersytet Wrocławski w latach 1945–1955, Bd. 1, Wrocław 1959 Herbert Ludat: Die deutsch-polnische Vergangenheit in marxistischen Sicht, in: ZfO 1952 Michael Ludwig: Tendenzen und Erträge der modernen polnischen Spätmittelalterforschung unter besonderer Berücksichtigung der Stadtgeschichte, Gießen 1983 Robert Luft: »Als die Wachsamkeit des Regimes nachliess«. Zur Beschäftigung mit der Vergangenheit des eigenen Faches in der tschechischen Geschichtswissenschaft nach 1989, in: Bohemia 1994 Vladimír Macura: Š astný věk, Praha 1992 Ders.: Masarykovy boty a jiné semi(o)fejetony, Praha 1993 Ders.: Český sen, Praha 1998 Ders.: Znamení zrodu, Praha 1995 Josef Macůrek: Dějepisectví evropského východu, Praha 1946 Czesław Madajczyk: Klerk czy intelektualista zaangażowany? Świat polityki wobec twórców kultury i naukowców europejskich w pierwszej połowie XX wieku, Poznań 1999 Piotr Madajczyk: Polska myśl zachodnia w polityce komunistów polskich, in: PZ 1997 Elena Mannová: Clio auf slowakisch. Probleme und neue Ansätze der Historiographie zu der Slowakei nach 1989, in: Bohemia 2003 Dies./David Paul Daniel (Hg.): A Guide to historiography in Slovakia, Bratislava 1995 Tadeusz Manteuffel: Historyk wobec historii. Rozprawy nieznane. Pisma drobne. Wspomnienia, Warszawa 1976 Ders.: Warunki rozwoju nauki historycznej w dziesięcioleciu 1948–1958, in: PH 1995 Jaroslav Marek: O historismu a dějepisectví, Praha 1992 Richard Marsina u. Koll. (Hg.): Historik Daniel Rapant – život a dielo (1897–1988–1997), Martin 1998 Jerzy Maternicki: Historiografia polska XX wieku, Bd. 1, 1900–1918, Wrocław 1982 Ders. (Hg.): Środowiska historyczne II Rzeczypospolitej. Materiały konferencji naukowych w Krakowie i Lublinie 1984 i 1985, Warszawa 1986 Zbigniew Mazur: Obraz Niemiec w polskich podręcznikach szkolnych do nauczania historii 1945–1989, Poznań 1995 Charles E. McClelland: The German Historians and England. A Study in Nineteenth-Century Views, Cambridge 1971

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Auswahlbibliographie

Zoltan G. Mesko: The silent conspiracy: A communist model of political cleansing at the Slovak University in Bratislava after the Second World War, Boulder 2003 Július Mésároš: O zástojoch mojej generácie na povojnovom vývoji slovenskej historiografie, in: HČSAV 1990 Ders.: Reflexie o pä desiatych a šes desiatych rokoch, in: HČSAV 1991 Ders.: Zložité hadanie pravdy o slovenských dejinách. Výber štúdí, odborných polemic a člankov z polstoročnej výskumnej a publikačnej činnosti, Bratislava 2004 Peter Meyers: Friedrich II. von Preußen im Geschichtsbild der SBZ/DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichtes in der SBZ/DDR. Mit einer Methodik zur Analyse von Schulgeschichtsbüchern, Braunschweig 1983 Matthias Middell/Gabriele Lingelbach/Frank Hadler (Hg.): Historische Institute im internationalen Vergleich, Leipzig 2001 Ders. (Hg.): Historische Zeitschriften im internationalen Vergleich, Leipzig 1999 Magdalena Mikołajczyk: Jak się pisało o historii… Problemy polityczne powojennej Polski w publikacjach drugiego obiegu lat siedemdziesiątych i osiemdziesiątych, Kraków 1998 Ján Mlynárik: Diaspora historiografie. Štúdie, články a dokumenty k dejinám československej historiografie v rokoch 1969–1989, Praha 1998 Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schwenther (Hg.): Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen/Zürich 1988 Laurenz Müller: Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des »Dritten Reiches« und der DDR, Stuttgart 2004 Balázs Németh: Nationalism and Socialist Patriotism in the Hungarian Historiography between 1948 and 1956, and Ist Influence on the Post-1956 Era, [unpublizierte Magisterarbeit im Besitz der CEU-Bibliothek] Ulrich Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie. Die Etablierung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren, Bonn 1996 Ders.: Zur Neuorientierung der DDR-Geschichtswissenschaft seit 1971, in: GWU 1980 Lutz Niethammer: Deutschland danach. Postfaschistische Gesellschaft und nationales Gedächtnis, Bonn 1999 Martin Nodl: Možné přístupy ke studiu dějin české historické vědy v letech 1945–2000, in: SD 2001 Ders.: Dějepisectví mezi vědou a politikou. Úvahy o historiografii 19. a 20. století, Brno 2007 Otto Gerhard Oexle/Jörn Rüsen (Hg.): Historismus in den Kulturwissenschaften. Geschichtskonzepte, historische Einschätzungen, Grundlagenprobleme, Köln/ Weimar/Wien 1996 Elżbieta Orman/Antoni Cetnarowicz (Hg.): Henryk Wereszycki (1898–1990). Historia w życiu historyka, Kraków 2001 Barbara Otwinowska/Jan Żaryn (Hg.): Polacy wobec przemocy 1944–56, Warszawa 1996 Jaroslav Pánek/Petr Vorel (Hg.): Lexikon součásných českých historiků, Praha 1999

Auswahlbibliographie

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Jan Pauer: Moralischer Diskurs und die deutsch-tschechischen Beziehungen, Bremen 1998 Tomasz Pawelec: Myśl metodologiczna Marcelego Handelsmana, Lublin 1994 Aleksander Pawlicki: Kompletna szarość. Cenzura w latach 1965–1972. Instytucja i ludzie, Warszawa 2001 Maureen Perrie: The Cult of Ivan the Terrible in Stalin’s Russia, Houndmills 2001 Josef Petráň: Proměny české historiografie 1945–1989, in: VII sjezd českých historiků Praha 24.–26. září 1993, Praha 1994 Jiří Pešek/Oldřich Tůma (Hg.): O dějinách a politice. Janu Křenovi k sedmdesátinám, Ústí nad Labem 2001 György Péteri: Academia and state socialism. Essays on the political history of academic life in post-1945 Hungary and Eastern Europe, Highland Lakes/NJ 1998 Wojciech Piasek: Antropologizowanie historii. Studium metodologiczne twórczości Witolda Kuli, Poznań 2004 Karel Pichlík/Bohumír Klípa/Jitka Zabloudilová: Českoslovenští legionáři (1914–1920), Praha 1996 Jan M. Piskorski/Jörg Hackmann/Rudolf Jaworski (Hg.): Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, Osnabrück/Poznań 2002 Richard Georg Plaschka: Von Palacký bis Pekař. Geschichtswissenschaft und Nationalbewußtsein bei den Tschechen, Graz 1955 Milan Podrimavský: Obraz národnej emancipácie v období 1848–1918, in: HČSAV 1991 Karl Heinrich Pohl (Hg.): Historiker in der DDR, Göttingen 1997 Jiří Pokorný/Jan Novotný (Hg.): Česká Akademie Věd a Umění 1891–1991. Sborník příspěvků k 100. výročí zahájení činnosti, Praha 1993 Miloslav Polívka/František Šmahel (Hg.): In memoriam Josefa Macka (1922–1991), Praha 1996 Zdeněk Pousta: Dějiny Univerzity Karlovy 1918–1990, Praha 1998 Vilém Prečan: V kradeném čase. Výběr ze studií, článků a úvah z let 1973–1993, Brno 1994 Maria Prosińska-Jackl (Hg.): Słownik historyków polskich, Warszawa 1993 Marin Pundeff: Bulgarian Historiography 1942–1958, in: The American Historical Review 1961 Robert B. Pynsent: Pátrání po identitě, Praha 1996 Jiří Rak: Bývali Čechové, Praha 1994 Lutz Raphael: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003 Georg von Rauch (Hg.): Gibt es ein deutsches Geschichtsbild? Konferenz der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben, Frankfurt (Main)/Berlin/Bonn 1955 Miloslav Rechcigl, jr (Hg.): Czechoslovakia Past and Present Bd. 1: Political, International, Social and Economic Aspects, The Hague/Paris 1968 Milan Repáš/Vojtech Filkorn/Ján Gouda/Vojtech Kellö/Miroslav Murín/Alexander Ujváry (Hg.): Slovenská akadémia vied 1953–1973, Bratislava 1973

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Auswahlbibliographie

Renate Reuther: Die Weimarer Republik im Urteil der DDR-Geschichtswissenschaft – Kontinuität und Wandel, Erlangen 1988 Zbigniew Romek: Historycy radzieccy o historykach polskich. Uwagi o Zjeździe wrocławskim (1948) i konferencji otwockiej (1951/1952), in: Polska 1944/45–1989. Studia i materiały 1999 Ders.: Cenzura a nauka historyczna w Polsce 1944–1970, Warszawa 2010 Ders. (Hg.): Cenzura w PRL – relacje historyków, Warszawa 2000 Ders.: Nauka przeciw ideologii. Współpraca historyków polskich i radzieckich po II wojnie światowej, in: DN 2002/1 Ders.: Polsko-radzieckie dyskusje o Istorii Polszi v trech tomach w latach 1950–1959, in: Andrzej Wierzbicki (Hg.): Klio polska. Studia i materały z dziejów historiografii polskiej po II wojnie światowej, Warszawa 2004 Andrew Rossos: Czech Historiography in: Canadian Slavonic Papers 1982 Ivan L. Rudnytsky: Essays in modern Ukrainian history, Cambridge/Mass. 1987 Helmut Rumpler: Revolutionsgeschichtsforschung in der DDR, in: GWU 1980 Jacques Rupnik: Politika vyrovnávání s komunistickou minulostí. Česká zkušenost, in: SD 2002/1 Tadeusz Paweł Rutkowski: Nauki historyczne w Polsce 1944–1970. Zagadnienia polityczne i organizacyjne, Warszawa 2007 Ders.: Polskie Towarzystwo Historyczne w latach 1945–1958. Zarys dziejów, Toruń 2009 Jan Rychlík: České, slovenské a československé dějiny – problém vzájemného vztahu v různých historických dobách, in: Česko-slovenská historická ročenka 2000 Martin Sabrow/Peter Th. Walther (Hg.): Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995 Ders.: Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969, München 2001 Ders. (Hg.): Verwaltete Vergangenheit. Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR, Leipzig 1997 Ders. (Hg.): Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln 2000 Karl-Heinz Schäfer: 1813 – Die Freiheitskriege in der Sicht der marxistischen Geschichtsschreibung der DDR, in: GWU 1970 Eva Schmidt-Hartmann: Forty years of historiography under socialism in Czechoslovakia. Continuity and change in patterns of thought, in: Bohemia 1988 Michael C. Schneider: Bildung für neue Eliten. Die Gründung der Arbeiter- und Bauern-Fakultäten in der SBZ/DDR, Dresden 1998 Peter Schöttler (Hg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, Frankfurt/Main 1997 Johannes Schradi: Die DDR-Geschichtswissenschaft und das bürgerliche Erbe. Das deutsche Bürgertum und die Revolution von 1848 im sozialistischen Geschichtsverständnis, Frankfurt/Main 1984 Ernst Schulin/Elisabeth Müller-Luckner (Hg.): Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1965), München 1989

Auswahlbibliographie

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Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989 Michał Sczaniecki: Instytuty Ziem Zachodnich – ich działalność i miejsce w organizacji nauki polskiej, in: PZ 1995 Vincent Sedlák: Slovenská historiografia k dejinám Slovenska v stredoveku, in: HČSAV 1991 Ferdinand Seibt: Německo a Čeśi. Dějiny jednoho sousedství uprostřed Evropy, Praha 1996 Ders.: Bohemica, Probleme und Literatur seit 1945, München 1970 Ders.: Hussitica, Zur Struktur einer Revolution, Köln 1965 Ders. (Hg.): Jan Hus. Zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen. Vorträge des internationalen Symposiums in Bayreuth vom 22. bis 26. September 1993, München 1997 Vladimír Slámečka: Science in Czechoslovakia, New York/London 1963 Henryk Słabek: Intelektualistów obraz własny w świetle dokumentów autobiograficznych 1944–1989, Warszawa 1997 Ders.: Władza i intelektualiści, in: DN 2000 Heinrich Ritter von Srbik: Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, 2 Bde., Salzburg 1964 Tomáš Staněk: Odsun Němců z Československa, Praha 1991 Günther Stelzig: Um ein gemeinsames Geschichtsbild? Die Zusammenarbeit der Historiker der DDR mit ihren Fachkollegen aus der UdSSR, aus Polen und der Tschechoslowakei im Rahmen der bilateralen Historikerkommissionen (1955–1984), Erlangen 1987 Rafał Stobiecki: Bolszewizm a historia. Próba rekonstrukcji bolszewickiej filozofii dziejów, Łódź 1998 Ders.: Between continuity and discontinuity: a few comments on the post-war development of Polish historical research, in: ZfO-F 2001/2 Ders.: Stalinizm w historiografii. Między radzieckim oryginałem a narodowymi kopiami, in: Zeszyty Wiejskie 2002 Ders.: Między dogmatem ideologicznym a modernizacją. Marksizm a historiografia w Polsce po II wojnie światowej, in: Historyka 2002 Ders.: Historia pod nadzorem. Spory o nowy model historii w Polsce (II połowa lat czterdziestych – początek lat pięćdziesiątych) Łódź 1993 Ders.: Żanna Kormanowa. Szkic do portretu, in: Mariusz Malinowski (Hg.): Niebem i sercem okryta. Studia historyczne dedykowane dr Jolancie Maliszewskiej, Toruń 2002 Ders.: Historiografia PRL. Ani dobra, ani mądra, ani piękna… ale skomplikowana, Warszawa 2007 Günther Stökl (Hg.): Die Interdependenz von Geschichte und Politik in Osteuropa seit 1945. Historiker-Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V., Berlin vom 9.–11.6.1976 in Bad Wiessee. Protokoll, ohne Jahr. Ders.: Historiographie in der UdSSR und in den Ländern Ostmitteleuropas, in: Hans Lemberg (Hg.): Sowjetisches Modell und nationale Prägung. Kontinuität und Wandel in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, Marburg/Lahn 1991

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Auswahlbibliographie

Grzegorz Strauchold: Wrocław – okazjonalna stolica Polski. Wokół powojennych obchodów rocznic historycznych, Wrocław 2003 Ders.: Myśl zachodnia i jej realizacja w Polsce Ludowej w latach 1947–1957, Toruń 2003 Jerzy Strzelczyk (Hg.): Kazimierz Tymieniecki (1887–1968). Dorobek i miejsce w mediewistyce polskiej, Poznań 1990 Jolanta Sujecka (Hg.): The national idea as a research problem, Warszawa 2002 Teresa Suleja: Uniwersytet Wrocławski w okresie centralizmu stalinowskiego 1950–1955, Wrocław 1995 Dies.: Próby kształtowania »nowego człowieka« w czasach stalinowskich (na przykładzie Uniwersytetu Wrocławskiego 1949–1953), in: Sobótka 2002/3 František Svátek: Pokus o bilanci průběhu a výsledků »sporu historiků« v české republice na přelomu tisíciletí, in: SD 2001/1 Jerzy Szacki: Historia myśli socjologicznej. Wydanie nowe, Warszawa 2003 František Šmahel: Josef Macek, in: ČČH 1991–92 Anton Špiesz: K problematike starších dejín Slovenska, in: HČSAV 1990 Ladislav Tajták: K niektorým otázkam hodnotenia revolúcie 1848/1849 na Slovensku, in: HČSAV 2002 Janusz Tazbir: Polska na zakrętach dziejów, Warszawa 1997 Eduard Thaden: Marxist historicism and the crises of Soviet historiography, in: JfGO 2003 Günther J. Trittel: »Thomas Müntzer mit dem Schwerte Gedeonis« – Metamorphosen einer »historischen Metapher«, in: GWU 1991 Jerzy Topolski (Hg.): Historiography between modernism and postmodernism. Contributions to the methodology of the historical research, Amsterdam 1994 Dušan Třeštík: České dějiny a čeští historikové po 17. listopadu, in: ČČH 1990 Ders.: Mýty kmene Čechů (7.–10. století). Tři studie ke »Starým pověstem českým«, Praha 2003. Jakub Tyszkiewicz: Propaganda Ziem Odzyskanych w prasie PRL w l. 1945–1948, in: PZ 1995/4 Otto Urban: Česká společnost 1848–1918, Praha 1982 Rudolf Urban: Die Organisation der Wissenschaft in der Tschechoslowakei, Marburg/Lahn 1957 Elisabeth Valkenier: Sovietization and liberalization in Polish postwar historiography, in: Journal of Central European Affairs 1959 Steven Bela Vardy: Modern Hungarian historiography, Boulder 1976 Vladimír Varinský: Aktuálne problémy slovenskej historiografie po novembri 1989 (kontroverzie z pohadu udackej emigrácie), in: HČSAV 2002 Václav Veber (Hg.): Ruské a sovětské dějiny v české poválečné historiografii, Praha 1996 Vít Vlnas: Jan Nepomucký, česká legenda, Praha 1993 Thomas Vogtherr: »Reformator« oder »frühbürgerlicher Revolutionär«? Martin Luther im Geschichtsbild der DDR, in: GWU 1988 Andrzej Walicki: Marks i Engels o sprawie polskiej. Uwagi metodologiczne, in: Jerzy Skowronek/Maria Żmigrodzka (Hg.): Powstanie listopadowe 1830–1831. Geneza – uwarunkowania – bilans – porównania, Wrocław 1983

Auswahlbibliographie

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Hermann Weber: Die Geschichte der DDR. Versuch einer vorläufigen Bilanz, in: ZfG 1993 Andrzej Wierzbicki: Naród – państwo w polskiej myśli historycznej dwudziestolecia międzywojennego, Wrocław 1978 Ders.: Historiografia polska doby romantyzmu, Wrocław 1999 Ders.: Konstytucja 3 Maja w historiografii polskiej, Warszawa 1993 Matthias Willing: Die DDR-Althistorie im Rückblick, in: GWU 1991 Tomáš Winkler: Matica slovenská v rokoch 1945–1954. Z problémov a dokumentov ústredia MS, Martin 1971 Lutz Winckler: Die Novemberrevolution in der Geschichtsschreibung der DDR, in: GWU 1970 Joanna Wojdon: Propaganda polityczna w podręcznikach dla szkół podstawowych Polski Ludowej (1944–1989), in: DN 2000 Bertram D. Wolfe: Agonia sowieckiej historiografii, in: Kultura 1953/1 Serhy Yekelchyk: Stalin’s Empire of Memory. Russian-Ukrainian Relations in the Soviet Historical Imagination, Toronto 2004 Andrzej Zahorski: Spór o Stanisława Augusta, Warszawa 1988 Marcin Zaremba: Komunizm, legitymizacja, nacjonalizm. Nacjonalistyczna legitymizacja władzy komunistycznej w Polsce, Warszawa 2001 Ders.: Próba legitymizacji władzy komunistycznej w latach 1944–1947 poprzez odwołanie się do treści narodowych, in: Polska 1944/45–1989, in: Studia i materiały 1997 Marína Zavacká: Die slowakische Historiographie zur politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts: Die totalitären Regime, in: Bohemia 2003 Klaus Zernack: Schwerpunkte und Entwicklungslinien der polnischen Geschichtswissenschaften nach 1945, in: HZ 1973/5 Ders.: Mittelalterliches Polen. Probleme der polnischen Mediävistik auf dem Historikerkongreß in Krakau 1958, Köln/Graz 1965 Ders.: Preußens Ende und die ostdeutsche Geschichte, Braunschweig 1989 Ders.: Zwischen Kritik und Ideologie. Methodologische Probleme der polnischen Geschichtswissenschaft auf dem VII. polnischen Historikerkongreß in Breslau 1948, Köln/Graz 1964 Blanka Zilynská/Petr Svobodný/Blanka Šachová (Hg.): Věda v Československu v letech 1945–1953. Sborník z konference, Praha 1999 Alexandru Zub: Romanian historiography under communism, in: Culture and the Politics of Identity in Modern Romania, May 27–30, 1998, Bucharest [unpublizierte Referate im Besitz der CEU-Bibliothek] Romualda Zwierzycka (Hg.): Instytut Zachodni 50 lat, Poznań 1994 Andrzej Zybertowicz: Między dogmatem a programem badawczym. Problemy stosowania materializmu historycznego we współczesnej historiografii polskiej, Warszawa – Poznań 1990 Joseph F. Žáček: Palacký. The Historian as Scholar and Nationalist, The Hague 1970

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Personenregister

Abusch, Alexander 42n, 47, 288n, 317, 378 Adalbert, Hl. 164 Adenauer, Konrad 46, 117, 270 Aksamit, Petr 283 Alexander, I. 17, 317 Alexander, III. 356 Alpatov, Michail 207 Amort, Čestmír 314–316, 319 Andics, Erzsébet 334, 395 Arndt, Ernst Moritz 249n, 384 Arnold, Emanuel 223 Arnold, Stanisław 44, 84, 117, 128–131, 153, 269 Askenazy, Szymon 149, 151, 209–212, 215 Asnyk, Adam 147 Assorodobraj, Nina 63-65, 71, 128, 184n, 197n, 206–208, 217, 263 Attila 166 Bach, Johann Sebastian 47 Bălcescu, Nicolae 13 Baczko, Bronisław 344, 346 Bakunin, Michail 187 Banaszkiewicz, Jacek 135 Baranowski, Bohdan 297n, 303 Bardach, Juliusz 99, 102, 129, 131, 298, 303 Bartmuß, Hans-Joachim 267 Bartoš, František Michálek 262 Baszkiewicz, Jan 99, 179, 199, 203, 209 Báthory, Stefan 102, 147, 392 Batowski, Henryk 21, 166n, 169, 345, 350 Bauer, Bruno 368 Bauer, Edgar 368

Bauer, Roland 380 Baumgartner, Hermann 273 Becher, Johannes, R. 119 Beer, Ferdinand 36 Beethoven, Ludwig van 35, 47 Beneš, Edvard 25, 36, 38, 43, 378 Benser, Günther 69 Berger, Jan 34 Berija, Lavrentij 65 Bernolák, Anton 163, 169, 236, 325n Białkowski, Błażej 11 Bieniarzówna, Janina 298 Bierut, Bolesław 60, 65, 89, 129, 177, 347, 356 Bismarck, Otto von 109, 142, 250, 254–256, 356, 370, 388 Blänsdorf, Agnes 48 Bobińska, Celina 63–65, 71, 90, 97, 106, 116, 128, 131, 177, 179n, 182–184, 190–192, 196, 199–206, 210, 212n, 215n, 218, 220, 228, 312, 346n, 351, 356, 359–361, 387 Bobrownicka, Maria 164n, 327, 329 Bobrzyński, Michał 97, 143, 145–150, 158, 175, 189–202, 205, 209, 212, 218, 228, 384, 388 Bocskay, István 304 Boia, Lucian 13, 136, 394 Bokes, František 40, 49, 98, 125, 239 Bolesław, Chrobry 383 Bolesław, Krzywousty 106, 383 Bolesław, Śmiały 383 Bonaparte, Napoleon 42, 145, 162, 308, 311, 315–317, 319–323, 356 Bonaparte Napoleon III. 356 Borodovčák, Viktor 241 Borodziej, Włodzimierz 11

432 Bortnowski, Władysław , 347n Botto, Július 167n, 237 Broz, Josip [Tito] 57, 78 Boyen, Herrmann von 316 Buczek, Karol 44 Bujak, Franciszek 153 Burckhardt, Jacob 257 Buszko, Józef 364 Chaloupecký, Václav 25n, 38, 58, 169, 233n, 242, 262 Chałasiński, Józef 86 Charvát, Jaroslav 72 Chłopicki, Józef 341 Chmelnyzkyj, Bohdan 284, 293, 298– 305, 365, 381, 385 Dołęga-Chodakowski, Zorian 193–195 Chmiel, Beata 13 Chruščëv, Nikita S. 299 Chvojka, Jan 227 Connelly, John 54 Conrad, Christoph 15 Conrad, Sebastian 15 Corvinus, Matthias 39, 168 Cybulska, Zofia 204 Cyrankiewicz, Józef 89, 359 Czambel, Samuel 169 Czapliński, Władysław 302n Czarnowski, Stefan 151 Czartoryski, Adam Jerzy 60, 102, 197, 210, 213–217, 341, 343–346, 349, 366 Czartoryski, Władysław 356 Čejchan, Václav 72 Čepička, Alexej 74 Černyševskij, Nikolai 357 Čornej, Petr 124 Daniszewski, Tadeusz 89, 131, 372, 393 Dąbrowski, Jan Henryk 321 Dąbrowski, Jarosław 353

Personenregister

Dembowski, Edward 185, 216 Dilthey, Wilhelm 258 Dlubek, Rolf 69, 121 Dmowski, Roman 33, 373n Dobner, Gelasius 222 Dobrovský, Josef 154, 158, 221n, 325 Dovbuš, Oleksa 297 Dózsa, György 289, 295, 394 Droysen, Johann Gustav 156, 253, 255n, 274, 383 Dubnický, Jaroslav [Jaroslav Honza] 124n Duchiński, Franciszek 16 Dutkiewicz, Józef 190, 212, 342 Dzierżyński, Feliks 374 Ďuriš, Július 231 Ebenfeld, Stefan 119 Engelberg, Ernst 80, 108–111, 121–124, 253, 256, 258n, 311, 390 Engels, Friedrich 47, 61, 104, 119, 162, 178, 188–192, 223, 231, 239, 245n, 250n, 259n, 264, 272, 288, 290, 292n, 305n, 311n, 334, 337–340, 342, 347n, 356–358, 369, 370, 387, 390 Eule, Leonhard 246 Felczak, Wacław 44 Feldman, Józef 22 Fichte, Johann Gottlieb 248n Ficker, Julius 255 Fiedler, Frank 258 Field, Noel 67 Flachs, Willy 80 Forster, Georg 310 Foschepoth, Josef 290, 293 Francisci, Ján 330, 332n Frauendienst, Werner 122 Fricke, Dieter 369 Frič, Josef Václav 337

Personenregister

Frölich, Daniela 11 Frycz-Modrzewski, Andrzej 178 Fuksowa, Maria 129 Gallas, Jan 38 Garlicki, Andrzej 65 Gebauer, Jan 231 Gerber, Rafał 263 Gąsiorowska-Grabowska, Natalia 64, 128n, 131, 153, 215, 263, 348, 363n Gervinus, Georg Gottfried 249n, 252 Giersiepen, Elisabeth 69 Gieysztor, Aleksander 90, 100–102, 129, 153 Gneisenau, August-Wilhelm Neidhardt von 316, 318 Goethe, Johann Wolfgang von 47, 246n, 260, 309 Goláň, Karol 239, 316, 329, 331 Goll, Jaroslav 25, 78, 157–161, 170, 224, 231–233 Gomułka, Władysław 244 Gorizontov, Leonid 89 Gosiorovský, Miloš [Miloš Gončarovský] 126n Gothein, Eberhard 257 Gottwald, Klement 59 Górny, Justyna 11 Górski, Karol 85, 217, 287 Gössler, Klaus 69 Grabski, Andrzej Feliks 151n Graus, František 58, 74n, 97, 115, 127, 269, 276 Grekov, Boris 85, 88n Grolman, Karl von 316 Grosfeld, Leon 91, 93, 99, 101, 103, 129, 131, 261 Grot, Zdzisław 45 Grynwaser, Hipolit 263 Gutt, Józef 210

433 Hackenast, Gustáv 295 Hadler, Frank 11 Hagen, Karl 249 Hájek, Václav z Libočan 222 Halecki, Oskar 51, 81, 85, 152 Halicz, Emanuel 354 Hammerdörfer, Karl 291 Handelsman, Marceli 60, 97, 151, 153, 209n, 213–217 Hanka, Václav 158 Hanzal, Josef 72n Haraksim, udovít 241 Harich, Wolfgang 367 Hartung, Fritz 28 Harzendorf, Fritz 40 Haubelt, Josef 220 Hausherr, Hans 28, 89 Havlíček-Borovský, Karel 397 Heck, Roman 128 Heckert, Fritz 120 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 246, 248n, 252n, 273, 309, 367n Heinrich II. 33 Helling, Fritz 40 Herbst, Stanisław 131, 311 Herzen, Alexander 107, 347n, 353, 357 Herder, Johann Gottfried 162n, 168, 246–248, 260, 274 Heyden, Günther 69 Hintze, Peter 380 Hitler, Adolf 33n, 48, 65, 257 Hodža, Milan 166–168, 240 Hofmann, Andreas Joseph 310 Holotík, udovít 70, 125–127, 324, 242, 244, 283, 304, 334, 337n, 386 Hosák, Ladislav 39n, 49 Hostinský, Otakar 231 Hoyer, Siegfried 276 Höhle, Thomas 259 Hronský, Jozef Cíger 25 Hrubý, Karel 62n

434 Hruševs’kyj, Mychajlo 17n, 273 Humboldt, Wilhelm von 28, 67, 108, 110 Hus, Jan 157, 167, 226, 229, 277–279, 282, 285, 289, 291n Husa, Václav 71, 123, 231, 291, 393 Husák, Gustáv 76, 124, 127, 239, 243n Húščava, Alexander 125 Hübner, Piotr 87, 171n, 174 Iselin, Isaak 247 Iwan der Schreckliche 17, 150, 389 Iwańczak, Wojciech 284 Jablonický, Jozef 76, 244 Jabłoński, Henryk 92, 96, 128, 131, 153, 263, 352, 360 Jakub, Ibrahim Ibn 269 Johannes Nepomuk Hl. 226 Jankovič, Vendelin 75 Jánošík, Juraj [poln. Janosik] 296n, 307 Janowski, Maciej 11 Janšák, Štefan 239 Jarausch, Konrad 398 Jarosz, Dariusz 57 Jasienica, Paweł [Lech Beynar] 106n Jasieński, Bruno 361 Jasiński, Jakub 261 Javors’kyj, Matvij 17n Jedlicki, Jerzy 11, 13, 96, 101 Jeršová, Mária 76 Jerussalimskij, Arkadi S. 70 Jessen, Ralph 27 Jezierski, Franciszek Salezy 139, 177, 180 Jirásek, Alois 219, 224, 227, 230, 232, 237, 264, 385 Jiroušek, Bohumil 123 Jiskra, Jan z Brandýsa 283 Joseph II. 153, 221, 305 Jungmann, Josef 221

Personenregister

Kalandra, Zavíš 239, 386 Kalinka, Walerian 143, 150, 175, 199n, 204 Kalista, Zdeněk 123, 159, 161, 230, 233, 386 Kalivoda, Robert 281 Kamencová, Lýdia 76, 115 Kamnitzer, Heinz 79, 108, 110, 282, 317, 379 Kant, Immanuel 247n, 309 Karl IV. 123, 125, 127, 233, 275 Karl, der Große 41, 267, 270 Kauffmann, Bernd 11 Kasimir, der Große 100 Keßler, Mario 67 Kętrzyński, Wojciech 207 Kieniewicz, Stefan 62, 96, 102, 106n, 127n, 184, 201, 213–215, 217, 261, 310, 343, 349–351, 362–364 Kirn, Paul 68 Klein, Ernst 122 Klein, Fritz 69, 79n Kleist, Heinrich 34 Klíma, Arnošt 77, 80, 84, 336, 339 Knapowska, Wisława 352 Kniaziewicz, Karol 321 Koch, Gottfried 253, 255 Kochanowski, Jerzy 11 Kočí, Josef 59, 229, 261, 308, 313, 336 Kogălniceanu, Mihail 13 Kolankowski, Ludwik 152 Kolář, Pavel 11 Kollár, František, Adam 237 Kollár, Ján [tsch. Jan Kollár] 162n, 165, 236, 325n, 360 Koliska 227 Kołakowski, Leszek 20, 49, 136, 172 Kołłątaj, Hugo 177–183, 185, 192, 204, 211, 214, 308 Konečný, Zdeněk 314

435

Personenregister

Konopczyński, Władysław 22, 65, 85, 87, 149n, 153, 209–211, 214–216 Kopecký, Václav 74, 229, 244 Kopeček, Michal 11 Kopernikus, Nikolaus 178 Kormanowa, Żanna 50, 60, 83, 85–93, 128–131, 176–178, 184–186, 192n, 210n, 213, 263, 341, 343 Korta, Adam 204, 261, 319n, 354, 356, 358, 372n, 386 Korzon, Tadeusz 148, 150, 202–204, 206n, 212 Kosminskij, Evgenij 88, 285 Kossuth, Lajos 39, 239, 241, 330, 332n, 394 Kostka-Napierski, Aleksander 302n, 306, 365 Kościuszko, Tadeusz 148, 178, 184, 261, 311–313, 319, 340, 358–360, 387 Kotarbiński, Tadeusz 86 Kowalski, Józef 89, 393 Kozina, Jan, Sladký 227 Köhler, Fritz 68n Kra, Janko 330 Král, Václav 229, 244 Krassowska, Eugenia 56 Kreibich, Karel 46 Krępowiecki, Tadeusz 188, 346 Križko, Pavol 237 Krofta, Kamil 24, 262 Kropilák, Miroslav 126 Krukowiecki, Jan Stefan 341 Krzywicki, Ludwik 264 Křížek, Jurij 374 Kucharzewski, Jan 85 Kuczynski, Jürgen 67–71, 80, 83, 109, 121n, 252, 269 Kukiel, Marian 85 Kula, Marcin 11 Kula, Witold 61, 100–102, 105, 107, 116, 129, 131, 136, 175, 359, 392

Kusák, Alexej 29 Kutnar, František 154, 220 Kutusov, Michail 314, 316 Kühn, Johannes 28 Kvasnička, Ján 376 Kyrill Hl. 271 Lamprecht, Karl 138, 146n, 151, 159, 257n, 262 Lange, Fritz 47 Lehmann, Max 258n Leibniz, Gottfried Wilhelm 246 Lelewel, Joachim 63, 141–143, 155, 175, 184–198, 200, 206–209, 218n, 224n, 260, 274, 341, 343, 360, 384, 387 Lenin, Vladimir Iič 9, 20, 47, 53n, 62, 74, 90, 119, 125, 178, 229, 231n, 324, 360, 370, 374, 384, 389 Lenz, Max 257 Lepszy, Kazimierz 97, 131, 260, 280 Lessing, Gotthold Ephraim 246n, 260, 309 Leśnodorski, Bogusław 128n, 131, 178, 182, 211 Liebknecht, Karl 47, 260, 379, 381 Limanowski, Bolesław 97 Linda, Josef 158 Lipták, ubomír 78, 167 List, Friedrich 367 Loew, Peter Oliver 11 Lomonosov, Michail 127, 246 Lorentz, Stanisław 24 Lozek, Gerhard 257 Luden, Heinrich 249n Ludwig, von Anjou 141, 150 Luther, Martin 41n, 48, 289-291, 305, 369, 387 Lukács, György 259, 367 Luxemburg, Rosa [poln. Róża Luksemburg] 45, 47, 260, 374, 379, 381

436 Łepkowski, Tadeusz 342 Łowmiański, Henryk 128n Łukaszewicz, Witold 186, 188n, 199, 202, 204, 210n, 262, 343, 346, 348, 352 Macek, Josef 74n, 97, 115, 123n, 127, 223, 225n, 229, 233n, 260, 262, 276– 281, 287, 295, 335, 393 Machovec, Milan 230, 279 Macura, Vladimír 14n Macůrek, Josef 16n, 38, 82, 137, 335n Maleczyńska, Ewa 45, 131, 186, 199, 209, 263, 265, 279, 280, 284, 286– 288, 293, 302, 307 Maleczyński, Karol 99, 269, 284 Małowist, Marian 101n, 129, 153 Manteuffel, Tadeusz 21, 24, 83n, 88– 90, 94, 96, 105, 128-131, 153, 184 Marchlewski, Julian 374 Marcks, Erich 257 Marek, Jaroslav 154, 220 Mariański, K. 92 Markov, Walter 78, 258 Marsina, Richard 238, 335 Martinovics, Ignác 308 Marx, Karl 9n, 15, 18–20, 28, 47, 50, 53n, 57–59, 61n, 64, 68n, 72n, 78n, 81–84, 87, 90, 97n, 100n, 104, 108– 110, 119, 121, 125, 127, 132n, 135n, 138, 162, 174, 176–178, 181, 186, 188–192, 204, 207, 211, 214, 219, 222–229, 231, 233–239, 242, 245n, 248–152, 258–264, 266, 268, 274, 276, 279n, 287n, 292n, 302, 304, 306n, 311n, 318–320, 324–326, 328, 332, 334, 336–341, 347n, 350, 352n, 356, 358, 360–362, 367, 369–371, 375, 379, 383–391, 394–397 Masaryk, Tomáš Garrigue 24n, 59, 73n, 159–161, 220, 224, 228–232, 375n

Personenregister

Matula, Vladimír 127, 238n, 242, 330– 334, 339, 390 Mączak, Antoni 62 Mehnert, Klaus 9 Mehring, Franz 259n, 264 Meinecke, Friedrich 28, 41, 257 Melicherčík, Andrej 296n Meloch, Maksymilian 263 Method Hl. 271 Meusel, Alfred 69, 80n, 108–111, 119– 121, 123, 256, 290, 311, 390 Meyer, Eugen 28 Mésároš, Július 331n, 334 Micigolski, Jan 299 Mickiewicz, Adam 142, 185, 208, 261 Mierosławski, Ludwik 357 Mikołajczyk, Stanisław 43 Mimtz, Walter 380 Mináč, Vladimír 329, 333 Missalowa, Gryzelda 92, 96 Mišík, Mikuláš 238 Mlynárik, Ján 78, 125, 229, 386 Modzelewski, Zygmunt 94, 359 Mommsen, Theodor 253, 255n Morazé, Charles 82 Moser, Friedrich Karl von 246n Moszczeńska, Wanda 82, 153, 176, 217n Mottek, Hans 276 Möser, Justus 246n Mráz, Andrej 240n, 331 Müller, Resemarie 282 Müntzer, Thomas 42, 45, 110, 282, 289–292, 294, 305, 307 Naruszewicz, Adam 138–141, 143, 153, 175, 177, 179–183, 185, 191, 209, 237 Nedič, Milan 21 Nejedlý, Vít 232 Nejedlý, Zdeněk 38, 72–74, 113n, 219–221, 224–228, 230–235, 264, 308, 313, 328n, 371, 385, 393, 397

Personenregister

Niekisch, Ernst 40 Nodl, Martin 11 Novalis [Georg Friedrich Philipp von Hardenberg] 309 Novomeský, Ladislav 40, 57, 75n, 239, 244 Novotný, Jan 308, 314 Nývlt, Antonín 227 Obermann, Karl 108, 121n, 248, 251, 366–368 Ochab, Edward 88 Okęcki, Stanisław 117, 131 Ondráš 227 Opałek, Kazimierz 182 Ossowski, Stanisław 86 Otto, Karl-Heinz 271 Pachta, Jan 72, 226, 228, 233 Padlewski, Zygmunt 353 Palacký, František 141, 154–157, 159– 161, 163, 219, 221–226, 228, 230– 232, 234–235, 249, 274, 277, 293, 306, 331, 335–337, 339, 360, 384, 388, 397 Pankratova, Anna 17n, 89 Pavelić, Ante 21 Pătrășcanu, Lucreţiu 393 Pekař, Josef 24, 73n, 146, 159–161, 219–221, 224–228, 230–234, 242, 262, 386, 388 Pelcl, František Martin 222 Petrescu, Cristina 11 Petrescu, Dragoș 11 Petrusewicz, Kazimierz 213 Petzold, Joachim 66 Pieck, Wilhelm 41, 118, 260 Piłsudski, Józef 33, 151, 209, 211–214, 262, 320, 372–375, 378, 392 Pius IX. 356 Plechanov, Georgij 68

437 Plesse, Werner 65 Plevza, Viliam 127 Pokorná, Magdalena 115 Pokrovskij, Michail 15–18, 174, 273 Poniatowski, Józef 322n Poniatowski, Stanisław August 140 Poppe, Andrzej 193n Preller, Hugo 28 Pribina 268 Přemysl, Ottokar II. 156 Pynsent, Robert B. 162 Radiščev, Alexander 182n Rákóczi, Ferenc II. 304 Rákóczi, Georg [György] II. 302n Ranke, Leopold von 138, 144, 146n, 158n, 174, 248, 251–253, 255–257, 259, 291, 383, 388 Rapacki, Adam 178 Rapant, Daniel 26, 75n, 78, 125n, 170, 240, 242 Raphael, Lutz 388, 390 Ratkoš, Peter 127, 236, 265, 283, 294– 296, 306 Rebro, Karol 334 Reiser, Friedrich 282 Reklowski, Wojciech 302 Rezek, Antonín 157 Rickert, Heinrich 258 Ritter, Gerhard 41 Robbe, Waltraud 69 Roller, Mihail 393–395 Rosenbaum, Karol 236 Rousseau, Jean-Jacques 248 Rotteck, Carl von 249, 252 Rozental, Jerzy 96 Rożniecki, Aleksander 322 Rudnicki, Mikołaj 36 Rusiński, Władysław 181 Rutkowski, Jan 153 Rzewuski, Henryk 344, 366

438 Říha, Oldřich 72, 374 Sabina, Karel 223 Sabrow, Martin 70, 80, 111, 121, 123 Samo 268 Samsonowicz, Henryk 131 Sasinek, František Vi azoslav 97, 166, 237 Schaff, Adam 64, 86n, 177, 189, 206, 210, 215–217 Scharnhorst, Gerhard Johann von 316 Schäfer, Karl Heinz 323 Scheel, Heinrich 121, 310n, 319 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 309 Schilfert, Gerhard 108, 247, 250–252, 366 Schiller, Friedrich 28, 246, 260, 309 Schlegel, August Wilhelm 309 Schlegel, Friedrich 309 Schleier, Hans 253n, 256, 260 Schleiermacher, Friedrich 309 Schleifstein, Josef 69, 259n Schlosser, Friedrich Christoph 249– 252 Schlözer, August Ludwig 246n Schoenbrenner, Janina 92 Schreiner, Albert 66n, 108n, 120, 122, 378n Seibt, Ferdinand 37 Serejski, Marian Henryk 63–65, 71, 97, 102, 131, 153, 180–182, 184n, 187–189, 191, 195–198, 200n, 205– 208, 217n, 220 Severini, Jan 237 Sidorov, Arkadij 82, 88 Sienkiewicz, Henryk 299 Sierakowski, Zygmunt 353 Sigismund I. 141, 147 Sigismund III. 147 Sigismund, August 141

Personenregister

Sigismund, von Luxemburg 226 Skrzynecki, Jan Zygmunt 341 Slánský, Rudolf 109, 228 Slavík, Jan 72n, 232, 386 Smetana, Bedřich 230, 232 Smoleński, Władysław 63, 148n, 178, 192, 202–207, 214 Smolka, Stanisław 143, 383 Sobieski, Wacław 149–151, 153 Sokolnicki, Michał 322 Spartakus 271, 380 Spytko, von Melsztyn 286n, 365 Stalin, Iosif V. 9, 20n, 29, 44, 46, 54 56n, 59n, 62n, 66n, 76, 81, 88, 90, 102n, 105, 119, 124–126, 132, 136, 172, 178, 195, 266, 274n, 298, 328, 334, 339n, 367, 376, 389, 391, 393, 397 Staszic, Stanisław 140, 143, 153, 177– 183, 192 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom und zum 249, 316n, 323, 386n Steinmetz, Max 289n Stern, Leo [Jonas Leib] 47, 56, 121– 123, 245n, 248, 251–253, 267, 272, 289 Stirner, Max 368 Stloukal, Karel 25n, 72n Stobiecki, Rafał 11, 82, 87, 171, 174, 392n Strauß, David Friedrich 368 Streb, Xaver 69 Streisand, Joachim 79n, 246, 248, 252, 255, 257n, 309–311, 318 Sułkowski, Józef 261 Suvorov, Alexander 102, 313, 315, 319, 323 Sybel, Heinrich von 253–256, 273n Szacki, Jerzy 20 Szekfű, Gyula 394 Szela, Jakub 362–364

439

Personenregister

Szujski, Józef 143–145, 148, 150, 175, 189, 200n, 204

Ulický, Matouš 227 Ullmann, Eduard 119

Ślisz, Andrzej 354, 357 Śreniowska, Krystyna 212 Śreniowski, Stanisław 97, 191, 202

Valentin, Veit 258 Varsik, Branislav 125, 283n Vavák, František 227 Vávra, Jaroslav 72, 315 Vávra, Vlastimil 376 Veen, Hans-Joachim 11 Virchow, Rudolf 367 Vlachovič, Jozef 305 Vogler, Günther 259 Voigt, Mikuláš Adaukt 153 Vojtíšek, Václav 115

Šafarík, Pavol Jozef [tschech. Pavel Josef Šafařík] 162n, 165, 326 Šindelář, Bedřich 336 Špiesz, Anton 127 Špirko, Jozef 238 Štefánik, Milan Rastislav 125, 378 Štoll, Ladislav 74, 124, 231 Štúr, udovít 163–165, 167n, 235n, 238, 240, 248, 261, 325, 328–336, 339, 360, 385, 390 Šusta, Josef 24, 73 Švankmajer, Milan 314n Taylor, Alan, J. P. 75 Thököly, Imre 304 Tibenský, Ján 126 Tieck, Ludwig 309 Tisza, Kálmán 166 Tkadlečková, Jarmila 326 Tokarz, Wacław 97, 153, 209, 213 Tomek, Václav Vladivoj 156n, 277 Traba, Robert 11 Trawkowski, Stanisřaw 127 Treitschke, Heinrich von 250, 253– 257, 273n Trencsényi, Balázs 11 Tymieniecki, Kazimierz 271n Tyssowski, Jan 362 Udacov, Ivan, I. 82, 224, 331, 335– 339 Ulbricht, Lotte 67 Ulbricht, Walter 59, 67, 70, 108, 272, 380, 392

Walicki, Andrzej 370 Wallenstein, Albrecht Václav Eusebius 227 Warnecke, Andreas 11 Waryński, Ludwik 178 Weber, Max 258 Wenzel Hl. 267 Wenzel, Johannes 257 Wereszycki, Henryk 75, 82, 89n, 103– 105, 107, 217, 386 Werfel, Roman 89, 212, 215, 345, 362, 386 Werner, Ernst 292 Werstadt, Jaroslav 25, 73 Wesołowski, Bronisław 374 Wielopolski, Aleksander 356 Wierzbicki, Andrzej 11 Wilhelm II. 33 Winckelmann, Johann Joachim 246 Winkler, Gerhard 69 Winter, Kurt 367 Władysław II. Wygnaniec [der Vertriebene] 106 Wojciechowski, Zygmunt 23, 32–35, 44–46, 49n, 52, 87, 132, 152, 209, 269, 386

440 Wollman, Frank 325n Wolski, Władysław [Antoni Piwowarczyk] 65 Worcell, Stanisław Gabriel 347n Wójcik, Zbigniew 301 Wycliff, John 289 Zakrzewski, Stanisław 151, 212 Zakrzewski, Witold 183 Zambrowski, Roman 65 Zawadzki, Sylwester 93n Zborowski, Samuel 143 Zebrzydowski, Mikołaj 143

Personenregister

Zetkin, Clara 260 Zienkowska, Krystyna 101 Zimmermann, Wilhelm 2 49n, 252 Żółkiewski, Stefan 212, 214 Żychowski, Marian 204, 211 Żywczyński, Mieczysław 60, 213 Ždanov, Andrej 18, 389 Ždanov, J. 82 Želivský, Jan 292 Žižka, Jan 225, 230, 277–279, 292, 384

MANFRIED R AUCHENSTEINER (HG.)

ZWISCHEN DEN BLÖCKEN NATO, WARSCHAUER PAK T UND ÖSTERREICH SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCHHISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED-HASL AUER-BIBLIOTHEK BAND 36

Jahrzehnte hindurch beherrschte die Existenz zweier Militärblöcke das politische Handeln und militärische Denken Europas. Die theoretische Möglichkeit der gegenseitigen totalen Vernichtung ließ das Bild vom Gleichgewicht des Schreckens entstehen. Und Österreich lag exakt an der Schnittlinie der Blöcke. Die Wahrnehmung war allerdings unterschiedlich. Während man in der NATO meist ein freundliches Militärbündnis sah, wurde immer wieder spekuliert, ob nicht der Warschauer Pakt jenseits aller Beteuerungen aggressive Absichten hegte. Mittlerweile ist klar geworden, dass Österreich in den Planungen von Ost und West eine sehr wesentliche Rolle zukam, und dass es auf Grund seiner eigenen militärischen Schwäche einer Art Vielfachbedrohung ausgesetzt war. 12 Autoren, Wissensträger und namhafte Wissenschafter, gehen dem Bedrohungsbild, der Wahrnehmung und den Schlussfolgerungen nach, die Österreich aus seiner Existenz zwischen den Blöcken zog. 2010, 817 S. GB. MIT SU. 24 S/W-ABB. 20 TAB. U. GRAF. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78469-2

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau.at | wien köln weimar

ANDREAS K APPELER (HG.)

DIE UKR AINE PROZESSE DER NATIONSBILDUNG

Seit zwanzig Jahren ist die Ukraine ein unabhängiger Staat. In diesem Band geben führende HistorikerInnen, Kultur- und SozialwissenschaftlerInnen aus mehreren Ländern einen Überblick über zahlreiche Aspekte der ukrainischen Geschichte und Gegenwart, der weit über das Thema der Nationsbildung hinausgeht. Behandelt werden einzelne Faktoren wie Sprache, Religion und Territorium, Frauen, Bauern und Stadt, das Verhältnis zu Russland, Polen und Juden und zeitliche Brennpunkte wie die beiden Weltkriege und die Nationsbildung seit 1991. Der Band hat den Charakter eines Handbuches, das Studierenden, Lehrern, Journalisten und einem breiteren Publikum grundlegende Informationen über das zweitgrößte europäische Land und seine Geschichte vermittelt. 2011. XIV, 453 S. MIT 7 S/W-ABB. IM TEXT UND 4 FARB. ABB. AUF TAF. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-20659-8

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ECKHARD JESSE

SYSTEMWECHSEL IN DEUTSCHL AND 1918/19 – 1933 – 1945/49 – 1989/90

Der bekannte und streitbare Politikwissenschaftler Eckhard Jesse legt mit dieser pointierten Untersuchung die Synthese seiner Forschungsarbeit zur deutschen politischen Geschichte im 20. Jahrhundert vor, wie es sie mit dieser Akzentsetzung bislang nicht gibt. Eckhard Jesse […] schreckt nicht davor zurück, unbequeme Wahrheiten auszusprechen […] mit Gewinn vom allgemeinen Publikum, Schülern und Studenten und auch von den Fachkollegen zu lesen. Rheinischer Merkur Souverän und nachvollziehbar erklärt Jesse Ursachen und Wirkungen […] das alles nie trocken, sondern mit zahlreichen Pointen und Zitaten angereichert. Aachener Zeitung 2., DURCHGESEHENE AUFLAGE 2011. 280 S. GB. 135 X 210 MM. ISBN 978-3-412-20803-5

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THOMAS REICHEL

»SOZIALISTISCH ARBEITEN, LERNEN UND LEBEN« DIE BRIGADEBEWEGUNG IN DER DDR (1959–1989)

In diesem Buch wird ein umfassendes und differenziertes Bild der Geschichte der „sozialistischen Brigaden“ entfaltet, das vielfältige Einblicke in die DDRGesellschaft der späten Ulbricht-Ära und der Honecker-Ära eröffnet. Gestützt auf eine breite Quellenbasis, von der zentralen bis zur unteren Ebene von SED, FDGB und ausge wählten Industriebetrieben, arbeitet der Autor die ambivalente Rolle der Brigaden als Sozialisationsinstanz für die Mehrheit der „Werktätigen“ in der DDR heraus. Als eine alltägliche Form der Gemeinschaftsbildung spielten die „sozialistischen Brigaden“ eine entscheidende Rolle bei der „Kollektivierung“ der Gesellschaft und trugen über drei Jahrzehnte zur relativen Stabilität der DDR bei. 2011. 394 S. GB. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-20541-6

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ZEITHISTORISCHE STUDIEN HERAUSGEGEBEN VOM ZENTRUM FÜR ZEITHISTORISCHE FORSCHUNG POTSDAM

Band 45: Peter Hübner, Christa Hübner SOZIALISMUS ALS SOZIALE FRAGE SOZIALPOLITIK IN DER DDR UND POLEN 1968–1976

Eine Auswahl.

2008. 520 S. Gb. ISBN 978-3-412-20203-3

Band 41:

Band 46:

Mario Keßler

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OSSIP K. FLECHTHEIM

PAX SOVIETICA

POLITISCHER WISSENSCHAFTLER UND ZUKUNFTSDENKER (1909–1998)

STALIN, DIE WESTMÄCHTE UND DIE DEUTSCHE FRAGE 1941–1945

2007. 295 S. 9 s/w-Abb. auf 8 Taf. Gb. ISBN 978-3-412-14206-3

Band 42: Annette Schuhmann (Hg.) VERNETZTE IMPROVISATIONEN GESELLSCHAFTLICHE SUBSYSTEME IN OSTMITTELEUROPA UND IN DER DDR

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Band 43:

Melanie Arndt

GESUNDHEITSPOLITIK IM GETEILTEN BERLIN 1948 BIS 1961 2009. 281 S. Gb. ISBN 978-3-412-20308-5

Band 44: José M. Faraldo, Paulina Gulińska-Jurgiel, Christian Domnitz (Hg.) EUROPA IM OSTBLOCK VORSTELLUNGEN UND DISKURSE (1945–1991) EUROPE IN THE EASTERN BLOC. IMAGINATIONS AND DISCOURSES (1945–1991)

2009. 639 S. Mit 5 s/w-Karten. Gb. ISBN 978-3-412-20416-7

Band 47:

Tobias Schulz

»SOZIALISTISCHE WISSENSCHAFT« DIE BERLINER HUMBOLDTUNIVERSITÄT (1960–1975)

2010. 328 S. Gb. ISBN 978-3-412-20647-5

Band 48:

Michael Lemke

VOR DER MAUER BERLIN IN DER OST-WEST-KONKURRENZ 1948 BIS 1961

2011. 753 S. Mit 150 s/w-Abb. auf Taf. Gb. ISBN 978-3-412-20672-7

Band 49:

Dominik Trutkowski

DER GETEILTE OSTBLOCK DIE GRENZEN DER SBZ/DDR ZU POLEN UND DER TSCHECHOSLOWAKEI

2011. 205 S. Mit 27 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20673-4

SZ733

2008. 407 S. Gb. ISBN 978-3-412-20029-9

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EUROPÄISCHE DIKTATUREN UND IHRE ÜBERWINDUNG SCHRIFTEN DER STIFTUNG ETTERSBERG

Eine Auswahl. Band 7 erscheint nicht.

Band 5:

Henning Pietzsch

JUGEND ZWISCHEN KIRCHE UND STAAT GESCHICHTE DER KIRCHLICHEN JUGENDARBEIT IN JENA 1970–1989

2005. 390 S. 1 s/w-Abb. Br. ISBN 978-3-412-17204-6

Band 8: Peter März, Hans-Joachim Veen (Hg.) WORAN ERINNERN? DER KOMMUNISMUS IN DER DEUTSCHEN ERINNERUNGSKULTUR

Band 12: Hans-Joachim Veen, Ulrich Mählert, Peter März (Hg.) WECHSELWIRKUNGEN OST-WEST DISSIDENZ, OPPOSITION UND ZIVILGESELLSCHAFT 1975–1989

2007. 213 S. Br. ISBN 978-3-412-23306-8

Band 13: Hans-Joachim Veen, Ulrich Mählert, Franz-Josef Schlichting (Hg.) PARTEIEN IN JUNGEN DEMOKRATIEN ZWISCHEN FRAGILITÄT UND STABILISIERUNG IN OSTMITTELEUROPA

2008. 226 S. Zahl. Graf. u. Tab. Br. ISBN 978-3-412-20180-7

Band 14: Hans-Joachim Veen, Peter März, Franz-Josef Schlichting (Hg.) KIRCHE UND REVOLUTION

2006. 269 S. Br. ISBN 978-3-412-37405-1

Das Christentum in Ostmitteleuropa vor und nach 1989

Band 9:

2009. 241 S. Zahl. Graf. u. Tab. Br. ISBN 978-3-412-20403-7

Eva Ochs

»HEUTE KANN ICH DAS JA SAGEN« LAGERERFAHRUNGEN VON INSASSEN SOWJETISCHER SPEZIALLAGER IN DER SBZ/DDR

2006. VIII, 343 S. Br. ISBN 978-3-412-01006-5

Band 10: Michael Ploenus »... SO WICHTIG WIE DAS TÄGLICHE BROT« DAS JENAER INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS 1945–1990

2007. 355 S. Br. ISBN 978-3-412-20010-7

Band 11:

Peter Wurschi

RENNSTEIGBEAT JUGENDLICHE SUBKULTUREN IM THÜRINGER RAUM 1952–1989

Band 15: Hans-Joachim Veen, Peter März, Franz-Josef Schlichting (Hg.) DIE FOLGEN DER REVOLUTION

20 Jahre nach dem Kommunismus

2010. 183 S. 14 s/w-Grafiken und Abb. Br. ISBN 978-3-412-20597-3

Band 16:

Maciej Gorny

»DIE WAHRHEIT IST AUF UNSERER SEITE« NATION, MARXISMUS UND GESCHICHTE IM OSTBLOCK

Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew, Blazej Bialkowski und Andreas Warnecke 2011. 440 S. Br. ISBN 978-3-412-20702-1

TR774

2007. 312 S. Br. ISBN 978-3-412-20014-5

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